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Plenarprotokoll 16/33

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

33. Sitzung

Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 22: Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2778 A


Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2783 A
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2783 B
Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili-
gung deutscher Streitkräfte an der Frie-
densmission der Vereinten Nationen im Tagesordnungspunkt 34:
Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Reso-
lution 1663 (2006) des Sicherheitsrates der Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
Vereinten Nationen vom 24. März 2006
schäftsordnung zu dem Antrag der Abgeord-
(Drucksachen 16/1052, 16/1148, 16/1177) . . 2769 A neten Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Gernot Erler, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . 2769 C Christian Ahrendt und weiterer Abgeordneter:
Einsetzung eines Untersuchungsaus-
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2770 C schusses
(Drucksachen 16/990, 16/1179) . . . . . . . . . . . 2781 A
Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2771 D
Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2773 B Tagesordnungspunkt 24:
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2774 B desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuregelung der Flugsiche-
Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2775 C rung
(Drucksachen 16/240, 16/1161, 16/1178) . . . 2781 C
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/
Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2781 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2775 D
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . . 2783 C
Brunhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2776 C
Norbert Königshofen (CDU/CSU) . . . . . . . . 2784 D
Hans Raidel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 2777 C Dorothee Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2786 D
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 2777 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2787 D
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2778 D Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2789 B
Dorothee Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2790 B
Tagesordnungspunkt 23: Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär
Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2790 C
(Drucksache 16/1116) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2778 A Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU) . . . . . . . . 2790 C
II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Tagesordnungspunkt 25: vorantreiben – Qualität und Transparenz


der stationären Pflege erhöhen
c) Antrag der Abgeordneten Irmingard
(Drucksache 16/672) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2806 A
Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln),
Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 2806 B
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
Willi Zylajew (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2807 B
GRÜNEN: Keine Ausgrenzung beim
Antidiskriminierungsgesetz Daniel Bahr (Münster) (FDP) . . . . . . . . . . 2808 A
(Drucksache 16/957) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2792 A Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2809 A
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2810 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2792 A
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2793 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2811 C
Mechthild Dyckmans (FDP) . . . . . . . . . . . . . 2794 C
Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2795 C Tagesordnungspunkt 28:
Sevim Dagdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2797 B Antrag der Abgeordneten Volker Schneider
(Saarbrücken), Cornelia Hirsch, Dr. Petra
Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Tagesordnungspunkt 26: der LINKEN: Zukunftsaufgabe Weiterbil-
– Zweite und dritte Beratung des von den dung
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD (Drucksache 16/785) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2812 D
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Volker Schneider (Saarbrücken)
zur Änderung von Vorschriften des (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2813 A
Sozialen Entschädigungsrechts und des
Gesetzes über einen Ausgleich von Alexander Dobrindt (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2813 D
Dienstbeschädigungen im Beitrittsge- Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2815 D
biet
(Drucksachen 16/444, 16/1162) . . . . . . . . 2798 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 2816 D

– Zweite und dritte Beratung des von der Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2818 D
eines Gesetzes zur Änderung von Vor-
schriften des Sozialen Entschädigungs- Tagesordnungspunkt 29:
rechts und des Gesetzes über einen Aus-
gleich von Dienstbeschädigungen im Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Her-
Beitrittsgebiet born), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer
(Drucksachen 16/754, 16/1162) . . . . . . . . 2798 C Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN: Den europäi-
Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär schen Bildungsraum weiter gestalten –
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2798 D Transparenz und Durchlässigkeit durch
Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2799 C einen europäischen Qualifikationsrahmen
stärken
Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2800 C (Drucksache 16/1063) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2819 D
Volker Schneider (Saarbrücken)
(DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2802 B in Verbindung mit
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2803 C Zusatztagesordnungspunkt 8:
Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2804 B Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch,
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2804 C Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrü-
cken), weiterer Abgeordneter und der Frak-
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ tion der LINKEN: Anforderungen an die
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2804 D Gestaltung eines europäischen und eines
Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2805 A nationalen Qualifikationsrahmens
(Drucksache 16/1127) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2819 D
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Tagesordnungspunkt 27: DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2820 A
Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2821 A
Birgit Homburger, Daniel Bahr (Münster),
Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2823 A
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP: Entbürokratisierung der Pflege Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2824 D
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 III

Tagesordnungspunkt 30: stimmung über den Antrag: Fortsetzung der


Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Frie-
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten densmission der Vereinten Nationen im Sudan
Dr. Volker Wissing, Horst Friedrich (Bay- (UNMIS) auf Grundlage der Resolution 1663
reuth), Carl-Ludwig Thiele, weiteren Ab- (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Na-
geordneten und der Fraktion der FDP ein-
tionen vom 24. März 2006 (Tagesordnungs-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
punkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2830 A
Änderung des Kraftfahrzeugsteuerge-
setzes
(Drucksache 16/473) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2825 C
Anlage 4
b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher Thomas Dörflinger, Siegfried Kauder (Villin-
Vorschriften auch hinsichtlich der gen-Schwenningen) und Andreas Jung
Wohnmobilbesteuerung (Konstanz) (alle CDU/CSU) zur Abstimmung
(Drucksache 16/519) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2825 D über den Entwurf eines Gesetzes zur Neure-
gelung der Flugsicherung (Tagesordnungs-
punkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2830 D
Tagesordnungspunkt 31:
Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Anlage 5
Sevim Dagdelen, Dr. Lothar Bisky, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der
Gegen Menschenhandel und Zwangs- Anträge:
prostitution – Rechtsstellung der Opfer
stärken – Den europäischen Bildungsraum weiter
(Drucksache 16/1006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2826 A gestalten – Transparenz und Durchlässig-
keit durch einen europäischen Qualifika-
tionsrahmen stärken
in Verbindung mit
– Anforderungen an die Gestaltung eines
europäischen und eines nationalen Quali-
Zusatztagesordnungspunkt 9: fikationsrahmens
Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- (Tagesordnungspunkt 29, Zusatztagesord-
Gerigk, Josef Philip Winkler, Monika Lazar, nungspunkt 8)
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Men- Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 2831 B
schenhandel bekämpfen – Opferrechte
weiter ausbauen
(Drucksache 16/1125) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2826 A Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2826 C
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Kraftfahrzeugsteuergesetzes
Anlage 1
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2827 A kraftfahrzeugsteuerlicher Vorschriften
auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteue-
rung
Anlage 2
(Tagesordnungspunkt 30)
Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut-
schen Bundestages, die an der Wahl der Ab- Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2832 A
geordneten Petra Pau zur Vizepräsidentin des
Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2832 D
Deutschen Bundestages teilgenommen haben 2828 A
Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 2833 D

Anlage 3 Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2834 B


Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/
Jürgen Koppelin (FDP) zur namentlichen Ab- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2835 B
IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Anlage 7 Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2840 B
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Anträge:
– Gegen Menschenhandel und Zwangspros- Anlage 8
titution – Rechtsstellung der Opfer stärken Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur
Beratung des Antrags: Voraussetzungen für
– Menschenhandel bekämpfen – Opfer- Entwicklung, Bau und Betrieb einer Europäi-
rechte weiter ausbauen schen Spallations-Neutronenquelle in Deutsch-
(Tagesordnungspunkt 31, Zusatztagesord- land schaffen – Deutsche Bewerbung vo-
nungspunkt 9) rantreiben (32. Sitzung, Tagesordnungs-
punkt 15)
Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2836 A
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2840 D
Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2837 D
Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2838 D Anlage 9
Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2839 C Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2841 C
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2769

(A) (C)

Redetext

33. Sitzung

Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Die Sitzung ist eröffnet. für die Bundesregierung der Staatsminister Gernot Erler.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich, wünsche uns einen guten Tag, kluge Entschei- Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
dungen und danach die verdiente parlamentarische Os- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
terpause. 24. März hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
die Verlängerung der Mission der Vereinten Nationen im
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Sudan, abgekürzt UNMIS, bis zum 24. September, also
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- um ein halbes Jahr, beschlossen. Bereits am 22. März hat
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- das Bundeskabinett beschlossen, die deutsche Beteili-
schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung gung um den in der Resolution genannten Zeitraum zu
verländern, und bittet jetzt um die Zustimmung des Bun-
(B) Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streit- destages. Weder der Sicherheitsrat noch die Bundesre- (D)
kräfte an der Friedensmission der Vereinten gierung haben irgendetwas an dem Mandat geändert, das
Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Deutsche Bundestag vor knapp einem Jahr erstmals
der Resolution 1663 (2006) des Sicherheitsra- zustimmend beschlossen hat.
tes der Vereinten Nationen vom 24. März 2006
Worum geht es bei UNMIS? Im Januar 2005 gelang
– Drucksachen 16/1052, 16/1148 – es, den jahrelangen blutigen Bürgerkrieg im Sudan
– zwischen dem Norden und dem Süden – mit dem Frie-
Berichterstattung: densvertrag von Nairobi zu beenden. Die Bilanz dieses
Abgeordnete Anke Eymer (Lübeck) Bürgerkriegs erschreckt noch heute: 2 Millionen Tote,
Brunhilde Irber 4 Millionen Vertriebene und eine enorme Zerstörung der
Dr. Werner Hoyer Lebensgrundlagen dieser Menschen in diesem Land. Am
Dr. Norman Paech 24. März 2005 hat der Sicherheitsrat den Beschluss ge-
Dr. Uschi Eid fasst, dieses auch „Comprehensive Peace Agreement“
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) genannte Dokument von Nairobi mit einer Beobachter-
gemäß § 96 der Geschäftsordnung und Schutzmission zu unterstützen, die teilweise nach
Kap. VI und teilweise – was die Schutzaufgaben, auch
– Drucksache 16/1177 – bezüglich der Bevölkerung und der internationalen Hel-
Berichterstattung: fer angeht – nach Kap. VII der UN-Charta agiert. Für
Abgeordnete Jürgen Koppelin diese Hilfe zur Umsetzung des Friedensvertrags sollten
Herbert Frankenhauser 10 000 bewaffnete Kräfte eingesetzt werden. Von denen
Lothar Mark sind im Augenblick 80 Prozent im Einsatz, das heißt,
Dr. Gesine Lötzsch UNMIS ist immer noch im Aufbau begriffen. Wir erwar-
Alexander Bonde ten, dass bis Sommer dieses Jahres tatsächlich
10 000 Mann eingesetzt werden können.
Wir werden über die Beschlussempfehlung später na-
mentlich abstimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat bei der Um-
setzung des Friedensvertrages von Nairobi durchaus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die sichtbare Fortschritte gegeben: Es gibt inzwischen eine
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu Verfassung, nach der der Süden des Sudans eine Teilauto-
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- nomie genießt, mit einer eigenen, regionalen Regierung.
sen. Es gibt eine Gesamtregierung der nationalen Einheit, die
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Staatsminister Gernot Erler


(A) auch die Rebellen aus dem Süden – von der SPLM – ein- gebraucht, damit der Sudan ein Beispiel für eine unblu- (C)
bindet. Mehrere der in dem Friedensvertrag vorgesehe- tige, vertragsgestützte Streitbeilegung wird. Das ist
nen Kommissionen haben ihre Arbeit inzwischen aufge- ganz besonders in dieser Region wichtig, wo es in der
nommen. Die wichtigste ist wahrscheinlich die Nationale Nachbarschaft noch eine ganze Reihe von anderen Kon-
Petroleumkommission, die für die Verteilung des Reich- flikten gibt.
tums zuständig ist. Die ungerechte Verteilung war einer
Insofern gibt es sehr gute Gründe, den deutschen Bei-
der Kriegsgründe im Hintergrund der blutigen Auseinan-
trag zu UNMIS aufrechtzuerhalten und dadurch mit da-
dersetzungen. Inzwischen hat auch die Internationale
für zu sorgen, dass UNMIS ein Erfolg wird. Dieser deut-
Kommission zur Überwachung des Friedensprozesses
sche Beitrag besteht nach der Mandatsentscheidung in
ihre Arbeit aufgenommen.
der Entsendung von bis zu 75 bewaffneten Kräften. Im
Die Situation vor Ort ist aber immer noch nicht stabil. Augenblick sind 28 entsandt, nämlich acht Stabsoffiziere
Es gibt immer noch Misstrauen der verschiedenen Par- und 20 Militärbeobachter.
teien untereinander, was zu einer Verzögerung bei der Mit Blick auf diese friedenspolitische Aufgabe von
Implementierung des Friedensvertrages führt. Es gibt UNMIS bittet die Bundesregierung den Deutschen Bun-
immer noch Übergriffe und Gewalt gegen die Bevölke- destag um die konstitutive Zustimmung zur Verlänge-
rung, zum Beispiel von den Rebellen der LRA, der rung des Mandates.
Lord’s Resistance Army, die über die Grenze von
Uganda agiert, und auch von kriminellen Gruppen, die Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
die Bevölkerung attackieren. Mit anderen Worten: Eine (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
Absicherung des Friedensvertrages ist weiterhin notwen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
dig. Dabei geht es um die Aufgaben, die Truppen weiter geordneten der FDP)
zu entflechten, die Milizen zu entwaffnen und eine ge-
meinsame sudanesische Armee zu bilden. Es geht auch
um Streitschlichtung. Schließlich geht es dort nach wie Präsident Dr. Norbert Lammert:
vor auch um die Verteilung der Öleinkünfte, um den Das Wort hat nun für die FDP-Fraktion der Kollege
Schutz der Bevölkerung und der internationalen Helfer Dr. Rainer Stinner.
sowie um die Bildung einer gemeinsamen Polizei. (Beifall bei der FDP)
Warum ist es so wichtig, dass die Umsetzung des
Friedensvertrages von Nairobi weiterhin erfolgreich und Dr. Rainer Stinner (FDP):
ohne nennenswerte Verzögerung erfolgt? – Dies ist Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
(B) wichtig für die Menschen vor Ort, die unter dem Bürger- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP- (D)
krieg gelitten und erstmals eine Chance auf ein Ende der Fraktion wird heute dem Verlängerungsantrag der Bun-
Gewalt, auf Frieden, auf Mitbeteiligung an den politi- desregierung zustimmen.
schen Entscheidungsprozessen, auf Selbstbestimmung (Walter Kolbow [SPD]: Gut!)
und auf einen fairen Anteil an den Einkünften aus dem
Verkauf der Ölreserven haben. Dies ist auch wichtig, Wir wären auch mit dem vereinfachten Verfahren ein-
weil nach dem Nord-Süd-Ausgleich längst auch andere verstanden gewesen; aber nun diskutieren wir darüber.
Teile des Landes Forderungen erheben. Wir sprechen in- Trotz aller Probleme bei der Umsetzung halten wir es für
zwischen auch von einer Eastern Front. Dort drohen ein richtiges und verantwortbares Mandat. Deshalb stim-
neue bewaffnete Auseinandersetzungen, wenn es nicht men wir heute zu.
gelingt, diesen Nord-Süd-Konflikt auf Dauer und nach- Allerdings birgt der vorliegende Antrag eine Gefahr.
haltig zu beenden. Diese Gefahr versteckt sich in den letzten Absätzen der
Die Welt schaut außerdem nach wie vor mit großer Begründung. Bei einer kritischen und genauen Lektüre
Sorge auf die Situation in Darfur; das wissen wir alle. deutet einiges darauf hin, dass hier eine Zusammenle-
Sie ist immer noch dramatisch. Leider ist es den Kräften gung von UNMIS und AMIS und – das steht zwischen
der Afrikanischen Union, der AMIS, dort noch nicht ge- den Zeilen – eine eventuelle deutsche Beteiligung vorbe-
lungen, die Menschenrechtsverletzungen auf Dauer zu reitet wird. Ich sage für die FDP-Fraktion sehr deutlich:
beenden. Sie wissen, dass wir eine Diskussion darüber Unsere Zustimmung zur Verlängerung des UNMIS-
führen, ob diese Aufgabe nicht auch in die Verantwor- Mandates heute beinhaltet in keiner Weise irgendeine
tung der Vereinten Nationen gegeben werden muss. Eine Festlegung oder Zustimmung zur Zusammenlegung von
Entscheidung darüber steht möglicherweise im Herbst AMIS und UNMIS und eine eventuelle deutsche Beteili-
an. Eine Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass gung. Das möchte ich für meine Fraktion deutlich ma-
UNMIS weiter besteht und erfolgreich ist. chen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Ich fasse zusammen: UNMIS wird gebraucht, um das
der LINKEN)
Wiederaufflammen eines der blutigsten Bürgerkriege in
Afrika auf Dauer zu verhindern. UNMIS wird gebraucht, Es handelt sich hier schließlich um völlig unter-
um einen Friedensweg für den ganzen Sudan – inklusive schiedliche Einsätze. Bei UNMIS geht es darum, einen
für Darfur – zu eröffnen und den Störungen, die sowohl geschlossenen Friedensvertrag abzusichern. Diese Absi-
von innen als auch über die Grenzen von außen kom- cherung beinhaltet viele Probleme – Herr Staatsminister,
men, nachhaltig entgegenzutreten. UNMIS wird auch Sie haben darauf hingewiesen –; aber diese richtige Ak-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2771
Dr. Rainer Stinner
(A) tion müssen wir unterstützen. Bei AMIS hingegen geht Bundeswehr höher ist als die Qualität der Politik, die da- (C)
es um friedenserzwingende Maßnahmen. Das ist eine hintersteht. Daran muss die Bundesregierung verstärkt
völlig andere Situation. Hier eine Beteiligung in Aus- arbeiten.
sicht zu stellen, wäre aus heutiger Sicht sehr problema-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
tisch. Bisher gibt es keinen Ansatz für eine annehmbare
der LINKEN)
Friedenslösung im Darfurkonflikt. Solange für den Frie-
den kein politisches Konzept vorliegt, wäre es unverant- Das gilt auch für UNMIS. Unsere Soldaten sollen ein
wortlich, deutsche Soldaten dorthin zu schicken. Friedensabkommen absichern. Aber die Politik ist nicht
in der Lage, die in dem Friedensvertrag festgelegten Be-
Bei UNMIS ist die sudanesische Regierung Partner dingungen politisch wirklich umzusetzen. Das geschieht
eines Friedensprozesses. Bei AMIS hingegen ist die su- nur marginal. Sie haben festgestellt, Herr Staatsminister,
danesische Regierung eventuell an diesem Konflikt be- dass es eine ganze Reihe von Lücken gibt. Es ist Auf-
teiligt. Auch das ist ein wesentlicher Unterschied. Im gabe der Politik, diese zu schließen. Nur so können wir
Darfurkonflikt unterstützen wir völlig zu Recht die Afri- unseren Soldaten gegenüber glaubwürdig sein.
kanische Union. Wir sprechen von „African Owner-
ship“. Dieses Konzept halte ich trotz aller Probleme Afrika wird uns in den nächsten Jahren leider noch
nach wie vor für richtig. Das Konzept des „African häufiger beschäftigen. Wir als FDP stehen zu unseren in-
Ownership“ ist das einzige Konzept, das auf diesem ge- ternationalen Verpflichtungen. Wir wissen, dass der afri-
plagten Kontinent langfristig zu einer positiven Entwick- kanische Kontinent für uns in Europa und in Deutsch-
lung führen kann. Wir können nicht auf Dauer von außen land sehr wichtig ist. Wir wissen – salopp gesagt –, dass
einwirken und helfen. uns eines Tages all das, was in Afrika passiert, auf die
Füße fallen wird. Deshalb müssen wir an einer Afrika-
(Walter Kolbow [SPD]: Sehr richtig!) strategie arbeiten.
Wir bekommen Signale aus Brüssel und New York, Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich ein
dass das AU-Mandat eventuell durch ein UN-Mandat schlüssiges Afrikakonzept vorzulegen. Wir haben sei-
abgelöst werden soll. Das unterstützen wir zwar; aber nerzeit auch Ihre Vorgängerregierung dazu aufgefordert.
mit der Ablösung habe ich Probleme. Wir erleben, dass Sie sind neu im Amt; trotzdem haben Sie die Verpflich-
NATO und EU schon vorauseilend Hilfe und die Über- tung, das endlich zu tun. Denn nur dann, wenn wir die
nahme des Mandats anbieten. Wir alle wissen: Wenn deutschen und europäischen Interessen nachhaltig defi-
NATO und EU dabei sind, dann ist die Anfrage an uns, nieren, können wir ein Raster für unsere wichtigen Ent-
dort mitzumachen, nahe liegend, weil wir der größte scheidungen über die Einsätze deutscher Soldaten be-
Partner der Europäischen Union sind. Deshalb sage ich: kommen. Die Soldaten, die in unserem Auftrag in
(B) Wir als FDP-Fraktion werden einem solchen Automatis- (D)
Auslandseinsätzen Leib und Leben riskieren, haben ei-
mus nicht folgen, sondern uns das im Herbst sehr genau nen Anspruch darauf, dass wir als Politiker diese Vorar-
überlegen. beit für sie leisten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vielen Dank.
der LINKEN)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Ich fordere die Bundesregierung angesichts der Kon- der LINKEN)
godebatte auf: Begeben Sie sich nicht noch einmal auf
den falschen Weg, der dazu führt, angeblich mitmachen Präsident Dr. Norbert Lammert:
zu müssen. Das darf nicht passieren. Ich will heute keine Das Wort erhält nun der Kollege Eckart von Klaeden
Kongodebatte initiieren, obwohl wir alle wissen, dass je- für die CDU/CSU-Fraktion.
des Mandat in Afrika heutzutage im Zusammenhang mit
dem Kongoeinsatz diskutiert wird. Aber wir können
feststellen, dass das politische Management der Kongo- Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
debatte sowohl auf UN-Ebene als auch auf EU-Ebene Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
und auch vonseiten der Bundesregierung nur mit dem Wir sprechen heute über die Verlängerung des UNMIS-
Wort „miserabel“ gekennzeichnet werden kann. Mandates im Sudan und nicht über den Kongo, auch
wenn sich die FDP bemüht, aus jeder außenpolitischen
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Debatte eine Kongodebatte zu machen.
der LINKEN)
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war nur
Lassen Sie uns bei AMIS nicht in dieselbe Falle laufen, ein bisschen vorausschauend!)
wie das der Bundesregierung beim Kongoeinsatz leider
passiert ist. Wir debattieren heute über das UNMIS-Mandat.
Ich will zu Anfang darauf hinweisen, dass es um die
Bei der Betrachtung der Auslandseinsätze überall auf
Verlängerung eines bestehenden Mandates geht und dass
der Welt stellen wir fest: Der Engpass ist nie unsere
die Bundesregierung zu Recht beantragt hatte, diesem
Bundeswehr. Wir haben eine überdurchschnittlich gute
Mandat im so genannten vereinfachten Verfahren zuzu-
Bundeswehr, die international Anerkennung gewinnt.
stimmen. Die heutige Debatte wird nur deshalb geführt,
Diese Bundeswehr kann vieles und macht vieles mög-
weil die Fraktion Die Linke Widerspruch eingelegt hat.
lich. Der Engpass ist immer die Politik. Ich habe die Be-
fürchtung, dass auch in diesem Falle die Qualität der (Beifall bei der LINKEN)
2772 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Eckart von Klaeden


(A) Wir als CDU/CSU unterstützen den Antrag der Bun- sollten Sie sich einmal in Bosnien-Herzegowina, im Ko- (C)
desregierung und werden ihm zustimmen. Wir danken sovo, in Mazedonien, in Afghanistan, im Kongo oder im
unseren Soldatinnen und Soldaten herzlich für ihren Ein- Sudan umsehen.
satz für den Frieden im Südsudan.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Der Besuch von Herrn Gysi bei Herrn Milošević ist uns
SES 90/DIE GRÜNEN) allen noch in lebhafter Erinnerung.

Wenn die Fraktion Die Linke aber eine Debatte füh- Welche Interessen haben wir in Afrika? Wir haben ein
ren möchte, dann ist das eine Gelegenheit, sich mit den Interesse daran, dass in Afrika politische Instabilität und
Positionen dieser Partei zur Afrikapolitik und mit der be- Unordnung ein Ende finden und dass es nach und nach
sonderen Verantwortung, die diese Partei für das trägt, zu einem Demokratisierungs- und Stabilisierungspro-
was sie in Afrika angerichtet hat, auseinander zu setzen. zess kommt. Es gibt unmittelbare Zusammenhänge zwi-
schen den Konflikten in Afrika: Der Konflikt in Nord-
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist keine uganda ist ohne Frieden im Südsudan und im Kongo
Partei! Das ist ein Konglomerat!) nicht zu bewältigen. Die endgültige Aufarbeitung des
Der eine oder andere glaubt, die Konflikte in Afrika Völkermordes in Ruanda ist ohne endgültige Befriedung
alleine mit postkolonialen Problemen erklären zu kön- des Kongos nicht zu erreichen. Der Zerfall Somalias hat
nen. Das ist aber zu kurz gesprungen. Ein anderer As- die Ausbreitung des islamistischen Terrors nach Ost-
pekt sind die Spuren, die der Ost-West-Konflikt auf die- afrika erleichtert. Afrikas Kriege und Konflikte bringen
sem Kontinent hinterlassen hat. Dabei ist es interessant, humanitäre Katastrophen bis hin zu länder- und konti-
was die damalige DDR in der Verantwortung der SED in nentübergreifenden Migrationsströmen mit sich.
Afrika angerichtet hat. Ich will in diesem Zusammen- Wir sollten die Lehre aus Afghanistan berücksichti-
hang aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom gen. Wir hatten dieses Land zu lange vernachlässigt. Wir
24. März dieses Jahres zitieren, in der über den Einsatz haben uns zu wenig klar gemacht, was permanente Kon-
der Nationalen Volksarmee berichtet worden ist: flikte, permanentes Morden und permanentes Brand-
Die DDR sandte Spezialisten, die in den jeweiligen schatzen in Gesellschaften anrichten können. Wir haben
Ländern von ihren Freunden hoch gelobt wurden, ein Interesse daran, dass es zu Good Governance, zu ei-
ner an Demokratie und Menschenrechten ausgerichteten
– da war kein Demokrat dabei – Regierungsform, kommt. Wir haben ein Interesse daran,
von ihren Gegnern aber als „Neonazis“, „wieder- dass es zu stabilen Wirtschaftsbeziehungen mit den Staa-
(B) kehrende Preußen“ oder als „Rote Legion Condor“ ten Afrikas kommt, dass die Rohstoffressourcen dort (D)
beschimpft wurden. nicht ausgebeutet, sondern nach internationalen Stan-
dards abgebaut werden und dass die Bevölkerung, der
In dem Artikel heißt es weiter: die Gewinne aus dem Abbau der Rohstoffe zustehen,
Wie die Hilfe aussah, zeigt ein Beispiel aus nicht ausgenutzt wird.
Moçambique. Dort bedienten DDR-Techniker ei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
nen Störsender, um den Radiosender „Stimme des SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Freien Afrikas“ zu unterbinden. In Angola sollen NEN)
Angehörige der Staatssicherheit geholfen haben,
KZ-ähnliche „Genesungslager“ aufzubauen. Wir müssen darauf achten, dass unsere Politik glaub-
würdig bleibt. Wenn wir uns für das Funktionieren inter-
Das ist die Verantwortung insbesondere Ihrer Partei. nationaler Organisationen einsetzen, wenn wir es mit ei-
Ich würde mich freuen, wenn Sie – auch durch Ihre Zu- ner Verpflichtung gegenüber den Vereinten Nationen
stimmung – einen Beitrag dazu leisten würden, Freiheit und einem internationalen Vorgehen ernst meinen, dann
und Demokratie in Afrika zu stärken, statt sie zu be- müssen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und nach
kämpfen sorgfältiger Risikobeurteilung zustimmen, wenn die Ver-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einten Nationen uns um Hilfe bitten. In diesem Fall ist
neten der SPD und der FDP) unser Beitrag denkbar gering. Es ist ein Mandat, das den
Einsatz von bis zu 75 zum großen Teil unbewaffneten
und denjenigen in die Hände zu spielen, die nach wie vor Militärbeobachtern vorsieht. 28 sind derzeit im Ein-
meinen, dass Morden und Brandschatzen Mittel der satz. Angesichts dessen von einer Militarisierung der
Politik sein könnten. Außenpolitik zu sprechen, ist geradezu grotesker Un-
Wenn man mit dem eigenen Militär Menschenrechte, sinn.
Demokratie und Frieden verletzt hat, dann ist es die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
falsche Lehre, jeden militärischen Einsatz, der der Un- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND-
terstützung von Freiheit, Demokratie und Menschen- NISSES 90/DIE GRÜNEN)
rechten dient, abzulehnen.
Wir sehen, dass gemäß dem Friedensvertrag von Nairobi
Wenn Sahra Wagenknecht erklärt, Militäreinsätze führ-
aus dem Jahr 2005 der Wiederaufbau staatlicher Struktu-
ten niemals zu Stabilität und Sicherheit,
ren sowie die Entwaffnung und Eingliederung der zahl-
(Beifall bei der LINKEN) reichen Milizen vorankommen, wenn auch schleppend.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2773
Eckart von Klaeden
(A) Es geht um die Gewährleistung eines sicheren Umfel- Eine andere als die über die Selbstverteidigung hi- (C)
des für Hilfsorganisationen und die Zivilbevölkerung. nausgehende Militäraktion diskutiert außer uns anschei-
Wir haben ein Interesse daran, dass UNMIS auf diesem nend niemand mehr. Wir teilen nicht die Auffassung,
beschwerlichen Weg weitergehen kann. dass die Konflikte der heutigen Zeit nur noch mit Militär
gelöst werden können, zumal die Energiesicherung in
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi nahezu allen akuten Krisengebieten, die in den Fokus
Annan, hat bereits im Dezember 2005 darauf hingewie- unserer Wahrnehmung geraten, eine wichtige Rolle
sen, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, spielt. Dazu ist zu sagen: Es ist von grundsätzlicher Be-
um zu einer friedlichen Lösung im gesamten Sudan zu deutung, dass, erstens, gerechte Verträge mit ressourcen-
kommen. Deswegen spielen auch der Erfolg von reichen Ländern geschlossen werden, die der Bevölke-
UNMIS und der Erfolg des Friedensprozesses nach dem rung einen Anteil am Reichtum ihres Landes
Friedensvertrag von Nairobi aus dem Jahr 2005 für eine garantieren,
friedliche Lösung des Konflikts in Darfur eine entschei-
dende Rolle. Wer den Völkermord in Darfur stoppen (Beifall bei der LINKEN)
will, der kommt um die Unterstützung von UNMIS nicht
herum. und dass wir, zweitens – dies ist ein zentraler Punkt –,
über unsere eigene Emanzipation von fossilen Energie-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie trägern eine Friedensdividende für die Zukunft generie-
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ren.
GRÜNEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, zum Erfolg
dieser Mission der Vereinten Nationen einen bescheide- Diese Chance dürfen wir nicht verspielen.
nen, aber wichtigen Beitrag zu leisten.
Die Linke erkennt an, dass die ehemaligen Kriegs-
Wie gesagt, das Mandat sieht den Einsatz von bis zu parteien im Sudan der UN-Mission im Rahmen des Frie-
75 zum großen Teil unbewaffneten Militärbeobachtern densabkommens zugestimmt haben. Das bisherige
vor. Zurzeit sind 28 im Einsatz. Dabei geht es um die Mandat hat erheblich dazu beigetragen, das Friedensab-
Wiederherstellung eines sicheren Umfeldes für Hilfsor- kommen abzusichern. Das wiegt im positiven Sinn
ganisationen und die Zivilbevölkerung. schwer; denn es verhalf dem Peacekeeping trotz Diskri-
minierung des Südsudans, trotz der Konflikte in Darfur
Ich finde, eine Fraktion zeigt ihr wahres Gesicht, und trotz einer arabisch geprägten Regierung zum Er-
wenn sie einem solchen Einsatz zustimmt oder wenn sie folg. Obgleich dieser Einsatz auf der Grundlage von
einen solchen Einsatz ablehnt. Kap. VII der UN-Charta stattfand, war es de facto ein (D)
(B)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie klassischer Blauhelmeinsatz. Das festzustellen, gehört
bei Abgeordneten der FDP) zur Redlichkeit. Das Friedensabkommen sieht ein Refe-
rendum im Jahr 2011 vor, wodurch es möglicherweise
zu einer Sezession des Landes in Nord und Süd kommt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das ist eine souveräne Angelegenheit des Sudans.
Ich erteile das Wort der Kollegin Monika Knoche,
Fraktion Die Linke. Unter den Prämissen des jetzt bestehenden Mandats
– wie gesagt, es wird auf der Grundlage von Kap. VII
(Beifall bei der LINKEN)
der UN-Charta ausgeübt – ist in Verbindung mit der zu
erwartenden Zusammenlegung der Operationen UNMIS
Monika Knoche (DIE LINKE): und AMIS fast eine „NATOMIS“ entstanden, was zu er-
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Herren heblichen Konflikten führen kann.
und Damen! Herr von Klaeden, die politische Realität
nach der Bundestagswahl 2005 sieht so aus, dass die (Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE
neue Linke in den Bundestag eingetreten ist und nicht LINKE])
die alte SED. Es stellt sich die Frage, weshalb die AMIS nicht ange-
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Norbert messen finanziell unterstützt wird. Außerdem stellt sich
Röttgen [CDU/CSU]: Eine alte Grüne ist bei die Frage, wie belastbar die prinzipielle Zustimmung des
den alten Linken gelandet!) Friedens- und Sicherheitsrates der AU ist. Bislang lehnte
die sudanesische Zentralregierung die Ausdehnung
Wir haben heute über die Fortsetzung der Beteiligung der UNMIS auf Darfur nämlich ab.
deutscher Streitkräfte an UNMIS zu entscheiden. Ich
rufe in Erinnerung, in welchem Umfang deutsche Solda- All diese Überlegungen prägen unsere heutige Ent-
ten bereits „out of area“ tätig sind: Sie sind in Bosnien- scheidung. Aber weisen sie deshalb zwingend auf die
Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, in Usbekistan Entsendung von Militär hin? Unserem Parlament steht es
und demnächst auch im Kongo. Sämtliche Mandate sind frei, zu entscheiden, mit welchen Mitteln der Friedens-
höchst unterschiedlich. Doch die Hemmschwelle, Mili- prozess unterstützt werden soll. Die UN-Resolution
tär mit einem Kampfauftrag einzusetzen, sinkt von Ein- 1590 ermöglicht zahlreiche Aufgaben.
satz zu Einsatz.
75 deutsche Militärbeobachter sollen entsandt wer-
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) den. Warum nicht 750 Zivildienstleistende?
2774 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Monika Knoche
(A) (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei (C)
Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta
Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben offenkundig nicht den Film gesehen, der in
Meinen Sie das etwa ernst? – Fritz Kuhn den letzten Monaten hier zu sehen war, nämlich „Lost
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20 Oster- Children“.
hasen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ (Abg. Monika Knoche [DIE LINKE] meldet
DIE GRÜNEN]: Sie wollen das Leben von sich zu einer Zwischenfrage)
Zivildienstleistenden gefährden! – Olaf Scholz
[SPD]: Wer beschützt denn die Zivildienstleis- – Ich fange jetzt erst einmal mit meiner Rede an. – In
tenden?) diesem Film wird in einer äußerst erschütternden Weise
das Schicksal von Kindersoldaten in Norduganda dar-
Eine Blauhelmmission kann im Sudan bleiben und von gestellt. Sie leiden dort fürchterlich und werden von der
deutschen Zivilkräften unterstützt werden. Mit dieser Lord’s Resistance Army zu mörderischen Instrumenten
Auffassung mögen wir in diesem Haus eine Minderheit gemacht. Dieser Film schildert auch, dass der
sein, aber nicht in der Bevölkerung. UN-Sicherheitsrat gegenüber dem verheerenden 20-jäh-
rigen Krieg in Norduganda bisher weitgehend versagt
(Beifall bei der LINKEN – Fritz Kuhn
hat.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Torheit,
keine Minderheit!) Aber sonst brauchen sich die Vereinten Nationen
nicht zu verstecken. Wer weiß schon, dass die Vereinten
Eine neue Studie besagt – über sie wurde in den letzten
Nationen in den letzten 15 Jahren durch Verhandlungen
Tagen in der „FAZ“ berichtet –, dass die Bevölkerung
zum Ende von mehr Bürgerkriegen beigetragen haben,
den Verfassungsauftrag mehrheitlich nach wie vor als
als dies in den letzten 200 Jahren zuvor gelang? Eine
Verteidigungsauftrag interpretiert.
fantastische Leistung!
Es geht uns darum, der Kultur des Friedens die Kraft
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der nicht militärischen Intervention und der Stabilisie-
bei der CDU/CSU und der SPD)
rung der Zivilgesellschaft zu geben. Damit muss end-
lich einmal begonnen werden. Das heutige Mandat ist Aber der Nachteil dabei ist: Innerhalb von fünf Jahren ist
durch eine solche Form von zivilgesellschaftlichem En- die Hälfte dieser Länder wieder in den Krieg zurückge-
gagement ersetzbar. rutscht. Woran lag es? Es lag wesentlich daran, dass die
internationale Friedenssicherung inkonsequent war und
(Beifall bei der LINKEN)
(B) zu wenig Ausdauer hatte. Hierum geht es im Südsudan. (D)
Deshalb fragen wir heute: Welcher Art soll die Hilfe
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
sein, die es dem Sudan ermöglicht, maximalen Nutzen
bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab-
aus dem deutschen Engagement zu ziehen? Wir als
geordneten der FDP)
Linke wollen keine deutschen Soldaten, aber viele zivile
Kräfte im Sudan. Verspielen wir nicht die Gelegenheit Wenn man sich einmal den Fahrplan des Friedensab-
für ziviles Tun und damit eine positive Identifikation der kommens von Nairobi ansieht, dann stellt man fest, wie
Bevölkerung mit deutscher Außenpolitik! hochkompliziert das ist und dass das nicht einfach nur
aus militärischen Maßnahmen besteht. Es geht in erster
Weil wir das bejahen, können wir Ihrem Antrag nicht
Linie um politische Unterstützung, um den Aufbau von
zustimmen.
Zivilpolizei, um die Menschenrechtsförderung, die Ver-
Danke. waltung sowie die humanitäre und Entwicklungsunter-
stützung. Das alles ist ohne ein Mindestmaß an Sicher-
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN) heit und Frieden nicht möglich.

Präsident Dr. Norbert Lammert:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD)
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei,
Bündnis 90/Die Grünen. Das alles zusammen bildet die UNMIS – beschlossen
einhellig, einmütig vom UN-Sicherheitsrat, personell ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tragen von mehr als 60 Staaten, darunter Russland,
China und sogar Simbabwe.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Kollegin Monika Knoche, Ihr Vorschlag, 750 Zivil- Der Bundestag entscheidet heute über den militäri-
dienstleistende in den Südsudan zu schicken, schen Teilbeitrag von deutscher Seite. Es ist schon da-
(Monika Knoche [DIE LINKE]: Zivile rauf hingewiesen worden: UNMIS ist insgesamt nach
Kräfte!) Kapitel VII mandatiert. Das heißt, UNMIS ist über die
Selbstverteidigung hinaus grundsätzlich berechtigt,
ist so absurd, so abenteuerlich und verantwortungslos, Zwang auch zur Nothilfe und zur Durchsetzung des Auf-
dass dies der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden trags einzusetzen. Es ist inzwischen eine zehn Jahre alte
sollte. Erfahrung von UN-Peacekeeping, dass man das machen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2775
Winfried Nachtwei
(A) muss; damit müssen Sie sich einmal auseinander setzen. Danke schön. (C)
Wenn man sich die Situation in Südsudan anschaut,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
muss man zu dem Ergebnis kommen, dass das auch un-
der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
verzichtbar ist. Denken Sie nur an die Angriffe, die es
zuletzt wieder von der Lord’s Resistance Army gegeben
hat! Den Vorschlag, Zivildienstleistende dahin zu schi- Präsident Dr. Norbert Lammert:
cken, brauche ich nicht noch einmal zu kommentieren. Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Knoche
noch einmal das Wort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD)
Monika Knoche (DIE LINKE):
Der deutsche Beitrag besteht aus – das ist die Regel- Danke, Herr Präsident. – Herr Nachtwei, gestatten Sie
höhe – 50 Militärbeobachtern und einigen Stabsoffizie- mir, dass ich Folgendes sage. Ich stelle fest, dass Sie und
ren. Diese unbewaffneten Militärbeobachter wirken in Ihre Fraktion sich in der heutigen und den zurückliegen-
Uniform gewaltfrei für Gewaltverhütung. Sie sind so den Debatten, in denen es um prinzipielle Friedensfra-
sehr auf sich gestellt und auf UNMIS-Blauhelme von gen und Militäreinsätze geht, in Ihrer Argumentation
Nichtverbündeten angewiesen wie nirgendwo sonst. ausschließlich gegen die Linke wenden, weil es erkenn-
Diesen Militärbeobachtern ist, so finde ich, für ihren bar außerhalb Ihrer Gewöhnungen und Ihres Selbstver-
Einsatz ganz besonders zu danken. ständnisses liegt, dass es in diesem Deutschen Bundes-
tag eine konsequente Friedenspolitik noch gibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der
CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Vor einem Jahr stimmte die Bundesregierung zum DIE GRÜNEN)
ersten Mal über die deutsche UNMIS-Beteiligung ab.
Dabei hat es drei Stimmen aus der FDP dagegen gege- Einen ganz deutlichen Hinweis darauf finde ich in
ben. Damals gab es eine zusammenfassende Bewertung zwei Ihrer Bemerkungen. Sie haben sich gleich zu Be-
dieser UNMIS-Beteiligung. Zitat: ginn Ihrer Rede einen sehr euphorischen Applaus aus
dem Hause verschafft, indem Sie einen wirklich offen-
Der Blauhelmeinsatz im Süd-Sudan ist völkerrecht- kundigen Versprecher von mir aufgegriffen haben.
lich abgesichert, politisch begründet und moralisch Selbstverständlich meinte ich „zivile Friedensdienste“,
geboten. … Diese Entscheidung entspricht dem … die in diesem Gebiet ihren Einsatz finden können, was
Verständnis, Gewalt und Androhung von Gewalt die Resolution 1590 der UNO in ausführlicher Breite
aus der Politik zu verbannen. darstellt.
(B) (D)
Völlig richtig. Wer hat diese Worte damals gesagt? Das (Beifall bei der LINKEN)
war der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky.
Das deutsche Engagement findet sich da nicht in hinrei-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chendem Maße wieder.
Heute sind Gegenstimmen gegen die UNMIS noch (Lachen bei der CDU/CSU und beim BÜND-
weniger begründbar. Sie können nur aus innenpoliti- NIS 90/DIE GRÜNEN)
schen Gründen motiviert sein.
Ich finde es, wenn Sie gestatten, etwas uncharmant
(Beifall des Abg. Markus Löning [FDP]) und schon gar nicht galant, wenn jemand auf einem of-
fenkundigen Versprecher eine rhetorische Figur aufbaut.
Kollege Gehrcke, Sie weisen – ich finde, zu Recht –
immer wieder darauf hin, dass Krieg kein Mittel der Po- Danke.
litik sein darf. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Peter Ramsauer
(Beifall bei der LINKEN) [CDU/CSU]: Mir kommen die Tränen! –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Wie traurig!)
Seit 1945 müssen Sie dazu aber immer auch einen zwei-
ten Satz sagen, der inhaltlich aussagt: Die Vereinten Na-
Präsident Dr. Norbert Lammert:
tionen und die UN-Charta sind das Regelwerk und der
Zur Erwiderung Kollege Nachtwei.
Weg zur Kriegsverhütung und Friedenssicherung.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Kollegin Monika Knoche, ich erlaube mir, mich des-
Herr Kollege Nachtwei, Sie müssen zum Schluss halb mit den Positionen der Linksfraktion auseinander
kommen. zu setzen, weil ich erstens begrüße, dass durch die
Linksfraktion jetzt wieder so konträre Positionen in den
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundestag kommen, wie sie auch in der Gesellschaft
Ich komme zum Schluss. – Gegenüber diesem zwei- vorhanden sind,
ten Gebot internationaler Friedenspolitik verweigert sich
(Beifall bei der LINKEN)
die Mehrheit Ihrer Fraktion. Von UNO-Fähigkeit, von
Friedensfähigkeit sind Sie offenkundig noch sehr weit und weil es mir zweitens äußerst wehtut, dass es hier eine
entfernt. Fraktion gibt, die die friedens- und sicherheitspolitischen
2776 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Winfried Nachtwei
(A) Entwicklungen des letzten Jahrzehnts vollkommen ver- Das ist auch heute noch richtig. Denn wir stehen am An- (C)
pennt hat und trotzdem die Backen so aufbläst. fang eines Prozesses, dessen Gelingen, wie es auch im
Falle des Kongos zutrifft, zur Stabilisierung des afrikani-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
schen Kontinents beitragen wird.
der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Der Übergangsprozess – so sieht es der Friedensver-
Dieses Maß an Heuchelei in diesem Bereich muss man trag von Nairobi vom 9. Januar 2005 vor – soll bis zum
erst einmal an den Tag legen. Jahr 2011 dauern. Dann wird die Bevölkerung im Süd-
Nun zu Ihrem Versprecher. Ich nehme gern Ihre Kor- sudan per Referendum über den Verbleib im Gesamt-
rektur zur Kenntnis, dass Sie meinten, der „zivile Frie- sudan entscheiden. Eine von der SPLM und der Zentral-
densdienst“ solle dorthin geschickt werden. Ich gehöre regierung vereinbarte Übergangsverfassung trat am
zu den Förderern und Betreibern des zivilen Friedens- 9. Juli 2005 in Kraft. Im September wurde die Regierung
dienstes von Anfang an. Ich weiß daher, wie schwierig der nationalen Einheit vereidigt. Im Dezember trat im
diese Aufgabe ist und dass dieses Feld noch weit mehr Südsudan eine eigene Verfassung in Kraft. Eine Inte-
der Unterstützung dieses Hauses und der Bundesregie- rimsregierung war seit Ende Oktober im Amt.
rung bedarf. Das sind wichtige Stationen eines langen Weges, an
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) dessen Ende nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm ste-
hen soll, sondern – –
Zugleich muss ich Ihnen sagen: Wir müssen immer
sehr genau aufpassen, dass diese Friedensfachkräfte (Unruhe)
nicht überfordert und dass sie nicht in Abenteuer ge-
schickt werden. Präsident Dr. Norbert Lammert:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einen Augenblick bitte, Frau Kollegin. Es wäre schon
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und ganz gut, wenn es außer der Ruhe vor dem Sturm auch
der SPD) ein bisschen Ruhe für die letzten Rednerinnen und Red-
ner gäbe. Danach wird abgestimmt.
Aus Ihrem Munde hört sich der gute Begriff von der zi-
vilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung wie (Beifall)
eine faule Ausrede an. Bitte schön, Frau Kollegin.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- Brunhilde Irber (SPD):
geordneten der FDP) Ich bedanke mich, Herr Präsident. (D)
(B)
Es wäre schon gut, wenn, wie gesagt, dieser lange
Präsident Dr. Norbert Lammert: Weg nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm, sondern
Das Wort erhält nun die Kollegin Brunhilde Irber, die Hoffnung auf ein Leben in Würde für die sudanesi-
SPD-Fraktion. sche Bevölkerung wäre.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
Wir übersehen dabei nicht, dass nicht alle Vorgaben
Brunhilde Irber (SPD): des Friedensvertrages so erfüllt werden, wie es wün-
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- schenswert wäre. Dazu einige Beispiele:
gen! Ich bedanke mich zunächst für den freundlichen
Anfangsapplaus meiner Kolleginnen und Kollegen. Die strittige Grenzziehung im ölreichen Abyei ist
nicht umgesetzt worden. Noch immer greifen ugandi-
Frau Knoche, Sie haben heute hier etwas ins Spiel ge- sche Rebellen die Zivilbevölkerung und Hilfsorganisa-
bracht, was ich überhaupt nicht verstehen kann. Ich gebe tionen im Südsudan an; die Rebellengruppe Eastern
dem Kollegen Nachtwei völlig Recht: Sie müssen sich Front entfaltet im Ostsudan Aktivitäten. Die Gespräche
Ihrer Verantwortung stellen. Sie haben ein Problem da- zur Lösung des Konflikts in Darfur verlaufen nur schlep-
mit, bis zu 75 gut ausgebildete deutsche Soldaten an pend.
UNMIS zu beteiligen. Aber Sie hätten kein Problem
damit, zivile Friedenskräfte dorthin zu schicken. Erst Deshalb ist es konsequent, wenn Deutschland auf der
UNMIS muss doch den Boden dafür bereiten, dass sich Basis der Resolutionen 1590 und 1663 des Sicherheits-
dort zivile Friedenskräfte betätigen können. rates der Vereinten Nationen das Mandat seiner Soldaten
entsprechend verlängert.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg.
Dr. Rainer Stinner [FDP]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Der Einsatz wird sich inhaltlich nicht ändern. Dies
In der Debatte am 22. April 2005 über die Beteiligung
gilt auch für die Protokollnotiz der Bundesregierung,
der deutschen Streitkräfte an der Friedensmission im Su-
nach der die Obleute des Verteidigungs- und des Aus-
dan sagte die damalige Kollegin Brigitte Wimmer:
wärtigen Ausschusses unterrichtet werden, wenn deut-
Die Umsetzung des Friedensabkommens wird in sche Soldaten außerhalb des Schwerpunktgebietes des
hohem Maße davon abhängen, wie die Unterstüt- UNMIS-Einsatzes eingesetzt werden sollen. Im Falle er-
zung der internationalen Gemeinschaft gelingt. heblicher Bedenken würde einem solchen Einsatz nicht
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2777
Brunhilde Irber
(A) zugestimmt werden. Die Kosten für den Einsatz von bis Deshalb bitte ich um breite Zustimmung des Deut- (C)
zu 75 Soldaten sind mit 900 000 Euro überschaubar. schen Bundestages zur Verlängerung des Mandats der
deutschen UNMIS-Soldaten.
Zurzeit sind – das wurde mehrmals erwähnt – 28 Sol-
daten im Einsatz. Sie sind mit der Wahrnehmung von Herzlichen Dank.
Militärbeobachteraufgaben beauftragt. Sie sind in den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
für UNMIS gebildeten Stäben und Hauptquartieren ein- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
gesetzt. Sie sind an der Bewältigung von Verbindungs-, GRÜNEN)
Beratungs- und Unterstützungsaufgaben bei AMIS be-
teiligt und unterstützen die VN-Programme in dieser Re-
gion. An dieser Stelle darf ich den deutschen Soldaten Präsident Dr. Norbert Lammert:
für ihre bisher geleistete Arbeit meinen herzlichsten Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Dank aussprechen. Kollege Hans Raidel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
bei Abgeordneten der FDP und des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN) Hans Raidel (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Es besteht kein Zweifel: Der Friedensprozess muss Herren! UNMIS wird gebraucht. Die besonnenen Kräfte
von einem Aufbau der Infrastruktur begleitet werden. im Sudan stellen fest: UNMIS ist die einzige Hoffnung,
Die Kinder brauchen Schulen. Ein Gesundheitssystem dass der Krieg nicht wieder ausbricht. Gleichzeitig stellt
muss etabliert werden und die Ernährungssicherung der UNO-Sondergesandte fest: Wir brauchen deutsche
bleibt eine enorme Herausforderung. Dazu kommen all Hilfe.
die Anstrengungen, das Leid der Vertriebenen zu lindern
und Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die Binnen- Wir stellen uns dieser Verantwortung. Die Bundes-
flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können. wehr hat diesen Einsatz wie immer sehr sorgfältig und
fürsorglich geplant. Wir vertrauen auch hier dem Bun-
All das kostet natürlich viel Geld. Deutschland betei- desminister der Verteidigung und dem Generalinspek-
ligt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten. Die Bundes- teur.
regierung beteiligt sich mit 10 Millionen Euro am Multi
Donor Trust Fund für den Südsudan und gehört zu den Das deutsche Interesse ist begründet worden. Das In-
größten Gebern im Sudan. Es erfordert einen sorgfälti- teresse des Sudans ist begründet worden. Die außenpoli-
gen Umgang mit den Mitteln, die in den Sudan fließen. tische Linie ist durch Staatsminister Erler begründet
worden.
(B) Ich halte nichts davon, dass Erlöse aus dem sudanesi- (D)
schen Erdölexport zu einem großen Teil dazu verwendet Ich möchte das alles nicht wiederholen und es in un-
werden, den Waffennachschub zu finanzieren. serem Interesse nur zusammenfassen in einem Zitat von
Pestalozzi, der festgestellt hat:
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Man muss das Unglück mit Händen und Füßen und
Mit der Umsetzung des Waffenembargos in Verbindung nicht mit dem Maul angreifen.
mit Sanktionsmöglichkeiten könnte dem vielleicht ein
Riegel vorgeschoben werden. Dies wird allerdings von Wir stellen uns unserer Verantwortung.
China verhindert, das mehr als die Hälfte des sudanesi- Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
schen Erdöls bezieht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel der deutschen
Außen- und Sicherheitspolitik ist es, für Demokratie,
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einzutreten.
Zerfallende Staaten bieten den Nährboden für Kriminali- Ich schließe die Aussprache.
tät und Terror. Die internationale Staatengemeinschaft Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
versucht, in Kooperation mit der AU im Sudan einen schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
friedlichen Interessenausgleich zwischen den Konflikt- Drucksache 16/1148 zum Antrag der Bundesregierung
parteien zu flankieren. zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an
der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan.
Es ist ein schwieriger Einsatz. Aber die Hoffnung auf Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
dauerhaften Frieden und eine Zukunftsperspektive für sache 16/1052 anzunehmen. Es ist namentliche Abstim-
das sudanesische Volk sind alle Mühen wert. mung verlangt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts-
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE ordnung des Kollegen Jürgen Koppelin vor.1)
GRÜNEN)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Der Einsatz der deutschen Soldaten im Sudan dient dem vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Die Plätze sind of-
Frieden. Um es mit Willy Brandt zu sagen: fenkundig besetzt. Ich eröffne hiermit die Abstimmung.
Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles
nichts. 1) Anlage 3
2778 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist noch ein Mit- Schriftführern an den Ausgabetischen neben den Wahl- (C)
glied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte nicht kabinen ausgegeben.
abgegeben hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein.
Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie Ihre Stimmkarte
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen die
führerinnen und Schriftführer mit der Auszählung zu be-
Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den
ginnen. Wir werden das Ergebnis der Abstimmung spä-
Umschlag legen. Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz,
ter bekannt geben und setzen jetzt die Beratungen fort.
andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig.
Es wäre gut, wenn der größere Teil der Mitglieder des
Hauses die dafür vorgesehenen Plätze einnehmen würde. Nachdem Sie die Stimmkarte in einer der Wahlkabi-
nen gekennzeichnet und in den Wahlumschlag gelegt ha-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte noch ein-
ben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen, die neben den
mal darum, Platz zu nehmen, weil das die Fortsetzung
Sitzreihen der Bundesregierung und des Bundesrates so-
unserer Beratungen sehr erleichtern würde.
wie hier vorne auf dem Stenografentisch aufgestellt sind.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Herr Präsident, Bevor Sie die Stimmkarte in die Wahlurne werfen, müs-
machen Sie weiter!) sen Sie dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren blauen
Wahlausweis übergeben. Ein Hinweis bezüglich der
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angefeuert durch ei- günstigsten Anmarschordnung ist erkennbar unnötig,
nen Vorsitzenden einer Fraktion dieses Hauses möchte weil sich die meisten Mitglieder des Hauses schon in der
ich noch einmal einen Versuch unternehmen, in unserer Nähe der Wahlurnen aufhalten. Ich hoffe, das trifft auch
Tagesordnung fortzufahren. – Lieber Kollege Andreas für die Schriftführerinnen und Schriftführer zu. – Das
Schmidt, könnten Sie – stilbildend für andere – vielleicht wird bestätigt. Dann eröffne ich hiermit den Wahlgang.
schon einmal die Auflösung des Stehkonventes in Ihrer
Nähe organisieren? – Verehrte Kolleginnen und Kolle- Liebe Kolleginnen und Kollegen, hat noch jemand
gen, es gibt doch noch einzelne Sitzplätze! eine Stimmkarte, die er noch nicht abgegeben hat?
(Heiterkeit und Beifall) (Zuruf: Ja!)
Für diejenigen, die Orientierungsprobleme haben, ist – Dann wäre es schön, wenn diese in die Nähe der Wahl-
Hilfestellung organisiert. urnen transportiert würde.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 23 auf: Offenkundig haben jetzt alle Kolleginnen und Kolle-
gen ihre Stimmkarten abgegeben. Dann schließe ich die
Wahl einer Stellvertreterin des Präsidenten Wahl. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
– Drucksache 16/1116 – mit der Auszählung zu beginnen. Wir setzen unsere Be-
(B) (D)
ratungen fort; das Wahlergebnis geben wir bekannt, so-
Die Fraktion Die Linke schlägt die Abgeordnete Petra bald es vorliegt.
Pau als Stellvertreterin des Präsidenten vor.
Bevor ich den Tagesordnungspunkt 34 aufrufe, kann
(Beifall bei der LINKEN) ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
Werden weitere Vorschläge gemacht? – Das ist offenbar
mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen
nicht der Fall.
Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fort-
Ich gebe nun einige Hinweise zum Ablauf der Wahl. setzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der
Gewählt ist, wer die Mehrheit der Mitglieder des Bun- Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan,
destages auf sich vereinigt. Für die Wahl benötigen Sie UNMIS, mitteilen: Abgegebene Stimmen 577. Mit Ja
Ihren blauen Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht haben gestimmt 523, mit Nein haben gestimmt 45, Ent-
geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby ent- haltungen neun. Damit ist die Beschlussempfehlung an-
nehmen können. Die blaue Stimmkarte wird von den genommen.

Endgültiges Ergebnis Ilse Aigner Clemens Binninger Dr. Ralf Brauksiepe


Abgegebene Stimmen: 577; Peter Albach Carl-Eduard von Bismarck Monika Brüning
davon
Peter Altmaier Renate Blank Georg Brunnhuber
Dorothee Bär Peter Bleser Gitta Connemann
ja: 523 Thomas Bareiß Antje Blumenthal Leo Dautzenberg
nein: 45 Norbert Barthle Dr. Maria Böhmer Hubert Deittert
enthalten: 9 Dr. Wolf Bauer Jochen Borchert Alexander Dobrindt
Günter Baumann Wolfgang Börnsen Thomas Dörflinger
Ernst-Reinhard Beck (Bönstrup) Marie-Luise Dött
Ja (Reutlingen) Wolfgang Bosbach Maria Eichhorn
Veronika Bellmann Klaus Brähmig Anke Eymer (Lübeck)
CDU/CSU
Dr. Christoph Bergner Michael Brand Georg Fahrenschon
Ulrich Adam Otto Bernhardt Helmut Brandt Ilse Falk
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2779
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Dr. Hans Georg Faust Gunther Krichbaum Hartmut Schauerte Clemens Bollen (C)
Enak Ferlemann Dr. Günter Krings Dr. Annette Schavan Gerd Bollmann
Ingrid Fischbach Dr. Martina Krogmann Dr. Andreas Scheuer Dr. Gerhard Botz
Hartwig Fischer (Göttingen) Johann-Henrich Karl Richard Schiewerling Klaus Brandner
Dirk Fischer (Hamburg) Krummacher Georg Schirmbeck Willi Brase
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Hermann Kues Bernd Schmidbauer Bernhard Brinkmann
Land) Dr. Karl A. Lamers Christian Schmidt (Fürth) (Hildesheim)
Dr. Maria Flachsbarth (Heidelberg) Andreas Schmidt (Mülheim) Edelgard Bulmahn
Herbert Frankenhauser Andreas G. Lämmel Ingo Schmitt (Berlin) Ulla Burchardt
Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Norbert Lammert Dr. Andreas Schockenhoff Martin Burkert
(Hof) Katharina Landgraf Dr. Ole Schröder Dr. Michael Bürsch
Erich G. Fritz Dr. Maximilian Lehmer Bernhard Schulte-Drüggelte Christian Carstensen
Jochen-Konrad Fromme Paul Lehrieder Uwe Schummer Marion Caspers-Merk
Dr. Michael Fuchs Ingbert Liebing Wilhelm Josef Sebastian Dr. Peter Danckert
Hans-Joachim Fuchtel Eduard Lintner Horst Seehofer Dr. Herta Däubler-Gmelin
Dr. Peter Gauweiler Dr. Klaus W. Lippold Kurt Segner Karl Diller
Dr. Jürgen Gehb Patricia Lips Bernd Siebert Martin Dörmann
Norbert Geis Dr. Michael Luther Thomas Silberhorn Dr. Carl-Christian Dressel
Eberhard Gienger Stephan Mayer (Altötting) Johannes Singhammer Elvira Drobinski-Weiß
Ralf Göbel Wolfgang Meckelburg Jens Spahn Garrelt Duin
Dr. Reinhard Göhner Dr. Michael Meister Erika Steinbach Detlef Dzembritzki
Josef Göppel Dr. Angela Merkel Christian Freiherr von Stetten Sebastian Edathy
Peter Götz Friedrich Merz Gero Storjohann Siegmund Ehrmann
Ute Granold Laurenz Meyer (Hamm) Andreas Storm Hans Eichel
Reinhard Grindel Maria Michalk Max Straubinger Gernot Erler
Hermann Gröhe Philipp Mißfelder Thomas Strobl (Heilbronn) Petra Ernstberger
Michael Grosse-Brömer Dr. Eva Möllring Lena Strothmann Annette Faße
Markus Grübel Marlene Mortler Michael Stübgen Elke Ferner
Manfred Grund Hildegard Müller Antje Tillmann Gabriele Fograscher
Monika Grütters Carsten Müller Dr. Hans-Peter Uhl Rainer Fornahl
Karl-Theodor Freiherr zu (Braunschweig) Arnold Vaatz Gabriele Frechen
Guttenberg Stefan Müller (Erlangen) Andrea Astrid Voßhoff Dagmar Freitag
Olav Gutting Bernward Müller (Gera) Gerhard Wächter Peter Friedrich
Holger Haibach Bernd Neumann (Bremen) Marco Wanderwitz Sigmar Gabriel
Gerda Hasselfeldt Henry Nitzsche Kai Wegner Martin Gerster
(B) Marcus Weinberg (D)
Michael Hennrich Michaela Noll Iris Gleicke
Jürgen Herrmann Dr. Georg Nüßlein Peter Weiß (Emmendingen) Günter Gloser
Bernd Heynemann Franz Obermeier Gerald Weiß (Groß-Gerau) Renate Gradistanac
Ernst Hinsken Eduard Oswald Ingo Wellenreuther Angelika Graf (Rosenheim)
Robert Hochbaum Henning Otte Karl-Georg Wellmann Dieter Grasedieck
Klaus Hofbauer Rita Pawelski Annette Widmann-Mauz Kerstin Griese
Franz-Josef Holzenkamp Dr. Peter Paziorek Klaus-Peter Willsch Gabriele Groneberg
Joachim Hörster Ulrich Petzold Elisabeth Winkelmeier- Achim Großmann
Anette Hübinger Dr. Joachim Pfeiffer Becker Wolfgang Grotthaus
Hubert Hüppe Sibylle Pfeiffer Matthias Wissmann Wolfgang Gunkel
Susanne Jaffke Dr. Friedbert Pflüger Wolfgang Zöller Hans-Joachim Hacker
Dr. Peter Jahr Beatrix Philipp Willi Zylajew Bettina Hagedorn
Dr. Hans-Heinrich Jordan Ronald Pofalla Klaus Hagemann
Dr. Franz Josef Jung Ruprecht Polenz SPD Alfred Hartenbach
Andreas Jung (Konstanz) Daniela Raab Dr. Lale Akgün Michael Hartmann
Hans-Werner Kammer Thomas Rachel Gerd Andres (Wackernheim)
Steffen Kampeter Hans Raidel Niels Annen Nina Hauer
Alois Karl Dr. Peter Ramsauer Ingrid Arndt-Brauer Hubertus Heil
Bernhard Kaster Peter Rauen Rainer Arnold Reinhold Hemker
Volker Kauder Eckhardt Rehberg Ernst Bahr (Neuruppin) Rolf Hempelmann
Siegfried Kauder (Villingen- Katherina Reiche (Potsdam) Doris Barnett Dr. Barbara Hendricks
Schwenningen) Klaus Riegert Dr. Hans-Peter Bartels Gustav Herzog
Eckart von Klaeden Dr. Heinz Riesenhuber Klaus Barthel Petra Heß
Jürgen Klimke Franz Romer Sören Bartol Gabriele Hiller-Ohm
Julia Klöckner Johannes Röring Sabine Bätzing Petra Hinz (Essen)
Jens Koeppen Kurt J. Rossmanith Dirk Becker Gerd Höfer
Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Norbert Röttgen Uwe Beckmeyer Iris Hoffmann (Wismar)
Manfred Kolbe Dr. Christian Ruck Klaus Uwe Benneter Frank Hofmann (Volkach)
Norbert Königshofen Albert Rupprecht (Weiden) Dr. Axel Berg Eike Hovermann
Dr. Rolf Koschorrek Peter Rzepka Ute Berg Klaas Hübner
Hartmut Koschyk Anita Schäfer (Saalstadt) Petra Bierwirth Christel Humme
Thomas Kossendey Hermann-Josef Scharf Lothar Binding (Heidelberg) Lothar Ibrügger
Michael Kretschmer Dr. Wolfgang Schäuble Kurt Bodewig Brunhilde Irber
2780 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Johannes Jung (Karlsruhe) Anton Schaaf Angelika Brunkhorst Ulrike Höfken (C)
Josip Juratovic Axel Schäfer (Bochum) Ernst Burgbacher Dr. Anton Hofreiter
Johannes Kahrs Bernd Scheelen Patrick Döring Bärbel Höhn
Ulrich Kasparick Dr. Hermann Scheer Mechthild Dyckmans Thilo Hoppe
Dr. h. c. Susanne Kastner Marianne Schieder Jörg van Essen Ute Koczy
Ulrich Kelber Dr. Frank Schmidt Ulrike Flach Sylvia Kotting-Uhl
Christian Kleiminger Ulla Schmidt (Aachen) Otto Fricke Fritz Kuhn
Hans-Ulrich Klose Silvia Schmidt (Eisleben) Paul K. Friedhoff Renate Künast
Astrid Klug Renate Schmidt (Nürnberg) Horst Friedrich (Bayreuth) Markus Kurth
Dr. Bärbel Kofler Heinz Schmitt (Landau) Dr. Edmund Peter Geisen Undine Kurth (Quedlinburg)
Walter Kolbow Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Wolfgang Gerhardt Monika Lazar
Fritz Rudolf Körper Olaf Scholz Hans-Michael Goldmann Dr. Reinhard Loske
Rolf Kramer Reinhard Schultz Miriam Gruß Anna Lührmann
Anette Kramme (Everswinkel) Dr. Christel Happach-Kasan Jerzy Montag
Ernst Kranz Swen Schulz (Spandau) Elke Hoff Winfried Nachtwei
Nicolette Kressl Ewald Schurer Dr. Werner Hoyer Brigitte Pothmer
Dr. Hans-Ulrich Krüger Frank Schwabe Michael Kauch Claudia Roth (Augsburg)
Angelika Krüger-Leißner Dr. Angelica Schwall-Düren Hellmut Königshaus Krista Sager
Jürgen Kucharczyk Dr. Martin Schwanholz Gudrun Kopp Elisabeth Scharfenberg
Ute Kumpf Rolf Schwanitz Heinz Lanfermann Christine Scheel
Dr. Uwe Küster Rita Schwarzelühr-Sutter Sibylle Laurischk Irmingard Schewe-Gerigk
Christine Lambrecht Wolfgang Spanier Harald Leibrecht Dr. Gerhard Schick
Christian Lange (Backnang) Dr. Margrit Spielmann Ina Lenke Silke Stokar von Neuforn
Dr. Karl Lauterbach Jörg-Otto Spiller Sabine Leutheusser- Hans-Christian Ströbele
Waltraud Lehn Dr. Ditmar Staffelt Schnarrenberger Dr. Harald Terpe
Helga Lopez Ludwig Stiegler Michael Link (Heilbronn) Jürgen Trittin
Gabriele Lösekrug-Möller Rolf Stöckel Markus Löning Wolfgang Wieland
Dirk Manzewski Christoph Strässer Patrick Meinhardt Josef Philip Winkler
Lothar Mark Dr. Peter Struck Jan Mücke Margareta Wolf (Frankfurt)
Caren Marks Joachim Stünker Burkhardt Müller-Sönksen
Katja Mast Dr. Rainer Tabillion Dirk Niebel
Nein
Hilde Mattheis Jörg Tauss Cornelia Pieper
Markus Meckel Jella Teuchner Gisela Piltz FDP
Petra Merkel (Berlin) Wolfgang Thierse Jörg Rohde
Ulrike Merten Jörn Thießen Dr. Konrad Schily Heinz-Peter Haustein
(B) Dr. Matthias Miersch Franz Thönnes Marina Schuster Jürgen Koppelin (D)
Ursula Mogg Hans-Jürgen Uhl Dr. Hermann Otto Solms
Marko Mühlstein Rüdiger Veit Dr. Max Stadler DIE LINKE
Detlef Müller (Chemnitz) Simone Violka Dr. Rainer Stinner Hüseyin-Kenan Aydin
Michael Müller (Düsseldorf) Jörg Vogelsänger Carl-Ludwig Thiele Dr. Dietmar Bartsch
Gesine Multhaupt Dr. Marlies Volkmer Florian Toncar Karin Binder
Franz Müntefering Hedi Wegener Christoph Waitz Dr. Lothar Bisky
Dr. Rolf Mützenich Andreas Weigel Dr. Guido Westerwelle Heidrun Bluhm
Andrea Nahles Petra Weis Dr. Claudia Winterstein Eva Bulling-Schröter
Thomas Oppermann Gunter Weißgerber Dr. Volker Wissing Dr. Martina Bunge
Holger Ortel Gert Weisskirchen Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Sevim Dagdelen
Heinz Paula (Wiesloch) Martin Zeil Dr. Diether Dehm
Johannes Pflug Dr. Rainer Wend Werner Dreibus
Joachim Poß Lydia Westrich BÜNDNIS 90/ Dr. Dagmar Enkelmann
Christoph Pries Dr. Margrit Wetzel DIE GRÜNEN Wolfgang Gehrcke
Dr. Wilhelm Priesmeier Andrea Wicklein
Kerstin Andreae Diana Golze
Florian Pronold Heidemarie Wieczorek-Zeul
Marieluise Beck (Bremen) Heike Hänsel
Dr. Sascha Raabe Dr. Dieter Wiefelspütz
Volker Beck (Köln) Lutz Heilmann
Engelbert Wistuba
Mechthild Rawert Cornelia Behm Cornelia Hirsch
Dr. Wolfgang Wodarg
Steffen Reiche (Cottbus) Birgitt Bender Inge Höger-Neuling
Waltraud Wolff
Maik Reichel Matthias Berninger Ulla Jelpke
(Wolmirstedt)
Gerold Reichenbach Grietje Bettin Dr. Lukrezia Jochimsen
Heidi Wright
Dr. Carola Reimann Alexander Bonde Dr. Hakki Keskin
Uta Zapf
Christel Riemann- Ekin Deligöz Katja Kipping
Manfred Zöllmer
Hanewinckel Dr. Thea Dückert Monika Knoche
Brigitte Zypries
Walter Riester Dr. Uschi Eid Jan Korte
Sönke Rix Hans-Josef Fell Katrin Kunert
FDP Oskar Lafontaine
René Röspel Kai Boris Gehring
Dr. Ernst Dieter Rossmann Jens Ackermann Katrin Göring-Eckardt Ulla Lötzer
Karin Roth (Esslingen) Dr. Karl Addicks Anja Hajduk Ulrich Maurer
Michael Roth (Heringen) Christian Ahrendt Britta Haßelmann Dorothee Menzner
Ortwin Runde Daniel Bahr (Münster) Winfried Hermann Kornelia Möller
Marlene Rupprecht Uwe Barth Peter Hettlich Kersten Naumann
(Tuchenbach) Rainer Brüderle Priska Hinz (Herborn) Wolfgang Nešković
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2781
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Dr. Norman Paech Dr. Kirsten Tackmann Enthaltung DIE LINKE (C)
Elke Reinke Alexander Ulrich
Roland Claus
Paul Schäfer (Köln) Jörn Wunderlich CDU/CSU Dr. Gregor Gysi
Volker Schneider Sabine Zimmermann
Norbert Schindler Dr. Barbara Höll
(Saarbrücken) Dr. Gesine Lötzsch
Dr. Herbert Schui Fraktionsloser
FDP Petra Pau
Dr. Ilja Seifert Abgeordneter
Bodo Ramelow
Frank Spieth Gert Winkelmeier Joachim Günther (Plauen) Dr. Petra Sitte

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
NEN) zur Neuregelung der Flugsicherung
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: – Drucksache 16/240 –
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- a)Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu lung (15. Ausschuss)
dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann, – Drucksache 16/1161 –
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt und weiterer
Abgeordneter Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
b)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus-
– Drucksachen 16/990, 16/1179 – schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Berichterstattung: – Drucksache 16/1178 –
Abgeordnete Bernhard Kaster
Christine Lambrecht Berichterstattung:
Jörg van Essen Abgeordnete Norbert Königshofen
Ulrich Maurer Carsten Schneider (Erfurt)
(B) Dr. Claudia Winterstein (D)
Volker Beck (Köln)
Roland Claus
Eine Aussprache ist hierzu nicht vorgesehen. – Ich Anna Lührmann
stelle Einvernehmen fest.
Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein gemeinsamer Ent-
Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Nach schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der
Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes ist der Deutsche Bun- SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
destag verpflichtet, einen Untersuchungsausschuss ein-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
zusetzen, wenn die Einsetzung von einem Viertel seiner
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Dazu höre ich
Mitglieder verlangt wird. Der Ausschuss empfiehlt in
keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1179,
den Antrag auf Drucksache 16/990 in der Ausschussfas- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
sung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- der Kollege Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion.
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
Stimme? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit gro- (Beifall bei der SPD)
ßer Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Enthaltun-
gen angenommen. Uwe Beckmeyer (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
(Unruhe)
ren! Die Deutsche Flugsicherung ist ein Unternehmen
– Die Übersicht von hier oben ist eigentlich relativ or- von besonderer Sensibilität. Sie wurde 1953 als Bundes-
dentlich. anstalt für Flugsicherung gegründet. 40 Jahre später er-
folgte durch einen vom Parlament breit getragenen Be-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) schluss die Organisationsprivatisierung. Das gleiche
Parlament, der Deutsche Bundestag, hat die Bundesre-
Deswegen wiederhole ich: Die Beschlussempfehlung ist gierung in der vergangenen Legislaturperiode aufgefor-
mit breiter Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und Ent- dert, auch die Kapitalprivatisierung vorzubereiten.
haltungen angenommen. Damit ist der 1. Untersu- Nun sind wir an dem Punkt, diese Kapitalprivatisierung
chungsausschuss der 16. Wahlperiode eingesetzt. des Unternehmens zu beschließen. Gleichzeitig halten
(Beifall bei der FDP und der LINKEN) wir aber auch fest, unter welchen Bedingungen eine sol-
che Kapitalprivatisierung stattfinden muss. Dazu möchte
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: ich hier und heute ein paar Dinge sagen.
2782 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Uwe Beckmeyer
(A) Ich glaube, das Unternehmen hat in den vergangenen solidierungsprozess mit einem neuen Gesellschafter (C)
zehn bis zwölf Jahren – also gerade nach der Organisa- wachsen kann und dass auch Möglichkeiten der Beteili-
tionsprivatisierung – Hervorragendes geleistet. Die Stei- gung an Partnerorganisationen im europäischen Raum
gerung der Sicherheit im unteren und oberen Luftraum nicht behindert, sondern erleichtert werden. Auf diesen
in Deutschland, die diese 5 300 Mitarbeiter – Fluglotsen entscheidenden Punkt möchte ich hinweisen.
und Flugtechniker – geschaffen haben, macht sich al-
leine daran fest, dass es 1990 bei ungefähr 1,5 Millionen (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/
kontrollierten Flügen über Deutschland immerhin noch CSU und der FDP)
40 gefährliche Annäherungen von Flugzeugen gab. Im Vorfeld dieses Gesetzes wurde die Frage aufge-
15 Jahre vorher, 1975, waren es noch 210 und im Jahre worfen: Ist das deutsche Flugsicherungsgesetz verfas-
2005 gab es gerade einmal noch drei Fälle, die unter sungskonform? Darüber wurde in den vergangenen Ta-
diese Definition zu fassen sind. Das heißt, es wurde eine gen an der einen oder anderen Stelle noch diskutiert. Ich
exorbitante Steigerung von Sicherheit produziert. Ich darf einmal aus einem Kommentar zu Art. 87 d des
glaube, das ist eine ganz tolle Leistung der Deutschen Grundgesetzes zitieren: Der privatrechtlich organisierte
Flugsicherung. Verwaltungsträger kann die Aufgabenerfüllung in Form
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der unmittelbarer oder mittelbarer Bundesverwaltung ganz
FDP) ersetzen oder zum Teil neben diese treten. Auch kann
hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse der Privatrechts-
Sie ist ein Unternehmen, dessen Mitarbeiter und Ge- gesellschaft eine Mischform zwischen öffentlicher und
schäftsführung pro Jahr insgesamt 2,8 Millionen Flüge privater Kapitalbeteiligung vorgesehen werden, sofern
in Deutschland kontrollieren. Der Markt wächst ständig. ein hinreichender Einfluss des Bundes auf die Verwal-
Die zivile Luftfahrt ist in Deutschland auf einem guten tungstätigkeit gewahrt bleibt. – Ich bin mit den Rechts-
Wege und die Deutsche Flugsicherung leistet dazu Her- politikern meiner Fraktion der Meinung: Dies ist durch
vorragendes. Wir wollen, dass sich diese Deutsche Flug- die Sperrminorität von 25,1 Prozent und auch durch die
sicherung im konsolidierten Flugsicherungsmarkt in Call-back-Option im Krisenfall gewährleistet. Insofern
Europa breiter aufstellen kann. Deshalb wollen wir diese bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Kapitalprivatisierung durchführen.
Das zweite Thema, das ich in diesem Zusammenhang
In diesem Zusammenhang haben wir festzuhalten, ansprechen möchte, sind die Einwände der Gewerk-
dass das Thema Sicherheit natürlich auch vor dem Hin- schaften. Diese haben wir ernst genommen. Die Ge-
tergrund der zivil-militärischen Integration der Flug- werkschaften haben davor gewarnt, dass die Sicherheits-
sicherung eine große Rolle spielt; denn immerhin haben kette aus zertifiziertem Flugzeug, zertifiziertem Lotsen
(B) wir es noch mit gut 80 000 Militärflügen über Deutsch- und zertifiziertem Techniker möglicherweise gefährdet (D)
land pro Jahr zu tun. Wir haben eine Form gefunden, ist, weil sich Europa bei der Zertifizierung von Techni-
durch die sichergestellt wird, dass auch der militärsi- kern anders aufstellt, als dies in Deutschland der Fall ist.
cherheitspolitische Aspekt so gefasst ist, dass er umge- Nach den Beratungen haben wir im Rahmen der Ände-
setzt wird. Auch nach der Kapitalprivatisierung ist in rungswünsche der Fraktionen eins zu eins die Formulie-
Zukunft gewährleistet, dass die sicherheitspolitisch sen- rungen in das Gesetz aufgenommen, die bei den
siblen Aspekte im Krisenfall so umgesetzt werden, dass Eurocontrol Safety Regulatory Requirements die Sicher-
es für den Verteidiger eine Rückholmöglichkeit, also heitsanforderungen beschreiben. Insofern befinden wir
eine Call-back-Möglichkeit, gibt. In diesem Fall kann uns in völligem Einklang mit den einschlägigen europäi-
der Bund seine wichtigen Flugsicherungsaspekte jeder- schen Vorschriften. Ich glaube, die Kollegen von der Ge-
zeit umsetzen. werkschaft der Flugsicherung sind mit diesen Änderun-
Bei dieser Kapitalprivatisierung können wir davon gen einverstanden.
ausgehen, dass bis zu 74,9 Prozent der Gesellschafts- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/
anteile der Deutschen Flugsicherung verkauft werden CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
können. Ich will hier im Parlament nicht über die Erträge NEN)
spekulieren. Aber ich glaube, hier kann von einem an-
sehnlichen drei- bis vierstelligen Millionenbetrag ausge- Zum Schluss möchte ich mich bedanken; denn die
gangen werden. Beratungen der Berichterstatter und auch die Beratungen
in den Ausschüssen waren von einem breiten Konsens
Gleichzeitig möchte ich betonen, dass wir es uns nicht getragen. Dabei ist zum Ausdruck gekommen, dass man
einfach gemacht haben. Wir wollen – das haben wir in dieses Thema sachorientiert bearbeitet hat. Wir haben
dem Entschließungsantrag der Fraktionen deutlich ge- mit den Beteiligten – sei es die Flugsicherung selbst,
macht – einige Eckpunkte festgehalten wissen, die bei seien es die Gewerkschaften, seien es die politischen
dieser Kapitalprivatisierung zu beachten sind. Insofern Parteien dieses Hauses – dafür gesorgt, dass der breite
gibt der Bundestag mit dieser Entschließung seiner Er- Konsens, der in diesem Haus in den vergangenen Jahr-
wartung Ausdruck, dass bei den Verkäufen von Gesell- zehnten bei dem sensiblen Thema Deutsche Flugsiche-
schaftsanteilen Interessenskonflikte hinsichtlich der rung immer bestand, weitergetragen wird.
Unternehmensziele der Deutschen Flugsicherung und in-
teressierter Übernehmer von Gesellschaftsanteilen aus- Ich freue mich, dass zumindest vier Fraktionen den
geschlossen werden. Gleichzeitig ist darauf zu achten, gemeinsamen Entschließungsantrag gezeichnet haben
dass die Deutsche Flugsicherung im europäischen Kon- und ihn, wie ich denke, nachher auch verabschieden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2783
Uwe Beckmeyer
(A) werden. Insofern ist dem Anliegen des Hauses Rech- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
nung getragen, die Kapitalprivatisierung so zu vollzie- Herzlichen Dank.
hen, dass sie letztlich zu mehr Sicherheit beiträgt, die
Deutsche Flugsicherung wachsen kann und wir dadurch Wir fahren nun fort mit der Aussprache zum Tages-
auch auf europäischer Ebene die Sicherheit stärken kön- ordnungspunkt 24. Nächster Redner ist der Kollege
nen. Denn wir haben in Deutschland eine der besten Horst Friedrich für die FDP-Fraktion.
Flugsicherungsgesellschaften der Welt, was auch für
Europa gut ist. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP):
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
Ich möchte mich bei den Beteiligten der Fraktionen und Kollegen! Mit der heutigen Beratung des Gesetzent-
der CDU/CSU, der FDP, aber auch der Grünen recht wurfs zur Neuregelung der Flugsicherung findet aus
herzlich bedanken. Sicht der FDP eine Erfolgsgeschichte ihren Abschluss,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) die 1992 vom Parlament – und zwar von allen Seiten des
Parlaments; auch das muss deutlich gemacht werden –
Ich würde mich freuen, wenn auch die Fraktion Die gegen den anhaltenden Widerstand vieler Bedenkenträ-
Linke dem Antrag zustimmen würde. Man kann sich ger begonnen wurde, die zum damaligen Zeitpunkt die
aber auch der Stimme enthalten. Es wäre vielleicht ein Privatisierung der Flugsicherung für völlig unvorstellbar
Zeichen von Noblesse, das Vorhaben auf diese Art zu hielten. Es wurde gesagt: Die Welt geht unter; die Flie-
unterstützen. Ich würde mich darüber freuen. ger fallen vom Himmel. Es kann nicht funktionieren.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Der Kollege Uwe Beckmeyer hat deutlich gemacht,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP wie die Entwicklung tatsächlich verlaufen ist. Insofern
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) finde ich es ausgesprochen bedenklich, dass dieselben
Bedenkenträger, die schon damals nicht im Recht waren,
jetzt wieder anfangen, mit denselben falschen Argumen-
Präsident Dr. Norbert Lammert: ten erneut gegen den nächsten – aus unserer Sicht völlig
Bevor wir mit der Aussprache fortfahren, kann ich Ih- logischen – Schritt zu opponieren, die Deutsche Flug-
nen das Ergebnis der Wahl einer Stellvertreterin des Prä- sicherung, die ich nicht ganz ohne Stolz als die beste der
sidenten mitteilen: Abgegebene Stimmen 581, gültige Welt bezeichnen möchte – sie ist auch schon zweimal
Stimmen 581. Mit Ja haben gestimmt 385.1) ausgezeichnet worden –, für den weltweiten Wettbewerb
(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN fit zu machen, einen Wettbewerb, der mit den Airlines
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie begonnen hat.
(B) bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D)
Sicherlich denkt kaum jemand in diesem Hause noch
Es hat auch einzelne Neinstimmen gegeben. Vielleicht daran, dass die Lufthansa früher vollständig in Staatsbe-
darf ich das der Vollständigkeit halber zumindest für das sitz war. Auch damals gab es eine Diskussion über die
Protokoll bekannt geben: Mit Nein haben gestimmt 138. beabsichtigte Privatisierung, in der die Meinung vertre-
Enthalten haben sich 58 Kolleginnen und Kollegen. Da- ten wurde, die Lufthansa könne niemals privatisiert wer-
mit hat die Kollegin Petra Pau die erforderliche Mehrheit den. Heute wage ich zu behaupten: Wenn die Privatisie-
erhalten und ist somit zur stellvertretenden Präsidentin rung nicht erfolgt wäre, gäbe es die Lufthansa heute gar
gewählt. nicht mehr. Tatsächlich ist sie aber inzwischen eine der
führenden Fluglinien innerhalb der Star Alliance und
Liebe Frau Kollegin Pau, ich übermittle Ihnen die positioniert sich weltweit. Was bei den Fluglinien begon-
Glückwünsche des ganzen Hauses und auch meine ganz nen hat, setzt sich jetzt bei den Flugsicherungsgesell-
persönlichen Wünsche. Ich freue mich auf die Zusam- schaften fort. Wir müssen sie fit machen.
menarbeit und wünsche Ihnen bei der Wahrnehmung der
nicht immer einfachen Aufgaben eine glückliche Hand. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Alles Gute! der CDU/CSU und der SPD)
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie Es ist sicherlich ärgerlich, dass die damalige Bundes-
bei Abgeordneten der SPD – Abgeordnete al- regierung, insbesondere das Finanzministerium, eine be-
ler Fraktionen gratulieren der Vizepräsiden- reits 1998 vom Bundestag mit breiter Mehrheit beschlos-
tin – Abg. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) und sene Novellierung des Flugsicherungsgesetzes förmlich
Abg. Oskar Lafontaine (DIE LINKE) überrei- nicht umgesetzt hat. Wir hätten schon damals der Flugsi-
chen der Vizepräsidentin Petra Pau einen Blu- cherung mehr Möglichkeiten der geschäftlichen Betäti-
menstrauß) gung einräumen können.
Frau Kollegin Pau, gehe ich recht in der Annahme, Was nun umgesetzt wird, ist ein Kompromiss, über
dass Sie die Wahl anzunehmen bereit sind? den, glaube ich, breiter Konsens besteht. Uwe
Beckmeyer ist schon auf einiges eingegangen. Ich will
auf die Voraussetzungen eingehen. Ausgangspunkt war,
Petra Pau (DIE LINKE):
nicht nur die Kapitalprivatisierung und damit die Be-
Ja. schlusslage des Bundestages in der letzten Legislatur-
periode, sondern auch die Vorgaben der so genannten
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 Single-European-Sky-Verordnungen umzusetzen, die
2784 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Horst Friedrich (Bayreuth)


(A) eine Trennung von Aufsichts- und Durchführungsaufga- durchaus bereit gewesen, das Ganze noch klarer wirt- (C)
ben erforderlich machen. Das bedeutet, dass man wieder schaftlich zu positionieren. Aber wir tragen den Kom-
ein Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung errichten promiss mit. Mich hat jedoch verwundert, dass kurz vor
muss, das die Aufsichtsaufgaben wahrnehmen soll. Die Ende der Sitzung des Verkehrsausschusses am vergange-
Position der FDP war, nicht wieder ein solches Amt zu nen Mittwoch vorgeschlagen wurde, dass die Flugsiche-
installieren, von dem man ja durch die Organisationspri- rung auch die Aufgaben Überprüfung, Warnung und
vatisierung der Flugsicherung wegzukommen versucht Umleitung von Luftverkehrfahrzeugen im Luftraum
hat. Die Zahlen sprechen ja für sich. übernehmen soll. Aus unserer Sicht kann die Flugsiche-
rung das nicht übernehmen. Das kann man mit einem Pi-
Die Kompetenz der Mitarbeiter eines Bundesauf- loten, der kooperiert, also den Anweisungen der Flugsi-
sichtsamtes muss höher sein als die derjenigen, die den cherung folgt, sicherlich machen. Das kann man aber
Luftverkehr kontrollieren. Daher müssen die Mitarbeiter von einem Piloten, der ein gekapertes Flugzeug führt,
eines solchen Amtes eine höhere Dotierung erhalten. wahrscheinlich nicht erwarten. Flugsicherung allein
Das kann man aber mit dem öffentlichen Haushaltsrecht kann das nicht leisten.
allein nicht hinbekommen. Eine höhere Dotierung ist
jedoch möglich, weil die Kosten eines Bundesauf- Es ist etwas höchst Ungewöhnliches geschehen: Die
sichtsamtes im Endeffekt die Nutzer, die Fluggesell- Geschäftsführung der Deutschen Flugsicherung hat mit-
schaften und die Passagiere, tragen. Ich bitte die Bundes- geteilt, wie sie diese Gesetzesformulierung interpretiert,
regierung daher, in manchen Fällen das klassische nämlich im Sinne der bereits bestehenden Zusammen-
Haushaltsrecht hintanzustellen. Es wird uns nicht auf die arbeit mit dem Nationalen Lage- und Führungszentrum
Füße fallen, weil die Nutzer die Kosten tragen. Wir brau- Sicherheit im Luftraum in Kalkar. Die Bundesregierung
chen dort hoch qualifizierte Mitarbeiter und dürfen kei- hat die Richtigkeit dieser Interpretation bestätigt. Ich
nen neuen Flaschenhals – diesen haben wir 1992 durch gebe zu: Das ist ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang;
die Privatisierung der Bundesanstalt für Flugsicherung in einem Gesetzgebungsverfahren ist er sicherlich nicht
beseitigt – schaffen. Schließlich soll hier auch eine öko- alltäglich. Die Flugsicherung hat signalisiert, dass sie
nomische Regulierung stattfinden. Das ist aber nur mög- mit dieser Regelung leben könne. Wenn das die Grund-
lich, wenn Kompetenz von außen zugeführt wird. lage für die Arbeit der Bundesregierung auf diesem Ge-
biet ist, dann tragen wir das Ganze im Endeffekt mit. Die
Nun erleben wir eine Aktion der Gewerkschaft Verdi. große Mehrzahl der Mitglieder dieses Hauses trägt die-
Uwe Beckmeyer hat es schon angesprochen. Die Ge- sen Entschließungsantrag im Konsens; Kollege Uwe
werkschaft behauptet, dass das Gesetz die Sicherheit Beckmeyer hat schon darauf hingewiesen.
des Luftverkehrs in Deutschland gefährde; das trifft
(B) mich. Wie wird das begründet? Momentan bildet die Das Parlament hat 1992 die Erfolgsgeschichte der (D)
Deutsche Flugsicherung ihre Fluglotsen an eigenen Flugsicherung begonnen, und zwar gegen den Wider-
Schulen aus und zertifiziert sie; das ist völlig richtig. stand vieler Bedenkenträger. Das Parlament macht jetzt
Aber alle anderen wie Techniker und Ingenieure werden den nächsten Schritt. Ich sage voraus: Das Parlament hat
nicht von der Flugsicherung ausgebildet, sondern erhal- sowohl die Kraft als auch die Zuständigkeit, im Falle
ten ihre Ausbildung – wie nun auch vorgesehen – an an- von diversen Fehlallokationen nach entsprechenden Ent-
deren Institutionen, an Hochschulen oder Fachhochschu- scheidungen Korrekturen im Sinne der Flugsicherung
len. Was sich ändert, ist lediglich, dass ein Zertifikat der vorzunehmen. Insofern vielen Dank für die bisherige
Flugsicherung nicht mehr ausgestellt wird, weil es im Unterstützung! Wir wünschen unserer Flugsicherung
europäischen Bereich nicht mehr notwendig ist. Aber an weiterhin den Erfolg, den sie bisher hatte. Die FDP wird
der Qualität des Personals und damit an der Sicherheit den Vorlagen zustimmen.
ändert sich nichts. Deswegen, finde ich, ist es höchst
fahrlässig, zu sagen: Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, Danke sehr.
leidet die Sicherheit unter den Kapitalinteressen. Das ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
aus meiner Sicht eine völlig unzulässige Verkürzung der der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS-
Fakten. Das sollten wir nicht mittragen. SES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich musste lesen, dass eine andere Gewerkschaft an- Norbert Königshofen ist der nächste Redner für die
gedroht hat, während der Fußballweltmeisterschaft zu CDU/CSU-Fraktion.
streiken, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt. Dazu kann ich
nur sagen: Aus unserer Sicht wäre das ein politischer Norbert Königshofen (CDU/CSU):
Streik; das darf nicht sein. Politik darf sich so nicht be- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
einflussen lassen. Das muss deutlich werden. gen! Auch für die Union ist der heutige Tag verkehrs-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – politisch ein besonderer Tag: Das Gesetz zur Neurege-
Dr. Guido Westerwelle [FDP], zur SPD ge- lung der Flugsicherung soll heute verabschiedet werden.
wandt: Genossen, da fehlt euer Beifall!) 13 Jahre lang sind hier im Bundestag Gespräche und
Verhandlungen, auch Auseinandersetzungen geführt
Zum Gesetzgebungsverfahren möchte ich für die worden; Anträge sind gestellt worden. Ich bin seit 1994
FDP-Fraktion noch zwei Dinge anmerken. Wir wären Abgeordneter des Bundestages. Das Thema Flugsiche-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2785
Norbert Königshofen
(A) rung hat uns seitdem dauend beschäftigt; es war mir ein werden weiter eine Fortsetzung der erfolgreichen zivil- (C)
ständiger Wegbegleiter. militärischen Integration haben. Das gibt es bei der über-
örtlichen Flugsicherung sonst nirgendwo in der Welt.
Es ist bereits erwähnt worden: 1992/93 gab es die Or-
ganisationsprivatisierung. Das war der erste wichtige Die Kapitalprivatisierung bedeutet nicht, wie viel-
Schritt. Er wurde damals von fast allen Mitgliedern des leicht befürchtet wird, eine Aufgabenprivatisierung. Die
Hauses unterstützt. Ich hoffe, dass der vorliegende Ge- DFS bleibt ein mit staatlichen Aufgaben beliehenes Un-
setzentwurf und die Abänderungen, die wir beraten ha- ternehmen. Der Bund hat Durchgriffsrechte. Wir sichern
ben, hier eine überwältigende Mehrheit finden werden. das zum Ersten durch die Sperrminorität von 25,1 Pro-
zent ab. Bei der Kapitalprivatisierung werden nämlich
Organisationsprivatisierung und Kapitalprivatisierung 25,1 Prozent beim Bund verbleiben. Zum Zweiten
sind zwei Fixpunkte im Bemühen, die DFS zu reformie- – auch das ist gerade schon dargelegt worden – wird eine
ren. Man kann sich fragen: Muss die DFS reformiert nationale Aufsichtsbehörde, das Bundesaufsichtsamt
werden? Kollege Friedrich und Kollege Beckmeyer ha- für Flugsicherung, BAF, geschaffen. Diese Aufsichts-
ben darauf hingewiesen, dass die DFS eine der erfolg- behörde hat die Rechts- und Fachaufsicht über die DFS.
reichsten Flugsicherungsorganisationen der Welt ist. Ich Sie kontrolliert die DFS. Sie verfügt über ein Informa-
möchte in Erinnerung rufen: Sie hat im Jahre 2000 im- tionsbeschaffungsrecht. Sie hat ein Weisungsrecht. Sie
merhin den so genannten Eagle Award bekommen, das hat das Recht zur Ersatzvornahme. Sie hat ein Betre-
ist eine Auszeichnung für außergewöhnlich gute Flugsi- tungsrecht und sie hat ein Herausgaberecht. Sie kann
cherung, für Pünktlichkeit und für Kostenbewusstsein. auch ein Warnungsgeld in Höhe von bis zu 500 000 Euro
Die Wettbewerbsbedingungen auf dem Luftver- verhängen. Wenn man den Eindruck hat, die kapitalpri-
kehrsmarkt haben sich radikal verändert. Außerdem hat vatisierte DFS erfülle ihre Aufgaben nicht so recht, dann
sich die Rechtslage in Europa verändert. Einerseits ist kann man sie zur Kasse bitten und notfalls auch durch-
der Luftverkehr heute ein viel wichtigerer Wirtschafts- greifen.
faktor als vor 15 oder 20 Jahren. Er ist eine Schlüssel-
Also erfüllt das Gesetz beides: Es sichert die Erfül-
industrie für moderne Volkswirtschaften, eine Jobma-
lung hoheitlicher Aufgaben und macht die DFS zu einem
schine. 1 Million Arbeitsplätze hängen direkt oder
erfolgreichen Teilnehmer am expandierenden Luftver-
indirekt davon ab. Diese Industrie schafft immer wieder
kehrsmarkt.
neue Arbeitsplätze. Zum Beispiel sind zuletzt bei der
Lufthansa 2 700 neue Arbeitsplätze entstanden. Eines wollen wir nicht vergessen: Die Kapitalprivati-
sierung – das freut den Finanzminister – bringt auch ei-
Andererseits ist der Luftverkehr internationaler und
nen zehnstelligen Eurobetrag – ich wiederhole: einen
liberaler geworden. Die Single-European-Sky-Verord-
zehnstelligen Eurobetrag – in die klammen Kassen des
(B) nungen sind gerade schon kurz angesprochen worden. (D)
Es gibt Open-Sky-Urteile des Europäischen Gerichts- Bundes. Das ist auch Geld.
hofs. Das muss berücksichtigt werden. Die DFS muss Es gibt einen Entschließungsantrag, gestellt von allen
sich auf die neuen Entwicklungen einstellen können, um vier Fraktionen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
ihre internationale Spitzenposition zu behaupten und len. Auf den möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch ein-
auszubauen. mal lenken; denn er ist wichtig. Er ist deswegen wichtig,
Nach der erfolgten Kapitalprivatisierung wird sie weil wir in diesem Entschließungsantrag etwas darüber
noch mehr als bisher am Markt teilnehmen, andere Ge- aussagen, wie wir uns die Kapitalprivatisierung und die
schäftsfelder erschließen zukünftigen Eigentümer vorstellen. Wir wollen ein lang-
fristiges Engagement derjenigen, die sich da beteiligen.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) Wir wollen nicht die, die berühmte Kollegen einst „Heu-
und sich an anderen Unternehmen beteiligen können. schrecken“ genannt haben, die nämlich kommen, drei
Das hat wiederum mit Sicherheit Auswirkungen auf den Jahre etwas halten und dann wieder verkaufen. Wir su-
Luftverkehrsstandort Deutschland. chen nicht den Investor, der 20 Prozent Dividende haben
möchte. Nein, wir suchen die, die ein Interesse an der
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Flugsicherung haben, die sich beteiligen wollen und die
Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]) natürlich auch eine auskömmliche Rendite für ihr Geld
So wie die Lufthansa in Europa der führende Carrier an bekommen müssen. Denn wer gibt schon Geld, wenn er
der Spitze der Star Alliance geworden ist, so soll die DFS damit nichts verdienen kann? Aber es muss im Rahmen
– das stellen wir uns vor – an die Spitze der Flug- bleiben.
sicherungsgesellschaften in Europa kommen. Die DFS Wir haben auch deutlich gemacht: Niemand soll dort
für die Zukunft fit zu machen, ist also eine der Aufgaben. einen beherrschenden Einfluss haben, kein Carrier, kein
Die andere Aufgabe ist: Die staatlichen Verpflichtun- Einzelner, der dann am Ende über 50 Prozent der Anteile
gen, die hoheitlichen Aufgaben müssen abgesichert wer- hält. Das wollen wir nicht. Aber wir wollen, dass auch
den. die deutschen Nutzer sich beteiligen; denn es macht
Sinn, wenn die Flughäfen, die Airlines und die DFS zu-
Ich bin davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden sammenarbeiten.
Gesetzentwurf und den Änderungen, die wir gemeinsam
beschließen werden, beides erreicht wird. Die Flugver- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
kehrskontrolle bleibt hoheitliche Tätigkeit. Sie dient der FDP sowie des Abg. Winfried Hermann
Gefahrenabwehr und der Prävention von Gefahren. Wir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
2786 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Norbert Königshofen
(A) Wir hätten natürlich gern, wenn es geht, in Ergänzung (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (C)
auch einen internationalen Investor, weil wir, wie gesagt, FDP)
bei der DFS auch auf Expansion im europäischen Raum
Ich danke dem Bundesrechnungshof, mit dem wir
setzen. Es gibt da viele sozusagen artnahe Geschäfte, in
nicht nur korrespondiert, sondern auch gesprochen ha-
denen die DFS tätig werden kann und die dazu beitra-
ben. Ebenso haben wir das Gespräch mit den Freunden
gen, die DFS mit den entsprechenden Geldern zu verse-
aus dem Südwesten gesucht, die natürlich unter dem
hen.
Flughafen Zürich-Kloten leiden. Aber dieses Gesetz hat
Bei den Investoren muss also – das wollen wir mit mit dem Problem sehr wahrscheinlich gar nichts zu tun.
dem Entschließungsantrag klar machen – das Interesse (Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜND-
am Unternehmen im Vordergrund stehen, langfristig, NIS 90/DIE GRÜNEN] – Jan Mücke [FDP]:
dauerhaft, verlässlich. Das ist der Punkt!)
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Aber die Bedenken und die bestehenden Probleme haben
FDP sowie des Abg. Winfried Hermann wir natürlich gesehen. Deswegen haben wir Verständnis,
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dass sie sich so eingelassen haben, wie sie es getan ha-
Zum Schluss, meine Damen und Herren: Man muss ben.
danken, weil das, was heute hier passiert, in diesem Ho- Außerdem haben wir –
hen Hause nicht selbstverständlich ist. Es ist nicht selbst-
verständlich, dass ein Gesetz, über das man natürlich
Präsident Dr. Norbert Lammert:
hier und da verschiedener Meinung sein kann, am Ende
eine Mehrheit von über 90 Prozent findet – jedenfalls Herr Kollege – –
wenn alle da sind und abstimmen. Wir werden die Zu-
stimmung der Union und der SPD, der Koalitionsfraktio- Norbert Königshofen (CDU/CSU):
nen, haben – das gehört sich so –, aber, was nicht selbst- – das ist mein letztes Wort, Herr Präsident, mit Dank
verständlich ist, auch der FDP und der Grünen. an Sie für Ihren Großmut –
Ich möchte mich beim Kollegen Beckmeyer bedan- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)
ken, mit dem ich diese Gesetzgebung sehr eng vorberei- ebenfalls sehr konstruktiv mit der Unternehmensführung
tet und begleitet habe, aber auch bei den Kollegen und den Arbeitnehmervertretern gesprochen. Auch dafür
Friedrich und Hermann, mein herzliches Dankeschön.
(B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie gleich zustim- (D)
die uns immer konstruktiv, wenn auch kritisch, begleitet men werden.
haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch bezüglich der Seite des Ministeriums – das ist
ebenfalls nicht selbstverständlich; häufig gibt es ja einen
gewissen Dualismus zwischen der Politik und den Mi- Präsident Dr. Norbert Lammert:
nisterien – kann man nur sagen: hervorragende Zusam- Ich bedanke mich für das Kompliment in Sachen
menarbeit. Mein Dank gilt Staatssekretär Kasparick, Großmut, Herr Kollege Königshofen, und erteile als
aber auch seinen Mitarbeitern Schmidt und von Elm. nächster Rednerin Dorothee Menzner für die Fraktion
Die Linke das Wort.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN)
NEN) (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
Ebenso müssen wir Staatssekretär Karl Diller danken; Kastner)
denn er hat es möglich gemacht, dass wir bei der BAF,
also beim Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, die Dorothee Menzner (DIE LINKE):
Leute engagieren können, die wir brauchen. Für einen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Außenstehenden scheint das vermutlich kein Problem zu Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Kollege Königshofen hat
sein: Wenn die Nutzer es ohnehin bezahlen, kann man es eben schon breit ausgeführt: Wir haben es heute mit
auch ordentliche Leute einkaufen. Aber für eine Behörde einer Superkoalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grü-
ist es schon schwierig, davon abzugehen, Mitarbeiter nen zu tun. Sie wollen den Verkauf der Flugsicherung
nach einem ganz bestimmten Schema zu bezahlen; in beschließen. Damit beginnt nach unserer Meinung die
diesem Fall erfolgt die Bezahlung normalerweise nach Play-off-Serie der Privatisierungsfestspiele dieser Regie-
B 3 bzw. den darunter liegenden Besoldungsgruppen. Da rung. Bundesvermögen wird ans Kapital verkauft, wäh-
gibt es nicht mehr und nicht weniger. Das wird hier rend breite Bevölkerungskreise wegen Hartz IV am
durchbrochen. Die Leute, die von der DFS kommen und Existenzminimum leben müssen.
bei der Bundesaufsicht arbeiten, können ihre Zulagen
(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)
behalten. Das ist durch den Kollegen Diller möglich ge-
worden, der sich da vermittelnd eingeschaltet hat. Also Was passiert genau und warum diese Eile? Nur um
herzliches Dankeschön! Haushaltslöcher zu stopfen, will die Bundesregierung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2787
Dorothee Menzner
(A) unser Tafelsilber veräußern – ohne Sinn, ohne Herz und Damit komme ich – fünftens – zu meinem und unse- (C)
ohne Verstand. rem Haupteinwand. Die Linke sagt es klipp und klar:
Die Neuregelung der Flugsicherung verstößt eindeutig
(Beifall bei der LINKEN)
– ich wiederhole es gerne: eindeutig – gegen die gel-
Drei Viertel der Flugsicherung liegen auf dem Gaben- tende Verfassung.
tisch. Dafür kriegen Sie – das wurde eben ausgeführt –
(Beifall bei der LINKEN)
eine einmalige Finanzspritze. Aber was bleibt danach?
Nichts! Dann fehlen die Gewinne der Flugsicherung im Kollege Beckmeyer zitierte vorhin aus einem Kommen-
Haushalt. Dieses Jahr sind es fast 13 Millionen Euro. tar zum Grundgesetz. Ich möchte es nicht unterlassen,
Schlimmer noch: Perspektivisch könnte die Situation Art. 87 d Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes zu zitieren:
eintreten, dass gar keine Gewinne aus der Flugsicherung
mehr in den Bundeshaushalt fließen. Die Luftverkehrsverwaltung wird in bundeseigener
Verwaltung geführt.
Seit längerem kursieren in Juristenkreisen genau die
gleichen Formulierungen, die jetzt in den Drucksachen Satz 2 lautet:
geschrieben stehen und die hier debattiert werden. Wir Über die öffentlich-rechtliche oder privat-rechtliche
aber, also meine Fraktion, bekamen nichts Offizielles. Organisationsform wird durch Bundesgesetz ent-
Daher wundert es mich zutiefst, weshalb die seit langem schieden.
angekündigten Änderungen des Gesetzentwurfs mein
Büro erst auf den allerletzten Drücker erreichten. Letzten Dazu sollten wir wissen: Dieser zweite Satz wurde be-
Dienstag um 19 Uhr bekamen wir die Drucksache, genau wusst in die Verfassung eingefügt, als die Flugsicherung
14 Stunden vor der entscheidenden Ausschusssitzung. organisationsprivatisiert wurde. Manche werden sich er-
innern: Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist ja die Unterzeichnung eines Gesetzes zur Flugsicherung
unglaublich!) damals wegen ungenügender Verfassungsvorgaben ver-
Schon tags darauf gab es im Ausschuss die gemein- weigert.
same Entschließung dieser Superkoalition. Und heute, wo eine viel schwerwiegendere Entschei-
(Zurufe von der SPD: Nach den Anstrengun- dung ansteht? Heute geht es um die Frage: Dürfen
gen der Berge kommen die Mühen der Ebene! hoheitliche Belange hinsichtlich Gefahrenabwehr und
So ist das! – Früher aufstehen!) Ordnungsrecht überhaupt durch privates Kapital wahr-
genommen werden?
Dies ist mir als Neuling ziemlich unverständlich und
(B) ich frage mich, weshalb das so lief. Absicht? (Beifall bei der FDP: Wer privatisiert denn die (D)
Gefahrenabwehr?
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Schneller ar-
beiten!) Die Verfassungsfrage ist auch – aber nicht nur –
wegen des Flugzeugabsturzes vor wenigen Jahren am
Ich darf daran erinnern: Die Linke hat zu all den Fra- Bodensee brisant. Der Vertrag, die dortige Flugsicherung
gen der Privatisierung der Flugsicherung, die aus unse- einem Privatunternehmen zu übertragen, wurde vom
rer Sicht noch offen sind, eine Anhörung im Ausschuss Schweizer Bundesrat bis heute nicht ratifiziert. Juristen
beantragt. Leider konnte sich nur die Fraktion der Grü- nennen das: Der Vertrag ist nicht in Geltung gewachsen. –
nen entschließen, diesem Antrag zuzustimmen. Damit ist die Flugsicherung durch die Schweizer
(Zuruf von der LINKEN: Immerhin!) Skyguide AG bis heute auf keine belastbare Rechts-
grundlage gestellt.
So sind aus unserer Sicht nach wie vor viele Fragen
offen: Ich schließe mit der eindringlichen Bitte an Sie alle:
Vertagen Sie die Entscheidung! Einen Verstoß gegen die
Erstens. Die Gewerkschaft der Fluglotsen erhebt nach Verfassung werden wir nicht hinnehmen.
wie vor starke Einwände.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Die Bundesvereinigung gegen Fluglärm
befürchtet bei der Planung der Flugrouten den Vorrang
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
der Wirtschaftlichkeit vor dem Lärmschutz.
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann,
Drittens. Die EU-Vorgaben – sie wurden hier schon Bündnis 90/Die Grünen.
angesprochen – sehen keine Kommerzialisierung bei ho-
heitlichen Aufgaben der Gefahrenabwehr vor. Wozu Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
auch?
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Viertens. Besonders der Flugzeugabsturz im Jahr Herren! Der Redebeitrag meiner Kollegin von der Links-
2002 am Bodensee wirft bis heute Fragen auf. Die fraktion macht es notwendig – auch andere Kollegen fra-
schwierigste davon: Ist es überhaupt mit unserer Verfas- gen immer wieder, ob diese Neuregelung, diese Privati-
sung vereinbar, dass ein Schweizer Privatunternehmen sierung, zwingend ist –, dass ich zu Beginn meiner Rede
den südwestdeutschen Luftraum verwaltet? ein paar grundsätzliche Ausführungen mache.
(Beifall bei der LINKEN) (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Sehr gut!)
2788 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Winfried Hermann
(A) Es gilt festzuhalten, dass die Europäische Union durch (Zuruf von der FDP: Was ist denn an dem (C)
ihre Verordnung zum Single European Sky einen neuen Wohnungsverkauf in Dresden falsch?)
Rechtsrahmen geschaffen hat. Diese Verordnung schafft
Wir haben sichergestellt, dass bei dieser neuen, teilpriva-
unmittelbares Recht. Das heißt, vieles ist jenseits unserer
tisierten Flugsicherung die kommerziellen Interessen
bisherigen nationalen Regelungen schon neu geregelt.
nicht ganz obenan stehen dürfen, sondern dass das
Diese Neuregelung, diese Verordnung gibt uns zusätz-
oberste Prinzip der Sicherheit erhalten bleibt. Die
lich die Möglichkeit, das deutsche Recht dementspre-
Deutsche Flugsicherung soll also ein starker Partner im
chend auszugestalten.
Wettbewerb sein, aber auch klaren sicherheitspolitischen
Die EU zwingt allerdings nicht zur Privatisierung, Vorgaben dienen.
sondern ermöglicht sie. Das ist ein Unterschied. Die EU Wir haben uns als Grüne jetzt über drei bis vier Jahre
verlangt mehr Wettbewerb. Das darf sie; das soll sie. kritisch an dem Verfahren beteiligt. Ich kann bestätigen,
Aber sie verlangt keinen ungeregelten Wettbewerb. Dar- was meine Kollegen dankenswerterweise bereits gesagt
auf reagieren wir. Sie verlangt zwingend die Trennung haben: Es lief außerordentlich kooperativ. Ich habe bis-
von Aufsichts- und Durchführungsaufgaben in der Luft- her im Parlament noch kein Verfahren erlebt, bei dem es
sicherung. Das erkennen wir an. Zugleich wird damit an- einen so engen Austausch gab und bei dem es tatsächlich
erkannt, dass es eine europäische und eine nationalstaat- einmal gelungen ist, über Fraktionsgrenzen hinweg Ar-
liche hoheitliche Verantwortung gibt. Insofern meine gumente und kritische Einwände anzuerkennen. Danke
ich, dass das verfassungsrechtliche Argument, das ge- schön für diese Kooperation!
rade vorgetragen wurde, ins Leere geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord-
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der neten der CDU/CSU)
CDU/CSU und der FDP)
Für uns war wichtig, dass wir sicherstellen, dass wir
Der vorliegende Gesetzentwurf ist im parlamentari- europäisches Recht und unsere Verfassung in Einklang
schen Verfahren erheblich verbessert worden. Dies zeigt, bringen und zusammenführen. Das ist mit diesem Ge-
dass wir im Parlament einen eigenständigen und eigen- setzentwurf gelungen. Wir haben klargestellt, dass die
verantwortlichen Umgang mit dem Luftsicherheitsrecht hoheitlichen Aufgaben weiterhin klar in hoheitlicher
praktiziert haben und europäisches Recht und deutsches Hand und letztendlich in Bundesverantwortung sind.
Recht gemeinsam gestaltet haben. Das ist ganz klar geregelt, trotz Wettbewerbsbeteiligung,
trotz Teilprivatisierung. Das hat mit Sicherheit viel da-
Übrigens folgt dieser Gesetzentwurf einigen wichti- mit zu tun, dass wir neben den zahlreichen Regelungen
(B) gen Grundeinsichten – dies wurde im vorherigen Rede- (D)
auch die unabhängige Aufsicht geschaffen haben, die
beitrag anders dargestellt –, die ich gerne ansprechen eben voll öffentlich ist.
will. Er folgt der Einsicht, dass mehr Wettbewerb, mehr
unternehmerisches Handeln und eine klare Trennung der Wir haben – es ist mir wichtig, das zu sagen – mit der
Durchführung der Aufgaben und der Kontrolle zu einer Konstruktion der Sperrminorität ein Konstrukt gefun-
effizienten und sehr hohen Flugsicherheit führen und den, das ganz klar macht, dass die wesentlichen Ziele
dass dies eine effiziente Wirtschaftsform ist. dieser neuen Gesellschaft nicht einfach geändert werden
können. Eventuelle hoheitliche Bedenken können also
(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]) nicht einfach aufgrund von Marktinteressen oder ande-
Es wird anerkannt, dass es nicht zwingend ist, dass be- ren ökonomischen Interessen übergangen werden. Das
stimmte betriebliche Abwicklungen zu 100 Prozent in ist hiermit sichergestellt.
staatlichem Eigentum sein müssen. Das genau brauchen Wir haben übrigens – was uns sehr wichtig war – in
wir nicht. der Resolution deutlich gemacht, dass wir bei der Veräu-
ßerung sehr genau darauf achten müssen, wer sich ein-
Dies ist also keine wildliberale Veranstaltung, wie es kauft und wie die Aktien verkauft werden. Denn eines
gerade wieder geäußert wurde nach dem Motto: Die ver- wollen wir klarstellen: Wir sind doch nicht für mehr
kaufen alles und die Grünen sind auch dabei. Ich kann Wettbewerb im Prinzip und sorgen dann hinterher beim
nur sagen: Wer in Dresden unter Beteiligung der Links- Verkauf dafür, dass ein neues Monopol entsteht, indem
partei und ihrer Abgeordneten zusammen mit anderen sich etwa eine Fluggesellschaft die Flugsicherheit aneig-
alle kommunalen Wohnungen versilbert, sollte das Maul net und sozusagen als billige Tochter, als billige Dienst-
im Parlament in solchen Fragen nicht voll nehmen. leistung hält. Mit der Resolution haben wir deutlich ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, macht: So etwas wollen wir nicht.
bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der FDP: Was ist denn an Dresden falsch?) bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord-
Denn starke Sprüche allein genügen nicht. neten der CDU/CSU)
Insofern gibt es auch klare Ansprüche und klare Aufla-
Man muss vielmehr einen Rechtsrahmen schaffen.
gen an zukünftige Investoren.
Die vorliegende gesetzliche Regelung schafft sehr ver-
antwortungsvoll und sehr verantwortungsbewusst einen Wir haben sichergestellt, dass die zivil-militärische
Rechtsrahmen gegen eine wildliberale Privatisierung. Integration weiterhin funktioniert – sie muss funktio-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2789
Winfried Hermann
(A) nieren –; wir haben sichergestellt, dass es ein Weisungs- noch 31 unterschiedliche nationale Systeme der Flug- (C)
recht gibt – etwa im militärischen Notfall –; wir haben sicherung haben.
über ein Konstrukt der Beleihung und des Widerrufs si-
Die neuen Richtlinien geben den Rahmen vor und
chergestellt, dass die private DFS nicht einfach gegen
weisen die Richtung: Wir wollen einen einheitlichen
die Interessen des Staates verstoßen kann. Diese Belei-
hung findet auf Zeit und auf Widerruf statt und ist an europäischen Luftraum schaffen. Wir sind der Über-
zeugung, dass der in einem dichten Beratungsnetzwerk
harte Kriterien gebunden. Das Argument, dass ein Priva-
erarbeitete Gesetzentwurf dazu beitragen wird, eines un-
ter etwas gegen die öffentlichen Sicherheitsinteressen
tun kann, stimmt somit grundlegend nicht. serer stärksten Unternehmen besonders gut für den Wett-
bewerb aufzustellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ich will in zweierlei Hinsicht kurz auf die Kritik der
bei der SPD und der FDP) Linken eingehen. Das Verfahren wurde kritisiert. Mich
Ich muss jetzt etwas abkürzen; ich will aber noch da- hat überrascht, dass eine Fraktion bereits zu Beginn der
auf hinweisen, dass wir Einwände der Gewerkschaften Beratungen, nach der ersten Lesung, erklärt hat, sie sei
und der Deutschen Flugsicherung mit aufgenommen ha- gegen das Gesetz.
ben. Es ist sehr selten, dass man auch arbeitsrechtliche (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist doch
Einwände und Bedenken – etwa Mitbestimmungsinte- logisch!)
ressen – berücksichtigt. Auch als Linker kann ich daher
sehr gut zu dem Gesetzentwurf stehen. Dass man sich so dem Beratungsprozess entzieht, ist
zumindest bemerkenswert.
Ich komme zum Schluss. Wir verabschieden heute
nach mehrjährigen Debatten und Verhandlungen einen (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ist doch gar
überfraktionellen Gesetzentwurf – samt Veränderungen – nicht wahr!)
und einen Resolutionstext. Der Entwurf führt zu einer Jetzt, am Ende des Beratungsprozesses, beschweren Sie
Teilprivatisierung in politisch klar gestalteter öffentli- sich, Sie seien nicht ausreichend beteiligt worden. Für
cher Verantwortung. mich tut sich da ein Widerspruch auf. Es war das Bemü-
Ich bedanke mich. hen unseres Hauses, mit den Berichterstattern, mit den
Mitarbeitern der DFS und mit den Gewerkschaften einen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ganz engen, persönlichen Kontakt zu pflegen sowie alle
bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord- Anregungen und Kritikpunkte aufzunehmen, sorgfältig
neten der CDU/CSU) zu diskutieren und abzuwägen.
(B) Ich will das unterstreichen, was Kollege Hermann ge- (D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sagt hat: Dieser Gesetzgebungsprozess ist auch nach
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär meinem Eindruck etwas Besonderes, weil eine partei-
Ulrich Kasparick. und fraktionsübergreifende Zusammenarbeit in dieser
Form in diesem Haus nicht selbstverständlich ist.
Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
legen! Der heutige Tag ist ein wichtiger Tag für die deut- Kollegin Menzner?
sche Luftsicherheit und – das darf ich hinzufügen – für
die europäische Luftsicherheit, weil wir ein Unterneh- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
men im europäischen Markt aufstellen und für den Wett- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
bewerb stark machen, das noch von sich reden machen Ich würde gerne zu Ende vortragen.
wird.
(Zuruf von der LINKEN: Ah ja!)
Die deutsche Flugsicherheit ist zu Recht ausge-
zeichnet worden als die beste der Welt. Wir wollen sie Die fraktions- und parteiübergreifende Zusammenarbeit
stark machen für den europäischen Wettbewerb. Wir an diesem Gesetz ist in der Tat etwas Besonderes, was
wollen die Rahmenbedingungen, die uns Europa bietet, lohnt, erwähnt zu werden.
nutzen, um die deutsche Wirtschaft in einem sehr stark (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
wachsenden und wirtschaftlich hoch interessanten Markt CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Hermann
an die erste Stelle im Wettbewerb zu stellen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die Entscheidung, die das Parlament heute trifft, hat Zum zweiten Kritikpunkt will ich ausdrücklich etwas
eine längere Vorgeschichte. Die Organisationsprivati- betonen, was schon mehrfach angesprochen wurde: Die
sierung aus dem Jahre 1993 ist ebenso wie die Integra- Flugsicherung bleibt hoheitliche Aufgabe des Bundes.
tion der militärischen Flugsicherungsdienste in die DFS Das ist die zentrale Aussage. Der Bund hat nach wie vor
im Jahre 1994 bereits erwähnt worden. Der Schritt, den Durchgriffsrechte. Diese Rechte haben wir gesichert.
wir jetzt unternehmen, die Kapitalprivatisierung, ist Über die Anteile ist bereits gesprochen worden. Ich
die logische Folge dieser vorausgegangenen Schritte. finde es besonders wichtig, dass nicht nur das Ministe-
Man muss sich klar machen, dass wir in Europa derzeit rium, sondern auch das Parlament an der Kontrolle
2790 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick


(A) direkt beteiligt ist. Wir haben an zentralen Stellen Parla- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C)
mentsvorbehalte in das Gesetz eingefügt. Das ist bei minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
dem hochsensiblen Bereich der Luftverkehrssicherheit Ich habe nur meiner Verwunderung darüber Ausdruck
zwingend. verliehen, dass sich eine Fraktion am Beginn eines Bera-
tungsprozesses schon auf eine Ablehnung festlegt und
Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wird
sich dann darüber beschwert, sie sei zu wenig beteiligt
bei der Sicherstellung dieser hoheitlichen Aufgaben eine
worden.
ganz zentrale Funktion übernehmen müssen.
(Beifall bei der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE
Wir haben uns bemüht – ich bin der Überzeugung, es LINKE]: Das sagt das doch mit den gleichen
ist gelungen –, in einem kooperativen Arbeitsstil ein Ge- Worten!)
setz zu erarbeiten. Das war ein mehrjähriger Prozess.
Heute können wir erleben, dass der Erfolg viele Väter
hat. Die Berichterstatterinnen und Berichterstatter, die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
sich seit vielen Jahren mit diesem Problem befassen, Nächster Redner ist der Kollege Ingo Schmitt, CDU/
kennen die Geschichte aus eigenem Erleben. CSU-Fraktion.
Das, was wir heute vorlegen, ist nach unserer Über-
Ingo Schmitt (Berlin) (CDU/CSU):
zeugung eine runde Sache. Die wesentlichen Kritik-
punkte, bis hin zu denen des Bundesrechnungshofs, sind Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
nach ausführlichen Gesprächen ausgeräumt worden. Die legen! Nie zuvor verzeichnete der deutsche Luftraum so
gefundene Lösung macht es nicht zuletzt für Investoren viele Flugbewegungen wie in diesem und im letzten
interessant, sich bei der deutschen Flugsicherung zu en- Jahr. Mit 2,8 Millionen kontrollierten Flügen in 2005
gagieren. und bisher rund 700 000 in 2006 befindet sich die deut-
sche Flugsicherung im Höhenflug. Gut, dass wir diesen
Ich wünsche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern positiven Trend aufnehmen und durch das vorstehende
in der deutschen Flugsicherung eine gesicherte, wirt- Gesetz der deutschen Flugsicherung noch größere Leis-
schaftlich erfolgreiche Zukunft. Ich wünsche den Kolle- tungsfähigkeit und Expansionsfähigkeit ermöglichen.
ginnen und Kollegen, die an diesem Gesetz mitgearbei-
tet haben, wenn sie denn wieder einmal mit dem (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Gewinne
Flugzeug unterwegs sind – das sind viele unserer Kolle- privatisieren!)
gen –, dass sie davon profitieren, dass wir unsere Sicher- Gemeinsames Ziel sollte es sein, dass die deutsche
heit neu aufstellen. Flugsicherung auch im Wettbewerb gegenüber den eu-
(B) (Iris Gleicke [SPD]: Das wünschen wir allen! ropäischen Anbietern künftig eine Führungsrolle über- (D)
Auch den anderen!) nimmt. Damit stellen wir uns einer besonderen Heraus-
forderung; denn der Luftraum über Europa ist eine
Ich bin mir ganz sicher, dass die DFS mit diesem Ge- knappe Ressource. Verbesserungen, die durch die Flug-
setzentwurf in die Lage versetzt wird, im europäischen sicherung geschaffen wurden, werden ebenso schnell
Wettbewerb ganz vorne mitzuspielen. Das war Ziel die- wieder vom Verkehrswachstum aufgezehrt. Bis zum
ses Gesetzes. Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit und al- Jahre 2010 werden in Europa schätzungsweise rund
les Gute! 11 Millionen Flüge jährlich erwartet. Im Jahre 2020 sol-
len es sogar knapp 16 Millionen sein. Höchste Zeit also,
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dass sich die europäische und mit ihr auch die deutsche
bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Flugverkehrslandschaft neu definiert.
NISSES 90/DIE GRÜNEN)
Richtungweisende Schritte, wenn auch manchmal nur
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: halbherzig durch die Mitgliedstaaten mitgetragen, sind
bereits durch die Single-European-Sky-Verordnungen
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kol-
der Europäischen Kommission getan worden. Der euro-
legin Menzner.
päische Luftraum und die Flugsicherungseinrichtungen
werden künftig umstrukturiert. Die Fluglotsenausbil-
Dorothee Menzner (DIE LINKE): dung und die Flugsicherungstechnik werden harmoni-
Herr Staatssekretär Kasparick, Ihre Ausführungen siert. Deshalb ist der Handlungsbedarf für uns dieser
kann ich nur so verstehen: Für Sie ist es offenbar normal, Tage sehr hoch. Denn für die deutsche Flugsicherung
dass dann, wenn sich eine Fraktion kritisch zu einer Vor- müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die
lage in erster Lesung und in den Beratungen im Aus- sie im europäischen Markt erfolgreich bestehen lassen.
schuss äußert, die veränderte Version ganz kurzfristig
kommt, obwohl sie im Vorfeld bereits im Hause und in In diesem Zusammenhang ist die Kapitalprivatisie-
den einschlägigen Kreisen breit kursierte. Ich finde, das rung der DFS ein notwendiger und zielführender
offenbart zumindest ein etwas schwieriges Verständnis. Schritt. Schließlich dürfen wir den Blick nicht nur auf
Deutschland, sondern sollten ihn auch auf Europa rich-
(Beifall bei der LINKEN – Hans-Joachim ten. Die deutsche Flugsicherung wird in der Gemein-
Hacker [SPD]: Na, na, na! – Volker Beck schaft eine Vorreiterrolle übernehmen können. Denn ei-
[Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da- nerseits steht sie für höchste Qualität und andererseits
rauf muss man jetzt aber nicht antworten!) wird sie durch dieses Gesetz die modernsten Rahmenbe-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2791
Ingo Schmitt (Berlin)
(A) dingungen aufweisen können. Es lässt sich also sagen, Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich empfinde (C)
dass wir hierzulande ein Modell für Europa schaffen, als den Gedanken als äußert angenehm, dass man sich in ei-
Anreiz für andere Mitgliedstaaten, sich diesem anzu- nigen Jahren auch bei Flügen, die die deutsche Grenze
schließen. überschreiten, in sichersten Händen fühlen kann, näm-
lich in den Händen der deutschen Flugsicherung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann Herzlichen Dank.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
Der europäische Luftraum glich bisher einem Flicken- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
teppich; der Flugverkehr wurde von über 40 unterschied-
lichen Kontrollzentren geregelt. Dies führte zu unnötigen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
potenziellen Gefahren, zu einem Anstieg der Verspätun-
gen und zu einem erhöhten Treibstoffverbrauch. Die Herr Kollege Schmitt, ich habe gehört, dass dies Ihre
Fragmentierung des Luftraumes zieht nach Feststellung erste Rede in diesem Hohen Hause war. Ich gratuliere
der Europäischen Union das europäische Gesamtssystem Ihnen recht herzlich im Namen aller Kolleginnen und
derart in Mitleidenschaft, dass in einem einheitlichen eu- Kollegen und wünsche Ihnen persönlich und politisch al-
ropäischen Luftraum zukünftig zwingend funktionale les Gute.
Luftraumblöcke gebildet werden müssen. Diese orien- (Beifall)
tieren sich dann nicht mehr an Ländergrenzen, sondern
an Verkehrsströmen. Ich schließe die Aussprache.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bevor wir zur Abstimmung kommen, sage ich noch,
dass eine schriftliche Erklärung der Abgeordneten
Für diese gewaltigen Herausforderungen durch die Thomas Dörflinger, Siegfried Kauder und Andreas Jung
kommende Marktsituation muss die deutsche Flugsiche- nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt.1)
rung fit gemacht werden, in einem Teilbereich bereits bis
Ende des Jahres. Denn mit Einführung der so genannten Wir kommen dann zur Abstimmung über den von der
Platzkontrolle an den Regionalflughäfen kann dort künf- Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neu-
tig jedes EU-zertifizierte Flugsicherungsunternehmen in regelung der Flugsicherung auf Drucksache 16/240. Der
Deutschland tätig werden. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung emp-
fiehlt auf Drucksache 16/1161, den Gesetzentwurf in der
Die Kapitalprivatisierung ist zwar ein notwendiger, Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
ordnungspolitisch gebotener, jedoch längst nicht hinrei- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- (D)
(B) chender Schritt für den Erfolg. Das Management sowie
chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
die Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen müssen
neu ausgelegt werden können. Der Wille zum Mitspielen (Zurufe von der SPD: Oho! – Was ist denn in
auf europäischem und internationalem Parkett muss der der CDU/CSU los? – Was ist denn das? – Ein
Motor für unternehmerisches Denken und Handeln Fall für den Koalitionsausschuss!)
sein. Durch den bevorstehenden Prozess wird es der
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
deutschen Flugsicherung gelingen, unter Beibehaltung
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU
höchster Sicherheitsstandards noch effizienter zu ar-
– mit Ausnahme dreier Kollegen aus der CDU/CSU –
beiten und dadurch das deutsche Gesamtsystem sowie
und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion der Linken und
die hiesige Volkswirtschaft zu stärken.
drei Gegenstimmen von CDU/CSU angenommen.
Einen zusätzlichen positiven Aspekt darf man natür-
Dritte Beratung
lich nicht vergessen: Die Kapitalprivatisierung dient zu-
dem dazu, Finanzmittel in die Kasse des Bundes fließen und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
zu lassen. Ich sage an dieser Stelle allerdings auch: Es setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegen-
wäre schön, wenn wenigstens ein Teil dieser Gelder für probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
verkehrspolitische Vorhaben zur Verfügung gestellt dritter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
würde. Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der
Linken, dreier CDU/CSU-Abgeordneter und einer Ent-
In den letzten sechseinhalb Jahren habe ich mich im
haltung eines Abgeordneten der Grünen angenommen.
Europäischen Parlament um Verkehrs- und insbesondere
um Luftverkehrspolitik gekümmert. Aufgrund dieser Er- Wir stimmen jetzt ab über den Entschließungsantrag
fahrung darf ich Ihnen heute sagen: Ich bin davon über- der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und
zeugt, dass die deutsche Flugsicherung, wenn dieses des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1174.
Gesetz beschlossen wird und sie dadurch andere Rah- Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
menbedingungen erhält, eine Riesenchance hat, in dem stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
sich bildenden Single European Sky nicht nur zu beste- antrag ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/
hen, sondern zukünftig auch eine entscheidende Rolle Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP bei Gegenstim-
als Topplayer im europäischen Luftraum zu überneh- men der Fraktion der Linken angenommen.
men.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 1) Anlage 4
2792 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 c auf: Arbeitsrechts darf auch nach den EU-Richtlinien nie- (C)
mand aufgrund von Alter, Behinderung, Rasse, ethni-
Beratung des Antrags der Abgeordneten
scher Herkunft, Religion, sexueller Identität oder Ge-
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln),
schlecht diskriminiert werden. Für das Zivilrecht gibt
Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der
uns die Europäische Union vor, dass dieser Schutz nur
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
hinsichtlich Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht
Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminie- zu gewähren ist. Was die übrigen Kriterien betrifft, stellt
rungsgesetz sie ihren Mitgliedstaaten die Ausgestaltung des Diskri-
minierungsschutzes frei. Allerdings geht sie eigentlich
– Drucksache 16/957 – von einem horizontalen Ansatz aus.
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f) Der Streit im Deutschen Bundestag dreht sich im We-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sentlichen um die Frage: Wollen wir im Zivilrecht hin-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe sichtlich Religion, Alter, Behinderung und sexueller
Ausschuss für Tourismus
Identität den gleichen Diskriminierungsschutz gewäh-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ren, der auch bezüglich der Kriterien Rasse, ethnische
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Herkunft und Geschlecht gilt? Ich meine, ein Antidiskri-
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. minierungsgesetz, das diesen Schutz nicht gewährleistet,
ist kein Antidiskriminierungs- bzw. Gleichbehandlungs-
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege gesetz, sondern ein Diskriminierungs- und Ungleichbe-
Volker Beck. handlungsgesetz. Ein solches Gesetz darf dieses Haus
nicht verlassen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Europäische Union hat ihre Mitgliedstaaten in vier und bei der LINKEN)
Richtlinien zum Arbeitsrecht und zum Zivilrecht aufge- Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt.
fordert, ihre Bürgerinnen und Bürger vor Diskriminie-
rungen im Alltag zu schützen. Der freie Zugang zu Wa- Der Bundestag hat bereits im Juni 2005, damals noch
ren, Gütern und Dienstleistungen und die gleichen unter Rot-Grün, einen Gesetzentwurf verabschiedet, den
Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind von zunehmender wir im Januar dieses Jahres erneut eingebracht haben,
Bedeutung in einer Zeit, in der sich der Staat aus immer und zwar eins zu eins und ohne auch nur ein Jota zu än-
mehr Bereichen der Gesellschaft zurückzieht und auf die dern. Nun befindet er sich im Rechtsausschuss. Wir ha-
ben bereits mehrmals versucht, hier im Hause eine Ab-
(B) Eigenverantwortung und das Engagement seiner Bürge- (D)
rinnen und Bürger setzt. Deshalb ist es entscheidend, so- stimmung darüber herbeizuführen.
ziale Sicherheit für jeden zum gleichen Preis und zu den (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Ja, aber
gleichen Bedingungen zu ermöglichen. viel zu früh! Deswegen ist das gescheitert! –
Wenn wir von den Bürgerinnen und Bürgern eigen- Joachim Stünker [SPD]: Sie müssen hinzufü-
verantwortliche Vorsorge erwarten, dann kann es nicht gen, dass das im Bundesrat gescheitert ist!)
sein, dass ganze Gruppen vom Markt ausgeschlossen Sie wurde uns bislang verweigert. Gleichzeitig muss
werden aufgrund von Vorurteilen der Versicherungswirt- festgestellt werden, dass es zu diesem Thema keinen Ge-
schaft, die wir immer wieder erleben, zum Beispiel wenn setzentwurf der großen Koalition gibt.
es um Homosexuelle und Lebensversicherungen geht.
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Nun warten Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch einmal ab! Ihr habt doch Jahre gebraucht,
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) um euren Gesetzentwurf einzubringen! – Ge-
genruf der Abg. Silke Stokar von Neuforn
Wird die Homosexualität eines Versicherungsnehmers
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange
bekannt, wird ihm der Versicherungsschutz verweigert.
sollen wir denn noch warten?)
Ähnliches ist auch bei privaten Krankenversicherungen
zu beobachten. Das wird uns unter Umständen noch teuer zu stehen
kommen.
Viele Gruppen unserer Gesellschaft haben im zivilen
Rechtsverkehr Probleme, die Diskriminierungen und Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie uns in
Nachteile zur Folge haben. Ich finde es sehr wichtig, der heutigen Debatte sagt, wann es einen Gesetzentwurf
dass wir als Deutscher Bundestag sagen: Wenn wir einen geben wird und ob in dem Gesetzentwurf der gleiche
Schutz vor Diskriminierung schaffen, dann muss er für Diskriminierungsschutz für alle oder nur für einige
alle Bürgerinnen und Bürger in gleicher Weise gelten. Gruppen gelten wird. Der Unionsvize Wolfgang
Hier darf es keine Ausnahmen geben. Bosbach hat in der Presse verkündet – die SPD hat es be-
stritten –, man wolle nach dem Motto „Um vier Kriterien
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
geht es“ zwei rein- und zwei rausnehmen.
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
LINKEN) (Zurufe von der SPD: Was?)
In Art. 13 des Amsterdamer Vertrages sind sämtliche Sie gestehen zu, Behinderung und Alter hineinzuneh-
Diskriminierungsgründe aufgeführt. Im Bereich des men. Für die Berücksichtigung der Behinderten ist auch
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2793
Volker Beck (Köln)
(A) die Caritas; also kompatibel mit Ihrer Klientel. Alt sieht hat der Kollege Montag mit schneidiger Stimme seine (C)
die CDU/CSU sowieso manchmal aus. Rede mit den Worten begonnen: Forderungssicherungs-
gesetz zum Ersten, Forderungssicherungsgesetz zum
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Geht es
Zweiten, Forderungssicherungsgesetz zum Dritten. Herr
noch billiger?)
Kollege Montag, ich will es mit gleicher kleiner Münze
Aber damit die Vorurteilsstrukturen auch stimmen, müs- heimzahlen: Antrag zum Antidiskriminierungsgesetz
sen die Homosexuellen ausgeschlossen werden. Das Kri- zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. Wer hat noch
terium Religion muss wegen der Muslime erst recht aus- nicht, wer will noch einmal? Herr Kollege Montag, die
geschlossen werden, trifft jedoch die Juden gleich mit. Tage Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag sind
nicht Ihre Tage. Sie entpuppen sich mehr und mehr als
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass dieses eine politische Eintagsfliege.
Haus auf der Grundlage der Geschichte dieses Landes
im vergangenen Jahrhundert ein Antidiskriminierungs- (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
gesetz verabschiedet, in dem die Juden nicht in gleicher Oh!)
Weise wie andere Gruppen vor Diskriminierung auf- Der Deutsche Bundestag ist verpflichtet, vier europäi-
grund ihrer Religionszugehörigkeit geschützt sind. sche Gleichstellungsrichtlinien in nationales Recht um-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zusetzen. Die beiden ersten Richtlinien stammen bereits
sowie bei Abgeordneten der SPD und der aus dem Jahr 2000. Die Richtlinie 2000/43/EG stammt
LINKEN – Joachim Stünker [SPD]: Das ma- vom 29. Juni 2000 und die Richtlinie 2000/78/EG vom
chen wir auch nicht! – Markus Grübel [CDU/ 27. November 2000. Nun habe ich mir zwei Jahre nach
CSU]: Wir schreiben das Jahr 2006!) dem Erlass der Richtlinien erlaubt – wie immer ganz
höflich –, bei der rot-grünen Bundesregierung nachzu-
– Aber das Antisemitismusproblem gibt es in diesem fragen, wie und wann sie denn gedenke, diese Richt-
Land leider auch noch im Jahr 2006. linien umzusetzen. Ich habe das nicht getan, weil mich
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Umsetzung umgetrieben hat. Dennoch habe ich mir
bei der SPD und der LINKEN) diese Anfrage erlaubt.
Ich möchte jüdische Bürgerinnen und Bürger nicht Am 6. Dezember 2000 – bezeichnenderweise war das
rechtlich schutzlos lassen, während ich anderen Bürgern der Nikolaustag – erhielt ich die Antwort: Die Bundesre-
zu Recht Schutz vor Diskriminierung gewähre. gierung überprüft die Umsetzung. Das können Sie in der
Bundestagsdrucksache 15/176 auf Seite 4 nachlesen.
Seit Juli 2003 müssen wir einen Teil der Richtlinien Nun hat die Bundesregierung geprüft und geprüft und
(B) umsetzen. Wir haben das bis heute nicht getan. Es gibt geprüft. Sie hat sich damals Zeit gelassen – viel Zeit, (D)
keinen Grund, länger säumig zu sein. Ich erwarte, dass ganz viel Zeit, Herr Beck.
diese Koalition endlich handelt.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
Ich verstehe auch nicht, warum über unseren Antrag GRÜNE]: Wir haben es zu einem Ergebnis ge-
heute nicht sofort abgestimmt werden kann. Es geht le- bracht!)
diglich darum, die Regierung aufzufordern, endlich et-
was vorzulegen und in den Diskriminierungsschutz alle Sie haben am 16. Dezember 2004 – es ist geradezu re-
Kriterien einzubeziehen. Darüber kann man heute ent- kordverdächtig –, am 1 631. Tag nach der Geburtsstunde
scheiden, das muss nicht noch einmal in den Ausschuss der ersten Richtlinie, den Gesetzentwurf vorgelegt.
überwiesen werden. 1 631 Tage!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE
und bei der LINKEN) GRÜNEN]: Sind Sie Mathematiklehrer?)

Da liegt schon seit Januar ein Gesetzentwurf. Es gibt Und dann


keinen Grund zum Zögern. Handeln Sie endlich! Diese (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Koalition ist nur im Abwarten und Nichtstun groß. NEN]: Dann kam der Weihnachtsmann!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben Sie, als hätten Sie nichts Eiligeres zu tun gehabt,
und bei der LINKEN – Markus Grübel [CDU/ als hätte die Republik nie ohne ein solches Gesetz leben
CSU]: Wir werden schneller sein als Rot- können, bereits am 27. Tag der neuen Bundesregierung
Grün!) Ihren Gesetzentwurf eingebracht. Sie haben also selbst
1 631 Tage gewartet, dann aber unverzüglich Ihren Ge-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: setzentwurf eingebracht. Dabei ist dieses Katastrophen-
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb, CDU/ gesetz wegen der Diskontinuität eigentlich hinfällig.
CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
(Beifall bei der CDU/CSU) Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie scheinen keine Argumente in der
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU):
Sache zu haben!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Jetzt mahnen Sie Woche für Woche mit einem Antrag
gestrigen Debatte über das Forderungssicherungsgesetz im Plenum. Nun kann ich das gut verstehen; als
2794 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Dr. Jürgen Gehb


(A) Opposition, wenn einem das Sonnenlicht nicht mehr so Mechthild Dyckmans (FDP): (C)
auf das Haupt scheint, würden wir das vielleicht auch so Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einlei-
machen. tend möchte ich sagen, dass die FDP-Fraktion teilweise
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sogar Verständnis für den heutigen Antrag der Grünen
NEN]: Aha, jetzt kommt es raus!) aufbringen kann. Es muss schon frustrierend sein, wenn
die große Koalition die Behandlung des von der Fraktion
– Herr Montag, es ist doch nicht Ihr Tag heute. der Grünen eingebrachten Gesetzentwurfes im Rechts-
ausschuss nun schon zum zweiten Mal verschoben hat
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
und damit eine Abstimmung im Plenum verhindert.
und der FDP)
Aber ob Sie mit dem Ergebnis einer Abstimmung zufrie-
Ich habe ja noch Verständnis dafür, dass Sie versu- den gewesen wären, ist eine andere Frage.
chen, uns zu hetzen. Wofür ich aber kein Verständnis
Zu Recht, meine Damen und Herren von den Grünen,
mehr habe, ist, dass wir jetzt auch noch pausenlos über
die Sache diskutieren sollen. Wir haben vor wenigen Ta- fordern Sie, dass die Bundesregierung endlich einen Ge-
setzentwurf zur Umsetzung der europäischen Antidiskri-
gen in der Sache über dieses Gesetz debattiert und ich
minierungsrichtlinien vorlegt. Die Umsetzungsfristen
habe überhaupt keine Lust – und nicht nur ich nicht,
meine gesamte Fraktion –, mich Woche für Woche von – Sie haben noch einmal darauf hingewiesen – sind zum
Teil verstrichen.
Ihnen treiben zu lassen.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Sie fühlen sich also getrieben! GRÜNEN]: Wir sind schon einmal verurteilt
Das ist auch gut so; das war der Sinn der Sa- worden!)
che! Wir versprechen: Wir werden sie weiter – Ja, ein Vertragsverletzungsverfahren ist bereits eröffnet
treiben!) und es drohen empfindliche Strafen.
Wir werden nämlich alsbald selbst einen Gesetzentwurf Von der Koalition ist im Rechtsausschuss angekün-
einbringen. Vor zwei Tagen hat der Parlamentarische digt worden, dass noch vor der Sommerpause ein
Staatssekretär Hartenbach – ich kann ihm nur zustim- Gesetzentwurf eingebracht werde. Wir dürfen gespannt
men – vorgetragen, dass die Bundesregierung wegen der sein, ob und wie die Koalition nun zu einer gemeinsa-
besonderen, jetzt immer drängender werdenden Eilbe- men Linie findet. Das Hü und Hott innerhalb der Koali-
dürftigkeit kurzfristig den Entwurf für ein solches Ge- tion ist schon bemerkenswert. Ich darf in diesem Zusam-
setz einbringen wird. menhang an die Rede des Kollegen Dr. Gehb im Plenum
(B) am 20. Januar 2006 erinnern, in der er folgende Auffas- (D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sung vertrat – ich zitiere –:
Herr Kollege Gehb, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Seifert? Der vorliegende Gesetzentwurf, aber auch die ihm
zugrunde liegenden europäischen Richtlinien …
stellen den Kern unserer historisch gewachsenen
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Rechts- und Werteordnung auf den Kopf. Sie setzen
Anders als sonst muss ich sagen: Ich gehe schon ein sich über alle kontinentaleuropäischen und verfas-
bisschen auf die 60 zu. Jede Sekunde ist wertvoll; da sungsrechtlichen Grundsätze hinweg.
möchte ich keine Zeit vergeuden.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN]: So ist der Herr Dr. Gehb!)
CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Wieland
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Also, Herr Dr. Gehb, vor drei Monaten wollten Sie diese
den Tusch bei Ihrem letzten Auftritt hier nicht Richtlinien offensichtlich überhaupt nicht umsetzen.
vergessen!)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Herr Hartenbach hat also gesagt: Wir werden den Ent- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb
wurf alsbald einbringen. Dem ist nichts hinzuzufügen. [CDU/CSU]: Was? – Volker Beck [Köln]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erwischt!)
Anders als viele Kollegen, die eher gemahnt werden,
ihre Redezeit nicht zu überziehen, ende ich an dieser Am 17. März 2006 haben die Bundesministerin
Stelle. Mehr ist Ihr Antrag nämlich nicht wert. Zypries und Herr Dr. Gehb bei einer öffentlichen
Podiumsdiskussion der Industrie- und Handelskammer
Herzlichen Dank.
in Frankfurt hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinien
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den Eindruck vermittelt, man sei gar nicht mehr so weit
neten der SPD) voneinander entfernt. Näheres war damals auch nicht zu
erfahren. Offensichtlich liegt der Teufel im Detail; sonst
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: hätten wir ja schon einen Gesetzentwurf und müssten
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Dyckmans, nicht die hohen Strafen der Kommission fürchten. Sollte
es tatsächlich daran liegen, dass man sich hauptsächlich
FDP-Fraktion.
darüber streitet, wo die – unseres Erachtens völlig unnö-
(Beifall bei der FDP) tige – neue Behörde, die sich um die Bürgerbeschwerden
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2795
Mechthild Dyckmans
(A) kümmern soll, angesiedelt werden soll: bei einem SPD- Lassen Sie uns also gemeinsam gegen jede Art von (C)
Ministerium oder bei einem CDU/CSU-Ministerium? Diskriminierung vorgehen.
(Beifall bei der FDP – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])
CSU]: Beim Technischen Hilfswerk!)
Wichtig ist, dass wir jetzt zügig zu einem sorgfältig aus-
Darf ich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ gearbeiteten Gesetzentwurf gelangen.
CSU daran erinnern, dass auch sie diese zusätzliche Be-
hörde und die damit verbundene Bürokratie bisher im- Danke schön.
mer abgelehnt haben?
(Beifall bei der FDP)
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Ja, und jetzt streiten Sie sich, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
wer sie bekommt!)
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer, SPD-
Als Regierungspartei ist aber offensichtlich alles anders. Fraktion.
Das Sein verändert das Bewusstsein.
(Beifall bei der SPD)
Die FDP-Fraktion wird jeden Gesetzentwurf kritisch
daraufhin überprüfen, ob zusätzliche Bürokratie und zu-
Christoph Strässer (SPD):
sätzliche Belastungen geschaffen werden, die sich wett-
bewerbsschädigend auf die deutsche Wirtschaft auswir- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
ken. Herren! Zu Beginn erzähle ich Ihnen eine in Deutsch-
land spielende Geschichte, die man vielleicht woanders
Nach dem, was von den Planungen der Koalition nun- vermutet hätte: Ein netter Fußballabend war geplant. Er
mehr auch nach außen gedrungen ist, soll offensichtlich sollte besonders nett sein, weil Werder Bremen in der
zumindest der Titel des Gesetzes mittlerweile feststehen. Champions League spielte. Ein Staatsbürger Kameruns,
Man spricht jetzt nicht mehr von einem Antidiskriminie- der in unserem Land lebt und der deutschen Sprache gut
rungsgesetz, vielmehr geht es jetzt um ein Gleichbe- mächtig ist – vielleicht ist er auch in der Beantwortung
handlungsgesetz. Uns und auch die Öffentlichkeit inte- eines bestimmten Fragebogens fit –, wollte ein Bier trin-
ressiert aber der Inhalt des Gesetzes viel mehr. ken und sich das Spiel in einer Kneipe anschauen. Es
kam ganz anders. Eine Kellnerin verwies ihn der Kneipe.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Dies geschah ausgerechnet in Kreuzberg. Angeblich war
NEN]: Ja, das stimmt! Das teilen wir!)
dort eine geschlossene Gesellschaft. Andere Gäste er-
(B) Hier sollte endlich zügig Klarheit für unsere Gesellschaft klärten, es würden dort grundsätzlich keine Ausländer (D)
geschaffen werden. bedient.
(Beifall bei der FDP) Dann sollte ihm ein Bier ausgegeben werden. Doch
auch das scheiterte. Der ausländische Mitbürger musste
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Aspekt
gehen und tat meiner Meinung nach das Richtige, weil er
eingehen, der auch der Europäischen Kommission sehr
sich diese Demütigung nicht gefallen lassen wollte: Er
wichtig ist. In dem von der Kommission vorgelegten
ging zur Polizei; denn zivilrechtlich gibt es immer noch
Grünbuch „Gleichstellung sowie Bekämpfung von Dis-
keine Handhabe gegen ein solches Verhalten. Es gibt
kriminierung in einer erweiterten Europäischen Union“
weder einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zutritt
vom 28. Mai 2004 führt diese aus – ich zitiere Seite 19
noch einen Anspruch auf Schadensersatz – jedenfalls
des Grünbuchs –:
keinen unmittelbaren. So erging gegen die Kellnerin
Es ist auch wichtig, darauf zu verweisen, dass Strafbefehl wegen Beleidigung aus rassistischen Moti-
Rechtsvorschriften nicht das einzige auf europäi- ven.
scher, nationaler oder regionaler Ebene zur Verfü-
gung stehende Instrument sind. Der ehemalige Justizsenator von Hamburg polterte in
der letzten Debatte zu diesem Thema im Deutschen Bun-
Auch die FDP-Bundestagsfraktion hat immer wieder destag im Januar noch,
darauf hingewiesen, dass sich der Abbau von Diskrimi-
nierungen nicht nur per Gesetz verordnen lässt. Dies ist (Sebastian Edathy [SPD]: Gut, dass der nicht
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle mehr im Amt ist!)
in ganz unterschiedlicher Weise stellen müssen und stel- er habe nicht ein einziges Mal in Deutschland die Situa-
len werden. Ich erinnere nur an die vielen ehrenamtli- tion erlebt, dass jemand wegen seiner Hautfarbe aus ei-
chen Engagements zum Abbau von Diskriminierung und nem Restaurant geworfen worden sei. Meine Damen und
Benachteiligung sowie an Aktionen, wie Sie uns Abge- Herren, ich fand damals und ich finde auch heute noch,
ordneten zum Beispiel vom Verein „Gesicht zeigen! Ak- dass das ein skandalöser Beitrag war, der nichts mit dem
tion weltoffenes Deutschland e. V.“ gerade in der letzten zu tun hat, was in diesem Lande passiert.
Woche bei einer Veranstaltung eindrucksvoll vorgestellt
wurden. Aber auch im Bereich des Zivilrechts und des (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Arbeitsrechts gibt es auf freiwilliger Basis viele gute BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang
Beispiele und Ansätze, um Diskriminierungen vorzu- Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den
beugen. hat die CDU nun entsorgt!)
2796 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Christoph Strässer
(A) Diese Geschichte stand im „Tagesspiegel“ vom Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE (C)
25. März dieses Jahres. Man musste nicht lange danach GRÜNEN])
suchen. Ein solcher Fall ist in Deutschland nicht die Re-
– Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben uns in dieser
gel, aber er ist leider auch kein Einzelfall. Auch in der
Debatte bereits im Januar Aussitzen vorgeworfen. Das,
Privatwirtschaft – das ist einer der Kernpunkte des von
was Sie Aussitzen nennen, hat bislang einen Zeitraum
uns zu verabschiedenden Gesetzes – müssen solche For-
von sechs Monaten in Anspruch genommen. Die ge-
men von Diskriminierung in Zukunft untersagt und zivil-
meinsame Umsetzung in der Zeit der rot-grünen Bundes-
rechtlich sanktioniert werden. Das wird jedenfalls nach
regierung hat fast fünf Jahre gedauert. Das ist – das sage
unserer Auffassung ein wichtiger Bestandteil des neuen
ich ganz klar – ein Teil des Problems. Ergänzend füge
Gesetzes sein, über das wir hier demnächst diskutieren
ich in der Retrospektive hinzu: Das war leider auch bei
werden.
anderen rechtspolitischen Projekten der Fall.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])
Nach den Vorgaben der Europäischen Union ist ein Mein persönlicher Favorit ist die Umsetzung der EU-
umfassender Diskriminierungsschutz im Zivilrecht jen- Biopatentrichtlinie. Ich nenne sie hier nur am Rande,
seits des arbeitsrechtlichen Bereichs nur wegen der weil sie mich noch bis in den Schlaf verfolgt.
Merkmale Rasse und ethnische Herkunft gefordert. Nie-
mand aber hindert den nationalen Gesetzgeber daran, (Beifall bei der SPD)
mehr als das zu regeln, was in der Richtlinie vorgegeben
Auch das Antidiskriminierungsgesetz aus unserer
ist. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die
Zeit ist nicht vom Himmel gefallen. Dabei kann ich mich
SPD-Fraktion die Regelungen des Antidiskriminie-
sehr langwieriger Verhandlungen entsinnen. Es stimmt,
rungsgesetzes aus der 15. Legislaturperiode nach wie
das Ergebnis dieser Verhandlungen war gut. Aber ich
vor für gut und richtig hält.
darf auch darauf hinweisen – das tut dem einen oder an-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deren weh –: Die Konstellationen haben sich geändert.
DIE GRÜNEN) Bei allem Verständnis für den Antrag, den Sie einbrin-
gen, und für das Verfahren, das Sie gewählt haben: Für
Dieses Gesetz ist aus den bekannten Gründen der Dis- mich macht es überhaupt keinen Sinn, bei den gegebe-
kontinuität anheim gefallen. Aber für uns ist wichtig, nen Mehrheitsverhältnissen denselben Gesetzentwurf
weitere Gruppen mit in den Schutz vor Diskriminierung wie in der letzten Legislaturperiode mit absehbarem, ich
aufzunehmen. Wir bleiben dabei: Bei den Regelungen, glaube sogar: sicherem Ergebnis erneut einzubringen
über die wir noch zu diskutieren haben werden, sollten und zur Abstimmung zu stellen. Das wird nach meiner
(B) die Merkmale Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Auffassung nur noch mehr Zeitverlust verursachen, das (D)
Identität Bestandteil des Gesetzes werden. Erreichen gemeinsamer Ziele noch unwahrscheinlicher
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ machen und den betroffenen Menschen jedenfalls nicht
DIE GRÜNEN) helfen.

Noch immer können behinderte Menschen zum Beispiel (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])
im Restaurant oder im Hotel wegen einer befürchteten Es ist klar: Dabei wird es Kompromisse geben müs-
Störung der anderen Gäste abgewiesen werden. Das gilt sen. Auch wir werden Kompromisse eingehen müssen,
auch bei anderen Massengeschäften des täglichen Le- die uns wehtun. Aber nichts zu tun – das wäre in letzter
bens. Dagegen gibt es keinen Rechtsschutz. Diesen Zu- Konsequenz die Einbringung und Verhandlung des alten
stand sollten wir beseitigen. Gesetzentwurfes –, führt uns überhaupt nicht weiter. Ich
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ glaube, das würde das Vertrauen in die Handlungsfähig-
DIE GRÜNEN) keit von Politik weiter erschüttern. Wir jedenfalls ste-
cken unsere Kraft in ein Projekt, das am Ende sachlich
Wir gehen in die abschließenden Verhandlungen über vernünftig und mehrheitsfähig sein wird. Wir hoffen,
dieses Gesetz mit dem Ziel, diese Merkmale in die Ver- dass dieser Gesetzentwurf schnell auf den Tisch kommt.
einbarungen der großen Koalition aufzunehmen; denn Wir begeben uns in der neuen Situation anders als Sie in
wir wollen und werden mit diesem Gesetz ein deutliches die Mühen der Ebene, um in dem neuen Gesetz so viel
Zeichen setzen und Benachteiligten den Rücken stärken. wie möglich von unseren sozialdemokratischen Über-
zeugungen wiederzufinden.
Es bleiben – das ist schon besprochen worden – noch
offene Fragen, die in der Koalition zu klären sind. Ich Mit diesem Gesetz wollen wir den benachteiligten
gehe davon aus, dass die hier gemachten Ankündigun- Gruppen in dieser Gesellschaft den Rücken stärken. Wir
gen zutreffen und wir noch vor der Sommerpause über wollen dabei natürlich auch die bürokratischen Belastun-
einen konkreten Gesetzentwurf werden reden können. gen so gering wie möglich halten. Deshalb halte ich es
Die Umsetzung ist eilbedürftig, da die ersten Umset- für vertretbar, wenn abweichend von unserem früheren
zungsfristen bereits abgelaufen sind. Das wissen wir Gesetzentwurf in diesem neuen Gesetz zum Beispiel die
sehr genau. Mit Verlaub: Dazu hätten wir Ihren Antrag Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen von sechs
nicht gebraucht. auf drei Monate verkürzt wird.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Grotesk sind die Vorhaltungen, dass man mit diesem
Grübel [CDU/CSU] – Zuruf der Abg. neuen Gesetz Bürokratie aufbaut und die Wirtschaft
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2797
Christoph Strässer
(A) belastet. Ich sage es noch einmal: Schon die Sachver- Die Grünen. Ein Antidiskriminierungsgesetz, das gleich- (C)
ständigenanhörung in der letzten Legislaturperiode hat zeitig benachteiligte Gruppen ausgrenzt, verdient seinen
eindeutig bestätigt, dass es nach den von der alten Koali- Namen nämlich nicht.
tion vorgenommenen Änderungen weder zu einer Klage-
flut – ich darf an die Erfahrungen mit § 611 a BGB erin- (Beifall bei der LINKEN)
nern, der vor mehr als zehn Jahren in Kraft getreten ist Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Hierarchie von
und weniger als 200 Verfahren nach sich gezogen hat – Diskriminierungen gesetzlich festgeschrieben wird. Wa-
noch zu einer übermäßigen Belastung der Wirtschaft rum soll ein Schwarzer, der bei der Vergabe einer Woh-
– was auch immer darunter zu verstehen ist – gekommen nung diskriminiert wird, gegen den Vermieter klagen
ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die können, eine Muslimin, die, weil sie ein Kopftuch trägt,
Erfahrungen in anderen europäischen Ländern wie Ir- diese Wohnung ebenfalls nicht bekommt, dagegen nicht?
land, Belgien, Frankreich und die Niederlande.
Aus sachlichen Gründen ist der Einschluss aller ge-
Ich denke, dass wir mit dem so genannten Allgemei- nannten Merkmale nach Art. 13 EG-Vertrag in den Dis-
nen Gleichstellungsgesetz der Kultur dieses Landes ei- kriminierungsschutz zwingend erforderlich. Schwule
nen Gefallen tun und die Diskussion insgesamt nach Männer erhalten oft – wie auch mein Kollege Beck kurz
vorne bringen. Eine Kultur der Antidiskriminierung ent- deutlich gemacht hat – pauschal und ohne Begründung
steht bekanntlich nicht allein durch ein Gesetz. Auch der keine Lebens- und Krankenversicherung. Älteren Men-
vorzulegende Gesetzentwurf kann nur einen Rahmen schen wird der Dispo ihres Girokontos mit dem Hinweis
bieten; er ist eine Aufforderung an alle gesellschaftli- auf ihr Lebensalter gekündigt.
chen Akteure – die Politik wie die Zivilgesellschaft, die
Wirtschaft wie die Gewerkschaften und alle anderen Be- Dagegen sind die vermeintlich berechtigten inhaltli-
reiche –, daran mitzuwirken, dass die Diskriminierung chen Einwände, die gegen einen breiten Diskriminie-
gesellschaftlicher Gruppen kein Kavaliersdelikt ist, son- rungsschutz angeführt werden, nicht haltbar, Herr Gehb.
dern von der Gesellschaft geächtet wird.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
(Beifall bei der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb
Erst dann werden sich Vorfälle wie der in der Kreuz- [CDU/CSU]: Was?)
berger Kneipe nicht wiederholen. Das streben wir mit Natürlich ist es nicht die Aufgabe des Staates, per Gesetz
dem vorzulegenden Gesetzentwurf an. Wir wollen einen die Einstellungen der Menschen zu verändern. Aber hier
Schritt in Richtung einer solidarischen Gesellschaft ge- handelt es sich um die Regelung und Bewertung äußer-
hen. Der Charakter einer Gesellschaft zeigt sich im Um- lich sichtbaren Verhaltens. Der Staat ist im Rahmen
(B) gang mit ihren Minderheiten. Deshalb machen wir die- seiner Schutzpflicht nach Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (D)
ses Gesetz. verpflichtet, benachteiligte Gruppen auch vor Diskrimi-
Ich bin sehr gespannt auf die Debatte und lade beson- nierung durch Privatpersonen zu schützen. Dabei ist das
ders unseren früheren Koalitionspartner ein, sich einem Recht zwar nicht das einzige Mittel, aber – das wird
guten Gesetz nicht aus vielleicht verständlichen, aber auch oft bei anderen Themenkomplexen angeführt – ein
sachfremden Gründen zu widersetzen. Das erwarte ich. unverzichtbares.
Herzlichen Dank. (Unruhe bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD) – Können Sie bitte etwas ruhiger sein und sich nach
draußen begeben, wenn Sie Ihre Gespräche fortführen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wollen?
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dagdelen, Fraktion (Beifall bei der LINKEN – Irmingard Schewe-
Die Linke. Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die
(Beifall bei der LINKEN) sind immer so laut!)
Für ebenfalls nicht überzeugend halte ich die viel-
Sevim Dagdelen (DIE LINKE): stimmige Klage über angeblich übertriebene Schutzvor-
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! stellungen, die die Privatautonomie und die allgemeine
Was die große Koalition derzeit zu einem Antidiskrimi- Handlungsfreiheit einschränken. Freiheit bedeutet eben
nierungsgesetz zusammenbastelt, lässt meines Erachtens nicht die Freiheit, andere zu diskriminieren. Diskrimi-
nichts Gutes erwarten. Es ist durchgesickert, dass Men- nierungsverbote werden Optionen gesellschaftlicher
schen mit Behinderungen eventuell doch in den Diskri- Teilhabe erweitern. Ein umfassendes Benachteilungsver-
minierungsschutz im Zivilrecht aufgenommen werden. bot zielt nämlich gerade darauf, die Vertragsfreiheit auch
Auf der Strecke bleiben dagegen Schwule und Lesben, für diejenigen zu gewährleisten, die bisher durch Diskri-
Alte und Angehörige religiöser Minderheiten, die beim minierung von ihr ausgeschlossen blieben.
Zugang zu öffentlich verfügbaren Gütern und Dienstleis-
tungen auch weiterhin nicht vor Diskriminierung ge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
schützt werden sollen.
Die heftigen Reaktionen aus Teilen der Wirtschaft lassen
Deswegen begrüßt die Bundestagsfraktion Die Linke eher darauf schließen, dass in diesem Bereich in erhebli-
ausdrücklich den vorliegenden Antrag des Bündnisses 90/ chem Umfang Diskriminierungen stattfinden.
2798 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Sevim Dagdelen
(A) Der breite Diskriminierungsschutz des ehemals rot- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: (C)
grünen Gesetzentwurfs ist also zwingend beizubehalten.
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, for-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
dere ich auf, bei Ihrem früheren politischen Vorhaben et-
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von
was mehr Standhaftigkeit zu zeigen.
Vorschriften des Sozialen Entschädigungs-
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- rechts und des Gesetzes über einen Ausgleich
NIS 90/DIE GRÜNEN) von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet
Kritisch anmerken muss ich an dieser Stelle aber, dass – Drucksache 16/444 –
der Begriff der Rasse in einem Antidiskriminierungsge-
setz nichts zu suchen hat. Dieser Begriff ist Teil des Ras- – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
sismus, weil er suggeriert, es gäbe unterschiedliche gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Menschenrassen. Wir plädieren in unserem Antrag da- zur Änderung von Vorschriften des Sozialen
für, diesen Begriff durch die Diskriminierungsmerkmale Entschädigungsrechts und des Gesetzes über
Nationalität, Hautfarbe, Sprache und Staatsangehörig- einen Ausgleich von Dienstbeschädigungen im
keit zu ersetzen. Beitrittsgebiet

(Beifall bei der LINKEN) – Drucksache 16/754 –

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses
Union, in Baden-Württemberg stellt die CDU mit dem für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
Gesinnungstest alle Muslime unter den Generalver- – Drucksache 16/1162 –
dacht, eine homophobe Gesinnung zu haben.
Berichterstattung:
(Widerspruch bei der CDU/CSU) Abgeordnete Maria Michalk
Ihre Weigerung, diese Gruppe aufzunehmen, offenbart, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
dass Sie eigentlich diejenigen sind, die ein gestörtes Ver- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
hältnis zu Schwulen und Lesben haben. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
(Beifall bei der LINKEN) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
Aber Gleichbehandlung ist unseres Erachtens nicht teil- mentarische Staatssekretär Franz Thönnes.
bar.
Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
(B) Die Bundestagsfraktion Die Linke wird beim Antidis- (D)
minister für Arbeit und Soziales:
kriminierungsgesetz keine faulen Kompromisse akzep- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
tieren. Wesentlicher Bestandteil der gesetzlichen Regelungen,
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- über die wir beraten, ist die Umsetzung von Entschei-
NEN]: Das hätte uns auch gewundert!) dungen oberster Bundesgerichte. Erstens geht es um die
Grundsatzentscheidungen des 9a. Senats des Bundes-
Lassen wir es nicht zu, und zwar gemeinsam, Herr sozialgerichtes und des Bundesverfassungsgerichtes
Wieland, dass mit einer Eins-zu-eins-Umsetzung der zum sozialen Entschädigungsrecht. Das betrifft eine Än-
EU-Richtlinien einem umfassend ausgestalteten Diskri- derung des Bundesversorgungsgesetzes. Hier ist vor-
minierungsschutz die rote Karte gezeigt wird. gesehen, dass neben der Beschädigtengrundrente und
Vielen Dank. der Schwerstbeschädigtenzulage für Kriegsbeschädigte
und SED-Opfer in den neuen Bundesländern die Alters-
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ zulage nach dem Bundesversorgungsgesetz mit Wirkung
DIE GRÜNEN) zum 1. Januar 1999 zu gewähren ist. Das werden wir mit
den neuen Regelungen umsetzen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Zum Zweiten geht es um das Opferentschädigungs-
Ich schließe die Aussprache.
recht. Hierzu gibt es einen Beschluss des Ersten Senats
Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion des Bünd- des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 2004.
nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/957 mit dem Eigentlich wären wir gehalten gewesen, das bis zum
Titel „Keine Ausgrenzung beim Antidiskriminierungs- 31. März dieses Jahres umzusetzen. Ich glaube aber, dass
gesetz“. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen die geringe zeitliche Verzögerung zeigt, dass wir uns
wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der sehr intensiv bemüht haben. Das Bundesverfassungsge-
CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung an die richt hat entschieden, dass es mit dem Grundgesetz un-
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Die Ab- vereinbar ist, wenn ein Partner einer nicht ehelichen Le-
stimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung bensgemeinschaft aus dem Opferentschädigungsgesetz
geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer keine Versorgungsleistung erhält, wenn er nach dem ge-
stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt waltsamen Tod des anderen Lebenspartners unter Ver-
dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist die Überweisung zicht der Erwerbstätigkeit die Betreuung des gemeinsa-
so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den An- men Kindes bzw. der gemeinsamen Kinder übernimmt
trag auf Drucksache 16/957 nicht ab. bzw. ausübt. Es wird zugrunde gelegt, dass zumindest in
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2799
Parl. Staatssekretär Franz Thönnes
(A) den ersten drei Lebensjahren eines Kindes, also in dem Sie können Meldungen an die Krankenkassen bezüglich (C)
Zeitraum, in dem der nicht eheliche Partner Kinderbe- der Einziehung der Sozialversicherungsbeiträge auch
treuungsunterhaltsansprüche hätte geltend machen kön- schriftlich abgeben. Wir schaffen also Erleichterungen
nen, der unverheiratete Elternteil beim Tod des Partners für den Mittelstand.
genauso auf staatliche Unterstützung angewiesen wäre
Summa summarum geht es um die Umsetzung von
wie der verheiratete. Wir werden dies nun umsetzen, da-
Entscheidungen höchster Gerichte, um Klarstellungen
mit Leistungen gewährt werden können. Ähnliche Kon-
im Recht und darum, für den Mittelstand Erleichterun-
stellationen gibt es im Soldatenversorgungsgesetz, im
gen bei der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zu
Zivildienstgesetz und im Infektionsschutzgesetz. Ich
schaffen. Ich glaube, dass das gute gesetzliche Vorhaben
glaube, wenn wir jetzt diese Ergänzung vornehmen, ge-
sind. Ich bitte Sie, wie die breite Mehrheit der Aus-
ben wir den Betroffenen neue Sicherheit.
schussmitglieder, für den Gesetzentwurf zu stimmen.
Ein weiterer zentraler Punkt betrifft den Ausgleich Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet. Hierzu
hat das Bundesverfassungsgericht am 21. November (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
2001 eine Entscheidung getroffen. Dabei geht es um und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Regelungen zu Dienstbeschädigtenteilrenten aus den
Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR. Ent- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
schieden worden ist, dass die Vorschriften des An- Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde, FDP-Fraktion.
spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes über
den Wegfall dieser Renten beim Zusammentreffen mit Jörg Rohde (FDP):
anderen Leistungen für die Angehörigen der vier ehema-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
ligen Sonderversorgungssysteme – damit auch für die
Kollegen! Für die Fraktion der FDP begrüße ich es, dass
Angehörigen des ehemaligen Ministeriums für Staats-
der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
sicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit der
von Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts und
DDR – mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind.
des Gesetzes über einen Ausgleich von Dienstbeschädi-
Dies korrigieren wir jetzt. Wir sind aber den Beratun- gungen im Beitrittsgebiet nun sowohl von beiden Koali-
gen im Bundestag und den Begehren, die hier unter an- tionsfraktionen als auch vom Bündnis 90/Die Grünen
derem in den Reden von Frau Michalk, von Herrn und von der FDP getragen wird. Die uns als Bundestag
Haustein, von Frau Schmidt und in der Ausschussanhö- durch einige verfassungsgerichtliche Entscheidungen
rung geäußert worden sind, gefolgt und verankern mit und auch durch ein Urteil des Bundessozialgerichts auf-
(B) dieser Korrektur einen gesetzlichen Verwirkungstatbe- gegebenen Gesetzesänderungen werden somit von einer (D)
stand. Dieser Verwirkungstatbestand regelt Folgendes: breiten Mehrheit hier im Plenum getragen.
Wenn Leistungsberechtigte im Dienst gegen Grundsätze Insgesamt handelt es sich um eine bunte Mischung
der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit versto- verschiedener Regelungskomplexe. Die Sachverständi-
ßen haben, werden ihnen diese Leistungen nicht ge- genanhörung hat gezeigt, dass der erste Regelungskomp-
währt. – Grundlage hierfür wird die Möglichkeit einer lex, die Dienstbeschädigungsrenten für ehemalige
sehr intensiven Prüfung sein, insbesondere bei jenen, die Mitarbeiter des MfS, sich in einem sehr empfindlichen
der Staatssicherheit der DDR angehört haben. Wir setzen Spannungsfeld bewegt. Auf der einen Seite soll das So-
den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eins zu zialrecht nicht als Strafrecht angewandt werden. Auf der
eins um, aber mit Rücksicht auf die Opfer des SED-Un- anderen Seite dürfen auch im Dienstbeschädigungsrecht
rechtregimes. Verfassungsrechtler haben uns diese Mög- die tatsächlichen Unterschiede der verschiedenen
lichkeit einer rechtsstaatlichen Vorgehensweise in der Rechtssysteme und Leistungshöhen in diesen Systemen
Anhörung erläutert. nicht einfach als unbeachtlich vernachlässigt werden.
Bei den beiden weiteren Punkten geht es um rechtli- Daher ist der vorgeschlagenen Regelung des Freibetrags
che Klarstellungen: Die vom Bundesversorgungsgesetz Ost beim Zusammentreffen von Dienstbeschädigungs-
vorgesehene Grundrente für Bewohner des Beitrittsge- und Altersrenten zuzustimmen. Die Anhörung zu diesem
biets – auf sie wird im Dienstbeschädigungsausgleich Gesetzentwurf am Montag hat klar ergeben, dass andern-
Bezug genommen – hat sich an den Maßgaben des Eini- falls eine Überversorgung der ehemaligen MfS- und
gungsvertrages zu orientieren. Eine ähnliche Klarstel- NVA-Mitarbeiter eintreten würde. In diesem Haus sind
lung erfolgt beim Anspruchs- und Anwartschaftsüber- wir uns fast alle einig, dass wir das wohl nicht wollen.
führungsgesetz und bei der Sonderleistungsverordnung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Dort geht es darum, dass der Wegfall von Leistungen der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS-
wegen Zusammentreffens mit Altersrenten oder von SES 90/DIE GRÜNEN)
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit so gere-
gelt werden muss, dass klar ist, dass diese Regelung Richtig ist jedenfalls, dass nun bei Dienstbeschädi-
auch für Leistungen aus öffentlich-rechtlichen Altersver- gungsteilrenten eine Kürzung oder Aberkennung vorge-
sorgungssystemen gilt. nommen werden kann, wenn der Beschädigte gegen die
Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlich-
Was die Sozialversicherungsmeldepflicht angeht, keit verstoßen hat und auch in schwerwiegendem Maß
führen wir Erleichterungen für kleinere Unternehmen seine Stellung zum eigenen Vorteil bzw. zum Nachteil
herbei, die über keine Computerausstattung verfügen. anderer missbraucht hat. Die nun gesetzlich vorgesehene
2800 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Jörg Rohde
(A) Einzelfallprüfung hat unter anderem auch die FDP in der von Menschen mit Behinderungen nachgekommen, die (C)
ersten Lesung gefordert. Daher begrüßen wir den ent- mit der Einführung des persönlichen Budgets nun auch
sprechenden Änderungsvorschlag. als Arbeitgeber in die Pflicht zur Abführung von Sozial-
abgaben kommen könnten. Es ist also nicht nur der Mit-
Entscheidend an diesem Punkt ist auch, die berechtig-
telstand Nutznießer dieser Verbesserung; das betrifft
ten Interessen der Opfer der SED-Gewaltherrschaft zu
auch viele andere. Das wird zwar die Anzahl der Fälle
wahren. Wie gesagt, es ist rechtsstaatlich zwingend, das
erhöhen, die diese Formulare nutzen, aber das ist ja in
Sozialrecht nicht als Strafrecht zu nutzen. Allerdings
unserem gemeinsamen Sinne. Insofern begrüßen wird
darf dies auch nicht dazu führen, dass die damals Be-
das außerordentlich.
nachteiligten heute weiterhin benachteiligt sind.
Insgesamt beinhaltet der von der Koalition, der FDP
Es ist daher bedauerlich, dass die Koalition nicht zeit-
und den Grünen gemeinsam getragene Gesetzentwurf ei-
gleich eine Initiative für die Verbesserung der Opfer-
nige Regelungen, die den Betroffenen weiterhelfen wer-
pensionen vorschlägt, obwohl dies doch sogar im Koali-
den. Er steht für eine Sozialpolitik mit Augenmaß. Dafür
tionsvertrag vereinbart wurde. Das ist einige Monate her
kann man die Liberalen gewinnen. Wir werden der heute
– Herr Schaaf, Sie haben mich im Ausschuss darauf hin-
vorliegenden Beschlussempfehlung zustimmen.
gewiesen –; Sie hätten also ein halbes Jahr Zeit gehabt,
das voranzutreiben. Das ist nicht geschehen; das ist Vielen Dank.
schade. Aber es wird Besserung gelobt. Wir haben die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
Hoffnung, dass sich das schnell bewahrheitet.
bei Abgeordneten der SPD)
Die Bundesregierung sollte hier Klarheit schaffen;
denn die Opfer des MfS und der SED-Diktatur spüren Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
teilweise noch heute die Benachteiligungen in ihrem Le- Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk, CDU/
ben. CSU-Fraktion.
Zum zweiten Regelungskomplex des Gesetzes. Das (Beifall bei der CDU/CSU)
Bundesverfassungsgericht hat hinsichtlich der Ände-
rung des Bundesversorgungs- und Opferentschädi-
Maria Michalk (CDU/CSU):
gungsgesetzes einen Beschluss bis zum 31. März dieses
Jahres angemahnt. Danach soll nun auch der Partner in Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft nach dem ge- und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir
waltsamen Tod des anderen Lebenspartners eine Versor- haben uns für die verbundene Beratung des Entwurfs ei-
gungsleistung erhalten, wenn er unter Verzicht auf eine nes Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozia-
(B)
eigene Erwerbstätigkeit die Betreuung der gemeinsamen len Entschädigungsrechts und des Gesetzes über einen (D)
Kinder übernimmt. Dies ist sinnvoll; denn in den ersten Ausgleich von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet
drei Lebensjahren des Kindes ist der nicht eheliche über- etwas mehr Zeit genommen, als eigentlich vorgesehen
lebende Elternteil genauso wie ein ehelicher Elternteil war. Das war richtig – Herr Staatssekretär, das bestätige
auf staatliche Unterstützung angewiesen. ich Ihnen ausdrücklich; denn nun können wir in diesem
Hohen Hause in großer Einvernehmlichkeit ein den er-
Das ist auch gesetzessystematisch konsequent, da für gangenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und
diesen Zeitraum der nicht eheliche Lebenspartner des Bundessozialgerichts sowie unserer parlamentari-
Kinderbetreuungsunterhaltsansprüche nach dem Bürger- schen Grundeinstellung entsprechendes Gesetz verab-
lichen Gesetzbuch geltend machen kann und für diesen schieden.
Zeitraum auch hier bereits dem Ehepartner gleichgestellt
ist. Nur die Fraktion der Linken hat sich enthalten, was
wohl nicht heißt, dass sie keine Meinung hat. Sie steht
Allerdings müsste zu gegebener Zeit überdacht wer- eben in ihrer eigenen Tradition.
den – da schaue ich besonders in Richtung der Grünen –,
ob nicht auch gleichgeschlechtliche Partner von dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Regelung profitieren sollen. Nun zum Inhalt. Mit dem neuen Gesetz – darauf
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE wurde schon hingewiesen – erhält ein Partner einer nicht
GRÜNEN]: Das sehen wir genauso!) ehelichen Gemeinschaft Versorgungsleistungen nach
dem Bundesversorgungs- und Opferentschädigungs-
Das hatten wir gemeinsam in den Beratungen ange- gesetz, wenn er nach dem gewaltsamen Tod des anderen
mahnt. Lebenspartners die Betreuung der gemeinsamen Kinder
übernimmt und dabei bis zum dritten Lebensjahr des
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
Kindes auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Damit ist
DIE GRÜNEN]: Wir werden hier die Mehrheit
eine Lücke geschlossen worden, womit nicht nur dem
zu überzeugen versuchen!)
Leid der Hinterbliebenen Rechnung getragen, sondern
– Genau. Wir arbeiten daran. auch dem Bedürfnis des Kindes in dieser frühkindlichen
Phase entsprochen wird.
Schließlich ist zu begrüßen, dass künftig im sozial-
rechtlichen Meldeverfahren auch schriftliche Meldun- Ein zweiter Punkt im Gesetz beinhaltet die Neufas-
gen zugelassen werden und nicht alles elektronisch ab- sung des § 84 a BVG. Der Verweis führt nach der bishe-
zuwickeln ist. So wird insbesondere auch den Interessen rigen Verwaltungspraxis dazu, dass beim Zusammentref-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2801
Maria Michalk
(A) fen von einer Verletztenrente aus der gesetzlichen ders dankbar, dass wir im Ausschuss einvernehmlich die (C)
Unfallversicherung mit einer Versichertenrente aus der Notwendigkeit der Einführung einer Opferpension – die
gesetzlichen Rentenversicherung für Berechtigte in den noch nicht als Gesetzentwurf vorliegt; das ist wahr – ge-
neuen Bundesländern ein geringerer Freibetrag zum Tra- rade im Hinblick auf die permanente Besserstellung der
gen kommt. Die Neufassung bestätigt die bisherige Systemträger erkannt haben.
Verwaltungspraxis; es ist also eine Klarstellung. Ein un-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg.
terschiedlicher Freibetrag je nach Wohnort der Berech-
Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD] – Beifall bei
tigten spiegelt die unterschiedlichen Einkommensver-
der FDP)
hältnisse in Ost und West wider, die zum Beispiel auch
für einen niedrigeren Rentenwert sorgen. Ein einheitli- Ich denke, dass es eine gute parlamentarische Stunde
cher Freibetrag würde das Gesamtgefüge zwischen ge- war, als wir in der Ausschussberatung nach Auswertung
setzlicher Rentenversicherung und Unfallversicherung der uns zugegangenen Stellungnahmen und der Anhö-
verschieben. Das musste auch ich begreifen, nachdem rung mit großer Mehrheit eine Beschlussempfehlung
ich anfangs Schwierigkeiten hatte, das einzusehen. Aber verabschiedet haben, nach der eine Dienstbeschädi-
die Regelung liegt in der Rechtssystematik begründet gungsteilrente zu kürzen oder abzuerkennen ist, wenn
und ist gerecht. Wir sind gefordert, von diesem Hohen sich der Unfall im Zusammenhang mit einer dienstlichen
Haus Gerechtigkeit ausgehen zu lassen. Handlung ereignet hat, bei der der Beschädigte gegen
die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaat-
In den weiteren Punkten wird das seit Januar 1997 lichkeit verstoßen hat.
geltende Gesetz über einen Ausgleich für Dienstbe-
schädigungen im Beitrittsgebiet für die Angehörigen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
der ehemaligen Sonderversorgungssysteme, also der Na- FDP)
tionalen Volksarmee, der Deutschen Volkspolizei, der
Da diese Möglichkeit nur individuell auf eine Person an-
Organe der Feuerwehr und des Strafvollzugs sowie der
wendbar ist, haben wir für die Mitglieder des MfS/AfNS
Zollverwaltung, die am 1. August 1991 Anspruch auf
die Einzelfallprüfung festgeschrieben. Dies wird vom
eine Dienstbeschädigungsrente eines DDR-Sonderver-
Einigungsvertrag als auch vom Bundesverfassungsge-
sorgungssystems hatten, auf die Zeit von August 1991
richt getragen.
bis Dezember 1996 erstreckt. Hier setzen wir präzise
um, was uns das Bundesverfassungsgericht an Vorgaben Die Stasi hat auch für ihre Mitarbeiter akribisch Per-
gemacht hat. Die Beschränkung der Gewährung von sonalakten geführt. Schon seit einigen Jahren werden
Leistungen auf solche Fälle, in denen keine bestands- aus diesen Unterlagen auf Anfrage die für Rentenberech-
kräftigen Verwaltungsakte vorliegen, wurde in der An- nungen und Gewährung anderer Leistungen notwendi-
(B) hörung noch einmal bestätigt. Die Anhörung hat zudem gen Daten den zuständigen Behörden mitgeteilt. Zu die- (D)
einen Fakt aufgezeigt, der bereits bei der Einbringung sen Unterlagen mit Personalbezug gehören auch
des Gesetzentwurfes von verschiedenen Seiten themati- Gesundheitsunterlagen, einschließlich der Unterlagen zu
siert wurde. Grundsätzlich sollen neben den bereits ge- den Dienstunfällen. Deshalb ist es auch im Nachhinein
nannten Berufsgruppen auch frühere Angehörige des möglich, den Hergang von Dienstunfällen nachzuvoll-
Ministeriums für Staatssicherheit und des Amtes für Na- ziehen und gesundheitliche Folgen einzuordnen.
tionale Sicherheit der DDR einen Ausgleich für Dienst-
Die Behörde für Stasiunterlagen hat 1990 – das muss
beschädigungen für den genannten Zeitraum erhalten. –
man sich einmal vorstellen – rund 1 300 anerkannte
Ohne all diese Neuregelungen wären Mehrkosten von
Dienstunfälle aus diesem Bereich übernommen. Das ent-
rund 1,3 Millionen Euro jährlich sowie Nachzahlungen
bindet die betroffenen Dienstbeschädigten aber nicht
von bis zu 5,5 Millionen Euro zu erwarten; das stelle
von ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht; sie haben die
man sich einmal vor.
Beweispflicht. Von den bearbeitenden Stellen erwarten
Mit jedem Erfolg, den ehemalige Mitarbeiter des MfS wir die nötige Sensibilität bei der Antragsprüfung und
hinsichtlich ihrer materiellen Besserstellung erreichen, -bearbeitung.
wird die Kluft zwischen den heutigen Lebensverhältnis- (Beifall bei der CDU/CSU)
sen der früheren Täter und ihrer Opfer größer.
Für die rechtliche Beurteilung des Ausschlusstatbe-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- standes – keine Zahlung von Unfallrente oder Kürzun-
neten der SPD – Beifall bei der FDP) gen – kommt es nicht auf die formale Gesetzmäßigkeit
Der Respekt gegenüber den Opfern der SED-Diktatur der Handlung an, sondern auf den materiellen Unrecht-
gebietet nicht nur, dass den Opfern öffentlich Rechtferti- scharakter des Verhaltens nach den rechtsstaatlichen
gung zuteil wird, dass wir ihnen immer und immer wie- Grundsätzen. Es muss zwar ein innerer Zusammenhang
der zuhören und dass ihre besonderen Verdienste und zwischen der Tat, die zur Unfallrentenkürzung oder -ab-
Leiden von uns aufmerksam wahrgenommen und ge- erkennung führt, und der gesundheitlichen Schädigung
würdigt werden; vorliegen. Aber grundsätzlich reicht es aus, dass die
Schädigung allgemein im Rahmen eines die gesamte Tä-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP tigkeit prägenden übergeordneten Unrechtsgeschehens
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erfolgt ist.
auch die materielle Entschädigung der Opfer muss uns Diese neue Regelung erfasst alle Angehörigen der
ein zentrales Anliegen bleiben. Deshalb bin ich beson- Sonderversorgungssysteme nach Anlage 2 des AAÜG.
2802 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Maria Michalk
(A) So kommen auch an dieser Stelle die vom Mielke-Minis- Kriegsopfern und Opfern von Straftaten in Ost und West (C)
terium in der DDR selbst initiierten Akten der System- aufzuheben. Der Entwurf sieht allerdings vor, die
träger zur Anwendung und quasi zur eigenen Beweisfüh- Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz, auf die
rung des menschenverachtenden Systems. eine Reihe der angesprochenen Leistungsgesetze Bezug
nehmen, für Ansprüche aus dem Beitrittsgebiet auch in
Zur Bekräftigung zitiere ich aus einer Rede des Präsi-
Zukunft zu mindern. Dies müssen wir als einen Versuch
denten der damaligen Tschechoslowakei, Václav Havel,
des Gesetzgebers ablehnen, nachträglich die Rechtspre-
der im Dezember 1992 in Davos sagte:
chung oberster Bundesgerichte zu ändern.
Er
(Beifall bei der LINKEN)
– der Kommunismus –
Zudem halten wir einen Abschlag für Berechtigte aus
war der Versuch, das gesamte Leben nach einem dem Beitrittsgebiet angesichts einer weit gehenden An-
simplen Modell zu organisieren und es einer zentra- gleichung der Lebenshaltungskosten für nicht mehr zeit-
len Planung und Kontrolle zu unterwerfen, völlig gemäß.
unabhängig davon, ob es dem wirklichen Leben
auch entsprach … Der Kommunismus wurde nicht Auch hinsichtlich der Verbesserung der Situation
durch militärische Macht besiegt, sondern durch hinterbliebener Lebenspartnerinnen bzw. Lebens-
das Leben als solches. Durch den menschlichen partner scheint uns der Entwurf zu kurz gesprungen. In
Geist. Durch das Gewissen der Menschen. Durch den Fällen, in denen aus einer Lebensgemeinschaft ge-
den Widerstand der Menschen gegen die Manipula- meinsame Kinder hervorgegangen sind, wäre aus unse-
tion des Menschlichen. rer Sicht sowohl hinsichtlich der Leistungsdauer wie
auch der Leistungshöhe eine Gleichstellung mit ver-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der gleichbaren Personen aus einer Ehe anzustreben.
FDP)
Besonders beschäftigt haben den zuständigen Aus-
Diese Worte sind nicht nur Bestätigung unserer Erkennt- schuss – das ist hier mehrfach angesprochen worden –
nisse aus der Geschichte, sondern auch Mahnung. die Regelungen zum Wegfall der Dienstbeschädigungs-
Wir alle haben die Pflicht, uns gegen die Geschichts- teilrenten aus den vier Sonderversorgungssystemen der
klitterung der damaligen Systemträger, die immer offen- ehemaligen DDR. Das Verfassungsgericht hat diese als
siver wird – das hat sich die letzten Wochen in Berlin Verfassungsverstoß angesehen und den Gesetzgeber zu
und an anderen Orten unserer Republik gezeigt –, stark einer Neuregelung verpflichtet. Opfer der Staatssicher-
zu machen. Deshalb muss sich eines der nächsten Ge- heit, die bis heute auf eine umfassende Wiedergutma-
(B) setze, die wir auf der Tagesordnung haben werden, mit chung erlittenen Unrechts warten, sehen Nachzahlungen (D)
der Pensionsentschädigung der Opfer befassen. Ich an Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit als
bitte zu helfen, dass wir hier eine bessere Regelung fin- eine – ich zitiere – „völlig unerklärliche Sanftmut gegen
den. Ich hoffe, dass uns die österliche Auferstehungsge- Angehörige eines Unterdrückungsapparats“. Auch für
schichte in der nächsten Zeit die Kraft dazu gibt. unsere Fraktion ist unbestreitbar, dass den Opfern durch
Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und
Ich wünsche Ihnen ein schönes Osterfest. der Rechtsstaatlichkeit in vielen Fällen kaum wieder gut-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP zumachender Schaden zugefügt worden ist.
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Irmingard Schewe-
Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wa-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rum stimmen Sie dann nicht zu?)
Nächster Redner ist der Kollege Volker Schneider,
Fraktion Die Linke. Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass hinzufügen,
dass wir die Geschichtsklitterung einiger unbelehrbarer
(Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Em- Ewiggestriger und die damit verbundene Verhöhnung
mendingen] [CDU/CSU]: Jetzt spricht die Tä- von Opfern, wie sie kürzlich in Hohenschönhausen statt-
terfraktion!) gefunden hat, nicht akzeptieren und in aller Deutlichkeit
verurteilen.
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
(Beifall bei der LINKEN – Andrea Nahles
Herr Weiß, wenn Sie sich beruhigt haben, kann ich [SPD]: Hört! Hört! – Maria Michalk [CDU/
anfangen. CSU]: Dann setzen Sie sich einmal mit Ihren
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genossen auseinander!)
Hinsichtlich des Entschädigungsrechts und des Aus-
Aber soweit nun durch die Einfügung eines Paragra-
gleichs von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet ist
fen zur Leistungsversagung und -entziehung Vorausset-
der Gesetzgeber aufgefordert – das ist schon ausgeführt
zungen dafür geschaffen werden, die Täter über das So-
worden –, die Gesetzgebung verfassungskonform zu ge-
zialrecht verfassungskonform sühnen zu lassen,
stalten.
bezweifeln wir die Erfolgsaussichten eines solchen Un-
An dem vorliegenden Entwurf begrüßt die Fraktion terfangens. Die Anhörung, die zu diesem Thema stattge-
Die Linke, dass der Versuch unternommen wird, die un- funden hat, hat klar ergeben, dass sich die Überprüfung
terschiedliche Behandlung von dienstbeschädigten nicht auf die relativ wenigen betroffenen ehemaligen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2803
Volker Schneider (Saarbrücken)
(A) Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. bensgemeinschaften mit Kindern umfassender geregelt (C)
des Amts für Nationale Sicherheit begrenzen lassen und sich nicht nur auf die ersten drei Lebensjahre bezo-
wird. gen.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN]: Das ist doch alles dokumen-
Zum anderen beinhaltet der vorliegende Gesetzent-
tiert!)
wurf Regelungsbedarf hinsichtlich des Entschädigungs-
Es droht ein erheblicher Prüfungsaufwand mit zweifel- rechtes für Dienstunfälle von Personen, die in den so
haftem Erfolg. Der uns nicht nahe stehende Sachverstän- genannten Sonderversorgungssystemen der DDR waren.
dige Professor Dr. Steinmeyer sprach in der Anhörung
Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben,
von einem schön gemeinten Gesetz, das auf nicht genü-
diesem Personenkreis zusätzlich zur Altersrente auch ei-
gend Fälle zutreffen würde, sodass es verpufft.
nen Ausgleich für Unfälle im Dienst zu gewähren. Der
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Er hat noch Ausgleich von Dienstbeschädigungen kommt damit
mehr gesagt!) auch Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit
zugute.
Kollege Schaaf meinte dagegen, dass sich dieser Auf-
wand schon dann lohne, wenn es sich nur um einen ein- Für die Opfer der SED-Diktatur ist diese Vorgabe
zigen Fall handele. Nein, Kollege Schaaf, was Sie sagen, von Karlsruhe wirklich bitter. In der Anhörung wurde
ist zwar emotional verständlich, hält aber einer rationa- überdeutlich, dass die Gerechtigkeitslücke zwischen Tä-
len Prüfung nicht stand. Das Geld, das für den Verwal- ter und Opfer damit weiter vergrößert würde. Für viele
tungsaufwand nötig ist, wäre bei den Opfern allemal Opfer, die in der ehemaligen DDR beruflich einge-
besser aufgehoben, schränkt waren und die deshalb heute eine niedrigere
Rente bekommen, ist dieses Ergebnis ein Schlag ins Ge-
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist zynisch!) sicht.
zumal es traurig ist, dass auch im Jahre 16 nach der Wie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dervereinigung noch immer keine Regelung gefunden und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne-
worden ist, den Opfern für die entstandenen Schäden, ten der SPD)
die sich im juristischen Sinne nicht operationalisieren
lassen, eine unbürokratische Wiedergutmachung zu ge- Der Sachverständige Hubertus Knabe berichtete von re-
währen. signativen Aussprüchen eines Opfers der SED-Diktatur,
der das Resümee zog: Widerstand lohnt sich nicht. Das
(Beifall bei der LINKEN) bringt die herbe Schlussfolgerung, die Opferverbände
(B) (D)
Frau Michalk, wenn Sie ein solches Gesetz auf den Weg aus den Vorgaben von Karlsruhe ableiten, auf den Punkt.
bringen würden, könnten Sie sich auf unsere Unterstüt- Die Vorkommnisse in Hohenschönhausen und der
zung verlassen. aggressive Auftritt von 250 ehemaligen Stasimitarbei-
Kurz: Auch wenn der Gesetzentwurf in die richtige tern, die die Opfer der SED-Diktatur verhöhnten, sind
Richtung geht, können wir ihm aufgrund der genannten gerade für die Opfer nur schwer zu ertragen, zumal sich
Mängel nicht zustimmen. Die Fraktion Die Linke wird diese Ewiggestrigen der guten Zusammenarbeit mit eini-
sich daher in der Abstimmung enthalten. gen Kollegen dieses Hauses – da werden Gesine Lötzsch
oder Martina Bunge genannt – rühmen.
(Beifall bei der LINKEN)
An dieser Stelle möchte ich gerne ausdrücklich der
Kollegin Petra Pau zur Vizepräsidentschaft gratulieren.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich bin froh, dass sie sich sehr eindeutig von solchen
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Machenschaften distanziert hat.
Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE bei der CDU/CSU und der SPD)
GRÜNEN): Dennoch, ein genereller Ausschluss von MfS-Mit-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! arbeitern ist nach der Rechtsprechung des Bundesver-
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Vorgaben fassungsgerichts nicht möglich, ebenso wenig eine
des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialge- pauschale Regelung für einzelne Berufsgruppen. Die
richts umgesetzt. Ich möchte auf zwei Punkte besonders Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation recht-
eingehen. fertigt für sich allein keinen Leistungsausschluss.
Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht in Ich bin wirklich sehr froh, dass uns die Sachverständi-
Karlsruhe dem Gesetzgeber aufgetragen, nicht eheliche gen in der Anhörung einen Weg aufgezeigt haben, wie
Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern im das Bundesverfassungsgerichtsurteil korrekt umgesetzt,
Opferentschädigungsgesetz der Ehe gleichzustellen. aber dennoch eine Einzelfallprüfung in das Gesetz auf-
Das ist geschehen. Allerdings hätten wir uns gewünscht genommen werden kann. Es ist uns im Ausschuss gelun-
– da unterstütze ich Herrn Rohde, der das gerade vorge- gen, den Gesetzentwurf so zu formulieren, dass ihm alle
tragen hat –, die Regierung wäre etwas mutiger gewesen Fraktionen – außer den Linken – zustimmen konnten.
und hätte die Versorgungssituation nicht ehelicher Le- Nunmehr ist festgelegt, dass Mitarbeiter der Stasi, die
2804 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Irmingard Schewe-Gerigk
(A) nachweislich gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C)
der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, ganz vom Be- Frau Kollegin Lötzsch, bitte.
zug einer zusätzlichen Dienstbeschädigungsrente ausge-
schlossen werden können oder zumindest der Leistungs- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
bezug gemindert werden kann. Voraussetzung ist, dass Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin von
die Dienstbeschädigung damit in einem inneren Zusam- den Grünen, mir ist schon erzählt worden, dass Sie im
menhang steht. Ich finde, das ist ein Gebot der Gerech- Ausschuss unsachliche Angriffe gegen mich gemacht
tigkeit. haben. Ich darf dazu Folgendes erklären.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Erstens bin ich mit meiner Fraktion in voller Überein-
bei der CDU/CSU und der SPD) stimmung, dass das Rentenrecht kein Mittel der politi-
Ich frage mich wirklich, Herr Kollege Schneider, schen Auseinandersetzung ist.
wieso es der Linken nicht möglich ist, einen solchen An- Zum Zweiten darf ich Ihnen mitteilen, dass auch mein
trag zu unterstützen. Mann diese Einschätzung teilt. Mein Mann hat aus poli-
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Eine tischen Gründen drei Jahre seines Lebens in Bautzen, im
sehr gute Frage!) Gefängnis, verbracht. Daher weiß ich ganz genau, wie
das mit der Entschädigung und dem Opferrecht läuft.
Wir haben Ihnen angeboten, eine getrennte Abstimmung Die Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft – die
nur zu diesem Punkt zu machen, wenn Sie mit anderen hat mein Mann erhalten – ist niedriger als die Entschädi-
Vorschriften dieses Gesetzes Probleme haben. Sie haben gung von Opfern eines Justizirrtums. Seit 16 Jahren höre
im Ausschuss argumentiert, Sie könnten nicht zustim- ich: die Opferrente. Ich frage mich, warum es seit
men, weil eine Einzelfallprüfung zu bürokratisch und zu 16 Jahren nicht gelungen ist, diese Opferrente einzufüh-
teuer sei. ren.
(Widerspruch bei der LINKEN – Stefan Frau Kollegin, ich empfehle Ihnen, mit den Kollegin-
Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Scheinheilig nen und Kollegen in Ihrer Fraktion darüber zu sprechen,
ist das!) wie sie die Arbeit eines Abgeordneten verstehen. Im Ge-
– Ja, das haben Sie im Ausschuss gesagt. – Hier haben gensatz zu Ihnen bin ich direkt gewählte Abgeordnete.
Sie gerade gesagt, man finde nicht genügend Fälle. Das bedeutet für mich, dass ich mit allen Bürgern und
Diese Begründung ist bei 800 vorliegenden Fällen, die Bürgerinnen meines Wahlkreises spreche und mich mit
noch zu regeln sind, geradezu heuchlerisch. ihnen in der Sache kritisch auseinander setze. Solche
Diffamierungen, wie Sie sie auch im Ausschuss vorge-
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nommen haben, lasse ich mir von Ihnen nicht gefallen! (D)
bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, bei
der Stimmabgabe zu diesem Gesetz haben Sie die Gele- (Beifall bei der LINKEN)
genheit, unter Beweis zu stellen, auf welcher Seite Sie
stehen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Schewe-Gerigk zur Erwiderung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD)
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Zunächst zur Anmerkung des Kollegen Rohde. Es ist
Zuerst gebe ich das Wort zu einer Kurzintervention schade, dass Sie uns bezüglich der drei Jahre nicht unter-
dem Kollegen Rohde und anschließend gebe ich das stützen. Die Frage bezüglich der gleichgeschlechtlichen
Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Lötzsch. Lebensgemeinschaften haben wir bereits in der ersten
Dann, Frau Schewe-Gerigk, können Sie auf beide ant- Lesung gestellt. Inzwischen ist geklärt, dass auch diese
worten. mit aufgenommen werden.

Jörg Rohde (FDP): Jetzt zu dem entscheidenden Vorwurf der Kollegin


Lötzsch. Ich habe mir gedacht, dass Sie darauf reagieren
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Eine kurze Korrek-
würden. Es tut mir Leid. Der Vorsitzende der ISOR e.V.
tur: Wir stimmen überein, dass wir bei den Versorgungs-
sagt:
ansprüchen nicht ehelicher Lebenspartnerschaften
gleichgeschlechtliche Partner berücksichtigen sollten, Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir in
nicht jedoch bei der Forderung, dass wir Kinder über das Dr. Martina Bunge und Dr. Gesine Lötzsch verläss-
dritte Lebensjahr hinaus mit Versorgungsansprüchen liche und kompetente Partnerinnen
ausstatten sollten.
für unsere Ziele haben. Das muss ich hier zitieren dür-
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fen. Ich habe das schriftlich vorliegen.
NEN]: Das ist aber betrüblich!)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Das wollte ich nur kurz richtig stellen, wenn Sie erlau- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der
ben. SPD und der FDP)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2805
Irmingard Schewe-Gerigk
(A) Ich habe zur Kenntnis genommen, was Sie gerade ge- Welcher Aufwand kann denn zu groß sein, wenn es da- (C)
sagt haben. Vielleicht werden Sie von ISOR instrumen- rum geht, Aufklärung zu betreiben oder Täter zu verfol-
talisiert. Das kann ja sein. Sie haben deutlich gemacht, gen?
dass Sie sich von dieser Aussage distanzieren. Dann ist
das ja in Ordnung. Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie sagen, das
Soziale Entschädigungsrecht sei kein Recht, mit dem
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN man abstrafen könne. Im Sozialen Entschädigungsrecht
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und kann man aber differenzieren. Ich finde es gut, dass wir
der SPD) das in großer Übereinstimmung nach der Anhörung ge-
schafft haben: Wir differenzieren zwischen dem, was uns
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: das Bundesverfassungsgericht auferlegt hat, und dem
Wunsch, den Opfern gerecht zu werden. Das ist uns ge-
Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Frak- lungen. Den Fraktionen bin ich dafür dankbar.
tion.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
Anton Schaaf (SPD): bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Schneider, ich bleibe dabei: Wenn wir mit der Dazu kann ich nur noch sagen – vielleicht sollte man
jetzt getroffenen Regelung – ich werde zu den Änderun- das den WASG-Mitgliedern in Ihren Reihen auch noch
gen Stellung nehmen, damit die Menschen wissen, wo- einmal sehr deutlich sagen –: Es kommt mir so vor, als
rum es geht – einen einzigen Fall, in dem zu Unrecht hätte der eine oder andere von Ihnen nach wie vor ein
Leistungen des Staates bezogen wurden, aufdecken, sehr unaufgeräumtes Verhältnis zur Geschichte der
dann wird sie den Opfern gerecht. Das ist unsere Auf- DDR und zur Geschichte der PDS.
gabe: den Opfern gerecht werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP CDU/CSU)
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie sollten aus meiner Sicht noch einmal in Klausur ge-
Damit die Menschen wissen, worum es geht, damit hen und Ihre Geschichtsbilder aufräumen.
sie wissen, was Sie ablehnen, trage ich wesentliche Teile
der Änderungen vor: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Leistungen sind mit Wirkung für die Zukunft ganz Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage
(B) oder teilweise zu entziehen, wenn ein Versagungs- des Kollegen Volker Schneider? (D)
grund im Sinne des Absatzes 1
– er ist schon zitiert worden – Anton Schaaf (SPD):
Angesichts der Tatsache, dass wir alle baldmöglichst
vorliegt und das Vertrauen des Berechtigten auf in die vor uns liegende Osterpause gehen wollen, lasse
eine fortwährende Gewährung der Leistungen im ich diese jetzt nicht zu.
Einzelfall auch angesichts der Schwere der began-
genen Verstöße nicht überwiegend schutzwürdig Ich schließe: Selten ist es uns nach einer Anhörung in
ist. Soweit die sofortige Entziehung oder Minde- so großer Einigkeit gelungen, etwas Vernünftiges auf
rung der Leistungen zu einer unbilligen Härte führt, den Weg zu bringen. Die Nichtzustimmung der PDS
soll die Entziehung oder Minderung nach einer an- werde ich in den nächsten Wochen vor mir hertragen.
gemessenen Übergangsfrist erfolgen. Die Menschen sollen das ruhig wissen!

In Abs. 3 regeln wir ganz genau, was wir meinen: (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Anhaltspunkte, die eine besonders intensive Über- SES 90/DIE GRÜNEN)
prüfung erforderlich machen, ob ein Berechtigter
durch sein individuelles Verhalten gegen Grund-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
sätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit
verstoßen hat, können sich insbesondere aus einer Ich schließe die Aussprache.
Zugehörigkeit des Berechtigten zu dem ehemaligen Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale tionen der CDU/CSU und der SPD sowie der Bundes-
Sicherheit der DDR ergeben. regierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur
Das ist die Regelung, der Sie nicht zustimmen wollen, Änderung von Vorschriften des Sozialen Entschädi-
weil – das muss man ganz deutlich sagen – das ein zu gungsrechts und des Gesetzes über einen Ausgleich von
großer Aufwand wäre. Meine Damen und Herren von Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet. Der Ausschuss
der PDS, Sie verhöhnen damit die Opfer! für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/1162, die genannten Ge-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der setzentwürfe auf den Drucksachen 16/444 und 16/754
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzu-
SES 90/DIE GRÜNEN) nehmen.
2806 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(A) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der sein. Pflegende empfinden das eher als Misstrauen – als (C)
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- seien sie nicht in der Lage, eigenverantwortlich für ein
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- gutes Ergebnis zu sorgen. Sie werden so eher demoti-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen viert.
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP
Wir fordern mit dem hier vorliegenden Antrag einen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Paradigmenwechsel für die Pflege: weg von einer star-
Dritte Beratung ren Festlegung von Strukturen und Prozessen, weg von
einem Hineinregulieren von Qualität in die Einrichtun-
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem gen, hin zu einer Fokussierung auf das Pflegeergebnis
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- und hin zu einer höheren Transparenz bezüglich der
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da- Qualität der Pflegeleistung.
mit in dritter Beratung mit demselben Stimmenergebnis
wie in zweiter Beratung angenommen. (Beifall bei der FDP)
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf: Von den Forderungen der FDP, die Sie in Gänze unse-
rem Antrag entnehmen können, möchte ich hier nur ei-
Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz nige kurz vorstellen:
Lanfermann, Birgit Homburger, Daniel Bahr
(Münster), weiterer Abgeordneter und der Frak- Erstens. Die Prüfkompetenzen von Medizinischem
tion der FDP Dienst der Krankenkassen und Heimaufsicht sollen kon-
kretisiert werden, auch mit dem Ziel einer verbesserten
Entbürokratisierung der Pflege vorantrei- inhaltlichen und terminlichen Zusammenarbeit der wei-
ben – Qualität und Transparenz der stationä- teren Prüfinstanzen. Als ordnungsrechtliche Instanz
ren Pflege erhöhen prüft die Heimaufsicht die Strukturqualität, der MDK
– Drucksache 16/672 – vorrangig die Ergebnisqualität. Was die eine Instanz ge-
Überweisungsvorschlag:
prüft hat, ist von der anderen nicht mehr zu prüfen. Die
Ausschuss für Gesundheit (f) Heimaufsicht und die weiteren zur Prüfung berechtigten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Instanzen stimmen sich ab und erstellen ein gemeinsa-
mes Ergebnis der Prüfung. Im SGB XI soll schwer-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die punktmäßig zu anlassbezogenen und unangemeldeten
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre ergebnisqualitätsorientierten Prüfungen übergegangen
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. werden.
(B) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Zweitens. Regelungen des Pflege-Versicherungsge- (D)
Heinz Lanfermann, FDP. setzes und des Heimgesetzes, die sich vorrangig der
Struktur- und Prozessqualität zuordnen lassen, sollen
Heinz Lanfermann (FDP): auf ihre Erforderlichkeit und Praxistauglichkeit überprüft
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten werden. Zu nennen sind hier insbesondere die Regelun-
Damen und Herren! In der stationären Pflege führt eine gen des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes sowie die
zeitstehlende Bürokratie dazu, dass – so jedenfalls der Regelungen zu Anzeige-, Aufzeichnungs- und Aufbe-
Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe – nur wahrungspflichten des Heimgesetzes, die §§ 12 und 13.
50 Prozent der Bruttoarbeitszeit von Pflegekräften als
(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])
effektive Pflegezeit genutzt werden können. Die FDP
möchte, dass die Pflegenden wieder mehr Zeit für die Zusätzlich sollen bisher voneinander abweichende Rege-
Pflege und soziale Betreuung der Pflegebedürftigen ha- lungen im SGB XI und Heimgesetz harmonisiert wer-
ben. den. Ich erwähne beispielhaft den § 87 a Abs. 1 SGB XI,
Pflicht zur Zahlung des Heimentgelts endet mit dem Tod
Die Pflege ist mit Gesetzen und Verordnungen über-
des Bewohners, und § 8 Abs. 8 Heimgesetz, Vertrags-
frachtet. Insbesondere die Struktur- und Prozessqualität
verhältnis endet zwar mit dem Tod des Bewohners, Ver-
wird in den Einrichtungen detailliert geregelt. Hinzu
einbarungen für eine Fortgeltung für die so genannten
kommt ein erheblicher Aufwand für Doppel- und Mehr-
Hotel- und Investitionskosten von bis zu zwei Wochen
fachprüfungen, auch mit widersprüchlichen Ergebnis-
sind jedoch zulässig.
sen. Mehr als 40 Instanzen können zur Prüfung in einer
Einrichtung berechtigt sein. Die Dokumentationspflich- Drittens. Um in der Pflege von dem bisher noch ziem-
ten steigen und es gibt widersprüchliche Regelungen im lich starren „ambulant“ und „stationär“ wegzukommen
Heimgesetz und im SGB XI. In der Praxis heißt das zum und den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen mehr
Beispiel: An einem Tag kommt die Heimaufsicht und Wahlfreiheit zu ermöglichen, soll geprüft werden, wel-
verlangt, die Einrichtung mit einer Sitzecke auf dem che Regelungen des Heimgesetzes und der zugehörigen
Gang wohnlicher zu gestalten. Am nächsten Tag prüft Verordnungen einem Entstehen neuer Wohnformen für
der Brandschutz und die Sitzecke muss wieder entfernt Pflegebedürftige entgegenstehen. Ich nenne als Bei-
werden. spiele: betreutes Wohnen, generationenübergreifendes
Wohnen, Altenwohngemeinschaften usw.
In der Pflege wird bisher nach dem Schema verfah-
ren: Je mehr Qualität von außen in die Einrichtung hi- Wichtig für die FDP – ich denke, damit heben wir uns
neinreguliert wird, desto besser soll das Pflegeergebnis von all den anderen Initiativen zur Entbürokratisierung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2807
Heinz Lanfermann
(A) der stationären Pflege etwas ab – ist unsere Forderung schen zu beschäftigen und sich um deren Wohlergehen (C)
nach einer Erhöhung der Transparenz bezüglich der zu kümmern. Die große Koalition hat dies bereits vor Ih-
Qualität der Pflegeleistungen. Kontrollen allein verbes- rem Antrag, Herr Lanfermann, klar postuliert. Wir haben
sern die Qualität nicht. uns des Themas angenommen. Ich verweise hier auf die
Koalitionsvereinbarung – angesichts der knappen Rede-
(Beifall bei der FDP) zeit zitiere ich nur den Eingangssatz –:
Wir brauchen in der Pflege verstärkt wettbewerbliche Pflegeheime und ambulante Pflegedienste
Elemente.
– das ist wichtig, Herr Lanfermann –
(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)
werden durch eine Vielzahl von Regelungen, Ver-
Der Pflegebedürftige muss endlich als mündiger, ent-
waltungsvorschriften, Dokumentationspflichten und
scheidungsfähiger Kunde betrachtet werden, natürlich
anderen bürokratischen Auflagen beschwert.
unterstützt durch Angehörige und Betreuer, wenn er in
seiner Alltagskompetenz bereits eingeschränkt ist. Aus Wir müssen den professionellen Pflegekräften wieder
diesem Grund sollen die Einrichtungen ein Benchmar- die Zeit geben, die sie brauchen, um ihre eigentliche Ar-
king nach bundeseinheitlichen Qualitätskriterien durch- beit zu tun.
führen. Durch ein Benchmarking, dessen Kriterien sich
möglichst nah an der Ergebnisqualität orientieren sollen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wird Einrichtungen, die ein gutes Pflegeergebnis liefern, neten der FDP)
die Möglichkeit gegeben, dies auch öffentlich darzustel- Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie
len. Pflegebedürftige können dann besser eine Einrich- sehen: Ihr Anliegen findet sich in unserer Koalitions-
tung nach Qualitätsaspekten auswählen. vereinbarung wieder. In diesen Fragen sind wir
Zum Schluss möchte ich noch grundsätzlich sagen: schlichtweg gut.
Die in der Pflege vorhandenen Regelungen müssen sich (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Eigenlob stinkt,
daran messen lassen, ob – und, wenn ja, inwieweit – sie Herr Kollege! – Heinz Lanfermann [FDP]:
wirklich im Interesse der Pflegebedürftigen liegen. Aufschreiben reicht aber nicht! – Zuruf von der
Oberstes Ziel eines Abbaus von Bürokratie in der Pflege SPD: Die FDP kann auch einfach mal Ja sagen!)
muss immer eine Verbesserung der Lebensqualität der
Pflegebedürftigen sein. Ein Bürokratieabbau in diesem Das können wir auch an anderer Stelle belegen.
Sinne erlaubt es den Einrichtungen aber auch, kreative Der Inhalt Ihres Antrags mit dem Titel „Entbürokrati-
Lösungen auf dem Weg zu einer hohen Qualität in der sierung der Pflege vorantreiben – Qualität und Transpa-
Pflege und als Antwort auf die demografischen Heraus- renz der stationären Pflege erhöhen“ ist auch das Anlie- (D)
(B)
forderungen der nächsten Jahrzehnte zu entwickeln. gen der großen Koalition. Das ist nicht erst seit einigen
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Monaten der Fall. Ich will nur auf unseren Antrag ver-
weisen, mit dem wir uns bereits im Februar 2005, also in
(Beifall bei der FDP) der 15. Wahlperiode, nach vorne gewagt haben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Ein sehr guter
Antrag war das!)
Nächster Redner ist der Kollege Willi Zylajew, CDU/
CSU-Fraktion. Danach haben wir Ihnen immerhin vier Monate Zeit ge-
(Beifall bei der CDU/CSU) lassen, um selbst mit einem Antrag nachzulegen. Das ha-
ben Sie dann am 15. Juni 2005 getan.
Willi Zylajew (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Allerdings! Ein
Es ist unstrittig: Das Thema Entbürokratisierung in der bisschen spät!)
Pflege muss angegangen werden. Schon seit langem In Ihren Antrag haben Sie sehr exakt all die Positionen
häufen sich die Klagen der Pflegekräfte und der Einrich- aufgenommen, die auch in unserem Antrag standen.
tungen über Behinderungen ihrer eigentlichen Aufgaben Mein Respekt gilt an dieser Stelle der Kollegin Lenke,
durch gesetzlich verursachten Bürokratieaufwand. die daran konstruktiv mitgewirkt hat. Ihre fachliche
(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Durch Sparen!) Kompetenz spiegelt sich in Ihrem Antrag wider.
Ich meine, diese Beschwerden erfolgen zu Recht. Die (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wenn das so ist,
Pflege ist eine wichtige gesellschaftliche und fachliche können Sie unserem Antrag ja zustimmen!)
Aufgabe. Diejenigen, die sich dieser Aufgabe widmen, Nun will ich kurz auf die Positionen eingehen, die Sie
sollten wir nicht durch bürokratische Hemmnisse behin- in Ihrem Antrag vertreten: Hinsichtlich der Prüfinstan-
dern. zen gemäß § 20 Heimgesetz soll eine bessere terminli-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- che und inhaltliche Koordination erreicht werden. Bun-
neten der SPD) deseinheitlich soll stärker die Ergebnisqualität und
weniger die Prozessqualität überprüft werden.
Unser Ziel muss es sein, die Bürokratie zu stutzen.
Pflegekräfte sollen wieder mehr Zeit haben, ihre eigent- (Heinz Lanfermann [FDP]: Ja, das ist doch
liche Aufgabe zu erfüllen, sich mit den älteren Men- wunderbar!)
2808 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Willi Zylajew
(A) Dem, was Sie zur Veränderung der Prüfkompetenzen Februar 2005 eingebracht haben – das war ein guter An- (C)
von Heimaufsicht und MDK sagen, stimmen wir zu. trag –, abgeschrieben haben, wie kann Ihrer dann
schlecht sein?
Des Weiteren fordern Sie, es sollten weniger ange-
meldete und mehr unangemeldete Kontrollen durchge- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so-
führt werden; auch hier sind wir einer Meinung. Sie wie bei Abgeordneten der SPD)
sprechen sich für eine Ausweitung der Definition einer
Fachkraft nach § 71 Abs. 3 SGB XI aus; auch wir wol- Ich kann Ihnen zumindest testieren, dass Sie fähige Mit-
len, dass neu definiert wird, wer eine Fachkraft ist. In arbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die des Abschrei-
diesem Punkt bestand zwischen uns bereits im letzten bens mächtig sind.
Jahr Einigkeit. Wie wir es in unserem damaligen Antrag
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
getan haben, stellen auch Sie fest, dass abweichende Re-
und der SPD)
gelungen im SGB XI, im SGB XII und im Heimgesetz
miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Da- Dennoch gibt es ein paar Unterschiede, zum Beispiel
rüber hinaus wollen auch wir die Praxistauglichkeit vie- bei der Frage, ob wir auch die ambulante Pflege einbe-
ler Regelungen überprüfen. ziehen sollten. Wir sagen klar und deutlich: Ja. Die am-
bulante Pflege muss entbürokratisiert werden. Diesen
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Punkt müssen wir noch sehr intensiv beraten und genau
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des überlegen, was wir tun.
Kollegen Bahr?
Ihre Forderung nach Einführung eines Benchmar-
kings ist, abstrakt gesehen, sicherlich interessant. Fak-
Willi Zylajew (CDU/CSU): tisch würde ein Benchmarking aber zu einem neuen Bü-
Ja. rokratieauswuchs führen. Das ist aus unserer Sicht nicht
zumutbar. Es müssen bundeseinheitliche Qualitätskrite-
Daniel Bahr (Münster) (FDP): rien her. Gute Einrichtungen unterwerfen sich dem
Herr Kollege Zylajew, es freut mich, dass Sie so viele längst.
Übereinstimmungen zwischen unserem Antrag und
Ihren Anliegen sehen. Daher möchte ich Sie fragen: Ich will darauf eingehen, dass die FDP dort, wo sie
Sprechen Sie gerade im Namen der CDU/CSU-Bundes- zurzeit mitregiert oder demnächst mitregieren wird,
tagsfraktion oder sehen Sie auch sehr viele Übereinstim- nämlich in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württem-
mungen zwischen den Koalitionsfraktionen von SPD berg, prüfen sollte, was bereits Sinnvolles geschieht. In
beiden Ländern gibt es vorbildliche Initiativen, die wir
(B) und CDU/CSU? Ihre Antwort auf diese Frage ist interes- berücksichtigen sollten. (D)
sant; denn vielleicht können wir unseren Antrag, wenn
es so viele Übereinstimmungen gibt, sofort beschließen. (Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der FDP)
Letztendlich bleibt die Frage, wo wir das Heimgesetz
künftig ansiedeln wollen. Wir müssen klären, ob die
Willi Zylajew (CDU/CSU): Zuständigkeit für die Heime und damit auch für die
Verehrter junger Kollege Bahr, Sie müssen noch etwa Entbürokratisierung bei den Ländern oder beim Bund
zweieinhalb Minuten Geduld haben; dann werde ich Ihre liegen soll. Nach derzeitigen Überlegungen wird die Zu-
Frage beantworten. ständigkeit eher bei den Ländern liegen. Im Mai wird es
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und dazu eine große Anhörung geben. Wir müssen unsere
der SPD) Überlegungen einbringen und uns positionieren. Dieser
Punkt duldet keinen weiteren Aufschub. Ich glaube, dass
Ich muss natürlich darauf hinweisen, wir zu einem guten Ergebnis kommen werden.
(Heinz Lanfermann [FDP]: Warum das nicht Wir werden uns in weiteren Beratungen im Aus-
geht! Ja, ja!) schuss, die parallel zu den Beratungen über die Födera-
dass Ihr Antrag fast alle Ergebnisse des „Runden Tisches lismusreform stattfinden, diesem Thema mit ganzer
Pflege“ beinhaltet. Es gibt keine markanten Unter- Kraft und in breitem Einvernehmen über die Fraktions-
schiede. Somit können Sie davon ausgehen – daher hät- grenzen hinweg – zumindest hoffe ich, dass es so sein
ten wir uns diese Redezeit sparen können –, dass meine wird – widmen. Wir müssen den Menschen, die im Pfle-
Position von den Koalitionsfraktionen mitgetragen wird, gebereich fachlich kompetent und engagiert arbeiten,
also auch von der wichtigen und starken SPD-Fraktion, endlich Perspektiven eröffnen. Mit wenigen Ausnahmen
orientieren sie sich alle am Wohl der älteren und behin-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und derten Menschen. Diesen Menschen sollten wir durch
der SPD – Heinz Lanfermann [FDP]: Oh! Sie die Entbürokratisierung helfen.
werden ja immer netter zueinander!)
Die Bürokraten, die sich Freiräume erkämpft und ihre
die bei diesem Thema gemeinsam mit uns auf einem gu-
Arbeitsplätze gesichert haben, müssen erleben, dass wir
ten Weg ist. Ich denke, damit ist Ihre Frage beantwortet.
den bürokratischen Wildwuchs zurückschneiden. Das
Wir alle wissen, dass Ihr Antrag nicht schlecht sein wollen wir tun. Ich freue mich auf die Beratungen im
kann. Wenn Sie 99 Prozent des Antrags, den wir im Ausschuss und danke den Liberalen sehr, dass sie im In-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2809
Willi Zylajew
(A) teresse der Menschen zusammen mit der großen Koali- gestellt werden sollten. Man muss sich genau überlegen, (C)
tion einen wichtigen Schritt gehen wollen. ob das sinnvoll ist. Denn wer kann wirklich beurteilen,
wie gut oder schlecht Heime sind? Das können eigent-
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. lich nur die Bewohnerinnen und Bewohner, und selbst
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ihnen fehlt eine Vergleichsmöglichkeit – denn man
neten der SPD und der FDP) wechselt nicht von einem Heim zum anderen –, um sa-
gen zu können: „Dieses Heim ist gut“ oder: „Jenes Heim
ist schlecht“. Und was passiert denn, wenn die Bewoh-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
ner sagen, ihr Heim ist schlecht? Dann werden sie eher
Nächster Redner ist der Kollege Ilja Seifert, Fraktion mehr drangsaliert, als dass es ihnen besser geht; das ist
Die Linke. doch das Problem, vor dem wir stehen.
(Beifall bei der LINKEN) Letzter Punkt. Wir müssen endlich Strukturen dafür
schaffen, dass Heime und andere Großeinrichtungen im-
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): mer überflüssiger werden. „Ambulant vor stationär“ darf
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- nicht nur postuliert werden. Anstatt die Heimstrukturen
legen! In dieser Woche kam ein junger Mann, der seinen zu stärken, muss im Haushalt endlich Geld zur Schaf-
Zivildienst vor einem Monat angetreten hatte, zu mir fung solcher ambulanter Strukturen eingestellt wer-
und sagte: Eigentlich wollte ich in einem Altenheim ar- den. Zudem müssen wir den in den Heimen arbeitenden
beiten, ich kann das aber nicht, weil dort 60 Menschen Menschen eine Perspektive bieten, damit sie, wenn
eher verwahrt als versorgt werden; ich habe nicht die Heime geschlossen werden, keine Angst haben müssen,
Möglichkeit, ihnen zusätzliche Angebote zu machen. – ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Im Gegenteil, wir wollen
Das Personal im Pflegebereich hat weder die Zeit noch ja gerade, dass sich ihnen bessere Arbeitsmöglichkeiten
die Kraft, sich den Menschen zuzuwenden. In den Pfle- auftun, Arbeitsmöglichkeiten, die ihren ethischen An-
geheimen herrscht ein Klima, in dem ein Leben nicht sprüchen entsprechen, sodass sie sich den Menschen zu-
möglich ist und ein Arbeiten erst recht nicht. Der junge wenden, sich ihnen widmen können, sie unterstützen
Mann bittet um Versetzung. können in ihrer selbstständigen Lebensweise, und das
nicht nur im betreuten Wohnen, nicht nur in Wohngrup-
Sie fordern in Ihrem Antrag die Entbürokratisierung pen, sondern auch in der eigenen Wohnung, mitten in der
im Pflegebereich. Das ist zu kurz gesprungen. Auch ich Gemeinde, mitten in der Stadt, mitten im Dorf, dort, wo
will keine Bürokratie, erst recht nicht in der Pflege; das man wohnen möchte, und nicht irgendwo am Rande, in
ist ganz klar. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass irgendeiner separierenden Einrichtung; das wäre der
(B) wir uns zunächst einmal darüber verständigen müssen, Punkt. (D)
was Pflege überhaupt heißt. Der total überkommene,
medizinisch orientierte Pflegebegriff, der im SGB XI Um auf Ihren Antrag zurückzukommen, liebe Kolle-
und anderswo herumgeistert, muss überwunden werden. ginnen und Kollegen von der FDP: In der Überschrift
Wir müssen hin zu einem neuen Pflegebegriff, der die schreiben Sie: „Entbürokratisierung“. Aber wenn ich ge-
assistierende Unterstützung unterstreicht. Von der Vor- nau hinschaue, muss ich feststellen: Sie schaffen nur
stellung „satt, sauber, trocken“ müssen wir uns verab- neue Bürokratie:
schieden, zumal selbst dies nicht immer gewährleistet
ist. (Zuruf von der FDP: Wo denn?)

Die Linke schlägt deshalb vor – wir hatten versucht, Sie ordnen bürokratisch zu, wer wie arbeiten kann. An-
das fraktionsübergreifend zu gestalten –, eine Enquete- statt dafür zu sorgen, dass die Selbstbestimmungskräfte
Kommission einzurichten, die sich mit ethischen, recht- der Betroffenen, der Bewohnerinnen und Bewohner, ge-
lichen und finanziellen Fragen des assistierten Wohnens stärkt werden, stärken Sie nur die Kräfte, die die Quali-
befasst. Darunter fällt auch das Leben im Heim. tätsstandards absenken können. Das will ich auf gar
keinen Fall.
Bedauerlicherweise haben mir gerade die Kollegin
Evers-Meyer von der SPD, die Behindertenbeauftragte, Deswegen lasst uns euren Antrag beraten – wir wer-
und der Kollege Kurth von den Grünen mitgeteilt, dass den sehen, wie wir weiterkommen – und lasst uns eine
sie diesen Antrag nicht unterstützen wollen, weil sie der solche Enquete-Kommission einrichten,
Meinung sind, dass sich dies auch auf andere Weise re- (Heinz Lanfermann [FDP]: Wenn Sie jetzt gesagt
geln ließe. hätten, wo, dann wäre das interessant!)
Doch gerade weil die Föderalismusreform möglicher- die in Ruhe arbeiten und mit Zwischenberichten auch
weise zum Ergebnis haben wird, dass wir demnächst Vorschläge ins Parlament einbringen kann, mit denen
16 verschiedene Heimgesetzgebungen haben, 16 ver- wir bald und schnell arbeiten können; das wäre ein guter
schiedene Auslegungen der Anweisungen für Heime, Vorschlag, das wäre eine gute Herangehensweise.
wäre es sehr sinnvoll, wenn sich der Bundestag als
oberstes gesetzgebendes Organ in diesem Lande intensiv Auch ich wünsche Ihnen frohe Ostern. Denken Sie
mit dieser Frage befasst. auch an die Menschen in den Einrichtungen – sie brau-
chen uns immer, nicht nur sonntags.
Liebe Kollegen von der FDP, wir können durchaus
darüber debattieren, ob schwarze Schafe an den Pranger (Beifall bei der LINKEN)
2810 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sie aber nicht, dass Sie durch diese Art des Vergleichs (C)
Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion die Kollegin selbst Bürokratie erzeugen.
Hilde Mattheis. (Willi Zylajew [CDU/CSU]: Richtig!)

Hilde Mattheis (SPD): Sie beachten dabei auch nicht – Sie haben es im Text
ausgeführt; ich empfehle Ihnen, Ihren eigenen Antrags-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
text noch einmal zu lesen, aber wenn man ihn
Wie wir heute schon mitbekommen haben, ist der An-
abschreibt – –
trag, der hier heute besprochen wird, nicht neu. Wir ha-
ben ihn im März 2005 in diesem Hohen Hause schon (Willi Zylajew [CDU/CSU]: Ist das nicht
einmal beraten. Die FDP hat den Inhalt übernommen nötig!)
und das, was die CDU/CSU-Kollegen damals schon ein-
gebracht hatten, noch einmal zu aktualisieren versucht: – Okay.
indem sie das Datum umgeschrieben und ein paar (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das haben wir
Varianten hineingebracht haben. ja nicht abgeschrieben! Das können wir ja
nicht abgeschrieben haben! – Heinz
(Zuruf von der FDP: Na, na! – Heinz
Lanfermann [FDP]: Ihrer Ansicht nach fehlt
Lanfermann [FDP]: Reihenweise Unter-
das ja gerade! – Hubert Hüppe [CDU/CSU]:
schiede!)
Die machen nur das, was sie auch in der
Ich glaube, das ist dem Thema nicht angemessen. Schule schon gemacht haben, nämlich ab-
schreiben!)
Wir können hier gemeinsam betonen, dass die Ergeb-
nisse des runden Tisches und die Vereinbarungen in un- Im SGB XI ist diese Möglichkeit des Vergleichs von
serem Koalitionsvertrag wesentlich weiter und präziser Pflegeeinrichtungen schon vorgesehen. Die Bundeslän-
sind als das, was hier formuliert worden ist. der lehnen genau das ab mit dem Hinweis, dass das zu
viel Bürokratie erzeugen würde.
(Zuruf von der FDP: Wie bitte?)
Der dritte Punkt, den ich genannt habe, ist, dass der
Ich möchte jetzt meine Rede, die ich damals zur Ent- Aufwand für die Pflegedokumentation nicht selten als
bürokratisierung gehalten habe, nicht wiederholen, son- Alibi für fehlende innerbetriebliche Ablaufstrukturen
dern nur meine drei Grundkritikpunkte noch einmal an- herhalten muss. Das können Sie im neuesten Projektbe-
führen: richt des Bayerischen Staatsministeriums noch einmal
Erstens. Das, was hier im Antrag vorgelegt und als nachlesen. Ich habe das schon genannt. In dem Projekt-
(B) notwendige Schritte zur Weiterentwicklung der Pflege bericht wird noch einmal ganz eindeutig aufgelistet, dass (D)
bezeichnet wird, ist wenig konkret. Ich kann natürlich es auch darum geht, die Mängel in den Einrichtungen zu
verstehen, dass Sie als FDP nicht unbedingt mit dem Ko- beheben.
alitionsvertrag unter dem Arm herumlaufen möchten; Bei Ihrem aktuellen Antrag möchte ich mich auf zwei
aber ein kurzer Blick hinein wäre hier schon einmal an- Kritikpunkte konzentrieren. Dabei geht es einmal um
gemessen gewesen. Denn mit dem, was wir im Koali- Ihre Aussage zur Fachkräftequote und zum anderen um
tionsvertrag dazu geschrieben haben, zielen wir genau Ihre Aussage zum Heimrecht.
auf das ab, was Sie als Grundtenor formuliert haben.
Erster Punkt. Sie schreiben von einer Überreglemen-
Zweitens. Es ist richtig, dass Sie Entbürokratisie- tierung des Personaleinsatzes und meinen, dass die Re-
rungspotenziale anmahnen; das wird niemand bestreiten. gelungen in der Heimpersonalverordnung zur Fach-
Wir haben hier in diesem Hohen Hause aber schon da- kraftquote und die Definition der Pflegefachkraft dazu
rüber diskutiert, dass in den Einrichtungen selber noch führen, dass – jetzt zitiere ich –
ein unglaubliches Entbürokratisierungspotenzial besteht,
das dort schlicht und ergreifend auch organisatorisch die Sicherung von Qualität und ein effizientes un-
entwickelt werden kann. ternehmerisches Handeln der Einrichtung sogar er-
schwert
Ich hatte damals schon verschiedene Untersuchungen
wird. Was Sie mit dieser Aussage meinen, kann man
angeführt und kann jetzt eine neuere vom KDA hinzufü-
ganz deutlich an Ihrem fünften Spiegelstrich ablesen.
gen, das in diesem Jahr noch einmal gesagt hat, dass es
in den Einrichtungen selber zu einem unglaublichen An- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Genau!)
wachsen der Dokumentation und Bürokratisierung
kommt. Da Sie in Ihrem Antrag Entbürokratisierung mit Dort fordern Sie nämlich,
Qualität und Transparenz verbunden haben, mahne Maßnahmen zur stärkeren Professionalisierung der
ich ganz schlicht und ergreifend an, dass Sie auch diesen Pflege und der Pflegenden einzuleiten. Dazu gehört
einzelnen Punkt beachten. Außerdem müssen Sie beach- unter anderem eine Ausweitung der Definition der
ten, dass die Länder, die Sie ja ebenfalls zum Handeln Pflegefachkraft nach § 71 Abs. 3 SGB XI …
auffordern, im Prinzip das abgelehnt haben, was im
SGB XI unter § 92 a ja schon vorgesehen ist. Mit der Ausweitung meinen Sie wohl die Anerkennung
von Personen als Fachkräfte mit einer geringeren Quali-
Durch ein Benchmarking wollen Sie im Prinzip eine fikation, als dies in dem eben genannten § 71 Abs. 3
Art Vergleich und Transparenz schaffen. Dabei beachten festgeschrieben ist. Etwas anderes kann nicht gefolgert
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2811
Hilde Mattheis
(A) werden und lässt sich auch mit der oben zitierten Aus- schreiben, mitzubestimmen, ist das eine Art und Weise, (C)
sage von effizientem unternehmerischen Handeln nicht mit Patienten und Patientinnen bzw. Bewohnerinnen und
anders zusammenbringen. Bewohnern umzugehen, die ich nicht teilen und auch
nicht gutheißen kann.
Was die in der Überschrift verwandten Begriffe wie
Entbürokratisierung, Qualität und Transparenz mit die- (Beifall bei der SPD)
sen Forderungen zu tun haben, erschließt sich mir wirk-
lich nicht. Aber ich kann für mich feststellen: Der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Begriff Entbürokratisierung bedeutet für Sie bei Pflege-
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
fachkräften offensichtlich den Abbau von Qualitätsstan-
dards.
Hilde Mattheis (SPD):
(Heinz Lanfermann [FDP]: Das wollen wir Ich stelle also fest: Die FDP will unter dem Stichwort
nicht!) „Entbürokratisierung“ in erster Linie die Tür für Stan-
Nun zum zweiten Punkt, dem Heimrecht und der dardsenkungen öffnen und Bewohnerinnen und Be-
Heimmitwirkungsverordnung. Ich darf mich auf eine wohner entmündigen. Das kann nicht in unserem Sinne
Presseerklärung beziehen, die Sie zusammen mit der sein.
Landesvorsitzenden der FDP, Frau Homburger, veröf- Danke.
fentlicht haben. Dabei haben Sie das Wort „Entbürokra-
tisierung“ im Zusammenhang mit dem Heimrecht (Beifall bei der SPD – Heinz Lanfermann
verwandt. Ich möchte an Sie und auch an die Landesvor- [FDP]: Neun Minuten Vorurteile, Frau Kolle-
sitzende Homburger den dringenden Appell richten, in gin! – Hilde Mattheis [SPD]: Lesen Sie Ihren
Ihrer neuen Funktion als Mitregierende in Baden- Antrag!)
Württemberg im Zusammenhang mit dem Thema Ent-
bürokratisierung – das nehme ich sehr ernst – einfach Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
einmal zu hinterfragen, ob das Heimrecht wirklich Län- Nun hat das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/
dersache werden sollte. Dies würde in Deutschland zu Die Grünen die Kollegin Elisabeth Scharfenberg.
16 verschiedenen Heimrechten führen. – So viel zu Ihrer
geforderten Entbürokratisierung.
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist Ihr Antrag, NEN):
nicht unserer!) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
(B) – Ich bitte Sie, Herr Lanfermann. legen! Bürokratieabbau in der Pflege ist das Ziel dieses (D)
Antrags. Dass die FDP das so wörtlich nehmen würde,
(Heinz Lanfermann [FDP]: Nein, das hat die hätte ich nicht erwartet. Herr Lanfermann, es ist wahrer
Koalition eingebracht!) Bürokratieabbau, den Antrag vom Juni letzten Jahres
Die Länder haben hier ihren Anspruch angemeldet. Das ohne eine Aktualisierung einfach wieder aufzuwärmen.
ist unbestritten. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
(Beifall der Abg. Silvia Schmidt [Eisleben] DIE GRÜNEN)
[SPD] – Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist Ihr Das Thema Bürokratieabbau ist zurzeit zu Recht in
Antrag!) aller Munde, so auch im Bereich der Pflege. In Bezug
Ich möchte noch einmal auf das Heimrecht und die auf die Doppelprüfungen, die umfangreichen Dokumen-
Heimmitwirkungsverordnung im Sinne der Patienten tationen und unzähligen Verordnungen muss etwas pas-
und Patientinnen zu sprechen kommen. Sie schreiben in sieren, keine Frage.
Ihrem Antrag, dass die Menschen in den Einrichtungen In dem Antrag der FDP stecken viele richtige An-
im Prinzip den Ablauf dadurch stören, dass sie ihr Mit- sätze,
spracherecht in Anspruch nehmen.
(Beifall bei der FDP)
(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wo steht das?)
zum Beispiel die vorgeschlagene Arbeitsteilung zwi-
– Schauen Sie sich Ihren Antrag genau an.
schen der Heimaufsicht für die Strukturqualität und dem
(Heinz Lanfermann [FDP]: Zitieren Sie doch MDK für die Ergebnisqualität, die Überprüfung und
mal!) eventuell auch die Streichung der Leistungs- und Quali-
tätsvereinbarung, die Harmonisierung von SGB XI und
– Ich zeige es Ihnen gleich.
Heimgesetz oder die Reform des Heimgesetzes, um neue
(Heinz Lanfermann [FDP]: Nein, jetzt und Wohnformen zu fördern, statt sie weiter zu behindern.
hier!)
Diese Vorschläge sind ja allesamt im letzten Jahr auch
Aufgrund dieser Mitsprachemöglichkeiten könne es im vom „Runden Tisch Pflege“ gemacht worden, den die
unternehmerischen Ablauf zu einer Verzögerung kom- FDP übrigens in ihrem Antrag ziemlich heftig angreift.
men. Dazu muss ich anmerken: Wenn Sie diesen Punkt So viel weiter gehen Ihre Forderungen aber auch nicht,
so hervorheben und die Menschen in Heimen darauf re- verehrte Kolleginnen und Kollegen. Wie dem auch sei:
duzieren wollen, über den Speiseplan, wie Sie das Wir können uns sicherlich darauf verständigen, dass
2812 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Elisabeth Scharfenberg
(A) schon viel gewonnen wäre, wenn die Empfehlungen des den, ob sie sinnvoll ist bzw. ob sie sich mit anderen Re- (C)
Runden Tisches umgesetzt würden. gelungen reibt.
Kommen wir aber noch einmal zu den beiden genann- (Heinz Lanfermann [FDP]: Genau! Das hätten
ten Forderungen zum Heimgesetz. Die können wir nach Sie bei dem Satz davor auch berücksichtigen
derzeitigem Stand komplett vergessen. Denn das Heim- müssen!)
gesetz soll im Zuge der Föderalismusreform in die Zu- Solche Regelungen – ob unsinnig oder nicht – kommen
ständigkeit der Länder übergehen. Wenn das wirklich aber nicht deshalb zustande, um die Liberalen im Land
passiert, dann können wir – auch wenn wir uns im Bun- zu ärgern; sie sind vielmehr der Versuch einer Antwort
destag auf den Kopf stellen – in Bezug auf das Heimge- auf konkrete Probleme.
setz gar nichts mehr ausrichten. Genau zu diesem Punkt,
verehrter Herr Lanfermann, hätte ich in Ihrem Antrag Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP machen
gerne etwas gelesen. Ich wüsste wirklich gerne, wie Sie es sich aber etwas einfach. Die Quintessenz ihres An-
dazu stehen. trags lautet: Bürokratie ist per se schlecht; Bürokratieab-
bau ist per se gut. Bürokratieabbau bedeutet gleichsam
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Freiheit. Das aber ist der falsche Weg. Denn dadurch
Selbst die Union und die SPD äußern inzwischen öf- werden die Probleme nicht gelöst; sie werden nur unter
fentlich ihre Bedenken gegen die Verlagerung des Heim- den Teppich gekehrt.
rechts. Hierbei – darauf darf ich an dieser Stelle hinwei- Wir müssen von den Problemen ausgehen. In diesem
sen, Frau Mattheis – hat die große Koalition unsere volle Fall bedeutet das: Welche Erwartungen haben wir an die
Unterstützung. Pflege und die Pflegequalität?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon überschritten.
Erlauben Sie mir noch zwei grundsätzliche Anmer-
kungen zu dem Antrag der FDP. Erstens. So lobenswert
ich das Anliegen der FDP, Bürokratie abzubauen, finde, Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
so unbehaglich ist mir der Grundduktus des Antrags. NEN):
Wenn ich lese, dass die Mitwirkungsrechte der Be- Ich komme zum Schluss. – Um es auf den Punkt zu
wohnerinnen und Bewohner im Heimrecht wenig brin- bringen: Wie möchten Sie im Alter gepflegt werden,
gen, sondern nur den Aufwand steigern, dann macht Herr Lanfermann?
mich das schon sehr stutzig. Vielen Dank und frohe Ostern.
(B) (D)
Ich bekomme beim Lesen Ihres Antrages den Ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
druck, als sei die Mitwirkung der Heimbewohner in Ih-
ren Augen eine reine Last, die am besten abgeschafft
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
werden sollte.
Ich schließe die Aussprache.
(Zurufe von der FDP: Unsinn!) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Die Beteiligung der Heimbewohner ist aber ein elemen- Drucksache 16/672 an die in der Tagesordnung aufge-
tares Recht, das eher gestärkt als abgebaut werden muss. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossen.
sowie bei Abgeordneten der FDP – Heinz
Lanfermann [FDP]: Das bestreitet doch nie- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 auf:
mand!) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Aus eigener Berufserfahrung – sie liegt bei mir nicht so Schneider (Saarbrücken), Cornelia Hirsch,
lange zurück wie bei vielen anderen in diesem Haus – Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der
kann ich berichten, dass für die Menschen in den Hei- Fraktion der LINKEN
men gerade das Instrument des Heimbeirates extrem Zukunftsaufgabe Weiterbildung
wichtig ist.
– Drucksache 16/785 –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Ich habe in Altenheimen regelrechte Wahlkämpfe um Technikfolgenabschätzung (f)
den Heimbeirat erlebt. Er ist sehr wichtig. Innenausschuss
Rechtsausschuss
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Auch das hat im Übrigen etwas mit Freiheit zu tun. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Aber es ist nicht allzu neu, dass der Freiheitsbegriff bei Ausschuss für Kultur und Medien
den so genannten Liberalen etwas dehnbar ist.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Damit komme ich zum zweiten Punkt. Jede bürokrati- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
sche Regelung kann und sollte darauf untersucht wer- dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2813
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Erstens. Wer eine vierte Säule schaffen will, müsste (C)
Kollegen Volker Schneider von der Fraktion Die Linke. zuallererst die Zuständigkeiten klären. Nur die berufli-
che Bildung ist durch das Grundgesetz eindeutig zuge-
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): wiesen, und zwar der Kompetenz des Bundes. Dies
sollte auch für die weiteren Bereiche der Weiterbildung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
im Rahmen der Föderalismusreform geregelt werden.
Die große Koalition kündigt im Koalitionsvertrag an, die
Weiterbildungsbeteiligung, insbesondere die sozial Be- Zweitens. Dies könnte dann die Vorlage eines
nachteiligter, zu erhöhen. Mittelfristig will die Koalition Gesamtkonzeptes für die Weiterbildung mit bundesein-
die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssys- heitlichen Rahmenregelungen ermöglichen.
tems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbe-
dingungen eine Weiterbildung mit System etablieren. Drittens. Dringend ist mehr Verbindlichkeit, Ver-
Hinsichtlich dieser Zielsetzung dürfen Sie auf die volle lässlichkeit und Planungssicherheit für alle Beteiligten
Unterstützung meiner Fraktion rechnen. Wir werden zu schaffen. Dies gilt insbesondere für die Beschäftigten
nicht überkritisch darauf hinweisen, dass das Säulen- in der Weiterbildung.
modell eigentlich den Stand der Fachdiskussionen in den In dieser Woche habe ich auf einer Veranstaltung des
70er-Jahren und den 80er-Jahren reflektiert. Wir hoffen Bundesverbandes der Träger der beruflichen Weiterbil-
allerdings, dass die Ergebnisse der jetzigen Fachdiskus- dung die Ausführungen einiger der mir nun folgenden
sion vor 2030 Eingang in die politischen Diskussionen Rednerinnen und Redner verfolgt. Nach dem, was Frau
finden. Hinz und Herr Rossmann dort gesagt haben
Warnen müssen wir aber vor Tendenzen in den Aus- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
führungen des Koalitionsvertrags, einseitig Aspekte der GRÜNEN]. Das war eine gute Veranstaltung,
ökonomischen Verwertbarkeit von Weiterbildung in den nicht?)
Vordergrund zu stellen. Neben der beruflichen sind die
allgemeine, die politische und die kulturelle Weiterbil- – deshalb erwähne ich es hier ausdrücklich –, müsste es
dung ein Schlüssel für individuelle Lebenschancen, be- heute große Zustimmung zu unserem Antrag geben.
rufliche Entfaltung, kulturelle Teilhabe und gesellschaft- Oder werden Sie unseren Antrag nach dem leider häufig
liche Innovation. anzutreffenden Motto „Guter Antrag, aber falsche An-
tragsteller“ behandeln?
Nun sind Ankündigungen das eine; die Wirklichkeit
ist aber eine andere Sache. Nicht, dass hier ein weiterer (Zuruf von der SPD: Können Sie mal davon
Leuchtturm, nämlich ein strahlender Leuchtturm der An- sprechen, warum Sie unsere Anträge immer
(B) kündigungspolitik, entsteht. Denn so sieht die Realität ablehnen?) (D)
aus: Erstens. Die berufliche Weiterbildung seitens der Wie auch immer Sie mit dem Antrag umgehen, erspa-
Bundesagentur für Arbeit ist dramatisch zurückgegan- ren Sie meiner Fraktion und den Zuhörern zumindest
gen. Waren es 2002 noch 300 000 Teilnehmer, sind es den oft erhobenen falschen Vorwurf, die Linke veran-
heute gerade noch 100 000. stalte ein Wunschkonzert und mache sich keine Gedan-
ken um die Finanzierung. In den parallel stattfindenden
Zweitens. Einher geht dieser Rückgang mit zahlrei-
Haushaltsberatungen haben wir die finanziellen Auswir-
chen Insolvenzen und Trägerzusammenbrüchen. Der
kungen unserer Vorschläge korrekt beziffert und einen
von der Bundesagentur für Arbeit gewollte und von der
annehmbaren Vorschlag zur Finanzierung durch Um-
Bundesregierung geförderte Dumpingwettbewerb hat
schichtung vorgelegt.
nicht nur zum Verlust von 30 000 Arbeitsplätzen in die-
sem Bereich geführt, sondern auch zu Hungerlöhnen, die Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün-
oft lediglich auf Honorarbasis gezahlt werden. sche Ihnen ruhige und besinnliche Ostertage.
Drittens. Auch der Haushaltsansatz 2006 deutet (Beifall bei der LINKEN)
keine Verbesserungen an. Mit 38 Millionen Euro wird
die Koalition ihre ehrgeizigen Ziele nicht erreichen kön- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
nen. Wie soll etwas Neues finanziert werden, wenn die Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege
Mittel für lebenslanges Lernen und Weiterbildung um Alexander Dobrindt das Wort.
14 Millionen gekürzt werden?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Viertens. Am wenigsten nachzuvollziehen und zu ak-
zeptieren sind die drastischen Kürzungen der Mittel für
die Integrationskurse im Haushalt des BMI. Alexander Dobrindt (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
(Beifall bei der LINKEN) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es steht außer
Frage, dass das Thema Weiterbildung in der Zukunft
Dies ließe sich fortsetzen. Aber meine Redezeit
mehr Bedeutung haben wird, als es – zumindest bei uns –
zwingt mich zur Zurückhaltung. Aufgrund dieser zeitli-
ohnehin schon hat.
chen Beschränkung will ich nur kurz auf die Vorschläge
meiner Fraktion eingehen. Ich gehe einmal davon aus, Dafür gibt es eine ganze Reihe wichtiger Gründe; das
dass zumindest die Bildungspolitiker unter Ihnen unse- ist wahr. Ein Grund ist, dass man heute nicht mehr davon
ren Antrag sehr sorgfältig gelesen haben. ausgehen kann, dass man den einmal erlernten Beruf
2814 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Alexander Dobrindt
(A) sein Leben lang fortführen kann. Dafür gibt es genügend nenpotenzial der über 50-Jährigen wird bis zum Jahr (C)
Beispiele. Als ich jung war, war Fotolaborant ein ganz 2020 um 50 Prozent steigen, und das bei einem ansons-
normaler Ausbildungsberuf. Ich kenne heute keinen ten annähernd konstanten Erwerbspersonenpotenzial.
Menschen mehr, der diesen Beruf ausübt, geschweige Das heißt, der Anteil der über 50-jährigen Erwerbsperso-
denn eine entsprechende Lehre anbietet. nen wird von 22 Prozent im Jahr 2000 auf über 36 Pro-
zent im Jahr 2020 steigen.
Offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen
dem Fortbildungsniveau und der Arbeitslosenquote Angesichts dieses Anstiegs ist es umso bedrückender,
bzw. der Dauer des Verbleibs in der Arbeitslosigkeit. dass gerade diese Personen, die Älteren, in der Arbeits-
Dieser Zusammenhang zwingt uns dazu, dieses Thema welt diejenigen sind, die an Weiterbildungsmaßnahmen
sehr ernst zu nehmen. Auch der Abschlussbericht der am wenigsten teilnehmen. Deswegen müssen wir unser
Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Ler- Augenmerk auf diese Gruppe richten und wir müssen für
nens“ hat sehr deutlich gezeigt, dass das Risiko der Ar- die älteren Arbeitnehmer Anreize schaffen, an Weiterbil-
beitslosigkeit durch die Teilnahme an Fortbildungen si- dungen teilzunehmen.
gnifikant sinkt. Benjamin Franklin hat gesagt:
Hinzu kommt die Ehrlichkeit, den Menschen jetzt zu
Eine Investition in Wissen bringt immer noch die sagen, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter nach
besten Zinsen. und nach an das gesetzliche Renteneintrittsalter herange-
führt wird. Viele knapp über 50-Jährige glauben immer
Dieser Ausspruch hat seine Gültigkeit nicht verloren.
noch: Weiterbildung muss jetzt vielleicht nicht mehr
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sein; die paar Jahre komme ich schon noch durch; das
neten der SPD) klappt schon.

Genau deswegen hat die Koalition dem Thema Wei- Das Ergebnis wird heute ein anderes sein. Der alte
terbildung in ihrem Koalitionsvertrag einen ganz beson- Spruch „Das braucht’s bei mir nimmer“ wird so keine
deren Stellenwert eingeräumt. Wir haben uns vorgenom- Gültigkeit mehr haben.
men, die Weiterbildungsbeteiligung insgesamt zu
erhöhen. Außerdem haben wir uns vorgenommen, ein Aber es gibt noch eine ganze Reihe von anderen
Modell für das Bildungssparen zu entwickeln, das die Gründen, die den Menschen den Zugang zum Weiter-
Finanzierung von Weiterbildung auf neue Beine stellt bildungssystem versperren. Ein Grund sind die heute
und damit mehr Menschen die Chance gibt, an Weiter- nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten bei
bildungsmaßnahmen zu partizipieren. sinkenden Einkommen; das ist überhaupt nicht zu be-
streiten. Ein anderer Grund ist, dass gerade kleinere
(B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Unternehmen in aller Regel überhaupt keine Weiterbil- (D)
neten der SPD) dungskultur haben, wie man sie bei größeren Unterneh-
men vorfindet. So gibt es noch eine ganze Reihe von an-
Dass dies nötig ist, zeigt auch ein Bericht, der vor we- deren Dingen mehr.
nigen Wochen in der „Financial Times Deutschland“ er-
schien. Unter der Überschrift „Deutsche kümmern sich Diesen Barrieren werden wir uns in der Koalition sehr
nicht um Weiterbildung“ wird beklagt, dass die Quote schnell nähern. Wir werden einen Teil dieser Barrieren
der Teilnehmer an Weiterbildungskursen in den letzten aus dem Weg räumen. Wir werden politisch allerdings
Jahren rückläufig ist. Dagegen kann man nichts sagen; nicht alles aus dem Weg räumen können, was wir an
das ist eine Tatsache. In diesem Zusammenhang darf Barrieren erkennen; wir müssen den Einstieg schaffen.
man allerdings nicht vergessen, dass Weiterbildung
heute nicht nur in Kursen stattfindet. Eine ganze Reihe Ein zentrales Modell, diesen Einstieg in mehr Weiter-
von Weiterbildungsmaßnahmen findet heute direkt in bildung zu schaffen, wird das Bildungssparen sein. Wir
den Betrieben, in der konkreten Arbeitssituation statt: sind dabei, ein System zu konkretisieren, für das man als
Ein Kollege, der auf einer Schulung etwas gelernt hat, Vorbild vielleicht das Vermögensbildungsgesetz anden-
zum Beispiel die Bedienung von Maschinen, gibt sein ken kann, also gezieltes monatliches Ansparen für eine
Wissen an andere direkt weiter. Weiterbildungsmaßnahme. Das heißt ganz konkret, man
könnte einen Teil dessen, was wir heute als vermögens-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wirksame Leistungen kennen, mit einer kürzeren Binde-
der SPD) wirkung versehen, wenn es dann für Weiterbildung ver-
wendet wird.
Auch das selbstständige Lernen gewinnt durch die
neuen Medien, zum Beispiel durch das Internet, immer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
mehr an Bedeutung. Dadurch ergeben sich natürlich neten der SPD)
Substitutionseffekte. Auch das mag eine Erklärung dafür
sein, dass die Teilnahme an Kursen momentan rückläu- Ein weiterer Punkt, den wir zurzeit überlegen, ist die
fig ist. Schaffung eines Weiterbildungskredits – ähnlich einem
Studienkredit –, unter Einbindung der KfW. So geben
Trotzdem müssen wir diese Entwicklung sehr ernst wir den Leuten die Möglichkeit, mit Kreditleistungen
nehmen, weil wir den Weiterbildungsbereich schon auf- ihre Weiterbildung zu finanzieren.
grund des demografischen Wandels deutlich forcieren
müssen. Um ein Beispiel zu nennen: Das Erwerbsperso- (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2815
Alexander Dobrindt
(A) Auf jeden Fall wollen wir die Grundlagen für eine fi- mer untereinander heute auch das Erkennen des Gelern- (C)
nanzielle Neuausrichtung schaffen. Wir wollen, dass ten durch andere eine größere Rolle spielt.
Bindewirkungen für finanzielle Mittel entstehen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wir wollen erreichen, dass in den Köpfen der Leute neten der FDP)
Weiterbildung wieder eine größere Rolle spielt. Wir
müssen das Thema an die Menschen heranbringen. Einer Wir arbeiten also an einem System, das Weiterbildung
der wichtigen Aspekte dabei ist, auch zu erkennen: Wir nachvollziehbar macht, das eine Verlängerungswirkung
schultern das nicht allein politisch. Wir brauchen die in Bezug auf Qualifikation hat und das das Verfallsda-
Menschen dazu. Wir brauchen auch die Unternehmen tum der Bildung – so schwer verständlich das auch
dazu. klingt – aufheben kann.
Wenn ich heute mit Unternehmern rede, dann sagen Zusammengefasst möchte ich sagen, dass uns drei
sie mir: Weiterbildung ist ein wichtiger Punkt. Die Kos- Dinge im Besonderen wichtig sind: Wir brauchen eine
ten, die mit der Weiterbildung verbunden sind, sind nicht aktive Weiterbildung als einen entscheidenden Stand-
das direkte Problem. Das können wir finanzieren. Da- ortvorteil für die Menschen und für die Wirtschaft in
raus haben wir auch Vorteile. Das sind Effektivitätsge- unserem Land. Wir werden diesen Standortvorteil aus-
winne, motiviertere Mitarbeiter, Produktivitätsgewinne. bauen, weil wir die richtigen Rahmenbedingungen set-
Alles das ist vorhanden. Das Problem, das wir haben, ist zen, zum Beispiel mit dem Bildungssparen. Wir werden
der Faktor Zeit. die Menschen dazu bringen, die Entwicklung zum le-
bensbegleitenden Lernen aufzunehmen und Eigeninitia-
Das heißt, die Mehrzahl der Kosten ist mit der Abwe- tive mitzubringen. Das sind die drei wesentlichen
senheit der Mitarbeiter verbunden. Das Doppelte bis Punkte, die wir aus dieser Debatte mitnehmen müssen.
Dreifache der Kosten, die wir heute in der Weiterbildung Dann sind wir auf einem guten Weg, die Menschen mit
haben, ist nicht durch die Maßnahme selbst verursacht, mehr Weiterbildung auch zukünftig lernbereit zu halten.
sondern durch die Abwesenheit der Leute vom Arbeits-
platz. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
FDP)
Das können wir beim besten Willen nicht politisch lö-
sen, auch wenn die PDS es vielleicht gern hätte, dass der
Staat alle diese Probleme lösen könnte. Weiterbildung ist Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
heute nicht in jedem Fall eine Sozialleistung des Staates. Nun hat der Kollege Patrick Meinhardt das Wort für
Sie sollte es auch nicht sein. Wir brauchen in hohem die FDP-Fraktion.
Maße die Erkenntnis der Menschen, dass Weiterbildung
(B) (D)
ihnen bei der Bewältigung der derzeitigen und künftigen Patrick Meinhardt (FDP):
Lebensanforderungen hilft.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
(Beifall bei der CDU/CSU) und Kollegen! Die Gesellschaft des lebenslangen Ler-
nens, das ist die wirkliche Herausforderung in der Bil-
Wenn sie das erkennen, dann werden sie bereit sein, ei- dung für die Bundesrepublik Deutschland. Die Zeiten
nen höheren Eigenbeitrag zu leisten.
sind sicherlich endgültig vorbei, in denen es hieß:
Unsere Aufgabe ist es also, die Erkenntnis zu beför- Schule, Abschluss, Beruf. Diese Lebensbiografien sind
dern und Anreize zu geben. So werden wir die Men- Vergangenheit.
schen vielleicht davon überzeugen können, dass man mit
Arbeitszeitkonten auch etwas ansparen kann und seinen Die Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag
Eigenbeitrag leisten kann. Wir wollen die Eigeninitiative und die Antragsteller mit ihrem Ziel eines Gesamtkon-
nicht ausblenden. Wir wollen, dass die Menschen sich zepts Weiterbildung stimmen hier mit der FDP und ihren
selber deutlich einbringen. Die Politik muss die Rah- zahlreichen Initiativen in der vergangenen Legislaturpe-
menbedingungen dazu schaffen. riode überein: Die Weiterbildung muss zur vierten Säule
unseres Bildungssystems werden.
Dazu haben wir eine Reihe von Maßnahmen ergrif-
fen. Wir haben in der letzten Wahlperiode das Berufsbil- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
dungsgesetz gemeinsam mit der SPD novelliert. der SPD)

(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Das war es dann bezüglich der Übereinstimmung aber
GRÜNEN]: Mit den Grünen!) auch schon. Hier endet der Konsens mit dem Antrag der
Linken. Den Forderungen, die Sie in Ihrem so genannten
Wir haben den stufenweisen Ausbau der Ausbildung da Weiterbildungskonzept anführen, können wir uns in vie-
hineingebracht. len Bereichen nicht anschließen. Sie formulieren erstens
Wir brauchen langfristig auch ein Konzept der Wei- – ich zitiere –:
terbildung, das modular aufgebaut ist, also ein Konzept Um Offenheit, Lernbereitschaft … zu fördern, tritt
des lebensbegleitenden Lernens mit Modulen. Bei uns der Deutsche Bundestag dafür ein, die Weiterbil-
in Bayern heißt es immer: „G’lernt ist g’lernt“. Das dungsbeteiligung … zu erhöhen.
stimmt. Allerdings muss man erkennen, dass wir bei
dem „G’lernt ist g’lernt“ mehr Transparenz hineinbrin- Jetzt aber würde es erst interessant werden: Wodurch,
gen müssen, weil wegen der Konkurrenz der Arbeitneh- womit und mit welchen Mitteln? Selbst Sie scheuen sich
2816 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Patrick Meinhardt
(A) davor, Zwangskurse vorzuschlagen. Mit welchem kon- raum ist der Bildungsraum der Zukunft und muss ein (C)
kreten Mittel soll das also geschehen? Schwerpunkt im Bereich der Weiterbildung sein.
Zweitens. Auch die weiteren Forderungen sind abzu- (Beifall bei der FDP)
lehnen, da sie unkalkulierbare Folgen für den Haushalt
Zweitens. Wir brauchen das Gesetz zur Weiterbil-
nach sich ziehen würden. Ein Recht auf Weiterbildung,
dungsfinanzierung. Dabei geht es, wie korrekt ange-
das hier garantiert werden soll, existiert in der Bundesre-
sprochen, um das Bildungssparen, aber auch um den
publik Deutschland doch schon längst. Jede Bürgerin
nächsten Schritt, nämlich um die Absicherung der Wei-
und jeder Bürger hat natürlich schon jetzt das Recht, an
terbildungskonten bei Insolvenz von Arbeitgebern. Bei-
Kursen der Volkshochschule oder an Maßnahmen der
des muss zusammenkommen.
beruflichen Weiterbildung teilzunehmen.
Drittens. Die Teilnehmer der FDP-Anhörung hatten
Was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich kritisieren wol- eine ganze Reihe von Zweifeln an der Weiterbildungs-
len, steht dort leider nicht. Sie haben es jetzt in Ihren politik der Bundesagentur für Arbeit. Deshalb ist es
Ausführungen erwähnt. Wir alle wissen um die Bedeu- für uns als FDP klar: Die Bundesagentur für Arbeit muss
tung der Weiterbildung. Trotzdem haben wir es in den in ihrer Weiterbildungspolitik kritisch, sogar sehr kri-
vergangenen Jahren, von 2001 bis 2006, zugelassen, tisch überprüft werden.
dass die Zahl der Teilnehmer an Weiterbildungs-
maßnahmen von 370 000 auf sage und schreibe (Beifall bei der FDP)
106 000 Teilnehmer zurückgegangen ist. Hier hätten wir
in der Vergangenheit schon längst mit einer sinnvollen Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
und notwendigen Weiterbildungsoffensive richtige Zei- hier in diesem Parlament der Weiterbildung einen deut-
chen setzen können. lich höheren Stellenwert geben wollen, sollten wir uns
über die Fraktionsgrenzen hinweg auf eine umfassende
(Beifall bei der FDP) Anhörung zum Themenbereich Weiterbildung einigen.
Damit würden wir dem Thema den Stellenwert geben,
Drittens. Auch wenn Sie eine „ausreichende Finanzie- den es braucht, um dann die richtige Weiterbildungsstra-
rung eines bedarfsgerechten Angebots“ fordern, fehlt tegie zu entwickeln.
uns, dass Sie weder definieren, was Bedarf ist, noch, was
„bedarfsgerecht“ ist, noch, was unter „ausreichend“ ver- Vielen Dank.
standen wird. Dieser Antrag offenbart Ihren Anspruch an (Beifall bei der FDP)
einen Staat, der sich in alle Belange einmischen darf und
alle Belange mitfinanzieren muss. Das ist ein Denken,
(B) das den Ansprüchen unserer heutigen Zeit nicht mehr Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (D)
gerecht wird. Nun hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann das
Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der SPD)
Für uns ist es wichtig, die richtigen Fragen am richti-
gen Ort zu stellen. Wir als FDP haben uns erst letzte Wo- Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
che mit allen Beteiligten – den Verbänden, der Wissen-
schaft sowie den Sozialpartnern inklusive Verdi und Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion
GEW – zusammengesetzt, um die wirklich drängenden hat den Aufschlag gemacht für die Weiterbildungsdis-
Fragen zur Zukunft der Weiterbildung zu beraten, denen kussion, die wir jetzt zu führen haben. Diese Diskussion
sich auch dieses Parlament stellen muss. Diese sind: hatten wir allerdings schon in der Vergangenheit. Ich
Welche politischen Maßnahmen müssen ergriffen wer- möchte zum Verfahren, zu Inhalten und zur strategischen
den, um den Stellenwert und die Akzeptanz der Weiter- Einordnung einige Bemerkungen machen.
bildung zu vergrößern? Wie kann die Finanzierung der Was das Verfahren angeht, so muss ich sagen, dass
Weiterbildung auf solide Grundlagen gestellt werden? wir eine Restgröße aus der letzten Legislaturperiode
Wie kann die Politik mithelfen, den Schlüsselaufgaben noch abzuarbeiten haben. Das ist die Anhörung im Aus-
E-Learning und Wissensmanagement gerecht zu wer- schuss zum Bericht der so genannten Timmermann-
den? Wie können die Weiterbildungs- und insbesondere Kommission.
die Nachqualifizierungsangebote effizienter werden?
Das sind die Fragen, die wir in der letzten Woche hier (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
mit den Fachleuten erörtert haben und denen wir uns DIE GRÜNEN)
auch in diesem Hohen Haus stellen müssen. Es ist tatsächlich überfällig, das jetzt in Angriff zu neh-
Ausgehend von diesen Fragen werden wir als FDP- men. Dies gilt umso mehr, als wir als Koalitionspartner
Fraktion eine ganze Reihe von parlamentarischen Initia- mit Offenheit und durchaus mit Freude zur Kenntnis
tiven starten: nehmen, dass die Ministerin einen Rat für Weiterbil-
dung angekündigt hat, nachdem schon ein Rat für beruf-
Erstens. Im aktuellen Haushalt wollen wir erreichen, liche Bildung eingerichtet wurde. Es ist wichtig, dass
dass die zukunftsweisende Lernform des E-Learnings sich das Parlament in diese Diskussion einbringt, was
nicht weniger Mittel erhält, sondern verstärkt finanziell die Zielsetzung und die zentralen Fragestellungen an-
gefördert wird. Denn gerade dieser virtuelle Bildungs- geht, damit all dies zusammenfließen kann. Es wird auch
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2817
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(A) eine Ausschussaufgabe sein, diese Punkte mit der Minis- mit dem Programm „Lernende Regionen – Förderung (C)
terin zu erörtern. von Netzwerken“ und mit dem Aktionsprogramm „Le-
bensbegleitendes Lernen für alle“ vorankommen konn-
Ihre Frage bezüglich der beruflichen Bildung berührt ten.
die Nahtstelle zwischen beruflicher Bildung und Weiter-
bildung. Das gilt speziell für die Nachqualifizierung In diesem Sinne gibt es in dieser Legislaturperiode
junger Erwachsener ohne Schul- und Ausbildungsab- keine Stunde null, sondern den gleichen Aufbau mit dem
schluss. Dazu gehören ferner die optimale Verzahnung zentralen Baustein, die Säule Weiterbildung zu verstär-
und die Durchlässigkeit vom beruflichen Bereich zum ken, um in Zukunft neue Chancen zu eröffnen.
Hochschulbereich. Wir möchten, dass die entsprechen-
den Maßnahmen zusammen mit dem Parlament entwi- Kollege Dobrindt hat im Zusammenhang mit der Ko-
ckelt werden. Dies ist umso wichtiger, als die Ministerin alitionsvereinbarung dargestellt, dass wir in drei zentra-
wie die gesamte Regierung im Jahr 2007 die Aufgabe len Bereichen zusätzliche Bausteine einführen wollen. In
hat, die EU-Präsidentschaft wahrzunehmen. Dazu ge- einem ersten Feld geht es um erste und zweite Chancen.
hört, dass das lebenslange Lernen als ein zentrales Wenn Sie sich das Arbeitsprogramm der Ministerin an-
Thema der Europäischen Union ausgestaltet werden sehen, dann stellen Sie fest, dass dort ausdrücklich von
muss. Diese Entwicklungen müssen also zusammenlau- dem Programm „Grundbildung Erwachsener“ die Rede
fen. Wir als Parlamentarier wollen uns daran beteiligen. ist, mit dem Menschen, die die Grundfähigkeiten Lesen,
Ihr Antrag gibt dem noch einmal einen Schub. Schreiben, Rechnen und den Umgang mit neuen Medien
bisher nicht erwerben konnten, gefördert werden sollen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist faktisch eine erste Chance. Es soll im Weiteren
der LINKEN) ein Programm zur Nachqualifizierung im Sinne einer
zweiten Chance begründet werden.
Wir haben uns als Bildungspolitiker einzubringen
– das klang von vielen Seiten, auch vonseiten der FDP Das zweite Feld bezieht sich auf das Übergangsma-
schon an –, wenn es aus bildungspolitischer Sicht um nagement bzw. die Durchlässigkeit von beruflicher Bil-
Korrekturen beim so genannten Hartz-Prozess geht. Wir dung und Hochschule. Das Programm „Lernende Re-
hätten uns manches ersparen können, hätten wir damals gion“ soll im Sinne einer besseren Vernetzung bis hin zu
mehr Zeit gehabt, nachzudenken. kulturellen Bezügen
(Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das soll eine Aufforderung sein, wenigstens jetzt gründ- und auch in betriebliche Bezüge hinein ausgebaut wer-
lich nachzudenken. Ich denke im Zusammenhang mit den. Beides soll in Kombination erfolgen. Auch die
(B) dem Bildungsbereich und der Hartz-Gesetzgebung an Durchlässigkeit von beruflicher Bildung und Hoch- (D)
die Bindungswirkung der Gutscheine, an die Vergabe- schule soll verstärkt, vor allem transparent gemacht und
dauer von Aufträgen, an die Losgrößen und auch an die auf einen gleichen Standard gehoben werden.
Qualitätsstandards, die man dem Personal in Sachen
(Beifall bei der SPD)
Bezahlung und Ausstattung zusichern muss. Wir müssen
manches ernsthaft weiterverfolgen, damit es in diesem Schließlich ist das dritte Aktionsfeld eine bessere Un-
Bereich zu Korrekturen kommt. terstützung bei betrieblichen Qualifizierungsprozessen,
die es in der Wirtschaft gibt, und dort, wo sich berufliche
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Weiterbildung in entscheidenden Bereichen vollzieht.
DIE GRÜNEN)
Die Stichworte „Bildungssparen“ und „Einsetzung einer
Wir bitten, dass sich auch die CDU/CSU darauf einlässt, stärkeren Rückversicherung bei Bildungszeitkonten“
mit uns zusammen Korrekturen in diesem Bereich zu er- wurden schon genannt. – Dies sind die drei Handlungs-
möglichen. felder.
Dieses Zusammenfließen ist ein Prozess. Wir werben Man merkt aber auch, wo es noch eine Differenz gibt.
dafür, dass alle Seiten dafür Verständnis haben, dass die- Die Partei der Linken hat geäußert, dass sie ein Bundes-
ser Prozess nicht so schnell zu Ergebnissen führen kann. rahmengesetz für Weiterbildung einführen wollten. Das
Denn in der letzten Legislaturperiode haben wir zusam- gehört auch zur Programmatik der SPD. Aber wie es nun
men mit dem Bündnis 90/Die Grünen erlebt, dass sich einmal in Koalitionen ist: Man kommt nicht gleich zum
die Erfolge in den sieben Jahren unserer Regierungszeit Ziel. Ich will Frau Merkel zitieren, die in einem anderen
nur schrittweise eingestellt haben. In der Stunde Null lag Zusammenhang gesagt hat: Wir machen erst einmal das,
nicht gleich das fertige Ergebnis vor. Aber durch die sys- was im Koalitionsvertrag steht, und dann müssen wir se-
tematische Erarbeitung von Bausteinen sind wir zu gu- hen, wie wir weiterkommen.
ten Ergebnissen gekommen. Denken Sie daran, dass wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
das Meister-BAföG und das Zuwanderungsgesetz als der CDU/CSU)
Leistungsgesetze im Weiterbildungsbereich ausbauen
konnten! Denken Sie daran, dass wir zusammen mit der Die SPD hat etwas vor, was darüber hinaus zielt, näm-
Stiftung Warentest unter Einbeziehung von Bildungs- lich die Einführung eines gesetzlich begründeten An-
testaufgaben und Instrumenten der Qualitätssicherung spruchs auf Mindestzeiten, eine Mindestabsicherung und
bei der Bundesagentur für Arbeit neue Qualitätsstan- eine Mindestqualitätssicherung bei der Weiterbildung in
dards gesetzt haben! Denken Sie ferner daran, dass wir Form eines Rahmengesetzes, zu dem wir genauso
2818 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) bekennen müssen: Dies muss sich entwickeln. Die Ein- Auch wenn der großen Koalition Anerkennung dafür (C)
bringung eines solches Gesetzentwurfes kann man jetzt auszusprechen ist, dass sie in einer Partnerschaft auf Zeit
noch nicht auf den Tag genau festlegen. Wir sind durch- konstruktiv und dynamisch zusammenarbeitet, müssen
aus hoffnungsvoll, dass wir dafür auch die Zustimmung wir dennoch in die Gesellschaft schauen.
der anderen großen Volkspartei – vielleicht schneller als
erwartet – gewinnen können. Die positiven Gesichtspunkte, die in Bezug auf die
Unternehmen bereits genannt wurden, möchte ich im
Wenn es um die Strategie geht, kann ich an Bemer- Hinblick auf die Gewerkschaften noch ergänzen. Wenn
kungen anknüpfen, die Kollege Dobrindt und andere ge- ich zurückblicke, dann stelle ich fest, dass die IG Metall
macht haben, nämlich dass die Einordnung unseres An- einen Orden Pour le Mérite verdient, was die Weiterbil-
liegens so erfolgen muss, dass wir den Schwung aus dung angeht.
anderen Quellen dafür nutzen, Weiterbildung nicht nur
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
zu beschwören, sondern sie in der Gesellschaft als ein
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
positives Element der Lebensgestaltung, der Absiche-
GRÜNEN)
rung des Erwerbs und zusätzlicher Lebenschancen zu
verankern. Sie hat das Thema Weiterbildung in Tarifverträge und
Tarifauseinandersetzungen hineingebracht, mit der
Subjektiv gesehen sind wir dicht bei diesem Anlie- Folge, dass es jetzt Weiterbildungsberatungen und sogar
gen; aber objektiv gesehen fehlt uns noch etwas. Bei ei- einen Anspruch auf Weiterbildung gibt. Diese Ausei-
nem Vergleich der innovativen Volkswirtschaften mit nandersetzungen verliefen nicht immer zur Zufriedenheit
denjenigen, die nicht so wertschöpfungsintensiv sind, aller Mitglieder, die sich am Ende sogar mit einem Streik
kann man erkennen, dass in Finnland, in Dänemark und das Recht auf Weiterbildung und die Unterstützung für
in Schweden kontinuierlich vorbildliche Leistungen in Weiterbildung erkämpft haben. Diese Facette sollten wir
Bezug auf die berufliche Weiterbildung erbracht worden in der aktuellen Tarifrunde durchaus beachten.
sind. Hier besteht ein Rechtsanspruch, der von den Be-
schäftigten als Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit
positiv aufgenommen worden ist. Das hat England über- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
nommen. Objektiv müssen wir feststellen: In Deutsch- Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
land sind wir noch auf dem Niveau von Ungarn. Das
kann nicht so bleiben. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Ich glaube, dass die Partei der Arbeitnehmer und die
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Partei, die viele Dinge eher aus unternehmerischer Sicht
der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS-
(B) sieht, ein gemeinsames Interesse in der Gesellschaft ver- (D)
SES 90/DIE GRÜNEN)
bindet: nämlich das Interesse an Weiterbildung als einem
Das muss sich vielmehr auch bei uns verändern, wenn Garanten für Wertschöpfung und individuelle Chancen-
wir den Lissabonprozess, in dem es darum ging, über sicherung in der Zukunft. Diesem Interesse zu entspre-
die Verstärkung der Forschung und Entwicklung eine chen, wäre das Wichtigste, was wir in dieser Legislatur-
nachhaltige Wertschöpfung zu erreichen, ernst nehmen periode erreichen können.
wollen und unser System um das ergänzen wollen, was Danke.
uns Beobachter, Bildungsforscher und Ökonomen im
Zusammenhang mit diesem Prozess sagen, nämlich dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
Investitionen in die Qualifizierung ein nachhaltiger Bei- bei Abgeordneten der LINKEN)
trag sind, den man leisten muss, damit es dauerhafte
Wertschöpfung auf einem hohen Niveau gibt. So lautet Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
der Zwischenbericht von Wim Kok zu dem so genannten Nun erteile ich das Wort der Kollegin Priska Hinz,
Lissabonprozess aus dem Jahr 2000. – Das ist der eine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
objektive Faktor, der Weiterbildung mächtiger werden
lässt.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Der zweite Faktor ist von Ihnen angesprochen worden NEN):
mit der – vielleicht nicht eintretenden, aber auch nicht Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
auszuschließenden – Perspektive der Rente mit 67. Schneider, Sie sprechen in Ihrem Antrag zu Recht von
Wenn es eine längere Lebensarbeitszeit gibt, dann erhält der Zukunftsaufgabe Weiterbildung. Sie haben gemut-
man Beschäftigungsfähigkeit unter anderem durch Wei- maßt, dass man Ihrem Antrag nicht zustimmt, weil er so
terbildung, aber nicht erst Weiterbildung bei den 55- bis ein Wunschkonzert ist. Ich muss dazu sagen: Wenn man
60-Jährigen, sondern in der Altersgruppe der 30- bis eine Zukunftsaufgabe beschreibt, dann muss das anders
50-Jährigen. Mit dieser Weiterbildung werden die ent- aussehen als in Ihrem Antrag; denn Sie haben wichtige
scheidenden Grundlagen dafür gelegt, dass es nicht den Themen leider ausgespart.
wahrzunehmenden Abbruch in der Qualifikation von
Menschen über 55 gibt, der in Deutschland leider zu ver- Veränderte Lebensbiografien zum Beispiel führen
zeichnen ist. dazu, dass sich künftig die Phasen von Bildung, Er-
werbsarbeit und gesellschaftlicher Arbeit abwechseln
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden. Hinzu kommt, dass das Renteneintrittsalter ver-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schoben wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2819
Priska Hinz (Herborn)
(A) Des Weiteren brauchen wir eine Verknüpfung von men brauchen sie, um wettbewerbsfähig zu sein, um mit- (C)
Weiterbildung mit der Erstausbildung. Das bedeutet, wir halten zu können. Sie brauchen gute Arbeitnehmerinnen
brauchen ein ganz anderes Verständnis von lebenslan- und Arbeitnehmer, weil sie die Zukunft eines jeden Un-
gem Lernen und auch von dessen Finanzierung. Leider ternehmens sind. Darüber verlieren Sie überhaupt kein
kommt das in Ihrem Antrag zu kurz. Wort. Das hat mich sehr gewundert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE
Außerdem ist Ihr Antrag geschlechterblind – wenn
LINKE]: Das diskutieren wir im Zusammen-
ich das einmal so sagen darf. Die Tatsache, dass vor al-
hang mit Bildungssparen!)
len Dingen Frauen von Weiterbildungsangeboten unter-
durchschnittlich profitieren und von Angeboten gar nicht Beim Thema Finanzierung darf man nicht nur die öf-
erreicht werden, wenn sie sich in der Familienphase be- fentliche, beitragsfinanzierte, sondern muss auch die be-
finden oder hinterher wieder in den Beruf einsteigen trieblich und privat finanzierte Weiterbildung berück-
wollen, ist Ihnen keine Zeile in Ihrem Antrag wert. Das sichtigen. Insofern ist in meinen Augen auch die
ist aber ein gravierendes Problem nicht nur für die Vorstellung der CDU/CSU zu einseitig. Bildungssparen
Frauen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt und ist ein Aspekt bei der Finanzierung, der Weiterbil-
für die Wirtschaft. dungskredit könnte ein weiterer sein. Wir müssen aber
den ganzen Strauß von Möglichkeiten sehen.
Auch die anderen Gruppen, die viel zu wenig an Wei-
terbildung teilnehmen – seien es die gering Qualifizier- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ten, die Älteren, die Migranten oder die Behinderten –, sowie bei Abgeordneten der SPD)
werden in Ihrem Antrag nicht genannt. Eigentlich ist Ihr
Antrag immer noch so aufgestellt, dass er die normale Ich halte es für notwendig – das habe ich auf der be-
männliche Erwerbsbiografie vor Augen hat: Da muss sagten Veranstaltung auch schon gesagt –, dass wir zu
man halt noch Weiterbildung machen, um im Erwerbs- dem Bericht aus der letzten Wahlperiode und zum neuen
leben vorwärts zu kommen, und wenn man arbeitslos ist, Weiterbildungsbericht der Bundesregierung eine Anhö-
muss eben das Arbeitsamt für Fortbildung sorgen. So ist rung durchführen, damit wir uns bei diesem Thema gut
Ihr Antrag aufgebaut; er geht eigentlich an den Notwen- einmischen und ein Gesamtkonzept entwickeln können.
digkeiten vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der SPD)
Natürlich wollen auch wir Weiterbildung in der Ar-
(B) beitslosigkeit in Zukunft sicherstellen. Deswegen muss Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (D)
dringend – das hat Herr Rossmann schon gesagt – das Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt.
System der Bildungsgutscheine verändert werden, das Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
gerade bildungsferne Arbeitslose ausschließt. Wir brau- der Drucksache 16/785 an die in der Tagesordnung auf-
chen andere Arten von Qualitätskriterien und wir brauchen geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Wie ich sehe,
Planungssicherheit für die Weiterbildungsträger, damit sind Sie damit einverstanden. Dann ist die Überweisung
sie auch qualifizierte Weiterbildung vermitteln können. so beschlossen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie den Zu-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
satzpunkt 8 auf:
Weil wir ganz unterschiedliche Zielgruppen und Le-
29 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
bensphasen ins Auge nehmen müssen, brauchen wir
Hinz (Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
ganz unterschiedliche Weiterbildungsmöglichkeiten: Ar-
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
beitszeitkonten, Job-Rotation, natürlich tarifvertragliche
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Regelungen und Bildungsurlaub. Wir müssen aber auch
über das neue Modell der Lebensphasenteilzeit nachden- Den Europäischen Bildungsraum weiter ge-
ken und uns mit der Frage, wie informelles Lernen statt- stalten – Transparenz und Durchlässigkeit
finden kann und nach welchen Qualitätskriterien es aner- durch einen Europäischen Qualifikationsrah-
kannt werden kann, beschäftigen. Eventuell brauchen men stärken
wir im Rahmen der Weiterbildung auch Elemente einer
Beschäftigtenversicherung. – Drucksache 16/1063 –
Überweisungsvorschlag:
Im Antrag der Linken habe ich ein Thema besonders Ausschuss für Bildung, Forschung und
vermisst: Die Rolle der Unternehmen bei der Weiter- Technikfolgenabschätzung (f)
bildung wird völlig ausgespart. Bei diesem Thema sind Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Sie doch sonst immer vorne dabei. Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saar-
Worin sehen Sie den Anteil der Wirtschaft an der Weiter- brücken), weiterer Abgeordneter und der Frak-
bildung? Weiterbildung ist Innovation. Die Unterneh- tion der LINKEN
2820 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) Anforderungen an die Gestaltung eines euro- (Beifall der Abg. Cornelia Hirsch [DIE (C)
päischen und eines nationalen Qualifikations- LINKE])
rahmens
dass sie sich noch nicht richtig in den europäischen Um-
– Drucksache 16/1127 – setzungsprozess eingebracht hat.
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Wir hoffen sehr, dass die Bundesregierung den Pro-
Technikfolgenabschätzung (f) zess beeinflussen möchte. Es ist doch auch im nationalen
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Interesse wichtig, zu überlegen: Wo sind unsere Stärken?
Ausschuss für Arbeit und Soziales Was wollen wir in diesen Prozess einbringen? Was ist an
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unseren Bildungsgängen gut? Wie können wir uns in die
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Gestaltung des europäischen Bildungsraums einbringen?
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe Man sollte nicht – wie bei der Dienstleistungsrichtlinie –
dazu keinen Widerspruch. Dann ist auch das so be- am Ende dastehen und sagen: So haben wir uns das nicht
schlossen. gedacht, aber die anderen waren schneller.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort er- Wir wollen also, dass die Ganzheitlichkeit der Aus-
neut der Kollegin Priska Hinz von der Fraktion des bildung bei der Umsetzung des EQR gesichert werden
Bündnisses 90/Die Grünen. kann. Bei uns werden in der Erstausbildung berufliche
Grundlagen vermittelt. So wird eine fachlich gute Aus-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bildung erreicht, die aber auch soziale Kompetenzen
sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann stärkt und die Grundlage für eine weitere Spezifizierung
[SPD]) ist. Darauf sind wir stolz; das wollen wir auch in einem
europäischen System wiederfinden.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir wollen, dass der EQR in ein System lebenslan-
NEN): gen Lernens eingebettet wird. Ich beziehe mich hierbei
Keine Angst, das wird kein Dauerzustand. – Frau Prä- auf die Debatte von vorhin. Es macht keinen Sinn, mit
sidentin! Meine Damen und Herren! In der Europäischen dem höchsten akademischen Abschluss aufzuhören; le-
Union gibt es seit vielen Jahren vielfältige Bemühungen, benslanges Lernen – Stufen darüber hinaus – ist wichtig.
einen gemeinsamen Bildungsraum zu gestalten. Man muss die entsprechenden Kompetenzen auf ver-
schiedene Weise erwerben können.
Eine neue Initiative ist die Entwicklung eines euro-
(B) päischen Qualifikationsrahmens. Das ist ein sehr kom- Die Zusammenführung durch den Europass und das (D)
plexes Thema. Dieser EQR, wie er kurz heißt, bietet die europäische Leistungspunktesystem für berufliche Bil-
Chance, Qualifikationen europaweit vergleichbar zu ma- dung, ECVET, muss gesichert werden. Die Zertifizie-
chen. Gleichzeitig soll er eine Übersetzungshilfe sein. Er rung, die von der Linken gefordert wird, muss vor allen
soll die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen nationa- Dingen unbürokratisch und transparent vollzogen wer-
len Systemen befördern, die Gleichwertigkeit von beruf- den. Jeder muss wissen, wer welche Qualifikationen wa-
licher und akademischer Bildung herstellen – das ist aus rum wie bewertet. Das ist für die Akzeptanz des Qualifi-
unserer Sicht besonders wichtig – und bessere Über- zierungsrahmens sehr wichtig.
gangsmöglichkeiten zwischen den Bildungsgängen
schaffen. Zum Beispiel soll man beim Wechsel in einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
anderen Bildungsgang auf bereits erworbenen Kompe- und bei der SPD)
tenzen aufbauen können und nicht wieder von vorne an-
fangen müssen. Der EQR macht nur Sinn, wenn ein nationaler Qua-
lifikationsrahmen darauf aufbaut. Erst dann ist der
Der europäische Qualifikationsrahmen soll sich an europäische Qualifikationsrahmen praktisch anwendbar.
Lernergebnissen orientieren, die in Kompetenzstufen Auch für den nationalen Rahmen gilt: Durchlässigkeit,
eingeordnet werden. Das ist für Deutschland wichtig, Gleichwertigkeit und lebenslanges Lernen müssen ge-
weil dann die im Rahmen der dualen Ausbildung vermit- währleistet sein. Man sollte seine Einführung als Quali-
telten, oftmals sehr hohen Kompetenzen im europäi- fizierungsoffensive begreifen.
schen Vergleich auf einer Skala entsprechend gewertet
würden. Das Problem, dass wir zu wenig Akademiker Wir brauchen eine öffentliche Debatte über die Ent-
haben, stünde dann in einem anderen Licht. Durch die wicklung des europäischen Qualifikationsrahmens und
Einführung des europäischen Qualifikationsrahmens des nationalen Qualifikationsrahmens. Auch bei diesem
würde der Wert von Kompetenzen – zurzeit werden ei- Thema wollen wir, das Parlament, uns einmischen, da-
gentlich nur Kompetenzen wahrgenommen, die im aka- mit die Entwicklungen nicht an uns vorbeilaufen.
demischen Raum erworben werden – verschoben. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
Es gibt aber auch viele Probleme und ungelöste Fra- [SPD])
gen, die im Zusammenhang mit dem Qualifikationsrah- Wir wollen die Bundesregierung dabei im Ausschuss
men aufgeworfen werden. Umso bedauerlicher finden gerne beraten.
wir es, dass die Bundesregierung mit einer zweiten Stel-
lungnahme noch immer auf sich warten lässt, Danke schön.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2821
Priska Hinz (Herborn)
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sodass bei der Abschlussprüfung auch die Zeiten ange- (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD) rechnet werden, die in Italien, Holland oder in anderen
Ländern verbracht wurden. Damit können wir in der be-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ruflichen Ausbildung grenzüberschreitend tätig werden.
Nun hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Uwe (Beifall bei der CDU/CSU)
Schummer das Wort.
Die qualifizierte Stufenausbildung ist ein Zukunfts-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- konzept. 100 000 junge Menschen landen jedes Jahr
neten der SPD) ohne eine Qualifizierung auf der Straße oder kommen in
Ersatzmaßnahmen. Uns geht es darum, dass bei der Stu-
Uwe Schummer (CDU/CSU): fenausbildung das Alles-oder-nichts-Prinzip überwun-
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe den wird, dass mit Zwischenabschlüssen dafür Sorge ge-
Kollegen! Die öffentliche Debatte über die Weiterbil- tragen wird, dass derjenige, dem nach der ersten Stufe
dung und über den europäischen Bildungsraum wurde der Atem ausgeht, durch die Vernetzung der Weiterbil-
mit der Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung ge- dung und Ausbildungsmodule die Chance hat, die zweite
startet. Es gibt kaum eine Koalitionsvereinbarung, in der Stufe später nachzuholen.
sich die Weiterbildung und der europäische Bildungs- (Beifall bei der CDU/CSU)
raum fundiert und klar umrissen wiederfinden, und zwar
mit ganz konkreten Projekten wie Bildungssparen, 100 000 junge Menschen stehen vor dem Nichts. Sie sol-
BAföG für Weiterbildungen und Insolvenzabsicherung len mit dieser Vernetzung und über Zwischenabschlüsse
von Lernzeitkonten. Das heißt, diese Koalitionsverein- eine Chance für die Zukunft bekommen.
barung ist eine Selbstverpflichtung der sie tragenden Der wichtigste Punkt – gerade vor dem Hintergrund
Fraktionen und hat bereits diese Debatte angeschoben. dessen, was gerade in der Rütli-Schule in Berlin stattfin-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. det – ist, dass Berufsbilder, die Hauptschülern heute ver-
René Röspel [SPD]) schlossen sind, ihnen durch die Stufenausbildung wieder
geöffnet werden. Das gilt auch für praktisch Begabte, die
Für uns geht es bei der beruflichen Ausbildung auf mit der ersten Stufe die Zugangsberechtigung für die
der einen Seite um Quantität und auf der anderen Seite zweite Stufe bekommen.
um Qualität. Die Quantität wird durch den Ausbildungs-
pakt, der verlängert werden muss, sichergestellt; die (Beifall bei der CDU/CSU)
Steigerung der Qualität wird von der Strukturkommis- Das ist entscheidend. Deshalb müssen wir die Stufenaus-
(B) sion, die Annette Schavan eingerichtet hat und in der bildung vorantreiben. (D)
kreative Köpfe, nicht Lobbyisten, letztlich das Sagen ha-
ben, begleitet und vorangetrieben. Wir müssen ein neues Wir wollen den europäischen Bildungsraum. Qualifi-
Denken entwickeln, damit es in der beruflichen Ausbil- kationen sollen europaweit vergleichbar werden. Dabei
dung und Weiterbildung wieder vorangeht. müssen und werden wir darauf achten, dass die duale
Ausbildung und das Berufsprinzip erhalten bleiben. Von
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) daher ist entscheidend, dass die Lernergebnisse anhand
Die Berufsbildungsreform war – anders, als es im der Kompetenzen bewertet werden und dass wir die
Antrag der Grünen formuliert ist – ein Gemeinschafts- Kompetenzen nach ihrem Vorhandensein bewerten und
werk des Deutschen Bundestages. nicht danach, über welche Wege sie erlangt wurden, also
ob sie über schulische, akademische Wege oder über be-
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE rufliche Wege, zum Beispiel die Meisterprüfung, erlangt
GRÜNEN]: Sie haben es doch vorhin für wurden. Entscheidend ist, dass die Kompetenzen vor-
Union und SPD reklamiert!) handen und abrufbar sind.
Das heißt, wir, die Unionsfraktion, haben bereits im Wichtig ist auch, dass wir beim Berufsprinzip blei-
Frühjahr 2003 die Eckdaten formuliert. Sie sprechen im ben. Sie, die Grünen, haben in Ihrem Antrag das Berufs-
Antrag lediglich von einem rot-grünen Projekt. Es war prinzip nicht einmal erwähnt.
aber ein gemeinsames Projekt, das letztendlich von der
Unionsfraktion angetrieben wurde. Wir haben die Be- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
rufsbildungsreform dann einstimmig im Deutschen Bun- GRÜNEN]: Doch, natürlich!)
destag verabschiedet; im Bundesrat wurde sie ebenfalls – Zwischen den Zeilen, aber nicht als Begriff und nicht
einstimmig verabschiedet. so, wie es angesichts seiner Wichtigkeit sinnvoll gewe-
sen wäre.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
Es ist entscheidend und wichtig, dass es seit der Be-
GRÜNEN]: Es muss auch das Haar in der
rufsbildungsreform die Möglichkeit gibt, dass durch Zu-
Suppe gefunden werden!)
satzqualifikationen während der ersten Ausbildung eine
Vernetzung von Berufs- und Weiterbildung stattfinden Wir wollen keine Zerstückelung des Berufsbildes in
kann. Auch eine Initiative der Union war entscheidend, 64 Module, durch die jeder einzelne sich die entspre-
durch die wir grenzüberschreitende Ausbildungsver- chenden Bausteine für die Betriebe suchen müsste. Wir
bünde zwischen Betrieben rechtlich abgesichert haben, wollen die breite Ausbildung und das Berufsprinzip
2822 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Uwe Schummer
(A) bewahren, weil eine breite Bildungsbasis die beste Vor- Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung auch ergrif- (C)
aussetzung für spätere Weiterbildung ist. fen werden können. Nutznießer der beruflichen Weiter-
bildung müssen einerseits die Betriebe sein, da sie quali-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fizierte, innovative Beschäftigte haben, andererseits die
neten der SPD – Priska Hinz [Herborn] Arbeitnehmer selbst, da sie ein höheres Einkommen er-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das zielen und besser vermittelbar sind. Hier brauchen wir
habe ich gesagt! Haben Sie mir nicht zuge- auch eine verstärkte Selbstfinanzierung.
hört? Schade!)
In unserem Antrag wird formuliert, was Sie in Ihrem Hans Katzer, der im Jahr 1967 in der damaligen gro-
Antrag vergessen haben. Durchlässigkeit, aber auch ßen Koalition das Arbeitsförderungsgesetz geschaffen
Wechsel zwischen akademischer und beruflicher Bil- hat, sagte mir noch kurz vor seinem Tod, es sei ein Web-
dung sind entscheidend. Man muss auch Kritik üben fehler gewesen, dass die berufliche Weiterbildung über
dürfen, selbst wenn man an der Regierung beteiligt ist. die Arbeitsämter aus den Beiträgen der Arbeitgeber und
Arbeitnehmer finanziert worden sei. Es wäre richtig ge-
Der von Ihnen erwähnte Ausbildungspass, der zum wesen, die berufliche Bildung, wie auch die akademi-
1. Januar eingeführt wurde, wurde bisher viertausendmal sche Bildung, aus Steuermitteln zu finanzieren. Darum
abgerufen. Das ist ein Anfang. Man muss dafür sorgen, ist es notwendig, dass die Weiterbildung weiterhin von
dass dieser noch verstärkt genutzt wird und dass er durch der Bundesagentur für Arbeit finanziert wird, allerdings
gemeinsame Zertifizierungen im Bildungsbereich aufge- aus Steuermitteln und nicht über die Arbeitskosten. Hier
wertet wird. müssen wir bei der Revision der Hartz-Gesetze um-
switchen.
Entscheidend ist – das haben auch Sie gesagt, Frau
Hinz –, dass bei den bisherigen Bewertungsstufen zum Ebenso müssen wir die Selbstfinanzierung aus-
europäischen Qualifizierungsrahmen der Europäischen bauen: erstens durch Bildungssparen, zweitens durch die
Union die akademischen Qualifizierungsstufen oben lie- Möglichkeit, Studien- und Weiterbildungskredite in An-
gen und die beruflichen in der Mitte. Vor 14 Tagen spruch zu nehmen, und drittens durch die Einführung
wurde eine gemeinsame Erklärung des Hauptausschus- von Lernzeit- und Langzeitkonten, die allerdings insol-
ses des Bundesinstitutes für Berufsausbildung mit den venzgesichert sein müssen, damit sich die Tarifpartner in
Sozialpartnern verabschiedet, in der die Wirtschaft, die den Betrieben auch darauf verständigen können, wie es
Gewerkschaften und die Bildungsforschung gemeinsam gegenwärtig in der Metallindustrie zu beobachten ist.
an uns appellieren, dass wir dafür Sorge tragen, dass zur
Erreichung der höchsten Niveaustufe auf europäischer Das Arbeitsförderungsgesetz war gedacht, um Ar-
(B) Ebene, Stufe 8, Berufserfahrung bei der Bewertung beitslose für ihre Integration in den Arbeitsprozess fit zu (D)
verpflichtend vorausgesetzt wird. machen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE jetzt aber bald ein anderer Tagesordnungs-
GRÜNEN) punkt!)
Dies würde das duale System in Deutschland stärken
Wenn wir Weiterbildung aber als permanente Aufgabe,
und dies sollten wir so in Brüssel umsetzen.
als vierte Säule des Bildungssystems, betrachten, dann
Ein wichtiger Meilenstein wird die deutsche EU- geht es um 33 Millionen Menschen. Dies geht nicht
Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 sein. Bundesbildungs- mehr über die Arbeitskosten. Die Vernetzung von Aus-
ministerin Schavan wird den europäischen Qualifi- und Weiterbildung wurde durch die Berufsbildungsre-
zierungsrahmen federführend mit den europäischen form vorangetrieben. Hier wollen wir jetzt mit der Ein-
Partnern abstimmen. Dazu gehört natürlich auch die führung eines europäischen Qualifikationsrahmens an-
Umsetzung dessen, was wir in der Koalitionsvereinba- setzen.
rung beschlossen haben. Das heißt letztendlich, dass wir
Bildungssparen vorantreiben. Mit dem Vermögensbetei- Ich denke, der Antrag, den die Fraktion des Bündnis-
ligungsgesetz schaffen wir neben Bausparen und Alters- ses 90/Die Grünen vorgelegt hat, stellt eine interessante
sicherung eine dritte Säule, mit der das Bildungssparen und gute Vorarbeit dar. Die Koalitionsfraktionen werden
ermöglicht wird. Dann kann jeder Einzelne für sich ent- diese Debatte im zuständigen Ausschuss ergänzen, in-
scheiden, ob er ein Drittel Bildungssparen und zwei dem sie einen gemeinsamen Antrag vorlegen. SPD und
Drittel Alterssicherung möchte oder 50 Prozent Bauspa- Union werden ein Fachgespräch vereinbaren, das dazu
ren und 50 Prozent Bildungssparen. Hier muss der Ge- führen wird, dass ein solcher Antrag formuliert werden
setzgeber nicht tätig werden. Vielmehr kommt es auf kann. Kollegin Hinz, ich bin mir sicher, dass alle Abge-
diese drei Elemente an. Der Einzelne soll zwischen den ordneten, die guten Willens sind, unserem Antrag wer-
verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten wählen kön- den zustimmen können.
nen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Entscheidend wird sein, dass wir neben dem Meister- neten der SPD – Priska Hinz [Herborn]
BAföG, das aufgewertet worden ist, auch ein generelles [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, schauen
Weiterbildungs-BAföG schaffen. Wir müssen Studien- wir mal! Vielleicht kriegen wir ja sogar einen
und Weiterbildungskredite zur Verfügung stellen, damit gemeinsamen Antrag hin! Mal sehen!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2823

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Für uns ist das Berufsprinzip gestaltende Kraft und (C)
Der Kollege Patrick Meinhardt von der FDP-Fraktion das Identifikationsmedium der Wirtschaft und der
hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) Damit erteile ich Selbstverwaltung in diesem Themenfeld. Arbeitnehmer-
das Wort dem Kollegen Willi Brase von der SPD-Frak- und Arbeitgeberorganisationen arbeiten vertrauensvoll
tion. zusammen. Damit sind beliebigen Formen und Inhalten
von Teilqualifizierungen natürliche Grenzen gesetzt.
(Beifall bei der SPD) Dieses Prinzip muss erhalten bleiben.
(Beifall bei der SPD)
Willi Brase (SPD):
Für uns heißt Berufsprinzip auch: Vollständigkeit,
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einheitlichkeit und Systemanteile eines Qualifizierungs-
Sehr geehrte Damen und Herren! Bei aller Wertschät- prozesses oder auch Unteilbarkeit und Ganzheitlichkeit
zung meines Kollegen Uwe Schummer muss ich sagen: von Qualifikationsprofilen. Berufsprinzip ist berufliche
Es waren einige in diesem Hause, die sehr intensiv und Handlungskompetenz und – nicht zu vergessen – gesell-
sehr frühzeitig mit den notwendigen Vorarbeiten für eine schaftlicher Status von Facharbeit, der Voraussetzung
Reform der beruflichen Bildung begonnen haben. Was sowohl beruflicher Identität als auch angemessener Ent-
wir aus dieser Debatte mitnehmen können, ist, dass wir lohnung ist. Vorhin wurde in einem Beitrag sehr deutlich
im zuständigen Ausschuss, im Bundestag insgesamt und von Schule, Ausbildung und Beruf gesprochen. Es heißt
auch gemeinsam mit dem Bundesrat einige Dinge auf nicht: Schule, Ausbildung und Tätigkeit. Es heiß immer
den Weg gebracht haben, die langsam anfangen, positive noch: Beruf. Diese Identifikation muss auch in Zukunft
Wirkungen zu zeigen. vorhanden sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
der CDU/CSU) FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
An den Debatten, die wir gerade führen und die wir vor-
hin zum Aspekt der Weiterbildung geführt haben, wird Deshalb darf es bei der Einführung eines EQR und
aber auch deutlich, wie umfangreich das Thema Einfüh- ECVET, also von Leistungspunkten, und beim nationa-
rung eines europäischen Qualifizierungsrahmens ist. len Qualifizierungsrahmen nicht zu den Entwicklungen
kommen, die ich jetzt beschreiben werde. Wir wollen
Ich möchte aus Sicht der SPD-Fraktion einige grund- keine Zergliederung der beruflich geschnittenen Qualifi-
sätzliche Anmerkungen machen. Wir wissen: Einerseits kation in einzelzertifizierbare Lerneinheiten. Man kann
will die Europäische Kommission Europa zu einem diese Lerneinheiten übrigens, wenn man es so machen (D)
(B) einheitlichen Arbeitsmarkt und zu einem einheitlichen
würde, zu Kompetenzpatchworks addieren. Das ist aber
Wirtschaftsraum mit unbegrenzter Mobilität für Unter- nicht mit einem Berufskonzept unterlegt. Wir wollen
nehmen und Arbeitskräfte entwickeln. Andererseits auch keine engen spezialisierten Tätigkeiten, die nur ei-
betont Art. 150 des EG-Vertrages, dass die Verantwort- nen Teilaspekt beinhalten.
lichkeit für Bildung und berufliche Bildung bei den ein-
zelnen Mitgliedstaaten liegt. Deshalb müssen wir sehr (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
genau überprüfen, ob das Prinzip der offenen Koordinie- [SPD])
rung nicht vielleicht doch, sozusagen durch die Hinter-
Wir wollen ebenso wenig eine Fragmentierung von
tür, zu einer Vereinheitlichung von Bildung und berufli-
Bildungsgängen in Modulen, die dazu führt, dass Lern-
cher Bildung führt, die aus unserer Sicht nicht positiv
prozesse nicht mehr auf breite Felder verwandter Tätig-
wäre. Hier müssen wir aufpassen.
keiten ausgerichtet werden, sondern nur noch schmale
(Beifall bei der SPD) Ausschnitte derselben getestet werden. Das kann es
nicht sein. Wir wollen ebenso wenig eine Individualisie-
Für die SPD-Fraktion ist die Entwicklung des euro- rung von Ausbildungswegen. Gesellschaftlich geplante
päischen Qualifizierungsrahmens daran zu messen, wie und normierte Lernprozesse werden durch solche abge-
die Umsetzung vorangehen soll. Für uns sind das Be- löst, die bestenfalls vom einzelnen Jugendlichen oder
rufskonzept und die Beschäftigungsfähigkeit, wenn man Betrieb geplant würden, ansonsten aber aus dem Ange-
so will: die Beruflichkeit, grundlegender Maßstab bei bot von Bildungsanbietern, zufälligen Arbeitseinsätzen
der Betrachtung und der Erarbeitung. und lebensweltlichen Erfahrungen resultieren.
Was heißt Berufsprinzip? Das Berufsprinzip bindet Die Verlagerung der Identifizierung und Anerken-
Arbeitsqualifikationen an den betriebsübergreifenden nung von Qualifikationen auf Zertifikationsorganisatio-
oder betriebsexternen Arbeitsmarkt, orientiert sich an nen sowie einzelne Betriebe wird nach unserer Auffas-
professionellen Standards, gibt Qualifizierungsansprü- sung dem Berufsrahmen und der Dualität nicht gerecht.
che auf flexibel einsetzbare und vergleichsweise auto- Die Privatisierung ist an dieser Stelle falsch und bedeutet
nome verwertbare Qualifikationen. Unsere Berufsbilder letztlich Dequalifizierung. Das darf nicht passieren.
lassen überbetrieblichen Einsatzfeldern genügend Raum,
Ich will einige Punkte nennen, die wir zugespitzt be-
und das müssen wir auch zukünftig ermöglichen.
trachten müssen und über die wir im Ausschuss und im
Plenum diskutieren werden. Welche wesentlichen
1) Anlage 5 Punkte einer europäischen Berufsbildungspolitik sind
2824 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Willi Brase
(A) eigentlich mit unserem dualen System vereinbar und Die Wirtschaftsministerkonferenz der Bundeslän- (C)
sinnvoll? Wie gehen wir mit der Ganzheitlichkeit um? der hat sich im Dezember 2005 ebenfalls mit dem EQR
Was machen wir mit den Modulen? Wie werden die und den ECVET-Prinzipien auseinander gesetzt. Auch
Kompetenzen erbracht und wie werden sie bewertet? hier wurde die Forderung nach dem Erhalt des Berufs-
Welche Möglichkeiten sehen wir im Ansatz der Freiwil- prinzips laut. Die Definition von Lerneinheiten muss im
ligkeit bei der Einführung des europäischen Qualifizie- Rahmen des Berufskonzeptes erfolgen. Betriebliches Er-
rungsrahmens? Ich glaube, das geht nur über Freiwillig- fahrungslernen muss angemessen eingeordnet werden
keit. Wie kann eine ausreichende Erprobungsphase mit können. Deskriptoren und Niveaustufen sind zu überprü-
allen relevanten Akteuren der beruflichen Bildung als fen. Wir brauchen einen angemessenen Raum für die
unabdingbar erreicht werden? gründliche Erprobung in Form von Projekten und Ein-
zelaktivitäten.
Unser Prinzip „vom Novizen zum Meister“ darf
nicht zerstört werden. Wir stellen fest, dass Meister Aus- Auch wir sind dafür, die Weiterentwicklung dieses
zubildende über mehrere Jahre hinweg an ihrem Arbeits- Prozesses ruhig, sachgerecht und ohne Hast zu begleiten.
platz beobachten und ihre Bewertung erst nach mehreren Die Entwicklung eines NQR, eines nationalen Qualifi-
Jahren abgeben, während Gutachter anhand bestimmter zierungsrahmens, wird von zentraler Bedeutung sein;
Vorgänge oder einer kleinen Auswahl Beurteilungen wir haben darüber in einem internen Workshop mit Ex-
treffen. Das ist ein Unterschied, den wir in dieser Frage perten erste Gespräche geführt.
berücksichtigen müssen. Ich will schließen: Die europäische Akzeptanz sollten
(Beifall bei der SPD) wir bei der Gestaltung dieser Prozesse nicht unterschät-
zen. Ein europäischer Qualifizierungsentwicklungspro-
1996 hat das Bundesministerium für Bildung und zess kann nur auf den Weg gebracht werden, wenn es
Forschung einen Kongress der europäischen Staaten or- gelingt, die Sozialpartner – die Organisationen und nicht
ganisiert, die duale Berufsausbildungen durchführen; zuletzt die jungen Menschen – mitzunehmen. Die SPD
dieser Prozess diente der Standortbestimmung. Ich emp- wird dies kritisch begleiten. Es wäre schön, wenn wir
fehle dem Haus, eine Nachfolgeveranstaltung auf den das im Ausschuss gemeinsam auf den Weg bringen
Weg zu bringen, damit die ganzheitliche Berufsausbil- könnten. Wir wollen die bewährten Prinzipien der dua-
dung im europäischen Qualifizierungsentwicklungspro- len Berufsausbildung erhalten; sie dürfen nicht unter die
zess nicht unter die Räder kommt. Eine solche Nachfol- Räder kommen; der Koalitionsvertrag gibt uns den Auf-
geveranstaltung der Staaten, die eine duale berufliche trag hierzu.
Ausbildung haben, wäre zur Abstimmung und Bünde-
lung des Qualifizierungsentwicklungsprozesses sehr Ich wünsche Ihnen allen frohe und gesegnete Ostern
(B) hilfreich. und danke für die Aufmerksamkeit. (D)

(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP)
Wir sollten beobachten, wie die Debatte über einen
nationalen Qualifizierungsrahmen in Großbritannien Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
verläuft. Wir wissen, dass gerade britische Wissenschaft- Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat nun das Wort
ler die wesentlichen Vorarbeiten für das derzeitige Ge- die Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke.
dankengut des europäischen Qualifizierungsrahmens
entwickelt haben. Wenn man sich die Debatte in der eng- (Beifall bei der LINKEN)
lischen Wissenschaft anschaut, stellt man fest, dass dort
auch sehr gezielt diskutiert wird, ob der englische Weg Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
von Teilqualifizierungen, von Units, von Lerneinheiten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
etc. der richtige ist. Ich meine, wir sind gut beraten, die- Für den heutigen Antrag zunächst vielen Dank an die
ses mit zu berücksichtigen. Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Wir begrüßen
ausdrücklich die Forderung nach einer öffentlichen De-
Wir als SPD wollen bei der Weiterentwicklung der
batte über den europäischen und den nationalen Qualifi-
europäischen Berufsbildungspolitik die genannten Ziele
kationsrahmen. Ich möchte für die Fraktion Die Linke
im Auge behalten. Wir brauchen auch zukünftig eine ge-
drei Anforderungen nennen, die für uns dabei entschei-
sellschaftliche Verantwortung für Bildungszugang und
dend sind.
Bildungsinhalte. Der Zugang zu qualifizierter berufli-
cher Bildung ist den Arbeiternehmerinnen und Arbeit- Der erste Punkt betrifft die unter anderem von den
nehmern auch zukünftig zu gewähren. Wir wollen die Gewerkschaften geäußerten Befürchtungen, der Qualifi-
Rechte der Selbstverwaltung in der beruflichen Bildung, kationsrahmen könnte ein Einfallstor für weitere Bil-
also der Sozialpartner, wahren und stärken; damit bezie- dungsprivatisierungen sein. Diese Befürchtungen sind
hen wir sie in die gesellschaftliche Entwicklung ein. Die aus unserer Sicht berechtigt. Es ist bekannt, dass sich die
angesprochene Vergleichbarkeit und Gleichheit allge- Bildungsindustrie gerade von so genannten sekundären
meiner und beruflicher Bildung ist ebenso wichtig und Bildungsdienstleistungen wie der Entwicklung von Test-
muss berücksichtigt werden. Zur Durchlässigkeit habe verfahren und Bewertungsmaßstäben oder von der Zerti-
ich etwas gesagt. Die Debatte über die Weiterbildung, fizierung von Qualifikationen die größten Gewinne
die wir hier eben geführt haben, zeigt, wie notwendig verspricht. Wenn man sich die Gestaltung des Qualifika-
und wichtig sie ist. tionssrahmens ansieht, ist offensichtlich, dass der Bedarf
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2825
Cornelia Hirsch
(A) nach ebendiesen Dienstleistungen zunehmen wird. Wir etwa die Öffnung des Hochschulzugangs für Menschen (C)
sagen deshalb ganz klar: Bei der Diskussion über den mit Berufsabschluss. Mit der Entwicklung des nationa-
Qualifikationsrahmen muss von vornherein festgehalten len Qualifikationsrahmens können wir solche Ansätze
werden, dass die Bewertung und Zertifizierung von Qua- weiterverfolgen.
lifikation eine öffentliche Aufgabe ist.
Unser Fazit lautet also: Mit diesen drei Punkten kann
(Beifall bei der LINKEN) der Qualifikationsrahmen ein Instrument für eine bessere
Bildung und auch für ein Mehr an Chancengleichheit
Ansonsten führt der Qualifikationsrahmen nur zu einer sein. Dann findet er unsere volle Unterstützung.
wesentlich teureren Dokumentation der Bildung, aber
nicht zu einer besseren Bildung. Vielen Dank und ich wünsche Ihnen erholsame Oster-
tage.
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da könnte
was dran sein!) (Beifall bei der LINKEN)
Gewinner sind dann nicht die Lernenden, sondern Ak-
kreditierungsinstitute und Testagenturen. Das wollen wir Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
definitiv nicht. Ich schließe die Aussprache.

(Beifall bei der LINKEN) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/1063 und 16/1127 an die in der Ta-
Das Stichwort „bessere Bildung“ bringt mich zu gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
unserem zweiten Punkt. Im Antrag der Grünen wird ge- Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist die Überwei-
fordert, durch den Qualifikationsrahmen solle die sung so beschlossen.
Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer erhöht werden. Wir sind der Ansicht, dass Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:
man sich diesen Begriff und diese Forderung noch ein- 30 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
mal sehr viel genauer anschauen muss; denn im Prinzip Dr. Volker Wissing, Horst Friedrich (Bayreuth),
ist das exakt das gleiche Bildungsverständnis, das sich Carl-Ludwig Thiele, weiteren Abgeordneten und
auch in der Lissabonstrategie der EU widerspiegelt. der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs ei-
Nach dem, was man in den entsprechenden Dokumenten nes Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeug-
lesen kann, ist ganz deutlich, dass es das Ziel von Bil- steuergesetzes
dung ist, dass die Menschen mit Instrumenten ausgestat-
tet werden, die sie benötigen, um sich an den sich wan- – Drucksache 16/473 –
(B) delnden Arbeitsmarkt anzupassen. Überweisungsvorschlag: (D)
Finanzausschuss (f)
Die Fraktion Die Linke teilt dieses Bildungsverständ- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
nis nicht. Bildung hat für uns nicht die Aufgabe, dass Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Menschen möglichst störungsfrei in den Arbeitsmarkt Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
eingepasst werden.
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Deshalb Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung kraft-
auch Lissabon!) fahrzeugsteuerlicher Vorschriften auch hin-
Für uns muss Bildung die Menschen dazu qualifizieren, sichtlich der Wohnmobilbesteuerung
eine aktive und gestaltende Rolle in der Gesellschaft – Drucksache 16/519 –
wahrnehmen zu können. Dazu gehört natürlich auch die
Überweisungsvorschlag:
Teilnahme am Erwerbsleben, aber nicht Anpassung, son- Finanzausschuss (f)
dern Hinterfragen muss das primäre Ziel von Bildung Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
sein. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
(Beifall bei der LINKEN) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Damit komme ich zum letzten Punkt. Im Antrag der Die Kolleginnen und Kollegen Patricia Lips, Florian
Grünen und auch in der ersten Stellungnahme des Pronold, Dr. Volker Wissing, Dr. Barbara Höll und
BMBF wird eine umfassende Evaluationsphase bei der Kerstin Andreae haben ihre Reden dazu zu Protokoll ge-
Einführung des Qualifikationsrahmens gefordert. Das geben.1)
finden wir richtig. Eine solche Evaluation macht aber
nur dann Sinn, wenn wir uns auch darüber verständigen, Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
nach welchen Kriterien wir evaluieren wollen. Wir würfe auf den Drucksachen 16/473 und 16/519 an die in
schlagen hier vor, die Entwicklung des nationalen Quali- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
fikationsrahmens mit dem Ziel zu verknüpfen, soziale gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Unterschiede in den betreffenden Bildungsphasen abzu- Dann ist die Überweisung so beschlossen.
bauen. Im Koalitionsvertrag gibt es hierzu schon einige Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 31 sowie
richtige Ansätze, Zusatzpunkt 9:
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
[SPD]) 1) Anlage 6
2826 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) 31 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Auch hier haben die Kolleginnen ihre Reden zu Pro- (C)
Binder, Sevim Dagdelen, Dr. Lothar Bisky, wei- tokoll gegeben. Es handelt sich um folgende Kollegin-
terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN nen: Michaela Noll, Renate Gradistanac, Ina Lenke,
Karin Binder und Irmingard Schewe-Gerigk.1)
Gegen Menschenhandel und Zwangsprostitu-
tion – Rechtsstellung der Opfer stärken Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
– Drucksache 16/1006 – auf den Drucksachen 16/1006 und 16/1125 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Die Vorlage auf Drucksache 16/1006 zu Tagesordnungs-
Auswärtiger Ausschuss punkt 31 soll zusätzlich an den Auswärtigen Ausschuss
Innenausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? –
Rechtsausschuss Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe schlossen.
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
Irmingard Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler, ordnung.
Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Auch ich wünsche Ihnen eine erholsame Osterpause
und frohe Ostern.
Menschenhandel bekämpfen – Opferrechte
weiter ausbauen Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
– Drucksache 16/1125 – destages auf Mittwoch, 10. Mai 2006, 13 Uhr, ein.
Überweisungsvorschlag: Die Sitzung ist geschlossen.
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Auswärtiger Ausschuss (Schluss: 14.30 Uhr)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
1) Anlage 7

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2827

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Arnold, Rainer SPD 07.04.2006 Kühn-Mengel, Helga SPD 07.04.2006

Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 07.04.2006 Michelbach, Hans CDU/CSU 07.04.2006


Marieluise DIE GRÜNEN
Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 07.04.2006
Blumentritt, Volker SPD 07.04.2006 DIE GRÜNEN

Bülow, Marco SPD 07.04.2006 Müller, Hildegard CDU/CSU 07.04.2006

Evers-Meyer, Karin SPD 07.04.2006 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 07.04.2006

Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 07.04.2006 Neumann (Bremen), CDU/CSU 07.04.2006


Joseph DIE GRÜNEN Bernd

Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 07.04.2006 Otto (Frankfurt), Hans- FDP 07.04.2006


Joachim
Glos, Michael CDU/CSU 07.04.2006
Parr, Detlef FDP 07.04.2006
Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 07.04.2006
(B) Schäffler, Frank FDP 07.04.2006 (D)
Griefahn, Monika SPD 07.04.2006
Schily, Otto SPD 07.04.2006
Griese, Kerstin SPD 07.04.2006
Schreiner, Ottmar SPD 07.04.2006
Heinen, Ursula CDU/CSU 07.04.2006
Steenblock, Rainder BÜNDNIS 90/ 07.04.2006*
Heller, Uda Carmen CDU/CSU 07.04.2006 DIE GRÜNEN
Freia
Steppuhn, Andreas SPD 07.04.2006
Hilsberg, Stephan SPD 07.04.2006
Dr. Troost, Axel DIE LINKE 07.04.2006
Hintze, Peter CDU/CSU 07.04.2006
Vogel, Volkmar Uwe CDU/CSU 07.04.2006
Homburger, Birgit FDP 07.04.2006
Wimmer (Neuss), CDU/CSU 07.04.2006
Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 07.04.2006 Willy

Klimke, Jürgen CDU/CSU 07.04.2006 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 07.04.2006

Kortmann, Karin SPD 07.04.2006 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Kröning, Volker SPD 07.04.2006
2828 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

(A) Anlage 2 (C)


Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Abgeordneten Petra Pau zur
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages teilgenommen haben

CDU/CSU Dr. Reinhard Göhner Eduard Lintner Andreas Schmidt (Mülheim)


Josef Göppel Dr. Klaus W. Lippold Ingo Schmitt (Berlin)
Ulrich Adam
Peter Götz Patricia Lips Dr. Andreas Schockenhoff
Ilse Aigner
Ute Granold Dr. Michael Luther Dr. Ole Schröder
Peter Albach
Reinhard Grindel Stephan Mayer (Altötting) Bernhard Schulte-Drüggelte
Peter Altmaier
Hermann Gröhe Wolfgang Meckelburg Uwe Schummer
Dorothee Bär
Michael Grosse-Brömer Dr. Michael Meister Wilhelm Josef Sebastian
Thomas Bareiß Markus Grübel Dr. Angela Merkel Horst Seehofer
Norbert Barthle Manfred Grund Friedrich Merz Kurt Segner
Dr. Wolf Bauer Monika Grütters Laurenz Meyer (Hamm) Bernd Siebert
Günter Baumann Karl-Theodor Freiherr zu Maria Michalk Thomas Silberhorn
Ernst-Reinhard Beck Guttenberg Philipp Mißfelder Johannes Singhammer
(Reutlingen) Olav Gutting Dr. Eva Möllring Jens Spahn
Veronika Bellmann Holger Haibach Marlene Mortler Erika Steinbach
Dr. Christoph Bergner Gerda Hasselfeldt Hildegard Müller Christian Freiherr von Stetten
Otto Bernhardt Michael Hennrich Carsten Müller Gero Storjohann
Clemens Binninger Jürgen Herrmann (Braunschweig) Andreas Storm
Carl-Eduard von Bismarck Bernd Heynemann Stefan Müller (Erlangen) Max Straubinger
Renate Blank Ernst Hinsken Bernward Müller (Gera) Thomas Strobl (Heilbronn)
Peter Bleser Robert Hochbaum Bernd Neumann (Bremen) Lena Strothmann
Antje Blumenthal Klaus Hofbauer Henry Nitzsche Michael Stübgen
Dr. Maria Böhmer Franz-Josef Holzenkamp Michaela Noll Antje Tillmann
Jochen Borchert Joachim Hörster Dr. Georg Nüßlein Dr. Hans-Peter Uhl
Wolfgang Börnsen Anette Hübinger Franz Obermeier Arnold Vaatz
(Bönstrup) Hubert Hüppe Eduard Oswald Andrea Astrid Voßhoff
Wolfgang Bosbach Susanne Jaffke Henning Otte Gerhard Wächter
Klaus Brähmig Dr. Peter Jahr Rita Pawelski Marco Wanderwitz
Michael Brand Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Peter Paziorek Kai Wegner
(B) Helmut Brandt Dr. Franz Josef Jung Ulrich Petzold (D)
Marcus Weinberg
Dr. Ralf Brauksiepe Andreas Jung (Konstanz) Dr. Joachim Pfeiffer Peter Weiß (Emmendingen)
Monika Brüning Hans-Werner Kammer Sibylle Pfeiffer Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Georg Brunnhuber Steffen Kampeter Dr. Friedbert Pflüger Ingo Wellenreuther
Gitta Connemann Alois Karl Beatrix Philipp Karl-Georg Wellmann
Leo Dautzenberg Bernhard Kaster Ronald Pofalla Annette Widmann-Mauz
Hubert Deittert Volker Kauder Ruprecht Polenz Klaus-Peter Willsch
Alexander Dobrindt Siegfried Kauder (Villingen- Daniela Raab Elisabeth Winkelmeier-
Thomas Dörflinger Schwenningen) Thomas Rachel Becker
Marie-Luise Dött Eckart von Klaeden Hans Raidel Matthias Wissmann
Maria Eichhorn Jürgen Klimke Dr. Peter Ramsauer Wolfgang Zöller
Anke Eymer (Lübeck) Julia Klöckner Peter Rauen Willi Zylajew
Georg Fahrenschon Jens Koeppen Eckhardt Rehberg
Ilse Falk Kristina Köhler (Wiesbaden) Katherina Reiche (Potsdam) SPD
Dr. Hans Georg Faust Manfred Kolbe Klaus Riegert
Enak Ferlemann Norbert Königshofen Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Lale Akgün
Ingrid Fischbach Dr. Rolf Koschorrek Franz Romer Gregor Amann
Hartwig Fischer (Göttingen) Hartmut Koschyk Johannes Röring Gerd Andres
Dirk Fischer (Hamburg) Thomas Kossendey Kurt J. Rossmanith Niels Annen
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Michael Kretschmer Dr. Norbert Röttgen Ingrid Arndt-Brauer
Land) Gunther Krichbaum Dr. Christian Ruck Rainer Arnold
Dr. Maria Flachsbarth Dr. Günter Krings Albert Rupprecht (Weiden) Ernst Bahr (Neuruppin)
Herbert Frankenhauser Dr. Martina Krogmann Peter Rzepka Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Friedrich Johann-Henrich Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Hans-Peter Bartels
(Hof) Krummacher Hermann-Josef Scharf Klaus Barthel
Erich G. Fritz Dr. Hermann Kues Dr. Wolfgang Schäuble Sören Bartol
Jochen-Konrad Fromme Dr. Karl A. Lamers Hartmut Schauerte Sabine Bätzing
Dr. Michael Fuchs (Heidelberg) Dr. Annette Schavan Dirk Becker
Hans-Joachim Fuchtel Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Scheuer Uwe Beckmeyer
Dr. Peter Gauweiler Dr. Norbert Lammert Karl Richard Schiewerling Klaus Uwe Benneter
Dr. Jürgen Gehb Katharina Landgraf Norbert Schindler Dr. Axel Berg
Norbert Geis Dr. Max Lehmer Georg Schirmbeck Ute Berg
Eberhard Gienger Paul Lehrieder Bernd Schmidbauer Petra Bierwirth
Ralf Göbel Ingbert Liebing Christian Schmidt (Fürth) Lothar Binding (Heidelberg)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2829

(A) Kurt Bodewig Johannes Jung (Karlsruhe) Marlene Rupprecht Daniel Bahr (Münster) (C)
Clemens Bollen Josip Juratovic (Tuchenbach) Uwe Barth
Gerd Bollmann Johannes Kahrs Anton Schaaf Rainer Brüderle
Dr. Gerhard Botz Ulrich Kasparick Axel Schäfer (Bochum) Angelika Brunkhorst
Klaus Brandner Dr. h. c. Susanne Kastner Bernd Scheelen Ernst Burgbacher
Willi Brase Ulrich Kelber Dr. Hermann Scheer Patrick Döring
Bernhard Brinkmann Christian Kleiminger Marianne Schieder Mechthild Dyckmans
(Hildesheim) Hans-Ulrich Klose Dr. Frank Schmidt Jörg van Essen
Edelgard Bulmahn Astrid Klug Ulla Schmidt (Aachen) Ulrike Flach
Ulla Burchardt Dr. Bärbel Kofler Silvia Schmidt (Eisleben) Otto Fricke
Martin Burkert Walter Kolbow Renate Schmidt (Nürnberg) Paul K. Friedhoff
Dr. Michael Bürsch Fritz Rudolf Körper Heinz Schmitt (Landau) Horst Friedrich (Bayreuth)
Christian Carstensen Rolf Kramer Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Edmund Peter Geisen
Marion Caspers-Merk Anette Kramme Olaf Scholz Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Peter Danckert Ernst Kranz Reinhard Schultz Hans-Michael Goldmann
Dr. Herta Däubler-Gmelin Nicolette Kressl (Everswinkel) Miriam Gruß
Karl Diller Dr. Hans-Ulrich Krüger Swen Schulz (Spandau) Joachim Günther (Plauen)
Martin Dörmann Angelika Krüger-Leißner Ewald Schurer Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Carl-Christian Dressel Jürgen Kucharczyk Frank Schwabe Heinz-Peter Haustein
Elvira Drobinski-Weiß Dr. Angelica Schwall-Düren Elke Hoff
Ute Kumpf
Garrelt Duin Dr. Martin Schwanholz Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe Küster
Detlef Dzembritzki Rolf Schwanitz Michael Kauch
Christine Lambrecht
Sebastian Edathy Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Heinrich L. Kolb
Christian Lange (Backnang)
Siegmund Ehrmann Wolfgang Spanier Hellmut Königshaus
Dr. Karl Lauterbach
Hans Eichel Dr. Margrit Spielmann Gudrun Kopp
Waltraud Lehn Jörg-Otto Spiller
Gernot Erler Jürgen Koppelin
Helga Lopez Dr. Ditmar Staffelt Heinz Lanfermann
Petra Ernstberger Gabriele Lösekrug-Möller
Annette Faße Ludwig Stiegler Sibylle Laurischk
Dirk Manzewski Rolf Stöckel Harald Leibrecht
Elke Ferner Lothar Mark Christoph Strässer Ina Lenke
Gabriele Fograscher
Caren Marks Dr. Peter Struck Sabine Leutheusser-
Rainer Fornahl
Katja Mast Joachim Stünker Schnarrenberger
Gabriele Frechen
Hilde Mattheis Dr. Rainer Tabillion Michael Link (Heilbronn)
Dagmar Freitag
Markus Meckel Jörg Tauss Markus Löning
Peter Friedrich
Petra Merkel (Berlin) Jella Teuchner Horst Meierhofer
(B) Sigmar Gabriel (D)
Ulrike Merten Wolfgang Thierse Patrick Meinhardt
Martin Gerster
Dr. Matthias Miersch Jörn Thießen Jan Mücke
Iris Gleicke
Günter Gloser Ursula Mogg Franz Thönnes Burkhardt Müller-Sönksen
Renate Gradistanac Marko Mühlstein Hans-Jürgen Uhl Dirk Niebel
Angelika Graf (Rosenheim) Detlef Müller (Chemnitz) Rüdiger Veit Cornelia Pieper
Dieter Grasedieck Michael Müller (Düsseldorf) Simone Violka Gisela Piltz
Kerstin Griese Gesine Multhaupt Jörg Vogelsänger Jörg Rohde
Gabriele Groneberg Franz Müntefering Dr. Marlies Volkmer Dr. Konrad Schily
Achim Großmann Dr. Rolf Mützenich Hedi Wegener Marina Schuster
Wolfgang Grotthaus Andrea Nahles Andreas Weigel Dr. Hermann Otto Solms
Wolfgang Gunkel Thomas Oppermann Petra Weis Dr. Max Stadler
Hans-Joachim Hacker Holger Ortel Gunter Weißgerber Dr. Rainer Stinner
Bettina Hagedorn Heinz Paula Gert Weisskirchen Carl-Ludwig Thiele
Klaus Hagemann Johannes Pflug (Wiesloch) Florian Toncar
Alfred Hartenbach Joachim Poß Dr. Rainer Wend Christoph Waitz
Michael Hartmann Christoph Pries Lydia Westrich Dr. Guido Westerwelle
(Wackernheim) Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Claudia Winterstein
Nina Hauer Florian Pronold Andrea Wicklein Dr. Volker Wissing
Hubertus Heil Dr. Sascha Raabe Heidemarie Wieczorek-Zeul Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Reinhold Hemker Mechthild Rawert Dr. Dieter Wiefelspütz Martin Zeil
Rolf Hempelmann Steffen Reiche (Cottbus) Engelbert Wistuba
Dr. Barbara Hendricks Maik Reichel Dr. Wolfgang Wodarg DIE LINKE
Gustav Herzog Gerold Reichenbach Waltraud Wolff
Hüseyin-Kenan Aydin
Petra Heß Dr. Carola Reimann (Wolmirstedt)
Dr. Dietmar Bartsch
Gabriele Hiller-Ohm Christel Riemann- Heidi Wright
Karin Binder
Petra Hinz (Essen) Hanewinckel Uta Zapf
Dr. Lothar Bisky
Walter Riester Manfred Zöllmer
Gerd Höfer Heidrun Bluhm
Sönke Rix Brigitte Zypries
Iris Hoffmann (Wismar) Eva Bulling-Schröter
Frank Hofmann (Volkach) René Röspel Dr. Martina Bunge
Dr. Ernst Dieter Rossmann FDP
Klaas Hübner Roland Claus
Christel Humme Karin Roth (Esslingen) Jens Ackermann Sevim Dagdelen
Lothar Ibrügger Michael Roth (Heringen) Dr. Karl Addicks Dr. Diether Dehm
Brunhilde Irber Ortwin Runde Christian Ahrendt Werner Dreibus
2830 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

(A) Dr. Dagmar Enkelmann Kersten Naumann Birgitt Bender Undine Kurth (Quedlinburg) (C)
Klaus Ernst Wolfgang Nešković Matthias Berninger Monika Lazar
Wolfgang Gehrcke Dr. Norman Paech Grietje Bettin Dr. Reinhard Loske
Diana Golze Petra Pau Alexander Bonde Anna Lührmann
Dr. Gregor Gysi Bodo Ramelow Ekin Deligöz Jerzy Montag
Heike Hänsel Elke Reinke Dr. Thea Dückert Winfried Nachtwei
Lutz Heilmann Paul Schäfer (Köln) Dr. Uschi Eid Brigitte Pothmer
Hans-Kurt Hill Volker Schneider Hans-Josef Fell Claudia Roth (Augsburg)
Cornelia Hirsch (Saarbrücken) Kai Boris Gehring Krista Sager
Inge Höger-Neuling Dr. Herbert Schui Katrin Göring-Eckardt Elisabeth Scharfenberg
Dr. Barbara Höll Dr. Ilja Seifert Anja Hajduk Christine Scheel
Ulla Jelpke Dr. Petra Sitte Britta Haßelmann Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Lukrezia Jochimsen Frank Spieth Winfried Hermann Dr. Gerhard Schick
Dr. Hakki Keskin Dr. Kirsten Tackmann Peter Hettlich Silke Stokar von Neuforn
Katja Kipping Alexander Ulrich Priska Hinz (Herborn) Hans-Christian Ströbele
Monika Knoche Jörn Wunderlich Ulrike Höfken Dr. Harald Terpe
Jan Korte Sabine Zimmermann Dr. Anton Hofreiter Jürgen Trittin
Katrin Kunert Bärbel Höhn Wolfgang Wieland
Oskar Lafontaine BÜNDNIS 90/ Thilo Hoppe Josef Philip Winkler
Ulla Lötzer DIE GRÜNEN Ute Koczy Margareta Wolf (Frankfurt)
Dr. Gesine Lötzsch Kerstin Andreae Sylvia Kotting-Uhl
Fraktionsloser
Ulrich Maurer Marieluise Beck (Bremen) Fritz Kuhn
Abgeordneter
Dorothee Menzner Volker Beck (Köln) Renate Künast
Kornelia Möller Cornelia Behm Markus Kurth Gert Winkelmeier

Anlage 3 in Verantwortung gegenüber den Angehörigen der Bun-


deswehr.
Erklärung nach § 31 GO
(B) (D)
des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur
namentlichen Abstimmung über den Antrag: Anlage 4
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streit- Erklärung nach § 31 GO
kräfte an der Friedensmission der Vereinten
Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage der Abgeordneten Thomas Dörflinger, Siegfried
der Resolution 1663 (2006) des Sicherheitsrates Kauder (Villingen-Schwenningen) und Andreas
der Vereinten Nationen vom 24. März 2006 (Ta- Jung (Konstanz) (alle CDU/CSU) zur Abstim-
gesordnungspunkt 22) mung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung der Flugsicherung (Tagesord-
nungspunkt 24)
Jürgen Koppelin (FDP): Im Mandatsantrag der
Bundesregierung wird das Mandatsgebiet nur unzurei- Bedingt durch Zweifel, ob der vorgelegte Gesetzent-
chend beschrieben und begrenzt. Eine Ausweitung des wurf mit den Vorgaben des Grundgesetzes der Bundesre-
Einsatzes von Bundeswehrangehörigen auf weitere Teile publik Deutschland in Einklang steht, werde ich dem
des Sudans neben dem Südsudan ist weiterhin nicht aus- Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung
zuschließen. Aufgrund der geplanten Kooperation von der Flugsicherung, Drucksache 16/240, meine Zustim-
UNMIS und AMIS ist die Auftragsbeschreibung noch mung verweigern.
unklarer geworden. Es ist zudem sehr zweifelhaft, dass
die im Antrag genannten Ziele mit der beschriebenen Art. 87 d GG schreibt in Abs. l vor, dass die Luftver-
Truppenstärke erreicht werden können. kehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt
wird. Über die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche
Ich verkenne nicht die Gründe, die zum fortgesetzten Organisation entscheide ein Bundesgesetz. Gleichzeitig
Handeln in der Republik Sudan zwingen. Allerdings regelt Art. 24 Abs. l GG, dass der Bund durch Gesetz
wäre es ebenso notwendig, dass die europäischen Staa- Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen
ten mit dem gleichen Engagement sich dem Problem der übertragen kann.
Aidsseuche in Afrika annehmen, die ebenfalls inzwi-
schen zu einem Massensterben geführt hat. Die Flugsicherung ist zweifelsohne ein Hoheitsrecht
im Sinne des Art. 24 Abs. l GG, Durch den Gesetzent-
Ich werde dem Antrag der Bundesregierung nicht zu- wurf zur Neuregelung der Flugsicherung würde es mög-
stimmen, da sich die Rahmenbedingungen nicht verän- lich, dass die dann privatisierte Deutsche Flugsicherung
dert haben. Ich treffe diese Entscheidung auch besonders GmbH, DFS, auf dem Wege der Subdelegation und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2831

(A) Beleihung ein drittes Unternehmen, etwa die schweizeri- Zweitens. Allgemeinbildung, akademische und beruf- (C)
sche Skyguide AG, mit der Wahrnehmung von flugsiche- liche Bildung in ihrer Durchlässigkeit zu verbessern ist
rungstechnischen Aufgaben zum Beispiel in Südwest- ein politisches Ziel, das im Rahmen des europäischen
deutschland betraut. Genau hierbei bestehen jedoch Qualifikationsrahmens gut verortet werden kann. Darü-
Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, da es ber hinaus ist es sinnvoll, gerade auch im Bereich der
sich bei dem durch Delegation beauftragten Unterneh- Lehrer mehr Flexibilität zu bekommen. Wir unterstützen
men um keine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne als FDP jeden Schritt, der auch bei der Diskussion um
des Art. 24 Abs. l GG handelt. den europäischen Qualifikationsrahmen zu mehr Selbst-
ständigkeit der Bildungseinrichtungen vor Ort führt.
Die Tatsache, dass eine solche Praxis bereits heute in
der Realität und aufgrund einer technischen Vereinba- Drittens. Die FDP fordert die Wiederbelebung des
rung zwischen der DFS und der Skyguide besteht, gibt „Wandergesellentums“ innerhalb der EU. Es muss in Zu-
indes keinen Anlass zu der Auffassung, hierdurch sei die kunft möglich sein, eine Ausbildung zum Beispiel in
Frage der Verfassungskonformität obsolet. Schon diese Polen zu beginnen, in Deutschland fortzuführen und in
herrschende Praxis birgt verfassungsrechtliche Pro- Frankreich zu einem qualifizierenden Berufsabschluss
bleme, wie ein vom damaligen Bundesverkehrsministe- zu bringen. Wir fordern, dass die berufliche Ausbildung
rium 1982 in Auftrag gegebenes Gutachten belegt. deutscher Auszubildender im Ausland gefördert wird.
(Böckstiegel/Reifarth, Die Luftaufsicht im südwestdeut- Im Gegenzug müssen Möglichkeiten für ausländische
schen Raum, insbesondere die Einschaltung der schwei- Auszubildende geschaffen werden, sich in Deutschland
zerischen Luftaufsicht und die An- und Abflüge zum ausbilden zu lassen. Die FDP hat deswegen von Anfang
und vom Flughafen Zürich im deutschen Luftraum, an den Plan unterstützt, einen Europapass einzuführen.
ZLW 32 (1982), S. 183 ff.) Der vorliegende Gesetzent-
wurf beseitigt diese verfassungsrechtlichen Probleme Viertens. Das Markenzeichen in Deutschland ist die
nicht, sondern schreibt sie fort. Qualität unserer dualen Berufsausbildung. Diese muss
auch in Europa im Rahmen des europäischen Qualifika-
tionsrahmens ihren Stellenwert erhalten. In einer Klassi-
Anlage 5 fizierung von l bis 5 darf sie nicht nur auf knapp 2 kom-
men. Die Bundesregierung muss in Europa dafür
Zu Protokoll gegebene Rede kämpfen, dass es 3 wird und der Technikerausbildung in
zur Beratung der Anträge: anderen Ländern gleichgestellt wird.

– Den europäischen Bildungsraum weiter ge- Fünftens. Mit Blick auf den Antrag der Linken kön-
(B) stalten – Transparenz und Durchlässigkeit nen wir als FDP überhaupt nicht verstehen, warum die (D)
durch einen europäischen Qualifikations- Zertifizierung von erworbenen Qualifikationen nicht von
rahmen stärken privaten Agenturen übernommen werden soll. Ein Bil-
dungstipp der FDP: Verabschieden Sie sich endlich von
– Anforderungen an die Gestaltung eines Ihrem Glauben an die allein selig machende staatliche
europäischen und eines nationalen Qualifi- Bürokratie!
kationsrahmens
Sechstens. Die „Gesellschaft des lebenslangen Ler-
(Tagesordnungspunkt 29, Zusatztagesordnungs- nens“ ist unsere Herausforderung in Deutschland – wie
punkt 8) in Europa. Uns Europäern wird vor allem im Berufsle-
ben ein großes Maß an Mobilität abverlangt. Gleichzei-
Patrick Meinhardt (FDP): Dem europäischen Qua- tig brauchen die Menschen eine höhere Qualifizierung in
lifikationsrahmen müssen wir einen hohen Stellenwert in einer sich schnell verändernden Welt. Um diesen Gege-
der Bildungsdebatte einräumen. Chancengleichheit in benheiten gerecht zu werden, müssen neue Lernkon-
der Bildung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für zepte entwickelt werden. Das mediengestützte Lehren
die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten unserer Ju- und Lernen – das eLearning – ist einer dieser Wege. Die
gend in Europa. Vordringliches Ziel in einem europäi- Zukunft einer offenen Wissens- und Informationsgesell-
schen Bildungsraum muss daher die konsequente Erar- schaft ist der virtuelle Bildungsraum Europa.
beitung und Sicherung vergleichbarer Standards bei
allen Abschlüssen und Prüfungen sein, ebenso die Aner- Siebtens. Eine letzte Bemerkung zum Antrag der Grü-
kennung der Gleichwertigkeit von in nationaler Hoheit nen: Sie formulieren so zurückhaltend, dass schon seit
verliehenen allgemein bildenden und beruflichen Ab- Mitte der 90er-Jahre bei neuen Ausbildungsordnungen
schlüssen. offene Strukturmodelle geschaffen wurden, die den
Übergang zwischen den Qualifikationen erleichtern.
Für uns als FDP heißt dies konkret: Erstens. Europäi- Richtig! Hier können wir von der FDP nur zustimmen.
sche Bildungspolitik muss sich darauf beschränken, Wir sagen dies nur anders: Die rot-grüne Regierungszeit
schulische, berufliche und akademische Ausbildung seit dem Ende der 90er-Jahre hat uns bei der Ausbildung
grenzüberschreitend kompatibel zu gestalten, um die nur in Trippelschritten voran gebracht! Die Regierung
Freizügigkeit in der Europäischen Union zu sichern. Wir aus FDP und CDU/CSU hat diese Dynamik zuwege ge-
wollen keinen Eurozentralismus in der Bildungspolitik. bracht. Zu dieser Dynamik müssen wir zurückkehren
Die Bildungspolitik liegt in der Zuständigkeit der Mit- und den damals eingeschlagenen Weg konsequent fort-
gliedstaaten. Das muss auch so bleiben! setzen.
2832 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

(A) Anlage 6 Die rot-grüne Regierungskoalition beantragte 2004 (C)


die Streichung des entsprechenden Paragrafen, damit
zu Protokoll gegebene Reden schwere Geländewagen nur noch als PKW zugelassen
zur Beratung: und besteuert werden können. Die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion hat das Verfahren damals sehr kritisch be-
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des gleitet, da es einen „Hauruck-Charakter“ trug und zu ei-
Kraftfahrzeugsteuergesetzes ner noch höheren steuerlichen Umverteilung und
Belastung führte. Im Detail wurde erheblicher Klärungs-
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kraft- bedarf angemeldet.
fahrzeugsteuerlicher Vorschriften auch hin-
sichtlich der Wohnmobilbesteuerung Geländewagen, Sport-Utility-Vehicles, Großraum-
Limousinen, Kleinbusse, Wohnmobile und so genannte
(Tagesordnungspunkt 30) Büro- oder Konferenzmobile wurden ab Mai vergange-
nen Jahres „als der Gewichtsbesteuerung unterliegende
Patricia Lips (CDU/CSU): Was ist ein Personen- andere Fahrzeuge“ behandelt.
kraftwagen? Was ist ein Lastkraftwagen? In welchem Wenn man die aktuellen Diskussionen näher beleuch-
Verhältnis stehen Ladefläche eines Fahrzeuges zur Bo- tet, so wird vor allem eines deutlich: Die Vorstellungen
denfläche für die Personenbeförderung? Dies sind Kern- und Meinungen in Beantwortung der Eingangsfrage und
elemente derjenigen Fragen, die uns die kommende Zeit vieler mehr gehen in Teilen weit auseinander. Lassen Sie
beschäftigen werden. mich einige Fragen stellen: Was ist alles ein PKW? Was
Und die Diskussion um die anstehenden Änderungen ist ein LKW oder reines Nutzfahrzeug? Was ist der Un-
in der Kraftfahrzeugsteuer macht einmal mehr die Viel- terschied zwischen einem Kleinbus unter 2,8 Tonnen
falt des deutschen Steuerrechts deutlich. Gestatten Sie und einem Wohnmobil mit einem Gewicht zwischen
einen kurzen Ausflug in die Historie: Die Kraftfahrzeug- 2,8 Tonnen und 3,5 Tonnen? Was ist der – umgangs-
steuer folgt trotz zahlreicher Änderungen noch immer sprachliche – Unterschied zwischen identischen Fahr-
den Grundzügen des Gesetzes in der Fassung von 1955. zeugtypen, wenn das Fahrzeug einmal unter 2,8 Tonnen
Grob gesagt: Die Steuerbemessungsgrundlage für PKW wiegt und im anderen Fall – steuerlich begünstigt –
ist der Hubraum, die der anderen Kraftwagen das zuläs- mehr? Brauchen wir einen weiteren Tarif im Steuerge-
sige Gesamtgewicht. setz, um diese Frage zu beantworten, oder schaffen wir
es im Rahmen bestehender Rechtsprechungen mit ent-
Einige Zeit später kamen Kategorien hinzu: Erstens. sprechenden Anreizen und langen Übergangszeiträumen?
Wohnmobile mit weniger als 2,8 Tonnen wurden als
(B)
PKW gemäß Hubraum und Emission besteuert. Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates soll (D)
in erster Linie dazu dienen, einen Kompromiss zwischen
Zweitens. Bei Fahrzeugen mit einem Gewicht von den Extrempositionen der Länder in der künftigen Kate-
mehr als 2,8 Tonnen wird die Besteuerung an der Ge- gorisierung und damit steuerlichen Behandlung herbei-
wichtsklasse orientiert. zuführen. Gleichzeitig wird im Dialog mit dem Deut-
schen Bundestag und der Bundesregierung nach einer
Drittens. Bei Fahrzeugen mit einem Gewicht über Kompromisslinie gesucht, an deren Ende unbestreitbar
3,5 Tonnen wird auf der Grundlage von Emissions- und stehen muss: eine klare Definition der steuerlichen Tat-
Gewichtsklassen besteuert. bestände, eine Ausgrenzung von Ausweichmöglichkei-
Ab etwa Mitte der 80er-Jahre kamen ökologisch-tech- ten unter dem Stichwort Steuergerechtigkeit und eine
nische Standards – Stichwort: Katalysator – und damit Steuervereinfachung – ein Grundprinzip, das wir uns bei
zusätzliche steuerrelevante Merkmale hinzu. allen Gesetzesvorhaben fest vorgenommen haben.

Die angesprochene Vielfalt der Möglichkeiten konnte Lassen Sie mich zum Schluss noch eines anmerken:
in der Vergangenheit dazu führen, dass beispielsweise Nach einer Erhebung des Caravaning-Industrieverban-
schwere Geländewagen mit hubraumstarken Dieselmo- des sind circa 85 Prozent aller Wohnmobile im Segment
toren jedenfalls kraftfahrzeugsteuerlich gegenüber dem bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht anzutreffen. Neufahr-
Standard-PKW deutlich im Vorteil waren. Außerdem: zeuge dieses Bereiches erfüllen bereits in diesem Jahr
Durch so genanntes Auflasten zum Beispiel über die den Euro-4-Wert für „Nutzfahrzeuge“ – im Vergleich:
Reifengröße konnte in Einzelfällen die Gewichtsgrenze, etwa Euro-2/3 für reine PKW. Das ist eine, wie ich finde,
sprich: Kategorie, überschritten werden, was steuerlich gute und im technischen Fortschritt Richtung weisende
zu einer Entlastung führte, ohne dass der eigentliche Entwicklung, die es ebenfalls zu berücksichtigen gilt.
Fahrzeugtyp verändert wurde. Ich bin gespannt auf die Gespräche der kommenden
Im Jahre 2003 sorgte ein Vorschlag des damaligen Zeit und danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Bundesumweltministers Jürgen Trittin für viel Wirbel:
Das Ziel: Die Kfz-Steuer soll gemeinsam mit den Län- Florian Pronold (SPD): Vor genau einem Jahr, als
dern ökologisch weiter entwickelt werden. Der Weg: Für auch die Besitzerinnen und Besitzer von Wohnmobilen
Fahrzeuge mit einem hohen Spritverbrauch und damit in die Osterferien gestartet sind, habe ich Herrn
verbunden einem hohen CO2-Ausstoß sollen die Besitzer Faltlhauser in einer Pressemitteilung gefragt, ob das nun
höhere Kfz-Steuern bezahlen. der letzte Urlaub mit dem Wohnmobil werden würde.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2833

(A) Die Befürchtung war berechtigt: Der bayerische Finanz- Faltlhauser die Finanzbehörden klammheimlich ange- (C)
minister, der öffentlich immer gerne den radikalen Steu- wiesen, die „Aktion Straßenräuber“ zu starten und die
ersenker spielt, hatte seine Beamten gerade angewiesen Eintreibung der höheren Steuern vorzubereiten. Dum-
den Wohnmobilbesitzern so schnell wie möglich ein merweise sind wir ihm damals draufgekommen, haben
Vielfaches an Steuern abzuknöpfen. In diesem Fall war die Sache öffentlich gemacht und Faltlhauser hat wie ein
die bayerische Staatsregierung tatsächlich einmal das, ertappter Dieb den Rückzug angetreten.
was sie sonst immer gerne von sich behauptet: ein Vor-
reiter, allerdings ein Vorreiter im Abzocken. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen – da-
mals noch unter Führung von Peer Steinbrück – hat dann
Wie wir heute Nachmittag auf Deutschlands Auto- den Versuch gemacht, die Sache zu retten, und hat einen
bahnen sehen können, hat sich die Befürchtung nicht be- Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht, der die Steuer-
wahrheitet. Auch heute fahren Familien mit ihren Wohn- erhöhung für Wohnmobile verhindern sollte.
mobilen in den Urlaub, doch auch heute begleitet sie die
Ungewissheit, wie ihr Wohnmobil in Zukunft besteuert Leider ist dieser Gesetzentwurf dann ein halbes Jahr
wird. Das ist eine echte Zumutung. im Bundesrat herumgelegen, und als er dann wieder auf-
getaucht ist, hat ihn keiner mehr wiedererkannt. In NRW
Die Schuldigen für diese ewige Hängepartie sind ein- war nun die CDU an der Macht. Und die hat aus dem gu-
deutig zu identifizieren: Sie sitzen im Bundesrat. Es sind ten SPD-Entwurf ein Gesetz gemacht, das die Steuern
die Ministerpräsidenten und Finanzminister von CDU für viele Wohnmobile vervielfacht. Dieses Gesetz liegt
und CSU, die die Frage der Wohnmobilbesteuerung uns jetzt hier im Bundestag vor. Und ich muss für die
mehr als ein Jahr verschleppt haben. Und nun haben sie SPD-Bundestagsfraktion ganz klar sagen: Diesen Steu-
einen Vorschlag vorgelegt, der – das möchte ich schon erwucher machen wir nicht mit.
einmal voranschicken – völlig inakzeptabel ist.
Was tun wir stattdessen? Die einfachste Lösung wäre
Um Geschichtsverfälschungen vorzubeugen, müssen es gewesen, den Gesetzentwurf aus Nordrhein-Westfalen
wir einmal kurz zurückblicken, wie es zur dieser Misere, zu beschließen und die Besteuerung von Wohnmobilen
zu dieser unerträglichen Hängepartie für die Wohnmo- im Wesentlichen beim Alten zu belassen. Natürlich ist
bilbesitzer überhaupt gekommen ist: Wir hatten bis 2004 das keine dauerhafte Lösung. Früher oder später müssen
das Problem, dass immer mehr große teuere und außer- wir auch für die Wohnmobile zu einer modernen Kfz-
ordentlich benzindurstige Geländewagen – so genannte Besteuerung kommen. Das heißt vor allem, dass sich die
Sport Utility Vehicles – zugelassen wurden und dass Besteuerung am Schadstoffausstoß orientieren soll. Aber
diese deutlich günstiger besteuert wurden als normale sie muss auch die besondere Nutzung von Wohnmobilen
PKW. Es gab also ein Steuerschlupfloch für Luxusautos. berücksichtigen. Und wir wissen auch, dass der Kauf ei-
(B)
Dieses Steuerschlupfloch hat die SPD 2004 geschlos- nes Wohnmobils eine langfristige Investition ist. Des- (D)
sen. Notwendig war dafür eine Änderung der Straßen- halb ist mit uns keine Regelung zu machen, die den
verkehrs-Zulassungsordnung, auf der damals die güns- Besitzern älterer Wohnmobile keinen langfristigen Ver-
tige steuerliche Einstufung der schweren Geländewagen trauensschutz einräumt.
basierte. Diese Änderung wurde im November 2004 be- Die Ausgangslage ist klar: Die Länderfinanzminister
schlossen, aber sie trat nicht etwa zum 1. Januar 2005 in wollen das Geld, wir wollen eine faire Behandlung der
Kraft, wie das bei steuerrechtlichen Regelungen norma- Wohnmobilbesitzer. Irgendwo werden wir uns einigen
lerweise der Fall ist, sondern erst zum 1. Mai 2005. müssen und ich sehe da durchaus Spielräume. Der
Warum diese lange Frist? Warum fast ein halbes Jahr ADAC hat beispielsweise einen sehr vernünftigen Vor-
Zeit bis zum In-Kraft-Treten der Regelung? Weil alle schlag vorgelegt, der als Grundlage für einen Kompro-
Beteiligten wussten, dass nicht nur Geländewagen be- miss dienen könnte. Wir sind gesprächsbereit, aber klar
troffen waren, sondern auch eine Reihe anderer Fahr- ist auch: Eine drastische Steuererhöhung darf es nicht
zeuge – zum Beispiel ein Großteil der in Deutschland geben und vernünftige Übergangsregelungen sind nötig.
zugelassenen Wohnmobile. Und es stand damals bereits
fest, dass die höhere Besteuerung für Wohnmobile aus- Dr. Volker Wissing (FDP): Wenn die Bundesregie-
drücklich nicht gelten sollte. Es ist wichtig, das zu beto- rung ein Problem löst, schafft Sie mindestens zwei neue.
nen, denn in diesem Punkt wird immer wieder viel Un- Das hat sich auch bei der Besteuerung der Geländewa-
sinn behauptet. gen gezeigt. Es war und ist breiter Konsens, dass Gelän-
dewagen, die vor allem als Luxusgefährte genutzt wer-
Das halbe Jahr sollte also genutzt werden, um eine den, nicht auch noch steuerbegünstigt sein sollen. Das
Ausnahmeregelung für Wohnmobile zu schaffen. Und macht weder ökologisch noch ökonomisch Sinn.
weil die Kraftfahrzeugsteuer eine Ländersteuer ist, sollte
sich der Bundesrat um die entsprechende Regelung küm- Bedenklich ist aber die gesetzgeberische Arbeit der
mern. Und weil es nirgends eine so große Ministerial- Bundesregierung. Man kann nicht mit der doppelläufi-
bürokratie gibt wie im CSU-regierten Bayern, hat der gen Flinte ins Blaue zielen, zweimal abdrücken und,
Finanzminister Faltlhauser die Federführung dafür über- wenn sich der Pulverdampf verzogen hat, schauen, wen
tragen bekommen. Und was hat Faltlhauser dann mit sei- man getroffen hat. So geht das nicht.
nen vielen fleißigen Beamten gemacht? Gar nichts!
Sie wollen die Geländewagen besteuern und treffen
Die haben die Sache in Bayern einfach ein paar Mo- die Wohnmobile gleich mit. Immerhin muss man der
nate liegen lassen und dann, kurz vor Ostern, hat Herr Bundesregierung zugute halten, dass sie das dem
2834 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

(A) Anschein nach nicht beabsichtigt hat. Eine Regierung Aktenzeichen 6 V 3715/05. Die verkehrsrechtlichen Be- (C)
sollte aber in der Lage sein, eigene Lösungsvorschläge stimmungen der EU-Richtlinie 70/156/EWG in der Fas-
zu erarbeiten, wenn sie ein Problem erkannt hat. Sie, sung der Richtlinie 2001/116/EG vom 20. Dezember
meine Damen und Herren von Schwarz-Rot, weisen im- 2001 zur Eingruppierung von Fahrzeugen sind jedoch
mer nur darauf hin, dass Sie die Wohnmobilbesitzer als steuerliche Bemessungsgrundlage nicht geeignet.
nicht treffen wollten, tun aber nichts, um diesen Fehler
Richtet sich das Kraftfahrzeugsteuerrecht zukünftig
zu korrigieren. Die Halterinnen und Halter von Wohn-
bei der Beurteilung von Sachverhalten nur nach den Kri-
mobilen sind gewissermaßen zum Kollateralschaden der
terien dieser Richtlinie, kommt es wie bisher zu falschen
großen Koalition geworden. Wenn Sie wirklich nicht die
Anreizen. In diesem Sinn ist die Initiative des Bundesra-
Wohnmobilhalterinnen und -halter treffen wollten, ha-
tes, die Gesetzeslücke zu schließen, zu begrüßen.
ben Sie die Gelegenheit, Ihren Fehler auszubügeln. Sie
brauchen dazu nichts weiter zu tun, als unserem Gesetz- Offensichtlich besteht eine breite Übereinstimmung
entwurf zuzustimmen. Es ist schon paradox genug, dass bezüglich der steuerlichen Behandlung von schweren
eine Regierung mit dem ganzen, ihr zur Verfügung ste- Geländewagen und so genannten Sport-Utility-Vehicles,
henden Apparat nicht in der Lage ist, einen Gesetzent- SUV. Bisher wurden diese Fahrzeuge als „andere Fahr-
wurf so präzise zu formulieren, dass nur die Zielgruppe zeuge“ im Sinne des § 8 Abs. 2 Kraftfahrzeugsteuerge-
betroffen ist. setzes bei einem zulässigen Gesamtgewicht von über
2,8 Tonnen nach Gewicht besteuert. Diese Regelung er-
Die Wohnmobilbesitzer waren und sind nicht Teil des zeugte Anreize, die Fahrzeuge „aufzulasten“, schwerer
Problems, das wir lösen wollten. Ich darf Sie noch ein- zu machen, um in den Genuss des Steuertarifs nach Ge-
mal daran erinnern: Es ging um Geländewagen – Gelän- wicht für leichte Nutzfahrzeuge zu gelangen.
dewagen, die nicht Nutz-, sondern Lustfahrzeuge sind,
Geländewagen, die extrem gefährliche Unfälle verursa- Da auch in der genannten EU-Richtlinie im Anhang II
chen und oftmals einen besonders hohen Kraftstoffver- die Geländewagen als andere Fahrzeuge ausgewiesen
brauch haben, Geländewagen, die immer beliebter wur- werden, ist hier eine grundsätzliche Regelung zur steuer-
den, weil sie steuerlich subventioniert waren. Darüber, lichen Behandlung nach deutschem Recht notwendig.
dass hier etwas getan werden musste, gab und gibt es Der Gesetzentwurf des Bundesrates, der die Besteuerung
Konsens. Aber bei den Wohnmobilen stellt sich die der Mehrzweckfahrzeuge bei überwiegender Nutzung
Situation anders dar. Sie werden nur zeitweise genutzt für die Personenbeförderung der emissionsbezogenen
und sind mit Geländewagen in keiner Weise vergleich- Hubraumbesteuerung unterwirft, ist dafür geeignet.
bar. Und wenn Wohnmobile nicht Teil des Problems wa- Die Fahrzeuge gelten als trendy, sind Statussymbole,
ren, gibt es auch keinen Grund, sie zu belasten. Dem belasten jedoch die Umwelt überproportional. 20 Liter
(B) muss Rechnung getragen werden. (D)
auf 100 Kilometer im Stadtverkehr mit entsprechenden
Wenn Sie sich in Deutschland umsehen, stellen Sie Emissionswerten. Von diesen Fahrzeugen geht darüber
fest, dass überall in den Kommunen Wohnmobilstell- hinaus ein erhöhtes Unfallrisiko insbesondere für
plätze entstehen, weil man erkannt hat, dass dadurch der Fußgänger und Kinder aus. Die Neuregelung ist zu be-
Tourismus belebt wird. Mich würde interessieren, was grüßen, auch wenn es eine Illusion ist, dass sich diese
Ihr Tourismusbeauftragter Hinsken zur Wohnmobilbe- Fahrzeughalter durch die deutlich höhere Kraftfahrzeug-
steuerung sagt. steuer vom Erwerb und Betrieb eines solchen Fahrzeugs
abhalten lassen werden. Interessanterweise protestieren
Der Gesetzentwurf der FDP zeigt einen einfachen und zu diesem Punkt aber weder Industrie noch Halter.
gangbaren Weg, wie wir die zu hohe Besteuerung von Anders sieht es im Bereich der Neugestaltung der
Wohnmobilen rückgängig machen können. Eine etwas Kraftfahrzeugsteuer für Wohnmobile aus. Für sie soll zu-
sorgfältigere gesetzgeberische Arbeit kann dazu beitra- künftig nach dem vorliegenden Gesetzentwurf des Bun-
gen, dass solche Situationen künftig nicht mehr eintre- desrates gelten: Alle Wohnmobile sind wie Personen-
ten. kraftwagen zu besteuern, unabhängig von ihrem
Gewicht. Für Wohnmobile unter 2,8 Tonnen gilt dies be-
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Durch die Änderung reits.
der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung vom 2. Novem-
Beispiel: kleines Wohnmobil unter 2,8 Tonnen zuläs-
ber 2004 wurde der § 23 Abs. 6 a StVZO mit Wirkung
siges Gesamtgewicht, Hubraum 1,6 Liter, Dieselmotor,
zum 1. Mai 2005 aufgehoben. Dadurch wurde die beson-
nicht schadstoffarm und Fahren bei Ozonalarm nicht er-
dere Behandlung von „Kombinationskraftwagen“ been-
laubt: 16 x 37,58 Euro = 601,28 Euro Kraftfahrzeug-
det, eine gesetzliche Neuregelung bezüglich der
steuer jährlich. Großes Wohnmobil über 2,8 Tonnen
Kraftfahrzeugsteuer dieser „Kombinationskraftwagen“
zulässiges Gesamtgewicht, Hubraum 2,4 Liter, Diesel-
erfolgte jedoch nicht. Finanzgerichte und Bundesfinanz-
motor, nicht schadstoffarm und Fahren bei Ozonalarm
hof, die zur Abgrenzung zwischen PKW und LKW in
nicht erlaubt, zukünftig: 24 x 37,58 Euro = 901,92 Euro
der ständigen Rechtsprechung auf die verkehrsrechtliche
jährlich, im Vergleich derzeit bei Besteuerung nach Ge-
Vorschrift des § 23 Abs. 6 a StVZO zurückgegriffen hat-
wicht: 5 x 12,02 Euro + 10 x 11,25 Euro = 172,60 Euro
ten, berufen sich nun in der aktuellen Rechtsprechung
jährlich.
auf geltende Bestimmungen des gemeinschaftlichen Ver-
kehrsrechts für die Einstufung von Fahrzeugen, verglei- Das ist ein extremes Beispiel, welches aber zeigt, dass
che FG Köln, Beschluss vom 28. November 2005, besonders Wohnmobile über 2,8 Tonnen zulässiges Ge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2835

(A) samtgewicht von der derzeitigen Regelung, der Besteue- Differenzierung nach Schadstoffausstoß; die Besteue- (C)
rung nur nach Gewicht, sehr profitieren. rung erfolgte nur nach Gewicht. Die Privilegierung hatte
sich im Laufe der Zeit praktisch automatisch entwickelt,
Die Erhöhung, wie im Gesetzentwurf des Bundesrates weil Fahrzeuge mit über 2,8 Tonnen zulässigem Gesamt-
vorgeschlagen, würde den Einzelnen jedoch vor die gewicht als Nutzfahrzeuge eingestuft und deshalb niedri-
Frage stellen, ob sein Fahrzeug in Zukunft noch zu hal- ger besteuert werden. Schwere Geländewagen sind in
ten ist. Für die Modelle mit schwerer LKW-Motoren- der Regel aber gar keine Nutzfahrzeuge, sondern werden
technik wird darüber hinaus das Problem auftauchen, regelmäßig im ganz normalen Straßenverkehr eingesetzt.
dass sie einen Schadstoffausstoß produzieren, der von
den Schadstoffklassen der PKW-Besteuerung nicht er- Durch die Streichung des § 23 Abs. 6 a StVZO wurde
fasst wird. dieses durch nichts gerechtfertigte Steuerprivileg abge-
schafft. Dazu stehen wir. Problematisch ist jedoch, dass
Die FDP sieht, wie ihr Gesetzentwurf zeigt, keinen durch diese Regelung Wohnmobile derselben Steuer un-
Regelungsbedarf und will für Wohnmobile die Besteue- terliegen sollen wie PKWs. Dadurch ist es bei den Besit-
rung nach Gewicht beibehalten. Mit dieser Forderung zern von Wohnmobilen zu großer Unruhe gekommen.
übersieht die FDP, dass es tatsächlich Regelungsbedarf Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Wohnmobile oft
in der Frage der Wohnmobilbesteuerung gibt. Steuerge- nur wenige Tage im Jahr genutzt werden und dabei nur
recht ist das jetzige Modell nicht. Es schafft falsche An- wenige Hundert Kilometer auf deutschen Straßen zu-
reize da auch hier in der Tendenz gilt, je schwerer desto rücklegen. Viele Wohnmobilbesitzer sind durch die
günstiger, und kein Anreiz für einen verringerten Aus- plötzliche Steuererhöhung geschockt; in manchen Fällen
stoß an Treibhausgasen und Rußpartikeln besteht. müssen sie fünfmal so viel zahlen wie bisher. Betroffen
In den Zuschriften der Wohnmobilbesitzer war immer von dieser Steuererhöhung sind insbesondere Rentner
wieder von der Langlebigkeit der Wohnmobile die Rede und junge Familien, was wir auch bei unserer Entschei-
als Argument gegen die Stufenregelung im Gesetzent- dungsfindung berücksichtigen sollten.
wurf des Bundesrates bis 2011. Gerade bei so einem
Der Reformvorschlag des Bundesrates sieht zwar vor,
langlebigen Konsumgut lohnt sich das Nachrüsten eines
dass durch ein Stufenmodell der Übergang zu der höhe-
schadstoffärmeren Motors. Auch die Automobilindustrie
ren Besteuerung erleichtert wird. Darüber hinaus ist ein
wäre dann gefordert, Nachrüstmöglichkeiten für ältere
Abschlag von 20 Prozent vorgesehen. Dennoch muss
Modelle, insbesondere mit LKW-Motoren, kostengüns-
spätestens ab 2011 mit einer deutlich höheren Besteue-
tig anzubieten.
rung gerechnet werden. Wir haben Zweifel, ob dieser
Auch für Wohnmobile werden Ökonomie und Ökolo- Vorschlag ausreicht, unzumutbare Härten für Besitzer
(B) gie in der Besteuerung eine größere Rolle spielen müs- von Wohnmobilen abzuwenden. Daher mein Appell an (D)
sen. In der Stellungnahme der Bundesregierung ist aus- die Bundesregierung: Nehmen Sie die Sorgen der Wohn-
geführt – ich zitiere –: mobilbesitzer ernst und prüfen Sie vorbehaltlos, ob nicht
über den Bundesratsvorschlag hinausgehende Regelun-
Eine Lösung des Problems könnte darin bestehen, gen notwendig sind. In diesem Zusammenhang sind
für alle Wohnmobile einen eigenständigen, durch- auch die Vorschläge des ADAC und des Caravan-Ver-
gängigen Steuertarif zu schaffen, dessen Verlauf bandes ergebnisoffen zu prüfen.
zwischen dem für PKW und Nutzfahrzeugen gel-
tenden Tarif liegt. Dagegen kann der Vorschlag der FDP getrost zu den
Akten gelegt werden. Wer allen Ernstes vorschlägt, dass
Das könnte tatsächlich eine Lösung sein. In der heuti- Wohnmobile wie vor dem 1. Mai 2005 wieder nach
gen Zeit kann eine derartige Lösung aber nicht unter Gewicht besteuert werden sollen, zeigt, dass er erstens
Ausschluss ökologischer Belange gefunden werden. Ein wenig kreativ ist und zweitens wenig von Ökologie ver-
neu zu schaffender Tarif sollte die Emissionswerte mit steht. Selbst der ADAC erkennt doch an, dass Wohn-
einbeziehen. Der Tarif sollte den Anreiz schaffen, bei mobile zukünftig emissionsabhängig besteuert werden
Neuanschaffungen schadstoffärmere Modelle zu wählen, sollen. Altertümliche Fahrzeuge mit hohen Schadstoff-
gleichzeitig aber Menschen die Sicherheit geben, dass werten gehören nicht auf die Straße. Das gilt für PKWs
sie ihr möglicherweise altes Urlaubsfahrzeug nicht we- und soll auch für Wohnmobile gelten. Mit ihrem Vor-
gen der steuerlichen Höherbelastung verkaufen müssen. schlag stellt die FDP wieder einmal unter Beweis, dass
sie zur Ökologie allenfalls ein taktisches Verhältnis hat.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf eines Ich komme zum Schluss. Wir nehmen die Befürch-
Gesetzes der FDP zur Änderung des Kraftfahrzeugsteu- tungen der Wohnmobilbesitzer sehr ernst. Wir werden
ergesetzes und den Entwurf eines Gesetzes des Bundes- die Argumente der Bundesregierung und der Wohnmo-
rates zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher Vorschrif- bilbesitzer sorgfältig prüfen. Steuererhöhungen in dem
ten auch hinsichtlich der Wohnmobilbesteuerung. Ausmaß, wie sie von Wohnmobilbesitzern beschrieben
werden, halten wir für sehr problematisch. Keinesfalls
Um es gleich vorweg zu sagen: Wir wollen auf keinen ist der Vorschlag des Bundesrates, schon gar nicht der
Fall zurück zur alten Rechtslage von vor Mai 2005. Bis Vorschlag der FDP, ein Ersatz für die von uns schon seit
zum 1. Mai 2005 wurden schwere Geländewagen bei der langem geforderte umfassende Kfz-Steuerreform, bei
Kfz-Steuer deutlich niedriger belastet als einfache PKW. der CO2-Ausstoß und Schadstoffklasse zur Bemessungs-
Auch gibt es bei diesen schweren Geländewagen keine grundlage für alle Kraftfahrzeuge gemacht werden.
2836 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

(A) Diese Forderung findet sich im Übrigen auch in der Ko- der Straftatbestände beschlossen. 2005 haben wir von (C)
alitionsvereinbarung von Union und SPD. Die Bundes- der Union einen Antrag zur Freierstrafbarkeit einge-
regierung ist daher gut beraten, die Ankündigung der bracht. Dieser Antrag konnte allerdings wegen der vor-
großen Koalition auch umzusetzen und schnell einen gezogenen Bundestagswahl nicht mehr beschlossen wer-
umfassenden Vorschlag für eine neue Kfz-Steuer vorzu- den, aber unsere Forderung hat Eingang in den
legen, die dann für alle Fahrzeuge gilt. Auf eine kompli- Koalitionsvertrag gefunden. Dort heißt es: „Ebenso wer-
zierte Neuregelung für Wohnmobile mit langen Über- den wir Opfer von Zwangsprostitution mit den Möglich-
gangsfristen kann dann nämlich verzichtet werden. keiten des Strafrechts noch besser schützen und die
Strafbarkeit der Freier von Zwangsprostitution regeln.“

Anlage 7 Man sieht: Für die Union ist die Bekämpfung der
Zwangsprostitution ein Dauerthema; denn Zwangspros-
Zu Protokoll gegebene Reden titution verstößt in eklatanter Weise gegen das ethische
Grundverständnis unserer Gesellschaft und missachtet
zur Beratung der Anträge: das Selbstbestimmungsrecht der Frauen.
– Gegen Menschenhandel und Zwangsprosti-
Beide heute zu debattierenden Anträge weisen starke
tution – Rechtsstellung der Opfer stärken
Bezüge zur anstehenden Umsetzung der so genannten
– Menschenhandel bekämpfen – Opferrechte Opferschutzrichtlinie der EU auf. Dabei wissen alle ge-
weiter ausbauen nau, dass sich nach der Umsetzung die meisten von den
in den Anträgen genannten Punkten erledigt haben.
(Tagesordnungspunkt 31, Zusatztagesordnungs-
punkt 9) Ich bin mir, sicher, dass sie den Referentenentwurf
kennen. Denn dort heißt es: eine Bedenkzeit für die Op-
Michaela Noll (CDU/CSU): „Die Welt zu Gast bei fer von Menschenhandel, um sich zu entschieden, ob sie
Freunden“ – so lautet unser Motto zur Fußballweltmeis- mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten
terschaft. Weil Deutschland diesem Motto gerecht wer- wollen; dass diese dann ein sechsmonatiges Aufenthalts-
den will, wird alles getan, um Menschenhändlern und recht und Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten; dass diese
Zwangsprostitution wirksam zu begegnen. Alle Ebenen Regelungen auch für Minderjährige gelten sollen. Ferner
sind beteiligt. Dazu zählen zahlreiche polizeiliche Maß- enthält er einen Anspruch auf medizinische Versorgung;
nahmen sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen dabei hat jeder in Deutschland das Recht auf medizini-
BKA, der Polizei, Europol und Interpol. Daneben flie- sche Gesundheitsversorgung.
(B) ßen finanzielle Mittel auch in Präventionsmaßnahmen Ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht ist auch in den (D)
der Herkunftstaaten. Zusätzlich erhalten Opfer bereits Richtlinien nicht vorgesehen. Die Praktiker verweisen
jetzt finanzielle Hilfe zur freiwilligen Rückkehr. auf die große Missbrauchsgefahr; denn ein großzügig
All dies zeigt, dass die Bundesregierung der Bekämp- ausgestaltetes Bleiberecht gibt ein falsches Signal und
fung der menschenverachtenden Zwangsprostitution ei- birgt die Gefahr einer Sogwirkung für Migranten in sich,
nen besonders hohen Stellenwert einräumt. Ich begrüße die sich mit der wahrheitswidrigen Behauptung, Opfer
die Kampagne „Abpfiff – Schluss mit der Zwangsprosti- von Menschenhandel zu sein, in Deutschland ein dauer-
tution“, weil sie auch dazu beitragen wird, die Öffent- haftes Bleiberecht verschaffen wollen.
lichkeit zu sensibilisieren. Aber es gibt noch viele wei- Auch die erneute Behauptung der Grünen, dass uner-
tere Projekte. Allein die zehnseitige Übersichtstabelle laubt eingereiste Ausländerinnen auf die Länder verteilt
des KOK – der bundesweite Koordinierungskreis gegen werden, ist falsch. Alle Bundesländer haben sich bereits
Frauenhandel und Gewalt und Frauen im Migrationspro- darauf verständigt, Opfer von Menschenhandel von der
zess – spricht Bände. länderübergreifenden Verteilung auszunehmen. Vieles
All dies sind gute Ansätze. Dennoch muss ich auch an ist also bereits auf dem richtigen Weg.
dieser Stelle erneut darauf hinweisen, dass das Phäno-
Der Antrag der Linken greift in vielen Punkten zu
men des Menschenhandels nicht neu und schon gar kein
kurz. Es findet sich nicht eine Zeile darüber, dass es sich
Thema nur für sechs Wochen der Fußballweltmeister-
beim Menschenhandel um ein Delikt handelt, das eben
schaft ist. Damit werden die Linken in ihrem Antrag der
keine Grenzen kennt, und dass wir nur dann erfolgreich
Not der Frauen nicht gerecht. Denn auch nach der WM
sind, wenn wir weltweit agieren und die Zusammen-
ist zu befürchten, dass es diese menschenverachtenden
arbeit auch auf internationaler Ebene erfolgt.
Taten in Deutschland weiter geben wird; denn kein ande-
res Verbrechen ist so lukrativ wie dieses. Sinnvoll wäre es auch, die Lebensbedingungen der
Auch scheint den Damen und Herren von den Linken Frauen in den Herkunftsländern zu verbessern, um ihnen
vollkommen entgangen zu sein, dass es bereits seit 1997 dort eine Lebensperspektive zu geben. Dort muss die
die Arbeitsgruppe „Frauenhandel“ im Bundesfrauenmi- Prävention ansetzen. Aber auch darüber findet sich
nisterium gibt. Diese haben wir während unserer Regie- nichts im Antrag der Linken. Es reicht eben nicht aus,
rungszeit eingerichtet. nur die Öffentlichkeit hier vor Ort über Hintergründe
und Erscheinungsformen von Zwangsprostitution aufzu-
2004 haben wir das Thema „Menschenhandelsde- klären. Auch in Herkunftsländern muss seriös und flä-
likte“ im Deutschen Bundestag beraten und eine Reform chendeckend darüber informiert werden, welche Metho-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2837

(A) den die Menschenhändler anwenden. Nur so werden hilft den Opfern tatsächlich! Nach der WM werden wir (C)
potenzielle Opfer geschützt. sehen, wie erfolgreich die Hotline war. Dann können wir
weitersehen. Aber eine europaweite Hotline ist unrealis-
Denn die Leidensgeschichte ist bei fast allen Opfern
tisch.
gleich. Sie werden mit Aussicht auf legale Arbeit in ei-
nem westlichen Land mit einem Visum angelockt und Doch wo bleiben bei den beiden Anträgen eigentlich
dann stellen sich die Versprechungen als Lügen heraus. die Täter? Beide Anträge enthalten nichts über die men-
Sie werden erpresst und unter Androhung von Gewalt schenverachtenden Handlungen der Freier. Der Freier
zur Prostitution gezwungen. trägt aber eine Mitverantwortung für das Verbrechen
Anscheinend hat der Visa-Untersuchungsausschuss Menschenhandel. Die Freier sind diejenigen, die die
bei den Grünen bleibende Spuren hinterlassen. Sonst sexuellen Ausbeuter sind. Hier müssten dringend gesetz-
würden sie jetzt nicht die Bundesregierung in ihrem An- liche Regelungen geschaffen werden. Mit dieser Forde-
trag auffordern, „dafür Sorge zu tragen, dass die deut- rung stehen wir nicht alleine da. Die Kirchen und Opfer-
schen Botschaften bei der Visavergabe auch Hinweise schutzorganisationen sehen es ähnlich.
auf die Gefahren sexueller Ausbeutung bereithalten“. In Schweden ist seit 1999 sogar die Prostitution gene-
Was wir strukturell verbessern müssen, ist der Opfer- rell verboten. Dort machen sich die Freier – nicht die
schutz. Die Forderung der Grünen nach einer verbesser- Prostituierten – strafbar, wenn sie sexuelle Dienste in
ten Absicherung der Arbeit der Fachdienststellen deckt Anspruch nehmen. In den ersten drei Jahren sind bereits
sich mit der Forderung des Bundes Deutscher Kriminal- 249 Strafanträge gestellt worden. Im Umkehrschluss
beamter. Konrad Freiberg, der Vorsitzende der Gewerk- muss dies doch erst recht gelten, wenn es sich um
schaft der Polizei, hat sie bei der Pressekonferenz zur Zwangsprostitution handelt.
Kampagne „Abpfiff“ am 7. März 2006 wiederholt. 2004 hat die grüne Landtagsabgeordnete Ursula
Dem kann ich mich nur anschließen; denn dieses De- Helmholdt bereits in ihrer Rede im Niedersächsischen
likt wird oft noch im Rahmen allgemeiner Kriminalität Landtag gesagt: „Auch für die Freierstrafbarkeit wird in
bearbeitet und nicht immer von speziell ausgebildeten Kürze eine Regelung gefunden.“
Fachleuten. Aber gerade die Befragung von Opfern oder In die gleiche Richtung geht die Kollegin Schewe-
diesem Täterprofil erfordern eine hohe Sensibilität, lang- Gerigk in ihrem Argumentationspapier vom März 2005:
jährige Erfahrung und vor allem auch Fachwissen rund „Wir haben deshalb beschlossen, die Frage der Freierbe-
um das so genannte Rotlichtmilieu. Hier müssen Profis strafung gesondert zu diskutieren und gegebenenfalls ge-
ran, denn wer da nur ein oder zwei Fälle im Jahr bearbei- setzlich zu regeln.“
tet, wird von den Tätern regelrecht vorgeführt. Deshalb
(B) (D)
geht die Forderung in die richtige Richtung, Fortbil- Ich glaube aber, es ist an der Zeit, nochmals über die
dungsprogramme und Sensibilisierungsmaßnahmen für Freierstrafbarkeit zu diskutieren. Ich weiß, dass es dabei
die mit dem Thema Menschenhandel befassten Berufs- hauptsächlich um die Nachweisbarkeit geht. Aber auch
gruppen zu schaffen. Nur fällt das in die Länderzustän- bei diesem Punkt hat Frau Schewe-Gerigk sich ja in dem
digkeit. bereits erwähnten Argumentationspapier schon offener
gezeigt: „Für uns Grüne muss auf alle Fälle gelten: Die
Die Linken fordern zudem eine gebührenfreie bun- schwierige Nachweisbarkeit allein kann kein Argument
desweite Freier-Hotline und eine Öffentlichkeitskampa- gegen die Bestrafung der Freier von Zwangsprostituier-
gne zur „Sensibilisierung“ der Freier. Aber mit Verlaub: ten sein.“ Weiter heißt es: „Eine gesetzliche Regelung
Bei den Freiern von Sensibilisierung zu sprechen, halte kann durch ein klares Verbot eine wichtige Signalwir-
ich für realitätsfern. Es sind die Freier, die Tag für Tag kung entfalten.“
die Notlage der Frauen ausnutzen. Es sind die Freier, die
durch den Missbrauch bei den Opfern psychische und Darum mein Appell noch einmal an alle Kolleginnen
physische Schäden hinterlassen. Es sind die Freier, die und Kollegen: Das Thema darf nicht nur zur Fußball-
durch die starke Nachfrage dazu beitragen, dass die Ver- WM 2006 auf der Agenda sein, weil „sex and crime
brecherringe Frauen aus dem Ausland hier einschleppen, sells“. Wir müssen aus unserer Verantwortung heraus die
um mit ihnen immense Gewinne zu erzielen. Es ist für Bekämpfung der Zwangsprostitution gemeinsam weiter
mich unerträglich, wenn bei diesem menschenverachten- vorantreiben; denn Zwangsprostitution ist kein Kava-
den Täterprofil von Sensibilisierung gesprochen wird. liersdelikt und die Opfer brauchen unsere Hilfe.
Eine ähnliche Kampagne, wie sie vorgeschlagen wird,
hat die Organisation terre des femmes bereits 1999 Renate Gradistanac (SPD): Ich freue mich, dass
durchgeführt. Das Resultat dieser Kampagne spricht die Anträge der Grünen und der Linken die Gelegenheit
Bände. Innerhalb eines Monats gingen ganze drei Hin- bieten, auf die Themen Menschenhandel und Zwangs-
weise auf Frauenhandel ein, die sich aber sämtlich nicht prostitution aufmerksam zu machen. Menschenhandel
bestätigten. ist in der Regel Frauenhandel. Frauen wie eine Ware zu
handeln und sie als Zwangsprostituierte auszubeuten, ist
Etwas anderes ist es, wenn es um eine Hotline für die in höchstem Maße menschenverachtend.
Opfer geht. Die gibt es bereits: Beispielsweise Solwodi
startet zur WM eine bundesweite mehrsprachige Hotline Die Bekämpfung von Frauenhandel und Zwangspros-
für die Frauen. Diese Hotline ist 24 Stunden erreichbar titution braucht ein umfassendes Konzept, das Präven-
und mit Frauen aus den Herkunftsländern besetzt. Das tion, Strafverfolgung und Opferschutz gleichermaßen
2838 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

(A) berücksichtigt. Die rot-grüne Bundesregierung hat um- Auch sonst wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, (C)
fangreiche Maßnahmen zum Schutz der Opfer – zumeist um die Opfer zu stärken. Zwei will ich hier kurz erwäh-
Frauen – und zur Verfolgung der Täter – zumeist Männer – nen:
eingeleitet.
Die Bundländer-Arbeitsgruppe Frauenhandel trifft
Im Oktober 2000 wurde Opfern von Menschenhandel sich seit 1997 regelmäßig unter der Federführung des
ohne legalen Aufenthalt durch Verwaltungsvorschriften Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
zum Ausländergesetz ein Abschiebeschutz von vier Wo- Jugend. In ihr sind die zuständigen Bundesministerien,
chen eingeräumt. In dieser Zeit können sich die Opfer die Landesfachministerkonferenzen, das Bundeskrimi-
überlegen, ob sie aussagen wollen. nalamt und Nichtregierungsorganisationen vertreten. Sie
hat bereits zahlreiche Verbesserungen zugunsten der Op-
Seit Mai 2001 können Betroffene, die als Zeuginnen fer erreicht. Sie hat eine Broschüre für Frauen in den
aussagen, aufgrund eines Erlasses des Bundesarbeits- Herkunftsländern erarbeitet und herausgegeben. Sie hat
ministeriums Arbeitserlaubnisse erhalten. Empfehlungen zum Umgang mit Opfern von Menschen-
Im Dezember 2001 wurde parteienübergreifend der handel eingebracht. Sie hat ein Kooperationskonzept er-
rot-grüne Antrag zur „Prävention und Bekämpfung von arbeitet für einen speziellen Zeuginnenschutz für
Frauenhandel“ angenommen. Der Antrag beschäftigt Frauen, die nicht in das Zeugenschutzprogramm aufge-
sich vorwiegend mit der Situation der ost- und mitteleu- nommen werden können oder wollen. Dieses Koopera-
ropäischen Frauen, die als Opfer von Menschenhandel tionskonzept ist Grundlage entsprechender Vereinbarun-
nach Deutschland verschleppt wurden. Er stellt Forde- gen in einzelnen Bundesländern geworden. Außerdem
rungen an den Bund und die Länder zum Schutz der Op- gibt es die Empfehlung, für die Länder einen Opferfonds
fer. Der Bund hat viele der darin enthaltenen Forderun- einzurichten.
gen erfüllt. Vieles, was wir beim Thema Opferschutz
Das Büro des bundesweiten Koordinierungskreises
gefordert haben, muss aber von den Ländern geleistet
gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migra-
werden. Um Frauenhandel effektiv zu bekämpfen, sind
tionsprozess – kurz KOK – wurde 1999 eingerichtet. Der
die flächendeckende Einrichtung von Fachberatungsstel-
Bund fördert sowohl den Koordinierungskreis als auch
len und ihre langfristige finanzielle Absicherung sowie
die jährlichen Vernetzungstreffen der Fachberatungsstel-
die Finanzierung der Aufenthalts- und Betreuungskosten
len sowie verschiedene Einzelmaßnahmen.
der Opferzeuginnen notwendig. Bis heute gibt es immer
noch zu wenige Beratungsstellen für Opfer von Men- Handlungsbedarf sehe ich unter anderem bei der Um-
schenhandel in den Ländern. Zwei Bundesländer – Thü- setzung der EU-Richtlinie 2004/81/EC. Den Opfern von
ringen und Mecklenburg-Vorpommern – haben bisher Zwangsprostitution soll zumindest ein dreimonatiges
(B) keine einzige Fachstelle, an die sich betroffene Frauen Aufenthaltsrecht gewährt werden, wenn sie mit den Be- (D)
wenden können. Die psychosoziale Betreuung der Stel- hörden zusammenarbeiten. Im Falle eines Gerichtsver-
len, ist für den Erfolg von Strafverfahren unerlässlich. fahrens kann es auf ein halbes Jahr ausgedehnt werden.
Dringend brauchen wir mehr Forschung in diesem Be-
Seit September 2004 ist die Opferrechtsreform in
reich. Die Ergebnisse müssen EU-weit ausgetauscht
Kraft. Sie hat Verbesserungen im Strafverfahren ge-
werden. Im Zusammenhang mit der Fußballweltmeister-
bracht. Für Opfer von Menschenhandel ist es in weite-
schaft können Daten und Erfahrungen gesammelt und
rem Umfang möglich, als Nebenklägerin aufzutreten.
ausgewertet werden.
Im Februar 2005 sind Änderungen des Strafgesetzbu-
Bleibt noch die Frage der Strafbarkeit für Freier von
ches in Kraft getreten, mit denen der Menschenhandel
Zwangsprostituierten. Im Gegensatz zu meinen CDU-
effektiver bekämpft werden kann. Damit wurden inter-
Kolleginnen und Kollegen habe ich große Bedenken, die
nationale Übereinkommen umgesetzt. Die Definition
ich mit vielen Beratungsstellen teile.
des Menschenhandels wurde entsprechend den interna-
tionalen Vorgaben erweitert. Die Täter werden härter Die Kampagne des Deutschen Frauenrates „Abpfiff –
bestraft und Opfer besser geschützt. Verbessert wurden Schluss mit Zwangsprostitution“, wurde pünktlich am
bereits bestehende Strafvorschriften, die den Menschen- Vorabend des Internationalen Frauentages gestartet. Mit
handel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sanktio- Faltblättern, Trillerpfeifen, T-Shirts und vielfältigen Ak-
nieren. Nicht nur Ausbeutung in der Zwangsprostitution tionen soll die Öffentlichkeit auf eklatante Menschen-
ist strafbar, sondern auch die Ausbeutung in Peepshows rechtsverletzungen an Frauen aufmerksam gemacht wer-
und für pornografische Darstellungen. Das Strafmaß bei den. Die Kampagne soll potenzielle Freier für das
Zwangsverheiratung wurde heraufgesetzt. Die Strafbar- Thema Zwangsprostitution sensibilisieren, und zwar
keit der Ausbeutung der Arbeitskraft wurde umfassender weit über die Fußballweltmeisterschaft hinaus. Ganz im
geregelt. Erfasst werden auch Fälle, in denen das Opfer Sinne von Martin Rosowski, Geschäftsführer der Män-
unter Ausnutzung einer Zwangslage oder auslandsspezi- nerarbeit der Evangelischen Kirche Deutschlands, der
fischer Hilflosigkeit, durch Drohung oder List dazu ge- ebenfalls bei der Kampagne mitmacht: „Es kann nicht
bracht wird, menschenverachtende Arbeitsverhältnisse im Sinne aufgeklärter Männer sein, die Dienste von Op-
aufzunehmen. fern des Menschenhandels auszunutzen“.
Im Januar 2005 wurde mit dem Zuwanderungsgesetz
die Möglichkeit geschaffen, Betroffenen eine befristete Ina Lenke (FDP): Zwangsprostitution ist menschen-
Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. verachtend. Wir sprechen über einen eklatanten Verstoß
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2839

(A) gegen Menschenrechte. Besonders Frauen erleiden die CDU/CSU/SPD-Bundesregierung hat dazu eine andere (C)
perfide Form der Ausbeutung. Für mich ist das Sklaven- Position. Mir hat sie im März diesen Jahres auf eine
handel. Nach Schätzungen sind weltweit zwischen schriftliche Frage zur Fußballweltmeisterschaft geant-
600 000 und 800 000 Frauen und Männer und in Europa wortet, dass „die in polizeilichen Ermittlungen aufge-
jährlich über 100 000 Frauen Opfer von Menschenhänd- griffenen mutmaßlichen Opfer von Menschenhandel
lern. Gewalt gegen Frauen spiegelt in hohem Maß die nicht sofort abgeschoben oder in Abschiebehaft genom-
ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und men werden, sondern eine Duldung von mindestens vier
Frauen in unserer Gesellschaft wider. Wochen erhalten“. Danach bleibt es also grundsätzlich
bei der Vierwochenfrist.
Die FDP setzt sich für eine intensive EU-weite bes-
sere Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung aus. 2004 Nach der Osterpause werden wir die Anträge in den
hat der Deutsche Bundestag einstimmig ein Gesetz ver- Ausschüssen beraten. Interessant in Bezug auf dieses
abschiedet, mit dem Menschenhandel effektiver be- Thema ist die Aussage des Bundesinnenministers
kämpft werden kann. Die strafrechtliche Definition des Schäuble, der ankündigte, das Ausländerrecht zu ver-
Menschenhandels, insbesondere des Frauenhandels, war schärfen. Damit sollen Prostitution und Menschenhandel
nach Vorgabe der Vereinten Nationen und der EU zu er- erschwert werden. Ob dieser Weg der erfolgverspre-
weitern. chende ist, bezweifle ich.
Durch einen neuen Tatbestand „Förderung des Men-
schenhandels“ werden nun auch beihilfeartige Handlun- Karin Binder (DIE LINKE): Am 9. Juni hat das
gen, wie das Beherbergen oder Befördern von Opfern, lange Warten für viele Fußballfans ein Ende, der Anpfiff
erfasst. Damit können die Hintermänner bestraft werden zur Fußball-WM und die Spiele können beginnen. Hin-
und zwar jene, denen bisher kein Menschenhandel im ter den Kulissen solcher Großveranstaltungen müssen
engeren Sinne nachgewiesen werden kann. Der Schutz wir jedoch mit Begleiterscheinungen übelster Art rech-
der Opfer wurde gestärkt. Auch wenn Frauen sich illegal nen: Menschenhandel und Zwangsprostitution. Dass die-
in Deutschland aufhalten, ist es jetzt einfacher für sie, sem Thema endlich die notwendige Aufmerksamkeit
Strafanzeige gegen Täter zu erstatten. Denn wenn zuteil wird, ist ein Verdienst vieler Frauenverbände und
Frauen gegen Täter als Zeuginnen auftreten, müssen sie -initiativen, die im Vorfeld der WM Kampagnen gegen
wegen nicht rechtmäßigen Aufenthaltes kein eigenes die Zwangsprostitution gestartet haben, inzwischen so-
Strafverfahren befürchten. gar mit Unterstützung des DFB.
Die Wege der Frauen in die Zwangsprostitution glei-
Wir Liberalen begrüßen die Forderung, abgeschöpfte
chen sich. Sie werden meist ohne große Zukunftsaus-
Gewinne den Opferverbänden zukommen zu lassen.
(B) Diesen Vorschlag haben wir in der aktuellen Diskussion sichten in ihren osteuropäischen Heimatländern ange- (D)
worben, um in Deutschland zu arbeiten. Die Reise endet
über die Pläne der Bundesregierung zur Neuregelung der
abrupt. Den Frauen werden die Papiere abgenommen,
strafrechtlichen Einbeziehung und des Verfalls selbst
oft werden sie vergewaltigt, misshandelt und in sklaven-
vorgeschlagen.
ähnlichen Verhältnissen gnadenlos ausgebeutet.
In beiden Anträgen wird dem Opferschutz und den Aus dieser entmenschlichten und entrechteten Situa-
Opferrechten besondere Bedeutung beigemessen. Die tion schaffen es nur die wenigsten Frauen auszubrechen.
Vorschläge sind grundsätzlich zu begrüßen. Mit den ein- Schaffen sie es doch, haben sie auch bei uns kaum
zelnen Forderungen dazu werden wir uns sicher in den Rechte. Unser Aufenthaltsgesetz lässt den betroffenen
Ausschussberatungen beschäftigen. Der Forderung der Frauen nur gerade mal vier Wochen Zeit, um darüber
Grünen, die Aufnahmen von neuen Straftatbeständen in nachzudenken, ob sie gegen ihre Peiniger, die Men-
den Katalog des § 100 a Strafprozessordnung, der Tele- schenhändler, aussagen wollen oder nicht. Ringen sie
fonüberwachung, vorzusehen, steht die FDP kritisch ge- sich durch auszusagen, bekommen sie ein Bleiberecht,
genüber. Schon heute ufert der Anlasskatalog in der aber gerade mal für die Dauer des Strafprozesses. Ent-
Strafprozessordnung aus. Neue Verordnungen zu erlas- scheiden sie sich dagegen, werden sie sofort ausgewie-
sen, ohne eine Gesamtreform der Telekommunikations- sen. Im Zentrum des Interesses steht bislang nicht der
überwachung in Angriff zu nehmen, davon sollte Ab- Schutz der Opfer, sondern ihre strafrechtliche Verwert-
stand genommen werden. barkeit. Das wollen und das müssen wir ändern!
Die FDP-Bundestagsfraktion hat auch Bedenken ge- Diese Frauen haben massive Grausamkeiten erlebt,
gen die Zulassung eines Zeugnisverweigerungsrechtes physisch und psychisch, sind häufig traumatisiert und le-
im Strafprozess für Berater und Beraterinnen. Es besteht ben oft in Angst um ihre Familien, die in der Heimat den
ein Urteil des BVG, nach dem der Kreis der Zeugnisver- Repressalien der Schlepper ausgeliefert sind.
weigerungsberechtigten wegen der Notwendigkeit einer
funktionierenden Rechtspflege auf das unbedingt erfor- Wir fordern deshalb, dass die vierwöchige Bedenk-
derliche Maß zu begrenzen ist. Für die Zulassung eines frist zunächst auf sechs Monate verlängert wird. Darüber
Zeugnisverweigerungsrechtes bedarf es deshalb eines hinaus soll den Opfern dieser schwerwiegenden Men-
klar eingrenzbaren und abgrenzbaren Berufsbildes. schenrechtsverletzungen aus humanitären Gründen ein
Bleiberecht eingeräumt werden, und zwar unabhängig
In beiden Anträgen wird die Bundesregierung aufge- von ihrer Aussagebereitschaft, sofern sie in Deutschland
fordert, für Opferschutzzeuginnen eine aufenthaltsrecht- bleiben möchten. Sie sollen das Recht haben, ihre
liche Bedenkfrist von sechs Monaten vorzugeben. Die Kinder und Angehörigen nach Deutschland zu holen.
2840 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006

(A) Nur so haben sie die Möglichkeit, eine neue Perspektive die Zeuginnenaussage in einem Strafprozess oder für die (C)
für ihr Leben aufzubauen. Abschiebung entscheiden müssen. Mancherorts werden
sie auch in der zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge
Auch mit Blick auf die Bekämpfung der Menschen- untergebracht. Die Frauen sind hier in hohem Maße ge-
händler wäre diese Regelung sinnvoll: Die gewonnene fährdet, weil die Täter sie leicht ausfindig machen kön-
Sicherheit für das eigene Leben und das ihrer Familien nen.
erhöht die Aussagebereitschaft der Frauen.
Mit unserem Antrag fordern wir, endlich bundesein-
Darüber hinaus müssen wir den Opfern Zugang zu heitlich Rechte für die Opfer von Menschenhandel fest-
medizinischer und psychologischer Betreuung gewähr- zulegen. Die Frauen benötigen eine angemessene Be-
leisten. Wir fordern deshalb dringend, ausreichend The- denkfrist, in der sie medizinische und psychologische
rapieplätze zur Verfügung zu stellen, damit die Opfer Hilfe erhalten und so untergebracht sind, dass sie sich er-
professionelle Hilfe bei der Verarbeitung ihrer Traumata holen können.
erhalten. Außerdem sollen die Frauen in Einzelunter-
künften untergebracht werden und durch den Erhalt von Die Entscheidung für die meist langwierige Zeugin-
Arbeitslosengeld II auch materiell besser gestellt wer- nenaussage muss eine Aufenthaltserlaubnis in Deutsch-
den. Wir möchten, dass die betroffenen Frauen eine Ar- land zur Folge haben. Nur so können die Frauen sich
beitserlaubnis erhalten, ihnen Sprachkurse und Ausbil- durch Zugang zum Arbeitsmarkt einschließlich Weiter-
dungsplätze angeboten werden. Ein strukturierter und bildungsprogrammen und zum öffentlichen Bildungs-
geregelter Tagesablauf würde zur Stabilisierung und system eine neue Perspektive aufbauen.
Normalisierung ihrer Situation beitragen. Bei der Entscheidung über die Rückkehr der Frauen
Zum Schluss möchte ich ihre Aufmerksamkeit noch in das Herkunftsland nach Prozessende muss regelmäßig
auf die Freier richten. Initiativen aus der CDU und dem die Meinung der Beratungsstelle eingeholt werden. Die
Bundesrat, die eine Bestrafung der Freier einführen wol- Rolle der Beratungsstellen bei der Identifizierung und
len, kann ich nicht nachvollziehen. Ich gehe davon aus, Beratung der Opfer kann gar nicht überschätzt werden.
dass wir den Frauen in diesen Notsituationen dann hel- Sie müssen gestärkt werden, und das nicht nur in
fen, wenn wir die Freier für die Problematik der finanzieller Hinsicht. Um das Vertrauen der Opfer zu
Zwangsprostitution sensibilisieren. Denn häufig sind die gewinnen, brauchen die Mitarbeiterinnen ein Zeugnis-
Freier die einzigen Menschen, die Zugang zu den Frauen verweigerungsrecht. Wo die kriminellen Gewinne nicht
haben – und die bei einem Verdacht Strafanzeige stellen den Opfern ausgezahlt werden können, muss der Staat
können. Wer Freier jedoch kriminalisiert, stößt auch sie den Beratungsstellen zukommen lassen.
diese Tür zu und verschlechtert somit die Chancen der Das alles sind von unserer Seite keine neuen Forde-
Frauen, aus dieser Situation heraus zu kommen! rungen. Mit den Frauenpolitikerinnen der SPD waren (D)
(B)
Fakt ist: Strafrechtsverschärfungen gehen am Pro- wir uns bereits einig geworden. Aber gegen die unions-
blem vorbei. Im Mittelpunkt muss die Situation der Op- geführten Bundesländer konnten wir uns nicht durchset-
fer stehen. Wir müssen ihre Rechte stärken. Dazu sind zen. Denn gerade die Union hat an Opferrechten kein In-
wir aus humanitären Gründen verpflichtet. Vor und wäh- teresse. Sie entdeckt das Schicksal der Opfer von
rend der Fußball-WM, wo das Problem besonders akut Zwangsprostitution immer dann, wenn sie ihre politi-
ist, ebenso wie in Zukunft. Wenn sich unser Land als schen Gegner damit diffamieren kann. Am liebsten
Gastgeber und Freund von Menschen aus aller Welt prä- würde sie alle Prostituierten wieder in den Bereich der
sentiert, dann dürfen wir gerade Menschen in Not nicht Illegalität abdrängen. Stattdessen gäbe es Kronzeugenre-
ausschließen. gelungen für die Freier. Die könnten dann erst die Hilflo-
sigkeit der Frauen ausnutzen und sich dann in schöner
Doppelmoral an die Polizei wenden.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Die rot-grüne Bundesregierung hat in den Die EU-Opferschutzrichtlinie wartet seit Monaten auf
letzten sieben Jahren im Kampf gegen den Menschen- ihre Umsetzung. Sie enthält viele unserer aufenthalts-
handel sehr viel erreicht: Mit der Reform der Straftatbe- rechtlichen Forderungen für die Opfer. Ich kann nur an
stände zum Menschenhandel und dem Opferrechtsre- Sie appellieren, Ihre Mehrheiten jetzt zu nutzen und da-
formgesetz haben wir die Verfolgung der Täter mit einen wichtigen Beitrag zur Strafverfolgung zu leisten.
entscheidend erleichtert und die Situation der Opfer ver-
bessert. Gerade die Stärkung der Position der Opfer und
ihre Bereitschaft, als Zeuginnen in einem Strafverfahren Anlage 8
bereit zu stehen, sind für die erfolgreiche Bekämpfung
des Menschenhandels entscheidend. Vor allem mithilfe Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede
von Aufenthaltsrechten können wir ihnen den Rücken zur Beratung des Antrags: Voraussetzungen für
stärken. Wir hatten unterhalb der Gesetzesebene bereits Entwicklung, Bau und Betrieb einer Europäi-
viele gute Regelungen getroffen. Leider hat der ehema- schen Spallations-Neutronenquelle in Deutsch-
lige Innenminister sie nicht ins Zuwanderungsgesetz land schaffen – Deutsche Bewerbung vorantrei-
übernommen. ben
So kommt es heute zu der Situation, dass das Schick-
sal der Opfer weiter davon abhängt, in welches Bundes- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Spallations-Neutro-
land sie verschleppt werden. In manchen erhalten die nenquelle – das hört sich an als wäre Raumschiff Enter-
traumatisierten Frauen keinerlei Zeit, bevor sie sich für prise nun auch im Bundestag gelandet. Die Wenigsten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 33. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. April 2006 2841

(A) werden damit etwas anfangen können. Es handelt sich Stimmt, ein zweites Verfahren hat der Wissenschafts- (C)
um eine Technologie, bei der Neutronen als Sonde die- rat 2002 nicht ausgeschlossen – allerdings unter zwei
nen, um in Objekten Strukturen zu zeigen. Ihre Anwen- Bedingungen: Weitere intensive Arbeiten am For-
dung erfolgt in solchen Bereichen wie Physik, Chemie, schungsprogramm und Überarbeitung des Antrages.
Biologie, Pharmazie, Medizin, Ingenieur- und Material-
wissenschaft. Parallel sollten alternative Entwicklungen der Syn-
chrotronstrahlung und Labormethoden der Strukturfor-
Mein Zeitvolumen beträgt nur vier Minuten, was also schung wie Mikroskopie, optische Spektroskopie und
knappste Beschränkung auf einige Forderungen aus dem Ähnliches berücksichtigt werden. – Eine neue Antrag-
Antragstext der FDP verlangt. Eine kleine Vorbemer- stellung liegt nicht vor.
kung dennoch: Ich beziehe mich auf einen von mir beim
Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in Auftrag Zum ersten Verfahren ist noch zu erwähnen: Der Wis-
gegebenen Sachstandsbericht, der von Dr. Daniel senschaftsrat hat 2002 mehrere Projektanträge zu Groß-
Lübbert erstellt wurde. geräten geprüft. Die Neutronenquelle lag danach in der
dritten von drei Prioritätsklassen. Die wissenschaftliche
Erste FDP-Forderung: Die Bundesregierung soll ge- Notwendigkeit lag zu dieser Zeit wohl noch vor. Aber
genüber der EU ihren festen Willen für den Standort man fürchtete, dass diese zum Zeitpunkt der Inbetrieb-
Deutschland bekunden. nahme längst überholt sein könnte. Bei der Größe des
Bei der Prüfung dieses Projektes durch den Wissen- Projektes kann das niemand ernsthaft riskieren – schon
schaftsrat 2002 wurde festgestellt, „dass der Ansiedlung gar nicht die öffentliche Hand.
einer Neutronenquelle für den Wissenschaftsstandort Abschließend sei angemerkt: Die Forderung nach
Deutschland eine eher geringe Bedeutung“ zukommt, Neutronenquellen entstand Mitte der 90er-Jahre, nach-
„da die bisherige Deckung des deutschen Bedarfes an dem einige ältere Reaktoren abgeschaltet worden waren.
Neutronenquellen der obersten Leistungsklasse durch Diese „Neutronen-Lücke“ konnte zwischenzeitlich ge-
eine europäische Neutronenquelle mit Sitz in Frankreich schlossen werden. Die Forschungsbedürfnisse können
nicht zu strukturellen Nachteilen für die deutsche Neu- mit den vorhandenen Anlagen befriedigt werden.
tronenforschung geführt hat“. Also sollte sich die Bun-
desregierung nicht in einer Standortdebatte verzetteln.
Gegenwärtig können durch deutsche Forscher Neutro- Anlage 9
nenquellen in Großbritannien (Oxford), die sich zudem
im Ausbau befindet, und in der Schweiz genutzt werden. Amtliche Mitteilungen
Des Weiteren sind alternative Nutzungen möglich in
Frankreich (Grenoble), die Europäische Synchrotron- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
(B) strahlungsquelle ESRF, die derzeit weltweit am leis- mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 (D)
tungsfähigsten ist. Andere vergleichbare Quellen sind im der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
Ausbau in Hamburg. Auch in Darmstadt und bei Mün- nachstehenden Vorlagen absieht:
chen bestehen Nutzungspotenziale.
Innenausschuss
Zweite FDP-Forderung: Die Bundesregierung möge
für Aufnahme in das neue EU-Forschungsrahmenpro- – Unterrichtung durch die Bundesregierung
gramm sorgen.
Bericht der Bundesregierung gemäß § 5 Abs. 3 des Bun-
Diese Neutronenquelle war jedoch nie originär ein desstatistikgesetzes für die Jahre 2003 und 2004
Projekt der EU. Finanziert wurden von ihr lediglich ei- – Drucksachen 15/5420, 15/5634 Nr. 1.1, 16/820 Nr. 2 –
nige Vorarbeiten und Studien. Bau und Betrieb oblagen
vielmehr einem Konsortium einzelner europäischer
Haushaltsausschuss
Staaten. Vor diesem Hintergrund gab es verschiedene
Standortbewerbungen aus Schweden, Ungarn, Spanien, – Unterrichtung durch die Bundesregierung
Dänemark, Großbritannien, Nordrhein-Westfalen (Jü-
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2006
lich) und Sachsen-Anhalt (Halle/Leipzig). Das spätere Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 16 01 Titel 712 03
Sitzland müsste einen Sonderbeitrag bei der Finanzie- – Sanierung des „ehemaligen Abgeordnetenhochhau-
rung leisten. ses“ in Bonn –
Das 7. Forschungsrahmenprogramm greift auf einen – Drucksachen 16/908, 16/992 Nr. 3 –
gestiegenen Etat zurück. Aus diesem Etat werden auch
Großprojekte finanziert. Es ist dennoch höchst unwahr-
scheinlich, dass ein solches Mammutprojekt von Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit-
1,5 Milliarden Euro Platz finden wird. Und ich wieder- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
hole: Wäre die Bundesrepublik Sitzland, müsste sie zu- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-
sätzlich zum geplanten Etat einen erheblichen Betrag ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
einplanen. Angesichts der immensen Aufgaben für den abgesehen hat.
Bereich Bildung und Forschung, müsste der Betrag – so
dieser real überhaupt vorhanden wäre – aus unserer Sicht
in ganz andere Schwerpunkte investiert werden. Ausschuss für Arbeit und Soziales
Drucksache 16/481 Nr. 1.21
Dritte Forderung der FDP: Der Wissenschaftsrat solle Drucksache 16/722 Nr. 1.11
ein zweites Begutachtungsverfahren einleiten. Drucksache 16/722 Nr. 1.21
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

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