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Plenarprotokoll 17/64

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

64. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Antwort
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
Befragung der Bundesregierung: nationale
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6719 C
Engagementstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6713 A
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin Zusatzfragen
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6713 B Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 6719 D
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6714 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6720 B
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6720 D
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6714 C Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6721 A
Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6715 C
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin Mündliche Frage 1
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6715 C Kirsten Lühmann (SPD)
Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6715 D Nutzung ländlicher Räume insbesondere
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin im Osten Deutschlands als Rückzugsräume
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6716 B durch die organisierte Kriminalität
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Antwort
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6717 B Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6721 C
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6717 C Zusatzfragen
Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6719 A Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6721 D
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6719 B Mündliche Frage 5
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Tagesordnungspunkt 2: DIE GRÜNEN)

Fragestunde Schriftliche und mündliche Absprachen


(Drucksache 17/3113, 17/3168) . . . . . . . . . . . 6719 C zwischen der Bundesregierung und den
vier großen Energieversorgern in dieser
Legislaturperiode
Dringliche Frage 1
Inge Höger (DIE LINKE) Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Bewertung der Bundesregierung bezüglich BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6722 B
der Tötung von bis zu acht deutschen
Staatsangehörigen durch den Angriff eines Zusatzfragen
US-amerikanischen Flugkörpers in Pakis- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
tan am 4. Oktober 2010 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6722 C
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Mündliche Frage 6 Zusatzfragen


Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6726 C
DIE GRÜNEN) Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6727 A
Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6727 B
Angaben des SoFFin zu Kapitalhilfen des Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6727 D
Bundes bei der Hypo Real Estate; Zweifel Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6728 A
an der langfristigen Überlebensfähigkeit der
Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6728 B
HRE als Risiko für den Bundeshaushalt
Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6728 C
Antwort Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6728 D
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6723 B
Zusatzfragen Mündliche Frage 31
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6723 C
Etwaige Organisation der Leistungen für
Bildung und Teilhabe von Kindern über
Mündliche Frage 18 die Schulen und Kindertagesstätten unter
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Einbeziehung der Jugendämter
DIE GRÜNEN) Antwort
Kriterien zur Förderfähigkeit von Kraft- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
werken aus dem Energie- und Klimafonds BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6729 A
des neuen Energiekonzeptes
Zusatzfragen
Antwort Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6729 B
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 6729 C
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6724 C Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6730 C
Zusatzfragen Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6731 A
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Steffen-Claudio Lemme (SPD) . . . . . . . . . . . 6731 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6724 D Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6731 C
Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6731 D
Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6732 B
Mündliche Frage 19
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 32
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD)
Zeitplan für die Verabschiedung des CCS-
Gesetzes zur Demonstration der dauerhaf- Kinder mit Anspruch auf das Schulbe-
ten Kohlendioxidspeicherung darfspaket bei geplanter Streichung von
Antwort § 6 a Abs. 4 a des Bundeskindergeldgeset-
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär zes und Verankerung dieses Anspruchs in
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6725 B § 7 Abs. 2 SGB XII
Zusatzfragen Antwort
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6725 C BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6732 C
Zusatzfragen
Mündliche Frage 25 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 6732 C
Anette Kramme (SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6733 A
Höhe der Regelbedarfe Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6733 B
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 6733 C
Antwort Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6734 A
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6726 A
Mündliche Frage 35
Steffen-Claudio Lemme (SPD)
Mündliche Frage 26
Anette Kramme (SPD) Fehlende Herleitung der Höhe der regelbe-
Methodische Verfahren zur Bildung der darfsrelevanten Ausstattung mit persönli-
Referenzhaushalte chem Schulbedarf laut Referentenentwurf

Antwort Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6726 B BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6734 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 III

Mündliche Frage 36 Antwort


Steffen-Claudio Lemme (SPD) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6736 C
Sicherung des Bedarfs auf Lernförderung
gemäß Bundesverfassungsgericht bei der
Novellierung der Regelbedarfssätze
Mündliche Frage 48
Antwort Katja Mast (SPD)
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Vorgehensweise bei der Ermittlung regel-
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6734 C
bedarfsrelevanter Ausgaben für den Ver-
kehr
Mündliche Frage 41 Antwort
Hilde Mattheis (SPD) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Zeitnahe Berücksichtigung der Verände- BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6737 A
rungen von Löhnen und Preisen nach Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichts bei
der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen Mündliche Frage 55
nach § 28 a SGB XII Gustav Herzog (SPD)
Nettoeinkommen der als Referenzhaus-
Antwort
halte betrachteten Haushalte
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6735 A Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6737 C
Mündliche Frage 42
Hilde Mattheis (SPD)
Unterbliebene Fortschreibung der für das Mündliche Frage 56
Jahr 2008 ermittelten regelsatzrelevanten Gustav Herzog (SPD)
Verbrauchsausgaben Höhe der Regelbedarfe im Falle der Zu-
Antwort grundelegung einer um die Haushalte mit
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Bezug existenzsichernder Leistungen berei-
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nigten Einkommens- und Verbrauchsstich-
6735 B
probe 2008
Zusatzfrage
Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antwort
6735 B
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6737 D
Mündliche Frage 45
Josip Juratovic (SPD)
Mündliche Frage 60
Definition der Referenzgruppe zur Ermitt- Christine Buchholz (DIE LINKE)
lung von Regelbedarfen nach § 28 SGB XII
Pressebericht über die Beförderung Georg
Antwort Kleins bei der Bundeswehr
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6735 D Antwort
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6738 A
Mündliche Frage 46
Zusatzfrage
Josip Juratovic (SPD)
Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6738 B
Transparenz bei der Ermittlung der Regel-
sätze
Mündliche Frage 61
Antwort Christine Buchholz (DIE LINKE)
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6736 A Beförderung Georg Kleins bei der Bundes-
wehr angesichts seiner Rolle bei der Bom-
Zusatzfrage bardierung im Raum Kunduz/Afghanistan
Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6736 B am 4. September 2009
Antwort
Mündliche Frage 47 Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
Katja Mast (SPD) BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6738 C
Sicherung der Mobilität von SGB-II-Leis- Zusatzfrage
tungsempfängern Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6738 D
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Mündliche Frage 85 Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6752 C


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6753 D
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/
Dynamischer Sicherheitsstandard für
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6755 A
Atomkraftwerke
Werner Simmling (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 6756 D
Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6758 A
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6739 D
Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 6760 A
Zusatzfragen
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6761 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6739 D Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 6762 B

Mündliche Frage 89 Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6763 D


Sabine Stüber (DIE LINKE)
Finanzielle Unterstützung der Yasuni-ITT- Anlage 1
Initiative zum Erhalt der biologischen Viel-
falt im Yasuni-Nationalpark in Ecuador Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6765 A

Antwort
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin Anlage 2
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6740 C
Mündliche Frage 2
Zusatzfragen Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6740 D
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ Aussetzung der Rückführung von Roma in
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . das Kosovo
6741 B
Antwort
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 90 BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6765 D
Sabine Stüber (DIE LINKE)
Offene Fragen und Bedenken bezüglich ei-
Anlage 3
ner Einzahlung in den Treuhandfonds für
die Yasuni-ITT-Initiative Mündliche Frage 3
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6741 C Beteiligung von Kräften der Bundespolizei
beim Polizeieinsatz bei der Demonstration
Zusatzfragen gegen das Projekt Stuttgart 21 am 30. Sep-
Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6741 D tember 2010 im Schlossgarten in Stuttgart
Antwort
Zusatztagesordnungspunkt 1: Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6766 B
Aktuelle Stunde: Projekt Stuttgart 21 . . . . 6741 D
Peter Friedrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6742 A
Anlage 4
Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6743 B
Mündliche Frage 4
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 6744 D Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6746 B
Grund für das massive Einschreiten der
Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Polizei bei der Demonstration gegen das
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6747 B Projekt Stuttgart 21 am 30. September
Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 6748 D 2010

Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6750 A Antwort


Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6751 B BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6766 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 V

Anlage 5 Anlage 10
Mündliche Frage 7 Mündliche Frage 12
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
DIE GRÜNEN) Wirksamkeit der Doppelbesteuerungs-
Etwaiger Ersatz der Gewerbesteuer durch abkommen mit den Cayman Islands und
kommunale Zuschläge auf Einkommen-, Monaco sowie anstehende Vertragsver-
handlungen mit Singapur
Körperschaft- und Abgeltungsteuer
Antwort
Antwort Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6771 B
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6766 C

Anlage 11
Anlage 6 Mündliche Frage 13
Mündliche Frage 8 Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Einkommensteuerbelastung der als Refe-
DIE GRÜNEN) renz für die Ermittlung der neuen Hartz-IV-
Regelsätze herangezogenen Erwerbstäti-
Maßnahmen zur Stärkung der Gemeinde- gen; Zahl der einkommensteuerpflichtigen
finanzen, etwa durch Erhöhung der Um- Beschäftigten mit gleichzeitigem Bezug von
satzsteueranteile der Kommunen aufstockenden Leistungen nach SGB II
Antwort Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6766 D BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6771 D

Anlage 7 Anlage 12
Mündliche Frage 14
Mündliche Frage 9
Heinz Paula (SPD)
Stefan Schwartze (SPD)
Vorlage der angekündigten Tourismuskon-
Finanzsituation der Kommunen zeption für den ländlichen Raum
Antwort Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Peter Hintze, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6767 A BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6772 B

Anlage 8 Anlage 13
Mündliche Frage 15
Mündliche Frage 10 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Klaus Hagemann (SPD)
Zahl der vorhandenen Urlaubsplätze in
Rückflüsse von EU-Mitteln gemäß EU- Familienferienstätten und durchschnittli-
Haushaltsbericht 2009 che Kosten für eine Alleinerziehende mit
zwei Kindern mit Hartz-IV-Bezug für ei-
Antwort
nen 14-tägigen Urlaub
Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6767 C Antwort
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6772 B
Anlage 9
Mündliche Frage 11 Anlage 14
Klaus Hagemann (SPD) Mündliche Frage 16
Mithilfe des europäischen Konjunkturpro- Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
gramms finanzierte Projekte in Deutsch- Ferienunterkünfte zu erschwinglichen Prei-
land sen für auf Hartz IV angewiesene Familien
Antwort Antwort
Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär Peter Hintze, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6770 A BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6772 D
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Anlage 15 Antwort
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 17
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6774 A
DIE GRÜNEN)
Vorgesehene Regelung des Spitzenaus- Anlage 20
gleichs für Unternehmen im Rahmen der
Energie- und Stromsteuer ab 2013 im Mündliche Frage 24
Haushaltsbegleitgesetz Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
Antwort Mittelabfluss beim Eingliederungstitel im
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär SGB II bis September 2010
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6773 A
Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Anlage 16 BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6774 B
Mündliche Frage 20
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Anlage 21
Unterstützung für den Multi-Stakeholder- Mündliche Fragen 27 und 28
Ansatz im Bereich der globalen Netzpoli- Elke Ferner (SPD)
tik; Eintreten für die Verlängerung des
auslaufenden Mandats für das Internet- Verzicht der Bereinigung der Einkom-
Governance-Forum mens- und Verbrauchsstichprobe 2008 um
Antwort verschiedene einkommensschwache Grup-
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär pen sowie Verwendung nicht veröffentlich-
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6773 B ter Positionen bei der Neuberechnung der
Regelsätze
Antwort
Anlage 17
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 21 BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6775 A
Garrelt Duin (SPD)
Vorlage und Inhalt des vom Bundesminis-
ter für Wirtschaft und Technologie ange- Anlage 22
kündigten Gesamtkonzepts zur Industrie-
politik Mündliche Frage 29
Anton Schaaf (SPD)
Antwort
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär Fehlende Herausrechnung ausgewählter
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6773 C Gruppen mit Niedrigeinkommen nach
Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts
bei der Neuberechnung der Regelsätze
Anlage 18
Antwort
Mündliche Frage 22 Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Garrelt Duin (SPD) BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6775 D
Verbesserungsbedarf beim KfW-Sonder-
programm
Anlage 23
Antwort
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 30
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6773 D Anton Schaaf (SPD)
Begründung für die Verwendung des Misch-
Anlage 19 index zur Fortschreibung der Regelbe-
Mündliche Frage 23 darfsstufen bei der Novellierung des § 28 a
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ SGB XII sowie Prüfung weiterer Varianten
DIE GRÜNEN) Antwort
Konditionen für die geplanten KfW-Kre- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
dite für Offshore-Windparks BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6776 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 VII

Anlage 24 Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 33 BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6778 A
Sönke Rix (SPD)
Fehlende Berücksichtigung der gesell-
schaftlichen Teilhabe von Kindern im so- Anlage 29
zialen und kulturellen Bereich laut vorge- Mündliche Frage 43
sehener Neuregelung des § 4 Abs. 2 SGB II Bärbel Bas (SPD)
Antwort Definition der gesonderten Bedarfe gemäß
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär § 24 SGB II und § 31 SGB XII des Referen-
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6776 C tenentwurfes und Sicherstellung der Ver-
sorgung mit nicht im Katalog der gesetzli-
chen Krankenversicherung enthaltenen
Anlage 25 Leistungen
Mündliche Frage 34 Antwort
Sönke Rix (SPD) Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Zuordnung der Verbrauchsausgaben für BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6778 C
Kinder in Familienhaushalten auf Grund-
lage der Studie „Kosten eines Kindes“; al- Anlage 30
ternative Ermittlungsmethoden
Mündliche Frage 44
Antwort Bärbel Bas (SPD)
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6777 A Berechnungsgrundlage der Fortschreibung
der regelsatzrelevanten Verbrauchsausga-
ben bei der Novellierung der Regelsätze
Anlage 26 Antwort
Mündliche Fragen 37 und 38 Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Swen Schulz (Spandau) (SPD) BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6778 D
Fehlender Sicherstellungsauftrag für die
Träger der Grundsicherung hinsichtlich Anlage 31
der gesellschaftlichen Teilhabe von Kin- Mündliche Fragen 49 und 50
dern sowie Gutscheinregelungen gemäß Thomas Oppermann (SPD)
dem Referentenentwurf zur Änderung des
SGB II und SGB XII Methoden bei der Bestimmung der Refe-
renzhaushalte
Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Antwort
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6777 B Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6779 A

Anlage 27
Anlage 32
Mündliche Frage 39
Stefan Schwartze (SPD) Mündliche Fragen 51 und 52
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD)
Kostenbelastung für Kommunen durch
Streichung des Wohngeldvorrangs für Bestimmung der Referenzhaushalte; An-
nicht auf Sozialgeld angewiesene Kinder wendung des Statistikmodells
gemäß geplanter Änderung des SGB II Antwort
Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6779 D
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6777 D
Anlage 33
Anlage 28 Mündliche Frage 53
Dagmar Ziegler (SPD)
Mündliche Frage 40
Dr. Carola Reimann (SPD) Rechtsanspruch auf Förderung und sozio-
kulturelle Teilhabe von Kindern
Berücksichtigung eines gemeinsamen Mit-
tagessens in Schulen und Kindertagesstät- Antwort
ten als zusätzlicher Bedarf bei der Berech- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
nung der Sozialhilfe für Kinder BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6780 B
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Anlage 34 Antwort
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 54 BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6782 A
Dagmar Ziegler (SPD)
Untersuchungen zur Auswertung der Ein-
kommens- und Verbrauchsstichprobe Anlage 39
(EVS) 2008 Mündliche Fragen 64 und 65
Antwort Petra Crone (SPD)
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Vorlage des Anschlusskonzepts zur Folge-
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6780 C finanzierung der Mehrgenerationenhäu-
ser; an der Erarbeitung beteiligte Bundes-
ressorts, Länder und Kommunen
Anlage 35
Antwort
Mündliche Frage 57 Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6782 C
SGB-II-Leistungen an Antragstellerinnen
und Antragsteller aus landwirtschaftli-
chen Betrieben Anlage 40
Antwort Mündliche Frage 66
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Caren Marks (SPD)
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6780 D
Erstellung neuer Bescheide für alle Eltern-
geldbeziehenden zum 1. Januar 2011
Anlage 36 Antwort
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 58
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6783 A
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
Kritik der Rechtsabteilung des Europäi-
schen Parlaments am EU-Fischereiabkom- Anlage 41
men mit Marokko
Mündliche Frage 67
Antwort Caren Marks (SPD)
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6781 C Freibetragsregelung beim Elterngeld für
sogenannte Aufstocker
Antwort
Anlage 37 Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 59 BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6783 B
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 42
Gemeinsam mit afghanischen Sicherheits-
Mündliche Frage 68
kräften geplante Festnahmen von Aufstän-
Harald Weinberg (DIE LINKE)
dischen im Norden Afghanistans seit Juli
2009; Durchführung bei Nichterscheinen Auswirkungen des GKV-Finanzierungsge-
der afghanischen Partner setzes in der Kabinettsbeschlussfassung auf
§ 32 Abs. 4 SGB XII
Antwort
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär Antwort
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6781 D Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6783 C
Anlage 38
Anlage 43
Mündliche Fragen 62 und 63
Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) Mündliche Frage 69
Harald Weinberg (DIE LINKE)
Auflösung des Militärgeschichtlichen For-
schungsamts am Standort Potsdam und Einbußen bei der gesetzlichen Kranken-
Angliederung an die Führungsakademie versicherung durch die geplante Absen-
der Bundeswehr; vorgesehene Neukonzep- kung der Beitragsbemessungs- und Pflicht-
tion der militärgeschichtlichen Forschung versicherungsgrenze ab 2011
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 IX

Antwort Antwort
Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6783 D BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6785 A

Anlage 44
Anlage 49
Mündliche Fragen 70 und 71
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Mündliche Fragen 78 und 79
Kürzung des Haushaltsansatzes 2011 für Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/
die Städtebauförderung sowie das KfW- DIE GRÜNEN)
Programm „Altengerechtes Bauen“ Belastung für Mieter durch die Umlage der
Antwort Kosten energetischer Sanierung und ge-
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär planter sozialer Ausgleich
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6784 A
Antwort
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6785 B
Anlage 45
Mündliche Frage 74
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD)
Anlage 50
Einschränkungen bei Bauvorhaben im
Schienenverkehr aufgrund zu erwarten- Mündliche Frage 80
der hoher Kosten für Stuttgart 21 Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Antwort
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär Ansatz für die Städtebauförderung im
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6784 C Haushalt 2011
Antwort
Anlage 46 Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6785 D
Mündliche Frage 75
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 51
Rodung der Bäume im Stuttgarter Schloss-
garten im Zusammenhang mit Stuttgart 21 Mündliche Frage 81
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/
Antwort
DIE GRÜNEN)
Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6784 C Auslaufen von Programmen der Städte-
bauförderung

Anlage 47 Antwort
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 76 BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6785 D
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Haltung der Bundeskanzlerin bezüglich ei- Anlage 52
nes Baustopps bei Stuttgart 21
Antwort Mündliche Frage 82
Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6784 D DIE GRÜNEN)
Funktionsstörung der Notstandsanlage im
Atomkraftwerk Biblis A und Prüfung si-
Anlage 48 cherheitstechnisch relevanter Defizite vor
Mündliche Frage 77 der Verlängerung der Laufzeit für Biblis B
Peter Friedrich (SPD)
Antwort
Folgen für Stuttgart 21 im Fall der Abwahl Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
der derzeitigen Landesregierung BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6786 A
X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Anlage 53 Antwort
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
Mündliche Frage 83 BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6787 C
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Begleitung der Umsetzung der vorgesehe- Anlage 58
nen Nachrüstmaßnahmen bei Atomkraft-
werken Mündliche Frage 92
Dr. Rolf Mützenich (SPD)
Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Durch die Bundeskanzlerin erzielte Ergeb-
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6786 B nisse im laufenden Nahost-Gesprächspro-
zess mit Israel
Antwort
Anlage 54
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
Mündliche Frage 84 AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6787 D
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 59
Beteiligung behördenexterner Sachver-
ständiger bei der Erarbeitung von Anfor- Mündliche Frage 93
derungen für Nachrüstungen an Atom- Dr. Rolf Mützenich (SPD)
kraftwerken
Begründung für die Bewerbung Deutsch-
Antwort
lands um einen nichtständigen bzw. ständi-
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
gen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6786 C Nationen vor dem Hintergrund seiner Be-
teiligung an VN-geführten Peacekeeping-
Missionen
Anlage 55
Antwort
Mündliche Frage 86
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
René Röspel (SPD)
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6788 A
Gewinnung von Forschern für eine wissen-
schaftliche Tätigkeit in Deutschland
Anlage 60
Antwort
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 94
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6787 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)

Anlage 56 Bemühungen um die Freilassung des in Sy-


rien verhafteten deutschen Staatsbürgers
Mündliche Frage 87 Ismail Abdi sowie Festhalten am mit Sy-
René Röspel (SPD) rien vereinbarten Rückführungsabkom-
Erhöhung des Ansatzes für Gesetzliche men
Endlageraufwendungen im Bundeshaus- Antwort
halt 2011 Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
Antwort AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6789 A
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6787 B
Anlage 61

Anlage 57 Mündliche Frage 95


Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
Mündliche Frage 91
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Deutsche Beteiligung an der Mission
EUTM Somalia
Deutsche Initiativen bei der Geberkonfe-
renz in New York zur Bekämpfung von Antwort
HIV/Aids sowie Mittelzuweisungen an den Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
Globalen Fonds AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6789 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6713

(A) (C)

Redetext

64. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bereits, und ihre Bereitschaft, sich zu engagieren, nimmt
Einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kol- weiter zu. Ich denke, dass hier ein wirklicher Schatz zu
legen! Die Sitzung ist eröffnet. heben ist und ein sehr großes Potenzial besteht.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Auch das Potenzial, das wichtige gesellschaftliche
Befragung der Bundesregierung Herausforderungen, denen wir zu begegnen haben, in
sich bergen, ist groß, beispielsweise beim Thema des de-
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- mografischen Wandels. Hier spielen die schon eben er-
binettssitzung mitgeteilt: nationale Engagementstrate- wähnten jüngeren Älteren eine große Rolle. Deswegen
gie. plädiere ich dafür, dass wir bei allen Gedanken, die wir
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht uns zur Nachfolge des Zivildienstes machen – wenn
hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen denn die Wehrpflicht ausgesetzt wird –, nicht nur überle-
und Jugend, Frau Dr. Kristina Schröder. gen, wie wir die Engagementbereitschaft Jüngerer we-
(B) cken können, sondern immer auch schauen, wie wir die (D)
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- steigende Engagementbereitschaft Älterer in unseren
lie, Senioren, Frauen und Jugend: Plan integrieren können.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema Engagement spielt auch bei der Integration
In der heutigen Kabinettssitzung hat die Bundesregie-
von Migranten eine wesentliche Rolle. Sämtliche Pro-
rung eine nationale Engagementstrategie verabschiedet,
jekte in diesem Bereich – das sind inzwischen einige –,
also eine nationale Strategie für bürgerliches Engage-
die auf Patenschaftsmodellen basieren, sind ausgespro-
ment in Deutschland. Das ist insofern etwas Neues, als
wir hier erstmals eine gemeinsame, aufeinander abge- chen erfolgreich und funktionieren ausgesprochen gut.
stimmte Strategie aller Bundesressorts zum bürger- Beispielsweise gibt es das Modell „Integrationslotsen“,
schaftlichen Engagement vorlegen. Darin sind aber nicht bei dem junge Migranten als Experten für Integration jün-
nur die verschiedenen Maßnahmen und Schwerpunkte gere Migranten an die Hand nehmen. Ich glaube, hier
aller Bundesressorts eingeflossen: Auch das Nationale können wir für die Integration wirklich viel erreichen.
Forum für Engagement und Partizipation wurde einbe- Schließlich geht es auch um das Engagement für bil-
zogen. In diesem Forum haben sich wichtige zivilgesell- dungsferne Schichten. Es gibt bereits im Rahmen der Ju-
schaftliche Akteure organisiert. Insofern sind auch deren
gendfreiwilligendienste sehr interessante Ansätze auf
Maßgaben in die nationale Engagementstrategie einge-
Länderebene. Hier ist vorgesehen, dass jemand, der für
flossen.
längere Zeit einen Freiwilligendienst übernimmt, zu-
Wir greifen mit der nationalen Engagementstrategie gleich auch den Schulabschluss nachmachen kann.
zwei wichtige positive Entwicklungen auf. Wenn man
schaut, wie groß die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Ich glaube, dass dies eine wesentliche Anregung für
Engagement ist, dann erkennt man, dass sie nach wie vor Überlegungen sein kann, die sich mit der Frage beschäfti-
groß und sogar etwas gewachsen ist: 36 Prozent aller gen, was nach dem Zivildienst kommt. Es muss uns gelin-
Deutschen engagieren sich bürgerschaftlich. Zudem sagt gen, bildungsfernen Schichten die Möglichkeit zu geben,
ein weiteres Drittel aller Deutschen: Wir würden uns über bürgerschaftliches Engagement den Berufseinstieg
gerne engagieren, wenn wir eine passende Gelegenheit zu schaffen. Man muss ihnen die Chance geben, sich bei
fänden. – Gerade der Anteil derjenigen, die sich gerne Arbeitgebern zu beweisen, bei denen sie aufgrund ihrer
engagieren würden, hat zugenommen. Hier ist insbeson- Zeugnisse niemals eine Chance gehabt hätten. In diesem
dere die Gruppe der jüngeren Älteren interessant, derer Bereich haben wir großes Potenzial. All das sind Themen,
zwischen 65 und 80. Gerade diese Gruppe engagiert sich die sich um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft dre-
6714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) hen. Generell gesprochen: Darum geht es beim bürger- Beschäftigten gearbeitet, sondern vorrangig auf der Ar- (C)
schaftlichen Engagement. beit von Ehrenamtlichen aufgebaut wird?
Gleichzeitig brauchen wir angesichts der gesellschaft-
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lichen Herausforderungen Bürgerinnen und Bürger, die
lie, Senioren, Frauen und Jugend:
sich verantwortlich fühlen und die mit ihren Ideen und ih-
rer Eigeninitiative in ihrem Umfeld etwas bewegen wol- In der Tat haben wir, die Linke und die Bundesregie-
rung, prinzipiell ein unterschiedliches Verständnis von
len. Ebenso brauchen wir Bürgerinitiativen, Bürgerstif-
bürgerschaftlichem Engagement. Das ist auch gut so. Es
tungen, Unternehmen und die klassischen Vereine. Wir
geht überhaupt nicht darum, dass durch bürgerschaftli-
wollen das vorhandene Potenzial stärker nutzen. Das ist
ches Engagement reguläre Arbeitsplätze ersetzt werden
das Ziel unserer nationalen Engagementstrategie. Es muss
sollen. Im Rahmen des Zivildienstes beispielsweise – da-
uns gelingen, nach neuen Wegen zu suchen und gleichzei- rüber haben wir uns schon öfter unterhalten – wird die
tig die Rahmenbedingungen zu verbessern, vor allen Din- Arbeitsplatzneutralität der einzelnen Einsätze strikt über-
gen was das Nebeneinander von Strukturen anbelangt. prüft, und bei all unseren Planungen zur Anschlusskon-
Man muss zugeben, dass wir bisher ein Nebeneinander zeption ist ein wesentliches Element, dass die Arbeits-
der Ressorts auf den verschiedenen Ebenen – Bund, Län- platzneutralität selbstverständlich gegeben sein muss.
der und Kommunen – hatten. Wenn es uns gelingt, diese Schauen Sie sich die anderen Engagementformen in dem
Ebenen zu verzahnen, aufeinander abzustimmen und eine Bericht an. Was ist beispielsweise mit den jungen Mi-
gemeinsame Engagementstrategie zu entwickeln, dann granten, die sich als Integrationslotsen zur Verfügung
ist sehr viel erreicht. stellen? Ich frage Sie: Wo werden da Arbeitsplätze ver-
drängt?
Zum Abschluss möchte ich Ihnen ein Projekt meines
Hauses vorstellen – ich will nicht die unterschiedlichen Schauen Sie sich an, welche Möglichkeiten es für Se-
Maßnahmen der einzelnen Ressorts vorstellen –, das nioren gibt, die in Rente sind und sich nebenbei noch um
heute gestartet wird. Es handelt sich um ein Pilotprojekt die Bildungsförderung von jungen Menschen kümmern
für außerberufliches Engagement der Mitarbeiter des möchten. Dadurch werden keine Arbeitsplätze verdrängt.
Bundesfamilienministeriums. Wir nehmen uns ein Bei- Hier kommt das völlig unterschiedliche Staatsverständnis
spiel an ähnlichen Initiativen aus der Wirtschaft, wo das von Ihnen und der Bundesregierung zum Ausdruck. Das
ehrenamtliche Engagement der eigenen Mitarbeiter be- ist eben so.
reits gefördert wird. Schon jetzt engagieren sich 32 Pro-
zent aller Mitarbeiter des Familienministeriums ehren- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
amtlich. Das ist deutlich mehr als im Bundesschnitt. Wir Danke schön. – Ihre Nachfrage.
(B) haben heute dieses Pilotprojekt gestartet, um für unsere (D)
Mitarbeiter weitere Möglichkeiten des bürgerschaftli- Heidrun Dittrich (DIE LINKE):
chen Engagements zu entwickeln und sie dabei zu unter- Frau Ministerin, Sie haben auf meine Anfrage zum
stützen. Ehrenamt in Bezug auf ein ähnliches Thema geantwor-
Herzlichen Dank. tet, es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, ob reguläre
Beschäftigungsverhältnisse verdrängt werden. Wenn Sie
darüber – im Unterschied zum Zivildienst – keine Er-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kenntnisse haben, kann dies natürlich auch heißen, dass
Die erste Frage stellt die Kollegin Heidrun Dittrich. sie durchaus verdrängt werden. Meine Frage: Betrachten
Sie es nicht als Entwertung der Berufsbilder der Alten-
pflegerin, der Erzieherin und der Sozialarbeiterin, wenn
Heidrun Dittrich (DIE LINKE): jeder eine ehrenamtliche Aufgabe in der sozialen Arbeit
Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren mit kürzeren oder längeren Einarbeitungsmöglichkeiten
Vortrag. – Ich bin Mitglied im Unterausschuss „Bürger- übernehmen kann? Hierbei handelt es sich außerdem um
schaftliches Engagement“, wo Sie die nationale Engage- Berufe, die zu 80 Prozent von Frauen ausgeübt werden
mentstrategie vorgestellt haben. Nach dem Verständnis und deshalb dazu geeignet sind, die Arbeitslosigkeit bei
der Linken ist das Ehrenamt zunächst einmal die Vertre- jungen Frauen zu beseitigen. Sehen Sie das nicht als Ge-
tung der eigenen Interessen. Viele kennen den Klassen- fahr?
sprecher oder die Klassensprecherin, gewerkschaftliche
Vertrauensleute oder Sprecher bzw. Sprecherinnen einer Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
Erwerbsloseninitiative, seit neuestem auch Parkschützer, lie, Senioren, Frauen und Jugend:
die sich gegen die Abholzung von Bäumen im Stuttgar- Sie müssen sich die Formen des Engagements in den
ter Schlosspark wenden. Solche Aufgaben verdrängen sozialen Bereichen ansehen. Sie stoßen dort nicht auf Ar-
keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Sol- beit, die zum Beispiel die Altenpflege im engeren Sinne
che ehrenamtlichen Aufgaben haben Sie mit Ihrer natio- beschreibt. Es handelt sich dabei nicht um originär pfle-
nalen Engagementstrategie aber nicht gemeint. Bei Ih- gerische Tätigkeiten. Schauen Sie sich doch an, was dort
nen steht die Vermittlung der Ehrenamtlichen im Alter genau gemacht wird. Es geht zum Beispiel darum, täglich
von 16 bis 70 Jahren in bestehende Institutionen im Vor- die Tageszeitung vorzulesen. Es geht darum, mit älteren
dergrund, damit diese kostenlos soziale Arbeit leisten. Menschen in den Park zu gehen, was diesen vielleicht
Frau Ministerin, sehen Sie nicht die Gefahr, dass wir da- sonst nicht möglich wäre. Es geht darum, dass behinderte
mit den Sozialstaat abschaffen, weil dann nicht mehr mit Kinder in die Schule begleitet werden, was unter anderen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6715
Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
(A) Umständen nicht möglich wäre. All diese Dinge verdrän- Markus Grübel (CDU/CSU): (C)
gen keine Arbeitsplätze. Es sind aber Dinge, die den Zu- Frau Bundesministerin, Sie haben die nationale Enga-
sammenhalt unserer Gesellschaft stärken, die unser Le- gementstrategie als gemeinsame Strategie unterschiedli-
ben lebenswerter machen und die Menschlichkeit in diese cher Ministerien vorgestellt, die bisher nebeneinander,
sozialen Berufe bringen. Würde das alles staatlich orga- also getrennt, agiert haben. Mit welchem Instrument sol-
nisiert, dann würde unsere Gesellschaft ein hohes Maß an len die Ministerien diese nationale Engagementstrategie
Zusammenhalt und Lebensqualität verlieren. Wir wollen künftig gemeinsam umsetzen?
das nicht staatlich organisieren. Wir glauben auch nicht,
dass das durch eine staatliche Organisation besser wird. Sie sprachen auch von Ihrem Pilotprojekt. Was heißt
das konkret? Erstreckt sich das auch auf andere Ministe-
rien?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sie haben noch eine weitere Nachfrage. Bitte sehr.
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:
Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Mein Ministerium wird die verschiedenen Engage-
Meine zweite Nachfrage: Ich komme aus dem öffent- mentstrategien der einzelnen Häuser in Zukunft koordi-
lichen Dienst, und zwar aus dem Jugendamt. Ich bin dort nieren. Wenn Sie genau hinschauen, entdecken Sie eine
zehn Jahre lang Sozialarbeiterin gewesen, bevor ich in Fülle von unterschiedlichen Aktivitäten. Fast jedes
den Bundestag gewählt wurde. Wenn es nicht so ist, wie Ministerium hat eigene Freiwilligenprogramme. Das ist
Sie es gerade dargestellt haben, dann frage ich mich: in Ordnung. Jedes Ministerium soll das machen, wofür
Warum stellen Sie Infrastrukturen bzw. Einrichtungen es die Kompetenz besitzt. Beispielsweise organisiert das
wie Jugendämter und andere Institutionen, in denen öf- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
fentliche soziale Arbeit geleistet wird, auf den Prüfstand und Entwicklung sehr viele Jugenddienste im Ausland.
und fragen, inwieweit Ehrenamtliche dort die Arbeit er- Das kann dort viel besser organisiert werden als bei uns;
setzen können? Als Beispiel nenne ich eine Tagung des denn dort ist die dafür notwendige Kompetenz vorhan-
Deutschen Instituts für Urbanistik, die sich an die Füh- den. Es ist aber wichtig, die unterschiedlichen Projekte
rungskräfte der Jugendämter und des öffentlichen Diens- miteinander zu verzahnen und aufeinander abzustim-
tes richtet und die Frage, in welchen Bereichen Ehren-
men, damit es keine Doppelungen gibt. Diese Arbeit
amtliche Arbeit übernehmen können, aufgreift.
wird in Zukunft von meinem Haus übernommen. Es
wird sich auch um die Koordination zwischen Bund,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ländern und Kommunen kümmern.
Frau Ministerin.
(B) Unser Pilotprojekt, das heute startet, enthält zum ei- (D)
nen das Modul „Wissenstransfer“. Wir haben überlegt,
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- wie man das Wissen der Mitarbeiter, die aus dem Bun-
lie, Senioren, Frauen und Jugend: desministerium ausgeschieden sind, weil sie die Alters-
Kein Mensch stellt Jugendämter infrage oder will Ju- grenze erreicht haben, weiterhin nutzen kann. Diese Mit-
gendämter von jetzt an ehrenamtlich organisieren. Es arbeiter können sich nachberuflich engagieren, und so
gibt aber immer ein begleitendes Engagement, von dem können wir ihr Wissen weiterhin nutzen. Dies ist übri-
alle profitieren und das die Jugendämter selbst gar nicht gens ein Wunsch der Mitarbeiter, der im Rahmen einer
leisten können. Nehmen Sie doch das eben von mir prä- Befragung an uns herangetragen wurde. Zum anderen
sentierte Beispiel der jungen Migranten, die selbst als In- geht es bei diesem Projekt um verschiedene Engage-
tegrationslotsen tätig werden. Wie wollen Sie diese Tä- mentformen. Zum Beispiel können Patenschaften für
tigkeit durch ein Jugendamt ersetzen? Was Sie außerdem Schüler aus bildungsfernen Schichten übernommen wer-
komplett verkennen, ist der Mehrwert für diejenigen, die den. Das BMI macht etwas Ähnliches. Daran haben wir
sich ehrenamtlich engagieren, weil sie dadurch Bildung, uns orientiert.
Fähigkeiten und Kompetenzen für den gesamten weite-
ren Lebensverlauf erwerben. Dies zu ignorieren, zeugt
meines Erachtens von ausgesprochener Blindheit. Wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wollen das ehrenamtliche Engagement genau in den Be- Kollegin Ute Kumpf, bitte.
reichen stärken, in denen beide Seiten davon profitieren.
Ute Kumpf (SPD):
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Ministerin, in diesem Hohen Haus wird nicht
Nur zur Erklärung: Natürlich soll es so sein, dass die erst seit heute über das Thema Engagementpolitik disku-
Fragen abwechselnd gestellt werden. Es gab Schwierig- tiert. Ich glaube, der Redlichkeit halber ist es wichtig,
keiten mit der Einteilung der Schriftführerinnen und darauf hinzuweisen, dass seit 1999 viele Vorarbeiten ge-
Schriftführer. Deswegen ist es zu dieser Ausnahme ge- leistet wurden: Enquete-Kommission, Einsetzung des
kommen. Die Fragen werden jetzt abwechselnd gestellt. Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ und
So kann auch Frau Drittrich dort sitzen bleiben, wo sie Gründung des Bundesnetzwerks BBE, das mittlerweile
gerne Fragen stellen wollte. – Dies nur zur Erklärung für ein Nationales Forum für Engagement und Partizipation
Sie alle. eingerichtet hat. All diese Vorarbeiten hatten das Ziel,
dass im Dialog mit der Bürgergesellschaft eine nationale
Jetzt ist Herr Grübel an der Reihe. Strategie entwickelt wird.
6716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Ute Kumpf
(A) Mit dem Stichwort „nationale Strategie der Bundes- Rechtlich wichtige Fragen sollen im Freiwilligen- (C)
regierung“ haben Sie große Erwartungen geweckt. Der dienst-Statusgesetz geregelt werden. Dabei geht es um
Beschluss, den Sie heute gefasst haben, liegt uns nur in die Absicherung von Freiwilligendiensten und auch um
Ansätzen vor. Was wir aber haben, ist ein Sammelsurium versicherungsrechtliche Fragen. Bei diesem Freiwilli-
von Projekten, die wir schon zu früheren Zeiten begon- gendienst-Statusgesetz geht es darum, einen gemeinsa-
nen haben. Wir vermissen ein bisschen die klare Linie, men Rahmen für Freiwilligendienste zu schaffen. Dieser
die man hinter einer Strategie vermutet. Von daher frage Rahmen darf nicht zu starr sein; denn sonst würde frei-
ich: Von welchem Leitbild gehen Sie aus, wenn Sie von williges Engagement abgewürgt. Gewisse Grundanfor-
einer „nationalen Engagementstrategie“ sprechen? Wa- derungen müssen aber festgelegt werden.
rum finden die Vorschläge des Nationalen Forums für Ein weiterer wichtiger Punkt bei der nationalen Enga-
Engagement und Partizipation keinen Eingang in Ihr gementstrategie ist das Engagement, bei dem es um bil-
Konzept? Dieses Forum wurde schließlich extra konsti- dungsferne Schichten und Migranten geht. Bei jeder
tuiert, um im Dialog mit dem Ministerium die Vorberei- Neukonzeption des freiwilligen ehrenamtlichen Engage-
tung einer nationalen Strategie zu übernehmen. Wenn ments, zum Beispiel wenn der Zivildienst ausgesetzt
ich so große Worte höre, frage ich mich – das ist die werden sollte, möchte ich besonders darauf achten, wie
dritte Frage –, was mit dem Geld ist und wie die Koordi- man bildungsferne Schichten für bürgerschaftliches En-
nierung zwischen Bund, Land und Kommune konkret gagement gewinnen kann, weil sie auch selbst sehr stark
aussieht. In der letzten Sitzung des Unterausschusses ha- davon profitieren. Ein besonderes Augenmerk lege ich
ben wir erfahren, dass Sie keinen Wert darauf legen, dass dabei auf die Möglichkeit der Erlangung von Schulab-
die Infrastruktur vor Ort durch den Bund gefördert wird. schlüssen im Rahmen von Freiwilligendiensten.
In irgendeiner Form – das wird sehr schwammig formu-
liert – wird zwischen Bund, Ländern und Kommunen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
koordiniert. Doch auch das ist bislang schon gemacht
Eine Nachfrage?
worden. Ich möchte gerne von Ihnen erfahren, was kon-
kret geplant ist. Welche Konzepte haben Sie? Wie wol-
len Sie das in Zahlen – Stichwort: Geld – gießen? Wel- Ute Kumpf (SPD):
che Maßnahmen planen Sie in diesem Zusammenhang? Frau Ministerin, das war nicht der Kern meiner Frage.
Wenn Sie einen Schatz heben wollen, brauchen Sie
Schatzsucher; ab und zu brauchen Sie auch einen Spa-
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- ten, vielleicht eine Taucherglocke oder einen Kran. Es
lie, Senioren, Frauen und Jugend: geht um den Kran, die Taucherglocke, den Spaten und
(B) Frau Kumpf, ich glaube, ich kann in Ihrer Frage einen die Schatzsucher. Wir reden ganz konkret über die Infra- (D)
grundsätzlichen Unterschied zu uns erkennen. Wenn wir struktur. Es geht nicht darum, dass die Menschen Geld
über bürgerschaftliches Engagement sprechen, reden wir haben wollen. Sie wollen aber Hauptamtliche an ihrer
in erster Linie nicht über Geld. Gerade das ist der funda- Seite haben, sie wollen Anlaufstellen haben, sie wollen
mentale Unterschied. Bei bürgerschaftlichem Engage- Menschen haben, die sie in ihrem Engagement unterstüt-
ment geht es in erster Linie nicht um bezahlte Tätigkeiten, zen, die Wege zeigen, die vermitteln und ihnen vielleicht
sondern es geht darum, bürgerschaftliches Engagement die entsprechende Qualifizierung geben. Darüber reden
als Selbstzweck und als Mehrwert ohne finanzielle As- wir. Es geht darum, Infrastruktur vor Ort aufzubauen und
pekte zu fördern. die Kommunen zu unterstützen, wie wir es mit Verkehr,
Straßen und sonstigen Dingen tun. Wir haben das in dem
Bürgerschaftliches Engagement ist für uns alle eine Programm „Soziale Stadt“ gemacht, um Gemeinwesen-
große Chance, um die Potenziale der Menschen, die sich arbeit zu fördern.
ehrenamtlich engagieren wollen – diese Potenziale sind
in der Bevölkerung eindeutig vorhanden –, zu nutzen. Wir finden in Ihrem Konzept keine Antwort und auch
Gerade bei den älteren Menschen gibt es ein besonders keinen Hinweis darauf, wie Sie das zukünftig gestalten
großes Potenzial. Was planen wir? Bei bürgerschaftli- wollen. Wir finden auch keinen Hinweis, wie Sie die Ko-
chem Engagement geht es beispielsweise immer um die ordinierung zwischen Bund, Land und Gemeinde gestal-
ten wollen, um tatsächlich eine abgestimmte Strategie zu
Frage, wie man es anerkennen kann. Es gibt den Deut-
entwickeln und auf den Weg zu bringen, wie Sie es ver-
schen Engagementpreis; diesen werden Sie kennen. Wir
sprochen haben. Wie sind Ihre Konzepte? Wir finden kei-
wollen eine weitere Engagementauszeichnung der Bun-
nen Hinweis, wie das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches
desregierung einführen, um vor Ort Engagierte auszu-
Engagement und auch die nationale Plattform, ein Zu-
zeichnen, deren Engagement in der Öffentlichkeit bisher sammenschluss von über 270 Organisationen, die Ihnen
eine geringere Rolle spielte. zugearbeitet haben, zukünftig weiter gefördert werden
Wir müssen aber auch weiter darüber nachdenken, sollen. Darauf fehlt eine Antwort. Auf diese warten die
wie wir ehrenamtliches Engagement quasi zertifizieren Leute, die darauf vertraut haben, dass ihre Vorschläge
können, welche Möglichkeiten es gibt, dass Menschen, und Konzepte zu unterschiedlichen Bereichen auch in
die sich ehrenamtlich engagieren, bei Bewerbungen ihre Ihr Konzept aufgenommen werden.
Kompetenz nachweisen können. Sie wissen, dass es
dazu schon ein Projekt der Bundesregierung gibt. Solche Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Projekte wollen wir fortsetzen. Frau Ministerin.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6717

(A) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- struktur künftig am Leben erhalten werden soll, zum (C)
lie, Senioren, Frauen und Jugend: Beispiel Mehrgenerationenhäuser oder Freiwilligen-
Zunächst einmal: Hinsichtlich des Bundesnetzwerks agenturen. Wie wollen Sie diese Strukturen in Zukunft
Bürgerschaftliches Engagement empfehle ich einen Blick absichern? Das ist in der ganzen Debatte um bürger-
in unseren Haushalt und in die Ansätze, die wir für 2011 schaftliches Engagement eigentlich die Kernfrage.
beantragt haben. Wir hatten für 2010 für das Bundes-
Ich stelle diese Frage auch deshalb, weil Sie sich in
netzwerk Bürgerschaftliches Engagement eine Förde-
der Vergangenheit offenbar die Einschätzungen des Bun-
rung von 390 000 Euro, als Ansatz 2011 wurden von uns
393 000 Euro beantragt. Ferner gibt es die Woche des desfinanzministeriums und des Bundesrechnungshofes
zu eigen gemacht haben, wonach der Bund überhaupt
bürgerschaftlichen Engagements, die vom BBE organi-
keine Kompetenz hat, wenn es darum geht, bürgerschaft-
siert wird. Dafür haben wir 2010 350 000 Euro und im
liches Engagement und Engagement im Allgemeinen zu
Ansatz 2011 ebenfalls 350 000 Euro. Außerdem gibt es
fördern. Was gaukeln Sie uns hier eigentlich vor? Oder
das Projekt „BBE für Europa“. Der Haushaltsansatz
ist es so, dass Sie die Engagementstrukturen vor Ort jetzt
2011 beträgt 71 000 Euro, der Haushaltsansatz 2012 be-
tatsächlich absichern wollen, was dringend notwendig
läuft sich auf 72 000 Euro. Die Förderung ist also klar
wäre?
geregelt.
Wenn es Ihnen im Hinblick auf das bürgerschaftliche (Markus Grübel [CDU/CSU]: Da haben Sie wohl
Engagement um die konkrete Hilfe vor Ort geht, nicht richtig zugehört, Herr Kollege!)

(Ute Kumpf [SPD]: Es geht um die Strategie!) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
kann ich Ihnen einen wichtigen Hinweis geben: Wir ha- lie, Senioren, Frauen und Jugend:
ben uns vorgenommen, für die Mehrgenerationenhäuser Es ist eindeutig nicht die Aufgabe des Bundes, vor
ein Anschlussprogramm aufzulegen. Ort beispielsweise eine Freiwilligenagentur zu fördern;
hier ist unsere föderale Struktur glasklar. Gerade im
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr gut! Rahmen der letzten Föderalismuskommission haben wir
Richtig! Damit das endlich mal koordiniert uns bemüht, die Kompetenzverteilung deutlicher zu re-
wird!) geln.
Da wir die Mehrgenerationenhäuser nicht unverändert
Es gibt in Deutschland den Hang, immer dann, wenn
weiterfördern können, plant mein Ministerium, im Rah-
uns etwas besonders wichtig ist, zu sagen: Das muss der
men dieses Anschlussprogramms die Regelung zu tref-
Bund machen. – Ich halte dies für verhängnisvoll. Ich
fen, dass in Zukunft jedes Mehrgenerationenhaus nach-
(B) weisen muss, dass es Ansprechpartner für freiwilliges glaube, dass der Bund, wenn er anfangen würde, ein- (D)
zelne Freiwilligenagenturen vor Ort zu fördern, nur di-
Engagement ist und konkrete Hilfen und Schulungen
lettieren könnte, weil er gar nicht die notwendigen
– all das, was Sie genannt haben – anbietet; manche
Kenntnisse der einzelnen Strukturen vor Ort hat.
Mehrgenerationenhäuser haben das schon in der Vergan-
genheit getan, andere nicht. Diese Regelung wollen wir Bestimmte Leuchtturmprojekte und Modellprojekte
zu einer Grundbedingung für jedes Mehrgenerationen- können wir natürlich anschieben. Aber auch Sie, Herr
haus machen. Das ist ein wichtiger Schritt, um zu errei- Gehring, kennen das Problem, das mit Modellprojekten
chen, dass es in Deutschland in der Fläche, in den einzel- verbunden ist. Nach einigen Jahren stellt sich immer die
nen Kommunen, Ansprechpartner für bürgerschaftliches Frage: Wie geht es mit dem Modellprojekt jetzt weiter?
Engagement gibt. Ich glaube, das ist ein Dilemma, das wir über alle Par-
teigrenzen hinweg kennen und das auch hier eine Rolle
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
spielt.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie selbst haben das Thema Mehrgenerationenhäuser
Der Kollege Kai Gehring. angesprochen; auch hier besteht dieses Problem. In die-
sem Zusammenhang mache ich mir auch nicht die Ein-
schätzungen anderer zu eigen. Vielmehr ist in Deutsch-
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): land finanzverfassungsrechtlich glasklar geregelt, dass
Vielen Dank. – Auch wir haben das Gefühl, dass die die Mehrgenerationenhäuser nicht unverändert weiterge-
nationale Engagementstrategie eher ein Sammelsurium fördert werden dürfen. Ich kenne niemanden, der in die-
altbekannter Projekte ist und dass dabei eher eine Top- ser Frage eine andere Position vertritt, sondern das ist
down-Strategie statt einer Bottom-up-Strategie, bei der einfach so.
sozusagen von unten, gemeinsam mit der Zivilgesell-
schaft Unterstützung geleistet werden könnte, verfolgt Wenn wir jetzt also ein Anschlussmodellprojekt vor-
wird. Der Begriff „nationale Engagementstrategie“ legt legen, muss dies anders als das bisherige ausgerichtet
nahe, dass der Bund Strategien und Strukturen, die es sein, weil es sonst eine verdeckte Weiterförderung durch
vor Ort gibt, besser unterstützt und auch finanziell besser die Hintertür wäre.
fördert.
Wir können aber – das ist auch der Wunsch der ein-
Angesichts der sehr knappen finanziellen Mittel der zelnen zivilgesellschaftlichen Akteure – die verschiede-
Kommunen in unserem Land würde ich Sie gerne fra- nen Programme und die verschiedenen Aktivitäten auf
gen, wie eine kommunale engagementfördernde Infra- kommunaler Ebene miteinander vernetzen. Wir können
6718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) auch Möglichkeiten des Erfahrungsaustauschs bieten (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
und auch rechtliche Rahmenbedingungen – Stichwort: Das hängt wohl eher vom CDU-Bundespartei-
Freiwilligendienst-Statusgesetz – schaffen. tag ab! – Gegenruf von der CDU/CSU: Sie
müssen jetzt zuhören!)
Die große Frage ist: Wie geht es weiter nach dem Zi-
vildienst? Wir sollten versuchen, zu Regelungen zu Herr Gehring, Sie und ich wissen, wie die politische
kommen, dass alle davon profitieren. Das kann der Debatte läuft. Dennoch möchte ich Sie bitten, dass wir
Bund; dafür ist er zuständig. Aber er ist für die Förde- die Reihenfolge einhalten und erst einmal das Parlament
rung einzelner Infrastrukturprojekte vor Ort nicht zu- entscheiden lassen. Danach können wir in die konkrete
ständig. Konzeption gehen.
Ich habe Ihnen bereits vorgestellt, welche Überlegun-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gen und Erwägungen es bei mir für einen bundesweiten
Noch eine Nachfrage, bitte schön. freiwilligen Zivildienst gibt. Ich weiß, dass Ihnen die
Beantwortung folgender Frage ein wichtiges Anliegen
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist: Warum kann man nicht direkt die Freiwilligendienste
Wir sind der festen Überzeugung, dass man durchaus der Länder unterstützen, nämlich das Freiwillige Soziale
ein Freiwilligendienst-Statusgesetz einführen kann. Das Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr? Dieser Weg
wurde bei Ihnen bisher anders kommentiert und kommu- scheint zunächst einmal gangbar zu sein. Aber Sie müs-
niziert, weil Sie sich auch die Auffassung zu eigen ma- sen sehen: Die Freiwilligendienste fallen glasklar in die
chen, dass man sowohl für Freiwilligendienste als auch Kompetenz der Länder.
für bürgerschaftliches Engagement und für Engagement- (Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß er ganz
förderung insgesamt auf Bundesebene nicht zuständig genau!)
sei. Sie müssten sich einmal entscheiden, was denn zu-
trifft. Was wir im Moment freiwillig dazugeben – ich nenne
die 72 Euro für das Freiwillige Soziale Jahr und die an-
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Haben Sie ge- deren Pauschalen –, ist sozusagen eine Pauschale aus pä-
rade nicht zugehört?) dagogischen Gründen.
Ich möchte Ihnen empfehlen, das Igl-Gutachten zu lesen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
– darin ist eine andere Rechtsauffassung enthalten –, um Das ist doch absurd! – Ingrid Fischbach
zu sehen, inwiefern Engagementförderung auch von [CDU/CSU]: Das ist nicht absurd, das ist
Freiwilligendiensten geleistet werden kann. Fakt!)
(B) Ich möchte in diesem Zusammenhang fragen, wie Sie Einige Rechtsauffassungen gehen davon aus, dass schon (D)
sich eigentlich eine Ausbauoffensive für Freiwilligen- das problematisch sei.
dienste vorstellen. Sie wollen eine Zivildienstkonversion
einleiten. Dafür werden Mittel im Bundeshaushalt frei. Was eindeutig in die Länderkompetenz fällt, können
Sie schreiben das auch in Ihrer Engagementstrategie. Sie nicht zu 100 Prozent oder zu 80 Prozent durch den
Wir wüssten schon gerne: In welcher Größenordnung Bund fördern. Sie können es wahrscheinlich – darüber
werden künftig frei werdende Mittel aus dem Zivil- wird juristisch gestritten – zu 10 Prozent fördern. Viel-
diensthaushalt für den Ausbau von Freiwilligendiensten leicht können Sie den Förderanteil noch auf 20 Prozent
verwendet? Stimmen die Gerüchte, dass ein relevanter ausweiten. Aber Sie können es nicht komplett durch den
Teil dieser frei werdenden Mittel zur Finanzierung des Bund fördern.
Elterngeldes verwendet wird? Wir hätten gern eine klare
Aussage von Ihnen: Welche Höhe haben diese Finanz- (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
mittel? Wie soll die Ausbaustrategie vonstattengehen? Wenn wir das Geld, das wir im Moment für den Zivil-
dienst einsetzen, komplett in die Freiwilligendienste ge-
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- ben würden, dann würde dies mit Blick auf das Geld, das
lie, Senioren, Frauen und Jugend: die Länder dazugeben, bedeuten, dass die Freiwilligen-
Zunächst haben Sie mir das Igl-Gutachten zur Lek- dienste fast ausschließlich oder zu einem ganz hohen
türe empfohlen. Ich empfehle Ihnen die glasklare Re- Anteil vom Bund gefördert würden. Dies geht finanzver-
aktion auf das Igl-Gutachten durch den Bundesrech- fassungsrechtlich nicht.
nungshof und durch das Bundesfinanzministerium zur (Ute Kumpf [SPD]: Das stimmt glasklar
Lektüre. nicht!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute – Doch, das stimmt.
Kumpf [SPD]: Der Bundesrechnungshof ist
ein bisschen einseitig!) Was finanzverfassungsrechtlich ginge, wäre zum Bei-
spiel, den Ländern Geld über Umsatzsteuerpunkte zu ge-
Das rundet das Bild sehr entscheidend ab. ben, und die sollen sich dann halt um die Freiwilligen-
Der zweite Punkt in Ihrer Frage war, wie es mit den dienste kümmern. Aber ganz ehrlich: Gerade auch aus
Freiwilligendiensten weitergeht. Völlig klar ist, dass dies haushaltsrechtlichen Gründen finde ich es schon proble-
im Moment eine politisch sehr brisante Frage ist. Denn matisch, quasi eine Mischfinanzierung oder eine solche
das Parlament hat noch keine grundsätzliche Entschei- verdeckte Umkehrfinanzierung durchzuführen. Außer-
dung über die Aussetzung der Wehrpflicht getroffen. dem wissen wir ja auch aus den Erfahrungen mit dem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6719
Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
(A) Kita-Ausbau, dass man, wenn man versucht, etwas über Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß (C)
Umsatzsteuerpunkte zu finanzieren, nie eindeutig sagen Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die
kann, ob das Geld für den entsprechenden Zweck einge- dringliche Frage auf, die Sie auf Drucksache 17/3168
setzt wird. finden. Es geht um den Geschäftsbereich des Auswärti-
gen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister
Ich sage es jetzt einmal vorsichtig: Wir haben nicht Dr. Werner Hoyer bereit.
immer genau den Überblick darüber, wie die Länder mit
diesen Mitteln umgehen und inwiefern sie dort ankom- Ich rufe also die dringliche Frage der Kollegin Inge
men, wo wir sie haben wollen. Deswegen muss ich Ih- Höger auf:
nen einfach sagen: Das ist für mich kein gangbarer Weg. Welche juristische und politische Bewertung nimmt die
Bundesregierung vor angesichts der Tötung von bis zu acht
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – deutschen Staatsangehörigen durch den Angriff eines unbe-
Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Für uns auch mannten US-amerikanischen Flugkörpers im pakistanischen
nicht! – Ute Kumpf [SPD]: Das ist glasklar un- Nordwaziristan am 4. Oktober 2010?
klar!) Herr Hoyer, bitte.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen


Frau Bär. Amt:
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin
Dorothee Bär (CDU/CSU): Höger, das Auswärtige Amt prüft derzeit Medienbe-
Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin, für die Vor- richte zu diesem Fall, insbesondere auch zu den Fragen,
stellung der nationalen Engagementstrategie. ob es sich um deutsche Staatsangehörige handelt und ob
das Datum, das in den Medien erscheint, zutreffend ist
Mich würde jetzt in Bezug auf unsere Stiftungen noch oder nicht. Selbst diese Frage können wir gegenwärtig
einmal interessieren, inwieweit die Stiftungen mit einbe- noch nicht beantworten.
zogen werden und inwieweit mit ihnen Konzepte abge-
sprochen werden. Hierzu hat die deutsche Botschaft in Islamabad die
zuständigen pakistanischen Behörden informell, aber na-
(Ute Kumpf [SPD]: Welche Stiftungen? türlich auch formell – das heißt per Verbalnote – um ge-
Konrad-Adenauer-Stiftung? Unsere Stiftun- naue Auskunft über den Sachverhalt gebeten. Wir haben
gen? – Abg. Markus Grübel [CDU/CSU], an von den pakistanischen Kolleginnen und Kollegen hie-
die Abg. Ute Kumpf [SPD] gewandt: Unsere rauf noch keine Antwort erhalten. Die Ermittlungen lau-
(B) deutschen Stiftungen, die sich gemeinwohl- fen. Eine Bewertung wird erst auf der Grundlage belast- (D)
orientiert bewegen! Die Frage konnte nicht barer Fakten möglich sein.
missverstanden werden, Frau Kollegin!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- Frau Höger, Sie haben eine Nachfrage, bitte schön.
lie, Senioren, Frauen und Jugend:
Die Stiftungen waren selbstverständlich auch am Na- Inge Höger (DIE LINKE):
tionalen Forum für Engagement und Partizipation betei- Sie sagen, Sie haben noch keine konkreten Informa-
ligt. Ein sehr wichtiger und sehr florierender Teil der tionen, obwohl die Medien seit gestern zunächst von
Stiftungen sind vor allen Dingen die sogenannten Bür- fünf, dann von zehn deutschen Opfern berichten. Ich
gerstiftungen. fasse meine Nachfrage ein bisschen weiter: Haben deut-
(Ute Kumpf [SPD]: Mit 20 000 Euro Einlage!) sche Stellen – Geheimdienste, Polizei und andere – In-
formationen über deutsche Islamisten in dieser Region
Für alle Fragen zu diesem Thema gibt es die Initiative Pakistans? Geben sie solche Informationen an amerika-
Bürgerstiftungen. Das ist eine anerkannte, bundesweit nische Stellen weiter?
tätige Organisation, die beinahe jede Bürgerstiftung, die
neu gegründet wird, begleitet, in rechtlichen Fragen be- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
rät und beim Aufbau unterstützt. Diese Initiative Bürger- Amt:
stiftungen haben wir bisher jedes Jahr sehr stark geför- Wir gehen davon aus, dass es in dieser Region Pakis-
dert, und es gibt jetzt gerade Verhandlungen darüber, tans auch deutsche Islamisten gibt. Weitere präzise In-
dass diese Förderung auch im Jahr 2011 weiterläuft. formationen, die zum Beispiel Grundlage von Entschei-
dungen der amerikanischen Streitkräfte gewesen sein
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: könnten, kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht geben. Ich
Damit sind wir nicht am Ende der Fragen, aber am verfüge nicht über entsprechende Erkenntnisse. Wenn
Ende der Zeit für die Befragung der Bundesregierung. Menschen – erst recht, wenn es deutsche Staatsbürger
sind – bei solchen Vorkommnissen ums Leben kommen,
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: dann ist das ein sehr ernster Vorgang, den man mora-
Fragestunde lisch, politisch und rechtlich bewerten muss. Das ist aber
nur auf einer ganz präzisen Faktengrundlage möglich.
– Drucksachen 17/3113, 17/3168 – Auch wenn sich bestimmte Medienmeldungen vervielfa-
6720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Staatsminister Dr. Werner Hoyer


(A) chen, finde ich es aus dem genannten Grund nicht ver- Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen (C)
antwortbar, bereits jetzt Bewertungen abzugeben. Amt:
Die Frage, ob ich mich mit den Kolleginnen und Kol-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: legen aus den anderen Ressorts auseinandergesetzt habe,
beantworte ich klar mit Ja. Die zweite Frage beantworte
Haben Sie eine Nachfrage? ich auch mit Ja: Wir haben auch nach diesen Gesprächen
zwischen den Ressorts noch kein klares Lagebild.
Inge Höger (DIE LINKE):
Ich teile Ihre Einschätzung, dass es eine ernste Ange- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
legenheit ist, wenn deutsche Staatsbürger getötet worden NEN):
sind. Aber Sie müssten die Vorfälle völkerrechtlich be- Das war keine Antwort auf meine Frage.
werten können, unabhängig davon, ob die Informationen
zutreffen. Eine gezielte Tötung ist gewissermaßen eine Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Tötung ohne Todesurteil. Zivilisten sind zu verschonen Amt:
und dürfen nicht ohne ein Verfahren mit anschließendem Entschuldigung, ich möchte keine Frage unbeantwor-
Urteil getötet werden. tet lassen.

Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Amt: NEN):
Diese Frage hypothetisch zu beantworten, ist eben- Ich habe nach Informationen gefragt.
falls ausgesprochen problematisch. Wir haben in der
Fragestunde des Bundestages schon eine sehr intensive Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
grundsätzliche Debatte über das Thema gezielte Tötun- Amt:
gen geführt, die ich jetzt nicht noch einmal aufrollen Wir haben keine Informationen, die wirklich belastbar
will. Es geht vielmehr darum, welche Rechtsgrundlagen wären und aufgrund derer wir eine Bewertung abgeben
bestehen könnten, zum Beispiel ob das Recht auf Selbst- könnten. Sie kennen sich in den Zusammenhängen bes-
verteidigung herangezogen werden könnte. Das kann ich tens aus, weil Sie dem Gremium des Deutschen Bundes-
aber nicht beantworten, ohne konkrete Fakten und Daten tages angehören, in dem solche Themen diskret behan-
zu diesem Einzelfall zu kennen, so schwerwiegend er delt werden, und wissen, welche Qualität solche
sein mag. Die Sache ist zu brisant, als dass man sich mit Informationen haben müssen, damit man darauf bauen
(B) Bewertungen aus dem Fenster lehnen könnte. (D)
kann. Diese Informationen haben wir noch nicht. Wir
bemühen uns aber mit Hochdruck darum, weil wir ein
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sehr großes Interesse daran haben, Klarheit darüber zu
schaffen, was dort passiert ist.
Herr Ströbele.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Dağdelen.
NEN):
Herr Staatsminister, Sie reden immer nur von Presse- Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
meldungen. Den Pressemeldungen kann man aber auch
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Hoyer,
entnehmen, dass ein deutscher Staatsangehöriger, der in
ich möchte gerne wissen, welche Anstrengungen die
Gewahrsam der US-Streitkräfte ist und sich in einem
Bundesregierung unternimmt, Kenntnis darüber zu er-
Foltergefängnis in Bagram befindet, Aussagen gemacht
langen, welcher Tat sich die getöteten deutschen Staats-
haben soll, nach denen sich die betreffenden Personen bürger schuldig gemacht haben sollen, ob sie nicht ein-
dort befanden, die mit von einer Drohne abgefeuerten fach Touristen waren, die sich zu diesem Zeitpunkt dort
Raketen angegriffen worden sind. aufgehalten haben. Ich mache mir Sorgen, dass das Prin-
Nun hat eine Bundesregierung andere Informations- zip der Unschuldsvermutung nicht mehr gilt, wenn je-
möglichkeiten als Presseerklärungen. Sowohl das Bun- mand erst einmal unter dem Generalverdacht steht, Isla-
desinnenministerium als auch das Bundeskanzleramt mist oder Terrorist – das wird mittlerweile zumeist
und das Verteidigungsministerium verfügen über Infor- gleichgesetzt – zu sein.
mationsquellen gerade auch für den Raum Afghanistan. In diesem Zusammenhang möchte ich auch wissen,
Haben Sie sich denn auch einmal bei Ihren Kollegen er- welche Anstrengungen die Bundesregierung unternimmt,
kundigt und sachkundig gemacht, ob dort Informationen um die US-Drohnenangriffe, deren Zahl sich in letzter
vorliegen, und zwar erstens, ob es eine entsprechende Zeit mehr als verdoppelt hat, abzuweisen, zu verhindern
Aussage gibt, und zweitens, ob sie aufgrund der Infor- oder zu beenden. Ich weise darauf hin, dass wir – auch die
mationen, die sie bekommen bzw. ermitteln – für diese Menschen in Deutschland – dazu aufgerufen haben, den
Tätigkeit werden sie hoch bezahlt –, zu entsprechenden wegen der Flutkatastrophe notleidenden Menschen in Pa-
Erkenntnissen gekommen sind? Oder sagen Ihre Kolle- kistan zu helfen, dass wir aber gleichzeitig Drohnenan-
gen: „Wir wissen auch nur, was in der Zeitung steht“? griffe zulassen, durch die Hunderte Menschen sterben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6721

(A) Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen (C)
Amt: Amt:
Auch diese Fragen sind nur hypothetisch zu beantwor- Das weise ich strikt zurück. Wir haben die Faktenlage
ten, sowohl was die Faktenlage als auch was die Legiti- nicht, die wir brauchten, um solche Fragen präzise zu be-
mation solcher Drohnenangriffe angeht. Es ist völlig klar, antworten. Auf weitere hypothetische Analysen werde
dass nach unserer Auffassung grundsätzlich die pakista- ich mich hier nicht einlassen.
nische Regierung gegebenenfalls über Angriffe oder Mi-
litäreinsätze auf ihrem Territorium zu entscheiden hätte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ob sie das gegenüber den amerikanischen Streitkräften
Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beant-
getan hat, ist uns schlicht und ergreifend nicht bekannt.
wortet ist, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 17/
Ich bin auch nicht sicher, dass sie es uns sagen würde.
3113 in der üblichen Reihenfolge auf.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Der Parlamentarische Staatsse-
Welche Anstrengungen unternehmen Sie?
kretär Dr. Christoph Bergner steht zur Beantwortung zur
Verfügung.
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Amt: Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Kirsten Lühmann
auf:
Wir unternehmen alle Anstrengungen. Wir haben
diese Sache sowohl gegenüber Pakistan als auch gegen- Welche Informationen gibt es zum Beispiel vom Bundes-
kriminalamt, BKA, über die zunehmende Nutzung der sich
über den Vereinigten Staaten auf bilateraler Ebene auf- entvölkernden ländlichen Räume insbesondere im Osten
gegriffen. Wir haben die Befassung der NATO gar nicht Deutschlands durch organisierte Kriminalität als Rückzugs-
erst anregen müssen, weil sie automatisch stattgefunden räume?
hat. Daran haben wir uns engagiert beteiligt.
Bitte, Herr Staatssekretär.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
Frau Buchholz. Bundesminister des Innern:
Frau Abgeordnete Lühmann, ich beantworte Ihre
Christine Buchholz (DIE LINKE): Frage wie folgt: Dem Bundeskriminalamt liegen keine
Meine Frage bezieht sich auf die Aussage des Politik- Erkenntnisse über die zunehmende Nutzung der sich ent-
(B) wissenschaftlers Herrn Hippler, der in einem Gespräch völkernden ländlichen Räume insbesondere im Osten (D)
mit tagesschau.de eindeutig feststellt, dass der US-Droh- Deutschlands durch organisierte Kriminalität als Rück-
nenangriff natürlich eine Verletzung des pakistanischen zugsräume vor.
Luftraums darstellt. Wie stellt sich die Bundesregierung
dazu, und was wird sie – auch im Rahmen der Vereinten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Nationen – tun, um diesen Vorfall aufzuklären? Sie möchten eine Nachfrage stellen.

Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Kirsten Lühmann (SPD):


Amt: Herzlichen Dank. – Was beabsichtigt die Bundesre-
Ich wage mich nun in eine hypothetische Debatte, die gierung zu tun, um den Informationen, die von den Län-
ich an sich ablehne. Ob das Eindringen in den pakistani- derpolizeien zu dieser Thematik kommen, nachzugehen,
schen Luftraum legitim war oder nicht, hängt davon ab, um hierzu ein einheitliches Lagebild zu bekommen?
ob sich die Streitkräfte der Vereinigten Staaten oder der
NATO auf das Selbstverteidigungsrecht berufen können
oder nicht. Wenn die pakistanische Regierung zuge- Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
stimmt hat, hätten wir sowieso eine andere Lage. Zur Bundesminister des Innern:
Beantwortung solcher Fragen muss man die Fakten ken- Frau Kollegin Lühmann, zunächst einmal muss ich
nen. Genau das ist – ich kann es nur noch einmal versi- darauf hinweisen, dass alle Lagebilder zur organisierten
chern – nicht der Fall. Das ist auch in Brüssel nicht der Kriminalität, die das Bundeskriminalamt bisher vorge-
Fall. legt hat und die auch in einer gewissen Korrespondenz
zu den Erkenntnissen auf Länderebene stehen, keine
Hinweise darauf geben, dass Räume mit rückläufiger
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bevölkerungsdichte – so will ich es einmal etwas vor-
Frau Buchholz, eine Nachfrage. sichtiger umschreiben –, die natürlich insbesondere in
Teilen der neuen Bundesländer zu finden sind, bevor-
Christine Buchholz (DIE LINKE): zugte Rückzugsräume der organisierten Kriminalität
sein sollten.
Meines Erachtens liegen die Fakten klar auf dem
Tisch. Offensichtlich ist es so, dass sich die Bundesre-
gierung auch in diesem Fall die Realität wieder sozusa- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gen zurechtlügt. Haben Sie noch eine zweite Nachfrage? – Bitte schön.
6722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Kirsten Lühmann (SPD): gungsunternehmen einzeln oder gemeinsam gegeben (C)
Was sind denn die bevorzugten Rückzugsräume orga- hat, habe ich sämtlichen Ressorts und dem Kanzleramt
nisierter Kriminalität, wenn es diese nicht sind? vorgelegt. Bezogen auf die obersten Bundesbehörden
und unter Ausklammerung der üblichen Energiebezugs-
verträge kann ich Ihnen mitteilen, dass es einzelne Ver-
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim
einbarungen gegeben hat, so zum Beispiel die der Bun-
Bundesminister des Innern:
desregierung mit Vattenfall im Zusammenhang mit dem
Dies richtet sich jeweils nach den Deliktbereichen. Bau des Kraftwerks Hamburg-Moorburg; zudem wurde
Ich will zumindest so viel sagen, dass es durchaus auch eine Vereinbarung über die Beendigung des Schiedsver-
im Bereich der Ballungsräume Rückzugsszenarien für fahrens Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutsch-
organisierte Kriminalität gibt. Das heißt, der kausale Zu- land vor dem Weltbankschiedsgericht geschlossen.
sammenhang, der in Ihrer Frage unterstellt wird, ist je-
denfalls in ermittlungstechnischer Hinsicht sehr schwer Aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden
aufzustellen und nachzuweisen. Zeit für die Beantwortung Ihrer Frage kann ich nicht
ausschließen, dass es außerhalb dieses Bereichs der
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Laufzeitverlängerung weitere Vereinbarungen ähnlicher
Die Frage 2 des Kollegen Memet Kilic und ebenso Art gegeben hat.
die Fragen 3 und 4 des Kollegen Winfried Hermann wer-
den schriftlich beantwortet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Eine Nachfrage, Frau Höhn.
ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Koschyk zur Verfügung.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Es hat im
Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Bärbel Höhn auf: Umfeld der Veröffentlichung dieser Geheimvereinbarun-
Welche schriftlichen und mündlichen Absprachen/Verein-
gen Aussagen von Politikern gegeben, es dürften keine
barungen/(Vor-)Verträge/Term Sheets etc. hat es in dieser Le- Geschäftsgeheimnisse öffentlich gemacht werden. Kön-
gislaturperiode zwischen der Bundesregierung und den vier nen Sie hier noch einmal deutlich darstellen, ob die Ant-
großen Energieversorgern – einzeln oder gemeinsam – gege- wort, die Sie mir eben gegeben haben, es habe keinerlei
ben? weitere Absprachen oder Vereinbarungen außer den von
Ihnen eben genannten gegeben, auch bedeutet, dass es
(B) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- daneben keine weiteren Vereinbarungen gegeben hat, die (D)
desminister der Finanzen: man jetzt nicht benennt, weil darin Geschäftsgeheim-
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Höhn, ich darf Ihre nisse enthalten sind?
Frage wie folgt beantworten: Das Bundesministerium
der Finanzen hat mit den Betreibergesellschaften der Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Kernkraftwerke in Deutschland im Zusammenhang mit desminister der Finanzen:
der Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke
entsprechend den Festlegungen im Koalitionsvertrag Frau Kollegin, ich habe deutlich gemacht, dass es sich
eine vertragliche Vereinbarung verhandelt, die die Ab- bei diesem Vertrag nach seiner Paraphierung in keiner
schöpfung eines wesentlichen Teils der Zusatzgewinne Weise um irgendein Geheimdokument gehandelt hat;
aus der Laufzeitverlängerung sicherstellt. Die Einnah- vielmehr ist dieser Vertrag den Fraktionen zugeleitet
men aus dieser Vereinbarung werden vollständig dem worden. Außerdem ist er mit dem sogenannten Term
neuen Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ zu- Sheet im Internet einsehbar. Es gibt keine in diesem Zu-
fließen und zur Verstärkung von Maßnahmen insbeson- sammenhang getätigten Nebenabreden, die der Öffent-
dere in den Bereichen Energieeinsparung und erneuer- lichkeit nicht zugänglich gemacht worden sind.
bare Energien eingesetzt.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Vertrag wurde am 28. September 2010 von den
beauftragten Anwaltskanzleien paraphiert und den Frak- Frau Höhn, Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte
tionen zugeleitet. Darüber hinaus ist er wie auch das so- sehr.
genannte Term Sheet vom 6. September 2010 im Internet
einzusehen. Die Fragen der Gewinnabschöpfung sind mit Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
diesem Vertrag geregelt. Es gibt zu diesem Vertrag über
den üblichen Begleitschriftverkehr hinaus – zum Beispiel Der Geheimvertrag mit den Energiekonzernen ist ein
Benennung des Kontos, Adressen, Beispielsrechnungen, rechtsverbindlicher Vertrag, in dem geregelt wird, dass
Fixierung von Auslegungsfragen – keine Nebenabspra- die Unternehmungen Zahlungen leisten und dafür eine
chen mit den Energieversorgungsunternehmen. Gegenleistung des Staates bekommen: Laufzeitverlänge-
rungen, eine unternehmensfreundliche Gesetzgebung.
Die Frage, ob es darüber hinaus schriftliche oder Hat es so etwas – Zahlungen und als Gegenleistung eine
mündliche Absprachen, Vereinbarungen, Vorverträge, unternehmensfreundliche Gesetzgebung – bisher jemals
Term Sheets usw. in dieser Legislaturperiode zwischen gegeben, oder ist das ein verfassungsrechtliches No-
der Bundesregierung und den vier großen Energieversor- vum?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6723

(A) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- mögenswerte sowie nach der Reprivatisierung der Deut- (C)
desminister der Finanzen: schen Pfandbriefbank beziffert werden. Zum heutigen
Wir sehen in diesem Sachverhalt kein verfassungs- Zeitpunkt ist hierzu keine seriöse Aussage möglich. Die
rechtliches Novum. Es hat auch zu früheren Zeiten ver- Bundesregierung wird jedoch einen möglichen Verlust
tragliche Abmachungen zwischen den damaligen Bun- des Bundes im Interesse des Steuerzahlers so gering wie
desregierungen mit der Energiewirtschaft in Deutschland möglich halten. Die durch den SoFFin garantierten, von
gegeben. der HRE zur Liquiditätsbeschaffung emittierten Wertpa-
piere haben aktuell ein Volumen von rund 124 Milliar-
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: den Euro und wurden vollständig auf die Abwicklungs-
Aber nicht, was Zahlungen angeht! Das hat es anstalt der HRE übertragen. Der HRE stehen keine
nicht gegeben!) SoFFin-Garantien mehr zur Verfügung. Damit entstehen
Vor diesem Hintergrund kann man das nicht als Novum aus der weiteren Entwicklung der HRE insoweit keine
ansehen. Risiken für den SoFFin.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


Wir kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Hans- Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.
Christian Ströbele:
Inwieweit bestätigt die Bundesregierung die Angaben des Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Vorsitzenden des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung,
Florian Toncar, wonach der Bund von den allein 2009 in die NEN):
Hypo Real Estate Holding, HRE, investierten 6 Milliarden Erst einmal danke für die Korrektur; ich übernehme
Euro nun 4,75 Millionen Euro bzw. 80 Prozent abgeschrieben sie gerne.
habe und von den gesamten Kapitalhilfen des Bundes für die
HRE 8 Milliarden Euro verloren seien (Die Welt vom 27. Sep-
tember 2010), und wie bewertet die Bundesregierung ange-
Mir kam es darauf an, die Sachkunde des Kollegen zu
sichts der von der EU-Kommission geäußerten Zweifel an der betonen, der Aussagen zu dieser HRE-Übertragung ge-
längerfristigen Überlebensfähigkeit der HRE das Risiko für macht hat. Er hat Zweifel an der längerfristigen Überle-
die Staatsfinanzen und den Steuerzahler, dass zusätzlich Kapi- bensfähigkeit der HRE geäußert. Es ist doch eine ziem-
talhilfen aus Steuermitteln verloren sind und die Garantiezah- lich bedrohliche Aussage, wenn jemand sagt, dass es
lungen an die HRE von inzwischen 142 Milliarden Euro zu-
lasten des Bundeshaushalts fällig werden? möglicherweise nicht mehr um Garantieerklärungen im
Zusammenhang mit dem SoFFin geht, sondern um Ga-
Bitte schön, Herr Staatssekretär. rantien, die der Bund als Eigentümer zu tragen hat. Das
(B) heißt, der Bund ist damit nicht aus dem Schneider, son- (D)
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- dern eher noch stärker verpflichtet. Wenn sich diese
desminister der Finanzen: Aussage also bewahrheiten sollte, dann sind der Bund
Herr Kollege Ströbele, vorab möchte ich darauf hin- und damit der Steuerzahler finanziell noch unmittelbarer
weisen – das soll jetzt nicht belehrend sein, sondern nur als nur durch die Garantieerklärung betroffen.
informativ –, dass der Kollege Toncar nicht SoFFin-
Vorsitzender ist; Herr Kollege Toncar ist vielmehr der Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Vorsitzende des auf Grundlage von § 10 a des Finanzmarkt- desminister der Finanzen:
stabilisierungsfondsgesetzes eingerichteten parlamenta- Ich darf vielleicht nochmal darauf hinweisen: Am
rischen Gremiums, das vom Bundesministerium der Fi- letzten Wochenende fand eine der größten Finanztrans-
nanzen stets über sämtliche den SoFFin betreffenden aktionen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
Fragen unterrichtet wird. Die Verwaltung des SoFFin land statt, nämlich die Auslagerung der schlechten As-
obliegt der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung, sets, der sogenannten toxischen Produkte, von der HRE
die wiederum von einem dreiköpfigen Leitungsaus- auf eine sogenannte Bad Bank. Diese Transaktion ist er-
schuss geführt wird. Dessen Sprecher ist Herr Professor folgreich abgeschlossen. Es verbleibt jetzt die „Rest-
Dr. Hannes Rehm. HRE“, die Deutsche Pfandbriefbank. Wir gehen davon
Es ist zunächst nicht Aufgabe der Bundesregierung, aus, dass es hier eine entsprechende Begleitung durch
Aussagen des Vorsitzenden eines parlamentarischen Gre- den SoFFin, aber auch den Bundestag geben wird. Auch
miums zu kommentieren. Zutreffend ist jedoch, dass die als Bundesregierung werden wir unseren Beitrag dazu
Beteiligung des SoFFin an der HRE und deren Tochter leisten, dass diese „gesunde Restbank“ Deutsche Pfand-
Deutsche Pfandbriefbank AG von rund 6,3 Milliarden briefbank eine gute Zukunftsperspektive hat. Es ist dann
Euro im Jahr 2009 insgesamt um 4,75 Milliarden Euro ja auch deren Privatisierung vorgesehen.
gemindert wurde. Dies entspricht einer Abschreibung
von rund 75 Prozent. Diese Wertberichtigung wurde be- Im Übrigen, Herr Kollege Ströbele, darf ich auch da-
reits am 21. Mai 2010 in einer Pressemitteilung des rauf hinweisen, dass die Maßnahmen, die Voraussetzung
SoFFin öffentlich mitgeteilt. für diese Auslagerung der schlechten Assets aus der
HRE auf diese sogenannte Bad Bank gewesen sind, von
Zu Ihrer zweiten Teilfrage. Das Gesamtergebnis des der Europäischen Kommission genehmigt worden sind.
Engagements des Bundes bei der HRE kann erst nach Natürlich steht jetzt noch eine Entscheidung der Kom-
der vollständigen Verwertung der im Rahmen der Über- mission im Hinblick auf die weitere Begleitung dieser
tragung in die Abwicklungsanstalt übernommenen Ver- Restbank aus. Aber auch hier sind wir zuversichtlich,
6724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk


(A) dass wir Einvernehmen mit der Europäischen Kommis- fähig ist, und welche Unternehmen sind der Bundesregierung (C)
sion herstellen werden. bekannt, die solche Kraftwerke gegenwärtig bauen oder über
eine fortgeschrittene Planung verfügen?

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Hintze steht zur Beantwortung bereit.
Herr Ströbele.
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE minister für Wirtschaft und Technologie:
GRÜNEN): Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Kollege
Geben Sie mir recht, dass die Europäische Kommis- Krischer, bei der Förderung CCS-fähiger fossiler Kraft-
sion im Hinblick auf die Frage, ob sie das richtig oder werke müssen die Vorgaben des EU-Beihilferechts be-
falsch findet, genehmigt oder nicht genehmigt, weniger achtet werden, das einen europaweit einheitlichen Rah-
als die Bundesregierung die Interessen der Bundesrepu- men für diese Art der Förderung vorgeben soll. Die
blik Deutschland und der Steuerzahler in Deutschland Europäische Kommission wird entsprechende Leitlinien
im Auge hat? erarbeiten. Es ist davon auszugehen, dass die Kommis-
sion die Aussagen ihrer Erklärung zu Art. 10 Abs. 3 der
Emissionshandelsrichtlinie zum Klima- und Energiepa-
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
ket des Europäischen Rates vom 11./12. Dezember 2008
desminister der Finanzen:
als Ausgangspunkt der Regelung nehmen wird. Die in
Herr Ströbele, aus allen vergleichbaren Vorgängen diesem Kontext erfolgenden weiteren Konkretisierungen
– auch den Vorgängen um die HRE – kann ich Ihnen nur der Kommission werden ein zentraler Baustein des na-
die Erfahrung vermitteln, dass die Europäische Kommis- tionalen Förderkonzeptes sein.
sion all diese Verfahren sehr, sehr kritisch begleitet. Es
geht auch um eine Beihilfeproblematik. Insofern gehen Abschließende Aussagen zu den in Ihrer Frage ge-
wir mal nicht davon aus, dass der Eindruck, den Sie nannten einzelnen Förderkriterien – Wirkungsgrad und
durch Ihre Frage vermitteln, dass die Europäische Kom- CCS-Fähigkeit – sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt
mission hier im Hinblick auf das Interesse des deutschen noch nicht möglich. Konkrete Projekte, die absehbar si-
Steuerzahlers vielleicht weniger kritisch als die Bundes- cher unter die Förderfähigkeit fallen, können aus diesem
regierung und das Parlament ist, zutreffend ist. Die Eu- Grunde heute auch noch nicht benannt werden.
ropäische Kommission geht sehr kritisch, sehr sensibel
und sehr penibel mit all diesen Vorgängen um.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Krischer, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte.
(B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D)
Die Fragen 7 und 8 der Abgeordneten Britta Haßelmann,
die Frage 9 des Abgeordneten Stefan Schwartze, die Fra- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
gen 10 und 11 des Abgeordneten Klaus Hagemann, die Da in der Energiewirtschaft durch die Laufzeitverlän-
Frage 12 der Abgeordneten Dr. Barbara Höll sowie die gerung eine erhebliche Verunsicherung besteht und etli-
Frage 13 der Abgeordneten Sabine Zimmermann werden che Projekte aus den Bereichen Kraftwärmekopplung,
schriftlich beantwortet. konventionelle Kraftwerke und Gaskraftwerke infrage
gestellt worden sind – diese Teile der Energiewirtschaft
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundes- werden nicht von der Laufzeitverlängerung profitieren –,
ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fra- wird man sehr genau darauf gucken, was nun in den an-
ge 14 des Abgeordneten Heinz Paula, die Fragen 15 und deren Bereichen von der Regierung geplant ist.
16 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert sowie die Frage 17
der Abgeordneten Lisa Paus werden ebenfalls schriftlich Dazu würde mich interessieren: Wann ist damit zu
beantwortet. rechnen, dass diese Vorgaben konkretisiert sind, damit
wieder ein Mindestmaß an Planungssicherheit erreicht
Damit kommen wir zu den Fragen 18 und 19 des Kol- werden kann?
legen Oliver Krischer. – Der Kollege Krischer ist nicht
anwesend.
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
(Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE minister für Wirtschaft und Technologie:
GRÜNEN] betritt den Plenarsaal) Zunächst einmal ist die Bundesregierung zuversicht-
– Er kommt gerade herein. Dann wollen wir das noch lich, dass die Entscheidungen, wenn sie denn auf der eu-
gelten lassen. ropäischen Ebene getroffen sind, entsprechend genutzt
werden. Sie wissen: Die Bundesregierung beabsichtigt,
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die im europäischen Energie- und Klimapaket vereinbar-
NEN]: Sehr schnell!) ten Möglichkeiten gerade für diesen Kreis zu nutzen,
Damit rufe ich die Frage 18 des Abgeordneten Oliver nämlich für den Kreis der Kraftwerksbetreiber, die zu
Krischer auf: der deutschen Erzeugungskapazität zu weniger als
5 Prozent beitragen. Das sind im Wesentlichen die Stadt-
Welche Kriterien bezüglich Wirkungsgrad und CCS-Fä-
higkeit – CCS: Carbon Capture and Storage – müssen erfüllt
werke, die kleineren Unternehmen. Wenn diese beson-
sein, damit ein Kraftwerk nach Kapitel C. 2 des Energiekon- dere Fördermöglichkeit konkretisiert ist, wird sie auch
zeptes durch Mittel aus dem Energie- und Klimafonds förder- Wirkung entfalten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6725
Parl. Staatssekretär Peter Hintze
(A) Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen das gesamte Ver- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
fahren schildern und darstellen, wie in Brüssel der tech- Herr Staatssekretär, danke für die Auskunft. – Es war
nische Ablauf ist. Aber ich weiß nicht, ob Sie das weiter ursprünglich vorgesehen, das Bundeskabinett am
beruhigt. Wir leisten jedenfalls jeden Beitrag dazu, dass 28. September dieses Jahres mit dem CCS-Gesetzent-
es so schnell wie möglich geht. Aber es liegt jetzt in der wurf zu befassen. Sie haben eben gesagt, Sie rechneten
Hand der Europäischen Kommission. Wir brauchen eine damit, dass das Gesetzgebungsverfahren im Frühjahr 2011
Regelung, nach der eine Beihilfe genehmigt werden abgeschlossen werden kann. Das ist aber etwas, was im
kann; das ist die Voraussetzung. Wesentlichen der Bundestag entscheidet. Meine Frage
ist jetzt: Für wann ist die Beschlussfassung im Kabinett
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: vorgesehen?
Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte sehr.
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie:
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung be-
Deutschland ist in dem Zusammenhang kein unwich- findet sich in der abschließenden Phase. Ich hoffe, dass
tiges Land. Wann konkret werden nach Einschätzung der wir das Kabinett sehr bald mit dem Gesetzentwurf befas-
Bundesregierung die Förderregularien vorliegen? Das sen können, kann Ihnen aber heute noch kein genaues
frage ich vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass es Datum nennen.
bereits CCS-Förderungen der Europäischen Union gibt
und alle Regularien eigentlich schon abgestimmt sind.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wird das also Monate oder Jahre dauern? Wann wird in-
sofern Klarheit herrschen? Sie haben noch eine Frage. Herr Krischer.

Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: Ich habe noch eine Nachfrage zum Zeitplan. Sie ha-
ben eben von einem Abschluss des Gesetzgebungsver-
Ich kann Ihnen eine konkrete Einschätzung nicht ge- fahrens im Frühjahr gesprochen. Ich habe das so verstan-
ben. Aber bei der Alternative „Monate oder Jahre“ sage den, dass damit die Beschlussfassung im Bundestag
ich: Es wird sich sicher um den erstgenannten Zeitraum gemeint ist. Dieses Gesetz bedarf aber in jedem Fall der
handeln. Ich könnte Ihnen genau darstellen, wie das in Zustimmung durch den Bundesrat. Bezog sich die An-
Brüssel entwickelt wird. Das dauert eine gewisse Zeit. gabe „im Frühjahr“ auch auf den Bundesrat oder nur auf
(B) Alles, was wir dazu beitragen können, dass es zügig geht den Bundestag? (D)
und dass Rechtsklarheit geschaffen wird, leisten wir.
Aber das liegt eben in der Hand von Brüssel.
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben sich in Ihrer Ursprungsfrage danach erkun-
Dann kommen wir zur Frage 19 – sie wird ebenfalls digt, ob das Projekt noch in die entsprechende europäi-
vom Kollegen Krischer gestellt –: sche Förderung hineinkommt und welcher Zeitablauf da-
Welchen Zeitplan verfolgt die Bundesregierung gegenwär- für notwendig ist; das hängt inhaltlich zusammen. Um in
tig bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Demonstration die Förderung hineinzukommen, muss das Gesetzge-
der dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid, CCS-Gesetz, bungsverfahren im Frühjahr abgeschlossen sein. Hinter-
und welche Auswirkungen hätte eine Verabschiedung des Ge- grund ist folgender: Ein Antrag auf Mittel der Europäi-
setzes erst im Jahr 2011 auf die Förderfähigkeit des CCS-De-
monstrationsprojektes in Jänschwalde durch Mittel aus dem
schen Investitionsbank muss innerhalb eines halben
europäischen Emissionshandel? Jahres nach dem Call, also nach dem Aufruf, gestellt
werden. Der Aufruf ist noch nicht erfolgt. Aber wir kön-
nen davon ausgehen, dass er noch im Oktober erfolgt,
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes- vielleicht ein bisschen später. Ein halbes Jahr später
minister für Wirtschaft und Technologie: müssen wir, wenn es möglich sein soll, diese Mittel in
Herr Kollege Krischer, die Bundesregierung wird Anspruch zu nehmen, das Gesetzgebungsverfahren ab-
kurzfristig einen CCS-Gesetzentwurf beschließen. Wir geschlossen haben. Das ist eine auf den Sachverhalt be-
gehen davon aus, dass das Gesetzgebungsverfahren im zogene Stellungnahme. Wenn das Gesetzgebungsverfah-
Frühjahr 2011 abgeschlossen werden kann. Damit wäre ren bis dahin abgeschlossen ist, wie wir es erhoffen,
die notwendige Voraussetzung für eine mögliche Förder- dann besteht diese Fördermöglichkeit. Wenn es länger
fähigkeit des von Ihnen angesprochenen Projektes ge- dauert, gibt es diese spezielle Fördermöglichkeit nicht.
geben. Unabhängig davon ist die europäische CCS-
Richtlinie bis zum 25. Juni 2011 in nationales Recht um- Davon unabhängig ist Deutschland aufgefordert, um
zusetzen. Es sind also zwei verschiedene Fristen, die sich vertragsgemäß zu verhalten, die CCS-Richtlinie bis
man im Blick haben muss. zum 25. Juni 2011 in nationales Recht umzusetzen.
Wenn wir das erst zu diesem letztmöglichen Zeitpunkt
täten, der Call aber jetzt im Oktober noch käme, dann
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wäre das im Sinne Ihrer Frage zu spät, um noch Förder-
Herr Krischer. möglichkeiten zu eröffnen.
6726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Referenzgruppe festgelegt. Das ist auch nachzulesen in (C)
Die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Konstantin von den Erläuterungen im konsolidierten Referentenentwurf
Notz, die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Garrelt auf den Seiten 82 f. und 129 ff.
Duin sowie die Frage 23 des Abgeordneten Hans-Josef
Fell werden schriftlich beantwortet. Bei der Festlegung der Referenzgruppe sind nicht nur
deren Umfang, sondern auch deren Lage innerhalb der
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- Einkommensschichtung und die Höhe der durchschnitt-
desministeriums für Arbeit und Soziales. lichen Konsumausgaben der Referenzgruppe zu berück-
sichtigen. Beides wird durch die Zahl der vorab ausge-
Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
schlossenen Haushalte wesentlich mitbestimmt. Da sich
steht zur Beantwortung zur Verfügung.
die relative Zahl dieser ausgeschlossenen Haushalte bei
Die Frage 24 der Abgeordneten Sabine Zimmermann den Einpersonen- und Familienhaushalten deutlich un-
wird schriftlich beantwortet. terscheidet, ist es gerechtfertigt, dies beim Umfang der
Referenzgruppen zu berücksichtigen.
Wir kommen damit zur Frage 25 der Abgeordneten
Anette Kramme: Sowohl die Referenzgruppe der Einpersonenhaus-
Zu welchen Ergebnissen für die Höhe der Regelbedarfe – in halte als auch diejenige der Familienhaushalte liegen un-
Euro – kommt die Bundesregierung auf Grundlage der beim ter Einrechnung der ausgeschlossenen Haushalte mit ih-
Statistischen Bundesamt in Auftrag gegebenen Sonderaus- rer Obergrenze über der Grenze des unteren Quintils der
wertungen für ein Perzentil von 10 Prozent, 15 Prozent und nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte.
20 Prozent der nach dem Nettoeinkommen geschichteten
Haushalte sowie der Einkommensgruppe unterhalb von
60 Prozent des Medians der Nettoeinkommen? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Hiller-Ohm, bitte.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Frau Kollegin Kramme, für die Einpersonenhaushalte Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
wurden lediglich die Referenzgruppen von 15 und 20 Pro- Herr Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage dazu:
zent der zu berücksichtigenden Haushalte detailliert aus- Können Sie ausführen, wie sich die Referenzgruppen zu-
gewertet und die übrigen Referenzgruppen nicht mehr sammensetzen, also wie viele Männer und Frauen, wie
betrachtet. Daraus ergibt sich der Regelbedarf für allein- viele Rentnerinnen und Rentner oder wie viele Studen-
lebende Erwachsene ab 1. Januar 2011 in Höhe von tinnen und Studenten darin zum Beispiel enthalten sind?
364 Euro bei Nutzung der 15-Prozent-Referenzgruppe, Wie stellen Sie – nachvollziehbar – sicher, dass es keine
(B) die zu einer Gesamtberücksichtigung von etwas mehr als Zirkelschlüsse gibt und dass verdeckte Armut herausge- (D)
dem gesamten unteren Quintil führt. rechnet wird?
Bei den Familienhaushalten wurden lediglich die Da-
ten der 20-Prozent-Referenzgruppe detailliert berech- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
net. Von einer genauen Prüfung der übrigen Referenz- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
gruppen wurde abgesehen, da bereits überschlägige Frau Kollegin Hiller-Ohm, Sie können davon ausge-
Berechnungen zeigten, dass die anderen drei Referenz- hen, dass wir, wie auch erläutert, Zirkelschlüsse ausge-
gruppenabgrenzungen zu niedrigeren Regelsätzen ge- schlossen haben, indem wir die Haushalte herausgerech-
führt hätten. net haben, die nur von Transfereinkommen leben, weil
diese ja genau die Zielgruppe der Maßnahme sind, die
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wir ergriffen haben. Es wird auch im Referentenentwurf
dargestellt, dass aus unserer Sicht das von Ihnen ange-
Eine Nachfrage? – Keine Nachfrage.
sprochene Thema der sogenannten verdeckten Armut
Dann sind wir schon bei Frage 26 der Abgeordneten nach allem, was wir wissen, wenn es denn eine Rolle
Anette Kramme: spielen sollte, jedenfalls keine statistisch signifikante
Nach welchem methodischen Verfahren werden die Refe- Rolle an dieser Stelle spielt.
renzhaushalte nach § 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Re-
gelbedarfen nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch Wir können das alles mit den uns zur Verfügung ste-
(Referentenentwurf) gebildet, und wie begründet es die Bun- henden Methoden nicht im Einzelnen untersuchen.
desregierung, dass für die Einpersonenhaushalte die unteren Wenn beispielsweise ein Haushalt über weniger Ein-
15 Prozent und für die Familienhaushalte die unteren kommen verfügt, als ihm nach den Regelsätzen zu-
20 Prozent der nach der Einkommenshöhe geschichteten
Haushalte als Referenzhaushalte verbleiben? stünde, müsste dann ja erst einmal geprüft werden, ob
beispielsweise Vermögen vorhanden ist, das dazu führt,
dass eben keine ergänzenden Leistungen nach dem
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der SGB II zur Verfügung gestellt werden.
Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Frau Kollegin Kramme, wie bei allen vorhergehenden Im Ergebnis gehen wir aufgrund der Untersuchung,
Neubemessungen wurden zur Bestimmung der Refe- die ja nicht wir durchgeführt haben, sondern die zustän-
renzhaushalte zunächst die Haushalte aus der Einkom- digen Experten beim Statistischen Bundesamt, davon
mens- und Verbrauchsstichprobe ausgeschlossen, für die aus, dass die von Ihnen angesprochenen Zirkelschlüsse
die Ermittlung der Regelbedarfe erfolgt, und dann die genau vermieden werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6727

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kommen die untersten etwa 15 Prozent zugrunde gelegt (C)
Herr Straubinger, bitte. haben, haben wir deutlich mehr als das unterste Einkom-
mensquintil für die Berechnung herangezogen, nämlich
Max Straubinger (CDU/CSU): bis zu 22,3 Prozent der Einkommen.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass für Das heißt, mit der heutigen Referenzgruppe sind
die unteren Einkommensgruppen auch Berufe mit nied- mehr, auch höhere, Einkommen berücksichtigt worden
rigen Tarifeinkünften zugrunde gelegt worden sind und als in der Vergangenheit. Aber auch das von der früheren
damit letztendlich die reale Arbeitswelt widergespiegelt Leitung gewählte Verfahren ist bei Ihnen nach meiner
wird? Erinnerung auf keinerlei Kritik gestoßen.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Frau Kramme, Sie wollen noch eine Frage stellen? –
Das kann ich bestätigen, Herr Kollege Straubinger. Es Bitte schön, das dürfen Sie.
geht bei der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe,
die diesen Regelsätzen zugrunde liegt, genau nicht, an-
Anette Kramme (SPD):
ders als beim früheren Warenkorbmodell, darum, welche
Ausgaben wir uns wünschen würden. Im Ausschuss hat Vielen Dank. – Herr Brauksiepe, ich denke, es besteht
es beispielsweise einmal die Kritik gegeben, dass Aus- Konsens darüber, dass für die Berechnung einer Sozial-
gaben für bestimmte Güter rund um das Fahrrad nicht leistung dem Grunde nach keine Sozialleistungsempfän-
einzeln aufgeführt worden sind. Der Grund lag darin, ger herangezogen werden können. Einerseits sagen Sie,
dass nur relativ wenige Haushalte diese Ausgabe getätigt die Gruppe sei größer geworden; andererseits betrachten
haben. Dann entscheiden wir nicht normativ, dass es Sie aber nur noch 15 Prozent, während es in der Vergan-
mehr Radfahrer in Deutschland geben muss; vielmehr genheit 20 Prozent waren. Aber methodisch ist das doch
akzeptieren wir dieses Konsumverhalten, weil es eben die gleiche Vergleichsgruppe; sowohl damals als auch
das ist, was sich real widerspiegelt und wo das zum Aus- aktuell sind die Sozialleistungsempfänger herausgenom-
druck kommt, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- men worden. Nur das kann man aber doch im Prinzip
mer, Selbstständige und viele andere, die ihr Einkom- miteinander vergleichen, wenn ich das richtig verstehe.
men aus eigener Kraft erarbeiten, zur Verfügung haben Da würde ich noch einmal um nähere Erläuterung bitten.
oder eben nicht.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
(B) Frau Kramme. Frau Kollegin Kramme, ich habe nicht gesagt, dass die (D)
Gruppe größer geworden ist. Vielmehr habe ich Sie da-
rauf hingewiesen, dass wir mit der Referenzgruppe da-
Anette Kramme (SPD): durch, dass jetzt die einkommensschwächsten 8,6 Pro-
Herr Brauksiepe, ich habe noch eine weitere Frage. zent bei der Betrachtung außen vor bleiben, während es
Wir haben das Problem, dass der Niedriglohnsektor in den damals nur die schwächsten 0,5 Prozent waren, in Ein-
letzten Jahren sehr intensiv gewachsen ist. Sie nehmen bei kommensschichten vorstoßen, die mehrere Prozentpunkte
den Einpersonenhaushalten nur noch die untersten 15 Pro- oberhalb des untersten Einkommensquintil liegen, wo wir
zent als Bezugsgruppe. Wie wollen Sie sicherstellen, dass eben höhere Einkommen berücksichtigen, als das vor
deren Einkommen tatsächlich bedarfsdeckend ist? Wel- fünf Jahren der Fall war. Nicht mehr und nicht weniger
che Vorkehrungen haben Sie diesbezüglich getroffen? habe ich gesagt.

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Herr Herzog.
Frau Kollegin Kramme, ich habe darauf hingewiesen,
dass wir zur Vermeidung von Zirkelschlüssen
Gustav Herzog (SPD):
(Anette Kramme [SPD]: Das ist kein Zirkel- Herr Staatssekretär, Sie haben mehrfach betont, dass
schluss!) Sie die Personen, die ausschließlich von Transferein-
die Haushalte herausgerechnet haben, die ausschließlich kommen leben, aus der Referenzgruppe ausgeschlossen
von Transfereinkommen leben. Das ist eine klare Ab- haben, um Zirkelschlüsse zu vermeiden. Können Sie mir
grenzung, die in der Vergangenheit nicht in dieser Trenn- methodisch begründen, warum Sie Menschen, die ein
schärfe vorgenommen worden ist. Bei der Auswertung zusätzliches Transfereinkommen bekommen haben – die
der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe im Jahr sogenannten Aufstocker –, in der Referenzgruppe belas-
2003 sind nur 0,5 Prozent der Haushalte mit den niedrigs- sen haben?
ten Einkommen herausgenommen worden. Das heißt, wir
haben damals praktisch nur das unterste Quintil abgebil- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
det, 20,4 Prozent der einkommensschwächsten Haus- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
halte. Indem wir jetzt die untersten 8,6 Prozent der Haus- Weil das Personen sind, die nicht die Zielgruppe des
halte herausgerechnet haben, da diese ausschließlich von Gesetzes sind, das wir einbringen. Wir bringen ein Gesetz
Transfers leben, und von den dann verbleibenden Ein- ein, mit dem wir die Vorgaben des Bundesverfassungsge-
6728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe


(A) richts zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Exis- der Referenzgruppe herausnehmen, die ausschließlich (C)
tenzminimums umsetzen. Die Sicherstellung des men- von Transfereinkommen leben, und damit nur diejenigen
schenwürdigen Existenzminimums sollte jedoch schon in als Referenzgruppe betrachten, deren Einkommen ober-
der Vergangenheit und soll bis heute im Wesentlichen auf halb des ausschließlichen Transfereinkommens liegt,
den gesetzlichen Vorgaben basieren, die die Regierung würde – um Ihr Beispiel weiterzuführen – auch jemand,
Schröder seinerzeit verabschiedet hat. Auf Grundlage der nur einen 1-Cent-Job hat – vielleicht kennen Sie im
dieser Vorgaben soll auch heute das Existenzminimum im Gegensatz zu mir auch solche Menschen –, nicht ausge-
Wesentlichen sichergestellt werden; wir nehmen jetzt die nommen.
Korrekturen vor, die das Bundesverfassungsgericht vor-
gibt. Das heißt, die Zielgruppe des Gesetzentwurfs sind (Gustav Herzog [SPD]: Das war eine hypothe-
die Menschen, die von Transfereinkommen leben; deren tische Frage!)
menschenwürdiges Existenzminimum ist sicherzustellen. Der 1-Cent-Jobber wäre dann also nicht ausgenommen;
Darum berücksichtigen wir in der Referenzgruppe dieje- auch er wäre in der Referenzgruppe, deren Konsumver-
nigen, deren Einkommen und damit deren Konsummög- halten wir zur Ermittlung des Regelbedarfs herangezo-
lichkeiten größer sind als in der Personengruppe, die wir gen haben.
bei der Berechnung ausschließen. Wir berücksichtigen
natürlich die von Ihnen angesprochenen sogenannten
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Aufstocker und ihr Konsumverhalten.
Frau Mast.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Katja Mast (SPD):
Der Kollege Straubinger.
Herr Staatssekretär, inwiefern ist bei der Referenz-
gruppe dafür Sorge getragen worden, dass die Men-
Max Straubinger (CDU/CSU): schen, die in verdeckter Armut leben – diejenigen, deren
Herr Staatssekretär, die Kollegin Kramme fragt im- monatliches Einkommen unter dem Niveau der Trans-
mer wieder nach der Methode und nach dem Umfang der fermittel liegt –, nicht in der Statistik berücksichtigt wer-
Gruppe, die die Grundlage der Auswertung darstellt. Ist den?
es nicht methodisch und vom Ergebnis her besser, die
Gruppe bei der Berechnung auszuschließen, die von So- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
zialleistungen leben, damit hier ein reelles Ergebnis zu- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
stande kommt, auch wenn die Referenzgruppe dadurch
Frau Kollegin Mast, ich sagte schon, dass wir nach
insgesamt vielleicht ein bisschen kleiner ist?
(B) den uns vorliegenden Informationen – wie in der Be- (D)
gründung des Referentenentwurfs ausgeführt – keine
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Anhaltspunkte dafür haben, dass es sich hier um eine
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: statistisch signifikante Gruppe handelt. Insbesondere ha-
Herr Abgeordneter, Sie haben vollkommen recht. Es ben wir keine Daten zu dieser Gruppe. Wir generieren
geht darum – das steht selbstverständlich im Einklang die Daten nicht selber, sondern wir bekommen sie vom
mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts –, hier Statistischen Bundesamt geliefert. Vor diesem Hinter-
einen Lohnabstand zu gewährleisten. Das heißt, dass grund haben wir entsprechende Ausführungen im Refe-
diejenigen, deren Einkommen oberhalb des Transferbe- rentenentwurf gemacht, die ich Ihnen kurz zusammenge-
zugs liegt, größere Konsummöglichkeiten haben sollen fasst habe.
als diejenigen, die ausschließlich von Transfereinkom-
men leben und die – ich sage es noch einmal – Ziel- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gruppe dieses Gesetzentwurfes sind, für die wir dieses
Herr Juratovic.
Gesetz also machen.

Josip Juratovic (SPD):


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Staatssekretär, wie hoch ist der prozentuale An-
Frau Mattheis.
teil der Aufstocker in der Bezugsgruppe?

Hilde Mattheis (SPD):


Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie ergänzend fragen: Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Sind in der Bezugsgruppe auch Aufstocker, die – ich
Herr Kollege Juratovic, die Frage kann ich Ihnen
sage das ganz bewusst – rein theoretisch eine zusätzliche
nicht beantworten. Ich weiß nicht, ob bereits differen-
Einnahme von 1 Euro erzielen?
zierte Daten darüber vorliegen, welche Berufsgruppen in
diese Referenzgruppe eingeflossen sind. Nach meinem
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Kenntnisstand war es so, dass wir aus zeitlichen Grün-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: den – für das Gesetzgebungsverfahren wurde uns eine
Frau Kollegin, ich persönlich kenne keinen Aufsto- Frist gesetzt – das Statistische Bundesamt darum gebe-
cker, der eine Zusatzeinnahme von 1 Euro hat; mögli- ten haben, uns die Daten möglichst schnell zu liefern.
cherweise ist Ihr Kenntnisstand hier anders. In der Tat: Ich weiß nicht, ob solche differenzierten Daten vorlie-
Weil wir – ich habe das schon gesagt – nur diejenigen aus gen. Mit sind sie jedenfalls nicht bekannt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6729

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: käuferin oder der Kellnerin, die ein Musikinstrument er- (C)
Die Fragen 27 und 28 der Abgeordneten Elke Ferner lernen wollen, haben auch keinen Anspruch darauf, dass
sowie die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Anton Ihnen das Klavier oder andere Instrumente vom Steuer-
Schaaf werden schriftlich beantwortet. zahler bezahlt werden.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Dr. Ernst Dieter Wir unterbreiten einen konkreten Vorschlag zur Ver-
Rossmann auf: besserung der Situation von Kindern und Jugendlichen.
Warum verzichtet die Bundesregierung darauf, dafür zu Es muss unsere gemeinsame Aufgabe sein, dafür zu sor-
sorgen, dass – unter Beteiligung der Bundesländer und Kom- gen, dass diese Leistungen auch in Anspruch genommen
munen – Leistungen für Bildung und Teilhabe von Kindern werden. In der Vergangenheit hat es einen von Arbeitneh-
über die Schulen und Kindertagesstätten unter Einbeziehung merinnen und Arbeitnehmern und anderen Steuerzahlern
der Jugendämter organisiert werden, zumal so alle Kinder
– und nicht nur diejenigen in Bedarfsgemeinschaften nach zu finanzierenden Anspruch auf das Erlernen eines be-
dem SGB II und SGB XII – erreicht werden können? stimmten Musikinstruments, sei es die Orgel oder das
Klavier, auch nicht gegeben. Er ist auch nicht vorgesehen,
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der weil wir – das betone ich noch einmal – vom tatsächli-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: chen Konsumverhalten der einkommensschwächeren
Haushalte ausgehen, die ihr Einkommen durch eigene
Ich antworte Ihnen wie folgt: Die Leistungen für Bil-
Arbeit erwirtschaften, aber Einschränkungen unterliegen
dung und Teilhabe sind bedarfsauslösend ausgestaltet,
und sich nicht alles leisten können, was sie gerne wollen.
das bedeutet: Kinder aus Familien, die ihren Bedarf
grundsätzlich aus eigenen Kräften und Mitteln decken Wir sind nicht der Meinung, dass man sich ohne Ar-
können, nicht aber die Leistung für Bildung und Teil- beit mehr leisten können soll als mit Arbeit.
habe, haben ebenfalls einen Anspruch auf diese Leis-
tung. Das ist ein großer Gewinn für die Kinder aus Fami- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
lien, deren Einkommen knapp oberhalb der bisherigen Herr Rossmann.
Bedürftigkeitsschwelle liegt. Dadurch wird eine Besser-
stellung von Kindern und Jugendlichen aus Familien, die
Leistungen nach SGB II beziehen, gegenüber anderen Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Familien aus dem unteren Einkommenssegment vermie- Herr Staatssekretär, Sie haben auf eine Frage, die
den. exakt gestellt war, allgemeinpolitisch geantwortet. Das
entspricht auch ein bisschen der Melodie, die die Ar-
Des Weiteren handelt es sich bei den Bildungs- und beitsministerin den ganzen Sommer über angeschlagen
Teilhabeleistungen um existenzsichernde Leistungen. hat. Da war zwar uneingeschränkt von Musikinstrumen-
(B) Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat der ten und anderem die Rede, aber ausdrücklich nicht von (D)
Bund für einlösbare Ansprüche zu sorgen. Zusätzliche Orgeln. An dieser Stelle wählen Sie Vergleiche und Un-
Leistungen und Angebote der Länder und Kommunen terstellungen, die abseitig sind. Das sollten Sie bei die-
sind dabei sehr willkommen, um eine breite Förderung sem gemeinsamen Anliegen nicht tun.
von Kindern und Jugendlichen zu erreichen.
Ich stelle deshalb meine Frage nicht rückwärtsge-
wandt, sondern beziehe sie auf das, was das Bundesver-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
fassungsgericht uns allen zum 1. Januar 2011 aufgege-
Herr Rossmann, könnten Sie mit Ihrer Frage kurz ben hat. Wie wollen Sie organisatorisch dazu beitragen,
warten? Die Kollegin Kramme hat eine Nachfrage. dass die Argen nicht nur reine Zahlstellen sind, sondern
tatsächlich eine Unterstützung und Beratung für Fami-
Anette Kramme (SPD): lien darstellen, die die Teilhabeleistung für ihre Kinder
Herr Brauksiepe, wie wollen Sie sicherstellen, dass bekommen sollen? Glauben Sie, dass dies mit dem Hin-
das Teilhabepaket von Kindern, deren Eltern Leistungen weis auf die Argen allein schon erreicht ist? Muss an
nach dem SGB II beziehen, tatsächlich in Anspruch ge- dieser Stelle nicht eher der Sachverstand der kreisbezo-
nommen werden kann, wenn über dieses Teilhabepaket genen Jugendämter bzw. anderer sachkundiger Stellen
beispielsweise nicht auch die Kosten für Sportausrüs- hinzugezogen werden? Wie haben Sie diese einbezogen?
tung, Mobilitätskosten oder die Anschaffung eines Mu-
sikinstruments finanziert werden können? Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der Herr Kollege Rossmann, zunächst einmal will ich Ih-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: nen sagen: Nicht nur ich habe Musikunterricht mit In-
Frau Kollegin Kramme, ich stelle mit Interesse fest, strumenten gehabt, die man bei der Musikschule kosten-
dass Sie sich und mir Fragen stellen, die Sie in der Ver- los leihen konnte. Ich habe gehört, dass es so etwas auch
gangenheit nach meiner Kenntnis nicht beschwert haben. heute noch gibt. Ich glaube nicht, dass das menschenun-
Wir gewährleisten Teilhabechancen für Kinder und Ju- würdig ist. Ich selbst habe es als Musikschüler nicht als
gendliche in einem Gesamtumfang von ungefähr 620 Mil- menschenunwürdig empfunden, dass mir leihweise ein
lionen Euro. Wir stellen im Wesentlichen – bis auf das Musikinstrument kostenlos zur Verfügung gestellt
Schulstarterpaket, das es schon gab – zusätzliche Leistun- wurde. Ich halte es für sinnvoll, dass wir uns bei unseren
gen bereit. Natürlich können Sie fordern: Das muss noch Forderungen auch immer ein bisschen am realen Leben
mehr sein! Aber die Kinder des Maurergesellen, der Ver- der arbeitenden Menschen orientieren.
6730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe


(A) Sie haben völlig recht, was die Vernetzung mit Ju- Kooperation bei der Leistungsverwaltung zu kommen? (C)
gendämtern angeht. Es geht hier um eine große Gemein- Das ist nichts, was erst noch passieren wird, sondern das
schaftsanstrengung. Ich wäre dankbar, wenn wir mehr wird die Regierung sicherlich schon geleistet haben.
darüber reden könnten. Es geht nicht darum, dass die
Jobcenter alles machen sollen. Die Familien sind weiter- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
hin gefordert. Die Schulen sind gefordert. Die Jobcenter Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
sind gefordert. Die kommunalen Akteure sind gefordert. Herr Kollege Rossmann, meines Wissens finden auch
Sie haben gemeinsam mit dem Rathaus, den Jugendäm- in diesen Tagen Gespräche über dieses Thema und über
tern, den Sozialämtern und anderen Ämtern die gemein- andere Themen mit den Vertretern der von Ihnen ange-
same Aufgabe, Kindern Bildungs- und Teilhabechancen sprochenen kommunalen Spitzenverbände statt.
zu ermöglichen. Das ist völlig richtig.
Ich sage es noch einmal: Das zusätzliche Engagement Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
von Ländern und Kommunen ist willkommen. Wir ma- Frau Kollegin Hiller-Ohm, bitte.
chen diesen Gesetzentwurf aber, weil wir klare Vorgaben
vom Bundesverfassungsgericht über unsere Aufgabe ha- Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
ben. Unsere Aufgabe ist es beispielsweise nicht, dafür zu Herr Staatssekretär, Sie haben das Mittagessen in Ki-
sorgen, dass alle Kinder in Deutschland ein Mittagessen tas und Schulen angesprochen. Wir alle wissen, dass es
in Kitas und Schulen bekommen, in denen eigentlich leider kein flächendeckendes Ganztagsschulangebot in
kein Ganztagsunterricht vorgesehen ist. Unsere Aufgabe Deutschland gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat ei-
ist es, dafür zu sorgen – das ist der Unterschied zwischen nen individuellen Rechtsanspruch der Kinder auf Teil-
unserer Aufgabe und der der anderen Institutionen –, habe festgestellt. Aber nur 20 Prozent der Kinder werden
dass niemand aufgrund von Einkommensarmut davon ein Mittagessen erhalten können, weil nur in diesem
ausgeschlossen ist. Wir sind sehr für eine breite Vernet- Maße Plätze in Ganztagseinrichtungen vorhanden sind.
zung. Wie bewerten Sie dieses Verhältnis? Ist es Ihrer Ein-
Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir trotz schätzung nach im Sinne des Bundesverfassungsge-
des Zeitdrucks vor Jahresende mit den gesetzgeberi- richts, dass einige Kinder partizipieren können und an-
schen Arbeiten naheliegenderweise erst am Anfang ste- dere nicht? Wäre es aus Ihrer Sicht nicht sinnvoll, die
hen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frist auf den Kommunen zu unterstützen und mit ihnen gemeinsam
1. Januar 2011 in dem Wissen gesetzt, dass die Daten – Bund, Länder und Kommunen – ein Ausbauprogramm
aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erst zu für Kitas und Ganztagsschulen in Angriff zu nehmen?
Beginn des Herbstes in der Form vorliegen, dass wir ei-
(B) nen entsprechenden Referentenentwurf erstellen können. (D)
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Der Gesetzentwurf ist noch nicht beschlossen. Es gibt Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
jetzt schon Ankündigungen, man wolle diese Leistung Frau Kollegin Hiller-Ohm, ich wiederhole, was ich
für Kinder im Bundesrat blockieren. Der Respekt vor bereits ausgeführt habe. Wir tun das, was das Verfas-
dem Gesetzgeber gebietet aber natürlich, dass man nicht sungsgericht von uns verlangt. Das bedeutet: Teilhabe
schon alles macht, bevor das Gesetzgebungsverfahren ermöglichen. Zusätzliche Initiativen von Ländern und
stattfindet. Sie können aber sicher sein, dass wir in den Kommunen, auch private Initiativen, sind durchaus er-
nächsten Wochen und Monaten sehr viel Zeit darin in- wünscht.
vestieren werden, die jetzt anstehenden Dinge mit den
Akteuren vor Ort zu bereden und sie im Interesse der Ich sage aber noch einmal: Zur Teilhabe gehört, dass
Kinder einzubeziehen. Wir hoffen, dass diese zusätzliche etwas vorhanden ist, an dem man teilhaben kann. Es gibt
Leistung am Ende weder im Bundestag noch im Bundes- nach wie vor Einrichtungen zur Kinderbetreuung – die
rat blockiert wird. Bundesregierung nimmt hier keine Wertung vor, sagt
nicht, ob das gut oder schlecht ist –, in denen das Mittag-
essen nicht zum Standardangebot gehört, weil sich die
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Betreuung auf den Vormittag konzentriert. Die frühere
Herr Dr. Rossmann. nordrhein-westfälische Landesregierung beispielsweise
hat einen gesetzlichen Rahmen geschaffen, nach dem die
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Eltern von Kindern im Kindergartenalter zwischen 25,
Ich finde es sympathisch, dass Sie jetzt nicht mehr auf 35 und 45 Stunden Betreuung wählen können. Da gibt es
dem Orgelniveau diskutieren, sondern das Beispiel eines diejenigen, die sagen: Mein Kind soll 45 Stunden betreut
Instrumentenpools sachlich eingeführt haben. Sie haben werden. Das schließt nach meiner überschlägigen Rech-
durchaus eine Bringschuld und eine Gesamtverantwor- nung in der Regel die Mittagsstunden ein. Es gibt aber
tung in Bezug auf die Teilhabe, nicht nur monetär, son- auch diejenigen, die sagen: 35 oder 25 Stunden reichen
dern auch aufgrund der Gelegenheit. Meine Rückfrage uns aus. Diese Bundesregierung schreibt den Menschen
bezieht sich auf die bisherigen Gespräche zwischen der nicht vor, wie sie zu leben haben.
Bundesregierung und den kommunalen Spitzenverbän-
(Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP])
den, die über Kinder- und Jugendämter die Expertise in
Bezug auf die Leistungsvermittlung haben. Was wurde Wenn Eltern sich für eine Kinderbetreuung entscheiden,
besprochen, und was hat man Ihnen empfohlen, um in die am Mittag endet, und ihre Kinder zu Hause Mittag
Bezug auf die Kinder- und Jugendteilhabe zu einer guten essen, dann ist das in Ordnung. Ich kenne solche Kinder.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6731
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(A) Ich muss zugeben: Meine gehören dazu. Wenn Eltern Ich liste es Ihnen einmal im Einzelnen auf: Bei den (C)
das so entscheiden, dann schreibt die Bundesregierung eintägigen Klassenfahrten gehen wir von 48 Millionen
ihnen nicht vor, dass sie anders zu leben haben. Euro aus, bei der Lernförderung, also Nachhilfe, von
79 Millionen Euro. Das ist etwa das Doppelte von dem,
Ich sage es noch einmal: Da, wo Betreuungsbedarf
was die von uns betrachtete Referenzgruppe in diesem
besteht, ist die Politik insgesamt gefordert, diesen Be-
Bereich ausgibt. Beim Schulessen sind es 117 Millionen
treuungsbedarf zur Verfügung zu stellen. Da, wo eine
Euro, bei der soziokulturellen Teilhabe – auf das Kind
Betreuungsinfrastruktur einschließlich Mittagessen zur
bezogen 120 Euro im Jahr – gehen wir von insgesamt
Verfügung steht, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen,
244 Millionen Euro aus. Beim Schulbasispaket gehen
dass niemand aufgrund von Einkommensarmut davon
wir, wenn es die volle Wirkung entfaltet, von 125 Millio-
ausgeschlossen wird. Genau das ist unsere Aufgabe,
nen Euro aus. Meinen Hinweis, dass diese Angabe gilt,
nicht weniger und nicht mehr.
wenn es die volle Wirkung entfaltet, habe ich gemacht,
weil wir den Vorschlägen der Experten folgen, die
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 100 Euro in Zukunft nicht mehr in einer Summe am
Frau Kramme, bitte. Schuljahresanfang auszuzahlen, sondern 70 Euro zum
Schuljahresanfang und 30 Euro zu Beginn des zweiten
Anette Kramme (SPD): Schulhalbjahres. Das bedeutet konkret, dass im nächsten
Herr Brauksiepe, aus den Argen wird uns berichtet, Jahr, zum Beginn des Schuljahres 2011/2012, nur
dass eine Umsetzung des Teilhabepakets zum 1. Januar 70 Euro ausgezahlt werden, weil wir für das Schuljahr
2011 nicht möglich ist. Welche diesbezüglichen Vorkeh- 2010/2011 die 100 Euro schon ausgezahlt haben. Vom
rungen haben Sie getroffen? Jahr 2012 an, wenn das Paket die volle Wirkung entfal-
tet, gehen wir von 125 Millionen Euro aus.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin Kramme, die Frage stellt sich für uns Frau Mattheis.
so nicht, weil sich die Ansprüche der Kinder – nebenbei
bemerkt: unabhängig davon, welches Schicksal der zu Hilde Mattheis (SPD):
erarbeitende Gesetzentwurf am Ende hat – vom 1. Ja- Herr Staatssekretär, könnten Sie bitte in Ergänzung
nuar an unmittelbar aus der Verfassung bzw. dem Verfas- Ihrer Antwort auf die letzte Frage ausführen, wie hoch
sungsgerichtsurteil ergeben. Das heißt, dass die Politik die Kosten der Bundesagentur für Arbeit sind und wie
aufgefordert ist, diese Leistungen dann zur Verfügung zu hoch in dem Zusammenhang die Verwaltungskosten
(B) stellen. Über die Methoden wird dann zu reden sein. sind? (D)
Auch die Chipkarte, über die in diesem Zusammenhang
viel diskutiert wird, ist nicht mehr und nicht weniger als
ein technisches Mittel zum Zweck. Der Anspruch der Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Kinder ergibt sich vom nächsten Jahr an aus der Verfas- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
sung bzw. aus dem Verfassungsgerichtsurteil, und er Frau Kollegin Mattheis, die von Ihnen angesproche-
wird dann – gegebenenfalls auf dem provisorischen nen Verwaltungskosten sind natürlich schwer zu schät-
Wege – zu erfüllen sein. Dafür werden wir Vorkehrun- zen. Eine Quantifizierung dieser Kosten ist mir nicht be-
gen treffen. kannt.
(Anette Kramme [SPD]: Die Frage ist nicht (Hilde Mattheis [SPD]: Der erste Teil meiner
beantwortet!) Frage war nicht beantwortet!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


Jetzt kommt die Nachfrage des Kollegen Lemme. Jetzt ist erst einmal Frau Mast an der Reihe. Sie dür-
fen sich noch einmal melden, Frau Mattheis; Sie haben
Steffen-Claudio Lemme (SPD): noch eine Nachfrage gut. – Frau Mast.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär
Brauksiepe, meine Frage lautet: Wie hoch schätzen Sie Katja Mast (SPD):
die finanziellen Kosten für dieses Teilhabepaket, die ja Herr Staatssekretär Brauksiepe, wir haben in der Gro-
die Bundesagentur für Arbeit zu schultern hat? ßen Koalition das Schulbasispaket in Höhe von
100 Euro eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der uns mit auf den Weg gegeben, eine Berechnungsgrund-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: lage für dieses Schulbasispaket zu entwickeln. Wo finde
Wir gehen davon aus, dass die Bildungs- und Teilha- ich diese bei den Berechnungen des Regelsatzes?
beleistungen ein finanzielles Volumen von insgesamt
circa 620 Millionen Euro ausmachen. Das wird dann Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
aufgeteilt in das Schulbasispaket, in die soziokulturelle Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Teilhabe und die entsprechenden Mehrbedarfsleistungen Frau Kollegin Mast, ich darf unter Bezug auf die vor-
für Schulessen, Lernförderung und eintägige Klassen- herige Frage noch einmal das bekräftigen, was ich vor-
fahrten. hin ausgeführt habe und was sich auch aus dem Ihnen
6732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe


(A) bekannten Referentenentwurf ergibt, wonach der Mehr- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der (C)
aufwand für den Vollzug bisher nicht quantifiziert wer- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
den kann. Ich denke, wir stimmen darin überein, dass Herr Kollege Rossmann, ich antworte Ihnen wie
eine solche Quantifizierung höchst schwierig ist. folgt: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
hat den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ermitt-
Frau Kollegin Mast, hinsichtlich des Schulbedarfspa- lung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten
kets – ich denke, es geht Ihnen um die 100 Euro – ist es und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch erarbeitet. Es ist
in der Tat so gewesen, dass wir uns in der Großen Koali- beabsichtigt, am 20. Oktober 2010 einen Beschluss des
tion auf diese Summe politisch verständigt haben, ohne Bundeskabinetts herbeizuführen.
sie wissenschaftlich herzuleiten.
In Art. 10 Abs. 2 des Entwurfes werden derzeit als
Das Bundesarbeitsministerium hat, wie es seinem Zwischenstand nur die systematischen Folgerungen aus
Auftrag entspricht, selbstverständlich auch zu diesem der in Art. 2 enthaltenen Einführung des Bildungs- und
Thema Gespräche mit Experten geführt. In diesen Ge- Teilhabepakets für Kinder abgebildet. Eine abschlie-
sprächen wurde deutlich, dass die Summe in Höhe von ßende fachpolitische Bewertung des Sachverhalts steht
100 Euro aus Expertensicht angemessen ist. Diese Zahl hingegen noch aus. Deshalb hat die Bundesregierung
ist jetzt also nicht mehr aus der Luft gegriffen, sondern keine Berechnung von Fallzahlen im Hinblick auf die
im Rahmen von Expertengesprächen und Anhörungen betroffenen Kinder vorgenommen.
bestätigt worden.
Die Experten haben uns allerdings den Rat gegeben, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
diesen Betrag, wie schon erläutert, nicht auf einmal aus- Herr Rossmann, bitte.
zuzahlen, sondern Rücksicht darauf zu nehmen, dass
zwar der Großteil des Bedarfs am Schuljahresanfang Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
entsteht, ein Teil aber erst zu Beginn des zweiten Schul- Das war für den Außenstehenden sehr kryptisch; man
halbjahres. Deswegen schlagen wir im Einklang mit dem wusste eigentlich gar nicht, worum es geht. Deshalb
Rat der Experten die Aufteilung 70 : 30 vor. würde ich das gerne wie folgt übersetzen: Für die Kin-
der, deren Eltern Sozialgeld bzw. Arbeitslosengeld II be-
ziehen, gibt es einen echten, unbezweifelten Bedarf. Au-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ßerdem gab es bisher über den Kinderzuschlag hinaus
Noch einmal Frau Mattheis. rund 300 000 Kinder, die das Schulbedarfspaket bekom-
men haben. Nach dem Referentenentwurf der Regierung
(B) Hilde Mattheis (SPD): wären diese 300 000 Kinder vom Bezug dieser Leistun- (D)
gen ausgeschlossen gewesen. Diese Regelung ist von der
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin ausgeführt, dass
Ministerin schnell korrigiert worden. Sie sagte, dass sie
Sie großen Wert darauf legen und die Bundesregierung
das nicht so gemeint habe.
ihr Augenmerk darauf richtet, allen Kindern Möglich-
keiten zu Teilhabe zu eröffnen. Ich frage Sie: Könnten Vor diesem Hintergrund stelle ich Ihnen eine zweige-
Sie sich bzw. könnte sich die Bundesregierung vorstel- teilte Frage:
len, das Recht auf Teilhabe im SGB VIII oder in einem
anderen Sozialgesetzbuch festzuschreiben? Erstens. Bestätigen Sie, dass die 300 000 Kinder, von
denen ich gerade sprach, voll im Bezug des Schulbe-
darfspaketes bleiben?
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Zweitens. Bestätigen Sie, dass die Ministerin gesagt
hat, darüber hinaus wolle man für Kinder aus Geringver-
Frau Kollegin Mattheis, ich wiederhole: Wir setzen dienerfamilien mehr tun, und was konkret will die
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem die Ministerin für diese Kinder und Jugendlichen tun? Oder
Ansprüche von Kindern niedergelegt wurden, um. Wir war das nur Verschleierungsrhetorik?
werden dies im Sozialgesetzbuch II regeln, wie es uns
das Bundesverfassungsgericht nahegelegt hat.
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Rossmann, wir verschleiern nichts. Ich
Ich rufe jetzt die Frage 32 des Kollegen Rossmann wiederhole: Eine abschließende fachpolitische Bewer-
auf: tung des von Ihnen angesprochenen konkreten Sachver-
Wie viele Kinder, die gegenwärtig das sogenannte Schul-
halts steht noch aus.
bedarfspaket erhalten, werden keinen Anspruch mehr auf Zu Ihrer weitergehenden Frage will ich an das erin-
diese Leistung besitzen, wenn § 6 a Abs. 4 a des Bundeskin-
dergeldgesetzes gestrichen wird (Art. 10 Nr. 2 des Referen- nern, was ich schon gesagt habe: Die Leistungen, die wir
tenentwurfes eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedar- an dieser Stelle zusätzlich gewähren, sind bedarfsauslö-
fen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches send. Um das deutlich zu machen – da Sie eben den Be-
Sozialgesetzbuch) und stattdessen der Anspruch im § 7 Abs. 2 griff „kryptisch“ verwendet haben –: Das Kind von je-
SGB XII (Art. 1 Nr. 10 des Referentenentwurfes eines Geset-
zes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des
mandem, der im Arbeitslosengeld-II-Bezug ist, hat in
Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) geregelt Zukunft beispielsweise den Anspruch darauf, dass eintä-
wird? gige Klassenfahrten finanziert werden. Wir gehen von
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6733
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(A) einer Summe von 30 Euro aus. Dies könnte bedarfsaus- Wir kalkulieren dafür eine aufgrund von Gesprächen mit (C)
lösend sein. Das heißt, dass derjenige, der 20 Euro mehr Experten bestimmte Summe ein, die dafür anzusetzen
hat, als es der jetzigen Bedürftigkeitsschwelle entspricht, ist.
diese 30 Euro nicht aus eigener Tasche bezahlen muss,
Aber wir werden sicherstellen, dass das Geld durch
während derjenige, der 20 Euro weniger hat, die 30 Euro
die Art der Organisation dieser Hilfeleistungen tatsäch-
vollständig bekommt, sondern dass diese 30 Euro be-
lich zielgenau bei den Kindern ankommt, damit Schluss
darfsdeckend sind. Das heißt, alle, die unter ansonsten
mit einer Situation ist, in der sich Kinder für eintägige
gleichen Umständen bis zu 30 Euro über der Bedürftig-
Klassenfahrten abmelden, krankmelden oder in der die
keitsschwelle liegen, haben diesen Anspruch, damit die-
Lehrer Eintrittsgelder für Besichtigungen oder für Besu-
jenigen nicht benachteiligt werden, die knapp über der
che von Einrichtungen aus eigener Tasche aufbringen
Bedürftigkeitsschwelle liegen.
müssen. Wir werden dafür sorgen, dass diese Notwen-
Darum haben wir das genau so konstruiert. Wir wis- digkeit nicht mehr besteht, sondern dass das Geld tat-
sen, dass dies auch Kosten bedeutet. Aber wir machen sächlich bei den Kindern ankommt.
diese Reform nicht nach Kassenlage, sondern unter Ge-
rechtigkeitsaspekten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Lachen bei der SPD) Herr Rossmann.
Dazu gehört, dass, wenn man arbeitet und nur wenig
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
mehr als die Hilfebedürftigen hat, nicht am Ende unter
Berücksichtigung dieser Teilhabeleistungen mit weniger Herr Staatssekretär, wenn Sie das ehemalige „Schul-
dasteht als diejenigen, die die Teilhabeleistungen in An- bedarfspaket“ als „Schulbasispaket“ umdefinieren, denkt
spruch nehmen können. man daran, dass es noch etwas dazugeben kann; denn
sonst ist dieser neue Begriff „Schulbasispaket“ nicht
sinnvoll.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Hiller-Ohm. Ich verstehe es so, dass Sie das, was dazukommen
kann, im Sinne von Klassenfahrten, Essenszuschuss und
Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
anderem sehen. Ist das so richtig? Sind Sie deshalb auf
den Begriff „Basispaket“ gekommen?
Herr Staatssekretär, haben nicht auch Menschen, ins-
besondere Kinder, in anderen Rechtskreisen, zum Bei- Dann bleibt umgekehrt die Frage: Weshalb wollen Sie,
spiel im Asylbewerberleistungsgesetz, Ansprüche auf wenn es dieses Basispaket sein soll, das eine, die klassi-
die vom Bundesverfassungsgericht zuerkannten Teilha- schen 100 Euro, garantieren – Sie wollen doch nieman-
(B) (D)
bechancen? dem etwas wegnehmen; so darf man Sie verstehen –,
während Sie bei dem anderen noch so viele Fragezeichen
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der machen?
Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Frau Kollegin Hiller-Ohm, wie auch heute Morgen Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
schon im Ausschuss seitens der Bundesregierung ausge- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
führt, wird über die Bedeutung dieses Urteils mit Blick Herr Kollege Rossmann, ich weiß nicht, wo ich nach
auf die Asylbewerber noch zu reden sein. Ihrer Beobachtung ein Fragezeichen gemacht habe.
Die Grundlage für das Schulbasispaket ist in der Sa-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: che das Gleiche, was uns in der Großen Koalition zur da-
Frau Brehmer. maligen 100-Euro-Lösung geführt hat. Wir haben festge-
stellt, dass die Grundausstattung mit Schulmaterial, die
Heike Brehmer (CDU/CSU): in der Vergangenheit aus dem Regelsatz bestritten wer-
Herr Staatssekretär, Sie haben angeführt, dass zum den sollte, in vielen Fällen nicht aus dem Regelsatz be-
Beispiel für Klassenfahrten Geld zur Verfügung gestellt stritten wurde. Das heißt, dass dieses Material nicht zur
werden soll. Wie stellt das Bundesministerium sicher, Verfügung stand. Eine Grundausstattung – das ist für
dass diese Leistungen ab Anfang des Jahres unbürokra- mich ein anderes Wort für Basis – wird auf diese Weise
tisch zu den Kindern kommen, die sie benötigen? sichergestellt.
Es gibt sicherlich Taschenrechner, die so gut und so
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der teuer sind, dass sie allein daraus nicht finanziert werden
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: können, sondern durch Umschichtungen innerhalb des
Wir werden mit den Leistungen aus dem Schulbasis- Regelsatzes finanziert werden müssten, wenn man sie
paket so wie bisher verfahren, außer dass wir die denn anschaffen wollte. Das ist aber natürlich genau das,
100 Euro aufsplitten. was mit „Basis“ gemeint ist: Es geht darum, eine Aus-
Was die Klassenfahrten angeht, ist das eine soge- stattung zu ermöglichen, die notwendig ist, um mit Er-
nannte Mehrbedarfsleistung, die gezahlt wird, wenn die folg am Schulleben teilzunehmen.
entsprechende Fahrt ansteht. Sie wird nicht auf Verdacht
im Vorhinein gewährt. Wenn keine Klassenfahrten anste- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
hen, wird eine entsprechende Leistung nicht erbracht. Frau Mast.
6734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Katja Mast (SPD): Fall ist. Das ist aber auch nicht erforderlich. Die Bundes- (C)
Herr Staatssekretär Brauksiepe, ich möchte noch ein- regierung will mit den 100 Euro für den persönlichen
mal an meine Frage anschließen, die ich vorhin zum Schulbedarf eine Leistung erbringen, die zum überwie-
Schulstarterpaket gestellt habe. Ich begrüße es ausdrück- genden Teil zusätzlich zu den folgerichtig und transpa-
lich, dass das Ministerium mit Fachexperten über die rent ermittelten Regelbedarfen gewährt wird.
Höhe des Schulbedarfspakets von 100 Euro diskutiert
Daran sieht sich die Bundesregierung durch den Rich-
hat, allerdings bitte ich Sie, mir als Parlamentarierin und
terspruch aus Karlsruhe nicht gehindert. Das Bundesver-
damit eben auch der Öffentlichkeit zu erklären, nach
fassungsgericht hat in seinem Urteil vom 9. Februar
welchen Kriterien Sie auf 100 Euro kommen.
2010 lediglich kritisiert, dass die Begründungsdefizite
hinsichtlich der Kinderregelleistung nicht durch die zu-
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der sätzliche Leistung für die Schule ausgeglichen werden
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: können. Inzwischen haben wir aber altersspezifisch be-
Frau Kollegin Mast, ich verweise zunächst einmal da- gründete Kinderbedarfe, die den Anforderungen des
rauf, dass wir gut 900 Seiten an ausgewählten Ergebnis- Bundesverfassungsgerichtes genügen. Für die Heilung
sen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zur von Begründungsdefiziten sind sie nicht mehr erforder-
Verfügung gestellt haben. Es war ja auch Ihr Wunsch, lich.
mehr Informationen zu erhalten. Der Wunsch ist zwar
erst entstanden, seit Sie in der Opposition sind, aber das
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ist in Ordnung, und wir erfüllen ihn ja auch.
Wir kommen zur Frage 36 des Kollegen Lemme:
Ich sage Ihnen noch einmal: Das ist nicht das Ergeb- Hält die Bundesregierung es für eine angemessene Umset-
nis aufgrund irgendeiner Stichprobe, sondern das ist das zung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, den Bedarf
Ergebnis von Gesprächen, die wir mit Experten geführt auf Lernförderung zu sichern, wenn nach § 28 Abs. 4 SGB II
haben. Diese haben uns bestätigt, dass Minister Scholz bzw. § 34 Abs. 4 SGB XII in der Fassung des Referentenent-
wurfes eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und
seinerzeit zusammen mit der Großen Koalition mit den zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialge-
100 Euro ganz richtig lag. Das ist doch ein schönes Er- setzbuch nur ein Anspruch besteht, wenn das „wesentliche
gebnis, finde ich. Lernziel“ – nämlich die Versetzung – verfehlt wird?

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Die Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Sönke Rix Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
werden schriftlich beantwortet. Herr Kollege Lemme, ich antworte Ihnen wie folgt:
Mit der Vorschrift wird das Urteil des Bundesverfas-
(B) Wir kommen zur Frage 35 des Kollegen Steffen- (D)
sungsgerichts vom 9. Februar 2010 nach Auffassung der
Claudio Lemme:
Bundesregierung voll umgesetzt. Es handelt sich bei der
Warum hat die Bundesregierung darauf verzichtet, die zu erbringenden Lernförderung um eine existenzsichernde
Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf nach § 28 Abs. 3
SGB II und § 34 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII in der Fassung des Re- Leistung. Um das Existenzminimum sicherzustellen, ist
ferentenentwurfes eines Gesetzes zur Ermittlung von Regel- aber nicht eine optimale, sondern lediglich eine ausrei-
bedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches chende Lernförderung sicherzustellen.
Sozialgesetzbuch in der Höhe zu begründen, obwohl das Bun-
desverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 Um das vielleicht auch noch einmal für die Zuhörer
genau die fehlende Herleitung kritisiert hat? zu erläutern: Die Frage war, warum nur ein Anspruch
besteht, wenn das wesentliche Lernziel, nämlich die Ver-
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der setzung, gefährdet ist.
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Auch Bezieher unterer Einkommen sind vielfach
Herr Kollege Lemme, ich antworte Ihnen wie folgt: nicht in der Lage, Nachhilfeunterricht zu bezahlen, da-
Die im Referentenentwurf des Bundesministeriums für mit sich ihr Kind in einem Fach beispielsweise von einer
Arbeit und Soziales vorgesehene Leistung für den per- guten auf eine sehr gute Note verbessert.
sönlichen Schulbedarf orientiert sich der Höhe nach an
der bisherigen zusätzlichen Leistung für die Schule nach
Maßgabe des § 24 a des Zweiten Buches Sozialgesetz- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
buch und des § 28 a des Zwölften Buches Sozialgesetz- Keine Nachfrage.
buch. Die Fragen 37 und 38 des Kollegen Swen Schulz so-
Im BMAS sind zahlreiche Gespräche mit Wissen- wie die Frage 39 des Kollegen Stefan Schwartze und die
schaftlern und Praktikern geführt worden, in denen be- Frage 40 der Kollegin Dr. Carola Reimann werden
stätigt wurde, dass diese Leistung betragsmäßig aus- schriftlich beantwortet.
reicht. Auf Anraten der Praktiker hat sich das BMAS Damit rufe ich die Frage 41 der Kollegin Hilde
dazu entschieden, die Leistung aufzuteilen. Zu Beginn Mattheis auf:
des Schuljahres werden 70 Euro und zu Beginn des
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die
zweiten Schulhalbjahres dann nochmals 30 Euro geleis- vorgeschlagene Regelung zur Fortschreibung der Regelbe-
tet werden. darfsstufen nach § 28 a SGB XII (in der Fassung des Art. 3
des Referentenentwurfes eines Gesetzes zur Ermittlung von
Es ist richtig, dass die Höhe der Leistung nicht so ex- Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften
akt begründet ist, wie dies bei den Regelbedarfen der Buches Sozialgesetzbuch) die Veränderungen der Löhne und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6735
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Preise im Vergleich des Vorjahres zum Vorvorjahr berücksich- ger im Unterschied zu der bisherigen Bezugsgröße ge- (C)
tigt, und zwar insbesondere vor dem Hintergrund, dass „der staltet?
Gesetzgeber daher Vorkehrungen zu treffen hat, auf Änderun-
gen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wie zum Bei-
spiel Preissteigerungen oder Erhöhungen von Verbrauchsteu- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
ern, zeitnah zu reagieren, um zu jeder Zeit die Erfüllung des
aktuellen Bedarfs sicherzustellen“ (BVerfG, 1 BvL 1/09 vom
Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
9. Februar 2010, Randnummer 140)? Frau Kollegin Mattheis, ich kann Ihnen dazu jetzt
keine Zahlen nennen. Denn in der Vergangenheit, einge-
Herr Staatssekretär.
führt durch die rot-grüne Bundesregierung, erfolgte die
Orientierung an der Entwicklung der Renten. Das war
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der seit der Einführung des SGB II der Fall. Ich möchte hin-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: zufügen: Auch sämtliche anderen Regelungen, die das
Frau Kollegin Mattheis, Sie kritisieren in Ihrer Frage, Bundesverfassungsgericht kritisiert hat, stammen weder
dass wir aus Ihrer Sicht nicht zeitnah auf Preisentwick- aus der Zeit der christlich-liberalen noch aus der Zeit der
lungen reagieren. Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Großen Koalition, sondern aus der Zeit der rot-grünen
Die benötigten Daten zur Preis- und Lohnentwicklung Bundesregierung.
liegen immer erst zeitverzögert vor. Wenn wir eine An-
passung vornehmen, die zum 1. Januar 2011 wirksam Wir haben jetzt eine neue Einkommens- und Ver-
wird, dann liegen an diesem Tag noch nicht die komplet- brauchsstichprobe, die die Basis für alle weiteren Ent-
ten Daten für die Preisentwicklung des Jahres 2010 vor. wicklungen bietet. Vom 1. Januar 2011 an gelten die Ih-
Das ist aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. In- nen bekannten neuen Regelsätze. Wir wollen mittelfristig
sofern hat das statistische Gründe. für die Jahre zwischen den sehr umfangreichen und auf-
wendigen Einkommens- und Verbrauchsstichproben zu
Die Bundesregierung wird aber darüber hinaus die für der sogenannten Laufenden Wirtschaftsrechnung überge-
die Leistungsempfänger maßgebliche Preisentwicklung hen. Das ist sozusagen die kleine Schwester der Einkom-
im Blick behalten und bei Bedarf kurzfristig handeln. mens- und Verbrauchsstichprobe. Bis sie zur Verfügung
Dies bezieht sich aber immer nur auf das maßgebliche steht, wollen wir zu einem Anpassungsmechanismus
Preisniveau insgesamt und kann nicht kurzfristige be- kommen, der zu 70 Prozent die Entwicklung der Preise
sondere Preisschwankungen einzelner Güter betreffen. widerspiegelt, weil in den Regelsätzen in erster Linie das
physische Existenzminimum zu berücksichtigen ist, und
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der zu 30 Prozent die Lohnentwicklung widerspiegelt,
Ihre Zusatzfrage? – Sie haben keine Zusatzfrage. weil mit der Lohnentwicklung die allgemeine Wohlstands-
(B) entwicklung zusammenhängt. Welche Zahl sich dann (D)
Dann rufe ich die Frage 42 der Kollegin Mattheis auf: konkret ergibt, bleibt abzuwarten.
Warum sind die für das Jahr 2008 ermittelten regelsatzrele-
vanten Verbrauchsausgaben nicht nach der immanenten Logik
des § 28 a SGB XII (in der Fassung des Art. 3 des Referenten- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
entwurfes eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen Die Fragen 43 und 44 der Kollegin Bärbel Bas wer-
und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialge- den schriftlich beantwortet.
setzbuch) mit den Veränderungsraten der Jahre 2008 zu 2007
und 2009 zu 2008 fortgeschrieben worden, sondern ausweis- Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Josip Juratovic
lich der Begründung zu § 7 des Gesetzes zur Ermittlung von
Regelbedarfen nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetz- auf:
buch (Referentenentwurf) nur mit der Veränderungsrate des Welche Personen bzw. welche „anderen Sozialleistungen“
Jahres 2009? sind gemeint, wenn in der Begründung zu den §§ 2 bis 4 des
Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen nach § 28 des
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Referentenentwurf) for-
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der muliert ist, dass „Personen zur Vermeidung von Zirkelschlüs-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: sen nicht in der Referenzgruppe berücksichtigt werden, die
Frau Kollegin, auch in dieser Frage geht es darum, neben anderen Sozialleistungen aufstockende existenzsi-
was als Bezugszeitraum für Veränderungen anzusehen chernde Leistungen erhalten“?
ist. Ich beantworte die Frage wie folgt: Der regelsatzre-
levante Verbrauch wird auf Basis der EVS 2008 für den Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Jahresdurchschnitt 2008 ermittelt. Diese Zahlen können Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
nur mit der darauf folgenden Entwicklung fortgeschrie- Herr Kollege Juratovic, Sie fragen nach anderen So-
ben werden, also zum 1. Januar 2011 mit der Verände- zialleistungen. Ich antworte Ihnen wie folgt: Es handelt
rungsrate von 2008 auf 2009. Andere Kalenderjahresda- sich hierbei um Personen, die insgesamt lediglich Ein-
ten liegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. kommen auf Höhe des Regelbedarfs beziehen, diese
Einkommenshöhe aber nicht alleine durch Leistung des
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: SGB II oder des SGB XII erzielen, sondern zum Bei-
Gibt es eine Nachfrage? – Bitte sehr. spiel eine Rente wegen Erwerbsminderung erhalten, die
durch Leistung des SGB XII aufgestockt wird.
Hilde Mattheis (SPD):
Herr Staatssekretär, könnten Sie ausführen, wie sich Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
die Änderung der Bezugsgröße für die Leistungsempfän- Haben Sie eine Nachfrage? – Nein.
6736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) Dann kommen wir zu Frage 46 des Kollegen Josip Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der (C)
Juratovic: Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Hält die Bundesregierung es mit der vom Bundesverfas- Das stimmt, Frau Hiller-Ohm. Auch ich sehe es nicht,
sungsgericht geforderten Transparenz bei der Ermittlung der weil das Statistische Bundesamt das nicht ausweist. Die-
Regelsätze für vereinbar, dass einerseits Konsumausgaben, ses Schicksal teilen wir, Frau Kollegin.
die von höchstens 25 Haushalten in der EVS 2008 getätigt
worden sind, nicht veröffentlicht, doch diese andererseits als
regelbedarfsrelevante Position anerkannt werden? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Wir kommen zu Frage 47 der Kollegin Katja Mast:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wie lässt es sich rechtfertigen, dass für Leistungsempfän-
gerinnen und Leistungsempfänger nach dem SGB II zwar ei-
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der nerseits der Besitz eines Personenkraftwagens angemessen
ist, um auch eine Erwerbstätigkeit aufnehmen bzw. ausüben
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: zu können, andererseits der Unterhalt bei der Regelsatzbe-
Hier geht es um Transparenz bei der Ermittlung der messung nicht berücksichtigt wird, und müsste alternativ zur
Regelsätze. Ich antworte Ihnen wie folgt, Herr Kollege: Sicherung der Mobilität nicht auf jeden Fall eine Monatskarte
für den öffentlichen Personennahverkehr garantiert sein, an-
Das Statistische Bundesamt weist in seinen Veröffentli- statt nur auf die durchschnittlichen Verbrauchsausgaben von
chungen bzw. Fachserien zu den EVS-Ergebnissen Da- Haushalten, die keine Ausgaben für Kraftstoff und Schmier-
ten nicht aus, wenn weniger als 25 Haushalte dazu An- mittel tätigen, abzustellen?
gaben machen; ich habe eben Ausgaben im Bereich
Bitte, Herr Staatssekretär.
Fahrrad als Beispiel genannt. An diese Praxis hält sich
auch das BMAS. In den Summen der einzelnen Abtei-
lungen und im gesamten regelsatzrelevanten Verbrauch Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
werden die nicht veröffentlichten regelsatzrelevanten Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
Positionen selbstverständlich eingerechnet. Diese Praxis Frau Kollegin Mast, Sie fragen nach der Pkw-Nut-
wendet das Statistische Bundesamt ebenfalls bei der Ver- zung. Dazu antworte ich Ihnen wie folgt: Nach § 12
öffentlichung der Ergebnisse zum privaten Verbrauch an. Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetz-
buch gehört ein angemessenes Kraftfahrzeug für jeden
zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden erwerbsfähigen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Leistungsberechtigten zum Schonvermögen. Daran soll
Eine Nachfrage der Kollegin Hiller-Ohm. sich nach dem Willen der Bundesregierung auch in Zu-
kunft nichts ändern. Die Vermögensfreistellung bedeutet
Gabriele Hiller-Ohm (SPD): aber nicht, dass im Rahmen der Sicherung des men-
(B) schenwürdigen Existenzminimums die Aufwendungen (D)
Herr Staatssekretär, in welcher Höhe haben Sie die
für die Bewegung des Kraftfahrzeugs übernommen wer-
Verbrauchspositionen, die mit einem Strich in der Aus-
den müssten. Auch das Urteil des Bundesverfassungsge-
wertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
richts vom 9. Februar 2010 sieht darin ausdrücklich kei-
gekennzeichnet sind, in die Pauschale eingerechnet? Wo
nen Wertungswiderspruch. Zweck der Freistellung eines
und in welcher Höhe finde ich zum Beispiel die Ausga-
angemessenen Fahrzeugs bei der Vermögensanrechnung
ben für Kinderfahrräder wieder?
ist es, die Mobilität des Leistungsberechtigten im Hin-
blick auf seine Eingliederung in Arbeit zu erhalten. Dies
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der wird dadurch ausreichend sichergestellt, dass der Leis-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: tungsberechtigte im Fall der Arbeitsaufnahme die Aus-
Sie finden es nicht, weil dort aus den genannten Grün- gaben für Kraftstoff als Werbungskosten vom Einkom-
den ein Strich ist. Aber eingerechnet ist es voll. Wenn men absetzen kann.
zum Beispiel 24 Haushalte Ausgaben im Bereich Fahr- Es ist nach Ansicht der Bundesregierung nicht erfor-
rad getätigt und darüber Buch geführt haben, dann gehen derlich, Leistungsberechtigten eine Monatskarte für den
diese Ausgaben, gewichtet mit der Zahl 24 – weil eben öffentlichen Personennahverkehr zu garantieren. Dies
24 Haushalte solche Ausgaben getätigt haben –, in die würde über die durch die Leistung nach dem Zweiten
Bedarfsermittlung ein. Nur steht diese Summe nicht an Buch Sozialgesetzbuch zu gewährleistende Sicherstel-
der entsprechenden Stelle im Bericht. Wenn 24 Personen lung des soziokulturellen Existenzminimums hinausge-
jeweils 10 Euro ausgegeben haben, dann werden 24 mal hen. Auch Bezieher unterer Einkommen verfügen nicht
10 Euro als Ausgaben eingerechnet. Wenn 23 Personen in jedem Fall über eine Monatskarte für den ÖPNV. Die
10,03 Euro ausgegeben haben, dann werden 23 mal Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstich-
10,03 Euro berücksichtigt. probe 2008 bestätigt dies.
(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Aber ich kann
das ja nicht sehen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Haben Sie eine Nachfrage dazu? – Nein.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Dann kommen wir zu Frage 48 der Kollegin Katja
Wir führen hier keine Debatte. Mast:
Wie begründet es die Bundesregierung, dass für die Be-
(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wie weiß ich das rücksichtigung der regelbedarfsrelevanten Ausgaben für Ver-
denn dann?) kehr eine Sonderauswertung durchgeführt worden ist, wonach
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6737
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) hier nur Haushalte berücksichtigt wurden, die keine Ausgaben Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der (C)
für Kraftstoff und Schmiermittel getätigt haben, während an- Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
dere Verbrauchspositionen, die als nicht regelsatzrelevant be-
zeichnet werden, einfach nicht berücksichtigt werden, und Herr Kollege Herzog, Sie fragen nach dem Nettoein-
hätten bei diesen „unerwünschten“ Verbrauchsausgaben dann kommen der Referenzhaushalte. Ich antworte Ihnen wie
nicht ebenfalls nur die Haushalte betrachtet werden dürfen, folgt: Das obere Grenzeinkommen betrug 2008 bei den
bei denen diese Ausgaben nicht anfallen, um zu verhindern, Einpersonenhaushalten 901 Euro im Monat. Bei den
dass auch Personen eine Minderung ihres Regelbedarfes er-
fahren, die selber gar nicht beabsichtigen, entsprechende Pro-
Paaren mit Kind sind es bei denjenigen mit einem Kind
dukte zu kaufen? von 0 bis unter 6 Jahren 2 178 Euro, mit einem Kind von
6 bis unter 14 Jahren 2 476 Euro und mit einem Kind
Bitte, Herr Staatssekretär. von 14 bis unter 18 Jahren 2 544 Euro. Das alles, Herr
Kollege, ist aber auch nachzulesen, beispielsweise auf
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der der Homepage unseres Ministeriums, auf der diese Sta-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: tistiken ebenfalls veröffentlicht sind.
Frau Kollegin Mast, bei dieser Frage geht es um Son-
(Gustav Herzog [SPD]: Ich höre Sie so gern,
derauswertungen im Zusammenhang mit Ausgaben für
Herr Kollege!)
Verkehr. Ich antworte Ihnen wie folgt: Die Bundesregie-
rung hat die Sonderauswertung zu den Verkehrsausgaben
von Personen ohne Kraftfahrzeug bzw. ohne Ausgaben Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
für Kraftstoff und Schmiermittel beim Statistischen Bun- Herr Kollege Herzog, haben Sie eine Nachfrage? –
desamt entsprechend den Vorgaben des Bundesverfas- Nein.
sungsgerichts aus seinem Urteil vom 9. Februar 2010 in Dann rufe ich die Frage 56 des Kollegen Herzog auf:
Auftrag gegeben. Dabei ging es vornehmlich darum, den
Wie hoch wären die Regelbedarfe auf Grundlage der Er-
vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Wertungs- gebnisse der EVS 2008 ausgefallen, wenn die Bundesregie-
widerspruch zu beseitigen, der aus der auf Schätzungen rung den methodischen Weg verfolgt hätte, die EVS 2008 um
beruhenden Kürzung der Ausgabeposition „Ersatzteile die Haushalte zu bereinigen, die existenzsichernde Leistungen
und Zubehör für Privatfahrzeuge“ um 80 Prozent resul- erhalten, und anschließend die verbleibenden Haushalte in
Quintile eingeteilt hätte, um dann das unterste Quintil als Re-
tierte. Dies ist mit der vorgelegten Ermittlung des Regel-
ferenzgruppe zu betrachten?
bedarfs gelungen.
Das Bundesverfassungsgericht hat keine generelle Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Pflicht von Zusatzsonderauswertungen angemahnt, es sei Bundesministerin für Arbeit und Soziales:
denn, existenzsichernde Grundbedarfe wären nicht ge- Herr Kollege Herzog, die Bundesregierung hat selbst-
(B) deckt. Daher besteht auch aus methodischen Überlegun- verständlich wie bei allen vorhergehenden Neubemes- (D)
gen grundsätzlich kein Zwang hierzu. Die Nichtberück- sungen zunächst diejenigen Haushalte aus der Einkom-
sichtigung einzelner, nicht zum Grundbedarf gehörender mens- und Verbrauchsstichprobe ausgeschlossen, für die
Verbrauchspositionen rechtfertigt keine Sonderauswer- die Neubemessung erfolgt, und anschließend die Refe-
tung, da es gerade Absicht des Gesetzgebers ist, durch renzgruppe festgelegt. Das können Sie auch in den Er-
Nichtberücksichtigung zum Beispiel von Urlaubsreisen läuterungen im konsolidierten Referentenentwurf auf
die Höhe des regelsatzrelevanten Konsums etwas niedri- den Seiten 82 f. und 129 ff. nachlesen. Ich habe darüber
ger anzusetzen, als er bei der Referenzgruppe angesetzt bereits bei vorhergehenden Antworten berichtet.
wird.
Bei der darauf folgenden Bildung der Referenzgrup-
Weitere Sonderauswertungen, wie sie von Ihnen gefor- pen sind die zuvor herausgerechneten Haushalte mit zu
dert werden, sind daher für eine transparente und folge- berücksichtigen, da sie Lage und durchschnittlichen Ver-
richtige Ermittlung der Regelbedarfe nicht erforderlich. brauch der Referenzgruppe mitbestimmen. Bei der jetzt
Sie würden auch dem vom Bundesverfassungsgericht gewählten Abgrenzung werden sowohl für Einpersonen-
dem Grunde nach unbeanstandeten Statistikmodell zuwi- haushalte als auch für Paare mit Kind mehr als das un-
derlaufen. Dies baut gerade auf durchschnittlichen Aus- tere Quintil abgedeckt.
gaben der Referenzgruppe bei regelbedarfsrelevanten
Ausgabepositionen auf. Dem Leistungsberechtigten wird
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ein Budget an die Hand gegeben, mit dem er nach den ei-
Keine Nachfrage.
genen Bedürfnissen frei haushalten kann.
Die Frage 57 der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: wird schriftlich beantwortet.
Keine Nachfrage? – Die Fragen 49 und 50 des Kolle- Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. –
gen Thomas Oppermann, die Fragen 51 und 52 der Kol- Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwor-
legin Gabriele Lösekrug-Möller sowie die Fragen 53 tung der vielen Fragen.
und 54 der Kollegin Dagmar Ziegler werden schriftlich
beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereichs des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
Ich rufe die Frage 55 des Kollgen Gustav Herzog auf: braucherschutz.
Bis zu welchem Nettoeinkommen erstrecken sich die von
der Bundesregierung als Referenzhaushalte betrachteten Die Frage 58 der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann
Haushalte? wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
6738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) Wir kommen zur Beantwortung der Fragen aus dem Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C)
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidi- desminister der Verteidigung:
gung. Dazu steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Man muss scharf unterscheiden: Befördert worden ist
Christian Schmidt zur Verfügung. dieser Mann nicht. Sie müssen unterscheiden zwischen
Planstellen, Dienstposten und Einweisung. Stellen Sie
Die Frage 59 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele sich vor, Sie wären in einer bestimmten Funktion und
wird schriftlich beantwortet. bekämen weniger bezahlt, als es Ihrem Anspruch eigent-
Nun kommen wir zur Frage 60 der Kollegin Christine lich entspräche. Bei Oberst Klein war dies schon im Jahr
Buchholz: 2008 der Fall. Ich glaube, es ist nachvollziehbar, dass
dieser Anspruch realisiert wird, ohne dass er in seinem
Aufgrund welcher Verdienste hat die Bundeswehr Georg Dienstgrad eine Veränderung erfahren hat. Er war Oberst
Klein, rund ein Jahr nach seiner Entscheidung zur Bombardie-
rung am 4. September 2009 im Raum Kunduz, bei der bis zu und ist Oberst und bekommt Geld und hat Geld bekom-
142 unbeteiligte Personen getötet wurden, in eine höhere Be- men. Die Bundeswehr pflegt nämlich ihre Obersten zu
soldungsgruppe befördert, wie Presseberichten (zum Beispiel besolden, und zwar korrekt nach dem Bundesbesol-
bild.de vom 12. September 2010, www.bild.de) zu entnehmen dungsgesetz.
war, und ist es korrekt, dass mit der Beförderung eine monat-
liche Gehaltserhöhung von rund 600 Euro einhergeht?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Damit kommen wir zur Frage 61 der Kollegin
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Buchholz:
desminister der Verteidigung:
Hält die Bundesregierung die Beförderung Georg Kleins
Frau Präsidentin! Kollegin Buchholz, auf Ihre Frage angesichts seiner Rolle bei der Bombardierung vom 4. Sep-
antworte ich wie folgt: Oberst Klein ist in Besoldungs- tember 2009 für angemessen, und wie schätzt die Bundesre-
gruppe B 3 eingewiesen worden; die Oberstbesoldung gierung die Wirkung dieser Entscheidung auf die Soldaten im
ist A 16 oder B 3. Er hat diesen Dienstposten – Chef des Einsatz ein?
Stabes der 13. Panzergrenadierdivision – seit dem Herr Staatssekretär, bitte.
1. Juni 2008 besetzt; dieser Dienstposten ist nach Besol-
dungsgruppe B 3 bewertet. Mit seiner Versetzung und
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
damit bereits vor seinem Einsatz in Afghanistan war
desminister der Verteidigung:
somit die grundsätzliche Entscheidung verbunden, den
Frau Kollegin, ich will festhalten: Diese Frage steht
Offizier in die zugehörige Besoldungsgruppe einzuwei-
im Zusammenhang mit der Frage 60. Ich erlaube mir,
sen. Vor dem Hintergrund der Planstellensituation ist
dass ich sie in diesem Zusammenhang unter Bezug auf
diese Einweisung nicht erfolgt. Infolge der Ereignisse
(B) vom 4. September 2009 ist diese Einweisung ausgesetzt meine vorherige Antwort beantworte. (D)
worden, bis die Generalbundesanwaltschaft zu dem Er- Ich meine bei aller Diskussion über die Entscheidun-
gebnis kam, dass dem Offizier weder völkerstrafrecht- gen von Oberst i. G. Klein, die wir auch hier im Hause
lich noch strafrechtlich ein Vorwurf gemacht werden erlebt haben und die sich an die Ereignisse vom
kann. 4. September 2009 angeschlossen hat, dass, wenn sich
weder eine strafrechtliche noch eine völkerstrafrechtli-
Die zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft – sie ist che noch eine disziplinarrechtliche Verfehlung ergeben
unabhängig; ich weise vorsorglich darauf hin – ist im hat, es Nobile Officium einer rechtsstaatlich orientierten
Hinblick auf mögliche Dienstvergehen zu dem gleichen Verwaltung, des öffentlichen Dienstes ist, nicht in ir-
Ergebnis gekommen. Mithin hat die Personalführung gendeiner Weise aus politischen Erwägungen weniger
mit der Einweisung eine seit der Versetzung ausste- oder mehr Geld zu zahlen. Das muss der Rechtsstaat
hende, zu diesem Zeitpunkt rechtlich gebotene Maß- schon aushalten. Ich glaube, er hat auch den Anspruch,
nahme vollzogen. Die damit verbundene Erhöhung be- dass sich die obersten Verfassungsorgane diesem Den-
läuft sich brutto auf 803 Euro im Monat. ken entsprechend anschließen. Die Generalbundesan-
Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass die Einwei- waltschaft ist zwar kein oberstes Verfassungsorgan, aber
sung in eine Planstelle in einem Rechtsstaat Ansprüche sie ist beim obersten Gericht angesiedelt. Wir können
entstehen lässt, die seitens des Betroffenen möglicher- daher zumindest in diesem Bereich von einer sehr nach-
weise durchsetzbar sind. Das muss man bei allen politi- haltigen rechtlichen Klärung ausgehen. Wir haben kei-
schen Bewertungen, die sich aus solchen Fragen eventu- nerlei Veranlassung, anders zu handeln, als wir gehan-
ell herausfiltern ließen, berücksichtigen. delt haben.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ihre Zusatzfrage.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Christine Buchholz (DIE LINKE):
Christine Buchholz (DIE LINKE): Meine Frage bezog sich auf die Einschätzung der
Danke, Herr Staatssekretär. – Eine Nachfrage meiner- Bundesregierung in Bezug auf die Wirkung, die dieser
seits: Ist es üblich, dass Soldaten auch dann, wenn sie Fakt auf die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz hat.
militärisch nicht angemessen gehandelt haben, befördert Nur um das noch einmal kurz auszuführen: Die öffentli-
werden, wie Sie es eben beschrieben haben? che Wahrnehmung, aber auch die Wahrnehmung unter
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6739
Christine Buchholz
(A) den Soldatinnen und Soldaten ist die, dass man, auch 68 und 69 des Kollegen Harald Weinberg schriftlich be- (C)
wenn man – wie Karl-Theodor zu Guttenberg gesagt antwortet.
hat – „militärisch nicht angemessen gehandelt“ hat,
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
trotzdem noch entsprechend behandelt wird. Das ist,
ministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung.
glaube ich, in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich
Die Fragen 70 und 71 der Kollegin Silvia Schmidt wer-
ein Problem. Ich bitte Sie, auf den Punkt einzugehen.
den schriftlich beantwortet. Dann kommen wir zu den
Vielleicht können Sie dann auch noch auf die Frage Fragen 72 und 73 des Kollegen Uwe Beckmeyer. Den
der Mehrbezahlung eingehen. Sie haben das jetzt hier sehe ich aber nicht. Dann wird nach unserer Geschäfts-
korrigiert; in den Pressemitteilungen war ja von ordnung verfahren. Die Frage 74 der Kollegin Marianne
600 Euro im Monat zusätzlich die Rede. Gleichzeitig Schieder wird schriftlich beantwortet. Die Fragen 75 und
wird den Opfern der Bombardierung von Kunduz pro 76 der Kollegin Birgitt Bender sowie die Frage 77 des
Familie – nicht pro Fall – gerade mal eben 3 900 Euro Kollegen Peter Friedrich werden gemäß Nr. 2 Abs. 2 der
gezahlt. Das ist doch eine Diskrepanz, die in der öffentli- Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Fragen 78 und
chen Wahrnehmung berechtigterweise zu Irritationen 79 der Kollegin Daniela Wagner und die Fragen 80 und
führt. Wie bewerten Sie die Auswirkungen auch auf die 81 der Kollegin Bettina Herlitzius werden schriftlich be-
Bundeswehr und die Soldaten im Einsatz? antwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
desminister der Verteidigung: cherheit. Für die Beantwortung steht Frau Parlamentari-
Vorneweg bitte ich um Nachsicht, dass ich in der Tat sche Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
diesen Aspekt Ihrer Frage noch nicht beantwortet habe. Die Fragen 82 und 83 der Kollegin Sylvia Kotting-
Ich werde das gerne tun. Die Diskrepanz zwischen den Uhl werden schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 84
von Ihnen in einen Zusammenhang gebrachten Zahlen des Kollegen Hans-Josef Fell.
will ich für mich so beantworten: Ich halte es für eine
unwahrscheinlich große intellektuelle Diskrepanz, beide Ich rufe die Frage 85 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Themen überhaupt in einen näheren Zusammenhang zu Besteht nach Auffassung des BMU nach geltender Geset-
bringen, und sehe keine Veranlassung, zu dieser eigen- zeslage ein dynamischer Sicherheitsstandard für Atomkraft-
werke, nach dem jeweils diejenige Vorsorge gegen Schäden
artigen Vermischung irgendwelche Antworten zu geben. getroffen werden muss, die nach neuesten wissenschaftlichen
Die Position der Bundesregierung ist hier klar und ist be- Erkenntnissen erforderlich ist?
antwortet worden.
Frau Staatssekretärin, bitte.
(B) Zum Zweiten. Ich glaube, ich gebe – ohne dass ich (D)
das statistisch nachweisen kann, ohne dass es hierzu eine Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
Position der Bundesregierung gibt – nur das wieder, was desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
wir von dem Eindruck der Soldaten der Bundeswehr im heit:
Einsatz und ihrer Familien gewonnen haben: Ihre Frau Kollegin Höhn, ich beantworte Ihre Frage nach
schwierige Tätigkeit bringt auch mit sich, dass man un- dem Sicherheitsstandard wie folgt: Die rechtlichen
ter Umständen – Sie haben den Bundesminister zitiert – Pflichten des Betreibers ergeben sich aus Gesetz und
nicht angemessen handelt und doch schnell handeln Verordnungen. Sie werden durch Genehmigungen, nach-
muss. Wenn eine indirekte Bestrafung durch Gehaltsab- trägliche Auflagen und aufsichtliche Anordnungen kon-
zug möglich wäre, dann würden unsere Soldaten – die- kretisiert. Es ist bisher umstritten, ob nachträgliche Auf-
sen Eindruck habe ich – ein hohes Maß ihrer Motivation lagen zur Anpassung der Kernkraftwerke an den sich
verlieren, den gefährlichen Dienst, in den wir sie stellen, dynamisch fortentwickelnden Stand von Wissenschaft
dann nicht nur nach Auftrag und Recht, sondern auch und Technik erteilt werden können. Die Bundesregie-
mit einem inneren Engagement zu erledigen. rung geht davon aus, dass sich diese Rechtsfrage durch
die vorgesehene Änderung des Atomgesetzes erledigt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Die Fragen Nr. 62 und 63 des Kollegen Dr. h. c. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Gernot Erler werden schriftlich beantwortet. Haben Sie eine Nachfrage, Frau Höhn? – Bitte.

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, auch Ihnen danke ich herzlich für Herzlichen Dank. – Frau Staatssekretärin, Sie haben
die Beantwortung der Fragen. in der letzten Sitzung des Umweltausschusses gesagt,
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- das kerntechnische Regelwerk sei ein dynamisches In-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. strument, weil man mit den Ländern verhandele, und na-
Hier werden die Fragen 64 und 65 der Kollegin Petra türlich verhandele man auch über den Stand der Technik,
Crone schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 66 und die sich weiterentwickelt. Können Sie die Aussage be-
67 der Kollegin Caren Marks. stätigen, die Sie im Umweltausschuss getätigt haben,
nämlich dass damit das kerntechnische Regelwerk natür-
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- lich etwas Dynamisches ist, das man mit den Ländern
desministeriums für Gesundheit. Hier werden die Fragen entwickelt. Dieses kerntechnische Regelwerk liegt bei
6740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Bärbel Höhn
(A) Ihnen auf dem Tisch und muss nur noch in Kraft gesetzt des Kollegen René Röspel werden schriftlich beantwor- (C)
werden. Wenn dies geschieht, dann haben wir einen dy- tet.
namischen Sicherheitsstandard, der sich dem Stand der
Technik anpasst. Können Sie das bestätigen? Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Die Frage 88 wird nach unserer Geschäfts-
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bun- ordnung behandelt.
desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit: Damit rufe ich die Frage 89 der Kollegin Sabine
Frau Kollegin Höhn, wir wollen einen neuen § 7 d in Stüber auf:
das Atomgesetz einfügen. In diesem § 7 d ist von weite- Welches sind die offenen Fragen, die den Bundesminister
rer Vorsorge gegen Risiken die Rede. Das sind zusätzli- für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk
che Maßnahmen, die in das Atomgesetz eingebracht Niebel, veranlassten, dem Dschungel-statt-Öl-Modellprojekt
– Yasuní-ITT-Initiative – im Yasuní-Nationalpark in Ecuador
werden. zum Schutz der biologischen Vielfalt die Unterstützung zu
entziehen?
Die Behauptung, da ändere sich nichts, es sei alles
schon in Ordnung, ist also nicht richtig. Im bestehenden Für die Beantwortung der Fragen steht Frau Staatsse-
System kann eine Behörde Auflagen erteilen. Wir wol- kretärin Gudrun Kopp zur Verfügung.
len jetzt die Verpflichtung für die Betreiber einführen,
selber etwas zu tun, und das ist ein qualitativer Fort- Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
schritt. minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Danke sehr, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Stüber,
Haben Sie eine weitere Frage? – Bitte. Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Bundestag und Bun-
desregierung haben die Yasuní-ITT-Initiative seit ihrer
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorstellung im Juni 2007 mit großem Interesse verfolgt,
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass ich auch diese ohne sich jedoch auf einen konkreten Beitrag zum ITT-
zweite Frage noch stellen darf. – Frau Staatssekretärin, Fonds festzulegen. Die von der Bundesregierung und
wie gehen Sie mit dem Vorwurf der Umweltverbände dem Bundestag gestellten Fragen, die wiederholt an die
um? Dieser Vorwurf lautet: § 7 d ist nicht zusätzliche Si- ecuadorianische Regierung herangetragen wurden,
cherheit, sondern dynamische Unsicherheit. Im gelten- konnten bislang noch nicht zufriedenstellend und hinrei-
den Gesetz steht der Begriff der größtmöglichen Sicher- chend beantwortet werden.
(B) heit. Sie wollen das durch Ihren neuen Sicherheitsbegriff Am 28. September hat die ecuadorianische Ministerin (D)
ersetzen und damit de facto den höchsten Standard, der für Natur- und Kulturerbe dem BMZ ein Schreiben mit
jetzt gilt, absenken. Einlassungen zu diesen Fragen überreicht. Das BMZ
Im Übrigen will ich noch kurz bemerken, dass Sie um wird sorgfältig prüfen, ob damit die offenen Fragen be-
meine erste Nachfrage geschickt herumgeschlittert sind. antwortet sind. Wesentlich erscheinen dabei folgende
Die Frage war: Warum setzen Sie das kerntechnische Punkte: Erhöhung des Einflusses der Zivilgesellschaft,
Regelwerk nicht in Kraft? Das garantierte nämlich dyna- Kohärenz mit international vereinbarten Konzepten zum
misch mehr Sicherheit. Klimaschutz und zur Walderhaltung – das betrifft gerade
das REDD-Programm –, Spezifizierung der Schätzun-
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bun- gen über Ölvorkommen, Präzedenzwirkung für andere
desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Länder und insbesondere die Einpassung des ITT-Pro-
heit: jektes in eine Entwicklungsplanung, die nachhaltiges
Wir sind in einem permanenten Kontakt mit den Län- Wachstum ermöglicht.
dern, haben auf den Seiten des Bundesumweltministeriums
auch eine ganze Liste von Vorschlägen veröffentlicht. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Noch einmal: Neu ist, dass wir Pflichten für die Betrei- Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Nein.
ber einführen wollen. Bisher können die Behörden Auf- Aber eine Nachfrage hat die Frau Kollegin Höhn.
lagen erteilen. Jetzt sollen die Unternehmen verpflichtet
werden, selbst nach dem Stand von Wissenschaft und Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Technik nachzurüsten. Das ist ein qualitativer Fort- Frau Staatssekretärin, es gibt eine Initiative aus den
schritt. Insofern teile ich die Kritik der Verbände nicht. Reihen der Bundestagsabgeordneten, die sich sehr inten-
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: siv für genau diesen Fonds einsetzen, also dass Gelder ge-
Leider darf ich nicht mehr nachfragen!) geben werden, damit in Ecuador nicht nach Öl gebohrt
wird und der Regenwald erhalten bleibt, damit etwas für
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: den Klimaschutz getan wird. Diese Initiative ist ja von der
letzten Regierung aufgegriffen worden. Es wäre weltweit
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beant-
ein einmaliger Vorgang, ein solches Projekt auf den Weg
wortung der Fragen.
zu bringen. Das hätte hervorragende Präzedenzwirkung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis- Viele andere könnten sich dem anschließen. Warum will
teriums für Bildung und Forschung. Die Fragen 86 und 87 das Bundesentwicklungsministerium diese Initiative so
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6741
Bärbel Höhn
(A) weit hinauszögern? Damit steht Deutschland als ein Land Was will der Bundesminister für wirtschaftliche Zusam- (C)
da, das eine Zusage, die de facto schon gegeben worden menarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, unternehmen, damit
die Fragen geklärt und die Bedenken bezüglich einer Einzah-
ist, wieder zurückzieht. Damit verursacht die Bundesre- lung in den Treuhandfonds für die Yasuní-ITT-Initiative aus-
gierung letzten Endes Schaden für Deutschland in der geräumt werden können?
ganzen Welt.
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung:
wicklung: Frau Kollegin Stüber, die Antwort lautet wie folgt:
Frau Kollegin Höhn, die Bundesregierung hat bislang Die Yasuní-ITT-Initiative ist eine interessante und wirk-
keine Zusage gegeben. Es handelt sich um einen Betrag lich innovative Idee Ecuadors und damit eine souveräne
von 650 Millionen Euro; über 13 Jahre sind 50 Millio- Entscheidung der dortigen Regierung. Das BMZ hat die
nen Euro jährlich anvisiert. Aber wohlgemerkt: Bisher ecuadorianische Regierung in der Anfangsphase bei der
liegen hierfür keine Zusagen vor. Formulierung der Initiative unterstützt, und die Bundes-
Zielsetzungen wie Erhalt des Nationalparks und mit regierung wird auch weiterhin engagiert die Umstände
Blick auf die Biodiversität insbesondere Erhalt des Wal- und ihre Unterstützung der Initiative im Detail prüfen.
des weiß auch das BMZ in besonderer Weise zu schät- Nach Abschluss der Prüfung wird Ihnen das BMZ das
zen. Wir wollen aber – es ist notwendig, das genau zu Ergebnis übermitteln.
prüfen –, dass vorher folgende Fragen beantwortet wer-
den, nämlich ob eine solche Fondsfinanzierung wirklich Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
verlässlich und seriös darstellbar ist und inwieweit wir Haben Sie eine Nachfrage?
hier möglicherweise einen Negativpräzedenzfall schaf-
fen könnten. Bedenken Sie bitte, dass es in 13 weiteren
Ländern ähnliche Situationen gibt und eine Unterstüt- Sabine Stüber (DIE LINKE):
zung dieses Projektes damit Folgewirkungen haben Ja.
könnte. Das heißt, wir als BMZ müssen dieses Projekt
einschließlich der Fondsabsicherung im Detail prüfen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nach dieser Prüfung werden wir unsere abschließende Bitte sehr.
Entscheidung treffen.
Sabine Stüber (DIE LINKE):
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(B)
Eine Zusatzfrage, bitte sehr. Ich hätte gern gewusst, wie lange Sie brauchen, um (D)
die Antworten von Frau Espinosa zu prüfen, und wann
wir über das Ergebnis informiert werden.
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Frau Staatssekretärin, vielen Dank für Ihre Ausfüh- Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
rungen. Diese führen mich zu der Frage, ob der Bundes- minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
regierung bewusst ist, welch labiler Zustand im Moment wicklung:
in dem sich doch auf einem demokratischen Weg befind- Frau Kollegin Stüber, das hängt davon ab, wie um-
lichen Land Ecuador herrscht. fangreich die vorliegenden Antworten sind und ob wei-
tere Nachfragen nötig sind. Ich verweise auch darauf,
Wir haben ja in der letzten Woche mitbekommen, wel- dass Staatspräsident Correa Anfang November nach
che Konsequenzen Einschnitte bei den Sicherheitskräf- Deutschland kommen wird. Bei diesem Besuch sind de-
ten in einem im Aufbau befindlichen demokratischen taillierte Gespräche auch zu diesem Projekt geplant.
System haben. Ist der Bundesregierung bewusst, welche
enorme Wirkung damit gerade in einem zum Schwellen-
land werdenden Land wie Ecuador verbunden ist? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Damit haben wir den zeitlichen Rahmen der Frage-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- stunde voll ausgeschöpft. Die restlichen Fragen werden
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- schriftlich beantwortet.
wicklung: Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Herr Kollege, gerade weil wir uns bewusst sind, dass
die gesamtpolitische Lage, aber auch die ökologische Aktuelle Stunde
Lage in Ecuador in einem sehr fragilen Zustand sind, ist Projekt Stuttgart 21
eine wirklich detaillierte Vorprüfung in Bezug auf dieses
Projekt zum Schutze aller notwendig. Bitte geben Sie Diese Aktuelle Stunde wurde von allen Fraktionen
uns die Zeit, diese Prüfung vorzunehmen. verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Kollege Peter Friedrich für die SPD-Fraktion das Wort.
Nun rufe ich noch die Frage 90 der Kollegin Sabine
Stüber zum gleichen Sachverhalt auf: (Beifall bei der SPD)
6742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Peter Friedrich (SPD): und den Entscheidungsspielraum der Bürgerinnen und (C)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürger Tag für Tag einschränken.
Am leichtesten wäre es jetzt, die aufgeheizte Stimmung
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
um Stuttgart 21 in den Bundestag zu übertragen. Die
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vorkommnisse der letzten Tage bieten genug Material
für wechselseitige Anschuldigungen, um eine ganze Ak- Das Versprechen, den Südflügel derzeit nicht abzurei-
tuelle Stunde zu füllen. Meine Bitte ist: Lassen wir das ßen, ist eine hohle Geste.
bleiben! Der Streit um Stuttgart 21 ist eine Herausforde-
rung für die Demokratie. Es ist unsere parlamentarische (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Verantwortung, hier und heute kein Klischee von Parla- Hohl ist er sowieso schon! Entkernt!)
ment zu liefern, sondern einen vernünftigen Umgang mit Die Einsetzung des Bundesministers a. D. Heiner
diesem komplexen Thema. Geißler als Schlichter ist ein guter Vorschlag; aber wenn
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Ministerpräsident zugleich erklärt, dass über alles
der CDU/CSU und der FDP) geredet werden darf, nur nicht über das Projekt selbst,
zeigt er, dass er den Konflikt in der Sache noch immer
Zu Beginn der Debatte möchte ich all denen, Polizis- nicht verstanden hat.
ten wie Demonstranten, die letzten Donnerstag Schaden
an Körper und Seele genommen haben, gute Besserung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
wünschen. Was ihnen widerfahren ist, bedauern wir alle DIE GRÜNEN)
zutiefst. Damit entwertet er seinen Vorschlag in dem Moment, in
Es gab Fehler auf beiden Seiten. Diese Fehler sind dem er ihn macht. Denk- und Sprechverbote sind genau
nicht rückgängig zu machen. Gerade deshalb muss die die Zutaten, die in Stuttgart zu der Situation geführt ha-
politische Verantwortung für die Vorkommnisse des letz- ben, in der wir uns heute befinden.
ten Donnerstags übernommen werden. Mit Verlaub: Ein Ein demokratischer Beschluss enthebt uns nicht der
Ministerpräsident, der, nachdem er in den letzten Wo- Möglichkeit und auch nicht der Notwendigkeit, weiter
chen selbst den Konflikt verbal massiv angeheizt hat, darüber zu diskutieren. Ich war letzten Donnerstag
jetzt bei sich selbst keinen Fehler sehen kann oder kei- nachts, als die Bäume fielen, im Schlossgarten in Stutt-
nen Fehler sehen will, scheint mir dieser Verantwortung gart. Ich kann Ihnen sagen: Trotz der emotionalen Auf-
nicht gewachsen. gewühltheit, trotz der Wut und der Betroffenheit der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Menschen kann man weiterhin mit ihnen diskutieren.
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Kein Zweifel: Stuttgart 21 hat alle formalen Bedin- (D)
(B)
GRÜNEN) gungen demokratischer Legitimation erfüllt. Aber auch
Es ist die Aufgabe der Politik – nicht der Polizei –, einen wenn alle notwendigen demokratischen Anforderungen
gesellschaftlichen Konflikt zu lösen. Deswegen bedau- erfüllt worden sind, kann man nicht darüber hinwegtäu-
ern wir außerordentlich, dass die Polizei genauso wie die schen, dass dies eben nicht ausreicht, um tatsächlich die
Demonstranten zu den Leidtragenden der Unfähigkeit Akzeptanz der Menschen für dieses Projekt zu gewinnen.
geworden sind, den Konflikt in Baden-Württemberg auf- Die stärkste Form demokratischer Legitimation, nämlich
zulösen. durch einen positiven Volksentscheid, hat Stuttgart 21
nicht. Es ist möglich, auf Landesebene nachzuholen, was
Der Satz „Es ist doch nur ein Bahnhof“ ist schon damals durch OB Schuster in Stuttgart versäumt wurde.
lange nicht mehr wahr. Stuttgart 21 ist durch das Verfah- Das wäre nötig, um Frieden in diesen Konflikt zu bringen.
ren und durch die Eskalation der letzten Woche für die
Bürger zu einem Symbol dafür geworden, wie die Re- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gierenden mit den Bürgern umgehen. Sie selbst – allen DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
voran die Bundeskanzlerin – haben es zum Symbol über DIE GRÜNEN]: Wer hat ihm das denn abver-
die Zukunftsfähigkeit des Landes, zumindest über Ihre handelt?)
Vorstellung von Zukunftsfähigkeit, erhoben. Das ist für uns Parlamentarier keine unproblemati-
Diese Überhöhung wirkt wie ein Brandbeschleuniger sche Wahrheit: Die Verfahren der parlamentarischen De-
für den Konflikt. Deswegen ist es der erste Schritt zur mokratie allein reichen nicht mehr aus, um genug Ak-
Beruhigung des Konfliktes, die Fragen in Ruhe auszu- zeptanz für solch ein Projekt zu schaffen. Deswegen
diskutieren und die Diskussion nicht weiter zu über- muss man seine Meinung in der Sache nicht ändern; aber
frachten. Schlagstöcke und Pfefferspray ersetzen keine gerade wenn man von der Sache überzeugt ist und
Argumente, genauso wenig wie Sitzblockaden und Feu- Stuttgart 21 für die bessere Alternative hält, muss man
erwerkskörper. für eine neue, eine breitere Legitimationsgrundlage strei-
ten. Das geht nur mit einer Volksabstimmung.
(Beifall bei der SPD)
Wenn Sie von der Sache so überzeugt sind, warum
Um über die sachlichen Fragen und die Fragen der haben Sie dann Angst, mit dieser Frage vor das Volk von
Legitimation diskutieren zu können, fordern wir, die Baden-Württemberg zu treten?
SPD-Bundestagsfraktion, einen Baustopp und einen Ver-
gabestopp für Stuttgart 21 bis zu einer Volksabstim- (Christian Lindner [FDP]: Weil es verfas-
mung. Man kann nicht dauernd neue Fakten schaffen sungswidrig ist!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6743
Peter Friedrich
(A) Wenn Sie – wie auch wir – Ihrer Sache sicher sind, wa- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Um (C)
rum fürchten Sie sich dann vor dem Urteil der mündigen Milliarden öffentliche Mittel geht’s!)
Bürger? Warum bauscht die Landesregierung juristische
Scheinargumente auf, anstatt das Volk selbst seinen Wil- Alles zusammen birgt eine einmalige Zukunftschance
len bestimmen zu lassen? Eine Volksabstimmung macht für die international führende Wirtschaftsregion Stuttgart
das Parlament nicht überflüssig. Sie ist auch kein An- und den Industriestandort Baden-Württemberg – ein In-
griff auf die Demokratie, im Gegenteil. frastrukturprojekt von nationaler Bedeutung.

Herr Kauder, Sie werden mir sicherlich zustimmen: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Die Schweiz ist kein Land des Rückschritts und Öster- Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
reich in keiner Weise wirtschaftsfeindlich, Nee!)

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die haben doch Zwischen dem Grundsatzbeschluss für das Projekt im
eine ganz andere Verfassung! Sie sollten mal Jahr 1995 und heute liegen 15 Jahre intensiver Diskus-
rüberfahren!) sion und Planung.

obwohl es ihnen gelingt, mit direkter Demokratie die An der Legitimation des Projekts können angesichts
Akzeptanz zu schaffen, die man braucht, um ein solches zahlreicher parlamentarischer Entscheidungen mit deut-
Projekt durchzusetzen. licher Mehrheit auf Ebene von Bund, Land, Region und
Stadt keine Zweifel bestehen;
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der LINKEN: Doch!)

Deswegen ist es der Weg der Vernunft und der Verant- Herr Kollege Friedrich hat es eben gesagt. Die Notwen-
wortung, dafür zu sorgen, dass der Frieden in die Stadt- digkeit zur Neuordnung des Bahnknotens und zur An-
gesellschaft Stuttgarts und das Land Baden-Württem- bindung des Stuttgarter Bahnhofes an das europäische
berg zurückkehrt. Deswegen fordern wir Sie auf – Herr Hochgeschwindigkeitsnetz war zudem über alle Parteien
Ramsauer, Sie können das auf den Weg bringen –: Sor- hinweg stets Konsens in diesem Hause. Noch 2005 ha-
gen Sie für einen Baustopp! Sorgen Sie für einen Verga- ben Bündnis 90/Die Grünen und SPD im Bundestag ei-
bestopp! Lassen Sie uns eine Volksabstimmung in Ba- nen Antrag gestellt, in dem Sie forderten, der Magistrale
den-Württemberg durchführen, damit die Menschen Paris–Budapest und somit der Neubaustrecke Stutt-
entscheiden können und nicht weiter über ihre Köpfe gart–Ulm höchste Priorität einzuräumen.
hinweg entschieden wird. (Beifall bei der CDU/CSU)
(B) Herzlichen Dank. (D)
Dies alles wurde nun auf dem Altar der grünen Ver-
(Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜND- hinderungsstrategie geopfert. Eine Neubaustrecke soll es
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür sind Sie in der nicht mehr geben und damit auch keine Verlagerung des
Sache? Dafür oder dagegen? – Gegenruf des Individualverkehrs auf die Schiene. Als Gegenentwurf
Abg. Peter Friedrich [SPD]: Zuhören, Herr zu Stuttgart 21 bleibt eine milliardenteure Ertüchtigung
Trittin, schadet nie!) des bestehenden Kopfbahnhofs samt marodem Gleisvor-
feld und der Bestandsstrecke nach Ulm übrig. Das soge-
nannte Alternativkonzept K 21, das Grüne und Linke
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: seit Jahren propagieren und das Tausende auf die Straße
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Stefan Kaufmann gelockt hat, existiert nur auf dem Papier. Es ist und
für die CDU/CSU-Fraktion. bleibt nichts anderes als ein Phantom.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU):
Sicherlich: Den Projektpartnern wie auch uns Befür-
Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kolle- wortern aus CDU/CSU, FDP und bis zuletzt auch SPD
gen! Liebe Stuttgarterinnen und Stuttgarter an den Bild- sind Fehler unterlaufen. Der Kardinalfehler war, nicht
schirmen! alle Bürger frühzeitig und ausreichend über die herausra-
(Heiterkeit bei der LINKEN) genden Vorteile von Stuttgart 21

Tief bestürzt habe ich die Bilder aus dem Stuttgarter (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Schlossgarten, Teil meines Wahlkreises, verfolgt, Bilder, Oh!)
die ich in dieser Form in meiner Heimatstadt noch nicht ge- für die Zukunft unseres Landes informiert und für das
sehen habe. Wie konnte es nach vielen Wochen des ganz Projekt begeistert zu haben. Somit wurde den bestens or-
überwiegend friedlichen Protestes gegen Stuttgart 21 ganisierten Projektgegnern lange Zeit und viel Raum ge-
dazu kommen? Zunächst geht es doch um nicht mehr als lassen, um die Bevölkerung mit immer neuen Meldun-
um einen Durchgangsbahnhof, eine neue Flughafenan- gen und Halbwahrheiten zu verunsichern.
bindung und eine neue Schnellbahnstrecke von Stuttgart
nach Ulm als Teil der transeuropäischen Magistrale (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Un-
Paris–Wien. wahrheiten!)
6744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Dr. Stefan Kaufmann


(A) Der Protest ist dabei längst über das Projekt hinaus zu ei- Stuttgart 21 ist ein komplexes Projekt. Deshalb müssen (C)
ner politisch instrumentalisierten Machtprobe zwischen wir die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Aber: Stutt-
„denen da unten“ und „denen da oben“ geworden gart 21 macht Sinn. Deshalb steht die Union weiterhin
geschlossen hinter dem Projekt, ohne Wenn und Aber.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und stellt damit auch die Rolle von uns Parlamentariern
als demokratisch gewählten Volksvertretern infrage. Das Welche Schritte sind nun als Nächstes notwendig?
müssen wir ernst nehmen. Wir brauchen eine Deeskalation in Wort und Tat, und
zwar auf beiden Seiten. In diesem Zusammenhang ist es
Versuchen wir vor diesem Hintergrund eine Analyse das richtige Zeichen, dass der Südflügel des Bahnhofs
der Vorkommnisse vom vergangenen Donnerstag: Nicht zunächst nicht abgerissen und im Schlossgarten kein
überraschen kann, dass die Polizei angesichts der Zahl weiterer Baum gefällt wird. Lassen Sie uns in gegensei-
der zu erwartenden Demonstranten und der Art der ange- tigem Respekt vor der Meinung des anderen und ohne
kündigten Proteste – Sitzblockaden, Baumankettungen populistisch provozierende Begleittöne zunächst eine
usw. – entsprechend vorbereitet und präsent war. Aller- neue Verständigungs- und Gesprächsebene finden. Las-
dings hat sich der Einsatz nach allem, was wir heute wis- sen Sie uns die Arbeit des von Ministerpräsident Mappus
sen, anders entwickelt als geplant. Dabei können wir die angeregten runden Tisches durch eine Art Bürgerbeirat
in der Öffentlichkeit teilweise unterstellte vorsätzlich an- begleiten. In ihm sollen Gegner und Befürworter des
geordnete Gewaltausübung definitiv ausschließen. Die Projekts aus der Bürgerschaft an der konkreten Ausge-
Polizei hat unser aller Vertrauen verdient. staltung von Stuttgart 21
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
neten der FDP) NEN]: Wir wollen doch nicht die Farbe der
Die dennoch bestehenden Zweifel, ob der Rechtsgrund- Halle bestimmen!)
satz der Verhältnismäßigkeit bei der Wahl der polizei- und insbesondere an der Planung des neu entstehenden
lichen Mittel insbesondere gegenüber Kindern und Stadtteils auf den frei werdenden Gleisflächen direkt be-
Jugendlichen im Laufe des schwierigen Einsatzes hinrei- teiligt werden. Lassen Sie uns dort, wo in zehn Jahren
chend berücksichtigt wurde, werden gegebenenfalls ge- Tausende neue Arbeitsplätze, 20 Hektar zusätzlicher Park
richtlich überprüft. An Klarheit haben auch das Land und bis zu 11 000 neue Wohnungen entstehen sollen, ein
und die Einsatzleitung der Polizei ein Interesse; denn es Stadtquartier der Zukunft planen, eine Mustersiedlung
gibt fundierte Berichte und Bilder über das Verhalten – wie schon die Weißenhofsiedlung in Stuttgart – für
von Demonstranten, die zur Eskalation beigetragen oder nachhaltiges Bauen und urbanes Wohnen. Stuttgart hat
(B) diese billigend in Kauf genommen haben. es verdient, dass wieder Vernunft, Besonnenheit und (D)
Mäßigung die Oberhand gewinnen. Das ist es nämlich,
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
was uns Schwaben schon immer auszeichnet und über
NEN]: Wo denn? Wo sind die Bilder?)
Jahrzehnte zu einem hohen Lebenswert und großer Ge-
Hinzu kommt, dass Schutzbefohlene möglicherweise be- schlossenheit in unserer Stadt beigetragen hat.
wusst großen Gefahren ausgesetzt wurden. Auch dieses Vielen Dank.
Fehlverhalten muss aufgearbeitet werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sind
die Eltern schuld, oder was?)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Jedenfalls war die Parallelität von Schülerdemonstration Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege
und polizeilich geschützter Baumfällaktion höchst un- Dr. Gregor Gysi das Wort.
glücklich. Wir sind uns einig, dass so etwas nicht noch
einmal passieren darf. (Beifall bei der LINKEN)

Zurück zum Projekt. Ich will in Erinnerung rufen, Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
was ein Projektabbruch bedeuten würde: immens hohe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Schadenersatzzahlungen und Rückabwicklungskosten, Herren! Auch in Berlin interessiert man sich für Stutt-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gart. Man interessiert sich aber vor allen Dingen für die-
Billiger als Fertigbauen ist es schon!) ses Land. Ich glaube, Sie haben überhaupt nicht begrif-
fen, dass wir es mit einem neuen Zeitgeist zu tun haben.
erneute jahre- oder gar jahrzehntelange Planungen und
Finanzierungsverhandlungen mit höchst ungewissem (Beifall bei der LINKEN)
Ausgang und neuen Betroffenheiten. Angesichts dessen Ich will Ihnen beschreiben, woran das liegt und woran
kann, Herr Kollege Friedrich, auch der von der SPD ge- man das messen kann.
forderte Volksentscheid über Stuttgart 21 mit Ausstiegs-
szenario kein probates Mittel sein; er ist im Übrigen Sie stellen sich hier hin und sagen: Alle Genehmigun-
– wie wir seit gestern aufgrund des Gutachtens von Pro- gen für Stuttgart 21 sind erteilt. Alle Verträge sind ge-
fessor Kirchhof wissen – auch verfassungswidrig. schlossen. Es lässt sich juristisch nichts mehr machen. –
Wenn man das früher unserer deutschen Bevölkerung
(Peter Friedrich [SPD]: Schmarren!) gesagt hätte, wäre sie zu Hause geblieben. Da hätte ich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6745
Dr. Gregor Gysi
(A) stundenlang zu einer Protestdemo aufrufen können; es Ich sage Ihnen noch etwas: Viele der Demonstrantinnen (C)
wären vielleicht 100 Leute gekommen. Diesmal interes- und Demonstranten haben die CDU gewählt. Sie leisten
siert die Bevölkerung nicht, was Sie sagen. Warum gerade den größten Beitrag dazu, dass sie es nie wieder
nicht? Was hat sich verändert? Weshalb werden es von tun werden.
Demo zu Demo mehr Menschen, obwohl Sie versuchen,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
das mit diesen Argumenten zu verhindern? Der Grund
Das soll doch nicht deine Sorge sein!)
ist: Der Zeitgeist hat sich verändert. Sie haben recht: Es
gibt eine neue Distanz zwischen der Regierung und den Das ist das Einzige, was ich daran begrüße.
Regierten. Das spüren alle. Das liegt mitunter auch an
(Beifall bei der LINKEN)
dieser Bundesregierung; denn Sie stimmen die gesamte
Politik in Bezug auf die Banken mit der Bankenlobby Jetzt haben wir eine neue Situation. Die Bundeskanz-
ab, lerin hat sich dieses Themas angenommen. Manchmal
ist es eben auch falsch, wenn man sich eines Themas an-
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei nimmt.
der CDU/CSU und der FDP)
(Ute Vogt [SPD]: Bei ihr immer!)
Sie stimmen die gesamte Gesundheitspolitik mit den pri-
vaten Krankenversicherungen ab, Sie stimmen die ge- Sie hat hier erklärt, die Landtagswahl sei der Volksent-
samte Energiepolitik mit der Energielobby ab. Aber scheid über Stuttgart 21 – mal abgesehen davon, dass
einen Friseurmeister, einen Hartz-IV-Empfänger oder eine Landtagswahl kein Volksentscheid ist; das möchte
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allgemein fragen ich jetzt aber gar nicht erklären.
Sie nie, welche Entscheidungen Sie in Bezug auf sie (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: In
treffen sollen. Das merken die Leute. Deswegen entsteht der Bundesrepublik wählt das Volk! Sie sind
ein neuer Zeitgeist, so etwas wie ein rebellischer Geist. noch nicht in dem Zeitalter!)
(Beifall bei der LINKEN) – Warten Sie doch einmal! – Wenn es denn ein Volksent-
scheid sein soll, dann müssen Sie ein Minimum an Logik
Das ganze Projekt ist nicht zu erklären. Eine Strecke aufbringen. Ein Volksentscheid macht doch nur Sinn,
nach Ulm kann man bauen, eine Anbindung an den wenn Sie einen sofortigen Baustopp verhängen. Dann ist
Flughafen kann man bauen. Deswegen braucht man kei- noch etwas zu entscheiden. Wenn Sie einfach weiter-
nen wahrscheinlich 10 Milliarden Euro kostenden unter- bauen und sagen, dass im März entschieden werden soll,
irdischen Bahnhof. Das ist einfach Wahnsinn, was Sie veralbern Sie das Volk. Das geht doch nicht zusammen.
vorhaben.
(B) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (D)
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Andreas ten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie
Schockenhoff [CDU/CSU]: Auch so ein müssen einmal Zeitung lesen!)
Schwachsinn!) – Ich weiß, dass ein halbes Gebäude stehen bleiben soll.
Damit komme ich zu meinem nächsten Argument. Sie Aber ein Baustopp ist ein Baustopp. Ich kann dann nicht
sagen der Hartz-IV-Empfängerin, Sie hätten kein Geld da weiterbauen und da weiterbauen und nur an diesem
mehr, es gebe nicht mehr als 5 Euro. Sie sagen ihr, dass Stück nicht mehr weiterbauen. Sie schaffen Tatsachen,
das Elterngeld gestrichen werden muss. Auf der einen und wenn Sie neue Tatsachen geschaffen haben, ist da-
Seite beschließen sie in großem Umfang Sozialkürzun- rüber nicht mehr zu entscheiden. Das merken die De-
gen, und auf der anderen Seite sagen Sie: Natürlich haben monstrantinnen und Demonstranten, und das merkt auch
wir 10 Milliarden für einen unterirdischen Bahnhof. – Das die übrige Bevölkerung.
verstehen die Leute einfach nicht mehr. Ich glaube, das (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
ist auch nachvollziehbar. NIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder
[CDU/CSU]: Wir wollen doch gar keinen
(Beifall bei der LINKEN) Volksentscheid, Herr Gysi! Regen Sie sich
Wir haben die Demonstrationen erlebt. Sie waren doch nicht so auf! – Dr. Andreas Schockenhoff
friedlich. Es gab ein gutes Einvernehmen zwischen den [CDU/CSU]: Wir leben in einem Verfassungs-
Demonstrantinnen und Demonstranten und der Polizei; staat! – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/
aber plötzlich kommt diese völlig unverhältnismäßige CSU]: Der Mann weiß gar nicht, wovon er re-
Gewaltanwendung durch die Polizei. Ich sage Ihnen: det!)
Dafür gibt es politisch Verantwortliche. Wenn Sie nicht Deshalb sage ich Ihnen: Sie gefährden damit die Demo-
dafür sorgen, dass da aufgeräumt wird und die Verant- kratie. Heiner Geißler als Vermittler einzusetzen – der ist
wortlichen dafür verantwortlich gemacht werden, dann in Ordnung –, ist keine schlechte Idee, aber nicht, wenn
zerstören Sie das Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung, Sie weiterbauen. Er kann doch nur vermitteln, wenn Sie
und zwar nicht nur in Stuttgart. einen Baustopp einlegen. Nur dann kann vermittelt wer-
den und eine gemeinsame Lösung gefunden werden.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der LINKEN, dem BÜNDNIS 90/
ten der SPD) DIE GRÜNEN und der SPD)
6746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi


(A) Ich glaube, Sie haben eines nicht gemerkt: Die Bevöl- den können? Glauben Sie, dass das den Rechtsstaat (C)
kerung wird täglich unzufriedener. Ich sage gar nicht, stärkt? Ich nicht.
dass sie dadurch so wird, wie ich sie mir vorstelle, oder
so, wie Sie sie sich vorstellen. Nein, es ist viel schlim- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
mer. Es könnten unbeherrschbare Prozesse in Erschei- Der Gedanke zum Zeitgeist, den der geschätzte Kol-
nung treten. lege Gysi hier vorgetragen hat, ist gar nicht so falsch. Es
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: ist aber nicht Zeitgeist, dass die Menschen zu einem be-
Die wünschen Sie sich doch herbei!) stimmten Zeitpunkt ihre Meinung kundtun wollen. Zeit-
geist ist vielmehr, dass bewusst, in diesem Fall insbeson-
– Meinen Sie? dere von der politischen Linken und den Grünen,
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: versucht wird, mit falschen Gutachten
Ja!) (Lachen bei der LINKEN und dem
– Sie haben keine Ahnung von mir. Sie quatschen nur BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
dummes Zeug, wenn ich Ihnen das einmal ganz deutlich und völlig aus der Luft gegriffenen Vorwürfen, durch
sagen darf. eine Diskreditierung des Planfeststellungsverfahrens
(Beifall bei der LINKEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Es geht um etwas ganz anderes. Ich sage Ihnen: Die NEN]: Das ist ja noch gar nicht fertig! Was
Zeit ist reif; wir müssen etwas ändern. Es geht nicht soll ich da diskreditieren?)
mehr an, dass Sie sich einmal, bei der Bundestagswahl,
und dadurch, dass Risiken aufgezeigt werden, die es gar
wählen lassen und die Bevölkerung dann vier Jahre lang
nicht gibt, die Menschen zu verunsichern und einen
nicht befragen. Die Zeit ist reif für Volksentscheide. Ge-
Konflikt herbeizureden.
ben Sie sich einen Ruck. Wir brauchen eine attraktivere
Demokratie. Genau dafür streiten wir. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- NEN]: Unglaublich! – Dr. Dagmar Enkelmann
ten der SPD) [DIE LINKE]: Der Konflikt ist längst da!)
Das ist auch nicht verantwortungsbewusst.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens sind
Nächster Redner ist der Kollege Patrick Döring für
(B) die FDP-Fraktion. 60 Alternativen geprüft worden. (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der CDU/CSU) NEN]: Aber nicht der Kopfbahnhof!)
Im baden-württembergischen Landtag ist 150 Mal, im
Patrick Döring (FDP): Rat der Stadt Stuttgart über 200 Mal seit Mitte der 90er-
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Jahre über diese Maßnahme strittig diskutiert worden.
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir brau-
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Und
chen eine lebhafte und intensive Auseinandersetzung mit
öffentlich!)
der betroffenen Bevölkerung und den betroffenen Kom-
munen über das Projekt, und zwar auch in diesem Haus. Es gibt kaum ein Infrastrukturprojekt, das in den dafür
Ja, man kann sich auch Volksentscheide zu Infrastruktur- zuständigen Gremien und weit darüber hinaus größere
projekten vorstellen, aber nicht, wenn die Planfeststel- Beachtung gefunden hat. Das gehört zur politischen Ver-
lungsverfahren abgeschlossen sind. antwortung. Ich sage, weil die Opposition von heute ir-
gendwann einmal die Regierung von morgen sein wird:
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sind sie ja nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Der Grundsatzbeschluss wird vorher gefällt. Das ist die und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Reihenfolge, in der man das machen kann. LINKEN)

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es gehört auch zur politischen Führung, geschätzte Kol-
leginnen und Kollegen, dass man die rechtstaatlichen
Geschätzter Kollege Friedrich, Sie haben recht: Es Prozesse verteidigt und nicht verballhornt.
geht um mehr als nur um einen Bahnhof. Nur, glaubt ir-
gendjemand in diesem Hause ernsthaft, dass Planfest- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
stellungsverfahren überhaupt noch in Gang gesetzt Immer wieder – wir werden das im Laufe der Debatte
würden, wenn die Ergebnisse der Verfahren – es gab noch hören – wird der Eindruck vermittelt, dieses Pro-
Tausende von Bürgereinwendungen, die ordentlich be- jekt sei eine gigantomanische Kopfgeburt früherer Bahn-
handelt wurden, und mehrere Verwaltungs- und Ober- chefs oder früherer Bundesverkehrsminister.
verwaltungsgerichtsurteile in dieser Sache – am Ende
durch einen von welcher politischen Richtung auch im- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
mer initiierten Volksentscheid vom Tisch gewischt wer- NEN]: So ist es!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6747
Patrick Döring
(A) Zur Erinnerung: Der Finanzierungsvertrag trägt die Un- das irgendwann einmal stattfindet und schon deshalb le- (C)
terschrift von Wolfgang Tiefensee, nicht die von Peter gitim ist, weil vor 15 Jahren eine Mehrheitsentscheidung
Ramsauer. dazu stattgefunden hat.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Patrick Döring [FDP]: Letztes Jahr!)
Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir
Demokratie findet in diesem Land 365 Tage im Jahr
waren dem SPD-Kollegen damals dankbar!)
statt. Jeden Tag darf man in diesem Land eine Meinung
Das Gegenteil ist der Fall: Die sogenannten Alternati- haben.
ven, die sogenannte oberirdische Strecke K 21 mit Erhalt
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
des Kopfbahnhofes ist schon 2006 vom Oberverwal-
bei der SPD und der LINKEN – Thomas
tungsgericht als nicht planfeststellungsfähig eingestuft
Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Jeden Tag
worden. Deshalb hat man das nicht weiter verfolgt. Auch
eine andere!)
daran muss man sich erinnern dürfen. Man sollte nicht
den Eindruck erwecken, dass könne man von heute auf Wenn die Menschen in Stuttgart, in ganz Baden-
morgen umsetzen. Württemberg von ihrer Meinung und von ihrem gesun-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) den Menschenverstand öffentlich Gebrauch machen,
dann sagen Sie, CDUler und FDPler, das seien alles Be-
Das Verhältnis zur direkten Demokratie ist bei eini- rufsdemonstranten,
gen Kolleginnen und Kollegen ohnehin ambivalent. Der
geschätzte Kollege Özdemir (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das
hat niemand behauptet!)
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das
ist der, der so gerne fliegt! Der Heli-Cem!) das seien Aufgehetzte, das seien Zukunftsverweigerer
und das sei Wahlkampf. Ich sage an dieser Stelle: Demo-
hat nach dem Volksentscheid der Bürgerinnen und Bür- kratie heißt auch, ein wenig Respekt vorm Souverän und
ger in Hamburg zur Schulreform schwer beklagt, dass seiner Meinung zu haben.
das Ergebnis so war, wie es war. In einem Zeitungsarti-
kel beklagt er, es sei bedauerlich, dass immer die Fal- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
schen zur Abstimmung bei einem Volksentscheid gehen. bei der SPD und der LINKEN – Thomas
Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Haben Sie
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) doch auch nicht, Frau Künast!)
Ja, so kann man das sehen. Man kann auch lieber einen Wenn die Geschäftsgrundlage einer Entscheidung, die
Hubschrauber nehmen, der nur 8 Minuten in die Innen- man vielleicht einmal legal getroffen hat, abhanden (D)
(B)
stadt braucht, statt eine S-Bahn-Strecke zu bauen, auf kommt, dann kann es passieren, dass diese Entscheidung
der man ebenfalls nur 8 Minuten brauchen würde. nicht mehr legitim ist. Wenn die Kosten nach oben ge-
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: hen, wenn man im Haushalt gar keine Möglichkeiten
Hört! Hört!) mehr hat, zum Beispiel Bildung zu finanzieren, und je-
den Cent dreimal umdrehen muss, dann gehört es zur
Das kann man machen, wenn man so durch die Welt ge- Demokratie, einmal innezuhalten und sich zu fragen, ob
hen will. diese einmal getroffene Entscheidung haushalterisch,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – verkehrspolitisch und städtebaulich im Jahr 2010 und
Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der den folgenden Jahren überhaupt zu verantworten ist. Das
fliegende Bahnfahrer Özdemir!) ist Demokratie, und darum geht es bei Stuttgart 21.

Wir haben eine Verantwortung dafür, dass wir Infra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
strukturprojekte, politische Projekte mit dem Regelwerk, und bei der LINKEN)
das wir haben und kennen, erklären und transportieren. Haben Sie Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern!
Wir haben als Politik – das erwarte ich auch von der Op- Nehmen Sie die Bürgerinnen und Bürger ernst! Sie kön-
position – die Verantwortung der politischen Führung. nen nicht beklagen, dass die Leute nicht wählen gehen,
Man darf diese Instrumente, nur weil einem etwas nicht und fordern: „Engagiert euch doch politisch, habt doch
passt, nicht verballhornen und diskreditieren. eine Meinung!“ – um sich danach zu wundern, dass die
Vielen Dank. Leute Sie ernst nehmen –, gleichzeitig aber auch sagen:
Macht das nur alle vier bis fünf Jahre! Das geht nicht. In
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) meinem Grundgesetz steht: Erstens. Alle Staatsgewalt
geht vom Volke aus. Zweitens. Das Volk übt diese
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen aus.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Nächster Punkt. Im Grundrechtekatalog des Grundge-
die Kollegin Renate Künast. setzes stehen die Meinungsfreiheit und die Versamm-
lungsfreiheit. Wenn in diesem Land gewünscht ist, dass
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sich die Bürger äußern, dann muss man auch respektvoll
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber zur Kenntnis nehmen, dass Zehntausende, teilweise so-
Herr Döring, über Demokratie haben Sie so Ihre Vorstel- gar 50 000 Menschen in Stuttgart auf dem Schlossplatz
lung, wir haben eine andere. Demokratie ist nicht etwas, stehen und sagen: Wir wollen, dass diese Entscheidung
6748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Renate Künast
(A) überdacht wird. – Dann sind das Parlament, die Landes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
regierung und die Bundesregierung gefordert, dem re- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
spektvoll zu begegnen und darüber nachzudenken. LINKEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ich fordere nicht nur von Herrn Ramsauer, sondern
bei der SPD und der LINKEN) auch von der Bundeskanzlerin: Sagen Sie Ja zu einem
solchen Gesprächsprozess, der wirklich offen ist! Frau
Sie sagen an dieser Stelle, das alles sei ganz neu. Bundeskanzlerin, sagen Sie als Chefin einer Regierung,
Nein. Ich weiß zum Beispiel, dass die Grünen in Baden- die sozusagen Anteilseignerin, Eigentümerin der Deut-
Württemberg 1995 ein Konzept mit Alternativen zur schen Bahn AG ist, ganz klar: Die Deutsche Bahn AG
S-21-Planung vorgelegt haben. Wir haben immer ge- wird dieses Projekt nicht auf Teufel komm raus durch-
fragt: Ist das finanziell, verkehrspolitisch und städtebau- drücken. Sagen Sie klar: Der Satz von Herrn Grube, dass
lich zu verantworten? Wir haben immer gefordert: Legt niemand sonst entscheidet, wird zurückgezogen. Sagen
die Konzepte komplett offen! Die Bürger wollen darüber Sie: Auch die Deutsche Bahn AG wird unter dem Dach
diskutieren. Als Allererstes geht es um die Fragen: Ist es des Grundgesetzes mit den Bürgern reden.
richtig? Ist es plausibel?
Sie haben die Chance, die Bürger ernst zu nehmen
Diskussion und Dialog sind keine Einbahnstraße, wo und ihnen den Inhalt des Projektes zu erläutern. Dazu
der Bund und Herr Mappus sagen: Wir können zwar mit- gehört aber, dass Sie nicht nur sagen, der 27. März
einander reden; aber im Wesentlichen wird alles so blei- nächsten Jahres ist ein Volksentscheid, sondern dass Sie
ben, wie es ist. – Meine Damen und Herren, hier im auch wirklich mit dem Volk ins Gespräch kommen. Des-
Bundestag, an diesem Rednerpult, hat Angela Merkel halb fordern wir: Vergabestopp, Gutachten, Gespräche;
angekündigt, man wird die Wahl in Baden-Württemberg nicht mehr, aber auch nicht weniger.
zur Volksabstimmung machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ja!
Und?)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das können Sie haben, das wird so sein. Anders als Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Maag für die
Gregor Gysi mache ich mir keine Sorgen darüber, wie CDU/CSU-Fraktion.
viele Stimmen Sie bekommen; ich mache mir Sorgen um
die gesamte Demokratie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

(B) (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] (D)


Karin Maag (CDU/CSU):
[CDU/CSU]: Ja, ja! Das ist aber ein seltsames
Demokratieverständnis, das Sie haben!) Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Künast, ich will die Diskussion jetzt gern etwas
Denn wenn Sie glauben, es geht an dieser Stelle um versachlichen; Sie waren ja gerade sehr laut.
Macht und Gesichtswahrung, und deshalb Großprojekte
auf Teufel komm raus durchdrücken, dann tun Sie der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Demokratie in Deutschland keinen Gefallen. der FDP – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Heimatstadt Stuttgart macht Schlagzeilen, die
Es ist gut, dass Herr Mappus nun Heiner Geißler als sich keiner wünscht. Es gab in Stuttgart Szenen, die sich
Moderator vorgeschlagen hat; wir halten eine ganze nicht wiederholen dürfen.
Menge von ihm. Aber es muss auch etwas zu moderieren Unsere Polizei leistet gute und wichtige Arbeit.
geben.
(Zuruf von der LINKEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber Bilder können auch machtvoll sein und vor allen
Eines ist ganz klar: Die Bürgerinnen und Bürger werden Dingen auch eine manipulierende Wirkung entfalten.
sich nicht damit abfinden, wenn man ihnen die Frage Wer das Bild dieses älteren Mannes gesehen hat, der mit
stellt, welche Farbe in Zukunft die Wände im S-21- blutenden Augen weggeführt wurde, anschließend den-
Hauptbahnhof haben sollen. Nein, meine Damen und selben Mann sieht, wie er sich offenbar absichtlich mit
Herren, jetzt muss ein wirklicher Gesprächsprozess statt- nackter Brust und ausgebreiteten Armen vor den Was-
finden. Heiner Geißler muss als Vermittler tätig werden, serwerfer stellt, und nun liest, er habe andere schützen
und es muss eine Öffnung vorgenommen werden. Wir wollen, lernt eines: auf eine saubere Aufarbeitung der
brauchen einen gutachterlichen Prozess. Darüber, wer Ereignisse zu warten. Ärger, Wut und vor allem Hass
das macht, können sich Gegner und Befürworter einigen. machen blind und sind schlechte Ratgeber.
Alle Zahlen, alle Fakten, alle verkehrspolitischen und
städtebaulichen Fragen müssen auf den Tisch. Damit es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
auch etwas zu moderieren gibt, fordern wir einen Ver- Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
gabe- und Baustopp; denn nur dann macht dieses Ge- Mit „blind“ sollte man jetzt nicht argumentie-
spräch Sinn. ren!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6749
Karin Maag
(A) Ich habe Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Der Polizei- sich unter anderem die Bürger im Park. Das habe ich (C)
einsatz muss und wird zügig aufgeklärt werden. Auch mittlerweile gelernt. Ich habe im August mit den de-
mir ist jeder Verletzte einer zu viel. monstrierenden Menschen vor dem Hauptbahnhof ge-
sprochen. Ich habe ihnen zugehört. Ich weiß nicht, wie
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
viele von Ihnen nicht zum Demonstrieren, sondern zum
NEN]: Das Wort „blind“ sollten Sie jetzt nicht
Hören dort waren.
verwenden!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
– Frau Künast, Sie haben gerade geredet, jetzt bin ich
dran. Ich erkenne an, dass die überwiegende Mehrheit der De-
monstranten ihrem Anliegen friedlich Ausdruck verlei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
hen möchte.
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sie durften doch Zwischenrufe machen!) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, richtig ist aber
auch eines: Wir sind an einem Punkt, an dem sich Ableh-
Stuttgart 21 bedeutet die Anbindung meiner Stadt
nung und Zustimmung nicht mehr nur auf das Projekt
– ich komme aus Stuttgart – und meines Landes an eine
beziehen, sondern verselbstständigt haben. Einigen Men-
europäische Schnellbahntrasse und zusätzlich die Er-
schen an der Spitze der Bewegung geht es um einen an-
tüchtigung des Hauptbahnhofs.
deren Staat.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wie
Frau Künast, liebe Grüne, ich wende mich jetzt aus-
kann man nur so kalt sein!)
drücklich an Sie. Ich bin ziemlich enttäuscht von der
Ich will den Stuttgartern einige ihrer Ängste nehmen. Spitze der Grünen im Bund; zum Land sage ich jetzt
Stuttgart bleibt weiterhin eine grüne Stadt mit hoher Le- nichts.
bensqualität. Bisher stehen 35 Prozent der Gemarkung
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
unter Natur- und Landschaftsschutz. Nach der Realisie-
NEN]: Wir wollten Sie auch nicht glücklich
rung gibt es circa 20 Hektar mehr grünen Park mitten in
machen! Das war nicht unser Ziel! – Renate
Stuttgart.
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Partei hat Fackelzüge gegen mich veranstal-
tet!)
Ich habe das Projekt seit 1995 persönlich begleitet.
Ich habe damals wie heute Stuttgart 21 und die Neubau- Es wäre aber schön, wenn Sie sich mit uns in einem nor-
strecke als Glücksgriff für das Land und für die Stadt malen Stil auseinandersetzen würden. Sie sind gegen
empfunden. Europa, der Bund und das Land investieren Stuttgart 21. Das ist eine politische Entscheidung, die
(B) (D)
bei uns die Milliarden. Kurz gesagt: Stuttgart und Ba- ich respektiere. Ich kann sie nicht nachvollziehen, aber
den-Württemberg erwecken Vertrauen und haben des- Respekt ist vorhanden.
halb Zukunft. Stuttgart 21 geht nicht – das ist immer ein
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Vorwurf – auf Kosten anderer Projekte in Baden-
NEN]: Ihre Partei hat zusammen mit dem Bau-
Württemberg oder in Deutschland.
ernverband Fackelzüge gegen mich veranstal-
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE tet!)
GRÜNEN]: Rechnen Sie mal!)
– Jetzt sehen Sie, wie wichtig Sie uns sind, Frau Künast.
Weil das so ist, stehen auch die Kollegen im Land und Frau Künast, Sie tragen die parlamentarische Aus-
beim Bund hinter diesem Projekt und hinter uns. einandersetzung jetzt, nach zehn Jahren, auf die Straße.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Die Gründe derjenigen, die auf die Straße gehen, sind NEN]: Die war schon immer da!)
unterschiedlich. Um den Hauptvorwurf vorwegzuneh- Das ist schwierig, wenn nicht gar unverantwortlich.
men: Selbstverständlich wurden die Bürgerinnen und
Bürger – Herr Döring hat es vorhin angesprochen – be- Selbstverständlich ist es das Recht jedes Einzelnen,
teiligt. 200-mal war das Projekt im Gemeinderat. zu demonstrieren. Versammlungs- und Meinungsfrei-
10 000 Bürger haben sich schriftlich im Planfeststellungs- heit sind Grundrechte und Teil unseres Rechtsstaats. In
verfahren beteiligt. 60 Alternativen wurden geprüft. Der Ihrem Aktionsbündnis haben Sie sich aber auch mit
Bürgerentscheid – auch das ist Wahrheit in einem Rechts- Menschen gemein gemacht, deren Ziel nicht die ernst-
staat – war aus Rechtsgründen nicht möglich. hafte Auseinandersetzung ist. „Lügenpack“ und „Mör-
der“ als Ausdrucksweisen gehören nicht zu meinem Ver-
Jetzt kommt das dicke Aber für uns: In der Folgezeit
ständnis von Rechtsstaat.
haben wir, der Projektträger Bahn, Stadt und Land es
versäumt, sich mit denjenigen auseinanderzusetzen, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
nicht von Anfang an dabei waren. Für viele war das Pro-
Ich erwarte, dass Sie sich distanzieren, und ich erwarte,
jekt groß und vielleicht auch übermächtig. Es gibt Men-
dass Sie konkret informieren.
schen, denen sich die Sinnhaftigkeit des Projekts nicht
automatisch erschließt. Derjenige aber, der nicht gehört Frau Künast, zu Ihrem Thema Baustopp und zu Mora-
wird, wird wütend. Derjenige, der das Gespräch sucht torien bzw. zu der Entscheidung, die Bautätigkeit zu ver-
und nicht findet, wird laut. Genau deshalb versammeln schieben: Es gehört zur Verantwortung eines Parlaments
6750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Karin Maag
(A) und der Parlamentarier, einmal getroffene Entscheidun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
gen auch in Vollzug zu setzen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wenn die Argumente so gut sind, dann kann man damit
Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch überzeugen.
NEN]: Atomkonsens!)
Ich sehe in einem Volksentscheid die einzige Mög-
Der Ministerpräsident dieses Landes hat Ihnen heute lichkeit, dass es dort wieder ein Zusammenkommen gibt,
die Hand gereicht. Uns ist der Dialog wichtig. weil der Volksentscheid die Voraussetzung dafür ist, dass
man tatsächlich wieder über die Sache redet, dass Argu-
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE mente ausgetauscht werden und dass zwei Seiten be-
GRÜNEN]: Immer so, wie Sie es wollen! Mal leuchtet werden.
hü, mal hott!)
Die eine Seite ist die Kostenentwicklung des aktuel-
Ich setze auf uns, und ich setze auch auf Sie als gute De- len Projektes. Davor darf man sich nicht drücken, und
mokraten. Ich werde mich gerne einbringen, und ich für die haben auch wir als Bundestag – zumindest für die
wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dasselbe auch tun Strecke Ulm–Wendlingen – die Verantwortung. Dort
würden. müssen wir hinschauen. Es gibt hier eine ganze Menge
Vielen Dank. Fragezeichen, die in der letzten Sitzung des Verkehrs-
ausschusses nicht beantwortet worden sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Auf der anderen Seite stellen sich aber auch die Fra-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gen, was ein Ausstieg kostet, was Alternativszenarien
sind und was sie bedeuten. Darüber wird doch viel zu
Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold für
wenig geredet.
die SPD-Fraktion.
Beide Dinge müssen in einem Volksentscheid tatsäch-
(Beifall bei der SPD)
lich behandelt werden.

Florian Pronold (SPD): (Volker Kauder [CDU/CSU]: In welchem


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Volksentscheid?)
Kollegen! Wenn man der Debatte hier aufmerksam folgt – Ich sage gleich etwas zum Volksentscheid, den die
und versucht, zuzuhören, dann, glaube ich, wird deut- Frau Bundeskanzlerin an diesem Platz hier auch ange-
lich, wo der Kern des Problems liegt. Die ganze Debatte sprochen hat.
(B) hat sich nämlich von der eigentlichen Sachfrage entfernt. (D)
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat sie ein
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) bisschen anders gesagt!)
Es ist in Stuttgart und darüber hinaus eine Situation – Ja, ich weiß das; ich gehe gleich darauf ein.
entstanden, durch die das Zuhören, das gegenseitige Ver-
ständnis und der verantwortungsvolle Umgang miteinan- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jede Wahl ist ein
der sehr schwierig gemacht werden. Volksentscheid!)

Die entscheidende Frage ist jetzt nicht – das bestreite Wenn man will, dass es dort wieder zu einer Verstän-
ich auch überhaupt nicht –, ob Stuttgart 21 legitim ist. digung kommt, dann muss man auch eine echte Ent-
Niemand bestreitet, dass alle Beschlüsse zu Stuttgart 21 scheidung in der Sache zulassen.
bisher legitim gefasst worden sind. Das alles ist rechts- Der Herr Ministerpräsident Mappus
staatlich sauber und einwandfrei gelaufen.
(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]:
(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist schon So ist es anständig!)
einmal eine gute Erkenntnis!)
– gell? –
Das ist so. Trotzdem haben wir in Stuttgart und darüber
hinaus eine Situation, die einen schweren Schaden für (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Der
die Demokratie bedeutet; denn man sagt einfach: Wir Mann ist lernfähig! Er lernt hier noch Beneh-
haben recht, mir san mir, und es bleibt so. – Das kenne men!)
ich aus 1986: Wackersdorf. – Das ist genau dieselbe Hal- hat Law and Order bei den Demonstrationen mit Rambo-
tung, die es auch dort gab. Mentalität durchgesetzt und ist politisch verantwortlich
Wenn man keinen Schaden für die Demokratie her- für den Einsatz. Wenn er jetzt auf Sozialpädagoge macht
vorrufen will, dann sollte man nicht, wie der Mappus das und sagt: „Wir reden mal miteinander. Es ist aber
gemacht hat, wurscht, was wir da besprechen. Wir bleiben dabei,
Stuttgart 21 wird so und so gebaut“, dann ist das doch
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: „Ministerpräsi- kein echter Entscheid. Dann fühlen sich doch alle ver-
dent Mappus“! So viel Zeit muss sein!) hohnepiepelt, um keinen härteren Ausdruck dafür zu
verwenden.
den strammen Max markieren, sondern dann sollte man
vor allem kein Angsthase sein, wenn es darum geht, ei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
nen echten Volksentscheid zuzulassen. DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6751
Florian Pronold
(A) Der Kollege Peter Friedrich hat einen schweren Fehler klären, die Schuld abzuwälzen und sie anderen in die (C)
begangen: Er hat die Bundeskanzlerin ernst genommen, Schuhe schieben zu wollen. Aber es muss klar sein: Es
als sie hier davon gesprochen hat, dass die Landtagswah- ist Aufgabe der Behörden und der Veranstalter einer sol-
len zum Volksentscheid über Stuttgart 21 werden. chen Demonstration, schon bei der Veranstaltungspla-
nung darauf zu achten, dass Eskalation vermieden wird.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Eine gute Idee!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Gilt das auch für den Innenminister,
Dann hat er die Bundesregierung gefragt – die schriftli-
Herr Kollege?)
che Antwort ist heute gekommen –, was denn passiert,
wenn der Volksentscheid, sprich: die Wahl, so aussieht, Auch der Veranstalter ist dafür verantwortlich, dass er
dass Schwarz-Gelb dort abgewählt wird. Die Antwort seine Verbündeten sorgfältig auswählt, und er muss im-
der Bundesregierung lautet: Die Projektbeteiligten stre- mer die Kontrolle behalten, mit wem er sich verbündet.
ben nach wie vor an, die beiden Vorhaben 2019 in Be- Es ist auch unser berechtigtes Interesse, zu wissen, wer
trieb gehen zu lassen. – Das ist doch kein echter Volks- alles am Donnerstag auf der Straße gewesen ist.
entscheid. Also, nicht einmal die Wahlen ändern etwas
daran. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie den Verfas-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sungsschutz fragen! Weiß er das nicht?)
Ich kann nur an Sie appellieren: Machen Sie einen Nun ist es so, dass in Stuttgart die Dinge aus dem Ru-
Bau- und Vergabestopp! Lassen Sie echte Demokratie der zu laufen drohen. Deswegen ist der Vorschlag unse-
zu! rer Fraktionsvorsitzenden Birgit Homburger, der auch
(Patrick Döring [FDP]: Sie definieren nicht, schon von vielen anderen übernommen worden ist, völ-
was echte Demokratie ist!) lig richtig, an ein Mediationsverfahren zu denken, wie es
auch in Frankfurt erfolgreich angewandt worden ist.
Herr Mappus hat davon gesprochen, dass Ruhe und Ver-
nunft jetzt das Gebot der Stunde sind. Ruhe heißt: Bau- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
und Vergabestopp. Vernunft heißt: echte Volksabstim- NEN]: An das Ergebnis in Frankfurt haben Sie
mung. sich auch nicht gehalten! Wollen Sie das auch
so machen, oder was?)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] Deswegen ist es jetzt völlig in Ordnung und geht auch
(B) [CDU/CSU]: Dafür und dagegen, und dann ein weit genug, eine Einstellung der Abrissarbeiten am (D)
Volksentscheid, den die Verfassung nicht vor- Bahnhofsgebäude und der Baumfällarbeiten anzubieten.
sieht! Eine tolle SPD!) Denn wenn nach 15 Jahren Planfeststellungsverfahren,
Gerichtsverfahren und Anhörung von Bürgereinwendun-
gen jetzt endlich einmal mit dem Bauvorhaben begonnen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: werden kann, dann muss es doch jedem Menschen ein-
Das Wort hat nun der Kollege Stephan Thomae für leuchten, dass man dann nicht erwarten kann, dass es
die FDP-Fraktion. gleich wieder von heute auf morgen ganz und gar auf un-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bestimmte Zeit unterbrochen wird.
der CDU/CSU) Es war wirklich jede Menge Zeit, Einwendungen vor-
zubringen, und sie sind auch vorgebracht worden. Über
Stephan Thomae (FDP): 10 000 Einwendungen wurden diskutiert und abgehan-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- delt. Es ist bis zum Bundesverwaltungsgericht geklagt
gen! Es ist niemandem egal, es lässt niemanden kalt, nie- worden. Auch danach ist es natürlich das gute Recht ei-
mand pfeift darauf, wenn Menschen zu Schaden kom- nes jeden Menschen, auf der Straße für seine Meinung
men. Deswegen möchte ich an dieser Stelle zunächst zu demonstrieren, aber man muss dabei eben auch Rück-
einmal denen, die am Donnerstag verletzt worden sind, sicht auf die Rechte anderer nehmen, zum Beispiel auch
mein Bedauern ausdrücken. auf das Baurecht eines Bauherrn wie hier der Deutschen
Bahn.
Verhältnismäßigkeit muss immer das oberste Gebot
allen Handelns des Staates sein. Aber wir vertrauen sehr (Zuruf von der LINKEN: Herunter-
darauf, dass unsere Kollegen im Landtag von Baden- geknüppelt!)
Württemberg in der Lage sind, die Verhältnismäßigkeit,
Wenn nun Morddrohungen gegen den Bahnchef und
die dort angewandt worden ist, zu prüfen. Das muss
seine Familie vorgebracht werden und deswegen die Fa-
nicht unsere Aufgabe sein.
milie an einen geheimen Ort verbracht werden muss,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wenn der Eindruck entsteht, dass hier Kinder und Ju-
der CDU/CSU) gendliche instrumentalisiert werden,
Es sind noch viele Fragen offen, wie es zu den Ereig- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nissen am letzten Donnerstag in Stuttgart gekommen ist. NEN]: Verhauen werden sie, nicht instrumen-
Deswegen ist es vorschnell, schon jetzt Schuldfragen zu talisiert!)
6752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Stephan Thomae
(A) dann muss sich auch der Veranstalter fragen lassen, ob Heike Hänsel (DIE LINKE): (C)
ihm nicht die Kontrolle über seine Veranstaltung entglei- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
tet. Wir dürfen fragen, ob sich der Protest gegen ein Bau- Stuttgart ist seit letztem Donnerstag nicht mehr dieselbe
vorhaben richtet oder gegen unseren demokratischen Stadt. Wir haben einen der brutalsten Polizeieinsätze, die
Rechtsstaat. Stuttgart jemals gesehen hat, erlebt. Viele Menschen
sind schlichtweg traumatisiert. Dass gerade die Bürger-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – rechtspartei FDP dazu gar nichts sagt, ist wirklich ein
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal.
Was ist eigentlich aus der Bürgerrechtspartei
FDP geworden?) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
Wir fragen uns allerdings selbstkritisch – das machen ten der SPD)
wir als FDP ständig –, ob die Hürden für die Beteili- Es gibt laut Demo-Sanitäterdienst mehr als 400 Ver-
gungsrechte der Bürger gesenkt werden müssen, ob wir letzte. Ich selbst zum Beispiel wurde beim Vermitteln
sowohl parlamentarische Verfahrensweisen als auch di- mit Wasserwerfern angegriffen. Ein linker Stadtrat
rektdemokratische Instrumente weiterentwickeln müs- wurde mit Pfefferspray attackiert. Die Tochter meines
sen. Ein Volksentscheid lässt immer nur Spielraum zwi- Kollegen Michael Schlecht wurde ebenfalls mit Pfeffer-
schen Ja und Nein. Er enthält wenig Spielraum für spray attackiert.
deliberative Elemente. Im parlamentarischen Verfahren
haben wir den Vorteil, die Kunst der Kompromissfin- (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die
dung anwenden zu können. Die Vorteile beider Verfah- Polizisten wurden auch mit Pfefferspray atta-
ren stärker zu verbinden, sollte unser Anliegen sein. ckiert!)
Dazu können wir die jetzigen Ereignisse zum Anlass Viele wurden verletzt. Einer meiner Freunde liegt mit ei-
nehmen. nem Netzhautriss im Krankenhaus und musste operiert
werden. Trotzdem spricht Innenminister Rech noch im-
Im konkreten Fall, bei Stuttgart 21, ist es allerdings mer von einem verhältnismäßigen, angemessenen Poli-
meines Erachtens für eine Volksabstimmung über die zeieinsatz. Das ist schlichtweg zynisch.
Grundsatzfrage, ob überhaupt gebaut werden soll, zu
spät. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten der SPD)
Das ist ein Mediationsverfahren! Das Ergebnis
Herr Mappus spricht nun von Dialog. Ich muss sagen:
(B) steht schon fest! Das ist ein Witz!) (D)
Als seine schlagkräftigsten Argumente habe ich bislang
Aus dem Gutachten von Professor Kirchhof geht hervor, nur Wasserwerfer und Pfefferspray erlebt, nichts ande-
dass es verfassungsrechtlich unklar ist, ob in einem Lan- res.
desvolksentscheid über ein Bauvorhaben des Bundes (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So
überhaupt befunden werden kann; denn Bahnstrecken ein Quatsch!)
baut der Bund und nicht das Land. Des Weiteren ist zu
beachten, dass ein Baustopp oder eine Rücknahme von Wenn er sich als Ministerpräsident an dem Tag, an dem
Baugenehmigungen Schadensersatzansprüche gegen die er weiß, dass ein solcher Einsatz läuft und dass dabei
Leute zusammengeknüppelt werden, in ein Bierzelt auf
öffentliche Hand auslösen kann und damit unmittelbar
dem Cannstatter Volksfest setzt, dann hat er sich als Mi-
haushaltsrelevant werden kann. In einem solchen Fall
nisterpräsident völlig diskreditiert.
kann eine solche Frage nicht Gegenstand einer Volksab-
stimmung sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN)
Alle Beteiligten sollten – ich knüpfe an das an, was
Herr Kollege Friedrich eingangs sagte – zur Besonnen- Die Demonstranten im Nachhinein in die Gewaltecke zu
heit zurückkehren. Wenn es um berechtigte Interessen stellen, wie es in den letzten Tagen und auch heute pas-
und sachliche Argumente der Bürger geht, sind wir im- siert ist, ist unglaublich. Das müssen wir zurückweisen.
mer gesprächsbereit. Aber Verächter des Rechtsstaats Wenn sich die Union gegen eine „richtige“ Diskussion
und Verächter mehrheitsdemokratischer Verfahren müs- im Innenausschuss sperrt, dann brauchen wir eben einen
sen mit unserem Widerstand rechnen. Untersuchungsausschuss dafür; dann wird das geklärt.
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei
Vielen Dank. der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich zitiere den Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes,
der in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung gesagt
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: hat:
Die Kollegin Heike Hänsel ist nun die nächste Redne- Dass die Polizei gleich mit Wasserwerfern ange-
rin für die Fraktion Die Linke. rückt ist, war darauf angelegt, Stärke zu zeigen. …
Man hat das Gefühl, die Politik wollte diesen Kon-
(Beifall bei der LINKEN) flikt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6753
Heike Hänsel
(A) Dann ist das aber auch der Konflikt von Angela Merkel. dass hier überhaupt niemand von all den Papieren, die (C)
Hierzu muss sich auch die Kanzlerin äußern. Es geht zum Beispiel im Stern auftauchen, spricht. Darauf gibt
nicht, am 3. Oktober Bürgerrechte zu zelebrieren und es keine Reaktion.
keinen Satz dazu zu sagen, dass in Stuttgart die Bürger-
(Patrick Döring [FDP]: Halbfertige Akten!)
rechte mit Füßen getreten werden.
Ich möchte einmal einen Insider zitieren, der Stutt-
(Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heil-
gart 21 unterstützt hat. Er sagt: „Wir sind wie Fall-
bronn] [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)
schirmspringer bei diesem Projekt, aber wir haben keine
Daran, wie Sie diese Leute diskreditieren, merkt man, Fallschirme dabei. In Stuttgart wird ein Bahnhof gebaut,
wie weit weg Sie von den Menschen sind, die sich dort ein riesiger Verkehrsknoten geschaffen, der nicht funk-
in dem Park engagieren, davon, dass Leute wochenlang tionieren wird, und die Verantwortlichen wissen das.“
in Kälte und bei schlechtem Wetter dort übernachten. Sie
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wen
sehen nachts ältere Frauen, die vor ihren Bäumen sitzen,
zitieren Sie? Namen!)
um sie zu beschützen. Dahinter steht viel Ernsthaftigkeit.
Leute informieren sich, während sie von Ihnen nur mani- Deswegen kommen wir gar nicht daran vorbei, eine
puliert werden. Meinen Sie, das sei alles vergnügungs- Neubewertung vorzunehmen. Wir fordern, dass endlich
steuerpflichtig, monatelang jeden Tag in den Park und an alle Fakten auf den Tisch gelegt werden und dass neu
den Bahnhof zu gehen? über dieses Projekt diskutiert wird. Der Verkehrsaus-
schuss führt dazu eine Anhörung durch. Ich fordere auch
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist doch frei-
Angela Merkel auf: Stoppen Sie sofort das Projekt! Wir
willig!)
brauchen einen Baustopp; anders kann es gar nicht zu ei-
Hier besteht ein ernsthaftes Engagement, das einmal ge- ner politischen Lösung kommen.
würdigt werden muss.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
NIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN)
Dass jetzt auch noch die Kultusministerin gegen die Ich habe selber erlebt, wie nachts um halb zwei in
Schüler und Schülerinnen disziplinarisch vorgehen will, dem Park bei starkem Scheinwerferlicht Bäume gefällt
die sich engagiert haben, ist ja wohl das Allerletzte. wurden; das war gespenstisch. Da muss man sich fragen,
wo man eigentlich lebt. Aber die Menschen lassen sich
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
davon nicht entmutigen. Es wird am 26. Oktober einen
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
Sonderzug aus Stuttgart nach Berlin geben. Mit ihm
(B) ten der SPD) (D)
werden viele der Leute hierherkommen und dieser Poli-
Ich bin stolz, dass diese Schülerinnen und Schüler auf tik die rote Karte zeigen.
die Straße gegangen sind und sich einmischen, dass es
(Beifall bei der LINKEN – Markus Grübel
ihnen nicht egal ist, was hier passiert. Das wollen Sie
[CDU/CSU]: Die sollen mal den Berliner
doch sonst immer.
Hauptbahnhof angucken! Dann sehen sie, der
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Bei Durchgangsbahnhof funktioniert!)
uns ist während der Schulzeit Unterricht!)
Was Sie sich hier erlauben, ist unglaublich. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Clemens Binninger
Herr Brüderle spricht jetzt von der Beschädigung der für die CDU/CSU-Fraktion.
Parlamente. Dazu muss ich aber einmal fragen: Wer be-
schädigt denn hier die Parlamente? Wenn hier Entschei- (Beifall bei der CDU/CSU)
dungen trotz fehlender Fakten getroffen werden, wenn
hier Geheimakten vorliegen, wenn viele Parlamentari- Clemens Binninger (CDU/CSU):
erinnen und Parlamentarier nicht einmal darüber infor- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
miert sind, worüber sie eigentlich abstimmen, und ihnen gen! Bei dieser Debatte geht es um zwei Fragen, die
viele Informationen vorenthalten werden, dann beschä- grundsätzlicher Natur sind. Erstens: Wie zuverlässig
digt dies die Parlamente. Das ist eine Gefahr für die De- sind Beschlüsse von Parlamenten zukünftig noch für In-
mokratie. vestoren und Unternehmer, wenn sie ständig wieder in-
frage gestellt werden? Zweitens: Wie gehen wir mit dem
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
staatlichen Gewaltmonopol um?
NIS 90/DIE GRÜNEN)
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wie ge-
Deswegen verteidigen die Stuttgarterinnen und Stutt-
hen wir mit dem Bürger um? Darüber müssen
garter diese Demokratie. Es ist ein Beitrag zur Demokra-
wir auch mal nachdenken!)
tisierung des Landes, dass die Menschen in Stuttgart auf
die Straße gehen. Es ist gar keine Frage, dass, als die Bilder vom Ein-
satz letzte Woche kamen, sie betroffen machten. Als ich
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
am Donnerstagnachmittag die Bilder gesehen habe, die
Insofern können wir auch nicht von einem demokratisch man auf Youtube betrachten konnte, wurde ich durchaus
legitimierten Projekt sprechen. Mich wundert durchaus, nachdenklich. Sicherlich wird man bei der Einsatznach-
6754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Clemens Binninger
(A) bereitung und zum Teil auch auf gerichtlichem Wege die vor dem Wasserwerfereinsatz?“, ohne zu verallgemei- (C)
eine oder andere Frage noch zu klären haben; auch das nern, ohne schnelle Pauschalurteile zu fällen. Die De-
wird kommen. monstranten, diese Gruppe, gibt es nämlich nicht. Jede
Demonstration ist sehr heterogen. Ganz unterschiedliche
Ich glaube, wir sind uns fast alle in diesem Hause ei-
Menschen sind dabei, etwa ein Rentner, der vielleicht
nig – ich sage bewusst: fast alle –, dass sich solche Bil-
eine Sitzblockade macht und dann die Aktion für been-
der nicht wiederholen dürfen
det erklärt. Aber es sind – leider – immer auch Leute da-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- bei, die austesten, wie weit sie gehen können, die die
SES 90/DIE GRÜNEN) rote Linie immer wieder bewusst überschreiten.
und wir eine weitere Radikalisierung dieses Themas Die Bilder, die die Polizei uns gestern gezeigt hat,
nicht zulassen dürfen. sind schon hilfreich. Von 10.30 Uhr bis zum Wasserwer-
fereinsatz gab es verschiedene Formen einer zunehmen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Aggression, nicht aller Demonstranten, aber doch ei-
Warum die SPD jetzt nicht klatscht, muss sie selber nes Teiles. Es gab Sitzblockaden. Es wurden Barrikaden
wissen. gebaut. Es wurde auch gegen die Polizei Pfefferspray
eingesetzt.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die
Linke hat auch nicht geklatscht!) (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]:
Hört! Hört!)
Gemünzt war meine Botschaft eher auf die ganz linke
Seite dieses Hauses. Es wurden Gegenstände auf die Polizei geworfen.
(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das stimmt
Totalverweigerer!) überhaupt nicht!)
Der Beitrag meiner Vorrednerin war nämlich kein Bei- Es gab eine Aggression, an deren Ende die Polizei sich
trag zur Deeskalation, sondern das Gegenteil. in die Lage versetzt sah, diesen Einsatz nur noch mit un-
mittelbarem Zwang zu Ende zu bringen. Ich habe gesagt:
Wir haben die Bilder mit Wasserwerfern gesehen. Wir wollen ehrlich mit diesen Bildern umgehen. Zu ei-
Diese Bilder können uns eigentlich nicht in Ruhe lassen. nem ehrlichen Umgang gehört auch diese Vorgeschichte.
Wir wollen damit ehrlich umgehen, damit sich das Sie ist ganz entscheidend für die Bewertung dieses Ein-
Ganze nicht wiederholt. Zum Umgang mit diesem satzes.
Thema gehört aber auch, dass wir uns die Frage stellen:
Wie konnte es dazu kommen? Was ist in den zweiein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) (D)
halb Stunden vor dem Wasserwerfereinsatz passiert, dass
Ich glaube, wir müssen uns auch darüber klar werden,
die Polizei sich entschieden hat, diese Mittel anzuwen-
was wir wollen. Wenn wir wollen, dass sich solche Bil-
den?
der nicht wiederholen, dann ist es mit schnellen, abfälli-
Wir müssen uns diese Fragen auch deshalb stellen, gen Kommentaren zu der politischen Verantwortung
weil die Stuttgarter Polizei seit Monaten bei großen Ein- nicht getan. Beispielsweise wurde unterstellt, man
sätzen im Zusammenhang mit diesem Projekt bewiesen „wollte Blut sehen“. Die SPD will den baden-württem-
hat, dass sie deeskalieren kann, dass sie große Demos bergischen Innenminister zu Putin schicken, weil er da-
mit 50 000 oder 60 000 Gegnern völlig harmonisch und hin besser passt.
friedlich abwickeln kann.
(Joachim Poß [SPD]: Das war doch Özdemir
(Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Sehr rich- und nicht die SPD!)
tig!)
Einmal abgesehen davon, dass es Ihr Bundeskanzler
Es gab kaum einmal Ausschreitungen; es waren kaum war, der Putin als lupenreinen Demokraten bezeichnet
einmal Festnahmen notwendig. Die Stuttgarter Polizei hat: Solche Beiträge sind allesamt nicht hilfreich.
hat seit Monaten gezeigt, dass sie in der Lage ist, mit
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
diesem Protest umzugehen.
An die Adresse der Grünen, weil ich glaube, dass sol-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
che Dinge dort eher auf fruchtbaren Boden fallen: Wir
Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und die Demons-
sind unterschiedlicher Meinung bei diesem Projekt. Das
tranten? Die Demonstranten genauso!)
gehört in einer Demokratie dazu. Auch Protest gehört
– Die Demonstranten natürlich auch, gar keine Frage. – dazu. Aber er muss friedlich in einem klaren Rahmen
Deshalb gilt, an dieser Stelle der Stuttgarter Polizei ein- ablaufen.
mal unseren Respekt für die vielen Stunden Arbeit, die
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE
sie in den letzten Wochen und Monaten geleistet hat, zu
GRÜNEN]: Er war friedlich!)
zollen.
Friedlich war er in der Vergangenheit. Vor kurzem war er
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
es einmal nicht. Das festzustellen, gehört auch dazu. Un-
bei Abgeordneten der SPD)
sere Verantwortung ist es, dass wir den richtigen Ton in
Wir müssen schon den Mut und auch die Objektivität dieser Debatte treffen, dass wir einen Ton treffen, der es
haben, zu fragen: „Was war in den zweieinhalb Stunden ermöglicht, dass sich Befürworter und Gegner wieder
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6755
Clemens Binninger
(A) treffen, dass nicht immer von „Lügenpack“ die Rede ist tisch zu bearbeiten. Alle Stuttgarter Zeitungen waren (C)
– das ist ebenfalls kein Beitrag zur Deeskalation –, son- Feuer und Flamme und immer für dieses Projekt. Man
dern dass wir in der Sache vernünftig miteinander reden. hat immer positivste Geschichten darüber geschrieben.
Erstaunlich nur, dass das nicht verfangen hat. War das
(Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Sehr rich-
ein Kommunikationsproblem? Haben sie die falschen
tig!) Broschüren geschrieben? Oder könnte es eventuell daran
Die Regierungserklärung von Ministerpräsident Mappus liegen, dass dieses Projekt so grundschlecht ist, dass man
war ein guter, wichtiger Schritt. Heiner Geißler als Me- die besten Broschüren machen kann und trotzdem jeder
diator, als Vermittler, wird ebenfalls einen guten Beitrag merkt, dass es Mist ist?
leisten. Dann sind wir gefordert, diese Debatte entspre-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
chend zu begleiten.
bei der SPD und der LINKEN)
In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit.
Man muss kein Bahnexperte sein, um zu erkennen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass dieses Projekt hochriskant ist und dass nicht beson-
ders einleuchtend ist, dass man die Menschen unter die
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Erde führt, dass es nicht besonders intelligent ist, dass
Der Kollege Winfried Hermann von Bündnis 90/Die eine Stadt, die Mittelpunkt einer ganzen Region ist, alles
Grünen ist der nächste Redner. tut und viel Geld dafür ausgibt, dass die Leute möglichst
schnell unten durchfahren und nichts von der Stadt se-
hen. Was für eine absurde Form von Reise- und Bahnpo-
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- litik!
NEN):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Herren! Kollegin Maag hat in ihrer Rede gesagt: Wut und bei der LINKEN – Widerspruch bei der
und Hass machen blind. – Seit letzter Woche wissen wir, CDU/CSU)
dass auch die Wasserwerfer der Polizei blind machen Das ist die Logik der Geschwindigkeit unten durch. Sie
können. haben nicht erkannt, dass ein Bahnhof wie der Stuttgar-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja!) ter Bahnhof das Zentrum eines integralen Taktfahrplans
ist. Das ist das, was wir von einer guten Bahn erwarten:
Ich finde es schon etwas beschämend, wie Sie hier einer- eine gut vernetzte Bahn, eine Bahn für Nahverkehr und
seits Betroffenheit signalisieren und auf der anderen für Regionalverkehr. Darum verteidigen die Leute die-
Seite nicht bereit sind, wenigstens zu sagen, dass dieser sen Bahnhof – und nicht, weil sie einfach blind gegen (D)
(B) Polizeieinsatz in jedem Fall unverhältnismäßig war.
Fortschritt sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bei der SPD und der LINKEN) und bei der LINKEN)
Es ist absolut inakzeptabel, dass man auf friedlich auf Immer wieder behaupten Sie, alle Entscheidungspro-
dem Boden sitzende junge Menschen und ältere Men- zesse wären korrekt abgelaufen. Tausend Debatten, tau-
schen send Entscheidungen in allen Parlamenten – alles formal
(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Kinder!) korrekt. Und dann noch die Planfeststellung! Dazu kann
ich Ihnen nur sagen: Erstens reicht es heutzutage nicht
Wasserwerfer wie Kanonen draufhält, weil völlig klar aus, nur formal korrekt zu sein. Zweitens war es nicht
ist, dass das zu Verletzungen führt. Wer zu verantworten einmal formal korrekt; denn in keinem dieser Parlamente
hat, dass diese Kanonen auf die Menschen gerichtet wur- lagen die ordentlichen Zahlen auf dem Tisch. Auch im
den, der hat billigend in Kauf genommen, dass sie sich Deutschen Bundestag lagen die entsprechenden Gutach-
schwer verletzen, dass sie unter Umständen ihr Augen- ten nicht auf dem Tisch.
licht verlieren. Es wäre das Mindeste gewesen, was ich
erwartet hätte, dass man auch dazu heute etwas sagt und (Patrick Döring [FDP]: Ist doch schlicht gelo-
dass die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezo- gen! – Widerspruch bei der CDU/CSU)
gen werden.
– Patrick Döring, du warst selber dabei, als vor zwei Jah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ren im Deutschen Bundestag mit falschen Zahlen diesem
bei der SPD und der LINKEN) Projekt grünes Licht gegeben wurde. Stuttgart 21 und
die Neubaustrecke mit falschen, tief gerechneten Zah-
Ich habe heute von verschiedenen Leuten gehört: Ja, len!
wir haben kommunikative Fehler gemacht. – Das stimmt;
aber Sie haben immer noch nicht begriffen, welchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
kommunikativen Fehler Sie gemacht haben. und bei der LINKEN – Widerspruch bei der
CDU/CSU und der FDP)
Ich habe vor kurzem beim Umzug eine ganze Kiste
Propagandamaterial zu Stuttgart 21 entsorgt. Für kein Zum Planfeststellungsprozess behaupten Sie nach wie
anderes Projekt ist in den 90er-Jahren so viel Geld aus- vor steif und fest, das wäre alles durch. Es ist nicht
gegeben worden. Man hat versucht, die Leute mit Wer- durch. Die Neubaustrecke ist überwiegend nicht rechts-
bematerial sozusagen zu überreden und sie propagandis- kräftig planfestgestellt. Nicht einmal Stuttgart 21 ist in
6756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Winfried Hermann
(A) allen Bereichen rechtskräftig planfestgestellt. Wenn Sie alles ausblendet, braucht sich nicht zu wundern, dass (C)
das Planfeststellungsverfahren wirklich ernst nehmen, Tausende und Abertausende immer wieder auf die
dann muss es auch einen Punkt geben, wo es heißt: So Straße gehen.
geht es nicht.
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Zur Transpa-
Heute hat Ministerpräsident Mappus in seiner Rede renz: Können Sie auch mal sagen, welche
im Rahmen der Aktuellen Stunde im Landtag von Ba- Trasse Sie wollen?)
den-Württemberg ein putziges Beispiel gebracht. Er hat
Zu guter Letzt. Heute ist viel über die Verantwortung
gesagt: Wo kämen wir denn dahin, wenn einer eine Bau-
von Ministerpräsident Mappus gesprochen worden.
genehmigung hat, einen roten Punkt, in seinem Garten
Aber auch Sie haben hier eine Verantwortung als Koali-
die Bäume fällt – interessant, wie er da den Eigentümer
tionsmehrheit; die Bundesregierung hat hier eine Verant-
verwechselt –, anfangen will zu bauen, und dann kommt
wortung. Denn es geht im Wesentlichen um das Geld des
plötzlich eine Demonstration, die das verhindert?
Bundes und darum, was der Bund im Schienenbereich
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ein überhaupt noch leisten kann. Sie wissen so gut wie ich
gutes Beispiel!) – jedenfalls diejenigen, die im Verkehrsausschuss sind,
wissen es –, dass dieses Projekt zusammen mit der Neu-
Aber wie ist es denn hier? Wir haben keine Bauge-
baustrecke mit der Summe von 10, 11 oder noch mehr
nehmigung für das ganze Projekt.
Milliarden Euro
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wie
(Patrick Döring [FDP]: Das sind doch Fanta-
bitte? – Patrick Döring [FDP]: Das ist gelo-
siebeträge!)
gen!)
den Schienenverkehrsetat in den nächsten zehn Jahren in
Es ist doch ungefähr so, als ob jemand im mittleren
unglaublicher Weise plündert, ruiniert,
Stock baut, aber der Keller noch nicht genau geplant ist,
es noch keine rechtskräftige Planfeststellung gibt, die (Patrick Döring [FDP]: Fantasiebeträge!)
Zufahrt für die Tiefgarage noch nicht geklärt ist. Trotz-
sodass zahlreiche andere, vernünftige Projekte nicht
dem fängt man an zu bauen. Das ist Ihre Logik. Die
möglich sind. Das ist doch der Grund, warum wir gegen
bringt die Leute wirklich so durcheinander, dass sie sa-
dieses Projekt kämpfen: weil es unglaublich viel Geld
gen: Es kann doch nicht wahr sein, dass Politik so denkt
kostet und nichts bringt.
und dann noch behauptet, dass das Verfahren korrekt ist.
(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
GRÜNEN – Beifall bei der LINKEN sowie
und bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heil-
(B) bei Abgeordneten der SPD – Patrick Döring (D)
bronn] [CDU/CSU]: Das ist das krasse Gegen-
[FDP]: Fantasiebeträge!)
teil der Fakten!)
Es ist also für die Leute nicht nachvollziehbar. Patrick Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Döring, dieses Projekt ist nie offen diskutiert worden. Nächster Redner ist der Kollege Werner Simmling für
Nie ist K 21 offen und alternativ diskutiert worden. die FDP-Fraktion.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ach (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
du liebe Zeit, wo bist du denn gewesen? Das der CDU/CSU)
war ein jahrelanger Tiefschlaf! – Widerspruch
bei der FDP)
Werner Simmling (FDP):
– Nein, dieselben Gutachter, die Stuttgart 21 gemacht Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-
haben, haben Sie beim Bund und beim Land als Berater legen! Wir alle sollten uns dessen bewusst sein, dass wir
gehabt. Die haben dann gesagt: Das geht nicht, das ist den Ausnahmezustand, der in der Stuttgart-21-Debatte
viel zu teuer, das funktioniert nicht. – wie auch jetzt wieder in diesem Hohen Hause –
herrscht, unmittelbar beenden sollten. Er führt zu nichts.
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)
Auch solche Bilder, wie wir sie am vergangenen Don-
– Warum schreien Sie durch die Gegend? Weil Sie es nerstag sehen mussten, darf es nicht mehr geben.
nicht ertragen können.
Herr Hermann, vielleicht kann ich Ihr Erinnerungs-
(Patrick Döring [FDP]: Wir können das gut er- vermögen etwas stärken.
tragen!)
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das
Das ist die Wahrheit, die in dieser Geschichte eine Rolle ist aber schwierig! Der hat jahrelang geschla-
spielt. fen!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es war, glaube ich, im Mai 2005, als Ihre Fraktion noch
und bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heil- mehr Geld und das Verfahren noch beschleunigen
bronn] [CDU/CSU]: Du hast geschlafen all die wollte.
Jahre!)
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Winfried
Offene Debatten, transparente Strukturen, Transpa- Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein,
renz der Gutachten, Transparenz der Kosten – wer das falsch!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6757
Werner Simmling
(A) – Das ist aber nachzulesen. noch mit 70 Kilometern pro Stunde über die Schwäbi- (C)
sche Alb; ich habe das schon einmal gesagt: Das ist die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Realität. Solche Situationen finden Sie auf dem gesam-
Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Hört! ten TGV-Netz in Frankreich nicht.
Hört! Ist alles nachzulesen!)
In der Zukunft wird Stuttgart einen modernen Durch-
Der heutige Vorschlag von Ministerpräsident gangsbahnhof haben, der den Bahnknoten Stuttgart fit
Mappus, einen Vermittler einzusetzen, ist ein wichtiger für die Zukunft macht. Nur halb so viele Gleise, die
Schritt auf diesem Wege. Die baden-württembergische hauptsächlich in Tunneln verlaufen, ermöglichen, dass
Landesregierung hat damit einmal mehr bewiesen, dass hier künftig deutlich mehr Züge in den Bahnhof ein- und
sie zum Dialog bereit ist. Die Landesregierung genießt ausfahren können, ohne sich gegenseitig zu blockieren.
dabei unser vollstes Vertrauen. Daher mein Appell an Damit schaffen wir Kapazitätsreserven und eine größere
alle Demokraten, sich schnellstens wieder eines würdi- Flexibilität. Verspätungen gehören damit der Vergangen-
gen und respektvollen Diskussionsklimas zu befleißigen. heit an. Stuttgart ist dann nicht mehr Endstation, sondern
Wir müssen die Diskussion und den Dialog fortfüh- Durchgangsstation, insbesondere auf der für Europa
ren. Es gibt im Rahmen von Stuttgart 21 noch viele wichtigen Magistrale Paris–Budapest.
Punkte, die gemeinsam ausgestaltet werden können. Mit der Anbindung des Flughafens und der Messe an
Gleichwohl dürfen wir nicht an den getroffenen Ent- die Innenstadt wird regional eine in Deutschland einma-
scheidungen zweifeln. Ein Baustopp oder eine Volksab- lige Verkehrsinfrastruktur geschaffen, die Schiene,
stimmung sind deswegen auch keine Voraussetzung für Straße und Luft optimal verbindet.
den Dialog.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der CDU/CSU)
Erst am 29. September, also vor wenigen Tagen, hat Dies dient den Bürgerinnen und Bürgern und unserer
sich der Regionalverband Stuttgart mit 68 von Wirtschaft. Wirtschaft ist doch keine virtuelle Veranstal-
88 Stimmen gegen ein Moratorium entschieden. Na, was tung; das muss in dieser Debatte einmal gesagt werden.
sagen Sie dazu? Wirtschaft bietet den Bürgern Arbeitsplätze. Gerade
nach der überstandenen Finanz- und Wirtschaftskrise
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sind wir uns der Wichtigkeit von Arbeitsplätzen mehr
der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] denn je bewusst.
[CDU/CSU]: Kluge Entscheidung!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Meine Damen und Herren, über was reden wir denn der CDU/CSU)
(B) hier? Wir reden über ein bedeutendes Infrastrukturpro- (D)
jekt für die nächste Generation. Nur zu Ihrer Informa- Mit Stuttgart 21 und der Neubaustrecke wollen wir das
tion: Ich habe Jahrzehnte in Stuttgart gelebt. Seit einiger ökologische Verkehrsmittel Schiene stärken. Ich frage
Zeit wohne ich auf der Schwäbischen Alb, genau da, wo mich, was dagegenspricht. Diese Verkehrsinfrastruktur
die Schnellbahntrasse Wendlingen–Ulm nach Verlassen bringt erhebliche Vorteile. Wir haben doch schon heute
des Steinbühltunnels wieder ans Tageslicht kommt. Ich den Verkehrskollaps in und um Stuttgart. Mit der Opti-
kenne die dortigen Voraussetzungen also sehr gut. mierung der Schiene entlasten wir die Straße. Außerdem
werden auch die regionalen Verbindungen deutlich at-
Stuttgart 21 und die Schnellbahnstrecke Wendlin- traktiver, also – das wurde schon vorhin angesprochen –
gen–Ulm sind ein Verkehrsprojekt mit großer Bedeutung von Stuttgart-City zum Flughafen nur noch 8 Minuten
für den Wirtschaftsstandort Deutschland, für das Land statt 27 Minuten, von Tübingen nach Stuttgart 41 Minu-
Baden-Württemberg, für Stuttgart selbst und für die Re- ten statt 61 Minuten und von Ulm nach Stuttgart 28 Mi-
gion. Dies ist eine Riesenchance für die städtische Ent- nuten statt 54 Minuten, um nur einige Beispiele zu nen-
wicklung Stuttgarts und für eine Verkehrsinfrastruktur nen.
der Zukunft. Übrigens – nur zur Information –: Der
Bahnhof ist planfestgestellt. (Zurufe der Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN] und Renate Künast [BÜND-
Der heutige Kopfbahnhof in Stuttgart ist an der NIS 90/DIE GRÜNEN])
Grenze seiner Leistungsfähigkeit; dies ist auch bei den
Grünen unstrittig. Damit wird die Schiene attraktiver und eine wirkliche
Alternative zu Pkw und Flugzeug. Wir rücken als Land
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- näher zusammen.
NEN]: Nein! Es sind schon vor 20 Jahren viel
mehr Züge gefahren! – Weiterer Zuruf vom (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Der neue hat der CDU/CSU)
noch weniger!) Meine Damen und Herren, die frei werdenden Gleis-
Der heutige Bahnhof, seit 1927 in Betrieb, wird außer- flächen – es ist wahrlich kein ansprechendes Bild, wenn
dem in seiner Charakteristik als Wahrzeichen mit Bahn- Sie von der sogenannten bürgerlichen Stuttgarter Halb-
hofsturm und Schalterhalle erhalten bleiben. höhe auf das riesige Gleiswirrwarr am Stuttgarter Haupt-
bahnhof blicken – ermöglichen ein einmaliges Wachstum
Wir reden auch über eine unzureichende Infrastruktur. innerhalb der bestehenden Stadtgrenzen. Wir können
Die Gleise sind teilweise 150 Jahre alt. Wir fahren heute neue ökologische Quartiere im Herzen der Stadt entwi-
6758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Werner Simmling
(A) ckeln. Die Stadt wächst endlich zusammen. Urbanes Le- und Demonstranten auf einmal zu solch gewalttätigen (C)
ben entsteht auf 100 Hektar frei werdender Gleisfläche. Bildern kommen konnte? Ich kann es Ihnen vielleicht
ein Stück weit skizzieren,
Es wird mehr Grün- und Parkflächen geben. Der
Schlossgarten und der Rosensteinpark sind wichtige Nah- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Waren Sie
erholungsgebiete für die Stuttgarter Bürger. Wir schaffen dabei?)
mit der Erweiterung der Parkflächen um 20 Hektar eine
indem ich Ihnen ein paar Zitate vor Augen halte.
deutliche Vergrößerung der grünen Lunge im Stuttgarter
Talkessel. Am 20. September sagt Ministerpräsident Stefan
Mappus den Gegnern des Bahnhofprojekts den Kampf
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: an. Wörtlich:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Mir ist der Fehdehandschuh hingeworfen worden,
ich nehme ihn auf.
Werner Simmling (FDP): Am 27. September verkündet er: Es gibt
Ja. – Zusammenfassend möchte ich noch einmal beto-
nen: Stuttgart 21 ist ein Symbol für die Leistungsfähig- einen nicht unerheblichen Teil von Berufsdemons-
keit Deutschlands. Hier geht es nicht nur um Fahrzeiten tranten … die der Polizei das Leben … schwer ma-
und weniger Umsteigen. Es geht vielmehr darum, dass chen.
wir uns für die Zukunft fit machen. Deshalb bitte ich Sie, Er spricht davon, dass diese Berufsdemonstranten ag-
sich für die Verwirklichung dieses Projekts einzusetzen. gressiv sind und eine große Gewaltbereitschaft an den
Vielen Dank. Tag legen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das war zu einer Zeit, zu der noch überhaupt nichts
an gewalttätigen Ausschreitungen im Schlosspark vorge-
fallen war.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Vogt für die (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das
SPD-Fraktion. sehen die Polizisten ein bisschen anders!)
(Beifall bei der SPD) Er wird begleitet von Herrn Strobl – einem Kollegen,
der gleich noch zu Wort kommen wird –, der am
Ute Vogt (SPD): 27. September, drei Tage vor dem harten Durchgreifen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Polizei, verkündet, einen Teil der Demonstranten
(B) Herr Kollege Simmling und Herr Kollege Binninger, brauche man nicht zu kriminalisieren, er sei bereits kri- (D)
wenn es Ihnen so ernst ist mit der Verlässlichkeit in Be- minell geworden –
zug auf Unternehmen und Investoren, dann müssen Sie (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So
sich die Frage gefallen lassen, warum Sie den Atomkon- ist es!)
sens der rot-grünen Bundesregierung aufkündigen und
damit Arbeitsplätze vernichten. zu einem Zeitpunkt, zu dem noch überhaupt keine Straf-
tat verübt worden war, Herr Kollege Strobl.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD – Thomas Strobl [Heil-
GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/ bronn] [CDU/CSU]: Aber beschäftigen Sie
CSU]: Ojemine! Das ist so etwas von schief! sich doch mal mit den Fakten!)
Gleich am Anfang der Rede geht es schief! – Ich denke, durch solcherlei Zuspitzung ist diese Eska-
Weiterer Zuruf des Abg. Markus Grübel [CDU/ lation bewusst politisch herbeigeredet worden,
CSU])
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Ihrem Hinweis, Herr Kollege Binninger, dass Stutt- LINKEN)
gart 21 den Unternehmen und den Investoren Verläss-
lichkeit bieten muss, halte ich entgegen: Eine Konzen- zu einem Zeitpunkt, zu dem der Ministerpräsident ge-
tration auf Unternehmen und Investoren bei solch einem spürt hat, dass er zwar die Demonstrantinnen und De-
Großprojekt mitten im Herzen einer Großstadt ist zu we- monstranten nicht mehr auf seine Seite bekommt, dass er
nig. Es geht auch um das Vertrauen und die Akzeptanz aber vielleicht die konservative Klientel noch erreichen
der Bürgerinnen und Bürger. Es geht auch um die Mit- kann, die an starke Führung und unnachgiebige Härte
sprache der Bürgerinnen und Bürger, glaubt.

(Patrick Döring [FDP]: So ist es!) (Zuruf von der CDU/CSU: So ein Blödsinn!)

gerade jetzt in unserer weiterentwickelten Demokratie. Den starken Mann machen, das war das Ziel. Der Minis-
terpräsident hat Verletzte in Kauf genommen und die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Polizei missbraucht, um dieses Großprojekt durchzuprü-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der geln.
LINKEN)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Herr Binninger, Sie fragen: Was ist passiert, dass es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert
von dem fast freundschaftlichen Miteinander von Polizei Barthle [CDU/CSU]: Das sollten Sie zurück-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6759
Ute Vogt
(A) nehmen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aus sche Demokratie. In der Landesverfassung wäre diese (C)
Ihnen spricht die Enttäuschung, ihm unterle- Möglichkeit doch überhaupt nicht vorgesehen, wenn wir
gen zu sein!) nicht wollten, dass die Bevölkerung das Wort haben
kann.
Er steht damit in einer schlechten Tradition konservati-
ver Regierungen: Wenn bei Großprojekten die politi- Sie haben jetzt eine juristische Bewertung vornehmen
schen Argumente ausgehen, dann muss die Polizei her- lassen. Wie immer, wenn es schwierig wird, bezahlt man
halten. Herrn Kirchhof; der sagt dann schon, was die Regierung
gerne hören möchte.
Ich bin, Herr Kollege Kauder, für Stuttgart 21. Wir
befürworten dieses Projekt; (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]:
Jetzt aber langsam!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas
Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wer in der Wenn der Herr Kirchhof recht hätte mit der Argumenta-
SPD noch?) tion, dass das Land mangels Kompetenz in Bezug auf
das Eisenbahnwesen nicht mehr aus der Teilfinanzierung
daran will ich keinen Zweifel lassen. Da streite ich mich
aussteigen darf, dann würde das doch bedeuten, dass das
auch. Aber ich streite mich mit Worten. Ich benutze
Land am Anfang auch nicht die Kompetenz gehabt hätte,
nicht die Polizei, um meinen Argumenten Geltung zu
den Vertrag überhaupt abzuschließen. Das, was uns in
verschaffen.
diesem Gutachten vorgetragen wird, ist doch irrwitzig.
(Beifall bei der SPD – Thomas Strobl [Heil-
bronn] [CDU/CSU]: Das ist eine Unver- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
schämtheit!) Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Es geht darum, dass wir deutlich machen, dass Groß-
projekte in der heutigen Zeit so nicht mehr durchgesetzt Ute Vogt (SPD):
werden können. Wir müssen doch sehen, was sich in der Es ist eine rein politische Argumentation.
Stadt abspielt. Herr Mappus sagt selbst: Wir müssen uns
Ich denke, das, was Sie betreiben, ist obrigkeitsstaatli-
fragen, ob Großprojekte nicht anders vermittelt werden
ches Handeln von ganz alter Denke.
müssen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Für die neue
Ich sage Ihnen: Das nehmen wir gerne auf. Wir brau-
Denke brauchen wir Sie, oder?)
chen in Stuttgart einen Ausweg. Es hilft doch nicht, die
Zäune immer höher zu machen und immer mehr Polizei Das wird spürbar, wenn man sieht, wie Sie mit den
(B) zusammenzuziehen. Wir merken, dass wir einen Neuan- Schülerinnen und Schülern umgehen, die an der Demon- (D)
fang brauchen, auch was die Dialogfähigkeit angeht. stration teilgenommen haben. Jemand, der Demokratie
ernst nimmt, der Beteiligung will und erkennt, dass man
(Beifall bei der SPD)
in solch einer Stadt einen Schritt weiter gehen muss, der
Jetzt geht es um die Frage: Wie finden wir einen würde jetzt nicht die Schülerinnen und Schüler diszipli-
Kompromiss? Ich muss ehrlich sagen: Sosehr ich Herrn narrechtlich verfolgen und schauen, welcher Lehrer
Geißler mit mancher Position auch schätze, ist mir nicht möglicherweise beteiligt war, sondern sich bei den Ju-
klar, wie er einen Kompromiss finden will. Die einen gendlichen für die Verletzungen entschuldigen, die sie
wollen, dass der Bahnhof oben bleibt, und die anderen dort erlitten haben.
wollen, dass er unterirdisch gebaut wird.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
wollen Sie?) GRÜNEN)
Wie soll da ein Kompromiss gefunden werden?
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Mittendrin halt! – Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was
will die SPD?)
Ute Vogt (SPD):
Ich glaube, der Ausweg kann nur darin liegen, dass Ich möchte mit einem aus meiner Sicht sehr treffen-
wir die Menschen in einer solchen Situation, in der sie den Fazit schließen, das die Süddeutsche Zeitung gezo-
sich so unversöhnlich gegenüberstehen, direkt und un- gen hat.
mittelbar selbst entscheiden lassen. Wir sollten anerken-
nen, dass eine Volksabstimmung als einzig korrekte Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Möglichkeit bleibt. Kommen Sie bitte zügig zum Schluss. Sie haben Ihre
(Beifall bei der SPD – Thomas Strobl [Heil- Redezeit weit überzogen.
bronn] [CDU/CSU]: Die SPD ist dafür und da-
gegen zugleich!) Ute Vogt (SPD):
Dort hieß es:
Eine Volksabstimmung brächte uns die Chance, Pro und
Kontra tatsächlich wieder auf sachlicher Ebene zu disku- Für einen Dialog ist es jetzt viel zu spät, nicht aber
tieren. Eine Volksabstimmung ergänzt die parlamentari- für einen Baustopp und einen Volksentscheid.
6760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Ute Vogt
(A) In diesem Sinne bitte ich Sie: Angriffe gegen die Polizei. Dazu liegen uns seit gestern (C)
Videoaufnahmen vor.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber
Schluss hier!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Helfen Sie mit, dass man in Stuttgart wieder vernünftig
miteinander reden kann, dass sich die Menschen nicht NEN]: Ja, aber das rechtfertigt keinen Wasser-
mehr unversöhnlich gegenüberstehen! Machen Sie den werferstrahl ins Gesicht! Es gilt doch nicht
Weg frei für eine Volksabstimmung! „Auge um Auge, Zahn um Zahn“! Wir sind
doch nicht bei einer Wirtshausschlägerei!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Am Wochenende habe ich auch vielfach Berichte
GRÜNEN) über den Umgang einiger Gegner von Stuttgart 21 mit
politisch Andersdenkenden gehört. Es muss auch einmal
gesagt werden, dass es mittlerweile an der Tagesordnung
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ist, dass Befürworter von Stuttgart 21 bedroht, angepö-
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bilger für die belt und beleidigt werden, dass ihre Autos demoliert und
CDU/CSU-Fraktion. sie teilweise verletzt werden. All das geschah auch am
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vergangenen Donnerstag am Rande der Demonstratio-
nen.
Steffen Bilger (CDU/CSU): Es fällt auch einem interessierten Baden-Württember-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ger mittlerweile schwer, zu verstehen, was die Grünen
Zunächst möchte auch ich mein Bedauern über die Vor- eigentlich wollen. Wer spricht denn eigentlich für die
kommnisse am vergangenen Donnerstag zum Ausdruck Grünen: die Fraktion im Gemeinderat der Stadt Stuttgart,
bringen. Allen verletzten Demonstranten und Polizisten die Landtagsfraktion, Herr Hermann oder der in Tübin-
wünsche ich baldige und umfassende Genesung. gen offensichtlich gelangweilte Oberbürgermeister Pal-
mer? Wenn ich beispielsweise an die unterschiedlichen
Liebe Frau Kollegin Vogt, ich bin froh, dass wir diese Aussagen zu Ihrem Gutachten vor wenigen Wochen
Debatte heute führen anstatt am vergangenen Freitag, als denke, komme ich zu dem Schluss: Sie scheinen sich un-
wir hier ohne ausreichende Sachkenntnis eine kurze Dis- tereinander nicht ganz grün zu sein. Sind die Grünen nun
kussion geführt haben und als die SPD noch zu ganz an- für die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm oder dagegen?
deren Ergebnissen gekommen ist als gestern die Abge- Bis vor kurzem waren Sie noch dafür; jetzt sind Sie da-
ordneten der SPD-Landtagsfraktion im zuständigen gegen, weil es einfacher ist.
(B) Gremium, dem Innenausschuss des Landtags von Ba- (D)
den-Württemberg. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE
(Peter Friedrich [SPD]: Das stimmt doch gar GRÜNEN]: Weil es zu teuer ist!)
nicht!) Sind die Grünen für das Alternativkonzept K 21 oder da-
Ich fordere die SPD auf, ihre Position zu klären. Die gegen?
SPD-Fraktion in der Regionalversammlung des Ver-
(Oliver Luksic [FDP]: Sie sind die Dagegen-
bands Region Stuttgart bringt einen Antrag gegen einen
partei!)
Baustopp ein,
(Ute Vogt [SPD]: Die sind aber nicht zustän- Eigentlich sind sie dafür – Ihre Werbeagentur hat schon
dig!) die K-21-Materialien farblich passend zum Landtags-
wahlkampf in grün gestaltet –, aber es lässt sich nur zu-
die SPD-Landtagsfraktion äußert sich einmal so und ein- sammen mit der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm um-
mal so, die Bundestagsfraktion genauso. Bitte klären Sie setzen. Auch für K 21 müssten Platanen gefällt werden,
einmal Ihre Position! und die Gleise müssten mitten durchs Neckartal zwi-
schen der Wohnbebauung hindurchgeführt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Peter Friedrich [SPD]: Hören Sie halt mal zu! (Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Sehr rich-
Lesen bildet!) tig!)
Am Wochenende war ich in der Region Stuttgart Mittlerweile sind die Grünen gegen jede Veränderung,
– Frau Hänsel, nicht in der letzten Woche, als hier Prä- weil es einfacher ist.
senzpflicht bestand – und habe dort mit vielen Menschen
gesprochen, mit Befürwortern und Gegnern von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Stuttgart 21, auch mit Demonstranten und mit Augen-
zeugen der Ereignisse vom Donnerstag. Nach all diesen Stuttgart 21 ist ein Zukunftsprojekt. Besonders viele
Gesprächen ist für mich klar: Ja, es gab friedliche De- junge Menschen machen sich Sorgen um die Zukunft
monstranten, die unbewusst in diese Auseinanderset- unseres Landes, gerade weil sie daran zweifeln, ob wir
zung geraten sind. Aber so einfach, wie es sich Linke überhaupt noch in der Lage sind, wichtige Projekte auch
und Grüne gerne machen würden, ist es nicht; es gab gegen Proteste durchzusetzen. Stuttgart 21 ist daher ein
sehr wohl gezielte Provokationen, Beleidigungen und Prüfstein für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6761
Steffen Bilger
(A) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Verantwortlichen die Wirtschaftlichkeit dieses Pro- (C)
NEN]: Dann ist es um Deutschland schlecht jektes erläutern. Diese Wirtschaftlichkeitsberechnung ist
bestellt!) bis zum heutigen Tage nicht vorgelegt worden.
Weil das alles viele junge Menschen wissen, sind es be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
sonders die jungen Menschen, die sich für Stuttgart 21 der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
stark machen. GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG hat im De-
Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Viele von ih- zember letzten Jahres getagt und einen merkwürdigen
nen demonstrieren für dieses Projekt seit einigen Wo- Beschluss auf der Basis eines Aufsichtsratspapiers ge-
chen jeden Donnerstag. fasst – zum damaligen Zeitpunkt war der Ausstieg der
DB AG noch möglich –: Wir als Deutsche Bahn AG ha-
(Florian Pronold [SPD]: Sie dürfen die jungen ben alle Preissteigerungen berücksichtigt. Die Kosten
Menschen nicht mit der Jungen Union ver- sind von 3 auf 4 Milliarden Euro gestiegen. Als Spit-
wechseln!) zenabdeckung haben wir noch 430 Millionen Euro oben-
Mittlerweile sind es mehrere Tausend. Viele bringen ihre drauf gepackt. – In der Öffentlichkeit denkt jeder: Wun-
Meinung im Internet zum Ausdruck. Über 60 000 Men- derbar! Super! Klasse Ergebnis! Es ist noch eine
schen haben sich mittlerweile der Facebookseite „FÜR Sicherheitsreserve für die Planer da.
Stuttgart 21“ angeschlossen. Was ist in Wirklichkeit passiert? Wir haben Hinweise,
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: dass die eigenen Planer der Deutschen Bahn AG – ohne
Hört! Hört!) dass das das Eisenbahn-Bundesamt in irgendeiner Weise
genehmigt hat – 900 Millionen Euro herausgerechnet
Auch das muss einmal gesagt werden. haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das NEN]: Nichts ist genehmigt!)
ist auch eine Volksabstimmung!)
– Nichts ist genehmigt!
Daher: Auch und gerade im Interesse der jungen Genera-
tion lohnt sich der Einsatz für Stuttgart 21, und deshalb (Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU)
werben wir für dieses wichtige Zukunftsprojekt. – Lassen Sie mich ausreden, vielleicht werden Sie da-
Vielen Dank. durch ein bisschen klüger, Herr Kauder. – 900 Mil-
(B) lionen Euro: 600 Millionen Euro kamen durch Planungs- (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) verbesserungen und 300 Millionen Euro dadurch zu-
stande, dass man ein anderes Druckverhältnis im Gestein
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: angenommen hat, ohne dass das Eisenbahn-Bundesamt
Nächster Redner ist der Kollege Uwe Beckmeyer für einen Haken daran gemacht und dies gebilligt hätte. Das
die SPD-Fraktion. waren eigene, interne Berechnungen. Das korrespondiert
mit der Aussage, die Herr Grube in der damaligen Zeit
(Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜND-
gemacht hat. Er hat gesagt: „Wir bauen Tunnels, keine
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber kein Ha-
Bunker“. Aber wir alle wollen doch hoffentlich sichere
fen, Herr Beckmeyer!)
Tunnel haben. Das ist der entscheidende Punkt.
Uwe Beckmeyer (SPD): (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herren! Hier hat jemand sein Manuskript liegen lassen. Wir wollen in dieser Frage Klarheit und Transparenz;
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: denn in dieser Frage sind Klarheit und Transparenz nö-
Dann nimm doch die Rede, die ist besser! – tig.
Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht jeder, der ei-
Die CDU/CSU muss sich fragen, ob sie will, dass die nen Tunnelblick hat, ist ein Tunnelexperte!)
Legitimation durch das Parlament hergestellt wird oder Das Argument kann nicht der Wasserwerfer sein. Sie
durch Facebook. greifen hier und heute in die Streusandbüchse, um dem
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) deutschen Volk Sand in die Augen zu streuen. Wir wol-
len Transparenz; das ist das Entscheidende. Bei Ihnen
Diese Frage habe ich mir eben gestellt. Was die Legiti- sollte Nachdenklichkeit einkehren. Sie sollten darüber
mation durch Parlamente anbelangt – ich erinnere an die nachdenken, wie das zustande gekommen ist.
Ausführungen von Herrn Dr. Grube von der DB AG –,
so muss man unsere Entscheidung, die wir im Jahre Die Fernsehbilder von unsäglichen Szenen haben
2005 getroffen haben, erklären. Immer wieder wird das dazu beigetragen, dass die Menschen in ganz Deutsch-
Argument angeführt, dass die andere Seite des Parla- land betroffen sind. Diese Bilder haben unsägliche Vor-
mentes Stuttgart 21 mit beschlossen hat. Der vorliegende gänge und das Verhalten eines Staates gezeigt, wie ich
Beschluss ist konditioniert, und zwar dergestalt, dass uns ihn mir nicht vorstelle. Das kann nicht unser Verständnis
6762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

Uwe Beckmeyer
(A) eines demokratisch verfassten Staates sein, eines Staates, Gerichte überprüfen. Über Stuttgart 21 haben Parla- (C)
der demokratische Prinzipien hat, die wir in diesem mente hundertfach und Gerichte zigfach entschieden.
Hause verteidigen und für die wir eintreten. So nicht! Die Zahl der Einsprüche von Bürgerinnen und Bürgern,
Sorgen Sie bitte schön dafür, dass die Verantwortlichen die behandelt worden sind, ist nicht vier-, sondern fünf-
in Baden-Württemberg diese Vorgehensweise sein las- stellig. Was aber ist, wenn demokratisch gefällte und ge-
sen. Das ist der erste entscheidende Punkt. richtlich überprüfte Entscheidungen bei nicht wenigen
Menschen keine Akzeptanz finden, Demonstrationen es-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
kalieren, die Fronten sich verhärten, ein Dialog unmög-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
lich wird, die Stimmung zunehmend vergiftet wird? Ich
Ich komme zu meinem zweiten Punkt. Herr Hundt, möchte Ihnen ehrlich sagen: Auch ich habe keine Patent-
der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Ar- lösung. Was ist zu tun, wenn demokratische Entschei-
beitgeberverbände, hat in der Stuttgarter Zeitung gesagt, dungen bei vielen in der Bevölkerung nicht den hinrei-
die Kosten von S 21 könnten kein Kriterium sein. chenden Widerhall finden? Ich finde, die beste Antwort
hat Joachim Gauck gegeben. Er hat gesagt:
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sind ja nicht seine Gelder!) Und diese Entscheidungen jetzt nicht zu vollziehen,
Da frage ich mich: Wo leben wir eigentlich? Ist S 21 sa- das wäre ja fast eine Straftat. Die Politiker, die jetzt
krosankt? Kann es kosten, was es wolle? sagen, ich baue einfach nicht weiter, die dürfen das
gar nicht tun, wenn sie sich selbst ernst nehmen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Waren Sie nicht
mal dafür in Stuttgart? Der Landtag hat das be- Ich weiß keine bessere Antwort als Joachim Gauck.
schlossen!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf
Nein! Legitimation, Transparenz und vor allen Dingen von der LINKEN: Das ist bedauerlich!)
Wirtschaftlichkeit sind bei diesem Projekt notwendig. In
erster Linie ist die Bundesregierung gefordert; denn im Es muss bei dem, was tausendfach entschieden und ge-
Hinblick auf die DB AG ist sie dafür zuständig, dass die richtlich überprüft worden ist, bleiben, und zwar nicht
Kontrollfunktion des Bundes in dieser Angelegenheit nur, weil es beschlossen worden ist, sondern auch, weil
wahrgenommen wird. wir nach wie vor von der Richtigkeit des Projekts über-
zeugt sind.
(Patrick Döring [FDP]: Ja, sicher!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist Aufgabe der Bundeskanzlerin, aber auch des Ver-
kehrsministers und des Finanzministers. Über die Sinnhaftigkeit des Projekts darf freilich ge-
(B) stritten werden – das ist keine Frage –, aber die Legiti- (D)
Sorgen Sie dafür, dass die Kriterien der Wirtschaft- mation der gefundenen Entscheidung darf nicht infrage
lichkeit und der Transparenz eingehalten werden! Dann gestellt werden. Das wäre, um noch einmal mit Gauck zu
werden wir uns mit Ihnen unterhalten. Hoffentlich wer- sprechen, „eine Straftat“,
den uns, Herrn Geißler und all denen, die jetzt diskutie-
ren, endlich die richtigen Zahlen genannt, damit wir uns (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND-
mit dem Projekt ordentlich auseinandersetzen können. NIS 90/DIE GRÜNEN)
Herzlichen Dank. und zwar nicht wegen der Schiene und des Bahnhofs,
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sondern weil das ein Angriff auf unsere parlamentari-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sche Demokratie wäre. Wer sich über die Parlamente,
wer sich über die Gerichte stellt, wer sozusagen eine hö-
here Wahrheit für sich in Anspruch nimmt, der hat nicht
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
begriffen, dass eine Demokratie eine solche höhere
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Wahrheit schlichtweg nicht kennt.
Thomas Strobl für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Kauder [CDU/CSU]: Jetzt aber!) Florian Pronold [SPD]: Eine höhere Wahrheit
gibt es auch nicht durch Wasserwerfer!)
Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Weil die Demokratie letztlich davon lebt, müssen wir
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und wieder zu einem Diskurs, zu Gesprächen zwischen Be-
Herren! Das Projekt Stuttgart 21 ist zunächst ein Schie- fürwortern und Gegnern kommen. Deswegen akzeptie-
nen- und Bahnhofsprojekt in Baden-Württemberg. Es ist ren wir – das hat Ministerpräsident Mappus heute Mittag
aber gleichsam zu einer Chiffre geworden, die für Frage- im Landtag von Baden-Württemberg gesagt – den vom
stellungen steht, die unsere parlamentarische Demokra- Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag von Ba-
tie, unseren Rechtsstaat und die Zukunft unseres Landes den-Württemberg vorgeschlagenen Vermittler Heiner
betreffen. Geißler. Der baden-württembergische Ministerpräsident
und jener Fraktionsvorsitzende der Grünen haben übri-
In einer parlamentarischen Demokratie entscheiden
gens schon einmal zu Gesprächen eingeladen – erfolg-
frei gewählte Parlamente,
los. Es geht nämlich nicht, dass von einer Seite Vorbe-
(Zuruf von der SPD: Und das Volk!) dingungen diktiert werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6763
Thomas Strobl (Heilbronn)
(A) (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Andere, die die Verfassung von Baden-Württemberg of- (C)
NEN]: Dann müssen wir die Vorbedingung des fensichtlich etwas besser kennen als Sie, Herr Friedrich,
Weiterbauens infrage stellen!) streben jetzt ein Volksbegehren zur Auflösung des Land-
tags an. Das lässt tief blicken. Das zeigt, dass es längst
Diese Vorbedingungen werden diktiert, weil manche in
nicht mehr nur um Stuttgart 21 geht, sondern auch um
Wahrheit gar keinen Dialog wollen.
die nächste Landtagswahl.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Heike Hänsel [DIE LINKE]: Einfach Fakten (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
schaffen!) Das hat doch Frau Merkel gesagt!)

Nicht allen, aber manchen geht es nicht um Dialog und Es geht darum, eine bürgerliche Regierung zu schleifen,
Auseinandersetzung. Einigen geht es um Krawall, um die seit Jahrzehnten so erfolgreich ist, dass das Land Ba-
das Dagegensein, um das Diskreditieren von Parlamen- den-Württemberg nicht nur an der Spitze Deutschlands,
ten und das Brüskieren von gewählten Regierungen; sondern ganz Europas steht.
aber das akzeptieren wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie missbrauchen und instrumentalisieren Stuttgart 21
Wir setzen auf die Kraft des Arguments. Lassen Sie uns für billige Wahlkampfzwecke. Das ist die Wahrheit.
alle mithelfen – ich spreche all diejenigen an, die gute (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Argumente nicht zu fürchten brauchen –, dass es zu ei- Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
nem Dialog kommt. Wenden Sie sich an die Kanzlerin!)
Lassen wir die Kirche einmal im Dorf. Bei
Im Übrigen verteidigen die Befürworter des Projekts
Stuttgart 21 geht es um die Modernisierung eines Eisen-
eine Infrastrukturmaßnahme, die vor 20 Jahren auf den
bahngleises aus dem vorletzten Jahrhundert. Um 1850
Weg gebracht wurde. Damals hatte noch niemand den
wurde diese Schiene verlegt. Heute sollen darauf Inter-
27. März 2011 auf dem Schirm. Die Befürworter könn-
cityzüge mit 10 000 PS fahren. Sie fahren zwischen Paris
ten es sich einfach machen und einknicken; aber die Be-
und Wien mit 300 Stundenkilometern, und die Schwäbi-
fürworter stehen zu ihren Überzeugungen. Lassen Sie
sche Alb hinauf schnaufen sie mit 50, 60 Stundenkilo-
uns alle, auch wenn wir in der Sache streiten, nicht so
metern. Dazu kommt der Umbau eines 100 Jahre alten,
sehr an die nächste Landtagswahl denken, sondern lieber
heruntergekommenen Kopfbahnhofs. Wenn wir es in
an die nächste Generation.
Deutschland nicht schaffen, so etwas zu modernisieren,
dann ist es um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes Vielen Dank.
(B) schlecht bestellt. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Eine letzte Bemerkung, die zur Wahrheit gehört: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Manche sind etwas früh in den Landtagswahlkampf ein- Die Aktuelle Stunde ist beendet.
gestiegen. Für die SPD war das ein Fehlstart. Sie wissen
jetzt gar nicht mehr, ob Sie für oder gegen das Projekt Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
sind. Der Beitrag meines Vorredners hat das sehr deut- ordnung.
lich gezeigt. Jetzt flüchten Sie sich in den Populismus Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
und fordern eine Volksbefragung, destages auf morgen, Donnerstag, den 7. Oktober, 9 Uhr,
(Ute Vogt [SPD]: Demokratisch!) ein.
die die Verfassung von Baden-Württemberg aber leider Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und schließe
– das ist schade – nicht vorsieht. die Sitzung.
(Zuruf des Abg. Peter Friedrich [SPD]) (Schluss: 17.20 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6765

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Binder, Karin DIE LINKE 06.10.2010 Dr. Steinmeier, Frank- SPD 06.10.2010
Walter
Bülow, Marco SPD 06.10.2010
Strässer, Christoph SPD 06.10.2010*
Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 06.10.2010*
Land), Axel E. Strenz, Karin CDU/CSU 06.10.2010*

Friedhoff, Paul K. FDP 06.10.2010 Toncar, Florian FDP 06.10.2010

Fritz, Erich G. CDU/CSU 06.10.2010* Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.10.2010

Götz, Peter CDU/CSU 06.10.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 06.10.2010*

Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 06.10.2010 Wieczorek-Zeul, SPD 06.10.2010


Heidemarie
Haibach, Holger CDU/CSU 06.10.2010*
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 06.10.2010
Hörster, Joachim CDU/CSU 06.10.2010* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Klöckner, Julia CDU/CSU 06.10.2010 ** für die Teilnahme an der 123. Jahreskonferenz der Interparlamenta-
rischen Union
Krestel, Holger FDP 06.10.2010
(B) (D)
Krüger-Leißner, SPD 06.10.2010** Anlage 2
Angelika
Antwort
Marks, Caren SPD 06.10.2010
des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die
Meierhofer, Horst FDP 06.10.2010 Frage des Abgeordneten Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 2):
Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 06.10.2010
Wie beurteilt die Bundesregierung die von der UN-Men-
DIE GRÜNEN schenrechtskommissarin Navi Pillay erhobenen schweren
Vorwürfe gegen Deutschland, „die anhaltende Rückführung
Oswald, Eduard CDU/CSU 06.10.2010 der Roma von Deutschland in das Kosovo habe verheerende
Folgen für die Rechte der Kinder“, sowie ihre Klage über eine
Ploetz, Yvonne DIE LINKE 06.10.2010 „unglaubliche Diskriminierung“, und beabsichtigt die Bundes-
regierung vor diesem Hintergrund, die Rückführungen der
Roma in das Kosovo auszusetzen bzw. entsprechend dem Vor-
Rupprecht SPD 06.10.2010* schlag der UN-Menschenrechtskommissarin ihnen einen ver-
(Tuchenbach), besserten Zugang zu Bildung und anderen Leistungen wie
Marlene medizinische Versorgung, angemessene Unterkünfte und Ar-
beitsmöglichkeiten einzuräumen?
Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 06.10.2010
Die Bundesregierung hat eine eigene Einschätzung
Scholz, Olaf SPD 06.10.2010 der Sicherheitslage in Kosovo unter Beiziehung von Be-
richten internationaler Organisationen vorgenommen
Schreiner, Ottmar SPD 06.10.2010 und ist zu der Auffassung gelangt, dass keine unmittel-
bare Gefährdung nur aufgrund der Zugehörigkeit zu
Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 06.10.2010 einer bestimmten Ethnie besteht. Im Übrigen sind wirt-
schaftliche oder soziale Aspekte im Zielstaat grund-
Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 06.10.2010 sätzlich nicht ausschlaggebend für die Frage der Rück-
führbarkeit einer Person. Vielmehr richten sich die
Dr. Solms, Hermann FDP 06.10.2010 Ausreisepflicht und der Vollzug von Rückführungen
Otto nach den Bestimmungen des deutschen Aufenthaltsge-
setzes.
6766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Die Roma, die wegen des Balkankrieges 1999 und Anlage 4 (C)
später nach Deutschland gekommen sind, waren seit je-
Antwort
her ausreisepflichtig. Aus Sicherheitsgründen konnten
sie nicht so früh wie albanische Volkszugehörige nach des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die
Kosovo zurückkehren; daher wurden ihnen in den Folge- Frage des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜND-
jahren immer wieder Duldungen erteilt. Die Situation NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 4):
hat sich inzwischen verändert. Eine Rückkehr in das Ko- Warum wurde gerade jetzt und so massiv gegen die seit
sovo ist unter dem Sicherheitsaspekt nunmehr vertretbar Wochen friedlich gegen das Projekt Stuttgart 21 demonstrie-
und zumutbar. renden Bürgerinnen und Bürger vorgegangen?

Im Rahmen der geltenden landesrechtlichen Bestim- Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkennt-
mungen und der Organisation des Rückführungsvollzugs nisse vor.
wird den Kindern der Schulbesuch in Deutschland er-
möglicht und darauf geachtet, dass Familien mit schul-
pflichtigen Kindern möglichst erst nach Ende des Schul- Anlage 5
jahres bzw. Schulhalbjahres nach Kosovo zurückgeführt Antwort
werden.
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
In Kosovo gilt die allgemeine Schulpflicht; die Mög- der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/
lichkeit zum Besuch von Schulen und Bildungseinrich- DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 7):
tungen ist grundsätzlich auch für die Minderheiten- Hält die Bundesregierung an ihrem Ziel fest, die Gewerbe-
Volksgruppen der Roma, Ashakli und Ägypter möglich; steuer durch kommunale Zuschläge auf die Einkommen-,
Einschränkungen können sich für sozial schlecht ge- Körperschaft- und Abgeltungsteuer zu ersetzen, nachdem der
stellte Personen – unabhängig von ihrer Ethnie – durch bayerische Staatsminister der Finanzen, Georg Fahrenschon,
am Montag, dem 27. September 2010, erklärt hat, dass der
die Nebenkosten des Schulbesuches ergeben. Die koso- Freistaat Bayern allenfalls zu kleinen Korrekturen an der Ge-
varische Regierung bemüht sich im Rahmen ihrer Strate- werbesteuer bereit sei?
gie zur Integration der Roma Gemeinschaften unter
anderem darum, Benachteiligungen beim Zugang zu Bil- Ziel der Bundesregierung ist, die kommunalen Finan-
dung weiter abzubauen. zen zu stabilisieren, um die finanzielle Handlungsfähig-
keit der Kommunen zu sichern. Zu diesem Zweck hat
Zudem unterstützt das vom Bund und den Ländern die Bundesregierung die Gemeindefinanzkommission
Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfa- eingesetzt. Die Gemeindefinanzkommission hat unter
len und Sachsen-Anhalt durchgeführte Rückkehrprojekt anderem den Auftrag, Vorschläge zur Zukunft der Ge-
(B)
„URA 2“ die Rückkehrer aller Ethnien und ohne Rück- werbesteuer unter Einbeziehung von Alternativmodellen (D)
sicht auf die Umstände ihrer Rückkehr bei ihrer Wieder- zu unterbreiten. Das derzeit von der Gemeindefinanz-
eingliederung mit vielfältigen Angeboten, die zum reform vorrangig untersuchte Prüfmodell sieht die Ab-
Beispiel auch Arbeits- und Wohnraumvermittlung be- schaffung der Gewerbesteuer und kommunale Zuschläge
inhalten. auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer vor und
würde zu einer deutlich stabileren Einnahmebasis der
Die Bundesregierung sieht daher keine Veranlassung, Gemeinden führen. Die von der Gemeindefinanzkom-
die Aussetzung der schrittweisen Rückführungen von mission eingesetzte Arbeitsgruppe „Kommunalfinan-
Roma nach Kosovo gegenüber den Ländern anzuregen. zen“ prüft gegenwärtig Fortentwicklungsmöglichkeiten
des ursprünglichen Prüfmodells und setzt sich dabei
auch mit alternativen Modellvorschlägen auseinander.
Anlage 3 Die Bundesregierung sieht keinen Grund, warum die
Gemeindefinanzkommission ihren Arbeitsauftrag nicht
Antwort erfüllen sollte.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die
Frage des Abgeordneten Winfried Hermann (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 3): Anlage 6

Trifft es zu, dass an dem Polizeieinsatz am Schlossgarten Antwort


in Stuttgart am 30. September 2010 Kräfte der Bundespolizei
beteiligt waren, und, wenn ja, welche Einsatzpläne lagen da-
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
für vor? der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 8):
Die Bundespolizei hat das Land Baden-Württemberg Um wie viele Punkte müssten die Umsatzsteueranteile der
auf der Grundlage des § 11 des Bundespolizeigesetzes Kommunen erhöht werden, damit der von dem bayerischen
mit einer Einsatzhundertschaft und einer Beweis- und Staatsminister der Finanzen, Georg Fahrenschon, vorgeschla-
Festnahmehundertschaft unterstützt. gene Verzicht auf sogenannte Hinzurechnungen bei den Kom-
munen kompensiert werden kann, und ist diese Maßnahme
Die Bundespolizei wurde gemäß den polizeilichen geeignet, die Gemeindefinanzen zu stärken, insbesondere
finanzschwachen Kommunen zu helfen?
Befehlen und Durchführungsplänen des Landes Baden-
Württemberg im Rahmen des Unterstellungsverhältnis- Ziel der Bundesregierung ist es, die kommunalen
ses eingesetzt. Finanzen zu stabilisieren, um die finanzielle Handlungs-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6767

(A) fähigkeit der Kommunen zu sichern. Zu diesem Zweck Kommission im Rahmen eines Gesamtpaketes auf Maß- (C)
prüft die Gemeindefinanzkommission Vorschläge zur nahmen zur Stärkung der Kommunalfinanzen verständi-
Zukunft der Gewerbesteuer unter Einbeziehung von Al- gen.
ternativmodellen.
Die Bundesregierung sieht keinen Grund, warum die
Anlage 8
Gemeindefinanzkommission ihren Arbeitsauftrag nicht
erfüllen sollte. Antwort
Die Kommission lässt derzeit ein Prüfmodell untersu- des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage
chen, das im Wesentlichen den Ersatz der Gewerbesteuer des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksa-
durch hebesatzbewährte Zuschläge zur Einkommen- und che 17/3113, Frage 10):
Körperschaftsteuer sowie einen höheren Anteil der In welchem Umfang haben im Hinblick auf Presseveröf-
Kommunen an der Umsatzsteuer vorsieht. Ziel ist eine fentlichungen in der FAZ vom 29. September 2010 zum Haus-
Verstetigung und damit Stabilisierung und Stärkung der haltsbericht 2009 der Europäischen Union – „8,1 Milliarden
Euro netto für die EU“ – jeweils im Einzelnen die Bundesre-
kommunalen Einnahmen bei gleichzeitig möglichst ge- gierung – nach Bundesministerien – und die Bundesländer
ringen interkommunalen Umverteilungswirkungen. Die – nach Ländern – Rückflüsse von EU-Mitteln erhalten?
Arbeiten hierzu dauern noch an. Ergebnisse liegen noch
nicht vor. Insgesamt entfielen auf Deutschland im Jahr 2009
Rückflüsse in Höhe von 11,7 Milliarden Euro. Diese tei-
len sich wie folgt auf:
Anlage 7 Rubrik 1 a: Wettbewerbsfähigkeit: 1,44 Milliarden
Antwort Euro;

des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage Rubrik 1 b: Kohäsion: 3,31 Milliarden Euro;
des Abgeordneten Stefan Schwartze (SPD) (Druck- Rubrik 2: Natürliche Ressourcen (Landwirtschaft):
sache 17/3113, Frage 9): 6,68 Milliarden Euro;
Wie bringt die Bundesregierung die erneute Kostenbelas-
tung für Kommunen in Einklang mit der Einsetzung der Ge-
Rubrik 3 a: Freiheit, Sicherheit und Recht: 0,44 Milliar-
meindefinanzkommission, die nach Möglichkeiten suchen den Euro;
soll, die Finanzsituation der Kommunen zu stärken?
Rubrik 3 b: Unionsbürgerschaft: 0,5 Milliarden Euro;
Die von der Bundesregierung eingesetzte Gemeinde-
Rubrik 4: Die EU als globaler Akteur: keine Rück-
(B) finanzkommission erarbeitet gegenwärtig Vorschläge, (D)
flüsse für Deutschland, da diese Gelder an
die Finanzen der Kommunen auf eine stabile Grundlage
Länder außerhalb der EU fließen;
zu stellen. Es besteht Einvernehmen bei allen Beteilig-
ten, dass die aktuellen Probleme der Kommunen nicht Rubrik 5: Verwaltung: 0,18 Milliarden Euro.
allein über die Einnahmeseite zu lösen sind.
Über 85 Prozent der Rückflüsse nach Deutschland
Deswegen werden auch Entlastungsmöglichkeiten kamen in 2009 den Bereichen Kohäsionspolitik – Ru-
auf der Ausgabenseite geprüft, zum Beispiel durch Fle- brik 1 b – und Agrarpolitik – Rubrik 2 – zugute. Die
xibilisierung von Standards. Auf der Basis der Ergeb- Rückflüsse aus dem EU-Haushalt fließen zum größten
nisse der eingesetzten Arbeitsgruppen wird sich die Teil in die Bundesländer.

Die Bundesministerien haben in 2009 aus Rückflüssen der EU nachfolgend dargestellte Einnahmen erzielt
(in Millionen Euro):

Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt 0,28


Auswärtiges Amt –
Bundesministerium des Innern 44,9
Bundesministerium der Justiz 0,06
Bundesministerium der Finanzen 0,43
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 0,18
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 11,8
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) 254,9
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) 137,6
Bundesministerium für Gesundheit 0,65
6768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) (C)
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 0,2
Bundesministerium für Bildung und Forschung 0,19
Allgemeine Finanzverwaltung 0,6
Gesamt 451,12

In diesen Beträgen sind Mittel aus dem Europäischen möglich. Zudem fließen diese teilweise auch an private
Sozialfonds, ESF, an das BMAS und der Transeuropäi- Einrichtungen.
schen Netze, TEN, an das BMVBS enthalten.
Nach Mitteilung der Kommission flossen in der Ru-
Eine Zuordnung der Rückflüsse aus der Rubrik 1 a brik 1 b – Kohäsion – 2009 insgesamt rund 3,3 Milliar-
– Wettbewerbsfähigkeit – auf den Bund und die Bundes- den Euro zurück. Der überwiegende Teil dieser Rück-
länder ist aufgrund der Vielzahl der Programme nicht flüsse entfiel auf die ostdeutschen Bundesländer.

Aufteilung der Rückflüsse aus den Strukturfonds (Rubrik 1 b) auf die Bundesländer

EFRE ESF EFRE + ESF


Millionen Euro Millionen Euro Millionen Euro
Baden-Württemberg 3,6 59,1 62,7
Bayern 32,9 9,3 42,2
Berlin 21,9 96,3 118,2
Bremen 10,6 17,2 27,8
Hamburg 0,9 10,1 11,0
Hessen 25,8 37,2 58,5
Niedersachsen 194,1 57,9 252,0
(B) (D)
Nordrhein-Westfalen 84,9 78,5 163,4
Rheinland-Pfalz 19,2 23,8 43,0
Saarland 4,9 4,7 9,6
Schleswig-Holstein 39,5 22,4 61,9
Brandenburg 196,5 67,5 61,9
Mecklenburg-Vorpommern 392,6 24,5 417,1
Sachsen 286,3 69,9 356,2
Sachsen-Anhalt 391,1 52,3 394,1
Thüringen 183,4 92,6 235,7
Bundesprogramm ESF 242,9 141,9
Bundesprogramm Verkehr 38,0 38,0
Gesamt 1.926,1 966,2 2.892,3

Die Zahlungen aus dem EFRE (Bundesprogramm In der Rubrik 2, Landwirtschaft und Fischerei, vertei-
Verkehr) und dem ESF für die operationellen Bundes- len sich die Rückflüsse wie folgt:
programme in Höhe von 38 Millionen Euro bzw.
242,9 Millionen Euro sind nicht weiter auf die Bundes- – Direktzahlungen und marktbezogene Ausgaben,
länder aufteilbar. EGFL,: 5,7 Milliarden Euro;
Die Abweichungen der von der EU-Kommission mit-
geteilten Summe der Gesamtrückflüsse der Rubrik 1 b – Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums,
und der Gesamtsumme in der Aufteilung für die Bundes- ELER,: 0,93 Milliarden Euro;
länder ist bedingt durch die Zeitspanne zwischen Zah-
lungsausgang, EU-KOM, und Zahlungseingang, Bun- – Fischereifonds, EFF,: 0,025 Milliarden Euro.
deskasse, zum Jahresende/Jahresanfang.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6769

(A) Die Rückflüsse des EGFL auf die Bundesländer (im Wesentlichen landwirtschaftliche Direktzahlungen) teilen (C)
sich wie folgt auf:

2009 in Euro Anteil in %


Baden-Württemberg 439.081.802 7,9
Bayern 1.115.440.421 20,0
Brandenburg und Berlin 379.137.188 6,8
Hamburg 108.600 0,0
Hessen 228.148.181 4,1
Mecklenburg-Vorpommern 421.442.061 7,6
Niedersachsen + Bremen 929.852.715 16,7
Nordrhein-Westfalen 541.780.705 9,7
Rheinland-Pfalz 196.890.728 3,5
Saarland 19.488.857 0,3
Sachsen 302.084.207 5,4
Sachsen-Anhalt 384.104.193 6,9
Schleswig-Holstein 359.522.466 6,5
Thüringen 254.016.364 4,6
Gesamt 5.571.098.489
Die ELER-Mittel verteilen sich wie folgt:

(B) Überweisungsbetrag 2009 inkl. (D)


Anteil in %
Vorschuss in Euro
Baden-Württemberg 81.938.633 8,8
Bayern 185.824.248 19,9
Brandenburg und Berlin 123.469.633 13,2
Hamburg 1.472.122 0,2
Hessen 33.312.523 3,6
Mecklenburg-Vorpommern 81.580.558 8,8
Niedersachsen und Bremen 122.126.553 13,1
Nordrhein-Westfalen 43.860.333 4,7
Rheinland-Pfalz 36.017.771 3,9
Schleswig-Holstein 28.058.432 3,0
Saarland 3.916.598 0,4
Sachsen 73.613.488 7,9
Sachsen-Anhalt 43.520.088 4,7
Thüringen 73.121.601 7,8
Deutsche Vernetzungsstelle (Bund) 454.566 0,0
Gesamt 932.287.147,26
Hinweis: Zahlendifferenzen durch Rundungen möglich.
6770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Anlage 9 auch Deutschland zählt, wurde ein Gemeinschaftsbeitrag (C)


von insgesamt 995 Millionen Euro eingeplant. Es handelt
Antwort sich hierbei um Gas- und Strominfrastrukturvorhaben,
des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage Offshore-Windenergie und CO2-Abscheidung und -Spei-
des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksa- cherung. Bei einigen der Vorhaben sind mehrere EU-Mit-
che 17/3113, Frage 11): gliedstaaten beteiligt. Die genaue Aufteilung der Sum-
men hängt zum einen davon ab, wie die durchführenden
Welche Projekte in Deutschland sollen bzw. werden mit- Unternehmen diese beantragen, zum anderen, welcher Be-
hilfe des europäischen Konjunkturprogramms – jeweils mit
Angabe des Investitionsvolumens und der geplanten EU-Zu- trag nach Prüfung der Projektanträge zugestanden wird.
schüsse – finanziert?
Mit Datum 5. Oktober 2010 hat die EU-Kommission
Die Verordnung über ein Programm zur Konjunktur- mitgeteilt, dass bei den folgenden Projekten, zu deren
belebung für Vorhaben im Energiebereich (Verordnung Standort auch Deutschland zählt, zum Stichtag 1. Okto-
(EG) Nr. 663/2009 des Europäischen Parlaments und des ber 2010 eine Förderungsentscheidung getroffen und
Rates vom 13. Juli 2009) hat ein geplantes Volumen von ins- eine entsprechende Förderungsvereinbarung unterzeich-
gesamt 3,98 Milliarden Euro. Für Projekte, zu deren Standort net wurde:

Gas- und Strominfrastrukturvorhaben


Gas-Verbindungsleitungen

Standort der unterstützten EU-Kofinanzierungsbeitrag


Vorhaben
Vorhaben in Euro
NABUCCO Österreich, Ungarn, Bulgarien, 200 000 000,–
Deutschland, Rumänien

Strom-Verbindungsleitungen

Standort der unterstützten EU-Kofinanzierungsbeitrag


Vorhaben
Vorhaben in Euro

(B) Halle/Saale–Schweinfurt Deutschland 100 000 000,– (D)

Offshore-Windenergie

Standort der unterstütz- EU-Kofinanzierungs-


Vorhaben Kapazität
ten Vorhaben beitrag in Euro

Netzintegration der Offshore-Windenergie

Nordseenetz 1 GW Vereinigtes Königreich, 160 640 000,–


Niederlande, Deutschland,
Irland, Dänemark, Belgien,
Frankreich, Luxemburg

Neue Turbinen, Strukturen und Komponenten, Optimierung der Produktionskapazitäten

Borkum West II – Bard 1 – 1,6 GW Deutschland 204 340 893,–


Nordsee Ost – Global Tech I

CO2-Abscheidung und Speicherung

EU-Kofinanzie-
Name des Vor- Abscheidungs-
rungsbeitrag Brennstoff Kapazität Speicherkonzept
habens/Standort technik
in Euro
Jänschwalde/ 180 000 000,– Kohle 500 MW Oxyfuel Öl/Gasfelder
Deutschland
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6771

(A) Die EU-Kommission hat weiter mitgeteilt, dass EU- gende Vorhaben, zu dessen Standort auch Deutschland (C)
weit für elf weitere Vorhaben noch keine rechtlichen gehört, wurde nach den Ausführungen der EU-Kommis-
Verpflichtungen eingegangen wurden, dieses jedoch bis sion bislang noch keine rechtliche Verpflichtung einge-
Ende des Jahres 2010 erwartet wird. Für das nachfol- gangen:

Offshore-Windenergie

Geplanter Gemein-
Standort der unterstütz- schaftsbeitrag in Euro ge-
Vorhaben Kapazität
ten Vorhaben mäß Verordnung (EG)
Nr. 663/2009
1. Netzintegration der Offshore-Windenergie

1.1. Baltic – Kriegers 1,5 GW Dänemark, Schweden, 150 000 000,–


Flak I, II, III. Deutschland, Polen

Im Haushaltsjahr 2009 sind zudem 600 Millionen gig davon bleibt die Implementierung und effektive An-
Euro an Verpflichtungen aus dem ersten Teil des EU- wendung des OECD-Standards auf der Agenda der G20.
Konjunkturpakets dem ELER zur Verfügung gestellt
Die kürzlich mit Monaco und den Kaimaninseln un-
worden; für 2010 sind Mittel in Höhe von 420 Millionen
terzeichneten Abkommen über den steuerlichen Infor-
Euro beschlossen worden. Diese Mittel stehen für die
mationsaustausch entsprechen dem OECD-Standard. Sie
Förderung des Breitbands in ländlichen Regionen sowie
gewähren den deutschen Finanzbehörden Zugang zu al-
zur Finanzierung der neuen Herausforderungen der Ge-
len Informationen, die zur Durchführung des deutschen
meinsamen Agrarpolitik (Klimawandel, erneuerbare
Steuerrechts erforderlich sind. Dazu können auch Bank-
Energien, Wasserwirtschaft, biologische Vielfalt) ein-
informationen und Informationen über die Eigentums-
schließlich Umstrukturierung des Milchsektors zur Ver-
verhältnisse an juristischen Personen und anderen
fügung. Deutschland hat in 2009 einen Betrag von rund
Rechtsgebilden gehören. Die Unterzeichnung der Ab-
50,34 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt erhalten
kommen ist mit der Erwartung verbunden, dass Monaco
(2010: 35 Millionen Euro).
bzw. die Kaimaninseln sicherstellen, ihren Verpflichtun-
(B) gen aus dem Abkommen nachkommen zu können. (D)

Anlage 10 Beide Abkommen verbessern die Bekämpfung der


Steuerhinterziehung; denn sie bieten nach ihrem Inkraft-
Antwort treten die Möglichkeit, Sachverhalte durch entsprechende
Ersuchen aufzuklären. In der Vergangenheit konnten die
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage Verhältnisse in Monaco bzw. den Kaimaninseln genutzt
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) werden, um Steuern weitgehend risikolos hinterziehen
(Drucksache 17/3113, Frage 12): zu können. Nunmehr hat sich die Risikolage grundle-
Stimmt die Bundesregierung dem Ergebnis des aktuellen gend verändert; denn Ermittlungen in Monaco bzw. den
Berichts der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit Kaimaninseln werden jetzt möglich. Dies ist ein erhebli-
und Entwicklung – The Global Forum on Transparency and
Exchange of Information for Tax Purposes – zu, dass die mit
cher Fortschritt bei der Bekämpfung der Steuerhinterzie-
den Caymen Islands und Monaco abgeschlossenen Doppelbe- hung.
steuerungs- bzw. Informationsaustauschabkommen keinen ef-
fektiven Schutz gegen Steuerhinterziehung bieten, weil nicht Die beabsichtigte Erweiterung des Informationsaus-
sichergestellt ist, dass bestimmte Informationen über Anteils- tausches erfordert eine Revision des DBA-Singapur. Die
eigner und Identitätsnachweise vorliegen oder aktualisiert Bundesregierung prüft gegenwärtig, ob aus Anlass der
werden, ToR A.1, ToR A.2, und welche Position vertritt die anstehenden Abkommensrevision von der partiellen Frei-
Bundesregierung in der anstehenden Verhandlung des Dop-
pelbesteuerungsabkommens mit Singapur hinsichtlich der
stellungsmethode auf die Anrechnungsmethode gewech-
Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mittels An- selt werden soll.
rechnungs- oder Freistellungsmethode?

Die von Ihnen angesprochenen Berichte zeigen in Be- Anlage 11


zug auf einige Grundelemente für einen effektiven Infor-
mationsaustausch gewisse Mängel und Unzulänglichkei- Antwort
ten auf. Die Bundesregierung hält diese Feststellungen des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
für zutreffend und hat daher als Mitglied des Global Fo- der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
rums beiden Berichten zugestimmt. Die betroffenen (Drucksache 17/3113, Frage 13):
Staaten bzw. Gebiete, die den Berichten nicht widerspro-
Wie hoch ist die Einkommensteuerbelastung der Gruppe
chen haben, werden nach sechs Monaten bzw. zwölf von Beschäftigten, die etwa der Referenzgruppe für die Er-
Monaten über die Umsetzung der Empfehlungen zur Be- mittlung der neuen Hartz-IV-Regelsätze entspricht – bitte Ein-
seitigung der aufgezeigten Mängel berichten. Unabhän- zelbelastung absolut wie relativ nennen sowie das gesamte
6772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Steueraufkommen –, und wie viele Erwerbstätige – bitte jähr- mit Hartz-IV-Bezug mit bzw. ohne zusätzliche Landesförde- (C)
liche Zahlen seit 2005 nennen und möglichst nach verschiede- rung (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?
nen Erwerbsformen differenzieren – zahlen Einkommensteuer
und erhalten zugleich aufstockende Leistungen nach dem Die bundesweit 112 gemeinnützigen Familienferien-
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, SGB II? stätten bieten sowohl Quartiere für Selbstversorger als
Die für die Ermittlung der Hartz-IV-Regelsätze heran- auch die Verpflegungsvarianten Übernachtung mit Früh-
gezogene Gruppe von Haushalten lässt sich nicht ohne stück, Halbpension und Vollpension an, was sich
weiteres innerhalb der Einkommensteuerpflichtigen iden- naturgemäß auch in der Preisgestaltung niederschlägt.
tifizieren. Unterbringungs- und Verpflegungskosten sind ferner
nach dem Alter der Kinder gestaffelt. Die Kosten für den
In etwa vergleichbar könnte die Gruppe der Einkom- 14-tägigen Familienurlaub einer alleinerziehenden
mensteuerpflichtigen mit einem Gesamtbetrag der Ein- ALG-II-Empfängerin mit zwei Kindern reichen von
künfte bis 12 000 Euro bei Grundtabellenfällen bzw. bis 476 Euro bei Zeltübernachtung mit Vollpension, über
24 000 Euro bei Splittingtabellenfällen sein. Nach einer 588 Euro bei Ferienhausunterbringung mit Selbstversor-
Schätzung mit dem Einkommensteuermodell des Bun- gung bzw. 726 Euro für das Familienappartement mit
desministeriums der Finanzen gilt für diese Einkommen- Frühstück, bis hin zu 1 841 Euro für die Ferienhausun-
steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum 2010 Fol- terbringung bei voller Verpflegung – wobei es sich auch
gendes: hier nur um Beispiele handelt, die eine Preisspanne ab-
Es gibt in dieser Gruppe 13,2 Millionen Einkommen- bilden und über eine Stichprobe aus 30 Familienferien-
steuerpflichtige; das sind rund 36 Prozent aller Einkom- stätten ermittelt wurden. Familienferienstätten verfügen
mensteuerpflichtigen. Davon sind rund 2,4 Millionen durchschnittlich über 130 Betten – die kleinste Einrich-
steuerbelastet; das sind rund 9,3 Prozent aller Steuerbelas- tungsgröße liegt bei circa 65 Betten und die maximale
teten. Die für diese Gruppe festgesetzte Einkommensteuer Einrichtungsgröße bei circa 400 Betten.
beträgt 1,1 Milliarden Euro; das sind lediglich 0,6 Prozent Eine Aufstellung über die Anzahl der Familienferien-
des Gesamtaufkommens bezogen auf die festgesetzte stätten in den einzelnen Bundesländern sowie über Kos-
Einkommensteuer. Außerdem zahlen die sozialversiche- tenreduktionen bei einem 14-tägigen Familienurlaub
rungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer rund 20 Pro- einer alleinerziehenden ALG-II-Empfängerin mit zwei
zent ihres Bruttolohns als Sozialabgaben (Arbeitnehmer- Kindern, die sich aus der Individualbezuschussung
anteil). durch Landesmittel ergeben, füge ich als Anlage bei.
Zu den übrigen erfragten Sachverhalten liegen keine
Angaben vor.
Anlage 14
(B) (D)
Antwort
Anlage 12
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des
Antwort Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksa-
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des che 17/3113, Frage 16):
Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/3113, Wie will die Bundesregierung ihre in ihren Tourismuspoli-
tischen Leitlinien beschlossene Zielstellung: „Ziel der Bun-
Frage 14): desregierung ist die Teilhabe aller Bevölkerungskreise am
Ist die für diese Legislaturperiode angekündigte Touris- Tourismus. Auch Menschen mit gesundheitlichen, sozialen
muskonzeption für den ländlichen Raum schon in Arbeit, und oder finanziellen Einschränkungen sollen reisen können. Des-
wann genau kann mit ihrer Veröffentlichung gerechnet wer- halb werden Ferienunterkünfte zu erschwinglichen Preisen
den? gefördert.“ für auf Hartz IV angewiesene Familien mit Kin-
dern realisieren, wenn für ein schulpflichtiges Kind für „Be-
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP herbergungs- und Gaststättenleistungen“ im Jahr 42,12 Euro
sieht vor, eine Tourismuskonzeption für den ländlichen bzw. 57,36 Euro vorgesehen sind?
Raum zu erstellen. Die Bundesregierung hat mit der Vor-
bereitung der Tourismuskonzeption begonnen. Alle Vorrangiges Ziel der Grundsicherung für Arbeitsu-
betroffenen Ressorts werden in die Materialsammlung chende ist nicht in erster Linie die Umsetzung der touris-
eingebunden. Die Konzeption soll in dieser Legislatur- muspolitischen Leitlinien, sondern die schnellstmögli-
periode veröffentlicht werden. Ein konkreter Termin für che Eingliederung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
die Veröffentlichung steht noch nicht fest. in den Arbeitsmarkt. Diejenigen, die trotz intensiver Be-
mühungen keinen Arbeitsplatz finden oder mit ihrem Er-
werbseinkommen den Lebensunterhalt nicht sichern
Anlage 13 können, haben Anspruch auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts in Höhe des soziokulturellen Exis-
Antwort tenzminimums. Die Bundesregierung hat die Bemessung
der Regelbedarfe nach den Vorgaben des Bundesverfas-
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des
sungsgerichts in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 vor-
Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Druck-
zunehmen und einen entsprechenden Referentenentwurf
sache 17/3113, Frage 15):
vorbereitet. Auf dieser Grundlage wird den Leistungsbe-
Wie viele Urlaubsplätze stehen in den Ländern in Fami-
lienferienstätten zur Verfügung, und wie hoch sind die durch-
rechtigten das soziokulturelle Existenzminimum sicher-
schnittlichen Kosten für einen 14-tägigen Urlaub in einer Fa- gestellt, das ein Konsumverhalten vergleichbar mit
milienferienstätte für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern Haushalten im unteren Einkommensbereich ermöglicht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6773

(A) Die Bemessung der Höhe der Leistungen zur Siche- der Vereinten Nationen für eine Verlängerung des aus- (C)
rung des Lebensunterhalts erfolgt auf der Datengrund- laufenden Mandats des Internet-Governance-Forums
lage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, EVS, einsetzen.
die alle fünf Jahre durchgeführt wird. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat das Statistikmodell ausdrücklich als ein
geeignetes Instrument zur realitätsgerechten Bemessung Anlage 17
der zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzmi-
nimums erforderlichen Leistungen bestätigt. Bei der Antwort
Entscheidung, welche einzelnen Verbrauchspositionen des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des
als regelsatzrelevant einzustufen sind, wurde in der Ab- Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksache 17/3113,
teilung 11 „Beherbergungs- und Gaststättendienstleis- Frage 21):
tungen“ die Position „Übernachtungen“ nicht als regel- Wann wird der Bundesminister für Wirtschaft und Techno-
bedarfsrelevant berücksichtigt. Diese Ausgaben sind logie, Rainer Brüderle, ein „umfassendes Gesamtkonzept“ zur
dem Bereich Urlaub zuzuordnen, der als nicht existenz- Industriepolitik vorlegen, wie es von ihm am 23. September
sichernd anzusehen ist und folglich für den Regelbedarf 2010 im Handelsblatt angekündigt worden ist, und welche in-
haltlichen Schwerpunkte wird das Konzept enthalten?
nicht zu berücksichtigen ist.
Eine wettbewerbsfähige Industrie ist zentrale Voraus-
Es muss davon ausgegangen werden, dass auch Fami-
setzung für Wachstum und Beschäftigung in Deutsch-
lien mit niedrigem Einkommen, die keine Leistungen
land. Die Bundesregierung ist deshalb kontinuierlich
der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhalten, nicht
darum bemüht, gute Rahmenbedingungen für die indus-
durchgängig Urlaube finanzieren können.
trielle Produktion zu schaffen. Dazu gehören etwa die
Verfügbarkeit einer hinreichenden Zahl von Fachkräften,
eine verlässliche Energie- und Rohstoffversorgung, eine
Anlage 15 hohe Innovationsfähigkeit, offene Weltmärkte und ein
Antwort (kosten-)effizienter Umwelt- und Klimaschutz. Diese
Punkte werden auch Schwerpunkte des Konzepts bilden,
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage der das im Bundeswirtschaftsministerium derzeit vorbereitet
Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird. Bundesminister Brüderle wird das Konzept in
NEN) (Drucksache 17/3113, Frage 17): Kürze der Öffentlichkeit vorstellen.
Wie ist die im Energiekonzept der Bundesregierung er-
klärte Absicht zu verstehen, wonach „die Bundesregierung ab
2013 den im Haushaltsbegleitgesetz zu beschließenden Spit-
Anlage 18
(B) zenausgleich im Rahmen der Energie- und Stromsteuer nur (D)
noch gewähren wird, wenn die Betriebe einen Beitrag zu
Energieeinsparungen leisten“, wenn die Bundeskanzlerin nur
Antwort
wenige Tage später bezüglich des aktuell vom Bundeskabinett des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des
beschlossenen Haushaltsbegleitgesetzes zum Abbau von Aus-
nahmen bei der Ökosteuer gegenüber dem Bundesverband der Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksache 17/3113,
Deutschen Industrie e. V., BDI, erklärt: „Ich sage Ihnen zu, Frage 22):
dass wir über diese Regeln noch einmal sprechen“? Wie bewertet die Bundesregierung den Beschluss der
Wirtschaftsministerkonferenz vom 17./18. Juni 2010, mit dem
Das Energiekonzept der Bundesregierung sieht vor, festgestellt wird, dass dringend weiterer Verbesserungsbedarf
die beihilferechtliche Genehmigungsfähigkeit des Spit- am KfW-Sonderprogramm besteht, und welche Maßnahmen
zenausgleichs im Rahmen des Energiesteuer- und Strom- wird sie treffen?
steuergesetze ab 2013 durch einen Beitrag der Betriebe
Das KfW-Sonderprogramm wurde ins Leben gerufen,
zur Energieeinsparung zu erreichen. Die Äußerung der
um die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft vor
Bundeskanzlerin bezieht sich auf die Höhe des Spitzen-
dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise
ausgleichs 2011 und 2012.
sicherzustellen. Die gute konjunkturelle Erholung hat in
der Zwischenzeit auch im Finanzierungsbereich für Ent-
spannung gesorgt, sodass sich auch die Nachfrage nach
Anlage 16 Hilfen aus dem Sonderprogramm abschwächt. Das Son-
Antwort derprogramm läuft planmäßig zum Ende des Jahres aus.
Vor diesem Hintergrund beabsichtigt die Bundesregie-
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des rung keine weiteren Maßnahmen im KfW-Sonderpro-
Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ gramm.
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 20):
Unterstützt die Bundesregierung den Multi-Stakeholder-
Im Übrigen hat die Bundesregierung seit Einführung
Ansatz im Bereich der globalen Netzpolitik, und wird sie sich das KfW-Sonderprogramm intensiv begleitet. Dabei wurde
demnach während der nächsten Vollversammlung der Verein- insbesondere auf Zielgenauigkeit und Effizienz des Pro-
ten Nationen für eine Verlängerung des auslaufenden Mandats gramms geachtet. Infolgedessen wurden die Programm-
des im Rahmen des Weltgipfels der Informationsgesellschaft bedingungen mehrmals modifiziert, so wurde zuletzt das
eingerichteten Internet-Governance-Forums einsetzen?
Betriebsmittelangebot flexibilisiert. Die passgenaue Aus-
Die Bundesregierung unterstützt den Multi-Stakehol- richtung des Programms wurde auch durch die Evaluie-
der-Ansatz im Bereich der globalen Netzpolitik. Deshalb rung zum Zusageverhalten der KfW und der Geschäfts-
wird sie sich während der nächsten Vollversammlung banken bestätigt.
6774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Anlage 19 Anlage 20 (C)


Antwort Antwort
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 23): LINKE) (Drucksache 17/3113, Frage 24):
Welche Konditionen sind für die geplanten Kredite der Wie gestaltet sich beim Eingliederungstitel im SGB II der
KfW Bankengruppe für Offshore-Windparks vorgesehen, und Mittelabfluss bis zum Monat September 2010 – bitte absolut
sollen auch marktbeherrschende Energieversorgungsunter- wie relativ angeben –, und was sind, gemessen an den Teil-
nehmen wie Eon, RWE, Vattenfall und EnBW berechtigt sein, nehmerzahlen sowie dem Umfang der Mittel, die zehn größ-
zinsverbilligte Kredite in Anspruch zu nehmen? ten Arbeitsmarktinstrumente?

Die Bundesregierung hat mit dem Energiekonzept be- Zahlen zum monatlichen Bestand und Zugang von
schlossen, dass die KfW 2011 ein Sonderprogramm „Off- Personen in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik
shore-Windenergie“ mit einem Kreditvolumen von ins- können der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit
gesamt 5 Milliarden Euro zu Marktzinsen auf den Wege entnommen werden. Für den Zeitraum Januar bis Sep-
bringen wird. Das geplante Kreditangebot der Kreditan- tember 2010 verzeichneten demnach die folgenden zehn
stalt für Wiederaufbau für Offshore-Windparks soll Arbeitsmarktinstrumente die meisten Zugänge, kumu-
marktmäßig ausgestaltet sein. Eine Zinsverbilligung ist liert:
nicht geplant. Als Antragsteller kommen Projektgesell-
schaften – unabhängig von ihrem Gesellschafterkreis –
infrage.

Arbeitsmarktinstrumente mit den meisten kumulierten Zugängen Januar bis September 2010:

nachrichtlich:
Teilnehmerzugang
Instrumente der Arbeitsmarktpolitik seit Jahresbeginn
bis einschließlich
September 2010
1 Förderungen aus dem Vermittlungsbudget 1 105 443
(B) (D)
2 Teilnahmen an Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung 717 478
3 Arbeitsgelegenheiten nach § 16 d SGB II 596 861
darunter: Variante Mehraufwand 530 558
4 Berufliche Weiterbildung 165 999
5 Eingliederungszuschüsse (einschließlich § 421 f, p SGB III) 103 016
6 Kommunale Eingliederungsleistungen (flankierende Leistungen) nach § 16 a SGB II 58 751
7 Freie Förderung nach § 16 f SGB II 40 475
8 Eingelöste Vermittlungsgutscheine (bewilligt 1. Rate) 23 629
9 Einstiegsgeld – Variante: Beschäftigung 20 920
10 Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen 18 465
für August und September vorläufige und hochgerechnete Werte

Bis Ende September 2010 wurden bundesweit insge- gen nur für den Bereich der Bundesagentur für Arbeit
samt rund 4,3 Milliarden Euro für Leistungen zur Ein- vor. Nach Angabe der Bundesagentur sind bis Ende
gliederung in Arbeit einschließlich der beiden Sonder- September 2010 für Eingliederungsleistungen nach
programme des Bundes, Beschäftigungspakte für Ältere SGB II insgesamt rund 3,6 Milliarden Euro über die Fi-
und Kommunal-Kombi, verausgabt. Bezogen auf den nanzsysteme der BA ausgezahlt worden. Dies ent-
Ansatz im Bundeshaushalt 2010 in Höhe von 6,6 Mil- spricht rund 67 Prozent des aktuellen Bewirtschaftungs-
liarden Euro sind damit rund 65 Prozent der veran- solls, rund 5,4 Milliarden Euro; unter Berücksichtigung
schlagten Ausgabemittel abgeflossen. des aktuellen Umschichtungsbedarfs in das Verwal-
tungskostenbudget und der Einnahmen aus dem Forde-
Detaillierte Ausgabeninformationen bezogen auf ein- rungseinzug.
zelne Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik lie-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6775

(A) Die Ausgaben für die zehn größten Arbeitsmarktinstrumente sind im Folgenden aufgelistet: (C)

Ist-Ausgaben
Instrumente der Arbeitsmarktpolitik
in 1 000 Euro
1 Schaffung von Arbeitsgelegenheiten 1 163 679
2 Förderung der beruflichen Weiterbildung 620 692
3 Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung 402 635
4 Leistungen zur Beschäftigungsförderung (befristete) 371 042
5 Förderung der Berufsausbildung Benachteiligter 263 968
6 Eingliederungszuschüsse 211 538
7 Förderung aus dem Vermittlungsbudget 128 391
8 Eingliederungszuschüsse für Arbeitnehmer ab 50 Jahre 111 848
9 Einstiegsgeld 36 026
10 Zuschüsse an Arbeitgeber für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen 33 968
Detaillierte Ausgabeninformationen der zugelassenen kommunalen Träger liegen nicht vor.

Anlage 21 SGB XII. In diesem Fall werden die betreffenden Haus-


halte aus den Referenzhaushalten ausgeschlossen.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra- Zu Frage 28:
gen der Abgeordneten Elke Ferner (SPD) (Drucksache
Alle regelsatzrelevanten Positionen, für die keine An-
17/3113, Fragen 27 und 28):
gaben zu den Ausgaben veröffentlicht werden, gehen
Warum hat die Bundesregierung darauf verzichtet, die selbstverständlich voll in den regelsatzrelevanten Ver-
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, EVS, 2008 um die
Haushalte zu bereinigen, die lebensunterhaltssichernde Leis-
brauch mit ein und sind in den für alle Abteilungen ver-
(B)
tungen nach Kap. 3 Abschnitt 2 des SGB II, dem Dritten und öffentlichen Summen der regelbedarfsrelevanten Ausga- (D)
Vierten Kapitel des SGB XII, den §§ 2 und 3 des Asylbewer- ben enthalten (jeweils letzte Spalte der Tabellen ab
berleistungsgesetzes, AsylbLG, und dem Bundesausbildungs- Seite 84 des konsolidierten Referentenentwurfs).
gesetz empfangen, um anschließend die verbleibenden Haus-
halte in Quintile einzuteilen und dann das unterste Quintil als
Referenzgruppe zu betrachten?
In welchem Umfang werden die nicht veröffentlichten Anlage 22
Positionen aus der EVS 2008 jeweils als regelsatzrelevant an-
erkannt?
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
Zu Frage 27: Frage des Abgeordneten Anton Schaaf (SPD) (Drucksa-
Wie bei allen vorhergehenden Neubemessungen wur- che 17/3113, Frage 29):
den selbstverständlich zunächst die Haushalte aus der Mit welcher Begründung hat die Bundesregierung darauf
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ausgeschlos- verzichtet, bei der Bestimmung der Referenzhaushalte alle
Haushalte herauszurechnen, die lebensunterhaltsichernde Leis-
sen, für die die Ermittlung der Regelbedarfe erfolgt, und tungen nach dem Kap. 3 Abschnitt 2 des SGB II, dem Dritten
dann die Referenzgruppe festgelegt (siehe hierzu die Er- und Vierten Kapitel des SGB XII, den §§ 2 und 3 AsylbLG und
läuterungen im konsolidierten Referentenentwurf auf der dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, BAföG, erhalten,
Seite 82 f. und der Seite 129 ff.). Bezieher von Leistun- und wie rechtfertigt die Bundesregierung den Verzicht auf die
Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes, „bei der Auswer-
gen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen tung künftiger Einkommens- und Verbrauchsstichproben da-
nicht ausgeschlossen werden, weil sie in den Sonderaus- rauf zu achten, dass Haushalte, deren Nettoeinkommen unter
wertung nicht vertreten sind. Auch für den Bezug von dem Niveau der Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialge-
Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsge- setzbuch und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch inklusive
setz gilt: Personen, die diese Leistungen beziehen, wer- der Leistungen für Unterkunft und Heizung liegt, aus der Re-
ferenzgruppe ausgeschieden werden“ (BVerfG, 1 BvL 1/09
den nur in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vom 9. Februar 2010, Randnummer 169)?
befragt, wenn sie einen eigenen Haushalt haben. Ferner
lässt der Bezug von diesen Leistungen keine Rück- Nach der Begründung zu § 3 Regelbedarfs-Ermitt-
schlüsse auf die Einkommenshöhe zu, sie decken ausbil- lungsgesetz werden bei den Referenzhaushalten nur
dungsspezifische Bedarfe ab. Bestehen darüber hinaus Haushalte berücksichtigt, die von Einkünften oberhalb
existenznotwendige Bedarfe vor, die nicht aus eigenen des Existenzminimums leben. Wer lediglich über Trans-
Mitteln gedeckt werden können, dann besteht ein ferleistungen verfügt, die das Existenzminimum abde-
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder dem cken, wird nicht als Referenzhaushalt berücksichtigt.
6776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Dies stellt gegenüber der bei der Sonderauswertung zur Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil (C)
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003 verwen- betont, dass das reale physische Existenzminimum
deten Abgrenzung, nach der Haushalte auszuschließen – also vor allem Nahrung, Wohnen, Kleidung, Gesund-
waren, die „überwiegend“ von Sozialhilfe lebten, eine heitsvorsorge – jederzeit gesichert werden muss. Gleich-
wesentlich trennschärfere Abgrenzung dar. zeitig sollen die Regelbedarfe Veränderungen des
gesamtgesellschaftlichen Wohlstandsniveaus berück-
Bezieher von Leistungen nach dem Asylbewerber- sichtigen. Es liegt daher nahe, sowohl die Preisentwick-
leistungsgesetz müssen nicht ausgeschlossen werden, lung als auch die Entwicklung der Nettolöhne pro Ar-
weil sie in der Sonderauswertung nicht vertreten sind. beitnehmer – als Indikator für Veränderungen des
Befragt werden nur Personen, die in einem Haushalt le- Wohlstandsniveaus – zu berücksichtigen. Da der
ben. Dies bedeutet, dass Personen, die in einer Sammel- Schwerpunkt der Grundsicherung auf der Sicherung des
unterkunft leben, nicht befragt werden. physischen Existenzminimums liegt, ist es gerechtfer-
Auch für den Bezug von Leistungen nach dem Bun- tigt, die Preisentwicklung stärker zu gewichten als die
desausbildungsförderungsgesetz gilt: Personen, die diese Lohnentwicklung. Da es für eine solche Gewichtung
Leistungen beziehen, werden nur in der Einkommens- keine Vorgaben gibt, wurde für die Preisentwicklung ein
und Verbrauchsstichprobe befragt, wenn sie einen eige- Anteil von 70 Prozent und ein Anteil von 30 Prozent für
nen Haushalt haben. Ferner lässt der Bezug von diesen die Lohnentwicklung gewählt. Zudem wird hinsichtlich
Leistungen keine Rückschlüsse auf die Einkommens- der Preisentwicklung ein vom Statistischen Bundesamt
höhe zu, sie decken ausbildungsspezifische Bedarfe ab. speziell für die Struktur des regelsatzrelevanten Ver-
Bestehen darüber hinaus existenznotwendige Bedarfe, brauchs berechneter Preisindex genutzt.
die nicht aus eigenen Mitteln gedeckt werden können,
besteht ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II
oder dem SGB XII. In diesem Fall werden die betreffen-
den Haushalte aus den Referenzhaushalten ausgeschlos- Anlage 24
sen.
Antwort
Die im Referentenentwurf für das Regelbedarfs-Er-
mittlungsgesetz vorgesehene Abgrenzung schließt damit des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
zuverlässig Zirkelschlüsse aus. Es liegen keine Hinweise Frage des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) (Drucksache
darauf vor, dass es in nennenswertem Umfang Personen 17/3113, Frage 33):
gibt, die einen Anspruch auf Leistungen nach dem Zwei- Hält die Bundesregierung die restriktive Regelung des § 4
(B) ten und Zwölften Buch nicht geltend machen. Einzelne Abs. 2 SGB II (Art. 1 Nr. 2 des Referentenentwurfes eines (D)
Haushalte, auf die dies möglicherweise nicht zutrifft, ha- Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Ände-
ben auf die statistische Durchschnittsbildung keinen nen- rung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch),
wonach für die gesellschaftliche Teilhabe im sozialen und
nenswerten Einfluss. Hierzu führt die Begründung des kulturellen Bereich von Kindern kein Sicherstellungsauftrag
Referentenentwurfs ergänzend aus, dass zur Identifizie- für die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende vorge-
rung einzelner Haushalte, die von Einkünften unterhalb sehen ist, für angemessen?
des Existenzminimums leben, keine praktikablen Verfah-
ren vorliegen. Deshalb müssten von Wissenschaftlern Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Ent-
oder Statistischem Bundesamt Einzelfallprüfungen vor- scheidung vom 9. Februar 2010 deutlich gemacht, dass
genommen werden. Würden solche Haushalte identifi- der Gesetzgeber Hilfebedürftige mit Rechtsansprüchen
ziert, müssten Träger nach dem SGB II oder nach dem zur Sicherung des Existensminimums ausstatten muss.
SGB XII eine Einkommens- und Vermögensprüfung vor- Zum Existenzminimum gehört die Teilhabe am sozialen
nehmen, um festzustellen, ob tatsächlich Hilfebedürftig- und kulturellen Leben. Teilhabe bedeutet Partizipation,
keit vorliegt. „Einbezogensein“, und setzt damit Vorhandenes voraus.
Aufgabe des Staates ist es damit, Hilfebedürftigen die-
selben Möglichkeiten zur Inanspruchnahme vorhandener
Angebote des Gemeinschaftslebens einzuräumen wie
Anlage 23 Nichthilfebedürftigen.

Antwort Ein Sicherstellungsauftrag für die Träger der Grund-


sicherung für Arbeitsuchende würde dagegen bedeuten,
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die dass diese Angebote der sozialen und kulturellen Teil-
Frage des Abgeordneten Anton Schaaf (SPD) (Drucksa- habe für Hilfebedürftige dort schaffen müssten, wo sie
che 17/3113, Frage 30): auch der Allgemeinheit nicht oder in nicht ausreichen-
Wie begründet sich der Mischindex zur Fortschreibung dem Umfang zur Verfügung stehen.
der Regelbedarfsstufen nach § 28 a SGB XII (in der Fassung
des Art. 3 des Referentenentwurfes eines Gesetzes zur Ermitt- Die angesprochene Regelung ist demnach angemes-
lung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und sen, da sie von den Grundsicherungsträgern die Zu-
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch), und sind auch andere sammenarbeit mit denjenigen verlangt, die soziale und
Varianten – zum Beispiel mit einem anderen Verhältnis der
Preise der regelsatzrelevanten Güter und Dienstleistungen zur kulturelle Teilhabe mit ihren Angeboten erst ermögli-
Entwicklung der Nettolöhne – geprüft worden? chen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6777

(A) Anlage 25 und kulturellen Leben. Teilhabe bedeutet Partizipation, (C)


„Einbezogensein“ und setzt damit Vorhandenes voraus.
Antwort
Aufgabe des Staates ist es damit, Hilfebedürftigen die-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die selben Möglichkeiten zur Inanspruchnahme vorhandener
Frage des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) (Drucksache Angebote des Gemeinschaftslebens einzuräumen wie
17/3113, Frage 34): Nichthilfebedürftigen.
Ist die Zuordnung der Verbrauchsausgaben für Kinder in
Familienhaushalten auf Grundlage der Studie „Kosten eines
Ein Sicherstellungsauftrag für die Träger der Grund-
Kindes“ nach Ansicht der Bundesregierung ein Verteilungs- sicherung für Arbeitsuchende würde dagegen bedeuten,
schlüssel, der auch für die Zukunft angewendet werden kann, dass diese Angebote der sozialen und kulturellen Teil-
und wie bewertet die Bundesregierung zum Beispiel die Mög- habe für Hilfebedürftige dort schaffen müssten, wo sie
lichkeit, die Verbrauchsausgaben für Kinder durch einen Ver- auch der Allgemeinheit bislang nicht oder nicht in aus-
gleich der Verbrauchsausgaben von Paarhaushalten mit einem
Kind zu Paarhaushalten ohne Kind zu ermitteln? reichendem Umfang zur Verfügung stehen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hält Die angesprochene Regelung ist demnach angemes-
die Methode der Verteilungsschlüssel für geeignet. Sie sen, da sie von den Grundsicherungsträgern die Zusam-
wird die jetzt bestehenden Verteilungsschlüssel wissen- menarbeit mit denjenigen verlangt, die soziale und kul-
schaftlich überprüfen lassen, um bei deren Ermittlung turelle Teilhabe mit ihren Angeboten erst ermöglichen.
künftig neueste verfügbare Daten und Erkenntnisse nut-
zen zu können. Hierzu müssen aber erst die Daten der Zu Frage 38:
EVS 2008 in einer für Wissenschaftler nutzbaren Form
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass unter
zur Verfügung stehen.
der Prämisse, dass für einzelne Bedarfe keine Geldleis-
Die Anwendung der Differenzmethode ist bei der Er- tungen zur Bedarfsdeckung erbracht werden, die Leis-
mittlung des Bedarfs von Kindern im Sinne der Frage- tungserbringung mittels Gutschein ein gangbarer Weg
stellung nicht sachgerecht, da die Paare mit und ohne ist. Die Gutscheinlösung hat den Vorteil, dass Gut-
Kind bei formal gleich großer Referenzgruppe tenden- scheine nur zur Deckung der festgestellten Bedarfe und
ziell unterschiedlich hohe Einkommen pro Kopf erzie- nur von Leistungsberechtigten eingelöst werden können.
len. Dabei sind die Einkommen der Paare ohne Kind hö- Eine zweckwidrige Verwendung der Gutscheine, die für
her als die Einkommen von Paaren mit Kind. Würde die Deckung von Bildungs- und Teilhabebedarfen ge-
man hier die Differenzmethode anwenden, so wären die währt werden, ist damit ausgeschlossen.
Regelsätze der Kinder daher tendenziell niedriger als es
Andere Abrechnungssysteme über Anbieter von Bil-
jetzt der Fall ist.
(B) dungs- und Teilhabeleistungen setzen voraus, dass diese (D)
Kenntnis von der Leistungsberechtigung der Kinder, Ju-
gendlichen und jungen Erwachsenen haben. Zudem
Anlage 26
wäre eine Mehrfachinanspruchnahme von angebotenen
Antwort Bildungsund Teilhabeleistungen bei verschiedenen An-
bietern nur mit einem erheblichen Mehraufwand bei den
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra-
Anbietern denkbar.
gen des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD)
(Drucksache 17/3113, Fragen 37 und 38): Der für die Umsetzung der Leistungen für Bildung
Hält die Bundesregierung die restriktive Regelung des § 4 und Teilhabe erforderliche Verwaltungsaufwand sowie
Abs. 2 SGB II (Art. 1 Nr. 2 des Referentenentwurfes eines eventuell zusätzlicher Personalbedarf werden derzeit
Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Ände- noch geprüft.
rung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch),
wonach für die gesellschaftliche Teilhabe im sozialen und
kulturellen Bereich von Kindern kein Sicherstellungsauftrag
für die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende vorge- Anlage 27
sehen ist, für angemessen?
Ist die Bundesregierung tatsächlich der Auffassung, dass Antwort
die Abrechnung von Ausflügen, Kita- und Klassenfahrten,
Lernförderung, Mittagessen und Teilhabebudget über einen des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
Gutschein, wie es in § 29 SGB II bzw. § 34 a SGB XII in der Frage des Abgeordneten Stefan Schwartze (SPD)
Fassung des Referentenentwurfes eines Gesetzes zur Ermitt- (Drucksache 17/3113, Frage 39):
lung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vorgesehen ist, eine prak- Wie hoch werden die zusätzliche Belastung für die Kom-
tikable und effiziente Lösung darstellt, und mit welchem Ver- munen und die Einsparung für den Bund sein, wenn das Bun-
waltungsaufwand und zusätzlichen Personalkosten bei den desministerium für Arbeit und Soziales, wie im Referenten-
Trägern der Grundsicherung rechnet die Bundesregierung? entwurf zur Änderung des SGB II vorgesehen, den
Wohngeldvorrang für Kinder streicht, die aufgrund von Un-
terhaltszahlungen nicht auf Sozialgeld angewiesen waren, und
Zu Frage 37: sie stattdessen auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende
verweist?
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Ent-
scheidung vom 9. Februar 2010 deutlich gemacht, dass Mit der beabsichtigten Neufassung wird die Pflicht
der Gesetzgeber Hilfebedürftige mit Rechtsansprüchen Leistungsberechtigter zur Inanspruchnahme vorrangiger
zur Sicherung des Existenzminimums ausstatten muss. Leistungen dahingehend modifiziert, dass vorrangige
Zum Existenzminimum gehört die Teilhabe am sozialen Leistungen nur in Anspruch genommen werden sollen,
6778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) wenn damit die Überwindung der Hilfebedürftigkeit für rinnen und Schüler daran teilnehmen, steigt dementspre- (C)
alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gelingt. Damit chend sogar die Inanspruchnahme dieser Leistung.
ist zunächst eine Lastenverschiebung vom Wohngeld, das
hälftig von Bund und Ländern getragen wird, auf Grund-
sicherungsleistungen – insbesondere Kosten für Unter- Anlage 29
kunft und Heizung, die zu rund einem Viertel vom Bund
und zu rund drei Vierteln von den Kommunen getragen Antwort
werden –, verbunden. Dem stehen Entlastungen im Ver- des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
waltungsbereich gegenüber, von denen insbesondere die Frage der Abgeordneten Bärbel Bas (SPD) (Drucksache
Kommunen profitieren werden, sowohl im Rahmen der 17/3113, Frage 43):
Trägerschaft der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Hält die Bundesregierung die in § 24 SGB II und § 31
auch im Verwaltungsbereich des Wohngeldes, der den SGB XII in der Fassung des Referentenentwurfes eines Geset-
Kommunen zugeordnet ist. Der Umfang der finanziellen zes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des
Auswirkungen wird derzeit noch geprüft und wird im Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch abschließend
Rahmen der Kabinettbefassung mit dem Gesetzentwurf definierten gesonderten Bedarfe für ausreichend, um die Ver-
sorgung mit Leistungen, die nicht im Leistungskatalog der ge-
zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des setzlichen Krankenversicherung enthalten sind, sicherzustel-
Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festste- len, und wie steht sie insbesondere zu Überlegungen, zum
hen. Beispiel Brillen und Verhütungsmittel für Leistungsempfän-
gerinnen und Leistungsempfänger nach dem SGB II und
SGB XII auf Antrag zu gewähren?

Anlage 28 Die Bundesregierung wird die Bemessung der Regel-


bedarfe nach den Vorgaben des Bundesverfassungsge-
Antwort richts in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 vornehmen
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die und hat einen entsprechenden Referentenentwurf für ein
Frage der Abgeordneten Dr. Carola Reimann (SPD) parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren erarbeitet.
(Drucksache 17/3113, Frage 40): Auf dieser Grundlage wird das soziokulturelle Existenz-
Hält die Bundesregierung es mit den Vorgaben des Bun-
minimum der Leistungsberechtigten sichergestellt, das
desverfassungsgerichtes für vereinbar, dass einerseits nach ein Konsumverhalten vergleichbar mit Haushalten im
§ 28 Abs. 5 SGB II bzw. § 34 Abs. 5 SGB XII in der Fassung unteren Einkommensbereich ermöglicht.
des Referentenentwurfes eines Gesetzes zur Ermittlung von
Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Die Regelbedarfe umfassen auch die durchschnittli-
Buches Sozialgesetzbuch ein gemeinsames Mittagessen in chen Aufwendungen für Gesundheitspflege einschließlich
(B) Schulen und Kindertagesstätten als zusätzlicher Bedarf aner- der durchschnittlichen Ausgaben für Verhütungsmittel (D)
kannt wird, andererseits keine Anstrengungen unternommen
werden, um sicherzustellen, dass auch das Angebot deutlich und die Anschaffung einer Brille. Da die Regelbedarfe
erhöht wird, damit mehr als nur die bisherigen 20 Prozent der als pauschaler Gesamtbetrag gewährt werden, hat das
Kinder in dieser Altersgruppe davon profitieren können? Bundesverfassungsgericht es auch als zumutbar bewer-
tet, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch
Ja, die Bundesregierung hält die Regelungen im Refe-
geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen.
rentenentwurf mit den Vorgaben des Bundesverfas-
Nur für besondere atypische und fortlaufende Bedarfsla-
sungsgerichts für vereinbar, zumal die Teilnahme am
gen hat das Gericht entschieden, dass diese im Rahmen
Mittagessen in der Schule oder in der Kindertagesein-
der Grundsicherung für Arbeitsuchende in seltenen, be-
richtung bedarfsauslösend ausgestaltet wurde. Dem Ur-
sonderen Härtefällen zu decken sind. Ob ein atypischer,
teil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010
laufender Bedarf vorliegt, ist im Einzelfall zu prüfen.
ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber beauftragt
wurde, allen Kindern hilfebedürftiger Eltern einen An-
spruch auf ein kostenfreies Schulmittagessen zu ver-
schaffen. Anlage 30
Antwort
Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht hat die
Methode zur Bestimmung der Bedarfe insofern bestätigt, des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
als die Verbrauchsausgaben von Personen mit geringem Frage der Abgeordneten Bärbel Bas (SPD) (Drucksache
Einkommen ohne Bezug von Fürsorgeleistungen als 17/3113, Frage 44):
Maßstab für die Ermittlung des Existenzminimums ge- Auf Grundlage welcher Rechengrößen errechnet sich der
eignet sind. Daher sind in den ermittelten Verbrauchs- Wert von „0,55“, der zur Fortschreibung der regelsatzrelevan-
ausgaben auch solche für Schulmittagessen in dem Um- ten Verbrauchsausgaben nach § 7 des Gesetzes zur Ermittlung
fang enthalten, wie sie von der Referenzgruppe mit von Regelbedarfen nach § 28 des Zwölften Buches Sozialge-
setzbuch (Referentenentwurf) dient und in § 28 a SGB XII (in
Kindern getätigt worden sind. Sofern die Bundesregie- der Fassung des Art. 3 des Referentenentwurfes eines Geset-
rung über die Verbrauchsausgaben „Ernährung“ hinaus zes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des
unter dem Gesichtspunkt der sozialen Teilhabe einen Zu- Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) als Mischin-
schuss zum Mittagessen für Schülerinnen und Schüler dex aus der Veränderungsrate der regelsatzrelevanten Güter
regelt, ist die Teilhabe nur dort zu ermöglichen, wo ein und Dienstleistungen und der Entwicklung der Nettolöhne de-
finiert ist?
Schulmittagessen angeboten wird. Sollte perspektivisch
die Zahl der Schulen mit angebotener Mittagsverpfle- Das Statistische Bundesamt hat für den regelsatzrele-
gung zunehmen und sollten die hilfebedürftigen Schüle- vanten Verbrauch im Auftrag des BMAS für das Jahr
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6779

(A) 2009 einen Preisanstieg von 0,5 Prozent ermittelt. Für Zu Frage 50: (C)
die Nettolöhne pro Kopf nach der Volkswirtschaftlichen
Der Referentenentwurf des Bundesministeriums für
Gesamtrechnung ergibt sich für 2009 ein Anstieg der Arbeit und Soziales sieht in § 8 des Artikels 1 (Entwurf
Nettolöhne von 0,67 Prozent. Dabei wurde der statisti- eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen nach
sche Einmaleffekt des Abzugs der PKV-Beiträge vom § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) für die
Bruttolohn zuvor herausgerechnet. Mit der im Gesetz Höhe der Regelbedarfsstufe 2 einen Betrag von 328 Euro
vorgesehenen Gewichtung ergibt sich hieraus zum 1. Ja- vor, für die Regelbedarfsstufe 3 einen Betrag von 291 Euro.
nuar 2011 ein Anpassungsfaktor von 0,55 Prozent, der Aus der Begründung zu § 8, der für die Regelbedarfsstufe 2
auf die ungerundeten Ergebnisse für den regelsatzrele- die bisherige Regelung für Paare übernimmt, ergibt sich,
vanten Verbrauch aus der EVS 2008 bezogen wird. dass beide Erwachsenen weiterhin jeweils 90 Prozent des
Eckregelsatzes erhalten. Dies bedeutet, dass für beide Er-
wachsene jeweils 90 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 vor-
Anlage 31 gesehen sind. Die sich daraus ergebende Leistungshöhe
für Erwachsene im Paarhaushalt (ohne Kind) wurde vom
Antwort
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Fe-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra- bruar 2010 ausdrücklich als verfassungskonform angese-
gen des Abgeordneten Thomas Oppermann (SPD) hen. Die Regelung geht davon aus, dass eine allein-
(Drucksache 17/3113, Fragen 49 und 50): stehende Person 100 Prozent erhält, eine zweite
hinzukommende erwachsene Person 80 Prozent, sodass
Wie ist die Begründung zu den §§ 2 bis 4 des Gesetzes zur
Ermittlung von Regelbedarfen nach § 28 des Zwölften Bu- beide zusammen eine Leistung in Höhe von 180 Prozent
ches Sozialgesetzbuch (Referentenentwurf) zu verstehen, wo- erhalten.
nach für die Bestimmung der Referenzgruppe alle Haushalte
ausgeschlossen sind, „die lediglich über ein Einkommen ver- Mit der Regelbedarfsstufe 3 soll ebenfalls eine für das
fügen, das zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendig SGB XII geltende Regelung übernommen werden. Eine
ist“? dritte erwachsene Person, die im Haushalt anderer Per-
Nach welchem methodischen Verfahren hat die Bundesre- sonen lebt und damit keinen eigenen Haushalt führt, er-
gierung die Regelbedarfe weiterer erwachsener Leistungsbe- hält den im Paarhaushalt rechnerisch auf die zweite Per-
rechtigter in den Regelbedarfsstufen 2 und 3 nach § 8 des Ge- son entfallenden Anteil von 80 Prozent. Hier wird davon
setzes zur Ermittlung von Regelbedarfen nach § 28 des ausgegangen, dass die Kosten für den Haushalt bereits
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Referentenentwurf) er-
mittelt, und warum hat sie darauf verzichtet, auch einen Haus-
gedeckt sind, die dritte erwachsene Person sich also
halt mit zwei Erwachsenen ohne Kind als Referenzhaushalt zu nicht an der Bestreitung der haushaltsgebundenen Kos-
bestimmen? ten beteiligt.
(B) Auf eine Sonderauswertung für Paarhaushalte ohne (D)
Zu Frage 49: Kind (Paarhaushalt) wurde verzichtet, weil für diesen
In der Begründung zu § 3 Regelbedarfs-Ermittlungs- Haushaltstyp zu erwarten ist, dass dieser wegen eines ho-
gesetz wird hierzu weiter ausgeführt, dass bei den Refe- hen Anteils von Doppelverdienerhaushalten über höhere
renzhaushalten nur Haushalte berücksichtigt werden, die Einkünfte verfügt und damit auch höhere Verbrauchsaus-
von Einkünften oberhalb des Existenzminimums leben. gaben aufweist. Dies hätte zur Folge, dass Erwachsene
Wer lediglich über Transferleistungen verfügt, die das im Paarhaushalt höhere Leistungen erhalten als die übri-
Existenzminimum abdecken, wird nicht als Referenz- gen Erwachsenen. Damit stellt sich die Frage, ob die
haushalt berücksichtigt. Dies stellt gegenüber der bei der Höhe des menschenwürdigen Existenzminimums von
Sonderauswertung zur Einkommens- und Verbrauchs- Erwachsenen im Paarhaushalt davon abhängig sein kann,
stichprobe 2003 verwendeten Abgrenzung, nach der wie viele Doppelverdienerhaushalte unter den Referenz-
Haushalte auszuschließen waren, die „überwiegend“ von haushalten sind. Im Übrigen hätte diese Vorgehensweise
Sozialhilfe lebten, eine wesentlich trennschärfere Ab- konsequenterweise auch zur Folge, dass auch für Er-
grenzung dar. wachsene im Familienhaushalt (Paarhaushalt mit einem
Kind) die Leistungshöhe aus den Verbrauchsausgaben
Diese Abgrenzung schließt zuverlässig Zirkelschlüsse dieses Haushaltstyps ermittelt werden müsste. Dies hätte
aus, weil es keine Hinweise darauf gibt, dass es in nen- dann zur Folge, dass sich unterschiedlich hohe Regelbe-
nenswertem Umfang Personen gibt, die einen Anspruch darfe ergeben für alleinlebende Erwachsene, für die bei-
auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch den Erwachsenen im Paarhaushalt und für die beiden Er-
nicht geltend machen. Einzelne Haushalte, auf die dies wachsenen (Eltern) im Familienhaushalt.
möglicherweise nicht zutrifft, haben auf die statistische
Durchschnittsbildung keinen Einfluss. Hierzu führt die
Begründung des Referentenentwurfs ergänzend aus, dass Anlage 32
zur Identifizierung einzelner Haushalte, die von Ein-
künften unterhalb des Existenzminimums leben, keine Antwort
praktikablen Verfahren vorliegen. Deshalb müssten von des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra-
Wissenschaftlern oder Statistischem Bundesamt Einzel- gen der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller
fallprüfungen vorgenommen werden. Würden solche (SPD) (Drucksache 17/3113, Fragen 51 und 52):
Haushalte identifiziert, müssten Träger nach dem SGB II
Werden aus der Gesamtheit der Haushalte, die zur Bestim-
oder nach dem SGB XII eine Einkommens- und Vermö- mung der Referenzhaushalte herangezogen werden, nur die
gensprüfung vornehmen, um festzustellen, ob tatsächlich Haushalte herausgerechnet, die ausschließlich „Leistungen
Hilfebedürftigkeit vorliegt. nach dem Dritten und Vierten Kapitel sowie nach dem Zwei-
6780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) ten Buch Sozialgesetzbuch“ (§ 28 Abs. 3 SGB XII in der Fas- die Jugendämter, Schulen und Kindertagesstätten) mit (C)
sung des Referentenentwurfes eines Gesetzes zur Ermittlung einbeziehen.
von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölf-
ten Buches Sozialgesetzbuch) beziehen oder alle Haushalte
von SGB-II-Leistungsempfängerinnen und -empfängern, die
Erwerbseinkommen erzielen, wie es der § 3 Abs. 2 des Geset- Anlage 34
zes zur Ermittlung von Regelbedarfen nach § 28 des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (Referentenentwurf) nahelegt? Antwort
Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage von re-
nommierten Armutsforschern, wonach das Statistikmodell
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
möglichst ohne normative Vorgaben angewendet werden Frage der Abgeordneten Dagmar Ziegler (SPD) (Druck-
sollte, da ansonsten die Gefahr besteht, dass es Prinzipien ei- sache 17/3113, Frage 54):
nes „Warenkorbes“ annimmt? Hat die Bundesregierung zusätzlich zur Auswertung der
EVS 2008 Untersuchungen angestellt, um sicherzustellen,
Zu Frage 51: dass die empirisch ermittelten Verbrauchsausgaben in zentra-
len Fragen – zum Beispiel der Ernährung und der kulturellen
Es werden alle Haushalte herausgerechnet, die aus- Teilhabe – einen notwendigen Mindeststandard garantieren?
schließlich Regelleistungen nach dem SGB II und XII
beziehen und darüber hinaus kein zusätzliches Einkom- Deutschland ist ein wohlhabendes Land, in dem auch
men erzielen. Dies ist auch dem konsolidierten Referen- Personen mit niedrigen Einkommen genügend zum Le-
tenentwurf auf den Seiten 82 f. und 129 ff. zu entneh- ben haben und, wenn nötig, auf die Leistungen nach dem
men. SGB II und XII zurückgreifen können. Haushalte, die
diese Leistungen beziehen, wurden vor Abgrenzung der
Referenzgruppe ausgeschlossen.
Zu Frage 52:
Zur Vorbereitung der anstehenden Neubemessung der
Es ist gerechtfertigt, von den durchschnittlichen Kon-
Regelbedarfe hat das Bundesministerium für Arbeit und
sumausgaben einzelne Positionen als nicht regelsatzrele-
Soziales zahlreiche Gespräche mit Wissenschaftlern und
vant unberücksichtigt zu lassen, damit die Leistungen
Praktikern geführt. Die dort gewonnenen Erkenntnisse
nach dem SGB II und XII nicht ebenso hoch sind wie
sind insbesondere in die Ausgestaltung des Bildungs-
das Konsumniveau von Menschen, die solche Leistun-
und Teilhabepaketes und die Abgrenzung der Altersstu-
gen nicht erhalten. Diese normative Nichtberücksichti-
fen von Kindern eingeflossen. Zum Bereich Ernährung
gung einzelner Positionen – wie zum Beispiel PKW-
gab es keine gesonderten Auswertungen.
Nutzung und Pauschalreisen – hat das Bundesverfas-
sungsgericht nicht kritisiert.
(B) Anlage 35 (D)
Anlage 33 Antwort
Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
LINKE) (Drucksache 17/3113, Frage 57):
Frage der Abgeordneten Dagmar Ziegler (SPD)
(Drucksache 17/3113, Frage 53): Wie viele Antragstellerinnen und Antragsteller aus land-
wirtschaftlichen Betrieben sind der Bundesregierung bekannt
Warum verzichtet die Bundesregierung darauf, einen un- – differenziert nach Bundesländern –, die im Jahr 2010 Leis-
mittelbaren Rechtsanspruch auf Förderung und soziokultu- tungen nach dem SGB II beantragt haben und mit einer Erhö-
relle Teilhabe zu schaffen und dies mit einer Offensive für In- hung der Regelsätze nach dem Kabinettsbeschluss vom
frastruktur, bei der sich Bund, Länder und Kommunen auf 26. September 2010 rechnen können?
einen Ausbau von frühen Hilfen, den Ausbau von Kinderta-
gesstätten und den Ganztagsschulausbau und auf Schulsozial- Aus der Statistik der Grundsicherung für Arbeitsu-
arbeiterinnen und Schulsozialarbeiter verständigen müssen, chende liegen keine Informationen darüber vor, wie
zu verbinden, wobei selbstverständlich Ausbauziele, Quali- viele der Leistungsbezieher nach dem SGB II vor Eintritt
tätsstandards und Finanzierung vereinbart werden müssen?
der Hilfebedürftigkeit in einem landwirtschaftlichen Be-
Die Neuregelungen dienen der Umsetzung des Urteils trieb gearbeitet haben. Es gibt lediglich Informationen
des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 im zur Anzahl der im Wirtschaftsabschnitt „Land- und
Bereich der Existenzsicherung für Hilfebedürftige. Die Forstwirtschaft, Fischerei“ sozialversicherungspflichtig
Bundesregierung schafft mit den Neuregelungen unmit- oder ausschließlich geringfügig Beschäftigten, die
telbare Rechtsansprüche für Hilfebedürftige, indem mit gleichzeitig Leistungen aus der Grundsicherung für Ar-
den Leistungen für Bildung und Teilhabe der Zugang zu beitsuchende beziehen und die folglich von einer Erhö-
vorhandenen kulturellen und sozialen Angeboten ermög- hung der Regelsätze profitieren können. Nach aktuellen
licht wird. Dabei wird auch ein Anspruch auf Lernför- Angaben erhielten im Dezember 2009 rund 6 100 sozial-
derung geregelt, sofern schulische Angebote nicht aus- versicherungspflichtige und 6 300 ausschließlich gering-
reichen, um die nach schulrechtlichen Bestimmungen fügig Beschäftigte in dem Wirtschaftabschnitt „Land-
festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Unab- und Forstwirtschaft, Fischerei“ gleichzeitig Leistungen
hängig davon wird die Umsetzung des „Bildungspakets“ aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende. In der
unter Einbeziehung bestehender Strukturen vor Ort er- Summe (sozialversicherungspflichtige und ausschließ-
folgen; das heißt, es wird die für Bildung und Teilhabe lich geringfügig Beschäftigte) verteilen sich die beschäf-
von Kindern verantwortlichen Akteure (unter anderem tigten ALG-II-Bezieher im Wirtschaftsabschnitt „Land-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6781

(A) und Forstwirtschaft, Fischerei“ wie folgt auf die einzel- Anlage 36 (C)
nen Bundesländer:
Antwort
Dezember 2009
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
Land-, Forstwirtschaft und (Drucksache 17/3113, Frage 58):
Fischerei
Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus der
Beschäftigte ALG-II-Bezie- Kritik der Rechtsabteilung des Europäischen Parlaments am
EU-Fischereiabkommen mit dem Königreich Marokko, wel-
her (sozialversicherungs- ches Fangrechte vor der fischreichen Küste der Westsahara
pflichtig und ausschließlich beinhaltet, und wird sie sich gegen eine Verlängerung des Fi-
geringfügig Beschäftigte) schereiabkommens unter Einbezug der Küste Westsaharas
Bundesland einsetzen?
nachricht-
lich: Anteil Das Fischereiabkommen zwischen der Europäischen
beschäftigter Gemeinschaft und Marokko bezieht sich auf das Gebiet
Insgesamt Alg-II- Marokkos und die Gebiete unter der Gerichtsbarkeit Ma-
Bezieher rokkos. Es enthält keine Definition des Rechtsstatus der
an allen Meeresgewässer der Westsahara und greift einer Festle-
Beschäftigten gung des Status nicht vor.

absolut in % Das Gutachten des Europäischen Parlaments vertritt


die Auffassung, dass Aktivitäten zur Ausbeutung natür-
Deutschland 12 407 5,1 licher Ressourcen in Gebieten ohne Selbstregierung nur
dann im Einklang mit dem Völkerrecht stehen, wenn
Westdeutschland 5 986 4,0
diese Aktivitäten zum Wohle der Einwohner dieser Ge-
Ostdeutschland 6 422 6,7 biete, für sie oder in Konsultation mit ihren Vertretern
unternommen werden. Insoweit sieht die Bundesregie-
Schleswig-Holstein 662 5,1 rung keinen Widerspruch zu ihrer bisherigen Linie.
Hamburg 67 7,1 Das Fischereiabkommen zwischen der Europäischen
Niedersachsen 1 735 4,9 Gemeinschaft und Marokko gilt bis zum 27. Februar
2011 und verlängert sich automatisch um vier Jahre,
(B) Bremen 63 17,9 wenn es nicht vorher gekündigt wird. (D)
Nordrhein-Westfalen 1 612 4,9
Hessen 363 3,8 Anlage 37
Rheinland-Pfalz 399 3,3 Antwort
Baden-Württemberg 495 2,7 des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-
Bayern 502 2,0 NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 59):
Saarland 87 7,9 Welche Angaben macht die Bundesregierung zur Anzahl
von gemeinsamen Operationen mit dem Ziel der Festnahme
Berlin 114 15,0 von Aufständischen im Norden Afghanistans seit Juli 2009,
die mit afghanischen Sicherheitskräften im Rahmen von
Brandenburg 1 806 8,3 „Partnering“-Einsätzen zwar verabredet waren, zu denen die
Partner aber nicht erschienen – wie die Operationen „Weißer
Mecklenburg- 1 174 7,0 Adler“ und „Taohid III“, so der Spiegel, 39/2010, Seite 115 –,
Vorpommern sowie zu den Gründen, die von afghanischer Seite für das
Nichterscheinen angegeben wurden, und wurden diese Opera-
Sachsen 1 255 5,6 tionen dann gar nicht oder ohne afghanische Beteiligung von
Soldaten der Bundeswehr allein durchgeführt?
Sachsen-Anhalt 1 364 7,8
Über eine Operation „Weißer Adler“ ist im Bundes-
Thüringen 709 4,4 ministerium der Verteidigung nichts bekannt. Über die
Operation „Taohid III“ sind Sie umfassend im Verteidi-
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit gungsausschuss und mittels UdP unterrichtet worden.
Erwerbstätige Arbeitslosengeld-II-Bezieher sind er- Die Operation „Taohid III“ im Schwerpunkt der Ope-
werbsfähige Hilfebedürftige mit Leistungsanspruch vor rationsführung des Kommandeurs Regionalkommando
Sanktionen in der Grundsicherung, die gleichzeitig Brut- Nord wurde mit Rücksicht auf die afghanischen Einsatz-
toeinkommen aus Erwerbstätigkeit beziehen. Hochrech- kräfte vor Ort planmäßig zu Beginn des Fastenmonats
nung auf Basis von Daten der Arbeitsgemeinschaften, Ramadan beendet. Der in dem von Ihnen zitierten Spie-
Agenturen mit getrennter Aufgabenwahrnehmung (ohne gel-Artikel behauptete Grund für eine Absage – afghani-
Saalekreis) und der zugelassenen kommunalen Träger. sche Polizisten seien nicht erschienen – ist somit falsch.
6782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Am 15. und 16. September 2010 wurde eine Opera- Anlage 39 (C)
tion abgesagt, weil der Kommandeur der 2. Brigade der
Afghan National Army den Einsatz seiner Kräfte anders Antwort
priorisierte. des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fra-
gen der Abgeordneten Petra Crone (SPD) (Drucksache
Operationen des deutschen Einsatzkontingents ISAF
17/3113, Fragen 64 und 65):
im Rahmen des „Partnering“, wie beispielsweise
„Taohid III“, sind aber keine Operationen mit dem Ziel Wann genau ist mit dem vom Pressereferenten des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr.
der Festnahme von Aufständischen. Hanno Schäfer, im Südkurier am 30. September 2010 angekün-
digten Anschlusskonzept zur Folgefinanzierung der Mehrge-
nerationenhäuser zu rechnen?
Anlage 38 Inwiefern sind andere Bundesressorts, Länder und Kom-
munen in die Ausarbeitung eines solchen Anschlusskonzepts
Antwort zur Folgefinanzierung einbezogen?

des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fra-


Zu Frage 64:
gen des Abgeordneten Dr. h. c. Gernot Erler (SPD)
(Drucksache 17/3113, Fragen 62 und 63): Bei der Frage nach dem Zeitpunkt, in dem ein mögli-
Stimmen Informationen zu Plänen der Bundesregierung, ches „Anschlusskonzept“ vorgelegt wird, ist zu berück-
den Standort des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, MGFA, sichtigen, dass das Aktionsprogramm noch bis Ende
in Potsdam aufzulösen und das Amt der Führungsakademie 2012 läuft und dass für die ersten 45 Häuser die Förde-
der Bundeswehr anzugliedern, und welche Zeitpläne sind für
diese Umstrukturierung vorgesehen?
rung erst im Herbst 2011 endet.
Welche konzeptionellen Vorstellungen verbinden sich mit Aufgrund der gestaffelten Aufnahme von Einrichtun-
den Verlagerungsplänen für das MGFA und für die gesamte gen ins aktuell laufende Programm endet der maximal
militärgeschichtliche Forschung in Deutschland? mögliche fünfjährige Förderzeitraum für die ersten Häu-
ser am 30. September 2011. Weitere Häuser folgen zum
Zu Frage 62: Jahresende 2011, im Verlauf des Jahres 2012 für und
Die von Ihnen in Rede gestellten Informationen zu etwa die Hälfte der insgesamt 500 Mehrgenerationen-
Plänen der Bundesregierung, den Standort des MGFA in häuser endet die Förderung zum 31. Dezember 2012.
Potsdam aufzulösen und das Amt der Führungsakademie
der Bundeswehr anzugliedern, kann ich nicht bestätigen. Anzahl MGH, deren
Termin Förderende
Förderung ausläuft
(B) Es ist die Absicht des Bundesministers der Verteidi- (D)
gung, mit der laufenden Reform Anpassungen dort vor- September 2011 45
zunehmen, wo die Bundeswehr effizienter und insbeson-
dere einsatzorientierter ausgerichtet werden kann. Bis Dezember 2011 weitere 112
Eingriffe in viele Bereiche der Bundeswehr – bis hin zur
Stationierung – können notwendig sein. Aussagen zu
konkreten Veränderungen in den Strukturen und an ein- Bis Juli 2012 weitere 47
zelnen Standorten werden erst möglich sein, wenn die
erforderlichen Anpassungen sorgfältig geprüft und ent- Bis Dezember 2012 weitere 296, davon 250 Ende
schieden sind. Dezember 2012*
Die Bundesregierung ist sich des Stellenwertes der In- * Ende Dezember 2012 werden 75 MGH, die erst im Verlauf des Jah-
neren Führung und der daraus abgeleiteten Bedeutung res 2008 gestartet sind oder später nachgezogen wurden, noch nicht
der Militärgeschichte vollauf bewusst. Die Soldatinnen den max. Förderzeitraum von fünf Jahren erreicht haben.
und Soldaten der Bundeswehr engagieren sich als Staats-
bürger in Uniform und als Repräsentanten unserer Ge- Für die Zeit nach Ablauf der fünfjährigen Förderung
sellschaft mit ihrer besondern Geschichte für die Siche- ist grundsätzlich keine unveränderte Weiterfinanzierung
rung von Frieden und Freiheit. Voraussetzung hierfür ist der Mehrgenerationenhäuser durch den Bund möglich.
die Heranbildung von gefestigten Persönlichkeiten mit Dies ist von Anfang an so kommuniziert worden.
einer stark ausgeprägten interkulturellen Kompetenz, ei- Dies würde auf eine Dauerförderung hinauslaufen,
ner verinnerlichten Wertorientierung und einem zeitge- die haushaltsrechtlich nicht zulässig wäre, weil der Bund
mäßen Traditionsverständnis. für Projekte auf lokaler Ebene keine dauerhafte Förder-
kompetenz hat. Er kann hier lediglich neue Ideen mo-
Zu Frage 63: dellhaft erproben und neue Entwicklungen anstoßen, wie
es gerade mit dem Aktionsprogramm Mehrgenerationen-
Wie in der Antwort zu Ihrer ersten Frage ausgeführt, häuser geschieht.
kann ich Informationen zu Plänen der Bundesregierung,
den Standort des MGFA in Potsdam aufzulösen und das Im Bundesfamilienministerium hat sich in den vergan-
Amt der Führungsakademie der Bundeswehr anzuglie- genen Wochen eine interne Arbeitsgruppe mit Überle-
dern, nicht bestätigen. Insofern erübrigt sich eine Ant- gungen befasst, die insbesondere auf die Weiterentwick-
wort auf die Frage nach den zugrunde liegenden konzep- lung des Konzepts der Mehrgenerationenhäuser als Teil
tionellen Vorstellungen. der lokalen Infrastruktur zielen. Diese Arbeitsgruppe hat
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6783

(A) inzwischen erste Ergebnisse vorgelegt. Sie werden zur- Entsprechend der Ankündigung in dem Regierungs- (C)
zeit ausgewertet und werden gegebenenfalls in konzep- entwurf im Haushaltsbegleitgesetz 2011 wurde die ge-
tionelle Überlegungen zu den Mehrgenerationenhäusern nauere Ausgestaltung der Regelung geprüft, das Eltern-
einfließen. geld bei der Berechnung von Grundsicherungsleistungen
zu berücksichtigen, soweit das Elterngeld als Ausgleich
Zu Frage 65: für Einkommen vor der Geburt gezahlt wird. Die Bun-
desregierung hat entsprechende Änderungsvorschläge
Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, werden auch den Regierungskoalitionen übermittelt.
weiteren Akteure, die hier eine Rolle spielen, wie Länder
und Kommunen, eingebunden werden. Selbstverständ- Sollte es zu einer Umsetzung dieser Änderungsvor-
lich werden auch die Abgeordneten des Deutschen Bun- schläge kommen, hätte dies folgende Auswirkungen:
destages zeitnah über die Vorstellungen der Bundesregie- Für die Elterngeldberechtigten, die vor der Geburt des
rung zu einer möglichen Weiterentwicklung des Konzepts Kindes erwerbstätig waren, nach der Geburt aber Leis-
der Mehrgenerationenhäuser informiert werden. tungen nach dem SGB II, dem SGB XII oder den Kin-
derzuschlag erhalten, soll es eine Sonderregelung geben.
Es ist außerdem beabsichtigt, noch in diesem Jahr den Für sie soll das Elterngeld in Höhe des vorher erzielten
Ländern die bisherigen Ergebnisse und Fortschritte der Erwerbseinkommens, höchstens jedoch in Höhe von
Mehrgenerationenhäuser zu präsentieren. Es geht darum, 300 Euro, anrechnungsfrei bleiben. So verbliebe diesen
die Vielfalt der generationenübergreifenden Arbeit der Eltern wirtschaftlich ein Teil des Elterngeldes.
Mehrgenerationenhäuser und die darin liegenden Chan-
cen für die lokalen Akteure und Entscheidungsträger vor Von dieser Regelung würden gegenüber der Regelung
Augen zu führen. im Regierungsentwurf etwa 50 000 Elterngeld berech-
tigte Bezieherinnen und Bezieher von Grundsicherungs-
leistungen profitieren, die vor der Geburt Erwerbsein-
künfte erzielt haben.
Anlage 40
Antwort
Anlage 42
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die
Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Druck- Antwort
sache 17/3113, Frage 66): des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Frage des
Trifft es zu, dass zum 1. Januar 2011 für alle bisherigen El- Abgeordneten Harald Weinberg (DIE LINKE) (Druck-
terngeldbezieherinnen und -bezieher neue Bescheide durch sache 17/3113, Frage 68):
(B) die Familienkassen erstellt werden müssen, und, wenn ja, wie (D)
groß ist die Zahl derjenigen, bei denen sich die laufende Würde sich – gesetzt den Fall, das GKV-Finanzierungsge-
Elterngeldzahlung – bitte genaue Angaben differenziert nach setz tritt in der Fassung des Kabinettsbeschlusses in Kraft –
Geschlecht, noch ausstehendem Bezugszeitraum der Zahlung § 32 Abs. 4 SGB XII wegen der darin enthaltenen Formulie-
und Einsparvolumen – verringern wird? rung „in der ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung“ auf ei-
nen quasi konservierten, historischen § 242 SGB V beziehen
Es trifft zu, dass zum 1. Januar 2011 für die Eltern- oder auf den dann geltenden neuen § 242 SGB V nach GKV-
Finanzierungsgesetz?
geldbezieherinnen und -bezieher, deren Elterngeldan-
spruch sich durch die Gesetzesänderungen verringert, Der Wortlaut von § 32 Abs. 4 Zwölftes Buch Sozial-
neue Bescheide durch die zuständigen Elterngeldstellen gesetzbuch, SGB XII, könnte grundsätzlich sowohl als
erstellt werden müssen. Nach den derzeitigen Plänen der statischer Verweis auf die bisherige Rechtslage mit der
Bundesregierung müssen schätzungsweise für rund entsprechenden Begrenzung der Zusatzbeiträge wie auch
15 000 Männer und 75 000 Frauen, die bereits Eltern- als dynamischer Verweis auf die nach § 242 Fünftes
geld bezogen haben, neue Bescheide ausgestellt werden. Buch Sozialgesetzbuch, SGB V, jeweils gültigen Rege-
Das Einsparvolumen für diese Fälle beträgt rund 40 Mil- lungen zu den Zusatzbeiträgen ausgelegt werden.
lionen Euro. Die restliche Bezugsdauer dieser Frauen
beträgt schätzungsweise durchschnittlich rund 6 Monate,
die restliche Bezugsdauer dieser Männer beträgt durch- Anlage 43
schnittlich rund 2 Monate.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Daniel Bahr auf die Frage des
Anlage 41 Abgeordneten Harald Weinberg (DIE LINKE) (Druck-
sache 17/3113, Frage 69):
Antwort
Wie hoch schätzt die Bundesregierung – unabhängig von
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die der Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes oder sonstigen
sich möglicherweise verändernden Randbedingungen, also
Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Druck- ceteris paribus – die Einbußen der gesetzlichen Krankenversi-
sache 17/3113, Frage 67): cherung durch die geplante, ab 2011 geltende niedrigere Bei-
Wie soll die geplante Freibetragsregelung für Elterngeld- tragsbemessungs- und Pflichtversicherungsgrenze?
empfängerinnen und -empfänger, die Kinderzuschlag und
Leistungen nach dem SGB II – sogenannte Aufstocker – be-
Die Beitragsbemessungsgrenze, BBG, sowie die Jahres-
ziehen, konkret ausgestaltet werden, und wie viele Eltern/Kin- arbeitentgeltgrenze, JAE, passt das Bundesministerium
der sind davon betroffen? für Arbeit und Soziales alljährlich im Rahmen der So-
6784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) zialversicherungs-Rechengrößenverordnung an. Diese Ver- wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Wandel (C)
ordnung der Bundesregierung wird nach derzeitigem zur Verfügung stehen.
Stand Mitte Oktober 2010 im Kabinett behandelt und
soll am 1. Januar 2011 in Kraft treten. Maßgeblich für
die Anpassung der BBG und JAE ist dabei die Verände- Anlage 45
rungsrate der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer
ohne Personen in Arbeitsgelegenheiten. Antwort
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der
Die maßgebende gesamtdeutsche Veränderungsrate
Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD)
im Jahr 2009 beträgt -0,24 Prozent. Daher wird – nach
(Drucksache 17/3113, Frage 74):
derzeitigem Stand – die Beitragsbemessungsgrenze im Jahr
2011 von aktuell 3 750 Euro/Monat auf 3 712,50 Euro/Mo- Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich
angeblicher Finanzierungsprobleme bei der Elektrifizierung
nat sinken. Die Mindereinnahmen, die sich aus der sich der Bahnstrecke Hof–Regensburg aufgrund zu erwartender
daraus ergebenden Absenkung der Beitragsbemessungs- hoher Kosten für Stuttgart 21, und welche weiteren Ein-
grenze ergeben, können auf circa 200 Millionen Euro schränkungen bei Bauvorhaben im Schienenverkehr sind
beziffert werden. Für die davon betroffenen Beitragszah- durch das Stuttgarter Großprojekt zu erwarten?
ler wird die vorgesehene Anhebung des Beitragssatzes Die Kosten von Stuttgart 21 haben keine Auswirkun-
von 14,9 auf 15,5 Prozent zu Mehrbelastungen führen, gen auf andere Vorhaben des Bedarfsplans der Schienen-
die nicht durch die Absenkung der BBG kompensiert wege des Bundes, da es sich hier um ein eigenwirtschaft-
werden. Mit weiteren Mindereinnahmen aufgrund der liches Projekt der Deutsche Bahn AG handelt.
Absenkung der Jahresarbeitsentgeltgrenze im Jahr 2011
ist nicht zu rechnen.
Anlage 46

Anlage 44 Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
Antwort
der Abgeordneten Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen der GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 75):
Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) (Druck- Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit der
sache 17/3113, Fragen 70 und 71): von der Deutschen Bahn AG angeordneten Rodung der
Bäume im Stuttgarter Schlossgarten vor dem Hintergrund,
(B) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Kür- dass die geplanten Baumaßnahmen für Stuttgart 21 Monate (D)
zung des Haushaltsansatzes für das Programm der KfW Ban- hinter dem Zeitplan liegen und noch keine Vergaben für wich-
kengruppe „Altersgerecht Umbauen“ für das Jahr 2011 mit tige Gewerke vorliegen?
dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP nicht
vereinbar ist und dass diese Kürzung die zugesagte Weiterent- Bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht um ein Projekt
wicklung des Programms verhindert? des Bedarfsplans für die Schienenwege des Bundes, son-
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Kür-
dern um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen
zung des Haushaltsansatzes 2011 für die Städtebauförderung Bahn AG. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind
sowie für das Programm der KfW Bankengruppe „Altersge- Vorhabenträger und Bauherr. Die grundsätzlichen Ein-
recht Umbauen“ angesichts der Tatsache, dass ein Förder- griffsrechte regelt ein Planfeststellungsbeschluss; die
Euro 7 bis 8 Euro Investitionen auslöst, eine Verminderung Details der Zeit- und Ausführungsplanung der Bauarbei-
der Investitionen in den barrierefreien, barrierearmen und ten liegen indes im Wesentlichen in der Hand der Vorha-
altengerechten Umbau des Wohnungsbestandes zur Folge ha-
ben wird, und ist die Bundesregierung der Ansicht, dass man
benträgerin.
das Programm „Altensgerecht Umbauen“ angesichts der Er-
fordernisse des demografischen Wandels zusätzlich mit Haus-
haltsmitteln verstärken müsste? Anlage 47
Der Entwurf der Bundesregierung zum Bundeshaus- Antwort
haltsplan 2011 beinhaltet keine Kürzung der Programm-
mittel für das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“. des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
Über eine Verstetigung oder Verstärkung der Programm- der Abgeordneten Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE
mittel über das Jahr 2011 hinaus ist im Rahmen der Haus- GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 76):
haltsaufstellung 2012 zu entscheiden. Warum setzt sich die Bundeskanzlerin nicht höchstpersön-
lich für einen Baustopp ein, wenn sie doch erklärt, die Land-
Die Wirkungen der Kürzung der Städtebauförderungs- tagswahl im März 2011 solle die Volksabstimmung über das
Projekt werden?
mittel werden derzeit vom Bund mit den Ländern und
kommunalen Spitzenverbänden diskutiert. Dies entspricht Die Bundeskanzlerin hat deutlich gemacht, dass aus
der guten partnerschaftlichen Tradition. Im Rahmen dieser ihrer Sicht die Landtagswahl im nächsten Jahr die Befra-
Diskussion werden auch die Aufgaben und Ziele der Pro- gung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs,
gramme eine wichtige Rolle spielen, damit den Städten über Stuttgart 21 und viele andere Projekte ist. In diesem
und Gemeinden auch in Zukunft wirkungsvolle Instru- Zusammenhang hat die Bundeskanzlerin betont, dass sie
mente der Städtebauförderung für die Anpassung an den das Projekt Stuttgart 21 für sinnvoll hält und unterstützt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6785

(A) Anlage 48 Zu Frage 79: (C)


Antwort Es greifen die geltenden Instrumente der sozialen Si-
cherung:
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
des Abgeordneten Peter Friedrich (SPD) (Drucksache Einkommensschwache Haushalte werden durch Wohn-
17/3113, Frage 77): geld unterstützt. Das Wohngeld deckt durchschnittlich
etwa 30 Prozent der Miete ab und dient der wirtschaftli-
Wie gedenkt die Bundesregierung das Projekt Stuttgart 21
bei einer Abwahl der derzeitigen Landesregierung bei der chen Sicherung angemessenen und familiengerechten
Landtagswahl, die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ih- Wohnens. Wohngeld ist ein Zuschuss zu den Wohnkos-
rer Haushaltsrede am 15. September 2010 zur Bürgerbefra- ten und wird an Haushalte gezahlt, die nicht auf Leistun-
gung über das Projekt erklärt hat, zu beenden, und wie beur- gen nach dem SGB II oder SGB XII angewiesen sind.
teilt die Bundesregierung die dem entgegenstehende Aussage
der Deutschen Bahn AG und der Landesregierung, selbst
Die Höhe des Wohngeldes richtet sich unter anderem
durch eine verbindliche Volksabstimmung sei das Projekt nach der Bruttokaltmiete bis zu bestimmten, durch die
nicht abzubrechen? Wohngeldreform 2009 deutlich erhöhten Höchstbeträ-
gen. Eine Mieterhöhung führt zu einem höheren Wohn-
Bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht um ein Projekt geld, sofern die Miete unter dem entsprechenden
des Bedarfsplans für die Schienenwege des Bundes, son- Höchstbetrag liegt.
dern um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutsche
Bahn AG. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind Bei Haushalten, die nicht durch Wohngeld unterstützt
Vorhabenträger und Bauherr. Das Land Baden-Württem- werden, weil sie Leistungen nach dem SGB II oder
berg, die Stadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart SGB XII erhalten, werden die tatsächlichen Aufwendun-
und die Flughafen Stuttgart GmbH beteiligen sich als gen für die Unterkunft – sofern sie angemessen sind –
Aufgabenträger an der Finanzierung. Die Neubaustrecke und somit die erhöhten Mietkosten als notwendiger Be-
Wendlingen–Ulm ist Bestandteil des „Vordringlichen standteil im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung berück-
Bedarfs“ des geltenden Bedarfsplans für die Bundes- sichtigt und durch den Sozialleistungsträger übernom-
schienenwege. men. Die Entscheidung über die Angemessenheit obliegt
dem zuständigen Sozialleistungsträger.
Einzelfinanzierungsvereinbarungen zum Bundesan-
teil an Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlin-
gen–Ulm wurden zwischen Bund und Deutsche Bahn Anlage 50
AG am 2. April 2009 unterzeichnet.
Antwort
(B) Die Projektbeteiligten streben nach wie vor an, dass (D)
beide Vorhaben 2019 in Betrieb gehen. des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der
Abgeordneten Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 80):
Anlage 49 Warum berücksichtigt die Bundesregierung bei der Haus-
haltsetatisierung der Städtebaumittel nicht die von ihr selbst
Antwort im Städtebaubericht 2008 empfohlene Höhe der Bundesmittel
von 700 Millionen Euro jährlich, sondern senkt die Mittel der
Städtebauförderung im Haushalt 2011 gravierend ab und bittet
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen der das Parlament, hier initiativ zu werden, wie der Parlamentari-
Abgeordneten Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE sche Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer im Ausschuss für
GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Fragen 78 und 79): Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 29. September 2010
äußerte?
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Belastungen für
die Mieter durch die Möglichkeit der Umlage der Kosten von Die Bundesregierung bekennt sich zur Einhaltung der
energetischer Sanierung aktuell und im Falle der Erhöhung grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse. Die Städ-
über 11 Prozent hinaus ein, wenn keine staatlichen Fördermit-
tel in Anspruch genommen werden? tebauförderung leistet einen Beitrag zur Haushaltskonso-
lidierung.
Wie plant die Bundesregierung mögliche zusätzliche Be-
lastungen für einkommensschwache Mieterinnen und Mieter Über die Mittelausstattung der Städtebauförderung
abzufedern?
2011 entscheidet der Deutsche Bundestag.
Zu Frage 78:
Für die Mieter hängt die Kostenbelastung nach einer Anlage 51
energetischen Modernisierung von einer Vielzahl von Antwort
Faktoren ab, sodass eine pauschale Antwort nicht mög-
lich ist. des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der
Abgeordneten Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE
Neben den tatsächlich entstandenen Kosten der ener- GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 81):
getischen Modernisierung und den damit verbundenen
Plant die Bundesregierung, Programme der Städtebauför-
Einspareffekten bei den Heiz- und Warmwasserkosten derung zukünftig auslaufen zu lassen, und, wenn ja, aus wel-
gehören hierzu vor allem die Verhältnisse auf den lokal chen Gründen (bitte differenziert nach einzelnen Program-
höchst unterschiedlichen Mietwohnungsmärkten. men)?
6786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) Nein, entsprechende Planungen bestehen nicht. Die Durch welche konkreten Maßnahmen – bitte mit Angabe (C)
Festlegung der Mittelausstattung der einzelnen Pro- des genauen Datums – hat das BMU damit begonnen, die
Umsetzung der von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgese-
gramme erfolgt jedoch im parlamentarischen Haushalts- henen Nachrüstmaßnahmen bei Atomkraftwerken zu begleiten
verfahren. und dabei auch den Umsetzungsstand zu verfolgen (verglei-
che Antwort im Plenarprotokoll 17/61, Anlage 45, auf meine
mündliche Frage 59 auf Bundestagsdrucksache 17/3007), und
welche konkreten Erkenntnisse liegen dem BMU dadurch
Anlage 52 bzw. seitdem bereits vor?
Antwort Nach der von der Bundesregierung am 5. September
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage 2010 getroffenen Grundsatzentscheidung unter anderem
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ zur Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke wurde am
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 82): 8. September 2010 in einer Telefonkonferenz des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
Welche konkreten Erkenntnisse – insbesondere auch dazu,
welche sicherheitstechnische Relevanz diese Funktionsstö- sicherheit, BMU, mit den Abteilungsleitern der zuständi-
rung im Falle eines Störfalls oder Unfalls im Nachbarblock B gen atomrechtlichen Behörden der Länder das weitere
gehabt hätte – hat das Bundesministerium für Umwelt, Natur- Vorgehen zur Umsetzung der von der Bund-Länder-Ar-
schutz und Reaktorsicherheit, BMU, bislang über die jüngst beitsgruppe vorgesehenen Maßnahmen abgestimmt. An-
entdeckte Funktionsstörung der Notstandsanlage im Atom-
kraftwerk Biblis A (vergleiche Bericht in der taz vom 1. Okto- gesichts anlagenspezifischer Unterschiede bedarf es ver-
ber 2010), und hat die Bundesregierung vor ihrer Entschei- tiefter Prüfungen, inwieweit die mit den einzelnen
dung über längere Laufzeiten für das Atomkraftwerk Biblis B Anforderungen/Maßnahmen konkretisierte zusätzliche
alle sicherheitstechnisch relevanten Defizite, die in der vom Risikovorsorge in den jeweiligen Anlagen zu erreichen
BMU in Auftrag gegebenen Studie des Öko-Instituts festge-
halten sind (vergleiche Bericht der Süddeutschen Zeitung vom ist bzw. erreicht ist. Das BMU wird in den nächsten Wo-
28. September 2010 „Schwere Mängel in Biblis“), im Hin- chen zu einer weiteren Sitzung der Bund-Länder-Ar-
blick auf die Laufzeitverlängerung für Biblis B geprüft? beitsgruppe einladen, in der der bis dahin erreichte Zwi-
schenstand erörtert werden soll.
Dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit liegen weitergehende Erkennt-
nisse zur sicherheitstechnischen Relevanz des genannten
Ereignisses noch nicht vor. Die bundesaufsichtliche Be- Anlage 54
wertung erfolgt aufgrund der Berichterstattung der zu-
ständigen hessischen Aufsichtsbehörde. Antwort
(B) Die Relevanzprüfung des Öko-Instituts, die in der der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage (D)
letzten Legislaturperiode vom Bundesministerium für des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Auftrag GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 84):
gegeben wurde, beinhaltet keine gutachterliche Feststel- Hat das BMU außer den auf Bundestagsdrucksache 17/3088
lung von Sicherheitsdefiziten. Das Öko-Institut hat ohne (Antwort auf die Kleine Anfrage zu den Fragen 18 und 19)
eine gutachterliche Untersuchung der Anlage, wie sie genannten Sachverständigen der Gesellschaft für Anlagen-
die Sachverständigen der zuständigen Aufsichtsbehörde und Reaktorsicherheit auch noch andere behördenexterne
vornehmen, geprüft, ob anhand der von der deutschen Sachverständige in die Erarbeitung der fünfseitigen Nachrüst-
liste mit dem Titel „Sicherheitstechnische Anforderungen/
Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Maßnahmen zur weiteren Vorsorge gegen Risiken“ einbezo-
Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V., kurz gen – sei es im Rahmen der Arbeitsgruppe oder auf anderem
IPPNW, vorgetragenen Kritikpunkte eine Abweichung Wege –, und, falls ja, inwiefern geschah dies (also welche
vom abstrakten Stand von Wissenschaft und Technik Sachverständigen wurden wie einbezogen)?
nachvollzogen werden kann. Derartige Abweichungen Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
wurden weitgehend auch bereits in früheren Sicherheits- und Reaktorsicherheit hat während der Erarbeitung der
analysen festgestellt oder bestehen lediglich in allgemei- „Sicherheitstechnischen Anforderungen/Maßnahmen“
nen Unterschieden von Biblis B gegenüber neueren An- auch Gespräche mit einer Gruppe von Experten ge-
lagen. Aus dem Bericht des Öko-Instituts ergibt sich sucht. Zu den Experten gehörten ein Mitarbeiter des
nicht, ob die Abweichungen heute noch vorhanden sind
TÜV (TÜV Nord), ein Mitarbeiter von AREVA (Her-
und ob die Abweichungen als zu beseitigende sicher-
steller), einem Vertreter des Öko-Instituts und der auch
heitstechnische Defizite einzustufen sind. Die Beurtei-
in der Bund-Länder-Gruppe vertretene Geschäftsführer
lung, ob sicherheitstechnische Defizite vorliegen, die
der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit,
Handlungsbedarf auslösen, ist durch die zuständige Auf-
GRS. Vorschläge der Expertengruppe hat das Bundes-
sichtsbehörde im Gesetzesvollzug erfolgt.
ministerium in die Arbeit der Bund-Länder-Gruppe ein-
gebracht.
Anlage 53 Zusätzlich hat das Bundesministerium für Umwelt,
Antwort Naturschutz und Reaktorsicherheit die GRS, das Physi-
kerbüro Bremen, das Öko-Institut und SE-Engineering
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage um Einschätzungen gebeten. Diese dienten dem Vertre-
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ ter des Bundesministeriums in der Bund-Länder-Gruppe
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 83): als Hintergrundinformation.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6787

(A) Anlage 55 Rückbau nuklearer Altanlagen im Geschäftsbereich des (C)


BMBF anfallenden radioaktiven Abfälle. Mit den vom
Antwort BfS vereinnahmten Geldern werden von diesem dann
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage die Endlager des Bundes für radioaktiven Abfall errich-
des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache tet. Neben dem BMBF sind innerhalb der Bundesregie-
17/3113, Frage 86): rung auch die Geschäftsbereiche des BMF und BMU be-
Plant die Bundesregierung angesichts der Kürzungspläne
troffen sowie außerhalb der öffentlichen Hand die
bzw. der bereits beschlossenen Kürzungen in den Etats für Energieversorgungsunternehmen der Privatwirtschaft,
Wissenschaft und Forschung in anderen europäischen Staaten soweit sie Kernkraftwerke betreiben.
ein Programm oder Maßnahmen, um unter Verweis auf die
steigenden Ausgaben für Wissenschaft und Forschung in Die in der Frage angesprochene Steigerung in Höhe
Deutschland Forscherinnen und Forscher gezielt anzuspre- von 18 Millionen Euro beruht insbesondere auf Kosten-
chen mit dem Ziel, dass sie zukünftig in Deutschland wissen- steigerungen, die durch Verzögerungen bei der Errich-
schaftlich tätig sind?
tung des Endlagers Konrad verursacht sind.
Die Bundesregierung verfolgt unabhängig von Etat-
entwicklungen in europäischen Nachbarstaaten mit ihrer
Internationalisierungsstrategie unter anderem die Ab- Anlage 57
sicht, die besten internationalen Köpfe für Studium und
Forschung für unser Land zu gewinnen, um den Wissen- Antwort
schaftsstandort Deutschland zu stärken und weiter wett- der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage der
bewerbsfähig zu halten. Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) (Druck-
Dazu tragen vor allen die Förderprogramme der sache 17/3113, Frage 91):
Alexander von Humboldt-Stiftung, AvH, bei, insbe- Wie wird die Bundesregierung als bislang drittgrößtes Ge-
sondere die AvH-Preise für Nachwuchswissenschaftler berland bei der Geberkonferenz in New York aktiv werden,
um den internationalen Verpflichtungen insbesondere zur Be-
und Spitzenforscher, Sofia-Kovalevskaja-Preis und kämpfung von HIV/Aids nachzukommen, und wie will sie si-
Alexander von Humboldt-Professur. Auch über den cherstellen, dass der Global Fonds die 20 Milliarden US-Dol-
Deutschen Akademischen Austausch Dienst, DAAD, lar bekommt, die dringend benötigt werden, um unter
werden ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissen- anderem HIV-positiven Menschen die lebensrettende antire-
trovirale Therapie zukommen zu lassen?
schaftler gefördert. Des Weiteren führt die Exzellenzini-
tiative zu einer zunehmenden Rekrutierung ausländi- Die Bundesregierung kommt ihrer beim G-8-Gipfel
scher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. in Heiligendamm eingegangenen Verpflichtung nach,
(B) Außerdem fördert die Bundesregierung die deutsche Be- von 2008 bis 2015 mindestens 4 Milliarden Euro zur Be- (D)
teiligung am Programm „Menschen“ zur Forschermobi- kämpfung von Aids, Tuberkulose, Malaria und der dafür
lität im Rahmen des Marie-Curie-Programms der EU nötigen Gesundheitssystemstärkung bereitzustellen. Die
und am europäischen Forscherportal EuroAXESS, das internationale Zusammenarbeit im Bereich Gesundheit
für Deutschland – durch Mittel des BMBF – von der hat für Deutschland weiterhin eine hohe Priorität. Wie
AvH betrieben wird. Es bietet umfassende Informations- Sie der heutigen Presse entnehmen können, beabsichtigt
und Beratungsmöglichkeiten zur Erstorientierung für Deutschland, sein Engagement für den Globalen Fonds
mobile Forscher, die in ein europäisches Zielland gehen zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria,
möchten, und trägt so zur Anwerbung ausländischer For- GFATM, auf hohem Niveau fortzusetzen. Deutschland
scherinnen und Forscher bei. wird sich deshalb – vorbehaltlich der Zustimmung des
Parlaments zum vom BMZ vorgelegten Haushalts-
entwurf – 2011 mit 200 Millionen Euro an der Wieder-
auffüllung des GFATM beteiligen. Des Weiteren hat
Anlage 56 Deutschland gestern bei der Geberkonferenz in New
York – vorbehaltlich der Schaffung der Haushaltsvoraus-
Antwort
setzungen für 2012 und 2013 – jeweils weitere 200 Mil-
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage lionen Euro zugesagt. Darüber hinaus haben wir eine
des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache engere Verzahnung unserer bilateralen Entwicklungszu-
17/3113, Frage 87): sammenarbeit mit den Aktivitäten des GFATM angebo-
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung im Ent- ten.
wurf des Bundeshaushalts 2011 im Einzelplan 30 (Titel
685 81 – Gesetzliche Endlageraufwendungen) eine Steige-
rung von rund 18 Millionen Euro eingeplant, und wie wird
dieser Mehrbedarf innerhalb nur eines Jahres begründet? Anlage 58
Die Frage betrifft die im Haushalt 2011 des BMBF Antwort
eingeplanten Mittel für die gesetzlichen Endlagerauf-
wendungen. Bei diesen Endlageraufwendungen handelt des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage des
es sich um Gelder, die das BMBF über seine Einrichtun- Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache
gen dem Bundesamt für Strahlenschutz, BfS, aufgrund 17/3113, Frage 92):
der Endlagervorausleistungsverordnung zur Verfügung Welche Ergebnisse hinsichtlich des laufenden Nahostge-
stellen muss. Basis dieser Zahlungen sind die beim sprächsprozesses hat die Bundeskanzlerin aufgrund ihrer auch
6788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010

(A) öffentlich gemachten Telefonate mit Ministerpräsident Benjamin Eines möchte ich hervorheben: Die Leistungen (C)
Netanjahu erzielt?
Deutschlands zur Wahrung des Friedens und der interna-
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel war und ist lau- tionalen Sicherheit bemessen sich nicht nur an der deut-
fend mit dem israelischen Ministerpräsidenten, Benjamin schen Beteiligung an VN-geführten Einsätzen. Im Rah-
Netanyahu, und dem Präsidenten der palästinensischen men VN-mandatierter Missionen sind gegenwärtig etwa
Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, im Kontakt. 7 200 deutsche Soldatinnen und Soldaten sowie etwa
300 Polizeivollzugsbeamte im Einsatz. Auch die VN-
Ihr Ziel ist dabei, zu einer positiven Atmosphäre und Charta spricht im Übrigen, völlig zu Recht, lediglich von
konstruktiven Haltung bei den Gesprächen beizutragen den Beiträgen zur Wahrung des Friedens und der inter-
und damit die amerikanischen Bemühungen um ein Rah- nationalen Sicherheit – und nicht von Beiträgen zu VN-
menabkommen zu unterstützen. Über die einzelnen Ge- geführten Missionen.
sprächsinhalte wurde Vertraulichkeit vereinbart.
Schließlich geht unser Engagement für die VN-geführ-
ten Missionen weit über die Beteiligung mit Personal hi-
naus. Deutschland trägt als viertgrößter Beitragszahler der
Anlage 59 VN – hinter den USA, Japan und Großbritannien – 2010
voraussichtlich mit 576,4 Millionen Euro zum VN-
Antwort Haushalt der Friedensmissionen bei. Wir unterstützen
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage des die Arbeit der VN für Frieden und Sicherheit aber auch
Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache in vielen weiteren Bereichen, etwa als aktueller Vorsitz
17/3113, Frage 93): des Organisationskomitees der Peacebuliding Commis-
sion.
Wie begründet die Bundesregierung ihre Bewerbung um
einen nichtständigen und – im Falle einer Reform – sogar um
einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
Vor diesem Hintergrund sind wir überzeugt, dass wir
angesichts der Tatsache, dass die Leistungen Deutschlands auf im Sicherheitsrat einen wesentlichen Mehrwert zur Ar-
dem Gebiet von Frieden und internationaler Sicherheit durch beit dieses nach wie vor zentralen Gremiums leisten
die Bereitstellung von Polizei- und Militärpersonal für VN- können. Klar ist: Nur wer im Sicherheitsrat vertreten ist,
geführte Peacekeeping-Missionen laut den letzten VN-Anga-
ben für den Monat August 2010 im Vergleich zu ähnlich gro- kann die Entscheidungen des Rats in seinem Sinne mit-
ßen Staaten wie Italien, Rang 16, Frankreich, Rang 18, oder bestimmen. Nur als Mitglied können wir deutsche Anlie-
Spanien, Rang 21, lediglich mit Rang 44 bemessen wird? gen direkt einbringen und unseren Ideen Gehör verschaf-
Die Bundesregierung ist seit Jahren ein verlässlicher fen.
(B) (D)
Partner der Vereinten Nationen. Dies gilt insbesondere Die Arbeit des VN-Sicherheitsrats beschränkt sich im
auch für unsere Beteiligung an VN-geführten Missionen Übrigen nicht auf den Einsatz von Soldaten oder das
mit Soldaten und Polizisten. Im Schnitt waren seit 2002 Verhängen von Sanktionen. Der Rat ist Diskussionsfo-
zumeist um die 300 Soldaten und Polizisten im Einsatz
rum für viele Fragen von Frieden und Gerechtigkeit –
für die von den VN geführten Missionen. Schwankungen
von der Rolle der Frau bei Friedensmissionen über die
beruhen ausschließlich auf operativen Anforderungen
Problematik von Kindern in bewaffneten Konflikten bis
– wie etwa der Übernahme der Führung des UNIFIL-Flot-
tenverbands – und können nicht als Indiz für steigendes hin zur Rolle von Drogen bei der Destabilisierung ein-
oder sinkendes Engagement der deutschen VN-Politik zelner Regionen, der Nahrungsmittelsicherheit oder dem
gewertet werden. Zugang zu Wasser. In all diesen Bereichen leistet die
Bundesregierung, leistet Deutschland wichtige, weltweit
Dies wird durch einen Blick auf den seit 2002 höchs- anerkannte Beiträge.
ten und den tiefsten Stand der Beteiligung deutlich: Mit
248 Personen waren im Juni 2006 die wenigsten deut- Die zentrale Rolle des Sicherheitsrats in der Weltpoli-
schen Soldaten und Polizisten eingesetzt. Nur sechs tik liegt auf der Hand. Wir streben eine Reform des Si-
Monate später, im Dezember 2006, waren mehr als vier cherheitsrats an, weil wir ein fundamentales Interesse
Mal so viel Soldaten und Polizisten im Einsatz, näm- daran haben, dass dieses zentrale Gremium auch die
lich 1 143. Der Schluss, das Engagement der damali- Weltordnung von heute spiegelt. Nur wenn der Rat uni-
gen Bundesregierung für die VN-geführten Einsätze versell anerkannt wird, kann er seiner Rolle als Hüter
hätte sich in jenem halben Jahr vervierfacht, scheint mir und Wahrer des Friedens und der internationalen Sicher-
zumindest gewagt. Die Beteiligung der anderen von Ih- heit gerecht werden.
nen genannten Nationen bewegt sich grundsätzlich in
ähnlichen Größenordnungen. Schwankungen sind auch Deswegen sind wir engagiert in der Debatte zur Re-
hier durch besondere operative Anforderungen oder das form des Sicherheitsrats: Wir wollen eine Reform, die
Engagement für eine bestimmte Mission – für Frank- die großen Länder des Südens an den Tisch bringt. Und
reich, Italien und Spanien ist dies derzeit UNIFIL – be- wir glauben, dass wir als einer der größten Beitragszah-
gründet. An der Verlässlichkeit des Engagements die- ler ebenfalls vertreten sein sollten. Denn auch die Inte-
ser Partner für die VN besteht, unabhängig von der ressen derjenigen, die für einen Großteil der Rechnung
genauen Zahl der Soldaten und Polizisten, die sie stel- aufkommen, werden heute nicht in ausreichendem Maße
len, kein Zweifel. berücksichtigt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 64. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Oktober 2010 6789

(A) Anlage 60 Anlage 61 (C)


Antwort Antwort
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage des des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage der
Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck-
GRÜNEN) (Drucksache 17/3113, Frage 94): sache 17/3113, Frage 95):
Wie gedenkt die Bundesregierung sich für den seit mehr
als vier Wochen in Syrien verhafteten deutschen Menschen- Inwieweit hält die Bundesregierung an ihrer Auffassung
rechtsaktivisten Ismail Abdi gegenüber den syrischen Behör- fest, dass die deutsche Beteiligung an der Mission EUTM So-
den einzusetzen, nachdem die bisherigen Bemühungen des malia – European Union Training Mission for Somalia – kein
Auswärtigen Amts – Bitte um konsularischen Zugang, um an- bewaffneter Einsatz im Sinne des Parlamentsbeteiligungsge-
waltliche Vertretung, um Informationen zum Aufenthaltsort setzes ist, obwohl das Bundesministerium der Verteidigung
und Haftgrund sowie das Angebot der Versorgung mit not- die Bedrohungslage in Uganda „zurzeit als mittel eingestuft“
wendigen Medikamenten – ob der syrischen Auffassung, Is- hat, das heißt, ein/eine „Staat, Organisation oder Gruppe ver-
mail Abdi sei syrischer Staatsbürger, keine Reaktionen auf sy- fügt über die Fähigkeit und die Absicht, deutsche Streitkräfte
rischer Seite erbracht haben, und wie rechtfertigt die und/oder verbündete Streitkräfte anzugreifen. Allgemeine,
Bundesregierung angesichts derartiger Vorgehensweisen der nicht spezifizierte Anzeichen deuten auf möglicherweise bevor-
syrischen Behörden ihr Festhalten am Vollzug des am 14. Juli stehende Angriffe hin“ (Unterrichtung des Parlaments 39/10)?
2008 abgeschlossenen Abkommens zwischen den Regierun-
gen der Bundesrepublik Deutschland und der Arabischen Re- Die somalischen Al Shabaab führten am 11. Juli 2010
publik Syrien über die Rückführung von illegal aufhältigen in Kampala erstmals gezielt Sprengstoffattentate auf
Personen? ugandische Einrichtungen/Staatsbürger durch und kün-
digten für die Zukunft weitere Anschläge auf Uganda als
Das Auswärtige Amt bemüht sich weiterhin hochran-
Truppensteller für die Mission der Afrikanischen Union
gig und mit Nachdruck um die konsularische Betreuung
in Somalia, AMISOM, an. Dies machte mit Blick auf die
Herrn Abdis. Es trifft zu, dass der Deutschen Botschaft
Zusammenarbeit mit den ugandischen Streitkräften bei
in Damaskus bislang kein konsularischer Zugang ge-
EUTM Somalia gemäß der Definition eine Hochstufung
währt wurde. Andererseits hat die syrische Regierung
der Bedrohungslage in Uganda auf „mittel“ notwendig,
die konsularische Betreuung durch die Deutsche Bot-
auch wenn nicht erkennbar war, dass deutsche oder an-
schaft bislang auch nicht abgelehnt.
dere an EUTM beteiligte europäische Soldaten Ziel der
Im vorliegenden Haftfall geht es um die konsulari- Anschläge waren oder werden könnten.
sche Unterstützung für einen deutschen Staatsangehöri-
gen in Syrien, der nach syrischer Auffassung syrischer Waffen werden von den teilnehmenden Soldatinnen
Staatsangehöriger ist. Es besteht daher kein unmittelba- oder Soldaten der Bundeswehr weiterhin nur zum Zwe-
(B) rer Zusammenhang zu dem bilateralen Rückführungsab- cke des Selbstschutzes und gegebenenfalls zu Ausbil- (D)
kommen mit Syrien. dungszwecken getragen.

Das deutsch-syrische Abkommen über die Rückfüh- Es ist auch weiterhin nicht zu erwarten, dass Soldatin-
rung von illegal aufhältigen Personen regelt im Rahmen nen und Soldaten der Bundeswehr im Rahmen der Teil-
der Gegenseitigkeit die Voraussetzungen, unter denen nahme an der EUTM Somalia in bewaffnete Unterneh-
ein Vertragspartner zur Rückübernahme ausreisepflichti- mungen im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
ger Personen verpflichtet ist. Es wirkt sich in Deutsch- einbezogen werden.
land nur auf Personen aus, deren Ausreisepflicht in ei-
nem rechtsstaatlichen Verfahren bereits festgestellt Gemäß § 2 Abs. 1 des Parlamentsbeteiligungsgeset-
wurde. zes liegt ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vor, wenn
Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in bewaff-
In diesem Zusammenhang beobachtet das Auswärtige nete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbe-
Amt die Lage in Syrien sehr sorgfältig und erstellt in ziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten
Amtshilfe halbjährlich einen Bericht über die asyl- und ist. Dies ist bei der Beteiligung von Soldatinnen oder
abschiebungsrelevante Lage. Dieser dient als eine Soldaten der Bundeswehr an EUTM Somalia nicht der
Grundlage für die ausländerrechtlichen Bewertungen Fall. Es besteht keine konkrete militärische Gefahren-
seitens der zuständigen Innen- und Justizbehörden. Da- lage, die eine qualifizierte Erwartung einer Einbezie-
bei werden auch Entwicklungen in der Strafverfolgungs- hung in bewaffnete Auseinandersetzungen begründen
und Strafzumessungspraxis berücksichtigt. würde.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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