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Plenarprotokoll 16/66

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

66. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . 6547 A


a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) . . . . . . . . 6547 C
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) 0000
6551 A
C
zes über die Feststellung des Bundes-
haushaltsplans für das Haushaltsjahr Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 6553 A
2007 (Haushaltsgesetz 2007)
(Drucksachen 16/2300, 16/2302) . . . . . . . 6509 A
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 6555 C
b) Beschlussempfehlung des Haushaltsaus-
schusses zu der Unterrichtung durch die
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6556 A
Bundesregierung: Finanzplan des Bun-
des 2006 bis 2010
(Drucksachen 16/2301, 16/2302, 16/3126) 6509 B Einzelplan 05
Auswärtiges Amt
Einzelplan 04 (Drucksachen 16/3105, 16/3123) . . . . . . . 6558 A
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 6558 B
(Drucksachen 16/3104, 16/3123) . . . . . . . 6509 B
Lothar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6560 B
Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6509 D
Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6562 C
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 6511 C
Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6563 B
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6517 D
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) . . . . . . . 6564 B
Dr. Peter Struck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6523 C
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6565 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6528 B
Dr. Frank-Walter Steinmeier,
Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6532 B Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6567 A
Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . 6536 B Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6569 D
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 6540 D Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6570 C
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . 6543 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6572 B
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6543 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6573 B
Eduard Oswald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6544 C Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . 6575 A
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . 6547 A Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . 6576 B
Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6547 D Ursula Heinen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6577 C
II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6579 A Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 6612 D


Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6579 D Heidemarie Wieczorek-Zeul,
Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . 6613 D
Einzelplan 14 Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6615 A
Bundesministerium der Verteidigung
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6615 D
(Drucksachen 16/3113, 16/3123) . . . . . . . 6581 A
Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6581 B Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6616 A
Susanne Jaffke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6582 D
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6617 B
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6584 C
Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6585 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6618 C
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 6588 D
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6589 C Anlage 1

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6619 A
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6590 D
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 6593 A Anlage 2
Ursula Mogg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6594 B
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Inge Höger-Neuling (DIE LINKE) . . . . . . . . 6596 B Maria Michalk (CDU/CSU) zur Abstimmung
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ über den Einzelplan 04 – Bundeskanzlerin und
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bundeskanzleramt (Tagesordnungspunkt I.8) 6619 C
6597 C
Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6599 A
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 6600 C Anlage 3
Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6600 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) zur Abstimmung
Walter Kolbow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6601 C über den Einzelplan 04 – Bundeskanzlerin und
Rolf Kramer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6602 C Bundeskanzleramt (Tagesordnungspunkt I.8) 6620 A
Hans Raidel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 6604 A
Anlage 4
Einzelplan 23
Erklärung der Abgeordneten Undine Kurth
Bundesministerium für wirtschaftliche (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zusammenarbeit und Entwicklung zur Abstimmung über den Einzelplan 14 –
(Drucksachen 16/3119, 16/3123) . . . . . . . 6605 A Bundesministerium für Verteidigung, hier:
Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 6605 A Änderungsantrag der Fraktion der FDP (Druck-
sache 16/3489) (Tagesordnungspunkt I.10) . . 6620 C
Iris Hoffmann (Wismar) (SPD) . . . . . . . . . . . 6606 B
Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6607 D
Anlage 5
Jochen Borchert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6609 B
Erklärung der Abgeordneten Undine Kurth
Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 6610 D
(Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6611 C zur Abstimmung über den Einzelplan 14 –
Bundesministerium für Verteidigung, hier:
Jochen Borchert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6612 A
Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/3466) (Tagesordnungs-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6612 C punkt I.10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6620 C
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6509

(A) (C)

Redetext

66. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Beginn: 9.02 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir
Die Sitzung ist eröffnet. über den Einzelplan später namentlich abstimmen wer-
den.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache vier Stunden vorgesehen. – Dazu höre
Wir setzen die Haushaltsdebatte – Tagesordnungs- ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
punkt I – fort:
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das (Beifall bei der FDP)
Haushaltsjahr 2007 (Haushaltsgesetz 2007)
(B) Rainer Brüderle (FDP): (D)
– Drucksachen 16/2300, 16/2302 –
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- die Bundeskanzlerin auf den Tag genau ein Jahr im Amt.
haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall
tung durch die Bundesregierung bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]:
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010 Das ist gut so! – Dr. Guido Westerwelle
[FDP]: Ich hätte gern Konfetti!)
– Drucksachen 16/2301, 16/2302, 16/3126 –
– Die CDU war selten so anspruchslos wie heute.
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wir glauben, dass
Carsten Schneider (Erfurt) von Ihnen nichts Besseres mehr kommt!)
Dr. Gesine Lötzsch Frau Merkel, die FDP hat Ihnen damals zu Ihrer Wahl
Anja Hajduk gratuliert und viel Erfolg gewünscht.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.8 auf: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Einzelplan 04 Die Gratulation zum Ende des ersten Regierungsjah-
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt res fällt leider zurückhaltender aus. Wenn ich Ihrer Re-
gierung heute noch einmal viel Erfolg wünsche, dann
– Drucksachen 16/3104, 16/3123 – deshalb, weil die Bürger in Deutschland eine gute Politik
Berichterstattung: verdient haben, von guter Politik bisher aber kaum etwas
Abgeordnete Steffen Kampeter erkennbar ist.
Petra Merkel (Berlin) (Beifall bei der FDP)
Jürgen Koppelin
Roland Claus Nach den Aussagen Ihres Regierungssprechers plant
Alexander Bonde die Koalition keine Feierlichkeiten zum Ende des ersten
Anna Lührmann Jahres Schwarz-Rot. Dafür gibt es auch keinen Grund.
Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sehen wir
der Fraktion Die Linke vor. anders!)
6510 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Rainer Brüderle
(A) Die Deutschen müssen sich von schwarz-roter Politik Sie können ja mit der FIFA darüber verhandeln, ob wir (C)
behandelt fühlen wie der Martini bei James Bond: ge- vielleicht jedes Jahr eine Weltmeisterschaft in Deutsch-
schüttelt, nicht gerührt. land durchführen können, um das Wirtschaftswachstum
zu verstetigen.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Die Rede
wird ja immer besser! – Weitere Zurufe von (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Büttenrede!)
der CDU/CSU) Der Aufschwung verdeckt, was in der bisherigen Re-
– Sie, meine Damen und Herren von der Union, sind gierungszeit von Schwarz-Rot nicht gut gelaufen ist.
nicht in der Kulturszene. (Dr. Peter Struck [SPD]: Also verdeckt er gar
(Beifall bei der FDP – Steffen Kampeter nichts!)
[CDU/CSU]: Büttenrede!) Alles andere als gerührt sind die Bürger zum Beispiel
von Ihrer Neuauflage des rot-grünen Antidiskriminie-
Als Erfolg verkauft die Regierung an erster Stelle den
rungsgesetzes. Damit haben Sie ein Bürokratieaufbau-
wirtschaftlichen Aufschwung. Wir haben tatsächlich
programm auf den Weg gebracht.
eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Über den
Aufschwung und die besseren Konjunkturzahlen freuen (Beifall bei der FDP)
wir uns. Der Boom der Weltwirtschaft ist jetzt auf die
Zum Gesetz haben Sie, Frau Merkel, im Mai gesagt:
deutsche Wirtschaft übergesprungen. Der Aufschwung
„Ich vertrete das aus vollem Herzen.“ Das ist bemer-
gehört zum Konjunkturzyklus, dem regelmäßigen Auf
kenswert. Menschen zu schützen, die es schwerer haben,
und Ab des Wirtschaftsgeschehens. Aber der Auf-
ist ehrenwert. Das wollen auch wir. Aber dieses Gesetz
schwung ist weitgehend kein Erfolg dieser Regierung.
schadet denen, die es schwerer haben, weil sie erst gar
Frau Merkel, ich sage gleich zu Beginn meiner Rede, nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Das
weil ich davon ausgehe, dass Sie unmittelbar auf meine ist die Folge Ihres Vorgehens.
Ausführungen antworten werden: (Beifall bei der FDP)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So bitter! Der Vor der Wahl hat die Union gesagt, man solle die EU-
Aufschwung ist da und die FDP ist nicht da- Richtlinie maximal eins zu eins umsetzen. Das haben Sie
bei!) – wie so vieles – nach der Wahl vergessen. Ein bürokra-
Diesen Erfolg dürfen sich die Unternehmen in Deutsch- tisches Monstrum schützt niemanden. Es schreckt viele
land, der Mittelstand, die Arbeitnehmer auf die Fahnen ab. Das Gesetz ist gerade einmal seit drei Monaten in
Kraft und schon Arbeitsbeschaffungsprogramm für Fin-
(B) schreiben. Sie haben unser Land wieder wettbewerbsfä- (D)
hig und fit für die Weltmärkte gemacht. dige und Anwälte. Auf die Gerichte rollt eine Klage-
welle zu.
(Beifall bei der FDP) Beim Bürokratieabbau haben Sie die kleinste Lösung
Auch moderate Lohnabschlüsse haben dazu beigetragen. gefunden. Sie haben den Normenkontrollrat geschaf-
Hier gilt es, den Tarifvertragsparteien Dank zu sagen, fen, aber das Ganze so geregelt, dass er nicht für alle Ge-
auch den Gewerkschaften. setze zuständig ist. Das, was Schwarz-Rot über das Par-
lament auf den Weg bringt, muss gar nicht durch den
Hinzu kommen der Einmaleffekt der Weltmeister- Normenkontrollrat.
schaft und die vorgezogenen Käufe aufgrund der Mehr-
wertsteuererhöhung. Die Weltmeisterschaft hat einen Zu Ihrem Konzept „Mehr Freiheit wagen“: Sie wollen
Viertelprozentpunkt Wachstum bewirkt. den Haushalt nachhaltig sanieren,
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Brüderle der
Konjunkturschlechtredner!) das Steuersystem vereinfachen und die sozialen Siche-
rungssysteme zukunftsfähig machen. Auf diesem Gebiet
Der Wachstumsbeitrag durch die Vorzieheffekte ist nur ist bisher so gut wie nichts geschehen. Herr Kampeter,
geliehen. Durch die vorgezogenen Käufe haben Sie in schämen Sie sich! Sie sind viel zu schlau, um das nicht
diesem Jahr tatsächlich einen Beitrag zum Wachstum ge- zu wissen.
leistet. Die Menschen wissen, dass im nächsten Jahr die
Steuern kräftig erhöht werden, und kaufen deshalb vieles (Beifall bei der FDP)
schon in diesem Jahr. Das bewirkt für dieses Jahr einen Was haben Sie gemacht? Sie haben die größte Steuerer-
einmaligen Wachstumseffekt, einen der wenigen, die höhung aller Zeiten auf den Weg gebracht. Die Unter-
von dieser Regierung geleistet wurden. nehmensteuerreform ist nicht der große Wurf. Dabei
(Beifall bei der FDP) wird nichts vereinfacht. Wir befinden uns in einer tollen
Situation: Sie machen die Gesetze so kompliziert, dass
Die Bundesregierung ist weder Vater noch Mutter des man jetzt sogar für eine Auskunft vom Finanzamt Geld
Wirtschaftsaufschwungs. Er kommt vom Exportboom, zahlen muss. Das ist schon eine bemerkenswerte Ent-
Klinsmann-Effekt und Jahrhundertsommer. wicklung.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gestern hat der Finanzminister an seine SPD-Fraktion
NEN]: Und Brüderle!) geradezu appelliert, die Unternehmensteuerreform über
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6511
Rainer Brüderle
(A) die Rampe bringen zu helfen. Die SPD hat ja beschlos- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zu- (C)
sen, dass es nicht zu nachhaltigen steuerlichen Entlas- rufe von der FDP: Jetzt aber! – Jetzt wird es
tungen kommen soll. Aber was soll eine Steuerreform wichtig!)
bringen, wenn sie die Unternehmen und die Bürgerinnen
und Bürger nicht entlastet? Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
Wir nehmen den Menschen zu viel weg. Das muss Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau
sich ändern. Bei diesem Freiheitsthema geht es im Kern zwölf Monaten hat die Bundesregierung ihre Arbeit für
um folgende Frage: In welchem Umfang können wir Deutschland aufgenommen.
selbst über die Verwendung des Geldes entscheiden, das (Jürgen Koppelin [FDP]: Das soll Arbeit
wir uns hart erarbeitet haben, und in welchem Umfang sein? – Dirk Niebel [FDP]: Genau! Das ist
entscheiden andere an unserer Stelle, weil sie uns für zu keine Arbeit! Das ist eher Arbeitsverweige-
doof halten, eigenverantwortlich mit unserem Geld um- rung!)
zugehen?
In diesen zwölf Monaten sind wichtige Weichenstellun-
(Beifall bei der FDP) gen erfolgt: von der Rente mit 67 bis zum Elterngeld,
von der Erarbeitung der Eckpunkte der Unternehmens-
Zu den Themen Föderalismusreform und Reform besteuerung bis zur Einsetzung des Normenkontrollrats
der Finanzverfassung kann man nur sagen: Das Kernpro- und von der Föderalismusreform bis zum Islamgipfel.
blem wurde nicht gelöst. Wir haben eine historische Entscheidung zum Einsatz
Allerdings freue ich mich über die Liberalisierung des der Bundeswehr im Nahen Osten getroffen. Im Sommer
Ladenschlusses. Dafür haben wir lange kämpfen müs- dieses Jahres haben wir in Deutschland eine wunderbare
sen. Nur in Bayern klappt es nicht. Herr Stoiber, der Fußballweltmeisterschaft erlebt, durch die sich das Bild,
Schutzpatron aller Leichtmatrosen, hat die Zeit verschla- das die Menschen außerhalb Deutschlands von Deutsch-
fen. Als im Bayerischen Landtag über dieses Thema ab- land haben, zum Positiven gewandelt hat.
gestimmt wurde, hat „Wackel-Ede“ die Flucht angetre- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
ten, sodass es bei der Abstimmung zu einem Patt kam.
Daher findet in Bayern keine Liberalisierung des Laden- Zwölf Monate sind für die Politik, den Regierungsbe-
schlusses statt. Dort dauert ja alles ein bisschen länger. trieb und die Medien eine lange Zeit. Um ein Land auf
die Zukunft vorzubereiten, sind zwölf Monate aber eine
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wovon träu- sehr kurze Zeit. Deshalb gilt der Wählerauftrag von vor
men Sie nachts? einem Jahr unverändert: Es geht für unser Land darum,
(B) neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht darum, bessere (D)
Aber bald sind in Bayern Landtagswahlen. Dann wird Bildung zu ermöglichen. Es geht darum, dass wir unsere
die Freiheit auch dort mehr Raum bekommen. Zukunftschancen nicht verbrauchen; wir müssen lernen,
(Beifall bei der FDP) weniger Schulden und bald gar keine Schulden mehr zu
machen. Es geht darum, das Fundament unseres Wohl-
Gesundheitsreform: vermurkst. Pflegeversicherung: stands, die soziale Marktwirtschaft, so zu erneuern, dass
Fehlanzeige. Auch der Sachverständigenrat hat Ihnen, wir unseren Wohlstand angesichts der Herausforderun-
nachdem er seine wissenschaftliche Arbeit abgeschlos- gen der Globalisierung halten und weiterentwickeln kön-
sen hatte, ins Stammbuch geschrieben, dass Sie Ihre nen.
Chancen vertan haben. Die Bilanz des ersten Jahres An diesem Wählerauftrag haben wir uns von Anfang
Schwarz-Rot lautet: Sie haben Ihre Chancen, angesichts
an orientiert. Wir haben eine nüchterne Analyse vorge-
der günstigen Entwicklung der Weltwirtschaft Wachs-
nommen und uns entschieden, entlang des Dreiklangs
tumspolitik für Deutschland zu betreiben, nicht genutzt. von Sanieren, Reformieren und Investieren zu arbeiten.
Sie müssen sich leider sagen lassen: Das ist fatal.
Dieser Dreiklang hat sich als richtig erwiesen.
Alles in allem muss man feststellen: Das erste Regie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
rungsjahr Ihrer Koalition ist weitgehend ein verlorenes
Jahr. Frau Kanzlerin, befreien Sie Ihre Regierung vom Wir wussten, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern
Mehltau der unteren Mittelmäßigkeit! No Excellence, in diesem Land etwas zumuten müssen. Es ist verständ-
Lady Chancellor. lich, dass manche unserer Maßnahmen nicht auf sofor-
tige Zustimmung stoßen. Aber wir sind uns einig, dass
(Beifall bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle man, wenn man verantwortungsvolle Politik macht, ei-
[FDP]: Sehr gut! Und sogar auf Englisch! – nen Weg gehen muss, der Schwierigkeiten überwindet,
Joachim Poß [SPD]: Oh! Da weiß aber einer, statt einen, der ihnen ausweicht. Entscheidend ist, wie
wovon er redet! – Volker Kauder [CDU/CSU]: wir die Frage beantworten können: Steht Deutschland
Hoffentlich weiß er es! Das hört sich ja heute besser da als vor einem Jahr – Ja oder Nein?
manchmal nicht so an!)
Die Fakten besagen Folgendes: Die Wirtschaft wächst
so stark wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Nach einem
Präsident Dr. Norbert Lammert: halben Jahrzehnt ständig steigender Arbeitslosigkeit ha-
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau ben wir in diesem Jahr eine halbe Million Menschen we-
Dr. Angela Merkel. niger, die auf die Suche nach einem Arbeitsplatz gehen
6512 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) muss. Seit sechs Jahren werden erstmals wieder sozial- werden. Dass das eine gewaltige Aufgabe ist, die die Po- (C)
versicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen, mehr litik nicht alleine schafft, müssen wir immer wieder
als 250 000. Weil Wirtschaft und Arbeitsmarkt sich erho- deutlich machen. Es ist deshalb wichtig, dass wir darü-
len, steigen die Steuereinnahmen. Wir haben deshalb be- ber sprechen, welche Werte, welche Maßstäbe, welche
schlossen und beschließen können, die Neuverschuldung Leitbilder uns lenken und welche Prinzipien wir haben,
weiter zu senken, auf den niedrigsten Stand seit der Wie- nach denen wir arbeiten und bei deren Umsetzung wir
dervereinigung. Ich finde, das sind gute Daten und da- die Menschen im Lande mitnehmen können. Ich habe
rüber können wir uns freuen. vor einem Jahr in meiner Regierungserklärung diese
Prinzipien genannt. Ich habe gesagt, es beginnt damit,
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass die Politik nachhaltiger und verlässlicher wird. Ich
Dies alles zeigt: Richtige Politik wirkt. Das gilt im habe gesagt, wir wollen die Leistung der Menschen
Übrigen nicht nur für das letzte Jahr, sondern das gilt im- besser anerkennen. Wir brauchen mehr Herz und Einsatz
mer dann, wenn Schwierigkeiten überwunden und Re- für die wirklich Schwachen in unserer Gesellschaft. Wir
formen angepackt werden. wollen ein starker Partner in der Welt werden, verläss-
lich in unseren Bündnissen und mit einer wertebezoge-
Die Erfolge zeigen ein Zweites: Wenn man überzeugt nen Außen- und Europapolitik. Um all das zu erreichen,
ist, dass ein Weg unter den gegebenen Umständen der müssen wir vor allem eines: mehr Freiheit wagen.
bestmögliche ist, muss man ihn auch durchhalten. Ich er-
innere mich an manche Kassandrarufe von vor einem (Beifall bei der CDU/CSU)
Jahr, was die politischen Maßnahmen, die wir in der Meine Damen und Herren, schauen wir uns die Dinge
Koalitionsvereinbarung formuliert haben, alles bewir- doch einmal ganz nüchtern an: mehr Freiheit für mehr
ken werden. Jetzt gerät mancher Rufer ins Stottern. Der Lebenschancen, mehr Freiheit, damit sich Leistung bes-
Sachverständigenrat schreibt in seinem Herbstgutachten, ser lohnt. Genau aus diesem Grunde haben wir die Sa-
insgesamt starte die deutsche Volkswirtschaft mit einer nierung des Bundeshaushalts in Angriff genommen. Zu-
guten Ausgangslage sowie bemerkenswertem Schwung künftige Generationen brauchen wieder mehr Spielraum.
in das neue Jahr. Er schätzt das Wachstum für 2007 auf In diesem Zusammenhang haben wir natürlich auch
knapp unter 2 Prozent. Auch aus den Wirtschaftsverbän- Maßnahmen getroffen, die nicht ganz einfach waren.
den heißt es, es seien keinerlei Anzeichen erkennbar, die
eine fühlbare Abschwächung des Wachstums erwarten In diesem Hause wird darüber geredet, was man noch
ließen, auch nicht durch die Mehrwertsteuererhöhung; alles hätte sparen können. Die Vorschläge, die sowieso
so der Präsident des Deutschen Industrie- und Handels- unseriös sind, lege ich einmal beiseite und ich weise da-
kammertages Braun am 17. November. Ähnlich sieht es rauf hin, dass wir bei den Bundesbeamten, die für den
(B) der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Staat arbeiten, 1 Milliarde Euro einsparen. Sie haben (D)
eine 41-Stunden-Woche und ihr Weihnachtsgeld wurde
Die Bundesregierung ist bei ihrer Prognose bewusst gekürzt. Wir schicken die Soldaten zu schwierigen Ein-
vorsichtiger als zum Beispiel der Sachverständigenrat. sätzen ins Ausland und müssen sie gleichzeitig um Ver-
Aber es kann nun wirklich nicht bestritten werden, dass ständnis dafür bitten, dass das notwendig ist, weil auch
sich unser Land nach Jahren der Stagnation endlich wie- das ein Beitrag für ihre Zukunft ist. Das ist nicht ganz
der im Aufschwung befindet. Das ist eine gute Nachricht einfach und man muss einfach auch einmal würdigen,
für die Bürgerinnen und Bürger. dass die Menschen das mittragen. Dafür kann man keine
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Begeisterung erwarten. Sie tun ihren Dienst trotzdem
und das ist viel.
Doch die Jahresbilanz weist auch darauf hin, dass es
noch sehr viel zu tun gibt. Deshalb werden wir die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Hände nicht in den Schoß legen. Der Sanierungskurs In diesem Jahr halten wir den europäischen Stabili-
hat erst dann sein Ziel erreicht, wenn wir es schaffen, tätspakt wieder ein. Ich erinnere mich noch an unsere
den Haushalt eines Tages wieder ausgeglichen zu gestal- ersten Gespräche mit der Europäischen Kommission und
ten. Viele Arbeitsplätze in Deutschland sind weiterhin daran, mit welch sorgenvollem Gesicht man auf
von Verlagerung bedroht. BenQ ist leider nur ein Bei- Deutschland geschaut hat. Heute ist Deutschland wieder
spiel; für andere gilt Ähnliches. Die Arbeitsplätze in ein Land, das für die Europäische Kommission dafür
Deutschland müssen langfristig wieder sicherer werden. steht, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in diesem
Und mit 4 Millionen Arbeitslosen können wir uns natür- Jahr und auch in den nächsten Jahren eingehalten wer-
lich nicht zufrieden geben. Die Unternehmen müssen den kann. Das ist ein Riesenerfolg.
spüren, dass sich Neueinstellungen lohnen; sie müssen
noch mehr Mut fassen. Ich möchte an dieser Stelle ein (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
herzliches Dankeschön an den Mittelstand in Deutsch- Mit dem, was wir erreicht haben, geben wir uns nicht
land richten. Er ist der Jobmotor in diesem Jahr gewesen. zufrieden. Wir haben den Sachverständigenrat gebeten
Deshalb ist es wichtig, dass wir gerade den Mittelstand zu untersuchen, welche noch wirksameren Schulden-
stärken. bremsen es für Bund und Länder gibt, damit wir weiter-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) machen und uns unter Druck setzen können, um die
Ziele ausgeglichene Haushalte und weniger Verschul-
Der Aufschwung darf nicht bloß eine kurze Erho- dung zu erreichen. Dies wird auch bei der zweiten Stufe
lungsphase werden, sondern er muss nachhaltig gemacht der Föderalismusreform eine gewichtige Rolle spielen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6513
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) Meine Damen und Herren, mehr Freiheit wagen heißt degressive Abschreibung verbessert und wir haben Steu- (C)
natürlich auch, den Menschen Chancen auf dem Arbeits- ererleichterungen geschaffen.
markt zu geben; denn wir alle wissen: Arbeit schafft
Wer gestern Abend beim 65. Geburtstag des Präsiden-
Selbstvertrauen und soziale Kontakte. Es geht also um
ten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks war,
Freiheit für ein selbstbestimmtes Leben.
der weiß, dass es bei den Menschen draußen ankommt,
Wir werden die Lohnzusatzkosten senken. egal wie viel hier kritisiert wird. Darüber kann man sich
freuen.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Wann?) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
– Wir werden die Lohnzusatzkosten senken. Selbst dann, Wir werden im nächsten Jahr weitermachen und durch
wenn Sie die 0,9 Prozent, die der Arbeitnehmer beim den Normenkontrollrat das Gesetzeswerk auf den Prüf-
Krankenkassenbeitrag bezahlt, mitrechnen, bedeutet das stand stellen, was Kontroll- und Statistikpflichten anbe-
immer noch eine Reduzierung von 42 Prozent auf unge- langt, und in einem Jahr um die gleiche Zeit über die Er-
fähr 40,6 Prozent. Wer das nicht als Senkung erfassen gebnisse berichten können.
kann, der ist in diesem Hause vielleicht falsch. Es geht
Mehr Freiheit – das heißt auch starke Regionen in
runter.
Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mit dem Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 4,2 Pro-
Deshalb war die Föderalismusreform ein wichtiger
zent haben wir den niedrigsten Stand seit 20 Jahren er-
Schritt. Diese Regierung hat jetzt zweimal die Kommu-
reicht. Das ist auch ein Erfolg der Bundesagentur für Ar-
nen in Deutschland durch die Überweisung von Kosten
beit. Dass dieser Erfolg eingetreten ist, liegt aber wie-
für die Unterkunft in einem Maße unterstützt, über das
derum auch an einer politischen Maßnahme, die von der
man aus Bundessicht auch sagen könnte, wenn es etwas
vergangenen Regierung durchgesetzt und von der CDU/
weniger gewesen wäre, wäre es nicht schlimm, damit sie
CSU-Opposition unterstützt wurde. Nun können wir uns
ihre Aufgaben – zum Beispiel Kinderbetreuung auch für
doch freuen, dass das besser läuft und dass die Men-
unter Dreijährige – erfüllen können.
schen durch die Bundesagentur gleichzeitig auch noch
bessere Ansprechpartner haben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das war doch nicht Ihre Idee!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dies ist ein Beitrag dazu, dass wir uns zum Subsidia-
Wir haben gesagt, wir wollen zukunftsfähige Arbeits-
ritätsprinzip bekennen, dass wir sagen: Die kleinen
(B) plätze schaffen. Das kann die Politik nicht alleine. Mit (D)
Einheiten sind wichtig da, wo nahe am Menschen ent-
unserem Investitionsprogramm im Umfang von 25 Mil-
schieden wird. Das ist unser Bild von dieser Gesellschaft
liarden Euro haben wir aber die Weichen in die richtige
und deshalb geht es den Kommunen mit dieser Bundes-
Richtung gestellt. Dass wir als Bund unseren Beitrag
regierung gut.
dazu leisten, dass in Zukunft 3 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgege- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – La-
ben werden können, und dass wir die Gründerfonds ge- chen bei der LINKEN)
schaffen und die Exzellenzinitiative durchgesetzt haben,
Sie müssen nur mal die Oberbürgermeister fragen.
sind ganz wesentliche Beiträge. All dies deutet darauf
hin, dass wir nicht wollen, dass die besten Köpfe aus (Widerspruch bei der LINKEN)
diesem Lande abwandern, sondern dass sie hier eine
Wenn sie zusammen sind, dann loben sie nie. Wenn Sie
Chance haben, weil wir hochwertige Arbeit in diesem
sie aber alleine treffen, dann machen sie einen sehr zu-
Lande wollen und brauchen.
friedenen Eindruck. Das alles ist die Wahrheit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wir haben auch etwas für diejenigen gemacht, die die
Mehr Freiheit heißt für mich auch, dass die Unterneh- freiheitliche Lebensentfaltung brauchen, nämlich für die
men Zukunft haben. Wir haben im Kabinett die Eck- Familien, in denen Werte vermittelt werden. Ich glaube,
punkte für eine Unternehmensteuerreform und die dass wir die Tatsache des Elterngeldes gar nicht hoch ge-
Erbschaftsteuerreform verabschiedet. Für den Mittel- nug einschätzen können. Das ist ein Wechsel. Ob es ein
stand haben wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen ge- Paradigmenwechsel oder ein qualitativer Wechsel ist, sei
schnürt: Die Eigenkapitalbildung wird begünstigt und er dahingestellt. Es ist ein Wechsel, weil wir die Entschei-
wird durch weniger Bürokratie dauerhaft entlastet. dung für Kinder in unserer Gesellschaft anerkennen. Ich
halte dieses Elterngeld für einen wichtigen Schritt.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Nichts bisher! – Volker Beck [Köln] [BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Gesundheits-
Ich habe im vergangenen Jahr gesagt: Wir müssen
fonds ist Bürokratie pur!)
Leistung anerkennen und mehr Freiheit wagen, damit
– Wir sorgen für weniger Bürokratie: Wir haben ein Mit- wir auch den Schwachen in unserer Gesellschaft besser
telstandsentlastungsgesetz und das Infrastrukturbe- helfen können. Deshalb haben wir natürlich in diesem
schleunigungsgesetz beschlossen. Damit haben wir dem Jahr eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, mit denen
Mittelstand Anreize geliefert. Wir haben gleichzeitig die wir gerade denjenigen zu helfen versuchen, die in unse-
6514 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) rer Gesellschaft Schwierigkeiten haben. Das hat dazu im Hause wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt. (C)
geführt, dass wir Arbeitsmarktinstrumente überprüft ha- Aber es gibt einen Schutzauftrag und ein Wächteramt
ben – ganz im Sinne von Fordern und Fördern – und der staatlichen Gemeinschaft. Deshalb sollten wir die
auch weiter über Anreize nachdenken, wieder in den ers- Frage, wie wir solche Fälle verhindern, nicht zu einer
ten Arbeitsmarkt zu kommen; das ist unser Hauptziel. parteipolitischen Frage machen, sondern uns wirklich
Deshalb reden wir auch über Kombilöhne und Hinzuver- redlich mühen, Eltern in ihrer Erziehungskraft zu stär-
dienstmöglichkeiten und werden die notwendigen Ent- ken, den jeweiligen Jugendeinrichtungen die Möglich-
scheidungen am Beginn des nächsten Jahres fällen. keit zu geben, ein Maximum an Hilfe zu leisten, und
eine Gesellschaft aufzubauen, in der Zivilcourage
Wir haben die Regelsätze zwischen Ost und West an- herrscht und man nicht sagt: Sobald die Wohnungstür
geglichen – ein Beitrag, der für die neuen Bundesländer zugeht, geht mich das nichts mehr an. – All das ist un-
sehr wichtig war – und wir haben im Sinne von Fordern sere gemeinsame Aufgabe. Daran werden wir noch
und Fördern gesagt: Derjenige, der dreimal ein Ar- lange zu arbeiten haben.
beitsangebot ablehnt, der hat auch das Anrecht verspielt,
von anderen, die für ihre Löhne hart arbeiten, unterhal- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
ten zu werden und Transferzahlungen zu bekommen. FDP)

Aber diejenigen – das ist mir wichtig –, die keine Wir müssen durch unsere Politik deutlich machen: Es
Möglichkeit haben, Arbeit aufzunehmen, haben es ver- gibt null Toleranz gegenüber Intoleranz. Ich sage das im
dient, dass sie weiter entsprechende Fördermaßnahmen Hinblick auf den Linksextremismus und insbesondere
bekommen. Wir müssen zwischen denen unterscheiden, im Hinblick auf die gravierend angestiegene Zahl
die Dinge zu Unrecht in Anspruch nehmen, und denen, rechtsextremistischer Straftaten. An dieser Stelle müs-
die keine Chance haben. Diejenigen, die keine Chance sen wir sehr deutlich machen, dass die demokratischen
haben, müssen weniger werden in unserer Gesellschaft. Kräfte in diesem Lande vereint dagegen stehen. Wir dür-
fen nicht zulassen, dass Extremisten das Bild unseres
Das ist wichtig.
Landes bestimmen. Hier gehen wir entschieden vor. Das
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben wir deutlich gemacht, indem wir Mittel für ent-
sprechende Maßnahmen in den Haushalt eingestellt ha-
Wir haben in der Bildungsfrage – weil der Bund hier ben.
Kompetenzen hat – –
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Die haben Sie ja gerade abgeschafft!) Natürlich müssen wir die Kriminalitätsbekämpfung
und insbesondere die Terrorismusbekämpfung ständig
(B) – Frau Künast, ich erinnere an die Diskussion über weiterentwickeln. In diesem Jahr sind dazu wichtige (D)
Art. 91 b. Wir diskutieren gerade über den Hochschul- Schritte ermöglicht worden. Ich erinnere nur an die Anti-
pakt, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Das ist ein terrordatei, die aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher
Beitrag des Bundes zu Bildungsfragen. Punkt ist.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir haben uns außerdem – das ist aus meiner Sicht
neten der SPD – Renate Künast [BÜND- ein Meilenstein in der Arbeit der Regierung – dem
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir haben auch Thema Integration zugewandt. Wir sind ein Land mit
über Bildung diskutiert! Sie haben sie abge- einer scharfen demografischen Veränderung. Wir sind
schafft!) ein Land, in dem wir seit Jahrzehnten zulassen, dass die-
Wir haben einen Pakt für Ausbildung mit der Wirt- jenigen, die seit Generationen bei uns leben, nicht die
gleichen Chancen haben. Es ist an der Zeit, dass wir den
schaft geschlossen, damit wir uns um Berufsausbildung
jungen Menschen, die aus Elternhäusern mit Migrations-
kümmern können.
hintergrund kommen, die gleichen Möglichkeiten eröff-
(Lachen bei der LINKEN) nen. Das beginnt damit, dass man der deutschen Sprache
mächtig ist. Ansonsten haben Kinder in diesem Lande
Wir haben die Kinderbetreuungsfragen bei den Kosten keine Chance. Ich bin froh, dass die Diskussion darüber
der Unterkunft mit behandelt. Wir kümmern uns im Rah- nicht mehr auf parteipolitischer Ebene geführt wird. Wir
men dessen, was in der Kompetenz des Bundes liegt, wollen miteinander erreichen, dass auch die jungen
ganz bewusst um diejenigen, die mehr Bildung brau- Menschen mit Migrationshintergrund in diesem Lande
chen. eine Chance haben und sich gut entwickeln. Wenn wir
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) sehen, wie viele keinen Schul- oder Berufsabschluss ha-
ben, dann darf uns das nicht ruhen lassen. Deshalb ist
Auch die Berufsausbildung ist Bildung. An dieser Stelle der Integrationsgipfel eine solch wichtige Maßnahme.
tun wir eine ganze Menge.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD) Jeder kann einmal in eine Situation kommen, in der er
auf unsere sozialen Sicherungssysteme angewiesen ist.
Ich sage aber auch in allem Ernst: Wir stehen immer Deshalb haben wir die Rente auf eine zukunftsfähige
wieder vor extrem schwierigen Situationen. Der Amok- Grundlage gestellt und das Programm „50 plus“ zur Ver-
lauf in Emsdetten, der „Fall Kevin“ und der „Fall Ste- besserung der Chancen älterer Menschen auf dem Ar-
phanie“ haben uns alle zutiefst bekümmert. Wir alle hier beitsmarkt aufgelegt. Der Bundesarbeitsminister hat dies
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6515
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) sehr bewusst getan; denn wir wissen, dass wir das Ren- Werte. Sie ist Interessenpolitik. Eine Politik in deut- (C)
teneintrittsalter erhöhen müssen, um jungen Menschen schem Interesse setzt auf Bündnisse und Kooperationen
eine Chance zu geben, und gleichzeitig die über 50-Jäh- mit unseren Partnern.
rigen außerordentlich schlechte Chancen auf dem Ar-
beitsmarkt haben. Aber das darf so nicht bleiben. Damit Wir haben in diesem Jahr für innenpolitische Vorha-
darf sich die Politik nicht abfinden. Deshalb ist die Maß- ben eine Koalitionsvereinbarung getroffen, die ein Pro-
nahme „50 plus“ genau richtig, um älteren Menschen gramm vorgibt, das man abarbeiten kann. In der Außen-
wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. politik aber sind wir von Ereignissen überrascht worden,
die wir nicht voraussehen konnten. An dieser Stelle
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Bei
Wir haben eine Gesundheitsreform auf den Weg ge- all den Maßnahmen, die getroffen werden mussten, ob-
bracht. wohl sie nicht in der Koalitionsvereinbarung standen,
und bei all den Ereignissen, die uns vor vollkommen
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: neue Herausforderungen gestellt haben, hat es eine ver-
Oh!) trauensvolle und intensive Zusammenarbeit innerhalb
– Das habe ich mir schon gedacht. Wissen Sie, Gesund- der Bundesregierung und mit dem Parlament gegeben.
heitsreformen waren in der Geschichte der Bundesrepu- Dafür ein ganz herzliches Dankeschön.
blik Deutschland selten von einem großen Lobgesang be- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
gleitet. Im Übrigen werden Gesundheitsreformen – das
gilt für diese ganz besonders – meist von denen kommen- Abzusehen war, dass Europa eine finanzielle Voraus-
tiert, die Leistungen erbringen, und nur selten von den schau braucht. Das haben wir in der Europäischen Union
Versicherten selbst. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: geschafft. Dadurch ist die Europäische Union ein Stück
Diese Gesundheitsreform ist eine Reform für die Versi- handlungsfähiger geworden. Es war abzusehen, dass wir
cherten und nicht für diejenigen, die die Leistungen er- uns mit dem Nuklearprogramm des Iran befassen müs-
bringen. Deshalb setzen wir uns auch in erster Linie mit sen. Wir können heute noch nicht sagen, dass dieses Pro-
den Versicherten auseinander. blem gelöst ist. Der Bundesaußenminister und andere
müssen weiter daran arbeiten. Es gab darüber hinaus die
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) unerwartete Geiselnahme von zwei sächsischen jungen
Wenn man einen Einblick bekommen will, an wel- Männern und wir waren außerordentlich erleichtert, als
chen Stellen in dieser Republik eine Veränderungsunwil- wir feststellen konnten, dass sie wieder frei waren und
ligkeit besteht und an welchen Stellen man an Besitz- nach Hause konnten. Und schließlich haben wir uns für
ständen hängt – auch wenn ich nicht alle über einen zwei Einsätze entschieden, im Kongo und im Libanon,
(B) Kamm scheren will –, muss man Gespräche mit den die nicht vorauszusehen waren. Ich möchte an dieser (D)
Fachleuten aus dem Gesundheitsbereich führen. Wir Stelle zu dem schrecklichen Mord an Herrn Gemayel im
wollen, dass es in Deutschland nicht eine Zweiklassen- Libanon sagen – ich glaube, für Sie alle –: Wir verurtei-
medizin gibt, sondern ein Gesundheitssystem für alle len diesen Mord. Wir wollen, dass es einen selbstständi-
Menschen. gen Libanon gibt. Gewalt muss mit aller Kraft unterbun-
den werden. Dieses war ein feiger Mord, den die
(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Weltgemeinschaft insgesamt verurteilen muss.
NEN)
(Beifall im ganzen Hause)
Es geht um die Versicherten bei dieser Reform. Deshalb
musste die Gesundheitsreform verwirklicht werden. Lassen Sie mich stellvertretend für die internationalen
Herausforderungen ein Thema nennen, das in den letzten
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Tagen sehr intensiv diskutiert worden ist – angesichts
Wir werden im nächsten Jahr die Reform der Pflege- der Vorbereitung auf den NATO-Gipfel in Riga ist dies
versicherung in Angriff nehmen; denn wir wissen, dass nicht unverständlich –, nämlich die Situation in Afgha-
die Pflegeversicherung genauso reformbedürftig ist wie nistan. Wir haben als Bundesregierung ein sehr realisti-
das Gesundheitswesen. Wir haben aber immer gesagt: sches Konzept für Afghanistan aufgestellt. Die Bundes-
Eines folgt auf das andere. regierung hat sich auch in den vergangenen Jahren der
Entwicklung Afghanistans in hohem Maße verpflichtet
Wir haben in diesem Jahr eine Vielzahl von nationa- gefühlt. Ich erinnere an den Petersbergprozess, an die
len Projekten in Angriff genommen. Jeder, der sich an- Wahlen in Afghanistan und an vieles andere mehr. Nach
schaut, was auf den Weg gebracht wurde, wird sehen, unserem – ebenfalls sehr realistischen – Bericht über die
dass wir dieses Land entschlossen verändern und refor- Lage in Afghanistan mussten wir feststellen, dass wir
mieren und die Bedingungen für die Zukunft nachhaltig mehr Zeit für die Entwicklung Afghanistans brauchen,
verbessern. Allerdings erleben wir täglich, dass es an als wir es uns gedacht und gewünscht hätten. Ich sage
vielen Stellen nicht mehr ausreicht, im nationalen Rah- aber auch: Wir wollen und wir müssen diese Mission in
men Entscheidungen zum Wohl unseres Landes zu tref- Afghanistan mit unseren Verbündeten zusammen zum
fen, sondern dass wir dafür Partner brauchen. Deshalb Erfolg führen. Wir brauchen mehr Zeit, aber es gibt
habe ich schon im vorigen Jahr in meiner Regierungser- überhaupt keinen Grund, an dieser Stelle zu verzagen.
klärung gesagt, dass wir wieder ein starker Partner in
Europa und in der Welt werden wollen und können. Die Frage ist nur: Was brauchen wir? – Wichtig ist,
Deutsche Außen- und Europapolitik gründet sich auf dass wir einen Ansatz haben, der Sicherheit und Wieder-
6516 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) aufbau klug und durchdacht miteinander verbindet. Es auch weiterhin im Rahmen ihres Mandats Verantwor- (C)
kann keine rein militärische Lösung geben, aber ohne tung tragen. Ich sehe aber kein über dieses Mandat hi-
ein militärisch gesichertes Umfeld kann es auch keinen nausgehendes militärisches Engagement. Auch das will
Aufbau in Afghanistan geben. ich hier ganz deutlich sagen.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Deshalb ist Afghanistan eine politische Aufgabe und das
werde ich auf dem NATO-Gipfel auch deutlich machen: Deshalb gilt für mich für den NATO-Gipfel in Riga:
Hier kann man keine separaten Diskussionen führen. Es Das Thema Afghanistan ist zu wichtig, als dass wir es zu
ist eine politische Aufgabe, eine militärische Aufgabe, einer militärischen Nord-Süd-Debatte verkümmern las-
eine Aufgabe der inneren Sicherheit und eine Aufgabe sen dürfen. In Afghanistan wollen wir als NATO und als
für unsere Entwicklungspolitik. Weltgemeinschaft erfolgreich sein. Wir in Deutschland
wissen, dass man dafür kämpfen muss, auch militärisch.
Die Bundesregierung hat sehr früh in einem ganz
Aber, meine Damen und Herren, man muss auch kämp-
neuen Ansatz die Gemeinsamkeit der betroffenen Res-
fen um die Herzen der Menschen in Afghanistan. Beides
sorts gesehen. Es gibt eine ganz regelmäßige Zusammen-
gehört für mich zusammen und so werden wir diese Mis-
arbeit zwischen dem Entwicklungshilfeministerium, dem
sion verstehen.
Innenministerium, dem Verteidigungsministerium und
dem Außenministerium. Dieser Ansatz muss weiterent- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
wickelt und zu einem Standardansatz bei all unseren Ak-
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein ganz herzli-
tivitäten werden. Sie können heute nicht mehr zwischen
ches Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten
den einzelnen Ressorts unterscheiden. Ich bin sehr froh,
und an ihre Familien sagen. Sie tun unter schwierigsten
dass wir das am Beispiel Afghanistan auch praktizieren.
Bedingungen ihren Dienst, nicht nur in Afghanistan. Sie
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben unsere Unterstützung verdient!
Wir werben für diesen Ansatz – wie ich glaube, er- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
folgreich. Der auf der Londoner Konferenz zu Afghanis- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
tan beschlossene so genannte „Afghan Compact“ von
Wir haben beim Thema Sicherheit in diesem Jahr sehr
London folgt ebendiesem Ansatz, dass einzelne Natio-
viel über die militärische Sicherung ziviler Prozesse ge-
nen für einzelne Aufgaben zuständig sind, Deutschland
sprochen. Sicherheit wird in der Zukunft aber auch – das
zum Beispiel für den Aufbau der Polizei in Afghanistan.
hat dieses Jahr genauso gezeigt – mit Energiepolitik und
Diese Aufgabe als Leitnation nehmen wir sehr ernst. Wir
Energiesicherheit zu tun haben. Die Europäische Union (D)
(B) haben bislang dort 17 000 Polizisten ausgebildet und
hat darüber eingehend diskutiert. Energiepolitik ist in-
sind militärisch mit circa 2 900 Soldatinnen und Solda-
zwischen zum Teil Energieaußenpolitik: Die Partner fra-
ten über Jahre hinweg einer der größten Truppensteller.
gen, ob man sich aufeinander verlassen kann.
Meine Damen und Herren, wir wissen, dass wir un-
Zwei große Herausforderungen werden uns in den
sere Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit noch
nächsten Jahren intensiv beschäftigen:
besser aufeinander abstimmen müssen, auch zwischen
den einzelnen Partnern. Wir müssen die Nachbarn des Das eine ist die Frage, wie nicht nur wir, sondern die
Landes noch stärker in die Verantwortung nehmen. Wir Welt mit bezahlbarer Energie ausreichend versorgt wer-
müssen gemeinsam mit den Partnern und Verbündeten den können. Angesichts des Bevölkerungswachstums
natürlich das Nötige tun, um die Sicherheitslage zu ver- – die Weltbevölkerung wird in den nächsten Jahrzehnten
bessern. Es ist richtig: Afghanistan ist der Lackmustest auf 9 Milliarden Menschen anwachsen –, angesichts der
für die Handlungsfähigkeit der NATO. In Riga wird es extrem hohen Wachstumsraten vieler Länder, wie China
deshalb darum gehen, das Zusammenwirken ziviler und und Indien, angesichts der Tatsache, dass wir den Men-
militärischer Elemente und die Zusammenarbeit zwi- schen auf anderen Kontinenten nicht ernsthaft sagen
schen der NATO, den Vereinten Nationen und der EU können, dass wir ihre Entwicklung hin zum Wohlstand
sowie mit den Nichtregierungsorganisationen zu verbes- nicht wollen, wird uns dieses Thema beschäftigen.
sern.
Die zweite große Herausforderung – sie hängt mit der
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr erfüllt im Energieversorgung unmittelbar zusammen – ist die Ver-
Rahmen der ISAF-Mission im Norden des Landes eine änderung unseres Klimas. Ich glaube, viele haben die
wichtige und gefährliche Aufgabe. Wir wollen den Er- Dimension dieser Herausforderung noch nicht in vollem
folg dieser Mission im Norden auf gar keinen Fall in- Umfang verstanden. Die Erwärmung heute liegt bei etwa
frage stellen. Deshalb sehe ich niemanden, der ernsthaft 0,6 Grad. Wir wissen, dass eine Erwärmung über 2 Grad
die relative Stabilität, die wir im Norden erreicht haben, hinaus nicht stattfinden darf. Viele Prozesse sind aller-
aufs Spiel setzen möchte. dings schon unumkehrbar und auch in Deutschland ist
die Klimaveränderung spürbar. Nun können Sie sagen:
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
Ob die Eiche in der Uckermark eine Zukunft hat, ist
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
nicht so wichtig. – In Portugal und Spanien aber stellt
DIE GRÜNEN)
sich das Ganze schon anders dar, man schaue sich die
Immerhin leben in diesem Gebiet circa 40 Prozent der Wüstenbildung an, und in Afrika wird eine weitere Ver-
afghanischen Bevölkerung. Die Bundeswehr wird dort steppung Grund für Bürgerkriege und Migration sein.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6517
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) Europa und auch Deutschland werden hier eine ganz glaube, es ist vielmehr so, dass die Freiheit von unten (C)
besondere Verantwortung haben. Wir sind uns in der wachsen muss. Roman Herzog hat es einmal folgender-
Bundesregierung einig, dass wir Deutschlands langfris- maßen beschrieben – ich zitiere –:
tige Energieversorgung unter die Lupe nehmen müssen:
Wir müssen hier planen und Szenarien erstellen. Wir … den großen Wurf, den unser Volk so gern hat,
müssen vor allen Dingen zeigen – ansonsten werden wir (gibt es) in dieser Frage nicht … Notwendig sind
auf der Welt keine Chance haben –, dass es uns gelingt, Dutzende, vielleicht sogar Hunderte kleiner
wirtschaftliches Wachstum von den Emissionen von Schritte, die sich im Laufe der Zeit und bei entspre-
Treibhausgasen zu entkoppeln. chender Zielstrebigkeit summieren und auszahlen
werden … Die Schritte werden aber von Jahr zu
Ein Stück weit haben wir das schon geschafft; aber Jahr größer werden, und dasselbe wird von den Ge-
wir müssen noch mehr tun. Unser Programm zur energe- staltungsräumen gelten, die unser politisches Sys-
tischen Gebäudesanierung ist nicht nur ein Programm tem dadurch gewinnt, gerade auch im finanziellen
zur Belebung der Bauwirtschaft, sondern auch ein Pro- Bereich.
gramm zur Sicherung der Zukunft. Ein Hochtechnolo-
giestandort wie Deutschland sollte sich mit dem Thema Ich glaube, Roman Herzog hat Recht. Der Aufschwung
Energieeffizienz ganz stark identifizieren, um eines Ta- in diesem Jahr gibt uns Anlass zum Selbstvertrauen, auf
ges sagen zu können: Hier haben wir einen Beitrag für unserem Weg weiterzugehen.
andere geleistet und gleichzeitig einen Exportschlager Herzlichen Dank.
geschaffen.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU sowie
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Beifall bei der SPD – Abg. Volker Kauder
Wir haben in der Europäischen Kommission dafür ge- [CDU/CSU] überreicht Bundeskanzlerin
sorgt – dafür bin ich dem Bundesumweltminister dank- Dr. Angela Merkel einen Blumenstrauß – Zu-
bar –, dass es Fonds zur Investitionsförderung für effi- rufe von der FDP: Oh! – Dr. Guido
ziente und erneuerbare Energietechnologien gibt. Durch Westerwelle [FDP]: Mehr Blumen!)
diesen Fonds können auch in Entwicklungsländern Bei-
träge geleistet werden. Ich glaube, dass uns die Entwick- Präsident Dr. Norbert Lammert:
lung von CO2-freien, erneuerbaren, aber auch anderen Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi,
Energien in den nächsten Jahren sehr beschäftigen sollte. Fraktion Die Linke.
Heute kommen 19 Prozent aller Umwelttechnologien
aus Deutschland. Es können ruhig noch mehr werden. (Beifall bei der LINKEN)
(B) An dieser Stelle können wir zulegen. Ich halte dies für (D)
einen wichtigen Punkt. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Meine Damen und Herren, in meiner Regierungser- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-
klärung vor einem Jahr habe ich gesagt: „Verlässlichkeit deskanzlerin, ich bringe Sie nicht in Verlegenheit, indem
soll das Markenzeichen dieser Regierung sein.“ Verläss- auch ich Ihnen jetzt Blumen schenke. Es würde Ihnen si-
liche Politik ist sicherlich sehr schwierig, weil wir viele cherlich schwer fallen, sich dazu zu verhalten.
Entwicklungen nicht voraussehen können; aber wir müs- Ich finde es ungerecht, dass Sie am Anfang Ihrer
sen uns schon an dem messen lassen, was wir uns vorge-
Rede nur erwähnt haben, dass Sie ein Jahr im Amt sind;
nommen haben. Verlässlichkeit bedeutet für mich, dass
unser Herr Bundestagspräsident ist ja auch ein Jahr im
man nicht alles einfach auf eigene Faust macht, sondern
Amt. Wenn schon, dann muss auch ihm gratuliert wer-
dass man die Menschen für diese Politik gewinnt. Da ha-
den.
ben wir noch ein Stück Arbeit vor uns; das will ich ganz
klar sagen. (Beifall bei der LINKEN und der FDP – Hartmut
Koschyk [CDU/CSU]: Länger!)
Aber ich möchte auch denen danken, die in diesem
Jahr unsere Verbündeten waren. Wir haben einen Ener- – Ich habe das eigentlich in der Hoffnung gesagt, einmal
giedialog begonnen, in den sich viele Teilnehmer enga- Beifall von der Union zu bekommen; aber das ist mir
giert einbringen. Wir haben eine Allianz für Familien ge- nicht vergönnt.
gründet, bei der die gesellschaftlichen Verbände intensiv
mitmachen. Wir haben eine Initiative „Erfahrung ist Zu- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Daran
kunft“ zur Behandlung von Fragen des demografischen müssen Sie mehr arbeiten!)
Wandels auf den Weg gebracht. Daran beteiligen sich die Zum einjährigen Jubiläum Ihrer Kanzlerschaft, Frau
Wirtschaft und die Wohlfahrtsverbände intensiv. Ich Merkel, möchte ich zwei würdigende Bemerkungen am
habe dafür Dank zu sagen, dass die Arbeit dieser Bun- Anfang machen:
desregierung aus den gesellschaftlichen Bereichen unter-
stützt wird; denn wir können das, was zu tun ist, allein Erstens. Da Sie sich nicht jeden Tag erklären, müssen
nicht schaffen. Sie sich im Unterschied zu Ihren Vorgängern auch nicht
so oft korrigieren. Das finde ich ganz geschickt.
Ich weiß, dass manche immer noch nach dem einen
großen, befreienden Sprung suchen, obwohl sie wissen, Zweitens. Es gibt eine kleine Gruppe von leicht arro-
dass Deutschlands Kraft erst noch wachsen muss. Ich ganten CDU-Ministerpräsidenten, die Ihnen das Amt
6518 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Gregor Gysi


(A) nicht gönnen. Ich finde, diese haben Sie ganz gut im der Welt, die immer gegen den Irakkrieg waren und im- (C)
Griff. Das muss man auch einmal sagen. mer schon gesagt haben, mittels Krieg lassen sich die
Probleme und Konflikte nicht lösen, sondern sie ver-
(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei der schärfen sich nur. Der Irak ist das beste Beispiel dafür.
FDP)
Sie haben auch Afghanistan angesprochen und über
Frau Bundeskanzlerin, Sie sind aber auch eine Frau die relative Ruhe im Norden berichtet. Was nutzt es
und stammen aus Ostdeutschland. Sie haben das bisher denn, wenn in einem Teil eines Landes relative Ruhe
wenig gezeigt und diesbezüglich wenig getan. Es ist herrscht, sich aber im anderen Teil alles verschärft? Zu-
ganz typisch, dass in Ihrer Rede nicht ein Wort zur gleich habe ich gehört, dass Sie gesagt haben, Sie wollen
Gleichstellung der Geschlechter gefallen ist und Sie die Bundeswehr nicht in den Süden schicken. Wir wer-
auch gar nichts zur Situation in Ostdeutschland gesagt den Sie beim Wort nehmen, denn es wäre ein großer
haben. Fehler, wenn wir Soldaten auch noch dorthin schickten.
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der Lassen Sie mich noch ein anderes Thema erwähnen,
SPD: Oh! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ das in letzter Zeit in Deutschland eine Rolle spielt.
DIE GRÜNEN]: Deshalb habt ihr auch eine 200 000 deutsche Soldaten waren oder sind in Kriegs-
quotierte Doppelspitze! – Steffen Kampeter einsätzen.
[CDU/CSU]: Von einer Fraktion mit zwei Ker-
len an der Spitze ist das eine gute Analyse!) (Dr. Peter Struck [SPD]: Auslandseinsätze
heißt das, nicht Kriegseinsätze!)
– Ja, da haben Sie völlig Recht. Wenn irgendjemand et-
was für Gleichstellung in der Gesellschaft getan hat, – Wie Sie das nennen, Herr Struck, ist mir egal; aber es
dann waren es vielleicht die Grünen, die SPD und die sind Kriegseinsätze. Wenn Sie einmal nach Afghanistan,
Linken, aber ganz bestimmt nicht die Union. Da brau- in den Irak usw. schauen, sehen Sie, wo auf dieser Welt
chen wir bloß einen Blick in die Geschichte zu werfen. Kriege stattfinden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Peter Struck
Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) [SPD]: Dummes Zeug!)
Fangen wir mit der Außenpolitik an: Sie, Frau Bun- Die Soldaten kommen mit Erlebnissen zurück, und
deskanzlerin, sind aus mir unerklärlichen Gründen ir- zwar mit Erlebnissen, die sie in Deutschland nicht hätten
gendwie mit Präsident Bush befreundet. Wir können und nicht haben. Welch eine Verrohung dort stattfindet,
(B) aber feststellen, dass dieser gerade eine Quittung für haben Sie an den Bildern gesehen, die Soldaten mit Lei- (D)
seine Kriegspolitik bekommen hat. Zwar etwas spät, chenköpfen zeigen. Darauf, dass die Soldaten psychisch
aber bei den Wahlen zum Senat und zum Repräsentan- verändert nach Deutschland zurückkommen, sind wir
tenhaus hat die Mehrheit der amerikanischen Bevölke- überhaupt nicht vorbereitet. Wir haben noch nicht die
rung nun Nein zu seiner Kriegspolitik gesagt. Erfahrung wie die Sowjetunion mit den Afghanistansol-
daten oder die USA mit den Vietnamsoldaten. Aber wir
(Beifall bei der LINKEN)
müssen uns darauf vorbereiten. 200 000 Soldaten in sol-
Sie haben ja am Schluss Ihrer Rede zu Recht auch über chen Einsätzen verändern eine Gesellschaft und Sie wol-
Umweltfragen gesprochen. Die USA stürzen uns in eine len das nicht einmal zur Kenntnis nehmen, geschweige
Klimakatastrophe. Ich möchte gerne wissen, ob Sie ihm denn Mittel dafür zur Verfügung stellen, um dagegen et-
das auch so offen sagen bzw. ob die Europäische Union was zu tun.
ihm gegenübertritt und sagt, dass es so einfach nicht
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
weitergeht. Die größte Industrienation kann diesbezüg-
Winkelmeier [fraktionslos])
lich nicht machen, was sie will, weil sie auf diese Weise
die ganze Menschheit in eine Katastrophe stürzt. Sie haben über die Europäische Union gesprochen,
Frau Bundeskanzlerin, und auch die Verfassung erwähnt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Ich hätte gerne einmal eine Auskunft von Ihnen: Was
Winkelmeier [fraktionslos])
streben Sie in Bezug auf die europäische Verfassung
Zurück zur Kriegspolitik: Der Irakkrieg ist doch in an? Sie müssen doch das Nein aus Frankreich und den
jeder Hinsicht gescheitert. Es ging um die Sicherung von Niederlanden ernst nehmen. Wenn man das Votum ernst
Erdölvorkommen und um die Bekämpfung des Terroris- nimmt, kann man doch nicht nur darüber nachdenken, ob
mus. Wie kann man denn mit der Höchstform des Terro- man das Ding anders nennt oder ob man einen Satz weg-
rismus, nämlich mittels Krieg, Terrorismus bekämpfen? lässt, sondern muss eine Verfassung für Europa schaffen,
Man erreicht so doch nur neue Bereitschaft zu Terroris- die die Mehrheit der Bevölkerung in den Ländern akzep-
mus. Das beweist der Irak täglich. tiert. Das wäre ein Gewinn. Nicht gegen die Bevölke-
rung, sondern mit der Bevölkerung muss eine Verfas-
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert sung gestaltet werden.
Winkelmeier [fraktionslos])
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Selbst der Premierminister Großbritanniens, Tony Blair, Winkelmeier [fraktionslos])
fängt ja jetzt an, selbstkritische Töne von sich zu geben –
leider viel zu spät. Es gab aber auch kluge Politiker auf Wir werden dafür konkrete Vorschläge unterbreiten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6519
Dr. Gregor Gysi
(A) Dabei geht es um Freiheitsrechte, aber auch um So- Aber den Arbeitslosen geht es nicht besser und den Ar- (C)
zialrechte; denn die Menschen in Europa sind heute in beitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nicht.
großem Maße sozial verunsichert. Sie wollen kein Eu-
ropa, das so organisiert ist, dass sich mit jedem Beitritt (Zuruf von der SPD: Billiger geht es nicht!)
die soziale Frage neu stellt, und zwar in dem Sinne, dass – Ich werde Ihnen gleich belegen, dass ich Recht habe.
alles nach unten geht. So erreicht man keine Begeiste-
rung für Europa; wohl aber erreichen die Rechtsextre- Sie haben dafür gesorgt, dass die Kassen im Bund, in
men eine Begeisterung für den früheren Nationalstaat. den Ländern und in den Kommunen leer sind, indem Sie
die Steuereinnahmen immer weiter gesenkt haben. Sie
Das erleben wir doch auch in Deutschland. Wenn wir können doch eine Tatsache nicht bestreiten: Deutschland
hier alle die europäische Integration wollen – das ist ja hat bei den Steuereinnahmen den vorletzten Platz in der
ein Vorteil dieses Parlaments, dass wir sie alle wollen –, Europäischen Union; nur die Slowakei hat noch gerin-
dann müssen wir auch etwas dafür tun, dass die europäi- gere Steuereinnahmen als Deutschland. Es ist für ein
sche Integration wesentlich mehr Akzeptanz in den Be- wirtschaftlich starkes Land geradezu blamabel, was wir
völkerungen findet. Dann können wir nicht über die uns hier leisten.
Bevölkerungen hinweggehen, sondern müssen die Ver-
fassung mit ihnen zusammen gestalten. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos])
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Winkelmeier [fraktionslos]) Die durchschnittliche Quote der Steuern und Abga-
ben, also der berühmten so genannten Lohnnebenkos-
Bund, Länder und Kommunen haben Aufgaben, auch ten, der Sozialabgaben der Unternehmen, beträgt EU-
in Deutschland, und die Kassen sind ziemlich leer. Das weit 40 Prozent und in Deutschland 35 Prozent. Selbst
hat Folgen. Wenn wir nicht nur das letzte Jahr, sondern dort sind wir unterdurchschnittlich. Auch das muss man
mehrere zurückliegende Jahre betrachten, können wir sagen.
feststellen, dass die Ausgaben für Bildung und Kultur,
für Wissenschaft und Forschung sowie für Investitionen (Beifall bei der LINKEN)
in Infrastruktur gesunken sind.
Nun können Steuern sehr verschieden sein. Wir reden
(Dr. Peter Struck [SPD]: Alles falsch! – Petra zwar immer allgemein über Steuern. Aber es gibt bei-
Merkel [Berlin] [SPD]: Das stimmt doch gar spielsweise einen Unterschied zwischen Unternehmen-
nicht!) steuern und Mehrwertsteuer. Es ist spannend, sich ein-
mal die Anteile der einzelnen Steuerarten anzuschauen.
(B) Das gilt auch für die Justiz. Das, was wir jetzt in Sieg- Die Einkommen- und Unternehmensteuern machen in (D)
burg erlebt haben, ist natürlich ein Ausdruck dessen, Deutschland einen Anteil von 9,5 Prozent aus.
dass es zu wenig qualifiziertes Personal gibt. Anders ist
es doch nicht denkbar, dass dort jemand 20 Stunden ge- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das stimmt
foltert wird und niemand das merkt! Das sind Struktur- nicht!)
schwächen, die wir uns nicht leisten können.
Das müssen die Bürgerinnen und Bürger wissen; alles
Hinzu kommt, dass wir die Justiz jetzt den Ländern andere bezahlen sie. Im EU-Durchschnitt liegt der Anteil
übergeben. Das heißt, die Länder entscheiden je nach bei 13,4 Prozent und in Dänemark bei 29,5 Prozent. Vor
Kassenlage, wie viel Geld sie für eine Justizvollzugsan- Schröder lag der Anteil in Deutschland übrigens bei
stalt zur Verfügung stellen. 11,2 Prozent. Jetzt liegt er, wie gesagt, bei 9,5 Prozent.
Das ist die Wahrheit.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Tun sie ja jetzt schon!) Professor Jarass hat errechnet, dass durch die Steuer-
reform von SPD und Grünen seit 2001 jährlich
Mir wird schon jetzt ganz schlecht, wenn ich darüber
21 Milliarden Euro weniger eingenommen werden.
nachdenke, wie das dann in den ärmeren Bundesländern
aussehen wird. (Dr. Peter Struck [SPD]: Dann müssen die
Leute weniger Steuern bezahlen!)
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Jetzt setzt die neue Regierung das Ganze verschärft
Also brauchen wir hier eine andere Herangehensweise.
fort. Ich sage deshalb „verschärft“, weil Sie ab dem Jahr
Sie haben festgestellt, Frau Bundeskanzlerin, Deutsch- 2007 durch die zusätzlichen Belastungen wie Erhöhung
land stehe besser da. Dann müssen wir einmal definieren: der Mehrwertsteuer, Reduzierung der Pendlerpauschale
Wer ist Deutschland? Fragen Sie doch einmal einen und Halbierung des Sparerfreibetrags sowie durch die
Langzeitarbeitslosen, ob er empfindet, dass er besser da- anstehenden Erhöhungen der Renten- und Krankenversi-
steht. Fragen Sie einmal einen Jugendlichen, der keinen cherungsbeiträge die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
Ausbildungsplatz bekommt, ob er findet, dass er besser mer, die Rentnerinnen und Rentner sowie die Arbeitslo-
dasteht. Verstehen Sie: Man muss das immer konkret un- sen mit 30 Milliarden Euro jährlich belasten werden.
tersuchen. Ich weiß, es geht Leuten besser: den Reichen Trotz steigender Steuereinnahmen und eines Überschus-
und den Besserverdienenden; das ist wahr. ses der Bundesagentur für Arbeit bitten Sie Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner
(Beifall bei der LINKEN) sowie Arbeitslose weiter zur Kasse und belasten sie im
6520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Gregor Gysi


(A) nächsten Jahr mit 30 Milliarden Euro. Das ist nicht hin- Die Steuereinnahmen des Bundes steigen um (C)
nehmbar. Trotzdem machen Sie es. 12 Milliarden Euro. Es gibt einen Überschuss bei der
((Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Bundesagentur für Arbeit. Wenn wir die Mehreinnah-
Winkelmeier [fraktionslos]) men von Bund, Ländern und Kommunen zusammen
nehmen, haben wir sogar ein Plus von 33 Milliarden
Ich spreche also deswegen davon, dass Sie die Politik Euro. Erklären Sie doch einmal einem Pendler, warum er
der vorherigen Regierung verschärft fortsetzen, weil es angesichts eines flexiblen Arbeitsmarkts weniger
noch unsozialer wird, indem Sie Konzernen und den Pendlerpauschale bekommt, obwohl der Staat 12 Mil-
Reichen in unserer Gesellschaft noch mehr Geschenke liarden Euro mehr einnimmt.
machen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Weil er im-
(Beifall bei der LINKEN) mer noch im zweistelligen Milliardenbereich
Gleichzeitig planen Sie eine Unternehmensteuerre- Schulden macht!)
form – dass so etwas immer gleichzeitig geschieht, ist
Das ist einfach grob ungerecht. Gerade Sie von der
auffällig –, wonach Sie ab dem Jahr 2008 jährlich
30 Milliarden Euro brutto weniger einnehmen. Netto Union plädieren jeden Tag für einen flexiblen Arbeits-
macht dies 10 Milliarden Euro aus. markt, indem Sie sagen: Man muss sich damit abfinden,
dass man beispielsweise in Hessen ausgebildet wird, in
(Dr. Peter Struck [SPD]: Quatsch!) Nordrhein-Westfalen einen Job bekommt und fünf Jahre
Das haben Gewerkschaften und viele andere errechnet. später nach Thüringen wechselt. Die Menschen müssen
Der Bundesfinanzminister spricht von 5 Milliarden Euro also immer größere Entfernungen in Kauf nehmen.
und andere, die es genauer gerechnet haben, sprechen, Trotzdem kürzen Sie die Pendlerpauschale. Das ist die
wie gesagt, von 10 Milliarden Euro. Realität.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Quatsch!) Sie sagen dann, die Leute sollten mehr Kinder krie-
gen. Aber gleichzeitig gibt es 16 verschiedene Bildungs-
Wir sollten jetzt keinen Streit um die genaue Zahl füh- systeme. Die Menschen wären also total verantwor-
ren. tungslos, wenn sie mit schulpflichtigen Kindern zweimal
21 Milliarden Euro Steuererleichterungen gab es in ein anderes Bundesland ziehen würden.
durch die Reformen von SPD und Grünen und jetzt kom-
men noch einmal 10 Milliarden Euro durch die Refor- (Beifall bei der LINKEN)
men der großen Koalition hinzu. Das macht zusammen Ihre Politik hat eben keine Logik. Auch konservative
(B) etwas über 30 Milliarden Euro. Das heißt, die Konzerne Politik muss doch zumindest eine Logik haben; aber (D)
– die Unternehmensteuerreform wird sich überwiegend diese ist nicht zu erkennen.
zugunsten der Konzerne und viel weniger zugunsten der
kleinen und mittleren Unternehmen auswirken – bekom- Die Körperschaftsteuer möchte ich gesondert er-
men, wenn man die Effekte der Steuerreformen der Re- wähnen. Sie ist eine typische Steuer für Kapitalgesell-
gierung Schröder und Ihrer Regierung, Frau Merkel, zu- schaften und hat mit den Inhaberunternehmen gar nichts
sammen nimmt, zusätzlich 30 Milliarden Euro. Aber die zu tun. Sie betrug in Deutschland unter Helmut Kohl
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Rentnerinnen – daran darf ich die Union erinnern – 45 Prozent. Dann
und Rentner sowie die Arbeitslosen müssen letztlich auf hat Herr Schröder sie auf 25 Prozent gesenkt. Nun will
diese 30 Milliarden Euro verzichten. Das ist eine direkte die große Koalition sie auf 15 Prozent senken. Ich sage
Umverteilung von unten nach oben, wie es sie so in der dazu nur eines – damit wir uns das hübsch merken –: In
Geschichte kaum gegeben hat. den USA beträgt die Körperschaftsteuer 35 Prozent, in
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Frankreich 33 Prozent und in Großbritannien 30 Prozent.
Winkelmeier [fraktionslos]) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie sieht das
Die Mehreinnahmen werden viel zu wenig für Wis- mit der Gewerbesteuer aus? – Zuruf von der
senschaft, Forschung, Bildung und Kultur genutzt. Ich SPD: Wie ist das mit der Bemessungsgrund-
muss es immer wieder sagen: Deutschland hat bekannt- lage?)
lich kaum Erdöl- und Goldvorkommen. Wir können hier
Also steht eines fest: Wir machen den anderen Ländern
keine Wirtschaftspolitik wie Bahrain machen. Wir müs-
Konkurrenz und nicht die anderen Länder uns. Wir üben
sen auf andere Dinge setzen. Die Stärke Deutschlands
bestand immer darin, eine sehr gut ausgebildete Bevöl- Druck aus, sodass die anderen Länder ihre Körperschaft-
kerung zu haben. Auch wenn Sie es nicht gerne hören steuer senken müssen, damit es auch dort noch sozial un-
wollen, sage ich Ihnen: Die DDR hat ihre Jugendlichen gerechter zugeht. Was Sie hier leisten, ist einfach nicht
gut ausgebildet und die Bundesrepublik hat ihre Jugend- hinnehmbar.
lichen gut ausgebildet. Jetzt sind wir vereint und packen (Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter
es nicht mehr. Wir sind unterdurchschnittlich geworden [CDU/CSU]: Sie sind ein populistischer De-
in Europa. Das ist einfach nicht hinnehmbar. magoge! – Lothar Binding [Heidelberg]
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert [SPD]: Das ist einfach Unsinn!)
Winkelmeier [fraktionslos])
Was machen die Konzerne? Sie halten Pressekonfe-
Die Bildung ist doch unserer eigentliche Stärke. renzen ab und verhöhnen die Politik. Vertreter der Deut-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6521
Dr. Gregor Gysi
(A) schen Bank, der Allianz usw. sagen: Wunderbar, wir be- men – muss man dieses Geld nutzen, um zu sagen: Wir (C)
danken uns. Wir haben im letzten Jahr den größten zahlen länger Arbeitslosengeld I an Arbeitslose, die
Gewinn in unserer Geschichte gemacht. Dafür entlassen lange in die Versicherung eingezahlt haben. Aber dazu
wir 8 000 oder 10 000 Leute. Jetzt können wir es uns ja ist Rüttgers nicht bereit. Er kommt wirklich nur auf die
leisten, Abfindungen zu zahlen. Dann sind wir sie los. – Idee, zu sagen: Andere Arbeitslose sollen das bezahlen.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Es gibt, wie wir in den
vergangenen Jahren erlebt haben, nicht mehr Arbeits- Dieser Vorschlag hat überhaupt nichts mit sozialer
plätze, sondern weniger. Gerechtigkeit zu tun. Nur die Idee ist richtig, nämlich
dass diejenigen, die länger eingezahlt haben, auch länger
(Beifall bei der LINKEN) Arbeitslosengeld I beziehen müssen. Dafür streiten wir.
Deshalb sagen wir noch einmal: Hartz IV muss weg;
Jetzt komme ich auf die Zahl der Arbeitslosen zu
denn Hartz IV ist Armut per Gesetz.
sprechen. Sie ist zurückgegangen. Das haben Sie er-
wähnt; das hätte ich an Ihrer Stelle auch getan; das ist (Beifall bei der LINKEN)
normal. Aber ich weise auf zwei Dinge hin: Auf der ei-
nen Seite hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen Das werden Sie immer wieder hören.
– das haben Sie nicht erwähnt – in derselben Zeit um 60 Prozent der Betroffenen – das hat die Statistik jetzt
55 000 erhöht. Sie haben auch nicht erwähnt, dass die erwiesen – geht es schlechter als vorher. 40 Prozent der
Zahl der 1-Euro-Jobber zugenommen hat. Diese zählen Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger
ja nicht als Arbeitslose in der Statistik; das muss man geht es gleich, im Einzelfall auch einmal besser; dage-
hinzufügen. Sie haben auch nicht erwähnt, dass es noch gen sagt keiner etwas. Aber gegen die Schlechterstellung
mehr geringfügig Beschäftigte gibt. Es sind inzwischen der 60 Prozent sagen wir eine Menge.
fast 5 Millionen. Das sind doch fast Arbeitslose. Wenn
man das alles mitberücksichtigt, dann sieht man, dass die (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
Arbeitslosenzahl ganz anders ausschaut. Winkelmeier [fraktionslos])
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) Frau Bundeskanzlerin, wenn wir Arbeitslosigkeit be-
kämpfen wollen, dann müssen wir neue Debatten führen.
Sie haben auch nicht erwähnt, wie hoch die Arbeitslo- Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Arbeit.
sigkeit im Osten ist und welche Probleme wir hier ha- Wir müssen wieder über Arbeitszeitverkürzung nach-
ben. Auf der anderen Seite gibt es eine Zahl, die unwi- denken. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Be-
derlegbar ist. Im Vergleich zu 2002 gibt es 1 Million schäftigungssektor. Es gibt doch nicht zu wenig Arbeit;
Menschen weniger in sozialversicherungspflichtiger Be- es gibt nur zu wenig bezahlte Arbeit. Wir sollten einmal
schäftigung. Das ist ein Abbau, an dem noch nichts kor- darüber nachdenken, ob wir vielleicht die Hausfrauen- (D)
(B)
rigiert worden ist, weil es dafür keine Politik gibt. oder Hausmännertätigkeit und die Betreuung von Kin-
Noch eine Bemerkung zu den Arbeitslosen. Jetzt gibt dern nicht anders in unser Bewusstsein aufnehmen, in
es ja einen Vorschlag von Herrn Rüttgers. Es ist wirklich der Form, dass das eine wirklich notwendige Tätigkeit
spannend, dass ein CDU-Ministerpräsident vorschlägt, ist. Wir müssen über vieles nachdenken, wenn wir die
dass ältere Arbeitslose länger Arbeitslosengeld I be- Arbeitslosigkeit überwinden wollen.
kommen sollen. Spannend ist erst einmal der Vorschlag
In den Bereichen, in denen es keinen privaten Gewinn
an sich. Dann schreit aber der SPD-Vorsitzende gleich:
zu erwirtschaften gibt, müssen wir Arbeit schaffen. Das
Kommt gar nicht infrage! Jetzt rufen auch die CDU und
habe ich schon einmal gesagt. Wir dürfen dabei nicht
viele Ministerpräsidenten: Kommt gar nicht infrage! Das
den öffentlichen Dienst ausweiten, sondern wir müssen
alles ist absurd. Ich hätte mir vorgestellt, dass alle sagen:
eine öffentlich geförderte Wirtschaft aufbauen. Als Bei-
Das ist eine völlig vernünftige Idee. Jetzt müssen wir uns
spiel nenne ich den Förderunterricht für besonders be-
nur über das Wie unterhalten.
gabte Kinder oder für Kinder, denen es in der Schule be-
Was Herr Rüttgers vorschlägt, ist allerdings abenteu- sonders schwer fällt. Das sind Bereiche, die sich für
erlich. Zum einen sagt er, ein längeres Arbeitslosengeld private Anbieter nicht lohnen, hier entstehen Arbeits-
solle man erst nach 40 Versicherungsjahren bekommen. plätze nicht von selbst. Hier muss die Politik aktiv wer-
Ich bitte Sie: 40 ununterbrochene Versicherungsjahre! den und Arbeitsplätze schaffen.
Diese Hand voll Leute, auf die das zutreffen würde, kann
er alleine bezahlen; das ist nicht das Problem. Ein Pro- Ich möchte eine weitere Bemerkung zur Gerechtig-
blem besteht bei denjenigen, die nach 30 oder 35 Jahren keit in unserer Gesellschaft machen. Seit 2001 speist
arbeitslos werden. – Aber das ist nur ein Problem. sich die Steigerung des Volkseinkommens zu 85 Prozent
– Herr Westerwelle, merken Sie sich das bitte – aus der
Zum anderen sagt er nämlich, den längeren Bezug Steigerung der Unternehmens- und Vermögenseinkom-
sollten andere Arbeitslose bezahlen. Ich muss Ihnen sa- men und nur zu 15 Prozent aus der Steigerung des Ein-
gen: Das ist völlig indiskutabel. kommens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Das ist eine Riesenungerechtigkeit; denn die Zahl der ei-
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
nen ist viel geringer als die Zahl der anderen. Die einen
Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
bekommen jedoch 85 Prozent, die anderen nur
GRÜNEN])
15 Prozent. Zwischen 2004 und 2005 sind die Löhne und
Bei dem derzeitigen Überschuss bei der Bundesagen- Gehälter erstmals um 6 Milliarden Euro gesunken. Einen
tur für Arbeit – zudem gibt es höhere Steuereinnah- solchen Rückgang hat es bis dahin noch nie gegeben.
6522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Gregor Gysi


(A) Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sind im maindustrie lobt Ihre Reform nicht, sondern schweigt (C)
gleichen Zeitraum um 22 Milliarden Euro gestiegen. Un- nur dazu. Über diese Tatsache sollten Sie auch einmal
gerechter kann es überhaupt nicht zugehen! nachdenken; denn wenn die Pharmaindustrie meckern
würde, dann wäre, so meine ich, an Ihrer Reform etwas
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert
dran.
Winkelmeier [fraktionslos])
Wenn Sie gegen diese Ungerechtigkeit nichts unterneh- (Beifall bei der LINKEN)
men, dann werden Sie niemals als sozial gelten, und Wir haben in letzter Zeit in Deutschland sehr viel über
zwar zu Recht. die Armutsschicht, die Unterschicht genannt wird, dis-
Nun haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, den Ansatz Ih- kutiert. Es stimmt, es gibt diese Schicht und sie wächst.
rer Gesundheitsreform beschrieben. Diese Schicht wählt zu einem kleinen Teil noch die SPD,
zu einem bestimmten Teil meine Partei, aber zu einem
(Joachim Poß [SPD]: Schließen wir die Löhne größer werdenden Teil die NPD. Das muss uns ernsthaft
ab oder machen das die Gewerkschaften?) Sorgen machen. Das heißt nämlich, diese Menschen füh-
– Auch die Gewerkschaften haben ein paar Fehler ge- len sich ausgegrenzt. Sie haben keine Beziehungen mehr
macht, aber die offizielle Politik Ihrer Regierung hieß zu unserer Demokratie und glauben nicht daran, dass
immer: Lohnsenkung, Lohnsenkung, Lohnsenkung. Das wir, und zwar wir alle, ihre Probleme lösen können.
sei die einzige Chance, um wirtschaftlich stärker zu wer- Viele dieser Menschen wählen natürlich gar nicht, auch
den. Sie sind für den jetzigen Zeitgeist verantwortlich. das weiß ich. Dies ist für eine Gesellschaft ein sehr ge-
fährlicher Vorgang.
(Beifall bei der LINKEN – Joachim Poß [SPD]:
Erzählen Sie, was sie machen!) Frau Bundeskanzlerin, ich habe von Ihnen nichts dazu
gehört, welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen, um die
Meine Redezeit ist begrenzt, deshalb kann ich nicht so genannte Unterschicht, die Armutsschicht, Schritt für
viel zu Ihrer Gesundheitsreform sagen. Schritt zu überwinden, damit es in Deutschland keine
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Armut mehr gibt. Die Überwindung der Armut müsste
Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gott sei Ihr Ziel als Bundeskanzlerin sein.
Dank!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
– Ich wusste, dass ich es schaffen würde, einmal Beifall neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
von der CDU/CSU zu erhalten, und bin dankbar. Ich und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
habe das gern. Ich sage Ihnen voraus, was passieren wird: Der Unter- (D)
(B)
Zur Gesundheitsreform sage ich Ihnen: Das ist ein schicht können Sie eines Tages nichts mehr nehmen,
Gemurkse, daraus wird nichts mehr. Es ist doch klar: Sie weil sie nichts mehr hat. An die Reichen und die Vermö-
wollten die Kopfpauschale, die anderen eine Bürgerin- genden trauen Sie sich nicht heran. Die Steuerreform
nen- und Bürgerversicherung. Dazwischen ist kein Kom- wird wieder nur die Großaktionäre reicher machen.
promiss möglich. Es wäre besser gewesen, Sie hätten es
bleiben lassen, weil es gemeinsam nicht zu packen ist. (Dr. Peter Struck [SPD]: Jetzt ist es aber gut!)

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Das ist alles, was dabei herauskommen wird. Viel-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) leicht wollen Sie an die Reichen auch nicht heran. Sie
werden sich also an die Mittelschicht halten,
Sie sagen, Sie machen eine Reform für die Versicherten.
Darüber kann man nur lachen, Frau Bundeskanzlerin. (Joachim Poß [SPD]: Quatsch mit Soße!)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie werden die Normalverdiener immer schlechter stel-
SES 90/DIE GRÜNEN) len. Wenn Sie aber die Mittelschicht einer Gesellschaft
schrittweise zerstören
Die Versicherten werden schon im nächsten Jahr höhere
Beiträge bezahlen. Wenn erst einmal der komische (Joachim Poß [SPD]: Der redet wirklich wie
Fonds gebildet ist, gibt es nur noch eine Richtung: Der ein Blinder von der Farbe!)
Beitragsanteil der Unternehmen darf nicht erhöht wer-
den, aber die Versicherungen dürfen sich weiterhin an – das passiert –, gibt es zwischen oben und unten keine
die Versicherten halten und deren Beiträge erhöhen. Was Kommunikation mehr.
soll denn dabei für die Versicherten herausspringen? (Joachim Poß [SPD]: Von nichts hat er Ah-
Entweder müssen sie mehr bezahlen oder sie erhalten nung!)
weniger Leistungen oder beides.
Die Mittelschicht kann nach unten und nach oben kom-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
munizieren. Sie hat Illusionen, wie sie selber nach oben
neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE
kommt, und Angst davor, nach unten zu kommen. Das
GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier
alles macht sie für bestimmte Fragen sehr sensibel. Ich
[fraktionslos])
sage Ihnen als Linker, dass es falsch ist, die Mittel-
Außer der Pharmaindustrie gibt es niemanden, der Ih- schicht der Gesellschaft zu zerstören, weil das die Kom-
rer Gesundheitsreform zustimmt. Doch auch die Phar- munikation innerhalb der Gesellschaft zerstört.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6523
Dr. Gregor Gysi
(A) (Beifall bei der LINKEN – Joachim Poß [SPD]: Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
Sie sind ein selbst ernannter Linker!) Das Wort hat nun Dr. Peter Struck für die SPD-Frak-
tion.
Lassen Sie mich noch etwas zum Osten sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
(Joachim Poß [SPD]: Salonsozialist!)
Wir haben keine Vereinigungspolitik. Wir hatten nur Dr. Peter Struck (SPD):
eine Einheitspolitik. Niemand hat etwas dafür getan, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
dass sich Strukturen im Westen etwa durch die Über- Herren! Frau Bundeskanzlerin, ich habe Ihnen keine ei-
nahme von 5 Prozent der Oststrukturen verändern. Das genen Blumen überreichen können, weil das der Kollege
wurde immer arrogant abgetan. Es hätte jedoch etwa bei Kauder für mich gleich mit gemacht hat.
Kindertagesstätteneinrichtungen Sinn gemacht. Es hätte
Sinn gemacht, an Schulen eine stellvertretende Direkto- (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zuruf von der
rin oder einen stellvertretenden Direktor für außerunter- FDP: Die waren zu teuer!)
richtliche Tätigkeiten zu haben. Es hätte Sinn gehabt, Die Blumen bezahlen wir gemeinsam. Sie werden aber
sich vielleicht die Strukturen der Polikliniken anzusehen bestätigen, dass ich Ihnen schon einen ausgegeben habe,
und darüber nachzudenken, ob man sie im Westen ein- und ich werde das gerne wiederholen. Auch von mir
führt. Ich sage Ihnen auch, warum: Damit die Frau und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer einjährigen Amtszeit!
der Mann in Passau, die Frau und der Mann in Kiel mit
der Einheit das Erlebnis verbunden hätten, dass sich ihre Es ist das zweite Mal, dass ein Redner der PDS Solda-
Lebensqualität durch die Übernahme von drei, vier oder ten, die im Auslandseinsatz sind, als Soldaten im
fünf Strukturen aus dem Osten erhöht hat. Ein solches Kriegseinsatz bezeichnet.
Erlebnis ist niemandem im Westen gegönnt worden. (Zuruf von der LINKEN: Ja!)
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Ich weise diese unverschämte Behauptung mit Nach-
Winkelmeier [fraktionslos]) druck zurück, Herr Gysi. Unsere Soldaten befinden sich
nicht im Kriegseinsatz.
Das macht deren Einstellung aus, was ich auch verstehen
kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der FDP)
Deshalb sage ich: Wir hatten eine Einheit, aber keine
Vereinigung. Gerade von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, Unsere Soldaten befinden sich in einer friedenstiftenden
hätte ich erwartet, dass Sie diesbezüglich Zeichen set- und friedenserhaltenden Mission. Sie müssen endlich
(B) zen. einmal dorthin fahren und sich das ansehen und nicht nur (D)
hier im Deutschen Bundestag solche dummen Sprüche
klopfen, die die Soldaten beleidigen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie denken an die verbleibende Rede- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
zeit in der eigenen Fraktion? bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
CSU]: Und nicht nur nach Belgrad fahren! –
Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: So ein dum-
Ich denke nur an meine Fraktion, Herr Präsident, ge- mes Geschwätz habe ich selten gehört!)
legentlich auch an etwas anderes. Lassen Sie mich noch
den einen Satz sagen. Ich will an dieser Stelle genauso wie die Bundeskanz-
lerin und der Verteidigungsminister Dank sagen für die
Sie müssen einen Fahrplan aufstellen, Frau Bundes- Arbeit, die die Soldatinnen und Soldaten unter Gefahren
kanzlerin, und sagen: Ich will die Angleichung der für ihr Leben für unser Land und die Staatengemein-
Löhne. Ich will, dass man für die gleiche Arbeit den schaft tun. Meine Damen und Herren, Sie haben eine
gleichen Lohn erhält und nicht länger arbeitet für weni- solche Bewertung wie die, die von der Linken kommt,
ger Geld, dass man die gleiche Rente für die gleiche Le- überhaupt nicht verdient. Wir stehen an Ihrer Seite.
bensleistung erhält.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
(Beifall bei der LINKEN)
Da ich gerade bei der Außenpolitik bin: Das letzte
Sie müssen Ihre Politik umdrehen. Sie müssen für Jahr war wirklich ein schwieriges Jahr für diese Bundes-
Frieden kämpfen, für Steuergerechtigkeit, das heißt, regierung und die sie tragenden Fraktionen.
auch bei den Konzernen und Reichen abkassieren, und
für deutlich mehr soziale Gerechtigkeit. Das hilft dann (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das nächste
auch den kleinen und mittleren Unternehmen, weil Sie Jahr wird besser!)
damit die Kaufkraft stärken. Es hätte sich niemand vorstellen können, dass wir Solda-
Danke schön. ten in die Gegend von Israel und Palästina schicken.
Dass es diese Mission sozusagen im Einvernehmen mit
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert dem Staate Libanon und dem Staate Israel gibt, ist ein
Winkelmeier [fraktionslos] – Joachim Poß großer Erfolg. Das zeigt die Einsicht der Beteiligten,
[SPD]: Quatsch mit Soße!) dass man etwas machen muss. Auch in Bezug auf die
6524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Peter Struck


(A) Kritik, die manche Kollegen der FDP im Vorfeld und Briten, der Kanadier oder von wem auch immer sonst. (C)
Nachlauf an Herrn Jung geübt haben, möchte ich deut- Unser Konzept – das sage ich ausdrücklich – ist das rich-
lich sagen: Dieses Mandat ist gut und der Verteidigungs- tige. Wir helfen in allen Bereichen beim Wiederaufbau,
minister hat sich gut und richtig verhalten. und zwar auch zivil: mit NGOs, mit Entwicklungshel-
fern, im Rahmen der Polizeiausbildung. Wir unterstüt-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beifall zen die Menschen, die im Norden Afghanistans leben,
bei der CDU/CSU – Jürgen Koppelin [FDP]: auf vielfältige Weise. Das ist das richtige Konzept.
Sehr spärlicher Beifall bei der SPD!)
Das meiner Meinung nach falsche Konzept – es folgt
– Ich spreche für die SPD-Fraktion, Herr Koppelin. anderen Überlegungen – lautet: Wir gehen nur mit
Wir haben im Deutschen Bundestag ein Mandat für Kampftruppen rein. Wir bombardieren nur. Wir verfol-
den Einsatz im Kongo beschlossen. Wir hoffen – ich gen nur.
gehe davon aus –, dass die Soldaten bald zurückkommen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
werden. Wir verlassen uns auf Solana, der eine Erklä- SES 90/DIE GRÜNEN)
rung dazu abgegeben hat. Die Beschlüsse, die die Bun-
desregierung gefasst hat, sind eindeutig. Wir wollen hof- Damit kann man das Vertrauen der Menschen in Afgha-
fen, dass alle gesund und munter aus dem Kongo nistan nicht gewinnen. Dann darf man sich nicht wun-
wiederkommen. Ihren Auftrag haben sie nach dem, was dern, wenn solche Situationen eintreten, wie wir sie im
ich gesehen habe, gut erfüllt. Süden zu beklagen haben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die
Operation Althea in Bosnien-Herzegowina verlängert. Für mich ist klar, dass wir eine Verantwortung im
Dazu muss ich – die Verteidigungspolitiker wissen das – Norden haben, die wir auch wahrnehmen werden. Wir
einige Anmerkungen machen. Die Althea-Mission in wollen den Norden den Taliban und der al-Qaida nicht
Bosnien-Herzegowina – Herr Außenminister, wenn ich wieder preisgeben. Deshalb bleiben wir dort. Wir helfen
um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte – ist im Grunde im Süden, wenn wir darum gebeten werden; unsere Auf-
keine militärische Mission mehr. Der Krieg ist seit elf gabe ist aber der Norden und dabei bleibt es. Ich denke,
Jahren vorbei. Es haben Wahlen stattgefunden. Nach den das wird in Riga bestätigt werden. Dabei unterstütze ich
Kommunalwahlen gibt es mittlerweile funktionierende die Bundesregierung voll.
kommunale Gremien. Unsere Soldaten fahren Patrouille,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU sowie bei
zum Beispiel um Kinder zu beschützen, die von ihrem
(B) Wohnort, wo sie einer Minderheit angehören, in eine Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (D)
NEN)
Schule fahren müssen, die in einem Gebiet liegt, wo ihre
ethnische Gruppe die Mehrheit stellt. Ich will mich der Innenpolitik zuwenden und zu-
nächst einige grundsätzliche Bemerkungen zur Innenpo-
Deshalb bin ich sehr dafür, dass die Anregung von
litik machen. Ich glaube, das war auch deshalb ein er-
Verteidigungsminister Jung aufgegriffen wird, die Zahl
folgreiches Jahr für unser Land, weil die sich seit
der Soldaten langsam zurückzuführen. Die Anzahl von
Jahrzehnten politisch bekämpfenden großen Volkspar-
jetzt 850 Soldaten kann im Zusammenwirken mit den
teien miteinander geredet, verhandelt und sich geeinigt
anderen europäischen Nationen zurückgeführt werden.
haben. Sie haben gemeinsam wichtige Projekte für das
Wir sind auf dem richtigen Weg. Ein Mandat muss auch
Land beschlossen. Große Koalition heißt große Verant-
einmal beendet werden können, wenn klar ist, dass die
wortung. Große Verantwortung bedeutet eine große
Voraussetzungen, unter denen das Mandat erteilt wurde,
Chance für unser Land. Große Koalition heißt aber auch,
nicht mehr gegeben sind.
dass man manchmal große Kompromisse schließen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muss.
der CDU/CSU)
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Zu Afghanistan. Die Kanzlerin hat dazu klare Worte Großen Mist machen!)
gesprochen. Ich kann die Vorwürfe – von wem auch im-
Wir sind von sehr weit voneinander entfernten Punkten
mer die Debatte begonnen worden ist –, wir würden im
aufeinander zugegangen.
Norden eine ruhige Kugel schieben, während es im Sü-
den gefährlich sei, überhaupt nicht nachvollziehen. Die Debatte über den Weg, den wir miteinander ge-
hen wollen, kann man nicht als Streit bezeichnen. Den
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU sowie bei Journalisten, die auf der Tribüne sitzen bzw. die vor dem
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Fernseher sitzen und gar nicht zur Arbeit im Plenum er-
NEN) scheinen – man muss ehrlich sagen: sie arbeiten vom
Wir haben – ich selbst war daran beteiligt – eine klare Büro aus –,
Aufgabenverteilung beschlossen, nach der Deutschland (Heiterkeit)
die Verantwortung für den Norden übernimmt. Wir ha-
ben auch ein klares Konzept für die Wahrnehmung die- ist Streit am liebsten. Ich nehme eine relativ einfache
ser Verantwortung erstellt. Unser Wiederaufbauteam- Frage als Beispiel. Wie macht man eine Gesundheitsre-
konzept ist anders als das Konzept der Amerikaner, der form? Jede Partei – wir reden von einer Dreiparteien-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6525
Dr. Peter Struck
(A) koalition – hat ihre eigenen Vorstellungen gehabt. Die Das gleiche Vertrauensverhältnis, das ich mit Volker (C)
lagen ziemlich weit auseinander: Bürgerversicherung Kauder habe, prägt auch die Zusammenarbeit zwischen
hier, Kopfpauschale dort. Wir haben versucht, die Re- Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Vizekanzler Franz
form hinzubekommen. Dass das nicht ohne Debatten Müntefering. Diese enge Zusammenarbeit ist der Garan-
geht, ist nachvollziehbar. Dass alle über den richtigen tieschein für den Erfolg dieser Regierung.
Weg streiten, ist auch nachvollziehbar. Aber die Kritik
an dem Ergebnis der Gesundheitsreform kann ich über- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
haupt nicht nachvollziehen. Ich weiß, dass es auf der Ebene der Fraktionsvorsit-
Ich war bei einer Veranstaltung des Gesamtverbandes zenden in der Regierung – Volker Kauder, Peter
der Deutschen Versicherungswirtschaft. Dort hat mir je- Ramsauer und ich – ganz gut klappt. Ich weiß auch, dass
mand, nachdem ich die Gesundheitsreform – zu Recht – es auf der Ebene der Fachpolitikerinnen und Fachpoliti-
ordentlich gelobt habe, gesagt, das sei Sozialismus pur. ker manchmal schwierig ist.
Darauf habe ich geantwortet: Ich kann mir nicht vorstel-
(Jürgen Koppelin [FDP]: Kampeter!)
len, dass Angela Merkel und Edmund Stoiber Sozialis-
mus pur mitmachen würden. Es wird besser. Das ist mein und auch Volker Kauders
(Heiterkeit – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Eindruck.
Doch! Das ist es ja!) Zum Beispiel haben Wolfgang Schäuble, Franz
– Nein. – Auch die Union ist nicht für Sozialismus pur. Müntefering und die Koalitionssprecher Fritz Rudolf
Das ist absurd. Sie glauben doch nicht ernsthaft, die Ge- Körper und Wolfgang Bosbach in einer ganz schwieri-
sundheitsreform sei Sozialismus pur. Das glaubt doch gen Frage, die uns jahrelang strittig beschäftigt hat, dem
kein Mensch. Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie das Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer, eine Ei-
glauben. nigung erreicht. Das ist ein großer Erfolg. Das hat damit
zu tun, dass wir wissen, dass wir einander vertrauen kön-
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Aber ja!) nen, wenn über bestimmte Fragen geredet wird. Ich gra-
Wenn man sich ansieht, wie die Kampagne gegen die tuliere denjenigen, die darüber verhandelt haben. Ich
Gesundheitsreform läuft, dann muss man sagen, dass glaube, sie sind hinsichtlich des Bleiberechts zu einem
diese Kampagne weit über das Normale hinausgeht. guten Ergebnis gekommen.
Wenn Musterschreiben ins Internet gestellt werden – je- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dirk
weils für Beamte, für Angestellte und für Arbeiter – und Niebel [FDP]: Es wurden ja nur sieben Jahre
wenn sich herausstellt, dass die Namen von Versicher- verloren!)
(B) ten, die gar nicht wissen, dass solche Briefe an uns ge- (D)
richtet werden, missbraucht werden, dann geht das zu Wenn man die Frage stellt, was die Menschen von
weit. Das kann man nicht akzeptieren. dieser großen Koalition erwarten, dann denke ich an ver-
schiedene Dinge. Erstens erwarten sie, dass wir die
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Lebensrisiken, soweit wir das können, politisch absi-
Natürlich bestehen in verschiedenen Fragen Unter- chern. Ein Lebensrisiko ist, arbeitslos zu werden. Ich
schiede zwischen den Koalitionsfraktionen. Aber sie glaube, dass uns das, was in diesem Bereich durch den
sind alle überwindbar, wenn das Vertrauensverhältnis Arbeitsminister bereits unternommen wurde, auf einen
der handelnden Personen untereinander stimmt. Die guten Weg gebracht hat. Ich nenne die Initiative
Koalitionsfraktionen können sicher sein: Volker Kauder „50 plus“ und die Sonderprogramme für jugendliche Ar-
und ich – auch wenn wir uns nicht immer der gleichen beitslose. Dass wir mit der Zahl von knapp 4 Millionen
Meinung verpflichtet fühlen – arbeiten in einem absolu- Arbeitslosen nicht zufrieden sind, davon können Sie aus-
ten Vertrauensverhältnis zusammen. gehen. Aber ich lasse mir nicht ausreden, dass es ein Er-
folg ist, dass wir 450 000 Arbeitslose weniger haben als
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: im letzten Jahr. Warum sollte ich das verschweigen? Es
Die gleiche Frisur habt ihr schon!) gibt keinen Grund, nicht darüber zu reden.
Ich danke Volker Kauder dafür, weil dieses schnell ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
fundene beiderseitige Vertrauen entscheidend und sub-
stanziell für viele schwierige Entscheidungen war, die Die Maßnahmen zur Unternehmensteuerreform wer-
wir in diesem Jahr treffen mussten. den nach meiner Einschätzung mit dazu beitragen – der
Finanzminister hat hier völlig Recht –, dass wir dadurch
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu-
einen weiteren Impuls für Wachstum mit Auswirkungen
ruf von der FDP: Blumen!)
auf den Arbeitsmarkt bekommen. Für mich als Sozialde-
– Wir trinken öfter einen zusammen, als Sie denken. mokrat ist wichtig, dass im Zusammenhang mit der Un-
ternehmensteuerreform die Gewerbesteuer garantiert ist
(Dirk Niebel [FDP]: Das ist auch nötig! Das und sich die Gemeinden darauf verlassen können. Die
kann man nüchtern nicht ertragen!) Gewerbesteuer wird so bleiben wie bisher. Die Gemein-
– Mit Ihnen trinke ich vielleicht auch noch einmal einen den sind uns dankbar dafür. Das muss man zu Recht un-
zusammen. – Er weiß, Herr Koppelin, was dann passiert. terstreichen.
(Heiterkeit) (Beifall bei der SPD)
6526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Peter Struck


(A) Das zweite Lebensrisiko, das viele Menschen be- möglich wurde. Wir sind stolz auf das, was wir auf die- (C)
schäftigt, ist das Thema Krankheit. Dabei geht es um un- sem Gebiet erreicht haben.
ser Gesundheitssystem; dazu habe ich mich schon ge-
äußert. Aber ich frage mich: Warum sagen wir eigentlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
nicht, dass wir das beste Gesundheitssystem der Welt ha- der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Los,
ben – dass das der Fall ist, kann man feststellen, wenn Union, jetzt müsst ihr klatschen!)
man es mit den Gesundheitssystemen anderer Länder – Herr Kollege Kauder, der Beifall der Unionsfraktion
vergleicht – und dass wir es zu erträglichen Bedingun- könnte, da es gerade um das Thema Bildung geht, ruhig
gen erhalten wollen? Diese erträglichen Bedingungen etwas stärker ausfallen.
haben wir im Gesundheitskompromiss, auf den wir uns
verständigt haben, festgelegt. Das war eine große Leis- (Heiterkeit bei der SPD)
tung.
Ich nehme an, Frau Schavan ist uns für unser Vorgehen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten im Hinblick auf Art. 91 b des Grundgesetzes sehr dank-
der CDU/CSU) bar.
Die Menschen können sich darauf verlassen, dass sie (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
– egal wie arm oder reich und wie alt oder jung sie sind – NEN]: Ach was! Die sagt doch schon lange
die gesundheitliche Versorgung bekommen, die sie brau- nichts mehr!)
chen. Diese Garantie können wir den vielen Menschen,
die sich vor diesem Lebensrisiko fürchten, geben. Wir – Dann sagen doch Sie gleich etwas zu diesem Thema.
können mit dem, was wir erreicht haben, wirklich zufrie- Jetzt komme ich auf den zweiten Teil der Föderalis-
den sein. musreform zu sprechen. Da Teil eins der Föderalismus-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der reform sozusagen abgehakt ist, folgt bald Teil zwei.
CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Das, was er Heute Nachmittag werden wir im Kreis der Fraktions-
da sagt, kann er unmöglich selbst glauben!) vorsitzenden darüber reden, wie wir unser Vorgehen
aufseiten des Bundestages organisieren. Der Kanzler-
Das dritte Thema, das viele Menschen beschäftig, ist amtschef und der Finanzminister haben die Aufgabe, die
die Frage: Was geschieht im Alter, wenn man das Ar- notwendige Arbeitsbeschreibung im Hinblick auf die
beitsleben beendet hat? Das Stichwort lautet: Rente. Vorbereitung der Föderalismusreform II festzulegen und
Dass die Koalition im Zusammenhang mit der Verlänge- mit uns darüber zu diskutieren. Ich denke, wir sollten so
rung der Lebensarbeitszeit einen schwierigen Weg gehen vorgehen, dass diese Aufgabe noch im Laufe dieser Le-
(B) musste, war ersichtlich; denn niemand arbeitet gern län- gislaturperiode erledigt werden kann. (D)
ger. Dass dieser Weg unumgänglich war, ist aber auch
ersichtlich. Durch diese Maßnahme, die der Arbeitsmi- Darüber hinaus müssen wir über die Neuverteilung
nister vorgeschlagen hat, haben wir unser Rentensystem der Finanzen zwischen Bund und Ländern einerseits und
stabilisiert. Es wird auch in Zukunft, in den nächsten zwischen den verschiedenen Ländern andererseits reden.
zehn, 20 und 30 Jahren, stabil bleiben. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass der Solidarpakt
bis zum Jahre 2019 gilt. Die ostdeutschen Länder müs-
(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ja, ja! Von we- sen sich darauf verlassen können, dass sich daran nichts
gen! Und wie ist die Situation jetzt?) ändert und keine Kürzungen vorgenommen werden. Das
Die Maßnahmen, die wir zur sozialen Abfederung der ist meine Position.
Rente mit 67 vereinbart und im Deutschen Bundestag Ich denke, der Föderalismusreform II wird auch eine
verabschiedet haben, tragen zur Stabilisierung unserer Föderalismusreform III folgen müssen. Wenn wir es ge-
sozialen Sicherungssysteme bei. Darum ging es uns. schafft haben, die Finanzkraft der Bundesländer in ange-
Nun möchte ich etwas zur Föderalismusreform sa- messener Weise auszugleichen, dann können und müs-
gen. Ich erinnere mich noch gut an die Debatten, die wir sen wir auch über die Neugliederung der Bundesländer
im Deutschen Bundestag über das so genannte Koopera- diskutieren.
tionsverbot im Bildungsbereich geführt haben. Diese
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Diskussionen waren schwierig. Jeder weiß, dass ich zum
der CDU/CSU und der Abg. Renate Künast
Leidwesen mancher versucht habe, etwas anderes zu er-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
reichen als das, was vereinbart wurde. Nachdem inzwi-
schen ein Hochschulpakt ins Leben gerufen worden ist, Nun möchte ich mich noch einigen anderen Themen-
für den 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt wird und bereichen zuwenden. Zunächst zur Familienpolitik.
der immerhin 90 000 zusätzliche Studienplätze garantie- Wie Sie wissen, hat die SPD-Bundestagfraktion großen
ren soll, Anteil an der Einführung des Elterngeldes. Das war ur-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sprünglich eine Forderung der SPD, Frau von der Leyen,
Ja, er soll! Aber er tut es nicht!) die in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Glei-
ches gilt in Bezug auf die Neuregelung zur steuerlichen
sage ich nun: Es war richtig, das Kooperationsverbot im Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten. Für uns So-
Bildungsbereich wegzufegen. Denn das war die Voraus- zialdemokraten bleibt es das erklärte Ziel unserer Fami-
setzung dafür, dass der Hochschulpakt überhaupt erst lienpolitik, dass in Deutschland für jedes Kind ein
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6527
Dr. Peter Struck
(A) kostenfreier Kindergartenplatz zur Verfügung steht. Das wir in diesen Gremien keine Leute haben dürfen, die (C)
bleibt unser klares Ziel. sich von sich aus anbieten – die haben wir doch nicht
eingekauft, die bieten sich an! –, uns zu informieren?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Karlsruhe
locuta, causa finita!)
In Deutschland werden jedes Jahr – Steuern, Kinder-
geld, Freibeträge und dergleichen zusammengerechnet – Nach meiner Einschätzung führt dieser Beschluss aus
160 Milliarden Euro für Familienförderung und Kinder- Karlsruhe letztlich dazu, dass man überhaupt kein Ver-
förderung ausgegeben. Ich kann nicht einsehen, dass es fahren zum Verbot rechtsextremer Parteien betreiben
nicht möglich sein soll, die 8 Milliarden Euro, die wir kann. Dieses Ergebnis kann ich nicht akzeptieren. Wir
brauchen, um den Kindergartenbesuch gebührenfrei zu müssen an dieser Stelle weiterarbeiten.
machen, aus diesen 160 Milliarden Euro herauszu-
schneiden. Ich hoffe, dass dafür Vorschläge kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Dirk Niebel [FDP]: Sie regieren doch!)
Ich finde es gut, dass die Innenministerkonferenz am
Wir in der SPD diskutieren das. Ich weiß, auch die vergangenen Freitag in Nürnberg beschlossen hat, das
Union denkt über diese Frage nach. Ich halte es für Finanzgebaren der NPD überprüfen zu lassen.
falsch, zu überlegen, dafür das Kindergeld zu kürzen.
Aber darum geht es überhaupt nicht; es geht darum, wie (Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)
wir die vorhandenen Finanzmittel, ohne zusätzliche Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schlägerbanden,
schöpfen zu wollen, anders einsetzen, um Kindergarten- die die NPD durch Deutschland geschickt hat, die Ban-
plätze gebührenfrei anbieten zu können. Ich hoffe, dass den, die beim Aufhängen ihrer Plakate unsere herunter-
wir eine gemeinsame Lösung dafür finden werden. Un- gerissen haben, das alles umsonst gemacht haben. Das
ser Ziel bleibt es auf jeden Fall, zu machen, was Kurt glaube ich nicht. Mich interessiert, wer diese Nazipartei
Beck in Rheinland-Pfalz begonnen hat. Das soll auch in finanziert. Es muss einmal öffentlich diskutiert werden,
anderen Bundesländern Standard werden. wes Geistes Kind diejenigen sind, die so etwas unterstüt-
(Beifall bei der SPD) zen.

Ein weiteres Thema ist die Frage des Rechtextremis- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN-
mus. Ich finde es eigenartig, dass wir jedes Mal, wenn KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gerade Wahlen stattgefunden haben und Rechtsextreme sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktions-
(B) in Landtage eingezogen sind, darüber diskutieren, wie los]) (D)
wir mit ihnen politisch umgehen, ob wir sie politisch be- Nach einem Jahr großer Koalition ziehe ich für mich
kämpfen müssen. Natürlich müssen wir sie politisch be- und für meine Fraktion das persönliche Fazit: Dieses
kämpfen. Doch glauben Sie etwa, dass die Union, die Bündnis ist weitaus besser, als es von der öffentlichen
SPD und die FDP in Mecklenburg-Vorpommern sie Meinung dargestellt wird. Wenn Zeitungen jetzt Noten
nicht politisch bekämpft haben? Das haben wir gemacht, für Kabinettsmitglieder abgeben, ist das lächerlich. Die-
bei jeder Veranstaltung. Trotzdem sind sie in den Land- ses Bündnis ist besser als sein Ruf. Ich mache mir natür-
tag eingezogen. Also müssen wir uns durchaus überle- lich Sorgen, genau wie alle, die dieser Koalition angehö-
gen, wie wir mit ihnen umgehen und wie wir die Ursa- ren, wie die Meinungsumfragen aussehen. Allerdings
chen bekämpfen. Das sehe ich alles ein. Aber ich will muss man auch sagen: Noch eine Woche vor der letzten
noch einmal klipp und klar sagen: Nach meiner Auffas- Bundestagswahl war die SPD den Meinungsumfragen
sung sind die Wahlergebnisse dieser Partei nur so zu er- zufolge so im Keller und die CDU so weit oben, dass
klären, dass das Nazis sind. Das sind keine Neonazis, niemand von uns auch nur mit einem Stück Brot hätte
das sind Nazis, und wir müssen gegen sie vorgehen. feiern wollen. Herr Westerwelle saß schon auf dem Stuhl
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- neben Frau Merkel.
KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nie!)
sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktions-
los]) – Innerlich, doch, doch. Sie haben sich schon darauf vor-
bereitet, Herr Westerwelle, geben Sie es zu!
Ich lasse mir die Frage der Prüfung eines NPD-Verbots
nicht ausreden. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Der Stuhl
kommt erst noch!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Erstens sage ich Ihnen: Es wird nicht jetzt in Deutsch-
Ich weiß, welche rechtlichen Bedingungen es gibt: Ich land gewählt. Also muss niemand vor lauter Angst zö-
habe mir die Entscheidung aus Karlsruhe durchgelesen. gern, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, die
Ich bin selbst Jurist von Beruf und weiß, was man aus man treffen muss, wenn man regiert.
diesem Urteil alles interpretieren kann. Aber die Rechts-
auffassung von Karlsruhe – dass wir keine V-Leute in Zweitens bin ich fest davon überzeugt, dass die Maß-
diesen Organisationen haben dürfen, wenn das Verfahren nahmen, die wir beschlossen haben – Gesundheitsre-
weitergehen soll – ist absurd. Wie sollen wir Erkennt- form, Arbeitsmarktreform, Steuerreform –, rechtzeitig
nisse über die Verfassungsfeindlichkeit gewinnen, wenn im Jahre 2009 wirken werden, wenn die nächsten
6528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Peter Struck


(A) Wahlen anstehen, sodass die Leute sagen werden, dass (Joachim Poß [SPD]: Quatsch!) (C)
diese große Koalition eine gute Arbeit geleistet hat.
Sie müssen die soziale Marktwirtschaft auch ökologisch
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, dass ihre weiterentwickeln. Sie müssen dafür sorgen, dass in die-
Partei bei der nächsten Bundestagswahl nur dann stark sem Land anders produziert und Mobilität anders er-
werden kann, wenn sie sich gegen die andere Koalitions- reicht wird und dass die Menschen anders wohnen.
fraktion, die CDU/CSU, profiliert. Ich bin der festen Diese Bereiche packen Sie aber überhaupt nicht an. Sie
Überzeugung, dass meine Partei Erfolg hat, wenn die sorgen nicht dafür, dass in den sieben fetten Jahren für
Koalition und die Regierung Erfolg haben. Dafür sieben magere Jahre Vorsorge betrieben wird.
kämpfe ich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wir haben
der CDU/CSU) gerade erst sieben magere Jahre Rot-Grün hin-
ter uns!)
Man wird mir verzeihen, dass ich zum Abschluss
– Sie ruhen sich aus. Herr Raumsauer, wir wären in den
sage: Ich hoffe bei der nächsten Wahl auf das Ergebnis,
sieben Jahren noch weiter gewesen, wenn Sie nicht
das es auch 1969 nach der großen Koalition gegeben hat.
– Bayern vorneweg – zu den Blockierern gehört hätten.
(Heiterkeit bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Wir haben gut zusammengearbeitet und ein Sozialdemo- Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die sieben
krat wurde Kanzler. Frau Bundeskanzlerin, Sie werden mageren Jahre sind an Ihnen persönlich vor-
es mir verzeihen, aber das konnte ich mir nun doch nicht beigegangen!)
verkneifen. Sie geben an, dieses Land sei weiter. Sie rühmen sich
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. damit, den Haushalt saniert zu haben. Ich schaue mir
das einmal an und rechne nach Adam Riese: Sie haben
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Nettokreditaufnahme auf 19,6 Milliarden Euro redu-
ziert. Bei Steuermehreinnahmen von 17,9 Milliarden Euro,
Präsident Dr. Norbert Lammert: Privatisierungserlösen von 9,2 Milliarden Euro und Ein-
nahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung ist eine Redu-
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
zierung der Nettokreditaufnahme um circa 11 Milliarden
nun die Kollegin Renate Künast das Wort.
Euro ein Armutszeugnis.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(B) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es Ich sage Ihnen: Wenn wir Ihre Strategie weiter betrei- (D)
Sie glücklich machen würde, dann könnte ich für die ben würden, dann wären wir relativ sicher erst 2051 am
Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen, Ziel. Das halte ich für ein bisschen wenig. Man könnte
für die Bundesregierung und für die Bundeskanzlerin viel früher einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
einfach dreimal rufen: Ja, ja, ja – ja, die Zahlen sind Dazu müssten Sie allerdings die Einsparpotenziale
glänzend, ja, die Nettokreditaufnahme ist niedriger, ja, – auch bei der Verwaltung – konsequent nutzen. Dann
die Arbeitslosenzahlen sind gesunken. Wenn es denn müssten die Subventionen und die Ausgaben konsequent
helfen würde. gesenkt werden. All das packen Sie aber nicht an.
An dieser Stelle muss ich aber auch Wasser in den Man kann als Fazit feststellen: Sie nutzen zwar die
Wein gießen; denn eines ist doch klar: Sie versuchen Windfall Profits, leisten aber wenige Anstrengungen.
hier, auf einer Welle guter Zahlen zu schwimmen, in Die einzige Anstrengung, die Sie unternommen haben,
Wahrheit streicht diese Koalition aber nur die Reform- besteht darin, eine Unternehmensteuerreform vorzule-
dividende von Rot-Grün ein. gen, die nicht einmal gegenfinanziert ist. Sie entlasten
die Unternehmen, greifen aber mit der Mehrwertsteuer-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – erhöhung wieder dem kleinen Mann in die Tasche.
Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– So ist es. – Frau Merkel, wenn Ihr Vorgänger nicht so
Frau Merkel, Sie haben versucht, uns eine Lehrstunde
nervenschwach gewesen wäre, dann würde er heute hier
in Sachen Rechnen zu geben, um uns allen zu erklären,
stehen und diese Dividende einstreichen. dass bei den Lohnnebenkosten von 40,6 Prozent eine
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Senkung erfolgt sei; wer das nicht errechnen könne, sei
in diesem Hause fehl am Platz.
Herr Steinbrück hatte gestern Recht, als er in seiner
Rede angedeutet hat, dass der Grundstein für diese Re- Ich rechne mit dem, was Sie damals angekündigt ha-
formen – zum Beispiel die Arbeitsmarktreformen – unter ben. Sie haben eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ange-
der Vorgängerregierung gelegt wurde. kündigt und legitimiert, indem Sie gesagt haben, diese
Koalition werde die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) senken. Sie haben zwar die Mehrwertsteuererhöhung be-
schlossen, aber die Lohnnebenkosten nicht gesenkt. Ver-
Sie müssen jetzt erst einmal damit anfangen, anzu- sprochen – gebrochen: Das ist das richtige Fazit.
packen. Unser Kritikpunkt an der jetzigen Situation ist,
dass Sie sie für Deutschland nicht wirklich nutzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6529
Renate Künast
(A) Sie haben das Meisterstück der Koalition – eine Ich muss mich auch über etwas anderes wundern, (C)
Gesundheitsreform – angekündigt. Sie haben gerade Frau Merkel. Wenn Sie über mehr Leistungsbereitschaft
selbst festgestellt, dass es sich dabei nicht um eine Ge- reden und darüber, dass Sie die Leistungsträger unter-
sundheitsreform zugunsten der Strukturen und Anbieter, stützen wollen, dann hören Sie doch auf, ständig über
sondern für die Versicherten handelt. Ich halte Ihnen ent- Leistungsbeschränkungen, Sanktionen und Missbrauch
gegen: Diese Gesundheitsreform war auch für die priva- beim Arbeitslosengeld zu diskutieren! Dann fangen Sie
ten Krankenkassen gedacht, die Sie von Anfang an sa- doch an, dafür Sorge zu tragen, dass die Mittel zur För-
krosankt gestellt haben. Das ist falsch. Sozial geht derung von Langzeitarbeitslosen bei der Bundesagentur
anders, Frau Merkel. abfließen, statt wieder über 2 Milliarden Euro liegen zu
lassen und eine Haushaltssperre für Eingliederungsmittel
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu verhängen! Sie blinken sozial, aber am Ende ist Ihr
Sie haben uns mit der Gesundheitsreform eine Vor- Kurs doch wieder neoliberal.
stellung Ihres monatelangen Herumdokterns und ständi- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
gen Aufschiebens gegeben. Erst haben Sie angekündigt, DIE GRÜNEN)
dass mehr Steuern in das System fließen würden. Dann
wurde das wieder zurückgenommen. Als die Einnahmen Was Ihre Leipziger Rede angeht, schaffen Sie zwar
etwas stiegen, wollten Sie das System doch wieder zum jetzt ein bisschen Distanz dazu, aber das, was Sie hier
Teil aus Steuermitteln finanzieren. Diese Gesundheitsre- anbieten, ist immer noch Leipziger Allerlei.
form und das Herumdoktern in diesem Punkt hat in Sa-
chen Gesundheit in Deutschland nichts Positives be- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE], an das
wegt; die Menschen, die Ihre Arbeit verfolgt haben, sind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Das
eher krank geworden. war ein Gag! Jetzt müsst ihr klatschen! Ihr
habt einen Gag verpasst!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nach einem Jahr großer Koalition ist festzustellen:
Was haben Sie in der Arbeitsmarktpolitik bewirkt? Sie machen eine Politik der kleinen Schritte, von der
Sie haben Unruhe gestiftet. Lassen Sie mich nur auf die man heute kaum weiß, wohin sie geht oder gehen soll.
Vorschläge von Herr Rüttgers zum ALG I eingehen. Sie verständigen sich auf den kleinsten gemeinsamen
Frau Merkel, Sie haben gesagt, Sie wollten Deutschland Nenner. Wenn man genau hinschaut, dann erkennt man,
dienen. An dieser Stelle könnten Sie Deutschland einen dass es immer der kleinste gemeinsame Nenner von
Dienst erweisen, indem Sie nicht darauf verweisen, dass CDU/CSU, SPD und den Unionsministerpräsidenten ist.
Sie den Punkt nicht angehen könnten, weil die SPD das Sie haben noch Anfang dieses Jahres den guten Geist
(B) nicht will, sondern ganz klar feststellen: Wir wollen die von Genshagen, dem Ort, an dem Sie eine Kabinetts- (D)
Vorschläge von Rüttgers nicht umsetzen, weil sie asozial klausur abgehalten haben, beschworen. Ich glaube aber,
sind. dass der gute Geist von Genshagen gar nicht mehr exis-
tiert, sondern dass er eher zum Monster von Wolfrats-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hausen mutiert ist.
Sie sind asozial, weil es in Zukunft wenige Menschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
geben wird, die 45 Jahre durchgehend erwerbstätig sind, Dirk Niebel [FDP]: Ich will Fischer wieder ha-
weil Rüttgers’ Vorschlag ihnen Sand in die Augen streut ben!)
und weil dieser Vorschlag die Situation vieler Menschen
noch verschlechtern würde. Heute reicht es, zwei Jahre – Die Versicherungswirtschaft will Sie nicht wieder ha-
versicherungspflichtig tätig zu sein, um ein Jahr lang ben, Herr Niebel.
ALG I beziehen zu können. Nach Rüttgers’ Vorschlag
muss jemand zehn Jahre versicherungspflichtig tätig Jetzt müsste es eigentlich losgehen. Frau Merkel, Sie
sein, um ein Jahr ALG zu erhalten. haben sowohl in Ihrer heutigen als auch in Ihrer Rede
zuvor klar gesagt: Wir dürfen unsere Zukunft nicht ver-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ brauchen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Mich stört diese
DIE GRÜNEN) reaktive Grundhaltung. „Wir dürfen unsere Zukunft
nicht verbrauchen“ offenbart eine falsche Begrifflich-
Wer von den heute 25- bis 30-Jährigen schafft das denn? keit; denn wir sind mittlerweile in vielen politischen Be-
Rüttgers’ Vorschlag richtet sich, glaube ich, gegen reichen so weit entwickelt, dass es nicht mehr nur um
mehrere Seiten: zum einen gegen die Kanzlerin, die er Reaktion und Nichtverbrauchen geht. Vielmehr müssen
nicht akzeptieren kann, zum anderen gegen die jungen wir an dieser Stelle eine aktive Haltung einnehmen. Wir
Menschen, die erst einmal in den Arbeitsmarkt hinein- müssen uns eine gute Zukunft erst aufbauen. Wir dürfen
kommen müssen, und auch gegen die Frauen, die allein bei den zentralen Themen Klima, Gerechtigkeit und
aufgrund von Erziehungszeiten nicht so leicht auf zehn Kinderförderung nicht nur darauf verweisen, dass wir et-
Jahre versicherungspflichtiger Tätigkeit kommen. was nicht verbauen dürfen. Vielmehr müssen wir Mut,
Kreativität und Kraft haben und uns von alten Lobby-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gruppen lösen, um wirklich etwas aufzubauen. Aber das
sowie bei Abgeordneten der SPD) tun Sie bislang nicht.
Auch dazu kann man nur feststellen: Sozial geht anders. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
6530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Renate Künast
(A) Meine ehrliche Sorge ist, dass Sie Vorbereitungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C)
treffen, um 2007 zu einem Jahr der roten Teppiche und Dirk Niebel [FDP]: Dann können wir aber die
der abgeschrittenen Ehrenformationen zu machen und Kernkraftwerke nicht abstellen!)
im nächsten Jahr lauter 50-Jahr-Feiern zu veranstalten.
Wir brauchen aber für die Europäische Union und insbe- Es reicht nicht aus, dass Herr Gabriel hin und wieder
sondere für Deutschland eine neue Zündungsstufe in der Wenn-dann-Sätze spricht. Also: Wenn die Europäische
Entwicklung. Union entscheidet, dass die CO2-Emissionen um
30 Prozent gesenkt werden sollen, dann werden auch
Ich nenne das Thema Klima als Beispiel. Eines ver- wir … –
wundert sehr: Herr Gabriel ist herumgereist und hat na-
tional und international verkündet, Deutschland wolle Nein, wir brauchen von der zukünftigen Präsident-
eine Vorreiterrolle in Klimafragen einnehmen. Unter die- schaft der EU und der zukünftigen G-8-Präsidentschaft
sem Gesichtspunkt war Ihre heutige Rede mehr als ent- eine klare Aussage – quasi eine Morgengabe –, die lau-
täuschend, Frau Bundeskanzlerin. tet: Deutschland wird die CO2-Emissionen um
40 Prozent reduzieren. Dann lösen Sie Wettbewerb aus
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und dann geben Sie der Wirtschaft einen Schub.
Der Klimawandel findet längst statt. Er ist von einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ökologischen zu einer ökonomischen Katastrophe ge-
worden. Nicholas Stern, ehemaliger Chefökonom der Wir brauchen mehr als nur rhetorische Verrenkungen.
Weltbank, sagt, dass in wenigen Jahren bis zu 20 Prozent Ich höre Ihre Worte, Herr Gabriel, immer gern; denn sie
der globalen Wirtschaftsleistung durch den Klimawan- haben etwas Dynamisches. Sie weisen in die richtige
del aufgefressen werden. Dabei hat er noch nicht einmal Richtung. Uns Grünen aber fehlt, dass den Worten etwas
über Hunger, Migrationsströme und Wetterextreme gere- folgt. Ihre rhetorischen Verrenkungen in den letzten Ta-
det, die unsere Wirtschaft schon heute betreffen. Profes- gen über Ihren NAP II, also die Senkung der CO2-Emis-
sor Schellnhuber, der auch Sie berät, Frau Merkel, hat sionen, die Sie in Brüssel eingereicht haben, waren
gesagt: Wenn wir eine Wende beim Klima noch schaffen schon beachtlich. Die EU-Umweltagentur hat keine
wollen, dann ist heute ein kraftvolles politisches Han- neuen Zahlen gebraucht, um sagen zu können, dass
deln notwendig, weil wir noch circa zehn Jahre Zeit ha- Deutschland beim Klimaschutz kein Vorreiter ist und
ben. – Unter diesem Aspekt haben Sie heute nichts ange- seine CO2-Emissionen weiter reduzieren muss. Diese
boten. Regierung – an vorderster Stelle die Kanzlerin – ist auf-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gefordert, nicht vor der Drohung eines Investitionsboy-
Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das kotts durch die Stromindustrie in die Knie zu gehen. Sie
(B)
ist falsch!) wollten Deutschland dienen. Hier ist der Ort, zu dienen. (D)

– Das ist nicht falsch, auch wenn Sie etwas anderes be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
haupten. Frau Merkel hat in ihrer Rede zwar das Pro- Sie müssen viel ehrgeizigere Ziele beim Emissions-
blem benannt, hat aber keine einzige Maßnahme be- handel festlegen und Sie müssen die Privilegien für
schrieben, die sie ergreifen will. Kohlekraftwerke endlich abschaffen, weil Sie ansonsten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das Gegenteil dessen tun, was Ihr Berater, Herr Profes-
sor Schellnhuber, rät, der gesagt hat, man müsse in den
Das Jahr 2007 muss ein Jahr des Handelns werden. nächsten zehn Jahren aktiv sein, weil sonst die Zeit ver-
Wir brauchen gerade nach Nairobi ein zweigleisiges tan sei. Wir brauchen ehrgeizige europäische Maßnah-
Vorgehen für einen erfolgreichen Klimaschutz. Wir kön- men, einen europäischen Pakt für Klimaschutz und Ver-
nen nicht immer auf das langsame Völkerrecht warten. sorgungssicherheit. Wir brauchen verbindliche Ziele.
Nairobi hat gezeigt, dass die Welt sozusagen auf Leader-
ship wartet. Die Menschen in Afrika zum Beispiel war- Wir Grüne sagen: Wir müssen neue Felder beschrei-
ten darauf, dass jemand Vorreiter für einen wirtschaftli- ten. Da lassen wir uns auch nicht durch Marktanreizpro-
chen Wettbewerb ist, der dazu führt, dass anders gramme, die Sie auflegen, in die Irre führen. Die größten
produziert wird und Rücksicht genommen wird. Wir Millionenzahlungen für Anreizprogramme reichen nicht
müssen unsere CO2-Emissionen senken und lernen, wirt- aus, wenn Sie nicht endlich ein Wärmeeinspeisungsge-
schaftliche Entwicklung und Mobilität ohne CO2-Emis- setz auflegen; denn das ändert die Strukturen und kurbelt
sionen zu denken. Aber dazu haben Sie keinen Vor- die Wirtschaft an.
schlag gemacht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gerade der Mittelstand, der die Arbeitsplätze schafft,
Wer die Wirtschaft in Deutschland und in Europa braucht jetzt eine Effizienzstrategie. Wir haben in die-
weiterentwickeln will, muss beim Klimaschutz techno- sem Haushalt vorgeschlagen, einen Klimaschutzfonds
logisch vorangehen und schneller sein. Wer beim Klima- für das Jahr 2007 einzurichten, den wir später zum Bei-
schutz anführen will, der muss auch bereit sein, voranzu- spiel durch die Versteigerung der Emissionszertifikate
gehen. Das gehört logisch zusammen. Sie müssen speisen wollen.
endlich beschließen, dass Deutschland 40 Prozent seiner
CO2-Emissionen bis 2020 senken wird – komme, was (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto
wolle. Solms)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6531
Renate Künast
(A) Wer dieses Land zum Vorreiter machen will, muss die kostenlosen Kindergarten mit einem Sprachdefizit in die (C)
Möglichkeit nutzen, 10 Prozent der Emissionszertifikate Grundschule kommt.
zu versteigern und die Einnahmen für eine Effizienzstra-
Sie werden sich mit der Finanzierung der Kinderbe-
tegie zu verwenden. Daran wird der Mittelstand verdie-
treuung auseinander setzen müssen. Sie tun so, als könne
nen und dadurch werden neue Arbeitsplätze entstehen.
man beim Kindergeld herumoperieren. Ich habe mir die
Das ist sinnvoller, als über die Abschaffung von Kündi-
Analyse des Bundes der Steuerzahler des Berichts der
gungsschutzregeln zu sprechen.
Bundesregierung zum Existenzminimum angesehen und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kann Ihnen sagen, dass Sie ständig mit Rechentricks ar-
beiten. Sie tun so, als könnten Sie Kindergartenplätze
Mir hat in diesem ganzen Bereich gefehlt, dass Sie kostenlos machen, indem Sie das Kindergeld vielleicht
Vorschläge machen, wie wir wieder zu den alten Stärken nicht erhöhen. Zeitgleich hat Ihr Bundesfinanzministe-
der deutschen Wirtschaft zurückfinden können. Wenn rium die Zahlen systematisch so klein gerechnet – erst-
man sich überlegt, wo die Stärken der deutschen Wirt- mals wird behauptet, es gebe niedrigere Lebenshaltungs-
schaft waren, kommt man sofort auf den Automobilbau. kosten in dieser Republik –, dass es bis Ende 2008
Wir stellen aber fest, dass im Augenblick die modernsten überhaupt nicht zu einer Erhöhung des Kindergeldes
Fahrzeuge nicht in Deutschland hergestellt werden. Wer kommen wird. Verlassen Sie doch endlich Ihr Wolkenku-
aber wieder dahin will, dass moderne und hoch angese- ckucksheim! Kümmern Sie sich um die Sorgen der Men-
hene Fahrzeuge in Deutschland hergestellt werden, der schen, die da heißen: Rechtsanspruch auf einen guten
muss dem Markt Ziele setzen, die er erreichen soll, und Kindergartenplatz.
Regeln geben. Das bedeutet für die Automobilindustrie
eine zeitliche Vorgabe, bis wann der Durchschnittsver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
brauch eines in Deutschland oder in Europa hergestellten Voraussetzung dafür ist zum Beispiel eine komplette
Autos bei 5 Litern oder wann er bei 3 Litern sein muss. Umstrukturierung unserer Bildungslandschaft. Natürlich
Wer da Bewegung schaffen will, muss dafür Sorge tra- müssen die Curricula durch die Länder verändert wer-
gen, dass die Kfz-Steuer nach dem CO2-Ausstoß berech- den. Aber auch Sie müssen eine Leistung vollbringen.
net wird. So macht man eine gute soziale und ökologi- Diese Regierung muss dafür sorgen, dass die Kommunen
sche Marktwirtschaft und nicht, indem man nur Zahlen genug Geld haben, um bei den Kindergartenplätzen über-
benennt. haupt anfangen zu können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt nur einen Weg: Wenn Sie selber sagen, Sie als
Frau Merkel, Sie haben an dieser Stelle über soziale große Koalition seien mutig, dann seien Sie doch so mu-
tig und stellen endlich einmal alte Steuerprivilegien in-
(B) Gerechtigkeit geredet. Sie haben Recht: Eine der zentra- (D)
len Gerechtigkeitsfragen betrifft das Thema Bildung. frage. Nach unserer Meinung ist das Ehegattensplitting,
Aber für die Bildung brauchen wir Durchlässigkeit in das die kinderlose, reiche Ehe privilegiert, nicht mehr zu
den Strukturen, weil es in Deutschland immer noch so legitimieren. Das sind genau die Gelder, die wir in un-
ist, dass der soziale Aufstieg, der Aufstieg in Führungs- sere Kinder investieren müssen.
funktionen, quasi vererbt wird wie im 19. Jahrhundert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie loben sich am Ende der Bildungspyramide, beim
SES 90/DIE GRÜNEN) Thema Hochschulpakt. Ich sage Ihnen aber: Auch der
Hochschulpakt hält nicht, was Sie heute früh verspro-
Ehrlich gesagt, stört uns die Art und Weise Ihres
chen haben. Warum? Weil Sie mit dem Hochschulpakt
Schönheitswettbewerbs um kostenfreie Kitaplätze,
Boni an einige Stadtstaaten geben, zum Beispiel auch an
meine Damen und Herren. Von diesen kostenfreien Kita-
Berlin, damit existente Hochschulplätze erhalten wer-
plätzen werden die Besserverdienenden profitieren, aber
den. Sie kürzen die Gelder um mehr als 20 Prozent, so-
nicht die Kinder dieser Republik. Sie sind an dieser
dass Sie mit Ihrem Hochschulpakt gar nicht 90 000 neue
Stelle auf dem Irrweg.
Studienplätze werden schaffen können. Das ist ein Di-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lemma, weil wir in Wahrheit in den nächsten Jahren
noch mehr Geld als für diese 90 000 neuen Studienplätze
Ich hoffe, dass Sie sich da gegenseitig wieder zurückho- brauchen werden.
len werden.
Wir haben uns in diesem Jahr als konstruktive Oppo-
Die Republik braucht auch keine flächendeckende sition aufgestellt.
Pflasterung mit Modellprojekten, Frau von der Leyen,
sondern diese Republik und die Kinder brauchen nach (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Ihrem Elterngeld einen durchsetzbaren Rechtsanspruch Deshalb will ich an dieser Stelle mit einer Bitte und einer
auf Kinderbetreuung mit einem guten Bildungsangebot. Erwartung an die Bundesregierung enden, die sich auf
Dafür brauchen wir Geld. das Thema Außenpolitik bezieht. Frau Merkel, ich habe
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) positiv aufgenommen, was Sie zum NATO-Gipfel in
Riga gesagt haben, weil ich glaube, dass es genau darauf
Wir brauchen nicht als Erstes Gebührenfreiheit, sondern ankommt. Ich bin froh, dass Sie jetzt endlich einmal die
wir müssen die sprachliche Entwicklung der Kinder för- Stimme erhoben haben und in Richtung NATO-Gipfel
dern. Es nützt doch keinem Kind, wenn es aus einem klar sagen, dass die internationalen Sicherheitsprobleme
6532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Renate Künast
(A) eben nicht allein mit Militär zu lösen sind, sondern dass lungen und Aufgabenzuständigkeiten vorherrschen. Wir (C)
dazu auch zivile Unterstützung und wirtschaftliche Un- haben dafür gesorgt, dass der Staat effizienter wird und
terstützung erforderlich sind. dass wir in der Haushaltspolitik entscheidend vorankom-
men. Was waren das für dramatische Jahre, als wir unter
Ich hoffe, dass Sie diese Strategie weiterführen, dass
der Beobachtung der EU standen. Es wurde immer wie-
Sie laut – auch in Richtung USA – sagen: Das, was im
der die Frage gestellt: Kommen wir da voran oder nicht?
Irak angerichtet worden ist, was unter dem Schild von
Ich wiederhole: Wir haben den Staat effizienter gemacht.
„Enduring Freedom“ im Süden Afghanistans passiert, ist
Wir haben Kräfte für die Regierungsarbeit dadurch frei-
nicht richtig. Ich hoffe, dass Ihre Erwartungen erfüllt
geschaufelt, dass wir den Haushalt konsolidiert haben.
werden. Ich hoffe, dass internationale Sicherheitspolitik
anders betrieben wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Wir haben eine Erwartung in Sachen Nahost – dazu
haben Sie heute nichts gesagt –: dass Sie, Frau Bundes- Wir haben etwas gemacht, was viele von uns schon
kanzlerin, das Nahostquartett wieder beleben. Auch für gar nicht mehr für möglich gehalten haben. In vielen Re-
den Libanoneinsatz gilt: Militär allein wird nicht rei- den haben wir davon gesprochen, dass Bürokratieab-
chen. Wir brauchen Aktivitäten, die geeignet sind, den bau sein muss. Jetzt haben wir ein Instrument zum Bü-
Libanon zu stabilisieren. Wir brauchen die Umsetzung rokratieabbau gefunden. Ich bitte die Bundesregierung,
der Zweistaatenlösung. Wir müssen Syrien konstruktiv sehr darauf zu achten, dass der Normenkontrollrat mit
einbeziehen; sonst wird dieses Unternehmen vor Ort seiner Arbeit vorankommt. Wir erwarten erste Ergeb-
scheitern. nisse im nächsten Jahr. Was die Umsetzung dessen an-
geht, was wir miteinander vereinbart haben, liegen wir
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) genau im Zeitplan.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Kommen Sie bitte zum Schluss. neten der SPD)
Zweitens. Wir stärken den Standort Deutschland
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): durch eine ganze Reihe von Maßnahmen. Vor allem stär-
Frau Bundeskanzlerin, mein Fazit Ihres ersten Jahres ken wir den Mittelstand. Die Bundeskanzlerin hat es
ist: Ihre Zahlen sind zwar gut; aber es ist in Wahrheit die gesagt: Der Blick in unserem Land fällt immer auf die
Reformdividende Ihrer Vorgängerregierung. Mein Aus- DAX-Unternehmen und auf die Entwicklung ihrer Mit-
blick ist: Das Jahr 2007 darf nicht das Jahr der roten Tep- arbeiterzahlen. Aber die große Leistung, Arbeitsplätze
zu schaffen, wird nicht von den großen Unternehmen er-
(B) piche sein. Sie haben große Aufgaben auf dem Gebiet (D)
des Sozialen und des Ökologischen zu lösen, damit die- bracht, sondern von den vielen kleinen und mittelständi-
ses Land Vorreiter beim Klimaschutz ist und damit hier schen Betrieben. Ihnen sind wir dafür dankbar. Wir hel-
neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir Grüne er- fen ihnen auch durch konkrete gesetzliche Maßnahmen
warten von Ihnen, dass Sie nicht nur über die Fakten re- dabei, dass sie ihre Arbeit für unser Land leisten können.
den, sondern diese Dinge wirklich anpacken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/ neten der SPD – Widerspruch bei der FDP)
DIE GRÜNEN) – Dazu brauchen wir auch die FDP. Ich weiß gar nicht,
warum Sie uns an diesem Punkt so kritisch gegenüber-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: stehen. Wir machen genau das, was wir im letzten Jahr
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CDU/CSU- vereinbart haben: eine Unternehmensteuerreform und
Fraktion, Volker Kauder. eine Erbschaftsteuerreform. Ich lade Sie ein, bei Vorha-
ben mitzumachen, die auch Sie, meine lieben Kollegin-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen und Kollegen von der FDP, in Ihrem Wahlprogramm
neten der SPD) 2005 postuliert haben.

Volker Kauder (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Wir haben eine Mittelstandsinitiative und ein Investi-
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem tionsprogramm auf den Weg gebracht. Das sind alles
Jahr regiert die große Koalition in Deutschland und wir richtige Dinge, mit denen wir den Standort Deutschland
können feststellen: Wir bringen unser Land voran. und insbesondere den Mittelstand stärken. Damit leisten
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wir einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit. Die Zahlen sind genannt worden. Man
Dies hat natürlich etwas mit der Arbeit dieser Bundesre- kann sie gar nicht oft genug nennen; denn nach fast ei-
gierung und dieser Koalition zu tun. Vier Punkte sind nem Jahrzehnt ist in diesem Bereich eine Trendwende
entscheidend dafür, dass in unserem Land ein neuer Op- erkennbar. Das ist auch für die Menschen ein wirkliches
timismus entstanden ist. Hoffnungszeichen. So habe ich in den letzten Tagen eine
junge Frau getroffen,
Erstens. Wir machen den Staat effizienter. Wir haben
die Föderalismusreform durchgebracht und dafür ge- (Zurufe von der FDP: Oh! – Zurufe von der
sorgt, dass in unserem Land wieder klare Aufgabentei- LINKEN: Aha!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6533
Volker Kauder
(A) die seit vielen Jahren in meine Bürgersprechstunde Wir sorgen dafür, dass die Polizei ihre Kontrollaufgaben (C)
kommt. In der ganzen Zeit hat sie einen Jobverlust nach über entsprechend zur Verfügung gestellte Dateien bes-
dem anderen erlebt. Sie hat mir nun gesagt: Herr Kauder, ser als bisher wahrnehmen kann.
es bewegt sich etwas; zum ersten Mal seit Jahren be-
komme ich wieder Einladungen zu Vorstellungsgesprä- Es ist auch völlig klar – das müssen wir den Men-
chen. Das sind Hoffnungszeichen in unserem Land, die schen in unserem Land immer wieder sagen –: Innere Si-
auf unsere Politik zurückgehen. cherheit kann nicht nur durch gesetzliche und polizeili-
che Maßnahmen in unserem Land gewährleistet werden,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sondern innere Sicherheit hat auch etwas mit äußerer
neten der SPD) Sicherheit zu tun. Wir müssen deshalb überall dort, wo
Drittens. Wir fördern den Zusammenhalt in unserer NATO bzw. UNO den Eindruck haben, dass eine Befrie-
Gesellschaft. Dafür tun wir zunächst einmal etwas für dung stattfinden muss, unseren Beitrag leisten. Das
unsere Familien. Diese sind die entscheidenden Einrich- macht die Bundesregierung auch. Die Bundeswehr hat
tungen, wo Zusammenhalt in unserer Gesellschaft erleb- dabei einen schweren Auftrag. Wir alle wissen, dass wir
bar wird. Hier gibt es Hilfe und Unterstützung auch in es uns nicht leicht machen mit der Entscheidung, unsere
den Wechselfällen des Lebens. Deswegen bin ich außer- Soldatinnen und Soldaten an einen Brennpunkt zu schi-
ordentlich dankbar, dass die Bundesregierung ein Bün- cken.
del von Maßnahmen zugunsten der Familien initiiert hat. Aber noch viel schwerer haben es diejenigen, die un-
Ganz entscheidend in diesem Zusammenhang ist auch sere Entscheidung auszuführen haben. Deswegen sind
– Peter Struck hat es angesprochen –, dass Frau von der wir ihnen außerordentlich dankbar; ohne ihren Einsatz,
Leyen für die Bundesregierung eine Aufstellung darüber den sie draußen in der Welt leisten, könnten wir innere
vorlegen wird, was wir insgesamt für die Familien aus- Sicherheit in unserem Land nicht garantieren. Herzli-
geben. So wird klar, wie viel wir für Familien tun. Es ist chen Dank an die Soldatinnen und Soldaten unserer
nämlich nicht so – wie manchmal der Eindruck erweckt Bundeswehr!
wird –, dass wir kaum etwas für Familien in unserem
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Land täten. 150 Milliarden Euro geben wir für familien-
politische Leistungen aus. Das ist eine stolze Förder- Wenn man sich diese Bilanz nach zwölf Monaten gro-
summe. Wir wollen prüfen, wie wir das Geld noch bes- ßer Koalition anschaut, muss man sagen: Diese Regie-
ser als in der Vergangenheit einsetzen können. rung hat erfolgreiche Arbeit geleistet. Frau Bundeskanz-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lerin, herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank für
die ersten zwölf Monate der großen Koalition!
(B) Die Förderung des Zusammenhaltes unserer Gesell- (D)
schaft geschieht auch, indem wir uns mit einem ganz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wichtigen Thema befassen, das, wie ich glaube, in der neten der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Noch
Vergangenheit nicht mit dem notwendigen Nachdruck mehr Blumen!)
bearbeitet worden ist. Wir fördern nämlich den Zusam-
Wir werden diesen Erfolgskurs fortsetzen. Wir wer-
menhalt, indem wir uns massiv um Integration in unse-
den dafür sorgen, dass wir die Ziele, die wir uns gesetzt
rem Land bemühen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
haben, auch erreichen; wir werden sie konsequent ver-
hat von Anfang an darauf verwiesen, dass sich unsere In-
folgen.
tegrationsbemühungen an all diejenigen wenden, die
nicht in die Gesellschaft unseres Landes integriert sind. Das ist zum einen die Haushaltskonsolidierung. Es
Dabei handelt es sich beispielsweise um Kinder aus Mi- gibt kein besseres Beispiel dafür, dass wir es mit der
grantenfamilien, aber auch um Kinder aus deutschen Fa- Haushaltskonsolidierung wirklich ernst meinen, als die
milien, die aus ihrem familiären Umfeld keine oder nur geringste Nettokreditaufnahme seit der deutschen Ein-
wenig entsprechende Erziehung und Hilfe bekommen. heit in diesem Haushalt 2007. Das ist fast eine Halbie-
Der kürzlich stattgefundene Integrationsgipfel, der in rung der Nettoneuverschuldungen der vergangenen
verschiedener Weise seine Fortsetzung findet und im Jahre. Das ist eine großartige gemeinsame Leistung die-
nächsten Jahr konkrete Ergebnisse bringen wird, zeigt, ser die Koalition tragenden großen Volksparteien. Ich
wie ernst wir diese Sache nehmen. Wir nehmen die Sa- sage den Haushältern und natürlich auch dem Bundes-
che auch deshalb ernst, weil wir von Anfang an gewusst finanzminister herzlichen Dank für diese Arbeit.
haben – das haben wir auch immer gesagt –, dass das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Gesäusel von der multikulturellen Gesellschaft Men- neten der SPD)
schen nicht in die Gesellschaft integriert, sondern Men-
schen aus der Gesellschaft ausschließt. Deshalb machen Wir werden die Föderalismusreform weiter voran-
wir nun etwas ganz anderes mit dem von uns eingeschla- bringen. In der Föderalismusreform II müssen die Fi-
genen Integrationskurs. nanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu gere-
(Beifall bei der CDU/CSU) gelt werden. Auch in diesem noch schwierigeren Gebiet
als bei der Föderalismusreform I muss die große Koali-
Viertens. Wir nehmen innere Sicherheit ernst. Mit- tion zeigen, dass sie Kraft hat; denn wenn es ums Geld
tels eines ganzen Pakets an gesetzlichen Maßnahmen ha- geht, hört die Freundschaft ja bekanntlich grundsätzlich
ben wir die Terrorismusbekämpfung vorangetrieben. auf.
6534 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Volker Kauder
(A) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen, sind wichtig und von zentraler Bedeutung. Aber (C)
NEN]: Nein, da fängt die Freundschaft erst die größte Herausforderung, vor der wir stehen – wenn
an!) wir sie nicht bestehen, verlieren alle anderen Fragen an
Bedeutung –, ist die Globalisierung in der Welt. Die
– Frau Künast, Sie können sich daran beteiligen, indem Bundesregierung und die große Koalition stellen sich
Sie an der Kommission teilnehmen, die wir einrichten. dieser Herausforderung.
Auf Länderebene sind Sie ja überall verschwunden; des-
wegen müssen Sie sich auf Bundesebene an diesem Wir wissen – so hat es Michael Stürmer vor wenigen
Thema beteiligen. Tagen bei einer Vorstellung seines neuen Buches „Welt
Wir verfolgen weiter unsere Ziele. Wir haben gesagt, ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben?“ gesagt –,
wir konsolidieren nicht nur den Haushalt, sondern auch dass die Globalisierung kein Mitleid hat. Aufstrebende
die sozialen Sicherungssysteme. Da steht vor uns eine Nationen mit einer jungen Altersstruktur drängen nach
Aufgabe: die Pflegeversicherung. Wir haben miteinan- vorne. Deswegen wäre es die völlig falsche Botschaft,
der vereinbart, bei der Pflegeversicherung ein deutliches wenn wir sagen würden – das kann man manchmal von
Zeichen im Sinne der Nachhaltigkeit auch an die junge ganz links hören –: Wir müssten uns abschotten, wir
Generation zu geben. Es gibt gerade eine Diskussion in müssten dichtmachen und schauen, dass wir intern vor-
der Fraktion der SPD und auch bei uns, ob das Thema ankommen. Diese Defensivstrategie wird uns nicht zum
Nachhaltigkeit stärker verankert werden müsste. Da Erfolg führen. Deshalb ist es richtig, dass wir in die Of-
kann ich nur sagen: Wenn wir diese Diskussion führen, fensive gehen und sagen: Wir haben den Mut, diesen
dann sollten wir bei der Pflegeversicherung, deren Re- Wettbewerb anzunehmen. Wir trauen uns zu, diesen
form wir jetzt miteinander vorantreiben, ein Zeichen da- Wettbewerb zu gewinnen. Das ist die Botschaft. Wer
für setzen, dass es uns wirklich ernst ist. Das kann nur keinen Mut hat und in die Defensive gedrängt wird, der
heißen: kapitalgedeckte Elemente in der Pflegeversiche- wird diesen Wettbewerb nicht gewinnen.
rung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. neten der SPD)
Dr. Guido Westerwelle [FDP])
Den Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung wer-
Wer Nachhaltigkeit will, muss dieses Thema ernst neh- den wir natürlich nur dann gewinnen, wenn wir die Men-
men. So steht es auch in der Koalitionsvereinbarung. schen mitnehmen. Es ist richtig, dass sich Menschen in
unserem Land Sorgen machen, wie es mit ihnen weiter-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben geht. Bis weit hinein in den Mittelstand machen sich
gesagt, dass wir das Thema Sicherheit ernst nehmen. Menschen Sorgen, ob sie ihren Arbeitsplatz behalten. (D)
(B) Weil das so ist, wissen wir auch – Peter Struck und die
Unsere Antwort darauf lautet: Wir haben in der Bundes-
Bundeskanzlerin haben bereits darauf hingewiesen –, republik Deutschland ein System sozialer Absicherung,
dass wir Sicherheit nicht allein und ausschließlich mit das seinesgleichen in der ganzen Welt sucht. Wir wollen
militärischen Einsätzen schaffen können. Wir brauchen trotzdem immer wieder neu überlegen, wie wir dieses
ein politisches Konzept. Ich weiß aus meiner Fraktion, System noch besser machen können.
dass es uns leichter fällt, die notwendigen Einsätze der
Bundeswehr und deren Verlängerungen zu beschließen, An dieser Stelle muss man auch einmal sagen: Fast
wenn wir sehen, dass es über den Einsatz hinaus zu poli- 30 Milliarden Euro für Hartz IV sind kein Pappenstiel.
tischen Aktivitäten mit Perspektiven für das Land Da kann niemand sagen, diese Republik sei nicht sozial.
kommt. Diese Republik tut wirklich vieles, um denjenigen, die
Deswegen bin ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, au- aus der Bahn geraten sind, zu helfen. Natürlich kann
ßerordentlich dankbar, dass Sie auch beim NATO-Gipfel man immer mehr machen. Aber mehr machen kann man
in Riga jetzt so vehement auf dieses Thema eingehen. erst dann, wenn wieder mehr Geld in der Kasse ist. Des-
Ich weiß sehr wohl, dass es eine Diskussion – sie hat wegen ist der entscheidende Punkt: Wirklich sozial ist
nicht ausschließlich etwas mit den Amerikanern zu tun – das, was Arbeit schafft. Denn Arbeit gibt den Menschen
darüber gibt, inwieweit die NATO ein Militärbündnis ist Perspektiven.
und inwieweit sie auch politische Aufgaben zu überneh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
men hat. Aber wenn ich sehe, was gerade die Bundes- neten der SPD und der FDP)
wehr – dafür, Franz Josef Jung, herzlichen Dank – neben
den eigentlichen militärischen Aufgaben tut, um das Herr Vizekanzler, es ist richtig, wie Sie auf diese He-
Land voranzubringen, dann muss ich sagen: Wenn es rausforderungen reagieren. Mit uns zusammen wollen
stimmt, dass nach einem militärischen Einsatz auch poli- Sie sich die Gruppen von besonders betroffenen Men-
tische Konsequenzen folgen müssen, dann muss sich die schen anschauen. Beispielsweise haben es die über
NATO fragen, ob sie nicht auch dazu einen Beitrag leis- 50-Jährigen und die unter 25-Jährigen besonders schwer,
ten muss. Auf diesem Weg, Frau Bundeskanzlerin, un- Arbeit zu bekommen. Ich weiß, dass Sie sich in einer
terstützen wir Sie nachhaltig. Diskussion über den Kombilohn befinden. Im nächsten
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Jahr wird es entsprechende Vorschläge geben. Das zeigt,
die große Koalition lässt die Menschen in unserem Land,
All diese Fragen, die wir in der Innenpolitik sowie in die Sorgen und Probleme haben, eben nicht allein und
der Außen- und Sicherheitspolitik miteinander bespre- reagiert nicht mit alten Hüten, sondern sie reagiert mit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6535
Volker Kauder
(A) neuen Instrumenten auf die Herausforderungen, um den nem geringeren CO2-Ausstoß Energie zu erzeugen? Das (C)
Menschen in unserem Land zu helfen. wird das entscheidende Thema sein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU)
neten der SPD) Herr Kollege Westerwelle, da Sie so platt ein Stich-
Die Globalisierung hat, wie gesagt, kein Mitleid. Des- wort zugerufen haben, sage ich Ihnen: Das ganz Ent-
wegen müssen wir sie annehmen und den Menschen scheidende ist – das wird auch in dieser großen Koalition
auch Mut machen. Denn nur derjenige, der den Men- ernst genommen –, dass wir wieder ohne ideologische
schen Mut macht, wird diesen Wettbewerb gewinnen. Vorbehalte Energieforschung betreiben. Das geschieht
Ich will in diesem Zusammenhang auf ein zweites be- und das wird unserem Land Zukunft bringen.
merkenswertes Buch hinweisen. Es handelt sich um ein (Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel
Buch von Gabor Steingart, in dem diese Thesen eben- [FDP]: Jubel bei der SPD!)
falls enthalten sind. Es lohnt sich also bei Stürmer und
Steingart einmal nachzulesen. Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Globali-
sierung einen letzten Punkt ansprechen. Natürlich
Wie können wir die Globalisierung gewinnen? Wir kommt es ganz entscheidend darauf an, dass wir zum ei-
brauchen eine dynamische Gesellschaft. Ob uns dies nen denjenigen in unserem Land helfen, die von der Glo-
angesichts der Demografie in unserem Land gelingen balisierung betroffen sind, und zum anderen die vorhan-
wird, hängt davon ab, ob wir eine dynamische Jugend denen Mittel einsetzen, um neue Chancen zu schaffen.
haben. Deswegen ist das, was die Regierungskoalition Globalisierung heißt, die einen mitzunehmen, den ande-
macht, völlig richtig. Sie setzt Zeichen, indem sie Aus- ren aber die Möglichkeit zu geben, etwas zu tun, sich im
bildungsmöglichkeiten für die junge Generation schafft. Wettbewerb zu bewähren. Erst wenn wir das richtig hin-
All das, was dank Annette Schavan in der Forschungs- bekommen und geschafft haben und dann neue Arbeits-
und Hochschulpolitik passiert, ist das richtige Signal im plätze geschaffen werden, werden wir den Wettbewerb
Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung. gewinnen. Es wird nicht ausreichen – das können wir gar
nicht schaffen –, mit immer mehr Geld nur den sozialen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Status absichern zu wollen, ohne gleichzeitig darüber
neten der SPD) nachzudenken, wie wir im Wettbewerb für neue Arbeits-
Eines der ganz ernsten Themen im Rahmen des Wett- plätze sorgen. Da brauchen wir mehr Selbstständigkeit,
bewerbs innerhalb der Globalisierung betrifft – darauf mehr Freiheit, mehr Kreativität, all das, was die Bundes-
hat die Bundeskanzlerin hingewiesen – die Frage der kanzlerin in ihrer Regierungserklärung heute Morgen
angesprochen hat.
(B) Energie. Wir müssen alles daransetzen, hier stärker vo- (D)
ranzukommen. Wir müssen für mehr Unabhängigkeit Es ist völlig klar, dass man angesichts dieser Heraus-
von Energie sorgen. forderungen eine starke und große Regierungskoalition
(Zuruf von der FDP: Sehr wahr!) braucht. Diese große Koalition kann nach dem ersten
Jahr sagen: Wir haben etwas miteinander erreicht. Peter
Deshalb ist es richtig, dass wir Energie sparen und Struck hat es angesprochen: Fast 40 Jahre lang haben
uns für eine bessere Energieeffizienz einsetzen. Es ist sich die beiden großen Volksparteien in vielen Wahl-
auch richtig, dass die Wirtschaft darüber nachdenkt, wie kämpfen politisch bekämpft. Gerade im letzten Wahl-
Produktionsverfahren energieeffizienter gestaltet werden kampf haben wir uns nichts geschenkt; auch das sollte
können. Wir sind dafür, dass man die regenerativen man einmal klar sagen. Dann haben wir das Wahlergeb-
Energien weiter fördert. Gerade vor dem Hintergrund nis gesehen und uns war völlig klar, dass wir miteinan-
des Klimagipfels und der klimatischen Probleme müssen der eine große Verantwortung tragen, dass es nicht mehr
wir im Rahmen der Energieversorgung einen Beitrag darum geht, ob nun CDU, CSU oder SPD in eine Regie-
dazu leisten, dass wir weniger CO2 ausstoßen. rung kommen, sondern darum, diesem Land eine gute
Regierung zu stellen.
Bei allem Sparen, bei allen regenerativen Energien
vom Windrad bis zur Wasserkraft – das alles ist in Ord- (Jürgen Koppelin [FDP]: Ja, das ist wahr!)
nung und sollte vor allem in der Region eingesetzt wer- Da war die Zusammenarbeit zwischen den drei großen
den, wo dies möglich ist – dürfen wir uns selber und Volksparteien CDU, CSU und SPD
auch den Menschen keinen Sand in die Augen streuen.
Das alles wird nicht ausreichen, um einer großen Indus- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
trienation im globalen Wettbewerb eine ausreichende NEN]: Es werden immer mehr und sie werden
Energieversorgung sicherzustellen. Ich kann nur sagen: immer größer!)
Wenn wir das Problem des CO2-Ausstoßes ernst neh- ohne Alternative.
men, dann dürfen wir nicht zulassen, dass bei der Ener-
gieerzeugung immer mehr CO2 ausgestoßen wird. Jetzt muss ich sagen: Koalitionen brechen in aller Re-
gel immer dann – dies ist auch vor dem Hintergrund der
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Meinen Sie die Geschichte klar –, wenn die handelnden Personen nicht
Kernenergie?) mehr miteinander können.
Dann müssen wir uns überlegen: Was können wir neben Über Sachfragen kann man reden. Da gibt es auch
dem Einsatz von regenerativen Energien tun, um bei ei- Punkte, bei denen man sich eingestehen muss, dass man
6536 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Volker Kauder
(A) nicht zusammenfindet. Wir haben jeder für sich in der (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der (C)
großen Koalition unsere persönlichen und politischen LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr
Überzeugungen nicht aufgegeben, aber ich bin im Inter- Westerwelle, Sie verbrauchen Ihre Zeit!)
esse unseres Landes dankbar, dass es gelungen ist, dass
Diejenigen, die schon etwas länger im Deutschen
Peter Ramsauer und ich ein so gutes und vertrauensvol-
Bundestag dabei sind, haben schon so manches Déjà-vu-
les Verhältnis zu Peter Struck haben.
Erlebnis gehabt. Die Bundeskanzlerin hat hier genauso
(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/ wie in den Zeitungsanzeigen auf Kosten der Steuer-
CSU]) zahler all das, was es an positiven Ereignissen in diesem
Jahr in der Tat gegeben hat – vom Wirtschaftswachstum
Manche fragen: Wie ist denn das gelungen, ihr habt bis hin zur Fußballweltmeisterschaft –, für sich rekla-
euch doch so bekämpft? Dazu kann ich nur sagen: Das, miert. Ich glaube, Frau Bundeskanzlerin, dass der Erfolg
was wir vorleben, ist ein Beispiel dafür, wie wir auch in der Fußballweltmeisterschaft völlig ohne Ihr Zutun zu-
Zukunft Politik in der großen Koalition gestalten wer- stande gekommen ist. Das ist allerdings in den Tagen der
den: Zuerst kommen die Menschen, dann kommt das großen Koalition eine gewagte Behauptung.
Land, dann kommen die Parteien und ganz zum Schluss
komme ich. Weil wir wissen, dass das so ist, überwinden (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wir manches, was uns über 40 Jahre hinweg getrennt hat. der LINKEN)
Wir geben unsere Grundüberzeugungen nicht auf, aber Ich möchte Sie, meine sehr geehrten Damen und Her-
wir haben im Interesse unseres Landes in der Regierung ren, daran erinnern, dass wir das alles schon einmal vor
und in der großen Koalition zusammengefunden. Dafür, sechs Jahren erlebt haben. Sie haben zu Recht darauf
Peter Struck, ein herzliches Dankeschön. hingewiesen, die jetzigen Daten seien die besten Wirt-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – schaftswachstumsdaten seit 2000. In großer Beschei-
Abg. Volker Kauder [CDU/CSU] begibt sich denheit haben Sie darauf aufmerksam gemacht, dass das
zum Platz des Abg. Dr. Peter Struck [SPD] eigentlich Ihr Verdienst sei.
und dankt ihm persönlich) Der Altbundeskanzler, Gerhard Schröder, hat im Mai
2000, als er noch regierte und nicht Memoiren schrieb,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: in diesem Hohen Haus fast wortgleich dasselbe vorgetra-
Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der FDP, gen:
Guido Westerwelle. Die Arbeitslosenzahlen sind im April dieses Jahres
(Beifall bei der FDP) … um exakt 156 000 zurückgegangen. Wir sind un-
(B) ter der 4-Millionen-Grenze. Wir haben alle Chan- (D)
cen …, am Ende dieser Legislaturperiode weniger
Dr. Guido Westerwelle (FDP): als 3,5 Millionen Arbeitslose zu haben.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Nach der Anzeigenserie, die Sie als Bundesregie- Anschließend hat er das als zentralen Erfolg seiner Re-
rung am Montag auf Kosten der Steuerzahler in allen gierung ausgegeben.
großen Blättern gestartet haben, war es zu erwarten, dass Genau das ist die Gefahr, die mit der konjunkturellen
Sie den Versuch wagen würden, aus der Haushaltswoche Aufhellung verbunden ist. Ich fürchte, Sie glauben da-
eine Art Festspielwoche der Koalition zu machen. ran, dass Sie etwas mit dem Wirtschaftswachstum zu tun
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist doch haben.
schön!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)
Besonders bemerkenswert hat das der Kollege Kauder Ich fürchte, Sie glauben wirklich daran.
vorgemacht. Ihre Rede, Herr Kollege Kauder, kann man
eigentlich wie folgt zusammenfassen: Erste Abteilung: (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja!)
Merkel ist die Größte. Zweite Abteilung: Ich mag Peter Das ist das Tragische in diesem Land; denn Politik be-
Struck. ginnt mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit.
(Beifall bei der FDP – Dr. Peter Struck [SPD]: (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])
Ist doch gut! – Joachim Poß [SPD]: Das sind
zumindest Botschaften! Sie haben ja keine Das Wirtschaftswachstum in Deutschland hat mit vielem
Botschaft!) etwas zu tun: in der Tat auch mit der Fußballweltmeister-
schaft, vor allem aber mit der Weltwirtschaft und sogar
Deswegen verstehe ich auch die Anmerkung von mit dem milden Herbst. Ich sage Ihnen eines: Mit Ihnen,
Herrn Struck in Ihre Richtung. Dass Sie der Bundes- der Koalition, hat das zuallerletzt etwas zu tun.
kanzlerin Blumen überreicht haben, war heute wichtig
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
und unverzichtbar. Warum Sie ihm oder er Ihnen keine
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/
Blumen gebracht hat, hat der Kollege Struck folgender-
DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/
maßen begründet: Sie schenken sich keine Blumen, son-
CSU]: Aber mit der guten Opposition!)
dern gehen lieber gemeinsam einen trinken. Das kann
ich verstehen; denn nüchtern ist diese Lobhudelei nicht Deswegen ist das Phänomen, dass man sich mit frem-
zu ertragen. den Federn schmückt, zu Recht ein außerordentlich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6537
Dr. Guido Westerwelle
(A) gefährliches. Wir wissen ja, wie das mit Schröder wei- Gesamtausgaben, in Investitionen. Dann wundern sich (C)
tergegangen ist. Danach waren wir bei mehr als 5 Mil- viele Bürger darüber, dass es zum Beispiel beim Stra-
lionen Arbeitslosen, ßenausbau nicht vorangeht, dass die Straßenzustände
schlechter werden. Das alles sind Auswirkungen dessen.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das wird
nicht so kommen!) Die fleißigen Mitglieder des Haushaltsausschusses,
die das viel besser beurteilen können, legen die entspre-
weil Sie damals Ihre Hausaufgaben nicht gemacht ha- chenden Zahlen vor. Dann staunt man darüber, dass zum
ben. Auch jetzt wiegen Sie sich in der Sicherheit einer Beispiel der Etat für Investitionen in den Autobahnaus-
trügerischen Ruhe und schmücken sich mit fremden Fe- bau zurückgeht. Das finde ich bemerkenswert vor dem
dern. Hintergrund dessen, was die Union in der Zeit, als sie
Dazu hat der griechische Philosoph Äsop einmal ein noch in der Opposition war, immer über Infrastruktur ge-
wunderschönes Gleichnis aufgeschrieben: sagt hat. Mit Verlaub, ich hätte mir niemals vorstellen
können, dass eine Regierung unter Beteiligung der Grü-
Eine eitle Krähe wollte schöner sein, als sie wirk- nen mehr Geld für Autobahnen ausgibt als eine CDU-ge-
lich war, und zierte sich mit allerlei bunten Federn führte Bundesregierung.
von anderen Vögeln … Allein um die Eitelkeit zu
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
bestrafen …, der LINKEN)
(Joachim Poß [SPD]: Dann wissen Sie ja, wor- Neben dem niedrigen Investitionsanteil des Haushalts
über Sie reden!) beläuft sich die Neuverschuldung auf fast 20 Milliar-
fielen diese über sie her und entrissen ihr nicht nur den Euro. Dafür wollen Sie dann auch noch gelobt wer-
die geraubten Federn, sondern auch einen Teil ihrer den. Das ist das Nächste. Sie wollen allen Ernstes dafür
eigenen. Armseliger wie vorher, stand sie nun wie- gelobt werden, dass Sie das Grundgesetz der Bundesre-
der da … publik Deutschland in Art. 115 einhalten möchten. Sie
wollen allen Ernstes dafür gelobt werden, dass Sie den
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Autobiogra- Maastrichter Vertrag einhalten.
fisch!)
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Von Ihnen
Die Lehre ist: nicht!)
Prahle nie mit erborgtem Schimmer, Spott ist sonst Wenn die Regierung Recht und Gesetz einhält, will sie
dein Lohn. dafür gelobt werden! Wenn das so weitergeht, werden
die Bürger demnächst nur, weil sie sich rechtstreu ver-
(B) Was Schröder passiert ist, wird auch Ihnen passieren, halten, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. (D)
wenn Sie so weitermachen, Frau Bundeskanzlerin.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der LINKEN – Hartmut Koschyk [CDU/ Das ist doch eine völlige Realitätsverdrängung.
CSU]: Man merkt, wie Westerwelle leidet,
Dann muss die Bundeskanzlerin allen Ernstes auch
dass er nicht dabei ist! Wie gern wäre er in der noch ihr gestriges Geburtstagserlebnis anführen, das wir
Regierung!) gemeinsam gehabt haben. Es war auch sehr schön beim
Deswegen wollen wir in der Haushaltswoche einmal Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Hand-
den Blick auf die Fakten lenken. Die Haushaltszahlen werks. Sie haben gesagt, man habe den Reden, die ges-
sind in dieser Woche der entscheidende Punkt. Man tern Abend auf dem Geburtstagsempfang des ZDH ge-
muss unserer Bevölkerung, unserem Volk eines noch halten wurden, entnehmen können – im Unterschied zu
einmal sehr deutlich machen: Wenn Sie in den Zeitungen den Berichten der Damen und Herren Journalisten –, wie
lesen, verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Re- die Menschen in diesem Land die Realität sehen. Ich
gierung würde sparen, meint die Regierung Folgendes: persönlich finde diese Realitätsverdrängung bemerkens-
Sie gibt in diesem Jahr 9 Milliarden Euro mehr Geld aus. wert; ich fürchte nur, dass das immer so weitergehen
So viel Geld wie im nächsten Jahr hat der Bund noch wird. Welche Reaktion erwarten Sie eigentlich vom Prä-
niemals in der Geschichte der Republik ausgegeben. Von sidenten des Zentralverbandes des Deutschen Hand-
Jahr zu Jahr mehr Geld auszugeben, ist jedoch das Ge- werks, wenn Sie als Bundeskanzlerin ihm zum 65. Ge-
burtstag gratulieren? Dass er in seinen Dankesworten
genteil von Sparen!
über Sie herzieht?
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja
(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)
Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] –
Joachim Poß [SPD]: Jetzt wird’s dumm!) Das können Sie doch nicht ernsthaft als Realität wahr-
nehmen. Geburtstagsreden werden jetzt schon zu Kron-
Sie erläutern: Ja, aber es seien viele Investitionen ge- zeugen Ihrer Politik! Meine Güte, wo seid ihr angekom-
tätigt worden. Von diesen 270 Milliarden Euro – das men?
Haushaltsbuch ist ja bekanntermaßen das Schicksals-
buch unserer Nation – fließen nach Ihren eigenen Anga- (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie
ben gerade einmal – auch das muss man unserer Bevöl- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
kerung, den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sagen – GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Übler
24 Milliarden Euro, wohlgemerkt: von 270 Milliarden Euro Stil!)
6538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Guido Westerwelle


(A) Ich habe das mitbekommen. Ich war dabei und habe das Wollen wir doch einmal in der Bevölkerung fragen, (C)
selbst gehört. zum Beispiel, ob sie der Meinung ist, dass wir in diesem
Jahr wieder 60 Millionen Euro Entwicklungshilfe an
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Und Sie sind China zahlen sollen. Das ist das Land, das zur Jahres-
nicht gelobt worden! Das ist Ihr Problem!) wende Schlagzeilen damit gemacht hat, dass es jetzt den
– Herr Kollege, Sie haben völlig Recht, das ist mein Pro- Weltraum erobern will. 300 Millionen Euro deutsche
blem. Es ist gut, dass Sie mir das noch einmal gesagt ha- Steuergelder sind in den letzten drei oder vier Jahren
ben. Vielen Dank dafür. nach China geflossen.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Bezogen auf Weltwirtschaft und Globalisierung kann
Abgeordneten der LINKEN) ich nur sagen – das adressiere ich auch an den Kollegen
Kauder –: Wir sitzen längst nicht mehr auf dem hohen
Kommen wir von der Schönfärberei zur Realität zu- Ross der Zahler. Wir müssen begreifen, dass das konkur-
rück. Gesamtstaatlich kommen über 20 Milliarden Euro rierende Volkswirtschaften sind. China hat vor zwei
mehr in die Kassen. Auf den Bund entfallen 9 Milliar- Wochen mit den afrikanischen Ländern einen Entwick-
den Euro. Statt dass Sie dieses Geld, wie übrigens ange- lungshilfegipfel durchgeführt und dort öffentlichkeits-
kündigt, in den Schuldenabbau stecken, wirksam, mit Blick auf die afrikanische Öffentlichkeit,
(Zuruf von der CDU/CSU: Machen wir doch!) Gelder verteilt, nimmt aber von uns Entwicklungshilfe-
gelder an. China macht uns beim Transrapid und bei den
verteilen Sie es auf die verschiedensten Bereiche. Nur modernen Technologien in den Bereichen Weltraum und
mit einem kleinen Teil, nämlich mit 2,4 Milliarden Euro, Luftfahrt Konkurrenz. Wir sind längst nicht mehr in der
gehen Sie an den Abbau der Neuverschuldung heran. Situation, international Zahlemann und Söhne machen
Mit anderen Worten: Obwohl Sie eine Mehrwertsteuer- zu können. Wir müssen begreifen, dass das konkurrie-
erhöhung um 3 Prozentpunkte beschließen – übrigens rende Volkswirtschaften sind.
weil die SPD gegenüber ihren Wählern einen Wortbruch
begeht –, obwohl Sie die Bürgerinnen und Bürger an al- Jetzt sind diese Länder billiger. Ich sage Ihnen voraus,
len möglichen Stellen stärker belasten, obwohl sie den dass es nicht lange dauern wird, bis sie auch den Wettbe-
Bürgern immer tiefer in die Tasche greifen und obwohl werb um die Qualität aufnehmen. Und dann machen wir
die Konjunktur endlich etwas anspringt, tilgen Sie die lange Gesichter. Wer sich heute vor dem Wettbewerb mit
Schulden immer noch nicht in ausreichendem Maße, ge- Tschechien fürchtet, dem kann ich nur sagen: Zieht euch
hen Sie immer noch nicht an das heran, was man das warm an, denn China, Indien und andere Volkswirtschaf-
Eingemachte der Politik nennt. Und warum? Weil die ten kommen erst noch. Deswegen ist die Verdrängung
(B) Politik einer großen Koalition in Wahrheit nur die Politik von Realität für uns auch aus historischer Sicht so ge- (D)
des kleinsten gemeinsamen Nenners ist. Weil sie von wi- fährlich.
derstreitenden Interessen geprägt ist, kann daraus nichts
Großes werden. (Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk
[CDU/CSU]: Was ist Ihre Botschaft? Angst
(Beifall bei der FDP) machen?)
„Mehr Freiheit wagen!“ ist ein fabelhaftes Motto. „Mehr Freiheit wagen“, sagen Sie und beschließen
Ich freue mich darüber, dass Sie nach den verschiedenen nicht nur die größte Steuererhöhung in der Geschichte
Mottiwechseln im Laufe des Jahres auf das zurückgrei- der Republik, sondern – das ist übrigens Unfreiheit für
fen – back to the roots –, was Sie in der ersten Regie- Bürger – erhöhen auch die Beiträge für die Renten- und
rungserklärung gesagt haben. „Mehr Freiheit wagen!“ ist die Krankenversicherung. Das wird bei der Gesundheits-
ein gutes Motto. Schauen wir aber einmal dahinter. Die reform noch so weitergehen.
Fakten sehen so aus: Die Subventionen des Bundes lie-
gen auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Jahr 2000. Ich darf, an die Damen und Herren von der Koalition
Die Steinkohlesubventionen werden nicht etwa gesenkt, gerichtet, kurz zwei Bemerkungen zur Gesundheitsre-
sondern steigen im Haushalt, und zwar um 260 Millio- form machen. Die erste richte ich an die Adresse der
nen Euro. Auch Ihre Werbekampagne kostet Millionen. SPD, weil Sie immer meinen, dass es sich, wenn wir die
Gesundheitsreform kritisieren, quasi nur um den Reflex
In diesem Haushalt sind übrigens auch Sachen zu fin- der Opposition handelt.
den, die man in der Öffentlichkeit gar nicht kennt.
(Olaf Scholz [SPD]: Ja!)
Wenn wir unsere 500 Streichungsvorschläge und Än-
derungsanträge im Bundestag präsentieren – gestern Ihr ausgeschiedener Bundeskanzler hat den Gesund-
durften wir sie dankenswerterweise dem Herrn Finanz- heitsfonds soeben als „bürokratisches Monstrum“ be-
minister übergeben –, zeichnet. Muss ausgerechnet ich in diesem Raum jetzt
schon Schröder zitieren?
(Jürgen Koppelin [FDP]: Er liest immer noch!)
(Zuruf von der SPD: Nein!)
dann heißt es jedes Mal – das ist der typische Regie-
rungsreflex –, das sei unseriös. Wenn die Opposition et- Ich muss wirklich sagen: Das sind doch Kronzeugen, an
was anderes will, ist das immer unseriös. Das geht näm- denen Sie nicht vorbeikommen. Herr Struck, das war
lich gar nicht anders, als die Regierenden es den einmal Ihr Bundeskanzler. Das letzte Jahr ist aber wohl
Menschen einreden wollen. schon lange her.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6539
Dr. Guido Westerwelle
(A) (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, aber so viel Ah- legschaft für die nächsten zehn Jahre abzugeben. Das ist (C)
nung vom Gesundheitsfonds hat er auch gar nicht denkbar.
nicht!)
(Joachim Poß [SPD]: Darum geht es doch gar
Meine Damen und Herren von der Unionsfraktion, nicht! Keine Ahnung!)
Sie tun immer so, als müssten Sie das jetzt tun, als sei
das zwangsläufig. Entschuldigen Sie einmal, ich fürchte, Jetzt kommen wir einmal zu dem, was Sie bereits be-
dass viele von Ihnen gar nicht wissen, worüber sie ab- schlossen haben. Das andere sind ja Eckpunkte. Sie wol-
stimmen werden. Lesen Sie einmal nach, was die Bun- len für Eckpunkte gelobt werden. Bei der Unternehmen-
desgesundheitsministerin dazu sagt. Das ist wirklich au- steuerreform rudert die SPD interessanterweise übrigens
ßerordentlich spannend. Die Gesundheitsministerin sagt schon wieder zurück.
jetzt – nicht vor Monaten, sondern in dieser Woche – (Zuruf von der SPD: Können Sie einmal zur
über das, was Sie als Regierungskompromiss in der Ge- Sache kommen?)
sundheitspolitik vereinbart haben, dass es nur der „Zwi-
schenschritt“ zur Bürgerversicherung sei. Sagen wir es Zu dem, was schon in Kraft gesetzt wurde, ist in den An-
doch gleich: Das ist der Weg in die Zwangskasse. Das ist zeigen nichts zu finden. Dabei ist das doch Ihre Erfolgs-
das Gegenteil von Wettbewerb und von Freiheit. Höhere bilanz. Zum Beispiel auf das Antidiskriminierungsge-
Abgaben und schlechtere Leistungen – das ist Ihre Ge- setz sind Sie doch stolz oder etwa nicht, meine Damen
sundheitsreform. und Herren von der Unionsfraktion? Daran habe ich gar
keinen Zweifel. Nur: Die, die geschützt werden sollen,
(Beifall bei der FDP) werden in Wahrheit benachteiligt. Denn lassen Sie uns
Der Gesundheitsfonds ist doch eine absurde Erfin- nun jenseits von Geburtstagen über die Realität reden.
dung. Jetzt sollen zwei Bürokratien Beiträge einziehen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sind Sie etwa für
und verwalten. Der Gesundheitsfonds soll Einheitsbei- Diskriminierung?)
träge einziehen und verwalten und auch die Krankenkas-
sen müssen Beiträge einziehen und verwalten. Es wäre – Ach, Herr Kauder, hören Sie doch auf. – Jetzt komme
das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass ich auf das zu sprechen, was von Ihnen beschlossen wor-
zwei Bürokratien preiswerter sind als eine. den ist; denn das ist die Realität.
(Beifall bei der FDP) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Haben Sie
eigentlich schon einmal etwas vom Europa-
Sie rühmen sich mit dem, was Sie für den Mittel- recht gehört? – Zuruf von der FDP: Genau!
(B) stand getan haben. Von den großen Überschüssen bei Und das, was beschlossen wurde, ist nur Kraut (D)
der Bundesagentur ist die Rede. Dabei verschweigen Sie und Rüben!)
etwas, was in meinen Augen unbedingt erwähnt werden
muss. Sie loben den Mittelstand und verschweigen da- Frau Zypries kann stolz auf sich sein; denn sie hat Ge-
bei, dass Sie, die Regierungsparteien, in diesem Jahr den schichte geschrieben. An deutschen Universitäten wer-
Mittelstand nicht zwölf Mal – so wäre es anständig –, den mittlerweile Seminararbeiten zum Thema „Kann
sondern 13 Mal mit den Sozialversicherungsbeiträgen sich ein Student einen Seniorenteller einklagen?“ ge-
belastet haben. Das war ein unverschämtes Abkassieren schrieben.
des Staates. In Wahrheit fördern Sie nicht den Mittel-
(Heiterkeit bei der FDP und der LINKEN)
stand, sondern nehmen den Mittelstand als Kreditgeber
für Ihre verfehlte Politik. Das ist nicht anständig. Das ist wirklich spannend. Der Vorstandsvorsitzende ei-
nes großen deutschen Luftfahrtunternehmens hat neulich
(Beifall bei der FDP) gesagt: Da möchte ich eine schöne Flugbegleitung ein-
Kommen wir zu dem, wie Sie dem Mittelstand wirk- stellen und lande letztlich bei Herrn Glos.
lich geholfen haben. Ich lasse einmal weg, was bisher (Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordne-
nur Ankündigungen sind. Wenn die Unternehmensteu- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
erreform kommt und gut wird, werden wir da mitma- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
chen, das ist gar keine Frage. NEN]: Immer noch besser als bei Niebel! –
(Zuruf von der SPD: Das wäre das erste Mal!) Zuruf von der SPD: Ja! Das ist ein echtes All-
tagsproblem!)
Aber wir werden das Kleingedruckte, insbesondere zur
Gegenfinanzierung, abwarten. – Dass Sie von den Grünen sich darüber freuen, ist mir
klar. Dass das mit gesundem Menschenverstand aber
Wenn Sie die Erbschaftsteuer reformieren, werden nichts mehr zu tun hat, ist Ihnen leider nicht klar.
wir mitmachen. Aber wir werden erst das Kleinge-
druckte lesen. Denn bisher sagt Ihr Regierungssprecher: (Beifall bei der FDP)
Jedes Jahr muss man etwas weniger an Erbschaftsteuer Falls Sie meinen, all das, was ich gerade gesagt habe, sei
zahlen und nach zehn Jahren ist man erbschaftsteuerfrei, Realsatire, sage ich Ihnen: Das stimmt.
allerdings unter der Voraussetzung, dass die Arbeits-
plätze fortbestehen. Ich kenne keinen Mittelständler, der Da Herr Kauder vorhin von seinen Begegnungen mit
in der Lage ist, eine Arbeitsplatzgarantie für seine Be- jungen Frauen berichtet hat,
6540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Guido Westerwelle


(A) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Herr schaften, über deren Verteilung wir im Deutschen Bun- (C)
Westerwelle, berichten Sie doch auch einmal destag diskutieren, kümmert sie sich nicht mehr.
von solchen Begegnungen! – Heiterkeit)
(Beifall bei der FDP)
komme ich jetzt auf einen Brief zu sprechen, der mir von
Frau Bundeskanzlerin, alles in allem haben Sie und
einem jungen Mann geschrieben worden ist.
Ihre Koalition heute nach dem Motto gehandelt: Wenn
(Heiterkeit) einen niemand lobt, muss man sich selbst loben. Das
mag bei den Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Koali-
– Auch das macht Freude. – In einer Anzeige, die in die-
tion für gute Stimmung sorgen.
ser Woche von zwei Anwälten für Arbeitsrecht im
„Harzkurier“ inseriert wurde, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! Und im
Land!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Oh! Ich dachte, Sie
lesen nur die „Bild“-Zeitung!) Frau Bundeskanzlerin – ich habe gar keinen Zweifel da-
ran, dass Sie Ihren Geburtstag feierlich begehen werden;
heißt es: Seit dem 18. August 2006 ist das Allgemeine Blumen haben Sie ja schon bekommen und auch Herr
Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Damit ergeben sich Kauder und Herr Struck werden noch ein Getränk zu
völlig neue Grundlagen im Hinblick auf Schadensersatz sich nehmen –,
oder Schmerzensgeld aufgrund von Diskriminierung.
Denn egal, ob erfolglose Bewerbungen, abgelehnte Ge- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie gut, dass
haltserhöhungen oder Beförderungen: Die Liste der Kla- der Karneval schon angefangen hat!)
gemöglichkeiten ist schier grenzenlos. – Die Folgen Ih-
Sie mögen das erste Jahr Ihrer Koalition feiern.
rer Politik für den Mittelstand sind mehr Bürokratie
und mehr Unfreiheit. Mit Ihrem Motto „Mehr Freiheit (Dr. Peter Struck [SPD]: Genau!)
wagen“ hat das aber nichts zu tun.
Aber den Bürgern ist in Anbetracht von lauter Mehrbe-
(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: lastungen nicht zum Feiern zumute.
Ach was! Das ist doch alles Quatsch, was Sie
(Anhaltender Beifall bei der FDP)
da erzählen!)
Um die Öffentlichkeit über den weiteren Ablauf zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
informieren, weise ich darauf hin, dass wir heute Mittag Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Schneider von
eine ausführliche Debatte zur Außenpolitik führen wer- der SPD-Fraktion.
den. Herr Kollege Steinmeier ist im Augenblick noch
(B) nicht anwesend. Aber damit das klar ist, sage ich: Selbst- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D)
verständlich werden wir in der Bilanz Ihrer Regierungs-
zeit anerkennen, was Sie in Ihrer Außenpolitik Gutes ge- Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
tan haben. Das werden der Kollege Hoyer und andere, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
wenn wir diese Diskussion heute Mittag führen, tun. Da- Kolleginnen und Kollegen! Herr Westerwelle, wenn man
her kann ich mich nun auf die Innen- und Wirtschaftspo- Ihre Rede verfolgt hat, musste man den Eindruck gewin-
litik konzentrieren. Es wird also noch eine außenpoliti- nen, wir befänden uns schon in der Hoch-Zeit des Kar-
sche Debatte folgen, und zwar direkt im Anschluss an nevals – dabei stehen wir erst am Beginn.
die Diskussion über diesen Einzelplan.
(Jürgen Koppelin [FDP]: Na, na! Du hast doch
Zur Realität in Deutschland gehört, dass eine Diskus- gar keine Ahnung von Karneval!)
sion über angeblich gefährliche Heuschrecken geführt
Sie haben den Mut gehabt, auch auf ein paar Sachpunkte
wird, und dass Kollege Beck eine, wie ich finde, außer-
einzugehen. Dass allerdings wir als große Koalition Lob
ordentlich ernst zu nehmende und wichtige Debatte über
von Ihrer Seite bekommen, in dieser Erwartungshaltung
die so genannte Unterschicht angestoßen hat. Das Er-
bin ich heute Morgen nicht hierher gekommen und ich
gebnis dieser Debatte ist erschreckend: Wir stecken im-
bin darin auch nicht enttäuscht worden.
mer mehr Geld in unseren Sozialstaat und in die Umver-
teilung, aber es kommt immer weniger bei den (Zuruf von der SPD: Da hätten wir etwas
Bedürftigen an. falsch gemacht!)
(Beifall bei der FDP) Wir diskutieren hier nicht nur über ein Jahr große
Koalition, sondern auch über ihre Grundlagen. Vorhin
Die mangelnde Treffsicherheit unseres Sozialstaates
hat ein Redner gesagt, dass der Haushalt dafür das
muss unser Thema sein.
Schicksalsbuch ist. Ich glaube, dass diese große Koali-
Allerdings sollten wir uns auch einem anderen Thema tion sich sehr viel vorgenommen hat. Gerade im Finanz-
verstärkt zuwenden. Über Heuschrecken und die so ge- bereich war es am schwersten, waren die Herausforde-
nannte Unterschicht zu reden, ist das eine. Dabei verges- rungen am größten. Allerdings haben sich dort auch die
sen Sie aber eines: die Mittelschicht. Gerade dazu Erfolge am schnellsten eingestellt. Sehen Sie es mir
müssten Sie sich in diesem Hohen Hause äußern. Die nach, dass ich das auch in der Kontinuität der Zugehö-
Regierung kümmert sich um alles Mögliche, aber um rigkeit der SPD zur Regierung begründet sehe und darin,
diejenigen, die morgens aufstehen, statt liegen zu blei- dass der Bundesfinanzminister immer noch von der SPD
ben, die hart arbeiten und all die Steuermittel erwirt- gestellt wird und Peer Steinbrück heißt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6541
Carsten Schneider (Erfurt)
(A) Es ist uns gelungen, das Ziel, das wir für 2009 hatten zungsvolumen von 8 Milliarden Euro. Doch wenn (C)
– das strukturelle Defizit zu halbieren –, bereits in die- man sie genau betrachtet, muss man feststellen, dass
sem Jahr zu erreichen. diese Anträge keine Substanz haben. Sie haben nämlich
zustimmt, dass wir die Kommunen bei den Kosten für
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
die Unterkunft von ALG-II-Empfängern um 2,3 Milliar-
der CDU/CSU)
den Euro entlasten, um sie in die Lage zu versetzen, Kin-
Das strukturelle Defizit des Bundes lag bei 60 Milliar- dertageseinrichtungen zu finanzieren; das ist mehr, als
den Euro. Wir haben nun eine Nettokreditaufnahme, die wir ursprünglich geplant haben. Sie haben auch dem ge-
bei 19,5 Milliarden Euro liegt. Wenn man die Privatisie- ringeren Aussteuerungsbetrag – 1,1 Milliarden Euro we-
rungserlöse hinzurechnet, liegen wir etwa bei 30 Milliar- niger – zugestimmt. Das muss man von Ihren Vorschlä-
den Euro. Dies ist ein Erfolg, der so schnell nicht zu er- gen schon wieder abziehen.
warten war und über den ich sehr froh bin. Ich bin der
Meinung, dass wir insbesondere deswegen nicht in Sack Dann noch zu einigen Ihrer Kürzungsvorschläge: Sie
und Asche gehen müssen, sondern stolz darauf sein kön- schlagen vor, die Steinkohlensubventionen um 600 Mil-
nen. Denn eine solide Finanzpolitik ist die Grundlage lionen Euro zu reduzieren – wohl wissend, dass es
allen Handelns: für Vertrauen der Bevölkerung und der rechtskräftige Bescheide gibt, dass wir diese Summen
Wirtschaft und dafür, dass wir uns – was mir als Sozial- zahlen müssen. Außerdem gibt es keine andere Subven-
demokrat besonders wichtig ist – Chancengerechtigkeit tion im Bundeshaushalt, die so stark degressiv angelegt
und sozialen Ausgleich leisten können. Dies wird nur ist, die sich in einem solchen Sinkflug befindet wie
gehen, wenn wir die enormen Zinszahlungen – in die- diese. Und, das finde ich besonders perfide, Sie wollen
sem Jahr gut 38 Milliarden Euro – senken. Das wird nur die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik – um
gelingen, wenn wir tatsächlich einmal in eine Phase der 2,5 Milliarden Euro senken, also dort, wo insbesondere
Tilgung einsteigen. denjenigen geholfen werden soll, die es am nötigsten ha-
ben, dass wir sie nicht nur fordern, sondern auch fördern;
Die Vorschläge, die von der Opposition gekommen Sie haben hier von „Unterschicht“ gesprochen, was ich
sind, sind dafür nicht geeignet. Mir ist bis heute nicht mir nicht zu Eigen machen will. Das ist übrigens fast die
klar, Herr Westerwelle: Sind Sie eigentlich gegen die Hälfte der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik.
Mehrwertsteuererhöhung als Ganzes – gegen alle drei
Prozentpunkte – oder nur gegen einen? Gestimmt haben (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Steffen
Sie gegen alle drei Prozentpunkte. Wofür sind Sie nun? Kampeter [CDU/CSU])
Ein Prozent?
Ich kann für die Koalition und vor allem für die SPD sa-
(Zurufe von der FDP: Null Prozent!) gen, dass wir eine solche Politik nicht mitmachen. Des-
(B) halb trägt dieser Haushalt auch nicht Ihre, sondern un- (D)
– Gut, null. Aber dann wäre der durchlaufende Posten, sere Handschrift. Und das ist auch gut so.
der 2007 zu einer Ausweitung der Ausgaben des Bundes
führt, nämlich die 7 Milliarden Euro zur Senkung des Sie haben die Steuermehreinnahmen für den Bund
Beitrags zur Arbeitslosenversicherung, nicht möglich, in Höhe von 8 Milliarden Euro angesprochen. Man muss
wie Sie wissen. das aufklären und kann das nicht so stehen lassen:
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 2 Milliarden Euro davon waren im Bundeshaushalt be-
der CDU/CSU) reits eingeplant, also vorweg etatisiert, weil absehbar
war, dass die Steuerschätzung im November ein besseres
Die vorgesehene Senkung des Beitrags zur Arbeitslosen- Ergebnis als die Steuerschätzung im Mai – der Haushalt
versicherung auf 4,2 Prozent wäre dann nicht möglich. wurde erst im Juni beschlossen – bringen würde. Wir
Sie ist nur möglich – die Bundeskanzlerin hat das vorhin sind darin bestätigt worden. Von diesen 8 Milliar-
vorgetragen – durch die Reformen der Agenda 2010, den Euro müssen Sie Aufwendungen für die Kosten der
durch die bessere konjunkturelle Entwicklung und da- Unterkunft und die Mittel des Eingliederungstitels abzie-
durch, dass wir die Arbeitslosenversicherung mit einem hen. Somit bleiben genau 2,4 Milliarden Euro übrig. Sie
Zuschuss von 7 Milliarden Euro aus Steuermitteln unter- haben wir genutzt, um die Nettokreditaufnahme auf den
stützen. Dies führt dazu, dass wir ein Ausgabenwachs- niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung zu senken.
tum haben. Real, bereinigt um diesen Posten, beträgt das
Ausgabenwachstum des Bundeshaushaltes 0,9 Prozent. Ich glaube, das ist ein sehr großer und sehr schöner
Erfolg, auf den wir stolz sein können. Nachdem ein
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Großteil der Verschuldung in Ihrer Regierungszeit ent-
Immer noch 3 Milliarden Euro!) standen ist – wir alle sind nicht frei davon, aber Sie ha-
Die Inflationsrate liegt höher. Das heißt, Herr ben den größten Teil zu verantworten –, hätte es Ihnen
Westerwelle, real geben wir sogar weniger aus, trotz der gut angestanden, wenn Sie von der FDP das einmal aner-
Risiken, die wir zusätzlich abzusichern hatten und zu de- kannt hätten. Aber gut, das war nicht zu erwarten.
nen ich noch kommen werde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
(Joachim Poß [SPD]: Das ist zu schwierig für Steffen Kampeter [CDU/CSU])
ihn! So weit reicht es nicht!)
Ich glaube, die große Koalition ist sowohl in der Wirt-
Ich kann bei Ihnen keine Linie erkennen. Sie haben schafts- als auch in der Finanzpolitik auf dem richtigen
im Haushaltsausschuss Anträge gestellt mit einem Kür- Weg.
6542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Carsten Schneider (Erfurt)


(A) Angesichts der guten konjunkturellen Situation sehe gangssteuersatzes besonders profitiert haben, sehe ich (C)
ich die Herausforderung, dass wir im Jahre 2008 nicht insbesondere auch bei den Unternehmen des Mittelstan-
bei einer Neuverschuldung von 19,5 Milliarden Euro des, die hier heute ebenfalls angesprochen wurden
verbleiben können. – auch von Ihnen, Herr Westerwelle –, eine besondere
Entlastung. Die Besteuerung ist von durchschnittlich
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) 25 Prozent auf 19 Prozent heruntergegangen. Das ist ein
Die mittelfristige Finanzplanung, die diesem Haushalt Erfolg dieser Regierung.
zugrunde liegt, muss deutlich nach unten korrigiert wer-
Schauen Sie sich die Körperschaftsteuerentwicklung
den. Das heißt, dass wir gerade die Zeiten eines guten
in diesem Jahr an und stellen Sie sich die Frage, wo der
wirtschaftlichen Wachstums, in denen wir uns gerade be-
Aufschwung und die Steuermehreinnahmen eigentlich
finden – die Zahl der Arbeitslosen ist um 500 000 zu-
herkommen. Man muss dabei wissen, dass die Istein-
rückgegangen, eine viertel Million Menschen mehr sind
gänge im Jahre 2006 auf den Steuerbescheiden von 2004
in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsver-
hältnissen –, nutzen müssen, um stärker zu konsolidie- und 2005 beruhen. Zum einen gab es große Nachzahlun-
ren. Das ist nicht nur eine Aufgabe für 2007, sondern das gen und zum anderen fanden Anpassungen der Voraus-
ist eine Aufgabe für die gesamte Regierungsperiode bis zahlungen statt.
2009. Das ist auch nicht nur eine Aufgabe des Bundesfi- Von daher kann man durchaus zu Recht feststellen: Es
nanzministers, sondern das ist eine Aufgabe des gesam- ist ein Verdienst der rot-grünen Regierung Schröder,
ten Kabinetts. dass uns heute diese Steuereinnahmen zur Verfügung
(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) stehen.

Die Koalition muss sich im Frühjahr damit noch ein- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hartmut
mal befassen; denn mit dem, was der Planung bisher zu- Koschyk [CDU/CSU])
grunde liegt, werden wir dem nicht gerecht. Bei den
Kosten der Unterkunft gibt es Mehrausgaben. Das setzt Ich hoffe, dass die konjunkturbedingten Einnahmen von
sich bis 2010 fort. Dauer sind. Ich bin mir da nicht so sicher, aber ich hoffe,
dass es in diesem Land wirtschaftlich weiter bergauf
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: geht.
Gesundheitspolitik!)
Sie haben in einem Punkt Recht, Herr Westerwelle:
Daneben gibt es unbeantwortete Fragen in der Gesund- Wir sind nicht allein für diesen Aufschwung verantwort-
heitspolitik. Frau Bundeskanzlerin, ich erwarte natür- lich. Wir sind aber auch nicht ganz schuldlos daran.
(B) lich, dass es eine saubere Gegenfinanzierung für die (D)
Trotzdem sind wir auch von der weltwirtschaftlichen
Mehrausgaben im Gesundheitsbereich geben wird. Das Entwicklung abhängig.
Geld darf nicht einfach nur verteilt werden, sodass der
Bundesfinanzminister am Ende schauen muss, wo es Wir bewegen uns derzeit in einem sehr guten Umfeld:
herkommt. Ich glaube, dieses Spiel kann man sich in der Der Haushalt 2007 geht von einem Wachstum von
Koalition nicht leisten. 1,4 Prozent aus. Die Auguren meinen, dass es wahr-
scheinlich noch höher ausfallen wird; sie gehen von
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 1,8 Prozent oder sogar etwas mehr aus. Ich hoffe, dass
der FDP und der Abg. Anja Hajduk [BÜND- sich das bewahrheitet und dass die Entwicklung der
NIS 90/DIE GRÜNEN]) Rohölpreise dem nicht entgegensteht, dass die amerika-
Ich bin mir sicher, dass uns dies gemeinsam gelingen nische Wirtschaft eine sanfte Landung schafft und dass
wird. die Europäische Zentralbank und die amerikanische No-
tenbank neben der Geldwertstabilität noch andere
Das alles findet natürlich nicht im luftleeren Raum Punkte im Blick behalten und somit diesen Kurs unter-
statt. Man muss sich auch einmal genau anschauen, wo stützen.
die durch die Konjunktur bedingten Steuermehreinnah-
men, die wir in diesem Jahr haben, herkommen. Es geht Wenn ich das alles Revue passieren lasse, dann meine
vor allem um die Körperschaftsteuer, über die Herr ich, dass wir sehr gut mit dem leben können, was die
Gysi vorhin hergezogen ist, indem er gesagt hat, sie sei Koalition im ersten Jahr erreicht hat. In dem Etat sind
ja so niedrig. Er ist jetzt nicht mehr da, vielleicht können das Elterngeld und die Ost-West-Angleichung der Re-
Sie ihm das mitteilen: Im Jahre 2005 war der Ertrag hö- gelsätze beim ALG II abgebildet. Beides hat die SPD
her als im Jahre 2000, also in der Boomphase, obwohl durchgesetzt. Daneben gibt es auch viele Punkte, die die
wir die Nominalsätze in vielen Bereichen gesenkt haben. Union durchgesetzt hat. Alles in allem ergibt das einen
Von daher bin ich sehr zuversichtlich, dass uns bei der bunten Strauß, der Klarheit und Farbe aufweist und ei-
Unternehmensteuerreform das Gleiche gelingen wird, nen Blick auf die Zukunft dieses Landes gestattet. Ich
nämlich ein wettbewerbsfähiges Steuersystem zu schaf- bin zuversichtlich, dass uns auch im nächsten Jahr ein
fen, das dazu führt, dass gerechterweise alle Unterneh- erfolgreicher Haushalt gelingen wird und wir Ihnen wei-
men Steuern zahlen. ter zu Ihrer Amtszeit gratulieren können, Frau Bundes-
kanzlerin.
Neben der Entlastung für die Bezieher unterer und
mittlerer Einkommen, die von der Senkung des Ein- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6543

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Erpressung macht die Runde, das eine komme nur (C)
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia zusammen mit dem anderen. Sieht so das wichtige An-
Jochimsen von der Fraktion Die Linke. liegen Kultur der Bundesregierung, die „Kulturnation
Deutschland“ aus: Sport und Kultur als gefälliger, popu-
(Beifall bei der LINKEN) lärer Mix, das heißt, einen Bestandteil der Kultur, der
wichtig und spannend sowie kommerziell erfolgreich ist,
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): mit dem Unikat einfach zusammenzukoppeln, als ginge
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Da ich dies, als wäre das nicht prinzipiell zweierlei?
nur drei Minuten Redezeit habe,
Anliegen Kultur der Regierung nach einem Jahr: Ich
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hat Ihnen bitte Sie! Lassen Sie sich beim Wort nehmen! Staatsziel
Herr Gysi wieder Redezeit geklaut?) Kultur als Unikat in die Verfassung und ein großes Kul-
spare ich mir das Lob für den Kulturstaatsminister zur turprogramm für Kinder, das wäre etwas.
Aufstockung seines Etats und auch die Details unserer (Beifall bei der LINKEN)
Forderungen. Wir wollen nämlich 10 Millionen Euro
mehr für die Produktionsförderung des nationalen Films
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
und 480 000 Euro mehr für die Stiftung für das sorbische
Volk. Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-
Eckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.
Ich gehe stattdessen gleich grundsätzlich auf den Stel-
lenwert der Kultur nach einem Jahr der neuen Regie- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
rung ein. Dabei fällt nämlich ein Widerspruch auf. Wir NEN):
hören immer wieder, dass die Kultur ein wichtiges An-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
liegen darstellt. Aber wie kommt es dann, dass Kinder
Wenn ich mir die heutige Debatte anschaue, dann drängt
und Jugendliche immer weniger Zugang zu Sprache,
es mich, etwas zu einem Punkt zu sagen, der im weiteren
Musik, Malerei, kurz: den Gestaltungsmöglichkeiten in
Sinne mit Kultur zu tun hat, nämlich zur demokratischen
allen musischen Feldern und vorhandenen Medien ha-
Kultur. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koali-
ben, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern? Sehen Sie
tionsfraktionen, Sie haben gesagt, wir seien gar nicht so
denn nicht die zunehmende kulturelle Verarmung und
schlecht, wie immer behauptet werde. Das sehen Sie so.
Verrohung unserer Kinder und Jugendlichen? Bedenken
Aber wir sehen es anders. Das eigentliche Problem ist
Sie nicht den schrecklich hohen Preis, den wir alle dafür
– das muss man Ihnen am allermeisten vorwerfen –, dass
zahlen?
Sie keine Ideen und Visionen haben, aus denen hervor-
(B) (Beifall bei der LINKEN) geht, wie dieses Land in zehn, 15 oder 20 Jahren ausse- (D)
hen soll, und für die Sie die Menschen begeistern wol-
Um dem Anliegen Kultur gerecht zu werden, müsste len. Ich glaube, das ist das eigentliche Versäumnis, über
es Kinderkulturhäuser als Anlaufstätten gerade für die das geredet werden muss. Es zeigt sich in den Umfragen
vernachlässigten Heranwachsenden geben. Wir fordern betreffend die Zustimmung zur Demokratie. Nicht nur
deshalb 1 Milliarde Euro für ein Programm „Kultur für die Umfragewerte für die beiden großen Volksparteien
Kinder“. Ein solches Programm ist dringend notwendig. sind gesunken, sondern auch die Zustimmung zur De-
Nach der Föderalismusreform muss neu überlegt wer- mokratie an sich hat drastisch abgenommen. Das macht
den, wie das Anliegen kultureller Bildung im Zusam- mich mindestens genauso unsicher und besorgt im Hin-
menwirken von Bund, Ländern und Kommunen geför- blick auf die Zukunft wie die hohen Arbeitslosenzahlen.
dert werden kann. Das kann nicht unmöglich sein. Sie müssen das ernster nehmen. Gerade wenn wir über
(Beifall bei der LINKEN) den Rechtsradikalismus reden, dürfen wir nicht verges-
sen, dass Programme wie CIVITAS und ENTIMON
Wenn Kultur wirklich ein Anliegen der Regierung ist, wichtig sind. Aber ob wir in der Lage sind, die Men-
dann muss sie unseren Kindern endlich wieder vermittelt schen für die Demokratie zu begeistern, ist mindestens
werden, zum Beispiel wie in den armen Zeiten nach genauso entscheidend.
Kriegsende, als es um den Aufbau unserer Demokratie
ging. Heute geht es um den Erhalt unserer Demokratie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bitte denken Sie in diesem Zusammenhang daran.
Sie müssen an einer Stelle besonders darauf achten,
Nun weg vom Geld. Das Anliegen Kultur wirft auch worum es geht. Es ist sicherlich richtig, eine Politik zu
die Frage nach dem Staatsziel Kultur als Signal, Ver- machen, bei der man alles im Blick hat und beispiels-
pflichtung und Appell an unser kulturelles Bewusstsein weise solche Gruppen wie die über 50-Jährigen und die
in dem Sinne auf, in dem die Bundeskanzlerin davon unter 25-Jährigen besonders herausstellt. Die entschei-
sprach, dass wir eine Kulturnation seien. dende Frage ist aber, ob man sich um diejenigen am
meisten kümmert, denen es in unserer Gesellschaft am
2005 hat die Enquete-Kommission „Kultur in Deutsch- schlechtesten geht und die es am schwersten haben. Das
land“ die Aufnahme der Kultur als Staatsziel in das ist ein Maßstab für eine gute Politik in unserem Land.
Grundgesetz empfohlen. Seit Anfang 2006 hängt ein
entsprechender Antrag im parlamentarischen Räderwerk (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dieses Hauses fest. Nun sollen auf einmal Kultur und sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg]
Sport als Staatsziele in der Verfassung verankert werden. [SPD])
6544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Katrin Göring-Eckardt
(A) Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie sich mehr um die wir von Ihnen, dass Sie uns mitteilen, worum es dabei (C)
Langzeitarbeitslosen und die Kinder kümmern, die in eigentlich geht.
Deutschland dauerhaft in Armut leben, und zwar nicht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
erst seit gestern. Hier geht es um den Zugang zu Bil-
dung. Damit bin ich wieder bei der Kultur; denn es geht Ich glaube, dass wir nicht die Einzigen sind, die das ver-
um die Möglichkeit, die eigenen Talente zu entdecken, langen. Wir haben viele Diskussionen mit unseren polni-
und zwar unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und schen Nachbarn und mit anderen Nachbarn über dieses
von ihren Fähigkeiten, die eigenen Kinder zu fördern. Thema gehabt. Ich finde, auch sie haben verdammt noch
einmal das Recht, zu wissen, was Deutschland in dieser
Dem steht ein massiver Kulturabbau an ganz vielen Hinsicht eigentlich will. Das müssen Sie auf den Tisch
Stellen entgegen – Thüringen ist hierfür ein Beispiel –, legen. Das müssen Sie sagen, schon allein um die Verun-
genauso wie ein Laisser-faire-Umgang mit Kultur, wie sicherung, die es international gegeben hat, nicht noch
wir ihn gerade in unserer Bundeshauptstadt erleben. weiter zu erhöhen. Sie tun uns allen damit keinen Gefal-
Denken Sie nur daran, wie in Berlin mit den Opernhäu- len.
sern umgegangen wurde! Ich bin überzeugt, dass der
Rücktritt von Herrn Schindhelm ein Alarmsignal ist. Vielen Dank.
Aber darum geht es nicht allein. Das ist nur das, was wir
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
in den bundesweiten Medien sehen. Wenn wir uns im
Land umschauen, sehen wir, dass sehr viele Kulturinsti-
tutionen nur noch deswegen überleben, weil sie mindes- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
tens die Hälfte der regulären Jobs, die sie zu vergeben Das Wort hat der Kollege Eduard Oswald von der
haben, beispielsweise durch 1-Euro-Jobs ersetzen. Da- CDU/CSU-Fraktion.
durch verbauen wir unseren Kindern und Jugendlichen (Beifall bei der CDU/CSU)
Zugänge und dadurch geraten wir in eine ganz schwie-
rige gesellschaftliche Situation, was auch mit der Kultur
der Demokratie zu tun hat. Es geht nicht allein um das Eduard Oswald (CDU/CSU):
kulturelle Erbe, sondern es geht um die Zukunft unserer Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
Kinder. ist wahr: Richtiges und Wahres muss man immer wie-
derholen. Man kann es nicht oft genug sagen: Unsere
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundeskanzlerin Angela Merkel und die von ihr ge-
führte Bundesregierung haben in diesem Jahr eine aus-
Wenn wir darüber sprechen, müssen wir die soziale gezeichnete Arbeit geleistet.
Lage der Künstlerinnen und Künstler in unserem Land
(B) im Blick haben. Das will ich heute nur als Stichwort sa- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D)
gen. Ich hoffe sehr, dass wir in dieser Hinsicht mit den neten der SPD)
Koalitionsfraktionen gemeinsam vorankommen; denn
Angela Merkel hat heute eine überzeugende Bilanz mit
ich habe den Eindruck, dass sich im letzten halben Jahr
guten Daten für Deutschland vorgelegt. Volker Kauder
bzw. dreiviertel Jahr etwas getan hat, was das Wahrneh-
und Peter Struck haben in ihren Reden unterstrichen: Die
men der sozialen Situation von Künstlerinnen und
Koalition wird diesen Weg weitergehen und das Not-
Künstlern angeht. Es dürfen aber nicht immer nur die
wendige und Richtige für unser Land tun. Die Arbeit
Großen sein, sondern es muss um die Kleinen gehen, um
war erfolgreich. Die Arbeitslosenzahl hat sich im Ver-
diejenigen, die in den Regionen unseres Landes ganz be-
gleich zum Vorjahr um nahezu eine halbe Million redu-
sonders kreativ sind.
ziert. Wenn der Einzelne beobachtet, dass sich die Situa-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie tion in seinem Umfeld verändert, dass sein Nachbar eine
des Abg. Markus Meckel [SPD]) Arbeitsstelle findet oder sein Sohn bei der Lehrstellensu-
che erfolgreich war, dann wird die Stimmung schon bald
Ein Punkt, der mich verunsichert, auch wenn es um die viel bessere Lage widerspiegeln.
demokratische Kultur geht, muss heute angesprochen
werden. Sie haben ganz am Ende der Haushaltsberatun- (Beifall bei der CDU/CSU)
gen 750 000 Euro für das „sichtbare Zeichen“ einge- Die Koalition ist angetreten, um die großen Heraus-
stellt, das Sie auch im Koalitionsvertrag verankert ha- forderungen unserer Zeit anzunehmen: Arbeitslosigkeit,
ben. Ich habe das Gefühl, dass das nicht ein sichtbares Staatsverschuldung, demografischer Wandel und Verän-
Zeichen ist, sondern eher ein seltsames Ding mit sehr derungsdruck der Globalisierung. Es ist die Chance die-
verschwommenen Konturen. ser Koalition, dies auch zu tun. Wir wissen, dass man auf
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hei- dem Weg durch das politische Leben nicht immer den
terkeit des Abg. Markus Meckel [SPD]) Wind im Rücken haben kann. Trotzdem müssen wir
Kurs halten und im Interesse unseres Landes das Not-
Wir wüssten schon sehr gerne, was Sie eigentlich vorha- wendige tun.
ben und was Sie damit meinen. Ist das jetzt das sichtbare
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)
Zeichen, das sich Frau Steinbach wünscht? Ist es
irgendeine Ausstellung? Ist es etwas ganz anderes? Wir haben die richtigen Weichenstellungen vorgenom-
Wenn Sie, Herr Kulturstaatsminister, die Summe tat- men: Wir stärken Familien durch das Elterngeld. Wir
sächlich in diesem Haushalt einstellen, dann verlangen machen die sozialen Systeme stabil. Wir haben die Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6545
Eduard Oswald
(A) dingungen verbessert, um in Sicherheit zu leben. Wir auch den Tarifpartnern für ihr verantwortungsvolles (C)
bauen die Infrastruktur in Deutschland aus. Wir sorgen Handeln.
für neuen Schwung bei Forschung und Technologie.
Horst Seehofer ordnet die Agrarpolitik neu und gibt den (Zustimmung des Abg. Dr. Peter Ramsauer
ländlichen Räumen Perspektive. [CDU/CSU])
Der dritte Erfolg ist der Bundeshaushalt. Ich sage
(Beifall bei der CDU/CSU – Beifall des Abg.
noch einmal – was gut ist, muss man immer wieder sa-
Dirk Niebel [FDP])
gen –: Mit einer Nettokreditaufnahme von 19,5 Milliar-
Sie werden doch verstehen, dass ich als CSU-Politiker den Euro werden wir den Haushalt 2007 beschließen.
die CSU-Minister in besonderer Weise lobe und wür- Dies ist die niedrigste Neuverschuldung seit der Wieder-
dige. vereinigung. Dennoch muss uns allen bewusst sein, dass
dies erst der Einstieg in die Sanierung ist. Weitere
Sanieren, investieren und reformieren – die Kanzlerin Schritte müssen folgen;
hat es angesprochen –: Mit diesem mutigen Dreischritt
wurden gesetzgeberische Maßnahmen verabschiedet. (Beifall bei der CDU/CSU)
Mit der Föderalismusreform, der Haushaltssanierung
denn ein konsolidierter Haushalt ist und bleibt eine
und der Gesundheitsreform hat diese Koalition schwer- wichtige Voraussetzung für einen handlungsfähigen
gewichtige Themen angepackt und zu Lösungen geführt. Staat und ist eine moralische Verpflichtung für die Hand-
Die ersten Erfolge sind für jedermann sichtbar und wei-
lungsfreiheit kommender Generationen.
tere werden folgen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Wenn ich als ersten Erfolg das Wirtschaftswachs- der SPD)
tum nenne, dann gilt natürlich das, was Ludwig Erhard
gesagt hat: Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirt- Also soll niemand glauben, wir seien bereits über den
schaft ist alles nichts. Berg. Deutschland hat noch 1 500 Milliarden Euro
Schulden und wir haben noch nicht einmal mit dem Ab-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tragen dieses Berges begonnen. Er wird jetzt aber lang-
neten der SPD) samer höher als bisher. Es muss klar sein: Nur wohlge-
Die Konjunkturprognosen sind für das laufende und ordnete öffentliche Finanzen ermöglichen eine gute
auch für das kommende Jahr sehr erfreulich. Auch im wirtschaftliche Entwicklung.
nächsten Jahr bleiben die Wachstumskräfte trotz der not- Wir wissen – ich sage das nachdenklich –, dass die
wendigen Mehrwertsteuererhöhung intakt. Investoren Erwartungen an den Staat in unserem Land enorm sind.
(B) und Verbraucher blicken wieder optimistisch in die Zu- Er soll auf der einen Seite nicht nur Garant für Sicherheit (D)
kunft. Die kräftige Zunahme der Investitionen ist doch und Freiheit sein, sondern auch materiellen Wohlstand
Ausdruck des Vertrauens in den Kurs der Koalition, auch ermöglichen, für Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich
wenn die Opposition das bestreitet. sorgen und insgesamt Gerechtigkeit schaffen. In dieser
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zunehmend globalisierten Welt – Volker Kauder hat in
seiner Rede sehr intensiv darauf hingewiesen –, in der
Der zweite Erfolg zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt. Grenzen unschärfer werden und internationale Heraus-
Der konjunkturelle Aufschwung hat auch die Binnen- forderungen zunehmen, wird es aber für den Staat immer
wirtschaft, also die privaten Investitionen und den Ar- schwieriger, einem umfassenden Steuerungsanspruch
beitsmarkt, erfasst. Die Arbeitslosenquote sinkt auf den gerecht zu werden. Voraussetzung dafür sind also wirk-
tiefsten Stand seit vier Jahren und wir liegen endlich same Ordnungsstrukturen und ein kluger Einsatz der
wieder unter 10 Prozent. Natürlich wissen wir: Jeder Ar- knappen finanziellen Mittel. Das ist unser Auftrag.
beitslose ist einer zu viel. Wir wollen jedem dabei hel-
fen, dass er wieder Arbeit findet. Deswegen haben wir vier wichtige Richtungsent-
scheidungen für einen handlungsfähigen Staat getrof-
Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Be- fen: Das ist erstens die Modernisierung der bundesstaat-
schäftigungen nimmt werktäglich um über 1 000 zu. Da- lichen Ordnung, zweitens die Konsolidierung des
rum geht es doch. Das ist eine echte Wende und wir wer- Bundeshaushalts, drittens der Abbau von Bürokratie als
den auch im kommenden Jahr einen weiteren Daueraufgabe und viertens eine bessere Zusammenar-
Aufwärtstrend haben. Der Aufschwung besitzt mittler- beit von Regierung und Parlament im Bereich der euro-
weile – das ist für uns das Wichtige – ein breites Funda- päischen Integration.
ment.
So wie wir die Föderalismusreform erfolgreich durch-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- geführt haben, so müssen wir die Finanzbeziehungen
neten der SPD) von Bund und Ländern neu ordnen. Das wird nicht ein-
fach werden. Aber wir müssen dies entschlossen ange-
Wir werden den Beitrag für die Arbeitslosenversiche- hen. Es wäre gut, wenn sich alle Fraktionen auch hieran
rung noch stärker senken, als wir geplant hatten. Damit beteiligten.
sinkt die Abgabenbelastung. Den Arbeitnehmern und
Arbeitgebern stehen im kommenden Jahr 17 Milliarden Noch machen manche internationale Unternehmen ei-
Euro mehr zur Verfügung. Die Chancen der Menschen nen Bogen um Deutschland, wenn es um Neuinvestitio-
auf Arbeit werden erhöht. An dieser Stelle danke ich nen geht. Vor allem die hohen Steuersätze schrecken ab.
6546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Eduard Oswald
(A) Der Abstand zu Ländern mit niedrigen Steuersätzen ist Wir waren auch im Hinblick auf die kommunalen Be- (C)
noch zu groß, als dass unser Land mit seiner hervorra- lange erfolgreich. Die Unternehmensteuerreform sichert
genden Infrastruktur manchen Steuernachteil ausglei- die Steuerkraft und die Finanzierungsbasis der Kommu-
chen könnte. Deswegen ist die Unternehmensteuerre- nen.
form so wichtig. Es handelt sich – darum geht es – um
einen wichtigen Baustein für mehr Arbeitsplätze und In- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
vestitionen in unserem Land. Durch die Unternehmen- neten der SPD)
steuerreform wird die Steuerbelastung auf ein internatio- Die kommunale Finanzkraft ist auch deswegen für den
nal wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt. Gleichzeitig Aufschwung so wichtig, weil 60 Prozent aller öffentli-
werden Maßnahmen getroffen, durch die die Besteue- chen Investitionen von Kommunen erbracht werden.
rung in Deutschland erwirtschafteter Gewinne in unse-
rem Land sichergestellt wird. (Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!)
Wir brauchen auch eine Abgeltungssteuer. Kontroll- Wir werden den Weg für strukturelle Reformen in un-
verfahren könnten somit entfallen. Die Ämter würden serem Land konsequent weitergehen. Gleichzeitig wol-
entlastet. Bürokratieabbau fände statt und damit würden len wir Mut zu Anstrengungen machen und das Ver-
den Anlegern attraktive ertragsteuerliche Rahmenbedin- trauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit unseres
gungen geboten. Landes stärken. Wir preisen nicht Wundermittel und
schüren keine Illusionen, sondern beraten gründlich und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- entscheiden vernünftig. Was ist daran schädlich, dass die
neten der SPD) Willensbildung in einer großen Koalition mit so großen
Unternehmensteuer und Abgeltungssteuer sind geeig- Partnern etwas zäh verläuft?
net, das vorhandene Potenzial des Finanzplatzes Nach mittlerweile einem Jahr der Zusammenarbeit
Deutschland auszubauen und seine Wettbewerbsfähig- haben wir uns auch eingespielt.
keit zu steigern. Wir müssen mehr über den Finanzplatz
Deutschland reden. Die Gestaltungskraft dieser Koali- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ist das eine
tion ist auch beim Ausbau privater Beteiligungs- und Ri- Drohung?)
sikokapitalfinanzierung gefragt. Wir müssen mit einem
Private-Equity-Gesetz die Voraussetzungen in den deut- Die freundschaftlichen Bekundungen der Fraktionsvor-
schen Unternehmen verbessern, innovative Produkte sitzenden sind das eine. Jetzt müssen wir auch auf den
und Dienstleistungen schneller zur Marktreife zu brin- verschiedenen Arbeitsebenen noch mehr dafür sorgen,
gen. Ziel muss es sein, Deutschland in einer globalisier- dass manches stärker verzahnt wird und dass die
(B) ten Welt besser zu positionieren und Arbeitsplätze zu menschlichen Kontakte intensiver werden. (D)
schaffen. Das steht über allem, was wir wollen.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Seid fruchtbar
Abgerundet werden die Eckpunkte zur Unternehmen- und mehret euch!)
steuerreform durch die erbschaftsteuerliche Begünsti-
Dann soll es an Ergebnissen natürlich nicht mangeln.
gung der Unternehmensnachfolge. Die Zahlen spre-
chen für sich: In Deutschland werden Jahr für Jahr mehr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
als 46 000 Unternehmen mit rund 444 000 Beschäftigten der SPD)
aus Altersgründen vererbt, Tendenz steigend. Die dabei
derzeit fällige Erbschaftsteuer kann häufig nicht aus den Nicht wer zwischendurch bei Meinungsumfragen gut
vorhandenen liquiden Mitteln gezahlt werden. Die abschneidet, lieber Herr Westerwelle, sondern wer am
Folge: Die Erbschaftsteuer ist aus der Substanz zu ent- Schluss das Vertrauen der Menschen als Ergebnis einer
richten, sie kann so große Teile des Vermögens vernich- soliden, zukunftsorientierten Politik erhält, hat den Er-
ten und das Unternehmen samt seinen Arbeitsplätzen in folg.
seiner Existenz bedrohen. Das kann doch nicht in unse-
rem Interesse sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

(Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:


Der Mittelstand – wir haben das heute schon gehört – Kommen Sie bitte zum Schluss.
ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die rund
3,5 Millionen kleineren und mittleren Unternehmen sind Eduard Oswald (CDU/CSU):
eine treibende Kraft für Wachstum und Beschäftigung.
Wir müssen alles tun, um dabei zu helfen. Die von uns Ich komme zum Schluss und zitiere Saint-Exupéry,
beschlossene Mittelstandsinitiative verbessert daher die der so wunderschön gesagt hat:
Rahmenbedingungen für diese Unternehmen. Dank an Man kann nicht in die Zukunft schauen, aber man
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos für seinen Ein- kann den Grund für etwas Zukünftiges legen – denn
satz und seine Arbeit für die Wirtschaft in unserem Zukunft kann man bauen.
Lande!
Genau das wollen wir weiter tun.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Joachim Poß [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6547

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: in Berlin, insbesondere die Staatsoper Unter den Linden, (C)
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Otto die dringend saniert werden muss, würde dann unter die
von der FDP-Fraktion. Räder kommen.
(Beifall bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle Was müssen wir tun? Es müssen sich alle Beteiligten
[FDP]: Wo ist Herr Neumann?) – dazu gehören nicht nur der Senat und der Kulturstaats-
minister, sondern auch die beiden Parlamente – an einen
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Tisch setzen und darüber nachdenken, wie die Haupt-
In großer Finsternis freut man sich bereits über eine stadtkulturförderung endlich auf eine solide Grundlage
kleine Kerze. In der Finsternis dieser Bundesregierung gestellt werden kann. Es muss Schluss sein mit einer
ist das Wirken des Kulturstaatsministers immerhin ein Kulturpolitik nach Haushaltslage. Es muss Schluss da-
Lichtblick. Was Herr Neumann bei den Haushaltsbera- mit sein, dass Institutionen nach zufälligen Gesichts-
tungen erreicht hat, insbesondere bei der Filmförderung, punkten verteilt werden: Hauptstadtkulturfonds hierhin,
nötigt uns Respekt ab. Akademie der Künste dahin usw. Es muss nach nach-
vollziehbaren sachlichen Kriterien entschieden werden,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wer in Berlin was fördert, also was Berlin zu tun hat und
der CDU/CSU und der SPD) was der Bund zu tun hat.
3,5 Prozent Steigerung ist mehr, als seine drei Vorgänger Letzte Bemerkung von mir: Es hat sich gerächt, dass
erreicht haben. Das sollte man auch als Angehöriger ei- wir es zugelassen haben, dass damals die beiden Regie-
ner Oppositionspartei hier betonen. rungen ohne Beteiligung der Parlamente einen Haupt-
stadtkulturvertrag abgeschlossen haben, dessen Wortlaut
(Jörg Tauss [SPD]: Wie kommen Sie dann auf
wir übrigens immer noch nicht kennen. Wir brauchen ei-
Finsternis?)
nen Staatsvertrag zwischen dem Land Berlin und der
Gerade weil die Haushaltsberatungen für die Kultur Bundesrepublik Deutschland unter Beteiligung der Ab-
durchaus ein Erfolg waren, verstehe ich nicht, Herr Kol- geordneten. So würde alles auf eine solide Grundlage
lege Kampeter, dass man sich mit kleinen Mätzchen an gestellt. Meine Forderung an Herrn Neumann lautet: Tun
vermeintlichen Kritikern schadlos hält. Das Faxverbot Sie es jetzt, bevor der Schaden in Berlin noch größer
für den Deutschen Kulturrat ist ein Späßchen gewe- wird! Meine Aufforderung an Herrn Wowereit lautet:
sen. Mit Späßchen sollte man aber in einem sensiblen Stecken Sie den Kopf nicht weiter in den Sand! Sie wer-
Bereich wie diesem, bei dem es um die Autonomie von den sich Ihrer Verantwortung noch stellen müssen.
Institutionen geht, vorsichtig sein. Deswegen bitte ich Vielen Dank.
ausdrücklich darum, das Faxverbot, über das sich hier
(B) (D)
schon manche Männerwitze ranken, zurückzunehmen (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang
und die erfolgreiche Arbeit des Deutschen Kulturrats Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])
nicht mit solchen Maßnahmen zu schwächen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Die geringe Redezeit, die mir zur Verfügung steht, er- Steffen Kampeter das Wort.
laubt es mir nicht, hier längere Ausführungen zur Ver-
gangenheit und Gegenwart zu machen; vielmehr möchte (Jörg Tauss [SPD]: Nehmen Sie das Faxverbot
ich mich einer Zukunftsaufgabe zuwenden. Der Regie- zurück! Dann ist das Thema auch erledigt!)
rende Bürgermeister und künftige Kultursenator von
Berlin, Klaus Wowereit, hat uns in seiner grenzenlosen Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Güte eine der drei Berliner Opern, und zwar die Staats- Herr Kollege Otto, ich möchte ausdrücklich hervorhe-
oper Unter den Linden, sozusagen als Weihnachtspräsent ben, dass ich es für eine noble Geste halte, dass Sie als
mit der Begründung vor die Füße gelegt, Berlin habe nur Oppositionsvertreter die hervorragende Arbeit von
noch das Geld, zwei Opern zu finanzieren. Man muss Bernd Neumann als Kulturstaatsminister zu Beginn Ihrer
Klaus Wowereit daran erinnern, dass es glasklare Zusa- Rede erwähnt und insbesondere sein Wirken im Zusam-
gen von ihm selbst und von dem von ihm geführten menhang mit der materiellen Ausstattung der Kultur
Senat aus der Zeit, als der Hauptstadtkulturvertrag ab- positiv bewertet haben. Dies ist angesichts anderer Re-
geschlossen wurde, gibt. Klaus Wowereit wird wortbrü- debeiträge vonseiten der FDP-Fraktion bezüglich No-
chig, wenn er sich jetzt nicht an diese Zusagen hält. blesse, Großzügigkeit und Geste eine positive Verände-
rung der Debattenbeiträge.
Es ist aber wohl auch so, dass wir alle hier gesündigt
haben, indem wir dem Hauptstadtkulturvertrag damals (Dirk Niebel [FDP]: Das können Sie so nicht
nicht lebhaft widersprochen haben. Es war nämlich ab- sagen!)
sehbar, dass Berlin mit den vorhandenen Mitteln die
Sie haben in einem Punkt Kritik geübt, Herr Kollege
Staatsoper Unter den Linden nicht sanieren kann. Es war
Otto. Ich möchte der guten Ordnung halber feststellen:
auch absehbar, dass das Konzept nicht tragfähig ist. Des-
Alle von Ihnen kritisierten Beschlüsse sind mit Zustim-
wegen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen:
mung der FDP im Haushaltsausschuss erfolgt.
Auch wenn sich Berlin seiner Verantwortung zu entzie-
hen droht, können wir uns hier nicht einfach zurückleh- (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Richtig! Einver-
nen und sagen, das sei das Problem Berlins. Die Kultur nehmlich!)
6548 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Steffen Kampeter
(A) Es ist schon einigermaßen verwunderlich, dass Sie – bei Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): (C)
allen noblen Gesten – jetzt hier als Sprecher Ihrer Frak- Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Kom-
tion bestimmte Beschlüsse, die Sie im Übrigen auch men wir von dem kleinlichen Gezänk wieder zu den
falsch interpretieren, in dieser Art und Weise kritisieren. wichtigen und großen Fragen zurück. Viele meiner Kol-
Es sollte kein falscher Eindruck bestehen bleiben: Alle legen und Kolleginnen haben schon darauf hingewiesen,
Beschlüsse, auch die von Ihnen kritisierten, sind mit Zu- dass wir nach einem Jahr großer Koalition eine positive
stimmung der FDP-Bundestagsfraktion im Haushalts- Bilanz ziehen können. Sie werden verstehen, dass auch
ausschuss erfolgt. ich noch einmal betone, dass die Grundlagen für den
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Aufbruch in die Zukunft schon unter der letzten Regie-
der SPD) rung mit der Agenda 2010 geschaffen worden sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das DIW hat in den
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: letzten Tagen festgestellt, dass das positive Wachstum
Zur Erwiderung Kollege Otto. keineswegs auf einem Vorzieheffekt aufgrund der
Mehrwertsteuererhöhung beruht, sondern auch eine
Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Auswirkung der gestiegenen Binnennachfrage und der
Herr Kollege Kampeter, für die Blumen zum Eingang weltwirtschaftlichen Konjunktur unter positiven Rah-
Ihrer Kurzintervention bedanke ich mich. Ich sehe mich menbedingungen in diesem Land ist. Daran ändern auch
aber trotzdem veranlasst, die Dinge hier richtig zu stel- Miesmacher wie Herr Brüderle und Herr Westerwelle
len. nichts; denn die Menschen in unserem Land schauen
wieder mit mehr Zuversicht und Vertrauen in die Zu-
Sie haben gesagt, ich hätte Beschlüsse falsch interpre- kunft. Das ist das Wichtigste.
tiert. Natürlich bin ich darauf vorbereitet. Ich lese einmal
vor, was auf Ihre persönliche Initiative hin als Haushalts- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
vermerk aufgenommen worden ist: Das positive Wachstum in Deutschland ist auch ein
Aus dem Ansatz zu … wichtiger Impuls für Europa.
– gemeint ist der Deutsche Kulturrat – (Otto Fricke [FDP]: Das ist meistens so bei
Wachstum, dass es positiv ist!)
dürfen vom Zuwendungsempfänger keine Ausga-
ben für den Versand von Faxen geleistet werden. Aber auch Europa hat über Jahrzehnte unser Land rei-
cher gemacht. Wir verdanken unseren Wohlstand und
Das ist Pillepalle, kleinliches Gezänk. Weil Ihnen unsere Arbeitsplätze ganz wesentlich der Tatsache, dass (D)
(B) Herr Zimmermann und der Deutsche Kulturrat nicht
wir unsere Waren in 25 – bald 27 – Mitgliedstaaten ohne
gefallen, wollen Sie dort das Versenden von Faxen ver- Zölle und Grenzbarrieren ausführen können. Der Ex-
bieten. portweltmeister Deutschland liefert fast zwei Drittel sei-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt doch ner Exporte in Länder der EU. Nach Angaben des Deut-
gar nicht!) schen Industrie- und Handelskammertages sichern die
freien Grenzen für Waren und Produkte in der EU circa
Für den Deutschen Kulturrat ist das ein Problem, weil er 5,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland.
keine freien Mittel hat, mit denen er das finanzieren
könnte. Ich sage Ihnen: Wenn wir so anfangen – wenn Deutschland und die EU stehen aber im harten inter-
Herr Staeck von der Akademie der Künste uns nicht ge- nationalen Wettbewerb globalisierter Ökonomie. Die
fällt, dann verbieten wir ihm zu telefonieren, und wenn vielen Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert
uns der Herr Knabe in Hohenschönhausen nicht gefällt, sind, machen den Menschen auch Angst. Junge wie Äl-
dann verbieten wir ihm den Kauf von Briefmarken –, tere machen sich zu Recht Sorgen über die Auswirkungen
dann ist das kein guter Umgang. Nach meiner Kenntnis komplexer Fragestellungen auf ihr persönliches Leben:
hat es einen solchen Vorgang in der Geschichte des deut- Globalisierung, Klimawandel, Altern der Gesellschaften,
schen Haushaltes noch nicht gegeben. Das ist ein kleinli- Bedrohung der Sicherheit durch Terrorismus, nicht im-
ches Gezänk. Ich fordere Sie auf, das zu unterlassen. mer gelungene Integration von Migranten sowie sozialer
Druck durch erbarmungslosen Wettbewerb. Dies trifft
Sie haben eben von Noblesse gesprochen. Lieber Herr
insbesondere einfache Arbeitnehmer in Fertigungsbran-
Kampeter, haben Sie die Noblesse und nehmen Sie die-
chen und Menschen mit geringer Qualifizierung.
sen Scherz, der im Grunde auf eine Zäsur hinausläuft,
zurück! Dann sind wir beide in dieser Sache quitt. Wir können und wollen aber nicht auf Basis von nied-
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg rigen Kosten konkurrieren. Wollten wir dies versuchen,
Tauss [SPD] – Jörg Tauss [SPD]: Ausnahms- müssten wir die Strukturen der sozialen Sicherheit,
weise hat Herr Otto Recht!) auf denen Europas Gesellschaften aufbauen, dramatisch
reduzieren oder abschaffen. Das kommt für uns über-
haupt nicht infrage.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Angelica Schwall- (Beifall bei der SPD)
Düren von der SPD-Fraktion.
Es wäre ein Weg in den politischen und ökonomischen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Untergang der EU.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6549
Dr. Angelica Schwall-Düren
(A) Ich darf an dieser Stelle aus einem Interview mit Deutschland durch Atomkraftwerke erzeugte Energie (C)
Jean-Claude Juncker Anfang dieser Woche in der könnte mittelfristig durch technologische Innovationen
„Frankfurter Rundschau“ zitieren: ersetzt werden. Wir brauchen nur die Energieerzeugung
aus Kraft-Wärme-Kopplung zu verdoppeln und schon
Es wird der Zeitpunkt kommen, dass sich große hätten wir einen Ersatz geschaffen.
Teile der Arbeitnehmer gegen die systematische
Verunsicherung wehren werden, weil sie sich in Es kommt aber sehr wohl darauf an, dass wir uns in
diesem Europa und in ihren nationalen Staaten der Europäischen Union auf Innovationsstrategien ver-
nicht mehr aufgehoben fühlen. ständigen und dafür sorgen, dass unsere Energielieferan-
ten in langfristige, sichere Beziehungen zu uns treten.
Deshalb schlussfolgert Juncker: Deswegen ist der Gipfel am Freitag dieser Woche so
Die Europäische Union muss auch eine Sozialunion wichtig. Ich möchte die Bundesregierung ermutigen, da-
werden. für einzutreten, dass die Sorgen Polens so ausgeräumt
werden, dass das Veto für das Verhandlungsmandat auf-
Recht hat er. gehoben wird.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
Dabei haben viele Menschen längst akzeptiert, dass Da wir in nächster Zeit, im Dezember, ausführlich
gegen Mikrochips und Internet keine künstlichen über die EU-Ratspräsidentschaft beraten, möchte ich
Schutzzäune helfen. Egal ob diese von links oder gar mich heute auf einige wenige Aspekte beschränken, die
von rechts gezogen werden: Beides endet im Kreis. Eine mit unserer innerstaatlichen Agenda verknüpft sind.
Politik der Insel der Glückseligen entbehrt jeder rationa- Hiermit meine ich ganz besonders das europäische
len Analyse. Sie muss scheitern; denn letztlich verzichtet Gesellschaftsmodell, das wir praktizieren, um einen so-
sie auf aktive und nachhaltige politische Gestaltung. Sie zialen Ausgleich in unserer Wettbewerbsgesellschaft zu
nimmt die Menschen mit ihren Sorgen nicht wirklich erzielen. Dieses Modell umfasst solidarisch finanzierte
ernst und verstärkt populistische Grundströmungen. Systeme der sozialen Sicherung gegen die persönlichen
(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) Lebensrisiken. Es hat Elemente der Wirtschaftsdemokra-
tie durch Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung. Es
Es ist klar, dass die Globalisierung den weltweiten garantiert den Zugang für alle Bürger zu bezahlbaren
Wohlstand vergrößert hat. Um an dieser Entwicklung Dienstleistungen von hoher Qualität und die Bereitstel-
aber auf Dauer teilhaben zu können, müssen die richti- lung öffentlicher Güter.
gen Weichen gestellt werden. Die Menschen wissen: Es
Den Herausforderungen, vor denen unser Gesell-
(B) braucht Mut zur Veränderung und Mut, die Chancen die- (D)
ser neuen Entwicklung gezielt zu ergreifen. Aufgabe der schaftsmodell steht, müssen wir mit konkreter innovati-
Politik ist es, mit diesem Mut und mit voller Schaffens- ver und nachhaltiger Politikgestaltung begegnen. Dazu
kraft voranzugehen, dabei die Menschen zu überzeugen brauchen wir einerseits wirtschaftliche Dynamik und
und mitzunehmen. Wachstum und andererseits eine Ausweitung unseres
Begriffs und unserer Praxis von sozialer Gerechtigkeit.
Deutschland übernimmt mit der EU-Ratspräsident- Beides geht nicht ohne oder gegen die EU; beides geht
schaft und der Präsidentschaft in der G 8 im kommenden nur mit der EU.
Jahr besondere Verantwortung für die EU und für die po-
litische Gestaltung der Globalisierung. Unsere gemein- Wir werden deshalb den nationalen, europäischen und
same Politik ist von dem Willen geprägt, die Vertiefung internationalen Herausforderungen auch weiterhin durch
und Erweiterung des europäischen Einigungsprozesses kohärentes politisches Handeln auf den unterschiedli-
mit Entschlossenheit und Augenmaß voranzutreiben. chen Ebenen begegnen. Dabei sind die Lissabonstrategie
Wir sind bereit, uns für eine gerechtere Welt einzusetzen. der Europäischen Union und das nationale Reformpro-
Ich nenne hier zwei Stichworte: WTO und Afrika-Strate- gramm die europäische bzw. deutsche Antwort.
gie. Heute ist schon von unserer Politik für den Mittel-
Spürbar sind die großen Erwartungen, die unsere stand und die Familien, von unserer Politik für For-
Partner mit der deutschen Präsidentschaft verbinden. schung und Innovationen sowie von unserer koordinier-
Dabei beziehe ich mich nicht ausschließlich auf die Er- ten Wachstumspolitik mit sozialem Gesicht gesprochen
wartungen hinsichtlich des Verfassungsvertrages, auf worden. Für die EU als globalen Akteur dürfen dabei die
den wir in der Europäischen Union so dringend angewie- Menschen nicht zum Objekt des Geschehens werden,
sen sind. Ich will hier auch einen Aspekt ansprechen, der sondern müssen durch Befähigung zur Teilhabe und
mit Innovation zu tun hat, nämlich die europäische Teilnahme zum Subjekt werden. Bildung ist die Grund-
Energiestrategie. Es kommt hier nicht darauf an – darin voraussetzung und muss stets auf der Höhe der Zeit sein.
unterscheide ich mich sicher von Herrn Kauder –, Die Bildungsinhalte selbst müssen die Bürger zu einer
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ihr sollt aber aufgeschlossenen und mutigen Haltung gegenüber Inno-
das Gemeinsame herausarbeiten und nicht das vationen anspornen. Das Wissen unserer Bürger ist ent-
Trennende!) scheidend für unseren Erfolg. Aber von ebenso großer
Bedeutung ist eine Haltung, die von Aktivität und
dass es in der Europäischen Union eine Festlegung der Selbstbewusstsein geprägt ist; das sage ich gerade vor
Nationalstaaten auf einen Energiemix gibt; denn die in dem Hintergrund des Gewaltaktes in Emsdetten. Bil-
6550 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Angelica Schwall-Düren


(A) dung muss ganzheitlich verstanden werden. Wir müssen Auf der europäischen Ebene wird es im kommenden (C)
für Wissen, soziale und kulturelle Kompetenz sowie psy- Jahr eine Reihe von legislativen Initiativen geben, die
chische Gesundheit eintreten. ganz konkret in das Leben der Menschen eingreifen und
Sicherheit mit Wandel – bekannt unter dem Stichwort
(Beifall bei der SPD)
„Flexicurity“ – verbinden wollen. Darum müssen wir
Wirtschaft braucht gute Rahmenbedingungen für In- uns intensiv kümmern, wie wir das bereits im vergange-
novationen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf nen Jahr getan haben.
verständigt, uns mit weiteren eigenen Deregulierungs-
Ich will, um ein Beispiel zu nennen, noch einmal auf
vorschlägen und Beiträgen in die Arbeit an einer besse-
die Dienstleistungsrichtlinie zu sprechen kommen. In
ren EU-Rechtsetzung einzubringen.
entwickelten Volkswirtschaften erlangt der Dienstleis-
Unsere Leitlinie ist, bei überflüssiger Bürokratie ein- tungsbereich ein immer stärkeres Gewicht. Die Europäi-
zugreifen. Wir gehen nicht nach dem neoliberalen Motto sche Union wird ihr Wachstumspotenzial nur dann
„Der Markt wird alles regeln“ vor, vielmehr wollen wir ausschöpfen können und dauerhaft ihre Wettbewerbsfä-
den gesellschaftlich gebotenen ordnungspolitischen Be- higkeit erhalten, wenn sie dieses Potenzial nutzt. Gleich-
darf als Ausgangspunkt nehmen. Der Markt regelt viel, zeitig darf dies aber nicht dazu führen, dass Europa sein
aber nicht die sozialen Beziehungen von Menschen. soziales Gesellschaftsmodell und damit seinen strategi-
schen Vorteil gegenüber anderen Volkswirtschaften auf-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
gibt.
Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten auch
deshalb so erfolgreich gewesen, weil der soziale Zusam- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
menhalt als entscheidender Produktionsfaktor akzeptiert Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis, das poli-
wurde. Sozialer Zusammenhalt und ökonomische Stärke tisch gestaltet werden muss. Die breite öffentliche Dis-
sind zwei Seiten einer Medaille. Nicht allein wirtschaft- kussion zur Dienstleistungsrichtlinie ist deshalb nicht,
liche Interessen bestimmen, wo es lang geht; sie müssen wie von einigen behauptet, ein Zeichen der mangelnden
gegen soziale, umweltpolitische und kulturelle Interes- Reformbereitschaft in der Europäischen Union, sondern
sen abgewogen werden. ein Zeichen der Vertiefung und Demokratisierung der
(Beifall bei der SPD) EU.

Wir unterstützen das Europäische Parlament und Kom- (Beifall bei der SPD)
missar Günter Verheugen in der Forderung, hier besser Dem Europäischen Parlament ist es gelungen, die
und schneller voranzukommen. Für uns Sozialdemokra- Dienstleistungsrichtlinie vom Kopf auf die Füße zu stel-
(B) ten ist besonders wichtig, schon im Vorgriff auf die Ge- len und einen Rahmen für den Interessenausgleich zwi- (D)
setzgebung ihre sozialen Folgen sichtbar zu machen. schen dem notwendigen Wettbewerb und einem ange-
Eine entsprechende Regelung könnte auch helfen, den messenen sozialen Schutz zu schaffen.
sozialen Akzent eines Verfassungsvertrags sichtbarer zu
machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die weitere Öffnung der europäischen Märkte hat lo- Dieser Rahmen muss nun von den nationalen Entschei-
gischerweise Folgen für den europäischen Arbeits- dungsträgern ausgefüllt werden. So bleibt es den Mitglied-
markt. Es reicht uns nicht, mithilfe der Lissabonstrate- staaten aufgegeben, Lohndumping durch Mindestlöhne, die
gie in erster Linie den Unternehmen besser zu helfen; für inländische und ausländische Arbeitnehmer gleicher-
denn wir haben berechtigte Zweifel an der Grundidee, maßen gelten, zu verhindern. Kurz gesagt: Wenn wir
dass es den Arbeitnehmern gut geht, sobald es den Un- zum Beispiel die Löhne der von ausländischen Dienst-
ternehmen gut geht. leistungserbringern entsandten Arbeitnehmer in deut-
schen Schlachthöfen kritisieren, liegt es an uns, dies zu
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) ändern, indem wir über Allgemeinverbindlichkeitserklä-
Arbeitnehmer sind keine frei verfügbare Masse. Wer sol- rungen von Tarifverträgen, die Umsetzung der Entsende-
chen Ideen das Wort redet, untergräbt europäische richtlinie oder über gesetzliche Mindestlöhne für ein fai-
Grundwerte res Miteinander der europäischen Arbeitnehmer sorgen.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Wir haben damit angefangen, indem wir für den Ge-
bäudereinigerbereich die Entsenderichtlinie endlich in
und riskiert die Destabilisierung der Gesellschaften. nationales Recht umgesetzt haben. Auf europäischer
Dieser Ansatz, der von Teilen der Kommission und Ebene müssen wir dafür sorgen, dass die nicht gewollte
einigen Mitgliedstaaten verfolgt wird, orientiert sich und unsoziale Deregulierung nicht wieder durch die Hin-
wohl eher am neoliberalen Wirtschaftsverständnis. Als tertür auf die Tagesordnung kommt, zum Beispiel zur
Parlamentarier halten wir auch hier am Primat der Poli- Verhinderung von Kontrollen im Entsenderecht.
tik fest.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])
Politik muss Mechanismen schaffen und Instrumente Die Tatsache, dass sich die Europäische Union mit
entwickeln, damit die Gestaltungskraft der Politik die den Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen beschäfti-
Globalisierung in die richtigen Bahnen lenkt. gen wird, deutet darauf hin, dass durch die wirtschaftli-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6551
Dr. Angelica Schwall-Düren
(A) che Integration in der Europäischen Union der Bereich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
der Daseinsvorsorge immer stärker europäischen Ein- der CDU/CSU)
flüssen unterliegt. Wir müssen diesen Prozess in Europa
politisch gestalten. Nur so können zum einen die Wachs- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
tumspotenziale des Binnenmarktes bei den Dienstleis- Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Börnsen von
tungen erschlossen werden, nur so kann zum anderen der der CDU/CSU-Fraktion.
Zugang aller Bürger und Unternehmen zu hochwertigen
Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge in (Beifall bei der CDU/CSU)
hoher Qualität und zu angemessenen Preisen auch künf-
tig gewährleistet werden. Der Diskussionsprozess in Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU):
Europa hierzu muss fortgesetzt werden. Wir müssen ihn Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
politisch gestalten und dürfen uns nicht auf reine Ab- Nach Europa noch ein kurzer Blick auf die Kultur.
wehrschlachten unter dem lauten Ruf nach Subsidiarität
zurückziehen. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Wer fair und unvoreingenommen urteilt, der stellt auch
für die Kulturpolitik der Bundesrepublik fest: Es geht
Sonst besteht die Gefahr einer schleichenden Deregulie- voran in unserem Land.
rung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Vor diesem Hintergrund begrüße ich die Arbeiten im neten der SPD)
Europäischen Parlament zur künftigen Gestaltung der
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ausdrück- Die großen Kulturverbände und Kulturinstitutionen zol-
lich. len dem Wirken des Staatsministers bereits nach einem
Jahr nicht nur Wohlwollen, sondern auch Anerkennung
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Respekt. Und diese Honorigkeit gilt einem Schwar-
zen, einem Profi der Politik, einem Parlamentarier aus
Diese Debatte müssen wir auch auf der nationalen Ebene Überzeugung: Bernd Neumann, unserem Kollegen.
führen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wodurch sind wir neten der SPD)
motiviert? Menschen brauchen Arbeit – in Deutschland,
Europa und anderswo. Nur sie sichert langfristig den Le- Viele der Kulturschaffenden, die heute applaudieren,
bensunterhalt. Wir brauchen mehr Arbeit und qualifi- haben noch vor einem Jahr vor Entsetzen die Hände über
(B) zierte Arbeit zu fairen Bedingungen und zu fairen Löh- dem Kopf zusammengeschlagen: (D)
nen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Jörg Tauss [SPD]: Sehr richtig!) Wie kann ein ausgewiesener Parteipolitiker die blaue
Jeder funktionierende Markt braucht freie und verant- Blume Kultur überhaupt schützen, stärken und in ihrer
wortliche Akteure. Das sichert Effizienz und Dynamik. Einmaligkeit sichern? Er kann es!
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Erfolgreiche Kulturpolitik setzt einen Koordinator
Mitbestimmung und Rechte für Arbeitnehmer sind Teil voraus, der in einem Klima der Freiheit für belastbare
hoch moderner Politik. Rahmenbedingungen sorgt und der die Kulturschaffen-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) den wie die Kulturerlebenden begeistern kann. Auch das
kann er!
Es ist gelungen, den Mitbestimmungsgedanken in
Europa zu festigen. Die Regelung zur Europäischen Ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
sellschaft zeigt das. Der dort gefundene Kompromiss der SPD)
sollte bei weiteren Gesetzesvorhaben wie der anstehen- Bereits zum zweiten Mal ist es dem Staatsminister ge-
den Revision der Richtlinie über Europäische Betriebs- lungen, die Haushaltsmittel für die Kultur aufzustocken.
räte und der Regelung über die grenzüberschreitende Fu- In Zeiten verantwortungsbewusster Sparpolitik ist das
sion von Unternehmen berücksichtigt werden. wahrlich ein besonderer Erfolg. Das gilt auch für die
Unsere gemeinsame Politik hält fest am Ziel des Beibehaltung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von
Wohlstandes für alle. Wir wollen, dass Menschen sicher 7 Prozent in 2007.
und gut leben können. Deshalb organisieren wir Solida- (Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau)
rität und Sozialstaat.
In diesem und in anderen Kulturfeldern erfährt der
Wir Sozialdemokraten arbeiten in der großen Koali- Staatsminister der Union die Zustimmung der Opposi-
tion mit Energie und Leidenschaft an den nötigen Vo- tion. Das ist nicht selbstverständlich. Herr Kollege Otto,
raussetzungen in Deutschland und in der Europäischen dafür möchte ich Ihnen und den anderen ausdrücklich
Union. danken.
Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
6552 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


(A) Der von Bernd Neumann praktizierte kollegiale Poli- ziehern und Lehrern danken; denn ohne deren Elan und (C)
tikstil schafft einen breiten Konsens, der der Kultur ins- Enthusiasmus, ohne deren Inspiration und Initiative gäbe
gesamt gut tut. Kultur ist das Fundament unserer Gesell- es diese blühende Musiklandschaft Deutschland nicht.
schaft. Kultur ist das Kapital unseres Landes. Kultur ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
ein exzellenter Standortfaktor. Kultur schließlich gibt SPD und der FDP sowie der Abg. Dr. Gesine
den Menschen in unserem Land Orientierung, Lebensin- Lötzsch [DIE LINKE])
halt und Sinnerfüllung. Kultur ist der Bodensatz der
Identitätsbildung, ist Voraussetzung, um sich als selbst- Dass auch der renommierte Bach-Chor in meiner Hei-
bewusste Nation begreifen zu können. matstadt Flensburg dazugehört,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Zurufe von der CDU/CSU: Ah!)
der SPD) dem ich an dieser Stelle zu seinem 100-jährigen Jubi-
Der Schlüsselsatz für die Kulturpolitik der Bundesre- läum gratulieren möchte, darf ich am Rande bemerken.
gierung ist in der ersten Regierungserklärung von Bun- (Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frank-
deskanzlerin Angela Merkel enthalten: Kulturförderung furt] [FDP])
ist keine Subvention, sondern eine Investition in die Zu-
kunft. Daran orientiert, wurde konsequent und konkret Vizepräsidentin Petra Pau:
gehandelt. Kollege Börnsen, das musste unbedingt noch gesagt
Erstens. Der Kunststandort Deutschland wurde ge- werden. Ich bitte Sie aber, jetzt zum Schluss zu kommen.
stärkt.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU):
(Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/
Gut. – Ich möchte noch darauf aufmerksam machen
CSU])
– auch das gehört zum breiten Erfolg des Kulturstaats-
Durch das Folgerecht im Kunsthandel wurden für Künst- ministers dieser Bundesregierung –, dass wir mit dem
ler in der Bundesrepublik endlich EU-weit vergleichbare Bode-Museum, mit dem Deutschen Historischen Mu-
Bedingungen geschaffen. seum und vielen weiteren Einrichtungen eine exzellente
neue und ausgebaute Museumslandschaft in Deutsch-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) land bekommen haben. Insgesamt haben wir nicht nur
Mit der Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens eine vitale, engagierte, aktive und kreative Hauptstadt
zum Kulturgüterschutz wurde für den Kunsthandel bei Berlin mit viel Kultur, sondern wir haben auch viele an-
uns und international eine verlässliche Grundlage ge- dere blühende Kulturstandorte in Deutschland, in un-
(B) schaffen. 36 Jahre lang hatte man sich dieser Regelung serem föderalen System. Ich glaube, darauf sollten wir (D)
verweigert. Die große Koalition brauchte vier Monate, stolz sein und das sollte uns mutig machen für die Zu-
um den Schutz von Kulturgütern zu sichern. Das nenne kunft. Die Kulturpolitik ist auf einem Erfolgskurs.
ich eine Politik der Entschlossenheit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das war ein wunderbarer Schlusssatz.
neten der SPD)
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das muss man
Zweitens. Der Filmstandort Deutschland wurde ge- ein bisschen aufzählen!)
stärkt. Ab 2007 stehen den Filmschaffenden neben den
FFA- und Ländermitteln jährlich weitere 60 Millio- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU):
nen Euro zur Verfügung. Das stärkt den Aufwärtstrend Sie braucht Verbündete, nämlich Sie, die Abgeordne-
des deutschen Films nachhaltig, das stabilisiert ihn, das ten.
macht ihn in einem Jahr großer Rekorde noch stärker.
Fast 30 Prozent aller Kinoproduktionen kommen aus Herzlichen Dank.
dem eigenen Land. Das ist ein Rekord. In diesem Jahr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
gibt es fast 150 Premieren von Filmen aus Deutschland. neten der SPD – Eduard Oswald [CDU/CSU]:
Das ist eine noch nie da gewesene Leistung der Film- Wir hätten noch lange zuhören können!)
schaffenden in unserem Land. Herzlichen Dank dafür!
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsidentin Petra Pau:
der SPD – Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Es Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich der Kolle-
gibt ja auch noch mehr!) gin Petra Merkel für die SPD-Fraktion das Wort gebe,
bitte ich Sie darum, auch ihr noch die angemessene Auf-
Drittens. Der Musikstandort Deutschland wurde merksamkeit zukommen zu lassen.
durch zusätzliche Mittel für „Initiative Musik“ gestärkt.
Unser Land kennzeichnet eine in der Vielzahl einmalige (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
und in der Qualität erstklassige lebendige Musikkultur der FDP)
mit fast 50 000 Chören, 1,3 Millionen Sängerinnen und
Es ist schön, dass Sie schon so zahlreich zur Abstim-
Sängern, 30 000 Orchestern und über 700 000 Instru-
mung erschienen sind. Ich denke, Ihre Gespräche kön-
mentalisten. An dieser Stelle möchte ich stellvertretend
nen bis zur Abstimmung aufgeschoben werden.
für alle Aktiven in der Breitenkultur den ehren- und
hauptamtlichen Chorleitern, den Vorständen, Musiker- Das Wort hat die Kollegin Merkel.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6553

(A) Petra Merkel (Berlin) (SPD): port, nämlich Export von Musik. Die Mittel sind ge- (C)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sperrt, damit das Konzept entwickelt und beraten werden
Sehr geehrte Damen und Herren! Mir wurde empfohlen, kann. Dazu wird Gelegenheit sein.
meine Rede vorzusingen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frank-
Gestern war Welttag des Fernsehens. Ich komme zum
furt] [FDP])
Thema Deutsche Welle. Sie ist im Haushalt 2007 nicht
Das will ich Ihnen lieber ersparen. Herr Otto, ich glaube, von Kürzungen betroffen. In den vergangenen Jahren
das wäre nicht gut. wurden von Intendanten Bettermann mit erheblichen
Anstrengungen neue Strukturen geschaffen, die Wirkung
Ich habe den Eindruck, dass unser Kulturstaatsminis- zeigen. Ich möchte eine neue Perspektive hervorheben:
ter Neumann in einer guten Kontinuität steht. Vieles, die Kooperation von ARD und ZDF mit der Deutschen
was Herr Börnsen gerade gesagt hat, war sorgfältig vor- Welle. Die Deutsche Welle kann sich dadurch zu einem
bereitet. Ich will die Verdienste von Herrn Neumann Auslandsfernsehen mit frischen Programmplanungen
überhaupt nicht schmälern. Ich glaube, Sie haben sich ausbauen. Neben den bewährten Produktionen der Deut-
wirklich wacker geschlagen und viel für den Kulturbe- schen Welle können dadurch mehr Informationen über
reich herausgeholt. Schon im Regierungsentwurf war Deutschland in alle Welt gesendet werden.
eine erhebliche Steigerung der Mittel zu verzeichnen.
Ich will auch darauf hinweisen, dass Herr Kampeter und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
ich als Vertreter der großen Koalition für diesen Bereich CDU/CSU)
noch einiges dazugelegt haben. Insofern sind wir im Be-
Das nützt dem Bild unseres Landes und der Vermittlung
reich Kultur alle sehr erfolgreich.
unserer Kultur.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Unruhe – Glocke der Präsidentin)
der CDU/CSU – Hans-Joachim Otto [Frank-
furt] [FDP]: Ihr bejubelt euch selber!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Gysi, zu Ihnen: Es ist das zweite Mal gelungen, Kollegin Merkel, ich habe Ihre Redezeit angehalten.
den Kulturetat zu steigern. Sowohl im Jahr 2006 als auch Ich hatte die Kolleginnen und Kollegen schon vor Be-
für das Haushaltsjahr 2007 gibt es Steigerungen, die Sie ginn Ihrer Rede darum gebeten, ihre Gespräche entwe-
nicht wahrgenommen haben. der draußen zu führen oder sie einzustellen. Ich finde,
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Aber im Ver- wir sollten uns, bevor wir zu dieser wichtigen Abstim-
gleich zu den vorhergehenden Jahren! mung kommen, auch noch die Argumente der letzten
(B) Rednerin in dieser Debatte anhören. (D)
Wir haben dem Kulturhaushalt im Rahmen des Haus-
halts des Sanierens, Reformierens und Investierens aller- (Beifall im ganzen Hause)
dings nichts schenken können. Im Kulturhaushalt war für
das Jahr 2007 eine pauschale Minderausgabe in Höhe Petra Merkel (Berlin) (SPD):
von 17 Millionen Euro veranschlagt, die auf Wunsch der Da ich weiß, wie schwer das ist, wenn man zur Ab-
Haushälter der großen Koalition reduziert wurde, näm- stimmung in den Plenarsaal kommt, versuche ich, gegen
lich um 7 Millionen Euro. 10 Millionen Euro sind also die Unruhe anzureden.
im Laufe des Haushaltsjahres zu erwirtschaften. Das ist
Im Haushalt 2007 konnten wir die Mittel für die
realistischerweise zu schaffen.
Deutsche Welle nicht aufstocken. Aber immerhin sind
Erfreulich ist, wie gesagt, dass der Kulturetat steigt, keine Kürzungen erfolgt. Die Kooperation zwischen
sowohl 2006 als auch 2007. Wir setzen mit diesem Etat ARD, ZDF und Deutscher Welle kann schrittweise auf-
sowohl im Bereich Film als auch im Bereich Musik neue gebaut und in verschiedenen Sendegebieten aufgenom-
Impulse. Die Film- und die Musikbranche sind eng mit men werden.
der Wirtschaft verbunden. Insofern sind die eingestellten
Die Deutsche Welle ist ein wichtiger Bestandteil des
Mittel auch eine Spritze für die Wirtschaft.
gesamten deutschen Engagements in der auswärtigen
(Beifall bei der SPD) Kultur- und Bildungspolitik. Ebenso wichtig sind aber
auch die Mittlerorganisationen wie das Goethe-Institut.
Wir fördern die Filmproduktion im kommenden Jahr
Auch wenn diese im Haushalt des Auswärtigen Amtes
mit insgesamt 60 Million Euro zusätzlich. Das bietet
angesiedelt sind, möchte ich die große kulturelle Bedeu-
eine gute Chance zur Stärkung des Produktionsstandor-
tung ihrer Arbeit deutlich machen.
tes Deutschland und zur Sicherung von Arbeitsplätzen in
einer Branche, die häufig ein Bild von Deutschland ex- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
portiert.
Für ihre Arbeit stellen wir im Jahr 2007 13,5 Millio-
Auch die „Initiative Musik“ soll einen Impuls setzen. nen Euro mehr zur Verfügung.
Im Haushalt 2007 wird sie mit 1 Millionen Euro ausge-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
stattet. Sie soll die Rahmenbedingungen für Musik und
CDU/CSU)
Musikwirtschaft verbessern. Diese Initiative soll min-
destens drei Säulen umfassen: Nachwuchsförderung, Die Bereiche Film und Musik, die Deutsche Welle
Migration und Pädagogik sowie – auch hier wieder – Ex- und das Goethe-Institut sind nur wenige Beispiele, die
6554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Petra Merkel (Berlin)


(A) verdeutlichen, welche Schwerpunkte wir im Rahmen der und Solidarität über die bisher beteiligten Länder (C)
Beratungen des Haushalts für das Jahr 2007 gesetzt ha- Polen, Ungarn und Slowakei hinaus – an das Un-
ben. Diese Schwerpunkte werden ausstrahlen. Auch auf- recht von Vertreibungen zu erinnern und Vertrei-
grund der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird unser bung für immer zu ächten.
Land im Jahre 2007 ganz besonders im Mittelpunkt ste-
hen. Die Umsetzung dieses im Koalitionsvertrag gefundenen
Kompromisses soll durch die Bereitstellung der zusätzli-
Die vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien chen Mittel ermöglicht werden.
geförderten Institutionen und Projekte geben einen
Überblick über die deutsche Geschichte. Denkmäler und (Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])
symbolträchtige Orte ermöglichen Erinnerung, indem Kern dieses sichtbaren Zeichens soll die Ausstellung
sie Geschichte erlebbar und spürbar machen. Viele sol- „Flucht, Vertreibung, Integration“ des Hauses der Ge-
cher Orte sind in Deutschland zu finden. Eine besonders schichte in Bonn sein, wie Kulturstaatsminister Bernd
hohe Dichte gibt es in Berlin, der Hauptstadt der Bun- Neumann bei der Eröffnung der Ausstellung im Deut-
desrepublik. schen Historischen Museum Berlin angekündigt hat. Das
Die Mauer war ein Symbol dieser Stadt. Sie war das ist die Grundlage dieser Initiative.
Symbol für die Teilung Deutschlands. Ich freue mich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
über das Ergebnis der Haushaltsberatungen, dass für die CDU/CSU)
Gedenkstätte an der Bernauer Straße im Jahre 2008
3 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt werden. Im Haushaltsausschuss haben wir beschlossen, dass
sich der Bund an der Sanierung der Staatsoper Unter
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der den Linden beteiligen wird;
CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Koppelin
[FDP]) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass die Konzeption des das ist richtig. Die Sanierung der Staatsoper Berlin wird
Mauergedenkens, die vom Berliner Senat in Abstim- vom Bund mit 50 Millionen Euro unterstützt. Durch den
mung mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Kul- Beschluss des Haushaltsausschusses tritt der Bund in
turausschuss des Bundestages und dem BKM erarbeitet Vorleistung. Damit zeigt er seine Bereitschaft – ich zi-
worden ist, nun auch auf der Bundesebene in Angriff ge- tiere –,
nommen werden kann. für die Erhaltung eines national bedeutenden, ein-
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas steht zigartigen Kulturdenkmals Verantwortung zu über-
(B) für die schlimmste deutsche Vergangenheit. Damit die nehmen. (D)
Stiftung ihre gute Arbeit fortführen kann, haben wir die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Mittel, die wir für die Stiftung zur Verfügung stellen, um CDU/CSU)
355 000 Euro erhöht. So können wir sicherstellen, dass
die auch aufgrund der hohen Besucherzahlen wachsen- Dieses Zitat stammt aus der Presseerklärung von Steffen
den Anforderungen an die Stiftung bewerkstelligt wer- Kampeter, der an dieser Stelle ins Schwärmen geraten
den können. ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Die Finanzierung soll aufgeteilt werden: 50 Millio-
CDU/CSU) nen Euro soll der Bund übernehmen, 50 Millionen Euro
das Land Berlin und 30 Millionen Euro sollen von priva-
Daran, dass viele Menschen dieses Denkmal besuchen, ten Sponsoren aufgebracht werden. Wie es im Moment
wird deutlich, dass die Entscheidung für ein solches aussieht, wird darüber mit dem Berliner Senat verhan-
Denkmal richtig war. In Anbetracht der vielen interna- delt werden müssen. Herr Otto, im Hauptstadtkulturver-
tionalen Besucher zeigt dieses Denkmal die europäische trag ist allerdings keine Festlegung in Bezug auf die Sa-
Aufgabe, aus der Vergangenheit für eine gemeinsame nierung des Gebäudes erfolgt. So viel steht fest.
Zukunft zu lernen.
Ich komme zur Museumsinsel. Ich freue mich beson-
Nun komme ich auf das sichtbare Zeichen gegen
ders, dass es gelungen ist, den Beginn der Arbeiten im
Flucht und Vertreibung zu sprechen. Flucht und Ver-
Zuge der Errichtung des Eingangsgebäudes für die
treibung sind Teil der deutschen Geschichte. Auch dieser
Museumsinsel auf 2009 vorzuziehen.
Teil unserer Vergangenheit ist im europäischen Zusam-
menhang zu sehen. Für dieses Zeichen haben wir im (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Rahmen des parlamentarischen Verfahrens für das
Jahr 2007 750 000 Euro zusätzlich in den Haushalt ein- Es soll dazu dienen, die schon jetzt anwachsenden Besu-
gestellt, Frau Göring-Eckardt. cherströme ab 2015 auf der Insel zu verteilen. Die
Museumsinsel entwickelt sich zu einem Magneten für
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Besucherinnen und Besucher aus allen deutschen Bun-
desländern und aus dem Ausland; Sie haben miterlebt,
Im Koalitionsvertrag heißt es:
was sich seit der Eröffnung des Bode-Museums dort ab-
Wir wollen im Geiste der Versöhnung auch in Ber- spielt. Der Bund unterstützt den Bau des Eingangsge-
lin ein sichtbares Zeichen setzen, um – in Verbin- bäudes mit insgesamt 73 Millionen Euro, die ab 2009
dung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung fließen. Bis 2015 soll die Umsetzung erfolgen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6555
Petra Merkel (Berlin)
(A) Mir sei noch eine Bemerkung gestattet: Ich hoffe sehr, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (C)
dass über die Form des Eingangsgebäudes noch disku-
tiert wird. Ich bin sicher, dass durch die Einstellung der Vizepräsidentin Petra Pau:
entsprechenden Mittel ab 2009 jetzt die Auseinanderset- Ich schließe die Aussprache.
zung darüber im Kulturausschuss beginnen kann. Über
Geschmack lässt sich streiten. Liebe Kolleginnen und Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
Kollegen im Kulturausschuss, bitte tun Sie es! plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungs-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der anträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst
CDU/CSU) abstimmen.
Der Bund investiert viel in Berlin, wenn auch nicht Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
über die Haushaltskasse des Landes. Ich nenne die Sa- sache 16/3464? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Ent-
nierungsmaßnahmen auf der Museumsinsel, das Ein- haltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Ände-
gangsgebäude, das sind Bundesmittel für die Stiftung rungsantrag der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der
„Preußischer Kulturbesitz“, an der Bundesländer und der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt.
Bund beteiligt sind. Vieles, was in Berlin zu sehen ist, ist
eben von nationaler Bedeutung. Ich möchte darauf hin- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
weisen, dass wir im Rahmen der Föderalismusreform im sache 16/3465? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Ent-
Sommer dieses Jahres neben anderen, umfangreichen haltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den
Grundgesetzänderungen einen Art. 22 aufgenommen ha- Stimmen der Union und der SPD bei Enthaltung der
ben: Fraktionen der FDP und der Grünen.
Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Haupt- Wir nehmen zwei Erklärungen zur Abstimmung zu
stadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird Protokoll, nämlich der Kollegin Maria Michalk und des
durch Bundesgesetz geregelt. Kollegen Dr. Ilja Seifert1), und kommen damit zur na-
mentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der
Ich plädiere dafür, dass ein solches Berlin-Gesetz unter Ausschussfassung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
anderem den Hauptstadtkulturvertrag und den Haupt- Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
stadtkulturfonds ablösen sollte. Als Auftraggeber, als Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem
diejenigen, die das Grundgesetz geändert haben, müssen Platz? – Ich eröffne die Abstimmung.
wir die Diskussion darüber führen, was der Bund für die
Hauptstadt tun muss. Als Berlinerinnen und Berliner Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
(B) müssen wir die Diskussion führen, was die Hauptstadt Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der (D)
den Bundesländern bietet. Als Bürger der Bundesrepu- Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
blik müssen wir schließlich darüber diskutieren, welche führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
Erwartungen an die Hauptstadt es gibt. beginnen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Während der Fußballweltmeisterschaft in diesem
Sommer haben viele Menschen erlebt, was diese welt- (Unterbrechung von 13.23 bis 13.30 Uhr)
offene Hauptstadt Berlin unbezahlbar, selbstverständlich
leisten kann – und das mit Freude tut. Vizepräsidentin Petra Pau:
Zum Schluss möchte ich darauf verweisen, dass das Die unterbrochene Sitzung ist wiedereröffnet.
Bundespresseamt, dessen Etat zum Einzelplan des Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Ihre
Bundeskanzleramts gehört, eine hervorragende Bro- Plätze wieder einzunehmen. – Ich gebe das von den
schüre herausgegeben hat, die den Besucherinnen und Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
Besuchern, die wir aus den Wahlkreisen nach Berlin ein- nis der namentlichen Abstimmung über den Einzel-
laden, überreicht wird: „Das politische Berlin – ein plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der
Stadtrundgang“. Das ist die gelungene Umsetzung einer Ausschussfassung bekannt – das betraf die Drucksachen
Idee, die ich an das Bundespresseamt herangetragen 16/3104 und 16/3123 –: Abgegebene Stimmen 569. Mit
habe. Ich glaube, dies dient genau dazu zu diskutieren, Ja haben 419 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit
was die Hauptstadt ermöglicht und was wir erwarten. Nein haben 150 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es
Diesen Diskussionsprozess brauchen wir. gab keine Enthaltung. Damit ist der Einzelplan 04 ange-
nommen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und be-
danke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, bei dem
Herrn Staatsminister und den Vertretern der Ministerien. 1) Anlagen 2 und 3
6556 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Endgültiges Ergebnis Dr. Reinhard Göhner Stephan Mayer (Altötting) Christian Freiherr von Stetten (C)
Abgegebene Stimmen: 569; Josef Göppel Wolfgang Meckelburg Gero Storjohann
davon Peter Götz Dr. Michael Meister Andreas Storm
Dr. Wolfgang Götzer Dr. Angela Merkel Max Straubinger
ja: 419
Ute Granold Friedrich Merz Thomas Strobl (Heilbronn)
nein: 150 Reinhard Grindel Laurenz Meyer (Hamm) Lena Strothmann
Hermann Gröhe Maria Michalk Michael Stübgen
Ja Michael Grosse-Brömer Hans Michelbach Antje Tillmann
Markus Grübel Philipp Mißfelder Dr. Hans-Peter Uhl
CDU/CSU Manfred Grund Dr. Eva Möllring Arnold Vaatz
Monika Grütters Carsten Müller Volkmar Uwe Vogel
Ulrich Adam Andrea Astrid Voßhoff
Karl-Theodor Freiherr zu (Braunschweig)
Ilse Aigner Gerhard Wächter
Guttenberg Stefan Müller (Erlangen)
Peter Albach Marco Wanderwitz
Olav Gutting Bernward Müller (Gera)
Peter Altmaier Kai Wegner
Holger Haibach Dr. Gerd Müller
Dorothee Bär Marcus Weinberg
Gerda Hasselfeldt Hildegard Müller
Thomas Bareiß Peter Weiß (Emmendingen)
Ursula Heinen Bernd Neumann (Bremen)
Norbert Barthle Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Uda Carmen Freia Heller Michaela Noll
Dr. Wolf Bauer Karl-Georg Wellmann
Günter Baumann Michael Hennrich Dr. Georg Nüßlein
Jürgen Herrmann Franz Obermeier Anette Widmann-Mauz
Ernst-Reinhard Beck
Bernd Heynemann Eduard Oswald Klaus-Peter Willsch
(Reutlingen)
Ernst Hinsken Henning Otte Willy Wimmer (Neuss)
Veronika Bellmann
Robert Hochbaum Rita Pawelski Elisabeth Winkelmeier-
Dr. Christoph Bergner
Klaus Hofbauer Dr. Peter Paziorek Becker
Otto Bernhardt
Franz-Josef Holzenkamp Ulrich Petzold Matthias Wissmann
Clemens Binninger
Joachim Hörster Dr. Joachim Pfeiffer Dagmar Wöhrl
Carl-Eduard von Bismarck
Anette Hübinger Sibylle Pfeiffer Wolfgang Zöller
Renate Blank
Hubert Hüppe Dr. Friedbert Pflüger Willi Zylajew
Peter Bleser
Antje Blumenthal Susanne Jaffke Beatrix Philipp
Dr. Peter Jahr Ronald Pofalla SPD
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert Dr. Hans-Heinrich Jordan Ruprecht Polenz Dr. Lale Akgün
Wolfgang Börnsen Andreas Jung (Konstanz) Daniela Raab Gregor Amann
(Bönstrup) Dr. Franz Josef Jung Thomas Rachel Gerd Andres
Klaus Brähmig Bartholomäus Kalb Hans Raidel Niels Annen
(B) Michael Brand Hans-Werner Kammer Dr. Peter Ramsauer Ingrid Arndt-Brauer (D)
Helmut Brandt Steffen Kampeter Peter Rauen Rainer Arnold
Dr. Ralf Brauksiepe Alois Karl Eckhardt Rehberg Ernst Bahr (Neuruppin)
Monika Brüning Bernhard Kaster Katherina Reiche (Potsdam) Doris Barnett
Georg Brunnhuber Siegfried Kauder (Villingen- Klaus Riegert Dr. Hans-Peter Bartels
Gitta Connemann Schwenningen) Franz Romer Klaus Barthel
Leo Dautzenberg Volker Kauder Johannes Röring Sören Bartol
Hubert Deittert Eckart von Klaeden Kurt J. Rossmanith Sabine Bätzing
Alexander Dobrindt Jürgen Klimke Dr. Norbert Röttgen Dirk Becker
Thomas Dörflinger Julia Klöckner Dr. Christian Ruck Uwe Beckmeyer
Marie-Luise Dött Jens Koeppen Albert Rupprecht (Weiden) Klaus Uwe Benneter
Maria Eichhorn Kristina Köhler (Wiesbaden) Peter Rzepka Dr. Axel Berg
Georg Fahrenschon Manfred Kolbe Anita Schäfer (Saalstadt) Ute Berg
Ilse Falk Norbert Königshofen Hermann-Josef Scharf Petra Bierwirth
Dr. Hans Georg Faust Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Schauerte Lothar Binding (Heidelberg)
Enak Ferlemann Hartmut Koschyk Dr. Annette Schavan Volker Blumentritt
Ingrid Fischbach Thomas Kossendey Karl Schiewerling Kurt Bodewig
Hartwig Fischer (Göttingen) Gunther Krichbaum Norbert Schindler Clemens Bollen
Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Günter Krings Georg Schirmbeck Gerd Bollmann
Dr. Maria Flachsbarth Dr. Martina Krogmann Bernd Schmidbauer Dr. Gerhard Botz
Klaus-Peter Flosbach Johann-Henrich Christian Schmidt (Fürth) Klaus Brandner
Herbert Frankenhauser Krummacher Andreas Schmidt (Mülheim) Willi Brase
Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Hermann Kues Ingo Schmitt (Berlin) Bernhard Brinkmann
(Hof) Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Dr. Andreas Schockenhoff (Hildesheim)
Erich G. Fritz Andreas G. Lämmel Dr. Ole Schröder Edelgard Bulmahn
Jochen-Konrad Fromme Dr. Norbert Lammert Bernhard Schulte-Drüggelte Marco Bülow
Dr. Michael Fuchs Katharina Landgraf Wilhelm Josef Sebastian Ulla Burchardt
Hans-Joachim Fuchtel Dr. Max Lehmer Horst Seehofer Martin Burkert
Dr. Peter Gauweiler Paul Lehrieder Kurt Segner Dr. Michael Bürsch
Dr. Jürgen Gehb Ingbert Liebing Bernd Siebert Christian Carstensen
Norbert Geis Eduard Lintner Thomas Silberhorn Marion Caspers-Merk
Eberhard Gienger Dr. Klaus W. Lippold Johannes Singhammer Dr. Peter Danckert
Michael Glos Patricia Lips Jens Spahn Dr. Herta Däubler-Gmelin
Ralf Göbel Dr. Michael Luther Erika Steinbach Karl Diller
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6557
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Martin Dörmann Angelika Krüger-Leißner Andreas Steppuhn Harald Leibrecht (C)
Dr. Carl-Christian Dressel Dr. Hans-Ulrich Krüger Ludwig Stiegler Ina Lenke
Elvira Drobinski-Weiß Ute Kumpf Rolf Stöckel Sabine Leutheusser-
Garrelt Duin Christine Lambrecht Christoph Strässer Schnarrenberger
Detlef Dzembritzki Christian Lange (Backnang) Dr. Peter Struck Markus Löning
Sebastian Edathy Dr. Karl Lauterbach Joachim Stünker Horst Meierhofer
Siegmund Ehrmann Waltraud Lehn Dr. Rainer Tabillion Jan Mücke
Hans Eichel Helga Lopez Jörg Tauss Burkhardt Müller-Sönksen
Gernot Erler Gabriele Lösekrug-Möller Jella Teuchner Dirk Niebel
Petra Ernstberger Dirk Manzewski Dr. h. c. Wolfgang Thierse Hans-Joachim Otto
Annette Faße Lothar Mark Jörn Thießen (Frankfurt)
Elke Ferner Caren Marks Franz Thönnes Detlef Parr
Gabriele Fograscher Katja Mast Hans-Jürgen Uhl Cornelia Pieper
Rainer Fornahl Hilde Mattheis Rüdiger Veit Gisela Piltz
Gabriele Frechen Markus Meckel Simone Violka Jörg Rohde
Dagmar Freitag Petra Merkel (Berlin) Jörg Vogelsänger Frank Schäffler
Peter Friedrich Dr. Matthias Miersch Dr. Marlies Volkmer Dr. Konrad Schily
Sigmar Gabriel Ursula Mogg Hedi Wegener Dr. Hermann Otto Solms
Martin Gerster Marko Mühlstein Andreas Weigel Dr. Max Stadler
Iris Gleicke Detlef Müller (Chemnitz) Petra Weis Dr. Rainer Stinner
Renate Gradistanac Michael Müller (Düsseldorf) Gunter Weißgerber Carl-Ludwig Thiele
Angelika Graf (Rosenheim) Gesine Multhaupt Gert Weisskirchen Florian Toncar
Dieter Grasedieck Franz Müntefering (Wiesloch)
Christoph Waitz
Monika Griefahn Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Wend
Dr. Guido Westerwelle
Kerstin Griese Andrea Nahles Lydia Westrich
Dr. Claudia Winterstein
Gabriele Groneberg Thomas Oppermann Dr. Margrit Wetzel
Dr. Volker Wissing
Wolfgang Grotthaus Heinz Paula Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Wolfgang Gunkel Johannes Pflug Martin Zeil
Hans-Joachim Hacker Joachim Poß Dr. Dieter Wiefelspütz
Bettina Hagedorn Christoph Pries Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg DIE LINKE
Klaus Hagemann Dr. Wilhelm Priesmeier
Alfred Hartenbach Florian Pronold Heidi Wright Hüseyin-Kenan Aydin
Uta Zapf Dr. Dietmar Bartsch
Michael Hartmann Dr. Sascha Raabe
Manfred Zöllmer Dr. Lothar Bisky
(Wackernheim) Mechthild Rawert
Brigitte Zypries Heidrun Bluhm
(B) Nina Hauer Steffen Reiche (Cottbus) (D)
Hubertus Heil Maik Reichel Eva Bulling-Schröter
Reinhold Hemker Gerold Reichenbach Nein Dr. Martina Bunge
Rolf Hempelmann Dr. Carola Reimann Roland Claus
Dr. Barbara Hendricks Christel Riemann- FDP Sevim Dagdelen
Gustav Herzog Hanewinckel Dr. Diether Dehm
Jens Ackermann Werner Dreibus
Petra Heß Walter Riester Dr. Karl Addicks
Gabriele Hiller-Ohm Sönke Rix Dr. Dagmar Enkelmann
Christian Ahrendt
Petra Hinz (Essen) Dr. Ernst Dieter Rossmann Klaus Ernst
Daniel Bahr (Münster)
Gerd Höfer Karin Roth (Esslingen) Wolfgang Gehrcke
Uwe Barth
Iris Hoffmann (Wismar) Michael Roth (Heringen) Diana Golze
Rainer Brüderle
Frank Hofmann (Volkach) Ortwin Runde Dr. Gregor Gysi
Angelika Brunkhorst
Klaas Hübner Anton Schaaf Ernst Burgbacher Heike Hänsel
Christel Humme Axel Schäfer (Bochum) Patrick Döring Lutz Heilmann
Lothar Ibrügger Bernd Scheelen Mechthild Dyckmans Hans-Kurt Hill
Brunhilde Irber Dr. Hermann Scheer Jörg van Essen Cornelia Hirsch
Johannes Jung (Karlsruhe) Marianne Schieder Ulrike Flach Inge Höger-Neuling
Josip Juratovic Ulla Schmidt (Aachen) Otto Fricke Dr. Barbara Höll
Johannes Kahrs Silvia Schmidt (Eisleben) Paul K. Friedhoff Dr. Lukrezia Jochimsen
Ulrich Kasparick Renate Schmidt (Nürnberg) Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Hakki Keskin
Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Frank Schmidt Dr. Edmund Peter Geisen Katja Kipping
Ulrich Kelber Heinz Schmitt (Landau) Dr. Wolfgang Gerhardt Monika Knoche
Christian Kleiminger Carsten Schneider (Erfurt) Hans-Michael Goldmann Jan Korte
Hans-Ulrich Klose Olaf Scholz Miriam Gruß Katrin Kunert
Astrid Klug Ottmar Schreiner Joachim Günther (Plauen) Oskar Lafontaine
Dr. Bärbel Kofler Swen Schulz (Spandau) Dr. Christel Happach-Kasan Michael Leutert
Walter Kolbow Ewald Schurer Heinz-Peter Haustein Ulla Lötzer
Fritz Rudolf Körper Frank Schwabe Elke Hoff Dr. Gesine Lötzsch
Karin Kortmann Dr. Angelica Schwall-Düren Birgit Homburger Ulrich Maurer
Rolf Kramer Dr. Martin Schwanholz Dr. Werner Hoyer Dorothée Menzner
Anette Kramme Rita Schwarzelühr-Sutter Michael Kauch Kornelia Möller
Ernst Kranz Dr. Margrit Spielmann Dr. Heinrich L. Kolb Kersten Naumann
Nicolette Kressl Jörg-Otto Spiller Jürgen Koppelin Wolfgang Nešković
Volker Kröning Dr. Ditmar Staffelt Heinz Lanfermann Dr. Norman Paech
6558 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Petra Pau BÜNDNIS 90/DIE Anja Hajduk Kerstin Müller (Köln) (C)
Bodo Ramelow GRÜNEN Britta Haßelmann Winfried Nachtwei
Elke Reinke Winfried Hermann Omid Nouripour
Kerstin Andreae
Priska Hinz (Herborn) Brigitte Pothmer
Paul Schäfer (Köln) Marieluise Beck (Bremen) Ulrike Höfken Claudia Roth (Augsburg)
Volker Schneider Volker Beck (Köln) Dr. Anton Hofreiter Krista Sager
(Saarbrücken) Cornelia Behm Ute Koczy Christine Scheel
Dr. Herbert Schui Birgitt Bender Sylvia Kotting-Uhl Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Ilja Seifert Matthias Berninger Fritz Kuhn Dr. Gerhard Schick
Dr. Petra Sitte Grietje Bettin Renate Künast Rainder Steenblock
Alexander Bonde Undine Kurth (Quedlinburg) Silke Stokar von Neuforn
Frank Spieth
Ekin Deligöz Markus Kurth Hans-Christian Ströbele
Dr. Kirsten Tackmann Dr. Thea Dückert Monika Lazar Jürgen Trittin
Alexander Ulrich Hans Josef Fell Dr. Reinhard Loske Wolfgang Wieland
Jörn Wunderlich Kai Gehring Anna Lührmann Josef Philip Winkler
Sabine Zimmermann Katrin Göring-Eckardt Jerzy Montag Margareta Wolf (Frankfurt)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf: Eindruck, dass etwas völlig schief läuft und dass der
Westen bei allen diesen Themen auf der Verliererstraße
Einzelplan 05 ist.
Auswärtiges Amt
(Beifall bei der FDP)
– Drucksachen 16/3105, 16/3123 –
Haben die Terroristen in den letzten Jahren nicht schon
Berichterstattung: einen riesengroßen Erfolg errungen, wenn viele Men-
Abgeordnete Jürgen Koppelin schen aus Angst vor möglichen Attentaten ihre Verhal-
Herbert Frankenhauser tensweisen, beispielsweise ihre Reisepläne, ändern? Ha-
Lothar Mark ben die Terroristen nicht vielleicht einen noch größeren
Michael Leutert Erfolg errungen, wenn wir beginnen, im Kampf gegen
Alexander Bonde den Terrorismus Eckpfeiler unserer gesellschaftlichen
(B) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Ordnung, die auf Freiheit, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit (D)
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre und Menschenwürde basiert, anzukratzen oder sogar
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. umzuwerfen? Gelingt es uns denn überhaupt noch – die
Bundeskanzlerin hat das heute angesprochen –, die
Als erster Redner in dieser Debatte hat der Kollege Köpfe und vor allem die Herzen zum Beispiel derjenigen
Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion das Wort. zu erreichen, denen wir mit unserem militärischen En-
(Beifall bei der FDP) gagement Hilfe leisten wollen?
Ein Scheitern des Westens, also der Staaten, die ihre
Dr. Werner Hoyer (FDP): Wurzeln in der Aufklärung verorten, können wir uns
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht leisten. Wenn wir uns als Europäer und insbeson-
Die Außenpolitik, insbesondere die internationale Poli- dere als Deutsche im Globalisierungsprozess erfolgreich
tik, hat Hochkonjunktur. Scherbenhaufen allerorten: Af- behaupten wollen, müssen wir unsere Interessen abstim-
ghanistan droht der internationalen Gemeinschaft verlo- men, uns auf unsere gemeinsamen Werte besinnen und
ren zu gehen. Im Irak stehen unsere amerikanischen unsere Kräfte bündeln, und zwar gemeinsam mit denje-
Freunde vor der größten Niederlage seit Vietnam. Nie- nigen, die wie wir, die meisten anderen Europäer und die
mand hat Veranlassung, darüber Schadenfreude zu emp- Amerikaner auf Toleranz, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit,
finden, auch nicht diejenigen, die – genauso wie wir Li- Demokratie und Menschenwürde setzen.
berale – diesen Krieg immer für falsch gehalten haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Die Radikalisierung der islamischen Welt gegenüber der CDU/CSU und der SPD)
dem Westen schreitet voran. Islamisten haben massen-
haft Zulauf. Mit Nordkorea ist eine weitere Atommacht Da gleich noch über die NATO zu reden sein wird:
auf den Plan getreten, während die Verhandlungen mit Wir sind gut beraten, den gewaltigen historischen Fort-
dem Iran über die Aufgabe seines Atomprogramms in ei- schritt der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht
ner Sackgasse stecken und das Scheitern des Nichtver- aufs Spiel zu setzen, der in einer klaren Absage an jede
breitungsvertrages unausweichlich erscheint. Wir erle- Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungs-
ben zudem eine Entrechtlichung der internationalen politik besteht.
Beziehungen und eine deutliche Schwächung internatio-
Die NATO – die Verteidigungsorganisation und die
naler Organisationen.
politische Organisation, der wir sehr viel zu verdanken
Bei all diesen bedrückenden Themen haben die Men- haben und zu der wir zu Recht ständig Bekenntnisse ab-
schen – wie ich befürchte: nicht ganz zu Unrecht – den liefern – ist in einer schwierigen Situation. Wir bekennen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6559
Dr. Werner Hoyer
(A) uns in der Tat zu ihr. Wir brauchen sie auch in Zukunft tion Force Süd sehe ich auch nirgendwo, es sei denn, (C)
dringend. Aber welche NATO eigentlich? Unglückli- man nähme die aus Kabul verlagerte Komponente als
cherweise steht in dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik, entsprechenden Ersatz. Aber da wird doch nur ein Loch
das nicht nur das Weißbuch des Verteidigungsministers, aufgerissen, um irgendwo ein anderes zu stopfen.
sondern das der Bundesregierung ist, zur Zukunft und
(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP])
zur Qualität der NATO nichts.
Diejenigen, die sich nicht beteiligt haben oder ihre Leis-
(Beifall bei der FDP) tung nicht wie angekündigt und versprochen erbracht ha-
Die Bundeskanzlerin hat zu Recht in München wie ben, müssen sich an die Nase fassen, bevor sie Deutsch-
ihr Vorgänger gesagt, dass die NATO wieder der zentrale land vorführen.
Ort der strategischen Debatte werden müsse. Das ist (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des
richtig. Aber dann müssen wir die entscheidenden Fra- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des
gen diskutieren, auch im Zusammenhang mit Weißbü- Abg. Markus Meckel [SPD])
chern und auch hier im Deutschen Bundestag. Dann
müssen wir darüber diskutieren, wie denn Deutschland Wir müssen auch die Frage stellen, ob alles richtig ge-
zu den neuen NATO-Partnerschaften steht. Wir müssen macht worden ist. Diejenigen, die mehr von militäri-
darüber diskutieren, wie die deutsche Bundesregierung schen Operationen verstehen als wir hier im Deutschen
sich zu der Frage einlässt, ob, wie das mancher in Wa- Bundestag, pfeifen es doch von den Dächern, wenn sie
shington glaubt, die NATO bestenfalls noch ein Werk- fragen, ob es verantwortungsbewusst ist, so große Ope-
zeugkasten ist, aus dem man sich je nach Auftrag die rationen wie „Medusa“ ohne hinreichende Reserven an-
entsprechende Koalition derer, die mitmachen wollen, zugehen. Und: Ist es denn gerechtfertigt, eine so große
zusammenstellt. Die NATO muss mehr als ein Werk- Verantwortung wie die ISAF-Führungsrolle im Süden zu
zeugkasten sein. übernehmen, wenn dafür nicht die notwendigen militäri-
schen Kräfte zur Verfügung stehen? Das mag jetzt alles
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) sehr technisch klingen. Aber die Politik, die die Verant-
wortung für diese Einsätze trägt, muss diese Fragen be-
Wir dürfen an der tiefen Integration dieses politischen antworten können.
und Sicherheitsbündnisses keinen Zweifel aufkommen
lassen. Es darf sich der Fehler der Amerikaner nach dem Es kann doch nicht sein, dass wir sagen: Nicht nur ist
11. September 2001 nicht wiederholen, als der Bündnis- die NATO wichtig für Afghanistan, sondern umgekehrt:
fall festgestellt worden ist und die NATO anschließend Afghanistan ist heutzutage ungeheuer wichtig für die
unmittelbar keine Funktion mehr bei der Auseinander- NATO. Ich sehe die Gefahren für das Bündnis, wenn wir
in Afghanistan scheitern. Aber es kann nicht sein, dass
(B) setzung mit dem Terrorismus erfüllen konnte. die Raison d’Être der NATO nur noch in dem Einsatz in (D)
Deswegen müssen wir offene Gespräche führen. In Afghanistan gesehen wird. Ich halte das für einen ganz
diese offenen Gespräche im Bündnis gehören auch die gefährlichen Ansatz.
Fakten über Afghanistan. Ich finde, die Bundesregie-
rung lässt viel zu sehr zu, dass sie, aber auch unsere Kol- (Beifall bei der FDP)
leginnen und Kollegen in der Parlamentarischen Ver- Meine Damen und Herren, wir sind in einer schwieri-
sammlung der NATO unter Druck geraten. Wir müssten gen Situation, weil wir selber im Norden natürlich auch
in die Offensive gehen. Wenn wir das täten, würden wir nicht nur Erfolgsstorys verbreiten können. Das haben
nämlich feststellen, dass wir in der Tat nicht immer die- wir in der ISAF-Debatte hier auch besprochen. Die Ver-
selbe Sprache sprechen. Einige scheinen, geprägt von ih- netzung der Entwicklungspolitik, der Politik auf dem
ren Kampferfahrungen im Irak, ihren militärischen Auf- Gebiet der inneren Sicherheit, der Verteidigungspolitik
trag mehr oder weniger eins zu eins in Afghanistan und der Außenpolitik ist bei weitem noch nicht so er-
fortsetzen zu wollen. Das kann für Deutschland nicht die folgreich, wie wir uns das wünschen. Da nickt der Au-
Linie sein. Für uns war es immer Aufbauarbeit mit der ßenminister und lächelt wissend. Also können wir selber
erforderlichen militärischen Absicherung. So war es ab- bei diesem Thema, das im Weißbuch der Bundesregie-
gesprochen. Das ist auch das, was uns Bundeskanzler rung eine wichtige Rolle spielt, noch einiges nachlegen.
Schröder hier unmittelbar nach dem 11. September in
seiner Rede im Deutschen Bundestag vor der Vertrau- Wir müssen das Primat des Politischen vor dem Mili-
ensabstimmung gesagt hat. Es ist klar definiert worden, tärischen einfordern. Wir müssen das militärisch und po-
was Deutschland leisten soll und was nicht. Mangel an litisch Wünschbare mit dem militärisch Machbaren
übereinbringen und wir müssen vorher immer wissen,
Solidarität nach der Geschichte der NATO der letzten
wie man wieder herauskommt. Das ist Clausewitz pur
50 Jahre braucht sich Deutschland von niemandem vor-
und gilt heute wie früher.
werfen zu lassen.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, die FDP hat den meisten
NEN) Auslandseinsätzen zugestimmt, dem im Libanon nicht.
Wir sind leider kurz nach dem Beschluss in unserer Mei-
Wir haben im Übrigen auch in Afghanistan unsere nung bestätigt worden, nicht zugestimmt zu haben.
Verpflichtungen punkt- und kommagenau erfüllt. Indes-
sen stellen wir fest, dass im Süden zwei angeküdigte (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
PRTs fehlen. Eines fehlt im Osten und die Quick Reac- Quatsch!)
6560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Werner Hoyer


(A) Aber das ist jetzt nicht das Thema. Entscheidend ist Durch die Pflichtbeiträge, die wir an die Vereinten (C)
doch, dass möglicherweise – das war das Ziel – der Nationen abführen, sieht sich unser Haushalt immer wie-
UNIFIL-Einsatz Zeit kauft für den Ansatz für eine politi- der im Wachstum begriffen. Allerdings hat das Auswär-
sche Lösung. Da frage ich mich natürlich: Wo ist denn tige Amt von diesem Wachstum im Grunde genommen
etwas zu erkennen, was die politische Lösung zumindest nichts, da die Gelder wieder abgeführt werden müssen.
am Horizont erscheinen lässt?
Im Vergleich dazu steigen der Haushalt für wirtschaft-
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Fritz liche Zusammenarbeit und Entwicklung gegenüber dem
Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vorjahr um 324 Millionen Euro auf knapp 4,5 Milliar-
den Euro und der Verteidigungshaushalt um eine halbe
Wo sind die entsprechenden Aktivitäten? Hier ist auch
Milliarde auf 28,4 Milliarden Euro. Man muss auch
die Bundesregierung gefordert. Ich denke, es wird Zeit
diese Zahlen einmal nennen, um die Dimensionen zu er-
– möglicherweise nach den amerikanischen Wahlen jetzt
kennen.
auch mit mehr Aussicht auf Erfolg –, diesen Prozess
wieder anzugehen. Seit dem Abgang von Bill Clinton ist Angesichts einer zunehmenden Anzahl an – ich sage
viel zu viel Zeit verloren gegangen. bewusst: militärischen – Friedensmissionen sollten wir
Schließlich komme ich zum Thema Abrüstungspoli- künftig verstärkt über eine bessere nachhaltige Krisen-
tik. Hier erwarten wir, Herr Minister – wir haben es hier präventionspolitik weltweit nachdenken. Dies verlangt:
mehrfach angemahnt –, eine Initiative Deutschlands; Erstens. Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs-, Wirt-
denn das Abrüstungsregime scheint am Ende, die Abrüs- schafts-, Finanz-, Umwelt-, Sozial-, Kultur- und Gleich-
tungspolitik scheint einzuschlafen, mit unabsehbaren stellungspolitik müssen systematisch aufeinander abge-
Konsequenzen für die Machtverhältnisse und die Gefah- stimmt werden. Wird unser Handeln dieser Prämisse
ren in dieser Welt. immer gerecht?
Frau Bundeskanzlerin, Sie gehen in eine G-8- und in Zweitens. Die Herausbildung einer globalen Rechts-
eine EU-Präsidentschaft. Herr Kollege Link wird zum ordnung, die auf der Charta der Vereinten Nationen und
Thema Europapolitik nachher noch einiges sagen. Wir der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufbaut,
wünschen Ihnen aus vollem Herzen und aus voller Über- muss sowohl in bilateralen als auch in multilateralen
zeugung viel Erfolg bei dieser schwierigen Aufgabe. Verhandlungen zur Agenda gehören. Internationale Kon-
Diese EU-Präsidentschaft muss ein Erfolg werden. Set- ventionen und Regelwerke müssen ausgebaut, die Hand-
zen Sie Ihre Ziele nicht zu unambitioniert. Sie haben lungsfähigkeit internationaler und supranationaler Insti-
eine große Herausforderung zu bestehen. Die Erwartun- tutionen muss verbessert und die internationale
(B) gen der europäischen Freunde sind enorm groß. Wir, die Gerichtsbarkeit weiterentwickelt werden. Auch Super- (D)
Liberalen, wünschen Ihnen auf diesem Weg großen Er- mächte sollten sich danach richten. Entspricht unser
folg. Handeln diesen Intentionen?
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Drittens. Präventionspolitik verlangt schließlich die
der SPD) Förderung eines wirksamen Multilateralismus und eine
kooperative Stabilitätsordnung. Diese klaren Präven-
Vizepräsidentin Petra Pau: tionskriterien werden in Krisensituationen wegen des
Das Wort hat der Kollege Lothar Mark für die SPD- akuten Handlungsbedarfs oft nicht in aller Konsequenz
Fraktion. umgesetzt. Prävention national und international ist aber
allemal auf Dauer humaner und effizienter als Schadens-
Lothar Mark (SPD): bekämpfung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- Bezogen auf den Bundeshaushalt würde dies bedeu-
gen! Die aufgeworfenen und aktuellen Fragen werden si- ten, dass eine politische Priorisierungs- und Werte-
cherlich vom Außenminister und von Professor Gert debatte geführt werden muss.
Weisskirchen auf unserer Seite mit in die Überlegungen
einbezogen werden. Ich werde als Haushälter für den In diese Richtung weist, dass wir den Titel „Demo-
Bereich des Auswärtigen Amtes versuchen, einiges über kratisierungs- und Ausstattungshilfe, humanitäres Mi-
das Zahlenwerk des Auswärtigen Amtes zu sagen. nenräumen und Förderung der Menschenrechte“ um
1,45 Millionen Euro auf 9,81 Millionen Euro aufge-
Der Haushalt des Auswärtigen Amtes umfasst nach stockt haben.
den Veränderungen, die wir im parlamentarischen Ver-
fahren erreicht haben, 2,51 Milliarden Euro. Das ist eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des
Steigerung von insgesamt 120 Millionen Euro gegen- Abg. Jürgen Koppelin [FDP])
über dem letzten Jahr. Andererseits muss man allerdings
feststellen, dass der Haushalt nur 0,93 Prozent des Ge- Damit reagieren wir auf die Tatsache, dass trotz der Er-
samthaushaltes ausmacht. Meines Erachtens ist diese folge beim humanitären Minenräumen in den letzten
Zahl etwas zu niedrig. Wir müssten anstreben, in abseh- Jahren jährlich immer noch 15 000 bis 20 000 Erwach-
barer Zeit auf mindestens 1 Prozent zu kommen. sene und Kinder von Minen und Blindgängern getötet
oder verstümmelt werden. Menschen in über 80 Ländern
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sind durch Minen akut bedroht. Die Befreiung der Bö-
der CDU/CSU) den von Minen und Blindgängern ist Bedingung für
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6561
Lothar Mark
(A) einen Wiederaufbau in Kriegsgebieten und für ein Leben freulicherweise 35 neue Stellen ausgebracht und zusätz- (C)
ohne Angst. liche Mittel für Ortskräfte sowie IT- und Umbaumaßnah-
men veranschlagt werden. Die Visastellen gehören mit
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den Rechts- und Konsularabteilungen zu den Aushänge-
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- schildern Deutschlands im Ausland. Wir sollten ihnen
SES 90/DIE GRÜNEN) deshalb auch als Parlamentarier größere Aufmerksam-
Der Titel „Unterstützung von internationalen Maß- keit und Unterstützung zukommen lassen.
nahmen auf den Gebieten der Krisenpräventionen, Frie-
denserhaltung und Konfliktbewältigung“ wurde schon (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
im Regierungsentwurf angehoben. Der Ansatz von FDP)
12,6 Millionen Euro dient unter anderem dazu, den im Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als
Koalitionsvertrag aufgegriffenen Aktionsplan „Zivile dritte Säule der Außenpolitik wird in der Tat immer
Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsoli- wichtiger. Im parlamentarischen Verfahren konnten wir,
dierung“ zu konkretisieren. Die erwähnten Mittel sind zum Teil einstimmig, Erhöhungen der Mittelzuweisun-
beim Auswärtigen Amt ebenso ODA-fähig wie humani- gen um insgesamt mehr als 20 Millionen Euro vorneh-
täre Hilfe, die mit 50 Millionen Euro jährlich verstetigt men. Damit konnten die Kürzungen der vergangenen
wurde, einige Projekte und Einrichtungen der auswärti- Jahre kompensiert werden. Trotzdem muss man sagen,
gen Kultur- und Bildungspolitik und schließlich einige dass wir insgesamt für die auswärtige Kultur- und Bil-
Anteile von Beiträgen für internationale Organisationen. dungspolitik pro Kopf und pro Jahr weniger als 7 Euro
Die ODA-Quote ist von 1982 bis 1998 von ausgeben. Ich bringe in diesem Zusammenhang immer
0,42 Prozent auf 0,26 Prozent gesunken. Seit 1999 das Beispiel, dass man dafür noch nicht einmal eine Ki-
wächst sie wieder. Im Jahr 2006 liegt sie bei rund nokarte kaufen kann. Wir müssen also stärker in den aus-
0,36 Prozent. Im Haushalt 2007 wird der Anteil aller Vo- wärtigen Kultur- und Bildungsbereich investieren, um
raussicht nach bei 0,37 Prozent liegen. eine nachhaltige und rentierliche Politik zu erreichen.

Das hört sich sehr einfach an, ist aber äußerst schwie- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
rig zu erfüllen. Pro 0,01 Prozent Erhöhung benötigen wir bei Abgeordneten der FDP und des Abg.
nach aktueller Haushaltsbasis 225 Millionen Euro ODA- Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
anerkannter Projekte. Ein Anteil von 0,7 Prozent, wie NEN])
angestrebt, würde derzeit ein Mehr von 7,65 Milliarden
Euro im Bundeshaushalt bedeuten. Ein besonderes Augenmerk hatten wir auf das
Goethe-Institut gerichtet. Es ist bereits erwähnt wor-
(B) Zu den 0,37 Prozent ODA-Quote trägt das Bundesmi- den: Wir haben 13,5 Millionen Euro zusätzlich bewilligt, (D)
nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- sodass dem Goethe-Institut circa 120 Millionen Euro zur
wicklung circa 63 Prozent bei. 15 Prozent werden aus Verfügung stehen. Nun muss aber das Goethe-Institut
unseren Mitteln an die EU anerkannt, circa 10 Prozent auch die Reformkonzepte, die gemeinsam mit dem Aus-
steuern die Bundesländer bei. Das Auswärtige Amt ist wärtigen Amt und dem Parlament ausgearbeitet wurden,
mit circa 5 Prozent beteiligt. Dieser Anteil muss künftig umsetzen.
erhöht werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/
Wenn Deutschland im ersten Halbjahr 2007 die EU- CSU und der FDP)
Ratspräsidentschaft und den G-8-Vorsitz übernimmt,
werden die außenpolitischen Erwartungen an uns weiter Dazu gehört, dass die neuen Steuerungselemente und
steigen. Zielvereinbarungen strikt eingehalten werden. Zudem
sollte meines Erachtens mit dem Finanzministerium
Schon jetzt gilt Deutschland weltweit als Friedens- auch ein modernes Liegenschaftsmanagement ausgehan-
macht und verlässlicher Partner. Der Haushalt 2007 des delt werden, damit den Goethe-Instituten vor Ort mehr
Auswärtigen Amtes steht deshalb auch im Zeichen die- Flexibilität ermöglicht wird.
ser neuen Herausforderungen. Im Auswärtigen Amt
wurden dafür 15 neue Stellen sowie eine auf zwei Jahre Meines Erachtens sollten alle anderen Kulturmittler,
befristete Anhebung des Aushilfskräftetitels vorgesehen. die Zuwendungen aus dem Haushalt des Auswärtigen
Insgesamt stehen für den gesamten Aufgabenkomplex Amtes erhalten, ab 2007 darauf vorbereitet werden, dass
EU- und G-8-Vorsitz 58,8 Millionen Euro zur Verfü- Budgetierung und Controlling ab 2008 einzuführen sind.
gung. Nur so kann deren Arbeit auf Dauer finanziell abgesi-
chert werden.
Ein weiterer Schwerpunkt des auswärtigen Haushalts
liegt 2007 auf den Bemühungen, die personelle und ma- Im Sinne von Haushaltswahrheit und -klarheit spre-
terielle Ausstattung der Visastellen an den Auslands- che ich mich zusammen mit meinem Berichterstatterkol-
vertretungen zu verbessern legen Frankenhauser und den anderen Kollegen dafür
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sehr gut!) aus, dass wir wie zum Beispiel beim Deutschen Archäo-
logischen Institut Titelzusammenfassungen in einem
und diese auf die Einführung der Erfassung biometri- Kapitel herbeiführen und die Streulage der jeweiligen
scher Daten vorzubereiten. Damit einher geht dann auch Einrichtungen innerhalb des Einzelplans beenden, um so
eine Verbesserung der inneren Sicherheit. So konnten er- mehr Transparenz herzustellen.
6562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Lothar Mark
(A) Das Goethe-Institut muss allein schon von seiner (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (C)
Aufgabenstellung her in der Zuständigkeit des Auswärti- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
gen Amtes bleiben. Andere Überlegungen, die Zustän- GRÜNEN)
digkeit in Richtung Bundeskanzleramt zu verlagern, wie
jüngst gefordert, sollten nicht weiter verfolgt werden. Vizepräsidentin Petra Pau:
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr richtig!) Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke.
Es handelt sich für mich dabei um eine Gummibärchen-
diskussion, die letztendlich nur hinderlich ist. (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD]) Michael Leutert (DIE LINKE):
Die deutschen Botschaften vor Ort sind aufgefordert, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
dafür zu sorgen, dass die deutschen Mittlerorganisatio- Wenn im Bundestag über Außenpolitik gesprochen wird,
nen und sonstigen Institutionen und Organisationen – ich ist sehr oft von Frieden und gestiegener internationaler
nenne hier die deutschen Auslandsschulen, den Deut- Verantwortung Deutschlands die Rede. Auch im Koali-
schen Akademischen Austauschdienst, die Alexander- tionsvertrag steht in dem Kapitel zur Außenpolitik als
von-Humboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische erster Satz:
Institut; man könnte auch die politischen Stiftungen, die Deutsche Außen-, Europa- und Entwicklungspolitik
Deutsche Welle usw. einbeziehen – nicht nur bei Raum- dient dem Frieden in der Welt.
fragen, sondern auch programmatisch verstärkt zusam-
menarbeiten, weil so wesentliche Synergieeffekte erzielt Dies ist ein Kernsatz, den wir natürlich unterstützen kön-
werden können. In diesem Bereich sollte aber auch die nen. Aber ich denke, wir als Opposition werden die Re-
Zusammenarbeit mit Mittlerorganisationen anderer eu- gierung nicht bloß an solchen Lippenbekenntnissen, son-
ropäischer Staaten voranschreiten. dern auch an den Realitäten messen müssen und messen.
Die Ansätze für die deutschen Auslandsschulen, zur Der Haushalt ist sozusagen die materielle Unterfütte-
Förderung der deutschen Sprache im Ausland, für Aus- rung dieser Ziele. Ansonsten sind die Ziele das Papier
tauschmaßnahmen und Beihilfen für Nachwuchswissen- nicht wert, auf dem sie stehen. Wir sprechen heute über
schaftler, Studierende und Hochschulpraktikanten aus den Etat des Auswärtigen Amtes. Er umfasst – das
dem Ausland sind jeweils um 1 Million Euro erhöht wurde schon erwähnt – 2,5 Milliarden Euro. Das ist
worden, nicht einmal 1 Prozent des Gesamtetats.
(Beifall des Abg. Herbert Frankenhauser (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaub-
(B) [CDU/CSU] – Zustimmung des Abg. Gert lich!) (D)
Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]) Dies ist die zivile Komponente der Außenpolitik. Dage-
was meines Erachtens sehr wichtige Maßnahmen sind. gen steht ein Verteidigungsetat von über 28 Milliarden
Außerdem wurde der Ansatz für gesellschaftspolitische Euro, der damit der zweitgrößte Einzeletat im Bundes-
Maßnahmen der politischen Stiftungen um 1,7 Millio- haushalt ist. Er umfasst weit über 10 Prozent des Gesamt-
nen Euro und der Ansatz für die Öffentlichkeitsarbeit etats. Das ist die militärische Komponente der Außen-
zur Auslandsberichterstattung über Deutschland um politik.
750 000 Euro erhöht. Das Deutsche Archäologische Ins- Der Wahrheit halber muss man dazusagen, dass von
titut erhielt im parlamentarischen Verfahren zusätzliche diesen 2,5 Milliarden Euro beim Auswärtigen Amt noch
500 000 Euro. ungefähr 600 Millionen Euro abgezogen werden müs-
sen, nämlich Beiträge an die UN für friedenserhaltende
Vizepräsidentin Petra Pau: Maßnahmen, also Militäreinsätze, die unter UN-Mandat
Kollege Mark, Sie müssen bitte zum Schluss kom- stattfinden, für die Deutschland als Mitglied der UN
men. Ich fürchte, Sie bekommen sonst Ärger mit den zahlt.
Kollegen Weisskirchen und Griefahn. Zu guter Letzt gibt es vom Auswärtigen Amt zum
(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU – Verteidigungsministerium eine Quersubventionierung,
Jürgen Koppelin [FDP]: Rede weiter!) über die hier eigentlich nie gesprochen wird. Nimmt
nämlich Deutschland an UN-Missionen teil, bekommt es
dafür von der UN Aufwandsentschädigungen. Diese um-
Lothar Mark (SPD): fassten in den Jahren 2003 bis 2005 immerhin
Ja, ich komme zum Schluss. – Ich danke allen Be- 74 Millionen Euro. Sie fließen allerdings nicht in den
richterstattern, die mit mir in diesem Rahmen zusam- Topf, aus dem sie finanziert wurden, sondern natürlich in
mengearbeitet haben. Es war immer eine sehr verständ- den Topf des Verteidigungsministeriums. Wenn man sich
nisvolle Arbeit. Ich danke auch dem Außenminister ganz allerdings die Größenverhältnisse anschaut – weniger als
herzlich für die offenen und fairen Gespräche und die 1 Prozent zivile Außenpolitik, mehr als 10 Prozent mili-
vertrauensvolle Arbeit. Ebenso danke ich den Mitarbei- tärische Außenpolitik –, dann müsste man eigentlich zu
terinnen und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt für ihre dem Schluss kommen, dass diese 74 Millionen Euro we-
aufopferungsvolle Arbeit in oft äußerst schwieriger Mis- sentlich besser beim Auswärtigen Amt aufgehoben wä-
sion. ren.
Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6563
Michael Leutert
(A) Wir debattieren jedes Jahr im Haushaltsausschuss bei- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
spielsweise darüber, ob wir 11 Millionen oder 12 Milli- NEN)
onen Euro für zivile Aufgaben wie das Minenräumen
bereitstellen können und ob wir den Mehrbedarf der Michael Leutert (DIE LINKE):
Goethe-Institute in Höhe von 16 Millionen Euro mit Herr Haibach, Sie wissen doch aus dem Ausschuss,
13 Millionen oder 14 Millionen Euro decken können. dass ich sehr wohl bereit bin, dazuzulernen. Wir können
Man kann also sagen: Diese 74 Millionen Euro könnten nächste Woche also gerne ein Gespräch mit diesem Be-
uns bei der Finanzierung der zivilen Komponenten der auftragten führen.
Außenpolitik weiterhelfen.
Wir hatten, wie schon gesagt, den Vorschlag gemacht,
(Beifall bei der LINKEN) eine Nahostkonferenz abzuhalten, anstatt diesen Militär-
Schon aus diesem Grunde kann meine Fraktion die- einsatz durchzuführen. Jetzt haben Italien, Spanien und
sem Haushalt nicht zustimmen. Ich möchte ein Beispiel Frankreich die Initiative ergriffen und haben diesen Vor-
nennen, wie „ernsthaft“ es derzeit die Regierung mit der schlag, eine Nahostkonferenz zu installieren, vorgelegt.
zivilen Komponente der Außenpolitik meint. Es gibt ein Die Bundesregierung hat jetzt noch die Möglichkeit, auf
so genanntes Aktionsprogramm „Zivile Krisenpräven- der nächsten Konferenz der Staats- und Regierungschefs
tion“. Es wurde von der Vorgängerregierung beschlossen der EU diesen Vorschlägen zuzustimmen. Ich fordere
und soll nun gemäß der jetzigen Koalitionsvereinbarung Sie auf, dies zu tun.
durchgeführt werden. In diesem Aktionsplan „Zivile Ich möchte Ihnen noch ein Argument nennen, warum
Krisenprävention“ ist ein Beauftragter im Range eines der zivilen Komponente der Außenpolitik eindeutig der
Botschafters beim Auswärtigen Amt vorgesehen. Vorrang gegenüber der militärischen Komponente einge-
Ich war in der letzten Legislaturperiode noch nicht räumt werden sollte. Es liegt in der Natur der Sache,
Mitglied dieses Parlaments. Daher habe ich heute Mor- dass sich Militär, insbesondere Militär im Einsatz – die
gen im Auswärtigen Amt angerufen, um einmal mit die- Bundeswehr wird im Übrigen im Koalitionsvertrag als
sem Beauftragten zu sprechen oder zumindest zu erfah- eine Armee im Einsatz beschrieben –, der demokrati-
ren, wer dies eigentlich ist. Ich habe bis jetzt noch keine schen Kontrolle entzieht. Das wird durch folgendes Bei-
Auskunft über diesen Mitarbeiter im Range eines Bot- spiel deutlich. Ich habe eine einfache Frage an die Bun-
schafters bekommen. So ernst nimmt die Bundesregie- desregierung gestellt:
rung die zivile Komponente der Außenpolitik. Wie viele „Body bags“ werden die deutschen Streit-
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wenn man kräfte bei der VN-Mission UNIFIL vor der libane-
erst heute anruft, zeigt das, wie ernst man es sischen Küste mitführen?
(B) (D)
nimmt!) „Body bags“ sind Leichensäcke. Die Antwort lautete:
Meine Fraktion hat schon immer gefordert, dass der Die im Rahmen der UN-Mission UNIFIL einge-
zivilen Komponente unbedingt Vorrang einzuräumen ist. setzten deutschen Kräfte führen die gemäß allge-
Allerdings sieht das die Mehrheit des Parlamentes nicht meinem Ausstattungssoll vorgesehene Ausrüstung
so. Wir haben allein im September innerhalb von einer mit. „Body bags“ sind Bestandteil dieses Ausstat-
Woche drei Militäreinsätze im Sudan, in Afghanistan tungssolls.
und im Libanon mit einem Umfang von über
650 Millionen Euro beschlossen. Das ist ein Viertel des Große Klasse! Das habe ich gewusst. Um das zu er-
Etats des Auswärtigen Amtes. Wir haben Gegenstrate- fahren, hätte ich die Frage nicht stellen müssen. Wenn
gien aufgezeigt. Unser Vorschlag ist, dass die Bundes- ich frage, wie viel, dann möchte ich natürlich als Ant-
regierung im Libanon nach dem Vorbild KSZE aktiv wort eine Zahl bekommen.
werden sollte und daran mitwirken sollte, eine Nahost- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Zynische
konferenz einzuberufen. Zumindest sollte ein entspre- Frage ist das!)
chender Vorschlag unterbreitet werden. Die Bundesre-
gierung ist aber auf diesem Gebiet bisher untätig – Es besteht natürlich die Angst, dass in der Öffentlich-
geblieben. keit bekannt wird, mit wie vielen Opfern gerechnet wird.
(Beifall bei der LINKEN – Eckart von
Vizepräsidentin Petra Pau: Klaeden [CDU/CSU]: Völliger Unsinn! Das
Kollege Leutert, gestatten Sie eine Zwischenfrage? ist so etwas von unseriös! Wie bei der Recher-
che nach dem Beauftragten im Auswärtigen
Michael Leutert (DIE LINKE): Amt!)
Ja, natürlich. Wenn wir Parlamentarier nicht einmal wissen dürfen,
wie hoch die Risiken sind, wie sollen wir dann über sol-
Holger Haibach (CDU/CSU): che Einsätze beschließen? Diese Dinge entziehen sich
Sehr geehrter Herr Kollege Leutert, ich wollte Sie fra- der demokratischen Kontrolle. Wenn die Regierung
gen, ob Sie bereit sind, dazuzulernen, was die Frage nicht einmal in der Lage ist, solche einfachen Fragen zu
nach dem Beauftragten für Zivile Krisenprävention an- beantworten, dann frage ich mich natürlich, was das Ge-
geht. Wären Sie also bereit, zur Kenntnis zu nehmen, rede der Bundeskanzlerin im September sollte, als sie
dass dieser Beauftragte der Botschafter Dr. Däuble ist? ankündigte – dies war in verschiedenen Zeitungen nach-
6564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Michael Leutert
(A) zulesen –, dass der Militäretat aufgrund der gestiegenen den Aufgaben, die dem Auswärtigen Amt gestellt sind, (C)
internationalen Verantwortung in den nächsten Jahren angemessen ist.
natürlich weiter erhöht wird.
(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP] –
(Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP] meldet sich zu Dr. Werner Hoyer [FDP]: Natürlich nicht!
einer Zwischenfrage) Dann hättet ihr noch mehr drauflegen müs-
sen!)
Vizepräsidentin Petra Pau: – Lieber Kollege, du weißt doch, wie schwierig das ist.
Kollege Leutert, gestatten Sie eine weitere Zwischen- Aber wir bemühen uns. – Im nächsten Haushalt ist wie-
frage? der ein anteilsmäßiger Aufwuchs zur Erhöhung der Mit-
tel für die Umsetzung der ODA-Quote vorgesehen. Wir
Michael Leutert (DIE LINKE): wollen auch sonst versuchen, bereits im Aufstellungs-
Nein, jetzt nicht. verfahren eine bessere Dotierung des Einzelplanes zu er-
reichen,
Herr Außenminister, ich habe den Eindruck, dass das
Auswärtige Amt, wenn diese Entwicklung so weitergeht, (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies-
ein nachgeordnetes Amt des Bundesverteidigungsminis- loch] [SPD])
teriums wird. in dem sich unter anderem ein Juwel der deutschen aus-
(Zurufe von der SPD: Oh!) wärtigen Kulturpolitik verbirgt, das ich hier einmal be-
nennen muss: das Deutsche Archäologische Institut, das
Wenn Sie allerdings dagegen ankämpfen möchten, dann im Ausland exzellente Arbeit für Deutschland leistet,
haben Sie uns auf Ihrer Seite. Wir wollen einen starken
Außenminister für eine friedliche und zivile Außenpoli- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
tik und keinen starken Kriegsminister. so zum Beispiel in Ländern wie dem Iran, zu denen wir
Ich danke. aus verständlichen Gründen einen etwas schwierigen
Zugang haben.
(Beifall bei der LINKEN – Eckart von
Klaeden [CDU/CSU]: Mannomann!) Gestern Abend sind die Verhandlungen zum EU-
Haushalt verschoben worden, weil man sich nicht ver-
ständigen konnte. Da will das Parlament mehr als die
Vizepräsidentin Petra Pau: Kommission. Bei uns ist es zumindest jetzt umgekehrt
Das Wort hat der Kollege Herbert Frankenhauser für gewesen. Das gibt mir Anlass, auf Folgendes hinzuwei-
(B) die Unionsfraktion. sen, sehr geehrter Herr Außenminister: Die EU-Rats- (D)
präsidentschaft steht bevor. Man will auch unter deut-
(Beifall bei der CDU/CSU)
scher Ratspräsidentschaft für mehr Vertrauen werben.
Man will sogar einen erneuten Anlauf für eine EU-Ver-
Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): fassung starten. Ich denke, das kann nur gelingen, wenn
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In der das Vertrauen der Bürger in die doch etwas weit ent-
Demokratie wird man leidensfähig, rückte Institution „Europäische Union“ wieder verfestigt
wird.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und
der FDP) Das hängt stark damit zusammen, dass die Bürger die
feste Überzeugung haben müssen, dass ihr Geld ord-
wie man wieder deutlich an dem vorangegangenen Bei-
nungsgemäß und sinnvoll verwandt wird und man sich
spiel gesehen hat. Aber es gibt auch Erfreuliches, so zum
nicht, wie dies ein sozialdemokratischer Haushälter im
Beispiel die glückliche Fügung, dass mein hoch ge-
Europäischen Parlament getan hat – der Vorteil einer
schätzter Kollege Lothar Mark in Haushaltsdebatten im-
großen Koalition ist, dass ein CSUler auch einen Sozi zi-
mer vor mir spricht; denn nicht einmal ich selbst hätte
tieren kann –, fragen muss: Sind unsere Regeln zu kom-
den Einzelplan 05 so gut erläutern können, wie er das
pliziert oder finanzieren wir lauter Betrüger?
gemacht hat. Dies gibt mir einen gewissen Freiraum, zu
ein paar grundsätzlichen und besonderen Dingen Stel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
lung zu nehmen. Dies zeugt auch von der Harmonie, die
nicht nur zwischen uns beiden, sondern auch in der gro- Das will ich doch nicht hoffen.
ßen Koalition besteht und die sich darin ausdrückt, dass Aber was ist in jüngster Zeit wieder passiert? Dazu
zwischen uns praktisch kein Buchstabe passt. möchte ich drei Beispiele nennen.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Es gibt große Probleme bei der Ernährungslage der
Dr. Werner Hoyer [FDP]: Ihr seid wirklich Bevölkerung im Senegal, insbesondere an der Küste.
nicht mehr zu unterscheiden!) Das liegt daran, dass die dortigen Fischer ihre Hauptnah-
– Es ist so. rung kaum mehr fangen können. Ursache dafür ist, dass
die Europäische Union die Fischereirechte an der Küste
Ich darf mit Nachdruck seine Forderung unterstützen, aufgekauft hat. Ebenfalls werden der Bau, die Ausrüs-
dass Regierung und Parlament ständig überprüfen soll- tung und der Treibstoff der Riesenschiffe, die das Haupt-
ten, ob der Anteil des Einzelplans 05 am Gesamtbudget nahrungsmittel der Küstenbewohner des Senegals abfi-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6565
Herbert Frankenhauser
(A) schen, von der EU subventioniert. Ich kann mir nicht Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
vorstellen, dass so eine vernünftige europäische Politik Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
aussehen kann. die Kollegin Kerstin Müller das Wort.
In Burkina Faso, einem der ärmsten Länder dieser
Erde, ist Milchpulver aus der Bundesrepublik Deutsch- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
land um mehr als die Hälfte billiger als die Milch, die NEN):
von den dortigen Milchbauern angeboten wird. Das liegt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle
daran, dass die Milch in Europa so stark subventioniert hier in diesem Hause unterstützen einen starken Multila-
wird. Sie kann daher preiswerter verkauft werden, was teralismus. Wer aber einen starken und effektiven Multi-
dazu führt, dass den Milchbauern in Burkina Faso die lateralismus will, der muss auch selber bereit sein, mehr
Existenzgrundlage entzogen wird. So sollten unsere internationale Verantwortung zu tragen, gerade auch im
Steuergelder auf EU-Ebene nicht verwendet werden. Rahmen der anstehenden deutschen EU- und G-8-Präsi-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP dentschaften. Das tun wir bereits auf dem Balkan, in Af-
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ghanistan, im Nahen Osten und im Kongo. Allerdings
müssen wir die deutsche Öffentlichkeit darauf vorberei-
Es ist kaum zu glauben: Der Europäische Rechnungs- ten, dass es dabei angesichts der gestiegenen Anforde-
hof hat beispielsweise festgestellt, dass bei der For- rungen und neuen Herausforderungen in der Zukunft
schungsförderung der Europäischen Union die Kosten nicht bleiben wird. Ein Beispiel ist Darfur. Ich meine,
und Aufwendungen bei drei Viertel aller geprüften Vor- hier muss die Bundesregierung endlich deutlich initiativ
gänge schlichtweg doppelt abgerechnet wurden. werden, um eine internationale Schutztruppe durchzu-
setzen.
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist unglaub-
lich!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hier muss es sich offensichtlich um eine konzertierte Auch die Debatte um ein stärkeres deutsches Engage-
Betrugsaktion handeln. Wir sollten mit einem besseren ment im Süden Afghanistans kommt genau von diesen
Beispiel vorangehen. Ich denke dabei an die Fremdver- gestiegenen Erwartungen. Für uns sind der Wiederauf-
wendung der Mittel aus dem Stabilitätspakt durch Berlin bau und die Stabilisierung dieses Landes von zentraler
und andere Bundesländer. Ich möchte herzlich darum Bedeutung. Es liegt auch in unserem Interesse, auch
bitten, Herr Bundesaußenminister, die Gelegenheit der wenn wir überwiegend im Norden sind, dass die Taliban
EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um den Bemühun- und die anderen islamistisch-militanten Kräfte im Süden
gen, die aus dem Europäischen Parlament kommen, eine Afghanistans mit allen Mitteln, das heißt auch militä- (D)
(B) sorgfältigere Prüfung der Mittelverwendung durchzu-
risch, bekämpft werden.
setzen, durch geeignete Mittel zu unterstützen. Meines
Erachtens sollte es unter allen Umständen durchgesetzt Dennoch geht meines Erachtens die Kritik der USA
werden, dass fehlgeleitete Mittel oder überwiegend und Großbritanniens in Bezug auf mangelnde Unterstüt-
durch Betrug erschlichene Fördermittel der EU von den zung durch Deutschland fehl. Die Art und Weise, wie im
jeweiligen EU-Mitgliedsländern wieder zurückgeführt Südosten der Kampf gegen die Taliban und andere
werden. Wenn das nicht geschehen sollte, muss ein sol- geführt wird, und zwar ohne dass diese militärischen
ches Vorgehen mit entsprechenden Sanktionen belegt Maßnahmen von sichtbaren Aufbauprojekten begleitet
werden. Ich will ein Beispiel nennen: In Spanien wurden werden, bringt die Bevölkerung eher gegen die interna-
lediglich 4,9 Prozent der offenkundig fehlgeleiteten eu- tionale Gemeinschaft auf, statt sie für diesen Aufbaupro-
ropäischen Mittel zurückgezahlt. Das kann nicht mit ei- zess zu gewinnen.
ner ordnungsgemäßen Haushaltsführung in Einklang ge-
bracht werden. Ich bitte Sie, soweit als möglich auch auf (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Leider wahr!)
die sinnvolle Mittelverwendung durch die EU-Kommis- Genau das muss endlich beim NATO-Gipfel in Riga auf
sion selbst, nicht nur durch die Empfängerländer oder den Tisch. Ich habe heute Morgen die entsprechende An-
die Empfänger in den Ländern zu sorgen. Hier hat der kündigung, von Ihnen, Frau Merkel, gehört. Man darf
Europäische Rechnungshof eindeutige Verstöße inner- gespannt sein auf die Debatte und darauf, was Sie dort
halb der Europäischen Kommission festgestellt. bei den Partnern erreichen können.
Zumindest sind wir der europäischen Biersteuer ent-
Es geht auch um unterschiedliche Befriedungskon-
kommen. Bei der Kennzeichnungspflicht – nun schließt
zepte. Die müssen wir mit den Partnern offensiv disku-
sich der Kreis zur von mir in anderem Zusammenhang
tieren. Im Norden ist das – ich nenne das jetzt einfach so –
zitierten Schwarzwälder Kirschtorte – sind wir noch
sensible zivilmilitärische Konzept, an dem nicht nur die
nicht so weit, aber es könnte durchaus sein, dass wir,
Deutschen, sondern auch Norweger, Schweden, Dänen,
wenn die EU-Kommission so weiter macht, für die
Tschechen und viele andere beteiligt sind, in einer
Kommissare demnächst eine Kennzeichnungspflicht
schwierigen Region – was wir damals auch festgestellt
einführen müssen: Achtung! Kommissare!
haben –, immerhin Drogenanbaugebiet, mit verhältnis-
Vielen Dank. mäßig wenig Soldaten recht erfolgreich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wenn wir den Kampf gewinnen wollen, geht es eben
neten der SPD) nicht nur um mehr Soldaten, sondern darum – ich
6566 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Kerstin Müller (Köln)


(A) möchte dazu die „Süddeutsche Zeitung“ von gestern zi- ten. Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen diese Situation (C)
tieren –, für ganz Afghanistan nutzen, um in Washington vehement für multilaterale
politische Lösungen im Nahen und Mittleren Osten zu
das Zivile und das Militärische so zusammenzubin- werben. Uns allen sollte nämlich klar sein, dass es ohne
den, dass die Afghanen wirkliche Hoffnung schöp- die amerikanischen Partner ganz schwer ist, im Nahen
fen können. Osten zu wirklichen Erfolgen bzw. Ergebnissen zu kom-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men.
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn das nicht gelingt, könnte Afghanistan zum Irak der Eine multilaterale Einigung unter Einbeziehung der
NATO werden. Das müssen wir alle gemeinsam verhin- USA ist vor allem bezogen auf das iranische Atompro-
dern! gramm sehr wichtig. Ich möchte sagen: Das iranische
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Atomprogramm ist nach dem unilateralen Irakkrieg ein
sowie bei Abgeordneten der SPD) entscheidender Testlauf für die Zukunft multilateraler
Krisenbewältigung. Ein unilateraler Militärschlag, wie
Wichtig ist – vielleicht können Sie etwas dazu sagen, er zurzeit in bestimmten Kreisen offensichtlich diskutiert
Herr Außenminister –, dass sich die Bundesregierung wird, wäre für den regionalen und den internationalen
dafür auch im Süden entwicklungspolitisch und mit zivi- Frieden katastrophal.
len Projekten engagiert. Auch beim Polizeiaufbau müs-
sen die Anstrengungen in ganz Afghanistan verstärkt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
werden. 40 Ausbilder und 12 Millionen Euro waren ein Wir müssen wirklich alles daran setzen, dass wir zu einer
guter Anfang, sind aber offensichtlich zu wenig. Geld Verhandlungslösung kommen. Ein Verhandlungsangebot
und Personal müssen verdoppelt, wenn nicht verdrei- liegt auf dem Tisch. Jetzt ist es an der iranischen Füh-
facht werden. rung, Verhandlungswillen zu zeigen und einem Kompro-
(Beifall bei der FDP – Dr. Werner Hoyer [FDP]: miss bei der Urananreicherung zuzustimmen. Weil
Und nachhaltig eingesetzt werden!) bisher keine Signale kamen, beraten die UN-Sicherheits-
ratsmitglieder zu Recht erstmalig über die Verhängung
– Und nachhaltig eingesetzt werden. von Sanktionen. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit
Fest steht: Afghanistan muss auch politisch stabili- der internationalen Gemeinschaft und die Autorität des
siert werden. Allein militärisch ist diese Auseinanderset- Sicherheitsrates.
zung nicht zu gewinnen. Genau das müssen wir in Riga Für mich ist Folgendes klar: Sanktionen dürfen nicht
(B) mit den Partnern diskutieren. die Bevölkerung treffen, sie dürfen nicht das Regime (D)
Meine Damen und Herren, die gestrige Ermordung stärken und die Tür für Verhandlungen muss jederzeit
des libanesischen Industrieministers Pierre Gemayel ist offen bleiben. Bis zum Ende des Jahres und anschlie-
ein großer Schock für uns alle. Eine erneute Destabilisie- ßend, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft,
rung des Libanon ist zu befürchten. Damit sind auch der werden entscheidende Weichenstellungen anstehen. Am
Erfolg der UNIFIL-Mission und der regionale Frieden Konflikt über das Atomprogramm lässt sich die gewach-
gefährdet. Deswegen brauchen wir jetzt und unter deut- sene Verantwortung Deutschlands im Rahmen eines ef-
scher EU-Ratspräsidentschaft neue politische Initiativen fektiven Multilateralismus beispielhaft aufzeigen.
für einen umfassenden Fahrplan für Nahost. Dazu gehö- Ein weiteres positives Beispiel ist meines Erachtens
ren Initiativen zur Stabilisierung des Libanons und Ge- der Kongoeinsatz. Einige Sätze dazu: Die Wahlen sind
spräche mit Syrien. Ich sage das trotz der Vorfälle: Sy- fair und friedlich verlaufen. EUFOR hat sich bisher als
rien muss endlich die libanesische Souveränität achten, Sicherheitsgarant bewährt. Allerdings befinden wir uns
seine Unterstützung für die Hisbollah einstellen. Wir erst jetzt in der schwierigsten Phase des gesamten Pro-
müssen versuchen, Syrien aus der Achse mit Iran he- zesses. Nächste Woche wird das Endergebnis verkündet.
rauszubrechen. Das ist sicher nicht einfach. Das wäre Der unterlegene Kandidat Bemba hat leider angekün-
aber ein echter strategischer Erfolg, der das Fenster zu digt, dass er das Ergebnis nicht akzeptieren will. Seine
Fortschritten im Nahen Osten öffnen könnte. Anhänger haben gestern das Haus des Obersten Ge-
Die politische und humanitäre Lage in den palästinen- richtshofs in Brand gesetzt.
sischen Gebieten ist mehr als kritisch: Eine handlungsfä- Von hier aus richte ich einen deutlichen Appell an
hige Regierung der nationalen Einheit ist immer noch alle: Bemba muss – auch seinen Leuten – signalisieren,
nicht gebildet. Die Hamas schießt weiterhin Raketen auf dass er dieses demokratische Ergebnis akzeptiert, damit
Israel und Israel reagiert mit fatalen Militärschlägen. die Bevölkerung im Kongo, die die Demokratie will,
Auch hierzu erwarten wir unter deutscher Ratspräsident- endlich zu ihrem Recht kommt.
schaft neue Initiativen. Das Nahost-Quartett muss end-
lich wieder belebt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eckart von Klaeden [CDU/CSU])
Im Irak erleben wir erneut eine Spirale der Gewalt. Ich finde es fahrlässig, dass die Bundesregierung sich
Bei den Midterm-Elections hat US-Präsident Bush die schon jetzt darauf festgelegt hat, dass der endgültige Ab-
Quittung für eine verfehlte unilaterale Irakpolitik erhal- zug Ende November erfolgen soll. Die Situation könnte
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6567
Kerstin Müller (Köln)
(A) noch eskalieren. Wir hoffen zwar, dass das nicht passiert, Sie erwarten es ja gar nicht anders: Diesen Dank muss (C)
meines Erachtens muss der Abzug aber von der Lage vor ich mit einer kleinen Bitte verbinden, nämlich der, dass
Ort abhängig gemacht werden. Am 10. Dezember wird Sie in dieser Unterstützung nicht nachlassen.
die Regierung eingesetzt. In der Zwischenzeit darf auf
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
keinen Fall ein Sicherheitsvakuum entstehen. Andern-
falls waren die hehren Worte über unsere Verantwortung Bleiben Sie uns gewogen! Denn wir haben im kommen-
gegenüber Afrika nichts wert. Wir wollen, dass dieser den Jahr nicht nur erneut schwierige Haushaltsgespräche
Einsatz erfolgreich bleibt. vor uns, sondern ich brauche Ihre Unterstützung auch
deshalb, weil – viele haben eben in ihren Reden darauf
Vielen Dank.
hingewiesen – leider alles danach aussieht, dass wir im
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommenden Jahr eher mehr als weniger Außenpolitik
brauchen.
Vizepräsidentin Petra Pau: All das, was ich am 6. September dieses Jahres an
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, dieser Stelle schon einmal gesagt habe, gilt noch heute.
Dr. Frank-Walter Steinmeier. Die Welt scheint kleiner geworden, aber nicht die Pro-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) bleme. Das, was in ferneren Regionen passiert, betrifft
uns in Deutschland mittlerweile ganz unmittelbar. Wir
haben im zurückliegenden Jahr über die Bürgerkriege
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
in Afrika gesprochen, die Migration auslösen, deren
Auswärtigen:
Folgen uns berühren. Wir haben über Terrorismus ge-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten sprochen und über Klimawandel, der letztlich – die
Damen und Herren Abgeordneten! Wir haben jetzt noch Kanzlerin hat es heute Morgen gesagt – die natürlichen
gut einen Monat Zeit, um letzte Vorbereitungen für ein Lebensgrundlagen bei uns verändert und unsicher
unter außen- und europapolitischen Gesichtspunkten in macht.
der Tat außergewöhnliches Jahr zu treffen. Vor uns liegt
ein Jahr – einige, zum Beispiel Herr Hoyer, haben es an- Wir können jedenfalls von einem ganz sicher ausge-
gedeutet –, in dem uns sowohl innerhalb der Europäi- hen: Anforderungen an unsere Außenpolitik, an unser
schen Union wie auch innerhalb des G-8-Rahmens große außenpolitisches Engagement werden in den nächsten
internationale Verantwortung auferlegt wird und in dem Jahren eher zunehmen als abnehmen. Das wird uns viel
uns große Erwartungen entgegengetragen werden. Sie abverlangen: Arbeit, Beharrlichkeit, Kreativität, Mut
erwarten sowohl von der Kanzlerin als auch von mir zu und vor allem eines, von dem ich zugebe, dass es mir
erst in diesem laufendem Jahr richtig klar geworden ist,
(B) Recht, dass uns das Datum 1. Januar 2007 und die nach- (D)
folgenden sechs Monate bzw. für die G 8-Präsident- nämlich Präsenz.
schaft das ganze Jahr besonders umtreiben. Sie werden
Ich darf es einmal so sagen: Bescheidenheit ist sicher-
vielleicht durch diese Einleitungssätze verstehen, warum
lich eine Zier kluger Diplomatie. Aber ich halte es rück-
die diesjährigen Haushaltsverhandlungen für mich ganz
blickend – das muss ich ganz offen sagen – für einen
besonders wichtig waren; denn wir stehen in diesem
Fehler, dass wir heute gegenüber dem Stand von 1993
Punkt unter internationaler Beobachtung.
26 Länder mehr betreuen bei insgesamt 10 Prozent we-
Nachdem wir miteinander gestritten und verhandelt niger Personal. Ich frage rückblickend, ob der Schritt
haben und zu Ergebnissen gekommen sind, ist dies der hin zu einigen Laptopbotschaften eher ein kreativer Um-
Ort und Zeitpunkt des Dankes. Ich möchte all denjeni- gang mit dem Mangel war als eine kluge und effektive
gen danken, die uns bei unseren Bemühungen unterstützt Idee, sich in diesen Regionen zu halten.
haben, eine immerhin leicht bessere Ressourcenausstat-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
tung der auswärtigen Politik sicherzustellen. Ich habe
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
mich über die Unterstützung gefreut, die uns hier im
SES 90/DIE GRÜNEN)
Plenum und auch in den Ausschüssen, dem Auswärtigen
Ausschuss und dem Haushaltsausschuss, widerfahren Mit selbstbewusster Präsenz hat das jedenfalls aus
ist. Mein besonderer Dank gilt den Berichterstattern: meiner Sicht nichts zu tun. Wir müssen uns immer ein
dem Hauptberichterstatter Herrn Koppelin, der die Ver- bisschen mit denen vergleichen, mit denen wir uns auch
handlungen wie immer souverän und pragmatisch ge- vergleichen können. Ich weise deshalb auf Folgendes
führt hat, Herbert Frankenhauser und Lothar Mark, die hin: Der diplomatische Dienst der Franzosen hat
– das sei hervorgehoben – uns gerade bei der Mittelaus- 10 000 Personen mehr, der der Briten 6 000 mehr. Ich
stattung für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik rede dabei gar nicht von der massiven kulturellen Prä-
sehr unterstützt haben, auch Michael Leutert, selbst senz dieser beiden Nachbarstaaten, denen wir auf Schritt
wenn wir gleich in einigen Punkten aneinander geraten und Tritt immer wieder in den Regionen begegnen.
werden. Alexander Bonde darf ich sagen: Sie haben die
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das muss der
Verhandlungen kritisch begleitet, aber an den entschei-
Steinbrück sich einmal anhören!)
denden Punkten in der inhaltlichen Debatte unterstützt.
Deshalb bitte ich Sie, diesen Haushalt zu unterstüt-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zen, einen Haushalt, der aus meiner Sicht durchaus erste
der CDU/CSU)
Ansätze für eine Verbesserung der Situation enthält und
Deshalb vorab dieser Dank. insbesondere bei der auswärtigen Kultur- und Bildungs-
6568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) politik Zeichen setzt. Für diesen Politikbereich habe ich (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ (C)
mich auch hier im Parlament im letzten Jahr mehrere DIE GRÜNEN]: Das kommt noch!)
Male eingesetzt, um auf diesem Gebiet so etwas wie eine
kleine Trendwende einzuleiten. All das wird uns in enormem Maße beschäftigen.

Vielleicht mussten wir erst alle miteinander lernen, Zwei dieser Stichworte möchte ich herausgreifen. Zu-
wie wichtig die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nächst zur Situation in Afghanistan. Die Frau Bundes-
ist. Vielleicht haben wir das auch zu spät gelernt. Ich je- kanzlerin hat heute Morgen die gemeinsame Haltung der
denfalls bin der Meinung, dass wir diese dritte Säule der Bundesregierung dargelegt. Ihre Ausführungen möchte
deutschen Außenpolitik in der Vergangenheit nicht ge- ich nicht wiederholen. Ich finde, dass es gute Gründe da-
nug geschätzt haben. Entweder haben wir ihren Wert für gibt, unser Engagement im Norden Afghanistans
nicht erkannt oder wir sind davon ausgegangen, dass es nicht aufzugeben und es auch nicht einzuschränken. Ich
sich dabei um eine Art Luxusannex der deutschen Au- wünschte mir aber, Herr Hoyer – hier bin ich viel näher
ßenpolitik handelt. bei Ihnen, als Sie möglicherweise vermuten –, dass wir
das, was wir tun, in der deutschen und in der internatio-
Gerade in diesem Jahr, einem Jahr, in dem es zu gro- nalen Öffentlichkeit mit etwas mehr Selbstbewusstsein
ßen Irritationen, vielen Missverständnissen und sogar zu vertreten würden.
handfesten Konflikten zwischen Europa bzw. der westli-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
chen Welt und Teilen der arabisch-islamischen Welt ge-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
kommen ist, ist eines klar geworden – lassen Sie mich
geordneten der FDP)
das als Antwort auf viele Redebeiträge, die ich hier ge-
hört habe, sagen –: Wenn wir in Zukunft nicht noch häu- Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, sage ich Ih-
figer über das Verhältnis von zivilen und militärischen nen nun: Natürlich weiß ich, dass sich die Sicherheits-
Engagements im Rahmen der Missionen, an denen wir lage in Afghanistan ausgesprochen schwierig entwickelt.
uns beteiligen, reden wollen, und wenn wir nicht noch Natürlich weiß ich auch, dass wir dort, wo wir zuständig
häufiger über die Höhe des Haushaltsansatzes für zivile sind, noch lange nicht am Ziel sind. Aber wir sollten die-
Wiederaufbauleistungen, die bekanntlich immer zu ge- ses Thema auch einmal in entgegengesetzter Richtung
ring ist, streiten wollen, dann müssen wir die Elemente angehen: Wenn die Stabilisierung überhaupt irgendwo in
ziviler und präventiver Sicherheit ausbauen. Afghanistan gelungen ist, wenn überhaupt irgendwo in
Afghanistan in ganz bescheidenem Maße und viel zu
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
wenig sichtbar etwas für den Wiederaufbau getan wor-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
den ist – viele von Ihnen waren ja vor Ort, haben Schu-
geordenten der LINKEN)
(B) len und Krankenstationen besucht und sich über die (D)
Das bedeutet aber: Wir müssen uns auch in den Re- Wasserversorgung informiert –, wenn also irgendwo
gionen, in denen es uns schwer fällt, verständlich ma- überhaupt etwas gelungen ist, dann ist das im Norden
chen; wir müssen erklären, worauf es uns ankommt, und Afghanistans der Fall. Somit sollten wir auch die umge-
wir müssen alle Beteiligten davon überzeugen, dass es kehrte Frage stellen: Ob es für eine andere Region
am besten ist, Lösungen möglichst gemeinsam anzuge- Afghanistans von Vorteil wäre, wenn wir in unserem Be-
hen. Das verlangt mehr als nur eine Botschaft und einen mühen, im Norden des Landes für Stabilisierung zu sor-
Botschafter. Das bedarf der Ebene menschlicher Begeg- gen und Wiederaufbauhilfe zu leisten, nachlassen wür-
nungen und der Schaffung eines dichten Netzwerkes den.
kultureller Beziehungen. Darüber hinaus sollten wir, was
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
unsere Auslandsschulen und den wissenschaftlichen
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Austausch betrifft, ehrgeiziger sein.
DIE GRÜNEN)
Das sollten wir uns für die nächsten Jahre vornehmen Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, dass wir unsere
und es auch in unseren Haushaltsberatungen berücksich- Anstrengungen dort sogar verstärken müssen, sowohl
tigen. Diese Auffassung vertrete ich, obwohl ich mich bei der Schaffung von Einkommensmöglichkeiten für
offen gesagt sehr darüber freue, dass im Hinblick auf das die afghanische Bevölkerung als auch bei der Ausbil-
Flaggschiff unserer auswärtigen Kultur- und Bildungs- dung der Polizei. Ich bemühe mich, auch im europäi-
politik, das Goethe-Institut, eine Trendwende eingelei- schen Rahmen mehr Sensibilität und Ehrgeiz dafür zu
tet werden konnte und wir nun auf dem Wege der Stabi- wecken; solche Maßnahmen müssen nicht auf bilaterale
lisierung und der Verbesserung unserer Präsenz nach Anstrengungen Deutschlands beschränkt bleiben.
außen sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Um das, was ich zur auswärtigen Kulturpolitik gesagt der CDU/CSU)
habe, müssen wir uns kümmern. Seien Sie sich aber si-
cher: Mir ist natürlich klar, dass der Schwerpunkt meiner Selbstbewusst dürfen wir in dieser Diskussion auch
und Ihrer Arbeit im nächsten Jahr woanders liegen wird. deshalb sein, weil sich unsere Philosophie, unser Ansatz
Die Agenda wird von Stichworten beherrscht sein, die eines zivil-militärischen Zusammenwirkens, langsam
wir alle kennen: von der Situation im Nahen Osten, in sichtbar durchsetzt, nicht nur bei den PRTs, auch inner-
Afghanistan, im Kongo und im Iran und von der Status- halb der NATO. Herr Hoyer, Sie dürfen gewiss sein, dort
lösung im Kosovo, die heute noch gar keine Rolle ge- wird nicht kleinmütig geredet von deutscher Seite. Wenn
spielt hat. wir es der internationalen Staatengemeinschaft und den
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6569
Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
(A) NATO-Partnern so leicht machten, stände es um die in- Wir können in einer Haushaltsrede nicht alle Kon- (C)
ternationale Diskussion schon länger anders. Wir treten fliktregionen behandeln. Aber wie ich an anderer Stelle
dort sehr selbstbewusst auf mit dem, was wir tun. Wir schon gesagt habe: Wir müssen uns um die Konfliktre-
haben erst jüngst gemeinsam mit unseren norwegischen gionen kümmern; das liegt auf der Hand. Aber voraus-
Freunden dafür gesorgt, dass mit Blick auf den NATO- schauende Außenpolitik muss noch ein breiteres Spek-
Gipfel in Riga überlegt wird, diese zivile Komponente trum erfassen.
zu einem unauflöslichen Bestandteil des Engagements
Deshalb bin ich vor wenigen Tagen – einige von Ih-
aller NATO-Partner in Afghanistan zu machen. Ich
nen waren dabei – in Zentralasien und in der vergange-
glaube, das ist der richtige Weg.
nen Woche in den Maghrebstaaten gewesen. Auch
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wenn unser Blick auf die aktuellen Konflikte gerichtet
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ bleibt, glaube ich, dass wir in der Tat gut daran tun, gele-
DIE GRÜNEN) gentlich auch das Jahr 2025 in unsere Perspektive zu
nehmen, um zu sehen, wie sich die Gewichte verändern,
Nach den Agenturmeldungen von heute Morgen wird wer die neuen Player sind und in welchen Regionen wir
jetzt überlegt, im Süden Afghanistans, einer Region mit schon präsent sein sollten, bevor sich prognostizierbare
einer schwierigen Sicherheitslage – ganz ohne Zweifel –, Entwicklungen zeigen.
so genannte Sicherheitsinseln zu schaffen. Das ist letzt-
lich nichts anderes als ein etwas anders gearteter Ich glaube, wir haben gut daran getan, uns in diesen
– notwendigerweise anders gearteter – Versuch, dort zi- Regionen zu zeigen. Wir haben junge Generationen von
vil-militärische Zusammenarbeit zu präsentieren, um Politikern kennen gelernt, die ihre Augen auf Europa
auch der Bevölkerung im Süden, indem man ihr sicht- richten. Ich freue mich darauf, dass wir während der eu-
bare Wiederaufbauerfolge vor Augen führt, deutlich zu ropäischen Ratspräsidentschaft die Möglichkeit haben
machen, dass es sich lohnt, nicht mit den Taliban zusam- werden, an Angeboten zu arbeiten, um Europa attraktiv
menzuarbeiten. zu halten. Ich meine damit nicht, dass wir aus lauter
Nächstenliebe nur diesen Regionen etwas Gutes tun soll-
Ich habe schon vor einigen Wochen an dieser Stelle ten. Ich glaube, allen Begleitern der Delegation ist klar
gesagt – mit Blick auf Katastrophenberichte, die es geworden, dass wir weiß Gott nicht nur wegen der Ener-
schon damals gab und die aktuell verstärkt kommen –: gie einen Blick auf Zentralasien werfen. Wir müssen der
Afghanistan ist aus meiner Sicht nur verloren, wenn wir Region helfen, dass sie nicht von allen Instabilitäten der
es aufgeben. Es gibt viele Gründe, es nicht aufzugeben: südlichen Nachbarschaft infiziert wird. Wir haben ein
Die Lage der afghanischen Bevölkerung ist der eine Interesse daran, dass diese Region stabil bleibt, auch
Grund, die anderen Gründe sind heute Morgen genannt wenn uns die Herrschaften an der Spitze die Gespräche
(B) worden. Die internationale Staatengemeinschaft, von der zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer machen. Trotzdem (D)
wir ein Teil sind, darf dort nicht scheitern. müssen wir den Mut haben, diesen Weg zu gehen, und
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Sie können davon ausgehen, dass wir ihn auch in Zu-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kunft weiter gehen werden.
Noch größere Anstrengungen werden uns im Nahen Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung.
Osten abverlangt. Der Mord an dem libyschen Minister (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
Gemayel, den ich noch im Sommer bei zwei Begegnun- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
gen kennen gelernt habe, zeugt davon, dass der Kreislauf
von Gewalt, der Sabotage wirklich jedes Ansatzes von
Stabilität, durchbrochen werden muss. Deshalb kommt Vizepräsidentin Petra Pau:
es für unsere Politik mit Blick auf das kommende Jahr Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Harald
darauf an, die Zahl der Vetospieler entscheidend zu ver- Leibrecht das Wort.
ringern. Daran arbeiten wir mit Ehrgeiz, Herr Leutert, (Beifall bei der FDP)
auch wenn das nicht jeden Tag in der Zeitung steht. Ich
kann Ihnen versichern, Frau Müller, dass wir während
Harald Leibrecht (FDP):
unserer europäischen Ratspräsidentschaft mit diesem
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ehrgeiz auch an Initiativen arbeiten werden, die von Eu-
Herr Außenminister, ich danke Ihnen, dass Sie einen be-
ropa ausgehen. Nur, Herr Leutert, von einem werden Sie
trächtlichen Teil Ihrer Rede hier im Plenum für die aus-
mich am Ende nie überzeugen: Ihnen hier im Parlament
wärtige Kultur- und Bildungspolitik aufgewendet ha-
oder der deutschen Öffentlichkeit Vorschläge und Initia-
ben.
tiven zu unterbreiten, die gerade einmal die Titelzeile der
Zeitungen vom nächsten Tag erreichen. So etwas ist un- (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
seriös und daran werde ich mich nicht beteiligen.
In der Tat können gerade durch diesen Teil der Politik
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dort Türen geöffnet werden, wo die konventionelle Di-
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ plomatie oftmals nicht richtig weiterkommt. Ich glaube,
DIE GRÜNEN – Dr. Werner Hoyer [FDP]: So es ist wichtig, dass dort die auswärtige Kultur- und Bil-
viel zu Fischer! – Heiterkeit bei Abgeordneten dungspolitik zum Tragen kommt.
der FDP und der CDU/CSU)
Um die wichtige Aufgabe der Konfliktprävention
– Das war nicht gemeint; das wissen Sie auch. durch die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
6570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Harald Leibrecht
(A) gewährleisten zu können, bedarf es aber auch eines an- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C)
gemessenen Budgets. Ich bin natürlich sehr froh darüber, der CDU/CSU und der SPD)
dass für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in
den einzelnen Posten des Haushalts etwas mehr Geld zur Vizepräsidentin Petra Pau:
Verfügung gestellt werden soll. Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden für die
Natürlich kann mit diesen Geldern aber erst dann er- Unionsfraktion.
folgreich gearbeitet werden, wenn sie richtig eingesetzt (Beifall bei der CDU/CSU)
werden. Sie haben die Goethe-Institute erwähnt. Auch
wir sind der Meinung, dass das wichtige Einrichtungen
sind. In der Tat sind hier aber große Sparmaßnahmen Eckart von Klaeden (CDU/CSU):
möglich. Es geht nicht, ihnen einfach nur mehr Gelder Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-
zu geben, sondern sie müssen in ihren eigenen Struktu- gen! Ein intensives und aufregendes Jahr in der Außen-
ren sparen. Ich denke hier vor allem an Sparmaßnahmen und Sicherheitspolitik liegt hinter der großen Koalition.
in der Verwaltung. Diese Außen- und Sicherheitspolitik ist von Kontinuität
und Wandel geprägt. Kontinuität gibt es zum Beispiel in
(Monika Griefahn [SPD]: Das wird gemacht!) der Balkanpolitik. Der Kosovoeinsatz der Bundeswehr
Das Auswärtige Amt, der Hauptgeldgeber der Goe- wurde unter Rot-Grün begonnen und wird von uns fort-
the-Institute, muss für eine zügige Umstellung der Bud- gesetzt.
getierung hinsichtlich der Goethe-Institute sorgen. Nur Die Kontinuität zeigt sich auch in der Afghanistan-
so können die Gelder flexibel eingesetzt und eventuelle politik. Der Einsatz in Afghanistan wurde von Rot-Grün
Einsparmaßnahmen durchgeführt werden, um Geld für begonnen und wird von der großen Koalition fortgesetzt.
andere wichtige Projekte der Goethe-Institute zur Verfü- Das nicht nur national, sondern auch international ge-
gung zu haben. lobte PRT-Konzept ist von Rot-Grün mit unserer Unter-
Weitere wichtige Schwerpunkte der deutschen Kul- stützung entwickelt worden. Es wird von uns fortgesetzt
turpolitik sind natürlich die deutschen Auslandsschu- und von anderen übernommen.
len. Diese Schulen fördern in den entsprechenden Län- Es gibt aber auch Beispiele für einen Wandel in der
dern die kulturelle Vielfalt und vermitteln sowohl ein Außen- und Sicherheitspolitik von Rot-Grün zur großen
positives Bild von Deutschland als auch ein Verständnis Koalition. Das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist
für die Meinungsfreiheit, die Rechtsstaatlichkeit und die wieder auf eine vertrauensvolle Grundlage gestellt wor-
Demokratie. Über 90 Prozent der Schüler an diesen den. Das hat die Möglichkeit eröffnet, kritische Fragen
Schulen, die sich in freier Trägerschaft befinden, kom- wie den Fall Kurnaz oder Guantanamo in den Vereinig- (D)
(B)
men übrigens aus den Gastgeberländern. Sie sind also ten Staaten anzusprechen, was Ihr Vorgänger, Herr
keine Deutschen, aber sie haben einen direkten Kontakt Steinmeier, sorgfältig vermieden hat.
zu Deutschen und zur deutschen Kultur. Viele der Absol-
venten dieser Schulen haben später wichtige – auch poli- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tische – Ämter inne. Deshalb glaube ich, dass sich diese NEN)
Investition im Ausland durchaus lohnt.
Das Verhältnis zu Russland ist wieder vernünftig ein-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten geordnet worden. Es geht nicht allein um die wirtschaft-
der SPD) lichen Beziehungen, sondern bei der Betrachtung Russ-
lands werden die innenpolitische Entwicklung und das
Ein weiterer wichtiger Bereich ist natürlich auch die Verhältnis zu den Nachbarstaaten stärker als bisher mit
Humboldt-Stiftung. 40 ehemalige Humboldt-Stipendia- einbezogen. Es wird Russland gegenüber deutlich ge-
ten sind inzwischen Nobelpreisträger. Auch daran erken- macht, dass die Frage, wie sich Russland seinen Nach-
nen wir, dass sich die auswärtige Kulturarbeit für uns barn gegenüber verhält und ob bzw. wie es die Prinzi-
lohnt. pien, zu denen es sich im Europarat selber verpflichtet
Wir müssen, was die auswärtige Politik betrifft, über hat, innenpolitisch umsetzt, ein Gradmesser für das Ver-
den Tellerrand hinausschauen. Ich bin deshalb froh, dass trauen ist, das wir zu Russland haben können.
wir in Zentralasien waren. Denn dort ist deutlich ge-
Das verbesserte, auf Vertrauen fußende Verhältnis zu
worden, dass es wichtig wäre, bei der internationalen
den Vereinigten Staaten hat es der Kanzlerin bei ihren
Kulturpolitik anzusetzen. Das wäre ein wichtiger Beitrag
Amerikabesuchen ermöglicht, deutlich zu machen, dass
zur politischen Entwicklung in diesen Staaten. Wir müs-
wir Europäer kein Interesse an einer Russlandpolitik ha-
sen ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Mei-
ben, die auf Abschottung und Isolierung Russlands ge-
nungsfreiheit vermitteln. Dafür können wir gerade un-
richtet ist, sondern daran, dass Russland Europa gegen-
sere Kultureinrichtungen nutzen.
über offen bleibt und sich in unsere Richtung entwickelt.
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Ich bin
Das Verhältnis zu unseren Nachbarstaaten in der
froh, dass es mehr Geld für diese Einrichtungen gibt.
Europäischen Union ist auf eine neue Grundlage ge-
Wir, die FDP, möchten die Bemühungen dieser Einrich-
stellt worden. Die Kanzlerin hat sich vor ihrer Regie-
tungen auch weiterhin unterstützen. Wir werden sie aber
rungsübernahme zu einer Stop-over-Politik zum Beispiel
auch sehr kritisch begleiten.
Polen gegenüber verpflichtet. Vieles, was wir heute im
Danke schön. deutsch-polnischen Verhältnis als Ressentiments erle-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6571
Eckart von Klaeden
(A) ben, sind Überbleibsel falscher Ansätze unter Rot-Grün. chen, dass solche Vorbehalte auf deutscher Seite nicht (C)
Man muss den Polen allerdings auch sagen, dass, wenn existieren; denn im Rahmen des OEF-Mandats sind un-
sie von uns die Stop-over-Politik einfordern, der Flugha- sere Soldaten in ganz Afghanistan einsetzbar,
fen in Warschau nicht wegen Magenverstimmung ge-
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aha!)
schlossen sein darf.
und im Rahmen des ISAF-Mandats ist es selbstverständ-
Schließlich hält die große Koalition auch den lich möglich, im Notfall unseren Verbündeten zur Seite
Maastrichtvertrag ein. Gerade wenn wir darauf Wert le- zu stehen. Man darf allerdings die Frage nach nationalen
gen, dass internationales Recht beachtet wird, dann müs- Caveats nicht mit der Frage nach der nationalen Verant-
sen wir selber mit gutem Beispiel vorangehen. wortung verwechseln.
(Beifall bei der CDU/CSU) Meine zweite Bemerkung betrifft die Frage nach den
Vor uns liegen die Präsidentschaften in der Euro- Standards. Wir müssen uns gerade im Hinblick auf ge-
päischen Union und der G 8. Bei der G 8 geht es vor meinsame militärische Operationen auf einheitliche
allem darum, den bestehenden und weiter wachsenden Standards einigen, die festlegen, wie zum Beispiel mit
weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwir- Kriegsgefangenen oder „unlawful combatants“ umge-
ken und die Schattenseiten der Globalisierung, wie sie gangen wird. Wenn bestimmte Verbündete Verfahren an-
sich vor allem in Afrika zeigen, zu bekämpfen. In wenden, die von anderen Staaten als rechtswidrig ange-
Europa müssen wir uns darum kümmern, dass die Le- sehen werden, dann ist das geeignet, die Solidarität in
thargie, die insbesondere durch das vorläufige Scheitern den Bündnisstaaten zu unterminieren und das gemein-
des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Nieder- same Ziel, die Stabilisierung Afghanistans, aus den Au-
landen begründet ist, zu überwinden und dafür zu sor- gen zu verlieren.
gen, dass Europa wieder eine Perspektive gewinnt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Dabei spielen auch die Fragen im Zusammenhang mit der SPD)
der Erweiterung, insbesondere die Frage nach dem Bei- Dritte Bemerkung. Wir alle, auch wir Deutsche, be-
tritt der Türkei, eine wichtige Rolle. Wir haben uns klagen Opfer, beklagen gefallene Soldaten in Afghanis-
dazu verpflichtet, die Verhandlungen mit der Türkei er- tan. Ich finde, es ist der richtige Zeitpunkt, an diese Sol-
gebnisoffen und mit dem Ziel des Beitritts zu führen. daten und ihre Familien zu erinnern. Es ist aber zynisch,
Die Türkei muss aber einsehen, dass sie ihre enorme zu glauben, dass man die Gefallenen des einen Landes
geostrategische Bedeutung für Europa nicht missbrau- gegen die Gefallenen des anderen Landes aufrechnen
chen kann, um Bedingungen, denen sie selber in den kann. Das hat mit Bündnissolidarität nichts zu tun.
(B) Verhandlungen zugestimmt hat, nicht zu erfüllen. Wir (D)
brauchen von der Türkei einen konstruktiveren Ansatz, (Monika Knoche [DIE LINKE]: Tut das
damit die Verhandlungen weitergehen und dann zu dem jemand?)
von der Türkei gewünschten Ergebnis führen können. – Wenn Sie Zeitung lesen würden, Frau Kollegin, wüss-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ten Sie, wovon ich spreche.
neten der SPD) (Monika Knoche [DIE LINKE]: Das war jetzt
Vor uns liegt der NATO-Gipfel. Die NATO wird sich frech!)
stärker als bisher mit den internationalen Herausforde- – Das ist nicht frech. Ich kann Ihnen gerne die Artikel
rungen des transnationalen Terrorismus und des islami- zukommen lassen, in denen das der Fall ist.
schen Fundamentalismus, der Verbreitung von Massen-
vernichtungswaffen, zerfallenden Staaten sowie dem Wenn solche Debatten geführt werden, besteht die
Einsatz von Energie und Rohstoffen als strategische Gefahr, dass die Solidarität in den jeweiligen Bündnis-
Waffen auseinander setzen müssen. Aber wir müssen staaten abnimmt; denn in der Öffentlichkeit entsteht
auch darauf achten, dass dieser Gipfel nicht zu einem so dann der Eindruck, dass es darum geht, Verluste für an-
genannten Caveats-Gipfel wird, also zu einem Gipfel, dere zu übernehmen. Tatsächlich geht es aber darum, ge-
bei dem in erster Linie über die Vorbehalte bezüglich des meinsam dafür zu sorgen, dass die Mission in Afghanis-
Afghanistaneinsatzes gesprochen wird. Wir alle haben tan Erfolg hat.
ein Interesse daran, dass die Mission in Afghanistan ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
lingt. Mit einem Schwarzen-Peter-Spiel ist niemandem neten der SPD)
gedient, weder den Mitgliedstaaten noch der NATO und
erst recht nicht Afghanistan. Nationale Vorbehalte dürfen nicht – darauf habe ich
bereits hingewiesen – mit nationalen Verantwortungsbe-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und reichen verwechselt werden. Es ist richtig, dass sich die
der SPD) Nationen sowohl geografisch als auch sachlich be-
stimmte Aufgaben vorgenommen haben; denn wenn je-
Ich möchte dazu drei Bemerkungen machen. Erste
der für alles zuständig ist, ist leider damit zu rechnen,
Bemerkung. Es ist richtig, dass nationale Vorbehalte,
dass sich niemand verantwortlich fühlt.
so genannte Caveats, die ausschließen, dass bestimmte
Truppen zur Unterstützung der Verbündeten eingesetzt Ich finde, wir können auf das, was wir bisher in Af-
werden, nicht akzeptabel sind, insbesondere dann nicht, ghanistan geleistet haben, wirklich stolz sein. Wir sind
wenn sie geheim sind. Wir müssen aber deutlich ma- die Ersten gewesen, die im Rahmen von ISAF Kabul
6572 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Eckart von Klaeden


(A) verlassen und in einer Region die Verantwortung für Sta- im eigenen Land gegen die Interessen der Mehrheit der (C)
bilisierung und Wiederaufbau übernommen haben. Auf Bevölkerung regiert, wie wir heute Morgen mehrmals
den Erfolg des PRT-Konzepts habe ich schon hingewie- hören konnten, ist nicht geeignet, für positive europäi-
sen. Wir haben im Rahmen des Aufbaus und der Ausbil- sche Lösungen zu sorgen.
dung der Polizei mittlerweile über 17 000 Polizisten aus-
gebildet. Das reicht nicht und es muss weitergehen. Aber (Beifall bei der LINKEN)
wichtig ist auch, dass wir uns den anderen Elementen, Die deutsche Ratspräsidentschaft und der G-8-Gipfel
die zum Aufbau der Administration in Afghanistan er- werden den Steuerzahler – wir befinden uns in einer
forderlich sind, zum Beispiel die Bekämpfung des Dro- Haushaltsdebatte – weit über 100 Millionen Euro kosten.
genanbaus, die Bekämpfung der Korruption und der Man sollte mit diesem Geld verantwortungsvoll umge-
Aufbau der afghanischen Armee, mit ähnlicher Intensität hen und einen grundsätzlichen europäischen Politik-
wie dem Aufbau der Polizei widmen. wechsel einleiten. Die bekannten Initiativen der Bundes-
(Beifall bei der CDU/CSU) regierung lassen erkennen: Außenpolitisch dominiert die
Vorstellung von militärischer Stärke statt der Suche nach
Dabei kommt der Bekämpfung des Drogenanbaus globalen Antworten für eine friedliche Zukunft. Der
eine besondere Bedeutung zu. Ich will aber den Schwer- Krieg gegen den Terror in Afghanistan und im Irak ist
punkt auf den Aufbau der afghanischen Armee legen; militärisch eine Sackgasse. Die Linke fordert seit lan-
denn ISAF bedeutet Internationale Sicherheitsunterstüt- gem die sofortige Beendigung der Afghanistaneinsätze
zungstruppe in Afghanistan. Je mehr afghanische Solda- der Bundeswehr.
ten Schulter an Schulter mit ihren Kameraden in der
NATO für die Stabilisierung des eigenen Landes kämp- (Beifall bei der LINKEN)
fen, umso weniger kann bei der Bevölkerung der Ein- Fakt ist: Die Gefahr von terroristischen Anschlägen
druck entstehen, dass die NATO dort eine Okkupations- auch in Deutschland ist nicht gesunken, sondern gestie-
aufgabe innehat. gen. Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungs-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) waffen wurde nicht gestoppt, sondern vorangetrieben.

Deswegen sind gerade der Aufbau und die Integration (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne
der afghanischen Armee in das gemeinsame Projekt Kastner)
auch unter dem Stichwort „Afghan Ownership“ von be- Der Krieg gegen den Terror hat nicht zu mehr Demokra-
sonderer Bedeutung. tie, sondern auch in demokratischen Staaten zum Abbau
Mir fehlt jetzt leider die Zeit, um auf weitere Punkte demokratischer Rechte geführt. Es geht bei den Militär-
(B) einzugehen, zum Beispiel auf die Entwicklung im Sudan einsätzen ohnehin um andere Gründe, nämlich um Roh- (D)
und auf die Entwicklung im Kongo. Ich glaube, dass stoffe, Handelswege und geostrategische Vorherrschaft.
beide Stichworte deutlich machen, dass wir im Rahmen Wir brauchen eine andere Ausrichtung der Nahostpoli-
der internationalen Gemeinschaft unsere diplomatischen tik. Sowohl die deutsche Ratspräsidentschaft als auch
Beziehungen auch zu aufstrebenden Mächten wie China der G-8-Vorsitz bieten eine gute Gelegenheit, die
und Indien intensivieren müssen; denn China kommt Voraussetzung für eine ständige internationale Nahost-
eine besondere Bedeutung gerade auf dem afrikanischen konferenz zu schaffen. Ebenso muss der Barcelonapro-
Kontinent zu. Unser Interesse ist es, China mehr als bis- zess so umgestaltet werden, dass er zur wirtschaftlichen
her in die Verantwortung für die Entwicklungen dort ein- und sozialen Stabilisierung der Region beiträgt. Deshalb
zubeziehen. fordern wir die Bundesregierung auf, sich insbesondere
im ersten Halbjahr 2007 intensiver mit eigenen Initia-
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. tiven in die Lösung des israelisch-palästinensischen
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Konfliktes einzubringen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die Dazu gehört auch, Syrien ohne Bedingungen aktiv in
Fraktion Die Linke. den Friedensprozess einzubeziehen.

(Beifall bei der LINKEN) Den Menschen in Palästina, insbesondere im Gaza-


streifen, muss rasch geholfen werden. Materielle Hilfen
durch die EU für die palästinensischen Autonomiege-
Alexander Ulrich (DIE LINKE): biete müssen ohne Einschränkungen sofort wieder auf-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und genommen werden.
Kollegen! In die deutsche Ratspräsidentschaft und in den
Vorsitz Deutschlands beim G-8-Gipfel werden große Er- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
wartungen gesetzt. Das wird vonseiten der Europäischen Die EU muss den in der demokratischen Wahl vom Fe-
Kommission immer wieder betont, wie letzte Woche im bruar dieses Jahres erklärten Willen des palästinensi-
Auswärtigen Amt geschehen. Aber viele Regierungen schen Volkes anerkennen.
der EU-Länder glauben an eine nicht vorhandene Pro-
blemlösungskompetenz dieser Regierung. Auch die Europa muss einen zivilen Ansatz in der Krisen- und
Linke im Bundestag bittet die europäischen Bürgerinnen Konfliktbewältigung verfolgen. Unser Ausgangspunkt
und Bürger, ihre Erwartungen zurückzuschrauben. Wer für eine Neubestimmung der deutschen und der europäi-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6573
Alexander Ulrich
(A) schen Außen- und Sicherheitspolitik ist daher: keine Be- verbinden mit den Begriffen wie Europäisierung und (C)
teiligung an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, we- Globalisierung zumeist Sorgen und Ängste. Die Frustra-
der unmittelbar noch mittelbar. tion der Menschen in Europa ist groß.
(Beifall bei der LINKEN) Die Lissabonstrategie ist gescheitert. Wirtschafts-
wachstum und Produktivitätsentwicklung blieben weit
Dass wir auch am Irakkrieg beteiligt sind, kann ich Ih- hinter der Zielmarke. Eine höhere Beschäftigungsquote
nen versichern, Herr Außenminister. Ich wohne fünf Ki- bei weiblichen und älteren Arbeitnehmerinnen und Ar-
lometer von der US-Airbase Ramstein entfernt. „Von beitnehmern und durchschlagende Erfolge im Kampf ge-
deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“, sagte gen Arbeitslosigkeit blieben weitgehend aus. Die Ar-
einmal Willy Brandt. Ich versichere Ihnen: Ramstein beitslosigkeit verharrt in Europa bei über 18 Millionen
liegt in Rheinland-Pfalz, also in Deutschland, und von und die soziale Spaltung nimmt zu. In nahezu allen EU-
dort geht völkerrechtswidriger Krieg aus. Ländern ist eine Prekarisierung der Arbeit zu beobach-
(Beifall bei der LINKEN) ten. Bei der Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit
und sozialer Ausgrenzung sind Europa und auch
Daher unterstützen wir, Die Linke, den Ramsteiner Ap- Deutschland kaum vorangekommen. Das belegt deutlich
pell, der von vielen Bürgerinitiativen und der Friedens- die neue Unterschichtendiskussion auch in unserem
bewegung getragen wird und der lautet: Angriffskriege Land.
sind verfassungswidrig. Von deutschem Boden darf kein
Krieg ausgehen. Herausragendes Beispiel für den Verrat am sozialen
Europa ist die vom Europäischen Parlament angenom-
Im Irankonflikt muss weiter verhandelt werden. Da- mene Dienstleistungsrichtlinie. Massenproteste der Ge-
bei müssen auch die Sicherheitsinteressen des Iran be- werkschaften und der sozialen Bewegungen wurden
achtet werden. Ganz nebenbei: Eine glaubwürdige Iran- weitgehend ignoriert. Luxemburgs Premier Juncker for-
politik kann nur der vertreten, der auch selber bereit ist, derte am Montag in der Presse, die Europäische Union
für nukleare Abrüstung zu sorgen. Kein Land der Welt müsse eine Sozialunion werden. Dieser Forderung
hat das Recht, über Massenvernichtungswaffen zu verfü- schließen wir uns klar und deutlich an. Die soziale Di-
gen – nicht der Iran, aber auch kein anderes Land der mension Europas muss gestärkt werden.
Welt, Herr Außenminister.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme zum Ende. Die Linke unterstützt noch-
Ich komme zur EU-Erweiterungspolitik. In der Frage mals das Nein in Frankreich und in den Niederlanden.
der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werden Durch diese Ablehnung der europäischen Verfassung be- (D)
(B) klare Aussagen vermieden. Die Gleichbehandlung der
steht die Chance auf ein sozialeres und friedlicheres Eu-
Türkei mit anderen EU-Beitrittsländern als Bestandteil ropa. Wir sollten auch die deutsche Ratspräsidentschaft
der EU-Verhandlungen muss Gegenstand der deutschen nutzen, um für einen alternativen Verfassungsvertrag zu
Bemühungen sein. Deutschland muss sich aktiv um eine werben.
die Interessen aller Verhandlungspartner berücksichti-
gende Lösung der Türkei-Zypern-Frage bemühen. Klar Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
ist: Die Türkei muss Zypern als EU-Land voll akzeptie-
Herr Kollege, Sie haben versprochen, zum Schluss zu
ren. Ultimaten, wie sie von der finnischen Ratspräsident-
kommen.
schaft gestellt werden, bergen aber die Gefahr eines
Scheiterns der bisherigen EU-Perspektive der Türkei.
Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Oder – das ist die Frage – kommt der Bundesregie- Ich komme zum Schluss.
rung, insbesondere der Kanzlerin, die Zypernproblema-
tik gerade recht, um einen Grund zu haben, für ihr Mo- Noch sagt die Mehrheit der europäischen Bevölke-
dell einer privilegierten Partnerschaft zu werben? Wir rung Ja zu Europa. Wir müssen diese Zustimmung nut-
werden wahrscheinlich demnächst die doppelte Bundes- zen und einen Politikwechsel einleiten.
kanzlerin erleben, die morgens auf dem roten Teppich Vielen Dank.
für die EU-Beitrittsverhandlungen und abends bei CDU-
Veranstaltungen für die privilegierte Partnerschaft wer- (Beifall bei der LINKEN)
ben wird. Dieses Verhalten kann sich Deutschland wäh-
rend der Ratspräsidentschaft nicht leisten. Die Kanzlerin Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
muss sich entscheiden; sonst ist die Glaubwürdigkeit Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck,
dieses Landes in dieser Frage mehr als in Gefahr. Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Politik der
Bundesregierung für ein soziales und Frieden stiftendes Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
Europa ist nicht zu erkennen, weder für das erste Halb- GRÜNEN):
jahr 2007 noch für die Zeit danach. Ökonomisch wird Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Europa als Ort der Deregulierung, Privatisierung und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie haben
neoliberalen Entstaatlichung begriffen. Die Menschen eben angemerkt, dass noch nicht über den Kosovo
6574 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Marieluise Beck (Bremen)


(A) gesprochen worden sei. Ihnen kann geholfen werden. Ich an Nordkorea und den Iran – und das wird ohne russi- (C)
werde dem sofort nachkommen. sches Mitwirken nicht möglich sein.
Neben den vielen Projekten, die der deutschen Rats- Ich wünsche mir, von der Regierung einmal genauer
präsidentschaft und der Bundesregierung jetzt auf den zu hören, was strategische Partnerschaft, die auf gemein-
Tisch gelegt werden – mir würde, wenn ich in Ihrer samen Werten beruht, eigentlich heißen soll. In der der-
Rolle wäre, etwas bange, weil diese Projekte eher einen zeitigen Situation traut sich niemand wirklich eine Ein-
Fünfjahreszeitraum zu beanspruchen scheinen –, wird schätzung zu, mit wem wir es in Russland zu tun haben.
eines unabdingbar sein: die Entscheidung über die Sta- Man fragt sich: Wie sind die Machtverhältnisse, wer
tusfrage des Kosovo. Jeder, der sich mit dem Kosovo steht hinter Putin und welche Rolle spielen der FSB und
länger befasst hat, weiß, dass die Kosovo-Albaner nie- die Oligarchen? Ist Putin die treibende Kraft oder wird er
mals wieder unter das Dach des serbischen Staates zu- getrieben? Es gibt sehr viel Unsicherheit. Die Kreml-
rückzukehren bereit sind. Die Herauslösung eines Lan- astrologie erlebt leider eine neue Blüte. Das ist eine
desteils aus einem Staat ist heikel und das sollte niemand schwere Hypothek für gute Beziehungen, die auf Trans-
schönreden. parenz, Demokratie und gegenseitigem Verständnis ba-
sieren.
Natürlich wird auch versucht werden, das Kosovo
zum Präzedenzfall zu machen. Das Kosovo ist aber ein Wir pflegen nicht nur deshalb gute Beziehungen zu
einzigartiger Fall. Das gilt vor allen Dingen, nachdem Russland, weil es ein wichtiger Energielieferant ist, son-
die UNO das Kosovo zum Protektorat erklärt hat und mit dern auch, weil Russland ein wichtiger Teil Europas ist
der Resolution 1244 den Auftrag erteilt hat, in Verhand- und Stabilität in diesem Land in unserem Interesse liegt.
lungen eine substanzielle Autonomie herzustellen. Der Für Stabilität darf aber nicht jeder Preis bezahlt werden.
UNO-Sicherheitsrat wird also für die Letztentscheidung So darf es kein Leisetreten geben.
zuständig sein. Die Europäische Union – das wird das
Sorgen macht mir, dass die Menschenrechtsverletzun-
Entscheidende sein – wird vor allen Dingen die Verant- gen in Tschetschenien, obwohl es scheinbar beruhigt ist,
wortung für die Entwicklung dieses Gebietes in ökono- dramatische Ausmaße angenommen haben, dass wir
mischer, ziviler und staatlicher Hinsicht übernehmen
Angst haben müssen um die Menschenrechtler, die sich
müssen. derzeit in der Zivilgesellschaft engagieren – so hat der
Die Zeit ist reif, Entscheidungen zu fällen und den Tod von Anna Politkowskaja uns alle erschüttert –, und
Schwebezustand zu beenden, damit die Menschen im dass die russisch-tschetschenische Freundschaftsgesell-
Kosovo endlich Perspektiven haben. Übrigens brauchen schaft liquidiert wurde, während wir im Petersburger
auch die Menschen in Serbien Klarheit. Diese Klarheit Dialog saßen. All diese Punkte müssen sehr deutlich ge-
(B) muss mit einer Perspektive verbunden sein: Das ist die genüber dem Partner in Russland angesprochen werden. (D)
Europäische Union. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Noch ein Wort zur Energiepolitik: Beim EU-Russ-
sowie bei Abgeordneten der SPD) land-Gipfel am Freitag muss eine Lösung gefunden wer-
Es ist klar: Die Perspektive für die Länder des westli- den, die den Weg für eine auf Gleichberechtigung – das
chen Balkans nach diesem schmerzhaften Zerfall des möchte ich betonen – beruhende Energiepartnerschaft
großen Staates Jugoslawien muss letztlich ein Wiederzu- ebnet. Gleichberechtigung heißt, dass es um einen zwei-
sammentreffen unter dem Dach der Europäischen Union seitigen Prozess geht, nicht um einen einseitigen. Auch
sein. wenn keine Energiecharta zustande kommt, muss das
Abkommen dennoch im größeren Rahmen des Partner-
Wir müssen bei den schwierigen Verhandlungen über schafts- und Kooperationsabkommens mit Russland ste-
den Status des Kosovo auch darauf bedacht sein, dass es hen. Das ist existenziell wichtig.
gelingt, Serbien so weit wie möglich mitzunehmen und
zu stabilisieren. Serbien sollte nicht gedemütigt werden. Noch ein Gedanke, Frau Präsidentin: Die Regierung
Das ist wichtig; denn Demütigungen sind gefährlich. Es und die Koalitionsfraktionen – ich nenne insbesondere
ist erschreckend, wie wenig weite Teile Serbiens nach Herrn Pofalla und Frau Zapf – haben sich mit uns allen
wie vor bereit sind, sich mit der historischen Last des zusammen hinter Belarus gestellt. Die Erwartungen dort
Milošević-Erbes auseinander zu setzen. Das gilt auch für sind enorm. Wir dürfen in unseren Bemühungen für
die Nichtzusammenarbeit mit dem Haager Tribunal. Belarus nicht nachlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Ein weiteres Projekt ist die Neuformulierung der Poli-
tik nach Osten. Es ist kein Geheimnis, dass wir Grüne die Noch etwas Weiteres möchte ich im Hinblick auf die
Einschätzung, Putin sei ein lupenreiner Demokrat, nicht Europäische Union sagen: Öffnen Sie Deutschland für
geteilt haben und weiterhin nicht teilen. Natürlich ist all die jungen Menschen aus den Transformationslän-
klar, dass wir gute Beziehungen zu Russland brauchen. dern im Osten, damit sie reisen und sehen können, was
Russland und die Europäische Union sind aufeinander Demokratie ist.
angewiesen, und zwar nicht nur wegen Rohstoffen und
Ressourcen, sondern auch aus politischen Gründen. Wir Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
haben schwerwiegende Krisen zu meistern – ich erinnere Frau Kollegin!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6575

(A) Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
GRÜNEN): der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
Das ist eine unverzichtbare und notwendige Investi- GRÜNEN)
tion in unsere Zukunft.
Auch hier zeigen sich deutlich die Ziele der deutschen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Außenpolitik. Gemeinsam mit anderen wollen wir dazu
sowie bei Abgeordneten der SPD) beitragen, Explosionen von Gewalt zu verhindern, Ge-
waltbereitschaft einzudämmen und die zivile Arbeit bei
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: der Bewältigung von Konflikten zu fördern. Deshalb be-
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPD- teiligen wir uns so intensiv und engagiert an den Missio-
Fraktion. nen und Mandaten der Vereinten Nationen; denn sie
schaffen die Möglichkeit, die Konflikte dieser Erde in
(Beifall bei der SPD) multilateralem Handeln so weit es geht zu bändigen.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Das ist das Ziel unserer Außenpolitik. Es geht nicht
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! darum – wie Sie ständig unterstellen –, die Außenpolitik
In einem haben Sie, Frau Kollegin Beck, völlig Recht: zu militarisieren, sondern darum, dafür zu sorgen, dass
Stabilität der Gesellschaften definiert sich nicht über die das Militär mit eingesetzt wird, um zivile und demokra-
militärische Stärke eines Staates nach außen, sondern tische Prozesse zu unterstützen. Das können Sie überall
Stabilität, besonders von sich modernisierenden Gesell- sehen, wo wir, die Bundesrepublik Deutschland, uns im
schaften, erkennt man an der Stärke ihrer Demokratien. Rahmen multilateraler Entscheidungen beteiligen, sei es
Das ist genau der entscheidende Punkt, warum die Au- in Afghanistan, sei es im Nahen Osten. Das bestimmt die
ßenpolitik der Bundesrepublik Deutschland darauf ge- Qualität der deutschen Außenpolitik. Für diese Qualität
richtet ist, dazu beizutragen, dass es überall auf der Erde der deutschen Außenpolitik steht der Außenminister
starke Demokratien und Zivilgesellschaften gibt, die Frank-Walter Steinmeier. Sie haben unsere Unterstüt-
über ihre Freiheit selbst bestimmen. Nur so können näm- zung, die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion.
lich von innen starke Staaten aufgebaut werden, die we-
der von Problemen wie sozialen Konflikten noch von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Feinden der Demokratie umgeworfen werden. Das ist der CDU/CSU)
der Auftrag der Außenpolitik, der insbesondere von der
Ich will auf etwas aufmerksam machen, was uns in
auswärtigen Kulturpolitik wahrgenommen wird.
den nächsten Jahren vermutlich noch sehr viel mehr be-
(B) Vielen Dank, Herr Außenminister, dass Sie dazu bei- schäftigen und sehr viel dramatischere Züge annehmen (D)
getragen haben, dass die auswärtige Kulturpolitik end- wird – das betrifft übrigens alle demokratischen Gesell-
lich eine Trendwende vollzogen hat. schaften und alle Nationalstaaten –: Wir stehen vor ei-
nem Wandel, vor einem Prozess der inneren Verände-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
rung. Überall befinden sich Gesellschaften, die sich
der CDU/CSU)
modernisieren, in einem ungeheuren inneren Beschleu-
Gestern wurde Pierre Gemayel erschossen. Aber wo- nigungsprozess, ob in Frankreich – wenn Sie an das
rauf zielten diese Schüsse? Sie zielten – das ist ganz denken, was vor einem Jahr in den Banlieues geschehen
deutlich – darauf, eine stabile innere Entwicklung des ist – oder auch in manchen Städten Großbritanniens. Sie
Libanon unmöglich zu machen. Pierre Gemayel war ein brauchen auch nur nach Kreuzberg zu schauen. In den
engagierter Parlamentarier. Er steht für den Mut der Ze- USA ist das ebenso ein Thema. Robert Putnam, einer der
dernrevolution. wichtigsten Soziologen der USA, hat gerade eine Studie
veröffentlicht – ich empfehle ihre Lektüre sehr –, in der
Einer der Gründe für die klare und deutliche Mehrheit
er klar beschreibt, wie in Kalifornien – also einem Land
für das UNIFIL-Mandat im Deutschen Bundestag ist,
dass dieses Mandat auf das politische Ziel gerichtet ist, in den USA, von dem man erwartet, dass es Integrations-
die Souveränität des Libanon zu festigen und zu stärken. kräfte mobilisiert, damit es nicht zu inneren Brüchen
Denn nur wenn es ein souveränes Libanon gibt, besteht kommt – das Vertrauen in den Kommunen in solchen
auch eine Chance, dass der Nahostfriedensprozess neu in Regionen, die sehr stark von Einwanderung geprägt
Gang kommt. Die Schüsse, die Pierre Gemayel getötet sind, dramatisch zusammenbricht. Das ist ein Zeichen
haben, zielten darauf, diese Möglichkeit zu zerstören. dafür, dass wir das, worum es zukünftig gehen wird, sehr
Al-Hariri hat gestern sehr deutlich gesagt, er befürchte, ernst nehmen müssen.
dass dabei diejenigen als Drahtzieher ihre Hände mit im Ein anderer kluger – diesmal deutscher – Soziologe,
Spiel hätten, die schon seinen Vater erschossen hätten. Georg Simmel, hat schon zu Beginn des letzten Jahrhun-
Er hat gesagt: Die Freiheit der Politiker in diesem Land
derts gesagt: „Der Fremde ist der, der heute kommt und
soll erschossen werden.
morgen bleibt.“ Wir müssen also von einem homogenen
Ein Zeichen für die mutige Veränderung in diesem Verständnis des Nationalstaats Abschied nehmen und die
Land war die Zedernrevolution. Unser UNIFIL-Mandat Heterogenität nicht nur annehmen, sondern sie als eine
ist ein Zeichen dafür, dass wir mithelfen wollen, die De- Chance der inneren Bereicherung und – wenn es denn
mokratie im Libanon zu stärken, liebe Kolleginnen und sein muss – als Ausgangspunkt eines inneren Konfliktes
Kollegen. akzeptieren.
6576 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Gert Weisskirchen (Wiesloch)


(A) Heute wird in den Niederlanden gewählt. Was mich In der Tat ist es so, dass wir während der deutschen (C)
wundert, ist, dass im niederländischen Wahlkampf der Präsidentschaft nicht nur über die EU-Verfassung spre-
Mord an Theo van Gogh keine Rolle mehr gespielt hat. chen, Herr Bundesaußenminister. Die Verfassung ist
Selbst in diesem Land, das von sich selber sagt, es sei of- wichtig. Wir alle, auch die FDP, wünschen uns, dass wir
fen und in ihm werde hart über die inneren Konflikte mit Blick auf diese Verfassung zum Erfolg kommen.
diskutiert, zeigen sich Verdrängungsprozesse.
Aber ich will auch auf einen anderen Prozess auf-
Wir dürfen die Verdrängungsprozesse bei uns nicht merksam machen, der seine Schatten vorauswirft. Es
akzeptieren, sondern wir müssen ganz bewusst auf die handelt sich um den auf dem Dezember-Gipfel beschlos-
Integrationsdefizite aufmerksam machen. Das ist ein senen Prozess, der mit der Revisionsklausel des EU-
Prozess, der alle – ich wiederhole es: alle – sich moder- Haushalts verbunden ist. Eine entsprechende Prüfung
nisierenden Nationalstaaten überall in der Welt vordring- wird es bereits 2008/2009 geben. Wir wünschen uns,
lich mit Integrationsaufgaben konfrontieren wird. Ich dass unter der deutschen Präsidentschaft ein Fahrplan
glaube, dass das, was augenblicklich in der auswärtigen aufgestellt wird, wie es mit der Verfassung weitergeht.
Kulturpolitik geschieht, sozusagen das Modell dafür ist, Wir werden diesbezüglich 2008 bzw. 2009 zu einem Er-
wie wir mit diesem Problem umgehen müssen.
gebnis kommen. Aber just zu diesem Zeitpunkt greift die
Ich erinnere daran: Das Goethe-Institut – das Ihnen, Revisionsklausel.
Herr Außenminister, anlässlich der Konferenz Ende Ok-
tober in einigen Papieren dargestellt hat, wie wir mit sol- (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Da wird es gefähr-
chen Themen umgehen sollten – hat sehr plastisch lich!)
herausgearbeitet, dass der kulturelle Dialog keine Veran- Juristisch sind die beiden Themen nicht verbunden,
staltung ist, in dem es nur um fruchtbare Begegnungen politisch sehr wohl. Die Gefahr, dass hier Gegenge-
geht. Vielmehr sind mit diesem Dialog Konflikte ver- schäfte stattfinden, die am Schluss nicht zu einem euro-
bunden. Konflikte sind aber das Markenzeichen von sich päischen Mehrwert, sondern wieder zu falschen Kom-
modernisierenden demokratischen Gesellschaften. Kon- promissen führen, ist groß. Deshalb: Passen wir
flikte darf man nicht aus Angst sozusagen wegdrücken. gemeinsam auf! Das ist eine Aufgabe des ganzen Parla-
Man muss sie vielmehr annehmen und unter dem Aspekt
ments.
unterschiedlicher Lebensentwürfe – dazu gehört der Is-
lam – so verarbeiten, dass es zu einem Integrationspro- Eigentlich bräuchten wir mehr parlamentarische Kon-
zess kommt. trolle dessen, was wir an die EU zahlen. Gemessen an
Wir müssen deutlich machen, dass Demokratie und dem, was wir heute an die EU zahlen – das sind deutlich
Freiheit die Moderne repräsentieren. Alle, die sich die- mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr –, gehen wir im
(B) sen Wert der Freiheit zu Eigen machen, haben bei uns ih- Bundestag mit diesem ganzen Bereich äußerst nachläs- (D)
ren Platz. Das deutlich zu machen, ist eine Aufgabe, die sig um.
sich bei der auswärtigen Kulturpolitik sehr plastisch (Beifall bei der FDP)
zeigt.
Die parlamentarische Beratung des EU-Haushalts im
Ich danke den Haushältern, dass sie mitgeholfen ha-
ben, dass sich das Goethe-Institut modernisiert, Budge- Deutschen Bundestag könnte völlig zu einer Farce ver-
tierungen einführt und mit seiner Arbeit dafür sorgt, dass kommen, würden wir nicht endlich einmal zu einer Ver-
dieses Modell der auswärtigen Kulturpolitik auch bei fahrensweise kommen, bei der die Zahlungen an die EU
uns im Land seinen Platz finden kann. so wichtig, so ernst und so konsequent behandelt wür-
den, wie dies bei den Einzelplänen der Fall ist, die wir in
Vielen Dank. Berichterstattergesprächen usw. sehr genau behandeln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Beim Bereich der EU läuft das oft außen vor. Das
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Verhandlungsergebnis des Rates wird oft mehr oder we-
GRÜNEN) niger nur durchgewinkt. Wieso wird es durchgewinkt?
Weil wir es zur endgültigen Ratifizierung erst dann be-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kommen, wenn es, zeitlich gesehen, bereits in Kraft ge-
Nächster Redner ist der Kollege Michael Link, FDP- treten ist. Die jetzige Finanzielle Vorausschau 2007 bis
Fraktion. 2013 werden wir irgendwann im Laufe des nächsten Jah-
res zur Entscheidung bekommen. Dann ist der Zug aber
(Beifall bei der FDP) abgefahren.

Michael Link (Heilbronn) (FDP): Deshalb fordern wir von der FDP – das ist eine Forde-
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist rung an das ganze Parlament; es ist eine Frage unserer
eine gute Tradition, dass wir im Rahmen des parlamentarischen Selbstachtung –: Lassen Sie uns zu
Einzelplans 05 auch auf den EU-Haushalt eingehen. einer Behandlung dieses Bereiches kommen, die den
Herr Frankenhauser hat es bereits getan. Leider war er Verfahren bei den anderen Einzelplänen entspricht! Das
bisher der Einzige. Ich will daher für die FDP-Fraktion ist außerordentlich wichtig. Dies wäre vor allem deshalb
einige Worte hinzufügen. angeraten, weil wir hier über mehr als 20 Milliarden
Euro sprechen.
(Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Das ist
gut!) (Beifall bei der FDP)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6577
Michael Link (Heilbronn)
(A) Dieser Bereich entspricht, vergleicht man ihn mit den (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber über- (C)
Einzelplänen, dem fünfgrößten Einzelplan. 14 Einzel- setzen muss er das noch! – Heiterkeit bei der
pläne sind kleiner und vier größer; das sollte man sich CDU/CSU und der FDP)
einmal deutlich machen.
– Genau.
Trotz allem wird dieses Thema nur im Einzelplan 60 Den nationalen Parlamenten soll also ein Mitsprache-
unter „Allgemeine Finanzverwaltung“ unter „ferner lie- recht gegeben werden. Das sollte auch bei uns im Hause
fen“ abgehakt, und zwar, technisch gesprochen, als ne- so sein. Dies sollte mit Respekt vor dem Geld der Steu-
gative Einnahmen. Technisch ist das zwar richtig. Aber erzahler dringend eingeführt werden.
wollen wir Europa nur technisch behandeln? Ich möchte
sagen: Es ist politisch falsch, die Zahlungen an die EU Danke schön.
nur dort zu behandeln. Wir müssen sie quasi wie einen
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
eigenen Einzelplan behandeln. Es entspricht auch nicht
der CDU/CSU)
der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, wenn wir
diesen Posten mehr oder weniger nur grosso modo
durchwinken. Das Königsrecht des Parlaments, die Kon- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
trolle des Haushalts, wird auf diese Art und Weise weder Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-
auf der Einnahmeseite noch auf der Ausgabenseite nach- Fraktion.
drücklich ausgeübt. (Beifall bei der CDU/CSU)
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!)
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Wie wichtig mehr Kontrolle wäre, machen die Worte
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
des Präsidenten des Europäischen Rechnungshofes deut-
legen! Kollege Link, gestatten Sie mir eingangs nur ein
lich. Er hat letzte Woche vor dem Europäischen Parla-
Wort zu Ihrer Forderung, auch unser Parlament müsse
ment Folgendes gesagt:
sich stärker mit dem EU-Haushalt befassen. Ich denke,
Der Hof kann – insbesondere für die Ausgabenbe- wir als Deutscher Bundestag müssen dem Europäischen
reiche Landwirtschaft …; Strukturmaßnahmen; in- Parlament Vertrauen entgegenbringen; denn das origi-
terne … und externe Politikbereiche – … keinen … näre Recht, den europäischen Haushalt zu kontrollieren,
Bestätigungsvermerk erteilen. liegt natürlich beim Europäischen Parlament. Nicht von
ungefähr haben wir viele deutsche Europaabgeordnete
Er stellt in weiten Bereichen „überhöhte Ausgabenerklä- nach Brüssel geschickt – Ihre Fraktion ist dort relativ
(B) rungen“ – das ist ein freundliches Wort für Trickserei; stark vertreten –, um dort Kontrollfunktionen wahr- (D)
selbst dieses Wort ist noch freundlich – und „doppelte zunehmen. Ich glaube daher, dass wir uns mit unseren
Abrechnung von Kosten“ fest. europäischen Kollegen intensiver austauschen müssen.
Ich frage mich also: Ist das, wofür wir unser Geld in (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Diese Position be-
der EU ausgeben – über 80 Prozent fließen ja in den kommen Sie in Ihrer eigenen Fraktion nicht
Agrarfonds und in die Strukturpolitik –, vielleicht nicht durch!)
zu betrugsanfällig? Abgesehen davon, dass es politisch
Ich möchte eine zweite Anmerkung machen. In den
überhaupt nicht sinnvoll ist, fast die gesamten Mittel nur
Fachausschüssen wird sehr wohl über den EU-Haushalt
in jene Bereiche zu stecken, die keinen europäischen
gesprochen. Ich kann das auf jeden Fall für den Land-
Mehrwert bringen.
wirtschaftsausschuss bestätigen, für den es geradezu es-
Es gibt also genügend Stoff für die Revisionsklausel senziell ist, wie mit den europäischen Geldern umgegan-
2008/2009. Die deutsche Bundesregierung hat vor dem gen wird. Ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Weg
Hintergrund ihrer Ratspräsidentschaft jetzt die Chance, sind.
erste Weichen zu stellen. Denn selbstverständlich begin- Mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft
nen die Verhandlungen und die Vorgespräche zu diesem stehen uns in der Tat sehr wichtige Monate bevor. Es ist
Thema bereits jetzt. ein besonderes Ereignis, weil es uns die Möglichkeit
Wir würden uns wünschen, dass die deutsche Bundes- eröffnet, in Europa Themen anzusprechen und voranzu-
regierung so mutig wäre wie der britische Staatssekretär bringen, die uns ganz besonders wichtig sind. Der Kol-
im Finanzministerium, der vorgestern eine Rede in Lon- lege Hoyer hatte Recht, als er in seinem ersten Redebei-
don folgendermaßen überschrieben hat: „Giving national trag sagte, dass die Regierung durchaus ambitioniert an
parliaments scrutiny over EU funds“. die nächsten Monate herangehen und sich hohe Ziele
stecken soll.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Für uns steht dabei der Verfassungsprozess an aller-
Herr Kollege, würden Sie bitte einmal auf die Uhr vor erster Stelle. Das besondere Merkmal der Europäischen
sich schauen? Union ist, dass sie eine politische Union ist. Im Gegen-
satz zu anderen Formen von Zusammenschlüssen in
Freihandelszonen oder sonstigen Wirtschaftsvereinigun-
Michael Link (Heilbronn) (FDP): gen soll die Europäische Union mehr sein, sie soll ihren
Jawohl. politischen Charakter wahren. Wenn sich die EU weiter
6578 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Ursula Heinen
(A) vergrößert, weil sie neue Mitglieder aufnimmt, darf ihr gangs bereits erwähnt – zu einer bloßen Freihandelszone (C)
Charakter als politische Union nicht verloren gehen. degradiert zu werden.
Dazu brauchen wir den europäischen Verfassungsver-
trag. Deshalb muss es für eine Reihe von Drittstaaten, die
eine Grenze zur EU haben, eine Nachbarschaftspolitik
Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, die – anstelle eines EU-Beitritts – geben, die auf gemein-
Bundesregierung muss wirklich den Verfassungsprozess samen Werten und einer gemeinsamen Teilhabe an Si-
wieder in Gang bringen. Der Europäische Rat hat im cherheit und Wohlstand beruht. Es geht also durchaus
vergangenen Juni einen Zeitplan vorgeschlagen, der im um privilegierte Partnerschaften.
ersten Halbjahr des nächsten Jahres präzisiert und kon-
kretisiert werden soll. Am 25. März 2007, dem 50. Jah- Wir führen jetzt ergebnisoffene – ich betone das Wort
restag der Römischen Verträge, soll es eine Berliner Er- „ergebnisoffen“ – Beitrittsverhandlungen mit der
klärung der Staats- und Regierungschefs der EU geben, Türkei. Sie zeigen uns, wie schwierig dieser Prozess ist.
die vor allen Dingen die Werte, die Aufgaben und Eines muss klar sein: Ein EU-Beitritt ist an klare Krite-
Grundlagen der Europäischen Union darstellen soll. Je- rien geknüpft. Der Fortschrittsbericht der vergangenen
der ist aufgefordert und aufgerufen, sich tatsächlich an Woche hat zutage gebracht, was viele befürchteten, näm-
dieser Diskussion zu beteiligen. lich dass der Reformprozess in der Türkei ins Stocken
geraten ist. So hält sich die Türkei bei der Umsetzung
Es werden immer wieder Rufe laut, insbesondere aus des Ankaraprotokolls nicht an die Standards. Es ist rich-
den ganz linken Reihen, dass der Verfassungsvertrag so tig, dass die Europäische Union der Türkei ein Ultima-
nicht umgesetzt werden muss. Ich möchte daher daran tum gesetzt hat, die bestehende Zollunion auf alle neuen
erinnern, dass in 15 Ländern die Parlamente den Verfas- Mitgliedstaaten, also eben auch auf Zypern auszudeh-
sungsvertrag bislang ratifiziert haben. nen. Bis Anfang Dezember müssen zypriotische Schiffe
und Flugzeuge türkische Häfen und Flughäfen ungehin-
(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Und in dert anlaufen bzw. anfliegen können.
Volksabstimmungen!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
– In Irland gab es beispielsweise eine Volksabstimmung. –
Viele Menschen haben dem Verfassungsvertrag zuge- Seit 1987 blockiert die Türkei alle Schiffe unter zy-
stimmt. Diese Tatsache müssen wir in den nächsten Mo- priotischer Flagge. Das hat mittlerweile durchaus erheb-
naten berücksichtigen. liche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung
in Zypern. So war die zypriotische Handelsflotte einmal
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
die viertgrößte Handelsflotte der Welt. Mittlerweile ist
bei Abgeordneten der FDP und des BÜND-
(B) sie – nicht nur, aber auch durch den schwierigen Prozess (D)
NISSES 90/DIE GRÜNEN)
mit der Türkei – auf den zehnten Platz gerutscht. Ich
finde, wir dürfen in der heutigen Zeit in Europa nicht
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mehr zulassen, dass es solche Entwicklungen gibt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ulrich? Lassen Sie mich noch kurz auf einen weiteren Aspekt
der Frage des Beitritts der Türkei zur Europäischen
Union eingehen, der in der öffentlichen Diskussion oft
Ursula Heinen (CDU/CSU): ein wenig zurückgespielt wird bzw. unter dem allgemei-
Nein. nen Titel „Menschenrechte“ zur Sprache kommt, näm-
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Er hat es lich die Situation der Frauen und der Frauenrechte in
nicht verdient!) der Türkei. In den letzten Jahren hat die Türkei zahlrei-
che Gesetze zur Stärkung der Rechte von Frauen verab-
Lassen Sie mich zu einem weiteren zentralen Thema schiedet. Eine besonders wertvolle Arbeit hat der Aus-
kommen, zur Erweiterung der Europäischen Union. schuss über Ehrenmorde geleistet. Er hat auch viel
Der Bundestag hat mit großer Mehrheit dem Beitritt Erfolg gehabt, nämlich in der Änderung des Strafgesetz-
Rumäniens und Bulgariens in die EU zugestimmt, buches, wo Ehrenmorde endlich als Morde in besonders
auch wenn es noch Defizite im Transformationsprozess schwerem Fall gelten. Das ist ein Riesenfortschritt für
gibt, etwa in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und die Türkei, der sich allerdings noch nicht bis in die tat-
Hygienestandards, ordnungsgemäße Kontrolle der EU- sächliche Justiz herumgesprochen hat; im Fortschrittsbe-
Fördermittel, Herr Link, sowie Innen- und Justizpolitik. richt wurde nämlich gezeigt, dass Ehrenmorde immer
Diese Defizite müssen selbstverständlich weiter über- noch nicht als schwere Delikte geahndet werden. Auch
prüft und behoben werden. dies sollte geändert werden.
Die Europäische Union wird ab dem kommenden Ein weiteres Thema, das uns auch hier in Deutschland
Jahr 27 Mitglieder zählen. Es sind beinahe – wir haben betrifft, ist die Zwangsverheiratung. So wird das au-
uns die Zahl gerade noch einmal zugerufen – eine halbe ßen- und europapolitische Thema Türkei natürlich auch
Milliarde Menschen in der Europäischen Union. Ab ei- ein innerdeutsches, ein innenpolitisches Thema. In der
nem gewissen Punkt müssen wir in der Tat verantwort- Türkei werden 58 Prozent der Ehen nicht freiwillig ge-
lich darüber nachdenken, wie groß die Europäische schlossen, um es so zu formulieren. Es sind nicht immer
Union eigentlich werden kann, ohne ihren Charakter als Zwangsverheiratungen, aber es sind Ehen, die unter
politische Union zu verlieren und – das hatte ich ein- Druck zustande kommen. Die Zahlen hierzu sind offi-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6579
Ursula Heinen
(A) zielle Zahlen. Die offizielle Seite in der Türkei verneint um in neue Institute in Osteuropa, in Zentralasien oder in (C)
aber bisher, dass es solche Zwangsverheiratungen gibt. anderen Ländern, wo die Goethe-Institute zurzeit wenig
Ich denke, dass wir uns damit auch hier, auch in der präsent sind, investieren zu können, damit die Anbin-
Europapolitik, wenn es um die Frage des Beitritts geht, dung besser wird. Diese Leistung will ich an dieser
intensiver auseinander setzen müssen. Stelle würdigen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es gab eine Debatte darüber, dass man Institute in Eu-
neten der SPD und der LINKEN) ropa schließen könnte; sie seien nicht mehr so wichtig,
weil wir in Europa ohnehin schon miteinander verbun-
Ich freue mich, dass die Europapolitik der Bundesre-
den seien. Wir sehen, wie notwendig es ist, dass es die
gierung auf einem wirklich guten Weg ist, und hoffe,
europäischen Kontakte noch gibt. Deswegen bin ich froh
dass die Beitrittsverhandlungen und die Gespräche mit
darüber, dass in dem Konzept vorgesehen ist, dass die
unseren europäischen Nachbarn weiter zu guten Ergeb-
europäischen Institute bestehen bleiben, sie vielleicht in
nissen führen.
eine andere Präsenzform gegossen werden, wir in
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Europa aber auf jeden Fall weiterhin zusammenarbeiten.
Ich glaube, auch das ist ein wichtiges Zeichen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: der CDU/CSU und der FDP)
Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn, SPD- Wir haben heute einen Antrag, der dieses Konzept be-
Fraktion. gleitet, eingebracht, über den wir in den nächsten Wo-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) chen diskutieren werden. Ich hoffe auf eine rege Debatte
über diesen Antrag. Ich hoffe, dass wir ihn anschließend
auch hier im Plenum diskutieren können.
Monika Griefahn (SPD):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Herzlichen Dank.
legen! Ich möchte an dieser Stelle als erstes unserem Au- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
ßenminister danken. Seit er im Amt ist, hat er klar ge-
macht, dass Kulturpolitik innerhalb der auswärtigen
Politik nicht nur irgendein Aspekt ist, sondern ein zen- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
trales Standbein. Ich finde, er hat das hier heute aus- Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn, CDU/
drücklich demonstriert. Herzlichen Dank dafür! CSU-Fraktion.
(B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) (D)
der CDU/CSU)
Thomas Silberhorn (CDU/CSU):
Seine Initiative ist besonders für die zahlreichen Mitt-
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
lerorganisationen ein wichtiges Zeichen; denn wir haben
Herren! Wie die außenpolitische Debatte heute gezeigt
in Deutschland immer noch das Problem, dass unser kul-
hat, wird das Jahr 2007 ein spannendes Jahr für die deut-
turelles Engagement im Ausland und seine Bedeutung
sche Außenpolitik. Die Ratspräsidentschaft in der Euro-
für Deutschland hier im Land zu wenig wahrgenommen
päischen Union und die G-8-Präsidentschaft werden uns
wird. Es wird zu wenig gesehen als etwas, das uns direkt
die Chance geben, in der internationalen Gemeinschaft
nützt, nämlich in der Anbindung der Länder und der
nach unseren Maßstäben einer interessenorientierten und
Menschen untereinander, derjenigen, die unsere Institu-
wertegebundenen Außenpolitik eigene Akzente zu set-
tionen besuchen – seien es die Schulen, sei es über den
zen. Lassen Sie mich einige Aspekte dazu ausführen.
Wissenschaftsaustausch, sei es das Goethe-Institut. Un-
ser kulturelles Engagement hat etwas damit zu tun, was Die Risiken für unsere Sicherheit sind nicht gerin-
für eine Beziehung diese Menschen später zu Deutsch- ger geworden. Die Situation im Nahen Osten, die Lage
land haben; sie können selber Botschafter für Deutsch- in Afghanistan oder geplante Terroranschläge in
land werden, können mit uns Geschäfte machen und Deutschland zeigen das. Für mich ist wichtig, festzustel-
können, wenn sie in politische Verantwortung kommen, len, dass die NATO als unser wichtigstes militärisches
einen regen Kontakt mit uns haben und unsere demokra- Bündnis der Anker für unsere Sicherheit ist und bleibt.
tischen Ideen mit vertreten. Ich glaube, das müssen wir Allerdings sehen wir auch, dass wir unsere Sicherheit in
deutlich machen. Sie, Herr Minister, haben das sehr der Europäischen Union immer weniger von der NATO
deutlich gemacht, und auch dafür danke ich Ihnen. borgen können, sondern immer mehr gehalten sind,
selbst Aufgaben der Friedenssicherung wahrzunehmen.
Was mit dem zusätzlichen Geld für die Goethe-Insti-
tute geschieht, war in der heutigen Debatte ein Thema. Die Europäische Union hat in den vergangenen Jah-
Herr Leibrecht, ich möchte darauf aufmerksam machen, ren gelernt, in der Außen- und Sicherheitspolitik neue
dass in einem sehr mühevollen Prozess ein neues Kon- Verantwortung zu tragen. Wir sichern den Frieden in
zept erarbeitet worden ist. Auch vom Goethe-Institut sel- Bosnien und Herzegowina, im Kosovo und in Mazedo-
ber werden große Umstrukturierungen vorgesehen. Das nien. Dabei setzen wir auf eine enge Kooperation zwi-
möchte ich hier ausdrücklich anerkennen. Ich finde es schen NATO und Europäischer Union. Beim NATO-
gut, dass man in der Zentrale sparen will, dass man dort Gipfel Ende November werden wir mit unseren Partnern
Personal freisetzen will – das ist Teil des Konzeptes –, über die Rollenverteilung zwischen NATO und EU
6580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Thomas Silberhorn
(A) sowie über die Ausrichtung und Ausdehnung der NATO Ich möchte hier nochmals mein Petitum anbringen, (C)
diskutieren können. dass wir politische Leitlinien für die Auslandseinsätze
der Bundeswehr entwickeln müssen, die Antworten ge-
Wir müssen uns aber auch innerhalb der Europäi- ben auf die Frage, was wir politisch wollen, auf die
schen Union noch enger abstimmen. Dazu gibt es nach Frage, was militärisch erreichbar ist, und auf die Frage,
meiner Auffassung keine Alternative. Wir müssen uns was mit unseren Ressourcen leistbar ist. Dazu gehört
darauf verlassen können, dass Europa mit einer Stimme zum Beispiel, dass wir militärische Einsätze in ein politi-
spricht und gemeinsam handelt, wenn es ernst wird. Des- sches Gesamtkonzept einbetten, das auch diplomatische
wegen braucht die Europäische Union eine starke Bemühungen, humanitäre Maßnahmen, polizeiliche Un-
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. terstützung und entwicklungspolitische Projekte beinhal-
tet. Wir müssen Ziel, Umfang und Dauer eines Einsatzes
In Afghanistan leisten unsere Soldaten und Diploma- einschließlich einer Exit-Strategie definieren. Wir müs-
ten eine herausragende Arbeit. Ich glaube, wir müssen sen auch die Kapazitäten an Personal, Material und Fi-
immer wieder deutlich machen, weshalb wir diesen Ein- nanzen konkretisieren.
satz in Afghanistan erbringen: Wir sind nicht aus purer
Nächstenliebe dort. Wir engagieren uns in Afghanistan, Mir geht es dabei darum, dass wir keine Sicherheits-
weil dort Terroristen ausgebildet worden sind, die uns politik betreiben, die nur auf internationale Entwicklun-
noch heute bedrohen. Deswegen haben wir ein eigenes gen reagiert, sondern dass wir uns im Vorfeld konzeptio-
Interesse daran, dass dieses Land nicht erneut zum Aus- nell überlegen, wie wir Sicherheitspolitik gestalten
bildungscamp für Terroristen wird. Deswegen engagie- wollen. Deswegen ist meine Forderung nach Leitlinien
ren wir uns in Kabul und in den Provinzen beim Wieder- für Auslandseinsätze der Bundeswehr Bestandteil einer
aufbau und bei der Stabilisierung dieses Landes. Wir präventiven Sicherheitsstrategie. Ich glaube, das müs-
bemühen uns um Sicherheit für uns und für das afghani- sen wir auf der Grundlage des Weißbuches in den nächs-
sche Volk. ten Monaten leisten, und zwar mit dem Ziel, selbst
glaubwürdiger und berechenbarer – sowohl für unsere
Wenn nun gefordert wird, dass die militärischen Partner als auch für die Bevölkerung in Deutschland – zu
Kräfte in Afghanistan insbesondere im Süden verstärkt werden.
werden sollen, scheint mir der Akzent der öffentlichen
Debatte nicht ganz exakt gesetzt zu sein. Ich habe den Lassen Sie mich hinsichtlich der Europäischen Union
Eindruck, dass wir die Probleme im Süden Afghanistans das Thema Türkei ansprechen. Wir stehen vor der Situa-
nicht mit zusätzlichen Soldaten lösen können. Soldaten tion, dass die Türkei ihre klare Verpflichtung, das Anka-
können nur ein Zeitfenster öffnen, das wir für eine politi- raprotokoll zu ratifizieren und damit die gemeinsame
(B) sche Lösung nutzen müssen. Wir sollten deshalb alles Zollunion auf Zypern auszudehnen, bis heute nicht er- (D)
daran setzen, eine solche politische Lösung zu finden. füllt. Wir in der CSU waren der Meinung – und wir sind
bis heute dieser Meinung –, dass es verfrüht war, Bei-
Wir müssen, um Afghanistan zu stabilisieren, dafür trittsverhandlungen mit der Türkei zu beginnen. Wir
sorgen, dass die Menschen wieder Hoffnung schöpfen haben uns jedoch im Koalitionsvertrag darauf verstän-
können. Das wird nur der Fall sein, wenn sie die interna- digt, dass diese Verhandlungen ergebnisoffen geführt
tionale Präsenz als Unterstützung für sich selbst verste- werden können.
hen und erfahren können, und wenn beispielsweise bei
der Errichtung von Schulen und Krankenhäusern sicht- Nun ist die Frage, wie man damit umgeht, dass die
bar wird, dass es Fortschritte gibt und dass es Alternati- Grundlage dieser Verhandlungen nach wie vor nicht er-
ven zum Drogenanbau gibt. Die Wiederaufbauhilfe, die füllt wird. Denn die Ratifizierung des Ankaraprotokolls
wir leisten, wird nur dann bei den Menschen ankommen war eine Vorbedingung dafür, dass die Aufnahme von
und nur dann eine gute Investition in die Zukunft des Beitrittsverhandlungen beschlossen wurde. Deswegen
Landes darstellen, wenn wir für Sicherheit in diesem plädiere ich dafür, dass wir Konsequenzen ziehen, wenn
Land sorgen können. Ich denke, dass unser deutscher das Ankaraprotokoll nicht unterzeichnet wird und die
Beitrag gerade im Hinblick auf die afghanische Polizei Türkei sich weiterhin weigert, ihre Häfen und Flughäfen
und Armee deshalb von ganz besonderer Bedeutung ist. für zypriotische Schiffe und Flugzeuge zu öffnen.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
Es muss endlich jemand den Mut haben, der Türkei
Die Kongomission steht vor der Beendigung. Wir die Wahrheit zu sagen. Dazu gehört, dass wir einen an-
können von hier aus den Präsidentschaftskandidaten dauernden Vertragsbruch nicht hinnehmen, so nicht wei-
Bemba nur aufrufen, die Ergebnisse der Wahl, die von termachen und nicht zur Tagesordnung übergehen kön-
einer unabhängigen Kommission festgestellt worden nen. Wir müssen darauf drängen, dass die Bedingungen
sind, zu akzeptieren. Es ist nicht überzeugend, eine für die Aufnahme von Verhandlungen, auf die wir uns
Überprüfung dieses Ergebnisses bei Gericht zu beantra- im Vorhinein verständigt haben, erfüllt werden. Dazu ge-
gen und dann zuzusehen, wie eigene Leute exakt dieses hört, jetzt Konsequenzen zu ziehen und – so lautet unser
Gericht angreifen und damit die selbst beantragte Über- Vorschlag – im Rahmen dieses Verfahrens keine neuen
prüfung unmöglich machen. Wir müssen darauf drän- Verhandlungskapitel zu öffnen.
gen, dass dieses Wahlergebnis akzeptiert wird. Alles
Weitere wird die Mission der Vereinten Nationen im (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/
Kongo übernehmen können. CSU: Ein guter Mann, der Silberhorn!)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6581
Thomas Silberhorn
(A) Ich will allerdings auch darauf hinweisen, dass die der Bundeswehr, wie Bundespräsident Köhler es formu- (C)
Türkei für uns ein wichtiger Nachbar und ein strategi- liert hat, schwindet, bleibt dahingestellt.
scher Partner bleibt und dass wir der Bedeutung dieser
Nachbarschaft durch die Entwicklung eines maßge- Die Bundeswehr wird zunehmend als ein außen- und
schneiderten Konzepts der Zusammenarbeit zwischen innenpolitisches Allheilmittel zur Bewältigung von
der Türkei und der Europäischen Union Rechnung tra- sicherheitspolitischen Bedrohungen in Anspruch ge-
gen müssen. nommen. Man kann dem früheren Außenminister Gen-
scher nur zustimmen, der darauf hingewiesen hat: „Mili-
Ich bin dafür, einen praktischen und realistischen An- täreinsatz darf nicht zum beliebigen Mittel der ersten
satz zu wählen, um aus der Sackgasse eines alles oder Wahl werden.“
nichts herauszukommen. Stattdessen sollten wir auch
Formen der Kooperation unterhalb der Vollmitglied- (Beifall bei der FDP)
schaft in der Europäischen Union entwickeln. Der rasante Zuwachs der Bedeutung der Bundeswehr
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. geht schon seit Jahren nicht mehr mit einer adäquaten
materiellen, finanziellen und personellen Ausstattung
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einher. Das hat im Hinblick auf die zukünftige Ausrüs-
neten der SPD) tung der Bundeswehr fatale Konsequenzen. Denn diese
Lücken können nur durch eine weitere Runde Streichen,
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Strecken, Kürzen und Verschieben geschlossen werden;
Ich schließe die Aussprache. was dann allerdings noch von den Grundsätzen der
Haushaltswahrheit und -klarheit übrig bleibt, kann man
Wir kommen nun zur Abstimmung über den getrost vergessen. Anders wird es Ihnen aber nicht gelin-
Einzelplan 05 – Auswärtiges Amt – in der Ausschussfas- gen, die zusätzlichen Auslandseinsätze, die Sie selbst be-
sung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent- schlossen haben, zu finanzieren.
haltungen? – Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der
Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom- Die Fachpolitiker der großen Koalition werden auch
men. heute beteuern, wie wichtig es ist, dass unsere Soldatin-
nen und Soldaten mit dem besten Gerät ausgestattet in
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf: den Einsatz gehen. Das sind viele leere Worte. Die FDP-
Bundestagsfraktion hat im Verteidigungsausschuss bean-
Einzelplan 14 tragt, unverzüglich den Bedarf für eine Grundbefähi-
Bundesministerium der Verteidigung gung mit geschützten Fahrzeugen zu beschaffen, ein ef-
(B) – Drucksachen 16/3113, 16/3123 – fektives und am Markt verfügbares Schutzsystem gegen (D)
Sprengfallen anzuschaffen und so schnell wie möglich
Berichterstattung: den Feldlagerschutz umfassend zu verbessern. All dies
Abgeordnete Johannes Kahrs haben Sie nolens volens abgelehnt.
Susanne Jaffke
Bartholomäus Kalb Nur einen Tag, nachdem Sie unsere Anträge abge-
Jürgen Koppelin lehnt hatten, verkündete ein Kollege – ich zitiere ihn
Dr. Gesine Lötzsch wörtlich, auch wenn mich dies meine Redezeit kostet –
Alexander Bonde hier im Plenum:
Zum Einzelplan 14 liegt je ein Änderungsantrag der Die Bundeswehr hat den Anspruch, dass wir bei
Fraktion der FDP sowie der Fraktion Die Linke vor. Au- Ausrüstung und Ausbildung alles tun, damit sie im-
ßerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der mer das Notwendige, also das, was auf dem Markt
FDP vor, über den wir am Freitag nach der Schlussab- verfügbar ist, bekommt. Wenn wir das der Bundes-
stimmung abstimmen werden. wehr nicht geben und uns hinter mangelndem Geld
verstecken, wenn wir die Leute in einen Einsatz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schicken, bei dem sie zu Schaden oder sogar zu
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre Tode kommen können, nur weil wir die notwendige
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ausrüstung nicht zur Verfügung gestellt haben,
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- dann handeln dieses Parlament, der Verteidigungs-
gin Elke Hoff, FDP-Fraktion. ausschuss und der Haushaltsausschuss, dann han-
deln also wir insgesamt unmoralisch.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Elke Hoff (FDP): „Unmoralisch“ ist ein starkes Wort, und es kommt aus
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Ihren eigenen Reihen.
Verehrte Kollegen! Ich kann mich nicht daran erinnern, Statt dem Rechnung zu tragen und endlich eine sach-
dass die Bundeswehr in ihrer 50-jährigen Geschichte gerechte Priorisierung der Beschaffungsvorhaben
schon einmal derart in der Öffentlichkeit gestanden hat, vorzunehmen, kleben Sie bei den Beschaffungsvorhaben
wie es in den letzten Monaten der Fall war. Ob dadurch weiterhin an den Strukturen des Kalten Krieges.
jedoch in unserer Gesellschaft oder aufseiten der Bun-
desregierung das „freundliche Desinteresse“ gegenüber (Beifall bei der FDP)
6582 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Elke Hoff
(A) Es werden zwar wünschenswerte Investitionsprogramme (Beifall bei der FDP) (C)
über zusätzliche 2 Milliarden Euro in der Presse lanciert,
An dieser Stelle möchte ich mir eine kurze persönli-
aber letztendlich nicht durchgesetzt. Wiederholt und
che Bemerkung zu Afghanistan erlauben. Wenn der
überwiegend kam es in Afghanistan zu Personenschäden Maßstab für die zivilisatorische Entwicklung dieses seit
durch Sprengfallen. Fast alle hätten verhindert werden Jahrzehnten geschundenen Landes auf ein „die NATO
können, wenn das technische Abwehrmaterial beschafft darf nicht scheitern“ reduziert wird, wenn es nur noch
worden wäre, das notwendig und auf dem Markt verfüg- darum geht, einen Waffengang erfolgreich – was immer
bar ist. Sie verweigern sich der Realität im Einsatz und man darunter verstehen mag – zu beenden, wenn der
tragen in diesem Verteidigungshaushalt unter anderem Eindruck entsteht, dass sich Bündnissolidarität nach der
mit, dass die notwendige Beschaffung von 149 Dingo 2 Anzahl der Opfer bemisst, dann haben wir alle etwas
bis 2011 gestreckt wird – statt, wie technisch möglich, falsch gemacht. Solange es den westlichen Verbündeten
sie bis 2008 zu beschaffen. Dies sind drei verlorene nicht gelingt, den Menschen vor Ort eine bessere Le-
Jahre, die über die Sicherheit unserer Soldatinnen und bensperspektive zu bieten, als es die Taliban tun, und ge-
Soldaten entscheiden. meinsam mit Afghanistan und Pakistan ein tragfähiges
(Beifall bei der FDP) Konzept zur Rückführung der Tausenden Kriegsflücht-
linge und ihrer Familien von jenseits der Grenzen zu er-
Die FDP hat mit ihrem Antrag, die Stückzahlen des arbeiten, die wegen des völligen Fehlens einer Lebens-
Eurofighter und des A400M zu reduzieren und die Betei- perspektive ein unerschöpfliches Rekrutierungsreservoir
ligung an der Entwicklung des Raketenabwehrsystems für die Taliban bilden, wird das sinnlose Sterben auf bei-
MEADS zu beenden, den Versuch gemacht, eine einsatz- den Seiten weitergehen. Wenn die NATO wirklich eine
orientierte Priorisierung auf den Weg zu bringen. Nur politische Gemeinschaft sein will, muss sie endlich hier
durch eine solche Schwerpunktverlagerung sind über- ansetzen und beweisen, dass sie lernfähig ist – anstatt
haupt Spielräume im Verteidigungsetat zu erzielen. dass sich die Partner gegenseitig in Misskredit bringen.
Wenn Sie die Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Ich bin jedenfalls stolz auf die Leistungen unserer Solda-
Finanzausstattung zu verbessern, in Angriff nehmen tinnen und Soldaten im Einsatz. Vielleicht gibt es ja auch
– hoffentlich bald –, werden Sie schon einen ordentli- handfeste Gründe dafür, dass der Norden Afghanistans
chen Schluck aus der Pulle nehmen müssen. Denn allein stabiler ist als andere Regionen, und vielleicht können ja
die ursprünglich im Einzelplan 33 angesiedelten Versor- auch andere davon lernen.
gungsausgaben schlagen jährlich mit 100 Millionen Die Bundeswehrangehörigen und ihre Familien be-
Euro zu Buche, Tendenz steigend. Die Belastung durch dürfen in den nächsten Jahren unserer besonderen Auf-
die völlig unsinnige Mehrwertsteuererhöhung, die Be- merksamkeit. Das Mindeste, was wir als Parlament dazu
lastung durch die Auslandseinsätze sowie Preisfort- beitragen können, ist die Schaffung größtmöglicher Si- (D)
(B)
schreibungen bei zulaufenden Beschaffungsvorhaben cherheit und bester Ausbildung – an der Wirklichkeit
werden ihr Übriges tun. orientiert, nicht an der Vergangenheit. Mit dem vorlie-
genden Haushalt tragen Sie diesem Anspruch jedenfalls
Herr Minister, das Fazit Ihres ersten Amtsjahres ist, nicht Rechnung.
freundlich ausgedrückt, durchwachsen. Vom „Minister
im Praktikum“ war die Rede, vom „Minister unter Danke für die Aufmerksamkeit.
Dauerfeuer“, von „Minister Tapsig“, vom „Mann ohne (Beifall bei der FDP)
Marschrichtung“. Schade eigentlich; denn Sie sind wirk-
lich ein netter Mensch.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Nächste Rednerin ist die Kollegin Susanne Jaffke,
FDP und der LINKEN) CDU/CSU-Fraktion.
Leider ist es bis heute noch nicht klar, welche Krite- (Beifall bei der CDU/CSU)
rien in den nächsten Jahren für bestehende und zukünf-
tige Auslandseinsätze der Bundeswehr gelten sollen. Susanne Jaffke (CDU/CSU):
Das eine Mal mahnen Sie zur Zurückhaltung – die Gren- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
zen seien erreicht – und bringen in diesem Zusammen- Bevor ich auf das nackte Zahlenwerk des Haus-
hang unabgestimmt eine Rückführung der Soldaten aus halts 2007 des Bundesministeriums der Verteidigung zu
Bosnien ins Gespräch. Dann wieder bringen Sie die sprechen komme, möchte ich den circa 8 000 Soldatin-
Bundeswehr ins Spiel, ohne dass deutsche Interessen er- nen und Soldaten danken, welche im Rahmen von inter-
kennbar betroffen wären. Mit in der Ressortabstimmung nationalen Einsätzen ihren Dienst unter zunehmend
weichgespülten Formulierungen bleibt das Weißbuch schwierigen und gefährlichen Bedingungen leisten.
hinter den vorsichtigen Definitionen Ihres Vorgängers Auch wenn es kaum wahrgenommen wird: Die Bundes-
zurück. wehr leistet durch ihre Auslandseinsätze einen beträcht-
lichen Beitrag für die innere Sicherheit Deutschlands.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Ihr abwehrender Hinweis, es könne keine Checkliste für neten der SPD und des Abg. Jürgen Koppelin
Auslandseinsätze geben, zeugt nach meiner Auffassung [FDP])
von einer erheblichen politischen Oberflächlichkeit in
einem der wichtigsten Bereiche, die staatliches Handeln Ihnen gebührt parteiübergreifend Respekt und Hochach-
zu erfüllen hat. tung für die Erfüllung ihres Auftrages.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6583
Susanne Jaffke
(A) In diesem Zusammenhang möchte ich eine Anmer- Nun einige Bemerkungen zu den Personalausgaben. (C)
kung zur Diskussion der vergangenen Tage über einen Das BMVg hat seit der Wiedervereinigung mehr Perso-
eventuellen Einsatz der Bundeswehr im Süden von nal abgebaut als alle anderen Ressorts zusammen. Dieser
Afghanistan machen. Obwohl durch das Mandat, wel- Weg wird von Verteidigungsminister Jung konsequent
ches wir hier mehrheitlich beschlossen haben, die Mög- weitergegangen. Parallel zum sozialverträglichen Perso-
lichkeit eines zeitlich begrenzten Antiterroreinsatzes nalabbau sind im Haushalt 2007 aber auch circa 3 000
auch deutscher Spezialkräfte außerhalb unseres zuge- Beförderungsmöglichkeiten im Rahmen des beschlosse-
wiesenen Gebietes zugelassen wird, hat es bisher ein of- nen Attraktivitätsprogramms ausgewiesen. Darüber hi-
fizielles Ersuchen der NATO dafür nicht gegeben. Ich nausgehende Stellenhebungen sind durch die Koalition
danke an dieser Stelle ganz besonders der Bundeskanzle- diesmal nicht vorgesehen. Das ist vielleicht unattraktiv,
rin dafür, dass sie heute Morgen klar und eindeutig Stel- weil es eine gut eingeführte Sitte war, im parlamentari-
lung dafür bezogen hat, auch auf dem bevorstehenden schen Verfahren Stellenhebungen mit zu beschließen.
NATO-Gipfel in Riga die restriktiven Einsatzregeln Aber meiner Meinung nach geht es darum, dass das bis-
– die Rules of Engagement – für die deutschen Truppen herige Attraktivitätsprogramm an die neue Zielstruktur
weiterhin zu begründen und ganz besonders für das er- angepasst werden muss. Dabei muss vor allen Dingen
folgreiche Einsatzkonzept der zivil-militärischen Zu- die Laufbahnverordnung überarbeitet und angepasst
sammenarbeit Deutschlands im Norden Afghanistans zu werden. Ich denke, das ist eine dankbare Aufgabe für die
werben. Wir sollten es also vermeiden, unsere Bundes- Kollegen im Fachausschuss.
wehrsoldaten zu verunsichern.
Ich glaube, in einer Gesamtkonzeption wird es zu ei-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ner gerechteren Würdigung der Leistungen unserer Sol-
daten und der zivilen Beschäftigten kommen. Was die
Es zeigt sich, dass der Einsatz der Bundeswehr bei der zivilen Beschäftigten der Bundeswehr betrifft, so hatte
Zivilbevölkerung auf Anerkennung stößt. Die Wieder- die Regierungskoalition zwar die Zusage des Hauses, bis
aufbau- und Stabilisierungsarbeit der Bundeswehr wird Ende 2006 das Konzept der Zielstruktur vorgelegt zu be-
nicht nur vor Ort, sondern auch von den anderen Trup- kommen, aber zu meinem Bedauern konnte diese Zu-
penstellern hoch anerkannt. Dieser Aspekt kommt mir in sage nicht eingehalten werden. Das Personalkonzept soll
der veröffentlichten Wahrnehmung wesentlich zu kurz. nun Ende Februar 2007 stehen. Die Koalition wird mit
Nachdruck auf die Einhaltung des Zeitplans drängen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Auch die zivilen Beschäftigten der Bundeswehr haben
ein Anrecht darauf zu erfahren, in welcher Struktur sie
Nun einige Anmerkungen zum Etat. Nachdem im künftig tätig sein werden.
(B) Einzelplan 14 des Haushaltes über Jahre hinweg Kür- (D)
zungen hingenommen wurden, hatten wir bereits mit Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Um-
dem Haushalt 2006 eine Verstetigung des Ansatzes er- schichtungen machen, die wir im Haushalt vorgenom-
reicht und damit eine Wende eingeleitet. Nach Jahren er- men haben. Einen Schwerpunkt hierbei bildet das
fährt der Etat des BMVg jetzt einen Aufwuchs. Inklusive Thema Materialerhaltung. Bereits im Regierungsent-
der Versorgungsausgaben in Höhe von 4,037 Milliarden wurf zum Haushalt 2006 war ein kleiner Aufwuchs zu
Euro weist der Gesamtetat des Bundesministeriums der verzeichnen. Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2007
Verteidigung 28,389 Milliarden Euro aus, was einem sah einen Aufwuchs von circa 48 Millionen Euro vor.
Gesamtplus von circa 517 Millionen Euro entspricht. Dieser resultierte zwar primär aus dem Zulauf neuer
Ohne die Versorgungsausgaben steigt der Ansatz um Waffensysteme, aber zusätzlich zu diesem Mehrbedarf
472 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Wenn hat die Regierungskoalition weitere 45 Millionen Euro
man die erhöhte Mehrwertsteuer abzieht, die sich im zur Materialerhaltung umgeschichtet. Wir wollen damit
Jahr mit ungefähr 100 Millionen Euro pro Prozentpunkt den gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der Ausstat-
zusätzlich niederschlagen wird, dann bleibt unter dem tung durch die Zunahme von Mandaten gerecht werden.
Strich ein zwar bescheidener, aber immerhin ein Auf- Wir sind der Überzeugung, dass durch die vermehrten
wuchs in Höhe von 172 Millionen Euro stehen. Auslandseinsätze der Bundeswehr die Materialerhaltung
bzw. Instandsetzung nicht immer in vollem Umfang
(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Viel zu we- durchgeführt werden konnten. Dieser Umstand und die
nig!) Verpflichtung, unsere Soldaten mit dem unabdingbaren
Bedarf auszustatten, sind die Gründe für die Aufsto-
Das entspricht der mittelfristigen Finanzplanung. ckung der Mittel um insgesamt 93 Millionen Euro.
Dieses Plus wird im Wesentlichen für die Verstärkung Einen weiteren Schwerpunkt stellt der „Geschützte
der verteidigungsinvestiven Ausgaben, für die Mate- Transportraum“ dar, der durch die zunehmende Gefähr-
rialerhaltung sowie für die Deckung der gestiegenen dungslage an Bedeutung zugenommen hat. Nach der Zu-
Kosten der Betriebsstoffe verwendet. Die große Koali- nahme von Anschlägen hatte Minister Jung die Weisung
tion wird damit den geänderten Rahmenbedingungen gegeben, dass Bewegungen außerhalb von Lagern nur
durch die Transformation der Bundeswehr zu einer Ar- noch in geschützten Fahrzeugen stattfinden sollen. Im
mee im Einsatz und der Zunahme der Einsatzanforde- Sinne der Sicherheit und des Schutzes der Soldaten ist
rungen im Rahmen internationaler Einsätze gerecht. Ziel das sinnvoll und notwendig. Die Haushälter haben das
der Regierung ist es, Auftrag, Ausrüstung und hierfür BMVg in diesem Zusammenhang aufgefordert, gemein-
zur Verfügung stehende Mittel in Einklang zu bringen. sam mit der deutschen Landsystemindustrie nach
6584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Susanne Jaffke
(A) Möglichkeiten eines Vorziehens von beschlossenen Be- Danke. (C)
schaffungsvorhaben zu suchen. Zurzeit laufen dazu Ver-
handlungen zwischen dem BMVg und der Industrie. Im (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
zahlenmäßigen Vergleich zwischen geschützten Fahr-
zeugen und ungeschützten Fahrzeugen ergibt sich, bezo- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
gen auf das ISAF-Mandat, ein Verhältnis von zwei zu Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine
eins. Insgesamt befinden sich circa 500 geschützte Fahr- Lötzsch, Fraktion Die Linke.
zeuge im Einsatz. Die Verlegung zusätzlicher geschütz-
ter Fahrzeuge ist geplant. Damit befindet sich der Groß- (Beifall bei der LINKEN)
teil dieses Gerätes im Einsatz und das ist auch richtig so.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Ich hatte bereits zu Beginn meiner Ausführungen auf
die Wiederaufbau- und Stabilisierungsarbeit der Bundes- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
wehr in den Einsatzgebieten hingewiesen. Um diese Herren! Wir haben im Laufe der Debatte gesehen: Die
Arbeit der Bundeswehr mit der Arbeit ziviler Hilfsorga- Koalition ist sichtlich begeistert – ich erinnere nur an die
nisationen bzw. NGOs sowie mit der staatlicher Projekt- Rede des Vorsitzenden der Unionsfraktion –, dass
träger besser abzustimmen, hat die Regierungskoalition Deutschland im nächsten Jahr wahrscheinlich den Stabi-
eine Neuausrichtung der Schwerpunkte vorgenommen. litätspakt einhalten wird. Die Nettoneuverschuldung
Die große Koalition hat dazu den noch unter Rot-Grün wird unter den Investitionen liegen. Da Sie Stabilitäts-
neu aufgenommenen Haushaltstitel – strukturelle Kri- pakte so gut finden, schlage ich Ihnen einen weiteren
senvorsorge – nunmehr an eine Zweckbindung gekop- Pakt vor. Ich möchte Ihnen folgendes Angebot unterbrei-
pelt. Zukünftig sollen aus diesem Titel nur noch Projekte ten: Wie Sie wissen, wird die Bundesregierung im
bezahlt werden, die an den Einsatzorten der Bundeswehr nächsten Jahr 28 Milliarden Euro für die Verteidigung
durchgeführt werden. Damit wird ein direkter Zusam- ausgeben. Für zivile Investitionen sollen in der gleichen
menhang zwischen militärischer und ziviler Friedens- Zeit allerdings nur 24 Milliarden Euro zur Verfügung
mission sichergestellt. Es ist erwiesen, dass die schwieri- stehen. Ich denke, es wäre sinnvoll, einen Pakt zu schlie-
gen und gefährlichen Einsätze der Bundeswehr in ßen, der festlegt, dass in Friedenszeiten die Ausgaben
Afghanistan nur dann erfolgreich sind, wenn im Rahmen für das Militär die zivilen Investitionen nicht überstei-
der zivilen Krisenprävention den militärischen Maßnah- gen dürfen.
men auch zivile flankierend zur Seite gestellt werden. (Beifall bei der LINKEN)
Das wird mit dem Beschluss der Koalition verstärkt. Da-
bei haben wir nicht nur den Baransatz qualifiziert ge- Das wäre nicht nur ein Stabilitätspakt, sondern auch ein
(B) sperrt, sondern wir verlangen auch von der Regierung, Friedenspakt. Wir, die Linke, haben ausreichend Kür- (D)
dass sie eine belastbare Planung vorlegt, wie die Mittel zungsvorschläge eingebracht, sodass der Bundestag
verwendet werden sollen. schon im Jahr 2007 diesen Friedenspakt einhalten
könnte.
Gestatten Sie mir noch zu erwähnen, dass wir als
Regierungskoalitionsberichterstatter zu den Einzelplä- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Abschaf-
nen 14 und 23 eine abgestimmte Konzeption zur verbes- fung der Bundeswehr!)
serten Kooperation und Koordination zwischen zivilen
An dieser Stelle will ich mich mit einer Behauptung
Organisationen und der Bundeswehr bei Auslandseinsät-
auseinander setzen, die von mehreren Kollegen im Laufe
zen erbeten haben. Wir wollen damit sicherstellen, dass
der Debatte aufgestellt wurde. Uns, die wir vorschlagen,
es bei den Projekten zu einer effizienteren Mittelverwen-
die Mittel für die Bundeswehr zu kürzen, wird vorge-
dung kommt.
worfen, wir gefährdeten die Sicherheit deutscher Solda-
Der kleine Aufwuchs, den der Haushalt des Verteidi- ten im Ausland. Diese Denunziation – als Argument
gungsministers erfährt, wird auch zur Stabilisierung der kann man das nicht bezeichnen – will ich mit aller
Auslandseinsätze der deutschen Soldaten beitragen. Ich Schärfe zurückweisen. Der entscheidende Punkt ist – das
bitte um Zustimmung zu diesem Etat. ist bekannt –: Wir sind dagegen, dass deutsche Soldaten
in Kriegseinsätze ins Ausland gehen.
Gestatten Sie mir zum Schluss, –
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wenn aber eine Mehrheit dieses Hauses deutsche Solda-
Ungern, Frau Kollegin, weil Sie Ihre Redezeit deut- ten ins Ausland schickt, dann sind wir der Auffassung,
lich überschritten haben. dass alles für ihre Sicherheit getan werden muss. Wir un-
terstützen jeden, der der Meinung ist, dass bei den Haus-
Susanne Jaffke (CDU/CSU): haltspositionen, die dazu dienen, die persönliche Sicher-
– den Mitarbeitern nicht nur der Haushaltsabteilung heit der Soldatinnen und Soldaten zu stärken, nicht
des BMVg, sondern auch der Haushaltsabteilung des gekürzt werden darf. Gerade wir haben immer wieder
BMF sowie vor allen Dingen unserem Hauptbericht- kritisch angemerkt, dass Soldatinnen und Soldaten keine
erstatter, dem Kollegen Johannes Kahrs, Dank auszu- angemessene Ausrüstung und Kleidung haben. Ich erin-
sprechen. Wir werden auch in der Vorbereitung kleiner nere nur daran, dass sie sich Ferngläser bei Tchibo kau-
Sitzungen zunehmend besser. Daran wollen wir weiter- fen mussten. So viel zur Wahrheitsfindung und zur Rea-
arbeiten. lität.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6585
Dr. Gesine Lötzsch
(A) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist tau- Diehl gehört. Das heißt, alle Steuerzahlerinnen und Steu- (C)
sendfach widerlegter Unfug!) erzahler finanzieren museumsreife Technologien,
– Lieber Kollege Rossmanith, bitte regen Sie sich nicht (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir sind
auf! Das schadet Ihrer Gesundheit. dem ganzen deutschen Volk verpflichtet, Frau
Kollegin!)
(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ich bin ganz
ruhig!) die weder die Sicherheit unseres Landes noch die Sicher-
heit unserer Museen erhöhen. Das kann man wirklich
Ich will Ihnen darlegen, wo wir Einsparmöglichkeiten
keinem Steuerzahler erklären.
im Verteidigungshaushalt, Einzelplan 14, sehen. Die
Kollegin Hoff von der FDP ist darauf dankenswerter- (Beifall bei der LINKEN)
weise schon eingegangen. Es gibt eine Reihe großer
Beschaffungsprojekte der Bundeswehr, die gar nichts Hier werden die Rüstungslobbyisten auf Kosten der
mit der von der Regierung beschriebenen Bedrohungssi- Steuerzahler reichlich bedient. Ich schlage vor, dass
tuation zu tun haben. Die Mittel für diese Projekte kann diese Art der Subventionierung der süddeutschen Länder
man guten Gewissens einsparen. Ich möchte Ihnen ein abgeschafft wird
Beispiel nennen. Die Geschichte des Lenkflugkörpers (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist
PARS 3 begann im Jahre 1982, also vor einem Viertel- wirklich zu primitiv, um das zu kommentie-
jahrhundert. Um es einmal zu illustrieren: Das jüngste ren!)
Mitglied des Bundestages, die Kollegin Lührmann von
den Grünen, war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ge- oder, wenn wir dafür keine Mehrheit bekommen sollten,
boren. dass wenigstens diese üppige Quersubventionierung für
diese Bundesländer in den Länderfinanzausgleich einbe-
Damals gab es noch die Sowjetunion und den War- zogen wird. Dann würde sich so manches im Verhältnis
schauer Pakt, die über reichlich Panzer verfügten. Diese der Länder etwas anders darstellen.
Rakete war nur auf die Bekämpfung von Panzern spezia-
lisiert. Die Entwicklungspartner – hören Sie gut zu, (Beifall bei der LINKEN)
meine Damen und Herren! – Großbritannien und Frank- Noch eine kleine pikante Ergänzung: Der Hauptauftrag-
reich sind in den Jahren 1998 und 1999 aus diesem ver- nehmer der PARS-3-Raketen wurde für einen Preisnach-
alteten Projekt ausgestiegen. Richtig so. Sie hatten näm- lass von 1,25 Prozent von allen Mängelansprüchen frei-
lich zehn Jahre nach dem Mauerfall erkannt, dass es für gestellt. Herr Jung, würden Sie zu Hause auf ein solches
solche Raketen keinen Bedarf mehr gibt. Übrigens ist Angebot Ihres Klempners eingehen, Preisnachlass von
sehr bemerkenswert, dass die Engländer und die Franzo- 1,25 Prozent und dafür keine Garantieansprüche?
(B) (D)
sen aussteigen konnten. Immer wenn wir als Linke den
Ausstieg aus Beschaffungsprojekten wie zum Beispiel (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
beim Eurofighter fordern, dann werden internationale NEN]: Dem Jung trauen wir das zu!)
Verträge angeführt, die den Ausstieg für uns angeblich Ich glaube, da bekämen Sie sicher heftigen Ärger mit Ih-
unmöglich machen. Ich frage Sie, Herr Minister: Warum rer häuslichen Generalität.
können die anderen aussteigen und wir nicht?
Wir als Linke fordern in unserem Entschließungsan-
(Beifall bei der LINKEN) trag Einsparungen im Verteidigungshaushalt von 2 Mil-
Hängt das vielleicht damit zusammen, dass die Bundes- liarden Euro. Das sind nicht einmal 10 Prozent dieses
regierung in den Verträgen Austrittsklauseln ausschließt Haushaltes. Das können wir gerade so und die Bundes-
oder so teuer macht, damit der Bundestag in seiner Sou- wehr sehr gut verkraften. Wir sind für friedliche Kon-
veränität eingeschränkt wird? Ich finde, meine Damen fliktlösungen und wir denken, die Mittel des Verteidi-
und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeord- gungshaushaltes sollten im Laufe der Jahre alle in
nete, dieser Frage sollten wir gemeinsam genauer nach- Entwicklungshilfe und Maßnahmen zur zivilen Konflikt-
gehen. bereinigung umgelenkt werden.
Zurück zu PARS 3. Ich will auch für die Zuschauer il- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
lustrieren, welche enormen Summen ausgegeben wer- (Beifall bei der LINKEN)
den. Die Gesamtkosten für die Entwicklung und den Bau
dieser Rakete betragen rund 490 Millionen Euro. Nach
bisherigen Plänen soll die Auslieferung der Rakete im Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Jahr 2010 beginnen und 2014 abgeschlossen sein. Ein Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Frak-
einziger Schuss einer derartigen Rakete würde den Steu- tion.
erzahler 1,3 Millionen Euro kosten. Stellen Sie sich ein-
mal vor, wie viele Kindergärten oder Schulen Sie in Johannes Kahrs (SPD):
Ihrer Kommune sanieren könnten, wenn Sie den Gegen- Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
wert von zwei oder drei Schüssen zur Verfügung hätten! und Kollegen! Da es hier gute Sitte ist, möchte ich mich
Übrigens – darum verstehe ich auch die Erregung des am Anfang bei den Kolleginnen und Kollegen Mitbe-
Kollegen Rossmanith von vorhin sehr gut; die war näm- richterstattern ganz herzlich für die gute Zusammen-
lich schon proaktiv – ist der Hauptauftragnehmer ein arbeit bedanken. Wir haben heute schon einige gehört.
süddeutsches Unternehmen, das den Firmen EADS und Ob es die Kollegin Jaffke, die Kollegen Kalb, Koppelin,
6586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Johannes Kahrs
(A) Bonde oder auch die Kollegin Lötzsch sind, wir alle ar- sernenanlagen, insbesondere in Westdeutschland, in de- (C)
beiten im Kern in der Sache dafür, dass wir die deut- nen in den letzten zehn Jahren nicht so viel gemacht
schen Soldaten vernünftig ausstatten, damit sie, wenn sie wurde. Ich glaube, wir können es uns nicht leisten, un-
im Ausland sind, eine Ausrüstung haben, die es ihnen er- sere Soldatinnen und Soldaten in Unterkünften – das
möglicht, dort klarzukommen. Wir als Parlament, wir als sage ich ganz bewusst – hausen zu lassen, die ich per-
Berichterstatter und wir als Ausschuss kennen unsere sönlich niemandem empfehlen möchte und die nicht zur
Verantwortung und nehmen sie auch wahr. Attraktivität der Streitkräfte beitragen. Ich möchte Sie,
meine werten Kolleginnen und Kollegen, einfach auffor-
Zum Verteidigungshaushalt 2007 wurde in den Bera-
dern: Besuchen Sie Ihre Standorte! Gucken Sie sich dort
tungen im Haushaltsausschuss entsprechend dem Ansatz
die Sanitärbereiche, die Unterkunftsbereiche oder die
des Regierungsentwurfs mit einem Ausgabevolumen in
Küchen an! Die Zustände sind teilweise grenzwertig.
Höhe von insgesamt 28,4 Milliarden Euro ein nach mei-
Das haben sowohl der Fachausschuss als auch der Haus-
ner Meinung vernünftiger Beschluss gefasst. Der Ansatz
haltsausschuss erkannt und deswegen haben wir umge-
bedeutet im Vergleich zum Haushalt 2006 eine Verbesse-
schichtet und geben mehr Geld aus. Für einige, die die
rung um rund eine halbe Milliarde Euro. In diesem
Situation nicht kennen, mag es sich befremdlich anhö-
Haushalt von 28,4 Milliarden Euro sind jetzt auch die
ren, aber wenn zum Beispiel Nasszellen für ein halbes
Versorgungsausgaben für ehemalige Beamtinnen und
oder dreiviertel Jahr gesperrt sind, gibt es durchaus Pro-
Beamte sowie Berufssoldatinnen und Berufssoldaten in
bleme. Wenn wir dieses Problem gemeinschaftlich ange-
Höhe von knapp 4 Milliarden Euro enthalten. Diese
hen, steht es uns allen sehr gut an, dient auch der Attrak-
Ausgaben waren bis zum letzten Jahr zentral im
tivität der Truppe und ist gleichzeitig für uns alle ein
Einzelplan 33 veranschlagt. Sie sind für den Verteidi-
echter Gewinn.
gungsetat auf Dauer gesehen ein ziemliches Risiko. Die
Steigerung in diesem Bereich wird, weil der Verteidi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
gungshaushalt anders strukturiert ist als viele andere
Haushalte, weil wir viele Zeitsoldaten haben, die auch Gestatten Sie mir aus aktuellem Anlass zwei Anmer-
wieder ausscheiden, zu anderen Belastungen führen. Ich kungen zum Einsatz der Bundeswehr im Kongo und in
bitte den Herrn Minister ganz herzlich, auf diese Beson- Bosnien. Zum einen möchte ich meine Freude darüber
derheit zu achten, weil das in den nächsten Jahren im zum Ausdruck bringen, dass der Parlamentsbeschluss
Haushalt zu überdurchschnittlichen Steigerungen von zum Einsatz im Kongo wirklich eingehalten wird. Ich
jährlich einigen hundert Millionen führen kann. Ich habe ein bisschen daran gezweifelt, muss ich zugeben.
glaube, man muss vernünftige Regelungen finden, damit Ich war einer derjenigen, die diesen Einsatz nicht so be-
der Verteidigungshaushalt nicht schlechter behandelt grüßt haben, wie es die Mehrheit meiner Fraktion getan
(B) wird als andere Haushalte. Gleichzeitig muss man sagen, hat. Ich hatte Zweifel, ob er wirklich nach vier Monaten (D)
dass diese Steigerung – das ist das Gute am Verteidi- zu Ende ist, und freue mich, dass die Befürchtungen
gungsetat – ungefähr dem entspricht, was in den letzten nicht eingetreten sind. Ich hoffe, dass das auch so bleibt
Jahren festgelegt und unter Peter Struck beschlossen und dass wir die Soldatinnen und Soldaten rechtzeitig
wurde. zum Weihnachtsfest wieder in Deutschland haben. Das
habe ich mir nicht vorstellen können. Ich bin eines Bes-
Die Betriebsausgaben in Höhe von 17,4 Milliarden seren belehrt worden. Ich möchte mich bei all denjeni-
Euro bleiben nahezu konstant. Die Personalausgaben gen, die dazu beigetragen haben, ganz herzlich bedan-
sind rückläufig und liegen deutlich unter 11,7 Milliarden ken.
Euro. Das bedeutet, dass wir für Personal weniger ausge-
ben. Bei einem Personalkostenanteil von knapp 50 Pro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Susanne
zent müssen wir auf diese Ausgaben ganz genau Jaffke [CDU/CSU]: Und das ist auch gut so!)
schauen. – Das hat ein anderer gesagt, der Bürgermeister einer
Wir haben einen deutlichen Mehrbedarf bei der Mate- Stadt, Frau Kollegin.
rialerhaltung in Höhe von rund 1,9 Milliarden Euro und Ebenso begrüße ich die Initiative unseres Verteidi-
beim sonstigen Betrieb in Höhe von 3,7 Milliarden Euro. gungsministers in Sachen Bosnien-Herzegowina. Die
Hier belasten insbesondere die erhöhten Treibstoffkosten Reduzierung der Bundeswehrtruppen in Bosnien kann
diesen Haushalt. meiner Meinung nach mittlerweile ins Auge gefasst wer-
Die Ausgaben im Bereich der Betreiberlösungen sin- den. Gerhard Schröder hat einmal gesagt: Wer irgendwo
ken geringfügig und betragen in 2007 635 Millionen reingeht, muss auch wissen, wie er wieder rauskommt. –
Euro. Die verteidigungsinvestiven Ausgaben steigen im Ich glaube, das ist richtig. Wenn man sich die dortige Si-
Vergleich zu 2006 um 350 Millionen Euro. Für militäri- cherheitslage anschaut, dann erkennt man, dass es dort
sche Beschaffung sind 140 Millionen Euro mehr vorge- insgesamt ruhig und stabil ist.
sehen. (Zurufe von der SPD und der CDU/CSU)
Deutliche Anstrengungen sind auch bei den militäri- – Ich begrüße die Zustimmung zu dieser Aussage von
schen Anlagen, also bei Kasernenanlagen und Unter- Gerhard Schröder durch Abgeordnete der Koalition.
bringung, zu erkennen. Das war uns allen ein ganz be-
sonderes Anliegen. Hier wollen wir 130 Millionen Euro Ich wiederhole: Eine Reduzierung der Truppen
mehr ausgeben als im letzten Jahr. An dieser Stelle sei scheint mir sinnvoll zu sein. Wir müssen darauf achten,
mir eine persönliche Bemerkung gestattet zu einigen Ka- dass das dort Erreichte bei einem stufenweisen Truppen-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6587
Johannes Kahrs
(A) abzug nicht gefährdet wird, dass er der Lage angepasst uns allen eine Lehre sein und da sollten wir alle genau (C)
wird und dass es für die Bundeswehr eine Planungssi- hinschauen. Da kann man viel lernen.
cherheit gibt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Was den Auslandseinsatz in Afghanistan angeht, CDU/CSU)
möchte ich, genau wie meine Kollegin Jaffke und an-
dere, unterstreichen, dass der Auftrag, den die Bundes- Natürlich gibt es neben diesen positiven Erfahrungen
wehr im Norden Afghanistans ausführt, wichtig ist. Sie auch Probleme. So üben zum Beispiel Hilfsorganisatio-
tut dies gut, verlässlich und vernünftig. nen heftige Kritik am PRT-Konzept, weil es auf eine
vermeintliche Vermischung von humanitären und militä-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
rischen Aktivitäten ausgerichtet ist. Darin sehen sie ein
Ich habe bei der Truppe gelernt, dass es nicht sinnvoll Problem, insbesondere weil sie glauben, dass ihre Neu-
ist, eingesetzte Soldaten mit einem festen Auftrag je tralität berührt wird.
nach aktueller Lage aus einem Auftrag herauszunehmen
und zu verlegen. Wenn man sich das genau anschaut, Schaut man sich das Ergebnis an, wird meiner Mei-
dann erkennt man, dass eigentlich der alte militärische nung nach anders herum ein Schuh daraus: Die Zusam-
Grundsatz gilt: Jeder Führer hat jederzeit und in jeder menarbeit zwischen diesen Kräften führt zu einer besse-
Lage Reserven zu bilden, die er einsetzen muss, wenn er ren Akzeptanz von beiden Gruppen, insbesondere bei
Probleme hat. Es bringt überhaupt nichts, Soldaten, da- der afghanischen Bevölkerung. Man muss die Vorbe-
mit sie woanders eine andere Aufgabe erfüllen, heraus- halte gegen das zivil-militärische Zusammengehen auf-
zunehmen aus Aufträgen, die schwieriger sind, in die geben. Ich würde es begrüßen, wenn das BMZ die volle
man sich langfristig einarbeiten muss, in denen man die Integration in die PRTs mit umsetzt. Nur so werden wir
Lage vor Ort kennen muss und in denen man Kontakte es gemeinsam zustande bringen können. Wir müssen die
zur Bevölkerung knüpft. – wie auch immer bestehende – Distanz zwischen Ent-
wicklungspolitik und Sicherheitspolitik überwinden. Wir
Ich halte es für richtig und wichtig, dass wir Deut- müssen hier – anders als in der Vergangenheit – zusam-
schen darauf dringen, dass man sich über das Gesamt- menarbeiten.
konzept unterhält. Es kann natürlich nicht sein, dass die-
jenigen, die im Süden Afghanistans eingesetzt sind, Angesichts des Gesamtengagements dieses Hohen
gänzlich allein dastehen. Auch da muss es eine vernünf- Hauses greift man, wie ich glaube, zu kurz, wenn man
tige Lösung geben. Das kann aber nicht bedeuten, dass nur über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland disku-
man Soldaten einfach quer durch das Land schickt, weil tiert. Wir beschließen hier ja immer darüber, ob die Bun-
(B) Soldaten aus militärischen Gründen woanders gebraucht deswehr in einem bestimmten Einsatzgebiet eingesetzt (D)
werden. Unser Einsatz dort ist mehr als rein militärischer werden darf. Ich glaube aber, dass es nicht reicht, ein-
Art. fach nur den Einsatz der Bundeswehr zu beschließen,
(Walter Kolbow [SPD]: Herr Major!) aber nicht auch über die Arbeit der anderen Ressorts auf
diesen Gebieten zu beraten. Wir sollten vielmehr über
– Jawohl, Herr stellvertretender Fraktionsvorsitzender! das Gesamtengagement der Bundesrepublik Deutsch-
land in einem bestimmten Einsatzland beschließen. Na-
Das deutsche Engagement ist insbesondere im Hin-
türlich möchte ich nicht die Position aufgeben, dass die
blick auf die deutschen Provincial Reconstruction
Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist; wesentliche Ele-
Teams, die PRTs, in Kunduz und Faizabad in Afghanis-
mente sind hierbei das Amt des Wehrbeauftragten, der
tan zu begrüßen. Ich glaube, dass sich die Grundphiloso-
seine Arbeit sehr gut macht, und das Engagement der
phie des deutschen Konzeptes dort ganz besonders klar
Kolleginnen und Kollegen, die der Bundeswehr verbun-
widerspiegelt. Eine zivile und eine militärische Kom-
ponente arbeiten dort integriert und gleichrangig zu- den sind. Aber es wäre besser, ein Gesamtkonzept zu er-
sammen. Das Personal kommt dabei aus dem Verteidi- arbeiten, bevor die Bundeswehr eingesetzt wird. Dieses
gungsministerium, aus dem Auswärtigen Amt, aus dem Gesamtkonzept des Einsatzes sollte im Kanzleramt in
Innenministerium und aus dem BMZ. Dieses Personal enger Abstimmung mit den betroffenen vier Ministerien
soll ressortübergreifend zusammenarbeiten. Ich glaube, erstellt werden. Dabei müssten die Ministerien sagen,
dass dies für die Stabilisierung der Sicherheitslage und welche Schwerpunkte sie setzen und wie sie das bezah-
für den Wiederaufbau Afghanistans wichtig ist. len wollen. Dann sollten wir im Parlament darüber infor-
miert werden, wie man sich den Einsatz vorstellt.
Es könnte auch die zukünftige Arbeit in Postkonflikt-
situationen und die Beziehungen von Militär und zivilen Die Bundeswehr alleine kann die Erwartungen, die
Kräften fundamental ändern. Das Afghanistankonzept wir mit diesen Einsätzen verbinden – ich würde es etwas
der Bundesregierung vom September dieses Jahres salopp als das Heilsversprechen von Nation-Building be-
wurde von allen genannten Ministerien erarbeitet. Im zeichnen –, gar nicht erfüllen. Wenn wir sowieso wollen,
vorgesehenen PRT-Konzept manifestiert sich die Er- dass dieses Ziel in enger Kooperation verfolgt wird,
kenntnis, dass militärische Lösungen allein in komple- dann wäre es doch viel besser, vorher entsprechende Pla-
xen Situationen nicht zielführend sind. Das haben die nungen im Kanzleramt unter Beteiligung der vier Minis-
Amerikaner im Irak übrigens ganz deutlich gemerkt: terien zu erarbeiten, diese als Vorlage einzubringen und
Man kann zwar militärisch gewinnen, hat aber den Frie- dann hier über die Gesamtsituation, und nicht nur über
den noch lange nicht gewonnen. Ich glaube, das sollte den Bundeswehreinsatz, zu diskutieren.
6588 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Johannes Kahrs
(A) So könnte sich auch der Haushaltsausschuss intensi- während die Amerikaner deutlich mehr Geld – vielleicht (C)
ver damit beschäftigen. Vom Verteidigungsministerium 600, 700 oder 800 Millionen –
gibt es derzeit allwöchentlich eine Unterrichtung des
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
Parlaments über die Auslandseinsätze der Bundeswehr
GRÜNEN]: 1,6 Milliarden!)
– ein jeder kennt diese wöchentlichen Berichte –,
zur Verfügung stellen, um uns zu unterstützen, weil wir
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die sind
in diesem Bereich keine ernsthaft überzeugenden Er-
vertraulich!)
folge vorweisen können. Um in Afghanistan Erfolg zu
in der die Lage der Bundeswehr und die Situation im haben, reicht es eben nicht aus, dass allein die Bundes-
Einsatzland dargestellt werden. Wenn man sich das ein- wehr dort gute Arbeit macht. Es ist genauso wichtig,
mal genau überlegt, wäre es doch viel besser, wir bekä- dass der Aufbau der Polizei dort vorankommt. Wir wer-
men einen Bericht, den nämlich die Bundeswehr dort erst dann wieder ab-
ziehen können, wenn dort eine starke Zentralregierung
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE auf eine funktionierende Polizei zurückgreifen kann.
GRÜNEN]: Guter Vorschlag!)
Werfen wir einmal einen Blick auf den Bereich des
der zusammengefasst die koordinierten Anstrengungen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
aller Ministerien in den jeweiligen Einsatzländern dar- arbeit und Entwicklung. Auch hier finden wir Etat-
legt. ansätze für die eine oder andere Maßnahme in Afghanis-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ tan. Das finde ich auch richtig und gut. Aber die Frage
CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE ist, ob die Anstrengungen der Verteidiger bei der Trans-
formation, der Umstellung der Schwerpunktsetzung auf
GRÜNEN)
die Einsätze, im gleichen Ausmaß in der Entwicklungs-
Das wäre ein Konzept für die Zukunft, das uns alle viel hilfe wiederzufinden sind, ob die Mittel schwerpunkt-
weiter bringen würde. mäßig genau da eingesetzt werden, wo wir uns als Bun-
desrepublik Deutschland engagieren. Denn wenn wir
Lassen Sie mich einmal darstellen, welche Umstruk- militärisch für Ruhe sorgen – –
turierungen bei der Bundeswehr seit 1998 vorgenom-
men wurden, inwieweit sie sich – das nennt man Trans- (Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP] meldet sich zu
formation – für die Auslandseinsätze neu aufgestellt hat: einer Zwischenfrage)
Die Anzahl der Schützenpanzer „Marder“ ist von – Herr Kollege Stinner, ich würde das jetzt gerne ausfüh-
2 097 auf 536 heruntergefahren worden. Sie dürfen mir ren. Sie sind ja noch dran.
glauben, dass einem alten Panzergrenadier wie mir es
(B) nicht ganz leicht fällt, das zu akzeptieren, aber von der (D)
Sache her ist es vernünftig. Die Anzahl der Kampfpan- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
zer „Leopard“ haben wir im selben Zeitraum von Herr Kollege Kahrs, ob Zwischenfragen gestellt wer-
2 123 auf 410 heruntergefahren. Man muss sich einfach den dürfen, fragt die Präsidentin. – Lassen Sie diese
einmal klar machen, welche Umstrukturierungen hin- Zwischenfrage zu?
sichtlich finanzieller Ausstattung, Ressourcen, Ausbil-
dungsformen und Personalplanung innerhalb der Bun- Johannes Kahrs (SPD):
deswehr stattgefunden haben. Ich glaube, dass das eine Selbstverständlich, da das meine Redezeit verlängert.
der großen Errungenschaften der letzten Jahre ist.
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Rainer Stinner (FDP):
NEN]: Aber nicht nur des letzten Jahres!) Kollege Kahrs, da Sie heute die längste Redezeit in
Ihrer Fraktion haben, gehe ich davon aus, dass Sie
Wenn es sich aber nun so verhält, dass das Verteidi- durchaus die Position Ihrer Fraktion darstellen. Deshalb
gungsressort nicht das einzige Ressort ist, das mit der wundere ich mich, dass Sie alles in Frageform kleiden.
Bundeswehr für das Gelingen eines solchen Auslands- Kann ich davon ausgehen, dass sich das, was Sie hier
einsatzes einen wesentlichen Beitrag leistet, dann muss richtigerweise bemerken – ich bin erstaunt, wie ich Ih-
man hier auch legitimerweise darüber diskutieren, wa- nen zustimmen kann –, auch im Haushalt wiederfindet,
rum in anderen Ressorts keine entsprechenden Umstruk- nämlich in Form einer Erhöhung der Mittel für den Poli-
turierungen in diesem Ausmaß stattfinden. Damit will zeieinsatz und für die wirtschaftliche Zusammenarbeit?
ich keineswegs geschätzte Parteifreunde oder Koali- Wir haben ja eine Haushaltsdebatte. Ich gehe davon aus,
tionspartner kritisieren; Sie alle kennen mich und wis- dass Sie hier eine abgestimmte Rede halten und dass sich
sen, dass mir das nicht zusteht. das, was Sie zu Recht fordern, auch im Haushalt wieder-
findet.
(Beifall bei der FDP)
Ich halte es aber für wichtig, dass wir uns im Parlament Johannes Kahrs (SPD):
und in den Arbeitsgruppen der Fraktionen darüber unter- Herr Kollege, Sie wissen, dass wir im Parlament zum
halten, ob es ausreicht, wenn etwa das Bundesinnenmi- einen das darstellen, was wir im Haushalt niedergelegt
nisterium für den Aufbau der Polizei im Einsatzgebiet haben. Das habe ich am Anfang meiner beachtenswerten
– das soll ja ein Schwerpunkt deutscher Politik sein – Rede getan;
nur einen zweistelligen Millionenbetrag zur Verfügung
stellt, von dem 41 Polizisten bezahlt werden können, (Heiterkeit)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6589
Johannes Kahrs
(A) ich habe Ausführungen zu Umschichtungen insbeson- Wenn Sie einem afghanischen Bauern den Mohn- (C)
dere im Bereich der militärischen Unterkünfte, Treib- anbau verbieten und die Felder, von wem auch immer,
stoffen und anderen Dingen gemacht. Sie wissen aber abgebrannt werden, sodass er seinen Lebensunterhalt
auch, dass zum anderen Politik von Zielen lebt, die man nicht mehr bestreiten kann, dann gibt es zwei Möglich-
anstrebt. Wir diskutieren zum Beispiel zurzeit unter den keiten: Entweder Sie helfen dem Bauern über die GTZ
Haushaltspolitikern der Koalition, insbesondere unter mit Entwicklungshilfe und geben ihm eine Möglichkeit,
denen der vier Ressorts, ob man verstärkt die Haushalte seine Familie zu ernähren, oder er lässt seine Missbilli-
entsprechend ausrichtet. gung über diesen Vorgang und Ihr Verhalten spürbar
werden, indem er nach einer Waffe greift. Letzteres ist
Die Kollegin Jaffke hat dankenswerterweise Ausfüh- nicht in unserem Sinne, weil es keine Lösung dieses
rungen zu einem Bereich, in dem wir selber tätig sein Konfliktes ist.
können, gemacht: Wir haben die Mittel, die in der Ver-
gangenheit für das Einsammeln von Waffen und Muni- Das heißt, das Zusammenwirken der genannten Be-
tion weltweit bereitgestellt wurden, nun anders einge- reiche kann uns eher zu einem Ergebnis führen als eine
stellt, nämlich für das Einsammeln von Waffen und reine Fixierung auf das Militärische. Dafür plädiere ich.
Munition in den Einsatzgebieten deutscher Soldaten. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich in diesem Punkt
Das heißt, wir haben Umschichtungen in diesem kleinen unterstützten. Ich wünsche uns allen viel Erfolg dabei.
Bereich vorgenommen. Glück auf!
Ansonsten kleiden wir unsere Anliegen als Abgeord- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
nete natürlich in eine Forderung, die wir an unsere Exe-
kutive richten. Ich finde, dass wir, die wir die Kamera-
den gewählt haben, von diesen verlangen können, dass Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
sie dann, wenn wir zu anderen Erkenntnissen kommen, Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde, Bünd-
diese umsetzen. Dafür bezahlen wir sie ja. nis 90/Die Grünen.

Wir stellen hier also zum einen dar, was wir getan ha- Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ben, und zum anderen das, was wir erreichen wollen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Politik ist nicht immer nur die Darstellung des Erreich- Die Debatte über den Haushalt nach einem Jahr großer
ten, auch nicht in einer Haushaltsdebatte, sondern soll Koalition markiert einen Zeitpunkt, zu dem man eine Bi-
auch aufzeigen, wo man hinwill. Das muss ja nicht lanz der verschiedenen Ministerien ziehen muss. Die Bi-
gleich eine Vision sein, aber zumindest eine grobe Idee, lanz des Verteidigungsministers übertrifft, was Pleiten,
was die Politik in dieser Legislaturperiode erreichen Pech und Pannen angeht, die insgesamt schlechte Bilanz (D)
(B) will.
der großen Koalition bei weitem. Von einem Minister,
Es freut mich aber uneingeschränkt, dass die FDP der immer mit einem Fuß in dem nächstgelegenen Fett-
dem schon jetzt zustimmen kann. Deswegen danke ich napf steht und Interviews gibt, an deren Richtigstellung
Ihnen ganz herzlich für Ihre Zwischenfrage. das halbe Ministerium beteiligt ist, kann man natürlich
schwerlich erwarten, dass er einen vernünftigen Einzel-
(Susanne Jaffke [CDU/CSU]: Und für die Zu- plan vorlegt und gleichzeitig die Struktur seiner Truppe
stimmung zu künftigen Haushalten!) verbessert.
Ich komme dann wieder zum Thema. Wir werden na- Der Einzelplan, den wir heute beraten, zeigt deutlich:
türlich die noch zu behandelnden Punkte, zum Beispiel Was der Kollege Kahrs gerade als Erfolg der Transfor-
im Bereich Entwicklungshilfe, im Haushaltsausschuss mation geschildert hat, wurde nicht im zurückliegenden
diskutieren. Ich glaube, dass das wichtig ist. Das soll Jahr auf den Weg gebracht. Dieser Prozess ist eher trotz
keinen Gegensatz dokumentieren, sondern deutlich ma- des Ministers als wegen des Ministers in Gang gehalten
chen, dass wir hier ein Miteinander erreichen müssen. worden.
Die Haushälter für Verteidigung müssen mit den Haus-
hältern für Entwicklungshilfe von innen, aber auch von Wenn wir uns die Modernisierungsprojekte der
außen enger zusammenarbeiten, als wir das in der Ver- Bundeswehr im Bereich der Kooperation mit der Wirt-
gangenheit getan haben. Das Gleiche tun die Ministerien schaft anschauen, dann muss man sagen, dass inzwi-
inzwischen auf Staatssekretärsebene. Die PRTs stehen ja schen Sendepause herrscht. Wir hoffen, dass der Minis-
erst am Ende einer Veranstaltung. Der Anfang muss in ter nicht auch noch das Projekt Herkules erfolgreich
Deutschland stattfinden, dann, wenn man ein Konzept verhindert, wie dies bei den vorhergehenden Projekten
hat. Das würde ich für wichtig und zielführend halten. in diesem Bereich der Fall war. Wenn man sich die Frage
stellt, wie mit dem Haushalt umgegangen wird, dann
Ich glaube, dass wir alle gut daran täten, das in den stößt man auf viele Fehlinvestitionen und auch auf den
nächsten Wochen und Monaten gemeinsam anzugehen; einen oder anderen Versuch offensichtlicher Trickserei.
denn der Einsatz der Bundeswehr ist letztendlich nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zielführend, wenn er von allen betroffenen Ministerien
unterstützt wird. Dann ist es kein Einsatz allein der Bun- Wir haben in der Bereinigungssitzung des Haushalts-
deswehr. Dann ist es nicht nur das Ministerium für zivile ausschusses erfahren müssen, wie die Koalition an den
Zusammenarbeit oder für Entwicklungshilfe, das vor Ort Grundsätzen der Haushaltswahrheit und -klarheit vor-
tätig ist. bei zusätzliche Mittel für diesen Einzelplan mobilisiert.
6590 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Alexander Bonde
(A) Dies geschah im Rahmen einer Operation, die haushalts- lich sind. Das heißt, im Ergebnis schaffen Sie eine Fre- (C)
technisch kompliziert ist, die die Öffentlichkeit aber ein- gatte, die zwar im internationalen Verbund operieren
mal erfahren muss. Es gibt bei Materialverkäufen der soll, der aber wegen der Munition immer ein deutscher
Bundeswehr sichere Einnahmen in Höhe von mindestens Versorger hinterhergeschickt werden muss, weil die in-
40 Millionen Euro. Der Ansatz für diese Position wurde ternational standardisierte Munition auf dem Schiff nicht
auf Null gesetzt. So haben Sie die Möglichkeit geschaf- benutzt werden kann. Wir wissen, wer diese Gerätschaft
fen, dass unerwartete Einnahmen – dazu gehören die herstellt. Sie betreiben Politik für die deutsche Industrie.
Einnahmen aus den Materialverkäufen in Höhe von Sie rüsten die Bundeswehr systematisch nach nationalen
40 Millionen Euro – der Bundeswehr zugute kommen. Industrieinteressen aus und nicht aufgrund der Bedin-
Eine ähnliche Operation haben Sie an anderer Stelle gungen, die in internationalen Stabilisierungseinsätzen
durchgeführt. Auf diese Weise haben Sie den Bundes- bestehen. Jammern Sie hinterher nicht über die Betriebs-
wehretat um 100 Millionen Euro aufgestockt, ohne dass kosten! Diese Betriebskosten haben einen Namen, näm-
dies der Öffentlichkeit im Haushaltsplan ersichtlich lich Ihren, Herr Minister.
wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Minister, ich weiß, dass Sie eine Vorgeschichte
in diesen Dingen haben; siehe Hessen. Das sollte Sie Die Liste der Milliardengräber, die in diesem Haus-
aber nicht dazu verleiten, hinsichtlich des Verteidi- halt zu finden sind, lässt sich fortsetzen. Sie haben nicht
gungsetats die Rechte des Parlaments und die Grund- die Kraft, an die Überarbeitung der Beschaffungen zu
sätze der Haushaltswahrheit und -klarheit, auf deren Ein- gehen. Sie führen im Hinblick auf die Struktur der
haltung die Öffentlichkeit einen Anspruch hat, zu Truppe nur das aus, was Ihr Vorgänger beschlossen hat.
verletzen. Selbst da regiert eher die Bremse als das mutige Voran-
schreiten. Ich halte das für eine richtige Belastung der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundeswehr. Denken Sie in diesem Zusammenhang an
Mit diesem Einzelplan werden wichtige Strukturfra- die beschriebenen Herausforderungen, denen wir uns
gen hinsichtlich der Bundeswehr nicht berücksichtigt. alle stellen. Im Rahmen der Entscheidungen über Ein-
Sie legen uns in den nächsten Wochen – noch vor Weih- sätze sorgen wir alle sehr verantwortlich dafür, dass die
nachten – eine milliardenschwere Weihnachts- Bundeswehr die Aufgaben, die wir ihr übertragen, auch
wunschliste Ihres Hauses vor. Man kann den Eindruck tatsächlich leisten kann. Ihr Vorgehen schadet. Sie ver-
gewinnen, dass es weniger darum geht, die Struktur der folgen eine Politik, die mutlos keine Strukturfragen stellt
Bundeswehr zu verbessern, als darum, noch vorhande- und die Steuergelder nach Interessen anlegt, die nicht je-
nes Geld in Rüstungsaufträge zu stecken. Seien diese nen der Soldatinnen und Soldaten sowie der Bürgerinnen
(B) Aufträge in ihrer sicherheitspolitischen Wirkung auch und Bürger entsprechen. Hier werden vielmehr sach- (D)
noch so fragwürdig: Solange Sie sich industriepolitisch fremde Interessen eingeführt.
etwas davon versprechen, wird investiert. Insofern ist dieser Haushalt kein Beitrag zu einer kon-
Beim Zweitflugkörper IRIS-T für die Luftverteidi- sequenten Sicherheitspolitik. Er verfestigt vielmehr die
gung handelt es sich zum Beispiel um einen nationalen Strukturen, die das eigentliche Problem sind. Deshalb
Alleingang innerhalb eines internationalen Systems. Die können Sie, Herr Minister, nicht mit unserer Unterstüt-
Partnernationen greifen sich an den Kopf und fragen zung rechnen. Ich hoffe, dass Sie irgendwann einmal so
sich, weshalb Deutschland einen dreistelligen Millionen- weit sind, diese Probleme tatsächlich zu erkennen. Sie
betrag für ein veraltetes Konzept ausgibt und dadurch haben sich im letzten Jahr ja nicht gerade als Star dieser
ein internationales Projekt komplizierter macht. Sie ge- Regierung profiliert. Die Rolle des Reformers in dieser
hen nationale Sonderwege, während hier immer das Ho- Koalition ist immer noch offen. Vielleicht werden Sie
helied der internationalen Kooperation und der Interope- doch noch ein Heeresreformer. Genug zu tun gäbe es.
rabilität gesungen wird. Das passt vorne und hinten nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zusammen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Die gleiche Situation erleben wir überall dort, wo die Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,
geplanten Beschaffungen heute darüber entscheiden, wie Dr. Franz Josef Jung.
morgen die Betriebskosten aussehen. Die Koalition hat
dargestellt, wie dramatisch die Betriebskosten bei der Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-
Bundeswehr ansteigen und wie wichtig es ist, sie in den gung:
Griff zu bekommen. Aber gleichzeitig stoßen wir bei je- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
der neuen Investition darauf, dass neue Strukturen ge- Herren! Mit diesem Haushalt, den wir im Rahmen dieser
schaffen werden, die unnötige Betriebskosten nach sich Debatte verabschieden wollen, und dem Finanzplan ist
ziehen. eine tragfähige und gute Grundlage geschaffen worden,
den Anpassungs- und Modernisierungsprozess der Bun-
Ich will auch dafür ein Beispiel nennen. Sie wollen
deswehr voranzutreiben.
die Fregatte F 125 beschaffen. Bei der Bewaffnung set-
zen Sie auf Landgerät, auf Elemente der Frau Kollegin Hoff, lassen Sie mich gleich zu Anfang
Panzerhaubitze 2000 und des Raketenwerfers MLRS, sagen: Wir tragen die Verantwortung dafür, dass wir un-
die mit Kalibern operieren, die in der Schifffahrt unüb- seren Soldatinnen und Soldaten, die sich in riskanten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6591
Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
(A) Auslandseinsätzen befinden, eine optimale Ausbildung Das Haushaltsvolumen steigt zum ersten Mal seit Jah- (C)
gewähren und eine optimale Ausrüstung mitgeben. Das ren um rund 500 Millionen Euro, sodass wir in der Lage
ist der Sachverhalt; das machen wir auch so. Die Situa- sind, auf die neuen Herausforderungen finanziell zu rea-
tion, die Sie geschildert haben, entspricht nicht der Rea- gieren. Die Herausforderungen der Bundeswehr sind
lität. Unsere Soldaten haben im Einsatz die Ausrüstung, enorm. Bevor wir die Regierungsverantwortung über-
die sie im Hinblick auf einen optimalen Schutz brau- nommen haben, hätte niemand in diesem Haus gedacht,
chen. dass wir innerhalb dieses Jahres einen europäischen Ein-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) satz im Kongo und einen UN-Einsatz im Libanon be-
werkstelligen müssen. Diese Einsätze waren in den
Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, den Mit- Haushaltsberatungen nicht vorgesehen. Deshalb, Herr
gliedern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bun- Kollege Bonde, hat der Haushalt nichts mit Trickserei zu
destages herzlich zu danken, allen voran den Berichter- tun. Ich bin dem Finanzminister und den Mitgliedern des
stattern der Regierungskoalition, dem Kollegen Kahrs, Haushaltsausschusses sehr dankbar, dass sie eine Lösung
Frau Kollegin Jaffke und dem Kollegen Kalb, die den gefunden haben, um die Einsätze, die nicht eingeplant
Haushalt unterstützen. Die Beratungen sind kompetent waren, finanziell abzusichern, ohne die Substanz des
durchgeführt worden. Zudem will ich den Kollegen Einzelplans 14 zu belasten. Das ist wichtig und richtig;
Koppelin und die Frau Kollegin Lötzsch erwähnen. Herr denn wenn unvorhergesehene Zusatzkosten entstehen,
Kollege Bonde, im Gegensatz zu Ihrem Beitrag hier war muss deren Finanzierung sichergestellt werden.
Ihr Vorgehen im Ausschuss von anderer Qualität.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Ich will in diesem Zusammenhang einen zweiten Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Punkt ansprechen. Es ist besonders wichtig, dass wir mit NEN]: Dann weisen Sie das offen aus! Ma-
diesem Haushalt die Chance haben, einige Akzente im chen Sie keine Geheimoperationen!)
Hinblick auf die soziale Entwicklung in der Struktur der
Bundeswehr zu setzen; denn ich glaube schon, dass wir Die finanziellen Rahmenbedingungen für die Bundes-
von unseren Soldatinnen und Soldaten viel verlangen. wehr werden in Zukunft eng bleiben. Ich glaube aber,
Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen angesprochen, dass wir mit diesem Haushalt den richtigen Weg be-
welche Auswirkungen die Einsparungen in Höhe von schritten haben. Ich will es noch einmal unterstreichen:
1 Milliarde Euro im öffentlichen Dienst beispielsweise Wir passen die Ausrüstung und Ausstattung den Ein-
auch auf die Soldaten haben. Angesichts dieser Einspa- satzerfordernissen an. Die Zuspitzung der Situation in
rungen finde ich es gut, dass wir in diesem Haushalt die Afghanistan war natürlich eine besondere Herausforde-
Möglichkeit haben, Planstellenverbesserungen durchzu- rung. Wir können jetzt nur noch in geschützten Fahrzeu-
führen, beispielsweise rund 3 400 zusätzliche Beförde- gen fahren. Inzwischen gibt es Fahrzeuge in ausreichen- (D)
(B) rungsmöglichkeiten für Unteroffiziere und 750 für Mann-
der Zahl vor Ort, sodass die Sicherheit der Soldatinnen
schaften. und Soldaten gewährleistet ist. Es ist wichtig, dass wir
Ich finde es auch gut, dass das Bundeskabinett ent- die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere Solda-
schieden hat, eine Einmalzahlung für die Jahre 2005, tinnen und Soldaten eine optimale Ausrüstung besitzen,
2006 und 2007 in Höhe von 300 Euro zu gewährleisten, um ihren Auftrag in gefährlichen Situationen zu erfüllen.
sodass für die soziale Perspektive der Soldatinnen und Wenn man Bilanz zieht, kann man in aller Gelassen-
Soldaten ein positiver Akzent gesetzt wird. Ich erachte heit feststellen: Der Einsatz im Kongo ist mit einer zeit-
es als notwendig und wichtig, den Soldatinnen und Sol- lich klaren Perspektive – dankenswerterweise hat der
daten Möglichkeiten der Beförderung und der sozialen Kollege Kahrs das unterstrichen; auch ich weiß, was vor
Absicherung zu eröffnen. Schließlich erwarten wir große
diesem Einsatz alles gesagt worden ist – verantwor-
Leistungen von ihnen.
tungsvoll und optimal durchgeführt worden. Wir haben
(Beifall des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/ in der Zeit vom 20. bis 22. August einen Bürgerkrieg im
CSU]) Kongo verhindert und ich hoffe und wünsche, dass die
Lage so stabil bleibt, dass wir am 30. November fristge-
Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen. recht unseren Auftrag als abgeschlossen ansehen kön-
Ich denke, die Struktur und die Tendenz des Verteidi- nen.
gungshaushalts stimmen. Im Gegensatz zu dem, was hier
gerade vom Kollegen Bonde vorgetragen wurde, redu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
zieren wir die Betriebskosten in erheblichem Umfang, neten der SPD)
während wir gleichzeitig die Ausgaben für Investitionen
steigern. Die entsprechenden Zahlen haben wir mit dem Der Einsatz im Kongo war für uns nicht ganz einfach,
Haushalt vorgelegt. Ich sage hier in aller Ruhe und Ge- weil es die erste Operation war, die die Europäische
lassenheit: Die Anstrengungen, die jetzt unternommen Union in dieser Art und Weise in Afrika umgesetzt hat.
werden, um die Zahl der zivilen Bediensteten von rund Es gab auch bezüglich des Libanonmandats Diskus-
110 000 auf 75 000 im Jahr 2010 zu reduzieren, sind
sionen mit den Vereinten Nationen, bis die Rules of En-
enorm. Diesen großen Beitrag, den die Bundeswehr leis-
gagement so klar waren, wie wir sie gebraucht haben.
tet, sollte man entsprechend würdigen. Aufgrund der
Tatsache, dass die Betriebskosten gesenkt werden, wer- Wir haben jetzt ein klares, effektives Mandat, dem der
den Steigerungen im Bereich der Investitionen möglich. Deutsche Bundestag zugestimmt hat. Dieses effektive
Mandat wird in guter Kooperation mit der libanesischen
(Beifall bei der CDU/CSU) Marine umgesetzt: Es wird Seesicherheit hergestellt,
6592 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung


(A) Waffenschmuggel unterbunden und es werden somit die wiederholen. Man muss auch einmal sehen, dass im (C)
Voraussetzungen für die Umsetzung der UN-Resolution Rahmen dieser Auslandseinsätze bereits 64 Soldatinnen
geschaffen. Ich finde, auch diese Mission, die die Bun- und Soldaten ihr Leben verloren haben. Es ist nicht so,
deswehr dort leistet, ist eine erfolgreiche Mission. als wären die Soldaten der Bundesrepublik Deutschland
nicht auch in riskanten Situationen engagiert. Deshalb
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
halte ich es für völlig falsch, wenn hier der eine oder an-
Natürlich kann man, wenn wir über Bosnien-Herze- dere versucht, den Finger zu erheben und eine falsche
gowina diskutieren, nicht von Überforderung sprechen; Diskussion zu führen. Unsere Soldatinnen und Soldaten
das hat auch niemand getan. Die Wahrheit ist, dass wir leisten ihren Einsatz verantwortlich, leistungsfähig und
gesagt hatten, dass wir vor den Wahlen keine falschen gut; im Rahmen dieser Einsätze – das habe ich immer
Akzente setzen wollen. Die Wahlen sind am 1. Oktober wieder festgestellt – mehren sie das Ansehen der Bun-
durchgeführt worden. Wir haben dort eine stabile, eine desrepublik Deutschland. Deshalb bin ich dankbar für
friedliche Entwicklung, die uns jetzt – zu Recht, wie ich das Engagement, das unsere Soldaten dort leisten.
finde – in die Lage versetzt, einen Stufenplan im Hin-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
blick auf eine Exit-Strategie zu diskutieren und mög-
FDP)
lichst noch im Dezember zu verabschieden. Wenn wir ei-
nen Auftrag wahrnehmen, dann müssen wir ihn auch Zu dieser Erfolgsbilanz gehört natürlich auch, dass es
entsprechend erfüllen und eine Planung für den Über- dieser großen Koalition nach zwölf Jahren gelungen ist,
gang in zivile Sicherheitsstrukturen entwickeln, den wir dass ein Weißbuch zur Standortbestimmung, zur Sicher-
stufenweise vollziehen. Nur so können wir einen Auf- heitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und zur Zu-
trag erfolgreich beenden. Deshalb ist es richtig, wenn kunftsperspektive der Bundeswehr im Bundeskabinett
wir diese erste Stufe jetzt im Hinblick auf Bosnien-Her- verabschiedet wurde. Überall, wo ich hinkomme, werde
zegowina in Angriff nehmen. ich – auch und gerade von unseren europäischen und un-
seren NATO-Partnern – für dieses Weißbuch gelobt. Ich
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
finde, wir haben ein Konzept auf den Tisch gelegt und
Dasselbe gilt für den Kosovo. Ich hoffe und wünsche, im Bundeskabinett verabschiedet, das sich sehen lassen
dass sich die Lage dort so stabilisiert – auch nach den kann. Das lasse ich mir von dem einen oder anderen aus
Statusverhandlungen –, dass der Prozess mit einer euro- der Opposition nicht zerreden. Das ist ein gutes Werk,
päischen Perspektive friedlich und stabil fortgesetzt wer- das zur Erfolgsbilanz dieser Bundesregierung gehört.
den kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum neten der SPD)
(B) Thema Afghanistan machen. Heute ist von der Bundes- (D)
Ich will darauf hinweisen, dass wir mit dem Einsatz
kanzlerin bereits zu Recht auf die Gesamtsituation in Af- der Bundeswehr natürlich auch den Schutz Deutsch-
ghanistan hingewiesen worden. Ich will es noch einmal lands gewährleisten. Das geht in den Debatten über
unterstreichen: Ich bin der felsenfesten Überzeugung, Auslandseinsätze oft unter. Die Bundeswehr hat in die-
dass wir die NATO-geführte Operation in Afghanistan sem Jahr zahlreiche Beiträge zum Schutz Deutschlands
nur erfolgreich fortführen und zu Ende führen können, geleistet: Vom Einsatz bei der Schneekatastrophe in
wenn wir eine Strategie der zivil-militärischen Zusam- Bayern über den Einsatz bei der Vogelgrippe auf Rügen
menarbeit für Gesamtafghanistan umsetzen, womit wir und den Hochwasserschutz an der Elbe bis hin zu den
im Norden begonnen haben und damit auch erfolgreich einzelnen Maßnahmen zur Sicherstellung der Fußball-
sind. Wir haben dort bereits mehr als 520 Projekte in weltmeisterschaft; bei jedem Spiel waren 2 000 Solda-
Angriff genommen: von der Wasserversorgung über tinnen und Soldaten im Einsatz und 5 000 in Reserve.
Schulen und Krankenhäuser bis hin zur Infrastruktur. Ich
glaube, wir werden die Probleme in Afghanistan nicht (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-
lösen, indem wir immer nur nach mehr Militär rufen. Eckardt)
Wir werden die Operation in Afghanistan nur dann zu ei-
Das ist ein wichtiger Punkt, den man in einer solchen
nem Erfolg führen, wenn wir die Herzen der Menschen
Debatte nicht vergessen darf.
gewinnen und den Wiederaufbau in einem sicheren Um-
feld vorantreiben. Das muss aus meiner Sicht das Kon- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
zept für den NATO-Gipfel in Riga sein; darüber müssen
Ich denke, dass wir den Prozess der Transformation
wir diskutieren.
der Bundeswehr auf Grundlage dieses Haushaltes fort-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) setzen können. Wir richten alles darauf aus, diesen Pro-
zess zu einem positiven Ergebnis zu führen.
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hin-
weisen, dass wir der zweitstärkste Truppensteller in Wir verlangen von unseren Soldaten und zivilen Mit-
NATO-geführten Operationen sind. Deutschland leistet arbeitern viel. Sie leisten, wie ich finde, Hervorragendes.
seinen Beitrag im Hinblick auf internationale Friedens- Deshalb haben sie unseren Dank und unseren Rückhalt
missionen. Ich war schon etwas betroffen, als ich die verdient. Der Einsatz lohnt sich; denn es geht um nicht
eine oder andere Behauptung gehört und gelesen habe, weniger als um die Sicherheit Deutschlands. Es geht um
dass sich unsere Soldatinnen und Soldaten mehr mit an- einen friedensstiftenden Auftrag, den unsere Soldatinnen
deren Dingen beschäftigen würden als damit, Sicherheit und Soldaten im Interesse der Sicherheit unserer Bürge-
herzustellen; ich will das vor diesem Hohen Haus nicht rinnen und Bürger, im Interesse von Frieden und Freiheit
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6593
Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
(A) erfüllen. Deshalb bin ich für die Unterstützung dieser Ein Beispiel – Sie, Herr Minister, haben es angespro- (C)
Politik dankbar. Wir werden sie konsequent fortsetzen. chen – ist das Thema Kongo. Nach der Mandatsertei-
lung hat es hier keine große Rolle mehr gespielt. Ich
Besten Dank. muss sagen, dass ich über Ihre Intonierung gerade höchst
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) erstaunt war. Sie haben hier gesagt, sie hoffen, dass man
den Einsatz am 30. November dieses Jahres abschließen
kann. Bisher haben Sie nach draußen immer deutlich ge-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sagt, dass der Einsatz dann abgeschlossen sein wird. Of-
Das Wort für die FDP-Fraktion hat Birgit Homburger. fensichtlich merken Sie – auch aufgrund der Ausschrei-
(Beifall bei der FDP) tungen, die es gestern in der Demokratischen Republik
Kongo gegeben hat –, dass man die Situation dort mit-
nichten abschließend beurteilen kann, dass die kritische
Birgit Homburger (FDP):
Situation erst noch kommt, und zwar dann, wenn das
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! endgültige Wahlergebnis bekannt gegeben wird.
Herr Minister, ich möchte zunächst einmal einige Be-
merkungen zu dem machen, was Sie zur Ausstattung Ich sage sehr deutlich: Es ist nicht gut, dass wir nach
der Bundeswehr gesagt haben. Sie haben großen Wert wie vor kein Konzept für eine politische Stabilisierung
darauf gelegt zu betonen, dass Sie alles tun, um die Bun- der Demokratischen Republik Kongo nach den Wahlen
deswehr, um die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, haben. Es ist ein Versäumnis aller EUFOR-Staaten, aber
gut und richtig auszustatten. Sie haben meine Kollegin auch ein Versäumnis der Bundesregierung, hier nicht die
Hoff angesprochen, die zuvor ein Zitat gebracht hat, in Initiative ergriffen zu haben. Das ist uns zu wenig. Ich
dem das Wort „unmoralisch“ vorkam. Ich kann Ihnen denke, dass die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz,
nur dringend empfehlen, in Ihrer eigenen Fraktion über aber auch das Parlament und die Steuerzahler dieser Re-
dieses Zitat zu sprechen. Dieses Wort wurde nicht von publik Anspruch darauf haben, dass solche Einsätze sau-
der Kollegin Hoff in den Raum gestellt. Sie hat vielmehr ber vorbereitet und vor allen Dingen so durchgeführt
einen Abgeordneten aus Ihrer Fraktion zitiert, Herr Mi- werden, dass sie den erwünschten Effekt erzielen.
nister.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der FDP)
Herr Minister, es war ein Jahr der Mauschelei, der
Wir sprechen hier über ein Jahr Koalition aus CDU/ Geheimniskrämerei und der durchgestochenen Doku-
CSU und SPD. Die Verteidigungspolitik war in diesem mente, beispielsweise im Zusammenhang mit dem
Jahr von zusätzlichen Auslandseinsätzen geprägt. Das Weißbuch. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass das, was
(B) ist natürlich haushaltsrelevant, und zwar vor allem des- Sie in Bezug auf die Einstufung von Dokumenten (D)
halb, weil Sie in diesem Jahr keine zusätzlichen Mittel machen, nicht in Ordnung ist. Beispielsweise mit dem
erhalten haben, sondern vieles aus dem bestehenden Protokoll zwischen der UNO und dem Libanon, den so
Einzelplan 14 heraus erwirtschaftet werden musste. So genannten „Minutes“. Es ist in Deutschland unter
viel zum Thema Haushaltsklarheit und Haushaltswahr- VS-Vertraulich eingestuft. Abgeordnete des Deutschen
heit. Das ist – der Kollege Bonde hat das schon ange- Bundestages müssen in eine Geheimschutzstelle gehen,
sprochen – eine Art und Weise, die nicht länger akzep- um es einzusehen, während es in Pressekreisen frei kur-
tiert werden darf. Deswegen hat die FDP entsprechende siert und im Übrigen von der UNO nicht so eingestuft
Anträge gestellt. ist, Herr Minister.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]) Das ist eine Geheimniskrämerei, die der Sache nicht ge-
recht wird.
Bei den Auslandseinsätzen mussten wir feststellen,
dass die lange gültige „Kultur der Zurückhaltung“ für Auch den Einsatz im Rahmen des ISAF-Mandates au-
die Bundesregierung keine große Bedeutung mehr hat. ßerhalb des Kerngebiets haben Sie erst zugegeben, als es
Vielfach handelte es sich eher um eine Militärangebots- eine öffentliche Diskussion darüber gab. Dasselbe pas-
politik. sierte im Zusammenhang mit den KSK-Einsätzen. Sie
tun sich keinen Gefallen damit und erweisen mit diesem
(Zurufe von der SPD: Oh!) Verhalten der Geheimniskrämerei der Bundeswehr einen
Bärendienst. Etwas mehr Transparenz und Information,
Ich denke zum Beispiel an den Einsatz im Kongo oder Herr Minister, würde manche Diskussion entschärfen
an die frühe Festlegung auf den Einsatz im Nahen Osten. und der Situation im Parlament gut tun.
Dazu kann ich nur sagen: Das kann kein Ersatz für poli-
tische Initiativen sein. Ich sage sehr deutlich: Wer Solda- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
tinnen und Soldaten in einen Einsatz schickt, der hat der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
auch und vor allen Dingen die Verantwortung, politische GRÜNEN)
Initiativen zur Stabilisierung der Region zu ergreifen.
Das habe ich bei der Bundesregierung ziemlich durch- Ich möchte als Letztes das Thema aufgreifen, das
gängig vermisst. auch Sie erwähnt haben und das sich seit heute Morgen
neun Uhr durch alle Debatten zieht. Die Bundes-
(Beifall bei der FDP) kanzlerin, Ihr Kollege Außenminister und auch die
6594 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Birgit Homburger
(A) Fraktionsvorsitzenden haben sich zum Thema Afghanis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
tan und die immer wieder an Deutschland herangetrage- der CDU/CSU)
nen Forderungen geäußert, dass wir stärker in den Süden
Afghanistans gehen müssten. Ich bin Ihnen dankbar, Im Mittelpunkt meiner Ausführungen steht das
dass Sie hier sehr deutlich gemacht haben, dass das nicht Thema Afghanistan. Die Situation in Afghanistan ist in
infrage kommt. Ich bin Ihnen auch dankbar, dass Sie hier aller Munde. Wir alle – viele Kolleginnen und Kollegen,
sehr deutlich dargestellt haben, welche Leistungen aber auch ich selbst – stehen noch unter dem Eindruck
Deutschland bringt. der Debatten, die wir auf der NATO-Parlamentarierver-
sammlung in Québec erlebt haben. Die Diskussionen
Die ganze Debatte des heutigen Tages ist Ausdruck wurden vonseiten der Bündnispartner zum Teil sehr
einer weiteren verpassten Chance, in die Offensive zu emotional geführt. Das ist auch nachvollziehbar; das
gehen. Ich erwarte, dass unseren Partnern in der NATO möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Aber
vor dem NATO-Gipfel deutlich gesagt wird, dass auch bei diesen Diskussionen darf es nicht um Stimmungen
andere Fehler gemacht haben und dass wir über diese und Emotionen gehen. Im Vordergrund muss eine ehrli-
Fehler sprechen müssen. Wenn wir nicht zu einem ge- che und klare Analyse stehen. Wir dürfen in unseren An-
meinsamen Konzept kommen, dann droht der ganze Ein- strengungen nicht nachlassen.
satz zu scheitern. Deshalb sage ich sehr deutlich, dass es
notwendig ist, offen hierüber zu sprechen. Der Deutsche (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Bundestag hat sowohl das Mandat der ISAF als auch das der CDU/CSU)
der Operation „Enduring Freedom“ um ein Jahr verlän- Es gilt der Satz von Tom Koenigs, dass die NATO in
gert. Afghanistan nicht verlieren darf. Gegenseitige Schuld-
zuweisungen innerhalb des Bündnisses helfen überhaupt
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht weiter. Frau Homburger, ich würde mich an dieser
Frau Homburger, Sie müssen bitte zum Ende Ihrer Stelle sehr zurückhalten und gegenseitige Vorwürfe ver-
Rede kommen. meiden. Denn das freut nur den Gegner, den wir be-
kämpfen wollen, es gefährdet den Einsatz und es verun-
Birgit Homburger (FDP): sichert die demokratischen Kräfte in Afghanistan.
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Herr Minister, in diesem Jahr müssen Fortschritte er-
reicht werden, sonst wird es schwer, Argumente zu fin- Herr Minister, in diesem Zusammenhang fühle ich
(B) den, warum man dort weiter bleiben soll. Wir erwarten mich sehr stark an unseren Besuch in Afghanistan vom (D)
Initiativen und klare Worte. Unser Angebot lautet, dass Sommer dieses Jahres und an unsere dortige Pressekon-
wir Sie gerne dabei unterstützen. Wir wünschen Ihnen ferenz erinnert. Die meistgestellte Frage der afghani-
für den NATO-Gipfel viel Erfolg, damit den verpassten schen Journalisten war die nach unserer Beständigkeit
Chancen, die es in diesem Jahr gab, nicht noch eine wei- und Zuverlässigkeit im Hinblick auf diesen Einsatz. Das
tere verpasste Chance mit Blick auf Afghanistan hinzu- hat natürlich etwas mit der Situation im Land zu tun.
gefügt wird. Deshalb würde ich dringend davon abraten, eine Diskus-
(Beifall bei der FDP – Rainer Arnold [SPD]: sion über Schuldzuweisungen zu führen. Schließlich
Weltmacht FDP!) wollen wir den gemeinsamen Erfolg.
Mein nächster Punkt. Die Diskussion über die natio-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nalen Vorbehalte, die so genannten Caviats, ist aus mei-
Ursula Mogg spricht für die SPD-Fraktion. ner Sicht absolut nicht zielführend. Alle Staaten haben,
wenn es um die Beteiligung an Einsätzen geht, nationale
Vorbehalte. Das war immer so und daran wird sich auch
Ursula Mogg (SPD):
nichts ändern. Zudem hat die Bundesrepublik Deutsch-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und land ihre Vorbehalte im Laufe der diversen Einsätze wei-
Kollegen! Die Redner haben allseits darauf hingewiesen, terentwickelt und ihre Anzahl reduziert. Es ist also all-
dass die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, die seits bekannt, dass deutsche Kräfte auch im Süden
Verteidigungspolitiker ein sehr arbeitsreiches Jahr hinter Afghanistans zum Einsatz kommen können und dort
sich haben. Es sieht auch nicht so aus, als würden wir im auch schon zum Einsatz gekommen sind.
nächsten Jahr weniger Arbeit bekommen, sondern eher
mehr. An dieser Stelle möchte ich Ihren Vorwurf, Frau Viel wichtiger ist es unserer Meinung nach, eine Dis-
Homburger, wir würden vonseiten der Bundesregierung kussion über das Gesamtbild der Lage in Afghanistan zu
eine Angebotspolitik hinsichtlich des Einsatzes der Bun- führen. Alles andere hätte nämlich eine Militarisierung
deswehr machen, ausdrücklich zurückweisen. Sie wissen dieser Debatte, des Konflikts und vor allen Dingen unse-
genau, dass es Ende des letzten Jahres eine Anfrage aus res Denkens und damit zwangsläufig Legendenbildung
New York in Richtung Brüssel gegeben hat, und Sie ken- zur Folge. Das wird im Übrigen auch von militärischer
nen die Situation, in der wir waren, als wir über den Seite so beurteilt. So traf Walter Laqueur die Feststel-
Libanoneinsatz diskutiert und entschieden haben. Von lung, dass Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist.
Angebotspolitik kann in diesem Zusammenhang mit Si- Ich frage mich: Wie ist Afghanistan dann zu gewinnen?
cherheit keine Rede sein. Gewinnen kann man dort ganz sicher nur, wenn man die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6595
Ursula Mogg
(A) Ansätze verfolgt, die auch in dieser Debatte schon dar- leicht so etwas wie ein deutsches Exportprodukt für in- (C)
gestellt wurden. ternationale Einsätze werden könnte. Wenn man ver-
folgt, was heute in der Presse über die Vorbereitung des
Aufgrund der Aufarbeitung der Märzunruhen im
NATO-Gipfels zu lesen ist, stellt man fest: Da geht es
Kosovo wissen wir, dass die Diskussion über nationale
um die Schaffung von Sicherheitszonen und um die Bil-
Vorbehalte nicht weiterführt. Im Mittelpunkt muss die
dung zusätzlicher PRTs. Es gibt im Bündnis allerdings
Diskussion über das Gesamtbild der Situation stehen. Im
unterschiedliche Denkweisen, wie die Debatte in
Rahmen der Debatte, die in Québec über den spannen-
Québec gezeigt hat; das sollten wir zur Kenntnis neh-
den Ausdruck „to remove“ geführt wurde, ist vernach-
men.
lässigt worden, dass der dort vorgelegte Antrag zu Af-
ghanistan viele wichtige Punkte enthielt, in denen die Nun stehen wir wenige Wochen vor der EU-Ratsprä-
Versammlung absolut einer Meinung war. sidentschaft der Bundesrepublik Deutschland. Wir hat-
ten die EU-Ratspräsidentschaft schon einmal in einer au-
In diesem Antrag heißt es: Es geht darum, eine Politik
ßen- und sicherheitspolitisch sehr schwierigen Situation
zu entwickeln, die den Reformprozess in Afghanistan
inne, nämlich 1999; ich erinnere an den Gipfel in Köln.
beschleunigt und die Probleme der Unterentwicklung
Wir haben damals den Stabilitätspakt entwickelt. Diesen
und der Korruption angeht. – Diese Aussage kann man
Stabilitätspakt haben wir sozusagen als Blaupause ge-
nur nachdrücklich unterstreichen. Es geht darum – auch
nommen und daraus für Afghanistan den Petersbergpro-
das wissen wir alle –, die Herzen und den Verstand der
zess entwickelt.
Bevölkerung in Afghanistan zu gewinnen. Deutsche Sol-
datinnen und Soldaten leisten dazu in ihrem Einsatz ei- An dieser Stelle ein paar kurze Anmerkungen zum
nen wichtigen Beitrag. Sie pflegen unter schwierigsten Balkan, zu Südosteuropa: Es sollte nicht unerwähnt
Bedingungen eine Kultur des Friedens und grenzen sich bleiben, dass wir einiges erreicht haben. Aber es gibt
dadurch von einer Kultur des Krieges ab. noch viel zu tun. Der Bosnieneinsatz stand im Interesse
der Öffentlichkeit. Wir sind eine weite Strecke gegan-
Auf dem NATO-Gipfel in Riga, der in der kommen-
gen. Ich denke, dass wir Verteidigungspolitiker auch den
den Woche stattfindet, erwarten wir eine lebhafte De-
Weg, den wir noch zu gehen haben, verantwortungsvoll
batte zum Thema Afghanistan. Wir dürfen sehr zuver-
gehen werden. Wir wissen, an manchen Stellen sind eher
sichtlich sein, dass am Ende und als Ergebnis dieser
Polizeieinsätze gefragt. Aber es gibt auch für die Bun-
Diskussion ein fortentwickeltes Afghanistankonzept des
deswehr, für die militärischen Kräfte noch einiges zu
Bündnisses vorliegen wird. Sein Schwerpunkt – das ist
leisten.
klar – muss die Verbesserung der Gewährleistung der Si-
cherheit in Afghanistan sein. Darüber hinaus muss eine Die Verhandlungen über den Status des Kosovo be-
(B) Antwort auf die Kritik der Afghanen selbst gegeben wer- finden sich in einer sehr spannenden, aber nach wie vor (D)
den, nach der die Allianz dem militärischen Bereich zu sehr schwierigen Phase; das haben wir schon in der De-
großes Gewicht beimesse. Es geht nicht nur um Militär- batte über den Etat des Auswärtigen Amtes gehört. Es ist
präsenz, zitiert die „Frankfurter Rundschau“ heute die uns bewusst, dass wir, wie auch immer diese Statusver-
neue afghanische Botschafterin. Sie lobt – das sollte er- handlungen ausgehen, dort noch lange militärisch prä-
wähnt werden – den deutschen Beitrag sehr. sent sein werden; das gehört zur Wahrheit.
Im Afghanistankonzept 2003 der Bundesregierung Schließlich ein kurzes Fazit zum Kongoeinsatz, den
wurde festgestellt, wir in diesem Jahr beschlossen und durchgeführt haben:
Wirkliche Überraschungen haben wir nicht erleben müs-
dass der Petersberger Prozess die Gefahr zahlrei- sen, weder politisch noch militärisch. Der Einsatz läuft
cher Rückschläge in sich birgt und der Überprüfung planmäßig und wir werden ihn auch planmäßig abschlie-
und Anpassung bedarf. ßen können. Frau Homburger, Sie haben die Berichte
Genau darüber unterhalten wir uns im Moment, genau über die gestrigen Angriffe erwähnt. Es ist wichtig, sich
das werden wir tun. Das Ziel bleibt klar: Es geht um eine zu vergegenwärtigen, dass MONUC in den vergangenen
sich selbst tragende demokratische Entwicklung in Af- Monaten eine herausragende Rolle gespielt hat.
ghanistan. Um diese zu erreichen, braucht die Staatenge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
meinschaft einen langen Atem – auch das sollte nicht un- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Birgit
erwähnt bleiben – und die Unterstützung unserer bzw. Homburger [FDP]: Ich habe heute mit der Bot-
der jeweiligen Bevölkerung. Das ist im Übrigen unsere schafterin telefoniert!)
Aufgabe als Abgeordnete: immer wieder neu dafür zu
werben, worüber wir da zu entscheiden haben und was Das ist eine positive Erfahrung.
wir da tun wollen.
Im Rahmen der Debatten über den Einsatz im Kongo
Ich habe dem Kollegen Kahrs bei seinen Ausführun- haben wir zum ersten Mal auch intensiv über die deut-
gen zu seinem Herzensanliegen – der Vernetzung der schen Interessen diskutiert.
verschiedenen Aufgabenbereiche – genau zugehört. Er
(Elke Hoff [FDP]: Da war ich aber nicht da-
hat auf den Afghanistanbericht hingewiesen und sehr
bei! – Birgit Homburger [FDP]: Was sind denn
viel Gutes und Kluges dazu gesagt. Ich will hier einen
die deutschen Interessen im Kongo?)
Gedanken hinzufügen: Wir haben eine Taskforce
„Afghanistan“ auf den Weg gebracht. Das ist ein erster Der Minister hat auf das Weißbuch hingewiesen. Aus
Schritt hin zu einem ganzheitlichen Ansatz, der viel- meiner Sicht war die dann folgende Debatte über die
6596 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Ursula Mogg
(A) Interessen im Libanon ein Rückschritt in diesen Diskus- allein für die territoriale Verteidigung zuständig war, (C)
sionen. Darin können wir also noch besser werden. wurde die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee
umgewandelt, die überall auf der Welt einsetzbar ist.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Doch diese neue aggressive Politik entspricht nicht dem
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Willen der Bevölkerung.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
Ursula Mogg (SPD): CDU/CSU: Was?)
Ja, ich weiß, ich bin auch so gut wie fertig. – Bezüg- Selbst das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundes-
lich des Kongo wollen wir noch einmal genauer auf das wehr kam zu dem Ergebnis:
Battlegroup-Concept schauen. Das gehört sicher auch
zur Evaluierung eines solchen Einsatzes. Immer mehr Bundesbürger sind der Ansicht,
Deutschland sollte sich aus den Krisen und Kon-
Last, not least, will ich natürlich nicht versäumen, flikten anderer Länder möglichst heraushalten und
mich bei allen zu bedanken, die in diesem Jahr gemein- sich stärker auf die Bewältigung der Probleme im
sam dafür gestanden haben, dass die deutsche Außen- eigenen Land konzentrieren.
und Sicherheitspolitik erfolgreich sein konnte, nämlich
bei den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, bei den (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Kolleginnen und Kollegen im Verteidigungsausschuss – – NEN]: Heiliger Sankt Florian, verschon’ mein
Haus, zünd’ andere an!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hier zeigt sich wieder einmal: Die große Koalition re-
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. giert gegen die Mehrheit der Bevölkerung.
Vielleicht bedanken Sie sich einfach kollektiv bei allen. Es ist ein Hohn, die Auslandseinsätze als Export von
Demokratie und Menschenrechten zu verkaufen. Die ge-
Ursula Mogg (SPD): planten Ausgaben für Entwicklungshilfe betragen gerade
Einen Satz erlauben Sie mir bitte noch. einmal 17 Prozent des Wehretats, wobei nur ein kleiner
Teil davon tatsächlich für die Armutsbekämpfung da ist.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Aus-
sage ab, dass unter bestimmten Bedingungen Krieg nötig
Nein.
sei, um Gerechtigkeit durchzusetzen. Die Herstellung
von Gerechtigkeit und die Förderung von Demokratie
Ursula Mogg (SPD): sind politische Aufgaben. Verantwortung kann man
(B) Weihnachten 2005 haben wir nicht gewusst, dass wir nicht mit Waffen übernehmen. (D)
in den Kongo gehen. Vor den Sommerferien haben wir
nicht gewusst, dass wir in den Libanon gehen. Deshalb (Beifall bei der LINKEN)
freuen wir uns, dass die Bundeskanzlerin uns Verteidi- Mit einer anderen Wirtschaftspolitik und mit einer an-
gungspolitikerinnen und Verteidigungspolitikern in Aus- deren Umwelt- und Klimapolitik kann Deutschland dazu
sicht gestellt hat, dass wir mittelfristig mit mehr Geld beitragen, dass es nicht zu immer noch mehr Armut und
rechnen dürfen. Katastrophen auf dieser Welt kommt. Bundeswehrsolda-
ten können die Probleme in den Einsatzregionen nicht
Herzlichen Dank.
lösen. Früher oder später werden sie Teil des Problems.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: In einer Woche treffen sich in Riga die Repräsentan-
Das Wort für die Linke hat die Kollegin Inge Höger- ten der NATO-Mitgliedstaaten. Sie werden dort die so
Neuling. genannte NATO-Transformation fortsetzen. Unter der
Überschrift „Ausbau militärischer Fähigkeiten“ werden
(Beifall bei der LINKEN) sie weitere kostspielige Rüstungsprojekte beschließen.
Sie werden die Vereinbarungen für das milliarden-
Inge Höger-Neuling (DIE LINKE): schwere Raketenabwehrprogramm der NATO konkreti-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Längst sieren und sich darüber freuen, dass der Aufbau der
ist die Bundeswehr vorne mit dabei, wenn es um Militär- schnellen Eingreiftruppe der NATO nun abgeschlossen
einsätze und Kriege überall auf der Welt geht. Circa ist. Diese neue NATO-Truppe ist keine Friedenstruppe.
10 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind zurzeit Sie wird zum Kämpfen und zum Töten ausgebildet und
im Ausland im Einsatz. Auch wenn es manchen von Ih- ausgerüstet. Die NATO-Kampftruppen und die EU-
nen mit der Enttabuisierung des Militärischen offenbar Battlegroups sind Ausdruck einer aggressiven und rück-
sichtslosen Außenpolitik.
nicht schnell genug geht, ist sie bereits weit vorange-
schritten. Eben war ja schon von einem Exportschlager (Birgit Homburger [FDP]: Das ist doch Un-
die Rede. sinn!)
Die Vielzahl von Rüstungsprojekten, die durch diesen Deutschland stellt mit 6 700 Soldaten mehr als ein Vier-
Haushalt finanziert werden, ist allein deswegen nötig, tel der Soldaten in der NATO-Elitetruppe. Auch an den
weil sich die Ausrichtung der deutschen Verteidigungs- EU-Schlachttruppen ist die Bundeswehr maßgeblich be-
politik grundsätzlich verändert hat. Von einer Armee, die teiligt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6597
Inge Höger-Neuling
(A) Um es klar zu sagen: Es geht hier nicht mehr um ter- gen die Ost-West-Angleichung bereits im Jahr 2007 so- (C)
ritoriale Verteidigung im Sinne von Art. 115 a des wie die Auszahlung des Weihnachtsgelds in voller Höhe
Grundgesetzes. Weder die NATO- noch die EU-Spezial- für alle Soldatinnen und Soldaten.
einheiten üben für den Verteidigungsfall. Geübt werden
offensive Szenarien, also Angriffe. Solche globalen (Beifall bei der LINKEN)
Machtprojektionen verstoßen gegen das Grundgesetz. Sparen Sie sich die teuren Rüstungsprojekte und Aus-
Deshalb fordern wir den Ausstieg der Bundeswehr aus landseinsätze! Holen Sie die Soldatinnen und Soldaten
diesen Kampftruppen und beantragen die Streichung der nach Hause! Nehmen Sie endlich sinnvolle Konver-
Mittel für entsprechende Übungen. sionsprojekte in Angriff! Investieren Sie in den globalen
(Beifall bei der LINKEN) Kampf gegen Armut, in soziale Sicherheit und zivile Ar-
beitsplätze!
Viele NATO-Partner – allen voran die USA – fordern
zurzeit ein größeres Engagement Deutschlands in den Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Kampfeinsätzen im Süden Afghanistans. Sie rennen da- (Beifall bei der LINKEN)
bei eine Tür ein, die die Autoren des Weißbuches weit
aufgerissen haben. Das Weißbuch wünscht sich eine Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
„strikt einsatzorientierte Ausrichtung der Bundeswehr“.
Winfried Nachtwei hat das Wort für die Fraktion des
So genannte Stabilisierungseinsätze wie in Afghanistan
Bündnisses 90/Die Grünen.
sollen laut Weißbuch künftig häufiger durchgeführt wer-
den. Es muss sich also niemand wundern, wenn nun eine
stärkere Beteiligung eingefordert wird. Wer Soldaten in Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Krisenregionen schickt, in der Hoffnung, sich dort die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hände nicht schmutzig zu machen, ist ohnehin naiv. Zu- Ich möchte auf zwei Bereiche eingehen, und zwar ers-
dem zeigt sich auch, wie ernst Sie es mit der Parlaments- tens auf die Einsätze in Afghanistan und zweitens auf
armee meinen: Von geheimen KSK-Missionen erfahren unsere Fähigkeiten. Die Bundeskanzlerin hat heute Mor-
wir nur per Zufall. gen zur Frage des weiteren Afghanistaneinsatzes die
deutliche Position bezogen, dass es bei dem bisherigen
Die Linke fordert deswegen den Ausstieg aus den Engagement bleiben soll und muss und dass dieses
Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Engagement nicht erweitert wird. Das ist – das sage ich
(Beifall bei der LINKEN) ausdrücklich – die richtige Positionierung.
Wir lehnen auch die generelle Ausrichtung des Weißbu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
(B) ches ab. Es geht dabei in den meisten Fällen knallhart bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D)
um strategische Interessen. Der Zugang zu Rohstoffen, Auf der NATO-Parlamentarierversammlung vor einer
der Schutz von Handelswegen und die Energiesicherheit Woche – das haben die Kollegin Mogg und andere be-
sind für uns keine Interessen, für die wir Soldaten in den reits angesprochen – haben wir als deutsche Parlamenta-
Krieg schicken. rier zu spüren bekommen, welche Stimmung sich inzwi-
Die NATO trägt durch ihre Militärpolitik mit dazu schen in dieser Frage aufgebaut hat. Ich glaube, in
bei, dass Völkerrecht durch Faustrecht ersetzt wird. Die diesem Zusammenhang muss etwas klargestellt werden:
offensive deutsche Militärpolitik stützt sich allerdings Gerade diejenigen, die am lautesten waren und geäußert
nicht allein auf die NATO; auch die Sicherheitspolitik haben, die einen seien Tee- und Biertrinker und die an-
der Europäischen Union wird maßgeblich von Deutsch- deren riskierten ihr Leben, haben zu denen gehört – ich
land aus mitgeprägt und mitfinanziert. habe das im Internet überprüft –, die den Irakkrieg deut-
lich mit unterstützt haben und damit Mitverantwortung
Ein erweiterter Sicherheitsbegriff bedeutet für uns dafür tragen, dass der Stabilisierungsprozess in Afgha-
nicht, das Deutschland am Hindukusch verteidigt wer- nistan erheblich zurückgeworfen worden ist. Das ist der
den soll und kann. Sicherheit ist für uns zuerst und vor Hintergrund.
allem soziale Sicherheit. Wer deutsche Soldaten in im-
mer neue Kriege schickt, der muss sich auch überlegen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
wen er dorthin schickt. Immer mehr junge Menschen ge-
Allerdings ist der ISAF-Einsatz – das wurde schon
hen zur Bundeswehr, weil sie sonst kaum eine Möglich-
mehrfach richtigerweise festgestellt – unter „anders
keit sehen, Ausbildung und Arbeit zu finden.
schwierigen“ Bedingungen ein ausgesprochen kluger
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) und relativ wirksamer Einsatz einschließlich des Um-
gangs mit den auch dort vorhandenen Risiken und Be-
Wer vor der Bundeswehr arbeitslos war, entscheidet sich drohungen. Die Obleute, die vor kurzem dort waren, ha-
auffallend häufig für eine längere Verpflichtungszeit. Es ben selber erlebt, dass es immer wieder zu Überfällen
sind deswegen besonders häufig Jugendliche aus Ost- beispielsweise mit Panzerfäusten kommt. Man kann nur
deutschland – aus Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit –, von Glück sagen, dass die dort nicht so gut zielen; aber
die sich länger verpflichten. Besonders bitter ist dabei, riskant ist es trotzdem.
dass diejenigen, die aufgrund fehlender Alternativen zur
Bundeswehr kamen, dort nochmals benachteiligt wer- Falsch ist auf jeden Fall die Fixierung auf die Erwar-
den. Die Anpassung des Ostsoldes auf das Westniveau tung, dass die Probleme in Afghanistan vor allem mit zu-
wurde auf 2009 verschoben. Die Linke beantragt deswe- nehmend mehr Soldaten zu lösen seien. Es sei daran
6598 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Winfried Nachtwei
(A) erinnert, dass die Sowjets am Ende 120 000 Soldaten in bereits gute Ansätze: Zentrum für Internationale Frie- (C)
Afghanistan stehen hatten und trotzdem verloren haben. denseinsätze, Bundesakademie für Sicherheitspolitik so-
Es kommt also vor allem auf andere, politische Haupt- wie das UNO-Ausbildungszentrum der Bundeswehr.
aufgaben an. Ich nenne einige. Diese Ansätze müssen ausgebaut werden. Kollege
Kahrs, Sie haben schon angesprochen, dass es wahrhaf-
Erstens. Die akute Hungerkrise vor allem im Süden tig nicht nur um Auslandseinsätze, sondern um Krisen-
Afghanistans muss schnell überwunden werden. engagements geht; das ist das Entscheidende. Daher
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) muss von Anfang an eine entsprechende Planung und
Organisation vorhanden sein. Es reicht nicht, wenn man
Zweitens. Es muss eine Wende bei der Drogenbekämp- sich erst mit der Zeit zusammenrauft!
fung geben. Sie muss einheitlich erfolgen und langfristig
angelegt sein. Hier herrscht zurzeit ein ziemliches Drittens schließlich – das ist ganz entscheidend – be-
Durcheinander in der Realität. Drittens. Beim Aufbau darf es ausgewogener Fähigkeiten in den verschiedenen
von Polizei und Justiz muss es einen Push geben. Beim Bereichen. Es darf nicht so sein, dass die Polizei und die
Justizausbau sieht es bislang ziemlich mager aus. zivilen Experten dem Militär, das einen natürlichen
Startvorteil hat – dort gibt es natürlich eine schnelle per-
Schließlich muss es – darüber haben wir bereits vor sonelle, finanzielle und materielle Verfügbarkeit –, hin-
14 Tagen gesprochen; allerdings sind wir zu unter- terherhoppeln. Eine solche Verfügbarkeit erreicht man,
schiedlichen Ergebnissen gekommen – eine Kurskorrek- wie im militärischen Bereich, nur mit Planzielen: Was
tur bei der Antiterroroperation „Enduring Freedom“ und wollen wir im nächsten und im übernächsten Jahr haben,
– nicht unwichtig im Hinblick auf den NATO-Gipfel – was bis zum Jahr 2010 erreichen? Auf der EU-Ebene
eine Zusammenarbeit zwischen NATO und Europäischer gibt es das schon. Das ist von ganz entscheidender Be-
Union geben. Außenstehende können gar nicht glauben, deutung und eine Hausaufgabe für das AA, für das BMZ
dass solche wichtigen, sicherheitspolitisch relevanten In- und für das BMI.
stitutionen in der Realität eher aneinander vorbei arbei-
ten. Darüber hinaus muss die Ressourcenausstattung aus-
gewogener werden – auch hier sind die zivilen Bereiche
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) im Rückstand – und ist eine Transformation der sicher-
Hier muss angepackt werden und – das muss man deut- heitspolitischen Strukturen insgesamt notwendig. Das
lich sagen – muss die Bundesregierung einiges nachle- Kanzleramt ist aufseiten der Exekutive viel stärker ge-
gen. Selbstbewusstsein ist zwar richtig, aber zur Selbst- fordert; die Ressorts sind, wie wir seit Jahrzehnten wis-
beweihräucherung – diese Tendenz habe ich in der sen, mit der Einigung untereinander überfordert.
(B) heutigen Diskussion deutlich gespürt – haben wir keine Auch wir im Parlament müssen uns gehörig anstren- (D)
Veranlassung. Auch mit der richtigen Position – diese gen. Es fragt sich, ob sich diese Notwendigkeiten in ei-
hat die Bundeskanzlerin heute Morgen formuliert – wer- ner zureichenden Haushaltsausstattung niederschlagen.
den wir dem wachsenden Druck nur standhalten können,
wenn wir unsere Hausaufgaben nachholen und beim Po- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
lizeiaufbau quantitativ enorm nachlegen. Gute Qualität Jetzt gibt es die Notwendigkeit, dass Sie zum Ende
allein reicht auf keinen Fall. kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Afghanistan, der Balkan und Nahost sind schlagende
Dann überschlage ich das und sage den Kolleginnen
Beweise für die Notwendigkeit umfassender und vor-
und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss persönlich,
beugender Sicherheit. Herr Minister, Sie betonen seit
welche Chance bei der strukturellen Krisenvorbeugung
Monaten in diesem Zusammenhang den Begriff der ver-
vertan worden ist.
netzten Sicherheit. Das Gebot des Zusammenwirkens
bei Krisenbewältigung und Friedenskonsolidierung liegt Noch ein letzter Gedanke und damit komme ich zum
auf der Hand. Aber wie sieht es damit in der Wirklich- Schluss: Aus den Auslandseinsätzen mussten wir lernen,
keit aus? Die Wirklichkeit steht in sehr großem Gegen- dass wir Zeit und Geduld brauchen. In Afghanistan er-
satz zu dem, was alle für selbstverständlich halten. Was fahren wir aber zugleich, dass in der Vergangenheit
ist hier zu tun, damit man weiterkommt? schon viel Zeit verloren wurde und die Zeit jetzt drängt.
Es ist höchste Zeit!
Erstens. Es muss Klarheit darüber geschaffen werden,
was Militär, Polizei, Diplomaten und zivile Experten je-
weils am besten leisten können, wenn es um bestimmte Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bedrohungen, Risiken und Chancen geht. Mit dem Das stimmt. Die Zeit drängt und Sie müssen wirklich
Weißbuch ist die Chance vertan worden, hier Klarheit zu zum Schluss kommen.
schaffen. (Heiterkeit)
Zweitens. Insgesamt ist – entschuldigen Sie den um-
ständlichen Begriff; aber mir ist noch kein besserer ein- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
gefallen – ein fähigkeiten- und ressortübergreifender Das langsame Lernen, das wir uns hier im Inland an-
Ansatz notwendig. Wir sollten als Erstes mit der Ausbil- gewöhnt haben, können wir uns bei solchen Auslands-
dung der entsprechenden Kräfte beginnen. Wir haben einsätzen nicht mehr erlauben. Wir brauchen nicht nur
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6599
Winfried Nachtwei
(A) einen langen Atem, sondern inzwischen auch eine kon- Aber auch wenn das finanzielle Korsett weiterhin eng (C)
struktive Ungeduld. bleibt, sind mit dem vorliegenden Regierungsentwurf
die Weichen dennoch richtig gestellt. Der investive An-
Danke schön. teil steigt, die Eindämmung der Ausgaben für Material-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erhaltung und Instandsetzung hilft, die Preissteigerungen
im kommenden Jahr zumindest abfedern zu können.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Erreichen dieser Etappenziele ist insbesondere
Das war jetzt eine echte Probe für meine konstruktive vor dem Hintergrund der Einsatzrealität der Bundeswehr
Ungeduld. wichtig und richtig. Es kommt letztendlich darauf an,
dass wir eine Bundeswehr haben, die im gesamten denk-
Das Wort hat der Kollege Bernd Siebert von der baren Einsatzspektrum als verlässliches Instrument un-
CDU/CSU-Fraktion. serer Sicherheits- und Außenpolitik agieren kann. Dazu
benötigen wir eine ausgewogene Ausstattung aller Kräf-
(Beifall bei der CDU/CSU) tekategorien.
Gerade in Afghanistan haben wir in den letzten Mo-
Bernd Siebert (CDU/CSU):
naten gesehen, wie schnell sich die Lage verschlechtern
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kann, wie rasch eine relativ kalkulierbare Stabilisie-
Zuallererst möchte ich mich bedanken, aber nicht des- rungsoperation eskalieren kann und wie ebenso schnell
wegen, weil es üblich ist, sondern weil es mir ein ganz die Ausrüstung unserer Soldaten und Soldatinnen ange-
besonderes Anliegen ist. Ich möchte mich bei allen Sol- passt werden muss. Franz Josef Jung und sein Ministe-
datinnen und Soldaten und bei allen zivilen Mitarbeite- rium haben diese Herausforderungen bewältigt. Es ist
rinnen und Mitarbeitern bedanken, die unter zum Teil jetzt sichergestellt, dass alle Soldatinnen und Soldaten
gefährlichen Umständen ihre Aufgabe im Einsatz erfül- ihren Einsatz unter Schutz erfüllen können.
len und damit auch das Ansehen unseres Landes, unserer
Heimat international erhöht haben. Vor dem Hintergrund der weiterhin knappen Mittel
wird es auch zukünftig nicht immer möglich sein, schnell
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mit dem nötigen Material zu reagieren. Deshalb ist mir
neten der SPD) an dieser Stelle der Hinweis auf das neue Weißbuch be-
sonders wichtig. Im Weißbuch wird darauf hingewiesen,
Ich denke, es ist nicht nur eine Pflicht, sondern muss ein
dass für die Verwendung der begrenzten finanziellen
inneres Bedürfnis sein, diesen Dank zu formulieren. Wir
Ressourcen künftig bei Beschaffungen alternative Fi-
(B) dürfen dabei nicht vergessen, dass dieser Dank auch den nanzierungsmöglichkeiten geprüft werden sollen. Ich (D)
Soldatinnen und Soldaten gebührt, die in der Heimat ih-
bin dankbar, dass Minister Jung hier einen wirklich zu-
ren Kameraden den Rücken frei halten und durch die Er-
kunftsweisenden Ansatz aufgezeigt hat, und sage meine
füllung ihrer Aufgaben zum Schutz der Heimat beitra-
uneingeschränkte Unterstützung bei der Ausgestaltung
gen.
dieser Idee zu. Vielleicht gelingt es uns auch durch die-
Gerade weil die Entwicklung im Einzelplan 14 unmit- sen innovativen Ansatz, die langjährige Praxis des Schie-
telbare Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Solda- bens und Streckens zu durchbrechen und die aufgetürmte
tinnen und Soldaten im Einsatz hat, müssen wir den Ver- Bugwelle der Ausrüstungsdefizite in der Bundeswehr
teidigungshaushalt mit besonderer Sorgfalt prüfen und wenigstens in Teilen schnell schrumpfen zu lassen.
gestalten. Die Soldatinnen und Soldaten und ihre Fami- An dieser Stelle möchte ich auf den Kollegen Bonde
lien haben ein Anrecht darauf, dass sie die Politik mit kurz eingehen, der sich vorhin kritisch mit unserer Be-
dem bestmöglichen Material zu ihrem Schutz ausstattet. waffnung auseinander gesetzt hat. Ja, es geht bei der
Diese Verpflichtung und besondere Verantwortung hat Entscheidung über Investitionen auch darum, die Kern-
jeder Einzelne von uns übernommen, zumindest aber fähigkeit unserer wehrtechnischen Industrie zu erhalten.
die, die den Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt ha- Es geht uns bei diesen Entscheidungen auch um Arbeits-
ben. plätze in unserem Land, lieber Herr Kollege Bonde.
Mit dem Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2007 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
stehen der Bundeswehr insgesamt 28,4 Milliarden Euro
zur Verfügung. Wenn man von der Erhöhung die zukünf- Ein weiteres nicht zu vernachlässigendes Problem im
tigen Leistungen für Pensionen abzieht, bleiben dem Verteidigungshaushalt stellt die Finanzierung der Ein-
Verteidigungsminister leider nur zusätzliche 500 Millio- sätze dar. Neue Einsätze wie zum Beispiel im Kongo
nen Euro für das Jahr 2007 übrig. Das ist in Anbetracht und im Libanon können bei der Haushaltsaufstellung
unserer Aufgaben sicherlich nicht zu viel und nicht zu nicht vorausgesehen werden. Da die Haushaltsmittel
großzügig. Diese Entwicklung im Einzelplan 14 liegt schnell benötigt werden, wird der Einzelplan 14 auch zu-
zwar auf der Finanzlinie des 40. Finanzplanes. Wenn künftig in Vorleistung treten müssen. Um jedoch den
man aber die Herausforderungen betrachtet, denen sich Spielraum des Verteidigungsministers nicht noch weiter
die Bundeswehr gegenübersieht, kann die finanzielle einzuschränken, muss aus meiner Sicht der Einzel-
Ausstattung nur als knapp ausreichend bezeichnet wer- plan 14 grundsätzlich von den Kosten der Einsätze ent-
den. Ein „Weiter so!“ wird der Auftragslage der Bundes- bunden werden. Schließlich liegt der Einsatz der Bun-
wehr zukünftig nicht mehr gerecht werden. deswehr im Gesamtinteresse unseres Staates und damit
6600 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Bernd Siebert
(A) in der Verantwortung der gesamten Bundesregierung. Herzlichen Dank und Glückauf! (C)
Darum habe ich auch mit Freude zur Kenntnis genom-
men, dass mit dem Finanzminister eine einvernehmliche (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Regelung zur Finanzierung des Libanoneinsatzes getrof-
fen werden konnte. Auch hier wurden die Weichen rich- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
tig gestellt. Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Stinner,
FDP-Fraktion.
Ich bin deshalb davon überzeugt, dass mit dem vorlie-
genden Haushaltsentwurf der Bundesregierung der rich- (Beifall bei der FDP)
tige Weg hin zu einer soliden Finanzierung der Bundes-
wehr eingeschlagen wurde. Konzeptionell ist die Dr. Rainer Stinner (FDP):
Finanzierung des Verteidigungshaushaltes stimmig. We-
sentlich bleibt die Anpassung der Finanzlinie an die An- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
forderungen der Bundeswehr. Dies sollte vor dem Hin- legen! Ohne jeden Zweifel: Vor der NATO-Sitzung in
tergrund der erfreulichen positiven Konsolidierung des Riga befinden wir uns in der Defensive. Mit „wir“ meine
Bundeshaushaltes in naher Zukunft sicherlich auch mög- ich sowohl uns Abgeordnete – das haben wir letzte Wo-
lich sein. Entsprechende Hinweise gibt es jedenfalls. che bei der NATO-Parlamentarierversammlung in Qué-
bec deutlich gemerkt –, aber auch die Bundesregierung.
Die alternative Finanzierung kann dort, wo es sinn- Ich frage mich und Sie alle, auch Sie, Herr Kolbow: Wie
voll ist, ebenfalls zur Entlastung des Einzelplans 14 bei- kommt es eigentlich, dass wir Deutsche in der NATO in
tragen. Bei gleichzeitiger Entlastung von den Kosten der der Defensive stehen, obwohl wir unseren Beitrag insge-
Einsätze ergibt sich jedenfalls der finanzielle Spielraum, samt als gewichtig, richtig und wertvoll ansehen?
der notwendig ist, damit wir unsere Aufgaben in Zukunft
vollständig erfüllen können. Der aufgezeigte Dreiklang Wenn man diese Frage beantworten will, dann muss
schafft eine solide finanzielle Basis für den Erwerb von man natürlich, Herr Minister Jung, auf Ihre Verantwor-
Ausrüstungen und damit für die Attraktivität der Bun- tung rekurrieren. Es ist in der Tat die Aufgabe der Bun-
deswehr als Arbeitgeber. desregierung, die Leistungen, die wir hier einvernehm-
lich erbringen – unter uns besteht eine große Einigkeit –,
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worte entsprechend zu vermarkten. Dazu kann ich nur sagen:
des Dankes vortragen. Ich danke unserem Minister Das Marketing der Bundesregierung innerhalb der
Franz Josef Jung, der die Bundeswehr in seinem ersten NATO scheint in den letzten Jahren offensichtlich ex-
Amtsjahr entscheidend vorangebracht hat. Mit dem be- trem schlecht gewesen zu sein.
reits erwähnten Weißbuch ist es endlich gelungen, der
(B) Transformation das notwendige, von der Bundesregie- Frau Präsidentin, der Abgeordnete Arnold möchte (D)
rung mitgetragene konzeptionelle Fundament zu geben. eine Zwischenfrage stellen, die ich sehr gerne beant-
Gleichzeitig hat der Minister durch die Einsätze im worte.
Kongo und im Libanon dazu beigetragen, das sicher-
heitspolitische Profil Deutschlands weiter zu schärfen (Heiterkeit bei der FDP)
und der Stimme Deutschlands in der internationalen Ge-
meinschaft ein angemessenes Gewicht zu verleihen. Für Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
das vergangene Jahr möchte ich ihm meine Anerken- Wenn Sie das gerne möchten, dann bitte schön.
nung aussprechen. Ich wünsche mir, dass er auch die zu-
künftige Arbeit mit Mut und Fortune gestaltet. Dr. Rainer Stinner (FDP):
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ja, eine Frage des Kollegen Arnold beantworte ich
immer sehr gerne.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vielleicht hängt das mit Ihrer Redezeit zusammen.
Bernd Siebert (CDU/CSU):
Herr Arnold, bitte.
Letzte Bemerkung, Frau Präsidentin. – Ich möchte
von diesem Pult nicht gehen, ohne die gute Zusammen-
arbeit zu erwähnen, die es zwischen der Arbeitsgruppe Rainer Arnold (SPD):
Sicherheitsfragen der SPD-Fraktion und der Arbeits- Herr Kollege Dr. Stinner, ich bin der Meinung, dass
gruppe Verteidigung der CDU/CSU-Fraktion gibt. wir überhaupt keinen Grund haben, uns in der Defensive
zu fühlen. Könnte die Wahrnehmung mancher Personen,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
dass wir in der Defensive sind, etwas damit zu tun ha-
der SPD)
ben, dass gerade Sie auf der Parlamentarierversammlung
Unsere gemeinsame gute Arbeit des letzten Jahres war der NATO den Zuruf eines britischen Kollegen, der für
die Basis dafür, dass wir eine erfolgreiche Sicherheits- die britische Regierung nicht unbedingt repräsentativ ist,
und Verteidigungspolitik organisieren konnten. Mein so nach Deutschland gemeldet haben, dass es in
ganz persönlicher Dank gilt meinem Kollegen Arnold Deutschland völlig missverständlich angekommen ist
als Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen und der britische Kollege sogar eine korrigierende Stel-
der SPD-Fraktion. lungnahme abgeben musste? Vielleicht sind Sie ein
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6601
Rainer Arnold
(A) Stück mitverantwortlich. Haben Sie darüber einmal Walter Kolbow (SPD): (C)
nachgedacht? Herr Kollege Stinner, wie beurteilen Sie die Tatsache,
dass weder der Generalsekretär der NATO, de Hoop
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Scheffer, bei seinem Vortrag vor der Deutschen Atlanti-
der CDU/CSU)
schen Gesellschaft während seines Besuches in der Bun-
desrepublik noch der Oberbefehlshaber der NATO im
Dr. Rainer Stinner (FDP): Rahmen der Veranstaltung „Impulse 21“ und abends
Lieber Kollege Arnold, ich bedanke mich für diese während seiner verdienstvollen Verabschiedung im
Zwischenfrage sehr herzlich. Glücklicherweise sind die Bendler-Block anlässlich des Zapfenstreichs Worte der
Verhandlungen in Québec aufgezeichnet worden. Ich Kritik an der politischen Position Deutschlands bezüg-
werde Ihnen in wenigen Minuten, lieber Herr Kollege lich des Einsatzes seiner Soldatinnen und Soldaten in
Arnold, das Videoband dieser langen Sitzung überspie- Afghanistan geäußert haben?
len lassen. Ich empfehle allen Kollegen, sich die Sitzung
von vorne bis hinten anzuschauen. Das ist sehr auf- Dr. Rainer Stinner (FDP):
schlussreich. Damit Sie, Herr Kollege Arnold, schneller
zu Potte kommen und sich schneller bei mir entschuldi- Herr Kollege Kolbow, das beurteile ich sehr positiv.
gen können, empfehle ich Ihnen, das Band auf Minute Ich begrüße es, dass der Generalsekretär der NATO dies-
48 vorlaufen zu lassen: Dort wird die Wortmeldung des bezüglich offensichtlich einen realistischen Blick auf die
ersten englischen Kollegen gezeigt. Außerdem empfehle Dinge hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass
ich Ihnen, das Band auf eine Stunde und zehn Minuten das, was in den letzten Tagen in der Presse zu lesen war,
vorlaufen zu lassen: Dort wird die Wortmeldung eines und zwar ohne Einflussnahme meinerseits – ich habe
weiteren englischen Kollegen gezeigt. Dazwischen ha- nun wirklich keinen Einfluss auf den englischen Pre-
ben einige andere englische Kollegen gesprochen, die et- mierminister oder die amerikanische Presse, jedenfalls
was Interessantes gesagt haben, zum Beispiel über nicht noch nicht –, die Aussage, dass wir uns in der Defensive
genannte deutsche Minister, die irgendwo mit Freundin- befinden, mehr als rechtfertigt. Das werden Sie, Herr
nen badeten. Kolbow, ja wohl nicht bestreiten wollen.

Spulen Sie also auf Minute 48 und auf eine Stunde (Rainer Arnold [SPD]: Stichwortgeber!)
zehn Minuten vor. Anschließend bitte ich Sie, Herr Kol- – Es ist nun wirklich nicht so, lieber Kollege Arnold,
lege Arnold, sich bei mir zu entschuldigen. Falls Sie dass ich das entsprechende Stichwort gegeben hätte.
dazu dann nicht bereit sein sollten, schlage ich vor, dass Dem ist nun wirklich nicht so. Ich könnte Ihnen noch
wir uns gemeinsam im Fernsehen vor der deutschen Öf- von ganz anderen Dingen berichten, die abends in Qué- (D)
(B) fentlichkeit anschauen, was dort gesagt worden ist. Ich
bec geäußert wurden.
bedanke mich ganz herzlich für Ihre Mithilfe.
Ich bedanke mich, dass Sie mir die Gelegenheit gege-
(Beifall bei der FDP – Rainer Arnold [SPD]: ben haben, die Fragen so ausführlich zu beantworten,
Die Briten haben es korrigiert!) und komme jetzt auf mein Thema zurück. Ich stellte fest,
– Ja, das werden wir sehen. Ich verweise auf Minute 48 dass wir uns in der Defensive befinden, und sagte, dass
des Bandes. Das können Sie sich alle besorgen und dann es Aufgabe der Bundesregierung ist, unsere Leistungen,
genau anschauen. über die ja Einvernehmen herrscht, zu vermarkten. Es
stellt sich in der Tat die Frage, warum die Bundeskanzle-
Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Arnold, und auch rin angesichts der Themen, die im Raum stehen, nicht
der Bundesregierung, sich außerdem die Stelle bei einer persönlich die Gelegenheit wahrgenommen hat, auf in-
Stunde 16 Minuten auf dem Band anzuschauen, wo der ternationaler Ebene, also nicht nur hier in Deutschland,
Kollege Koenders uns sehr intelligent begründet hat, deutlich zu machen, welche Leistungen wir erbringen.
weshalb die üblichen Bedingungen, die die Holländer Das wäre eigentlich angemessen gewesen. Wir sollten
für einen NATO-Einsatz stellen, uns als Caveats ausge- uns generell angewöhnen, über den deutschen Tellerrand
legt werden. Insofern befinden wir uns in der Defensive; hinauszuschauen und auf internationaler Ebene unsere
daran muss die Bundesregierung arbeiten. Ich bin Ihnen, Interessen besser zu vertreten, als das bisher der Fall
Herr Arnold, sehr dankbar, dass Sie diese Frage gestellt war.
haben. Wir werden darauf noch zurückkommen.
In Québec ging es hauptsächlich um zwei Themen.
Zum einen ging es darum, wer welche Verpflichtungen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: eingeht. Wir sind uns alle einig, dass wir uns da nichts
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen vorzuwerfen haben. Das muss aber auch sehr deutlich
Kolbow zulassen? gesagt werden. Zum anderen ging es darum, welche
nationalen Caveats es gibt. Es findet meines Erachtens
Dr. Rainer Stinner (FDP): eine unvertretbare Ausuferung bei der Verwendung des
Ja, ich würde sie sehr gerne zulassen. Begriffs „nationale Caveats“ statt. Bei nationalen
Caveats handelt es sich eigentlich um Einschränkungen
der Rules of Engagement. Wenn wir aber gewisse
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Grundbedingungen stellen, bevor wir unsere Soldaten in
Bitte schön, Herr Kollege Kolbow. den Einsatz schicken, werden diese uns als nationale
6602 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Rainer Stinner


(A) Caveats ausgelegt, während solch ein Vorgehen bei an- Dr. Rainer Stinner (FDP): (C)
deren Ländern als selbstverständlich erachtet wird. Ich will nur noch sagen: Wir müssen die Konzepte für
die Einsätze im Rahmen der NATO Response Force und
Ein weiterer Punkt ist, meine Damen und Herren, der EU Battle Groups angesichts der gegenwärtigen Dis-
dass die NATO entsprechend politischer werden muss. kussion überdenken. Es gibt viel Arbeit für die Bundes-
Wir alle wissen das und sagen das auch; die Kanzlerin regierung – vor dem Gipfel und auf dem Gipfel. Wir
hat es in München, aber auch hier gesagt. Die Frage ist würden uns wünschen, dass Sie die deutschen Interessen
natürlich, welche diesbezüglichen Initiativen die Bun- offensiver vertreten als bisher.
desregierung nach der Rede der Bundeskanzlerin in
München im Februar dieses Jahres ergriffen hat. Selbst Vielen Dank.
bei den NATO-Mitgliedstaaten gibt es ja – das haben wir (Beifall bei der FDP)
letzte Woche in Québec gemerkt – völlig unterschiedli-
che Auffassungen darüber, was die NATO sein soll. Par-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
lamentskollegen anderer Länder haben dort zum Bei-
spiel gesagt, sie sehen die NATO als eine im engeren Rolf Kramer spricht für die SPD-Fraktion.
Sinne militärische Organisation an. Alle Fraktionen hier
– die Linke will ich einmal ausnehmen – haben jedoch Rolf Kramer (SPD):
ein andere Auffassung davon, was die NATO sein soll. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Hier muss die Bundesregierung unsere Position offensi- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Siebert,
ver vertreten, auch gegenüber unserem Freund Frank- Sie haben am Ende Ihrer Rede auf die gute Zusammen-
reich, arbeit zwischen unseren beiden Fraktionen im Verteidi-
gungsausschuss hingewiesen. Auch ich möchte gleich zu
(Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜND- Beginn darauf hinweisen. Ich kann das bestätigen. Schon
NIS 90/DIE GRÜNEN]) in der Vergangenheit haben wir alle im Verteidigungs-
ausschuss sehr kollegial zusammengearbeitet. Dass sich
der sich ja beispielsweise weigert, in diesem Rahmen diese Zusammenarbeit im letzten Jahr noch verbessert
über Energiepolitik zu sprechen. Diese Meinungsunter- hat, wissen wir zu würdigen.
schiede müssen innerhalb der NATO ausgetragen wer-
den. Da müssen wir entsprechend unseren Beitrag leis- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundes-
ten. wehr befindet sich noch mitten in der Phase ihres größ-
ten Umbruchs in ihrer über 50-jährigen Geschichte. Der
Es gibt einen letzten Punkt, den ich hier ansprechen heute zu beratende Haushalt spiegelt diesen Umbruch
möchte. Wir müssen uns angesichts der Diskussion, die wider.
(B) wir jetzt haben, Konzepte für unsere internationale Be- (D)
teiligung, und zwar sowohl an der NATO Response Ich möchte in meinem Beitrag auf zwei Punkte zum
Force als auch an den EU-Battlegroups, überlegen. Jetzt Umbau der Bundeswehr besonders eingehen, zunächst
stellen Sie sich angesichts der momentanen Diskussion einmal auf die Frage der zukünftigen Einsatzbreite der
über Aufgabenverteilung im Bündnis einmal vor, dass Bundeswehr. Schon im Vorfeld der Vorlage des Weißbu-
ein neuer Auftrag kommt und nur holländische, engli- ches wurde wieder über einen Einsatz der Bundeswehr
sche oder norwegische Soldaten angefordert werden. im Innern diskutiert. Ich möchte für meine Fraktion be-
tonen, dass die im Weißbuch genannten Vorschläge sich
mit den Forderungen der SPD decken. Eine darüber hi-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nausgehende Regelung ist nach unserer Überzeugung
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. nicht notwendig und mit uns auch nicht umzusetzen.
Die Bundeswehr leistet schon seit Jahrzehnten einen
Dr. Rainer Stinner (FDP): deutlichen Beitrag zur inneren Sicherheit. Die Beispiele
Vielen Dank, Frau Präsidentin; aber Sie haben doch kennen wir alle, ob es das ICE-Unglück bei Eschede in
sicher die Zeit für die Beantwortung der Zwischenfragen Niedersachsen war, die Hochwassereinsätze oder Ein-
berücksichtigt. sätze bei Schneekatastrophen. Man könnte die Reihe der
Beispiele weiter fortsetzen. Das Grundgesetz erlaubt
derartige Unterstützungsleistungen bei schweren Un-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: glücksfällen und Naturkatastrophen. Auch die Absiche-
Die habe ich definitiv mehr als berücksichtigt. Sie rung beispielsweise einer Absturzstelle bei einem Flug-
sind dennoch jetzt über die Zeit. zeugunglück ist erlaubt. Für all diese Fälle ist eine
Änderung des Grundgesetzes nicht notwendig.
Dr. Rainer Stinner (FDP): Eine Modifizierung ist nach unserer festen Überzeu-
Das ist aber erstaunlich – ich meine, interessant. Vie- gung nur in einem engen Bereich der Luft- und See-
len Dank. sicherheit erforderlich, wenn die Mittel der Polizei nicht
ausreichen sollten. Das Bundesverfassungsgericht hat
deutlich gemacht, dass eine Ergänzung bzw. Klarstel-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lung notwendig ist. Hier besteht also Änderungsbedarf.
Sie müssen da vielleicht mit Ihrer Fraktion verhan- Wir sind im Rahmen des Art. 35 des Grundgesetzs dazu
deln. bereit.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6603
Rolf Kramer
(A) Darüber hinausgehende Einsätze der Bundeswehr im Ich möchte noch ein sehr ernstes Thema ansprechen. (C)
Innern, wie zum Beispiel zur Bewachung von zivilen Es geht um die Anschuldigungen des Bremer Bürgers
Einrichtungen, von Bahnhöfen oder Flugplätzen, wird es Herrn Kurnaz. Ich bin überzeugt, wir sind uns alle darin
mit meiner Fraktion nicht geben. Das sind Kernaufgaben einig, dass die jahrelange Inhaftierung in Guantanamo
der Polizei; sie ist dafür ausgebildet. Die Bundeswehr ist durch die USA eindeutig rechtswidrig war und zu verur-
keine Hilfspolizei. Wer zulasten der Bundeswehr die teilen ist.
Polizeikräfte auf Länderebene reduzieren will, um Kos-
ten zu sparen, benötigt eine grundlegende Änderung des (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Grundgesetzes und verändert damit auch das Gesicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
dieser Republik. Das ist mit uns nicht zu machen. Die Anschuldigungen, die Herr Kurnaz gegen deutsche
Soldaten wegen Vorkommnissen während seiner Haft in
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein zweiter Kandahar vorbringt, sind richtigerweise Gegenstand der
Punkt, den ich heute ansprechen möchte, ist die Perso- Untersuchungen des Verteidigungsausschusses. Nach
nalsituation bei der Bundeswehr. Wir haben als Bun- Abschluss der Untersuchung sind die entsprechenden
destag in den letzten 16 Jahren unseren Soldatinnen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber eines kann jetzt
Soldaten sowie den zivilen Mitarbeiterinnen und Mit- schon gesagt werden: Die Information über den Einsatz
arbeitern viel abverlangt, nicht nur bei den Einsätzen im der KSK muss in Zukunft wesentlich transparenter wer-
Ausland, sondern auch mit dem Umbau der Bundeswehr den.
und ihrer schrittweisen Anpassung an die neuen sicher-
heitspolitischen Aufgaben. (Beifall bei der LINKEN)
Der Haushaltsentwurf für 2007 geht insgesamt von Das verständliche Schutzbedürfnis für die Soldaten
einer Veranlagungsstärke von 249 500 Soldatinnen und und das selbstverständliche Informationsrecht des Parla-
Soldaten aus. Dabei ist für die Bereiche der Grundwehr- ments müssen und können in besserer Weise als bisher in
dienstleistenden und der freiwillig Wehrdienstleistenden Einklang gebracht werden. Auch die in den vergangenen
mit 55 000 und der Reservisten mit 2 500 die vorgege- Wochen bekannt gewordenen Fotos von deutschen Sol-
bene Zielstruktur für 2010 schon erreicht. Bei den Be- daten mit Gebeinen von Verstorbenen in Afghanistan
rufssoldatinnen und -soldaten sowie den Soldaten auf sind kein Ruhmesblatt für Deutschland – schon gar nicht
Zeit fehlen zurzeit noch 3 000 Planstellen an der Ziel- für die Bundeswehr. Damit wird der gute Ruf der fast
struktur von insgesamt etwa 195 000. Damit sind wir im 200 000 Soldatinnen und Soldaten, die bisher im Aus-
militärischen Bereich auf einem guten – ich möchte sa- landseinsatz waren, durch das Verhalten einiger weniger
gen: auf einem sehr guten – Weg. lädiert. Aber auch hier gilt der Grundsatz, dass alles bis
(B) ins Detail aufgeklärt werden muss. Die Bundeswehr hat (D)
Es ist schon angesprochen worden, dass die Situation ein geeignetes Instrumentarium, um Aufklärung zu leis-
bei den Unteroffizieren und bei den Mannschaftsdienst- ten. Die Wehrdienstordnung ist hier anzuwenden. Nach
graden, was die Besoldung angeht, sich gebessert hat. allem, was uns im Verteidigungsausschuss bekannt ge-
Wir von der Koalition hätten uns gewünscht, dass dieser worden ist, hat die Bundeswehr ihre Sache bisher sehr
Weg noch weiter hätte beschritten werden können. Wir gut gemacht.
haben auch entsprechende Anträge gestellt. Frau Jaffke,
eigentlich hat der Verteidigungsausschuss seine Arbeit (Beifall bei der SPD)
gemacht. Leider konnte der Haushaltsausschuss unseren Ich will ganz deutlich sagen, dass die Vorgesetzten
Vorschlägen nicht folgen. gerade auch während der Einsätze gefordert sind und für
ein korrektes Verhalten Sorge tragen müssen.
Auch auf der zivilen Seite erfolgt eine Reduzierung
des Personals. Hier beträgt die Zielzahl für das Jahr Erlauben Sie mir zum Abschluss noch einige Anmer-
2010 75 000. Im Haushaltsplanentwurf für 2007 sind kungen zu dem in der letzten Woche vorgelegten
noch 100 000 Stellen vorgesehen. Wir haben also noch Bericht des Bundesrechnungshofes. Die Bemerkungen
einen enormen Abbau bei den zivilen Stellen in Höhe zum Einzelplan 14 haben aus meiner Sicht deutlich ge-
von etwa 40 Prozent vor uns. Wir sind überzeugt, dass macht, dass es im Bereich des BMVg noch weiteres Op-
der existierende Tarifvertrag das geeignete Instrumenta- timierungspotenzial gibt, das ausgenutzt werden muss.
rium bietet, um diese Umgestaltung durchzuführen. Für Allerdings möchte ich hier aus Sicht der Verteidigungs-
Beamtinnen und Beamte sind dies die gesetzlichen Re- politiker davor warnen, das Allheilmittel in einer Privati-
gelungen zur Altersteilzeit. Wir sind auch hier auf einem sierung von Aufgaben zu sehen. Es ist richtig, dass sich
guten Weg, auch wenn wir sozusagen der militärischen die Bundeswehr auf ihre Kernaufgaben zu beschränken
Seite hinterherhinken. hat. Allerdings sind dabei die Organisationsabläufe bei
der Bundeswehr gerade vor dem Hintergrund einer ver-
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Angehöri- änderten und sich weiter verändernden Aufgabenstel-
gen der Bundeswehr bedanken, dass sie diesen Umstruk- lung zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund wer-
turierungsprozess trotz mancherlei Schwierigkeiten und den wir uns mit den Anmerkungen intensiv auseinander
nicht zu verschweigender Probleme mittragen und gleich- zu setzen haben.
zeitig die ihnen von der Politik übertragenen Aufgaben
aus meiner Sicht vorbildlich erfüllen. Mit dem Etat 2007 sind wir aus Sicht der Verteidi-
gungspolitik auf einem guten Weg. Die ursprünglich
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) vorgegebene Finanzplanlinie für den Einzelplan 14 wird
6604 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Rolf Kramer
(A) weiter verfolgt. Aus Sicht meiner Fraktion und aus Sicht Persönlich bin ich für die vielen kritischen Beiträge (C)
der Koalition bedeutet dies ein Stück Stetigkeit. Diese zur Außen- und Sicherheitspolitik sehr dankbar; denn
Linie muss sich allerdings auch in den kommenden Jah- nur dann, wenn es viele kritische Beiträge gibt, werden
ren fortsetzen, um den Umbau der Bundeswehr erfolg- mögliche Defizite offenkundig. Sie kennen meinen
reich abschließen zu können. Spruch: Wo alle dasselbe denken, wird zu wenig ge-
dacht. Ich darf also durchaus dazu auffordern – wir soll-
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ten uns nicht beschimpfen, wie das hier manchmal pas-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) siert –,
(Ute Kumpf [SPD]: Wir tun so etwas nicht! So
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: etwas Unanständiges tun wir nicht!)
Zum Schluss dieser Debatte hat der Kollege Hans jeden kritischen Beitrag als wichtig und wertvoll anzuse-
Raidel das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. hen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Hans Raidel (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Zum Abschluss: Ich meine, dass wir mit unserer ge-
Herren! Lassen Sie mich zum Schluss einige ganz we- meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der
nige Anmerkungen machen. Erstens. Mit dem Haushalt Verteidigungspolitik gut aufgestellt sind. Sie ist ein aus-
2007 sind wir auf dem richtigen Weg. Insgesamt haben gezeichnetes Aushängeschild, ein Markenzeichen und
wir eine aufsteigende Finanzlinie zu verzeichnen. Wenn eine tragende Säule für unser gemeinsames Handeln.
wir dafür sorgen, dass sich diese verstetigt, dann werden Unsere Bundeswehr ist ein Vertrauensfaktor in Bezug
wir die gemeinsamen Aufgaben in Bezug auf Ausbil- auf unsere Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit.
dung, Ausrüstung, Personal und Attraktivität der Bun- Zum Schluss darf ich den Angehörigen der Bundes-
deswehr entsprechend erfüllen können. Auch werden wehr – in Zivil, aber insbesondere auch in Uniform – für
wir die Fragen der Rüstungswirtschaft entsprechend ein- ihre Leistungen daheim, an der Heimatfront, und drau-
binden können. Die Nagelprobe insgesamt ist nicht der ßen, an den Brennpunkten in der Welt, herzlich danken.
Haushalt 2007. Die Nagelprobe kommt erst 2008. Dabei
müssen wir an unserer Zielsetzung festhalten. (Beifall bei der CDU/CSU)
Zweitens. Ich wünsche mir, dass wir im Ausschuss Wir wissen, was sie leisten. Insofern bitte ich herzlich
alle Fragen der Transformation neu zur Debatte stellen, um Zustimmung zum Verteidigungsetat 2007. Wir sind
(B) dass wir die Einzelfragen betrachten und zu neuen Per- gemeinsam auf dem richtigen Weg. (D)
spektiven kommen, indem wir feststellen: Wo stehen
wir? Wohin wollen wir? Wo sind Einzelfragen zu klä- Herzlichen Dank.
ren? Wo sind Schrauben neu zu justieren? Damit bekom- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
men wir wieder ein ausgewogenes Tableau im Hinblick neten der SPD)
auf die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr insgesamt. Wie
gesagt, die Ausgangsbasis ist gut. Ich glaube, dass wir
das in einer entsprechenden Perspektive gut leisten kön- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nen. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14,
Bundesministerium der Verteidigung, in der Ausschuss-
Das schließt alle Auslandseinsätze mit ein, insbeson- fassung. Hierzu liegen uns zwei Änderungsanträge vor,
dere den Einsatz in Afghanistan. Es stimmt, was hier in über die wir zuerst abstimmen.
etwa gesagt worden ist: Viele beteiligte Partner haben
eine eigene Sichtweise auf die Vereinbarungen. Auf dem Wer stimmt dem Änderungsantrag der FDP auf
Gipfel in Riga – es ist richtig, Herr Kollege Stinner, dies Drucksache 16/3489 zu? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
steht auf dem Tableau – muss über diese Fragen in aller haltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
Deutlichkeit, ganz objektiv und offen diskutiert werden, men der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke mit
um wieder zu gemeinsamen Befähigungen bei der Lö- den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.1)
sung dieser schwierigen Aufgaben zu kommen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, dass ein Die Linke auf Drucksache 16/3466? – Gegenstimmen? –
wesentliches Dokument das Weißbuch ist. Ich wünsche Enthaltungen? – Die Linke hat dafür gestimmt, die übri-
mir – sicherlich gemeinsam mit Ihnen –, dass wir im gen Abgeordneten haben dagegen gestimmt. Damit ist
Rahmen des Weißbuches über die Notwendigkeiten und auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.2)
die gemeinsamen deutschen Interessen in der Außen-
Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschuss-
und Sicherheitspolitik diskutieren und eine öffentliche
fassung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
Debatte darüber, wie Sie selbst formuliert haben, provo-
der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die
zieren und in Gang setzen. Denn wir brauchen sie als Le-
Stimmen der Opposition angenommen.
gitimation für unsere eigene Handlungsweise hier im
Parlament.
1) Anlage 4
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 2) Anlage 5
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6605
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) Ich rufe Tagesordnungspunkt I.11 auf: Wer ist das größte Nehmerland? Afghanistan? Pakis- (C)
tan? Nein, immer noch China! Ausgerechnet China, Frau
Einzelplan 23
Ministerin, das Land mit den größten Devisenreserven
Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
weltweit,
sammenarbeit und Entwicklung
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
– Drucksachen 16/3119, 16/3123 –
Mit den meisten Armen weltweit!)
Berichterstattung:
das selbst jährlich 1,5 Milliarden Euro an Entwicklungs-
Abgeordnete Alexander Bonde
hilfe zahlt, das einen generösen Schuldenerlass von
Jochen Borchert
10,5 Milliarden Euro für einzelne Länder, die ihm ener-
Iris Hoffmann (Wismar)
giepolitisch dienlich zu sein scheinen oder von denen es
Jürgen Koppelin
das hofft, beabsichtigt, wo die Küstenregionen boomen
Michael Leutert
und wo wir ein Wirtschaftswachstum beobachten kön-
Zum Einzelplan 23 liegt ein Entschließungsantrag der nen, von dem wir nur träumen können. Das ist doch ein
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den Land, das sich selbst helfen kann. Hier hätten wir mit
wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen deutlich verringerten Mitteln herangehen und zugunsten
werden. Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, für von Afghanistan und anderen Ländern am Hindukusch
diesen Einzelplan eine Debatte von einer Stunde vorzu- umschichten können.
sehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen. (Beifall bei der FDP)

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Nichts davon können wir hier feststellen. Wir haben
Hellmut Königshaus von der FDP-Fraktion das Wort. im Ausschuss beantragt, dass hier durch Umschichtung
zugunsten Afghanistans um 30 Millionen Euro aufge-
(Beifall bei der FDP) stockt wird. Das ist kommentarlos von der Mehrheit ab-
gelehnt worden, und zwar quer durch alle die, die hier
Hellmut Königshaus (FDP): heute große Reden zur zivilen Dimension in Afghanistan
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann gehalten haben. Sie haben diesen Antrag einfach kom-
unmittelbar an das, was wir gerade behandelt haben, an- mentarlos abgelehnt.
schließen: Afghanistan und den unbestritten erkennba-
ren Zusammenhang zwischen Sicherheit auf der einen (Jürgen Koppelin [FDP]: Unglaublich!)
und Entwicklung auf der anderen Seite. Sicherheit und Ziehen Sie doch endlich die Konsequenz aus dem, was
Entwicklung sind zwei Seiten einer Medaille. Gerade in Sie sagen, wenn Sie das alles ernst meinen. Herr Minis-
(B) unterentwickelten Ländern – Afghanistan gehört sicher (D)
ter, wenn Sie und die Kanzlerin in Riga einen Aufwuchs
dazu – ist es erforderlich, dass man militärische Inter- um knapp 5 Millionen Euro für Afghanistan groß ver-
ventionen mit zivilen Komponenten begleitet. künden und denken, das sei dann der große Beitrag und
Heute Morgen, aber auch schon am Volkstrauertag deswegen müssten wir militärisch nicht in die Pflicht ge-
hat die Bundeskanzlerin auf diesen Punkt ausdrücklich hen, dann werden Sie sich blamieren; das wird nicht
hingewiesen. Sie hat dabei angemahnt, dass der deutsche funktionieren. Die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin
Beitrag, den wir in Afghanistan leisten, nicht auf den mi- – das ist ganz eindeutig – reicht jedenfalls nicht bis an
litärischen Sektor begrenzt werden darf, sondern gerade den Schreibtisch der Entwicklungsministerin,
auch die entwicklungspolitische Komponente angemes- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sen gewürdigt werden muss. Damit hat sie natürlich völ- NEN]: Der steht ja auch in Bonn, Herr
lig Recht, und zwar aus den Gründen, die wir alle ken- Königshaus!)
nen. Wir Entwicklungspolitiker wissen das schon lange.
die in dieser Richtung ja auch nichts getan hat. Die
Aber, Frau Ministerin, wo findet sich in diesem Haus-
Kanzlerin hat die Erkenntnis, die Sie uns mitgeteilt hat,
halt diese Schwerpunktsetzung zugunsten Afghanistans
wieder? Sind die Worte der Kanzlerin einfach nur warme sicherlich nicht erst heute Morgen gewonnen.
Luft? Ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie, die Kanzle- (Beifall bei der FDP)
rin oder jemand anderes sagt: Endlich haben wir begrif-
fen, dass wir in Afghanistan mehr tun müssen; wir stel- Frau Ministerin, Sie sind ja gerade wegen Ihrer Un-
len den Haushalt um und stecken mehr Geld rein. Das ist beugsamkeit persönlich sehr sympathisch. Aber gerade
aber nicht der Fall. Stattdessen fand ich heute nach mei- in diesem Punkt wäre ein bisschen Flexibilität zugunsten
ner Rückkehr eine Presseerklärung von Ihnen, in der es der wirklich richtigen Auffassung der Kanzlerin ange-
heißt, was wir bisher leisteten, sei schon beträchtlich. messen gewesen. Stattdessen fließen die Mittel wieder
Das können Sie so sehen. Sie sehen hier aber einen wirk- unvermindert nach China und in die anderen Schwellen-
lich mickrigen Aufwuchs der Mittel für Afghanistan vor. länder; wir haben das schon besprochen. Davon müssen
Wenn ich die Höhe der Mittel mit denen für andere Neh- wir weg. Das ist doch keine vernünftige Schwerpunkt-
merländer vergleiche, erkenne ich: Es ist geradezu be- setzung, schon gar nicht vor dem Hintergrund dessen,
schämend, gerade im Hinblick auf den Anspruch, neben was wir hier heute Morgen gehört haben.
dem militärischen einen entwicklungspolitischen Ansatz
Der Haushalt wird wachsen, das ist wohl unvermeid-
zu verfolgen.
bar; denn Sie werden mit Ihrer fetten Mehrheit natürlich
(Beifall bei der FDP) alles, was wir hier beantragen, einfach niederdrücken.
6606 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Hellmut Königshaus
(A) Sie können das auch machen. Aber dieses Geld müsste Im Bereich der multilateralen Entwicklungszusam- (C)
dann wenigstens in die Richtung gelenkt werden, wo es menarbeit werden insbesondere die Beiträge an interna-
wirklich gebraucht wird, vor allem wenn Sie auch selbst tionale Organisationen angehoben. Die Titel, unter de-
Ansprüche erheben, dass Sie dort Schwerpunkte setzen. nen die Zahlungen an die Weltbank und die Vereinten
Dann tun Sie es doch endlich! Nationen, die Beiträge zu den Europäischen Entwick-
lungsfonds und Hilfen im Rahmen internationaler Ver-
Ich weiß, Sie hören das nicht gerne, aber ich will hier
einbarungen zum weltweiten Umweltschutz gefasst sind,
dennoch – ich habe das schon oft ausgeführt – auf die
wachsen zum Teil deutlich stärker auf als der Einzelplan
großen multilateralen Fonds verweisen. Wir haben
insgesamt. Diese zusätzlichen Mittel sind wichtig, damit
zwar auch gestern darüber gesprochen und haben ein
Deutschland sein erfolgreiches Streben nach mehr Ein-
bisschen mehr Klarheit geschaffen, haben aber nicht un-
fluss in den multilateralen Organisationen letztlich auch
sere Auffassung zu diesem Thema geändert. Ich will das
finanziell unterstreichen kann.
hier aber nicht weiter vertiefen, weil ich sonst mein Zeit-
budget überziehe. Ich will einfach nur darauf hinweisen: Im Titel „Beitrag an die Vereinten Nationen“ wurden
Auch dort gibt es noch erhebliches Potenzial zur Um- der Baransatz und der Ansatz bei den Verpflichtungser-
schichtung zugunsten dessen, was ich eben angespro- mächtigungen maßvoll abgesenkt. Das dient der Gegen-
chen habe. finanzierung von Erhöhungen bei verschiedenen Titeln
Im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit im bilateralen Bereich. Die verbleibenden Ansätze er-
und Entwicklung hatten wir keine echten Haushaltsbera- möglichen es der Bundesregierung dennoch, ihre Aktivi-
tungen, wenn ich das einmal so sagen darf. Vielmehr täten im Bereich der Vereinten Nationen auszubauen.
wurde einfach kommentarlos alles an Kürzungserwä- Der Baransatz steigt gegenüber dem Soll 2006 um rund
gungen – selbst, wenn sie von den eigenen Haushältern 16 Prozent, also etwa doppelt so stark wie das Pro-
kamen – abgetan. Stattdessen wurde einstimmig und grammkapitel des Einzelplans. Mit der beschlossenen
weitestgehend ohne große Diskussion jeder Erhöhungs- Verpflichtungsermächtigung wird es auch in den kom-
antrag einfach durchgewinkt. Meine Damen und Herren, menden Haushaltsjahren möglich sein, diesen Titel signi-
das ist nicht das, was wir unter einer wirksamen Haus- fikant zu steigern.
haltspolitik im Entwicklungsbereich verstehen. Mein Weil es eine Herzensangelegenheit von mir ist,
Kollege Addicks wird hierzu noch einiges weiter ausfüh- möchte ich besonders erwähnen, dass sich der Bund ab
ren. dem nächsten Jahr über den Titel „Beitrag an die Verein-
ten Nationen“ an der Finanzierung der GAVI Alliance
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: beteiligen wird. Die GAVI ist eine PPP-Initiative von In-
(B) Kommen Sie bitte zum Schluss. dustrie- und Entwicklungsländern, UNICEF, der WHO, (D)
der Weltbank, der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung, von
Hellmut Königshaus (FDP): Nichtregierungsorganisationen sowie von Impfstoffher-
Ich danke Ihnen, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld stellern aus Industrie- und Entwicklungsländern. GAVI
und Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerk- ist die international größte Allianz zur Kinderimmunisie-
samkeit. rung. Sie trägt maßgeblich zur Reduzierung der Kinder-
sterblichkeit bei. In den ersten fünf Jahren ihres Beste-
(Beifall bei der FDP) hens konnten durch GAVI weltweit weit mehr als
100 Millionen Kinder zusätzlich immunisiert und damit
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: vor potenziell tödlichen Krankheiten geschützt werden.
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Iris Dadurch hat die GAVI-Alliance Schätzungen zufolge al-
Hoffmann. lein bis Ende 2005 1,7 Millionen vorzeitige Todesfälle
verhindert. Ich unterstütze den nachhaltigen Ansatz der
Iris Hoffmann (Wismar) (SPD): GAVI und begrüße es sehr, dass die Zusage vom Gipfel
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! in Gleneagles umgesetzt wird.
Nach Abschluss der Beratungen zum Einzelplan Wirt- Im Bereich der institutionellen bilateralen Entwick-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gilt zu- lungszusammenarbeit sind die Baransätze für die tech-
nächst mein Dank allen Beteiligten: der Ministerin, dem nische und die finanzielle Zusammenarbeit erhöht wor-
Haus, unserem Koalitionspartner, aber auch den Kolle- den, was sowohl für die GTZ als auch für die KfW-
gen von der Opposition. Wir haben in der Sache teils Entwicklungsbank neue Handlungsspielräume eröffnet.
hart verhandelt, aber letztlich immer konstruktiv. Wichtiger als die Steigerung der Baransätze ist jedoch
Alle am Haushalt dieses Bundesministeriums Betei- die deutliche Steigerung bei den Verpflichtungsermäch-
ligten einte das gemeinsame Ziel, die deutsche Entwick- tigungen: bei der finanziellen Zusammenarbeit um
lungszusammenarbeit zu stärken und voranzubringen. 30 Prozent und bei der technischen Zusammenarbeit um
Das ist uns in diesem vorliegenden Haushaltsentwurf für 25 Prozent. Dadurch wird sichergestellt, dass beide Or-
2007 auch wieder gelungen. Mit einer Steigerung von ganisationen auch in den kommenden Jahren mit einem
weit über 300 Millionen Euro ist dieser Haushalt einer Mittelzuwachs rechnen können und so ihre Arbeit er-
der am stärksten aufwachsenden Einzelpläne im Bundes- folgreich fortsetzen können.
haushalt insgesamt.
Eine weitere wichtige Änderung im Bereich der fi-
(Beifall bei der SPD) nanziellen Zusammenarbeit ist die Verdoppelung der
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6607
Iris Hoffmann (Wismar)
(A) Plafonds für Treuhandmittel auf rund 50 Millionen So erhalten beispielsweise in Uganda und Sierra (C)
Euro. Treuhandmittel werden in der finanziellen Zusam- Leone Social-Marketing-Organisationen Kondome, die
menarbeit speziell für die Finanzierung von Vorhaben durch Mittel des Global Fonds beschafft werden. Dass
privater Träger in den Entwicklungsländern in dem be- diese Kondome aber auch effektiv verbreitet werden
sonders förderungswürdigen Bereich der Mikrofinanzie- können, ist das Verdienst der finanziellen Zusammenar-
rung eingesetzt. Gerade angesichts der vom Bund ins beit. Sie hat Gutscheinsysteme eingeführt und die
Leben gerufenen Mikrofinanzierungsinitiative für Sub- Durchführung von Informationskampagnen sowie das
Sahara-Afrika war diese Aufstockung der Mittel durch- begleitende Monitoring finanziert. Erst durch diese
aus sinnvoll. Sie erhöht den Gestaltungsspielraum in die- Kombination der Maßnahmen und das Zusammenwir-
sem Bereich enorm. ken mit der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
kommen sie richtig zum Tragen. Diese Synergien und
Bei aller gebotenen Konzentration auf die großen komparativen Vorteile von bi- und multilateralem Mitte-
multi- und bilateralen Organisationen dürfen die kleine- leinsatz bei der Aidsbekämpfung gilt es nun und auch in
ren Programme und die zivilgesellschaftliche Entwick- Zukunft zu stärken.
lungszusammenarbeit nicht vernachlässigt werden.
Darum möchte ich Ihren Blick hierauf lenken. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ja! So ist es!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend hätte
ich gerne noch einige grundlegende Ausführungen zu
Ein Schwerpunkt unserer parlamentarischen Beratungen den im Moment diskutierten Umstrukturierungen der
lag darauf, es auch diesen Organisationen zu ermögli- Durchführungsorganisationen der deutschen Entwick-
chen, angemessen an der positiven Entwicklung dieses lungszusammenarbeit gemacht. Meine Redezeit ist je-
Einzelplanes zu partizipieren. doch abgelaufen. Ich hoffe, dass dieses Thema in dieser
Debatte noch aufgegriffen wird.
Lassen Sie mich einige Beispiele herausgreifen. Ne-
ben den politischen Stiftungen und den Kirchen, deren Ich wünsche mir, dass wir hier Anfang des Jahres ge-
Mittelansätze auch in diesem Haushaltsjahr eine Steige- meinsam eine gute Lösung finden, durch die wir die
rung erfahren haben, möchte ich noch einmal den Titel deutsche Entwicklungszusammenarbeit und insbeson-
„Förderung entwicklungswichtiger Vorhaben privater dere auch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit
deutscher Träger“ erwähnen. Hieraus werden basisnahe stärken und mit der multilateralen Entwicklungszusam-
Projekte vieler ehrenamtlich tätiger Vereine und Nichtre- menarbeit verknüpfen.
gierungsorganisationen gefördert. Diese Projekte wirken Vielen Dank.
(B) in den Partnerländern ganz unmittelbar an der Basis. Sie (D)
erreichen vor allem die ärmsten Bevölkerungsgruppen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
und tragen direkt zur Verbesserung ihrer Lebensbedin-
Für Die Linke spricht die Kollegin Heike Hänsel.
gungen bei.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein weiter Schwerpunkt, den wir in diesen Haushalts-
beratungen gesetzt haben, ist auf die Verstärkung des
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Kampfes gegen HIV/Aids gelegt. Dazu gehört auch die
Aufstockung des deutschen Beitrages zum Globalen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Ma- Im Rahmen der Haushaltsdebatte ziehen wir heute auch
laria um gut 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Bilanz über ein Jahr große Koalition. Wie sieht es da in
der Entwicklungspolitik aus? Mein bleibendster Ein-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ute druck ist – ich bin neu im Parlament –, dass wir im Ent-
Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ge- wicklungsausschuss sehr häufig über die Beteiligung an
rade noch geschafft!) Militäreinsätzen als Beitrag zur Entwicklung abstim-
men mussten. Vor ein paar Jahren wäre das noch un-
– Das ist auch gut. denkbar gewesen. Insofern hat die Enttabuisierung des
Militärischen, wie es Gerhard Schröder formuliert hat,
Gleichzeitig wurden durch die Zweckbindung eines
wirklich gegriffen. Sie ist vollzogen und wird von der
Teils der zusätzlichen Mittel die bilateralen Programme
großen Koalition konsequent weiter betrieben. Das neue
zur Bekämpfung von Aids und HIV gestärkt. Denn bi-
Zauberwort dabei heißt „zivil-militärische Zusammen-
und multilaterale Programme arbeiten nicht nebeneinan-
arbeit“.
der, sondern ergänzen sich. Genau das wollen wir errei-
chen. Am Beispiel der Arbeit des Globalen Fonds wird Herr Struck hat sich heute Morgen über die Bemer-
das deutlich. Er finanziert bislang hauptsächlich Medi- kung von Gregor Gysi empört, deutsche Soldaten seien
kamente und Verhütungsmittel, unterhält jedoch keine in Kriegseinsätzen. Er hat gesagt, das sei falsch, die Sol-
Außenstrukturen und Büros und ist daher von den Struk- daten seien in Friedensmissionen und würden Aufbau-
turen in den Partnerländern vor Ort stark abhängig. und Entwicklungshilfe leisten.
Genau hier greifen die deutsche finanzielle Zusammen-
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
arbeit und die technische Zusammenarbeit ein und unter-
stützen in verschiedenen Ländern den Aufbau von Um- Ich muss sagen: Das ist eine recht plumpe Manipulation
setzungsstrukturen und -verfahren. der öffentlichen Meinung.
6608 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Heike Hänsel
(A) (Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer Haushaltsmittel wollen wir umwidmen und sie in den zi- (C)
[Göttingen] [CDU/CSU]: Unglaublich!) vilen Aufbau des Landes investieren.
Ich möchte den Satz wiederholen, den ich hier bereits (Beifall bei der LINKEN)
vor einem Jahr gesagt habe: Soldaten sind keine Ent-
wicklungshelfer. Das ist die beste Form von Sicherheitspolitik, Herr
Königshaus. Unser Antrag geht am weitesten; denn wir
(Beifall bei der LINKEN) streben eine grundsätzlich andere Ausrichtung der deut-
schen Außenpolitik an.
Das gilt nach wie vor. Was macht zum Beispiel das
Kommando Spezialkräfte in Afghanistan? Wir sind nicht Frau Merkel hat heute Vormittag das Modell der zivil-
darüber informiert, was dort gemacht wird und ob diese militärischen Zusammenarbeit angesprochen. Die Mi-
Spezialtruppe zurzeit in Afghanistan ist oder nicht, und litär-, die Außen-, die Wirtschafts- und die Entwick-
zwar deswegen, weil sie einen Kampfauftrag hat, weil lungspolitik sollen das zukünftige Standardmodell für
sie im Kriegseinsatz ist und es zu gefährlich wäre, uns Auslandseinsätze darstellen. Auch Herr Steinmeier hat
darüber zu informieren. Soldaten sind zuallererst dazu sich in letzter Zeit vermehrt dafür ausgesprochen. Im
ausgebildet, Menschen zu töten. Grunde ist das aber nichts anderes als eine moderne
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist Form von Militäreinsätzen bzw. eine Art Interventionis-
doch dummes Zeug! Unglaublich!) mus light. Denn es handelt sich nach wie vor um Militär-
einsätze, mit denen die deutschen Interessen verfolgt
Sie können auch getötet werden. Wer im Bundestag die werden sollen. Im Weißbuch, in dem neuen strategischen
Hand dafür hebt, Soldaten ins Ausland zu schicken, Konzept der Bundeswehr, ist sogar die Sicherung des
nimmt dies in Kauf. Zugangs zu Rohstoffen bzw. zu Energie insgesamt als
vitales Interesse der Bundesrepublik Deutschland defi-
(Beifall bei der LINKEN) niert.
Dies muss man im Zusammenhang mit der Diskus-
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wie lange
sion, ob deutsche Soldaten in den Süden Afghanistans
sprechen Sie eigentlich noch?)
gehen sollen oder nicht, klar sagen. Wer Ja zum Einsatz
von Soldaten im Ausland sagt, kann sich nicht vor den Die Entwicklungspolitik verkommt dabei in zuneh-
Konsequenzen drücken, die das nach sich zieht. Genau mendem Maße zum strategischen Anhängsel der Sicher-
deshalb halte ich die Vermischung von Militäreinsätzen heitspolitik. Wir lehnen solche integrierten Militärein-
mit Aufbau- und Entwicklungshilfe für fatal. Die Solda- sätze, die in Zukunft vermehrt im Rahmen der EU
ten in Afghanistan sind in unseren Augen nicht Teil der stattfinden sollen, ab. Stattdessen setzen wir uns dafür (D)
(B)
Lösung, sondern Teil des Problems. ein, eine aktive zivile Friedenspolitik zu betreiben, die
mehr als nur Sicherheitspolitik ist.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Deshalb fordern wir den sofortigen Abzug der Soldaten (Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer
aus Afghanistan. [Göttingen] [CDU/CSU]: Erzählen Sie das
mal den vergewaltigten Frauen in Afrika!)
(Beifall bei der LINKEN)
Zu diesem Zweck müssen in unseren Augen auch im
Das Land gehört noch immer zu einem der ärmsten Haushalt die richtigen Weichen gestellt werden, sowohl
der Erde. Es wurde berechnet, dass der Westen für die- was die Ausweitung des zivilen Friedensdienstes angeht,
sen Militäreinsatz in den letzten Jahren insgesamt mehr als auch was die Finanzierung der UN-Organisationen
als 82 Milliarden Euro ausgegeben hat, während für die betrifft, die sich um Entwicklung, humanitäre Hilfe und
zivile Entwicklung und für den Aufbau des Landes ge- zivilen Aufbau bemühen. Dazu haben wir zahlreiche
rade einmal 7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt Anträge gestellt. Insofern muss ich sagen: Es ist für mich
wurden. politisch nicht nachvollziehbar, warum die im Haus-
halt 2007 ursprünglich vorgesehene Erhöhung der Bei-
Die zivil-militärische Zusammenarbeit ist eine Illu-
träge, die an die Vereinten Nationen und an den Global
sion; denn das Zivile muss immer auf Kosten des Militä-
Fund gezahlt werden sollten, von den Haushaltspoliti-
rischen zurückstecken.
kern zurückgenommen wurde.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Je mehr Geld man in den militärischen Bereich inves-
tiert, desto weniger bleibt für die zivile Entwicklung Als ich vor kurzem gemeinsam mit einer Delegation
übrig. Das ist eine logische Folgerung. So können die die Vereinten Nationen besucht habe, wurden wir über-
Herzen der Menschen in Afghanistan nicht gewonnen all gefragt, warum Deutschland im Verhältnis zu seiner
werden, die ohne Strom, Wasser und Gesundheitsversor- Wirtschaftskraft nur so geringe Beiträge an die Vereinten
gung leben und keine Arbeit haben, aber tagtäglich gut Nationen zahlt. Es gibt zum Beispiel einen neu einge-
ausgerüsteten und rundum versorgten Soldaten begeg- richteten Nothilfefonds, an dem sich 60 Länder, darunter
nen. viele Entwicklungsländer, beteiligen. Deutschland zahlt
in diesen Fonds keinen einzigen Cent. Das ist ein Skan-
Deshalb haben wir uns für den Abzug der Soldaten dal. Meiner Meinung nach wäre es viel besser, wenn
aus Afghanistan eingesetzt. Die dadurch frei werdenden Deutschland seine internationale Verantwortung im
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6609
Heike Hänsel
(A) zivilen Bereich wahrnehmen würde, statt Soldaten in tung gerecht wird, einer Verantwortung, über die wir im (C)
alle Welt zu schicken. Genau das fordern wir auch ein. Zusammenhang mit dem vorherigen Einzelplan intensiv
diskutiert haben. Mit einer deutlichen Steigerung der
(Beifall bei der LINKEN)
Mittel für den Einzelplan 23, den Etat des Ministeriums
Im Zusammenhang mit der Erhöhung der Mittel des für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Einzelplans 23 und angesichts der steigenden ODA- zeigen wir, dass wir die globale Herausforderung ernst
Quote möchte ich darauf hinweisen – auch das habe ich nehmen.
bereits mehrfach kritisiert –, dass die Entschuldung bei
der Berechnung der ODA-Quote nach wie vor angerech- Herr Kollege Königshaus, Sie haben mich enttäuscht:
net wird. Das ist nicht zulässig. Die OECD hat berech- Sie haben von den FDP-Klassikern nur die Abschaffung
net, dass die ODA-Quote deutlich niedriger wäre, wenn der Entwicklungshilfe für China gefordert. Da ist Ihr
die Entschuldung nicht angerechnet würde. Dieses Vor- Kollege Koppelin wesentlich konsequenter: Er fordert in
gehen ist nicht legitim. Wir setzen uns dafür ein, dass die jeder Debatte die Auflösung des BMZ, verbunden mit
Mittel im Verteidigungshaushalt umgeschichtet werden einer Angliederung an das Auswärtige Amt.
und mehr Geld für die Entwicklungspolitik zur Verfü- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])
gung gestellt wird. Hier gibt es verschiedene Möglich-
keiten. Wir haben dazu viele Vorschläge erarbeitet. Aber Ich weiß also nicht, ob es einen ersten Sinneswandel bei
es ist nicht legitim, die Entschuldung bei der Berech- der FDP gibt; aber ich würde ihn begrüßen.
nung der ODA-Quote anzurechnen. (Hellmut Königshaus [FDP]: Nein, gibt es
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die auch in nicht!)
den heutigen Debatten mehrfach erwähnte G-8-Präsi-
Wir konnten den Etat wechselkursbereinigt um gut
dentschaft und auf die EU-Ratspräsidentschaft
337 Millionen Euro steigern. Das entspricht einem Plus
Deutschlands eingehen. Im Etat des Einzelplans 23
von gut 8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
wurden mehr als 4 Milliarden Euro für Konferenzen und
Kongresse angesetzt. In meinen Augen wäre es die beste Wir haben bei den parlamentarischen Beratungen den
entwicklungs- und friedenspolitische Initiative, dieses Schwerpunkt auf drei Bereiche gelegt:
Geld für Kongresse zu streichen und es umzuwidmen für
die Erreichung der Millenniumsziele, für die Bekämp- Erstens haben wir deutlich gemacht, dass wir die Ar-
fung von Armut und Hunger und den Klimaschutz. Den beit unserer bilateralen Partner weiter stärken.
G-8-Gipfel können wir uns sparen. Zweitens haben wir mit der Erhöhung der Mittel für
(Beifall bei der LINKEN) die Bekämpfung von HIV/Aids um 15 Millionen Euro
(B) gegenüber dem Regierungsentwurf deutlich gemacht, (D)
Er ist nur die Zusammenkunft der reichen und mächtigen dass wir die Ankündigung der Bundesregierung, die
Staaten, die ohne jegliche Legitimation weit reichende Mittel für die Bekämpfung von HIV/Aids zu erhöhen,
Entscheidungen bezüglich Weltwirtschaft und neuer Mi- aktiv unterstützen.
litäreinsätze treffen.
Drittens konnten wir die Wirksamkeit der deutschen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: finanziellen Zusammenarbeit durch etatneutrale Verän-
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. derungen im Haushalt deutlich stärken. Auf diese drei
Schwerpunkte will ich jetzt eingehen.
Heike Hänsel (DIE LINKE): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Ich komme zum Schluss. – Wir brauchen ernsthafte neten der SPD)
Initiativen für weltweite Abrüstung und einen umfassen-
den Klimaschutz. Dafür haben wir viele Vorschläge ge- Deutschlands Möglichkeiten in der Entwicklungszu-
macht. Viele Menschen vernetzen sich weltweit in die- sammenarbeit sind ausgesprochen vielseitig. Wir verfü-
sem Zusammenhang. Ich sage Ihnen: Viele Menschen gen über effiziente, international anerkannte bilaterale
werden nächstes Jahr beim G-8-Gipfel dafür auf die Organisationen der staatlichen EZ. Wir verfügen über
Straße gehen. Wir werden dabei sein. eine facettenreiche Landschaft der Nichtregierungsorga-
nisationen, die sich engagiert für die wirtschaftliche Zu-
Danke. sammenarbeit und Entwicklung einsetzen. In der parla-
(Beifall bei der LINKEN) mentarischen Beratung haben wir zugunsten der
bilateralen EZ 40 Millionen Euro umgeschichtet. Damit
stärken wir die Arbeit unserer bilateralen Entwicklungs-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: organisationen. Die Diskussion über eine Stärkung der
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege deutschen bilateralen EZ beschränkt sich aber nicht nur
Jochen Borchert. auf die reinen Etatberatungen, sondern die Diskussion
umfasst auch die Struktur der staatlichen Entwicklungs-
Jochen Borchert (CDU/CSU): zusammenarbeit. Ich begrüße es, dass auch im Koali-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tionsvertrag ausdrücklich die Verbesserung der Struktu-
Der vorliegende Bundeshaushalt 2007 ist ein deutliches ren und eine Steigerung der Effizienz der Organisationen
Zeichen dafür, dass die Bundesregierung ihre internatio- der Entwicklungszusammenarbeit gefordert werden.
nale Verantwortung wahrnimmt und dieser Verantwor- Deshalb diskutieren wir zurzeit lebhaft darüber, wie wir
6610 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Jochen Borchert
(A) unsere beiden Durchführungsorganisationen KfW und (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
GTZ noch besser miteinander verknüpfen können. Aber weniger, als im Haushaltsentwurf selbst
stand! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, ge-
Der Haushaltsausschuss hat den Bundesrechnungshof nau, das ist weniger, als dort stand!)
beauftragt, Möglichkeiten einer Verbesserung der Zu-
sammenarbeit zu überprüfen, die ein positives Kosten- – In der Presseerklärung werden die Zahlen von 2004
Nutzen-Verhältnis aufweisen. Denn Effizienz bedeutet und 2007 miteinander verglichen. Es sind 2007 nun ein-
auch hier, gewissenhaft zu prüfen, welche Veränderun- mal 44,1 Millionen Euro mehr. Wenn Sie die Zahlen ge-
gen tatsächlich eine Verbesserung der Zusammenarbeit liefert haben, dann sollten Sie sie noch einmal überprü-
bringen. Ich will aber eines betonen: Bei allen Verände- fen.
rungen ist es erforderlich, dass die komparativen Vor-
teile und das markante Profil der deutschen EZ nicht ver- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU –
loren gehen. Ich denke, wir tragen die Verantwortung für Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
eine nachhaltige Stärkung der deutschen EZ. Ich habe den Haushaltsentwurf gemeint! Da-
rauf können wir uns beziehen!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE Auch die Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids
GRÜNEN]) sind nicht gekürzt worden, sondern im Haushalt 2007
werden für den GFATM, den Fonds zur Bekämpfung
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie- von Aids, Tuberkulose und Malaria, 15 Millionen Euro
rung hat ihr Engagement für die globale Bekämpfung mehr als in diesem Jahr eingesetzt. Im Zuge der parla-
von Aids, Malaria, Tuberkulose und anderen Infektions- mentarischen Beratung haben wir die Mittel zur Be-
krankheiten in den letzten Jahren stetig erhöht. Ich kämpfung von Aids für die bilateralen Organisationen
denke, dies ist ein großer persönlicher Erfolg für Sie, um 20 Millionen Euro erhöht. Das heißt, im Vergleich zu
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul. Die deutsche Entwick- 2006 werden 2007 im Einzelplan 23 mindestens 35 Mil-
lungspolitik ist im Bereich HIV/Aids jetzt bilateral in lionen Euro mehr zur Bekämpfung von Aids zur Verfü-
fast 50 Ländern mit international anerkannten innovati- gung gestellt. Das ist alles andere als eine Senkung der
ven Ansätzen aktiv. Besonders im Bereich der HIV/ Mittel.
Aids-Bekämpfung hat sich gezeigt – darauf ist meine
Kollegin Iris Hoffmann schon eingegangen –, wie wich- (Abg. Dr. Karl Addicks [FDP] meldet sich zu
tig die komplementäre Arbeitsteilung zwischen den bila- einer Zwischenfrage)
teralen Entwicklungsorganisationen und den multilatera- – Frau Präsidentin, der Kollege Addicks möchte gerne
len Gebern ist. So können die bilateralen Geber in den eine Zwischenfrage stellen.
(B) Partnerländern ohne aufwendige Bürokratie und ohne (D)
lange Abstimmungsverfahren schnell und effizient Un- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)
terstützung leisten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Fonds GFATM verfügt über keine eigene Außen-
struktur und ist daher ohne bilaterale Partner häufig nicht Möchten Sie sie gerne zulassen?
in der Lage, die betroffenen Länder beim Aus- und Auf-
bau der nötigen Umsetzungsstrukturen und -verfahren zu Jochen Borchert (CDU/CSU):
unterstützen. Ich denke, dies verdeutlicht die Notwen- Mit großem Vergnügen.
digkeit einer komplementären Zusammenarbeit und die
Notwendigkeit, sowohl bilaterale als auch multilaterale
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Unterstützung zu bieten.
Bitte schön.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer Pressemit-
teilung des Aktionsbündnisses gegen Aids wird das Par- Dr. Karl Addicks (FDP):
lament aufgefordert, gegen den Einzelplan 23 zu stim-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, abge-
men, weil die Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids
sehen von den absoluten Zahlen: Könnten Sie uns bitte
gekürzt worden und die Beiträge an die Vereinten Natio-
auch sagen, an welcher Stelle wir im internationalen
nen abgestürzt seien. Ich setze mich gerne mit jedem
Kontext mit unseren Beiträgen zum Global Fund stehen?
Einwand auseinander, in dem die Zahlen auch nur eini-
germaßen stimmen. Die Zahlen, mit denen das Aktions-
bündnis gegen Aids argumentiert, haben mit der Haus- Jochen Borchert (CDU/CSU):
haltswirklichkeit aber überhaupt nichts zu tun. Ich denke, es geht jetzt nicht darum, an welcher Stelle
wir stehen; aber ich will zu dem Global Fund gleich
So wird behauptet, die Baransätze im Titel 687 01 noch einige Zahlen nennen, damit dies deutlich wird.
– Beiträge an die Vereinten Nationen – lägen unter den
Ansätzen von 2004. Die tatsächlichen Zahlen sind: 2004 Ich habe eben ja nur die Erhöhung von 2006 auf 2007
wurden im Haushalt dafür 155,2 Millionen Euro einge- angesprochen. Wenn Sie sich die Zahlen der vergange-
setzt. In dem Entwurf für 2007, über den wir jetzt disku- nen Jahre ansehen, dann erkennen Sie, dass wir 2003
tieren, haben wir 199,3 Millionen dafür eingesetzt. Im 32,5 Millionen Euro in den Global Fund eingezahlt ha-
Vergleich von 2007 zu 2004 bedeutet das eine Steige- ben, während wir im nächsten Jahr 87 Millionen Euro
rung um 44,1 Millionen Euro oder 28 Prozent. einzahlen werden. Ich glaube, es gibt kaum ein anderes
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6611
Jochen Borchert
(A) Land, das in diesen Jahren eine so imposante Steigerung Ich möchte mich zum Schluss sehr herzlich bei mei- (C)
wie die Bundesrepublik Deutschland aufweist. ner Kollegin Iris Hoffmann für die gute Zusammenarbeit
bedanken. Ich denke, wir haben intensiv beraten. Wir ha-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ben immer sach- und fachgerechte Lösungen im Sinne
neten der SPD) der Entwicklungspolitik gefunden. Dafür sage ich herzli-
Es wäre schön gewesen, wenn Sie, Herr Addicks, zu- chen Dank.
gehört hätten; denn jetzt stellen Sie das nächste Mal viel- Ich bedanke mich aber auch bei den Berichterstattern
leicht wieder diese Frage. Ich beantworte sie dann aber der anderen Fraktionen für die gute Diskussion und die
gerne noch einmal. konstruktive Zusammenarbeit. Dies gilt auch für die
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ministerin und ihr Haus, bei denen ich mich ausdrück-
Im nächsten Jahr ist es wieder anders!) lich für die gute Zusammenarbeit bei den diesjährigen
Haushaltsberatungen bedanke. Ich denke, wir legen
Ich denke, wer hier von Kürzungen spricht – vielleicht heute einen Einzelplan 23 vor, dem man mit voller Über-
machen Sie das gleich –, der weiß offensichtlich nicht, zeugung zustimmen kann.
wovon er spricht.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Die Mittelansätze zur Bekämpfung von HIV/Aids (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
steigen deutlich. So haben wir sichergestellt, dass so-
wohl die multilaterale Gebergemeinschaft als auch die
bilaterale Hilfe mit ausreichenden Finanzmitteln ausge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
stattet sind, dass die Menschen unmittelbar von dieser Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Hilfe profitieren und wir ein System aufbauen, das zur Kollegen Jürgen Koppelin.
Eigenhilfe befähigt. Ich denke, das sollte das Ziel unse-
rer Politik sein. So haben wir sichergestellt, dass unsere Jürgen Koppelin (FDP):
Mittel effizient und nachhaltig eingesetzt werden. Da der Kollege Borchert mich persönlich angespro-
chen hat, will ich zwei Bemerkungen machen.
Neben den Baransätzen haben wir die Effizienzsteige-
rung auch durch wichtige Änderungen im Bereich der Erstens geht es um unsere Vorstellungen als FDP hin-
finanziellen Zusammenarbeit erreicht, die wir be- sichtlich der Auflösung des Ministeriums. Darüber
schlossen haben. Frau Hoffmann hat bereits darauf hin- kann man sich durchaus streiten. Ich muss aber immer
gewiesen, dass wir die Mittel für den Treuhandfonds von wieder feststellen – ich bin auch für den Etat des Aus-
25 Millionen auf 50 Millionen Euro verdoppelt haben. wärtigen Amtes zuständig –, dass es erhebliche Rei-
(B) Die Darlehen können flexibler und in größerem Umfang bungsverluste zwischen dem Auswärtigen Amt und dem (D)
eingesetzt werden. Die Bundesregierung wird durch die BMZ gibt. Es gibt immer wieder Probleme in der Pla-
Erweiterung des Treuhandfonds auf 50 Millionen Euro nung und insgesamt Probleme in der Zusammenarbeit.
in die Lage versetzt, über die KfW ihr Engagement bei Ich finde, dass sich zumindest diese beiden Ministerien
Mikrobanken und Mikrofinanzierungsinstituten auszu- zusammentun sollten, um zu überlegen, wie sie diese
weiten. Reibungsverluste beenden könnten. So kann es nämlich
nicht weitergehen. Es gibt seit längerer Zeit immer wie-
Mikrokredite helfen den Menschen vor Ort, sich eine der erhebliche Probleme. Der Staatssekretär im Auswär-
eigene, von Hilfe unabhängige wirtschaftliche Existenz tigen Amt hat im Haushaltsausschuss eindeutig und klar
aufzubauen. Aber nicht nur die Mikrofinanzierung profi- dargelegt, wo die Probleme in der Zusammenarbeit lie-
tiert von der Verdoppelung des Treuhandfonds, sondern gen und zu welchen Verlusten das gerade für die Politik
auch der Bereich der erneuerbaren Energien. Die Finan- des Auswärtigen Amtes führt.
zierung von Maßnahmen in diesem Bereich – die so
genannten 4-E-Fazilitäten – sind ein entscheidender Er- Zweitens. Was die Zusammenarbeit zwischen KfW
folgsfaktor, um die Ziele der deutschen Entwicklungszu- und GTZ und die Konzentration der Entwicklungshilfe
sammenarbeit auch im Hinblick auf den Klimaschutz angeht, ist eines festzustellen, Kollege Borchert – ich
voranzutreiben. finde, das haben Sie in Ihrer Darstellung ein bisschen
weichgezeichnet –: Es ist doch sehr merkwürdig, dass
Wir haben gleichzeitig auch die Möglichkeiten für die man ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen mit einem
Ausdehnung der Vergabe zinsverbilligter Darlehen deut- Gutachten beauftragt, das gleichzeitig Wirtschaftsprüfer
lich erhöht. Dadurch können wir eine erhöhte Wirksam- sowohl der KfW als auch – das gebe ich zu – der GTZ
keit der Mittel erreichen. Zum einen stehen mehr Mittel ist. Wie wäre es denn gewesen, wenn man neutrale Wirt-
für dieses Instrument zur Verfügung und zum anderen schaftsprüfer beauftragt hätte? So hat man einen Auftrag
kann ein weiterer Nachfragekreis bedient werden. im Wert von 160 000 Euro vergeben und aus meiner
Sicht fast ein Gefälligkeitsgutachten bekommen; denn
Bei den Weichenstellungen für die nächsten Haus- die Konsequenzen einer Zusammenlegung von GTZ und
haltsjahre geht es um eine weitere Stärkung der Entwick- KfW kommen gar nicht vor. Eine Zusammenlegung
lungszusammenarbeit. Dafür haben wir die Verpflich- würde bedeuten, dass wir zum Beispiel bestimmte Auf-
tungsermächtigungen bei der TZ und FZ erhöht. Wir träge der GTZ europaweit ausschreiben müssten. Das
haben aber auch die Stellung der Stiftungen der Kirchen kann doch nicht in unserem Sinne sein. Wie kommen wir
im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit einer eigentlich dazu, ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen,
Erhöhung der VE unterstrichen. das sowohl die GTZ als auch die KfW prüft, mit einem
6612 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Jürgen Koppelin
(A) solchen Gutachten zu beauftragen, ohne dass übrigens so heftig zugenickt, dass sich sein Name in meinem (C)
der Aufsichtsrat der GTZ jemals darüber informiert Kopf vorgedrängt hat.
wurde? Bis heute hat der Aufsichtsrat der GTZ nicht
über das Gutachten diskutieren dürfen. (Zurufe von der CDU/CSU: Telepathie!)

Der Skandal ist aber, dass die Ministerin in der Presse Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Ute Koczy für
verkündet, bis Ende Dezember sei der Vorgang abge- Bündnis 90/Die Grünen.
schlossen. Deswegen hat meine Fraktion den Antrag ge-
stellt – diesem haben sich viele angeschlossen –, dass Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
erst einmal der Bundesrechnungshof das Gutachten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
überprüfen soll. Ich glaube, dass der eine oder andere Kollegen! Als Erstes möchte ich meinem kranken Kolle-
noch staunen wird. gen Thilo Hoppe gute Besserung wünschen. Er wollte
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch Folgendes eigentlich hier sprechen. Aber seine Genesung dauert et-
sagen: Wir haben der Ministerin Gott sei Dank einiges was länger. Ich wünsche ihm von hier aus alles Gute und
an Geld weggenommen, für das sie keine Pläne hatte. Geduld mit seiner Krankheit.
Deswegen konnten wir die Mittel an der einen oder an- (Beifall)
deren Stelle aufstocken. Das ist erfreulich und zeugt von
einer wunderbaren Zusammenarbeit. Dafür bedanke ich Als Zweites möchte ich der Ministerin Heidemarie
mich ganz herzlich. Wieczorek-Zeul nachträglich zu ihrem gestrigen Ge-
burtstag gratulieren. Das darf man sicherlich in einer
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da war Haushaltswoche.
viel Falsches dabei!)
(Beifall)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Als Drittes möchte ich auf Ihre Kurzintervention re-
Zur Erwiderung hat der Kollege Königshaus das agieren, Herr Koppelin. Die Qualität der deutschen Ent-
Wort. wicklungszusammenarbeit entsteht durch ihr eigenes
Profil. Das, was Sie sich wünschen, nämlich weniger
(Zurufe: Herr Borchert!) Reibungsverluste, würde bedeuten, dass wir ein Quali-
tätsmerkmal in der deutschen Außenpolitik vermissen
Jochen Borchert (CDU/CSU): würden. Sie verachten damit ein bisschen die Armutsbe-
Lieber Herr Kollege Koppelin, ich habe erstens mit kämpfung und sehen außerdem die Eigenständigkeit
großem Interesse vernommen, dass Sie nicht mehr die nicht. Sie sind auf einem vollkommen falschen Weg.
Auflösung des BMZ fordern, sondern verlangen, dass Deswegen bin ich strikt gegen Ihre Position. Ich halte es
(B) sich die beiden Ministerien zusammensetzen mit dem (D)
für falsch, in diese Richtung zu agieren. Es wäre viel-
Ziel, die Reibungsverluste zu verringern. Ausgehend mehr notwendig, andere Wege einzuschlagen.
von Ihrer bisherigen Position ist das, finde ich, ein gutes
Rückzugsgefecht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Zweitens, zu den Anmerkungen über eine bessere Zu- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sammenarbeit von GTZ und KfW. Ich habe keine Veran- Frau Koczy, möchten Sie eine Zwischenfrage des
lassung, daran zu zweifeln, dass die KPMG das Gutach- Kollegen Koppelin zulassen?
ten neutral erstellt hat. Es gibt zwar offene Fragen in
dem Gutachten. Aber darüber haben wir bereits intensiv Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
diskutiert. Um die offenen Fragen zu klären, haben wir
Ja, bitte, wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht.
– wie ich finde: zu Recht – den Bundesrechnungshof be-
auftragt. Wir werden dann im Ausschuss über dieses
Gutachten mit aller Intensität diskutieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte, Herr Koppelin.
Unser Ziel muss es sein, die Zusammenarbeit zu ver-
bessern und dort, wo es möglich ist, zu Kostenersparnis-
sen aufgrund einer verbesserten Zusammenarbeit zu Jürgen Koppelin (FDP):
kommen. Ich bleibe aber bei meiner Aussage, dass dabei Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
die jetzigen Vorteile der durchaus spezialisierten Durch- men, dass der frühere Bundesaußenminister Joseph
führungsorganisationen, die das spezifische Profil der Fischer die gleiche Haltung wie ich vertreten hat, näm-
deutschen Entwicklungspolitik ausmachen, auch in Zu- lich dass eigentlich das BMZ in das Auswärtige Amt
kunft erhalten bleiben. Ich sehe mit Interesse den Ergeb- eingegliedert werden sollte?
nissen entgegen, zu denen wir in den Beratungen im
Haushaltsausschuss kommen werden. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Herr Koppelin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
men, dass ich nicht Joschka Fischer bin und dass ich eine
andere Auffassung habe?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Borchert, ich entschuldige mich herz- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
lich. Der Herr Kollege Königshaus hat seinem Kollegen DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6613
Ute Koczy
(A) und der LINKEN – Jürgen Koppelin [FDP]: durch die ODA-Zahlen beschönigt werden. Doch das (C)
Das war nicht zu übersehen!) wird 2008 nachlassen. Dann werden Sie feststellen, dass
der Effekt verpufft ist und Sie in dieser Flaute auf einmal
Wir verabschieden heute den entwicklungspolitischen
nicht mehr vom Fleck kommen. Darauf haben gerade
Haushalt für das Jahr 2007. Das ist ein spannendes Jahr,
auch die Hilfswerke zu Recht in ihrem Bericht „Die
ein Jahr, das der Bundesregierung Gestaltungsspielraum
Wirklichkeit der Entwicklungszusammenarbeit“ hinge-
wie selten in der internationalen Politik gibt. Mit der EU-
wiesen. Also aufgepasst: Das Erreichen von 0,7 Prozent
Ratspräsidentschaft und dem Vorsitz des G-8-Gipfels
bis 2015 ist bisher nur Ankündigung. Die Frage der
hat die Bundesregierung eine große Chance. Sie kann
Konkretisierung bleibt der Knackpunkt.
den Rahmen für eine menschliche, soziale und ökolo-
gisch verträgliche Globalisierung mitgestalten. Sie kann Die Bundesregierung legt es darauf an, mit einer G-8-
auch angesichts der Klimakatastrophe in dieser unserer Agenda zu brechen, die bis Gleneagles sehr stark die
einen Welt den Fuß auf die Bremse setzen. Sie kann so- Mitverantwortung der reichen Länder für die Bewälti-
gar, wenn sie denn fit genug und willens wäre, jetzt Füh- gung der Entwicklungsprobleme im Süden betont hat.
rungsqualitäten zeigen und sich an die Spitze der Gipfel Daraus sind eine ganze Menge konkreter Entscheidun-
stellen. Diese vielleicht ungewohnte Rolle ist Kanzlerin gen entstanden. Statt diese Vorarbeiten zu nutzen und
Merkel nicht nur vonseiten der britischen Außenministe- jetzt auch dafür zu werben, lassen Sie die europäischen
rin Beckett nahe gelegt worden. Nachbarländer, gerade was die innovativen Finanzie-
rungsinstrumente angeht, alleine stehen. Die Bundesre-
Aus entwicklungspolitischer Sicht begrüßen wir die
gierung hat Angst vor einer Steuerdiskussion, aber an-
stärkere Hinwendung zu Afrika. Immerhin ist der Bun-
scheinend nur dort, wo „Bild“-Zeitung und Lobbyisten
desregierung gerade noch rechtzeitig aufgegangen, dass
wie die aus der Flugindustrie ihr diese Angst einjagen.
man diesen Kontinent nicht ignorieren sollte. China ist
uns da mit dem China-Afrika-Gipfel meilenweit voraus.
Die deutschen Vorstellungen, was unter der Präsident- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
schaft laufen soll, sind noch etwas nebulös. Hoffentlich Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
wird das nicht auch noch peinlich, weil sich die afrikani-
schen Staaten nicht mehr mit einer Appel-und-Ei-Politik Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
abspeisen lassen werden. Liebe Bundesregierung, Sie Dann sage ich meinen letzten Satz, Frau Präsidentin.
hatten offenbar vor, zu kleckern, aber Sie werden nicht – Ich bin der Meinung: Das ist zu wenig. Sie müssen
umhinkommen, in diesem Zusammenhang zu klotzen. mehr tun. Das mickrige Ergebnis aus diesem Haushalt,
Ähnliches gilt für den Haushalt. Die wichtigste Frage, mit dem Sie die EU- und die G-8-Präsidentschaft über-
(B) die heute eigentlich diskutiert werden müsste, ist die, nehmen, reicht leider nicht aus. Wir werden Sie daran er- (D)
wie viel Geld Deutschland in Zukunft analog zu seiner innern, wenn Sie in Geldnöten sind.
Leistungsfähigkeit tatsächlich in eine globale Entwick- Ich danke Ihnen.
lungspartnerschaft einbringen will. Der Haushalt 2007
und das Konzept, das die Bundesregierung für den G-8- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vorsitz vorgelegt hat, machen vor allem eines klar: Sie
hat keinen Plan. Sie hat keinen Plan, wie der EU-Stufen- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
plan umgesetzt werden soll, sie hat keinen Plan, wie Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie
multilaterale Politik gestärkt werden soll, und sie hat Wieczorek-Zeul.
keinen Plan, wie neue Finanzierungsinstrumente Um-
weltschutz und Entwicklung befördern sollen. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
Verehrte Ministerin Wieczorek-Zeul, mit Plan meine wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
ich nicht, dass man mathematisch aufzeigt, wie sich die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Steigerungen ergeben sollen. Mit Plan meine ich, dass Sie können ganz sicher sein, Frau Koczy: Wir werden
man konzeptionell und strategisch aufzeigen muss, wie den ODA-Stufenplan einlösen. Dafür stehe ich politisch
man im Einzelplan 23 von den jetzigen 4,5 Milliarden und dafür steht die Koalition. Wir haben uns das – so
Euro auf einen echten Mittelzuwachs kommen will. Die steht es in unserer Koalitionsvereinbarung – vorgenom-
Zahl von 4,9 Milliarden Euro, die in der mittelfristigen men und werden es entsprechend umsetzen.
Finanzplanung steht, ist nämlich lächerlich. Selbst wenn
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
das Ganze nur einen Teil der ODA-Quote ausmacht, er-
der CDU/CSU – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/
reichen Sie damit 2015 nie und nimmer die anvisierte
DIE GRÜNEN]: Wir warten schon darauf!)
ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkom-
mens. Eigentlich müsste pro Jahr 1 Milliarde Euro drauf- Lassen Sie mich an der Stelle – Herr Borchert hat es
gesattelt werden. So sehr wir die Steigerung von schon angesprochen – in unser aller Namen einem Mann
324 Millionen Euro im Haushaltsentwurf 2007 lobend von hier aus unseren herzlichen Dank und unsere Glück-
begrüßen, bleiben die Zahlen doch klar hinter den Erfor- wünsche übermitteln: Muhammad Yunus, der zu Recht
dernissen von 1 Milliarde Euro zurück. für sein Engagement für Mikrokredite und für die
Grameen-Bank mit dem Friedensnobelpreis belohnt
Sie können sich auch nicht auf die Schuldenerlasse
wird. Das ist eine wunderbare Leistung.
verlassen. Noch segeln Sie im Wind der Nigeria- und
Irakentschuldungen und verlassen sich darauf, dass da- (Beifall im ganzen Hause)
6614 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul


(A) Die Mikrokredite sind aus unserer Sicht seit vielen (Jürgen Koppelin [FDP]: Eine Bahn in Saigon (C)
Jahren ein Instrument gegen Armut; sie dienen aber auch wäre auch sehr hilfreich!)
der Prävention vor Krisen und der Friedenssicherung.
Gerade weil wir mit Kleinkrediten Armutsbekämpfung – Das sind die Richtigen: Sie kritisieren vorher, dass es
und Friedensförderung verbinden, haben wir das Instru- diese Hilfe gibt, und wenn es nachher um bestimmte Ex-
ment schon seit langem in die politische Arbeit des Ent- portinteressen geht, dann stehen sie bei mir auf der
wicklungsministeriums einbezogen. Matte. Das habe ich wirklich gern.

Manchmal ist es gut, wenn man einmal ausrechnet, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
was Entwicklungszusammenarbeit für Menschen tat- CDU/CSU)
sächlich bedeutet. Allein die deutsche Entwicklungszu- Was erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz
sammenarbeit erreicht mit ihren verschiedensten Mikro- angeht, ist es richtig, dass deutsche Firmen Riesenchan-
finanzinstrumenten derzeit über 14 Millionen Menschen. cen haben. Diese Chancen sollten sie nutzen. Das ist
Mit deren Familien profitieren davon 50 Millionen Men- auch entwicklungspolitisch vernünftig.
schen, die dadurch aus der Armut herauskommen. Das
ist eine tolle Leistung. Das finde ich wunderbar. Im Übrigen geht es doch auch darum, China in ent-
sprechende Dialoge einzubeziehen. Schließlich wollen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir verhindern, dass China Afrika dauerhaft als einen
der CDU/CSU) Kontinent betrachtet, den man neokolonial – nur der
Das muss verallgemeinert werden. Das muss noch stär- Rohstoffsicherung wegen – ausbeutet. Wir wollen dazu
ker aufgegriffen werden. Wir haben jedenfalls im Haus- beitragen, dass dieser Energiepfad nicht weiter beschrit-
halt die Mittel dafür deutlich gesteigert. ten wird.

Während einer Reise nach Marokko – einige Kolle- Zum Schluss möchte ich auf Afghanistan zu spre-
ginnen und Kollegen waren dabei – habe ich die dortige chen kommen; diese Frage ist mehrfach angesprochen
Unternehmerin des Jahres getroffen. Es handelt sich um worden. Ich finde, man sollte unsere wirklich guten
eine Frau, die vor ein paar Jahren mithilfe eines Mikro- Leistungen aus parteitaktischen Gründen nicht schlecht-
kredits von 150 Euro aus der deutschen Entwicklungszu- reden. Wir haben mein Versprechen eingelöst: Seit 2002
sammenarbeit ihre Firma gegründet hat. Heute hat sie hilft Deutschland Afghanistan jedes Jahr mit 80 Millio-
20 Beschäftigte und ist Unternehmerin des Jahres in Ma- nen Euro. Das ist der höchste Betrag für ein Entwick-
rokko. Das ein wirklich tolles Ergebnis im Interesse der lungsland, den wir überhaupt zahlen. Wir haben Hilfen
Menschen, insbesondere der Frauen. in dieser Höhe bis 2010 zugesagt und dem werden wir
auch nachkommen. Wie Sie alle wissen, bin ich immer
(B) Lassen Sie mich als zweiten Punkt auf den Klima- dafür, dass unsere Mittel erhöht werden. (D)
schutz eingehen, den Frau Koczy auch schon angespro-
chen hat. Ich kann es nur sehr kurz machen. Eines ist Doch gerade was Afghanistan anbelangt, können
klar: Klimaschutz kostet nicht Geld, sondern er spart deutsche Schultern nicht alles tragen. Der Wiederaufbau
dauerhaft Geld. Für unser Ministerium steht die Förde- Afghanistans ist eine große Gemeinschaftsaufgabe, die
rung von erneuerbaren Energien und von Energieeffi- die verantwortliche afghanische Regierung und die Ge-
zienz seit Jahren auf der Tagesordnung. Wir werden im samtzahl der Geber erfüllen. Wir sind bereits seit Jahren
Jahr 2007 rund 400 Millionen Euro für diese beiden Be- in zehn Provinzen Afghanistans tätig, vorwiegend im
reiche einsetzen. Das sind die großen Renner der Ent- Norden. Wir leisten aber auch für den Süden Unterstüt-
wicklungszusammenarbeit. Damit eröffnen wir den Ent- zung. Mancher, der sich zu Afghanistan äußert, tut dies
wicklungsländern Chancen für eine Entwicklung weg so, als wenn ein Blinder von Farbe spricht. Wir unter-
vom Öl und wir unterstützen sie in der Armutsbekämp- stützen den afghanischen Wiederaufbaufonds mit
fung. 20 Millionen Euro. Dadurch werden insbesondere im
Süden Leistungen für die Infrastruktur, auch für die so-
Ich möchte gern einen weiteren Punkt ansprechen, der ziale Infrastruktur, erbracht.
für mich wirklich nur schwer erträglich ist. Der zweit-
größte Emittent von CO2 ist China und deshalb erwähne Ich möchte heute ausdrücklich hinzufügen: Wir
ich in diesem Kontext auch China. Wir wollen durch möchten im gesamten Jahr 2007 zusätzlich in zwei Re-
Kredite im Rahmen unserer wirtschaftlichen Zusammen- gionen des Südostens entwicklungsorientierte Nothilfe
arbeit und durch Beratung mit dazu beizutragen, den leisten. Vorgesehen ist die Unterstützung durch lokale
Energiepfad Chinas zu verändern. Das liegt nicht nur in Organisationen, die auf den Gebieten Infrastruktur und
unserem ureigenen Interesse, sondern im globalen Kli- soziale Grunddienste aktiv sind.
mainteresse. Das ist keine Entwicklungshilfe. Das ist In der ganzen bisherigen Debatte hat mir etwas ge-
eine Investition in eine zukunftsfähige Entwicklung un- fehlt, worauf ich jetzt eingehen möchte. Die Entwick-
seres Globus, auch für uns selbst. lungshelfer in Afghanistan haben kein Gewehr bei
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sich, um sich verteidigen zu können. Auch sie müssen
DIE GRÜNEN) schwierige Situationen durchmachen. Ihnen will ich
danken. Das, was sie leisten, ist keine ungefährliche Ar-
Wer verlangt, dieses Vorgehen zu stoppen, der hat die beit. Wer etwas anderes sagt, der missachtet die Leistun-
ganze Argumentation nicht verstanden und wird in die- gen dieser Entwicklungshelfer. Ich danke ihnen außeror-
sen Fragen nicht weiterkommen. dentlich und herzlich.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6615
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
(A) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP denberges nicht mehr leisten. Machen Sie also Schluss (C)
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie damit.
des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])
(Beifall bei der FDP – Widerspruch der Abg. Ute
Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Auch die Zusammenarbeit mit anderen Schwellenlän-
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Addicks für die dern sollten wir in diesem Rahmen noch einmal überprü-
FDP-Fraktion. fen.
Auf ein anderes Land möchte ich zu sprechen kom-
Dr. Karl Addicks (FDP):
men, nämlich Angola. Angola hat zwar hohe Einnahmen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und aus Ölverkäufen, kann aber nicht als Schwellenland be-
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministe- zeichnet werden. So hoffe ich, dass Angola auf der Län-
rin, Sie haben gerade gesagt, dass diese Bundesregierung derliste bleibt. Wir haben ja bei unserer Delegationsreise
die ODA-Zusagen bis 2015 einhalten wird. Ich kann nur gesehen, was dort zu tun ist und welche Chancen die
meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass diese Regierung Entwicklungszusammenarbeit für dieses Land bietet.
2015 nicht mehr im Amt sein wird. Ich bin mir sicher,
dass sie so lange nicht halten wird. Im Zusammenhang mit der Frage, wofür wir unsere
Entwicklungsgelder verwenden, fällt mir im Rahmen der
(Ute Kumpf [SPD]: Aber Sie werden auch finanziellen Zusammenarbeit die Budgethilfe ein. In
nicht an der Regierung sein!) 2006 wurden dafür bisher 280 Millionen zugesagt, mit
steigender Tendenz. Wir stehen einer finanziellen Zu-
Im Übrigen bin ich geneigt, hier unsere Haushälter zu sammenarbeit in Form der Budgethilfe sehr skeptisch
loben. Ich danke ihnen dafür, dass sie den Etat ganz be- gegenüber. Für einige handverlesene Länder geht das in
trächtlich aufgestockt haben, auch wenn dieser Haushalt Ordnung; ich denke an Ruanda und Marokko. Bei diesen
wieder ein Schuldenhaushalt ist; denn zu den bereits vor- Ländern haben wir auf unserer Reise den Eindruck ge-
handenen Schulden kommen weitere 20 Milliarden Euro wonnen, dass dort wirklich solide gewirtschaftet wird.
hinzu. Immerhin ist die Tendenz bei der Neuverschul- Bevor wir unser Geld aber anderen Ländern in dieser
dung fallend. Weise anvertrauen, sollten wir uns diese ganz genau an-
schauen.
Als Entwicklungspolitiker bin ich da immer ein biss-
chen in der Bredouille. Ich tue mich nämlich schwer, das Frau Ministerin, Sie haben auch die Mikrokredite er-
zu kritisieren, weil wir uns nun tatsächlich der ODA- wähnt. Ich kann Ihnen nur beipflichten: Diese Art der
Quote, wenn auch auf Kosten einer höheren Schulden- Entwicklungszusammenarbeit können wir uneinge-
(B) schränkt unterstützen. (D)
aufnahme, langsam annähern. Mittlerweile haben wir
eine Quote von 0,35 Prozent erreicht; das stellt schon
eine deutliche Verbesserung zu früher dar. Schade ist es Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nur für das Land und unsere Bürger, die letztlich höhere Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Kollege.
Steuern zahlen müssen, zum Beispiel in Form der von
Ihnen beschlossenen Erhöhung der Mehrwertsteuer um Dr. Karl Addicks (FDP):
3 Prozentpunkte. Ich weiß nun wirklich nicht, ob das der Im Übrigen merke ich, dass drei Minuten doch
richtige Weg ist. Letztlich konnten wir an diesem Haus- schneller vergehen, als man denkt.
halt nichts ändern. Im Ausschuss haben Sie alle unsere
Änderungsvorschläge großzügig abgeschmettert. (Heiterkeit im ganzen Hause)
Ins Gewissen möchten wir Ihnen an dieser Stelle doch Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wün-
noch einmal reden und fragen, wie diese sauer erwirt- sche Ihnen einen schönen Abend.
schafteten Mittel von Ihnen verwendet werden, also an (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wen und wofür wie viel gegeben wird. Das ist ja eine un- der CDU/CSU)
serer Aufgaben.
Einige meiner Fragen wurden schon angesprochen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich komme zunächst einmal auf China zu sprechen, Sibylle Pfeiffer spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin. Dass wir China aus dem Entwick-
(Beifall bei der CDU/CSU – Hellmut
lungsetat Kredite geben, stellt für mich dann kein Pro- Königshaus [FDP]: Auch sieben Minuten ver-
blem dar, wenn diese Kredite zurückzuzahlen sind. gehen schneller, als man denkt!)
(Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe-
rin: Werden sie!) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auf diese Weise können wir nämlich Einfluss darauf Liebe Kollegin Koczy, wenn ich mich recht erinnere
nehmen, was in China gemacht wird. Entwicklungshilfe – obwohl ich das gerne verdrängen würde –, waren die
an China kommt für mich aber überhaupt nicht infrage, Grünen sieben Jahre in der Regierungsverantwortung.
wenn die Chinesen mit unserem Geld ihre Entwick-
lungszusammenarbeit mit Afrika finanzieren. Einen sol- (Hellmut Königshaus [FDP]: Was bedauerlich
chen Luxus können wir uns angesichts unseres Schul- genug war!)
6616 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Sibylle Pfeiffer
(A) – Was bedauerlich genug war, genau. Staffelt. – In diesem Zusammenhang haben wir Entwick- (C)
lungspolitiker doch wirklich ein Problem. Warum ist das
(Jürgen Koppelin [FDP]: Das wird sie jetzt
eigentlich so? Warum gelingt es uns nicht, den Bürgern
auch dementieren!)
zu vermitteln, dass es in ihrem ureigenen Interesse ist,
Während dieser sieben Jahre wurde jedes Jahr aufs Neue dass wir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
angekündigt, dass die Ansätze im Einzelplan 23 erhöht wicklung betreiben?
würden. Jedes Jahr stellten wir bei der Haushaltsdebatte
Ich versuche den Bürgern in meinem Wahlkreis im-
fest, dass nichts passiert ist. Deshalb wundert es mich
mer zu erklären, dass wir die Friedens- und Sicherheits-
schon ein bisschen, wie Sie hier auftreten. Wir sind je-
politiker sind. Frieden und Sicherheit sind allgemeine
denfalls ungeheuer stolz darauf, dass uns das dieses Jahr
Begriffe. Sie umfassen die Gefahrenprävention und die
gelungen ist. Wir sind vor allem auch deshalb stolz da-
Gefahrenabwehr, aber auch die Herstellung von Frieden
rauf, Frau Ministerin, weil wir eine gute Bundeskanzle-
und Sicherheit. Das bezieht sich im Übrigen nicht nur
rin haben, die genau das unterstützt hat.
auf die Entwicklungsländer, sondern auch auf Deutsch-
(Beifall bei der CDU/CSU) land.
Als Vorletzte ist es immer ganz schwierig, in einer Natürlich fallen darunter auch – liebe Kollegin
solchen Debatte zu reden. Hänsel, hören Sie mir gut zu – die friedenssichernden
Missionen der Bundeswehr, die mit ihrem Einsatz in den
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Krisenregionen weltweit einen unschätzbaren Dienst
Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Koczy auch zur nachhaltigen Entwicklung und damit zu unserer
zulassen? Sicherheit leistet.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): FDP)
Dabei habe ich jetzt gerade so gut angefangen.
Denn ohne Frieden, liebe Kollegin Hänsel, haben wir
keine Sicherheit und ohne Sicherheit haben wir keine
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entwicklung. Das ist ganz normal. Wenn Sie hier mit Ih-
Liebe Kollegin Pfeiffer, liebe Sibylle, nur eine kleine ren propagandistischen Reden, mit Ihren Ideen von anno
Erinnerung, zur Kenntnisnahme oder auch zum Merken. dunnemal kommen, mit Formulierungen, die wir in den
Mein Kollege Hoppe war derjenige, der daran gearbeitet 70er-Jahren vom Spartakus gehört haben, dann kommen
hat, dass unter Rot-Grün das 0,7-Prozent-Ziel als politi- wir nicht weit.
sches Ziel verankert wird. Ist Ihnen das bekannt?
(B) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (D)
(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Und was ist FDP)
daraus geworden?)
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Ich bin heilfroh,
dass Sie nicht in der Regierungsverantwortung sind und
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):
zum Glück auch nie hineinkommen.
Ich habe eben schon gesagt: Ziele formulieren ist das
eine; mit einer guten Bundeskanzlerin Unterstützung für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
deren Umsetzung zu haben, ist das andere. der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wenn ich den Bürgern vor Ort das Thema Sicherheit
Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und Frieden als unsere ureigene Politik nahe gebracht
Damit haben wir angefangen!) habe, dann versuche ich, ihnen zu erläutern, dass auch
der Terrorismus unser Thema ist, weil dieser zum Bei-
Wir haben hier eine Debatte, in der wir uns im
spiel auf dem Nährboden der Armut wächst. Armut ist
Grunde ziemlich einig sind. Wir wissen um die
menschliches Leid. Da müssen wir helfen, und zwar
Schwachpunkte, die Probleme, wir wissen, was wir ei-
durch Hilfe zur Selbsthilfe, damit sich die Menschen
gentlich wollen, wo wir hinwollten, wenn wir könnten,
dort, wo sie sind, ernähren können, damit sie dort blei-
mit wie viel Geld wir ausgestattet werden wollen, wir
ben können, wo ihre Familien sind, und nicht in die Mi-
wissen um Hunger und Armut und Ähnliches. Aber,
gration müssen. Uns allen sind die Schiffe aus Afrika auf
liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Sie alle ein-
den Kanaren bestens bekannt.
mal fragen: Haben Sie in Ihrem Wahlkreis schon einmal
ausschließlich mit dem Thema wirtschaftliche Zusam- Ich erläutere den Bürgern, dass es einen direkten Zu-
menarbeit und Entwicklung Wahlkampf gemacht? Das sammenhang zwischen den Themen Umwelt, Klima,
haben Sie natürlich alle nicht; denn dann hätten Sie Ihren Rohstoffökonomie, Bildung und Ausbildung – im Übri-
Wahlkreis, so Sie ihn gewonnen haben, mit Sicherheit gen vor allem für Mädchen und Frauen –, Desertifika-
nicht gewonnen. tion, Wasserknappheit, Gesundheit und hier besonders
HIV/Aids gibt. Ich sage jedem Bürger, dass ich fest da-
(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Mein ganzer Wahl-
von überzeugt bin, dass Prävention immer besser ist als
kreis braucht wirtschaftliche Entwicklung! –
Reparaturarbeiten – besser, günstiger und letztendlich
Heiterkeit im ganzen Hause)
auch einfacher. Wir müssen mit den Steuergeldern unse-
– Dass wir Wahlkreise haben, die wirtschaftliche Ent- rer Bürger sorgfältig umgehen. Auch das ist unsere Ver-
wicklungshilfe brauchen, ist uns klar, lieber Kollege antwortung.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6617
Sibylle Pfeiffer
(A) Wenn ich den Bürgern diese Zusammenhänge klar Entschuldung aufgewendet werden, zu kritisieren. Letzt- (C)
mache, ernte ich immer ein verständnisvolles Kopf- endlich ist es so, dass die Länder mehr Spielräume für
nicken, weil es ein jeder versteht. Danach herrscht ein Bildung und Gesundheit haben, wenn sie entschuldet
Moment Ruhe. Aber was passiert dann? Die betreffen- sind. In Tansania und Uganda gehen mittlerweile dop-
den Bürger sagen mir, dass sie zehn Euro Praxisgebühr pelt so viele Kinder zur Schule wie früher. Es ist also
zahlen müssen. Dann bin selbst ich fast am Ende. richtig, dass wir die Mittel so einsetzen, dass sie eine
positive Wirkung entfalten können.
(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE
LINKE]: Ja!) Die Probleme auf dieser Welt sind nicht allein durch
Geld zu lösen. Dies ist heute schon mehrfach gesagt
Aber ich bin natürlich noch nicht ganz am Ende.
worden. Deshalb möchte ich während meiner verblei-
(Hellmut Königshaus [FDP]: Das hätte uns benden Redezeit – ich habe unserem Geburtstagskind
auch gewundert!) statt Blumen zwei Minuten meiner Redezeit geschenkt –
noch zwei Punkte ansprechen, die noch nicht erwähnt
Da meine Redezeit schon fast vorbei ist, möchte ich wurden.
nur noch eine kurze Bemerkung machen. Ich bedaure
sehr, dass wir diese Debatte nicht dann führen können Geld ist der eine Punkt. Aber wir brauchen zum Bei-
– das Gegenteil hätte mich gefreut –, wenn das Fernse- spiel auch Bedingungen innerhalb der Weltwirtschaft,
hen noch zugeschaltet ist. Heute debattieren wir wieder mit denen die Entwicklungsländer in die Lage versetzt
unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ich will mich nicht werden, aufgrund einer besseren Infrastruktur und besse-
über die Medien beschweren. Denn wir haben das rer Bildungsmöglichkeiten produktiv zu sein und am
Thema Entwicklungspolitik schon des Öfteren in den fairen Welthandel teilzunehmen. Ich glaube, um das zu
Medien gehabt. Wir bekommen von dieser Seite auch erreichen, brauchen wir bei der Doha-Runde der WTO,
Unterstützung. Nichtsdestotrotz müssen wir daran arbei- die gerade gestoppt wurde, einen neuen Anlauf. Es muss
ten, dieses wichtige Politikfeld auch in der Zukunft in auch in den Verhandlungen mit den afrikanischen, kari-
der Öffentlichkeit zu präsentieren. bischen und pazifischen Staaten noch einen großen
Schub geben. Es reicht eben nicht aus, den Fischern nur
Es liegt im Interesse unseres Landes und unserer Bür-
ein Netz zur Verfügung zu stellen. Sie müssen auch die
ger, dass Deutschland an der Entwicklung in den Ent-
Möglichkeit haben, ihren Fisch zu fairen Preisen zu ver-
wicklungsländern beteiligt ist. Es ist unsere Verantwor-
kaufen.
tung, dafür zu sorgen, dass es den Menschen vor Ort gut
geht. Dann haben auch wir etwas davon. Es freut mich, dass auf der Konferenz „Globalisie-
Vielen Dank. rung fair gestalten“, an der auch der Bundesarbeitsminis-
(B) ter und die Bundeskanzlerin teilgenommen haben, das (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Thema der fairen und sozial gerechten Gestaltung der
Globalisierung angesprochen wird. Die Kanzlerin hat
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: heute das gesagt, was wir als SPD-Fraktion schon in den
Zum Abschluss der Debatte hat der Kollege Sascha Bundestag eingebracht haben, nämlich dass auch Kern-
Raabe für die SPD-Fraktion das Wort. arbeitsnormen und Sozialstandards im Welthandelssys-
tem auf WTO-Ebene verankert werden müssen. Denn
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir wollen allen Menschen eine faire Teilhabe am wirt-
Er hat auch nur fünf Minuten!) schaftlichen Aufschwung ermöglichen.
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da
Dr. Sascha Raabe (SPD):
kriegen Sie Beifall von der Opposition!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir verabschieden in diesem Jahr schon den zweiten – Jawohl. – In diesem Sinne geht es auch in den kom-
Haushalt. Es ist für die Opposition daher schwer, die Tat- menden Jahren nicht nur darum, die Mittel zur Erfüllung
sache kommentieren zu müssen, dass ein Etat innerhalb der ODA-Quote zu steigern – da sind wir mit großen
eines Jahres zweimal um über 300 Millionen Euro – das Schritten vorangekommen –, sondern auch darum, im
sind zweimal 8 Prozent – aufwächst. Daran Kritik zu wirtschaftlichen Bereich die richtigen Rahmenbedingun-
üben, ist wirklich schwierig. Ich denke, das hat man gen zu schaffen.
heute gemerkt.
Ein letzter Satz zu den Attacken auf unsere Auslands-
Es wurde heute zwar viel geredet, aber weniger über einsätze. Denken Sie an den Einsatz im Kongo, zu dem
den Haushalt selbst. Dass wir es geschafft haben, mehr die Linkspartei gesagt hat: Dort dürfen keine deutschen
Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfü- Soldaten eingesetzt werden. Nach der vor kurzem ge-
gung zu stellen, muss eigentlich auch von der Opposi- troffenen Wahlentscheidung gab es auch gestern wieder
tion anerkannt werden. eine kritische Situation vor dem Gerichtsgebäude. Auch
dank deutscher UN-Soldaten vor Ort wurde erreicht, die
(Dr. Karl Addicks [FDP]: Das haben wir doch
Situation zu befrieden. Das sind Beispiele dafür, dass
getan!)
das Zusammenspiel funktioniert. Wir helfen im Kongo
Es kann auch nicht angehen, dass man versucht, den auf zivile Weise mit Entwicklungspolitik. Sie sollten un-
Einsatz der Mittel, die aufgrund der Steigerung der ODA- sere Soldaten nicht in der Weise diffamieren, dass Sie sa-
Quote zur Verfügung stehen und die zum Beispiel für die gen, sie seien nicht Teil der Lösung, sondern Teil des
6618 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

Dr. Sascha Raabe


(A) Problems. Im Kongo sind in den letzten Jahrzehnten In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerk- (C)
3,5 Millionen Menschen gemeuchelt worden. Es gab nur samkeit und dafür, dass ich nun doch fast fünf Minuten
eine UN-Friedenstruppe mit Soldaten aus Entwicklungs- reden durfte.
ländern, zum Beispiel aus Bangladesch. Sie lassen dort
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
seit Jahren ihr Leben. Dass Sie, Frau Hänsel, sagen, wir
sollten uns an einem solchen Einsatz nicht beteiligen, ist
schäbig. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Nachdem Sie so großartig ein Geschenk angekündigt
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie haben, sage ich Ihnen: Bei uns hieß das geschenkt ist ge-
bei Abgeordneten der FDP) schenkt, wieder holen ist gestohlen.
Das sollten Sie einmal Herrn Gysi ausrichten. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den
Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfas-
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. sung. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Einzelplan 23 mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenom-
Dr. Sascha Raabe (SPD): men.
Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen, son-
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
dern sagen: Wir wollen Menschen helfen und präventiv
nung.
tätig sein. Wir können nicht tatenlos zusehen, wie Men-
schen abgeschlachtet und gemeuchelt werden. Die nächste Sitzung berufe ich für morgen, den
23. November 2006, 9 Uhr, ein.
Deswegen gilt unser Dank den Entwicklungshelfern,
die sich in Krisenregionen engagieren, und ebenso unse- Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonne-
ren Soldaten. Wir sollten alle zusammen auch in Zukunft nen Einsichten.
für Frieden, Sicherheit und Entwicklung sorgen. Das al-
Die Sitzung ist geschlossen.
les gehört zusammen. Man darf dies nicht gegeneinander
ausspielen; das eine bedingt das andere. (Schluss: 19.27 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006 6619

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Binder, Karin DIE LINKE 22.11.2006 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 22.11.2006
DIE GRÜNEN
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 22.11.2006
Dr. Troost, Axel DIE LINKE 22.11.2006
Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 22.11.2006*
Land), Axel E. Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 22.11.2006

Gloser, Günter SPD 22.11.2006 Wolff (Wolmirstedt), SPD 22.11.2006


Waltraud
Großmann, Achim SPD 22.11.2006

Hettlich, Peter BÜNDNIS 90/ 22.11.2006


* für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union
DIE GRÜNEN

Hilsberg, Stephan SPD 22.11.2006 Anlage 2


Erklärung
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 22.11.2006
DIE GRÜNEN der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU)
zur Abstimmung über den Einzelplan 04 – Bun-
Hovermann, Eike SPD 22.11.2006 deskanzlerin und Bundeskanzleramt (Tagesord-
nungspunkt I.8)
Jelpke, Ulla DIE LINKE 22.11.2006
(B) Im kommenden Jahr stehen der Stiftung für das sorbi- (D)
Königshaus, Hellmut FDP 22.11.2006 sche Volk mit 7,6 Millionen Euro nun 50 000 Euro mehr
zur Verfügung, als ursprünglich im Regierungsentwurf
Kopp, Gudrun FDP 22.11.2006 vorgesehen war. Diese nachträgliche Aufstockung des
Etats durch das Parlament begrüße ich ausdrücklich. So-
Merten, Ulrike SPD 22.11.2006 mit kann die Stiftung auf den gleichen Betrag wie im
Vorjahr zurückgreifen. Das ist bereits ein Erfolg. Des-
Mortler, Marlene CDU/CSU 22.11.2006 halb stimme ich dem Etat zu.

Nitzsche, Henry CDU/CSU 22.11.2006 Ich verweise jedoch ausdrücklich auf den Tatbestand,
dass neben der allgemeinen Sparquote über die Jahre hin
Ortel, Holger SPD 22.11.2006 die Inflationsrate und der Rentensolidarbeitrag erwirt-
schaftet werden musste. Durch Umstrukturierungen in
Röspel, René SPD 22.11.2006 sorbischen Einrichtungen wurden mehr als 200 Stellen
abgebaut. Das Einsparpotenzial ist erschöpft. Das wird
Rupprecht SPD 22.11.2006 auch dadurch deutlich, dass kaum noch Mittel für inves-
(Tuchenbach), tive Zwecke eingesetzt werden können. Die Stiftung
Marlene muss die Substanz einsetzen. Die Entscheidung der Stif-
tungsgremien, die finanziellen Mittel vornehmlich dort
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 22.11.2006 einzusetzen, wo die sorbische Sprache gelernt und ge-
pflegt wird, ist richtig und ist fortzusetzen.
Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 22.11.2006
Der Bund hat sich gemeinsam mit dem Freistaat
Schily, Otto SPD 22.11.2006 Sachsen und Brandenburg auf eine gemeinsame Förder-
politik für die Sorben verständigt. Ausdruck dieser ge-
Schultz (Everswinkel), SPD 22.11.2006 meinsamen Politik ist die Stiftung für das sorbische
Reinhard Volk. Deren Aufgabe ist es, im Kontext der europäischen
Rahmenvereinbarungen die sorbische Sprache und Kul-
Schummer, Uwe CDU/CSU 22.11.2006 tur fortzuentwickeln. Dieser Aufgabe kommt die Stif-
tung in enger Zusammenarbeit mit allen der Sprache,
Spanier, Wolfgang SPD 22.11.2006 dem Brauchtum und der Kultur verpflichteten Vereinen
und Institutionen nach.
6620 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 66. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. November 2006

(A) Es ist notwendig, im Jahr 2007 ein Finanzierungsab- Dem Änderungsantrag der Linksfraktion werde ich (C)
kommen zu beschließen, das dieser Herausforderung ge- zustimmen, weil damit ein deutliches Signal gesetzt
recht wird. wird, dass Schluss ist mit der Jahr für Jahr fortgesetzten
Kürzung der Mittel für die „Die Stiftung für das sorbi-
sche Volk“, die vor wenigen Jahren immerhin noch
Anlage 3 8 181 000 Euro betragen hat.
Erklärung Im Übrigen will ich darauf hinweisen, dass der Bund
für alle Minderheiten zuständig ist und bleibt. Es wäre
des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) gut, wenn sich das in zukünftigen Haushalten auch wi-
zur Abstimmung über den Einzelplan 04 – Bun- derspiegelte.
deskanzlerin und Bundeskanzleramt (Tagesord-
nungspunkt I.8)
Anlage 4
Zum Einzelplan 04 – dem Haushalt der Bundeskanz-
lerin – gehört ein Kapitel für den Zuschuss des Bundes Erklärung
an die „Stiftung für das sorbische Volk“. Dank des
der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg)
Engagements der Linksfraktion konnte der Bundestag in
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim-
den Haushaltberatungen erreichen, dass die von der
mung über den Einzelplan 14, Bundesministe-
Bundesregierung beabsichtigte Kürzung der Mittel für
rium der Verteidigung, hier: Änderungsantrag
die „Stiftung für das sorbische Volk“ um 50 000 Euro
der Fraktion der FDP (Drucksache 16/3489)
zurückgenommen wurde.
(Tagesordnungspunkt I.10)
Das ist gut aber nicht genug. Deswegen werde ich Ich erkläre im Namen der Fraktion des BÜNDNIS-
dem Einzelplan 04 nicht zustimmen. SES 90/DIE GRÜNEN, dass unser Votum Ja lautet.
Zustimmen werde ich dem Änderungsantrag der
Fraktion DIE LINKE, mit dem eine Erhöhung des Zu-
schusses um 480 000 Euro auf 8 080 000 Euro gefordert Anlage 5
wird. Erklärung
Dem werde ich zustimmen, weil damit der Verpflich- der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg)
tung aus dem Einigungsvertrag, die Bewahrung und (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim-
Fortentwicklung der sorbischen Kultur und der sorbi- mung über den Einzelplan 14, Bundesministe-
(B) schen Tradition unbefristet zu gewährleisten, entspro- (D)
rium der Verteidigung, hier: Änderungsantrag
chen wird. der Fraktion DIE LINKE (Drucksache 16/3466)
(Tagesordnungspunkt I.10)
Dem Änderungsantrag werde ich zustimmen, weil ich
aus eigenem Erleben als Abgeordneter aus der Oberlau- Ich erkläre im Namen der Fraktion des BÜNDNIS-
sitz weiß, wie wichtig und hilfreich diese Mittel für die SES 90/DIE GRÜNEN, dass unser Votum Enthaltung
sorbische Minderheit in unserem Land sind. lautet.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

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