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Plenarprotokoll 16/44

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

44. Sitzung

Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 29: geordneter und der Fraktion der LIN-


KEN: Föderalismusreform im Bil-
a) – Zweite und dritte Beratung des von
dungsbereich
den Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD eingebrachten Entwurfs eines – zu dem Antrag der Abgeordneten
Gesetzes zur Änderung des Grund- Krista Sager, Priska Hinz (Herborn),
gesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, Kai Boris Gehring, weiterer Abgeord-
74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, neter und der Fraktion des BÜND-
93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, NISSES 90/DIE GRÜNEN: Koopera-
125 a, 125 b, 125 c, 143 c) tionsmöglichkeiten von Bund und
(Drucksachen 16/813, 16/2010, 16/2069, Ländern in Bildung und Wissen-
16/2020) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4233 A schaft erhalten
– Zweite und dritte Beratung des von – zu dem Antrag der Abgeordneten
den Fraktionen der CDU/CSU und der Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick
SPD eingebrachten Entwurfs eines Meinhardt, weiterer Abgeordneter und
Föderalismusreform-Begleitgesetzes der Fraktion der FDP: Innovations-
(Drucksachen 16/814, 16/2010, 16/2069, pakt 2020 für Forschung und Lehre
16/2020) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4233 B in Deutschland – Kooperationen
zwischen Bund und Ländern weiter
b) Beschlussempfehlung und Bericht des ermöglichen
Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Sylvia Kotting-
Wolfgang Wieland, Volker Beck Uhl, Cornelia Behm, weiterer Abge-
(Köln), Jerzy Montag, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜND-
ordneter und der Fraktion des NISSES 90/DIE GRÜNEN: Für ein
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: effektives, europataugliches und
Resozialisierungsziele des Strafvoll- wirtschaftsfreundliches Umwelt-
zugs bewahren – Sicherheit nicht ge- recht
fährden – zu dem Antrag der Abgeordneten
– zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg Horst Meierhofer, Michael Kauch,
van Essen, Sabine Leutheusser- Angelika Brunkhorst, weiterer Abge-
Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, ordneter und der Fraktion der FDP:
weiterer Abgeordneter und der Frak- Zukunftsfähige Rahmenbedingun-
tion der FDP: Jugendstrafvollzug gen für ein wirksames Umweltrecht
verfassungsfest gestalten im föderalen Deutschland schaffen
– zu dem Antrag der Abgeordneten – zu dem Antrag der Abgeordneten Lutz
Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Heilmann, Eva Bulling-Schröter,
Schneider (Saarbrücken), weiterer Ab- Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter
II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

und der Fraktion der LINKEN: Ein Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . 4273 A
einheitliches Umweltrecht schaffen –
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . 4273 C
Kompetenzwirrwarr vermeiden
(Drucksachen 16/653, 16/851, 16/647, Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4273 D
16/648, 16/954, 16/654, 16/674, 16/927,
16/2010, 16/2069) . . . . . . . . . . . . . . . . 4233 C Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4274 C
Ulrich Maurer (DIE LINKE)
(zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . 4234 B Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4276 C

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4278 A


(zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . 4235 C
Ernst Burgbacher (FDP) Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . 4280
. . . . A, 4284 B
(zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . 4236 A 4287 A, 4289 B
4292 A, 4296 A
Olaf Scholz (SPD)
(zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . 4236 D Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4280
. . . . C, 4284 C
4287 A, 4289 B
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ 4292 A, 4295 D
DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . 4237 C Tagesordnungspunkt 30:
Dr. Peter Struck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4238 C Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten:
Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4242 A Jahresbericht 2005 (47. Bericht)
(Drucksache 16/850) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4298 D
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4243 C
Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter
Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4246 B des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . 4298 D
Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Anita Schäfer (Saalstadt)
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4248 D (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4300 B
Volker Kröning (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4251 A Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4301 D
Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4254 B Hedi Wegener (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4303 A
Krista Sager (BÜNDNIS 90/ Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4303 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4254 C
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/
Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4255 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4305 A
Volker Kröning (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4255 C Petra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4306 A
Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . 4255 D
Dr. Angela Merkel, Tagesordnungspunkt 31:
Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4257 D
a) Antrag der Abgeordneten Dr. Werner
Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4259 C Hoyer, Dr. Karl Addicks, Christian
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4260 C Fraktion der FDP: Glaubwürdigkeit der
G 8 bewahren – Kritische Themen beim
Volker Kröning (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4261 D Weltwirtschaftsgipfel in Sankt Peters-
Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . 4262 B burg nicht aussparen
(Drucksache 16/1570) . . . . . . . . . . . . . . . 4307 A
Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4263 C
b) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Bodo Ramelow (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4266 D Heike Hänsel, Hans-Kurt Hill, weiterer
Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4267 B Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN: Für demokratische internationale
Otto Schily (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4267 B Entscheidungsprozesse statt G 8
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Drucksache 16/1879) . . . . . . . . . . . . . . . 4307 B
(FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4268 B c) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin,
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge-
4269 D
ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
Otto Schily (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4270 D SES 90/DIE GRÜNEN: G-8-Gipfel muss
Signal zu nachhaltiger Energieversor-
Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 4271 C
gung geben und Gesundheitssysteme in
Krista Sager (BÜNDNIS 90/ den Entwicklungsländern stärken
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4272 B (Drucksache 16/1966) . . . . . . . . . . . . . . . 4307 B
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 III

Tagesordnungspunkt 32: Anlage 3


Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
schusses für Kultur und Medien zu der Unter- der Anträge:
richtung durch die Deutsche Welle: Auf-
gabenplanung der Deutschen Welle 2007 – Glaubwürdigkeit der G 8 bewahren – Kri-
bis 2010 tische Themen beim Weltwirtschaftsgipfel
(Drucksachen 16/1000, 16/1476 Nr. 1.1, in Sankt Petersburg nicht aussparen
16/2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4307 C – Für demokratische internationale Ent-
Bernd Neumann, Staatsminister BK . . . . . . . 4307 D scheidungsprozesse statt G 8

Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4308 C – G-8-Gipfel muss Signal zu nachhaltiger


Energieversorgung geben und Gesund-
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . 4310 C heitssysteme in den Entwicklungsländern
Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ stärken
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4311 C (Tagesordnungspunkt 31 a bis c)
Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4311 C Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4315 D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4317 C
Tagesordnungspunkt 33: Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 4318 C
Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 4319 B
Schröter, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/
LINKEN: Umverteilung durch den Emis- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4319 D
sionshandel beenden – Vorreiterrolle im
Klimaschutz übernehmen
(Drucksache 16/1682) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4312 C Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der
Tagesordnungspunkt 35: Beschlussempfehlung und des Berichts: Auf-
gabenplanung der Deutschen Welle 2007 bis
Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, 2010 (Tagesordnungspunkt 32)
Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP: Zuverläs- Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4320 D
sigkeitsüberprüfung von Privatpiloten auf
ein angemessenes Maß reduzieren
(Drucksache 16/859) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4312 D Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Umverteilung durch den Emissi-
Tagesordnungspunkt 11: onshandel beenden – Vorreiterrolle im Klima-
Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, schutz übernehmen (Tagesordnungspunkt 33)
Bärbel Höhn, Renate Künast, Irmingard Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . 4321 C
Schewe-Gerigk und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN: Moratorium für Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4323 A
Gentechnik in der Landwirtschaft
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4324 B
(Drucksache 16/1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4313 A
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 4325 A
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4313 C Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4325 D

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4315 A Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Zuverlässigkeitsüberprüfung
Anlage 2 von Privatpiloten auf ein angemessenes Maß
Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der reduzieren (Tagesordnungspunkt 35)
Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4326 B
Jahresbericht 2005 (47. Bericht) (Tagesord-
nungspunkt 30) Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) . . . . . . . . . . . . . 4327 C
Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . . 4315 A Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 4328 A
IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4329 A Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) . . . . . . . . . . 4349 C
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Steffen Reiche (Cottbus) (SPD) . . . . . . . . . . . 4350 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4329 D
Maik Reichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4352 B
Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . 4353 B
Anlage 7
Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4353 D
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
des Antrags: Moratorium für Gentechnik in Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD) . . . . . . . . 4354 D
der Landwirtschaft (Tagesordnungspunkt 11) Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4355 D
Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 4330 C Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4356 B
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . 4331 B Gunter Weißgerber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4356 D
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 4332 A Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . 4357 C
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4333 A
Anlage 9
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4334 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Ingrid Fischbach und Michaela Noll (beide
CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
Anlage 8 über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände-
rung des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52,
Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93,
Abstimmung über den Entwurf eines Geset- 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b,
zes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22, 125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a) . . . 4358 D
23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c,
91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109,
125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungs- Anlage 10
punkt 29 a)
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD) . . . . . . . . . . . . 4335 B Florian Toncar und Frank Schäffler (beide
Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4335 C FDP) zur namentlichen Abstimmung über den
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Petra Bierwirth (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4337 A Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74,
Dr. Gerhard Botz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4337 D 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a,
104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c)
Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4338 A (Tagesordnungspunkt 29 a). . . . . . . . . . . . . . . 4359 A
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . 4338 D
Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4339 B Anlage 11
Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4339 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Christine Lambrecht und Christoph Strässer
Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4341 A
(beide SPD) zur namentlichen Abstimmung
Hans Eichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4341 C über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände-
rung des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52,
Petra Ernstberger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4341 D 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93,
Rainer Fornahl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4343 A 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b,
125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a) . . . 4360 A
Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 4344 A
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . 4344 B
Anlage 12
Kristina Köhler (Wiesbaden)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4345 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Lothar Binding (Heidelberg), Kerstin Griese,
Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4345 B Christel Humme und Caren Marks (alle SPD)
Jürgen Kucharczyk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4346 B zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund-
Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . 4346 D gesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a,
Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a,
4348 A
104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c,
Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 4348 D 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a) . . . . . . . . . 4360 D
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 V

Anlage 13 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungs-


punkt 29 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4363 B
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Edelgard Bulmahn, Ulla Burchardt, Jörg
Tauss, Gerold Reichenbach, Gesine Anlage 17
Multhaupt, Swen Schulz (Spandau), Ute Berg
und Dr. Carola Reimann (alle SPD) zur na- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- Johannes Pflug, Heinz Paula, Angelika
nes Gesetzes zur Änderung des Grundgeset- Krüger-Leißner, Iris Hoffmann (Wismar),
zes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, Petra Ernstberger, Doris Barnett, Bernhard
84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, Brinkmann (Hildesheim), Dr. Carl-Christian
105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Ta- Dressel, Karin Evers-Meyer, Dagmar Freitag,
gesordnungspunkt 29 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4361 A Monika Griefahn, Hans-Joachim Hacker,
Petra Heß, Johannes Kahrs, Dr. h. c. Susanne
Kastner, Dr. Uwe Küster, Bernd Scheelen,
Anlage 14 Silvia Schmidt (Eisleben), Reinhard Schultz
(Everswinkel), Simone Violka und Steffen
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Reiche (Cottbus) (alle SPD) zur namentlichen
Johannes Singhammer, Markus Grübel, Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
Thomas Dörflinger, Paul Lehrieder, Elisabeth zes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22,
Winkelmeier-Becker, Antje Blumenthal und 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c,
Katharina Landgraf (alle CDU/CSU) zur na- 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109,
mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungs-
nes Gesetzes zur Änderung des Grundgeset- punkt 29 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4363 D
zes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75,
84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b,
105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Ta- Anlage 18
gesordnungspunkt 29 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4362 B
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Dr. Lale Akgün, Lothar Binding (Heidelberg),
Anlage 15 Elvira Drobinski-Weiß, Elke Ferner, Willi
Brase, Renate Gradistanac, Klaus Hagemann,
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Gabriele Hiller-
Ralf Göbel, Beatrix Philipp, Clemens Ohm, Frank Hofmann (Volkach), Dr. Bärbel
Binninger, Reinhard Grindel, Ingo Kofler, Karin Kortmann, Rolf Kramer, Anette
Wellenreuther, Helmut Brandt, Klaus Riegert Kramme, Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-
und Günter Baumann (alle CDU/CSU) zur Möller, Lothar Mark, Hilde Mattheis,
namentlichen Abstimmung über den Entwurf Dr. Sascha Raabe, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset- Ortwin Runde, Dr. Frank Schmidt, Heinz
zes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, Schmitt (Landau), Swen Schulz (Spandau),
84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, Ewald Schurer, Dr. Rainer Tabillion,
105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Ta- Dr. Wolfgang Wodarg, Heidi Wright, Manfred
gesordnungspunkt 29 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4362 B Zöllmer, Christian Kleiminger, Karin Roth
(Esslingen), Christoph Strässer, Bettina
Hagedorn, Martin Gerster, Reinhold Hemker,
Anlage 16 Mechthild Rawert, Dr. Axel Berg, Martin
Burkert, Helga Kühn-Mengel und Gabriele
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Groneberg (alle SPD) zur namentlichen Ab-
Dr. Marlies Volkmer, Andrea Wicklein, Dr. stimmung über den Entwurf eines Gesetzes
Margrit Spielmann, Dr. Peter Danckert, Dr. zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22, 23,
Ditmar Staffelt, Andreas Steppuhn, Christian 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a,
Kleiminger, Volker Blumentritt, Silvia 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109,
Schmidt (Eisleben), Iris Gleicke, Waltraud 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungs-
Wolff (Wolmirstedt), Engelbert Wistuba und punkt 29 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4365 B
Andreas Weigel (alle SPD) zur namentlichen
Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22, Anlage 19
23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c,
91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4366 A
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4233

(A) (C)

Redetext

44. Sitzung

Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Beginn: 8.00 Uhr

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Berichterstattung:


Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abgeordnete Dr. Claudia Winterstein
Sitzung ist eröffnet. Roland Claus
Anna Lührmann
Ich begrüße Sie herzlich an diesem Tag einer wichti- Dr. Ole Schröder
gen Entscheidung. Lothar Binding (Heidelberg)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag,
Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
(B) 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (D)
Resozialisierungsziele des Strafvollzugs
– Drucksache 16/813 – bewahren – Sicherheit nicht gefährden
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- – zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Entwurfs eines Föderalismusreform-Begleitge- Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter
setzes und der Fraktion der FDP
– Drucksache 16/814 – Jugendstrafvollzug verfassungsfest gestalten
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
schusses (6. Ausschuss) Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saar-
– Drucksachen 16/2010, 16/2069 – brücken), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der LINKEN
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer Föderalismusreform im Bildungsbereich
Dr. Günter Krings
– zu dem Antrag der Abgeordneten Krista Sager,
Daniela Raab
Priska Hinz (Herborn), Kai Boris Gehring, wei-
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
terer Abgeordneter und der Fraktion des
Volker Kröning
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Klaus Uwe Benneter
Dr. Carl-Christian Dressel Kooperationsmöglichkeiten von Bund und
Joachim Stünker Ländern in Bildung und Wissenschaft erhal-
Dr. Peter Danckert ten
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Jörg van Essen
Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer
Wolfgang Nešković
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Wolfgang Wieland
Innovationspakt 2020 für Forschung und
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
Lehre in Deutschland – Kooperationen zwi-
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
schen Bund und Ländern weiter ermögli-
– Drucksache 16/2020 – chen
4234 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard weisung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des (C)
Loske, Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm, Grundgesetzes an die Ausschüsse gemäß § 82 Abs. 3 der
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Geschäftsordnung.
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
Für ein effektives, europataugliches und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
wirtschaftsfreundliches Umweltrecht
Werten Sie das als einen letzten Versuch der Opposition,
– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst dieses Gesetzeswerk dem Sachverstand der Abgeordne-
Meierhofer, Michael Kauch, Angelika ten dieses Hohen Hauses zuzuführen. Ich betone das
Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der deswegen so, weil wir zwar eine der größten Anhörun-
Fraktion der FDP gen – vielleicht sogar die größte Anhörung – in der
Geschichte des Bundestages erlebt haben, aber die zahl-
Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für ein
reichen Einwände der Sachverständigen unter 30 Tages-
wirksames Umweltrecht im föderalen
ordnungspunkten im Rechtsausschuss abgefrühstückt
Deutschland schaffen
worden sind; anders kann man es nicht nennen. Unter ei-
– zu dem Antrag der Abgeordneten Lutz ner seriösen Beratung
Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt
(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Ein gutes
Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Stichwort!)
der LINKEN
des deutschen Parlaments stellen wir uns jedenfalls et-
Ein einheitliches Umweltrecht schaffen –
was anderes vor.
Kompetenzwirrwarr vermeiden
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
– Drucksachen 16/653, 16/851, 16/647, 16/648,
neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE
16/954, 16/654, 16/674, 16/927, 16/2010, 16/2069 –
GRÜNEN – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]:
Berichterstattung: Dann machen Sie etwas Seriöses!)
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer
Dr. Günter Krings Diese Prozedur ist von dem Willen diktiert, diesen
Daniela Raab Gesetzentwurf vor der Sommerpause durchzupeitschen.
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Es geht, wie ich höre, um den Bestand der großen Koali-
Volker Kröning tion.
Klaus Uwe Benneter (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unsinn!)
(B) Dr. Carl-Christian Dressel (D)
Joachim Stünker Die Wirkungen der Fliehkräfte dieser Gesetzgebung auf
Dr. Peter Danckert die deutsche Republik sind aber so groß, dass der Be-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stand der großen Koalition bei weitem nicht so wichtig
Jörg van Essen ist wie der Bestand der Republik.
Wolfgang Nešković (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
Wolfgang Wieland Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Es liegen mehrere Änderungsanträge und Entschlie- NEN])
ßungsanträge vor. Über fünf Änderungsanträge werden Mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitiere ich den
wir später namentlich abstimmen. Die Schlussabstim- Kollegen Thierse.
mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes wird ebenfalls namentlich durchge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)
führt. Zur Annahme dieses Gesetzentwurfs ist die Zu-
stimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Deut- Er wurde in einem Interview gefragt:
schen Bundestages erforderlich. Für diese Abstimmung Herr Thierse, warum haben Sie im SPD-Fraktions-
benötigen Sie außer Ihrer Stimmkarte Ihren gelben vorstand gegen die Föderalismusreform gestimmt?
Stimmausweis, den Sie, falls Sie dies bislang nicht getan
haben, noch Ihrem Stimmkartenfach entnehmen können. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat er!)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Seine Antwort lautete:


die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei- Mit der Föderalismusreform wird ein Paradigmen-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. wechsel vom solidarischen Föderalismus zum
Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich dem Wettbewerbsföderalismus eingeleitet. Der solidari-
Kollegen Maurer, Fraktion Die Linke, das Wort. sche Föderalismus ist aber Teil der Erfolgsge-
schichte der alten Bundesrepublik … Alles läuft
(Beifall bei der LINKEN) darauf hinaus, dass die Länder in verschärfte Kon-
kurrenz zueinander treten.
Ulrich Maurer (DIE LINKE):
Ein sehr sachverständiger Rat!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Die Fraktion Die Linke beantragt die Rücküber- (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4235
Ulrich Maurer
(A) Wir wünschen uns, dass ein Gesetz, von dem – ich ein noch größeres Vergnügen bereiten, wenn Sie mich (C)
hoffe, ich täusche mich – Historiker vielleicht einmal sa- vollständig zitieren würden.
gen werden, dass es die Republik auseinander getrieben
hat, (Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle
[FDP]: Das geht mir auch so oft so, Herr Präsi-
(Joachim Stünker [SPD]: Sie haben es nicht dent!)
gelesen!)
Ich erteile nun dem Kollegen Norbert Röttgen, CDU/
ein Gesetz, bei dem Sie das Dach gebaut haben, aber CSU-Fraktion, das Wort.
keine Fundamente, weil Sie die Finanzbeziehungen
nicht geregelt haben – selbst bei dem Spiel „Monopoly“ Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
geht man mit gleichem Geld an den Start; hier machen
Sie es anders –, Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Das Verfahren zur Beratung des Grundgesetzes im
(Beifall bei der LINKEN) Bund-Länder-Verhältnis wird kritisiert. Darum möchte
ich es ganz kurz noch einmal darstellen. Allein die Dar-
dass ein solches Gesetz so behandelt wird, wie es im Ge- stellung wird deutlich machen, dass es hinsichtlich der
meinschaftskundeunterricht an den Schulen gelehrt Intensität und Ausführlichkeit wahrscheinlich noch nie
wird: Da lernen die Schülerinnen und Schüler, dass man ein vergleichbares Verfahren gegeben hat.
sachverständigen Rat einholt und die Einwände der
Sachverständigen von den Fachpolitikern einzeln bewer- Wir haben – ich habe mir die Daten noch einmal her-
ten lässt, um Gesetzeswerke zu verbessern. – All das ausgesucht – im Zeitraum vom 15. Mai bis zum 2. Juni
wollen Sie nicht. Sie wollen eine machttaktische Ent- dieses Jahres an sieben ganzen Tagen – unter anderem
scheidung vor der Sommerpause. Das wird Ihrer Verant- sind deshalb Plenarsitzungen ausgefallen – nicht nur
wortung bei einer Verfassungsänderung nicht gerecht. eine Anhörung des Bundestages durchgeführt, sondern
eine gemeinsame Anhörung von Bundestag und Bundes-
(Beifall bei der LINKEN) rat. Für alle Abgeordneten, alle Kollegen bestand die
Deswegen haben wir diesen Antrag gestellt, übrigens Möglichkeit, an einer siebentägigen Anhörung mit einer
auch in dem Bewusstsein, dass einige Kolleginnen und großen Zahl von Sachverständigen teilzunehmen.
Kollegen von der SPD und viele an der Basis der sozial- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
demokratischen Partei das ebenfalls so sehen. Das ist Ih- neten der SPD)
nen ja auch bekannt. Ich glaube, dass Sie, wenn Sie die
Verfassung der Republik ändern, darauf hinwirken soll- Wir haben die Anhörung so organisiert, dass alle Mit-
(B) ten, dass Sie sich jedenfalls im Nachfeld der Geschichte glieder des Hauses – wo hat es das schon einmal gege- (D)
nicht nachsagen lassen müssen, Sie hätten die Verfas- ben! – daran teilnehmen konnten. Ich habe es nicht re-
sungsänderung nicht in einem seriösen Gesetzgebungs- cherchiert; aber ich glaube, dass es eine derartige
verfahren unter Abwägung aller Bedenken durchgeführt. Intensität und Ausführlichkeit einer Sachverständigen-
beratung in der Geschichte des deutschen Parlamentes
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wenn Sie wahrscheinlich noch nicht gegeben hat.
„seriös“ in den Mund nehmen, kriege ich einen
Hustenanfall!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –
Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Der Maurer
– Halten Sie sich zurück, Herr Kollege. Es mag sein, war wenig da!)
dass man sich im Süden der Republik – da komme ich ja
selber her – von dieser Gesetzgebung verbesserte Chan- Die letzte Anhörung war am 2. Juni; jetzt ist es vier Wo-
cen erhofft. Wir haben hier aber die Interessen des ge- chen später. In allen Ausschüssen ist darüber erneut be-
samten deutschen Staatsvolkes zu wahren. Das will ich raten worden. Auch Ihre Fraktion hatte Gelegenheit, an
in aller Deutlichkeit sagen. diesem Prozess teilzunehmen. Vor vier Wochen ist die
Anhörung abgeschlossen worden.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber es wurde ja nicht nur über Wochen und Monate
Deswegen noch einmal: Lassen Sie uns diesen Ge- diskutiert, sondern vom Herbst 2003 bis zum September
setzentwurf in Ruhe, seriös und unter Abwägung aller 2004 hat über ein Jahr eine gemeinsame Kommission
geäußerten Bedenken – die bei den Sachverständigen von Bundestag und Bundesrat stundenlang und tagelang
überwogen haben – in den Ausschüssen bewerten und beraten, ebenfalls in einer Intensität, wie es sie noch
dann einer Gesetzgebung zuführen, bei der dann wenigs- nicht gegeben hat. Wir haben in den Kommissionen jah-
tens jeder weiß, dass er seinem Anspruch als Abgeord- relang über dieses Thema beraten.
neter gerecht geworden ist.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank.
Dieser Beratung wiederum sind jahrelange Diskussionen
(Beifall bei der LINKEN)
über die Notwendigkeit der Reform des Föderalismus in
Deutschland vorangegangen. Ich glaube, es gibt keine
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: andere Diskussion, die einen ähnlich langen Vorlauf
Herr Kollege Maurer, wenn Sie mir schon das Ver- hatte. Im Grunde könnte man diese Diskussion über ei-
gnügen bereiten, mich zu zitieren, dann könnten Sie mir nen Zeitraum von Jahrzehnten nachzeichnen. Ich will im
4236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Dr. Norbert Röttgen


(A) Übrigen daran erinnern, dass diese Reform im Dezember In der letzten Woche gab es eine informelle Sitzung, die (C)
2004 schon einmal gescheitert ist. Sie noch absagen wollten und die nur auf unseren Druck
hin überhaupt zustande kam.
Wer also behauptet, er hätte keine Gelegenheit ge-
habt, sich zu betätigen, der hatte entweder keine Lust (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem
oder Eignung dazu oder der möchte einfach destruktiv BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
sein.
Die mitberatenden Ausschüsse hatten zum Teil noch
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nicht einmal die theoretische Chance, so rechtzeitig zu
beraten, dass ihre Stellungnahme vom federführenden
Wenn Sie nur die Hälfte des Engagements, das Sie Ausschuss aufgenommen werden konnte. Liebe Kolle-
jetzt in die Kritik an dem Verfahren investieren, in die ginnen und Kollegen, das ist doch kein ordentliches Ver-
konstruktive Beteiligung an der Diskussion investiert fahren.
hätten, dann wären wir schon zufrieden gewesen.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
der SPD – Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das GRÜNEN)
ist eine Unverschämtheit!)
Was ist der Grund dafür? Der Grund dafür ist einzig
Es geht aber nicht, dass Sie in der Sache nichts tun und und allein, dass Sie Angst davor haben, dass Ihre hart er-
am Ende Ihre Alternativlosigkeit durch eine Kritik am kämpfte Mehrheit in der Sommerhitze dahinschmilzt
Verfahren kaschieren. Das ist eine billige Methode, die und damit die große Koalition. Das ist doch der Punkt.
an dieser Stelle völlig unangebracht ist.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:


Es gab in dieser Woche mehrere Verfahren, die es zu
kritisieren gibt. Eines gab es gestern: Im Ausschuss ha-
Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Burgbacher, FDP- ben Sie mit Ihrer Mehrheit – das ist die Arroganz der
Fraktion. Macht – einfach Tagungsordnungspunkte der Opposition
abgesetzt. So geht es nicht. Geben Sie Ihre Rechte, die
Ernst Burgbacher (FDP): Sie als frei gewählte Abgeordnete haben, nicht an der
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Garderobe des Bundesrates und der großen Koalition ab!
Verehrter Herr Kollege Röttgen, wir müssen die Kirche Nehmen Sie Ihre Rechte wahr! Es ist wichtig, dass das
(B) schon im Dorf lassen. Parlament noch einmal in aller Ruhe an diesem Gesetz- (D)
entwurf arbeitet. Dann besteht die Chance, dass der Ge-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ganz
setzentwurf mit einer breiten Mehrheit von diesem Haus
klar!)
verabschiedet wird. Deshalb werden wir dem Antrag auf
Wir saßen gemeinsam 14 Monate in der Föderalismus- Rücküberweisung zustimmen.
kommission. Es gingen dann 15 Monate ins Land, in de- (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem
nen in allen möglichen Zirkeln – diese haben mich an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut
den Vermittlungsausschuss erinnert, dessen Bedeutung Koschyk [CDU/CSU]: Eine interessante Ko-
wir doch zurückfahren wollen – weiterdiskutiert wurde, alition!)
und zwar ohne Beteiligung des Parlaments. Erst nach
etwa 30 Monaten hat die Föderalismusreform zum ers-
ten Mal dieses Parlament erreicht. Dann gab es tatsäch- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
lich die größte Anhörung, die dieses Haus je gesehen Das Wort hat nun Kollege Olaf Scholz, SPD-Fraktion.
hat.
Olaf Scholz (SPD):
Angesichts der Tatsache, dass wir nach 30 Monaten
nur eine Sitzungswoche Zeit hatten, um die Ergebnisse Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
der Anhörung auszuwerten und zu Beschlüssen zu kom- Wir führen jetzt eine Debatte über eine Rücküberwei-
men, kann man nur sagen, dass dies allen Bräuchen in sung. Man fragt sich schon, was das an dieser Stelle soll.
diesem Parlament widerspricht. Die einzelnen Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Joachim
neten hatten einfach nicht genügend Zeit, sich gründlich Stünker [SPD]: Theater! – Renate Künast
mit der Materie zu beschäftigen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sieht die GO
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie so vor, dass man das darf!)
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE – Man kann immer Anträge stellen. Vielleicht ist es auch
GRÜNEN) so, dass sich die PDS-Fraktion fragt: Welchen Ge-
Wie verlief denn diese Woche? Der Rechtsausschuss schäftsordnungsantrag stellen wir heute? Ich glaube
hat in einer einzigen Sitzung das gesamte Werk durchge- nicht, dass das ein besonders guter Vorgang ist. Er wird
wunken. der Sache auch nicht gerecht. Denn wir haben im Ple-
num und in verschiedenen anderen Gremien des Parla-
(Widerspruch bei der CDU/CSU – Joachim Stünker ments sorgfältig und intensiv über die Föderalismusre-
[SPD]: Das stimmt doch gar nicht!) form diskutiert. Jeder Abgeordnete hatte immer wieder
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4237
Olaf Scholz
(A) die Möglichkeit, sich mit der Reform, wie wir sie jetzt überzeugt, dass das, was Sie hier beantragen, völlig (C)
bestimmen, zu beschäftigen. Es ist schon gesagt worden: überflüssig ist. Wir haben uns unsere Meinung gebildet.
Der erste Versuch, diese Reform zustande zu bekommen,
(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Das stimmt!)
startete mit einer Reformkommission, die von Dezember
2003 bis Dezember 2004 tagte. Sie ist dann an einigen Ob wir jetzt oder im September oder im Dezember oder
Fragen gescheitert; etwa fünf waren noch offen. Aber es im Januar nächsten Jahres abstimmen, die PDS stellt die
war schon viel diskutiert worden und es stand schon vie- gleichen Anträge und ist genauso gegen diese Reform.
les fest. Viele haben sich ihre Meinung dazu gebildet.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
Wer politisch interessiert ist – ich hoffe, das gilt für Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Furchtbar,
die Abgeordneten dieses Hauses –, konnte im Koali- furchtbar! Herr Scholz, was erzählen Sie für
tionsvertrag der jetzigen Regierungsparteien vom einen Kram!)
18. November 2005 den kompletten Text und Begrün- Auch unseren Freunden von der FDP und den Grünen
dungen dazu nachlesen, wie wir diese Reform in den fällt nichts Neues mehr ein.
Bundestag einbringen wollten. Seit November hätte man
diesen Text schon einmal zur Hand nehmen und ein biss- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das mit den
chen nachlesen können. Freunden bereden wir noch einmal!)

Wir haben dann weiter diskutiert. Am 7. März ist der Insofern glaube ich, dass jetzt der Zeitpunkt gekom-
entsprechende Gesetzentwurf in den Bundestag einge- men ist, abzustimmen. Es wurde gut und sorgfältig bera-
bracht worden. Wir hatten am 10. März eine erste Le- ten. Jetzt ist der Zeitpunkt zum Abstimmen. Der Antrag
sung, in der in diesem Hause drei Stunden lang darüber ist abzulehnen.
diskutiert worden ist. Spätestens seitdem liegt diese Re- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
form für den Letzten, der nichts mitbekommen hat, auf
dem Tisch. Seitdem hätte man sich seine Meinung bilden Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
können. Ich erteile das Wort Kollegen Volker Beck, Fraktion
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) des Bündnisses 90/Die Grünen.

Einer der Glanzpunkte der Parlamentsgeschichte bzw. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
der Gesetzgebungsgeschichte in der Bundesrepublik Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stim-
Deutschland gehört zu dem, worüber wir heute diskutie- men dem Antrag ebenfalls zu, obwohl wir keine große
ren, dazu: Das ist die gemeinsame Anhörung von Bun- Hoffnung haben, dass bei Ihnen Einsicht einkehrt, die (D)
(B) destag und Bundesrat. So etwas hat es in dieser Form
Reform zurückzuüberweisen, und dass Sie, wenn wir sie
und in dieser Ausführlichkeit, was diese beiden Verfas- zurücküberweisen würden, in der Tat zu neuen Erkennt-
sungsgremien betrifft, noch nie gegeben. Jeder weiß, wie nissen kommen würden. Denn um Erkenntnisse geht es
kompliziert das war; insbesondere die Bank des Bundes- Ihnen gar nicht.
rates weiß es. Denn viele waren skeptisch, ob sie sich auf
eine gemeinsame Anhörung mit den Abgeordneten des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutschen Bundestages einlassen sollten. sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN-
KEN)
Aber die Anhörung hat stattgefunden und sie war
übermäßig erfolgreich. Die Sorge, dass man sich nach Sie haben lange Anhörungen durchgeführt, dann kurz
den ersten beiden Tagen der Beratung über die allgemei- beraten und fast keine Konsequenzen daraus gezogen.
nen Fragen aus dem Plenarsaal in andere Säle begeben Anhörungen macht man aber, damit man etwas lernt und
müsste, ist schnell gewichen. Man ist in den Plenarsaal daraus Konsequenzen zieht.
zurückgekehrt, weil sehr viele Abgeordnete dieses Hau-
ses an den Beratungen teilgenommen haben. Egal in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
welchem Fachgebiet sie tätig sind, sie haben hier im Ple- bei der FDP und der LINKEN)
narsaal gesessen, sich alles angehört und mitdiskutiert. Mit dieser Vorlage haben Sie eine große Chance ver-
Das war eine sehr sorgfältige Debatte. tan. Sie hätten der Republik deutlich machen können,
dass diese große Koalition, diese politische Konstella-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf tion, wenigstens zu etwas gut ist, nämlich zu einer Föde-
der Abg. Kornelia Möller [DIE LINKE]) ralismusreform, die die Frage klärt, welche gesetzgeberi-
56 Stunden Anhörung sind eine ganze Menge; das sche Kompetenz wir auf Bundesebene und welche wir
wissen alle hier. Natürlich handelt es sich um ein wichti- auf Landesebene brauchen und was die Kommunen al-
ges Gesetz; deshalb war die Beratungszeit angemessen. leine können, ohne dass ihnen ein anderer Gesetzgeber
Die dafür nötige Zeit haben wir uns genommen. Aber reinredet.
jetzt zu sagen, das alles habe nicht stattgefunden, ist (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wir ma-
nicht sehr überzeugend. chen seit zwei Jahren nichts anderes!)
Ich glaube, dass der Zeitpunkt gekommen ist, uns un- Stattdessen haben Sie danach gefragt: Was kann Frau
sere Meinung zu bilden und abzustimmen. Ich will Ihnen Merkel und was Herr Stoiber und wann macht Herr
ein einziges Argument nennen, das mich abschließend Müntefering gerade noch so mit?
4238 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Volker Beck (Köln)


(A) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Unsinn!) ernsthaft, obwohl er in der Sache richtig ist. Weil er rich- (C)
tig ist, nicht weil er unernsthaft ist, stimmen wir ihm zu.
Deals, Kuhhandel, ADG gegen Föderalismusreform –
das ist das Ergebnis, das wir heute vorliegen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
KEN) Die Fraktion Die Linke hat beantragt, den von den
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Das ist nicht gut für diese Republik. Wir sind in puncto Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-
Reformfähigkeit in diesem Land im europäischen Ver- zes an die Ausschüsse zurückzuüberweisen. Es ist ver-
gleich schlecht aufgestellt. einbart, über diesen Antrag jetzt abzustimmen. Wer
Jemand hat einmal gesagt – ich glaube, es war Herr stimmt für den Antrag auf Rücküberweisung? – Wer
Stoiber –: Das wird die Mutter aller Reformen. Was wir stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
hier vorliegen haben, ist die Mutter allen Murkses. Des- den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
halb sollten wir Ihnen die Chance geben, noch einmal men der drei anderen Fraktionen abgelehnt.
nachzuarbeiten. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wort dem Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion.
bei der FDP und der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Liebe Juristen draußen im Land, falls wir hier unter- der CDU/CSU)
liegen: Genießen Sie die Sommerpause! Die alte Weis-
heit „Ein Blick in das Gesetz erleichtert die Rechtsfin- Dr. Peter Struck (SPD):
dung“ ist nach der Sommerpause Geschichte. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Joachim Stünker [SPD]: Das müssen Sie ge-
Bezüglich der Debatte um die bundesstaatliche Neuord-
rade sagen! Becksches Gesetz!)
nung habe ich eine bemerkenswerte Diskrepanz festge-
Denn dann wird es zum Teil zu einer Rechtsfrage drei stellt: Sie wurde von Landesparlamenten, Ministerpräsi-
Gesetzesbeschlüsse geben: Der Bund trifft eine Rege- denten, dem Bundestag, von Verbänden, von der
lung, von der die Länder jedoch abweichen dürfen. Dann gesamten Politik mit größten Engagement und äußerster
macht der Bund diese Regelung teilweise verbindlich. – Leidenschaft geführt. In den Medien, in der veröffent-
Da wird der Hund in der Pfanne verrückt und der Bürger lichten Meinung, spiegelte sich diese Leidenschaft nur in
fällt vom Glauben ab. sehr begrenztem Umfang wider. Bei den Bürgerinnen (D)
(B)
und Bürgern schien das Interesse an dieser Reform erst
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gar nicht angekommen zu sein.
sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN-
KEN – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wenn Mitunter waren Kommentare zu hören wie: Ob ihr die
er Sie hört!) Föderalismusreform macht oder nicht, ist den Menschen
egal. Sie ist nur wichtig, um die Handlungsfähigkeit der
Ich freue mich, dass die PDS heute diesen Antrag ge-
Politik zu beweisen. – Bei anderen hörte es sich an, als
stellt hat. Das versetzt uns als Opposition in die Lage,
ginge es um eine eher folgenlose Neuorganisation von
zum Ausdruck zu bringen, dass wir diese Reform ableh-
Gesetzgebungstechniken, die die Menschen kaum zu
nen. In der Bibel steht:
kümmern hätte. Diesen krassen Fehleinschätzungen ent-
Eure Rede sei Ja, Ja oder Nein, Nein, was darüber gegne ich: Für die Bürgerinnen und Bürger ist es von ho-
ist, das ist von Übel. her Bedeutung, wo Entscheidungen gefällt werden, wo
Kompetenzen angesiedelt sind und von wem Institutio-
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: „Lügenhafte
nen beaufsichtigt und geführt werden.
Lippen sind dem Herren ein Gräuel“, steht
auch in der Bibel!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Damit ist gemeint, dass eine Frage entweder mit Ja oder
mit Nein zu beantworten ist. – Wenn Sie bei Ihrer Hal- Unsere Gesellschaft ist vielfältiger und komplizierter
tung bleiben, die Sie heute hier einnehmen, dass diese geworden. Wir sind fester Bestandteil einer immer grö-
Reform nicht verabschiedungsreif ist und deshalb zurück ßer werdenden und gleichzeitig immer enger zusammen-
in die Ausschüsse gehört, dann müssen Sie in den Lan- wachsenden Europäischen Union. Wirtschaftlich sind
desregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpom- wir mit der ganzen Welt verwachsen. All das macht es
mern dafür sorgen, dass im Bundesrat die Zweidrittel- notwendig, dass wir als Gesetzgeber schneller reagieren
mehrheit nicht zustande kommt. und notwendige Regelungen effizienter treffen können.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie regieren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
nirgendwo mit! Das ist Ihr Problem!) der CDU/CSU)
Ich habe aber gehört, dass Sie in Berlin bereits für billi- Die Reform, die wir nach jahrelangen Mühen heute
ges Geld einen Deal ausgehandelt haben, wie mir der endlich beschließen können, bringt eine Neuordnung in
Bürgermeister von Berlin vor zwei Tagen auf dem SPD- das Verhältnis von Bund und Ländern, in die Kompeten-
Hoffest gesagt hat. Deshalb ist der Antrag nicht ganz so zen der verschiedenen staatlichen Ebenen. Sie bedeutet
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4239
Dr. Peter Struck
(A) nicht die Auflage eines neuen Grundgesetzes, aber die Ich gehe davon aus, dass die Belange der Bürger auch (C)
Runderneuerung des Bewährten, damit es sich auch in bei den Landesparlamenten in guten Händen sind. Ich
den kommenden Jahrzehnten bewähren kann. Die Re- habe Vertrauen in die Landtagsabgeordneten. Sie sind
form schreibt die gute Tradition unseres Föderalismus nicht dümmer als Bundestagsabgeordnete.
fort, nämlich die Solidarität zwischen den Ländern, aber
auch die zwischen Bund und Ländern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU – Heiterkeit bei der FDP)
Manche, auch Mitglieder meiner Fraktion, bezweifeln
das und werden das durch ihr Abstimmungsverhalten in – Vielleicht gilt das nicht für die FDP. Ich sehe, dass es
manchen Punkten entsprechend zum Ausdruck bringen. in Ihren Reihen ein wenig Aufregung gibt. Generell gilt
Ich habe dafür Verständnis. Als Fraktionsvorsitzender das aber durchaus.
spreche ich heute auch für diejenigen, die glauben, die- Die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze wird
ser Reform nicht zustimmen zu können. faktisch halbiert. Das ist ein Erfolg, an den auch ich erst
(Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD]) geglaubt habe, als ich das in einem Gutachten des Wis-
senschaftlichen Dienstes des Bundestages schwarz auf
Meine feste Überzeugung ist aber, dass es beim solidari- weiß gesehen habe.
schen Föderalismus als Grundlage unserer Verfassung
bleiben wird, auch nach dieser Reform. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist ein Erfolg für alle, die sich in Zukunft weniger
der CDU/CSU) Nächte im Vermittlungsausschuss um die Ohren zu
schlagen haben, wo sie auch manche teilweise unsinni-
Diese Reform wird bezüglich des Verhältnisses von gen Entscheidungen getroffen haben.
Bundestag und Bundesrat vieles von dem korrigieren,
was bei der letzten Staatsreform Anfang der 90er-Jahre (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
zugunsten der Länder eingeführt wurde. Damals lag der
Meine Fraktion hat den Entwurf so intensiv diskutiert
Schwerpunkt auf der Dezentralisierung. Vor allem im
wie keinen anderen. Wir haben in vier Fraktionssitzun-
Osten waren die neu gegründeten Bundesländer identi-
gen alle Aspekte des Pakets analysiert. Hinzu kommt die
tätsstiftend. Das führte in der damaligen Debatte aus
umfänglichste Anhörung, die es jemals gegeben hat.
meiner Sicht zu einer Überbetonung der föderalen Seite.
Darüber wurde gerade schon gesprochen. Vor dem Hin-
Deren Folgen haben wir gerade in den letzten Jahren im-
tergrund dieser Anhörung sind in den letzten Wochen
mer stärker zu spüren bekommen. Bundesstaatliche Re-
große substanzielle Verbesserungen im Gesetz erreicht
gelungen wurden immer schwieriger, wenn es zu Wider-
worden. Sie wissen, dass ich mich persönlich dafür ein-
(B) sprüchen aus einzelnen Ländern kam. Zunehmend (D)
gesetzt habe, dass Änderungen erreicht werden.
drohte das Verfassungsgericht politische Entscheidungen
zu ersetzen. Es ist nicht zu dramatisch, wenn man pro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
phezeit, dass der Bund ohne eine Reform in akute Hand- der CDU/CSU – Dr. Peter Danckert [SPD]:
lungsunfähigkeit geraten wäre. Vielen Dank!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bei der Einbringung des Entwurfs habe ich die Hoff-
der CDU/CSU) nung geäußert – das geschah zur Überraschung, viel-
Durch einen Kraftakt, der bis in die letzten Tage an- leicht auch zum Missfallen einiger Beteiligter; aber ich
dauerte, ist es uns gelungen, diese Tendenz zu stoppen. bin dazu da, für meine Fraktion und für die Bürger zu ar-
Bundestag und Bundesrat haben sich zusammengerauft. beiten, nicht zum Gefallen oder Missfallen mancher Per-
Herausgekommen ist, wie die große Mehrheit meiner sonen –,
Fraktion und ich meinen, Erstaunliches: Die Minister- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
präsidenten haben auf große Teile ihrer Vetorechte im
Bundesrat verzichtet und im Gegenzug die Befugnisse dass Verbesserungen und Veränderungen möglich sein
ihrer Landtage stärken lassen. Es ist ein wesentlicher Er- müssen. Ich habe seinerzeit die Punkte genannt, die noch
folg, dass in Zukunft die Landtage und nicht mehr die einmal erörtert werden müssten. Insbesondere im Bil-
Ministerpräsidenten im Bundesrat entscheiden. dungsbereich habe ich wie die meisten Bildungspolitiker
aller Fraktionen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) (Volker Kröning [SPD]: So ist es! – Dr. Guido
Westerwelle [FDP]: So ist es!)
Wir Parlamentarier können uns freuen: Die jetzt vor-
liegende Reform bedeutet eindeutig eine Stärkung des und wie nahezu alle Experten eine Korrektur des so ge-
Parlamentarismus in Deutschland, und zwar auf allen nannten Kooperationsverbotes für unumgänglich ge-
Ebenen. halten. Wir haben die Veränderung erreicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD)
der CDU/CSU)
Dem Bund muss es möglich sein und bleiben, die
Gerade vor diesem Hintergrund möchte ich zu der Kritik Länder in ihrer Hochschulpolitik finanziell zu unterstüt-
mancher Kollegen, der Bund habe zu viele Gesetzge- zen, und zwar nicht nur beim Hochschulbau, sondern
bungsbefugnisse an die Länder abgegeben, anmerken: auch in Forschung und Lehre.
4240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Dr. Peter Struck


(A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Deutschlands im Konzert der 25 Mitgliedstaaten ein gro- (C)
Westerwelle [FDP]: Richtig!) ßer Fortschritt. Dass sich diese Verbesserung nicht auf
die Kernkompetenzen der Länder – Schule, Kultur und
Ich will besonders betonen: Angesichts der dramatisch
Rundfunk – bezieht, ist für die Kulturpolitiker der Koali-
wachsenden Zahl der Studenten in den nächsten Jahren
tion eine bittere Pille. Ich kann ihre Forderung an die
wäre alles andere unverständlich und unsinnig gewesen.
Länder verstehen, geeignete Prozesse zur Abstimmung
Deshalb haben wir es so geändert.
untereinander und gemeinsam mit der Bundesregierung
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) zu organisieren. Denn auch im Kulturbereich ist es mehr
als wünschenswert, dass die Vertretungsverantwortung
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir damit dem für
eindeutig im gesamtstaatlichen Interesse und nicht im
die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands wichtigen Hoch-
Interesse einzelner Bundesländer wahrgenommen wird.
schulpakt entscheidende Stützpfeiler eingezogen und
den Weg für ähnliche Vorhaben frei gemacht haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bei einem so umfassenden Paket konnten wir alle nur
zusammenkommen, da wir zu Kompromissen bereit wa-
Deshalb haben wir um diesen Punkt bis zuletzt ge-
ren. Die reine Lehre war nicht durchsetzbar. Das Austa-
kämpft. Ich bin den Ministerpräsidenten dankbar, dass
rieren der Beziehungen zwischen den einzelnen Ebenen
sie darüber noch einmal zu Verhandlungen bereit waren,
und zwischen den Ländern selbst erfordert auf allen Sei-
obwohl sie sich auf ihrer Konferenz am 22. Juni schon
ten Zugeständnisse.
ablehnend entschieden haben. Die jubelnde Reaktion der
Bundesbildungsministerin auf diesen Erfolg zeigt mir, Mein Lehrmeister Hans-Jochen Vogel hat mich ent-
dass wir diesen Kampf im Sinne der Bundesregierung setzt gefragt: Was habt ihr mit meinem Strafvollzugsge-
geführt haben. setz gemacht?
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Zuruf von der SPD: Gute Frage!)
SPD)
Er hatte den Vollzug als Justizminister einer soziallibera-
Frau Schavan, Sie können sich darauf verlassen: Wir len Koalition in die Bundeszuständigkeit geholt. Jetzt
sind zur Verbesserung des Bildungs-, Wissenschafts- wandert der Vollzug wieder in die Verantwortung der
und Forschungsstandorts Deutschland immer auf Ihrer Länder. Der Sinn erschließt sich vielen hier im Hause
Seite und wenn es sein muss, gehen wir auch gern voran. nicht.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der FDP und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
(B) Im Umweltbereich haben wir aus Bundessicht zwar (D)
geordneten der LINKEN)
nicht das Ziel aller Wünsche, aber immerhin einen, wie
ich meine, ausgewogenen Kompromiss erreicht. Einige Deshalb werden wir darauf achten, dass diese Verlage-
Mitglieder meiner Fraktion sehen das explizit anders. rung nicht zu einem Länderwettbewerb um den härtesten
Ich weiß und kann nachvollziehen, dass sich die Um- Knast in Deutschland führen wird.
weltpolitiker unserer Fraktion
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jerzy
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ja!) Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie
denn?)
und Minister Gabriel noch mehr Bundeseinheitlichkeit
gewünscht hätten. Aber ich teile die Auffassung des Noch schärfer werden wir im Auge haben, welche
Ministers, dass es viel weniger Länderabweichungen ge- Folgen die Abgabe des Heimgesetzes an die Länder hat.
ben wird, als die Kritiker fürchten.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NEN]: Und dann?)
Abwarten!)
Für die Fachpolitikerinnen und die Fachpolitiker meiner
Ich halte es für wesentlich, dass jetzt der Rahmen für ein Fraktion war diese Entscheidung ein schwer zu überwin-
einheitliches und vollständiges Umweltgesetzbuch ge- dendes Hindernis dabei, dem Gesetz zuzustimmen, zu-
schaffen wurde. Ein Jahrzehnt hat der Bund das erfolg- mal die Mehrzahl der Experten in den Anhörungen
los versucht. Jetzt hat das Umweltministerium gut drei
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Jahre Zeit, das UGB zu realisieren. Das ist ein ehrgeizi-
NEN]: Alle!)
ges Ziel, aber ich bin sicher, dass Sigmar Gabriel diese
Aufgabe meistern wird. Unsere Unterstützung dafür hat und die Wohlfahrtsverbände vehement dafür plädiert ha-
er. ben, die Zuständigkeit beim Bund zu belassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Abg. Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU])
Es muss gesichert bleiben, dass die Qualitätsstandards,
Für einen entscheidenden Erfolg halte ich es, dass wir die Beschwerderechte sowie die im Heimvertrag festge-
das Grundgesetz europatauglicher gemacht und die Stel- schriebenen Rechte und Pflichten im Standard nicht ge-
lung des Bundes in Brüssel gestärkt haben. In den senkt werden. Es wird auch entsprechende rechtliche
meisten Politikfeldern kann der Bund jetzt endlich mit Möglichkeiten geben, gegen eine solche Senkung der
einer Stimme sprechen. Das ist für das Gewicht Standards vorzugehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4241
Dr. Peter Struck
(A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen zwischen Bund und Ländern und zwischen den Län- (C)
der FDP) dern untereinander anzupacken.
Gerade ältere, pflegebedürftige und behinderte Men- Wie in den vergangenen Jahrzehnten ist es auch heute
schen bedürfen des besonderen Schutzes. Ich kann die so, dass die Länder der Bundesrepublik ungleich stark,
Meinungen der Kolleginnen und Kollegen verstehen. ungleich finanziell leistungsstark sind. Bund und Länder
Aber ich vertraue darauf, dass die Abgeordneten in den haben hier immer ausgleichend gewirkt über den Län-
Landesparlamenten ebenso verantwortlich mit den derfinanzausgleich. Schwächere Länder haben auf die-
Rechten und dem Schutz dieser Menschen umgehen, wie ses solidarische System immer setzen können.
wir das bisher auch getan haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Vor allem der Freistaat Bayern hat mehr als drei Jahr-
der CDU/CSU)
zehnte von dieser Solidarität der Länder profitiert,
Ich will auch nicht verschweigen, dass es Bedenken (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido
unserer Jugend- und Familienpolitiker und -politikerin- Westerwelle [FDP])
nen zu dieser Reform gibt. Ihre Sorge ist, dass bewährte
Behördenstrukturen zerschlagen und Hilfe zurückgefah- bevor er andere davon profitieren lassen konnte und
ren werden. Ich teile diese Sorge nicht. Ich habe mich in musste. Für meine Fraktion steht fest, dass diese Solida-
meiner Fraktion stark dafür eingesetzt, entgegen diesen rität bei der Neuordnung der Finanzbeziehungen weiter
Bedenken dem Paket zuzustimmen. Aber ich verstehe benötigt wird.
diese Sorge.
(Beifall bei der SPD)
Schließlich will ich noch erwähnen, dass es eine
Wir werden dafür kämpfen, dass diese notwenige Soli-
Reihe von Kolleginnen und Kollegen vor allem – aber
darität bei der zweiten Stufe der Verfassungsreform nicht
nicht nur – aus den neuen Ländern gibt, die die Sorge
den Interessen der jetzt reichen, starken Länder, nicht ei-
umtreibt, dass ihre Länder im Wettbewerb nicht mehr
ner bloßen Wettbewerbsideologie geopfert wird.
mithalten können. Sie sehen in einer massiveren Stär-
kung des Bundes einen Schutzwall vor dem weiteren (Beifall bei der SPD)
Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse. Ich glaube
aber nicht, dass es in Landesparlamenten die Tendenz Für mich persönlich steht fest, dass dieser Ausgleich am
oder die Neigung gibt, im Wettbewerbsföderalismus zu- Ende nur dann gerecht zu gestalten ist, wenn die Zahl
lasten der Rechte der Menschen besser zu werden. Das der Länder geringer und ihre Stärke angeglichen wird.
(B) wird es nicht geben; das darf es auch nicht geben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auf Dauer werden wir uns dieser Frage nicht entziehen
der CDU/CSU) können.
Wir werden auch darüber im zweiten Teil der Föderalis- Ich weiß, dass die Neuregelung der Finanzbezie-
musreform zu entscheiden haben. hungen einer großen Kraftanstrengung aller bedarf.
Aber wir stehen im Wort, auch diese Aufgabe noch in
Die weit überwiegende Mehrheit der Kolleginnen und
dieser Legislaturperiode in Angriff zu nehmen, mit der
Kollegen in meiner Fraktion haben die Bedenken in ein-
gleichen Beharrlichkeit, mit der wir diese erste Stufe
zelnen Politikbereichen zugunsten der Gesamtreform zu-
zum Erfolg gebracht haben.
rückgestellt. Ich danke ihnen dafür. Doch dabei möchte
ich es nicht bewenden lassen. Wir haben gegenüber die- Dass wir es geschafft haben, verdanken wir der Arbeit
sen Kollegen auch eine Verpflichtung. Wir müssen die vieler. Ich möchte Franz Müntefering und den bayeri-
Entwicklung an den kritisierten Punkten genau beobach- schen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber nennen,
ten und notfalls – wenn es denn geht – zum Einschreiten
bereit sein. Das sage ich hier für meine Fraktion deutlich (Beifall bei SPD und der CDU/CSU)
zu. die ab 2003 die Föderalismuskommission geleitet haben.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es werden sich immer Wege finden. Ihnen gilt unser besonderer Dank. Dem Rechtausschuss
gilt unser Dank für die Vorbereitung und Durchführung
Ich bin mir im Übrigen sicher, dass die Bedenken der-
der umfassendsten Anhörung, die es in der Geschichte
jenigen Kolleginnen und Kollegen, die heute nicht zu-
von Bundestag und Bundesrat je gegeben hat. All den
stimmen können, durch die Verfassungspraxis widerlegt
Fachpolitikern und Fachpolitikerinnen, die viel Mühe in
werden.
das Gelingen gesteckt haben, meinen herzlichen Dank
Wenn wir heute diese Reform beschließen, haben wir und meinen hohen Respekt für die geleistete Arbeit!
einen wichtigen Schritt zur Neuordnung der bundesstaat- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
lichen Ordnung abgeschlossen – aber eben nur einen ers- CDU/CSU)
ten Schritt. Es wird wenigstens der gleichen Kraft, der
gleichen Fairness untereinander bedürfen, jetzt in einer Der Dank gilt aber ebenso den Ländern, die mit uns um
weiteren Stufe auch die Reform der Finanzbeziehun- eine Lösung gerungen haben.
4242 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Dr. Peter Struck


(A) Mit dem heutigen Tag wird diese Koalition das erste Ich möchte deutlich sagen: Es war enttäuschend, dass (C)
große und wichtige Reformvorhaben ihrer Agenda ab- Forderungen von uns auch deshalb abgelehnt wurden,
schließen. Wir haben im Koalitionsvertrag versprochen, weil sie von der Opposition kamen. Ich will nur ein ein-
dass der Bund mehr Handlungsfähigkeit gewinnt, die ziges Beispiel nennen: Man hat in der Kommission und
Länder dafür im Gegenzug mehr politische Gestaltungs- übrigens jetzt auch in den Ausschüssen unendlich lange
möglichkeiten erhalten. Das werden wir heute einlösen. darüber diskutiert, ob man dem Bund bezüglich der
Wir werden Deutschland erneuern, Schritt für Schritt, Hochschulen Kompetenzen geben soll oder ob alles zu
beharrlich und verlässlich. den Ländern kommen soll. Wir als FDP haben früh einen
Entwurf eingebracht, wonach die Hochschulautonomie
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei ins Grundgesetz geschrieben werden sollte, weil es dann
der CDU/CSU) eine andere Kompetenzaufteilung geben würde und die
Hochschulen autonom wären. Das wäre der richtige Weg
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gewesen. Leider ist die Mehrheit auf diesem Weg nicht
Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Burgbacher, FDP- mitgegangen.
Fraktion. (Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir anerkennen,
dass in diesem ersten Reformschritt viele richtige Dinge
Ernst Burgbacher (FDP): enthalten sind.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Joachim Stünker [SPD]: Ah ja!)
Über die Ziele, die wir mit dieser Föderalismusreform
verfolgen, herrscht, glaube ich, in weiten Teilen dieses Der Art. 84 Grundgesetz ist in seiner jetzigen Konstruk-
Hauses Einigkeit: Wir alle haben das Gefühl, wir müssen tion sicher richtig. Die Rahmengesetzgebung ist abge-
Deutschland wieder reformfähig machen und der Re- schafft und es wurden eine gewisse Entflechtung und ei-
formstau muss aufgelöst werden. Wir alle erleben, dass niges mehr erreicht. Das wollen wir durchaus
Entscheidungsprozesse bei uns zu lange dauern und dass anerkennen. Auf diesem Weg haben wir Sie auch immer
die Bürger häufig nicht mehr nachvollziehen können, konstruktiv begleitet.
wie Entscheidungen zustande kommen. Es gibt für uns aber auch einige Punkte, die uns sehr
nachdenklich machen. Der erste Punkt ist das Instrument
Deshalb haben gerade die Liberalen mit der
der Abweichungsgesetzgebung. Ich sehe hier viele, mit
Naumann-Stiftung und vielen anderen zahlreiche Vor-
denen wir in der Kommission saßen. Sie wissen, dass
arbeiten dafür geleistet, dass wir in diese Diskussion ein-
(B) wir hier immer große Bedenken hatten, ob es richtig sein (D)
steigen konnten. Wir bekennen uns nach wie vor zu dem
kann, einerseits die Rahmengesetzgebung abzuschaffen
Ziel: Eine Föderalismusreform, die den Namen verdient,
und andererseits mit dem neuen Instrument der Abwei-
braucht dieses Land dringend.
chungsgesetzgebung eine Pingponggesetzgebung in
(Beifall bei der FDP) Gang zu setzen. Wir hatten Bedenken und wir haben
diese Bedenken nach wie vor.
Wir waren uns auch darüber einig, was dazu geleistet
werden muss: Wir müssen den Umfang der Zustim- (Beifall bei der FDP)
mungspflichtigkeit reduzieren. Das war mit das oberste Wir haben auch Bedenken bezüglich des Art. 104 a
Ziel. Daneben müssen wir die Kompetenzen klarer tren- Abs. 4 Grundgesetz und fragen uns, ob dies tatsächlich
nen. Wir hatten das Ziel, die Rahmengesetzgebung und zu einer Reduzierung der Anzahl zustimmungspflichti-
die Gemeinschaftsaufgaben weitgehend abzubauen. ger Gesetze führt. Wir wissen, dass uns der Wissen-
Herr Kollege Struck, hier unterscheiden wir uns über- schaftliche Dienst des Bundestages eine Untersuchung
haupt nicht. Ich glaube, hier herrschte Einigkeit im gan- vorgelegt hat, wonach die Gesetze in den letzten beiden
zen Hause. So sind wir damals auch angetreten. Legislaturperioden nur etwa zur Hälfte zustimmungs-
Ich darf auch deshalb daran erinnern, weil das für den pflichtig gewesen seien. An dieser Untersuchung gibt es
heutigen Diskussionsprozess wichtig ist: Die FDP-Bun- aber große Zweifel, weil sie vor allem die Gesetze be-
destagsfraktion hatte im Vorfeld der Föderalismuskom- trifft, die sowieso nicht umstritten waren. Aber in der
mission einige Forderungen angemeldet. Die eine war: Anhörung haben uns einige Experten gesagt: Bei den
Wir wollten das lieber in einem Konvent behandeln. Das wichtigen Gesetzen besteht sogar eher die Gefahr, dass
ist abgehakt. Ich glaube aber, zwei weitere Dinge waren die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze erhöht
schon wichtig: Wir wollten die Frage der Neugliederung wird. – Für die Auswertung dieses Punktes hätten wir
der Länder nicht ausklammern und vor allem haben wir wesentlich mehr Zeit gebraucht, sodass wir ihn vielleicht
gefordert, die Reform der Finanzverfassung in diese noch hätten klären können. Er ist bis heute ungeklärt.
Reform mit einzubeziehen. Ich glaube, es zeigt sich (Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Da
heute – das hat sich auch im Verlauf der ganzen Diskus- hätten Sie mit Ihrer Regierung in Baden-
sion gezeigt –: Es war ein Grundfehler dieser Konstruk- Württemberg reden und das klären können!)
tion, die Reform der Finanzverfassung zunächst zum
Tabu zu erklären. Der entscheidende Punkt für uns war die Reform der
Finanzverfassung. Wir haben immer gesagt: Der erste
(Beifall bei der FDP) Teil der Föderalismusreform bleibt ohne den zweiten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4243
Ernst Burgbacher
(A) Teil, die Reform der Finanzverfassung, ein Torso. Fast Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
alle Experten in der Anhörung haben uns Recht gegeben Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Bosbach,
und dies bestätigt. Wir haben sehr sorgsam abgewogen, CDU/CSU-Fraktion.
wie stark das Versprechen, das in der Vereinbarung zwi-
schen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
sowie in dem Entschließungsantrag enthalten ist, zählt. Olaf Scholz [SPD])
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Verspre-
chen zu schwach ist. Darin wird nämlich nur angekün- Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):
digt, dass die Vertreter des Bundestags, der Bundesregie-
rung und der Landesregierungen zügig in Gespräche Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kon-
eintreten werden. Wir sind aber schon vor drei Jahren in troverse und hitzige Geschäftsordnungsdebatte hat ge-
Gespräche eingetreten. Wir hätten erwartet, dass heute zeigt, wie wichtig das Thema ist, über das wir heute be-
klare Vorgaben – ein Zeitplan und Angaben, in welcher raten und entscheiden. Es ist verständlich, dass man hart
Form die Umsetzung erfolgt – vorliegen. Eine offene ringt. Unverständlich ist allerdings, dass der Eindruck
Themenliste reicht nicht; notwendig ist vielmehr eine erweckt wird, hier würde irgendetwas im Hauruckver-
Festlegung, welche Themen auf keinen Fall tabuisiert fahren – sozusagen im Sprint – durchgezogen.
werden. Das wäre entscheidend gewesen. Sie haben aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nichts dergleichen vorgelegt. neten der SPD)
(Beifall bei der FDP)
Wir haben einen Marathonlauf hinter uns und würden
In dem Beschluss ist zu lesen – ich zitiere – keinen besonders guten Eindruck hinterlassen, wenn wir
Die Regierungschefs der Länder weisen darauf hin, jetzt fünf Meter vor dem Ziel kollabierten.
dass sie vor Aufnahme dieser Gespräche die The- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
matik in einer Konferenz nach der Sommerpause … der SPD – Lachen bei der LINKEN)
behandeln werden.
Herr Burgbacher, ich greife gerne Ihr Bild aus dem
So etwas haben wir im Mai 2004 schon einmal erlebt,
Fußball auf. Sie haben uns zu Recht mit Fußballspielern
als die Ministerpräsidenten einen gemeinsamen Be-
verglichen. Heute Morgen beschließen wir die Födera-
schluss gefasst haben – darin sehe ich den Grundfehler
lismusreform; heute Nachmittag stellen wir die Weichen
des gesamten Vorhabens –, der zwar ein Kompromiss
auf einem sehr kleinen gemeinsamen Nenner war, der für das Halbfinale.
aber die weitere Arbeit in jeder Phase behindert hat. Nun (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) wird man wieder beschließen, was alles nicht auf die Ta- NEN]: Die Weichen für das Finale!) (D)
gesordnung gesetzt werden darf. Das wird das Ende der
Reform der Finanzverfassung bedeuten. Deshalb können – Erst einmal müssen wir ins Halbfinale kommen, Frau
wir dieses Vorhaben nicht mittragen. Künast. Wir müssen immer die richtige Reihenfolge ein-
halten.
(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]:
Reden Sie mal mit Oettinger!) (Joachim Stünker [SPD]: Frau Künast, so ist
Ganz Deutschland ist zurzeit im Fußballfieber. Wir die Weichenstellung immer noch!)
alle erleben, dass sich etwas geändert hat. Jahrelang ha- Herr Burgbacher, Sie haben doch dem Antrag zuge-
ben wir beklagt, dass bei unserer Mannschaft der Ball stimmt, die Reform der Finanzverfassung zu vertagen.
hin und her geschoben und zurückgespielt wird, dass Glauben Sie, dass eine Mannschaft einen guten Eindruck
aber kein Angriff stattfindet. Jetzt sind wir alle begeis- auf die Zuschauer macht, wenn sie fünf Minuten vor
tert, wie Klinsmann es geschafft hat, dass das Spiel an Spielende das Spielfeld verlässt und ankündigt, noch
Tempo gewonnen hat und nach vorne gespielt wird. Ge-
einmal ins Trainingslager zu gehen, weil sie noch ein
nau das bräuchten auch wir, aber dazu taugt Ihr Konzept
bisschen üben will?
nicht.
Auch bei diesem Konzept wird der Ball wieder nach (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
hinten gespielt. Wir brauchen aber einen Befreiungs- der SPD)
schlag nach vorne. Daran haben wir mitgearbeitet. Das Herr Kollege Struck, Sie haben hinsichtlich der Län-
Ergebnis, das Sie uns vorlegen, ist in keiner Weise ein derfinanzen richtigerweise darauf hingewiesen, dass der
solcher Befreiungsschlag. Es fehlt vor allem eine ver- Freistaat Bayern über lange Jahre hinweg
lässliche Grundlage für den zweiten Schritt, die Reform
der Finanzverfassung. (Dr. Peter Danckert [SPD]: 30 Jahre! Jahr-
Deshalb wird die FDP-Bundestagsfraktion den Ge- zehnte!)
setzentwurf heute in ihrer großen Mehrheit ablehnen. Nehmerland war und vom Länderfinanzausgleich profi-
Wir sind aber weiter zu allen konstruktiven Gesprächen tiert hat.
bereit, die unser Land nach vorne bringen. Dafür haben
Sie unser Wort. Sie hätten aber auch ergänzend hinzufügen müssen,
dass bis zum Jahr 2006 der Freistaat Bayern mehr als
Herzlichen Dank.
doppelt so viel in den Länderfinanzausgleich eingezahlt
(Beifall bei der FDP) hat, als er früher erhalten hat.
4244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Wolfgang Bosbach
(A) Es gibt kein solidarischeres Land als den Freistaat Wir wollen die Reformziele durch eine Reduzierung (C)
Bayern. der Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze von jetzt
gut 60 Prozent auf gut 30 Prozent erreichen. Das ist in
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. unserem Interesse. Das soll Zug um Zug gegen die Über-
Joachim Stünker [SPD] – Dr. Guido tragung von Gesetzgebungskompetenzen, die jetzt noch
Westerwelle [FDP]: Jetzt wird er Minister!) der Bund hat, an die Länder geschehen. Wir wollen den
Der Freistaat Bayern ist das einzige Bundesland, das Typ Rahmengesetzgebung abschaffen und wir wollen
vom Nehmerland zum Geberland geworden ist. Wenn den neuen Typ Abweichungsgesetzgebung in das Grund-
alle Bundesländer Geberländer wären, dann brauchten gesetz aufnehmen. Wir wollen das Grundgesetz europa-
wir keine Neuordnung der Länderfinanzbeziehungen. tauglicher machen. Wir etablieren einen nationalen Sta-
bilitätspakt. Das ist in unserem Interesse, im Interesse
(Beifall bei der CDU/CSU) des Bundes. Und – das freut auch den Innenpolitiker –:
Jetzt kommen wir zu den Details. Worum geht es? Es Wir wollen unserem Bundeskriminalamt eigene Kompe-
geht um die größte Staatsreform in der Geschichte der tenzen zur Terrorbekämpfung geben.
Bundesrepublik Deutschland. Es geht um die Entflech- Das Konzept, das Ihnen heute zur Abstimmung vor-
tung der viel zu dichten Verflechtung der Bund-Länder- liegt, stößt auf Zustimmung, aber auch auf Kritik.
Beziehungen, deren Folge die gegenseitige Blockade
nicht nur, aber auch im Gesetzgebungsverfahren war. Es (Kornelia Möller [DIE LINKE]: Sie sind ein
geht um die klare Abgrenzung der Kompetenzen der Dampfplauderer!)
Länder von den Kompetenzen des Bundes und es geht
Die einen sagen, das sei der Königsweg, die anderen sa-
um die Stärkung der Demokratie, damit die Bürgerinnen
gen, das sei ein Irrweg. – Was kann einem Politiker der
und Bürger in Zukunft erkennen können, welche politi-
Union Besseres passieren, als von links außen kritisiert
sche Ebene für welches Thema zuständig ist und wer die
zu werden. Das ist für uns geradezu eine Auszeichnung.
alleinige Verantwortung trägt. Es geht darum, dass diese
Verantwortung nicht mehr auf die jeweils andere parla- (Beifall bei der CDU/CSU)
mentarische Ebene abgewälzt werden kann. Die Bürge-
rinnen und Bürger haben davon einen Vorteil. Sie sind Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätte sich an
Gewinner dieser Reform. Gewinner ist aber auch der der einen oder anderen Stelle andere Lösungen vorstel-
Bund. Es wäre doch für uns alle ein enormer Fortschritt, len können. Ich nehme als Beispiel das Thema Beam-
wenn in Zukunft diejenigen Gesetze, die wir hier beraten tenrecht. Es waren gerade die Länder, die Anfang der
und beschließen, eins zu eins im Bundesgesetzblatt ste- 70er-Jahre den Bund händeringend darum gebeten ha-
(B) hen würden. Das wäre doch ein Gewinn für uns alle. ben, im Beamtenrecht für die Besoldung, für die Versor- (D)
gung und für das Laufbahnrecht einheitliche Regelungen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zu schaffen. Jetzt wollen die Länder den entgegengesetz-
neten der SPD) ten Weg gehen. Sie weisen aus ihrer Sicht nicht ganz zu
Unrecht darauf hin, dass 89 Prozent der Beamtinnen und
Wir haben über Jahrzehnte hinweg – das ist schon fast
Beamten in der Bundesrepublik Deutschland nicht Bun-
die Regel – unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse im
desbeamte, sondern Länder- und Kommunalbeamte
Bundesrat und im Bundestag gehabt. Fast zwei Drittel
sind, also ihre eigenen Leute. Deswegen müssen wir
aller Gesetze sind zustimmungspflichtig. Sie können nur
doch zumindest respektieren, dass sie eine größere Per-
in Kraft treten, wenn auch der Bundesrat zustimmt. Das
sonalhoheit über ihre eigenen Landesbediensteten haben
eigentliche Gesetzgebungsorgan ist in den letzten Jahr-
wollen.
zehnten der Vermittlungsausschuss geworden, der im-
mer unter Ausschluss der Öffentlichkeit getagt hat. Ich werbe aus voller Überzeugung für diese Reform.
Wenn wir wieder Vertrauen in die Politik und in uns Sie ist für die Modernisierung des Landes und für die
Politiker zurückgewinnen wollen, dann ist Transparenz Stärkung der Demokratie wirklich unerlässlich. Sie ist
das oberste Gebot. Dann muss der Deutsche Bundestag ein fairer Kompromiss zwischen den politischen Interes-
wieder in öffentlicher Sitzung als Forum der Nation über sen, die der Bund – also wir – hat, und den legitimen An-
seine eigenen Gesetze endgültig entscheiden können. liegen der Länder.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Im Detail wären andere Regelungen gut zu begrün-
Es soll sogar vorgekommen sein, dass im Vermittlungs- den; der Kollege Struck hat auf die Themen Strafvollzug
ausschuss sachfremde Materien miteinander verkoppelt und Heimrecht hingewiesen. Es wäre jedoch unverant-
worden sind, dass Tauschgeschäfte gemacht wurden. wortlich, wegen Bedenken im Detail, die es auch bei uns
gibt, die gesamte Reform komplett scheitern zu lassen.
(Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Das haben wir
gestern erlebt! – Dr. Guido Westerwelle (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
[FDP]: Anders als im Koalitionsausschuss!) der SPD – Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Na,
na, na! Das sind doch keine Details!)
Die Koalition hat vor wenigen Tagen gezeigt, dass es
auch völlig anders geht. Das wäre nach jahrelangen Verhandlungen wirklich eine
Blamage für uns alle. Wenn ich „alle“ sage, dann meine
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Guido ich Regierung und Opposition. Es soll niemand glauben,
Westerwelle [FDP]: Helau! Alaaf!) dass er davon einen Vorteil hätte!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4245
Wolfgang Bosbach
(A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- bessere Gesetzgeber seien. Die Länder bekommen Kom- (C)
wie des Abg. Joachim Stünker [SPD]) petenzen und Verantwortung und werden sie auch wahr-
nehmen.
Hierdurch hätte sich das Thema Föderalismusreform
– von deren Notwendigkeit sind wir alle überzeugt – für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Jahrzehnte erledigt; das muss man wissen. Unverant-
wortlich wäre es vor allem deshalb, weil ein Scheitern Bedenken gibt es natürlich auch bei der Abwei-
dieser Reform das Symbol für die Selbstfesselung des chungsgesetzgebung. Aber es ist nicht richtig, dass der
Staates und Ausdruck der Reformunfähigkeit unseres Bund im wichtigen Bereich Natur- und Umweltschutz
Landes wäre. Es soll niemand glauben, dass er als Parla- bislang die volle Regelungskompetenz hatte. Das ist
mentarier, dass der Deutsche Bundestag als Gesetzge- schlicht falsch.
bungsorgan, dass die Länder einen Vorteil davon hätten,
(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])
wenn wir scheiterten.
Das Gegenteil ist richtig. Es ist richtig, dass wir Kom- Erst durch die Reform bekommt der Bundesgesetzgeber
petenzen an die Länder abgeben. Warum aber wird dau- eine Vollkompetenz. Erst durch diese Reform hat der
ernd unterschlagen, dass die Länder auch Kompetenzen Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, zum ersten Mal in
an den Bund abgeben? Richtig ist, dass der Bund jede der Geschichte des Landes ein Umweltgesetzbuch vor-
Menge neuer Kompetenzen erhält. Der für mich bedeu- zulegen. Es ist nicht richtig, dass die Länder beim Um-
tendste Gewinn besteht darin, dass zukünftig zwei Drit- weltrecht generell vom Bundesrecht abweichen dürfen.
tel aller Kompetenzen im Bereich der konkurrierenden Sie erhalten Abweichungsrechte dort, wo der Bund bis-
Gesetzgebung von der so genannten Erforderlichkeits- lang nur eine Rahmenkompetenz hatte. Es ist auch rich-
klausel befreit werden. tig, dass wir den Typ Rahmengesetzgebung abschaffen;
denn er hat sich nicht bewährt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD) (Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt)
Spätestens durch die Entscheidung des Bundesverfas- Der Bund sagt: Wir würden euch Landeskindern
sungsgerichts zur Juniorprofessur haben die Länder eine gerne ein wunderschönes Kunstwerk hinstellen, aber wir
unglaublich starke Stellung im Verfassungsgefüge, ge- dürfen leider nur den Rahmen zimmern; das Bild liefern
nauer gesagt bei der Gesetzgebungstätigkeit des Bundes. die Länder. – Die Länder sagen: Wir würden tolle Kunst-
Es ist in unserem ureigenen Interesse, dass wir möglichst werke fabrizieren, aber der Rahmen ist so groß, dass
viele Gesetzgebungsmaterien von dieser Klausel be- man vor lauter Rahmen das Bild nicht sehen kann. – So
freien. Wenn das geltende Recht weiterhin Bestand schiebt jeder die politische Verantwortung auf den ande-
(B)
hätte, bestünde die reale Gefahr, dass weite Teile des ren. Das nützt niemandem. Deswegen müssen wir damit (D)
Bundesrechtes komplett versteinern und wir überhaupt heute ein Ende machen.
nichts mehr ändern können.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) neten der SPD)
Dauernd schwebte das Damoklesschwert der Rechtsun- Der Bund hat zukünftig Umweltkompetenzen mit Ab-
sicherheit über jedem Gesetz und auch den entsprechen- weichungsmöglichkeiten. Das ist richtig. Der Bund hat
den Verwaltungsakten der Länder. Das kann doch nicht zukünftig aber auch Umweltkompetenzen ohne Abwei-
in unserem Interesse sein. Die Länder bekommen Kom- chungsmöglichkeiten – beispielsweise bei Luft, Lärm
petenzen dort, wo sie schon jetzt für den Vollzug der Ge- und Abfallwirtschaft – und es wäre gut, wenn wir auch
setzgebungsmaterien zuständig sind. in der heutigen Debatte keinen gegenteiligen Eindruck
Thema Strafvollzug; Kollege Struck hat es angespro- erweckten. Jede Abweichung, die die Länder vornehmen
chen. Ich teile das, was er sagt, füge aber Folgendes wollen, muss doch gut begründet sein.
hinzu: Es war der Bund, der den Ländern die Kompetenz Was kann unserem Land eigentlich mehr nutzen als
für den Strafvollzug angeboten hat. Die Länder haben ein wirklicher Wettbewerb innovativer, kreativer Ideen?
dieses Angebot angenommen. Dass man sie dann dafür Ein Wettbewerb um die besten Lösungen ist das Beste,
kritisiert, dass sie ein Angebot des Bundes annehmen, ist was diesem Land passieren kann, übrigens nicht nur
nicht in Ordnung. beim Thema Föderalismus.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es bleibt die vielfach gestellte Frage – es ist schon an-
Die Länder erhalten nicht nur mehr Kompetenzen. Sie gesprochen worden –, warum wir keine Länderneuglie-
erhalten auch eine größere politische Verantwortung. derung – sprich: eine Reduzierung der Zahl der Bundes-
Wir sollten keinen Zweifel daran haben, dass die Länder länder – erörtert und ins Auge gefasst haben. Die
dieser Verantwortung auch gerecht werden. Die Kolle- Bundesländer haben eine sehr unterschiedliche Größe,
ginnen und Kollegen in den deutschen Landtagen sind sehr unterschiedliche Einwohnerzahlen und eine sehr
doch genauso verantwortungsbewusst wie wir. Sie alle unterschiedliche Wirtschafts- und Finanzkraft. Ebenso
müssen sich in gleicher Weise wie wir vor der Öffent- notwendig wie diese Reform – ich stimme sofort zu,
lichkeit für ihr Tun oder Unterlassen rechtfertigen. Wir Herr Burgbacher – ist eine Neuordnung der Bund-Län-
dürfen doch nicht glauben, dass wir als Bundesgesetzge- der-Finanzbeziehungen. Das erste Thema ist mit dem
ber, nur weil wir eine größere Einheit bilden, per se der zweiten Thema untrennbar verbunden.
4246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Wolfgang Bosbach
(A) Aber eine Länderneugliederung, genauer gesagt: eine wendig ist, diese Spielregeln auch zu beachten, damit es (C)
Neugliederung des Bundesgebiets, kann nicht von uns, Fairplay gibt.
also von oben, verordnet werden.
Der Vertreter der CDU/CSU hat eben gesagt: Alle
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Länder werden dann Geberländer; das wäre doch ein
der SPD – Zustimmung des Abg. Dr. Gregor schönes Ziel. Wenn ich die am Start stehenden Länder
Gysi [DIE LINKE]) betrachte, dann stelle ich fest, dass eine ganze Reihe von
Neue Länder lassen sich nicht gegen die Herzen der diesen Ländern schon beim Start gehandicapt sind.
Menschen schaffen. Wenn man ihnen erst einmal die Beine festbindet und
gleichzeitig von einem ausgeglichenen Wettbewerb
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und spricht, dann geht das ganze Vorhaben schief.
der SPD)
Man hat 1968/69 in der alten Bundesrepublik
Wenn die Menschen ihr Zusammengehörigkeitsgefühl Deutschland über die Frage der Neuordnung des Födera-
geschaffen haben, wenn sie sich mit einem Land, mit ei- lismus heftig und trefflich gestritten. Dann hat man den
nem Stadtstaat identifizieren, dann kann es nicht Sache kooperativen Föderalismus im Grundgesetz verankert.
anderer sein, ihnen diese Identifikation zu nehmen. Des- Das war die letzte größere Operation am Grundgesetz.
wegen müssen wir die Menschen zunächst von der Not-
wendigkeit einer Länderneuordnung überzeugen. Wenn (Jörg Tauss [SPD]: Das waren noch vernünf-
das geschehen ist, dann müssen wir sie darüber entschei- tige Ministerpräsidenten!)
den lassen.
– Ja. – Man kann auf Zitate von Herrn Benda von der
Meine herzliche Bitte, liebe Kolleginnen und Kolle- Union zurückgreifen. Er hat damals gegen den Wettbe-
gen: Stimmen Sie dieser Reform zu! Sie ist in unserem werbsföderalismus klare Position bezogen. Der dama-
eigenen Interesse. Sie ist im Interesse des Landes und im lige niedersächsische Finanzminister von der SPD hat
Interesse aller Menschen, denen wir verpflichtet sind. gesagt, er spreche klar gegen den Separatismus.
Danke. Wenn man jetzt, 2005/06/07, an die Neuordnung der
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) föderalen Beziehungen geht, muss man sich doch erst
einmal ein Ziel stecken. Das vermisse ich. Zu definieren
ist doch: Geht es um einen kooperativen Föderalismus
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: oder um Wettbewerbsföderalismus?
Nächster Redner ist der Kollege Bodo Ramelow für
(B) die Fraktion Die Linke. (Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE (D)
LINKE])
(Beifall bei der LINKEN)
Ich habe den Eindruck: Hier ist ein fauler Kompro-
Bodo Ramelow (DIE LINKE): miss aus Parteizentralen heraus gezimmert worden, die
Werte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen auszuhandelnde Prozesse außerhalb dieses Parlaments
und Kollegen! Ich glaube, dass niemand bezweifelt, dass miteinander organisieren.
die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland im
Die so genannte Mutter der Reformen, von der hier
föderalen Aufbau und beim Zusammenspiel zwischen
die Rede ist, führt dazu, dass am Ende offenkundig die
Ländern und Bund entflochten werden mussten und
stärkeren Länder die Gewinner sein werden und gleiche
müssen. Auch wir waren stets dafür, dass der Föderalis-
Arbeits- und Lebensbedingungen in der Bundesrepublik
mus immer wieder einer Tauglichkeitsprüfung unterzo-
nicht mehr ein Ziel sind, das dem Grundgesetz entspricht
gen wird. Auch wir waren der Meinung, dass es nicht
und durchgesetzt werden soll.
deswegen so bleiben muss, weil es so ist, wie es ist. Jetzt
wird nach einer Länderneuordnung gefragt: Ich kann (Beifall bei der LINKEN)
nur zustimmen, wenn behauptet wird, dass eine solche
Neuordnung von den Herzen der Menschen getragen Ich will es an ein paar Beispielen festmachen. Wenn
sein muss. es um einen Nationalstaat Bundesrepublik Deutschland
geht, der im Grundgesetz verankert ist, dann frage ich
Als gebürtiger Niedersachse muss ich trotzdem ein- mich, wie man am Ende dazu kommen kann, dass die
mal fragen: Welche Rolle und Funktion hat eigentlich Außenvertretung in bestimmten Bereichen, nämlich
Bremerhaven noch in Deutschland? Welche Besonder- Bildung, Rundfunk und andere, nach dem Grundgesetz
heit liegt dem eigentlich zugrunde? Eine andere Frage in Zukunft beim Bundesrat und nicht mehr bei den Insti-
lautet: Wie ist es mit dem Verhältnis der Länder, was tutionen des Nationalstaats angesiedelt ist. Ich hätte gern
Größe, Vermögen und Substanz angeht? Um beim Bild eine Antwort von Ihnen darauf gehabt. Das haben zum
des Fußballspiels zu bleiben: Beispiel die Vertreter des Bundesrates während der gro-
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein, nicht schon ßen Anhörung hier vorgetragen, von der Sie, Herr
wieder! Ich kann es nicht mehr hören!) Scholz, geredet haben. Die Anhörung hat stattgefunden,
nur, zugehört haben Sie offenkundig nicht, weil Sie nicht
Ich habe das in der Bundesrepublik Deutschland immer zuhören wollten.
so verstanden, dass beim Zusammentreffen verschiede-
ner Mannschaften Spielregeln gelten und dass es not- (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4247
Bodo Ramelow
(A) In Art. 23 Grundgesetz steht nach wie vor: Die Au- (Beifall bei der LINKEN – Klaus Uwe Benneter (C)
ßenvertretung übernimmt der Bundesrat. – Das heißt, an [SPD]: Landesverfassung ändern!)
der Stelle wird das Grundgesetz nicht einmal im Sinne
– Ja, die Landesverfassungen sollte man gleich mit än-
des Lübecker Konvents geändert, auf dem alle Parla-
dern, wenn wir schon von den Ländern gezwungen wer-
mente gesagt haben: „Wir brauchen wieder mehr Kom-
den, Unsinn zu machen. Der Vertreter der CDU hat ja
petenzen für alle Parlamente“, weil der Bundesrat von
gerade für den Bereich Strafrecht bestätigt, dass wir Un-
den Staatskanzleien und nicht von den Länderparlamen-
sinn machen. Sie von der CDU geben das hier zu Proto-
ten verwaltet wird. Was machen Sie hier eigentlich ord-
koll; Sie von der SPD bestätigen das. Wir aber sollen das
nungspolitisch? Sie übertragen Kompetenzen, die der
abnicken. Warum machen wir so einen Unsinn, wenn
Bundesstaat hat, auf Ländervertreter, ohne dass diese
alle Beteiligten sagen, das Strafrecht darf nicht dem
noch parlamentarisch kontrolliert sind. Ich halte das für
Wettbewerbsföderalismus ausgesetzt werden, sondern
einen katastrophalen Irrweg.
wir brauchen einheitliche Normen?
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian
[CDU/CSU]: Blanker Unsinn!)
Dressel [SPD]: Strafvollzugsrecht! Es geht
Eine weitere Anmerkung. Sie haben nicht einmal den nicht um das Strafrecht!)
Mut, dann, wenn Sie schon mit den Ländern verhandeln,
– Strafvollzugsrecht. Nun aber werden die Knäste nach
das Konnexitätsprinzip durchzusetzen, und zwar im
Finanzlage ausgestattet und jeder Regionalfürst kann
Grundgesetz und in den Landesverfassungen, damit in
sich austoben und durch Anwendung eigener Law-and-
Zukunft klar ist: Wenn es um die Kommunen geht, gilt:
Order-Prinzipien versuchen, bei seinem Wählervolk auf
Wer bestellt, bezahlt.
dem Rücken der Einheitlichkeit des Strafvollzugs zu
(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) punkten. Ich halte das für einen Weg in die falsche Rich-
tung.
– Dann hätten Sie es gleich mit verhandeln können!
Nicht nur hier rumschreien, sondern mit verhandeln, da- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/
mit die Länder, wenn sie denn schon von uns verlangen, DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD)
dass wir das Grundgesetz ändern, ihre Landesverfassun-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun zum
gen gleich mit ändern mit dem Ziel, dass das Konnexi-
Thema Bildung: Ich nehme es Ihnen von der sozialde-
tätsprinzip durchgehalten wird!
mokratischen Fraktion übel
Noch eine Anmerkung, auch zur historischen Dimen-
(Zurufe von der SPD: Oh!)
sion. Wir hatten schon einmal die Gelegenheit, über
(B) Länderneuordnung, Föderalbeziehungen und andere – schreien Sie nur; Sie werden darüber überall in Ihren (D)
Dinge ernsthaft miteinander zu streiten. Das war 1990. Wahlkreisen zu diskutieren haben –, dass Sie erst große
Der Art. 146 Grundgesetz hätte uns den Weg geöffnet. Initiativen gestartet haben, um die Rückübertragung der
Ich zitiere, Frau Präsidentin: Zuständigkeit für Bildung, also den Weg in die Klein-
staaterei, der angesichts der verheerenden PISA-Ergeb-
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Ein-
nisse ein Fehler ist, zu verhindern. Sie haben davon ge-
heit und Freiheit Deutschlands für das gesamte
sprochen, dass wir nationale Standards brauchen. Die
deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem
letzte Regierung hat von dieser Zuständigkeit sogar ge-
Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von
setzlich Gebrauch gemacht, indem sie ein Programm für
dem deutschen Volke in freier Entscheidung be-
mehr Ganztagsschulen auf den Weg gebracht hat. Jetzt
schlossen worden ist.
geben Sie das einfach für ein Linsengericht ab,
Indem Sie hier jetzt einen parteipolitischen Hickhack
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Linsen? Erbsen
veranstalten, der machtpolitisch die Südstaaten in
waren das!)
Deutschland stärken wird, betrügen Sie das ganze deut-
sche Volk um eine Verfassungsdebatte; Sie sind nicht ge- indem Sie ein Verfahren bezüglich neuer Regelungen für
willt, mit der Bevölkerung über Föderalbeziehungen und Hochschulen einführen, das die Einstimmigkeit der Län-
das Grundgesetz als Ganzes zu reden. der voraussetzt. Was für einen faulen Kompromiss ma-
chen Sie da nur! Sie begeben sich in die Hand eines
(Beifall bei der LINKEN)
einzelnen Landes, wenn Sie auf Bundesebene Kompe-
Dazu sage ich – ich habe das bei Beginn dieser De- tenzen wahrnehmen wollen. Das heißt, in Zukunft dik-
batte hier schon einmal dargelegt –: Mehr direkte tiert eine Minderheit über das, was wir hier im Parlament
Demokratie – Herr Beck, Sie hatten das bei Rot-Grün machen, weil ein einziges Land alles verhindern kann.
einmal auf der Tagesordnung – hätten wir jetzt einführen Welch ein Unsinn!
können, und zwar im Grundgesetz und in den Landes-
(Beifall bei der LINKEN)
verfassungen. Es gibt eine von Bürgern getragene große
Initiative für direktdemokratische Elemente. Warum re- Wir bekommen keine Bildungsoffensive mehr hin,
den wir dann, wenn wir bei der Föderalismusreform so wir können keine nationale Diskussion über Bildungs-
massiv ans Grundgesetz gehen, nicht auch einmal über standards führen, die angesichts der schlechten Ergeb-
solche Elemente, die das Grundgesetz den Bürgern nä- nisse in den Bereichen Lesen, Rechnen und Schreiben
her bringen? Sie schützen die Bürger vor uns. Das halte nötig wäre. Die PISA-Studie hat uns ja gerade ins
ich für den Fehler. Stammbuch geschrieben, dass wir da ganz hinten liegen.
4248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Bodo Ramelow
(A) Statt Möglichkeiten offen zu halten, in die Zukunft unse- – Sie können doch hinterher eine Kurzintervention ma- (C)
rer Kinder zu investieren, in das einzige Vermögen unse- chen. – Statt den Mut aufzubringen, ein einheitliches,
rer Gesellschaft, nämlich die Bildung und damit in die modernes nationales Dienstrecht in Deutschland auf den
Köpfe unserer Menschen, Weg zu bringen, bei dem die Trennung in Arbeiter, An-
gestellte und Beamte aufgehoben wird, wählen Sie den
(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Bildung Weg in die Zwergstaaterei. 16 Länder-Beamtenrechte!
hätte Ihnen auch gut getan!) Wo leben wir denn? Das führt zu einer weiteren Auf-
geben Sie diese Kompetenz für ein Linsengericht der splitterung aller dienstrechtlichen Vorschriften, die
Machtteilhabe ab. Sie werden Ihrer Verantwortung ange- nichts mit einer Modernisierung unseres Staates zu tun
sichts der historischen Dimension dieser Reform nicht hat. Sie sind wirklich keine Modernisierer, sondern Sie
gerecht. machen einen Rückwärtsschritt in Kleinstaaterei und Fö-
deralismus.
(Beifall bei der LINKEN – Volker Beck
[Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was
hier in Berlin!) hier vorliegt, ist nicht die „Mutter aller Reformen“, von
der ein langjähriger Ministerpräsident gesprochen hat.
– Ach, Herr Beck, wieder ein Einwurf zu Berlin. Das ist Nein, das ist ein Zombie aus Schwiegermutter und Stief-
so lächerlich wie kleingeistig. Ich wollte nichts dazu sa- mutter.
gen, aber da Sie es jetzt noch einmal ansprechen, nur so
viel: Schon zur Zeit der rot-grünen Regierung haben Sie (Heiterkeit bei der LINKEN – Renate Künast
unsinnigen Föderalismusregelungen zugestimmt, die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Chauvi! –
dem entsprachen, was hier jetzt gerade beschlossen wer- Volker Kauder [CDU/CSU]: Widerlich! – Zu-
den soll. rufe von der SPD)
Sie haben nicht den Mut, so etwas auf den Weg zu brin-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gen. Deswegen haben wir Sie heute Morgen gebeten,
NEN]: Nein! – Volker Beck [Köln] [BÜND-
den Gesetzentwurf an die Fachausschüsse zurückzuge-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht zugestimmt!
ben, damit Sie sich noch einmal vor Augen führen kön-
Wir hätten bestimmte Sachen nie beschlos-
nen, was die Fachleute dazu gesagt haben. Sie betrügen
sen!)
uns um die fachliche Debatte.
– Herr Beck, hören Sie doch einmal eine Sekunde zu. – Sie haben noch weitere Möglichkeiten, etwas zu än-
Als die Kommission zur Modernisierung der bundes- dern. Die erste Möglichkeit war: Rücknahme und Über-
staatlichen Ordnung eingesetzt wurde, in die Vertreter arbeitung des vorgelegten Gesetzentwurfs. Die zweite
(B) aller Parteien entsandt werden sollten, war es Ihre Partei, (D)
Möglichkeit heißt: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Die
die es der PDS bzw. den Mitgliedern von PDS-Landtags- letzte Möglichkeit besteht darin – hier gebe ich dem Kol-
fraktionen verwehrt hat, wenigstens mitzuarbeiten. Sie legen Reiche von der SPD Recht –, dass Sie Mut fassen
haben uns außen vor gelassen, obwohl Sie nicht einmal und eine Verfassungsdebatte führen, an der das deutsche
annähernd so viele Landtagssitze wie wir allein in den Volk teilhat und die den Menschen die Möglichkeit gibt,
neuen Ländern haben. abzustimmen. Nicht nur die Politiker, sondern auch die
(Beifall bei der LINKEN) Bevölkerung sollte darüber entscheiden, ob wir in einem
Land leben wollen, in dem die Stärken und die Schwä-
Vielen Dank, Herr Beck: Sie sollten, um biblisch zu blei- chen über den Nationalstaat ausgeglichen werden, oder
ben, nicht nur immer vom Span im Auge des anderen re- ob wir in einem Land leben wollen, in dem die wirt-
den, sondern auch den Balken vor Ihrem Kopf beachten. schaftlich Stärkeren bestimmen, wo es langgeht.
(Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank.
Auch zum Thema Dienst- und Beamtenrecht (Beifall bei der LINKEN)
möchte ich eine Bemerkung machen: Hier geht es nicht
nur um die Frage der einheitlichen Besoldung, sondern Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Sie schaffen auch die Möglichkeit der Einführung von Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat
16 Länderrechten. nun das Wort die Kollegin Renate Künast.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-
Kollegin Künast? fassen uns heute mit einem sehr ernsthaften Thema. Das
sage ich gerade im Hinblick auf meinen Vorredner.
Bodo Ramelow (DIE LINKE): (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Nein, danke.
Die Menschen draußen erwarten, dass die politischen
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Entscheidungen näher an sie herankommen, dass Bund
NEN]: So viel zum Thema Balken vor dem und Länder nach der angestrebten Föderalismusreform
Kopf! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- handlungsfähiger sind, dass Blockaden zwischen Bun-
NEN]: Hosen voll!) destag und Bundesrat abgebaut werden, dass die Land-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4249
Renate Künast
(A) tage wieder stärker werden, dass es nicht einen reinen tion. Das führt allenfalls zu einem Artikelgeschacher, (C)
Föderalismus gibt, in dem ausschließlich die Landes- aber nicht zu einer Lösung.
regierungen das Geschäft bestimmen, und dass die Re-
Herr Ramelow, ich sage Ihnen, der Sie gerade meine
form dazu führt, dass Deutschland als Nettozahler der
Zwischenfrage scheuten, zu Ihrem Vorwurf, ein Brett
Europäischen Union seine Interessen in Europa besser
vor dem Kopf zu haben: Ich hätte es gern gesehen, wenn
vertreten kann.
sich die Bundesländer, in denen die PDS an der Regie-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung beteiligt ist, in den letzten Jahren konstruktiv geäu-
ßert und akzentuiert hätten.
Ich muss Ihnen, meine Damen und Herren von der gro-
ßen Koalition, an dieser Stelle leider sagen, dass Ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vorlage diesen Herausforderungen nicht gerecht wird. In Berlin zum Beispiel war die PDS ein Totalausfall.
Ihre Vorlage ist nicht die „Mutter aller Reformen“ und
auch nicht das „Meisterstück der großen Koalition“, son- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dern allenfalls ein Scheinriese. sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da hat sie nur an die Hauptstadtklausel gedacht. Es ist
einer Hauptstadtregierung nicht würdig, dass sie sich
Herr Bosbach, Sie haben auf die deutsche Fußballna- nicht auch ums gesamte Land verdient macht. Ich war
tionalmannschaft rekurriert und darauf hingewiesen, häufig dort und kann mich an keinen entsprechend agie-
dass man nicht mitten im Spiel aussteigen könne. Dazu renden PDSler und schon gar nicht an eine Vorlage erin-
kann ich Ihnen nur eines sagen: Ihr Beispiel ist falsch. nern. So viel zum Thema „Holz vorm Kopf“.
Vielmehr geht es um die Nachspielzeit. Man kann ein
Spiel auch in den zwei Minuten der Nachspielzeit ge- Ich kenne aber auch die Schwächen des Stoiber/
winnen. Diese Chance wollten wir Ihnen heute eigent- Müntefering-Papiers, das quasi als Vorlage diente. Es
lich geben. Aber Sie haben sie ausgeschlagen. war schlecht und wir Grünen haben ihm nie zugestimmt.
Die heutige Vorlage ist im Vergleich dazu noch schlech-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ter. Sie haben sie verschlimmbessert, statt die Fehler zu
sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- beseitigen.
KEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da Krista Sager und ich das besondere Glück hatten, in
den letzten zwei Jahren dabei zu sein, kennen wir das Lassen Sie mich zu einzelnen Punkten kommen und
Vorspiel zu dieser Aufführung und wissen wir, dass Ihre mit Bildung und Wissenschaft anfangen. Herr Struck
hat zu der Vorlage hier vor einigen Monaten gesagt:
(B) Vorlage das Ergebnis sehr vieler sachfremder Deals ist, (D)
die das Land nicht weiterbringen. Diese Regelung würde nämlich konkret bedeuten,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dass der Bund generell in der Bildungspolitik keine
Joachim Stünker [SPD]: Das stimmt doch Akzente mehr setzen darf.
überhaupt nicht!) Er schließt dann die Frage an: „Ist das wirklich ge-
Eines stimmt auf jeden Fall: So viel Anhörung war noch wollt?“
nie. Aber eine Anhörung macht nur Sinn, wenn daraus Heute können wir Herrn Struck sagen: Diese Koali-
irgendetwas folgt. Bei Ihrer Vorlage ging es allerdings tion will es. Die Herren Stoiber, Koch und Wulff wollen
nicht um die Berücksichtigung des Sachverstands, son- es. Es wird nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden die-
dern nur um sachfremde Deals. ses Landes sein, zum Schaden der Kinder dieses Landes.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deshalb bitte ich Sie von den Sozialdemokraten, sich ge-
sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim nau zu überlegen, was für einer Vorlage Sie da zustim-
Stünker [SPD]: Wo ist denn da ein Deal?) men.

Mich erinnert Ihre Vorlage an 1994. Damals hat man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ebenfalls Deals gemacht und die Erforderlichkeits- Gerade die Eltern und Kinder in den finanzschwachen
klausel in die Verfassung aufgenommen. Heute stellen Ländern werden in der nächsten Zeit fragen: Weshalb
wir aber fest, dass die Rechtsprechung dazu mehrere haben Sie eigentlich die Möglichkeit einer gemeinsamen
Bände füllt. Diese Klausel hat dem Land ständig Pro- Kraftanstrengung von Bund und Ländern ausgeschlos-
bleme bereitet. Genau das setzen Sie fort. Ihre Regelung sen? Warum soll es kein konkretes Zusammenwirken
zum Art. 104 a des Grundgesetzes, zu der Mitentschei- mehr geben? – Ich sage gerade in Richtung SPD: Wir
dung der Bundesländer über den Bundesrat bei Geldleis- wissen doch, dass zu den Kernkompetenzen eines Lan-
tungen und geldwerten Sachleistungen, ist das neue Ein- des in Bezug auf dessen Zukunftsfähigkeit und auf die
fallstor für Blockaden und Gänge nach Karlsruhe. Das Zukunftsfähigkeit jedes einzelnen Kindes in diesem
bringt das Land nicht weiter. Land die Bildungsfrage gehört. Deshalb sollten wir uns
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in diesem Bereich gemeinsam anstrengen können.
Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie,
Frau Merkel, was heute vorliegt, ist keine Reform aus ei- Bildungspolitik ist vorsorgende Sozialpolitik und die
nem Guss, sondern entspricht für meine Begriffe dem wollen Sie doch machen. Hier hätten Sie die Möglich-
üblichen Moderieren und Lavieren einer großen Koali- keit, indem Sie der Regelung nicht zustimmen.
4250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Renate Künast
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – schaffen. Unser Vorschlag ist, ein Umweltgesetzbuch (C)
Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Und warum zu schaffen, das alle Bereiche umfasst. Unsere
können die Länder das nicht?) Vorstellungen gehen dahin, dass der Bund in einzelnen
Bereichen Öffnungsmöglichkeiten festschreibt, die den
– Es geht hier nicht darum, dass der Bund etwas viel- Ländern Abweichungen ermöglichen.
leicht besser könnte. Wir sagen doch gerade, es muss et-
was Gemeinsames geben; es muss die Möglichkeit ge- Warum wollen wir dies? Es wäre ein einheitliches
ben können, im Bereich Bildung noch einmal so etwas Verfahren, das für die Wirtschaft gut wäre. Ich glaube,
aufzulegen wie das Ganztagsschulprogramm. Es kann das ist die einzige Weise, mit dem Klimaproblem ange-
doch nicht sein, dass wir in einem solchen Fall Jahre messen umzugehen. Wir wissen doch alle, dass die Res-
warten müssen, bis ein Land sich finanziell saniert hat! source Wasser immer teurer wird. Aber da muss man
Es muss doch möglich sein, dass man in der Bildungs- doch nicht Kleinstaaterei institutionalisieren. Sie sagen,
planung gemeinsam handelt; schließlich befinden wir man könne ein Umweltgesetzbuch schreiben. Aber Sie
uns in internationaler Konkurrenz. normieren gleichzeitig eine Vielzahl von Abweichungs-
regelungen. Das Umweltgesetzbuch wird in Zukunft nur
Meine Damen und Herren, Indien bildet jedes Jahr
ein Potemkinsches Dorf sein. Der Mittelstand muss hin-
300 000 Ingenieurinnen und Ingenieure aus. Das ist die
terherlaufen und schauen, welches Recht eigentlich gilt.
internationale Konkurrenz, die wir haben. Deshalb müs-
sen wir um jedes Kind, auch das Kind armer Eltern, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
kämpfen und es fördern. Darum geht es; das liegt uns auf DIE GRÜNEN und der LINKEN)
der Seele. Aber das steht nicht in Ihrer Vorlage.
Sie müssten eigentlich die Juristenausbildung ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Normalerweise lernt jede Studentin und jeder Student
Mit Edelgard Bulmahn und Krista Sager haben sich der Rechtswissenschaft als Erstes: Ein Blick ins Gesetz
zwei Frauen über Jahre intensiv engagiert, um wenigs- erleichtert die Rechtsfindung.
tens im Bereich Wissenschaft noch Möglichkeiten zu er-
(Joachim Stünker [SPD]: Das sollten auch Sie
öffnen. Trotz alledem, die Vorlage ist ein Treppenwitz
mal machen!)
und so wird die Reform am Ende auch beurteilt werden.
Ganz Europa müht sich darum, die verschiedenen Das wird in Zukunft nicht mehr stimmen. Denn der
Studienzugänge und -abschlüsse einander anzugleichen; Blick in dieses so genannte Umweltgesetzbuch würde
aber bei uns soll es in Zukunft so sein, dass jedes Bun- die Rechtsfindung nicht erleichtern, weil man 16 Län-
derregelungen durchforsten müsste, um zu wissen, was
(B) desland sie abweichend regeln kann. Das ist nicht Zu- überhaupt gilt. Das ist nicht nur für die Verwaltung (D)
kunft, das ist Kleinstaaterei.
schlecht, sondern auch für die Umwelt und für das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Klima sowie für die mittelständischen Betriebe, weil sie
die entsprechenden Vorschriften durchforsten müssen.
Das ist auch keine richtige Erweiterung der regionalen
Kompetenz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bei den Hochschulbaumitteln werden wir eines erle- Wir alle wissen doch, dass die Entwicklung in eine
ben: Bayern und Baden-Württemberg werden profitie- andere Richtung gehen muss als die, die Sie hier festle-
ren, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg werden gen. Sie haben noch nicht einmal einen abweichungsfes-
am Ende schlechter dastehen als heute, auch wenn es da- ten Kern beim Naturschutz gelassen. Sie sagen sogar,
rum geht, powervoll Spitzenhochschulen zu entwickeln dass die Länder in der Landwirtschaft von der guten
und zu bauen. Deshalb sage ich Ihnen ganz klar: Unser fachlichen Praxis abweichen können. Wissen Sie eigent-
Nein zu dieser Reform hängt im Wesentlichen am Bil- lich, welche Bedeutung die Landwirtschaft für die CO2-
dungsteil; er macht dieses Paket insgesamt nicht zustim- Bindung und für das Klima hat? An allen Stellen, an de-
mungsfähig. nen es um unsere Zukunft geht, öffnen Sie Entwicklun-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen eine Tür, die nicht zu verantworten sind. Deshalb
können wir diesem Punkt nicht zustimmen.
Unser zweiter zentraler Kritikpunkt ist das Umwelt-
recht. Wir wissen, dass aufgrund der Rechtsprechung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zur Rahmengesetzgebungskompetenz das alte Rahmen-
Nehmen wir ein viel diskutiertes Thema in der letzten
recht nicht mehr viel wert ist. Ich sage Ihnen ganz deut-
Zeit, das sicherlich wieder aktuell werden wird, nämlich
lich: Das Naturschutzrecht, das Sie jetzt planen, ist al-
das Thema Hochwasserschutz. Was macht denn eigent-
lerdings noch viel weniger wert.
lich die Stadt Hitzacker, wenn Sachsen beim Hochwas-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ serschutz nicht die richtigen Maßnahmen ergreift? Was
DIE GRÜNEN und der LINKEN) machen in Nordrhein-Westfalen Städte am Rhein, wenn
Baden-Württemberg nicht entsprechende Maßnahmen
Dieses Recht sieht vor, dass der Bund eine Möglichkeit ergreift? Sie sehen an dieser Stelle, dass ein einheitliches
zur Regelung bekommt, die allerdings nur ganz allgemein Umweltgesetzbuch Sinn macht.
gilt. Der Bund hat nämlich nicht die Möglichkeit, ein bin-
dendes und ressortübergreifendes Umweltgesetzbuch zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4251

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident [Bay- (C)
Frau Kollegin, ich muss Sie an Ihre Redezeit erin- ern]: Sehr wahr!)
nern.
die von Anfang bis Ende in der Kommission mitgearbei-
tet hat, was wäre, wenn die Wahl nicht vorgezogen wor-
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den wäre und wir jetzt über die Verfassungsreform abzu-
Mein Fazit ist: Diese Vorlage ist kleinkarierter Lobby- stimmen hätten. Es wäre ein Desaster für unser Land.
ismus und Ergebnis eines Deals. Wir haben aber die
Pflicht, das Land handlungsfähiger zu machen, die Zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
ständigkeiten klar zu sortieren und dabei die Zukunfts- CDU/CSU– Renate Künast [BÜNDNIS 90/
fragen zum Wohle des ganzen Landes zu beantworten. DIE GRÜNEN]: Sie waren doch das Desas-
ter!)
(Joachim Stünker [SPD]: Dann machen Sie es
mal!) – Frau Künast, von einem sachfremden Deal zu spre-
chen, ist schärfstens zurückzuweisen. Dies ist einfach
Mit diesem Umweltrecht und mit diesem Bildungsteil impertinent.
lösen Sie diese Probleme nicht. Deshalb werden wir mit
Nein stimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben hier sicherlich das Ergebnis einer politi-
schen Abwägung. Es ist ein Kompromiss. Aber es ist
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: das Ergebnis einer einzigartigen Zusammenarbeit zwi-
Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege schen legitimierten Vertretern des Bundestages und des
Volker Kröning. Bundesrates.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach
was! Fragen Sie doch Müntefering!)
Volker Kröning (SPD): Das ist nach vielen Anläufen und nach Zutaten, die wir
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und in der Zwischenzeit hatten, zu einem Erfolg geführt wor-
Herren! Als vor fast drei Jahren die Kommission zur den. Die Zutaten bestanden nicht nur in den Neuwahlen,
Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung von sie bestanden auch in ausführlichen Beratungen, die zur
Bundestag und Bundesrat eingesetzt wurde, fielen Sätze, parlamentarischen Demokratie gehören, nämlich Frak-
die Messlatten und Leitplanken unserer Arbeit waren. tionsberatungen. In der SPD-Fraktion ist seit der Koali-
(B) Ich darf zitieren: tionsvereinbarung um diesen Kurs bis zum heutigen Er- (D)
Unsere bundesstaatliche Ordnung hat viel von ihrer gebnis gerungen worden. Zu diesen Beratungen gehörte
ursprünglichen Vitalität und Flexibilität verloren … auch die Beratung im Rechtsausschuss.
An die Stelle des eigenverantwortlichen Handelns Zu dem Lautsprecher Herrn Ramelow sei gesagt: Er
von Bund und Ländern ist … ein Beteiligungsföde- war außer bei der Anberatung – da hat er ein Statement
ralismus getreten … Dadurch haben die Länder und abgegeben und ist dann verschwunden – nie im Aus-
die Landtage viel von ihrem ursprünglichen Gestal- schuss. Als die Einzelberatung im Rechtsausschuss ge-
tungsspielraum verloren. führt wurde, hat die PDS kein Wort mehr dazu gesagt.
So Herr Ministerpräsident Stoiber. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich zitiere weiter: Um viele Einzelheiten, um Details und um die Grund-
Deutschland ist in einer Phase tief greifender Er- linien ist bis in die letzten Wochen und Tage gerungen
neuerung. worden. Wir sind überzeugt davon, dass sich die Gesetz-
entwürfe, die vor mehr als drei Monaten gleichzeitig in
Wir sind und bleiben Bundestag und Bundesrat eingebracht wurden, verbes-
– auch mit dieser Verfassungsreform, füge ich hinzu – sert haben, dass das Gesetzespaket in der Zwischenzeit
aufgrund der Anhörung und durch die Verhandlungen in-
ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, wie nerhalb der Koalition – übrigens mit viel Öffentlichkeit,
es im Grundgesetz steht. die unsere Fraktion bzw. Partei mit auf den Buckel ge-
So der damalige Vorsitzende, den der Deutsche Bundes- nommen hat – sowohl handwerklich als auch inhaltlich
tag bestimmt hatte, unser damaliger Fraktionsvorsitzen- verbessert worden ist. Das Gewollte kommt klarer zum
der Franz Müntefering. Ausdruck. Die Kompetenzen und die Spielregeln der
Zusammenarbeit sind in den Bereichen Bildung und
In einem Jahr war die Arbeit – das haben wir ge- Wissenschaft, aber auch Kultur und ebenso in den Berei-
merkt – anders als erhofft, nicht zu schaffen. Offenbar chen Umwelt, Bau und Raumordnung besser ausgestal-
hat es eines verstärkten Mandats bedurft. Dieses Man- tet worden, wenn auch Einzelkompromisse schmerzhaft
dat hat die große Koalition angenommen. bleiben.
Ich frage mich nach dem Beitrag der damaligen Mi- Mit dem neuen und neu gefassten Zustimmungstat-
nisterin Künast und heutigen Fraktionsvorsitzenden der bestand bei Bundesgesetzen mit erheblichen Kostenfol-
Grünen, gen und mit der Abweichungsgesetzgebung in formell-
4252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Volker Kröning
(A) und materiell-rechtlich klar abgesteckten Fällen betritt Das wird auch für die weitere Entwicklung der Lebens- (C)
der Verfassungsänderungsgesetzgeber ohne Frage Neu- verhältnisse in unserem Land gelten. Sie werden immer
land. An keiner Regelung haben wir die ganze Zeit über zum Gegenstand öffentlicher Debatte gemacht werden
so intensiv gearbeitet wie an diesen beiden Regelungen, können. Herr Ramelow, da brauchen Sie sich um Bre-
Herr Burgbacher, und zwar von Mitte 2004 bis Mitte merhaven, nämlich den Hafen von Bremen, keine Sor-
2006. Wir halten die gefundenen Lösungen für verant- gen zu machen.
wortbar. Ich glaube, diese Lösungen halten auch fachli-
Zu Ihnen und Ihrer Fraktion fällt mir nur noch ein,
cher Kritik stand. Es hat tragische Züge, dass Sie, der Sie
dass Sie jetzt auf Art. 146 des Grundgesetzes zurück-
daran sehr konstruktiv mitgearbeitet haben, heute das
kommen, während, glaube ich, Ihre Kinder oder Eltern
Nein Ihrer Fraktion begründen müssen.
– wie auch immer die Genealogie bei der PDS aussehen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der mag – im Jahre 1990 den Weg nach Art. 23 des Grund-
CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Alle haben gesetzes, nämlich des Beitritts zur Bundesrepublik
mitgemacht! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Deutschland und des Beitritts zu diesem Grundgesetz,
Ausgerechnet der Herr Tauss! Ich glaube, gegangen sind. Sie haben offenbar nicht nur ein gestör-
mein Schwein pfeift!) tes Verhältnis zum Bundesstaat, sondern auch immer
noch zum Grundgesetz.
Im Übrigen ist der Preis für diese Innovationen durch-
aus vertretbar, wenn man an die Abschaffung der Rah- (Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Sie irren
mengesetzgebung und der darauf basierenden Recht- sich!)
sprechung des Bundesverfassungsgerichts denkt, die uns
Wir bekommen – und auch das zählt zu der Abwä-
in der Staatspraxis von Sachdebatten und Sachentschei-
gung, Frau Kollegin Künast; ich sage das auch an unsere
dungen abgehalten hat und der Neigung der Politik, Ent-
frühere Mitstreiterin, Frau Sager – eine neue Bildungs-
scheidungen nicht mehr von der Volksvertretung, son-
und Wissenschaftsverfassung. Das ist richtig und
dern vom Bundesverfassungsgericht fällen zu lassen, die
drückt sich sehr klar in Art. 91 b Abs. 2 aus, einer neuen
wir leider mit zu vertreten haben, Vorschub geleistet
Vorschrift, die an die Stelle der bisherigen Vorschrift
hatte.
über Bildungsplanung tritt, die nur noch ein Schatten ih-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) rer selbst war. Und das drückt sich durchaus auch in
Art. 91 b Abs. 1 in der Fassung, wie wir sie jetzt bekom-
Der Preis ist auch vertretbar, wenn man an die Ein-
men haben, aus. Nicht nur Forschungsförderung für au-
schränkung der Erforderlichkeitsklausel denkt. Es ist
ßeruniversitäre und universitäre Einrichtungen und Vor-
ganz erstaunlich, dass dies noch im Laufe der Kommis-
haben, sondern auch die Förderung der Lehre zur
sionsarbeit im Einvernehmen zwischen Bund und Län-
(B) Bewältigung der Studentenzahlen der nächsten Jahre, die (D)
dern geregelt werden konnte und es bis in die letzten
wir begrüßen und die unser Land braucht, wird auf der
Tage auch noch zu Einigungen, nämlich bei der Abfall-
Basis dieser Verfassung möglich sein.
wirtschaft, gekommen ist. Dieses zeigt nicht nur gesamt-
staatliche Verantwortung des Bundes, sondern drückt Es berührt mich sehr zwiespältig und den Kollegen
durchaus auch gesamtstaatliche Verantwortung der Län- Ortwin Runde, Ihren früheren Ersten Bürgermeister, si-
der aus, für die ich mich bedanke. cherlich mit, dass Sie Mitte 2004 genau den Vorschlag,
den wir damals gemacht hatten, in der kleinen Koalition
Sehr zu begrüßen ist auch, dass es nicht allein bei der
nicht mitgetragen haben. Das war ein Knacks in der ge-
Verfassungsänderung bleibt, sondern dass die dazu ge-
meinsamen Arbeit an der Verfassungsreform.
hörenden Ausführungsgesetze ebenfalls vorgelegt wer-
den – das hatten wir bei früheren Verfassungsänderun- (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
gen nicht – und heute mit zur Abstimmung stehen. Nicht Ich habe den unterstützt!)
nur der Verfassungsänderungsgesetzgeber, auch der ein-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen rin-
fache Gesetzgeber kann sich mit diesem Paket sehen las-
gen mit ihrer Entscheidung auch vor dem Hintergrund
sen.
der Frage, ob die Handlungs- und Leistungsfähigkeit
In jedem Fall gewinnt das Land, wenn wir wieder des Staates mit der Reform wirklich gewinnt. Auch ich
mehr über die Sache als über Kompetenzen streiten und hatte mir Handlungs- und Leistungsfähigkeit bei mei-
die notwendigen Entscheidungen von der demokratisch nem Beitrag während der Konstituierung der Kommis-
legitimierten Politik – das heißt in erster Linie im Deut- sion zum Maßstab gemacht. Manche fürchten, dass die
schen Bundestag und von den Landtagen, soweit jetzt Änderungen rückwärts und nicht vorwärts weisen. Sie
vorgesehen und im Grundgesetz nicht aufgeschrieben – sehen, dass der Abbau von Regelungen mit zusätzlichen
gefällt werden, statt an die Justiz abgeschoben zu wer- Regelungen verbunden wird und dass mit weniger Büro-
den. kratie beim Bund und dem Bund-Länder-Verhältnis
mehr Bürokratie in den Ländern und im Verhältnis unter
Eine Grundsatzbemerkung noch zum Parlamentaris-
den Ländern einhergehen kann. Doch wir sollten das
mus, zur repräsentativen Demokratie: Die Volksver-
Ziel – wie Herr Dr. Stoiber damals gesagt hat –, den
tretung ist jenseits der Kompetenzordnung allzuständig
Bundesstaat vitaler und flexibler zu machen oder – wie
für die Erörterung gesamtstaatlicher Themen. Das hat sie
ich noch lieber sage – mehr Vielfalt in der Einheit zu er-
immer so gehandhabt und das wird sie auch in Zukunft
öffnen, nicht aus den Augen verlieren.
so tun. Sie ist das Forum der Meinungs- und Willensbil-
dung, wie Herr Kollege Bosbach zu Recht gesagt hat. (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4253
Volker Kröning
(A) – Ich sage das, lieber Kollege Tauss, auch deshalb, weil Noch ein nüchternes Wort zur Verabredung über die (C)
ich natürlich spezifische bremisch-bayerische Erfahrun- zweite Stufe. Herr Dr. Struck hat dazu bereits Stellung
gen in der Kommission gemacht habe, die ich nicht bezogen. Ich will dem nur noch hinzufügen, dass Auf-
leugne und die ich auch unserem Senat zugute halten trag und Organisation des Verfahrens zu klären bleiben.
will. Sie müssen übrigens nicht nur von den beiden Ebenen,
sondern auch von der Zweiten und der Ersten Gewalt
Es hat der Arbeit in der Kommission durchaus ge- festgelegt werden.
nützt – das möchte ich an die Damen und Herren der
FDP-Fraktion noch einmal sagen –, dass wir in der (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)
Kommissionsarbeit, auch wenn wir über die Aussparung Daran werden wir uns beteiligen. Ich hoffe und arbeite
des Finanzausgleichs und des Art. 29 des Grundgesetzes dafür, dass das gelingt.
verschiedener Meinung waren, zusammengeblieben sind
und uns nicht in falschen Gegensätzen verheddert haben, Herr Burgbacher, die Bereitschaft der Länder, die
etwa in der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Reform der Finanzverfassung anzugehen, ist eine
kooperativem Föderalismus und Wettbewerbsföderalis- Frucht der Kommissionsarbeit. Das war vor der Kom-
mus. missionsarbeit nicht klar, sondern ist erst nach der Kom-
missionsarbeit klar geworden. Warum wollen Sie denn
Herr Westerwelle, ich sage aus tiefer Überzeugung: die Stufe zwei, wenn Sie sich nicht in der Lage sehen,
Die Kooperation zwischen Bund und Ländern bleibt nö- die Stufe eins mitzutragen? Das müssen Sie draußen ein-
tig und mit dieser Verfassungsreform erhält sie eine neue mal klar machen.
Grundlage. Der Wettbewerb – das sage ich gerade an
die Adresse besorgter Kollegen in den Volksparteien – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
wird die Grenzen, die ihm das bündische Prinzip steckt, CDU/CSU)
nicht überschreiten.
Die Initiative ist nicht vom Bund ausgegangen, son-
Die Normen des Grundgesetzes, die von der „Herstel- dern von den Ländern. Der Bund verschließt sich dem
lung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesge- nicht. Wir haben das im Koalitionsvertrag als Angebot
biet“ und der „Wahrung der Rechts- und Wirtschaftsein- formuliert. Zu dem Angebot stehen wir, vor allen Din-
heit“ sprechen, werden durch die Änderung des gen, nachdem die Ministerpräsidenten das im Dezember
Grundgesetzes, die wir vorhaben – das muss man fest- 2004 gemeinsam mit Frau Dr. Merkel bekräftigt haben.
halten –, nicht geschwächt, sondern gestärkt. Diesseits Allen euphorischen, aber auch skeptischen Erwartun-
und jenseits geschmäcklerischer Einwendungen kann gen will ich entgegenhalten: Es ist nur ein scheinbarer
(B) man sogar sagen, dass die Finanzverfassung die Länder- Widerspruch, dass mit dem Gesamtpaket, das heute hier (D)
gesamtheit an zwei neuen Stellen aufführt und das und in der nächsten Woche an der Leipziger Straße zur
bündische Prinzip zu einem solidarischen Füreinander- Abstimmung steht, auch in der Finanzverfassung erheb-
einstehen konkretisiert. Das hat das Bundesverfassungs- liche Verbesserungen zustande kommen. Sie sollten ge-
gericht – diesbezüglich herrscht zwischen Gesetzgeber rade die Verbesserungen, die in den Ausführungsgeset-
und Gericht Einvernehmen – in der wichtigen Entschei- zen erreicht werden, würdigen. Das ist schon – auch mit
dung aus dem Jahre 1992, die dem Saarland und Bremen Blick auf die Europafähigkeit der Bundesrepublik
geholfen hat, beschrieben. Das wird durch diese Verfas- Deutschland – angeführt worden.
sungsreform nicht abgeschwächt, sondern bekräftigt.
Deshalb kann ich das guten Gewissens mittragen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen dieser Tatsache
und der Tatsache, dass die Staatlichkeit auf der zweiten
An die Kolleginnen und Kollegen aus den ostdeut- Ebene nach der Reform zwar mehr Autonomie auf der
schen Ländern möchte ich den ausdrücklichen Hinweis Ausgabenseite gewinnt, aber kaum mehr Autonomie auf
richten, dass die Vereinbarungen, die vor fünf Jahren im der Einnahmeseite. Der deutsche Finanzföderalismus
Solidarpakt II geschlossen worden sind und an denen weist im Vergleich zu anderen Bundesstaaten innerhalb
politisch eigentlich nie, jedenfalls nicht von den Koali- und außerhalb Europas einige Besonderheiten auf, die
tionsfraktionen, gerüttelt worden ist, nun im Verfas- einer Überprüfung bedürfen oder zumindest eine Über-
sungstext bekräftigt werden. Auch das ist ein Kompro- prüfung verdienen. Ich meine vor allem das Auseinan-
miss. Das ist aber mehr als politische Verbindlichkeit. derklaffen von Regelungskompetenz und Ertragshoheit.
Das ist die Grundlage dafür, dass wir uns die Stufe zwei
vornehmen können. Die Frage, ob der Finanzföderalismus nur so oder
auch anders ein Vorteil für Wachstum und Beschäftigung
Trotz gewisser Spekulationen, die, Herr Dr. Stoiber, ist, ist unabweisbar. So haben wir unsere Kriterien im
von Süden, von einem wunderschönen See im Freistaat Koalitionsvertrag formuliert. Ich bin zudem der Mei-
Bayern, nach Norden dringen, wird die bundesstaatliche nung, dass wir uns vor fünf Jahren bei der Neuordnung
Vielfalt – davon bin ich überzeugt – das einigende Band des Finanzausgleichs nach der Entscheidung des Bun-
der Solidarität nicht verlieren. Franz Müntefering behält, desverfassungsgerichts von 1999 nicht genügend mit der
ebenso wie Sie, Recht: In föderaler und parlamentari- Finanzausstattung, der Wirtschaftskraft und deren Ent-
scher Hinsicht wird unsere Demokratie gestärkt; beide wicklung in den Ländern beschäftigt haben und auch
Ebenen und alle Staatsorgane in Bund und Ländern – das nicht genügend mit der Frage, ob sie auseinander driften
muss gesagt werden – bleiben dem Sozialstaatsprinzip und ob sie bei mehr Vielfalt in der Einheit das Maß des
verpflichtet. Tolerablen einhalten oder überschreiten. Aus der
4254 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Volker Kröning
(A) Bundesstaatsreform wird nur etwas, wenn auch, wie ich Baden-Württemberg hat seit Beginn des Länderfinanz- (C)
gesagt habe, bei der zweiten Stufe Planungssicherheit ausgleiches Anfang der 50er-Jahre insgesamt 54 Milliar-
auf der Basis dieser Verfassungsänderung mit Gedan- den Euro einbezahlt und niemals etwas erhalten. Das
kenfreiheit verbunden werden kann. entspricht in etwa der Summe der Gesamtverschuldung
des Landes Baden-Württemberg. Das heißt, würde man
Die Verfassungsänderung setzt Verhaltensänderun- diesen Betrag verrechnen, wären wir schuldenfrei.
gen voraus und zieht sie nach sich. Dies mussten und
müssen wir wollen. Wir Kolleginnen und Kollegen im Ich meine, dieser Solidarbeitrag des Landes Baden-
Deutschen Bundestag sollten dabei innerhalb unserer Württemberg sollte auch gewürdigt werden. In diesem
Parteien – die repräsentative Demokratie wird durch die Zusammenhang möchte ich gerne die Ministerpräsiden-
Parteien zusammengehalten; lassen Sie uns doch bitte ten dazu auffordern, bei der Neuausrichtung des Länder-
nicht die Parteien denunzieren, nicht ausgerechnet Sie finanzausgleichs sorgsam die Frage zu prüfen, wie diese
von der PDS; sie sind ein ganz wichtiger Transmissions- Zahlungen im Sinne der Äußerungen des Kollegen
riemen funktionierender Demokratie – Kröning wirken. Wir wollen alle, dass die schwächeren
Länder stärker werden, die stärkeren Länder aber nicht
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
schwach werden. Diese Solidarleistungen sollen dazu
der CDU/CSU)
beitragen, mehr Wachstum und Beschäftigung zu gene-
sowie in und vor der Öffentlichkeit unseren Kolleginnen rieren. In diesem Zusammenhang bitte ich, das sorgsam
und Kollegen in den Ländern die Informationen geben zu überprüfen.
und die Unterstützung zuteil werden lassen, um die wir
Danke.
in den letzten Wochen in unseren Reihen gerungen ha-
ben. Die meisten von uns sind kommunal- und landes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-
politisch geprägt. Wir sollten uns deshalb nicht mit wie des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE
Angst, sondern mit Mut der Aufgabe stellen, unseren GRÜNEN])
Staat wieder handlungs- und leistungsfähig zu machen.
Ich bitte herzlich um die Annahme der Gesetzentwürfe Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
in der Fassung der Empfehlung des Rechtsausschusses. Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich das
Vielen Dank. Wort der Kollegin Krista Sager.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Olaf, ich gehe davon aus, dass du gleich die Hambur-
(B) ger Fahne hochhältst und deutlich machst, dass es auch (D)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: im Norden ein Land gibt, das zahlt, und dass wir im Nor-
Ich erteile zunächst das Wort zu einer Kurzinterven- den nicht alle nur die Hand aufhalten.
tion dem Kollegen Norbert Barthle für die CDU/CSU-
Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen kann ich mich auf einen anderen Aspekt
Norbert Barthle (CDU/CSU): konzentrieren: Herr Kollege Kröning, Sie haben mich
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten persönlich angesprochen und dabei den Eindruck er-
Damen und Herren! In den bisherigen Debattenbeiträgen weckt, als hätte ich in der Frage, ob wir weiterhin ein
wurde mehrfach auf die zweite Stufe der Föderalismus- Zusammenwirken von Bund und Ländern brauchen – so-
reform und den damit in Rede stehenden Länderfinanz- wohl in der Wissenschaft als auch bei der Fortentwick-
ausgleich hingewiesen. In diesem Zusammenhang lung des Bildungswesens –, in der Föderalismuskom-
wurde ausdrücklich der bisherige Solidarbeitrag des mission eine andere Position vertreten als zum Beispiel
Landes Bayern gewürdigt und gelobt. Ich will dies in Sie und Herr Runde. Herr Runde wird sicherlich bestäti-
Anwesenheit des bayerischen Ministerpräsidenten aus- gen können, dass ich mich in der Kommission immer
drücklich unterstreichen. Bayern hat einen großen Soli- sehr für ein solches Zusammenwirken eingesetzt habe:
darbeitrag geleistet, sowohl in der gesamten Wissenschaft – nicht nur in der
Forschung – als auch bei der Fortentwicklung des Bil-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
dungswesens, nicht zuletzt mit Blick auf die Fortführung
Zurufe von der SPD: Aber!)
von Ganztagsschulprogrammen.
indem Bayern doppelt so viel einbezahlt hat als erhalten.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Zusammenarbeit
Es handelt sich um eine Summe von rund 37 Milliarden
der Bildungspolitiker im Ausschuss für Bildung und
Euro.
Forschung gut verlief und wir wirklich etwas bewegt ha-
Ich möchte aber für die Kolleginnen und Kollegen in ben, wenn auch nicht genug. Dass das, was wir erreicht
diesem Hohen Hause und auch für die deutsche Öffent- haben, nicht genug ist, wird von den meisten Bildungs-
lichkeit ausdrücklich darauf hinweisen, dass es ein Bun- politikern so beurteilt.
desland gibt, das sich noch solidarischer verhalten hat,
nämlich Baden-Württemberg. Herr Kröning, ich bin mir ziemlich sicher: Dass es
noch eine kleine Veränderung zugunsten einer Klausel
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Fritz für mehr Studienplätze gegeben hat, ist in erster Linie
Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den Bildungspolitikern zu verdanken, nicht Ihnen. Ich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4255
Krista Sager
(A) will gerne einräumen, dass auch ich nicht immer mit all Volker Kröning (SPD): (C)
ihren Vorgehensweisen sehr glücklich gewesen bin. Ins- Frau Präsidentin, da ich von der Frau Kollegin Sager
besondere haben wir ihnen die unglückliche Abwei- angesprochen worden bin, möchte ich noch eine Bemer-
chungsklausel zu verdanken, kung zum Thema Bildungs- und Wissenschaftsverfas-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sung machen. Ich finde, es ehrt Sie, dass Sie auf das
sowie der Abg. Ina Lenke [FDP]) „Wie?“ eingegangen sind und die gemeinsame Intention
von damals festgehalten haben. Deshalb will ich die Be-
von der viele zu Recht gesagt haben, dass sie uns im gleitumstände, unter denen wir diesen wichtigen politi-
Umweltrecht und in anderen Bereichen noch große Pro- schen Zug hätten machen können, nicht in Erinnerung
bleme bereiten wird, weil sie eine völlige Rechtsunklar- rufen. Er hätte uns möglicherweise das Scheitern
heit zur Folge hat. Ende 2004 erspart.
Sie wissen ganz genau, dass gerade die Abweichungs- Nein, ich möchte etwas viel Grundsätzlicheres sagen
klausel nicht nur von den Grünen und unseren ehemali- – dabei wende ich mich insbesondere an die Bildungs-
gen Ministern sehr kritisch gesehen wurde, sondern auch und Wissenschaftspolitiker aller drei Oppositionsfraktio-
von zahlreichen Mitgliedern der jetzigen Bundesregie- nen –: Man muss wissen, ob man, wenn man im Detail
rung, also nicht nur von denjenigen, die damals auf der anderer Meinung ist, das Ganze ablehnt. Das ist die ent-
Regierungsbank saßen, sondern auch von manchen, die scheidende Frage.
heute noch auf der Regierungsbank sitzen – und zwar zu
Recht. Es ist sehr bedauerlich, dass man diese falsche (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ganz genau!
Weichenstellung trotzdem nicht aus dem Gesetzentwurf Das ist das Entscheidende!)
hat entfernen können. Das gilt für die Bereiche Bildung Man muss sich darüber klar werden, ob uns diese Rege-
und Umwelt, aber auch für die Abweichungsklausel. lungen voranbringen, auch wenn sie hinter einem abge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lehnten bzw. nicht zustande gebrachten Optimum zu-
rückbleiben. Ich finde, die, die mit Nein stimmen
wollen, müssen sich öffentlich fragen lassen: Was wür-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: den Sie eigentlich tun, wenn Sie nicht in der Opposition
Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich das wären, wenn Sie nicht im Schutz einer Mehrheit handeln
Wort dem Kollegen Scholz. Anschließend bitte ich würden, sondern wenn Sie in der Verantwortung stün-
Herrn Kollegen Kröning, zu antworten. den?
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Hamburg Schönen Dank.
(B) will noch mehr geben! – Joachim Stünker (D)
[SPD]: Jetzt kommen die reichen Pfeffersä- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –
cke!) Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist Quatsch! Wir würden verhan-
Olaf Scholz (SPD): deln, damit es besser wird!)
In der Debatte über den solidarischen Föderalismus,
die uns in der nächsten Zeit in der Tat begleiten wird, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
möchte ich die Südlastigkeit, die zu beobachten ist, redu- Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Guido
zieren. Das Bundesland Hamburg Westerwelle, FDP-Fraktion.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist sehr (Beifall bei der FDP)
schön!)
hat seit Beginn des Länderfinanzausgleichs immer ein- Dr. Guido Westerwelle (FDP):
gezahlt Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bravo!) Herren! Nach all den lokalpatriotischen Erklärungen hier
möchte ich ausdrücklich sagen – sonst bekomme ich zu
und niemals etwas bekommen. Hause Ärger –: Nordrhein-Westfalen ist auch ganz groß-
artig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident [Bay- (Beifall bei der FDP – Volker Kauder [CDU/
ern]: Ein reiches Land!) CSU]: Kann man das genauer sagen?)
Das hat es gerne getan und das wird es auch in Zukunft Wir reden immerhin in einem Verfassungsorgan über
weiterhin gerne tun. eine, wie Sie es selbst formulieren, regelrechte Jahrhun-
dertreform des Föderalismus. Da ist es mir ein Anliegen,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
festzustellen: Dafür ist das Interesse auf der Bundesrats-
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE
bank, jedenfalls was die Zahl der Ministerpräsidenten
GRÜNEN)
angeht, sehr überschaubar. Dass wir bei solch einer
Frage nach einer gemeinsamen Anhörung von Bundes-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tag und Bundesrat einen einzigen Ministerpräsidenten
Herr Kollege Volker Kröning, bitte sehr. hier sitzen haben,
4256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Dr. Guido Westerwelle


(A) (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Aber den Die Steuerzahler wollen aber erkennen können, wem sie (C)
besten!) welche Steuer „verdanken“ bzw. wer ihnen welches
Geld abnimmt und wem sie welche Leistungen verdan-
ist in meinen Augen keine gute Ausgangslage.
ken. Transparenz ist die Voraussetzung für Demokratie,
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ doch sie fehlt in den Finanzbeziehungen.
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP)
Herr Kollege Kröning, Sie haben denjenigen, die die
Herr Kollege Burgbacher hat zu Recht darauf hinge-
Reform ablehnen wollen, die zentrale Frage gestellt, ob
wiesen, dass es eine unverbindliche Verabredung gibt,
sie es verantworten können, dieses Gesamtpaket wegen
die aber nicht einmal den Weg in dieses Haus gefunden
ihrer Bedenken in einzelnen Fragen abzulehnen. Ich
hat. Es gibt eine Verabredung zwischen der Bundeskanz-
sage Ihnen: Wir können es verantworten; davon sind wir
lerin und den 16 Ministerpräsidenten, in der im Grunde
fest überzeugt. Das wissen Sie auch – in Wahrheit teilt
genommen steht: Wir bilden einen Arbeitskreis, der sich
diese Einschätzung mit uns eine sehr große Gruppe Ihrer
einmal Gedanken darüber macht, ob wir wirklich einen
Fraktion.
Arbeitskreis brauchen. – Viel weiter ist der Arbeitsauf-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten trag nicht konkretisiert. Sie brauchen sich nur einmal an-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zusehen, was beispielsweise der Ministerpräsident von
Thüringen, Herr Althaus, ohne Not vor wenigen Tagen
Deswegen würde ich doch darum bitten, dass wir die in einem dpa-Gespräch gesagt hat, nämlich:
Debatte so differenziert fortführen, wie sie von Herrn
Kollegen Struck heute Morgen, wie ich finde, wohltuend Nach den Debatten der letzten Wochen bin ich eher
begonnen wurde: dass man einmal Punkt für Punkt die skeptischer, ob wir das Ziel überhaupt erreichen.
Sachen anspricht, um die es hier wirklich geht.
Deswegen müssen wir einmal zur Kenntnis nehmen:
Ich denke, der Konstruktionsfehler der Reform, wie Das, was ursprünglich beabsichtigt gewesen ist, nämlich
sie heute beschlossen werden soll, ist, dass das eigentlich eine wirkliche Föderalismusreform, liegt heute hier im
zentrale Thema von Anfang an ausgeklammert wurde. Deutschen Bundestag leider nicht vor.
Man kann die Bund-Länder-Beziehungen nicht neu re-
Ich komme damit zum nächsten Punkt, nämlich zu
geln, wenn man das Entscheidende auf die lange Bank
den Details. Es soll nicht bestritten werden, dass in dem,
schiebt: die Finanzbeziehungen zwischen Bund und
was heute hier beraten werden soll, auch Fortschritte
Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander.
enthalten sind. Das hat übrigens auch Herr Burgbacher
(Beifall bei der FDP) gesagt. Herr Kröning, ich bitte Sie, das zu berücksichti-
(B) gen. Wir tun das auch in unserem Entschließungsantrag, (D)
Das wissen wir alle aus unserem privaten Leben: Man
weil wir hier jetzt nicht in ein kleinliches Hin und Her
kann sich in vielem einig werden; aber wenn es ans Ein-
kommen wollen. Dort sind erfreuliche Aspekte enthal-
gemachte geht, muss Einigkeit herbeigeführt werden.
ten.
Doch das funktioniert hier nicht. Deswegen war es aus
unserer Sicht ein Fehler, dass in der seinerzeitigen Ver- Dass die Rahmengesetzgebung abgeschafft wird, ist
abredung von Herrn Müntefering und von Herrn Stoiber vernünftig. Dass eine konkurrierende Gesetzgebung
und dann auch von den Verhandlungsauftraggebern die verbunden mit einer regelrechten Pingpongregelung, wie
Reform der Finanzverfassung ausgespart wurde. Eine sie im Fachjargon mittlerweile genannt wird, dazu-
Föderalismusreform, die nicht auch die Finanzbeziehun- kommt, ist aber unvernünftig. Sie finden das in Wahrheit
gen zwischen Bund und Ländern sowie den Ländern un- doch auch nicht gut. Wir erhalten ein völlig neues Ver-
tereinander neu regelt, ist keine echte Föderalismusre- fassungskonstrukt, bei dem sich die Gesetzgeber im
form, die Deutschland weiterbringt. Windhundprinzip gegenseitig überholen müssen: Die
Länder können nämlich vom Bund abweichen und dann
(Beifall bei der FDP)
versucht der Bund innerhalb einer Sechsmonatsfrist, den
Wir hatten seinerzeit im Herbst ein Gespräch bei Ih- Ländern wieder in die Parade zu fahren. Das wird un-
nen, Frau Bundeskanzlerin – damals noch mit Ihnen in übersichtlich und nicht mehr transparent.
Ihrer Eigenschaft als CDU-Vorsitzende –, bei dem Herr
(Beifall bei der FDP)
Kollege Hirche, der stellvertretende Ministerpräsident
von Niedersachsen, und meine Person bei Ihnen zu Gast Schließlich will ich in den wenigen Minuten Rede-
waren. Damals ist uns zugesagt worden, dass es eine Re- zeit, die ich jetzt noch habe, kurz auf die einzelnen
form der Finanzbeziehungen geben wird; zugesagt war, Dinge eingehen. Ich finde, Herr Kollege Struck hat die
das Ganze zum 1. Januar dieses Jahres zu beginnen. Bedenken zum Strafvollzug, die auch in seiner Fraktion
Jetzt, ein halbes Jahr später, bekommen wir eine Erklä- in Wahrheit mehrheitlich getragen werden, heute Mor-
rung des Fraktionsvorsitzenden der SPD und wir führen gen zu Recht geäußert. Das hat ja jeder hier auch am
einen Briefwechsel mit der Bundeskanzlerin. Doch wir Beifall gemerkt. Sie waren so freundlich, den früheren
haben bis heute keine auch nur annähernd verbindliche Justizminister Vogel zu zitieren.
Arbeitsgrundlage für eine wirkliche Reform der Finanz-
100 Jahre, nachdem die Strafprozessordnung und das
beziehungen von Bund und Ländern.
Strafrecht längst einheitlich in Kraft waren, hat sich
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein, nein, Deutschland 1976 überparteilich und einstimmig darauf
nein! Stimmt nicht!) geeinigt, den Strafvollzug auch bundeseinheitlich zu re-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4257
Dr. Guido Westerwelle
(A) geln. Wir müssen wissen: 30 Jahre danach wird das ab Er sagt, dass das, was heute hier beschlossen wird, ein (C)
sofort Geschichte sein. – Ich bitte Sie, noch einmal sehr Drama ist, und empfiehlt, das noch zu ändern. Ich will
genau zu prüfen, ob das sinnvoll ist. Herr Kollege das nur erwähnen.
Struck, Sie sagen, Sie würden sehr genau darauf achten.
Beim Beamtenrecht bekommen wir jetzt 17 Besol-
Sie können gar nicht mehr darauf achten. Was weg ist,
dungs- und Laufbahnrechte. Als ob das vernünftig wäre!
ist weg. Wir haben dann nichts mehr zu sagen, wenn
Herr Kusch oder Herr Schill in Hamburg Unfug produ-
zieren wollen. Das muss man zur Kenntnis nehmen und Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
das wird von Ihnen mehrheitlich auch so gesehen. Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Dr. Guido Westerwelle (FDP):
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des
Einen letzten Gedanke bitte noch.
Abg. Jörg Tauss [SPD])
(Jörg Tauss [SPD]: Sie sind doch Parteivorsit-
– Herr Kollege Tauss, es wundert mich, dass Sie in die- zender!)
ser Debatte überhaupt noch Zwischenrufe machen. Ich
wünschte mir etwas mehr Mut bei den sachlichen Ver- Wenn Eltern mit ihren Kindern, die die Schule besu-
handlungen und schlussendlich auch bei der Abstim- chen, ein Bundesland wechseln wollen, dann stellen sich
mung sowie etwas mehr Zurückhaltung bei den Zwi- die Fragen, ob sie das überhaupt noch richtig können
schenrufen. Das muss ich einmal feststellen. und ob das überhaupt noch zumutbar möglich ist. Auch
das ist nicht der Fall.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alles in allem gilt: Das tragende Motiv Ihrer heutigen
Entscheidung ist es, eine Abstimmung erfolgreich zu
Schließlich komme ich noch zu dem angesprochenen überstehen. Das werden Sie auch schaffen. In der Sache
Punkt Schule und Ausbildung, Kooperationsverbot bei bringen Sie aber Deutschland nicht weiter.
den Hochschulen. Die eigentliche Antwort müsste sein,
dass Sie die Autonomie der Hochschulen in der Verfas- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/
sung verankern. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
(Beifall bei der FDP)
Das tun Sie nicht. Das ist ein schwerer und kapitaler Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Fehler. Das Kooperationsverbot, das jetzt hier be- Das Wort hat nun die Frau Bundeskanzlerin
(B) schlossen wird, ist doch in Wahrheit substanziell nicht Dr. Angela Merkel. (D)
aufgeweicht worden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Jörg Tauss [SPD]: Bitte?) neten der SPD)

Der Bund kann bei der Bildung nämlich nur dann mit- Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
wirken, wenn alle Länder das einstimmig zulassen. Wer Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
glaubt denn, dass das vernünftig abgehen wird? Es wird Nach Jahren intensiver Diskussion wird der Deutsche
Länder geben, die sagen: Wenn du mir den Scheck he- Bundestag heute über die Föderalismusreform abstim-
rüberreichst, dann sind wir bereit, mit euch zusammen- men. Bund und Länder haben es sich in diesen Diskus-
zuarbeiten und dann dürft ihr mitwirken. – Dieses Ge- sionen nicht leicht gemacht. Selten wurde so miteinan-
schacher, das wir heute eigentlich beenden wollten, geht der gerungen. Ich finde das auch mehr als verständlich;
dann in Zukunft in Wahrheit noch dramatischer weiter. denn es geht um eine grundlegende Überarbeitung unse-
Wir wollen das nicht. rer Verfassung. Aus meiner Sicht handelt es sich um eine
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ der wichtigsten Reformen unserer Zeit.
DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lutz Heilmann Ich möchte für die Bundesregierung sagen, dass wir
[DIE LINKE]) der Überzeugung sind, dass heute die Weichen für unser
Ich will schließen. In der Kulturpolitik sagt Ihnen Land richtig gestellt werden.
der Kulturrat selbst – – Übrigens: Wenn Sie das, was (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
heute beschlossen wird, ernst nehmen, dann dürfte die neten der SPD)
Bundeskulturstiftung gar nicht mehr arbeiten.
Aus diesem Grunde ist dies ein guter Tag für Deutsch-
(Joachim Stünker [SPD]: Er ist besonders land, und zwar für alle Ebenen: Bund, Länder und auch
inkompetent!) die Kommunen.
– Sie sagen, der Kulturrat sei besonders inkompetent. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
Das nehme ich hier einmal zu Protokoll. Ich glaube, dass
wir uns alle überparteilich, regelmäßig und klugerweise Es gibt keinen Zweifel: Unser föderales System ist
mit dem Kulturrat treffen. gut und hat sich bewährt. Die Menschen leben in ihren
Ländern. Aber es ist in den 60 Jahren seit Bestehen der
(Jörg Tauss [SPD]: Der Kulturrat ist Bundesrepublik Deutschland – das war unverkennbar –
kompetent!) eine Schieflage in diesem Gefüge der bundesstaatlichen
4258 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) Ordnung entstanden. Insbesondere haben komplizierte beamtentums gelten sollen. Ich glaube, auch das war für (C)
und langwierige Entscheidungsprozesse dazu geführt, uns ein ganz wichtiger Schritt. Die Diskussion hierüber
dass an vielen Stellen Unklarheiten über politische Ver- war nicht leicht.
antwortlichkeiten entstanden sind. Die Bundesgesetz-
gebung hat tendenziell die Landesgesetzgebung ver- In besonderem Maße werden die Kommunen von
drängt. Für viele Bürger war und ist nicht mehr klar, wer dieser Föderalismusreform profitieren; denn es wird jetzt
wofür zuständig ist. festgeschrieben, dass Aufgaben nicht mehr durch Bun-
desgesetz auf die kommunale Ebene übertragen werden
Deshalb bietet diese Föderalismusreform die histori- dürfen. Das hat zur Folge, dass dies durch die Länder ge-
sche Chance, die verflochtenen Verantwortlichkeiten schehen muss,
neu zu ordnen, Freiheit für eigenverantwortliches Han-
deln zu ermöglichen, aber auch bundesstaatliche Kom- (Joachim Stünker [SPD]: So ist es!)
petenzen zu schaffen, wo dies in einer veränderten Welt die hoffentlich dem Konnexitätsprinzip nicht nur prin-
notwendig ist. Damit wird staatliches Handeln durch- zipiell, sondern auch faktisch verpflichtet sind. Das
schaubarer. Für mich ist ein ganz wesentlicher Punkt, heißt, dass die Kommunen finanziell so ausgestattet wer-
dass die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze gerin- den, wie es notwendig ist.
ger wird. Das ist eine riesige Chance für den Deutschen
Bundestag, weil aus meiner Sicht durch die Nichtzustim- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
mungspflichtigkeit und das Wegfallen der intransparen- neten der SPD)
ten Vermittlungsausschusssitzungen eine Situation ent- Eines ist für die Bundesseite sehr wichtig: Das ist die
stehen wird, in der die Debatten in unserem Hause, im Verankerung des nationalen Stabilitätspaktes im
Deutschen Bundestag, lebendiger und intensiver werden, Grundgesetz. Es war fast eine Sternstunde, wenn ich das
da jeder Abgeordnete weiß: Es gibt keine zweite Kom- einmal sagen darf. Wenn wir über die Bund-Länder-
promisslinie. Ich muss für das geradestehen, was ich hier Finanzbeziehungen sprechen werden, dann wünsche ich
entscheide. Das ist meine Sache. uns weitere solche Sternstunden. Künftig werden alle öf-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fentlichen Haushalte ein Interesse daran haben, dass Ver-
stöße gegen den europäischen Stabilitäts- und Wachs-
Die Abschaffung der Rahmengesetzgebung ist ein un- tumspakt zu vermeiden sind, weil Bund und Länder
verkennbarer Fortschritt und bedeutet gerade in Bezug gemeinsam haften. Das ist eine ausgesprochen gute Re-
auf die Hochschulen eine Stärkung der Autonomie der gelung.
Hochschulen. Wir haben einige Gesetzgebungskompe-
tenzen an die Länder zurückgegeben. Ich glaube, es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(B) entspricht dem allgemeinen Verständnis des Subsidiari- neten der SPD) (D)
tätsprinzips, die Dinge nahe an die Menschen heranzu- Es ist gelungen – schon das ist ein gewichtiger Grund,
bringen: Ladenschlussgesetz, Gaststättenrecht und Ver- dieser Reform zuzustimmen –, mehr Verantwortungs-
sammlungsrecht. klarheit in der Sicherheitspolitik zu schaffen.
Die Landtage werden – das ist zwar richtig, aber im- (Dr. Peter Struck [SPD]: Das stimmt!)
merhin sind es unsere Kolleginnen und Kollegen in den
Parteien, die diesen Parlamenten angehören – im Straf- Wir haben heute eine völlig veränderte Lage, was die
vollzug und im Heimrecht neue Verantwortlichkeiten be- Bedrohung anbelangt. Wir haben das althergebrachte
kommen. Verständnis, dass innere Sicherheit in ganz wesentli-
chem Maße Sache der Länder ist. Es ist wichtig, dass es
Ich möchte an dieser Stelle eine Bitte äußern. Es hat gelungen ist, bei länderübergreifenden Gefahren eine
in der Föderalismuskommission immer wieder eine Koordinierungskompetenz des Bundeskriminalamtes zu
Rolle gespielt, inwiefern beim Ladenschluss die Sonn- verankern, wodurch wir in die Lage versetzt werden, den
und Feiertage in besonderer Weise gewürdigt werden Menschen ein Stück mehr Sicherheit zu geben und das
können. Deshalb wäre es zu begrüßen, wenn dies auch in Äußerste für sie zu tun. Das ist für mich ein ganz we-
den Ländergesetzen zum Ausdruck käme, zum Beispiel sentlicher Punkt der Föderalismusreform.
dass nicht an mehr als vier Sonntagen die Möglichkeit
zur Ladenöffnung besteht. Das entspräche unserem Ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ständnis. Das darf ich Ihnen vielleicht noch mit auf den neten der SPD)
Weg geben.
Ich will die Probleme nicht verschweigen. Die härtes-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ten Debatten wurden über die Bildungspolitik geführt.
neten der SPD) Ich als Bundespolitikerin sage: Mir ist wichtig, dass es
eine gemeinsame Evaluation von Bund und Ländern
Es gab in allen Fraktionen breite Diskussionen, zum gibt, die die Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im
Beispiel auch über die Fragen des Laufbahn-, Besol- internationalen Vergleich feststellen kann. Hier muss ge-
dungs- und Versorgungsrechts der Landesbeamten. meinsam agiert werden. Ich sage auch ganz deutlich: Ich
Es ist vielen in diesem Hause schwer gefallen, hier ein freue mich über die Änderungen, die in den letzten Bera-
Stück Kompetenz abzugeben. Deshalb möchte ich an tungen gelungen sind.
dieser Stelle noch einmal betonen, dass es für uns sehr
wichtig ist, dass weiterhin die im Grundgesetz veranker- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
ten so genannten hergebrachten Grundsätze des Berufs- der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4259
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) Es stellte sich die Frage, inwieweit das Gesamtgefüge (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (C)
der gesamten Reform infrage gestellt wird. Es gab dabei
Ich möchte zum Schluss allen danken, die an der
viele Aspekte zu bedenken. Wir können es schaffen, die
Föderalismusreform mitgearbeitet haben, zuvörderst
Modernisierung unseres Wissenschaftssystems voranzu-
Edmund Stoiber und Franz Müntefering.
bringen. Forschung und Lehre bilden eine Einheit. Es
werden in Zukunft neue Kooperationen möglich sein, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
wenn die Länder sie mittragen. Unser System der Wis-
Wir beweisen mit diesem Projekt Mut zu Veränderun-
senschaft, Forschung und Lehre wird sich verändern.
gen, die den Menschen in unserem Lande gut tun wer-
Deshalb ist es gut, dass die faktische Möglichkeit besteht
den. Deshalb werbe ich um Zustimmung.
– alle Länder müssen zustimmen, okay –, dass Universi-
täten mit außeruniversitären Einrichtungen kooperieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Das ist eine riesige Chance.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Lutz Heilmann,
Es wäre verwunderlich, wenn es nicht eine Vielzahl Fraktion Die Linke.
von Diskussionen über die Abweichungsrechte gäbe.
Trotzdem glaube ich, dass insbesondere der Umwelt- (Beifall bei der LINKEN)
bereich auf der Bundesebene zu den Gewinnern dieser
Föderalismusreform gehört. Die Frage, ob wir ein Um- Lutz Heilmann (DIE LINKE):
weltgesetzbuch brauchen, muss eindeutig mit Ja beant- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
wortet werden. Frau Bundeskanzlerin, ich hatte von Ihnen etwas mehr
als einen Deal erwartet, der Ihnen den Einzug in das
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Bundeskanzleramt sichert.
der SPD)
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/
Deshalb halte ich es für richtig, dass der Bundesumwelt- CSU)
minister jetzt die Chance bekommt, ein solches Projekt
anzugehen. Das ist übrigens ein sehr ambitioniertes Pro- Eine Vereinheitlichung des Umweltrechts wird mit die-
jekt. Ich rate, was die Abweichungsregelungen und ihre ser Reform nicht erreicht. Unser Fazit lautet daher: Klas-
Inanspruchnahme durch die Länder anbelangt, nicht im- senziel verfehlt! Setzen – Sechs!
mer das Schlimmste anzunehmen, was passieren kann, (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Zöller
sondern auf die Macht des Faktischen zu vertrauen. Sie [CDU/CSU]: Jawohl, Herr Oberlehrer!)
(B) werden sehen: Das wird sich vernünftig einspielen. Wir (D)
haben die Chance, eine Umweltgesetzgebung aus einem Lassen Sie mich dies anhand von drei Punkten deut-
Guss zu machen. lich machen.
Erstens. Bisher unterliegt das Umweltrecht zwei
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Kompetenzarten und ist zersplittert; insofern sind wir
Aus all diesen Gründen bin ich der Meinung, dass wir uns alle einig. Mit dieser Reform allerdings vergeben Sie
guten Gewissens nach diesen wirklich sorgfältigen Dis- die historische Chance, einen einheitlichen Kompetenz-
kussionen heute die erste Stufe der Föderalismusre- titel „Recht der Umwelt“ und damit ein einheitliches
form verabschieden können. Umweltrecht zu schaffen. Im Gegenteil: Sie erhöhen wi-
der jede Vernunft die Zahl der Kompetenzen auf sage
Lieber Herr Kollege Westerwelle, ich erinnere mich und schreibe fünf Arten. So viel zur besseren Ausgestal-
gut an unser Gespräch. Darin ist gesagt worden, dass un- tung. Kollege Kröning, jetzt stehen fünf Kompetenz-
verzüglich nach Verabschiedung der ersten Stufe der Fö- arten zur Debatte. Dies als Straffung und Entflechtung
deralismusreform die zweite Stufe in Angriff genommen der Kompetenzen von Bund und Ländern zu verkaufen,
wird. Unter besonderer Einbeziehung der Kollegen von ist an Dreistigkeit kaum noch zu übertreffen.
der FDP haben wir zusammen mit den Ministerpräsiden-
ten über die Frage des Prozedere und der Aufgabenstel- Zweitens. Wieder und wieder beschwören Sie schon
lung einer solchen zweiten Stufe gesprochen. Wir haben fast gebetsmühlenartig die Schaffung eines Umweltge-
uns wiederum besonders mit Blick auf die FDP entschie- setzbuches. Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich etwas
den, die Fraktionen des Deutschen Bundestages in diese dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koali-
Gespräche von Anfang an einzubeziehen. Das ist nicht tion, und lassen Sie den Worten Taten folgen! Was aber
nur eine grundsätzliche Betrachtung gewesen, sondern machen Sie? Sie legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem
geschah auch im Hinblick darauf, dass nicht alle Fraktio- sich ein umfassendes Umweltgesetzbuch schwerlich rea-
nen in der Regierung sind. Jetzt hier so zu tun, als sei die lisieren lässt. Weite Teile des Umweltrechts unterliegen
FDP an der Entwicklung der ersten Stufe der Föderalis- nach wie vor der Erforderlichkeitsklausel. Durch die Ab-
musreform, so wie es vereinbart war, nicht beteiligt ge- weichungsmöglichkeit wird das UGB in vielen Berei-
wesen, bevor die zweite Stufe in Angriff genommen chen nicht das Papier wert sein, auf dem es gedruckt ist.
wurde, finde ich ein wenig Ihr Gesetzentwurf ermöglicht weitestgehend nicht mehr
als ein Anlagengenehmigungs-UGB, das den Titel „Um-
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Unredlich!) weltgesetzbuch“ leider nicht verdient.
bedenklich, um es einmal vorsichtig zu formulieren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
4260 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Lutz Heilmann
(A) Sie machen Politik ganz im shakespeareschen Sinne: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
Viel Lärm um nichts! Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Wieland,
Drittens. Wesentlich schwerwiegendere Auswirkun- Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
gen wird die Möglichkeit der abweichenden Gesetz-
gebung für die Länder im Naturschutz, im Wasserrecht Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
und in der Raumordnung haben. Beispielsweise – das Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
wurde schon genannt – soll der Bund nur noch die allge- Bundeskanzlerin, mir hat bei Ihrer Rede etwas gefehlt;
meinen Grundsätze des Naturschutzes abweichungsfest darauf konnten Sie nicht vorbereitet sein, weil Sie diese
regeln können. Die 135 Juristinnen und Juristen in die- Debatte nicht vorausahnen konnten. Hier sind viele
sem Hause können sich wahrscheinlich vorstellen, was stolze Vertreter von Geberländern aufgetreten. Ich
dies bedeutet. Die Eingriffs- und Ausgleichsregelung des komme aus einem notorischen Nehmerland. Das gilt
Naturschutzes wird sozusagen zum Abschuss freigege- auch für Sie, Frau Bundeskanzlerin. Sie sind politisch in
ben und der Naturschutz, wie wir ihn kennen, infrage ge- einem anderen Bundesland beheimatet und in einem
stellt. dritten Bundesland sind Sie aufgewachsen. Die Men-
Dass das alles demnächst Realität wird, zeigen die schen in den neuen Bundesländern, auch die Berlinerin-
aktuellen Entwürfe von Landesnaturschutzgesetzen in nen und Berliner, haben sich dieses Schicksal nicht aus-
mehreren Ländern wie Schleswig-Holstein, Branden- gesucht. Auch sie wären gerne Geber. Sie können es
burg und Niedersachsen. Den Gesetzentwurf der Lan- nicht sein, aber sie können erwarten, nicht als Bittstelle-
desregierung Schleswig-Holstein beispielsweise bezeich- rinnen und Bittsteller behandelt zu werden, sondern die
net der BUND Schleswig-Holstein als Kriegserklärung immer wieder beschworene Solidarität praktisch zu er-
an den Naturschutz. Das einstmals vorbildliche Natur- fahren, wenn es ums Geld geht.
schutzgesetz in Schleswig-Holstein – es war übrigens
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Vorbild, als das Bundesnaturschutzgesetz geschaffen
Volker Kröning [SPD]: Das geschieht aber
wurde – soll dramatisch verschlechtert werden. Die in
Deutschland einmaligen schleswig-holsteinischen Kni- auch!)
cke sollen ihren Sonderschutz verlieren. Ich frage mich, – Das geschieht; aber es soll auch nicht in Rede gestellt
ob Sie sich die Konsequenzen ausreichend vor Augen werden. Es soll hier keine zwei Klassen geben: die
geführt haben. Oder sind Ihnen die Auswirkungen auf Klasse derjenigen, die mit Stolz diskutieren können, und
den Naturschutz schlichtweg egal? die Klasse derjenigen, die sich Asche aufs Haupt streuen
Augenscheinlich opfern Sie den Naturschutz dem müssen.
(B) Wegfall der Erforderlichkeit auf den Gebieten Abfall, (Volker Kröning [SPD]: Das ist richtig!) (D)
Lärm und Luftreinhaltung. Durch die Abweichungsmög-
lichkeiten droht jetzt eine in der Geschichte der Bundes- – Gut, dann sind wir uns da einig, Herr Kollege Kröning.
republik einmalige Gesetzesflut. Künftig wird es unter
Umständen jeweils 17 Gesetze geben. Bürokratieabbau, Hans-Peter Schneider, ein Sachverständiger, den wir
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sieht hier angehört haben, hat gleich nach der Wende gesagt:
nach meinem Dafürhalten anders aus. Es bleibt dabei: Unser Grundgesetz ist ein Exportschlager. Der Export
Der Naturschutz wird als vermeintliches Investitions- erfolgt nach Osteuropa, ins Baltikum, sogar nach Süd-
hemmnis mit dieser Reform entsorgt. afrika. Exportiert wird nicht nur der Grundrechtskatalog,
sondern auch unsere Regelung des Föderalismus. Das ist
Noch ein paar Worte an die Vertreterinnen und Vertre- lange her; es ist genau 15 Jahre her.
ter der Länder. Ihre Bekenntnisse, die Abweichungs-
rechte nicht zur Senkung von Umweltstandards zu nut- Heute steht Föderalismus à la Bundesrepublik für
zen, sind für mich wenig glaubwürdig. Warum wollen Blockade, er steht für Selbstfesselung und für Reform-
Sie denn die Abweichungsrechte, wenn Sie davon nicht unfähigkeit. Sie hätten mit Ihrer großen Mehrheit – zwei
Gebrauch machen wollen? Das Ganze erinnert mich, der Drittel in diesem Haus, zwei Drittel im Bundesrat – die
ich aus dem Osten komme, an einen geschichtsträchti- Chance gehabt, diesen gordischen Knoten zu durch-
gen Satz aus dem Jahre 1961, den ich hier gern zitieren schlagen und hier wirklich eine zukunftsfähige Verfas-
möchte: sung vorzulegen. Nichts ist geschehen. Legen Sie den
Ursprungsentwurf neben das, was aus der Anhörung he-
Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. rausgekommen ist, und Sie werden feststellen: Es gab
Sie wissen, was dann folgte. marginale Änderungen, die jeweils noch mit einem Zu-
geständnis an die Länder erkauft wurden. Dies kann
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht befriedigen; dies ist weniger als wenig.
NEN]: Sie bei der PDS müssen es ja wissen! –
Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Auf dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gebiet kennen Sie sich aus!)
Die Bundeskanzlerin hat heute ihre Sympathien für
Daher bleibt unser Fazit: Die Föderalismusreform ver- die Aufhebung des Kooperationsverbotes wenigstens
fehlt das Klassenziel. Setzen – Sechs! im Hochschulbereich durchscheinen lassen. Von CDU-
Danke schön. Politikern wussten wir schon immer, dass sie solche
Sympathien hat. Warum hat sie sie nicht vorher geäu-
(Beifall bei der LINKEN) ßert? Warum hat sie sie nicht laut geäußert?
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4261
Wolfgang Wieland
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stimmigkeit bedarf. Dies ist nunmehr der Fall. Wenn Sie (C)
die beiden Entwürfe nebeneinander halten, dann werden
Warum hat sie wieder die SPD die Kohlen aus dem
selbst Sie es sehen.
Feuer holen lassen, mit dem Ergebnis, dass sich Kurt
Beck hinstellte und sagte, er sei sich vorgekommen wie Das Dramatische ist doch, lieber Herr Kollege Tauss:
bei dem Gang nach Canossa. Sie haben Ihren Widerstand aufgegeben. Sie tun so, als
hätte es einen essenziellen Fortschritt im Bereich der
(Jörg Tauss [SPD]: Das war taktisch ein Wissenschaft gegeben.
Erfolg!)
(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)
– Ja. Lieber Herr Tauss, dann will ich das gleich histo-
risch etwas vertiefen, auch wenn Vergleiche immer Gleichzeitig ist von den anderen Punkten, die Struck
schwierig sind. noch für wichtig nahm – Strafvollzug, Heimgesetz und
anderes –, gar nicht mehr die Rede. Um den Strafvollzug
(Jörg Tauss [SPD]: Ja!) wurde in der letzten Woche noch nicht einmal mehr ge-
Heinrich IV. hat es immerhin, wenn auch mühsam, über rungen. Davon war nichts zu spüren. Alle Ihre Experten
die Alpen geschafft. Er ist nicht beim ersten Voralpen- und Expertinnen in Bund und Ländern sind dagegen,
Duodezfürsten hängen geblieben. Das ist der Unter- aber es gab überhaupt keinen Kampf darum. Das ist be-
schied. schämend und bestürzend.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
SPD) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Er hat bei der Gelegenheit im Büßerhemd die Reichsein- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
heit gerettet und die Kleinstaaterei – die kam erst Kollegen Volker Kröning?
später – verhindert. Insofern war er erfolgreich.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Jörg Tauss [SPD]: Sehen Sie!) Ja.
Das war Ihr Kurt Beck leider nur rudimentär und das wa-
ren Sie leider auch nur rudimentär. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bitte sehr.

Hier ist die ganz große Chance leider verspielt worden. Volker Kröning (SPD):
(B) (D)
„Basarökonomie“ ist ein neues Stichwort in der Frau Präsidentin! Herr Kollege Wieland, auch die De-
Debatte. Jetzt haben wir unentwegt Basardemokratie batte ist eine Grundlage für die spätere Rechtsanwen-
erleben müssen. Das heißt, kleinlichst wurde um Kom- dung, für die Auslegung dessen, was wir beschließen.
petenzen gezankt. Insbesondere bei den CDU/CSU-Lan- Ich darf deshalb die Frage stellen: Können Sie mir bestä-
desfürsten ist mental offenbar noch nicht angekommen, tigen, dass die Einstimmigkeitsklausel, die in Art. 91 b
dass sie jetzt mitregieren. Sie sind nicht nur Deutschland Abs. 1 in der Ausschussfassung vorgesehen ist – ob
– das haben sie qua Werbeplakat inzwischen vielleicht diese Klausel nun ins Grundgesetz aufgenommen wer-
gemerkt –; sie sind sogar Bundesregierung, aber sie ver- den musste oder nicht, sei dahingestellt –,
halten sich immer noch so, als säßen sie in der Opposi-
tion und müssten alles, was der Bund will, ablehnen. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Sie wird aufgenommen!
DIE GRÜNEN – Klaus Uwe Benneter [SPD]:
Nicht immer, aber häufig!) Volker Kröning (SPD):
– der Praxis der Länder untereinander seit eh und je
Zu den „Erfolgen“ der letzten Woche: Reden wir doch
entspricht? Die Ministerpräsidentenkonferenz hat vor ei-
einmal über Bildung und über die Roland-Koch-Klausel,
nem Jahr in ihrer Geschäftsordnung festgelegt
nämlich dass wir Einstimmigkeit brauchen! Da können
Sie sagen: Das war schon bisher Praxis in der Kultus- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ministerkonferenz. – Aber jetzt kommt es als Gebot in NEN]: Kann man ja ändern!)
die Verfassung und wird auch noch auf die Forschung
ausgedehnt. Das war vorher nicht der Fall. – es ist eine Vereinbarung unter den Ländern –, dass das
Einstimmigkeitsprinzip nicht mehr ausnahmslos gilt,
(Jörg Tauss [SPD]: Falsch!) aber bei finanzwirksamen Maßnahmen fortbesteht.
– Ja, sicher. In dem alten Text wurde die Forschung von (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
der Notwendigkeit der Einstimmigkeit nicht erfasst. Eine Vereinbarung kann man ändern!)
Nunmehr werden Wissenschaft und Forschung erfasst.
Können Sie mir das bestätigen?
(Jörg Tauss [SPD]: An Hochschulen!)
Sind Sie auch so freundlich, zu bestätigen, dass in
– Ja, die universitäre Forschung. Vorher war es nicht so, dem Entschließungsantrag, den die Koalitionsfraktionen
dass es auch bei der universitären Forschung der Ein- vorgelegt haben, noch einmal bekräftigt wird, dass sich
4262 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Volker Kröning
(A) nach Auffassung der Koalition in den Rechtsgrundlagen Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
der bisherigen Projektförderung nichts ändert? Ich bestätige Ihnen gerne, dass es ursprünglich ein
totales Kooperationsverbot gab.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein, es
Herr Kollege Kröning, ich brauche es Ihnen gar nicht war nie total!)
zu bestätigen. Ich sagte bereits: Eine Praxis, die besteht
– Herr Erhardt hat „Kultusministerkonferenz“ mit „Kon- – Aber selbstverständlich!
ferenz zur Minimierung der Konkurrenz“ übersetzt –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
kommt nun in die Verfassung. Das ist ein qualitativer Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Lesen Sie es
Unterschied. Vereinbarungen kann man jederzeit ändern; doch einmal nach!)
einen Verfassungstext werden Sie so schnell nicht än-
dern können. Es war ein totales Kooperationsverbot vorgesehen; das
wurde aufgehoben. Zusätzlich wurde Kooperation aber
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit einer Einstimmigkeitsklausel versehen. Diese Ein-
Darauf hat Herr Biedenkopf, als er hier als Sachverstän- stimmigkeitsklausel bringt mit sich, dass ein faules Ei
diger saß, eindrücklich hingewiesen. Er hat gesagt: Ver- den Brei verdirbt. Wenn einer Nein sagt, können Sie bei-
fassungsreform ist keine Trial-and-Error-Veranstaltung, spielsweise Nachteile der neuen Bundesländer nicht
wo man etwas festsetzt und es einen Monat später wie- mehr ausgleichen oder Vorsprünge nicht mehr einholen.
der ändert. Die derzeitigen Mehrheiten werden wir so Es langt also, wenn einer Nein sagt. Das ist die neue
schnell nicht wieder haben. Was hier beschlossen wird, schlechte Realität, Frau Kollegin.
wird das Leben in der Bundesrepublik über Jahre prä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zu-
gen. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Diese nehmen ruf von der SPD: Das war immer so!)
Sie nur wahr, wenn Sie den Änderungsanträgen folgen,
die wir gerade zum Bildungsteil noch einmal einbringen Ich würde jetzt gerne zum Bereich Umwelt kommen
und über die wir namentlich abstimmen lassen werden. und zu der dort anzutreffenden so genannten Pingpong-
gesetzgebung etwas sagen: Am Montag dieser Woche
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wurde aufgrund des Drucks der Industrie ein einziger
Bereich von der Erforderlichkeitsklausel ausgenommen,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nämlich die Abfallwirtschaft. Das war ein richtiger
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen- Schritt. Man hätte natürlich weitere Materien herausneh-
frage der Kollegin Bulmahn? men müssen. Sie haben selbst diesen einen Schritt damit
(B) erkauft, dass nunmehr als so genannter abweichungsfes- (D)
ter Kern nicht mehr die Grundsätze des Naturschutzes,
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sondern nur noch die allgemeinen Grundsätze des Natur-
Bitte schön. schutzes festgelegt werden. Warum haben Sie nicht
gleich von den allgemeinsten Grundsätzen des Natur-
Edelgard Bulmahn (SPD): schutzes gesprochen? Was heißt das denn im Klartext?
Herr Kollege Wieland, würden Sie mir bestätigen, um Es heißt: Für die Allgemeinplätze, für die Lyrik, ist der
das einmal sehr präzise zu formulieren, dass die For- Bund zuständig, für die Regelungen sind die Länder zu-
schungsförderung des Bundes im Projektbereich nach ständig.
wie vor so, wie es bis jetzt auch der Fall war, durchge- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das war auch
führt werden kann, also ohne dass der Bundesrat zustim- bisher so!)
men muss? Das ist so verankert, und zwar sowohl im
entsprechenden Artikel des Grundgesetzes als auch in Das haben die Länder so gewollt. Insbesondere der Ver-
der Erläuterung. treter der bayerischen Staatskanzlei hat hier gesagt, dass
Bayern im Wettbewerb um Investoren eigene Umweltre-
Würden Sie mir darüber hinaus bestätigen, dass im gelungen schaffen will. Die Absicht dabei ist doch si-
Art. 91 b, der die Zusammenarbeit von Bund und Län- cherlich nicht, durch höhere Standards Investoren abzu-
dern bei Wissenschaft und Forschung regelt, ausdrück- schrecken, sondern, durch Dumping Investoren ins Land
lich neben der gemeinsamen Förderung der Forschungs- zu holen. So werden sie es machen. Von daher sind alle
organisationen auch klargestellt wird, dass Bund und Befürchtungen im Zusammenhang mit den Neuregelun-
Länder auch zukünftig bei der Förderung von Wissen- gen im Umweltteil berechtigt.
schaft und Forschung zusammenarbeiten, und zwar so-
wohl im investiven als auch im nichtinvestiven Bereich? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
So steht es ganz präzise im Art. 91 b. bei Abgeordneten der LINKEN)

Würden Sie mir dementsprechend auch zustimmen, Ob nun wirklich die Europatauglichkeit erhöht
wenn ich sage, dass die Zusammenarbeit zwischen wurde, nachdem es bei dem Irrweg bleibt, dass sich ein
Bund und Ländern auf eine neue Rechtsgrundlage ge- Bundesstaat – das ist einmalig auf der Welt – nach außen
stellt worden ist? durch seine Teilgliederungen vertreten lässt, wie es in
Art. 23 Abs. 6 steht, und das nun auch noch von einer
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Und das ist ein Soll- in eine Mussvorschrift umgewandelt wird, steht in-
Fortschritt gegenüber jetzt!) frage. Von den Sachverständigen habe ich dazu die For-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4263
Wolfgang Wieland
(A) mulierung gehört: 16 mal null ist null. Übereinstimmend Professor Meyer sagte in der Anhörung, ein Außerir- (C)
haben sie auch gesagt, die deutsche Interessenvertretung discher, der den Verfassungsentwurf liest, müsste zu der
in Brüssel leide darunter. Selbst Rupert Scholz hat den Ansicht kommen, dass der Agrarsektor das Hauptpro-
sehr sinnvollen Vorschlag gemacht, das nach österreichi- blem der Bundesrepublik sei. Da darf voll gefördert wer-
schem Vorbild zu ändern. Hierüber wurde aber offenbar den. Wir wissen, dass dem nicht so sein sollte;
überhaupt nicht mehr verhandelt. Sie nehmen sehenden
Auges in Kauf, dass hier Quatsch noch quätscher wird, (Volker Kröning [SPD]: Frau Künast hat das
den wir bereits in der Verfassung haben. mit Zähnen und Klauen verteidigt!)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denn Bildung und Umwelt sind die zentralen Themen.
Aber hier versagt Ihre Reform.
Zum Versammlungsrecht: Zuerst das Gaststätten-
recht und dann das Versammlungsrecht – so die Rei- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
henfolge der Bundeskanzlerin –, das hat schon etwas
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Göttinenhaftes. Zur Erinnerung: Das Versammlungs-
recht wird oft als der Stachel im Fleisch der parlamenta-
rischen Demokratie bezeichnet. Es ist das Recht der Bür- Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
gerinnen und Bürger, friedlich und ohne Waffen gegen Wir sagen schweren Herzens Nein, weil man zu
die Obrigkeit zu demonstrieren, auch gegen unsere Ent- schlechten Gesetzentwürfen nicht Ja sagen kann.
scheidungen. Es ist ein Recht gegen uns und das Gegen-
teil des Polizeirechts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der FDP)
(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Daher darf man es nicht in dessen Nähe rücken. Wir soll- Das Wort hat nun der Kollege Joachim Stünker für die
ten es stattdessen hüten und nicht aus der Hand geben; SPD-Fraktion.
darauf kommt es an.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU)
sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zum Strafvollzug: Seit dem In-Kraft-Treten des Joachim Stünker (SPD):
Strafvollzugsgesetzes wurde nie gefordert, die Zustän- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(B) digkeit für den Strafvollzug an die Bundesländer abzu- Heute Morgen wurde mit großem Pomp begonnen und (D)
geben. Die Bundesjustizministerin hat dies als vergifte- gefordert, alles noch einmal an die Fachausschüsse zu-
tes Geschenk angeboten in der irrigen Annahme, dass rückzuverweisen und von Fachpolitikern neu bewerten
die Bundesländer nicht so dämlich sein werden, es anzu- zu lassen. Ich vermute, wenn wir das machten, hörten
nehmen. Da hat sie sich geirrt. wir in zwei Jahren genau dieselben Reden wie heute
Morgen.
(Zuruf des Ministerpräsidenten Dr. Edmund
Stoiber [Bayern]) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Die hören
wir schon seit 20 Jahren!)
– Da ist er ja, unser Voralpendespot.
– Richtig, diese Reden hören wir schon seit 20 Jahren.
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
– Ich nehme es zurück. Ich sagte vorhin Duodezfürst. NEN]: So lange kennen wir uns doch noch gar
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das ist nicht!)
schon primitiv!) Der Kollege Ramelow von der Linkspartei hielte wieder
– Ich habe es ja gleich zurückgenommen. Aber Herr eine destruktive Rede. Dabei verzeichnet das Protokoll
Stoiber hat hier agiert, als wäre er noch in alter Macht- über die Sitzung des Rechtsausschusses vom vergan-
fülle und hätte hier nicht seine kurzen Intermezzi gehabt. genen Mittwoch, als wir zweieinhalb Stunden abschlie-
Wie auch immer, niemand hatte ernsthaft damit gerech- ßend über den Gesetzentwurf beraten haben, keine
net. einzige Wortmeldung der Linkspartei zu den entspre-
chenden Fachfragen. Frau Kollegin Künast hielte wieder
Nunmehr ist vorauszusehen, dass wir einen Wettbe- eine zentralistische Rede, weil sie die Eckpfeiler des Zu-
werb nach dem Motto „Wer macht den schärfsten Straf- sammenspiels von Bund und Ländern im föderalen Sys-
vollzug im ganzen Land?“ bekommen werden. Hessens tem in Art. 20, 30 und 70 des Grundgesetzes noch immer
Ministerpräsident Roland Koch hat damit bereits Wahl- nicht akzeptieren könnte und nicht begreifen will, dass
kämpfe geführt. Nichts ist so populismusanfällig wie die Bundesländer genauso eine Staatlichkeit haben wie
dieses Thema. Deswegen dürfte die Verlagerung auf die der Bund und dass dies zwei gleichberechtigte Ebenen
Bundesländer niemals geschehen. sind, die man in der Balance halten muss.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) CDU/CSU)
4264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Joachim Stünker
(A) Herr Westerwelle würde aus Oppositionsgründen sagen, Wenn das verwischt wird, zeigt das eigentlich nur eine (C)
wir wollten das nur aus Koalitionsgründen durchsetzen, Flucht aus der Verantwortung, weil man nicht in der
und müsste sich anschließend die Frage stellen lassen, Lage ist, den ersten Schritt mitzugehen.
warum denn die Bundesländer, in denen die FDP mitre-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
giert, es anders sehen.
der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
CDU/CSU) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die von Kollegen Westerwelle?
uns angestrebten Grundgesetzänderungen keinen Para-
digmenwechsel im deutschen Föderalismus bedeuten. Es
ist ausdrücklich nicht der Weg hin zum so genannten Joachim Stünker (SPD):
Wettbewerbsföderalismus; das muss hier noch einmal Nein, danke; ich möchte das gern im Zusammenhang
deutlich gesagt werden. Der solidarische Föderalismus darstellen.
nämlich, wie er im zehnten Abschnitt unseres Grundge- Was würde eigentlich passieren, wenn wir heute de-
setzes normiert ist, bleibt unangetastet. Er findet nach nen folgen würden, die uns sagen, wir dürften hier nicht
wie vor im vertikalen und horizontalen Finanzausgleich zustimmen, wenn also die Verfassungsreform nicht ge-
seinen Ausdruck. Volker Kröning hat bereits darauf hin- lingen würde? Dazu müssen wir uns noch einmal ein bis-
gewiesen – wir waren damals zusammen in dem Sonder- schen in die Details begeben; ich möchte das kurz versu-
ausschuss, der den neuen Finanzausgleich erarbeitet chen.
hat –: Der Solidarpakt II wird bei dieser Reform aus-
drücklich nicht angetastet. Es würde uns dann nicht gelingen, die Zustimmungs-
rechte im Bundesrat massiv zu reduzieren. Mit der Neu-
Auch ich möchte darauf hinweisen, dass sich unser regelung, die wir in Art. 84 gefunden haben, können wir
Grundgesetz in den 57 Jahren seines Bestehens grund- diese auf 30 Prozent, vielleicht sogar auf 25 Prozent re-
sätzlich bewährt hat. Das sollte man auch an diesem Tag duzieren. Wir dokumentieren damit, dass – darauf ist
betonen. hingewiesen worden – hier im Bundestag entschieden
wird, wie ein Bundesgesetz letztendlich aussieht, und
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) nicht im Vermittlungsausschuss, wo hinterher niemand
weiß, wie es zu dem, was entschieden worden ist, eigent-
Aber es gibt Entwicklungen, die zur Komplizierung von lich gekommen ist, und niemand Verantwortung dafür
Entscheidungsprozessen geführt haben, zu institutionel- übernimmt. Es ist ein weitgehend undemokratischer Pro- (D)
(B) len Verflechtungen zwischen Bund und Ländern. Alle
zess, der dort abläuft. Hier werden durch die Neurege-
Sachverständigen waren, sowohl damals in der Kommis- lung wieder klare Verantwortlichkeiten deutlich. Des-
sion als auch jetzt in der großen Anhörung im Deutschen halb ist es gut und richtig, diesen Weg zu gehen.
Bundestag, einhellig der Meinung, dass genau dieser
Teil der Modernisierung und Änderung bedarf. Wenn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
festgestellt wird, dass gehandelt werden muss, und alle der CDU/CSU)
sich darüber einig sind, kann die Schlussfolgerung nur
Der Bund kann zukünftig die materiell-rechtliche Re-
sein, dass gehandelt wird. Ich bin dankbar, dass der Ver-
gelung, den eigentlichen politischen Kern dessen, was er
fassungsgesetzgeber heute einhellig handeln wird. regeln will, voll umsetzen und hier im Bundestag be-
Lassen Sie mich, weil das in der Diskussion heute schließen. Wenn er will, kann er auch Verfahrens- oder
Morgen ein bisschen verwaschen dargestellt wurde, Organisationsregelungen treffen, die die Länder betref-
noch einmal sagen, welches eigentlich die Ziele sind, mit fen. Wenn die Länder davon abweichen wollen, führt das
denen wir in der Kommission und auch bei der Erarbei- in Zukunft nicht mehr dazu, dass das Gesetz im Bundes-
tung des Koalitionsvertrages angetreten sind und die wir rat scheitert, sondern dazu, dass die Länder dann Länder-
mit dieser Reform durchsetzen wollen. Es sind im We- gesetze machen müssen.
sentlichen drei Ziele: Das erste ist, die Zustimmungs- (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!)
rechte der Länder im Bundesrat zu reduzieren, auf das
Notwendige zurückzuführen. Das zweite ist eine Neu- Das heißt, der Landtag muss in dem Fall zusammentre-
ordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Län- ten, ein Gesetz verabschieden und erklären, warum er in
dern. Das dritte ist, die Mischfinanzierung abzubauen einem ganz bestimmten Fall von einer Organisationsre-
und nach neuen Fördermöglichkeiten zu suchen. Wir gelung oder Verfahrensregelung Abstand nehmen oder
wollen keinen Paradigmenwechsel, wie Herr sie ändern will. Das, was hier gemacht wird, ist urdemo-
Westerwelle ihn heute Morgen hier vorgenommen hat, kratisch. Es wird Verantwortung von der Exekutive bzw.
indem wir zuerst den zweiten Schritt machen und über vom Bundesrat auf die Landtage verlagert. Das ist ein
die Finanzverfassung reden. Die Ziele, die ich genannt wichtiger Schritt in Richtung mehr Demokratie, den wir
habe, waren ausdrücklich als erster Schritt verabredet; hier gehen.
der zweite sollte hinterherkommen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist ja nicht Die Frau Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hinge-
wahr!) wiesen, dass die Kommunen aufgrund des letzten Sat-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4265
Joachim Stünker
(A) zes im geänderten Art. 84 Gewinner dieser Reform sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (C)
Dieser Satz lautet:
Allein dieser Punkt ist es wert, die Veränderungen heute
Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Ge- zu beschließen.
meindeverbänden Aufgaben nicht übertragen wer-
den. Die Wirkung – darauf wurde auch schon hingewie-
sen – wird bei der Rahmengesetzgebung des Bundes in
Dies ist in der Öffentlichkeit leider teilweise falsch ver- Art. 75 noch potenziert. Auch dort muss eine Erforder-
standen worden. Insbesondere die Behindertenverbände lichkeit nachgewiesen werden. Der Bund darf nur den
haben ihn nämlich so verstanden, als wolle der Bund die Rahmen setzen. Was unter Rahmen zu verstehen ist, mag
Aufgabe als solche abgeben. Das ist aber nicht so. Die jeder in den Urteilen zur Juniorprofessur und zu den Stu-
Aufgabe als solche wird der Bund weiter erfüllen. Aber diengebühren nachlesen. Unter Fachleuten besteht ein-
die Länder müssen diese Aufgabe weitergeben. Das ist hellig die Meinung, dass die Rahmenkompetenz des
genau der richtige Weg; denn die Länder bekommen Bundes vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung so-
über das Konnexitätsprinzip die Kosten erstattet für die zusagen tot ist. Denn die Rahmenkompetenz gibt dem
Aufgaben, die sie hier zu erfüllen haben. Die kommuna- Bund eigentlich keine Handlungsspielräume mehr.
len Spitzenverbände in ihrer Gesamtheit haben diese Re-
gelung sehr begrüßt. Daher sollten wir sie heute be- Dieses Problem haben wir mit dem Vorschlag, der Ih-
schließen. nen vorliegt, gelöst. Daraus hat sich die Abweichungs-
gesetzgebung entwickelt. Der Bund hat eine Vollkom-
(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Nur petenz ohne Erforderlichkeitsregelung. Aber eine
ist die Angst der Behinderten vor den Ländern Abweichung kann wiederum nicht von der Exekutive
schon frappierend! Das lässt tief blicken!) vorgenommen werden, sondern nur von den Landtagen.
Mit dieser Reform gelingt es uns, im Rahmen der Wenn also der Bund ein umfassendes Umweltgesetz-
Erforderlichkeitsklausel die 33 Kompetenztitel bei der buch beschließt – ich hoffe und bin sicher, dass der Bun-
konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 72 des Grund- desumweltminister das in dreieinhalb Jahren hinbekom-
gesetzes auf ein Drittel zu reduzieren. Diese Erforder- men wird –
lichkeitsklausel besagt, der Bund muss immer dann,
wenn er eine bundeseinheitliche Regelung für diese (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Kompetenztitel machen will, darlegen, ob und inwieweit der CDU/CSU)
diese Regelung erforderlich ist. Er muss nachweisen,
und dann ein Land, nicht der Bundesrat, meint, es wolle
dass das Gesetz und jede einzelne Regelung in diesem
in Detailregelungen – von abweichungsfesten Kernen
(B) Gesetz erforderlich sind. kann sowieso nicht abgewichen werden – abweichende (D)
Das Bundesverfassungsgericht – an die Judikatur des Regelungen vornehmen, dann muss das wiederum der
Bundesverfassungsgerichts sind wir nun einmal gehal- entsprechende Landtag in einem Gesetzgebungsverfah-
ten – hat diese Klausel anders ausgelegt, als wir sie als ren beschließen, und zwar mit der gesamten öffentlichen
Gesetzgeber verstehen und als sie ursprünglich gemeint Begleitung, wie wir sie kennen, also unter Begleitung al-
war. Diese Auslegung ist für uns geltendes Recht. ler Interessenverbände des jeweiligen Landes. Er muss
sehr gute Gründe dafür haben, dass hier abgewichen
(Jörg Tauss [SPD]: Di Fabio!) werden soll. Das ist ein demokratischer Prozess. Das ist
Das bedeutet, der Bund darf nicht handeln, wenn er Politik in der Auseinandersetzung. Das ist für die Zu-
gleichwertige Lebensverhältnisse in diesem Land her- kunft eine vernünftige Auflösung der toten Kompetenz
stellen will. Er darf nur dann handeln, wenn es zur Ver- aus Art. 75 des Grundgesetzes.
hinderung krasser Unterschiede bei den Lebensverhält- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
nissen in den Ländern notwendig ist.
Lassen Sie mich in den restlichen Minuten meiner
(Jörg Tauss [SPD]: Das war eine Fehlentwick-
Redezeit zu einigen Detailfragen Stellung nehmen, über
lung!)
die hier schon gesprochen worden ist. Wir haben insge-
Man mag denken, dies war nur eine Entscheidung und samt 16 Kompetenztitel in die ausschließliche Gesetzge-
die Rechtsprechung wird sich ändern. Wir haben aber bung der Länder übergeben. Der Bund bekommt sechs
mittlerweile fünf Entscheidungen, die genau in diesem Kompetenztitel hinzu. Auf die wichtige BKA-Kompe-
Tenor judizieren. Das erstreckt sich nicht nur auf das Ge- tenz wurde bereits hingewiesen. Natürlich haben wir in
setz insgesamt, sondern auf jede einzelne Vorschrift. Teilbereichen Bauchschmerzen; das brauchen wir nicht
zu verschweigen.
Wenn wir diese Änderung heute nicht beschließen,
dann bleibt diese Regelung in unveränderter Form in der Nur zwei Anmerkungen dazu. Der erste Punkt ist das
Verfassung stehen. Bei jeder Gesetzgebung werden wir Heimrecht. Ich weise darauf hin, dass große Teile, die
dann Schwierigkeiten haben. Immer wenn ein Land nach heute im Heimgesetz geregelt sind, zivilrechtlicher Na-
Karlsruhe geht, laufen wir Gefahr, dass man uns sagt, tur sind. Der ganze Bereich des Verbraucherschutzes und
wir dürfen hier gar nicht handeln, weil das reaktive Ele- der ganze Bereich des Vertragsrechts gehören zum Zivil-
ment, um das es hier geht, noch gar nicht vorhanden ist. recht. Die ausschließliche Kompetenz für das BGB hat
Darum ist es wichtig, dass der Verfassungsgesetzgeber der Deutsche Bundestag behalten. Das heißt, über das
diesen Punkt heute ändert. BGB wird es hier weiterhin eine Klammer geben.
4266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Joachim Stünker
(A) Der zweite Punkt: der Strafvollzug. Die zum Straf- und in der Mitte –, müssen sich darüber im Klaren sein, (C)
vollzug getroffenen Regelungen tun mir persönlich sehr dass sie all das verspielen, was erreicht worden ist, wenn
weh; das will ich mit Blick auf die Bundesratsbank deut- dies heute nicht umgesetzt wird. Es bleibt dann alles so,
lich sagen. Als langjähriger Strafrichter sehe ich das mit wie es heute ist: mit all den Verflechtungen und all der
großer Skepsis. Die Diskussion über den Schäbigkeits- Unbeweglichkeit zwischen Bund und Ländern. Wir brin-
wettbewerb führe ich gar nicht; um das deutlich zu gen den Menschen im Lande nichts Gutes, wenn wir es
sagen. Im Gegenteil: Wir haben gestern das ehemals als lassen, wie es ist. Wir bringen unser Land nur ein Stück
Antidiskriminierungsgesetz bezeichnete Allgemeine weit voran, wenn wir zu diesen Veränderungen kommen.
Gleichbehandlungsgesetz beschlossen. Diejenigen, die
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
meinen, die Landtage würden in einen Wettstreit darüber
eintreten, die Standards zu senken, diskriminieren ei- Zum Schluss – Frau Präsidentin, ich bin sofort fertig –
gentlich die frei gewählten Abgeordneten in den Landta- möchte ich heute auch noch einmal Danke sagen. Wir
gen. Diese Angst habe ich überhaupt nicht; das sollte Abgeordnete müssen uns gegenseitig nicht danken. Aber
einmal klar gesagt werden. die Zusammenarbeit vor allen Dingen mit Ihnen, Herr
Röttgen, in diesen drei Jahren war für mich sehr wohl-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
tuend. Herzlichen Dank dafür. Ich möchte aber auch un-
CDU/CSU)
seren Mitarbeitern sowie unseren Beratern in diesem
Aber es besteht natürlich das Problem, dass die Ein- Prozess danken. Ich möchte den vielen Staatsrechtsleh-
heit von Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafvollstre- rern, den Professoren danken, die uns in der Kommis-
ckungsrecht und Strafvollzugsrecht aufgelöst wird. Das sion begleitet haben, die uns in der Anhörung wichtige
wird zu Komplikationen führen. Nur, klar ist auch: Eine Hinweise gegeben haben, damit wir zu den Ergebnissen
Klammer bleibt auch hier bestehen. Denn die Klammer kommen konnten, zu denen wir gekommen sind.
ist die Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht hat in Lassen Sie mich mit einem schließen: Einer der Her-
mehreren Entscheidungen eindeutig gesagt, der Resozia- ren Professoren aus der letzten Reihe sagte am ersten
lisierungsgedanke habe Grundrechtscharakter. Davon Tag der Anhörung sehr selbstkritisch: Wissen Sie, wenn
wird – das mache ich hier deutlich – kein Land abwei- Sie uns zwölf Staatsrechtslehrer fragen würden, wie der
chen können. einheitliche Entwurf aussehen soll, würden wir Ihnen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten keine Antwort liefern können. Wir könnten uns nicht ei-
der CDU/CSU) nigen. – Das ist Aufgabe der Politik. Das haben wir zu
leisten. Das ist unsere Verantwortung. Nehmen Sie Ihre
Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Wir Verantwortung wahr!
(B) haben unseren Auftrag in der Kommission erfüllt und (D)
unsere Arbeit hier im Deutschen Bundestag erledigt. Schönen Dank.
Welche Verbesserungen sind für die Menschen in unse- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
rem Land von dieser Reform zu erwarten?
Erster Punkt. Die Zustimmungsrechte im Bundesrat Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
werden – ich habe es ausgeführt – weitgehend zurückge- Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
fahren. Kollegen Bodo Ramelow.
Zweiter Punkt. Wir gewinnen durch eine massive (Volker Kauder [CDU/CSU]: Der war schon
Einschränkung der Erforderlichkeitsklausel neue Hand- dran! Das war auch nichts!)
lungskompetenzen des Bundes.
Dritter Punkt. Wir führen die Rahmenkompetenz, die Bodo Ramelow (DIE LINKE):
tot ist, in eine neue Kompetenz über, die zumindest mit Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Leben erfüllt werden kann. Kollege Stünker, Sie haben jetzt wie vorher auch Ihr
Kollege zum wiederholten Mal darauf hingewiesen, dass
Vierter Punkt. Die Kooperation bei Forschung und wir als Linkspartei und als Fraktion Die Linke in der
Wissenschaft wird – darauf wurde hingewiesen – auch in Rechtsausschusssitzung am 28. Juni keine weiteren Fra-
Zukunft möglich sein. gen mehr gestellt haben. Das ist zutreffend.
Fünfter Punkt. Finanzhilfen sind weiterhin möglich. (Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)
Ich füge ausdrücklich hinzu: Das gilt auch für den Be-
reich der Kulturförderung. Darf ich darauf hinweisen, dass wir am 22. Juni im
Rechtsausschuss ausführlich Fragen gestellt haben, und
Sechster Punkt. Wir nehmen eine Stärkung bei den zwar genau die, die ich auch heute hier gestellt habe?
Kompetenzen der Landtage, des Bundestages und der
Kommunen vor. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wen interes-
siert das denn?)
Das alles ist erreicht worden. All das, was man sich
gewünscht hätte oder sich wünschen könnte, konnte na- Dazu gehört auch das, was Sie gerade kritisch beleuchtet
türlich nicht erreicht werden. haben. Jedoch hat auch ein CDU-Kollege gesagt, er habe
große Probleme damit, dass der Strafvollzug auf die
Aber diejenigen, die jetzt aufgrund der Argumente, Länder übertragen wird. Ich habe sehr aufmerksam zu-
die sie genannt haben, nicht zustimmen – links, rechts gehört und die Frage gestellt, die der Wissenschaftler,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4267
Bodo Ramelow
(A) der vom Bundesrat vorgeschlagen worden war, von mir eine einfache Formel: Was kann man gewinnen, was (C)
im Rahmen der großen Anhörung hier im Saal gestellt kann man verlieren? Ich finde – Kollege Stünker hat das
bekommen hat, wie er die Außenvertretung in Europa sehr überzeugend dargestellt –, dass die Verweigerung
nach dem Grundgesetz in Zukunft sieht. Er hat gesagt, es der Zustimmung zu dieser Vorlage sehr viele Nachteile
sei falsch, was dort ins Grundgesetz aufgenommen wird. mit sich bringt, weil die Vorlage viele Vorteile bietet.
Die gleiche Frage habe ich im Rechtsausschuss am
22. Juni gestellt. Sie von der SPD haben mir im Rechts- Zur Ehrlichkeit der Debatte gehört aber auch, dass
ausschuss geantwortet, Sie hätten Verständnis dafür, man zur Sprache bringt, was an diesem Gesetzeswerk
dass ich die Fragen alle stelle. Ferner stellten Sie fest, misslungen ist. Ich will versuchen, das an einfachen Bei-
dass die Fraktion Die Linke ihren Änderungsantrag zu spielen zu illustrieren.
diesem Gesetzgebungsverfahren schon an dem Morgen Ich begrüße, dass das Bundeskriminalamt erstmals
eingereicht hätte, sodass jeder Kollege von allen Fraktio- eine Präventionszuständigkeit erhält. Ich bedauere aber,
nen wusste, wofür die Fraktion Die Linke abstimmen dass es nicht gelungen ist, diese Präventionszuständig-
und streiten wird. Daraufhin haben Sie geantwortet, aber keit über ein minimales Maß – im Grunde ist es nur eine
die Koalition habe noch nicht getagt und habe ihre Kom- Hilfszuständigkeit – hinaus zu entwickeln. Das ent-
promisse noch nicht ausgehandelt. Deswegen müssten spricht nicht der Gefahr, der wir durch den internationa-
wir uns gedulden. len Terrorismus ausgesetzt sind. Aus ordnungspoliti-
Ich warte immer noch auf die Ergebnisse. schen Gründen kann ich nicht verstehen, dass die Länder
in diesem Zusammenhang eine Gesetzgebungszustän-
(Volker Kröning [SPD]: In der entscheidenden digkeit in Gestalt des Zustimmungserfordernisses für
Sitzung waren Sie nicht da!) sich reklamieren. Das ist ungefähr so, als würde der
– Verzeihen Sie, dass ich einfach das Ergebnis der Ge- Bund für sich eine Zuständigkeit für die Polizeigesetze
setzesvorlage, die wir heute abschließend hier beraten, der Länder reklamieren. Ich finde, es wäre vernünftig
auf mich wirken lasse. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: gewesen, die Dinge anders zu ordnen. Ich begrüße aber,
Ihre Koalitionsrunden und Ihr Engagement als sozialde- dass ein erster Schritt vollzogen worden ist. Vielleicht
mokratische Vertreter im Deutschen Bundestag sind ge- werden wir in der Praxis die Erkenntnis gewinnen, dass
mäß dem Spruch zu messen: Es kreißte ein Berg und ge- man das weiter ausbilden muss.
bar eine Maus. Es ist keine positive Veränderung dabei Ich bedauere, dass in diesem Gesetzeswerk die Zu-
herausgekommen. Deswegen muss man es nicht wieder- ständigkeit für das Beamtenrecht vollständig an die
holen und in Zukunft immer wieder die gleichen Fragen Länder abgegeben wird. Es gab sehr vernünftige Kom-
stellen, auf die Sie keine Antworten wissen oder wo Sie promissvorschläge des Deutschen Beamtenbundes. Man (D)
(B) aus machtpolitischen Gründen auf jede Antwort verzich-
hätte sie einarbeiten sollen. Das ist eine bedauerliche
ten. Entwicklung, die sich in der Praxis nicht bewähren wird.
(Beifall bei der LINKEN) Ich finde auch nicht gut, dass dieses Gesetzeswerk
– jedenfalls bezogen auf die Länderseite – sehr stark von
Präsident Dr. Norbert Lammert: der Exekutive bestimmt ist. Diese Frage geht auch das
Zur Erwiderung, Herr Kollege Stünker. Selbstbewusstsein dieses Parlaments an. Ich hätte es
begrüßt, wenn man in die Begründung nicht hineinge-
Joachim Stünker (SPD): schrieben hätte, was die Bundeskanzlerin und die Minis-
terpräsidenten beschließen. Wir sind die oberste Volks-
Ich kann es kurz machen, Herr Kollege Ramelow.
vertretung. Wir sollten gegenüber der Exekutive mit
Erster Punkt: In der zweieinhalbstündigen Abschluss-
einem entsprechenden Selbstbewusstsein ausgezeichnet
debatte am 28. Juni waren Sie gar nicht da.
sein. Zuallererst hat das Parlament etwas zu sagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Zweiter Punkt: Fragen zu stellen ist sinnvoll, bringt der CDU/CSU – Beifall bei der FDP sowie bei
uns aber im Ergebnis nicht weiter. Man muss auch Lö- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
sungen anbieten. Von Ihnen kam jedoch nicht ein ein- GRÜNEN)
ziger Vorschlag für eine Lösung.
Ich muss beklagen, dass es nicht gelungen ist, mit die-
Danke. sem Gesetzeswerk eine Fehlentwicklung, nämlich – so
will ich das einmal formulieren – den föderalen Ehrgeiz
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
in der Außenpolitik, zu bremsen.

Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Nun erhält der Kollege Otto Schily Gelegenheit für BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
eine Kurzintervention.
Herr Ministerpräsident Stoiber, wir alle kennen das so
genannte Schloss Wahnstein in Brüssel. Die Chaotisie-
Otto Schily (SPD): rung der deutschen Außenpolitik, für die die Länder in
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin- Brüssel sorgen, muss irgendwann einmal ein Ende ha-
nen und Kollegen! Für politische Entscheidungen gibt es ben.
4268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Otto Schily
(A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Von daher ist es eine sehr gut überlegte Entscheidung, (C)
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der die wir uns nicht leicht gemacht haben. Denn wir sehen
LINKEN und der FDP) uns sehr wohl in der Verantwortung, dazu beizutragen,
dass unsere verfassungsrechtlichen Strukturen geändert
Es würde vielleicht schon reichen, wenn die Länder das
werden, weil sie eben nicht mehr in allen Bereichen den
beachten würden, was bereits im Grundgesetz steht,
heutigen Anforderungen – sei es international, sei es was
nämlich dass Außenpolitik Sache des Bundes ist.
Bürgernähe und Verantwortlichkeit gegenüber den Bür-
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist keine gerinnen und Bürger betrifft – so gerecht werden, wie es
Kurzintervention, sondern eine Rede!) 1949 die Mütter und Väter des Grundgesetzes, dieser gu-
ten Verfassung, im Auge hatten. Deshalb sehen wir sehr
Man hätte aber die Gelegenheit nutzen können, dazu
wohl Änderungsbedarf. Aber es muss das gesagt wer-
etwas in Art. 23 des Grundgesetzes – Stichwort Voll-
den, was die Sachverständigen in der Anhörung fundiert,
zugsfrage – hineinzuschreiben. Schließlich hat man in
argumentativ belegt herausgearbeitet haben. Sie haben
die Verfassung sogar die Geschäftsordnung der Minister-
einmal das gesagt, Herr Stünker, was Sie gesagt haben:
präsidentenrunde – Stichwort Einstimmigkeit – aufge-
Jeder von uns könnte seine eigene Verfassung schreiben
nommen, was ich nicht gerade als verfassungsästhetisch
und die sähe aus der subjektiven Sicht besser aus. Die
gelungen bezeichnen kann.
Sachverständigen haben auch gesagt: Hier wird ein Be-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und schäftigungsprogramm für Juristen und Rechtsprechung
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) aufgelegt,
(Joachim Stünker [SPD]: Das ist immer so, bei
Präsident Dr. Norbert Lammert: jeder Verfassung!)
Herr Kollege Schily.
weil die Verfassung in dieser Änderung eben gerade
Otto Schily (SPD): nicht so klar, so bestimmt und so deutlich ist, wie das mit
Ich bin schon am Schluss. – Mit dem letzten Satz einer so grundlegenden Verfassungsreform erfolgen
kehre ich zurück zu der schönen Formel „Was kann ich müsste.
gewinnen? Was kann ich verlieren?“ Wir werden mit (Beifall bei der FDP)
dieser Föderalismusreform mehr gewinnen als verlieren.
Wir würden verlieren, wenn wir sie heute ablehnen wür- Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen. Das belegen
den. Sie mit Ihrem Entschließungsantrag, Herr Stünker. Sie
müssen in Ihrem Entschließungsantrag ausführen, was
Danke schön. unter bestimmten Begriffen in dieser Grundgesetzände- (D)
(B)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rung zu verstehen ist. Sie müssen zum Beispiel beim
der CDU/CSU und der FDP) wichtigen Art. 84 des Grundgesetzes, der die Zustim-
mungsbedürftigkeit der Bundesgesetze durch die Län-
Präsident Dr. Norbert Lammert: der, durch den Bundesrat, reduzieren soll, erklären, was
Das Wort hat nun die Kollegin Sabine Leutheusser- Ausnahmefälle sind. Sie sagen: Das soll das Umweltver-
Schnarrenberger für die FDP-Fraktion. fahrensrecht sein. Ja, wenn das so ist, warum schreiben
Sie denn das nicht in die Vorlage? Das gilt für viele
(Beifall bei der FDP) Punkte. Das Gesetz muss künftig interpretiert und von
den Gerichten bestimmt werden. Wir wollen, dass es
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): mehr Klarheit und Bestimmtheit in diesem Gesetz gibt
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- und wir nicht jetzt schon wissen: Sehenden Auges über-
nen und Kollegen! Herr Schily, Sie haben die ganzen tragen wir die Verantwortung den Gerichten.
Vorteile gar nicht aufgezählt, die Sie bei Ihrer Abwä- Eine grundsätzliche Struktur, die jetzt geschaffen
gung dazu bringen, den vorgelegten Gesetzentwürfen werden soll und die wir kritisieren, ist die so ausgestal-
doch zustimmen zu können. tete Abweichungsgesetzgebung. Denn sie führt dazu,
Die FDP-Fraktion teilt Ihre sehr deutlich vorgetra- dass es konkurrierende Gesetzgebung mit Erforderlich-
gene Kritik nicht in allen, aber in vielen Punkten. Das keitsprüfung und ohne Erforderlichkeitsprüfung, kon-
sind für uns die Gründe, die uns im Rahmen einer Ge- kurrierende Gesetzgebung mit Abweichungsrechten und
samtabwägung dazu bringen, zu sagen: Wir können ei- ohne Abweichungsrechte, konkurrierende Gesetzgebung
ner so grundlegenden Verfassungsreform, die über Jahre mit Abweichungsrechten, aber abweichungsfesten Ker-
hinweg Bestand haben soll, die in ein oder zwei Jahren nen und nicht abweichungsfesten Kernen gibt. Sie alle
nicht wieder auf dem Prüfstand stehen und korrigiert wissen gar nicht, was das im Einzelnen bedeutet. Was
werden darf, nicht zustimmen, wenn wir in einigen bedeutet denn der abweichungsfeste Kern „Allgemeine
wichtigen, grundlegenden Bereichen falsche Weichen- Grundsätze des Naturschutzes“? Hier wird doch in einer
stellungen zur Kenntnis zu nehmen haben und sehen, Art und Weise eine Verfassungsänderung betrieben, die
dass keine Bereitschaft besteht, diese zu ändern oder zu den hohen Ansprüchen an eine Verfassungsänderung in
korrigieren. vielen Punkten nicht gerecht wird.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4269
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(A) Deshalb kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir diese Meine Damen und Herren, wenn Sie gewisse Dinge (C)
Reform in dieser Form insgesamt nicht mittragen kön- nicht ändern bzw. beibehalten wollen, weil sie in einem
nen, auch wenn wir konzedieren – das hat Herr guten Zustand sind, dann nehmen Sie sie in die Verfas-
Westerwelle deutlich ausgeführt –, dass es Verbesserun- sung auf! Das gilt zum Beispiel für die Kulturförde-
gen in einigen Bereichen gibt und dass es eine Verant- rung. Es reicht nicht aus, in Entschließungsanträgen Er-
wortung von Bund und Ländern gerade auch bei der Ver- läuterungen und Begründungen abzugeben, dass man
schuldung und eine so genannte Haftungsregelung gibt. gar nichts ändern wolle, wenn die vorgelegten Gesetzes-
Das begrüßen wir ausdrücklich und haben wir auch so in texte nach Anhörung aller Experten genau zum gegentei-
unseren Entschließungsantrag geschrieben. ligen Ergebnis führen können. Das führt zu großer
Rechtsunsicherheit. Hier haben Sie eine große Chance
Eine Verfassung soll Bestand haben. Ich habe in den
vertan, deutlich zu machen, dass Sie an der bewährten
letzten Tagen gelesen, dass gerade auch Kolleginnen und
gemeinsamen Kulturförderung in der Bundesrepublik
Kollegen aus der SPD-Fraktion sich damit trösten: Wenn
Deutschland und an einem guten Miteinander uneinge-
man heute schon zustimmen muss, dann kann man ja in
schränkt festhalten wollen. Das wird zu Recht kritisiert,
ein, zwei Jahren die Änderungen, die man heute nicht
auch von einem Gremium, das immer mit hohem Sach-
hat durchsetzen können, wieder auf den Weg bringen.
verstand in viele Kreise des Bundestages Input gibt.
Das wird nicht gehen. So darf an einer Verfassung nicht
herumgewerkelt werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Deshalb sage ich: Wir haben es uns nicht leicht ge-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) macht. Wir haben sehr sorgfältig abgewogen. Wir kön-
Das wird dem Anspruch, den wir an die Grundlage unse- nen in vielen Punkten keine Wendung zum Guten erken-
rer demokratischen und sozialen Rechtsordnung stellen, nen. Wir sehen, dass es Verbesserungen gibt. Aber die
in keiner Weise gerecht. Gesamtabwägung unter Einbeziehung der Tatsache, dass
die Verabredungen im Hinblick auf die Finanzbezie-
Zu einigen konkreten Punkten der vorgelegten Ge- hungen nicht eingehalten worden sind, lässt für uns lei-
setzentwürfe ist schon etwas gesagt worden. Natürlich der kein anderes Ergebnis zu. Wir können dieser Reform
– hier schließe ich mich all meinen Vorrednern an – ist nicht zustimmen.
es ein falscher Schritt, die Zuständigkeit für den Straf-
vollzug auf die Länder zu übertragen. Vielen Dank.

(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
NIS 90/DIE GRÜNEN]) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(B) (D)
Wenn es so war, dass die Länder diese Kompetenz nicht Präsident Dr. Norbert Lammert:
haben wollten, sie ihnen aber angeboten wurde, um
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege
quasi einen Ausgleich zu schaffen, dann wäre es in den
Dr. Norbert Röttgen.
letzten Wochen, in denen pausenlos Sitzungen stattge-
funden haben, doch ein Leichtes gewesen, das mit der- (Beifall bei der CDU/CSU)
selben Argumentation einer Rückübertragung des Nota-
riats auf den Bund auch für den Bereich des Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
Strafvollzugs zu tun, sodass es bei der jetzigen Regelung
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
hätte bleiben können.
gen! Im Zentrum der Kritik an der Verfassungsreform,
(Beifall der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/ die heute zur Abstimmung steht, stehen ganz wichtige
DIE GRÜNEN]) Einzelfragen. Diese Reform wird im Wesentlichen mit
Verweis auf neue Einzelregelungen kritisiert. Ich finde
Aber die Bereitschaft dazu war nicht vorhanden, al- es richtig und legitim, dass man sich mit Einzelfragen
lerdings nicht deshalb, weil es wirklich überzeugende beschäftigt.
Sachargumente für eine solche Übertragung gibt. Denn
die Rechtseinheit aus „Strafen“ und „Strafen vollziehen“ Ich möchte mit der wichtigsten Grundfrage und
wird aufgebrochen und es wird eine Entwicklung einge- nicht mit den Einzelfragen, die sich allerdings auch stel-
leitet, deren Verlauf wir noch nicht beurteilen können. len, anfangen. Die wichtigste Frage, die Grundfrage die-
Aber das, was wir hören, und das, was sich Bund und ser Reform, lautet: Wie organisieren wir Demokratie und
Länder schon jetzt gegenseitig vorwerfen, lässt leider Parlamentarismus in unserem Land? Das ist die Grund-
nicht allzu viel Gutes erwarten. Im Gegenteil: Es ist zu frage, auf die diese Verfassungsreform eine Antwort
befürchten, dass § 1 – ein Ziel des Strafvollzugs ist ja die gibt. Sie gibt eine Antwort darauf, wie die Situation zur-
Resozialisierung – aus dem Gesetz gestrichen wird. zeit ist.
(Joachim Stünker [SPD]: Das geht doch gar Zurzeit, nach geltendem Recht, ist es so, dass die Bür-
nicht!) gerinnen und Bürger bei jeder Bundestagswahl ein Par-
lament, den Deutschen Bundestag, wählen, das in der
Genau darüber wird in den Ländern sehr offensiv disku-
Mehrzahl der Fälle nicht die Macht hat, selbst zu ent-
tiert.
scheiden. Die Mehrzahl der Gesetzesentscheidungen, die
(Olaf Scholz [SPD]: Aber nein! Das geht hier getroffen werden, können wir letztlich nicht allein
nicht!) durchsetzen, sondern wir brauchen dafür die Zustimmung
4270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Dr. Norbert Röttgen


(A) des Bundesrates. Die Bürgerinnen und Bürger wählen löst. Darum muss Politik entscheidungsfähig werden: (C)
also kein Parlament, das sich durchsetzen und in der weil es unsere Pflicht ist, die Probleme zu lösen.
Mehrzahl der Fälle endgültig entscheiden kann. Viel-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
mehr ist unser System durch eine Vermischung der Ver-
neten der SPD)
antwortung gekennzeichnet. Das ist auf dem Gebiet der
Gesetzgebung so, das ist auf dem Gebiet der Verwaltung Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen, dass wir
so und das ist auf dem Gebiet der Finanzen bzw. der das können.
Finanzierung des Staates so. Diese Wirklichkeit der Ver-
mischung von Verantwortlichkeiten hat entmündigende Verantwortung ist auch die Bedingung dafür, dass
Wirkung. Die Tatsache, dass der Vermittlungsaus- Kontrolle möglich ist. Die Bürger wollen, dass entschie-
schuss zum Ersatzparlament geworden ist, entmündigt den wird, und sie wollen, wenn sie von ihrem Wahlrecht
zum Beispiel dieses Haus, den Bundestag; denn von den Gebrauch machen, über Politik befinden. Deshalb ist es
Entscheidungen, die im Vermittlungsausschuss getroffen so wichtig, unsere Demokratie besser zu organisieren,
werden, kann der Bundestag kein einziges Komma mehr unseren Parlamentarismus besser zu organisieren. Das
verändern, er kann nur Ja oder Nein dazu sagen. Die ist keine reine Angelegenheit des Bundes, sondern das
Mitglieder des Bundestages können nicht mehr inhalt- muss für den Gesamtstaat geschafft werden. Das ist der
lich gestalten, sie werden durch die geltende Verfas- zweite Gesichtspunkt, den ich ansprechen möchte: Fast
sungslage entmündigt – Sie wie jeder andere auch, alle Kritik, die geäußert worden ist – von Ihnen, Frau
meine Damen und Herren. Leutheusser-Schnarrenberger, von Ihnen, Herr Wieland,
übrigens auch von Herrn Schily –, verkennt das Wesen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- von Verfassungsgesetzgebung im Bundesstaat: Wenn
neten der SPD – Wolfgang Wieland [BÜND- Sie etwas verändern wollen, brauchen Sie dafür eine
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt Lösungen!) Mehrheit von zwei Dritteln im Bundestag und im Bun-
Genauso hat diese Vermischung von Verantwortlich- desrat.
keiten entmündigende Wirkung auf die Bürgerinnen und (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Bürger: weil die Bürger nicht mehr erkennen können, NEN]: Und vernünftige Länder!)
wer eigentlich entscheidet, wer für was verantwortlich
ist. In dem Maße, wie das der Fall ist, entmündigen wir Es mangelt doch nicht an Vorschlägen, wie das alles
die Bürger bei ihrer Wahl: weil sie keine Richtungsent- idealiter gezeichnet werden sollte. Die gibt es seit Jahr-
scheidung mehr treffen können, weil sie die Politik nicht zehnten. Die praktische und verantwortliche Aufgabe
mehr kontrollieren können, weil ja nicht mehr klar ist, von Politik ist, den Fortschritt möglich zu machen.
wer für eine Entscheidung in diesem Land verantwort- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) (D)
lich ist. NEN]: Sie haben zwei Drittel in beiden Häu-
Darum geht es bei dieser Verfassungsreform um die sern!)
Wiederherstellung und Wiedereinführung des Prinzips
Verantwortung in die deutsche Politik. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Röttgen, gestatten Sie eine Zwischen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
frage des Kollegen Schily?
Genau das ist der substanzielle Fortschritt dessen, was so
technisch klingt: Die Zahl der zustimmungspflichtigen Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
Gesetze, die im Moment über 60 Prozent ausmacht, wird Ja, gerne.
um rund die Hälfte reduziert. Das heißt, dass die Bürger
in Zukunft einen Bundestag wählen können, der in der
Mehrzahl seiner Fälle entscheidungsfähig ist. Bei zwei Otto Schily (SPD):
Dritteln aller Gesetze, die verabschiedet werden, ent- Herr Kollege Röttgen, da Sie mich hier persönlich an-
scheiden nun wir. Damit können die Bürgerinnen und gesprochen haben: Wo haben Sie in meinen Ausführun-
Bürger bei Wahlen darüber entscheiden, wer Politik in gen entdeckt, dass ich nicht auch erkannt hätte, dass
Deutschland macht. Das bedeutet diese Reform und da- politische Entscheidungen eines politischen Kompro-
rum ist sie richtig. misses bedürfen? Ich habe mir nur erlaubt – ich glaube,
das gehört zur Ehrlichkeit der Debatte –, anzumerken,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wo in diesem Vertragswerk vielleicht nicht das Optimale
neten der SPD) gelungen ist. Warum sollen wir uns dagegen nicht zur
Verantwortlichkeit ist eine Bedingung für Demokra- Wehr setzen? Was haben Sie daran auszusetzen?
tie. Demokratie kann nicht funktionieren, wenn das Prin-
zip Verantwortung außer Kraft ist, was zwei Konsequen- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
zen hat – um es noch einmal zu sagen –: Wenn Ich kann Ihnen sagen, was ich daran auszusetzen
Verantwortung nicht gilt, ist die Politik entscheidungs- habe: dass Sie damit nicht den entscheidenden Punkt ge-
unfähig. Wenn es in diesem Land etwas wie Politikver- troffen haben. Sie haben es auf die neu begründete Kom-
drossenheit gibt – ich glaube, dass es so etwas gibt –, petenz des Bundes bezogen, bei Gefahren durch den
dann zeigt sich das in dem Vorwurf der Bürgerinnen und internationalen Terrorismus für die Gesetzgebung zu-
Bürger an „die Politik“ – nicht an einzelne Parteien –: ständig zu sein. Sie haben gesagt: Ich stelle mir vor, dass
Ihr tut eure Pflicht nicht, weil ihr die Probleme nicht das noch viel mehr sein müsste. Das ist meine kritische
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4271
Dr. Norbert Röttgen
(A) Anmerkung an dieser Stelle. Ich halte das für eine wirk- Nun will ich etwas zum Thema Verantwortung der (C)
lich fehlerhafte Bewertung des Prozesses, weil es zu Parteien sagen. Damit meine ich insbesondere die FDP,
zwei Dingen kommt: Wie eben ausgeführt, gewinnen weil sie mich gerade angesprochen hat, aber auch die
wir im Deutschen Bundestag mit dem Abbau der Anzahl Grünen. Ich will etwas zu Ihrer Kritik sagen.
an Zustimmungsrechten ein erhebliches Maß an Ent-
scheidungsmacht. Ich halte sie aus mehreren Gründen für unglaubwür-
dig: Weder an der FDP noch an den Grünen ist die Ver-
(Abg. Otto Schily [SPD] nimmt Platz) fassungsreform im Dezember 2004 gescheitert. Mit Ih-
nen wäre die Verfassungsreform im Dezember 2004
– Ich bin noch bei der Antwort, Herr Präsident.
durchgeführt worden. Es hat nur zwischen den beiden
großen Volksparteien nicht hingehauen. Sie hätten im
Präsident Dr. Norbert Lammert: Dezember 2004 ungefähr das beschlossen, was heute
Herr Kollege, es wird Ihnen auch aufgefallen sein, zum Beschluss vorliegt. Darum ist Ihre Kritik unglaub-
dass die Uhr stehen geblieben ist. würdig.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
neten der SPD)
Ja, ich habe das auch mehr für den Kollegen Schily
gesagt. Herr Präsident, ich hatte Sie angesprochen, aber Herr Westerwelle, jetzt einmal etwas zu der kraftvol-
ich meinte eigentlich den Kollegen Schily. len Kritik, dass noch viel mehr passieren müsse, die Sie
an Einzelregelungen geübt haben.
(Joachim Stünker [SPD]: Herr Röttgen, seien
Sie nicht so kleinlich!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
– Nein, ich bin nicht kleinlich, ich will nur den Prozess,
Herr Kollege Röttgen, gestatten Sie eine Zwischen-
der hier stattfindet, schildern.
frage des Kollegen Burgbacher?
Die Länder sagen uns – wir haben die Ministerpräsi-
denten dafür gewonnen –, dass sie in Zukunft keine Aus- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
länderpolitik mehr machen. Zu einem Zuwanderungs-
kompromiss als große politische Zusammenwirkung und Ja.
Kontroverse von Bund und Ländern wird es in Zukunft
nicht mehr kommen, weil Art. 84 des Grundgesetzes ge- Ernst Burgbacher (FDP):
ändert worden ist. In Zukunft werden die Länder bei den Herr Kollege Röttgen, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
(B) großen Reformen der Sozialversicherung im Rahmen nehmen, dass der Bundestag überhaupt nicht mehr ge- (D)
der Bundespolitik nicht mehr mitwirken. Das heißt, im fragt wurde, bevor es zum Scheitern der Föderalismus-
Hinblick auf die Mitwirkung gibt es einen Machtverzicht kommission kam? Stoiber und Müntefering haben die
der Länder. 32 Abgeordneten wie Kinder eine Stunde lang sitzen ge-
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ist das immer lassen. Dann kamen sie und sagten: Es ist gescheitert.
noch die Antwort? Donnerwetter!) Der Bundestag wurde nicht gefragt.

Trotzdem und gleichzeitig sagen die Länder, dass sie Sind Sie weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
von ihrer Kernkompetenz Polizeirecht an einer wichti- wir dort immer Bedenken angemeldet und gesagt haben,
gen Stelle noch eine zusätzliche Kompetenz an den dass wir der Abweichungsgesetzgebung und den Rege-
Bund abgeben. lungen bezüglich der Europatauglichkeit so nicht zu-
stimmen können?
Ich finde, die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, ist
angemessen zu würdigen und man sollte nicht sagen,
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
dass die eine Seite noch nicht weit genug gegangen ist.
Sie hat sich bewegt. Herr Kollege Burgbacher, am Ende lautete im
Dezember 2004 die Frage, ob wir im Bundestag und im
(Beifall bei der CDU/CSU) Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit hinbekommen. Wir
Darum finde ich, dass Sie den Prozess fehlerhaft und un- beide waren Mitglieder in Oppositionsfraktionen.
zutreffend kritisiert haben. Das war meine Antwort auf Ich respektiere Sie übrigens generell, aber auch für
Ihre Frage. die Arbeit, die Sie in der Föderalismuskommission ge-
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das hat leistet haben, und ich sage Ihnen jetzt nur meine Ein-
Deutschland weitergebracht!) schätzung über Sie. Meine Einschätzung war und ist,
dass Sie bei dem, was auf dem Tisch lag, gesagt hätten:
– Ja, ich finde, dass diese Reform unser Land weiter- Ich habe zwar Bedenken in Einzelpunkten – die kann ich
bringt. jetzt auch äußern –, aber das ist ein Fortschritt für unser
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Land. Wir haben viel erreicht und ich werde mich mei-
neten der SPD – Dr. Guido Westerwelle ner Verantwortung nicht entziehen und deshalb diesem
[FDP]: Ich habe nur Ihre Antwort gemeint!) Gesamtpaket zustimmen. Das ist meine Einschätzung
Ihrer Haltung, die Sie dort ganz persönlich vertreten hät-
– Davon bin ich ganz fest überzeugt. ten. Die darf ich Ihnen gegenüber äußern.
4272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Dr. Norbert Röttgen


(A) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Tatsachen!) (C)
[FDP]: Die er geäußert hätte!)
Deshalb frage ich Sie: Können Sie sich daran erinnern,
Herr Westerwelle, ich will etwas zu der Kritik sagen, dass zum Ende der Beratungen der Föderalismuskom-
die von Ihnen geäußert wurde. Sie sagten, es müsse noch mission die Themen Umwelt, Bildung und Europa strit-
viel mehr passieren und es dürfe insbesondere nicht so tig gestellt worden sind – es wurde bis zum Schluss
viel vom Bund auf die Länder übertragen werden. Ich keine Verständigung erzielt –, dass die Kommission
spreche Sie jetzt einmal nicht nur in Ihrem Amt als FDP- scheiterte und dass die Grünen wesentlich daran beteiligt
Fraktionsvorsitzender, sondern auch in Ihrem Amt als waren, diese Themen strittig zu stellen? Wir haben die-
FDP-Bundesvorsitzender an. ser Reform auch danach nicht zugestimmt.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
Sie sprechen kraftvolle Appelle aus und führen an, was Frau Kollegin Sager, ich wollte eigentlich etwas Posi-
noch alles zu erreichen ist. Sie haben es aber nicht er- tives über Sie sagen. Ich wollte sagen, dass Sie wie wir
reicht, eine einheitliche Position der FDP zu realisieren. alle nicht ganz bei Trost wären, wenn wir in Einzelfra-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen der Gesamtreform, die die umfassendste Verfas-
der SPD – Widerspruch bei der FDP) sungsreform in der Geschichte des Landes darstellt,
nicht an der einen oder anderen Stelle Kritik und ein-
Denn im Bundesrat hat die FDP über die Länder, in zelne Verbesserungsvorschläge hätten. Ich wollte Ihnen
denen sie mitregiert, der Föderalismusreform zuge- eigentlich nur ein Kompliment machen, nämlich dass es
stimmt. Im Bundestag, wo die FDP der Opposition ange- meine Überzeugung war und ist, dass Sie die Einzelbe-
hört, vertritt sie eine Position, die sich aus dem Entzug denken zurückstellen würden, weil das Gesamtwerk ei-
der Verantwortung ergeben hat. Sorgen Sie erst einmal nen Fortschritt für unser Land bedeutet. Diese verant-
für eine einheitliche Position der FDP zur Föderalismus- wortungsvolle Position habe ich Ihnen zugetraut, als Sie
reform! Das wäre schon ein Fortschritt. noch regierten. In der Opposition ist es etwas bequemer.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich habe selber schon Erfahrungen mit Bequemlichkeit
der SPD) und Anstrengung in den unterschiedlichen Rollen ge-
macht.
Das macht das Problem der Verfassungsgesetzgebung
deutlich: Was Sie zum Beispiel zum Strafvollzug im Es wäre besser gewesen, wenn Sie Ihrer Verantwor-
Bundestag kritisieren, wird von Ihrem freidemokrati- tung weiter nachgekommen wären und auch in der Op-
schen Justizminister in Baden-Württemberg geradezu position dafür eingetreten wären, dass das Land weiter
(B) gefordert. vorankommt. Das ist meine Auffassung. (D)

(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Hört! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Hört!) neten der SPD)

Das, was Sie in der Hochschulpolitik im Bundestag kriti- Ich glaube, dass mit dieser Reform ein verantwortli-
sieren, wird von dem freidemokratischen Wissenschafts- cher Kompromiss herbeigeführt worden ist. Es geht bei
minister in Nordrhein-Westfalen geradezu gefordert. Sie der Föderalismusreform um Machtverteilung im Bun-
schaffen noch nicht einmal eine Föderalismusreform in- desstaat. Die Macht, zu entscheiden, wird neu verteilt.
nerhalb der FDP. Dass die Ministerpräsidenten bereit waren, sich aus ihrer
eigentlichen Lieblingsrolle als Mitspieler in der Bundes-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) politik ein beachtliches Stück zurückzuziehen und zum
Ausgleich ihre Landtage zu stärken, ist ein enormer
Dass Sie uns vorwerfen, dass das, was wir im Bundestag Fortschritt. Ich möchte es ausdrücklich würdigen, dass
und Bundesrat schaffen, zu wenig ist, ist ein bisschen an dieser Stelle Einzelinteressen zurückgestellt worden
billig. Sie sagen, wir müssten noch viel mehr machen, sind.
aber Sie selbst schaffen gar nichts.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Präsident Dr. Norbert Lammert: Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Herr Kollege Röttgen, nun möchte auch die Kollegin NEN)
Sager Ihre Redezeit verlängern. Ich will zum Schluss kommen. Alle Reden, die darauf
abzielten, dass die Bundesinteressen noch stärker be-
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): rücksichtigt werden müssen, wurden im Ergebnis nicht
Gut. in die Tat umgesetzt. Es gibt eine praktische Alternative
zum Status quo: ein beachtlicher Fortschritt, der viel-
leicht noch größer hätte ausfallen können. Zu der Föde-
Präsident Dr. Norbert Lammert:
ralismusreform gibt es aber nicht die Alternative einer
Bitte. noch viel besseren Reform, weil die Vorstellungen da-
rüber, wie eine solche bessere Reform aussehen könnte,
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht mehrheitsfähig sind. Darum bestehen die Alternati-
Herr Kollege Röttgen, Sie haben hier auch Behaup- ven darin, dass entweder jeder Einzelne für sich das
tungen über die Grünen aufgestellt. Recht in Anspruch nimmt, zu wissen, wie die Reform
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4273
Dr. Norbert Röttgen
(A) aussehen müsste, oder dass Demokratie und Parlamenta- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (C)
rismus in Deutschland im Dienste des Landes und für die DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/
Menschen besser organisiert werden. Das tut die große CSU]: Das war sehr dünn!)
Koalition.
Danke. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zur Erwiderung Kollege Röttgen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD) Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):
Ich möchte nur einen Satz darauf erwidern. Natürlich
Präsident Dr. Norbert Lammert: kann man der Meinung sein, Herr Kollege Westerwelle,
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege dass der Bundestag sagen soll, was er für richtig hält,
Westerwelle das Wort. und auch der Bundesrat sagen soll, was er für richtig
hält, und dass die Parteien auf ihren Landesparteitagen
ebenfalls etwas Unterschiedliches oder was auch immer
Dr. Guido Westerwelle (FDP): sagen. Das hat nur ein Ergebnis, worauf ich hinweisen
Herr Kollege Röttgen, zuerst einmal herzlichen Dank wollte. Das Prinzip, das Sie befürworten, führt zu dem
für die vielen Belehrungen, die uns, an der Spitze Herrn Ergebnis, dass nichts passiert. An den Problemen ändert
Schily und meiner Person, gegeben worden sind. Das sich nichts, wenn jeder immer weiß, was richtig ist, aber
war nötig. nichts zusammengeführt wird. Wir führen zusammen
und kommen zu Ergebnissen. Das ist der Unterschied
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wat mutt, dat der Methoden.
mutt!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Ich bin sehr gespannt, wie Sie in zwei bis drei Mona- neten der SPD)
ten in einer anderen Funktion reden werden; denn der
BDI hat das Ganze ausdrücklich nicht als großen Wurf Präsident Dr. Norbert Lammert:
bezeichnet. Das wird man wohl einmal vortragen dürfen. Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Ilja Seifert,
Ich bin sehr gespannt, welche Metamorphose Ihre Argu- Fraktion Die Linke.
mentation, Herr Kollege Röttgen, in den nächsten Mona-
ten durchmachen wird. (Beifall bei der LINKEN)

(B) (Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk (D)


[CDU/CSU]: Sind Sie neidisch?) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
Der Punkt, den ich eigentlich für wichtig halte und gen! Meine Damen und Herren! Herr Röttgen hat nach
der hier angesprochen werden muss, betrifft die unter- der Kanzlerin, nach Herrn Struck und nach Herrn Scholz
schiedlichen Abstimmungen im Bund und in den die Koalitionsmitglieder zum x-ten Male beschworen:
Ländern. Es ist in meinen Augen eine sehr schwierige Stimmt ab und seht das große Ganze, das ist etwas Tol-
Argumentation, die Sie vorgetragen haben. Ich glaube les; denn wir verteilen die Machtverhältnisse in diesem
nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen, die sich da- Land richtig; überseht bitte die vielen kleinen Details
rüber Gedanken machen, das gut finden können. Hier und die vielen kleinen Fehler. Ich will, wenn ich es in
diskutiert jetzt das Verfassungsorgan Deutscher Bundes- meiner Redezeit von vier Minuten schaffe, noch ein hal-
tag. Dass andere Verfassungsorgane und Angehörige an- bes Dutzend Fehler hinzufügen, damit Sie, liebe Kolle-
derer Verfassungsorgane zu anderen Ergebnissen kom- ginnen und Kollegen von der Koalition, wissen, dass Sie
men können, halte ich für völlig normal. Ich sage für es in der Hand haben, einen richtig großen Fehler zu be-
uns, die wir regieren, voraus – das wissen auch Sie –: Es gehen oder ihn zu vermeiden.
wird verschiedene Länder geben, auch solche, die von
der SPD mitregiert werden, die sich anders verhalten Ich will eine Bemerkung zu dem großen Ganzen ma-
werden. Das ist bereits angekündigt worden. chen, das angeblich richtig ist. Sie, Herr Röttgen, tun so,
als ob das Wichtigste wäre, zu wissen, wer wo wann et-
Ich möchte ein Missverständnis nicht stehen lassen. was zu sagen hat. Nein, das Wichtigste ist, dass die Men-
Ich halte es für einen schweren Fehler, zu glauben, dass schen in diesem Lande frei leben und an dieser Gesell-
die verschiedenen Verfassungsorgane zwingend zu einer schaft teilhaben können. Das ist das Wichtigste. Das ist
parteipolitisch einheitlichen Haltung kommen müssen. das große Ganze, nicht die Verfassungsorgane.
Hier geht es zunächst einmal um das Verfassungsorgan (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag. Wenn wir der Meinung sind, dass
die Übertragung der Zuständigkeiten für den Strafvoll- Lassen Sie mich bitte zu den so genannten Details
zug ein Fehler ist, dann dürfen wir diese Meinung vertre- kommen. Vor drei Tagen hatte jeder von Ihnen vor dem
ten. Wenn ein Land froh darüber ist, die Zuständigkeiten Reichstagsgebäude die Möglichkeit, sich von ungefähr
zu erhalten, dann darf ich es dafür nicht in die Ecke stel- drei oder vier Dutzend Menschen mit Behinderung da-
len. Wenn ein Land Kompetenzen erhält, dann wird es rüber beraten zu lassen, welche Auswirkungen dieses Ge-
dem zustimmen. Ob wir klug beraten sind, diese Kompe- setz auf die behinderten Menschen haben wird. Die Re-
tenz abzugeben, wird man wohl noch bestreiten dürfen. gierung weiß es sogar selbst. Noch im März antwortete
4274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Dr. Ilja Seifert


(A) sie auf eine Anfrage bezüglich der Eingliederungshilfe Mittel- und langfristig wäre in Anbetracht zu erwar- (C)
– Zitat aus der Bundestagsdrucksache 16/808 –: tender unterschiedlicher Prioritätensetzung in den
Ländern die Gleichwertigkeit der Lebensverhält-
Eine Regionalisierung ohne bundeseinheitliche So- nisse für behinderte Menschen in Deutschland nicht
zialstandards ließe erhebliche Nachteile für hiervon mehr gewährleistet.
betroffene behinderte Menschen befürchten.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen außer: Nehmen Sie
(Joachim Stünker [SPD]: Die Standards blei- Ihre Verantwortung wahr und stimmen Sie gegen diese
ben ja! – Volker Kröning [SPD]: Daran ändert Verfassungsänderung!
sich gar nichts!)
Danke schön.
– Das wollen wir doch erst einmal sehen. – Es geht zum
(Beifall bei der LINKEN)
Beispiel darum, dass Barrierefreiheit in keiner einzigen
Landesbauordnung zwingend vorgeschrieben ist. Es ist
weder zwingend vorgeschrieben, den Neubau von Bar- Präsident Dr. Norbert Lammert:
rieren zu verhindern, noch ist zwingend vorgeschrieben, Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter
die bestehenden Barrieren abzubauen. Vorschriften gibt Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.
es nur für öffentliche Bauten. Lassen Sie uns darüber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
reden, warum im Behindertengleichstellungsgesetz ge- neten der SPD)
rade erst festgeschrieben worden ist, dass Barrierefrei-
heit wichtig ist.
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Ein weiterer Punkt, über den ich gerne reden möchte: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Warum gibt es in keinem einzigen Land eine einiger- Herren Kollegen! Die Rede vom Kollegen Seifert hat
maßen vergleichbare Regelung zu § 3 des Behinderten- deutlich gemacht, dass die Vorfrage jeder Diskussion um
gleichstellungsgesetzes, nach der Behindertenorganisatio- die Ordnung des Bundesstaates lautet: Stehen wir dem
nen Mitspracherechte in Bezug auf die Verkehrsführung Föderalismus positiv gegenüber oder sehen wir im Föde-
in den Städten und auf den Städtebau haben? Immer geht ralismus etwas Lästiges, das man nach Möglichkeit
es um die Abschaffung von Barrieren und Barrierefrei- weitgehend ausschalten soll?
heit. Aber nirgendwo ist eine derartige Regelung festge- Dass Ihre Partei, Herr Seifert, mit Föderalismus und
legt. Kein einziges Land hat dazu bisher entsprechende Dezentralisierung Probleme hat, ist mir angesichts der
Regelungen erlassen und sie werden es voraussichtlich Wurzeln, der Tradition Ihrer Partei – Politbüro und Zen-
auch in Zukunft nicht tun. tralkomitee – spätestens seit heute völlig klar.
(B) (D)
Ein anderer Punkt, über den ich reden möchte: Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
übertragen den Ländern die Kompetenz für das Heim- der SPD)
recht. Wir haben schon erste Erfahrungen gemacht.
Bayern verlangt, die Standards in Heimen zu senken. Ein Grund für die politische und für die gesellschaftli-
Das heißt, dass es in Zukunft wieder mehr Mehrbettzim- che Stabilität in diesem Land ist, dass wir uns bemühen,
mer geben wird. Anstatt – das brauchen wir wirklich – den Menschen Entscheidungsebenen und Entschei-
die ambulanten Strukturen zu stärken, wird mehr in Be- dungsbefugnisse möglichst nahe zu bringen. Ich glaube,
ton und weniger in ambulante Strukturen investiert, die dass die Länder dabei eine ganz wichtige Funktion ha-
wirklich funktionieren. Die Menschen werden sich in ben.
Mehrbettzimmern in Betonklötzen wiederfinden, weil
das angeblich billiger ist. Lassen Sie uns auf diesem Ge- Präsident Dr. Norbert Lammert:
biet über Teilhabe, Freiheit und über das, was im Lande Herr Kollege Friedrich, gestatten Sie eine Zwischen-
wirklich wichtig ist, reden! Das möchte ich nicht aufge- frage des Kollegen Seifert?
ben.
Der letzte Punkt, den ich in meiner kurzen Redezeit Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
noch ansprechen kann: Alle finden das persönliche Bud- Herr Präsident, ich mache mich lieber bei diesem
get, das Menschen mit Behinderungen zukünftig die Kollegen unbeliebt als beim ganzen Rest. Ich gestatte
Teilhabe sichern soll, ganz toll. Wenn es in jedem Land jetzt keine Zwischenfragen.
andere Formulare geben wird, was macht dann jemand, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der sich die Freiheit nimmt, von Bremerhaven nach Nie- der SPD)
dersachsen umzuziehen? Er muss in Zukunft erst eine
andere Behördensprache lernen. Möglicherweise muss Der Bürger schätzt regional überschaubare Struk-
er erst einmal ein Formular beantragen, damit er ein For- turen. Er schätzt es nicht, wenn er aus dem fernen Berlin
mular beantragen darf. All das gibt es schon. oder gar aus dem fernen Brüssel regiert wird. Deswegen
ist es richtig, dass die Länder in dieser Republik eine ei-
Ich zitiere abschließend noch einmal die Bundesre- gene Staatlichkeit haben und dass wir mit dieser Reform
gierung, damit Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von auch die Staatlichkeit unserer Bundesländer stärken.
der Koalition, wissen, dass Sie sehenden Auges Fehler Umgekehrt gilt: Wo unserer Auffassung nach bundesein-
begehen. Die Bundesregierung schrieb in der Antwort heitliche Regelungen erforderlich sind, ist der Bund zu-
auf die gestellte Frage weiter: ständig, ohne durch Beteiligungsrechte der Länder über-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4275
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
(A) mäßig gestört zu werden. Beide Ziele werden erreicht. übrigens auch die Verantwortung der Länder für die (C)
Hier hat jemand zu Recht gesagt: Es gewinnen die Parla- Kommunen.
mente in diesem Land, und zwar die Parlamente auf
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Bundesebene und die Parlamente auf Landesebene. Das
der SPD)
ist der Kern der Reform
Diese Länderverantwortung beinhaltet Rechte und
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Pflichten. Zu den Pflichten gehört selbstverständlich
der SPD)
auch die Finanzausstattung der Kommunen. Ich sehe in
Wir verbinden mit dieser Reform Effizienz und der neuen Formulierung zum Schutz der Kommunen im
Transparenz. Das ist ein persönlicher und politischer Er- Übrigen auch – lassen Sie mich das an dieser Stelle sa-
folg derjenigen, die sich diesem Problem in unendlich gen – einen Handlungsauftrag zur Überprüfung, ob die
vielen Stunden gewidmet haben: Edmund Stoiber und bestehenden Bundesgesetze für die Kommunen unzu-
Franz Müntefering. Ihnen unser herzlicher Dank und mutbare Kosten mit sich bringen und ob wir möglicher-
Glückwunsch zu diesem großartigen Erfolg. weise Entlastungen für die Kommunen schaffen können.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Lassen Sie mich etwas zur Abweichungsgesetz-
der SPD) gebung sagen. Es ist ein Instrument, das scheinbar un-
lösbare Konflikte auflöst. Der erste Konflikt besteht da-
Man sollte noch einmal Folgendes sagen: Die Tren- rin, dass der Bund in bestimmten Materien eine
nungslinie zwischen dem, was die Länder entscheiden Vollkompetenz haben möchte, obwohl die Länder dort
sollen, und dem, was der Bund entscheiden soll, ist keine heute Gestaltungsrechte haben und man diese Gestal-
Abgrenzung zwischen Wichtigem und Unwichtigem tungsrechte der Länder nicht abschaffen will. Das ist ein
nach dem Motto: Was unwichtig ist, das können die Län- Konflikt, den es aufzulösen galt. Dabei ging es nicht da-
der machen, was wichtig ist, das macht der Bund. Diese rum, eine verfassungsästhetische Hochreckveranstaltung
Trennungslinie verläuft vielmehr folgendermaßen: Dort, durchzuführen, sondern es ging darum – das sage ich in
wo die Materie verlangt, dass regionalspezifisch, flexi- Richtung von Frau Künast, die das vorhin kritisiert hat –,
bel und nah am Menschen entschieden und auf spezifi- bei der Verfassungsänderung auch die Verfassungswirk-
sche Situationen eingegangen wird, müssen die Länder lichkeit zu berücksichtigen – so wie bei jeder Gesetzes-
entscheiden. änderung auch die Rechtswirklichkeit zu berücksichti-
Ich halte es für richtig, dass die in den Ländern vor- gen ist – und dieser Verfassungswirklichkeit gerecht zu
handenen Gestaltungsmöglichkeiten einen Wettbewerb werden.
um die beste, modernste und zielführendste Antwort auf Ich halte es für ungerecht und auch für falsch, wenn
(B) Probleme herbeiführen. Ich werde nicht verstehen – ich (D)
der Vorwurf erhoben wird, die Abweichungsmöglichkeit
will es auch nicht akzeptieren –, warum die Idee des der Länder würde zu einer Unterschreitung oder Absen-
Wettbewerbsföderalismus abqualifiziert und als Klein- kung der bundesrechtlich gesetzten Standards führen;
staaterei, als Zersplitterung oder als Spirale nach unten das ist immer wieder zu hören. Erstens gibt es in den
diskreditiert wird. Ich glaube, dass der Wettstreit um die Rechtsmaterien, in denen abgewichen werden kann, ab-
beste Lösung etwas ist, was unser Land insgesamt vo- weichungsfeste Kerne. Zweitens gibt es zu diesen Mate-
ranbringt. Man hat ideologische Motive, wenn man rien eine verbindliche europäische Rechtssetzung. Auch
Wettbewerb und Solidarität gegeneinander ausspielt. Ein die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ist zu be-
solches Spannungsverhältnis, einen solchen Gegensatz rücksichtigen. Das wichtigste Argument – das ist das
gibt es nämlich überhaupt nicht. dritte – lautet: Die Wählerinnen und Wähler, die den Bun-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) destagsabgeordneten oder die Bundestagsabgeordnete
wählen, sind dieselben, die auch die Landtagsabgeordne-
Ich behaupte, dass die Subsidiarität und der Föderalis- ten wählen. Sie haben an die Landtagsabgeordneten die-
mus die Akzeptanz der Wähler im Hinblick auf getrof- selben Erwartungen wie an die Bundestagsabgeordne-
fene politische Entscheidungen erhöhen. Unsere Reform ten.
wäre auch für die Europäische Union eine Handlungsan-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
leitung. Vielfalt statt Einheitsbrei, Freiheit statt Regle-
neten der SPD)
mentierung wären der bessere Weg zu einem gemeinsa-
men Europa. Wenn Demokratie funktioniert, dann kann ein Landtag
von den Standards, die auf Bundesebene gesetzt worden
Ein Ausdruck von Subsidiarität und Dezentralisie-
sind, gar nicht so gravierend abweichen. Ich glaube im
rung ist übrigens auch der hohe Stellenwert, den wir un-
Übrigen nicht, dass eine Abweichung in großem Stil
seren Kommunen – auch über unsere Verfassung, das
stattfinden wird.
Grundgesetz – einräumen. Bereits die jetzt geltende Fas-
sung des Grundgesetzes schützt die kommunale Eigen- Es gibt einen zweiten Konflikt, der mit dieser Abwei-
ständigkeit. Wir fügen einen neuen Baustein, einen chungsgesetzgebung gelöst wird. Einige Länder können
neuen Schutzfaktor hinzu: Aufgaben dürfen auf die Ge- sich durchaus vorstellen, mit sehr weit gehenden Bun-
meinden durch Bundesgesetz nicht übertragen werden. desregelungen zu leben. Das eine oder andere Land ist
Ich glaube, das ist ein wichtiges politisches Signal an un- vielleicht auch ganz froh darüber, wenn der Bund in ei-
sere Kommunen, an unsere Kommunalpolitiker, an die ner Materie Regelungen vorgibt, um sozusagen die eige-
Mandatsträger in den Städten und Gemeinden. Es stärkt nen Gesetzgebungskapazitäten für anderes zu schonen.
4276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)


(A) Überhaupt hat die Ausübung der Staatlichkeit etwas mit Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): (C)
der Leistungsfähigkeit des einzelnen Bundeslandes zu Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach
tun. Diesem Thema – das ist heute oft genug gesagt wor- 15 Vorrednern und eine Viertelstunde vor der Abstim-
den – werden wir uns widmen müssen. Wenn diese Fö- mung an einem Tage wie heute, wo alle auf das Fußball-
deralismusreform umgesetzt ist, werden wir das Thema spiel warten, als Redner auftreten zu müssen, ist weiß
der Finanzbeziehungen der Länder und der Sicherstel- Gott keine besonders veritable Position.
lung der Leistungsfähigkeit angehen.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Was Herr Westerwelle heute behauptet hat – Herr NEN]: Dann lassen Sie es doch!)
Stoiber und Herr Müntefering hätten die Finanzbezie-
Selbst einem begeisterungsfähigeren Redner würde es
hungen aus dem Auftrag der Föderalismuskommission
wohl kaum gelingen, die Aufmerksamkeit des gesamten
herausgenommen –, ist schlichtweg falsch. Wahr ist,
Auditoriums zu finden. Mal sehen, ob es mir gelingt.
dass der Einsetzungsbeschluss dieses Hauses, gefasst
auch mit den Stimmen der FDP, dies ausdrücklich ausge- Mir fällt auf, dass sich ein Punkt bei der ganzen Kritik
schlossen hat. an dieser Reform gleichsam wie ein roter Faden durch-
zieht, nämlich der Argwohn gegenüber den Fähigkeiten
(Beifall bei der CDU/CSU) der Länder. Alle singen das Hohelied auf den Föderalis-
Insofern ist diese Reform heute Voraussetzung für mus, aber viele sprechen zugleich von Kleinstaaterei,
weitere Stufen der Neuordnung der bundesstaatlichen Zwergstaaterei, Separatismus und Landesfürsten. Der
Ordnung. Deswegen ist diese Reform heute nicht nur die Höhepunkt war Ihr Ausdruck „der Alpendespot“, Herr
Mutter aller Reformen, sondern sogar die Mutter aller Wieland.
künftigen Verfassungsreformen. Auch unter diesem As- (Zuruf von der CDU/CSU: Das war gemein!)
pekt bitte ich das zu sehen. Ich kann nicht akzeptieren,
dass die FDP, obwohl in der Opposition, das Ganze jetzt Wer eine solche Synonymisierung vornimmt, der sollte
als ein tagespolitisches Ereignis sieht. Ich denke, dass doch so ehrlich sein, zu sagen, dass ihm ein Zentralstaat
die Tragweite dieser Reform von national außerordentli- am liebsten sei. Das wäre wenigstens ehrlich.
cher Bedeutung ist und nicht im tagespolitischen Oppo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
sitionsgehabe untergehen darf. neten der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Stünker hat zu Recht an das erinnert, was einer
der Verfassungsrechtler sehr schön sagte: Selbst wenn
Deswegen sage ich: Wer eine weitere Modernisierung wir mit der Crème de la Crème der deutschen Verfas-
(B) der bundesstaatlichen Ordnung verlangt – wie das die sungsrechtlerschaft das Grundgesetz änderten, würde (D)
FDP tut –, der hat das Recht, diese Forderung zu erhe- das auch nicht überall auf fruchtbaren Boden fallen und
ben, verloren, wenn er gleichsam die Voraussetzung da- unisono Zustimmung finden.
für, dass dies erreicht werden kann, heute ablehnt. Ich
appelliere deswegen an die FDP und an die vernünftigen Ehe Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, hier nun
Teile der Grünen, der Reform ihre Stimme zu geben. endgültig wegzusacken drohen, möchte ich Ihnen bezüg-
Wenn man behauptet, dass man sozusagen nur unglück- lich der von Ihnen geäußerten Angst, dass bei einer
licherweise in der Opposition, aber eigentlich regie- Grundgesetzänderung das Bundesverfassungsgericht
rungsfähig ist, dann muss man diese Regierungsfähig- entscheiden wird und ein Tummelplatz für Juristen ent-
keit beweisen, wenn es um eine nationale Reform dieses steht, sagen: Selbst wenn wir die Viehhauptmängelver-
Ausmaßes geht. ordnung oder das Viehseuchengesetz ändern würden,
würden sich Rechtswissenschaftler auf den Plan gerufen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und fühlen, dazu etwas zu schreiben. Wozu, wenn nicht bei
der SPD) einer Änderung des Grundgesetzes, sollte das Bundes-
Das Land muss beweisen, dass wir in der Lage sind, verfassungsgericht irgendwann einmal etwas sagen?
mutig und entschlossen die Herausforderungen der Zu- Aber aus Angst vor dem Tode begehen wir noch keinen
kunft anzunehmen. Heute ist der Tag, den Beweis dafür Selbstmord.
zu erbringen, dass wir alle gemeinsam in diesem Haus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
dazu in der Lage sind. Ich bitte deswegen um Zustim- neten der SPD)
mung zu dieser Reform.
Meine Damen und Herren, sieben Minuten reichen
Vielen Dank. natürlich nicht, um stakkatohaft in Form einer Digesten-
exegese jeden einzelnen Artikel abzuklopfen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Das haben die Kollegen auch
schon gemacht!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Jürgen Gehb, CDU/ Auf die Regelung zum Strafrecht und alles Mögliche
CSU-Fraktion. andere wurde eingegangen. Ich möchte einen Punkt he-
rausgreifen, den Sie, Herr Wieland, noch in der letzten
(Beifall bei der CDU/CSU) Rechtsausschusssitzung angesprochen haben. Ansonsten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4277
Dr. Jürgen Gehb
(A) kam ja in den beiden Rechtsausschusssitzungen von Ih- Wenn das noch mit Vokabeln wie „Schäbigkeitswett- (C)
rer Fraktion wie auch von den Linken wenig. lauf“ versehen wird, dann hat man den Eindruck, dass
wir, wenn der Strafvollzug auf die Länder übergeht, in
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- archaische Zeiten wie bei Ben Hur zurückfallen: Die
NEN]: So ein Schmarrn!) Sträflinge sitzen unten in der Galeere angekettet, wäh-
Das sage ich, obwohl ich die Linken sonst nicht einmal rend oben unser Justizminister Jürgen Banzer mit der
ignoriere. Sie hatten ja aus Angst, dass wir in die Sache Trommel den Takt angibt. Meine Damen und Herren von
eintreten, so den Schweiß auf der Stirn stehen wie der der Opposition, angesichts einer solchen Argumentation
Hypochonder, der freitags zum Arzt geht und Angst hat, muss ich Ihnen sagen: Sie sind ja verrückt geworden.
dass er für Montag gesundgeschrieben wird. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Da wir kurz vor dem Beginn des Viertelfinales stehen
NEN]: Wir haben das durchgesetzt! Sie woll- und heute schon aus dem reichhaltigen Reservoir der
ten sich vom Acker machen!) Fußballsprache Metaphern genommen haben: Wenn die
Nehmen wir einmal das Versammlungsrecht. Herr Linke, die ich, wie gesagt, sonst noch nicht einmal igno-
Wieland und die Grünen haben vorgetragen, es sei un- riere – Herr Ramelow, aufgewacht! –,
möglich, die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht (Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Ich höre Ihnen
den Ländern zu geben; es handele sich hier ja nicht um zu!)
eine Materie des Polizei- und Ordnungsrechtes. Dazu
sage ich Ihnen: Das Versammlungsrecht bzw. die Ver- lediglich in der Aufwärmphase ihren Spielführer, den so
sammlungsfreiheit ist bereits grundgesetzlich verbrieft. sehr geeigneten Bundesrichter a. D. Nešković, zu den
In § 15 des Versammlungsgesetzes lesen Sie Folgendes: Obleutegesprächen schickt, aber in der Hauptspielphase
Herrn Ramelow einwechselt, weil auf einem anderen
Die zuständige Behörde Spielfeld, im Untersuchungsausschuss, medienträchtiger
– das ist übrigens regelmäßig der Oberbürgermeister einer Meriten zu verdienen sind, und wenn man sieht, dass die
kreisfreien Stadt oder der Landrat eines Landkreises – Besetzung der Linken in den Rechtsausschusssitzungen
immer dürftiger wird und dass die Rechtsstudentin
kann die Versammlung … verbieten oder von be- Dagdelen dasitzt, ohne auch nur piep zu sagen, dass
stimmten Auflagen abhängig machen, wenn … dann Herr Ramelow kommt und uns erzählen will, wie
das Grundgesetz zu ändern ist, und dass Sie an die Nach-
– jetzt schön lauschen – spielzeit große Hoffnungen knüpfen, dann stellt sich die
(B)
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung … unmit- Frage, wer noch kommen soll. Schon in der Vorspielzeit (D)
telbar gefährdet ist. hat Herr Nešković den Bettel hingeschmissen und in der
Hauptspielzeit ist Herr Ramelow gekommen. Wollen Sie
Meine Damen und Herren, jeder von Ihnen, der wäh- uns in der Nachspielzeit vielleicht noch irgendeinen an-
rend seines Jurastudiums nicht immer dann im deren Rumpelfüßler bieten?
Schwimmbad gewesen ist, wenn das öffentliche Recht
behandelt wurde, weiß, dass öffentliche Sicherheit und (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)
Ordnung genuin zum Länderrecht gehören und Teil des Wer nach sieben Tagen Anhörung – das sind etwa
Polizei- und Ordnungsrechtes sind. 56 Stunden – behauptet, wir wollten das durchpeitschen,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und wer glaubt, dass wir hier nur ein Schaulaufen veran-
neten der SPD) staltet haben, der ärgert sich darüber, dass wir ergebnis-
offen diskutiert und viele Änderungen vorgenommen ha-
Bei Ihnen paaren sich also Unwilligkeit und Sachun- ben. Übrigens, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie
kunde in geradezu idealtypischer symbiotischer Form. haben in der Rechtsausschusssitzung am vergangenen
Mittwoch gesagt, selbst Sachverständige der Union hät-
Das zeigt sich auch noch an anderen Dingen. Wenn ten Kritik geäußert. Gnädige Frau, liebe Kollegin, bei Ih-
von Zuständigkeit der Länder gesprochen wird, spre- nen mag das vielleicht anders sein, aber wir bestellen nur
chen einige von Ihnen sofort von Ministerpräsidenten, die Sachverständigen und nicht gleich das Ergebnis mit.
Landesfürsten oder gar Landesregierungen. Sind Sie
schon einmal auf die Idee gekommen, dass der Adressat (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so-
der Verlagerung der Zuständigkeit auf die Länder nicht wie bei Abgeordneten der SPD)
die Exekutive ist, sondern die Landesparlamente? Die
dortigen Abgeordneten – sie heißen nicht Bundestagsab- Nachdem heute so viel Dank an Herrn Müntefering
geordnete, weil es dort keinen Bundestag gibt, sondern und Herrn Stoiber, an alle – mit Verlaub – Großkopfer-
Landtagsabgeordnete, weil es dort Landtage gibt – ha- ten, ausgesprochen wurde, möchte ich den Subalternen
ben keine geringere demokratische Legitimation als wir. einen Dank aussprechen, die diesem Parlament eine Pre-
Jeder, der glaubt, dass die Länder das, was wir können, miere ermöglicht haben: sieben Tage Anhörung! Der
nicht können, zeigt damit nur seine blanke Hybris. Rechtsausschuss sowie alle Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter haben mit geradezu forensischer Akribie das
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Verfahren durchgezogen. Ich erlaube mir an dieser
neten der SPD) Stelle, zwei Personen namentlich herauszustellen.
4278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: bar. Das haben auch die Sachverständigen so gesehen. (C)
Das geht kaum, weil Sie das außerhalb Ihrer Redezeit Ich zitiere:
tun müssten. Ich möchte Sie ausdrücklich loben für das, was hier
vorgelegt wurde: Das ist wesentlich mehr, als ich
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): mir persönlich erwartet habe, nachdem die Födera-
Das geht doch. – Das sind Andreas Schmidt und Herr lismuskommission ihre Arbeit damals eingestellt
Stegner, der Kovorsitzende. Sie haben die Sitzungen hatte. Das Vorliegende ist sehr gut.
glänzend geleitet und dazu beigetragen, dass die Anhö- So Professor Homburg, Uni Hannover.
rung ein Erfolg wurde.
Oder:
Herzlichen Dank.
Wir sind froh, dass Sie dieses Paket geschnürt ha-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ben. Wenn man das gelesen hat, dann kann man nur
neten der SPD) sagen, dass das, was jetzt auf dem Tisch liegt, toll
ist. Das sollte man auch nicht zerreden.
Präsident Dr. Norbert Lammert: So der Bundesrechnungshof.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erbitte nun Ihre (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Aufmerksamkeit für die letzte Rednerin in dieser De- der SPD)
batte. Das ist die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-
Fraktion. Die Aussage, die Finanzverfassung sei nicht angepasst
worden, ist schlichtweg falsch. Gerade aus diesem
(Beifall bei der CDU/CSU) Grund bedaure ich, liebe Kollegen von der FDP, dass Sie
nicht zur Haushaltskonsolidierung beitragen.
Antje Tillmann (CDU/CSU): Im Einzelnen. Erstens. Bund und Länder haben end-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir lich die Verantwortung für die Einhaltung des 3-Pro-
haben nun ziemlich genau vier Stunden über die Neuord- zent-Maastrichtkriteriums gemeinsam bestätigt. Erst-
nung der föderalen Ordnung unseres Landes gesprochen. malig haben die Länder sich bereit erklärt, zu dieser
Ich freue mich, dass diese Debatte sachgerecht, sachlich Verantwortung zu stehen und eine eventuelle Strafzah-
und – teilweise mehr, teilweise weniger – erheiternd ge- lung mit dem Bund gemeinsam zu tragen. Viel wichtiger
führt wurde. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der aber ist, dass die drohende Strafzahlung dazu geführt
FDP und den Grünen, ich hatte in der Debatte nicht den hat, dass beide, Bund und Länder, sich darauf verstän-
(B) Eindruck, dass Ihre Rednerinnen und Redner bislang digt haben, bei der Haushaltskonsolidierung des Ge- (D)
nicht genügend Zeit gehabt hätten, sich sachlich mit der samtstaates zusammen zu wirken.
Diskussion auseinander zu setzen.
Punkt zwei. Die Bundesfinanzhilfen zeitlich zu be-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) fristen, ist eine ganz alte Forderung der FDP. Durch die
Einigung darauf können Hilfen des Bundes zu ihrer ur-
Das eine oder andere in Ihren Reden war durchaus sprünglichen Zweckbestimmung, nur vorübergehend
bedenkenswert, allerdings nicht so neu, dass wir unser Aufgaben der Länder zu finanzieren, eingesetzt werden.
Abstimmungsverhalten hätten ändern müssen. Die Ge- Bei dauerhafter Veränderung des Finanzbedarfs werden
schäftsordnungsdebatte heute Morgen war ebenfalls wir zum Deckungskostenprinzip zurückkehren.
nicht zielführend.
Punkt drei; eine ganz wichtige Forderung der Unter-
Wir können heute abstimmen, weil wir uns seit zwei nehmen und Verbände. Bund und Länder haben sich auf
Jahren sehr intensiv mit diesem Thema befassen, zuerst eine Effektivierung der Steuerverwaltung geeinigt.
15 Monate in der Kommission und dann in allen Aus- Das spart Geld, Zeit und Bürokratie. Auch hier wollen
schüssen und in der Anhörung. Lieber Kollege Sie nicht mitmachen, obwohl das eine alte Forderung
Burgbacher, dass Sie heute auf die Idee kommen, diesem von Ihnen ist.
Vorhaben gerade aus finanzpolitischen Gründen nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
zustimmen zu können, weil der Länderfinanzausgleich der SPD)
ausgeschlossen worden sei, ist nicht ganz glaubhaft;
denn 15 Monate haben Sie sehr intensiv und konstruktiv Viertens. Einen ganz entscheidenden Durchbruch ha-
in der Kommission mitgearbeitet und manche Nacht ha- ben wir für die Kommunen errungen. Liebe Kolleginnen
ben wir gemeinsam versucht, Lösungen zu finden. Da und Kollegen von den Grünen, Sie haben einen Antrag
finde ich es ein bisschen eigenartig, dass Sie heute keine zur Unterstützung der kommunalen Selbstverwaltung
Lust mehr haben, weiterzumachen. gestellt, machen aber in diesem Punkt, der für die Kom-
munen der wichtigste ist, nicht mit. Wir werden dem-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nächst in unserer Verfassung de facto ein Konnexitäts-
prinzip für die Kommunen haben. Das wird in Euro
Im Übrigen halte ich auch das Argument für falsch,
aufrechenbar eine Hilfe für die Kommunen sein, weil
wir hätten den Finanzbereich komplett ausgeschaltet.
derjenige, der Wohltaten vollbringen will, vorher auch
Wir haben sehr intensiv über den Finanzbereich beraten
für das Geld sorgen muss.
und im Sinne der Haushaltskonsolidierung durch Bund
und Länder sind die erreichten Punkte durchaus vorzeig- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4279
Antje Tillmann
(A) Das ist eine ganz wichtige Forderung der Kommunen, Ich halte diese Entkopplung auch gegenüber den Bür- (C)
aber Sie machen hier nicht mit. Ich weiß nicht, ob wir gerinnen und Bürgern für absolut erforderlich; denn die
über Ihren Antrag wirklich weiter diskutieren sollten. Bürgerinnen und Bürger haben sich von uns schon so oft
anhören müssen, dass dieses oder jenes nicht verabschie-
Es gab einen Punkt aus dem Bereich Finanzbeziehun- det werden konnte, weil der Bundesrat nicht mitziehen
gen, der in der Öffentlichkeit sehr intensiv diskutiert wollte oder weil der Bundesrat die Verantwortung dem
wurde: das Problem des Zusammenwirkens von Bund Bundestag zuweist. Solche Schuldzuweisungen wird es
und Ländern in den Bildungsfragen. Liebe Kolleginnen künftig in einem weitaus geringeren Umfang geben. Das
und Kollegen, da sollten wir uns einmal kurz die aktuelle ist wichtig für die Bürgerinnen und Bürger, das ist ein
Verfassungslage zu diesem Punkt anschauen. Auch bis- Schritt zu mehr Demokratie und Transparenz und das ist
her war es nach unserer Verfassung gar nicht möglich, ein ganz wesentlicher Punkt, warum wir die Föderalis-
ein Ganztagsschulprogramm verfassungsgemäß aufzu- musreform heute auf den Weg bringen sollten.
legen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) neten der SPD)
In der Anhörung ist bestätigt worden, dass das, was da
verabredet wurde, eindeutig verfassungswidrig war. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Genau!)
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Es hat nur leider keinen Kläger gegen dieses Programm
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
gegeben. Aber so sollten wir mit unserer Verfassung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-
nicht umgehen.
zes auf Drucksache 16/813. Hierzu liegen eine ganze
(Jörg Tauss [SPD]: Was heißt hier „leider“? Ein Reihe von persönlichen Erklärungen zur Abstimmung
bisschen mehr Zurückhaltung bitte!) vor, die nach dem bewährten Verfahren dem Protokoll
beigefügt werden.1)
An dem Tatbestand der Unzulässigkeit ändert das, was
wir heute beschließen werden, nichts, Herr Kollege Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
Tauss; da können Sie sich aufregen, wie Sie wollen. Es schlussempfehlung auf Drucksache 16/2010, den Ge-
bleibt dabei, dass unsere Verfassung die Bildungsfragen setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
den Ländern zuweist. Hierzu liegen insgesamt sieben Änderungsanträge der
Fraktion der FDP sowie sechs Änderungsanträge der
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Interfrak-
(B) Tauss [SPD]: Keine Provokation jetzt!) (D)
tionell ist vereinbart, dass zuerst über die fünf Ände-
Ich will aber gar nicht verhehlen, dass ich froh bin, rungsanträge abgestimmt wird, zu denen namentliche
dass wir das Zusammenwirken von Bund und Ländern in Abstimmung verlangt wurde.
den Hochschulfragen noch in den letzten Tagen verän- Wir führen jetzt also zunächst diese fünf namentlichen
dert haben. Es ist richtig, dass der Bund und die Länder Abstimmungen nacheinander durch. Selbstverständlich
auch weiterhin in der Hochschulförderung zusammen- werden die anderen Änderungsanträge anschließend im
arbeiten. Aber ich finde es ebenso richtig, dass hier bei üblichen Verfahren zur Abstimmung gestellt. Ich bitte
den Ländern das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Liebe Kol- Sie, bei den Abstimmungen diesmal besonders sorgfältig
leginnen und Kollegen, die auch für den Haushalt ab und darauf zu achten, dass die Stimmkarten Ihren Namen tra-
zu ein Auge haben: Wir müssen dafür sorgen, dass die gen und dass Sie nur Ihre Karte in die dafür vorgesehe-
Länder sich nach der Änderung der Verfassung nicht mit nen Abstimmungskästen werfen.
ihrem Eigenanteil aus der Hochschulbauförderung zu-
rückziehen und im nächsten Schritt vom Bund zusätzli- Wir kommen nun zur ersten namentlichen Abstim-
ches Geld für Hochschulen fordern. Deshalb finde ich es mung. Hier handelt es sich um den Änderungsantrag der
gut, dass die Länder – denen ich dafür danke – jetzt sel- FDP auf Drucksache 16/2046. Es geht um das Konnexi-
ber die Selbstverpflichtung gefordert haben und dass sie tätsprinzip.
auch gegenseitig darauf achten, dass die Haushaltsdiszi- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
plin eingehalten wird. Das ist unser gemeinsames Ziel, vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir ein Zeichen
das durch die heutige Verfassungsänderung dokumen- zu geben, wenn wir mit der Abstimmung beginnen kön-
tiert wird. nen. – Die Abstimmung ist eröffnet.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich mache darauf aufmerksam, dass wir alle fünf na-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin wie einige mentlichen Abstimmungen hintereinander durchführen.
meiner Vorredner der festen Überzeugung, dass die Kol- Es möge sich bitte niemand in der Zwischenzeit irgend-
leginnen und Kollegen in den Landtagen ihre Aufgaben welchen vermeintlich noch dringenderen Geschäften zu-
genauso verantwortlich erledigen, wie wir es für uns in wenden und sich anschließend darüber beklagen, er habe
Anspruch nehmen. Die Kollegen in den Landtagen sind eine nicht absehbar schnelle weitere Abstimmung ver-
genauso engagiert und genauso verantwortungsbewusst, passt.
wie wir es sein wollen. Deswegen finde ich es richtig,
dass wir die Zuständigkeiten entkoppeln. 1) Anlagen 8 bis 18
4280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Gibt es jemanden, der seine Stimmkarte noch nicht ab- Haben wir an allen Positionen entleerte Urnen? – Wir (C)
gegeben hat? – Dann schließe ich jetzt die erste namentli- kommen zur dritten namentlichen Abstimmung. Hierbei
che Abstimmung und bitte gleichzeitig, die zweite vorzu- geht es um den Änderungsantrag der Fraktion des Bünd-
bereiten, damit wir diese schnell anschließen können. nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2063 zur Ge-
setzgebungskompetenz für den Strafvollzug.
Wir kommen nun zur zweiten namentlichen Abstim-
mung. Hier handelt es sich um einen Änderungsantrag Ich eröffne den dritten Abstimmungsvorgang.
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/2062 zur Gesetzgebungskompetenz im Um- Ist jemand anwesend, der seine Stimmkarte für den
weltbereich. Sind alle Abstimmungsplätze mit Schrift- dritten Abstimmungsvorgang noch nicht abgegeben
führern besetzt? – Das ist offensichtlich der Fall. Ich er- hat? – Ich schließe die dritte namentliche Abstimmung.2)
öffne die zweite namentliche Abstimmung.
In der Zeit, die für die Bereitstellung der Urnen für den
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar- vierten Abstimmungsvorgang benötigt wird, gebe ich Ih-
ten abgegeben? – Ermutigt durch einzelne Fraktionsvor- nen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
sitzende frage ich jetzt noch einmal, ob es jemanden ermittelte Ergebnis der ersten namentlichen Abstim-
gibt, der seine Karte noch nicht abgegeben hat. – Nun mung mit – mit herzlichem Dank an die Schriftführerin-
traut sich niemand mehr. Dann schließe ich den zweiten nen und Schriftführer –: Abgegebene Stimmen 595. Mit
Wahlgang. Wir werden gleich den dritten Wahlgang an- Ja haben gestimmt 109, mit Nein haben gestimmt 484,
schließen; parallel dazu werden die Stimmen dieses zwei haben sich enthalten. Damit ist der Änderungs-
Wahlgangs ausgezählt.1) antrag abgelehnt.

1) Ergebnis Seite 4284 C 2) Ergebnis Seite 4287 A

Endgültiges Ergebnis Dr. Heinrich L. Kolb Karin Binder Paul Schäfer (Köln)
Abgegebenen Stimmen: 595; Hellmut Königshaus Dr. Lothar Bisky Dr. Herbert Schui
davon Gudrun Kopp Heidrun Bluhm Dr. Ilja Seifert
Jürgen Koppelin Eva Bulling-Schröter Dr. Petra Sitte
ja: 109
Heinz Lanfermann Dr. Martina Bunge Frank Spieth
nein: 484 Sibylle Laurischk Roland Claus
(B) Dr. Kirsten Tackmann (D)
enthalten: 2 Harald Leibrecht Sevim Dagdelen Dr. Axel Troost
Ina Lenke Dr. Diether Dehm Alexander Ulrich
Ja Sabine Leutheusser- Werner Dreibus Jörn Wunderlich
Schnarrenberger Dr. Dagmar Enkelmann Sabine Zimmermann
SPD Michael Link (Heilbronn) Klaus Ernst
Markus Löning Wolfgang Gehrcke fraktionslos
Rolf Stöckel Diana Golze
Horst Meierhofer
Dr. Gregor Gysi Gert Winkelmeier
Patrick Meinhardt
FDP Heike Hänsel
Jan Mücke
Jens Ackermann Burkhardt Müller-Sönksen Lutz Heilmann Nein
Dr. Karl Addicks Hans-Joachim Otto Hans-Kurt Hill
Christian Ahrendt (Frankfurt) Cornelia Hirsch CDU/CSU
Daniel Bahr (Münster) Cornelia Pieper Inge Höger-Neuling
Dr. Barbara Höll Ulrich Adam
Uwe Barth Gisela Piltz
Ulla Jelpke Ilse Aigner
Rainer Brüderle Jörg Rohde
Dr. Lukrezia Jochimsen Peter Albach
Angelika Brunkhorst Frank Schäffler
Ernst Burgbacher Dr. Hakki Keskin Peter Altmaier
Dr. Konrad Schily Thomas Bareiß
Patrick Döring Marina Schuster Katja Kipping
Mechthild Dyckmans Monika Knoche Norbert Barthle
Dr. Max Stadler Dr. Wolf Bauer
Jörg van Essen Dr. Rainer Stinner Jan Korte
Ulrike Flach Katrin Kunert Günter Baumann
Carl-Ludwig Thiele
Paul K. Friedhoff Oskar Lafontaine Ernst-Reinhard Beck
Florian Toncar (Reutlingen)
Horst Friedrich (Bayreuth) Christoph Waitz Michael Leutert
Dr. Edmund Peter Geisen Ulla Lötzer Veronika Bellmann
Dr. Guido Westerwelle Dr. Christoph Bergner
Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch
Miriam Gruß Ulrich Maurer Otto Bernhardt
Dr. Volker Wissing Clemens Binninger
Joachim Günther (Plauen) Dorothee Menzner
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Dr. Christel Happach-Kasan Kornelia Möller Carl-Eduard von Bismarck
Martin Zeil
Heinz-Peter Haustein Kersten Naumann Renate Blank
Elke Hoff Wolfgang Nešković Peter Bleser
DIE LINKE
Birgit Homburger Dr. Norman Paech Antje Blumenthal
Dr. Werner Hoyer Hüseyin-Kenan Aydin Bodo Ramelow Dr. Maria Böhmer
Michael Kauch Dr. Dietmar Bartsch Elke Reinke Jochen Borchert
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4281
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Wolfgang Börnsen Dr. Peter Jahr Beatrix Philipp Willi Zylajew (C)
(Bönstrup) Dr. Hans-Heinrich Jordan Ronald Pofalla
Wolfgang Bosbach Andreas Jung (Konstanz) Ruprecht Polenz SPD
Klaus Brähmig Dr. Franz Josef Jung Daniela Raab
Bartholomäus Kalb Thomas Rachel Dr. Lale Akgün
Michael Brand
Hans-Werner Kammer Hans Raidel Gregor Amann
Helmut Brandt
Steffen Kampeter Dr. Peter Ramsauer Gerd Andres
Dr. Ralf Brauksiepe
Alois Karl Peter Rauen Niels Annen
Monika Brüning
Bernhard Kaster Eckhardt Rehberg Ingrid Arndt-Brauer
Georg Brunnhuber
Siegfried Kauder (Villingen- Katherina Reiche (Potsdam) Rainer Arnold
Gitta Connemann
Schwenningen) Klaus Riegert Ernst Bahr (Neuruppin)
Leo Dautzenberg
Volker Kauder Dr. Heinz Riesenhuber Doris Barnett
Hubert Deittert
Eckart von Klaeden Franz Romer Dr. Hans-Peter Bartels
Alexander Dobrindt
Jürgen Klimke Johannes Röring Klaus Barthel
Thomas Dörflinger
Julia Klöckner Kurt J. Rossmanith Sören Bartol
Marie-Luise Dött
Jens Koeppen Dr. Norbert Röttgen Sabine Bätzing
Maria Eichhorn
Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Christian Ruck Dirk Becker
Anke Eymer (Lübeck)
Manfred Kolbe Albert Rupprecht (Weiden) Uwe Beckmeyer
Georg Fahrenschon
Norbert Königshofen Peter Rzepka Klaus Uwe Benneter
Ilse Falk
Dr. Rolf Koschorrek Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Axel Berg
Dr. Hans Georg Faust
Hartmut Koschyk Hermann-Josef Scharf Ute Berg
Enak Ferlemann
Thomas Kossendey Dr. Wolfgang Schäuble Petra Bierwirth
Ingrid Fischbach
Michael Kretschmer Hartmut Schauerte Lothar Binding (Heidelberg)
Hartwig Fischer (Göttingen)
Gunther Krichbaum Dr. Annette Schavan Volker Blumentritt
Dirk Fischer (Hamburg)
Dr. Günter Krings Dr. Andreas Scheuer Gerd Bollmann
Axel E. Fischer (Karlsruhe-
Dr. Martina Krogmann Karl Schiewerling Dr. Gerhard Botz
Land)
Johann-Henrich Norbert Schindler Klaus Brandner
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach Krummacher Georg Schirmbeck Willi Brase
Herbert Frankenhauser Dr. Hermann Kues Bernd Schmidbauer Bernhard Brinkmann
Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Karl A. Lamers Christian Schmidt (Fürth) (Hildesheim)
(Hof) (Heidelberg) Andreas Schmidt (Mülheim) Edelgard Bulmahn
Erich G. Fritz Andreas G. Lämmel Ingo Schmitt (Berlin) Marco Bülow
Jochen-Konrad Fromme Dr. Norbert Lammert Dr. Andreas Schockenhoff Ulla Burchardt
Dr. Michael Fuchs Katharina Landgraf Dr. Ole Schröder Martin Burkert
Hans-Joachim Fuchtel Dr. Max Lehmer Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Michael Bürsch
Dr. Peter Gauweiler Paul Lehrieder Uwe Schummer Christian Carstensen
(B) Dr. Jürgen Gehb Ingbert Liebing Wilhelm Josef Sebastian Marion Caspers-Merk (D)
Norbert Geis Eduard Lintner Horst Seehofer Dr. Peter Danckert
Eberhard Gienger Dr. Klaus W. Lippold Kurt Segner Dr. Herta Däubler-Gmelin
Michael Glos Patricia Lips Bernd Siebert Karl Diller
Ralf Göbel Dr. Michael Luther Thomas Silberhorn Martin Dörmann
Dr. Reinhard Göhner Stephan Mayer (Altötting) Johannes Singhammer Dr. Carl-Christian Dressel
Josef Göppel Wolfgang Meckelburg Jens Spahn Elvira Drobinski-Weiß
Peter Götz Dr. Michael Meister Erika Steinbach Garrelt Duin
Dr. Wolfgang Götzer Dr. Angela Merkel Christian Freiherr von Stetten Detlef Dzembritzki
Ute Granold Friedrich Merz Gero Storjohann Sebastian Edathy
Reinhard Grindel Laurenz Meyer (Hamm) Andreas Storm Siegmund Ehrmann
Hermann Gröhe Maria Michalk Max Straubinger Hans Eichel
Michael Grosse-Brömer Hans Michelbach Thomas Strobl (Heilbronn) Gernot Erler
Markus Grübel Philipp Mißfelder Michael Stübgen Petra Ernstberger
Manfred Grund Dr. Eva Möllring Antje Tillmann Karin Evers-Meyer
Monika Grütters Marlene Mortler Dr. Hans-Peter Uhl Annette Faße
Karl-Theodor Freiherr zu Carsten Müller Arnold Vaatz Elke Ferner
Guttenberg (Braunschweig) Volkmar Uwe Vogel Gabriele Fograscher
Olav Gutting Stefan Müller (Erlangen) Andrea Astrid Voßhoff Rainer Fornahl
Holger Haibach Bernward Müller (Gera) Gerhard Wächter Gabriele Frechen
Gerda Hasselfeldt Dr. Gerd Müller Marco Wanderwitz Dagmar Freitag
Ursula Heinen Hildegard Müller Kai Wegner Peter Friedrich
Uda Carmen Freia Heller Bernd Neumann (Bremen) Marcus Weinberg Sigmar Gabriel
Michael Hennrich Henry Nitzsche Peter Weiß (Emmendingen) Martin Gerster
Jürgen Herrmann Michaela Noll Gerald Weiß (Groß-Gerau) Iris Gleicke
Bernd Heynemann Dr. Georg Nüßlein Ingo Wellenreuther Günter Gloser
Ernst Hinsken Franz Obermeier Karl-Georg Wellmann Renate Gradistanac
Peter Hintze Eduard Oswald Anette Widmann-Mauz Angelika Graf (Rosenheim)
Robert Hochbaum Henning Otte Klaus-Peter Willsch Dieter Grasedieck
Klaus Hofbauer Rita Pawelski Willy Wimmer (Neuss) Monika Griefahn
Franz-Josef Holzenkamp Dr. Peter Paziorek Elisabeth Winkelmeier- Kerstin Griese
Joachim Hörster Ulrich Petzold Becker Gabriele Groneberg
Anette Hübinger Dr. Joachim Pfeiffer Matthias Wissmann Achim Großmann
Hubert Hüppe Sibylle Pfeiffer Dagmar Wöhrl Wolfgang Grotthaus
Susanne Jaffke Dr. Friedbert Pflüger Wolfgang Zöller Wolfgang Gunkel
4282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Hans-Joachim Hacker Caren Marks Swen Schulz (Spandau) Cornelia Behm (C)
Bettina Hagedorn Katja Mast Ewald Schurer Birgitt Bender
Klaus Hagemann Hilde Mattheis Frank Schwabe Matthias Berninger
Alfred Hartenbach Markus Meckel Dr. Angelica Schwall-Düren Grietje Bettin
Michael Hartmann Petra Merkel (Berlin) Dr. Martin Schwanholz Alexander Bonde
(Wackernheim) Ulrike Merten Rolf Schwanitz Ekin Deligöz
Nina Hauer Ursula Mogg Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Thea Dückert
Hubertus Heil Marko Mühlstein Wolfgang Spanier Dr. Uschi Eid
Reinhold Hemker Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Margrit Spielmann Hans-Josef Fell
Rolf Hempelmann Gesine Multhaupt Jörg-Otto Spiller Kai Gehring
Dr. Barbara Hendricks Franz Müntefering Dr. Ditmar Staffelt Anja Hajduk
Gustav Herzog Dr. Rolf Mützenich Andreas Steppuhn Britta Haßelmann
Petra Heß Andrea Nahles Ludwig Stiegler Winfried Hermann
Gabriele Hiller-Ohm Thomas Oppermann Christoph Strässer Peter Hettlich
Petra Hinz (Essen) Holger Ortel Dr. Peter Struck Priska Hinz (Herborn)
Gerd Höfer Heinz Paula Joachim Stünker Ulrike Höfken
Iris Hoffmann (Wismar) Johannes Pflug Dr. Rainer Tabillion Dr. Anton Hofreiter
Frank Hofmann (Volkach) Joachim Poß Jörg Tauss Bärbel Höhn
Eike Hovermann Christoph Pries Jella Teuchner Thilo Hoppe
Klaas Hübner Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. h. c. Wolfgang Thierse Ute Koczy
Christel Humme Florian Pronold Jörn Thießen Sylvia Kotting-Uhl
Lothar Ibrügger Dr. Sascha Raabe Franz Thönnes Fritz Kuhn
Brunhilde Irber Mechthild Rawert Hans-Jürgen Uhl Renate Künast
Johannes Jung (Karlsruhe) Steffen Reiche (Cottbus) Rüdiger Veit
Josip Juratovic Undine Kurth (Quedlinburg)
Maik Reichel Simone Violka
Johannes Kahrs Markus Kurth
Gerold Reichenbach Jörg Vogelsänger
Ulrich Kasparick Dr. Carola Reimann Monika Lazar
Dr. Marlies Volkmer Dr. Reinhard Loske
Dr. h. c. Susanne Kastner Christel Riemann- Hedi Wegener
Ulrich Kelber Hanewinckel Anna Lührmann
Andreas Weigel Jerzy Montag
Christian Kleiminger Walter Riester Petra Weis
Hans-Ulrich Klose Sönke Rix Kerstin Müller (Köln)
Gunter Weißgerber Winfried Nachtwei
Astrid Klug René Röspel Gert Weisskirchen
Dr. Bärbel Kofler Dr. Ernst Dieter Rossmann Brigitte Pothmer
(Wiesloch) Claudia Roth (Augsburg)
Fritz Rudolf Körper Karin Roth (Esslingen) Dr. Rainer Wend
(B) Karin Kortmann Michael Roth (Heringen) Krista Sager (D)
Lydia Westrich Christine Scheel
Rolf Kramer Ortwin Runde Dr. Margrit Wetzel
Anette Kramme Marlene Rupprecht Irmingard Schewe-Gerigk
Andrea Wicklein
Ernst Kranz (Tuchenbach) Dr. Gerhard Schick
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Nicolette Kressl Anton Schaaf Rainder Steenblock
Dr. Dieter Wiefelspütz
Volker Kröning Axel Schäfer (Bochum) Silke Stokar von Neuforn
Engelbert Wistuba
Angelika Krüger-Leißner Bernd Scheelen Hans-Christian Ströbele
Dr. Wolfgang Wodarg
Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Hermann Scheer Dr. Harald Terpe
Waltraud Wolff
Jürgen Kucharczyk Marianne Schieder Jürgen Trittin
(Wolmirstedt)
Helga Kühn-Mengel Otto Schily Wolfgang Wieland
Heidi Wright
Ute Kumpf Ulla Schmidt (Aachen) Josef Philip Winkler
Uta Zapf
Dr. Uwe Küster Silvia Schmidt (Eisleben) Margareta Wolf (Frankfurt)
Manfred Zöllmer
Christine Lambrecht Dr. Frank Schmidt
Brigitte Zypries
Christian Lange (Backnang) Heinz Schmitt (Landau)
Dr. Karl Lauterbach
Enthalten
Carsten Schneider (Erfurt)
BÜNDNIS 90/DIE
Waltraud Lehn Olaf Scholz
GRÜNEN SPD
Gabriele Lösekrug-Möller Ottmar Schreiner
Dirk Manzewski Reinhard Schultz Kerstin Andreae Dr. Matthias Miersch
Lothar Mark (Everswinkel) Volker Beck (Köln) Detlef Müller (Chemnitz)

Aus gegebenem Anlass mache ich noch einmal darauf beim Präsidium ein heimatloser 20-Euro-Schein, der in
aufmerksam, dass wir wie vereinbart und angekündigt den Reihen der SPD-Fraktion gefunden wurde, angelie-
verfahren: Die Abstimmungen finden alle nacheinander fert wurde.
statt. Deswegen empfiehlt es sich, zwischendurch keine
zusätzlichen Beschäftigungen anzunehmen. (Heiterkeit – Volker Kauder [CDU/CSU]: Den
habe ich da drüben verloren!)
Weil wir aus technischen Gründen eine gewisse Zeit
überbrücken müssen – die Abstimmungsurnen müssen Da ich nicht sicher bin, ob dies als freundliche Gabe zur
geleert werden, bevor neue Stimmkarten hineingeworfen Unterstützung der schwierigen Arbeit der Schriftführe-
werden können –, möchte ich darauf hinweisen, dass rinnen und Schriftführer gedacht war, was eine nahe
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4283
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) liegende Erklärung wäre, will ich wenigstens die theore- Das Ergebnis dieser Abstimmung und der drei anderen (C)
tische Option eröffnen, dass sich derjenige, der ihn ver- Abstimmungen gebe ich später bekannt.2)
loren hat, mit plausiblen Beweismitteln bei uns melden
kann. Ich bitte Sie, nun wieder Platz zu nehmen, damit wir,
sobald sich die Kolleginnen und Kollegen halbwegs
(Heiterkeit – Otto Schily [SPD]: Ich bin ge- übersichtlich auf die jeweiligen Fraktionen verteilt ha-
spannt, wie viele sich melden!) ben, weitere Abstimmungen durchführen können.
Die Frage, warum er in den Reihen der SPD-Fraktion (Unruhe)
gefunden wurde, kann ich natürlich nicht beantworten.
– Meine Damen und Herren, wir stimmen im Augen-
Ich habe nur darauf hingewiesen, dass es so gewesen
blick über Anträge zur Änderung des Grundgesetzes ab.
sein soll.
Ich fände es durchaus angemessen, wenn das mit min-
Wir kommen jetzt zur vierten namentlichen Abstim- destens derselben Aufmerksamkeit erfolgen würde, die
mung. Hierbei handelt es sich um den Änderungsantrag wir uns auch bei Abstimmungen, die keine Verfassungs-
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- änderungen betreffen, angewöhnt haben.
sache 16/2064 zum Thema „Zusammenwirken von (Beifall im ganzen Hause)
Bund und Ländern im Bereich Bildung und Wissen-
schaft“. Sind wiederum alle Abstimmungsplätze mit Wir kommen zu den weiteren Änderungsanträgen.
Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt? – Ich bitte Für sie ist keine namentliche Abstimmung beantragt, so-
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Urnen erst dass wir durch Handzeichen abstimmen können.
nach Abschluss der Abstimmung wegzubringen und
nicht unmittelbar davor. Mir wurden diesbezüglich erste Zunächst stimmen wir ab über den Änderungsantrag
Beschwerden vorgetragen. der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2045. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
Ich eröffne die vierte namentliche Abstimmung. gen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dieser Ände-
rungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen Stimmen der Oppositionsfraktionen mehrheitlich abge-
ihre vierte Stimmkarte in eine dafür vorgesehene Urne lehnt.
geworfen? – Dann schließe ich jetzt den vierten Abstim-
mungsvorgang.1) Wir kommen zum Änderungsantrag der FDP auf
Drucksache 16/2048.
Wir kommen zur fünften namentlichen Abstimmung.
Hier geht es um den Änderungsantrag der Fraktion des (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: 47!) (D)
(B)
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2065 zum
Heimrecht im Bereich der öffentlichen Fürsorge. Sind – Entschuldigung.
wieder alle Plätze von den Schriftführerinnen und Wir stimmen zunächst ab über den Änderungsantrag
Schriftführern besetzt? – Bevor ich die Abstimmung er- der FDP auf Drucksache 16/2047. Wer stimmt für diesen
öffne, weise ich darauf hin, dass wir unmittelbar nach Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
dieser fünften namentlichen Abstimmung parallel zu der sich der Stimme? – Der Änderungsantrag ist mit breiter
dann stattfindenden Auszählung weitere Abstimmungen Mehrheit abgelehnt.
über gestellte Änderungsanträge durchführen, damit wir
dann, wenn die einzelnen Ergebnisse der namentlichen Wir kommen jetzt zum voreilig aufgerufenen Ände-
Abstimmungen vorliegen, die Schlussabstimmung vor- rungsantrag der FDP auf Drucksache 16/2048. Wer
nehmen können. stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Änderungs-
Die fünfte namentliche Abstimmung ist eröffnet. antrag ist mit breiter Mehrheit abgelehnt gegen die Stim-
men der FDP und des Kollegen Meckel und bei
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich mir den de- Enthaltung der Fraktion Die Linke.
zenten Hinweis erlauben, dass es mir unzweckmäßig er-
scheint, nun wegen einer vermeintlich längeren Pause Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion
bis zur Schlussabstimmung mehrgängige Menüs zu be- der FDP auf Drucksache 16/2049. Wer stimmt für diesen
stellen. Denn bei der Zügigkeit, mit der unsere Schrift- Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
führerinnen und Schriftführer zu arbeiten pflegen, kann sich der Stimme? – Mit breiter Mehrheit ist dieser Ände-
die Schlussabstimmung eher stattfinden, als manche ver- rungsantrag abgelehnt gegen die Stimmen der Opposi-
muten. Klagen werden dann nicht entgegengenommen, tionsfraktionen und des Kollegen Meckel.
bestenfalls zu Protokoll.
Wir kommen nun zum Änderungsantrag der FDP-
Hat irgendjemand seine Stimmkarte für die fünfte na- Fraktion auf Drucksache 16/2050. Wer stimmt für diesen
mentliche Abstimmung noch nicht abgeben können? – Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich damit den fünf- sich der Stimme? – Der Änderungsantrag ist mit großer
ten Abstimmungsvorgang und bitte die Schriftführerin- Mehrheit gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. abgelehnt.

1) Ergebnis Seite 4289 B 2) Ergebnis Seite 4292 A


4284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Wir kommen zum Änderungsantrag der FDP auf namentlichen Abstimmungen über die Änderungsan- (C)
Drucksache 16/2051. Wer stimmt für diesen Änderungs- träge, über die wir vorhin einzeln abgestimmt haben, un-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – terbreche ich die Sitzung.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das waren die (Olaf Scholz [SPD]: Nur kurz!)
Kulturbanausen!)
Sie wird, sobald die Ergebnisse vorliegen, wieder eröff-
Wer enthält sich der Stimme? – Der Antrag ist mit gro- net; dann kommen wir zur Schlussabstimmung. – Ich
ßer Mehrheit abgelehnt gegen die Stimmen der FDP- wiederhole meine Empfehlung, nun keine üppigen Frei-
Fraktion und einzelne Stimmen der SPD-Fraktion bei zeiten einzuplanen.
Enthaltung der Fraktionen des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und Die Linke. (Unterbrechung von 12.44 bis 13.12 Uhr)
Ich komme zum Änderungsantrag von Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/2066. Wer stimmt für Präsident Dr. Norbert Lammert:
diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt gegen diesen Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder, um die
Änderungsantrag? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt zu
wenigen Enthaltungen ist dieser Änderungsantrag mit geben.
breiter Mehrheit abgelehnt gegen die Stimmen von FDP Das Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung
und Bündnis 90/Die Grünen. habe ich bereits vorgetragen.
Änderungsantrag auf Drucksache 16/2067, ebenfalls
Wir kommen zum Ergebnis der zweiten namentlichen
gestellt von Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für die-
Abstimmung. Sie betraf den Änderungsantrag der
sen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
enthält sich der Stimme? – Der Änderungsantrag ist ab-
sache 16/2062. Ich gebe das von den Schriftführerinnen
gelehnt gegen die Stimmen von FDP und Bündnis 90/
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Die Grünen bei Stimmenthaltung der Fraktion Die
Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 579. Mit Ja
Linke.
haben gestimmt 97, mit Nein haben gestimmt 428, ent-
Damit haben wir über die Änderungsanträge vollstän- halten haben sich 54 Kolleginnen und Kollegen. Der Än-
dig abgestimmt. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der derungsantrag ist abgelehnt.

(B) (D)
Endgültiges Ergebnis Joachim Günther (Plauen) Florian Toncar Peter Hettlich
Abgegebenen Stimmen: 581; Dr. Christel Happach-Kasan Christoph Waitz Priska Hinz (Herborn)
davon Heinz-Peter Haustein Dr. Guido Westerwelle Ulrike Höfken
Elke Hoff Dr. Claudia Winterstein Dr. Anton Hofreiter
ja: 100
Birgit Homburger Dr. Volker Wissing Bärbel Höhn
nein: 427 Dr. Werner Hoyer Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ute Koczy
enthalten: 54 Michael Kauch Martin Zeil Sylvia Kotting-Uhl
Dr. Heinrich L. Kolb Fritz Kuhn
Ja Hellmut Königshaus DIE LINKE Renate Künast
Gudrun Kopp Undine Kurth (Quedlinburg)
Diana Golze
SPD Jürgen Koppelin Markus Kurth
Jörn Wunderlich
Heinz Lanfermann Monika Lazar
Markus Meckel Sabine Zimmermann
Sibylle Laurischk Dr. Reinhard Loske
Christel Riemann-
Harald Leibrecht BÜNDNIS 90/DIE Anna Lührmann
Hanewinckel
Ina Lenke GRÜNEN Jerzy Montag
Sabine Leutheusser-
FDP Kerstin Andreae Kerstin Müller (Köln)
Schnarrenberger
Volker Beck (Köln) Winfried Nachtwei
Jens Ackermann Michael Link (Heilbronn)
Dr. Karl Addicks Cornelia Behm Brigitte Pothmer
Horst Meierhofer
Christian Ahrendt Jan Mücke Birgitt Bender Claudia Roth (Augsburg)
Daniel Bahr (Münster) Burkhardt Müller-Sönksen Matthias Berninger Krista Sager
Uwe Barth Hans-Joachim Otto Grietje Bettin Christine Scheel
Patrick Döring (Frankfurt) Alexander Bonde Irmingard Schewe-Gerigk
Mechthild Dyckmans Cornelia Pieper Ekin Deligöz Dr. Gerhard Schick
Jörg van Essen Gisela Piltz Dr. Thea Dückert Rainder Steenblock
Ulrike Flach Jörg Rohde Dr. Uschi Eid Silke Stokar von Neuforn
Paul K. Friedhoff Dr. Konrad Schily Hans-Josef Fell Hans-Christian Ströbele
Horst Friedrich (Bayreuth) Marina Schuster Kai Gehring Dr. Harald Terpe
Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Max Stadler Anja Hajduk Jürgen Trittin
Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Rainer Stinner Britta Haßelmann Josef Philip Winkler
Miriam Gruß Carl-Ludwig Thiele Winfried Hermann Margareta Wolf (Frankfurt)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4285
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Nein Reinhard Grindel Dr. Michael Meister Johannes Singhammer (C)
Hermann Gröhe Dr. Angela Merkel Jens Spahn
CDU/CSU Michael Grosse-Brömer Friedrich Merz Erika Steinbach
Markus Grübel Laurenz Meyer (Hamm) Christian Freiherr von Stetten
Ulrich Adam
Manfred Grund Maria Michalk Gero Storjohann
Ilse Aigner
Monika Grütters Hans Michelbach Andreas Storm
Peter Albach
Karl-Theodor Freiherr zu Philipp Mißfelder Max Straubinger
Peter Altmaier
Guttenberg Dr. Eva Möllring Thomas Strobl (Heilbronn)
Thomas Bareiß
Olav Gutting Marlene Mortler Michael Stübgen
Norbert Barthle
Holger Haibach Carsten Müller Antje Tillmann
Dr. Wolf Bauer
Gerda Hasselfeldt (Braunschweig) Dr. Hans-Peter Uhl
Günter Baumann
Ursula Heinen Stefan Müller (Erlangen) Arnold Vaatz
Ernst-Reinhard Beck
Uda Carmen Freia Heller Bernward Müller (Gera) Volkmar Uwe Vogel
(Reutlingen)
Michael Hennrich Dr. Gerd Müller Andrea Astrid Voßhoff
Veronika Bellmann
Jürgen Herrmann Hildegard Müller Gerhard Wächter
Dr. Christoph Bergner
Bernd Heynemann Bernd Neumann (Bremen) Marco Wanderwitz
Otto Bernhardt
Ernst Hinsken Henry Nitzsche Kai Wegner
Clemens Binninger
Peter Hintze Michaela Noll Marcus Weinberg
Carl-Eduard von Bismarck
Robert Hochbaum Dr. Georg Nüßlein Peter Weiß (Emmendingen)
Renate Blank
Klaus Hofbauer Franz Obermeier Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Peter Bleser
Franz-Josef Holzenkamp Eduard Oswald Ingo Wellenreuther
Antje Blumenthal
Joachim Hörster Henning Otte Karl-Georg Wellmann
Dr. Maria Böhmer
Anette Hübinger Rita Pawelski Anette Widmann-Mauz
Jochen Borchert
Hubert Hüppe Dr. Peter Paziorek Klaus-Peter Willsch
Wolfgang Börnsen
Susanne Jaffke Ulrich Petzold Willy Wimmer (Neuss)
(Bönstrup)
Dr. Peter Jahr Dr. Joachim Pfeiffer Elisabeth Winkelmeier-
Wolfgang Bosbach
Dr. Hans-Heinrich Jordan Sibylle Pfeiffer Becker
Klaus Brähmig
Andreas Jung (Konstanz) Dr. Friedbert Pflüger Matthias Wissmann
Michael Brand
Dr. Franz Josef Jung Beatrix Philipp Dagmar Wöhrl
Helmut Brandt
Bartholomäus Kalb Ronald Pofalla Wolfgang Zöller
Dr. Ralf Brauksiepe
Hans-Werner Kammer Ruprecht Polenz Willi Zylajew
Monika Brüning
Georg Brunnhuber Steffen Kampeter Daniela Raab
Alois Karl Thomas Rachel SPD
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg Bernhard Kaster Hans Raidel Dr. Lale Akgün
(B) Hubert Deittert Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Peter Ramsauer Gregor Amann (D)
Alexander Dobrindt Schwenningen) Peter Rauen Gerd Andres
Thomas Dörflinger Volker Kauder Eckhardt Rehberg Niels Annen
Marie-Luise Dött Eckart von Klaeden Katherina Reiche (Potsdam) Ingrid Arndt-Brauer
Maria Eichhorn Jürgen Klimke Klaus Riegert Rainer Arnold
Anke Eymer (Lübeck) Julia Klöckner Dr. Heinz Riesenhuber Ernst Bahr (Neuruppin)
Georg Fahrenschon Jens Koeppen Franz Romer Doris Barnett
Ilse Falk Kristina Köhler (Wiesbaden) Johannes Röring Dr. Hans-Peter Bartels
Dr. Hans Georg Faust Manfred Kolbe Kurt J. Rossmanith Klaus Barthel
Enak Ferlemann Norbert Königshofen Dr. Norbert Röttgen Sören Bartol
Ingrid Fischbach Dr. Rolf Koschorrek Dr. Christian Ruck Sabine Bätzing
Hartwig Fischer (Göttingen) Hartmut Koschyk Albert Rupprecht (Weiden) Uwe Beckmeyer
Dirk Fischer (Hamburg) Thomas Kossendey Peter Rzepka Klaus Uwe Benneter
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Michael Kretschmer Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Axel Berg
Land) Gunther Krichbaum Hermann-Josef Scharf Ute Berg
Dr. Maria Flachsbarth Dr. Günter Krings Dr. Wolfgang Schäuble Lothar Binding (Heidelberg)
Klaus-Peter Flosbach Dr. Martina Krogmann Hartmut Schauerte Volker Blumentritt
Herbert Frankenhauser Johann-Henrich Dr. Andreas Scheuer Gerd Bollmann
Dr. Hans-Peter Friedrich Krummacher Karl Schiewerling Dr. Gerhard Botz
(Hof) Dr. Hermann Kues Norbert Schindler Klaus Brandner
Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Georg Schirmbeck Willi Brase
Jochen-Konrad Fromme (Heidelberg) Bernd Schmidbauer Bernhard Brinkmann
Dr. Michael Fuchs Andreas G. Lämmel Christian Schmidt (Fürth) (Hildesheim)
Hans-Joachim Fuchtel Dr. Norbert Lammert Andreas Schmidt (Mülheim) Edelgard Bulmahn
Dr. Peter Gauweiler Katharina Landgraf Ingo Schmitt (Berlin) Ulla Burchardt
Dr. Jürgen Gehb Dr. Max Lehmer Dr. Andreas Schockenhoff Martin Burkert
Norbert Geis Paul Lehrieder Dr. Ole Schröder Dr. Michael Bürsch
Eberhard Gienger Ingbert Liebing Bernhard Schulte-Drüggelte Christian Carstensen
Michael Glos Eduard Lintner Uwe Schummer Marion Caspers-Merk
Ralf Göbel Dr. Klaus W. Lippold Wilhelm Josef Sebastian Dr. Peter Danckert
Dr. Reinhard Göhner Patricia Lips Horst Seehofer Dr. Herta Däubler-Gmelin
Peter Götz Dr. Michael Luther Kurt Segner Karl Diller
Dr. Wolfgang Götzer Stephan Mayer (Altötting) Bernd Siebert Martin Dörmann
Ute Granold Wolfgang Meckelburg Thomas Silberhorn Dr. Carl-Christian Dressel
4286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Elvira Drobinski-Weiß Rolf Kramer Carsten Schneider (Erfurt) Marco Bülow (C)
Garrelt Duin Anette Kramme Olaf Scholz Dr. Matthias Miersch
Sebastian Edathy Ernst Kranz Reinhard Schultz Detlef Müller (Chemnitz)
Siegmund Ehrmann Nicolette Kressl (Everswinkel) Frank Schwabe
Hans Eichel Volker Kröning Swen Schulz (Spandau) Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Gernot Erler Angelika Krüger-Leißner Ewald Schurer
Petra Ernstberger Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Angelica Schwall-Düren FDP
Karin Evers-Meyer Jürgen Kucharczyk Dr. Martin Schwanholz
Annette Faße Helga Kühn-Mengel Rolf Schwanitz Ernst Burgbacher
Elke Ferner Ute Kumpf Rita Schwarzelühr-Sutter Patrick Meinhardt
Gabriele Fograscher Dr. Uwe Küster Wolfgang Spanier
Rainer Fornahl Christine Lambrecht Dr. Margrit Spielmann DIE LINKE
Gabriele Frechen Christian Lange (Backnang) Jörg-Otto Spiller Hüseyin-Kenan Aydin
Dagmar Freitag Waltraud Lehn Dr. Ditmar Staffelt Karin Binder
Peter Friedrich Gabriele Lösekrug-Möller Andreas Steppuhn Dr. Lothar Bisky
Sigmar Gabriel Dirk Manzewski Ludwig Stiegler Heidrun Bluhm
Martin Gerster Lothar Mark Rolf Stöckel Eva Bulling-Schröter
Iris Gleicke Caren Marks Christoph Strässer
Günter Gloser Katja Mast Dr. Martina Bunge
Dr. Peter Struck Roland Claus
Renate Gradistanac Hilde Mattheis Joachim Stünker
Angelika Graf (Rosenheim) Petra Merkel (Berlin) Sevim Dagdelen
Dr. Rainer Tabillion
Dieter Grasedieck Ulrike Merten Dr. Diether Dehm
Jörg Tauss
Monika Griefahn Ursula Mogg Werner Dreibus
Jella Teuchner
Kerstin Griese Marko Mühlstein Dr. Dagmar Enkelmann
Jörn Thießen
Gabriele Groneberg Michael Müller (Düsseldorf) Franz Thönnes Klaus Ernst
Achim Großmann Gesine Multhaupt Hans-Jürgen Uhl Wolfgang Gehrcke
Wolfgang Grotthaus Franz Müntefering Rüdiger Veit Dr. Gregor Gysi
Wolfgang Gunkel Dr. Rolf Mützenich Simone Violka Heike Hänsel
Hans-Joachim Hacker Andrea Nahles Jörg Vogelsänger Lutz Heilmann
Bettina Hagedorn Thomas Oppermann Dr. Marlies Volkmer Hans-Kurt Hill
Klaus Hagemann Holger Ortel Hedi Wegener Cornelia Hirsch
Alfred Hartenbach Heinz Paula Andreas Weigel Inge Höger-Neuling
Michael Hartmann Johannes Pflug Petra Weis Dr. Barbara Höll
(Wackernheim) Joachim Poß Ulla Jelpke
Gunter Weißgerber
(B) Nina Hauer Christoph Pries
Gert Weisskirchen Dr. Lukrezia Jochimsen (D)
Hubertus Heil Dr. Wilhelm Priesmeier Katja Kipping
(Wiesloch)
Reinhold Hemker Florian Pronold Dr. Rainer Wend Monika Knoche
Rolf Hempelmann Dr. Sascha Raabe
Lydia Westrich Jan Korte
Dr. Barbara Hendricks Mechthild Rawert
Dr. Margrit Wetzel Katrin Kunert
Gustav Herzog Steffen Reiche (Cottbus)
Andrea Wicklein Oskar Lafontaine
Petra Heß Maik Reichel
Heidemarie Wieczorek-Zeul Michael Leutert
Gabriele Hiller-Ohm Gerold Reichenbach
Dr. Dieter Wiefelspütz Ulla Lötzer
Petra Hinz (Essen) Dr. Carola Reimann
Engelbert Wistuba Dr. Gesine Lötzsch
Gerd Höfer Walter Riester
Dr. Wolfgang Wodarg Ulrich Maurer
Iris Hoffmann (Wismar) Sönke Rix
Frank Hofmann (Volkach) Waltraud Wolff Kornelia Möller
René Röspel
(Wolmirstedt) Kersten Naumann
Eike Hovermann Dr. Ernst Dieter Rossmann
Heidi Wright Wolfgang Nešković
Klaas Hübner Karin Roth (Esslingen)
Christel Humme Uta Zapf Dr. Norman Paech
Michael Roth (Heringen)
Lothar Ibrügger Ortwin Runde Manfred Zöllmer
Bodo Ramelow
Brunhilde Irber Marlene Rupprecht Brigitte Zypries
Elke Reinke
Johannes Jung (Karlsruhe) (Tuchenbach) Paul Schäfer (Köln)
Josip Juratovic Anton Schaaf FDP
Dr. Herbert Schui
Johannes Kahrs Axel Schäfer (Bochum) Angelika Brunkhorst Dr. Ilja Seifert
Ulrich Kasparick Bernd Scheelen Frank Schäffler Dr. Petra Sitte
Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Hermann Scheer Frank Spieth
Ulrich Kelber Marianne Schieder Dr. Kirsten Tackmann
Christian Kleiminger Otto Schily
Enthalten
Dr. Axel Troost
Hans-Ulrich Klose Ulla Schmidt (Aachen)
SPD
Astrid Klug Silvia Schmidt (Eisleben)
fraktionslos
Fritz Rudolf Körper Dr. Frank Schmidt Dirk Becker
Karin Kortmann Heinz Schmitt (Landau) Petra Bierwirth Gert Winkelmeier
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4287
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Wir kommen zum Ergebnis der dritten namentlichen Abstimmung. Hierbei ging es um den Änderungsantrag der (C)
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2063. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 594. Mit Ja haben
gestimmt 144, mit Nein haben gestimmt 442, enthalten haben sich acht Kolleginnen und Kollegen. Der Änderungs-
antrag ist abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Carl-Ludwig Thiele BÜNDNIS 90/DIE Ilse Aigner


Abgegebenen Stimmen: 591; Christoph Waitz GRÜNEN Peter Albach
davon Dr. Guido Westerwelle Peter Altmaier
Kerstin Andreae
Dr. Claudia Winterstein Thomas Bareiß
ja: 141 Volker Beck (Köln)
Dr. Volker Wissing Norbert Barthle
nein: 442 Cornelia Behm
Martin Zeil Dr. Wolf Bauer
enthalten: 8
Birgitt Bender
Günter Baumann
Matthias Berninger
DIE LINKE Ernst-Reinhard Beck
Grietje Bettin
Ja (Reutlingen)
Hüseyin-Kenan Aydin Alexander Bonde
Veronika Bellmann
Dr. Dietmar Bartsch Ekin Deligöz
SPD Dr. Christoph Bergner
Karin Binder Dr. Thea Dückert
Otto Bernhardt
Dr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Uschi Eid
Dr. Lothar Bisky Clemens Binninger
Christine Lambrecht Hans-Josef Fell
Heidrun Bluhm Carl-Eduard von Bismarck
Dirk Manzewski Kai Gehring
Eva Bulling-Schröter Renate Blank
Markus Meckel Anja Hajduk
Roland Claus Peter Bleser
Detlef Müller (Chemnitz) Britta Haßelmann
Sevim Dagdelen Antje Blumenthal
Christel Riemann- Winfried Hermann
Dr. Diether Dehm Dr. Maria Böhmer
Hanewinckel Peter Hettlich
Werner Dreibus Jochen Borchert
Priska Hinz (Herborn)
Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Börnsen
FDP Ulrike Höfken
Klaus Ernst (Bönstrup)
Dr. Anton Hofreiter
Jens Ackermann Wolfgang Gehrcke Wolfgang Bosbach
Bärbel Höhn
Dr. Karl Addicks Dr. Gregor Gysi Klaus Brähmig
Ute Koczy
Christian Ahrendt Michael Brand
Heike Hänsel Sylvia Kotting-Uhl
(B) Daniel Bahr (Münster) Lutz Heilmann
Helmut Brandt (D)
Fritz Kuhn Dr. Ralf Brauksiepe
Uwe Barth Hans-Kurt Hill Renate Künast
Patrick Döring Monika Brüning
Cornelia Hirsch Undine Kurth (Quedlinburg) Georg Brunnhuber
Mechthild Dyckmans Markus Kurth
Inge Höger-Neuling Gitta Connemann
Jörg van Essen Monika Lazar
Paul K. Friedhoff Dr. Barbara Höll Leo Dautzenberg
Ulla Jelpke Dr. Reinhard Loske Hubert Deittert
Horst Friedrich (Bayreuth) Anna Lührmann
Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Lukrezia Jochimsen Alexander Dobrindt
Dr. Hakki Keskin Jerzy Montag Thomas Dörflinger
Dr. Wolfgang Gerhardt
Katja Kipping Kerstin Müller (Köln) Marie-Luise Dött
Miriam Gruß
Monika Knoche Winfried Nachtwei Maria Eichhorn
Joachim Günther (Plauen)
Jan Korte Brigitte Pothmer Anke Eymer (Lübeck)
Heinz-Peter Haustein
Claudia Roth (Augsburg) Georg Fahrenschon
Elke Hoff Katrin Kunert
Krista Sager Ilse Falk
Dr. Werner Hoyer Oskar Lafontaine
Christine Scheel Dr. Hans Georg Faust
Michael Kauch Michael Leutert Irmingard Schewe-Gerigk Enak Ferlemann
Dr. Heinrich L. Kolb Ulla Lötzer Dr. Gerhard Schick Ingrid Fischbach
Hellmut Königshaus Dr. Gesine Lötzsch Rainder Steenblock Hartwig Fischer (Göttingen)
Gudrun Kopp Ulrich Maurer Silke Stokar von Neuforn Dirk Fischer (Hamburg)
Jürgen Koppelin Dorothee Menzner Hans-Christian Ströbele Axel E. Fischer (Karlsruhe-
Heinz Lanfermann Kornelia Möller Dr. Harald Terpe Land)
Sabine Leutheusser- Kersten Naumann Jürgen Trittin Dr. Maria Flachsbarth
Schnarrenberger Wolfgang Nešković Wolfgang Wieland Klaus-Peter Flosbach
Markus Löning
Dr. Norman Paech Josef Philip Winkler
Horst Meierhofer Herbert Frankenhauser
Bodo Ramelow Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Hans-Peter Friedrich
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen Elke Reinke (Hof)
Hans-Joachim Otto Paul Schäfer (Köln) fraktionslos Erich G. Fritz
(Frankfurt) Dr. Herbert Schui Gert Winkelmeier Jochen-Konrad Fromme
Cornelia Pieper Dr. Ilja Seifert Dr. Michael Fuchs
Jörg Rohde Dr. Petra Sitte Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Konrad Schily Frank Spieth Nein Dr. Peter Gauweiler
Marina Schuster Dr. Kirsten Tackmann Dr. Jürgen Gehb
CDU/CSU
Dr. Max Stadler Dr. Axel Troost Norbert Geis
Dr. Rainer Stinner Alexander Ulrich Ulrich Adam Eberhard Gienger
4288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Michael Glos Ingbert Liebing Bernhard Schulte-Drüggelte Ulla Burchardt (C)
Ralf Göbel Eduard Lintner Uwe Schummer Martin Burkert
Dr. Reinhard Göhner Dr. Klaus W. Lippold Wilhelm Josef Sebastian Dr. Michael Bürsch
Josef Göppel Patricia Lips Horst Seehofer Christian Carstensen
Peter Götz Dr. Michael Luther Kurt Segner Marion Caspers-Merk
Dr. Wolfgang Götzer Stephan Mayer (Altötting) Bernd Siebert Dr. Peter Danckert
Ute Granold Wolfgang Meckelburg Thomas Silberhorn Karl Diller
Reinhard Grindel Dr. Michael Meister Johannes Singhammer Martin Dörmann
Hermann Gröhe Dr. Angela Merkel Jens Spahn Dr. Carl-Christian Dressel
Michael Grosse-Brömer Friedrich Merz Erika Steinbach Elvira Drobinski-Weiß
Markus Grübel Laurenz Meyer (Hamm) Christian Freiherr von Stetten Garrelt Duin
Manfred Grund Maria Michalk Gero Storjohann Sebastian Edathy
Monika Grütters Hans Michelbach Andreas Storm Siegmund Ehrmann
Karl-Theodor Freiherr zu Philipp Mißfelder Max Straubinger Hans Eichel
Guttenberg Dr. Eva Möllring Thomas Strobl (Heilbronn) Gernot Erler
Olav Gutting Marlene Mortler Michael Stübgen Petra Ernstberger
Holger Haibach Carsten Müller Antje Tillmann Karin Evers-Meyer
Gerda Hasselfeldt (Braunschweig) Dr. Hans-Peter Uhl Annette Faße
Ursula Heinen Stefan Müller (Erlangen) Arnold Vaatz Elke Ferner
Uda Carmen Freia Heller Bernward Müller (Gera) Volkmar Uwe Vogel Gabriele Fograscher
Michael Hennrich Dr. Gerd Müller Andrea Astrid Voßhoff Rainer Fornahl
Jürgen Herrmann Hildegard Müller Gerhard Wächter Gabriele Frechen
Bernd Heynemann Bernd Neumann (Bremen) Marco Wanderwitz Dagmar Freitag
Ernst Hinsken Henry Nitzsche Kai Wegner Peter Friedrich
Peter Hintze Michaela Noll Marcus Weinberg Sigmar Gabriel
Robert Hochbaum Dr. Georg Nüßlein Peter Weiß (Emmendingen) Martin Gerster
Klaus Hofbauer Franz Obermeier Gerald Weiß (Groß-Gerau) Iris Gleicke
Franz-Josef Holzenkamp Eduard Oswald Ingo Wellenreuther Günter Gloser
Joachim Hörster Henning Otte Karl-Georg Wellmann Renate Gradistanac
Anette Hübinger Rita Pawelski Anette Widmann-Mauz Angelika Graf (Rosenheim)
Hubert Hüppe Dr. Peter Paziorek Klaus-Peter Willsch Dieter Grasedieck
Susanne Jaffke Ulrich Petzold Willy Wimmer (Neuss) Monika Griefahn
Dr. Peter Jahr Dr. Joachim Pfeiffer Elisabeth Winkelmeier- Kerstin Griese
Dr. Hans-Heinrich Jordan Sibylle Pfeiffer Becker Gabriele Groneberg
Andreas Jung (Konstanz) Beatrix Philipp Matthias Wissmann Achim Großmann
(B) Dagmar Wöhrl (D)
Dr. Franz Josef Jung Ronald Pofalla Wolfgang Grotthaus
Bartholomäus Kalb Ruprecht Polenz Wolfgang Zöller Wolfgang Gunkel
Hans-Werner Kammer Daniela Raab Willi Zylajew Hans-Joachim Hacker
Steffen Kampeter Thomas Rachel Bettina Hagedorn
Alois Karl Hans Raidel SPD Klaus Hagemann
Bernhard Kaster Dr. Peter Ramsauer Dr. Lale Akgün Alfred Hartenbach
Siegfried Kauder (Villingen- Peter Rauen Gregor Amann Michael Hartmann
Schwenningen) Eckhardt Rehberg Gerd Andres (Wackernheim)
Volker Kauder Katherina Reiche (Potsdam) Niels Annen Nina Hauer
Eckart von Klaeden Klaus Riegert Ingrid Arndt-Brauer Hubertus Heil
Jürgen Klimke Dr. Heinz Riesenhuber Rainer Arnold Reinhold Hemker
Julia Klöckner Franz Romer Ernst Bahr (Neuruppin) Rolf Hempelmann
Jens Koeppen Johannes Röring Doris Barnett Dr. Barbara Hendricks
Kristina Köhler (Wiesbaden) Kurt J. Rossmanith Dr. Hans-Peter Bartels Gustav Herzog
Manfred Kolbe Dr. Norbert Röttgen Klaus Barthel Petra Heß
Norbert Königshofen Dr. Christian Ruck Sören Bartol Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Rolf Koschorrek Albert Rupprecht (Weiden) Sabine Bätzing Petra Hinz (Essen)
Hartmut Koschyk Peter Rzepka Dirk Becker Gerd Höfer
Thomas Kossendey Anita Schäfer (Saalstadt) Uwe Beckmeyer Iris Hoffmann (Wismar)
Michael Kretschmer Hermann-Josef Scharf Klaus Uwe Benneter Frank Hofmann (Volkach)
Gunther Krichbaum Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Axel Berg Eike Hovermann
Dr. Günter Krings Hartmut Schauerte Ute Berg Klaas Hübner
Dr. Martina Krogmann Dr. Annette Schavan Petra Bierwirth Christel Humme
Johann-Henrich Dr. Andreas Scheuer Lothar Binding (Heidelberg) Lothar Ibrügger
Krummacher Karl Schiewerling Volker Blumentritt Brunhilde Irber
Dr. Hermann Kues Norbert Schindler Gerd Bollmann Johannes Jung (Karlsruhe)
Dr. Karl A. Lamers Georg Schirmbeck Dr. Gerhard Botz Josip Juratovic
(Heidelberg) Bernd Schmidbauer Klaus Brandner Johannes Kahrs
Andreas G. Lämmel Christian Schmidt (Fürth) Willi Brase Ulrich Kasparick
Dr. Norbert Lammert Andreas Schmidt (Mülheim) Bernhard Brinkmann Dr. h. c. Susanne Kastner
Katharina Landgraf Ingo Schmitt (Berlin) (Hildesheim) Ulrich Kelber
Dr. Max Lehmer Dr. Andreas Schockenhoff Edelgard Bulmahn Christian Kleiminger
Paul Lehrieder Dr. Ole Schröder Marco Bülow Hans-Ulrich Klose
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4289
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Astrid Klug Dr. Wilhelm Priesmeier Wolfgang Spanier Manfred Zöllmer (C)
Dr. Bärbel Kofler Florian Pronold Dr. Margrit Spielmann Brigitte Zypries
Fritz Rudolf Körper Dr. Sascha Raabe Jörg-Otto Spiller
Karin Kortmann Mechthild Rawert Dr. Ditmar Staffelt FDP
Rolf Kramer Steffen Reiche (Cottbus) Andreas Steppuhn
Anette Kramme Maik Reichel Ludwig Stiegler Angelika Brunkhorst
Ernst Kranz Gerold Reichenbach Rolf Stöckel Ernst Burgbacher
Nicolette Kressl Dr. Carola Reimann Christoph Strässer Ulrike Flach
Volker Kröning Walter Riester Dr. Peter Struck Dr. Christel Happach-Kasan
Angelika Krüger-Leißner Sönke Rix Joachim Stünker Sibylle Laurischk
Dr. Hans-Ulrich Krüger René Röspel Dr. Rainer Tabillion Harald Leibrecht
Jürgen Kucharczyk Dr. Ernst Dieter Rossmann Jörg Tauss Ina Lenke
Helga Kühn-Mengel Karin Roth (Esslingen) Jella Teuchner
Michael Link (Heilbronn)
Ute Kumpf Michael Roth (Heringen) Jörn Thießen
Dr. Uwe Küster Ortwin Runde Franz Thönnes Patrick Meinhardt
Christian Lange (Backnang) Marlene Rupprecht Hans-Jürgen Uhl Gisela Piltz
Dr. Karl Lauterbach (Tuchenbach) Rüdiger Veit Frank Schäffler
Waltraud Lehn Anton Schaaf Simone Violka Florian Toncar
Gabriele Lösekrug-Möller Axel Schäfer (Bochum) Jörg Vogelsänger Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Lothar Mark Bernd Scheelen Dr. Marlies Volkmer
Caren Marks Dr. Hermann Scheer Hedi Wegener
Katja Mast Marianne Schieder Andreas Weigel
Enthalten
Hilde Mattheis Otto Schily Petra Weis
SPD
Petra Merkel (Berlin) Ulla Schmidt (Aachen) Gunter Weißgerber
Ulrike Merten Silvia Schmidt (Eisleben) Gert Weisskirchen Detlef Dzembritzki
Ursula Mogg Dr. Frank Schmidt (Wiesloch) Dr. Matthias Miersch
Marko Mühlstein Heinz Schmitt (Landau) Dr. Rainer Wend Frank Schwabe
Michael Müller (Düsseldorf) Carsten Schneider (Erfurt) Lydia Westrich Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Gesine Multhaupt Olaf Scholz Dr. Margrit Wetzel
Franz Müntefering Ottmar Schreiner Andrea Wicklein
FDP
Dr. Rolf Mützenich Reinhard Schultz Heidemarie Wieczorek-Zeul
Andrea Nahles (Everswinkel) Dr. Dieter Wiefelspütz Birgit Homburger
Thomas Oppermann Swen Schulz (Spandau) Engelbert Wistuba
Holger Ortel Ewald Schurer Dr. Wolfgang Wodarg DIE LINKE
Heinz Paula Dr. Angelica Schwall-Düren Waltraud Wolff (D)
(B) Diana Golze
Johannes Pflug Dr. Martin Schwanholz (Wolmirstedt)
Joachim Poß Rolf Schwanitz Heidi Wright Jörn Wunderlich
Christoph Pries Rita Schwarzelühr-Sutter Uta Zapf Sabine Zimmermann

Wir kommen zum Ergebnis der vierten namentlichen Abstimmung. Sie betraf den Änderungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2064. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 53,
mit Nein haben gestimmt 478, enthalten haben sich 58 Kolleginnen und Kollegen. Der Änderungsantrag ist abge-
lehnt.

Endgültiges Ergebnis Joachim Günther (Plauen) Hans-Josef Fell Anna Lührmann


Abgegebenen Stimmen: 590; Heinz-Peter Haustein Kai Gehring Jerzy Montag
Heinz Lanfermann Anja Hajduk Kerstin Müller (Köln)
davon
Cornelia Pieper Britta Haßelmann Winfried Nachtwei
ja: 53 Winfried Hermann Brigitte Pothmer
Christoph Waitz
nein: 479 Peter Hettlich Claudia Roth (Augsburg)
enthalten: 58 BÜNDNIS 90/DIE Priska Hinz (Herborn) Krista Sager
GRÜNEN Ulrike Höfken Christine Scheel
Dr. Anton Hofreiter Irmingard Schewe-Gerigk
Ja Kerstin Andreae Bärbel Höhn Dr. Gerhard Schick
Volker Beck (Köln) Ute Koczy Rainder Steenblock
SPD Cornelia Behm Sylvia Kotting-Uhl Silke Stokar von Neuforn
Birgitt Bender Fritz Kuhn Hans-Christian Ströbele
Markus Meckel
Matthias Berninger Renate Künast Dr. Harald Terpe
Grietje Bettin Undine Kurth (Quedlinburg) Jürgen Trittin
FDP
Alexander Bonde Markus Kurth Wolfgang Wieland
Jens Ackermann Ekin Deligöz Monika Lazar Josef Philip Winkler
Uwe Barth Dr. Uschi Eid Dr. Reinhard Loske Margareta Wolf (Frankfurt)
4290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Nein Ute Granold Wolfgang Meckelburg Bernd Siebert (C)
Reinhard Grindel Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn
CDU/CSU Hermann Gröhe Dr. Angela Merkel Johannes Singhammer
Michael Grosse-Brömer Friedrich Merz Jens Spahn
Ulrich Adam
Markus Grübel Laurenz Meyer (Hamm) Erika Steinbach
Ilse Aigner
Manfred Grund Maria Michalk Christian Freiherr von Stetten
Peter Albach
Monika Grütters Hans Michelbach Gero Storjohann
Peter Altmaier
Karl-Theodor Freiherr zu Philipp Mißfelder Andreas Storm
Thomas Bareiß
Guttenberg Dr. Eva Möllring Max Straubinger
Norbert Barthle
Olav Gutting Marlene Mortler Thomas Strobl (Heilbronn)
Dr. Wolf Bauer
Holger Haibach Carsten Müller Michael Stübgen
Günter Baumann
Gerda Hasselfeldt (Braunschweig) Antje Tillmann
Ernst-Reinhard Beck
Ursula Heinen Stefan Müller (Erlangen) Dr. Hans-Peter Uhl
(Reutlingen)
Uda Carmen Freia Heller Bernward Müller (Gera) Arnold Vaatz
Veronika Bellmann
Michael Hennrich Dr. Gerd Müller Volkmar Uwe Vogel
Dr. Christoph Bergner
Jürgen Herrmann Hildegard Müller Andrea Astrid Voßhoff
Otto Bernhardt
Bernd Heynemann Bernd Neumann (Bremen) Gerhard Wächter
Clemens Binninger
Ernst Hinsken Henry Nitzsche Marco Wanderwitz
Carl-Eduard von Bismarck
Peter Hintze Michaela Noll Kai Wegner
Renate Blank
Robert Hochbaum Dr. Georg Nüßlein Marcus Weinberg
Peter Bleser
Klaus Hofbauer Franz Obermeier Peter Weiß (Emmendingen)
Antje Blumenthal
Franz-Josef Holzenkamp Eduard Oswald Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Dr. Maria Böhmer
Joachim Hörster Henning Otte Ingo Wellenreuther
Jochen Borchert
Anette Hübinger Rita Pawelski Karl-Georg Wellmann
Wolfgang Börnsen
Hubert Hüppe Dr. Peter Paziorek Anette Widmann-Mauz
(Bönstrup)
Susanne Jaffke Ulrich Petzold Klaus-Peter Willsch
Wolfgang Bosbach
Dr. Peter Jahr Dr. Joachim Pfeiffer Willy Wimmer (Neuss)
Klaus Brähmig
Dr. Hans-Heinrich Jordan Sibylle Pfeiffer Elisabeth Winkelmeier-
Michael Brand
Andreas Jung (Konstanz) Dr. Friedbert Pflüger Becker
Helmut Brandt
Dr. Franz Josef Jung Beatrix Philipp Matthias Wissmann
Dr. Ralf Brauksiepe
Bartholomäus Kalb Ronald Pofalla Dagmar Wöhrl
Monika Brüning
Hans-Werner Kammer Ruprecht Polenz Wolfgang Zöller
Georg Brunnhuber
Steffen Kampeter Daniela Raab Willi Zylajew
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg Alois Karl Thomas Rachel
Bernhard Kaster Hans Raidel SPD
(B) Hubert Deittert (D)
Alexander Dobrindt Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Peter Ramsauer Dr. Lale Akgün
Thomas Dörflinger Schwenningen) Peter Rauen Gregor Amann
Marie-Luise Dött Volker Kauder Eckhardt Rehberg Gerd Andres
Maria Eichhorn Eckart von Klaeden Katherina Reiche (Potsdam) Niels Annen
Anke Eymer (Lübeck) Jürgen Klimke Klaus Riegert Ingrid Arndt-Brauer
Georg Fahrenschon Julia Klöckner Dr. Heinz Riesenhuber Rainer Arnold
Ilse Falk Jens Koeppen Franz Romer Ernst Bahr (Neuruppin)
Dr. Hans Georg Faust Kristina Köhler (Wiesbaden) Johannes Röring Doris Barnett
Enak Ferlemann Manfred Kolbe Kurt J. Rossmanith Dr. Hans-Peter Bartels
Ingrid Fischbach Norbert Königshofen Dr. Norbert Röttgen Klaus Barthel
Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Rolf Koschorrek Dr. Christian Ruck Sören Bartol
Dirk Fischer (Hamburg) Hartmut Koschyk Albert Rupprecht (Weiden) Sabine Bätzing
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Thomas Kossendey Peter Rzepka Dirk Becker
Land) Michael Kretschmer Anita Schäfer (Saalstadt) Uwe Beckmeyer
Dr. Maria Flachsbarth Gunther Krichbaum Hermann-Josef Scharf Klaus Uwe Benneter
Klaus-Peter Flosbach Dr. Günter Krings Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Axel Berg
Herbert Frankenhauser Dr. Martina Krogmann Hartmut Schauerte Ute Berg
Dr. Hans-Peter Friedrich Johann-Henrich Dr. Annette Schavan Petra Bierwirth
(Hof) Krummacher Dr. Andreas Scheuer Lothar Binding (Heidelberg)
Erich G. Fritz Dr. Hermann Kues Karl Schiewerling Volker Blumentritt
Jochen-Konrad Fromme Dr. Karl A. Lamers Norbert Schindler Gerd Bollmann
Dr. Michael Fuchs (Heidelberg) Georg Schirmbeck Dr. Gerhard Botz
Hans-Joachim Fuchtel Andreas G. Lämmel Bernd Schmidbauer Klaus Brandner
Dr. Peter Gauweiler Dr. Norbert Lammert Christian Schmidt (Fürth) Willi Brase
Dr. Jürgen Gehb Katharina Landgraf Andreas Schmidt (Mülheim) Bernhard Brinkmann
Norbert Geis Dr. Max Lehmer Ingo Schmitt (Berlin) (Hildesheim)
Eberhard Gienger Paul Lehrieder Dr. Andreas Schockenhoff Marco Bülow
Michael Glos Ingbert Liebing Dr. Ole Schröder Ulla Burchardt
Ralf Göbel Eduard Lintner Bernhard Schulte-Drüggelte Martin Burkert
Dr. Reinhard Göhner Dr. Klaus W. Lippold Uwe Schummer Dr. Michael Bürsch
Josef Göppel Patricia Lips Wilhelm Josef Sebastian Christian Carstensen
Peter Götz Dr. Michael Luther Horst Seehofer Marion Caspers-Merk
Dr. Wolfgang Götzer Stephan Mayer (Altötting) Kurt Segner Dr. Peter Danckert
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4291
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Dr. Herta Däubler-Gmelin Rolf Kramer Reinhard Schultz Dr. Heinrich L. Kolb (C)
Karl Diller Anette Kramme (Everswinkel) Hellmut Königshaus
Martin Dörmann Ernst Kranz Swen Schulz (Spandau) Gudrun Kopp
Dr. Carl-Christian Dressel Nicolette Kressl Ewald Schurer Jürgen Koppelin
Elvira Drobinski-Weiß Volker Kröning Dr. Angelica Schwall-Düren Sibylle Laurischk
Garrelt Duin Angelika Krüger-Leißner Dr. Martin Schwanholz Harald Leibrecht
Detlef Dzembritzki Dr. Hans-Ulrich Krüger Rolf Schwanitz Ina Lenke
Sebastian Edathy Jürgen Kucharczyk Rita Schwarzelühr-Sutter Michael Link (Heilbronn)
Siegmund Ehrmann Helga Kühn-Mengel Wolfgang Spanier Markus Löning
Hans Eichel Ute Kumpf Dr. Margrit Spielmann Horst Meierhofer
Gernot Erler Dr. Uwe Küster Jörg-Otto Spiller Patrick Meinhardt
Petra Ernstberger Christine Lambrecht Dr. Ditmar Staffelt Jan Mücke
Karin Evers-Meyer Christian Lange (Backnang) Andreas Steppuhn Burkhardt Müller-Sönksen
Annette Faße Dr. Karl Lauterbach Ludwig Stiegler Hans-Joachim Otto
Elke Ferner Waltraud Lehn Rolf Stöckel (Frankfurt)
Gabriele Fograscher Gabriele Lösekrug-Möller Christoph Strässer Gisela Piltz
Rainer Fornahl Dirk Manzewski Dr. Peter Struck Jörg Rohde
Gabriele Frechen Lothar Mark Joachim Stünker Frank Schäffler
Dagmar Freitag Caren Marks Dr. Rainer Tabillion Dr. Konrad Schily
Peter Friedrich Katja Mast Jella Teuchner Marina Schuster
Sigmar Gabriel Hilde Mattheis Jörn Thießen Dr. Max Stadler
Martin Gerster Petra Merkel (Berlin) Franz Thönnes Dr. Rainer Stinner
Iris Gleicke Ulrike Merten Hans-Jürgen Uhl Carl-Ludwig Thiele
Günter Gloser Ursula Mogg Rüdiger Veit Florian Toncar
Renate Gradistanac Marko Mühlstein Simone Violka Dr. Guido Westerwelle
Angelika Graf (Rosenheim) Michael Müller (Düsseldorf) Jörg Vogelsänger Dr. Claudia Winterstein
Dieter Grasedieck Gesine Multhaupt Dr. Marlies Volkmer Dr. Volker Wissing
Monika Griefahn Franz Müntefering Hedi Wegener Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Kerstin Griese Dr. Rolf Mützenich Andreas Weigel
Gabriele Groneberg Andrea Nahles Petra Weis
Gunter Weißgerber Enthalten
Achim Großmann Thomas Oppermann
Wolfgang Grotthaus Holger Ortel Gert Weisskirchen
(Wiesloch) SPD
Wolfgang Gunkel Heinz Paula
Hans-Joachim Hacker Johannes Pflug Dr. Rainer Wend Dr. Matthias Miersch
Bettina Hagedorn Joachim Poß Lydia Westrich Detlef Müller (Chemnitz)
(B) Dr. Margrit Wetzel (D)
Klaus Hagemann Christoph Pries Frank Schwabe
Alfred Hartenbach Dr. Wilhelm Priesmeier Andrea Wicklein Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Michael Hartmann Florian Pronold Heidemarie Wieczorek-Zeul
(Wackernheim) Dr. Sascha Raabe Dr. Dieter Wiefelspütz FDP
Nina Hauer Mechthild Rawert Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg Sabine Leutheusser-
Hubertus Heil Steffen Reiche (Cottbus) Schnarrenberger
Reinhold Hemker Maik Reichel Waltraud Wolff
(Wolmirstedt) Martin Zeil
Rolf Hempelmann Gerold Reichenbach
Dr. Barbara Hendricks Dr. Carola Reimann Heidi Wright
Uta Zapf DIE LINKE
Gustav Herzog Christel Riemann-
Petra Heß Hanewinckel Manfred Zöllmer Hüseyin-Kenan Aydin
Gabriele Hiller-Ohm Walter Riester Brigitte Zypries Dr. Dietmar Bartsch
Petra Hinz (Essen) Sönke Rix Karin Binder
Gerd Höfer René Röspel FDP Dr. Lothar Bisky
Iris Hoffmann (Wismar) Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Karl Addicks Heidrun Bluhm
Frank Hofmann (Volkach) Karin Roth (Esslingen) Christian Ahrendt Eva Bulling-Schröter
Eike Hovermann Michael Roth (Heringen) Daniel Bahr (Münster) Dr. Martina Bunge
Klaas Hübner Ortwin Runde Angelika Brunkhorst Roland Claus
Christel Humme Marlene Rupprecht Ernst Burgbacher Sevim Dagdelen
Lothar Ibrügger (Tuchenbach) Patrick Döring Dr. Diether Dehm
Brunhilde Irber Anton Schaaf Mechthild Dyckmans Werner Dreibus
Johannes Jung (Karlsruhe) Axel Schäfer (Bochum) Jörg van Essen Dr. Dagmar Enkelmann
Josip Juratovic Bernd Scheelen Ulrike Flach Klaus Ernst
Johannes Kahrs Dr. Hermann Scheer Paul K. Friedhoff Wolfgang Gehrcke
Ulrich Kasparick Marianne Schieder Horst Friedrich (Bayreuth) Diana Golze
Dr. h. c. Susanne Kastner Otto Schily Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Gregor Gysi
Ulrich Kelber Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Wolfgang Gerhardt Heike Hänsel
Christian Kleiminger Silvia Schmidt (Eisleben) Miriam Gruß Lutz Heilmann
Hans-Ulrich Klose Dr. Frank Schmidt Dr. Christel Happach-Kasan Hans-Kurt Hill
Astrid Klug Heinz Schmitt (Landau) Elke Hoff Cornelia Hirsch
Dr. Bärbel Kofler Carsten Schneider (Erfurt) Birgit Homburger Inge Höger-Neuling
Fritz Rudolf Körper Olaf Scholz Dr. Werner Hoyer Dr. Barbara Höll
Karin Kortmann Ottmar Schreiner Michael Kauch Ulla Jelpke
4292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Dr. Lukrezia Jochimsen Ulla Lötzer Bodo Ramelow Dr. Axel Troost (C)
Dr. Hakki Keskin Dr. Gesine Lötzsch Elke Reinke Alexander Ulrich
Katja Kipping Ulrich Maurer Paul Schäfer (Köln) Jörn Wunderlich
Monika Knoche Dorothee Menzner Dr. Herbert Schui Sabine Zimmermann
Jan Korte Kornelia Möller Dr. Ilja Seifert
Katrin Kunert Kersten Naumann Dr. Petra Sitte fraktionslos
Oskar Lafontaine Wolfgang Nešković Frank Spieth
Michael Leutert Dr. Norman Paech Dr. Kirsten Tackmann Gert Winkelmeier

Die fünfte und letzte namentliche Abstimmung zu Änderungsanträgen gab es zum Änderungsantrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2065. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 592. Mit Ja haben gestimmt 146,
mit Nein haben gestimmt 439, Enthaltungen sieben. Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Markus Löning Monika Knoche Ute Koczy


Abgegebenen Stimmen: 590; Horst Meierhofer Jan Korte Sylvia Kotting-Uhl
davon Jan Mücke Katrin Kunert Fritz Kuhn
Burkhardt Müller-Sönksen Oskar Lafontaine Renate Künast
ja: 146
Hans-Joachim Otto Michael Leutert Undine Kurth (Quedlinburg)
nein: 437 (Frankfurt) Ulla Lötzer Markus Kurth
enthalten: 7 Cornelia Pieper Dr. Gesine Lötzsch Monika Lazar
Gisela Piltz Ulrich Maurer Dr. Reinhard Loske
Ja Jörg Rohde Dorothee Menzner Anna Lührmann
Dr. Konrad Schily Kornelia Möller Jerzy Montag
SPD Marina Schuster Kersten Naumann Kerstin Müller (Köln)
Dr. Max Stadler Wolfgang Nešković Winfried Nachtwei
Dr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Rainer Stinner Dr. Norman Paech Brigitte Pothmer
Markus Meckel Carl-Ludwig Thiele Bodo Ramelow Claudia Roth (Augsburg)
(B) Christel Riemann- Christoph Waitz Elke Reinke Krista Sager (D)
Hanewinckel Dr. Guido Westerwelle Paul Schäfer (Köln) Christine Scheel
Dr. Claudia Winterstein Dr. Herbert Schui Irmingard Schewe-Gerigk
FDP Dr. Volker Wissing Dr. Ilja Seifert Dr. Gerhard Schick
Jens Ackermann Martin Zeil Dr. Petra Sitte Rainder Steenblock
Dr. Karl Addicks Frank Spieth Silke Stokar von Neuforn
Christian Ahrendt DIE LINKE Dr. Kirsten Tackmann Hans-Christian Ströbele
Daniel Bahr (Münster) Dr. Axel Troost Dr. Harald Terpe
Hüseyin-Kenan Aydin
Uwe Barth Alexander Ulrich Jürgen Trittin
Dr. Dietmar Bartsch
Patrick Döring Jörn Wunderlich Wolfgang Wieland
Karin Binder
Mechthild Dyckmans Sabine Zimmermann Josef Philip Winkler
Dr. Lothar Bisky
Jörg van Essen Heidrun Bluhm Margareta Wolf (Frankfurt)
Ulrike Flach BÜNDNIS 90/DIE
Eva Bulling-Schröter
Paul K. Friedhoff GRÜNEN fraktionslos
Dr. Martina Bunge
Horst Friedrich (Bayreuth) Roland Claus Kerstin Andreae Gert Winkelmeier
Dr. Edmund Peter Geisen Sevim Dagdelen Volker Beck (Köln)
Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Diether Dehm Cornelia Behm
Miriam Gruß Werner Dreibus Birgitt Bender
Nein
Joachim Günther (Plauen) Dr. Dagmar Enkelmann Matthias Berninger
CDU/CSU
Heinz-Peter Haustein Klaus Ernst Grietje Bettin
Elke Hoff Wolfgang Gehrcke Alexander Bonde Ulrich Adam
Birgit Homburger Diana Golze Ekin Deligöz Ilse Aigner
Dr. Werner Hoyer Dr. Gregor Gysi Dr. Uschi Eid Peter Albach
Michael Kauch Heike Hänsel Hans-Josef Fell Peter Altmaier
Dr. Heinrich L. Kolb Lutz Heilmann Kai Gehring Thomas Bareiß
Hellmut Königshaus Hans-Kurt Hill Anja Hajduk Norbert Barthle
Gudrun Kopp Cornelia Hirsch Britta Haßelmann Dr. Wolf Bauer
Jürgen Koppelin Inge Höger-Neuling Winfried Hermann Günter Baumann
Heinz Lanfermann Dr. Barbara Höll Peter Hettlich Ernst-Reinhard Beck
Sibylle Laurischk Ulla Jelpke Priska Hinz (Herborn) (Reutlingen)
Ina Lenke Dr. Lukrezia Jochimsen Ulrike Höfken Veronika Bellmann
Sabine Leutheusser- Dr. Hakki Keskin Dr. Anton Hofreiter Dr. Christoph Bergner
Schnarrenberger Katja Kipping Bärbel Höhn Otto Bernhardt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4293
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Clemens Binninger Bernd Heynemann Bernd Neumann (Bremen) Marco Wanderwitz (C)
Carl-Eduard von Bismarck Ernst Hinsken Henry Nitzsche Kai Wegner
Renate Blank Peter Hintze Michaela Noll Marcus Weinberg
Peter Bleser Robert Hochbaum Dr. Georg Nüßlein Peter Weiß (Emmendingen)
Antje Blumenthal Klaus Hofbauer Franz Obermeier Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Dr. Maria Böhmer Franz-Josef Holzenkamp Eduard Oswald Ingo Wellenreuther
Jochen Borchert Joachim Hörster Henning Otte Karl-Georg Wellmann
Wolfgang Börnsen Anette Hübinger Rita Pawelski Anette Widmann-Mauz
(Bönstrup) Hubert Hüppe Dr. Peter Paziorek Klaus-Peter Willsch
Wolfgang Bosbach Susanne Jaffke Ulrich Petzold Willy Wimmer (Neuss)
Klaus Brähmig Dr. Peter Jahr Dr. Joachim Pfeiffer Elisabeth Winkelmeier-
Michael Brand Dr. Hans-Heinrich Jordan Sibylle Pfeiffer Becker
Helmut Brandt Andreas Jung (Konstanz) Dr. Friedbert Pflüger Matthias Wissmann
Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Franz Josef Jung Beatrix Philipp Dagmar Wöhrl
Monika Brüning Bartholomäus Kalb Ronald Pofalla Wolfgang Zöller
Georg Brunnhuber Hans-Werner Kammer Ruprecht Polenz Willi Zylajew
Gitta Connemann Steffen Kampeter Daniela Raab
Leo Dautzenberg Alois Karl Thomas Rachel SPD
Hubert Deittert Bernhard Kaster Hans Raidel Dr. Lale Akgün
Alexander Dobrindt Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Peter Ramsauer Gregor Amann
Thomas Dörflinger Schwenningen) Peter Rauen Gerd Andres
Marie-Luise Dött Volker Kauder Eckhardt Rehberg Niels Annen
Maria Eichhorn Eckart von Klaeden Katherina Reiche (Potsdam) Ingrid Arndt-Brauer
Anke Eymer (Lübeck) Jürgen Klimke Klaus Riegert Rainer Arnold
Georg Fahrenschon Julia Klöckner Dr. Heinz Riesenhuber Ernst Bahr (Neuruppin)
Ilse Falk Jens Koeppen Franz Romer Doris Barnett
Dr. Hans Georg Faust Kristina Köhler (Wiesbaden) Johannes Röring Dr. Hans-Peter Bartels
Enak Ferlemann Manfred Kolbe Kurt J. Rossmanith Klaus Barthel
Ingrid Fischbach Norbert Königshofen Dr. Norbert Röttgen Sören Bartol
Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Rolf Koschorrek Dr. Christian Ruck Sabine Bätzing
Dirk Fischer (Hamburg) Hartmut Koschyk Albert Rupprecht (Weiden) Dirk Becker
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Thomas Kossendey Peter Rzepka Uwe Beckmeyer
Land) Michael Kretschmer Anita Schäfer (Saalstadt) Klaus Uwe Benneter
Dr. Maria Flachsbarth Gunther Krichbaum Hermann-Josef Scharf Dr. Axel Berg
(B) Klaus-Peter Flosbach Dr. Günter Krings Dr. Wolfgang Schäuble Ute Berg (D)
Herbert Frankenhauser Dr. Martina Krogmann Hartmut Schauerte Petra Bierwirth
Dr. Hans-Peter Friedrich Johann-Henrich Dr. Annette Schavan Lothar Binding (Heidelberg)
(Hof) Krummacher Dr. Andreas Scheuer Volker Blumentritt
Erich G. Fritz Dr. Hermann Kues Karl Schiewerling Gerd Bollmann
Jochen-Konrad Fromme Dr. Karl A. Lamers Norbert Schindler Dr. Gerhard Botz
Dr. Michael Fuchs (Heidelberg) Georg Schirmbeck Klaus Brandner
Hans-Joachim Fuchtel Andreas G. Lämmel Bernd Schmidbauer Willi Brase
Dr. Peter Gauweiler Dr. Norbert Lammert Christian Schmidt (Fürth) Bernhard Brinkmann
Dr. Jürgen Gehb Katharina Landgraf Andreas Schmidt (Mülheim) (Hildesheim)
Norbert Geis Dr. Max Lehmer Ingo Schmitt (Berlin) Edelgard Bulmahn
Eberhard Gienger Paul Lehrieder Dr. Andreas Schockenhoff Marco Bülow
Michael Glos Ingbert Liebing Dr. Ole Schröder Ulla Burchardt
Ralf Göbel Eduard Lintner Bernhard Schulte-Drüggelte Martin Burkert
Dr. Reinhard Göhner Dr. Klaus W. Lippold Uwe Schummer Dr. Michael Bürsch
Josef Göppel Patricia Lips Wilhelm Josef Sebastian Christian Carstensen
Peter Götz Dr. Michael Luther Horst Seehofer Marion Caspers-Merk
Dr. Wolfgang Götzer Stephan Mayer (Altötting) Kurt Segner Dr. Peter Danckert
Ute Granold Wolfgang Meckelburg Thomas Silberhorn Karl Diller
Reinhard Grindel Dr. Michael Meister Johannes Singhammer Martin Dörmann
Hermann Gröhe Dr. Angela Merkel Jens Spahn Dr. Carl-Christian Dressel
Michael Grosse-Brömer Friedrich Merz Erika Steinbach Elvira Drobinski-Weiß
Markus Grübel Laurenz Meyer (Hamm) Christian Freiherr von Stetten Garrelt Duin
Manfred Grund Maria Michalk Gero Storjohann Detlef Dzembritzki
Monika Grütters Hans Michelbach Andreas Storm Sebastian Edathy
Karl-Theodor Freiherr zu Philipp Mißfelder Max Straubinger Siegmund Ehrmann
Guttenberg Dr. Eva Möllring Thomas Strobl (Heilbronn) Hans Eichel
Olav Gutting Marlene Mortler Michael Stübgen Gernot Erler
Holger Haibach Carsten Müller Antje Tillmann Petra Ernstberger
Gerda Hasselfeldt (Braunschweig) Dr. Hans-Peter Uhl Karin Evers-Meyer
Ursula Heinen Stefan Müller (Erlangen) Arnold Vaatz Annette Faße
Uda Carmen Freia Heller Bernward Müller (Gera) Volkmar Uwe Vogel Elke Ferner
Michael Hennrich Dr. Gerd Müller Andrea Astrid Voßhoff Gabriele Fograscher
Jürgen Herrmann Hildegard Müller Gerhard Wächter Rainer Fornahl
4294 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Gabriele Frechen Astrid Klug Sönke Rix Jörg Vogelsänger (C)
Dagmar Freitag Dr. Bärbel Kofler René Röspel Dr. Marlies Volkmer
Peter Friedrich Fritz Rudolf Körper Dr. Ernst Dieter Rossmann Hedi Wegener
Sigmar Gabriel Karin Kortmann Karin Roth (Esslingen) Andreas Weigel
Martin Gerster Rolf Kramer Michael Roth (Heringen) Petra Weis
Iris Gleicke Anette Kramme Ortwin Runde Gunter Weißgerber
Günter Gloser Nicolette Kressl Marlene Rupprecht Gert Weisskirchen
Renate Gradistanac Volker Kröning (Tuchenbach) (Wiesloch)
Angelika Graf (Rosenheim) Angelika Krüger-Leißner Anton Schaaf Dr. Rainer Wend
Dieter Grasedieck Dr. Hans-Ulrich Krüger Axel Schäfer (Bochum) Lydia Westrich
Monika Griefahn Jürgen Kucharczyk Bernd Scheelen Dr. Margrit Wetzel
Kerstin Griese Helga Kühn-Mengel Dr. Hermann Scheer Andrea Wicklein
Gabriele Groneberg Ute Kumpf Marianne Schieder Heidemarie Wieczorek-Zeul
Achim Großmann Dr. Uwe Küster Otto Schily Dr. Dieter Wiefelspütz
Wolfgang Grotthaus Christine Lambrecht Ulla Schmidt (Aachen) Engelbert Wistuba
Wolfgang Gunkel Christian Lange (Backnang) Silvia Schmidt (Eisleben)
Dr. Wolfgang Wodarg
Hans-Joachim Hacker Dr. Karl Lauterbach Dr. Frank Schmidt
Waltraud Wolff
Bettina Hagedorn Waltraud Lehn Heinz Schmitt (Landau)
(Wolmirstedt)
Klaus Hagemann Gabriele Lösekrug-Möller Carsten Schneider (Erfurt)
Heidi Wright
Alfred Hartenbach Dirk Manzewski Olaf Scholz
Uta Zapf
Michael Hartmann Lothar Mark Ottmar Schreiner
(Wackernheim) Caren Marks Reinhard Schultz Manfred Zöllmer
Nina Hauer Katja Mast (Everswinkel) Brigitte Zypries
Hubertus Heil Petra Merkel (Berlin) Swen Schulz (Spandau)
Reinhold Hemker Ulrike Merten Ewald Schurer FDP
Rolf Hempelmann Ursula Mogg Dr. Angelica Schwall-Düren Angelika Brunkhorst
Dr. Barbara Hendricks Marko Mühlstein Dr. Martin Schwanholz Dr. Christel Happach-Kasan
Gustav Herzog Michael Müller (Düsseldorf) Rolf Schwanitz Michael Link (Heilbronn)
Petra Heß Gesine Multhaupt Rita Schwarzelühr-Sutter Patrick Meinhardt
Gabriele Hiller-Ohm Franz Müntefering Wolfgang Spanier Frank Schäffler
Petra Hinz (Essen) Dr. Rolf Mützenich Dr. Margrit Spielmann Florian Toncar
Gerd Höfer Andrea Nahles Jörg-Otto Spiller Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Iris Hoffmann (Wismar) Thomas Oppermann Dr. Ditmar Staffelt
Frank Hofmann (Volkach) Holger Ortel Andreas Steppuhn
Eike Hovermann Heinz Paula Ludwig Stiegler Enthalten
(B) (D)
Klaas Hübner Johannes Pflug Rolf Stöckel
Christel Humme Joachim Poß Christoph Strässer SPD
Lothar Ibrügger Christoph Pries Dr. Peter Struck Hilde Mattheis
Brunhilde Irber Dr. Wilhelm Priesmeier Joachim Stünker Dr. Matthias Miersch
Johannes Jung (Karlsruhe) Florian Pronold Dr. Rainer Tabillion Detlef Müller (Chemnitz)
Josip Juratovic Dr. Sascha Raabe Jörg Tauss Frank Schwabe
Johannes Kahrs Mechthild Rawert Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ulrich Kasparick Steffen Reiche (Cottbus) Jörn Thießen
Dr. h. c. Susanne Kastner Maik Reichel Franz Thönnes FDP
Ulrich Kelber Gerold Reichenbach Hans-Jürgen Uhl
Christian Kleiminger Dr. Carola Reimann Rüdiger Veit Ernst Burgbacher
Hans-Ulrich Klose Walter Riester Simone Violka Harald Leibrecht

Damit sind alle genannten Änderungsanträge abge- Für diese namentliche Abstimmung benötigen Sie au-
lehnt. ßer Ihrer Stimmkarte auch Ihren gelben Stimmausweis.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Ich mache darauf aufmerksam, dass es auch nach die-
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- ser namentlichen Abstimmung noch eine Reihe von Ab-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der stimmungen über Entschließungsanträge gibt.
Stimme? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera- Bevor Sie Ihre Stimmkarte in eine der Urnen werfen,
tung mit breiter Mehrheit gegen die Stimmen der Oppo- übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einem der
sitionsfraktionen bei einzelnen Gegenstimmen aus der Schriftführer.
SPD-Fraktion angenommen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Wir kommen zur vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze be-
dritten Beratung setzt? – Das ist der Fall.
Die Abstimmung ist eröffnet.
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme dieses Gesetzentwurfs eine Zweidrittelmehr- Ist noch ein Kollege oder eine Kollegin anwesend, der
heit erforderlich ist. Das sind mindestens 410 Stimmen. bzw. die seine oder ihre Stimmkarte für die Schlussab-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4295
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) stimmung nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfeh- (C)
Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. lung des Rechtsausschusses auf Drucksache 16/2010
fort. Unter den Nrn. 3 bis 10 der Beschlussempfehlung
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
empfiehlt der Rechtsausschuss, die Vorlagen auf den
der Auszählung zu beginnen. Dies wird zügig gehen,
Drucksachen 16/653, 16/851, 16/647, 16/648, 16/954,
weil es sich jetzt nur um eine noch auszuzählende Ab-
16/654, 16/674 und 16/927 für erledigt zu erklären. Es
stimmung handelt. Sobald das Ergebnis vorliegt, werde
ist vereinbart, dass über die Nrn. 3 bis 10 der Beschluss-
ich es vortragen. Ich schlage vor, dass wir in der Zwi-
empfehlung gemeinsam abgestimmt wird. – Ich sehe,
schenzeit über die Entschließungsanträge abstimmen.
dass Sie damit einverstanden sind. Dann verfahren wir
Ich bitte darum, Platz zu nehmen, damit die Feststellung
so. Wer stimmt für die eben genannte Beschlussempfeh-
von Mehrheiten zweifelsfrei möglich ist.
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann
Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen nun ist das mit ganz breiter Mehrheit so beschlossen.
zu den Entschließungsanträgen.
Ich unterbreche, bis das Ergebnis der namentlichen
Zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktionen Schlussabstimmung über die Föderalismusreform vor-
von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/2052. Wer liegt. Das kann nur ein ganz kurzer Augenblick sein. Ich
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt wäre dankbar, wenn Sie bis dahin im Plenarsaal blieben.
dagegen? – Wer enthält sich? – Er ist mit breiter Mehr-
heit angenommen. (Unterbrechung von 13.22 bis 13.26 Uhr)

Wir kommen zum Entschließungsantrag der FDP-


Präsident Dr. Norbert Lammert:
Fraktion auf Drucksache 16/2053. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Mit besonders herzlichem Dank an die Schriftführe-
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- rinnen und Schriftführer
tion Die Linke auf Drucksache 16/2054? – Wer stimmt (Beifall)
dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Entschlie-
ßungsantrag ist abgelehnt. teile ich nun das Ergebnis der namentlichen Schluss-
abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- CDU/CSU zur Änderung des Grundgesetzes mit.
ßungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/2055. Wer stimmt für diesen Ent- (Dr. Peter Struck [SPD]: Wir waren auch
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- dabei!)
(B) (D)
hält sich? – Auch dieser Entschließungsantrag ist abge-
lehnt. – Habe ich euch unterschlagen?

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD –
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Dr. Peter Struck [SPD]: Bitte wiederholen,
Entwurf eines Föderalismusreform-Begleitgesetzes auf Herr Präsident! – Volker Kröning [SPD]: Wir
Drucksache 16/814. Der Rechtsausschuss empfiehlt un- haben hier keine bayerischen Verhältnisse!)
ter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache – Selbst da wird vorgetragen, wer beteiligt ist, wenn
16/2010, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung auch nicht an der Regierung.
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Ich korrigiere fürs Protokoll. Ich gebe das Ergebnis
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält der namentlichen Schlussabstimmung zu dem gemein-
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit sam von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Grund-
men der Oppositionsfraktionen angenommen. gesetzes bekannt: Abgegebene Stimmen 593. Mit Ja ha-
ben gestimmt 428,
Dritte Beratung
(Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- und der SPD – Die Abgeordneten der CDU/
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer CSU und der SPD erheben sich)
stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der
Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit den Stimmen der mit Nein haben gestimmt 162 Kolleginnen und Kolle-
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- gen, es gab drei Enthaltungen. Die für eine Verfassungs-
tionsfraktionen bei einzelnen Gegenstimmen aus den änderung notwendige Mehrheit sind 410 Jastimmen. Da-
Reihen der SPD-Fraktion angenommen. mit ist dieser Gesetzentwurf angenommen.
4296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Endgültiges Ergebnis Norbert Geis Paul Lehrieder Dr. Andreas Schockenhoff (C)
Abgegebenen Stimmen: 592; Eberhard Gienger Ingbert Liebing Dr. Ole Schröder
davon Michael Glos Eduard Lintner Bernhard Schulte-Drüggelte
Ralf Göbel Dr. Klaus W. Lippold Uwe Schummer
ja: 428
Dr. Reinhard Göhner Patricia Lips Wilhelm Josef Sebastian
nein: 161 Josef Göppel Dr. Michael Luther Horst Seehofer
enthalten: 3 Peter Götz Stephan Mayer (Altötting) Kurt Segner
Dr. Wolfgang Götzer Wolfgang Meckelburg Bernd Siebert
Ja Ute Granold Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn
Reinhard Grindel Dr. Angela Merkel Johannes Singhammer
CDU/CSU Hermann Gröhe Friedrich Merz Jens Spahn
Michael Grosse-Brömer Laurenz Meyer (Hamm) Erika Steinbach
Ulrich Adam Markus Grübel Maria Michalk Christian Freiherr von Stetten
Ilse Aigner Manfred Grund Hans Michelbach Gero Storjohann
Peter Albach Monika Grütters Philipp Mißfelder Andreas Storm
Peter Altmaier Karl-Theodor Freiherr zu Dr. Eva Möllring Max Straubinger
Thomas Bareiß Guttenberg Marlene Mortler Thomas Strobl (Heilbronn)
Norbert Barthle Olav Gutting Carsten Müller Michael Stübgen
Dr. Wolf Bauer Holger Haibach (Braunschweig) Antje Tillmann
Günter Baumann Gerda Hasselfeldt Stefan Müller (Erlangen) Dr. Hans-Peter Uhl
Ernst-Reinhard Beck Bernward Müller (Gera) Arnold Vaatz
Ursula Heinen
(Reutlingen) Dr. Gerd Müller Volkmar Uwe Vogel
Uda Carmen Freia Heller
Veronika Bellmann Andrea Astrid Voßhoff
Michael Hennrich Hildegard Müller
Dr. Christoph Bergner Gerhard Wächter
Jürgen Herrmann Bernd Neumann (Bremen)
Otto Bernhardt Marco Wanderwitz
Bernd Heynemann Henry Nitzsche
Clemens Binninger Kai Wegner
Ernst Hinsken Michaela Noll
Carl-Eduard von Bismarck Marcus Weinberg
Peter Hintze Dr. Georg Nüßlein
Renate Blank Peter Weiß (Emmendingen)
Robert Hochbaum Franz Obermeier
Peter Bleser Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Klaus Hofbauer Eduard Oswald
Antje Blumenthal Ingo Wellenreuther
Franz-Josef Holzenkamp Henning Otte
Dr. Maria Böhmer Karl-Georg Wellmann
Jochen Borchert Joachim Hörster Rita Pawelski
Anette Hübinger Dr. Peter Paziorek Anette Widmann-Mauz
Wolfgang Börnsen Klaus-Peter Willsch
(Bönstrup) Hubert Hüppe Ulrich Petzold
Susanne Jaffke Dr. Joachim Pfeiffer Willy Wimmer (Neuss)
Wolfgang Bosbach Elisabeth Winkelmeier-
(B) Klaus Brähmig Dr. Peter Jahr Sibylle Pfeiffer (D)
Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Friedbert Pflüger Becker
Michael Brand Matthias Wissmann
Helmut Brandt Andreas Jung (Konstanz) Beatrix Philipp
Dr. Franz Josef Jung Ronald Pofalla Dagmar Wöhrl
Dr. Ralf Brauksiepe Wolfgang Zöller
Monika Brüning Bartholomäus Kalb Ruprecht Polenz
Hans-Werner Kammer Daniela Raab Willi Zylajew
Georg Brunnhuber
Gitta Connemann Steffen Kampeter Thomas Rachel
Alois Karl Hans Raidel SPD
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert Bernhard Kaster Dr. Peter Ramsauer Dr. Lale Akgün
Alexander Dobrindt Siegfried Kauder (Villingen- Peter Rauen Gregor Amann
Thomas Dörflinger Schwenningen) Eckhardt Rehberg Gerd Andres
Marie-Luise Dött Volker Kauder Katherina Reiche (Potsdam) Niels Annen
Maria Eichhorn Eckart von Klaeden Klaus Riegert Ingrid Arndt-Brauer
Anke Eymer (Lübeck) Jürgen Klimke Dr. Heinz Riesenhuber Rainer Arnold
Georg Fahrenschon Julia Klöckner Franz Romer Ernst Bahr (Neuruppin)
Ilse Falk Jens Koeppen Johannes Röring Doris Barnett
Dr. Hans Georg Faust Kristina Köhler (Wiesbaden) Kurt J. Rossmanith Dr. Hans-Peter Bartels
Enak Ferlemann Norbert Königshofen Dr. Norbert Röttgen Sören Bartol
Ingrid Fischbach Dr. Rolf Koschorrek Dr. Christian Ruck Sabine Bätzing
Hartwig Fischer (Göttingen) Hartmut Koschyk Albert Rupprecht (Weiden) Dirk Becker
Dirk Fischer (Hamburg) Thomas Kossendey Peter Rzepka Uwe Beckmeyer
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Michael Kretschmer Anita Schäfer (Saalstadt) Klaus Uwe Benneter
Land) Gunther Krichbaum Hermann-Josef Scharf Dr. Axel Berg
Dr. Maria Flachsbarth Dr. Günter Krings Dr. Wolfgang Schäuble Ute Berg
Klaus-Peter Flosbach Dr. Martina Krogmann Hartmut Schauerte Lothar Binding (Heidelberg)
Herbert Frankenhauser Johann-Henrich Dr. Annette Schavan Volker Blumentritt
Dr. Hans-Peter Friedrich Krummacher Dr. Andreas Scheuer Clemens Bollen
(Hof) Dr. Hermann Kues Karl Schiewerling Gerd Bollmann
Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Norbert Schindler Klaus Brandner
Jochen-Konrad Fromme (Heidelberg) Georg Schirmbeck Willi Brase
Dr. Michael Fuchs Andreas G. Lämmel Bernd Schmidbauer Bernhard Brinkmann
Hans-Joachim Fuchtel Dr. Norbert Lammert Christian Schmidt (Fürth) (Hildesheim)
Dr. Peter Gauweiler Katharina Landgraf Andreas Schmidt (Mülheim) Edelgard Bulmahn
Dr. Jürgen Gehb Dr. Max Lehmer Ingo Schmitt (Berlin) Marco Bülow
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4297
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Ulla Burchardt Hans-Ulrich Klose Reinhard Schultz Marlene Rupprecht (C)
Martin Burkert Astrid Klug (Everswinkel) (Tuchenbach)
Dr. Michael Bürsch Dr. Bärbel Kofler Swen Schulz (Spandau) Renate Schmidt (Nürnberg)
Christian Carstensen Walter Kolbow Ewald Schurer Rüdiger Veit
Marion Caspers-Merk Fritz Rudolf Körper Frank Schwabe Gunter Weißgerber
Dr. Peter Danckert Karin Kortmann Dr. Angelica Schwall-Düren
Karl Diller Rolf Kramer Dr. Martin Schwanholz FDP
Martin Dörmann Anette Kramme Rolf Schwanitz
Jens Ackermann
Dr. Carl-Christian Dressel Ernst Kranz Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Karl Addicks
Elvira Drobinski-Weiß Nicolette Kressl Wolfgang Spanier
Christian Ahrendt
Garrelt Duin Volker Kröning Dr. Margrit Spielmann
Uwe Barth
Detlef Dzembritzki Angelika Krüger-Leißner Jörg-Otto Spiller
Angelika Brunkhorst
Sebastian Edathy Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Ditmar Staffelt
Ernst Burgbacher
Siegmund Ehrmann Jürgen Kucharczyk Andreas Steppuhn
Patrick Döring
Hans Eichel Helga Kühn-Mengel Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel Mechthild Dyckmans
Gernot Erler Ute Kumpf
Christoph Strässer Jörg van Essen
Petra Ernstberger Dr. Uwe Küster
Dr. Peter Struck Ulrike Flach
Karin Evers-Meyer Christine Lambrecht
Joachim Stünker Paul K. Friedhoff
Annette Faße Christian Lange (Backnang)
Dr. Rainer Tabillion Horst Friedrich (Bayreuth)
Elke Ferner Dr. Karl Lauterbach
Jörg Tauss Dr. Edmund Peter Geisen
Gabriele Fograscher Waltraud Lehn
Jella Teuchner Dr. Wolfgang Gerhardt
Rainer Fornahl Gabriele Lösekrug-Möller
Dr. h. c. Wolfgang Thierse Miriam Gruß
Gabriele Frechen Lothar Mark
Jörn Thießen Joachim Günther (Plauen)
Dagmar Freitag Caren Marks
Franz Thönnes Dr. Christel Happach-Kasan
Peter Friedrich Katja Mast
Hans-Jürgen Uhl Heinz-Peter Haustein
Sigmar Gabriel Hilde Mattheis
Simone Violka Elke Hoff
Martin Gerster Petra Merkel (Berlin)
Jörg Vogelsänger Birgit Homburger
Iris Gleicke Ulrike Merten
Dr. Marlies Volkmer Dr. Werner Hoyer
Günter Gloser Ursula Mogg
Hedi Wegener Michael Kauch
Renate Gradistanac Marko Mühlstein
Andreas Weigel Dr. Heinrich L. Kolb
Angelika Graf (Rosenheim) Michael Müller (Düsseldorf)
Petra Weis Hellmut Königshaus
Dieter Grasedieck Gesine Multhaupt
Gert Weisskirchen Gudrun Kopp
Monika Griefahn Franz Müntefering
(Wiesloch) Jürgen Koppelin
Kerstin Griese Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Wend Heinz Lanfermann
(B) Gabriele Groneberg Andrea Nahles (D)
Lydia Westrich Sibylle Laurischk
Achim Großmann Thomas Oppermann
Dr. Margrit Wetzel Harald Leibrecht
Wolfgang Grotthaus Holger Ortel
Andrea Wicklein Ina Lenke
Hans-Joachim Hacker Heinz Paula
Heidemarie Wieczorek-Zeul Sabine Leutheusser-
Bettina Hagedorn Johannes Pflug
Dr. Dieter Wiefelspütz Schnarrenberger
Klaus Hagemann Joachim Poß
Engelbert Wistuba Markus Löning
Alfred Hartenbach Christoph Pries
Dr. Wolfgang Wodarg Horst Meierhofer
Michael Hartmann Dr. Wilhelm Priesmeier
Waltraud Wolff Patrick Meinhardt
(Wackernheim) Florian Pronold
(Wolmirstedt) Jan Mücke
Nina Hauer Dr. Sascha Raabe
Heidi Wright Burkhardt Müller-Sönksen
Hubertus Heil Mechthild Rawert
Uta Zapf Hans-Joachim Otto
Reinhold Hemker Steffen Reiche (Cottbus)
Manfred Zöllmer (Frankfurt)
Rolf Hempelmann Maik Reichel
Brigitte Zypries Cornelia Pieper
Dr. Barbara Hendricks Gerold Reichenbach
Gisela Piltz
Gustav Herzog Dr. Carola Reimann
Jörg Rohde
Petra Heß Walter Riester Nein Dr. Konrad Schily
Gabriele Hiller-Ohm Sönke Rix
Marina Schuster
Stephan Hilsberg Dr. Ernst Dieter Rossmann CDU/CSU Dr. Max Stadler
Petra Hinz (Essen) Karin Roth (Esslingen)
Manfred Kolbe Dr. Rainer Stinner
Gerd Höfer Michael Roth (Heringen)
Carl-Ludwig Thiele
Iris Hoffmann (Wismar) Ortwin Runde
SPD Christoph Waitz
Frank Hofmann (Volkach) Anton Schaaf
Dr. Guido Westerwelle
Eike Hovermann Axel Schäfer (Bochum) Klaus Barthel
Dr. Claudia Winterstein
Klaas Hübner Bernd Scheelen Petra Bierwirth
Dr. Volker Wissing
Christel Humme Dr. Hermann Scheer Dr. Gerhard Botz
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Lothar Ibrügger Marianne Schieder Dr. Herta Däubler-Gmelin
Martin Zeil
Brunhilde Irber Otto Schily Wolfgang Gunkel
Johannes Jung (Karlsruhe) Ulla Schmidt (Aachen) Dirk Manzewski
DIE LINKE
Josip Juratovic Silvia Schmidt (Eisleben) Markus Meckel
Johannes Kahrs Dr. Frank Schmidt Dr. Matthias Miersch Hüseyin-Kenan Aydin
Ulrich Kasparick Heinz Schmitt (Landau) Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Dietmar Bartsch
Dr. h. c. Susanne Kastner Carsten Schneider (Erfurt) Christel Riemann- Karin Binder
Ulrich Kelber Olaf Scholz Hanewinckel Dr. Lothar Bisky
Christian Kleiminger Ottmar Schreiner René Röspel Heidrun Bluhm
4298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Eva Bulling-Schröter Dr. Gesine Lötzsch Cornelia Behm Jerzy Montag (C)
Dr. Martina Bunge Ulrich Maurer Birgitt Bender Kerstin Müller (Köln)
Roland Claus Dorothee Menzner Matthias Berninger Winfried Nachtwei
Sevim Dagdelen Kornelia Möller Grietje Bettin Brigitte Pothmer
Dr. Diether Dehm Kersten Naumann Alexander Bonde Krista Sager
Werner Dreibus Wolfgang Nešković Ekin Deligöz Christine Scheel
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Norman Paech Dr. Uschi Eid Rainder Steenblock
Klaus Ernst Petra Pau Hans-Josef Fell Silke Stokar von Neuforn
Wolfgang Gehrcke Bodo Ramelow Kai Gehring Hans-Christian Ströbele
Diana Golze Elke Reinke Anja Hajduk Dr. Harald Terpe
Dr. Gregor Gysi Paul Schäfer (Köln) Britta Haßelmann Jürgen Trittin
Heike Hänsel Dr. Herbert Schui Winfried Hermann Wolfgang Wieland
Lutz Heilmann Dr. Ilja Seifert Peter Hettlich Josef Philip Winkler
Hans-Kurt Hill Dr. Petra Sitte Priska Hinz (Herborn) Margareta Wolf (Frankfurt)
Cornelia Hirsch Frank Spieth Ulrike Höfken
Inge Höger-Neuling Dr. Kirsten Tackmann Dr. Anton Hofreiter fraktionslos
Dr. Barbara Höll Dr. Axel Troost Bärbel Höhn
Ulla Jelpke Alexander Ulrich Ute Koczy Gert Winkelmeier
Dr. Lukrezia Jochimsen Jörn Wunderlich Sylvia Kotting-Uhl
Dr. Hakki Keskin Fritz Kuhn
Sabine Zimmermann Enthalten
Katja Kipping Renate Künast
Jan Korte Undine Kurth (Quedlinburg) FDP
BÜNDNIS 90/DIE
Katrin Kunert Markus Kurth
GRÜNEN
Oskar Lafontaine Monika Lazar Michael Link (Heilbronn)
Michael Leutert Kerstin Andreae Dr. Reinhard Loske Frank Schäffler
Ulla Lötzer Volker Beck (Köln) Anna Lührmann Florian Toncar

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist der Ab- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
schluss einer in Umfang und Bedeutung herausragenden
(B) Gesetzgebung des Deutschen Bundestages, unbeschadet Beratung der Unterrichtung durch den Wehr- (D)
beauftragten
der vorgetragenen unterschiedlichen politischen Bewer-
tungen. Dies ist ein Gesetzgebungswerk, das seit der Jahresbericht 2005 (47. Bericht)
Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 sowohl von der
Anzahl wie auch von der Bedeutung der damit verbun- – Drucksache 16/850 –
denen Änderungen her die größte Ergänzung bzw. Ände- Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
rung der Verfassungsordnung der Bundesrepublik
Deutschland darstellt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre
Dies ist, wie ich finde, ein Anlass, Dank an alle zu
ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
sagen, die daran mitgewirkt haben, ganz besonders an
diejenigen, die in einer sehr unauffälligen Weise die Vo- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
raussetzungen dafür geschaffen haben, dass diese außer- der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages,
ordentlich komplizierte und umfangreiche Arbeit über- Reinhold Robbe.
haupt möglich war.
(Beifall bei der SPD und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich möchte dem Dank des ganzen Hauses an alle Be- Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen
teiligten – sei es bei Bund oder Ländern, sei es in Wis- Bundestages:
senschaft oder Medien – die persönliche Bitte hinzufü- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
gen, dass nun alle die Souveränität besitzen sollten, Herren! Der Jahresbericht 2005 ist der erste Bericht, den
möglichst unvoreingenommen zu prüfen, ob die vorge- ich als Wehrbeauftragter vorlege. Sie wissen, dass wir
tragenen Hoffnungen wie die vorgetragenen Befürchtun- uns in diesem Jahr schon einmal mit einem Bericht des
gen sich im politischen Alltag tatsächlich bestätigen, um Wehrbeauftragten befasst haben. Dieser betraf aber noch
daraus gegebenenfalls weitergehende Schlussfolgerun- das Jahr 2004.
gen zu ziehen. Anfang März habe ich diesen Bericht dem Präsiden-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ten des Deutschen Bundestages überreicht und gleichzei-
bei Abgeordneten der FDP) tig der Öffentlichkeit vorgestellt. Heute wird er an den
Verteidigungsausschuss zur Beratung überwiesen. Ich
Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk- begrüße ausdrücklich die zeitnahe Behandlung des Be-
tes. richtes durch das Parlament. Sie ist ein wichtiges Signal
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4299
Wehrbeauftragter Reinhold Robbe
(A) dafür, dass der Deutsche Bundestag dieses wichtige Pa- Stichwort Ausbildung. Ausbildung setzt Personal (C)
pier und – mehr noch – seine Verantwortung gegenüber und Material voraus. An beidem fehlt es. Dass die Ab-
den Streitkräften sehr ernst nimmt. stellung von Personal und Material für den Einsatz in je-
dem Fall Vorrang genießt, ist unstreitig. Das geschieht
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der im Übrigen auch. Allerdings entstehen dabei Lücken in
FDP) den Stammeinheiten. Erstmalig hat der Bundesminister
Ich darf mich in diesem Zusammenhang auch im der Verteidigung eingeräumt, selbst Eingreifverbände
Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim nicht vollständig mit geschützten Fahrzeugen ausstatten
Bundestagspräsidenten, bei den Mitgliedern des Vertei- zu können. Eine entsprechende Nachsteuerung ist erst
digungsausschusses, beim Bundesminister der Verteidi- für den Einsatzfall vorgesehen. Das ist eine Mangelver-
gung und bei allen nachgeordneten Dienststellen des waltung, die weder für die Soldaten im Einzelnen noch
Bundesverteidigungsministeriums ganz herzlich bedan- für die Streitkräfte insgesamt auf Dauer hinnehmbar ist.
ken, die mit dem Amt des Wehrbeauftragten in Verbin- Welche Auswirkungen die Verwaltung des Mangels
dung stehen. Ich danke ausdrücklich für die vertrauens- auf die Grund- und Vollausbildung in den Heimatstand-
volle Zusammenarbeit. orten hat, steht bei mir in diesem Jahr besonders im
Auch der Jahresbericht 2005 versteht sich als Män- Fokus. Die Ergebnisse werde ich dann in meinen nächs-
gelbericht. Er kann und will nicht in Anspruch nehmen, ten Jahresbericht aufnehmen.
ein lückenloses Bild vom Zustand und den Perspektiven An dieser Stelle nur so viel: Nicht selten scheitern die
der Streitkräfte zu zeichnen. Trotzdem habe ich mich da- Einsatzvorbereitende Ausbildung zur Konfliktverhü-
rum bemüht, die wesentlichen Probleme auf den Punkt tung und Krisenreaktion, die so genannte EAKK, und
zu bringen und gleichzeitig den Eindruck zu vermeiden, auch die Vollausbildung daran, dass es an den notwendi-
die Summe der problembehafteten Eingaben würde die gen Fahrzeugen und an entsprechendem Gerät fehlt.
tatsächliche Stimmung in unserer Bundeswehr wider- Auch sagen mir die Ausbilder immer wieder, dass die
spiegeln. vorgesehene Zeit nicht ausreiche, um die vorgegebenen
Im Aufbau knüpft der Jahresbericht 2005 an die Vor- Lernziele in der erforderlichen Ausbildungstiefe zu er-
gängerberichte an. In ihm sollen nicht die spektakulären reichen.
Einzelfälle in den Vordergrund gestellt werden, sondern Stichwort Ausrüstung. Die Bundeswehr wandelt sich
es sollen anhand von Beispielen nachhaltige Schwach- zu einer Hightecharmee, wie wir alle wissen. Sie verfügt
stellen und Fehlentwicklungen aufgezeigt werden. Las- über moderne Panzer, Kampfflugzeuge und U-Boote,
sen Sie mich dafür einige Beispiele nennen. übt an Simulatoren und ist auf dem Weg, noch beste-
(B) Stichwort Personal. Ein Drittel aller Eingaben an den hende Lücken, beispielsweise im strategischen Luft- (D)
Wehrbeauftragten betrifft Personalfragen der Zeit- und transport oder bei der vernetzten Operationsführung und
Berufssoldaten. Das war im Übrigen auch in den vergan- Datenverarbeitung, zu schließen. Gleichzeitig entstehen
genen Jahren bereits so. Inhaltlich geht es dabei häufig aber Probleme, wenn es darum geht, beispielsweise die
um die Personalbearbeitung. Das heißt, Anträge werden Soldaten im ISAF-Einsatz mit Kampfstiefeln und Tarn-
gar nicht, unvollständig oder verspätet bearbeitet bzw. anzügen in ausreichender Zahl und Größe auszurüsten.
weitergeleitet. Angesichts der Vielzahl dieser Fälle habe Das lässt bei den Betroffenen Zweifel aufkommen, ob
ich die Sorge, dass das Vertrauen in die Personalbearbei- das Versprechen, alles für den Schutz der Soldaten im
tung Schaden nimmt. Ursächlich dafür sind in erster Einsatz zu tun, auch verlässlich ist.
Linie personelle Vakanzen, weil Soldaten von aufzu- Schließlich das vierte Stichwort: Versorgung. Damit
lösenden Einheiten bereits versetzt oder aber im Aus- meine ich nicht die Absicherung im Einsatz. Hier hat der
landseinsatz sind. Wenn es für sie Vertreter gibt, dann Gesetzgeber, haben Sie mit dem Einsatzversorgungsge-
fehlen ihnen häufig die nötige Ausbildung und Erfah- setz, wie ich meine, eine überzeugende Antwort auf die
rung, um die Antragsflut zu bewältigen. erhöhte Gefährdung der Soldatinnen und Soldaten und
Es geht aber nicht nur um die Bearbeitung, sondern die Notwendigkeit ihrer Absicherung gegeben. Nein, es
auch um Ergebnisse. Es fehlt an Planstellen; deshalb geht um die Besoldung. Die Streichung des Urlaubsgel-
bleiben Beförderungen aus. Das führt zu Wartezeiten, des, die Kürzung des Weihnachtsgeldes, die Kürzung
die im Attraktivitätsprogramm nicht vorgesehen wa- von Übergangsgebührnissen, die Erhöhung des Verpfle-
ren. Immer mehr Soldaten haben darüber hinaus die be- gungsgeldes und der Wegfall des so genannten Busch-
gründete Sorge, ihr Laufbahnziel nicht zu erreichen. geldes treffen die Masse der Soldaten, insbesondere die
Mannschaften und Unteroffiziere, die dem einfachen
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne und mittleren Dienst zugeordnet sind. Denn oftmals wird
Kastner) vergessen, dass zwei Drittel aller Bundeswehrangehöri-
gen nicht den oberen, sondern den unteren Einkommens-
Im Hinblick auf die Beurteilungspraxis beklagen
gruppen angehören. Der Griff ins Portemonnaie der Sol-
schließlich viele Soldatinnen und Soldaten, dass zur
daten ist ohne Frage eine ernst zu nehmende Ursache
Übernahme als Berufssoldat anstehende Kameraden un-
wachsender Demotivation. Sie macht sich gegenüber
verhältnismäßig gut beurteilt werden, um ihnen eine
dem Wehrbeauftragten in zunehmendem Maße Luft.
Übernahme zu ermöglichen. Ich habe erhebliche Zweifel
daran, dass ein neues Beurteilungssystem auf der Grund- Sorge bereitet mir auch die sanitätsdienstliche
lage von Quotenzuweisungen dieses Problem löst. Versorgung der Soldaten im Inland. Dabei ist die
4300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Wehrbeauftragter Reinhold Robbe


(A) medizinische Versorgung im Einsatz nach wie vor auf ei- men. Die Eingaben sind im Jahr 2005 zwar um etwa (C)
nem außerordentlich hohen Niveau. Handlungsbedarf 10 Prozent zurückgegangen, bewegen sicher aber immer
zeichnet sich allerdings beim Blick auf die Einsatzbelas- noch auf einem hohen Niveau. In den ersten Monaten
tung und ihre Folgen ab. Die Lücken, die die Einsätze im des Jahres 2006 ist das Eingabevolumen wieder deutlich
Inland reißen, sind offensichtlich. Insbesondere in den um etwa 20 Prozent angestiegen.
Bundeswehrkrankenhäusern fehlt es dadurch an Ärzten,
aber auch an notwendigem Pflegepersonal. Die Belastung der Truppe durch laufende und neue
Einsätze ist nach wie vor hoch. Durchschnittlich haben
Nachhaltige Probleme zeichnen sich aber auch im Be- sich im Berichtsjahr 2005 etwa 6 500 Soldaten an in-
reich der truppenärztlichen Versorgung ab. Ständiger ternationalen Krisenmissionen beteiligt. Einsatzplanung,
Personalwechsel lässt das notwendige Vertrauensver- -ausbildung, -ausrüstung und -durchführung haben er-
hältnis zwischen Arzt und Patient oft gar nicht erst ent- neut Anlass zu Kritik gegeben. Wie schon in den letzten
stehen. Vertragsärzte können diesen Mangel nur be- Jahresberichten fallen Personalengpässe bei Spezialisten
grenzt beheben. ins Auge, so insbesondere in den Bereichen Operative
Ein weiteres Problem stellt die zunehmende Entfer- Information, Sanitätsdienst, Heeresfliegertruppe, Feldjä-
nung der Einheiten und Verbände von den Sanitätszen- ger, Fernmelder und Pioniere. Wenn das gegenwärtige
tren dar. Fahr- und Wartezeiten belasten Soldaten und Niveau gehalten werden soll, müssen politische und mi-
Vorgesetzte in gleicher Weise, abgesehen davon, dass litärische Führung entschieden gegensteuern.
diese Organisationszeiten in keinem Ausbildungsplan
Fest steht: Die Wehrpflicht bleibt für eine nachhal-
berücksichtigt sind. Ich denke, es ist dringend geboten,
tige Personalplanung der Streitkräfte unverzichtbar.
darüber nachzudenken, wie dieses spezielle Problem ge-
Zusätzlich müssen wir aber in eine kreative Nachwuchs-
löst werden kann.
werbung und Karriereplanung investieren. Die Konkur-
Das war der Versuch einer Kurzfassung dessen, was renz zum zivilen Arbeitsmarkt wird immer härter.
der Jahresbericht 2005 auf vielen Seiten ausführlich dar-
legt. Er wäre unvollständig, würde ich in diesem Zusam- Ich begrüße deshalb ausdrücklich, dass der Wehrbe-
menhang nicht daran erinnern, was inzwischen kein Ge- auftragte die Forderung unseres Verteidigungsministers
heimnis mehr ist: Den Streitkräften steht für das, was sie nach einem eigenen Besoldungsrecht für die Soldatin-
leisten sollen und müssen, zu wenig Geld zur Verfügung. nen und Soldaten unterstützt. Schließlich steht es auch
Hier besteht dringender Handlungsbedarf. so im Koalitionsvertrag. Es ist ein untragbarer Zustand,
dass zwei Drittel aller Soldaten zu den unteren Einkom-
Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit. mensgruppen gehören. Ein eigenes Besoldungsrecht, das
(B) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der sich an das Beamtenbesoldungsrecht anlehnt, wäre ein (D)
FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN wegweisender Schritt. Darüber hinaus muss die Un-
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gleichbehandlung der Bundeswehrangehörigen in Ost
und West so schnell wie möglich beendet werden. Die
Bundeswehr der Zukunft muss so attraktiv sein, dass
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sich qualifizierte junge Menschen in ausreichender Zahl
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, freiwillig für den Dienst in den Streitkräften entschei-
möchte ich im Namen des Hauses dem Wehrbeauftrag- den.
ten und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die
Vorlage des Jahresberichts 2005 recht herzlich danken. Besonders bedenklich sind nach wie vor Mängel in
(Beifall im ganzen Hause) der Einsatzausstattung. So finden sich im Jahresbericht
Klagen darüber, dass die Ausstattung von deutschen
Das Wort hat die Kollegin Anita Schäfer, CDU/CSU- Kräften der NATO Response Force mit geschützten Ein-
Fraktion. satzfahrzeugen unzureichend war. Dies führte dazu, dass
(Beifall bei der CDU/CSU) die der NATO verbindlich zugesicherten Kräfte auf un-
geschützte Fahrzeuge zurückgreifen mussten. Der Wehr-
beauftragte kritisierte diesen Zustand zu Recht als nicht
Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): hinnehmbar.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jah-
resbericht 2005 des Wehrbeauftragten zeichnet sich Diesen kritischen Befund kann ich bestätigen: Solda-
durch Offenheit und Klarheit aus. Am inneren Zustand ten der am Standort Zweibrücken stationierten Feldjäger
der Bundeswehr, den Alltagssorgen der Soldaten und aus meinem Wahlkreis waren Teilnehmer der fünften
den Auswirkungen der Transformation wird nichts be- NATO-Response-Force. Diesem Kontingent stand die
schönigt. Herr Wehrbeauftragter, für Ihre wichtige Ar- im Vorfeld zugesagte Ausstattung mit gepanzerten
beit danke ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern im Namen Erkundungsfahrzeugen für den Patrouillendienst nicht
meiner Fraktion ganz herzlich. zur Verfügung. In der zweiten Jahreshälfte 2006 werden
Zweibrücker Feldjäger an der siebten NATO-Response-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Force teilnehmen. Ab Oktober 2006 soll die NATO-Ein-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
greifgruppe, für die deutsche Soldaten fest eingeplant
GRÜNEN)
sind, voll einsatzbereit sein. Vor diesem Hintergrund
Ich erinnere: Gemessen an der Truppenstärke hatte muss der Schutzausstattung der Bundeswehr höchste
der Bericht des Jahres 2004 das höchste Eingabevolu- Priorität zukommen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4301
Anita Schäfer (Saalstadt)
(A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kann und sollte das Weißbuch eine wertvolle Orientie- (C)
der FDP) rungshilfe bieten. Es wäre deswegen falsch, die Fertig-
stellung des Weißbuches aus parteitaktischen Gründen
Ich begrüße daher ausdrücklich, dass Bundesminister
zu blockieren.
Jung nach den jüngsten Vorfällen in Afghanistan im
Sinne des Schutzes unserer Soldaten gehandelt hat. Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
ist jetzt eigentlich einen Applaus wert.
Die Truppe braucht konzeptionelle wie finanzielle
Ein weiterer Punkt des Berichts ist bedenklich: Das Planungssicherheit, Verlässlichkeit und Kontinuität. Al-
für bergige Einsatzgebiete wie Afghanistan unverzicht- les andere würde den Transformationsprozess gefährden.
bare Geländefahrzeug „Wolf“ stößt immer deutlicher an Deswegen ist der Verteidigungsminister gehalten, sich
seine Grenzen. Die Berichte zahlreicher betroffener Sol- gegen weitere Kürzungen seines Etats zu wehren.
daten sprechen eine eindeutige Sprache. Das Fahrzeug
ist offensichtlich nicht für das durch die Zusatzpanze- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
rung erhöhte Gewicht ausgelegt. Überbeanspruchung neten der FDP)
und erhöhter Materialverschleiß führen häufig zu Aus- Hierbei kann er auf jeden Fall mit der Unterstützung der
fällen. Wir brauchen rasch ein Nachfolgemodell für den Sicherheits- und Verteidigungspolitiker rechnen, zumin-
„Wolf“, um Schutz und Mobilität unserer Soldaten im dest mit der der Koalitionsfraktionen.
Einsatz zu erhöhen.
(Jörg van Essen [FDP]: Und meiner ganzen
Die Einsatzbelastung hat Folgen für die Motivation Fraktion!)
der Soldaten und das innere Gefüge der Streitkräfte.
Notwendig ist nicht nur eine ausreichende Erholungs- – Das finde ich hervorragend. Das muss im Protokoll
phase, sondern auch eine nachhaltige Betreuung von Fa- festgehalten werden.
milien der im Einsatz befindlichen Soldaten. Mit der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Einrichtung von 31 Familienbetreuungszentren hat die
Bundeswehr Vorbildliches geleistet. Der Soldatenberuf ist nicht irgendein Job. Das haben
Sie, Herr Wehrbeauftragter, in Ihrem Bericht deutlich
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- herausgestellt. Wir müssen den mit Gefahr für Leib und
neten der FDP) Leben verbundenen Soldatendienst in den Fokus des ge-
Umso wichtiger ist es, eine in materieller wie in perso- sellschaftlichen Interesses rücken. Das muss unsere poli-
neller Hinsicht ausreichende Ausstattung der Zentren zu tische Handlungsprämisse sein. Wir dürfen das Ver-
gewährleisten. Hierbei zu sparen, wirkt sich auf die trauen unserer Soldaten nicht leichtfertig aufs Spiel
(B) Motivation der Soldaten und ihrer Familien schädlich setzen. Denn Vertrauen ist die Grundlage für Einsatzbe- (D)
aus. reitschaft, Motivation und Kameradschaft.
In diesem Jahr blicken wir auf 50 Jahre Wehrbeauf- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
tragter zurück. Gerade im Zeichen der Transformation
Einen Vertrauensverlust unserer Soldaten in die Poli-
der Bundeswehr gewinnt der Wehrbeauftragte als
tik können wir in Anbetracht neuer Verpflichtungen in
Frühwarnsystem an Bedeutung. Diese Aufgabe ver-
EU und NATO, aber auch neuer Kriseneinsätze wie jetzt
langt Fingerspitzengefühl und vor allem die Wahrung
im Kongo nicht verantworten. Gerade wir Parlamenta-
des Vertrauens in das Amt des Wehrbeauftragten. Hierzu
rier stehen deswegen in der Pflicht, alles zu tun, damit
gehört der Schutz für die Petenten, die sich an den Wehr-
unsere Soldaten ihren Auftrag in Zukunft erfolgreich er-
beauftragten wenden, und die vertrauensvolle Zusam-
füllen können.
menarbeit mit den Mitgliedern des Deutschen Bundes-
tages. Entscheidend ist, dass der Wehrbeauftragte seine Herzlichen Dank.
Bedenken und Anregungen zunächst in die Gremien des
Deutschen Bundestages einbringt, bevor öffentliche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Stellungnahmen erfolgen. Sehr geehrter Herr Wehrbe- neten der SPD)
auftragter, ich hoffe, dass das in Zukunft wieder der Fall
sein wird. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion.
Zu Recht wird im aktuellen Bericht kritisiert, dass die
Transformation der Bundeswehr allzu technokratisch (Beifall bei der FDP)
und ohne Einbeziehung der Soldaten vorangetrieben
wird. Diese Entwicklung ist mit dem Prinzip der inneren Elke Hoff (FDP):
Führung nicht zu vereinbaren.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und Kollegen! Herr Wehrbeauftragter, ich danke Ihnen
für den vorliegenden Bericht, der klar und deutlich die
Hier müssen militärische und politische Führung korri- Ängste und Sorgen unserer Soldatinnen und Soldaten
gierend eingreifen. Notwendig ist, dass der Transfor- zur Sprache bringt und damit erneut zeigt, wie wichtig
mationsprozess jetzt eine Phase der Konsolidierung die Institution des Wehrbeauftragten für die Bundeswehr
durchläuft. Die Soldaten erwarten mit Recht Verlässlich- und für das Parlament ist.
keit im Rahmen der Transformation und, mit Blick auf
die Ziele nationaler Sicherheitspolitik, Klarheit. Dabei (Beifall bei der FDP)
4302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Elke Hoff
(A) So haben Sie die Rolle der Bundeswehr beim Einsatz das der Bundesverteidigungsminister am 12. Juli durchs (C)
gegen die Vogelgrippe beklagt, auf die Risiken und Aus- Kabinett bringen wollte, um einen schnellen Erfolg ver-
rüstungsdefizite der Bundeswehr im Hinblick auf den buchen zu können. Daraus wird nach den Querelen der
bevorstehenden Kongoeinsatz hingewiesen und sich in letzten Tage innerhalb der Koalition nun erst einmal
die Diskussion um ein Ehrenmal für im Einsatz gefallene nichts.
Soldaten eingeschaltet. Auch wenn dieses Amtsver-
ständnis Feuer unter dem Dach der großen Koalition ent- (Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!)
facht hat, begrüße ich dieses Engagement als Anwalt Der bekannt gewordene Ressortentwurf des Ministers
unser Soldatinnen und Soldaten ausdrücklich. lässt bisher nichts Gutes ahnen. Die darin ansatzweise
(Beifall bei der FDP) definierten deutschen Interessen sind jedenfalls nicht
dazu geeignet, vor jeder Entscheidung über einen Bun-
Eine Reihe von Problemen im Jahresbericht hat sich deswehreinsatz im Ausland zu prüfen, inwieweit kon-
inzwischen zu modernen Klassikern entwickelt. Erinnert krete deutsche Interessen den Einsatz erfordern und
sei nur an den Beförderungsstau, das Ausufern bürokra- rechtfertigen.
tischer Einsatzhindernisse, den baulichen Zustand der
Kasernen und die Auswirkungen der permanenten Un- (Beifall bei der FDP)
terfinanzierung auf die Streitkräfte. Das dauerhafte Ver- Nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion bedarf
walten des Mangels lässt die Bereitschaft, immer neue es einer unmissverständlichen Beschreibung des politi-
Belastungen des Transformationsprozesses mitzutragen, schen Ziels inklusive der angestrebten Nachkonfliktord-
nicht gerade wachsen. nung, der Wahrung bzw. Wahrnehmung deutscher Inte-
Dieses Bild der Bundeswehr wird auch zunehmend ressen und eines klar umrissenen Auftrags für die
ein öffentliches. So abwegig oder amüsant auch die Be- Streitkräfte sowie der Bereitstellung der von ihnen benö-
richterstattung über die Ausrüstung der Soldaten mit Ar- tigten Mittel.
tikeln eines Kaffeerösters teilweise sein mag, so schlecht Wieso kann die Bundesregierung dies nicht leisten?
ist dies für das Image der Bundeswehr als interessanter Ich habe zunehmend den Eindruck, dass sie sich dahinter
Arbeitgeber für junge und gut ausgebildete Menschen. versteckt, von den Vereinten Nationen bzw. der EU auf-
Diesen Nachwuchs zu gewinnen, wird für die Bundes- gefordert worden zu sein, diese oder jene Aufgabe wahr-
wehr in den nächsten Jahren bei Verschärfung der Be- zunehmen. Die wichtige und unverzichtbare Einbindung
werbersituation immer schwerer werden. Junge Men- Deutschlands innerhalb der internationalen Staatenge-
schen sind dann für einen Dienst bei der Bundeswehr zu meinschaft entbindet die politisch Verantwortlichen aber
begeistern, wenn sie einen modern denkenden und gut nicht von der selbstbestimmten Entscheidung, was man
(B) ausgestatteten Arbeitgeber vorfinden. Aber auch hin- mitmacht und was man lässt. (D)
sichtlich der Bewerbungen aus der Truppe läuft vieles
nicht so, wie es sein sollte. Mir erschließt sich nicht, wa- (Beifall bei der FDP)
rum die Zentren für Nachwuchsgewinnung ein Monopol Für die Zukunft wird es von großer Bedeutung sein,
für die Stellenbesetzungen innehaben und die Kompa- die Belastungen durch die Auslandseinsätze der Bundes-
niechefs und Feldwebel, die ihr Personal doch viel bes- wehr gerechter zu verteilen. Immer wieder gehen die
ser kennen, keine Möglichkeit erhalten, geeignete Be- gleichen Soldatinnen und Soldaten in den Einsatz, weil
werberinnen und Bewerber aus der Truppe heraus zu die Bundeswehr zwar nicht über zu wenige, aber über zu
fördern. wenig einsatzfähige Soldaten verfügt. Wir tragen Verant-
(Beifall bei der FDP) wortung für den gefährlichen Einsatz unserer Soldatin-
nen und Soldaten in vielen Regionen der Welt und sind
Jahr für Jahr wird in den Berichten des Wehrbeauf- für die Wahrnehmung dieser Aufgabe zu großem Dank
tragten deutlicher, dass die Belastungen der Soldatinnen verpflichtet. Deshalb heißt es: optimal ausstatten statt
und Soldaten durch immer neue Auslandseinsätze größer optimal schönreden.
werden. Die Bedenken meiner Fraktion zum Einsatz im
Kongo kennen Sie. An dieser Stelle kann ich nur die An dieser Stelle, sehr geehrter Herr Minister, möchte
Lektüre eines Artikels über den Wahlkampf im Kongo in ich ausdrücklich darum bitten, dass unseren Soldatinnen
der heutigen „FAZ“ empfehlen. Mich macht die Beden- und Soldaten, die zurzeit im Sudan ihren Dienst tun,
kenlosigkeit besorgt, mit der der Bundeswehr immer endlich die Möglichkeit eröffnet wird, Feldpost und
neue Verpflichtungen aufgebürdet und alte weitergeführt Päckchen von zu Hause zu bekommen. Das ist zurzeit
werden, ohne wirklich die Ziele des Einsatzes, die Inte- nämlich nicht möglich.
ressen der Bundesrepublik Deutschland sowie deren rea-
Ganz herzlichen Dank.
listische Erreichbarkeit zu prüfen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE
der SPD und der LINKEN)
GRÜNEN]: Das ist geprüft!)
Sowohl für bestehende als auch für zukünftige Ver- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
pflichtungen fehlen verlässliche Kriterien, nach denen Das Wort hat die Kollegin Hedi Wegener, SPD-Frak-
das Für und Wider von Auslandseinsätzen der Bundes- tion.
wehr abgewogen werden kann. Dies sollte eigentlich das
für Ende dieses Jahres angekündigte Weißbuch leisten, (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4303

(A) Hedi Wegener (SPD): dortigen Missstände bemängelt. Es gibt Missstände bei (C)
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Liebe der Unterbringung, etwa beim Zustand der Sanitärein-
Gäste auf der Tribüne, aufgepasst: Der Bericht des richtungen. Kasernen brauchen keinen Viersternestan-
Wehrbeauftragten, über den wir gerade sprechen, betrifft dard, aber Mindestanforderungen sollten sie erfüllen.
vor allen Dingen die jungen Leute. Die Umgebung, die Unterbringung hat – davon bin ich
fest überzeugt – einen Einfluss auf Moral, Stimmung
Als ich meine letzte Rede zu diesem Thema beendet und Umgangston. Ich sage es einmal ein bisschen popu-
habe, sagte ich, dass Sie, Herr Minister, und Sie, Herr listisch: In einer verkommenen Umgebung verkommen
Robbe, sich Ihre Lorbeeren erst noch verdienen müssen. auch die Sitten und der Umgang miteinander. Hier
Letztes Mal ging es um den Bericht des vorigen Wehrbe- scheint doch Not am Mann zu sein. Man muss da besser
auftragten. Nun liegt Ihr erster Bericht vor, Herr Robbe. hinschauen.
Recht herzlichen Dank dafür! In Ihrem Bericht themati-
sieren Sie die Dinge, die von den Petenten an Sie heran- Wenn, wie in dem Bericht geschildert, ein Oberst, ein
getragen worden sind. Sie sind sozusagen ihr Sprach- Kasernenkommandant, laut und ausfallend wird, weil er
rohr. Die vielen Eingaben sprechen für sich. am Kasernentor bei Dunkelheit seinen Ausweis vorzei-
gen soll, dann muss ich sagen: Wenn sich Vorgesetzte so
Ich konzentriere mich diesmal auf die Ausstattung verhalten, dann wundert mich das doch sehr! Einen sol-
der Truppe, wie es bereits einige meiner Vorrednerin- chen Zirkus hat schließlich nicht einmal der Minister
nen und Vorredner getan haben. Ich sage, vor allen Din- veranstaltet, als er inkognito unangemeldet eine Kaserne
gen an den Minister gerichtet, laut und deutlich: Sie ist besucht hat und auch nicht gleich erkannt wurde.
unzureichend. Zumindest wird sie von der Truppe als
unzureichend empfunden. Was einen weiteren Einsatz (Jörg van Essen [FDP]: Er soll doch froh sein,
im Ausland betrifft, wird es künftig Probleme geben. dass die Leute so sorgfältig kontrollieren!)
Denn es ist eine Grenze erreicht. Mehr ist schlicht und – Genau.
ergreifend nicht drin.
Wer den Wehrbericht aufmerksam liest, muss feststel-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) len, dass am Umgangston noch einiges gemacht werden
Das fängt bei den Einsatzübungen an. Es darf nicht muss. Die Integration von Frauen ist da ziemlich hilf-
sein, dass sich die Soldaten erst im Einsatzland mit den reich, wie Männer und Frauen sagen. Frauen sind keine
Handfeuerwaffen vertraut machen können. Sie, Herr Mimosen, aber sie beteiligen sich durchgängig nicht an
Wehrbeauftragter, haben geschrieben: solch „bekloppten“ Ritualen, wie sie in Männergesell-
schaften manchmal gepflegt werden. Dabei haben die
Ein Soldat, der im Einsatz mit seiner Schusswaffe Vorgesetzten eine Schlüsselrolle. Vertrauensbildung, (D)
(B)
nicht vertraut ist, stellt ein Risiko für sich und seine Vorbildfunktion, Selbstkritik und dass man miteinander
Kameraden dar. redet, das sind die besten Voraussetzungen für einen ver-
Wohl wahr. antwortungsvollen Umgang miteinander.

(Jörg van Essen [FDP]: Oh ja! So ist es!) Wir warten bis zur nächsten Debatte auf Ihren Be-
richt, Herr Minister.
Die Probleme mit den Kampfstiefeln, den Übungen
der Hubschrauberbesatzung, dem Ausfall der Einsatz- Danke.
fahrzeuge in Kabul und Faizabad, dem Umbau der Ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
satzfahrzeuge Wolf und der unzureichenden Ausstattung der CDU/CSU)
der NATO Response Force mit geschützten Einsatzfahr-
zeugen sind nicht hinnehmbar.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein weite- Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Kunert,
res Problem aufmerksam machen, über das am Mittwoch Fraktion Die Linke.
im Unterausschuss Innere Führung gesprochen wurde:
Wir wollen, dass Frauen in der Bundeswehr Dienst tun. (Beifall bei der LINKEN)
Aber dazu müssen wir sie auch entsprechend ausstatten.
Das Problem fängt damit an, dass Frauen nicht in die Katrin Kunert (DIE LINKE):
Stiefel passen, mit denen sie marschieren müssen; sie Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
sind ein bis zwei Nummern zu groß. Das Gleiche gilt für Bei uns in der Fraktion sitzt man zu seinem Tagesord-
die Splitterwesten, die es nicht in der Größe S gibt. nungspunkt möglichst in der ersten Reihe. Vielleicht
Meine Damen und Herren, das ist lebensgefährlich und wäre es ja möglich, dass Herr Robbe demnächst auch
muss sich ändern. Es kann doch nicht so schwer sein, weiter vorne sitzt, sodass man ihn wenigstens einmal an-
passende Bekleidung herzustellen. Aber manchmal habe schauen kann.
ich den Eindruck: Man beschäftigt sich in der Bundes-
wehr mehr mit der Größe XXL als mit der Größe S. (Jörg van Essen [FDP]: Nein, er hat einen fes-
ten Platz!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Stellen Sie sich vor, Deutschland müsste sich gegen
Zum Inland: Herr Wehrbeauftragter, als Sie kürzlich Angriffe verteidigen, doch die Soldatinnen und Solda-
eine Kaserne im Saarland besucht haben, haben Sie die ten befinden sich im Streik.
4304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Katrin Kunert
(A) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das täte den Der Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee (C)
Linken gefallen!) erfolgt auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten.
Mehrausgaben bei den Investitionen bedeuten, dass Geld
Die Bundeswehr soll immer mehr Aufgaben überneh- für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Solda-
men, Auslandseinsätze stehen auf der Tagesordnung und tinnen und Soldaten fehlt. Die Vielzahl von internationa-
werden trotz knapper Kassen finanziert. Viel Geld wird len Verpflichtungen führt zu hohen Einsatzbelastungen
in neue Technik investiert, aber bei den Soldatinnen und bei den dafür qualifizierten Soldaten. Durch die mögli-
Soldaten sind Sie knausrig. Während in Tarifverhand- che Umsetzung des neuen Weißbuches würde diese Si-
lungen bundesweit Lohnerhöhungen erstritten werden, tuation verschärft. Wir müssen an den Kernaufgaben der
wie unlängst von den Ärzten an den Unikliniken, und Bundeswehr festhalten und die Sicherheit im Land der
selbst der Bundespräsident eine 1,3-prozentige Diätener- Polizei überlassen.
höhung in die Diskussion bringt, weil die Lebenshal-
tungskosten steigen, gibt es weitere Kürzungen beim In dem Bericht wird aber auch unterstrichen, dass die
Weihnachtsgeld der Soldatinnen und Soldaten. So stei- festgestellten Mängel in der militärischen Führung mit
gern Sie die Attraktivität der Bundeswehr mitnichten. der Militärgerichtsbarkeit und der Wehrdisziplinarord-
nung zusammenhängen. Wir fordern den Wehrbeauf-
Die Unterschiede beim Sold zwischen Ost und West tragten auf, grundsätzlich die Praxis zu durchleuchten
bestehen weiterhin. Dass die Debatte „Besoldung der und den Bundestag darüber zu informieren.
Soldaten“ letzte Nacht für 3 Uhr angesetzt war, zeigt
deutlich, wie ernst Sie diese Probleme nehmen. Bei den Noch eines: Rechtsextremistische Vorkommnisse
so genannten Radarfällen aus NVA-Zeiten gibt es keine sind leider nach wie vor an der Tagesordnung.
Bewegung und der Beförderungsstau kann so manchem
Ferienstau Konkurrenz machen. Hier muss endlich ge- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Na! Na! Das
handelt werden. nehmen Sie aber sofort zurück! – Jörg van
Essen [FDP]: Unverschämtheit! Unglaublich!
Der Jahresbericht 2005 des Wehrbeauftragten ist na- Ihre Zahl ist in der Bundeswehr weit unter-
hezu deckungsgleich mit dem Bericht des Vorjahres: durchschnittlich und ich bin stolz darauf!)
gleiche Probleme, gleiche Sorgen, gleiche Nöte. Viel
Neues gibt es nicht; lediglich der Kühlschrank „Olaf“, Ich frage Sie: Wissen wir, was die Ursachen sind? Wel-
bei dem ein Rekrut Meldung zu machen hatte, und die che Gegenstrategien gibt es? – Zum Thema Wehrpflicht
Kaffeemaschine „Heraldine“, bei der er sich abzumelden ist leider festzustellen, dass es trotz des neuen Tiefstan-
hatte, zeugen von einer neuen Kreativität der Vorgesetz- des nur am Rande erwähnt wird.
(B) ten im Schikanieren von Soldatinnen und Soldaten. Aus Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass in der (D)
unserer Sicht muss generell über die Aufgaben und über letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses über die
die Tätigkeit des Wehrbeauftragten gesprochen wer- Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten für den mögli-
den. Wozu ist der Bericht da, wenn Probleme zwar be- chen Kongoeinsatz gesprochen wurde. Ich denke, wenn
nannt, aber nicht gelöst werden? Wer kommt hier seiner man Großes vorhat und in die große weite Welt ziehen
Verantwortung nicht nach? will, dann muss man die Soldatinnen und Soldaten auch
entsprechend ausstatten. Herr Wehrbeauftragter, in die-
An dieser Stelle, lieber Kollege Kramer, lassen Sie
ser Beziehung haben Sie unsere Unterstützung. Wir la-
mich die Gedanken vom 6. April dieses Jahres wieder
den Sie gerne zur Zusammenarbeit mit uns ein.
aufnehmen. Sie waren sehr erregt, weil ich mir die Be-
schlussempfehlung in der Formulierung etwas „zacki- Danke schön.
ger“ gewünscht hatte. „Zackiger“ war auf das Lösen der
Probleme bezogen. Denn Jahr für Jahr werden im Be- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Ditmar Staffelt
richt des Wehrbeauftragten die gleichen Probleme be- [SPD]: Das fällt Ihnen schwer!)
nannt; doch das war es – kein Wort über Zuständigkei-
ten! Wenn in der Beschlussempfehlung steht, dass darum Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
gebeten wird, etwas zur Kenntnis zu geben, muss ich sa-
gen: Mir und meiner Fraktion fehlt die Nennung der Ver- Frau Kollegin Kunert, zum Sitzplatz des Wehrbeauf-
antwortlichkeiten. Ich will wissen, wer Missstände bis tragten will ich Ihnen sagen: Der Wehrbeauftragte ist ein
wann zu beseitigen hat! Beauftragter unseres Parlaments, aber kein Mitglied die-
ses Hauses. Wie Sie wissen, dürfen nur gewählte Mit-
(Beifall bei der LINKEN) glieder des Hauses den Parlamentsbereich betreten.

Das hat auch etwas mit Konsequenz und Verbindlich- (Abg. Katrin Kunert [DIE LINKE] weist auf
keit unserer eigenen Arbeit als Abgeordnete zu tun und die Bundesratsbank)
das sind wir den Soldatinnen und Soldaten schuldig. Aus
unserer Sicht müssen die Mängel im Bericht des Wehr- – Das sind Länderplätze. – Man muss sich schon an die
beauftragten benannt werden, aber darüber hinaus müs- Gegebenheiten dieses Parlaments halten.
sen auch Schlussfolgerungen gezogen und es muss den Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei,
strukturellen Ursachen für die Probleme der Soldatinnen Bündnis 90/Die Grünen.
und Soldaten nachgegangen werden, Zusammenhänge
müssen deutlich gemacht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4305

(A) Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein weiterer Punkt ist, dass Sie die Forderung des (C)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundespräsidenten nach einer breiten sicherheitspoliti-
Herr Wehrbeauftragter! Lieber Reinhold Robbe, herzli- schen Debatte deutlich unterstützen. Diese ist in der Tat
chen Dank für Ihren ersten Jahresbericht, den zum Jahre sowohl die Voraussetzung für die außenpolitische Hand-
2005. Zugleich bedanke ich mich auch bei all Ihren Mit- lungsfähigkeit und Verlässlichkeit als auch dafür, den
arbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich für diesen wie- Soldaten eine entsprechende Orientierung zu bieten. Sie
der sehr hilfreichen Bericht. ist deshalb von elementarer Bedeutung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Debatte muss in den nächsten Monaten stattfin-
den. Bis zum Jahresende besteht dazu die Gelegenheit.
Ich begrüße ausdrücklich Ihr Bemühen, auch durch Danach wäre diese so enorm wichtige Chance vertan. In
vermehrte unangemeldete Besuche in der Truppe dichter der Debatte sind folgende Schlüsselfragen zu berück-
an die unverstellte Realität in der Bundeswehr heranzu- sichtigen:
kommen und dies dann auch öffentlich zu machen. Das Erstens muss über die Auswertung unserer bisherigen
ist zwar unbequem für die Betroffen selbst, aber auf je- Auslandseinsätze diskutiert werden. Bisher ist eine sol-
den Fall hilfreich. Damit beschreiten Sie also einen gu- che Auswertung noch nicht erfolgt.
ten Weg.
Zweitens müssen die deutschen Sicherheitsinteressen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Kontext europäischer und internationaler Sicherheits-
sowie bei Abgeordneten der SPD) interessen genauer geklärt und abgestimmt werden.
Wegen der Kürze der Zeit kann ich nicht zu den ver- (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜND-
schiedenen Details Stellung nehmen; dafür haben wir im NIS 90/DIE GRÜNEN])
Ausschuss genügend Zeit. Deshalb möchte ich vor allem Drittens ist unser Verständnis von Verteidigung zu
zu zwei Aspekten sprechen. klären. In diesem Zusammenhang gerät inzwischen im-
Zunächst komme ich zu der Kernbotschaft in dem Be- mer mehr durcheinander. In diesem Punkt ist eine grö-
richt. Die Kernbotschaft ist Ihr zu Recht erteilter Hin- ßere Präzision sehr wichtig.
weis auf eine auseinander klaffende Schere: die Schließlich stellt sich die Frage, wie der Anspruch ei-
Schere zwischen den Belastungen und Anforderungen ner umfassenden Sicherheitspolitik, die wir alle wollen,
auf der einen Seite und den Leistungen, Besoldungen im Sinne einer kohärenteren Politik und im Sinne von
usw., die es für die Soldatinnen und Soldaten dafür gibt, ausgewogenen sicherheitspolitischen Fähigkeiten opera-
auf der anderen Seite. tionalisiert werden kann.
(B) (D)
Viele Bürgerinnen und Bürger werden sagen: Na ja, Zu dieser Debatte sind selbstverständlich nicht nur
das ist doch die normale Entwicklung in den letzten Jah- die Mitglieder der sicherheitspolitischen Community
ren gewesen. Wir müssen auch mehr Arbeit erbringen – Bundeswehrangehörige, der Bundeswehrverband und
und erhalten trotzdem weniger. Man muss aber beden- der Reservistenverband – aufgerufen, sondern auch die
ken, dass hier ganz wesentliche Unterschiede bestehen. Wissenschaft, Parteien, Kirchen, Medien, Friedensprak-
Ich denke auf der einen Seite an die Anforderungsebene. tiker und Friedensorganisationen, also all diejenigen, die
Es werden Auslandseinsätze, ständige Vor- und Nachbe- sich den Regeln und Anforderungen des Systems der
reitungen und monatelange Abwesenheiten von zu Vereinten Nationen verpflichtet fühlen. Ich glaube, das
Hause gefordert, was mit enormen Belastungen für die ist die Basis, auf der diese Debatte geführt werden sollte.
Angehörigen, die Familie, verbunden ist. Die Leute wer-
den in die Einsätze befohlen und gehen ein Risiko für Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Leib und Leben ein. Das ist ein ganz besonderes Anfor- Herr Kollege.
derungsniveau, welches es in keiner anderen Berufs-
gruppe gibt.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Auf der anderen Seite – Herr Wehrbeauftragter, Sie Ich komme zum Schluss. – Diese dringend notwen-
haben selbst darauf hingewiesen – befinden sich zwei dige Debatte – ein Blick in den Plenarsaal hat mir ge-
Drittel der Bundeswehrangehörigen in unteren Besol- zeigt, dass alle Kolleginnen und Kollegen mehr oder we-
dungsgruppen. niger auffällig dazu nicken – kommt nur dann zustande,
wenn in den nächsten Monaten Fakten geschaffen wer-
Daneben sind die Bedingungen hierzulande zumin- den.
dest stellenweise sehr problematisch. Das wurde von Ih-
nen und auch von anderen Kolleginnen und Kollegen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
eben dargestellt. Ich nenne zum Beispiel die sanitäre Herr Kollege, Sie haben sicherlich im Ausschuss
Versorgung, die immer mehr zu wünschen übrig lässt, noch viel Zeit, um dieses Thema ausgiebig zu beraten.
und – das wurde in den letzten Wochen noch einmal deut-
lich und das wurde auch in Ihrem Bericht dargestellt – die
Unterkunftsverhältnisse für die Soldaten lassen teilweise Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
wirklich sehr zu wünschen übrig. Aber ich appelliere an den Minister, nicht einfach
Fakten zu schaffen, sondern den Entwurf des Weißbu-
Das sind die Kernbotschaften Ihres Berichts. ches auch öffentlich zur Diskussion zu stellen.
4306 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Winfried Nachtwei
(A) Ich danke Ihnen. modell, wird eine Bündelung der medizinischen Res- (C)
sourcen angestrebt, die insbesondere eine bessere perso-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nelle Ausstattung erwarten lässt. Auch eine im Umbau
sowie bei Abgeordneten der SPD) befindliche Reservistenorganisation ist darauf angelegt,
Entlastungen zu schaffen. Klagen über fehlendes medizi-
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nisches Fachpersonal kamen aber nicht nur aus den Bun-
Der Kollege Gert Winkelmeier hat seine Rede zu Pro- deswehrkrankenhäusern, sondern auch aus regionalen
tokoll gegeben1). Deshalb gebe ich das Wort der Kolle- Sanitätseinrichtungen. Grund ist auch hier die starke Be-
gin Petra Heß, SPD-Fraktion. anspruchung durch die Einsätze im Ausland. Positiv an-
merken möchte ich, dass das Bewerberaufkommen für
die Laufbahn der Ärzte im Sanitätsdienst weiterhin au-
Petra Heß (SPD): ßerordentlich hoch ist. Dieses stieg von 1 451 im
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- Jahr 2004 auf 1 700 im Berichtsjahr. Das zeigt, dass die
ginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauf- Attraktivität dieser Laufbahn trotz alledem gestiegen ist.
tragter! Die Institution des Wehrbeauftragten feiert in
diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Dazu möchte ich Ein Thema, welches in den letzten Jahren leider im-
ihr sehr herzlich gratulieren. mer wieder in den Berichten des Wehrbeauftragten eine
Rolle spielte, ist die unterschiedliche Ost-West-Besol-
(Beifall bei der SPD) dung, so auch im Bericht 2005. Sie stimmen mir sicher-
Trotz starker Vorbehalte in den Anfangsjahren hat lich zu: Die Bundeswehr hat seit 1990 so erfolgreich wie
sich diese weltweit einmalige Kontrollinstanz unseres kaum eine andere Institution den Prozess der inneren
Parlaments bewährt und ihre Unverzichtbarkeit deutlich Einheit vollzogen. Innerhalb der Truppe, auch beim täg-
unter Beweis gestellt. Tausende von Anliegen an den lichen Dienst, spielt es inzwischen keine Rolle mehr, ob
Wehrbeauftragten jährlich unterstreichen zum einen, ein Soldat aus den neuen oder aus den alten Bundeslän-
welch großes Vertrauen die Bundeswehrangehörigen in dern kommt. Das zeigt sich gerade bei den Auslandsein-
diese Institution haben. Zum anderen zeigt es, dass die sätzen, bei denen Soldaten aus allen Teilen Deutschlands
innere Führung in den Streitkräften funktioniert und un- eng und erfolgreich zusammenarbeiten. Dennoch wird
sere Soldatinnen und Soldaten keine Scheu haben, sich den in Ostdeutschland stationierten Soldatinnen und Sol-
selbstbewusst an den Wehrbeauftragten zu wenden. daten jeden Monat beim Blick auf ihren Lohnzettel aufs
Neue vor Augen geführt, dass ihre Leistung weniger
Im vorliegenden 47. Bericht des Wehrbeauftragten wert ist als die ihrer Kameraden in den alten Bundeslän-
werden genau 5 601 Eingaben genannt. Das sind zwar dern.
(B) 500 Eingaben weniger als im Vorjahr; angesichts der (D)
verringerten Truppenstärke relativiert sich diese Zahl (Jörg van Essen [FDP]: Unerträglich!)
aber schnell.
Diese Ungleichbehandlung muss überwunden werden –
Auch dieser Bericht des Wehrbeauftragten gibt einen und das möglichst zeitnah.
recht intensiven Eindruck vom Innenleben der Streit-
kräfte wieder. Er ist zwar nicht repräsentativ für die ge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
samte Bundeswehr, aber er zeigt klar und deutlich auf, FDP)
welche Defizite es in bestimmten Bereichen der Truppe Dass das Besoldungsrecht für Beamte, Richter und Sol-
gibt. daten gleichermaßen gilt und eine Sonderlösung für Sol-
Wie schon in den vergangenen Jahren zeigt der Be- daten daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich ist, ist
richt auch in diesem Jahr auf, dass die sanitätsdienst- eine Tatsache, die uns allen bewusst ist, auch wenn ich
liche Versorgung der Soldatinnen und Soldaten im In- beim gestrigen Antrag der FDP bezüglich der sofortigen
land – insbesondere die klinische Versorgung – durch die Angleichung der Ost-West-Besoldung einen anderen
Auslandseinsätze zum Teil erheblich beeinträchtigt wird. Eindruck hatte.
Durchschnittlich befanden sich circa 130 Sanitäts-
(Jörg van Essen [FDP]: Das ist doch jetzt
offiziere sowie rund 10 Prozent des klinischen Sanitäts-
Krampf!)
personals im Einsatz, wobei einzelne Betroffene bis zu
240 Abwesenheitstage aufwiesen. Mit dem Kongoein- Die Soldaten unterliegen dem mit den Bundesländern
satz werden sich diese Zahlen und damit auch die Belas- vereinbarten Zeitrahmen für die Angleichung der Ost-
tungen noch erhöhen. West-Besoldung,
In den Bundeswehrkrankenhäusern führte dies zum (Jörg van Essen [FDP]: Die Soldaten können
Teil zu Besorgnis erregenden Personalengpässen bei den doch nicht darunter leiden!)
Ärzten und beim Assistenzpersonal.
nämlich bis Ende 2007 für den einfachen und mittleren
Mit der aktuell stattfindenden Neuorganisation der
Dienst und bis Ende 2009 für die restlichen Dienstgrup-
Bundeswehrkrankenhäuser, das heißt Reduzierung auf
pen. Dennoch appelliere ich an die Länder und an den
vier Bundeswehrkrankenhäuser und ein Kooperations-
Verteidigungsminister, den vereinbarten Zeitrahmen
nicht voll auszuschöpfen, sondern darauf hinzuwirken,
1) Anlage 2 die Angleichung schon vorher zu realisieren.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4307

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: keit der G 8 bewahren – Kritische Themen beim Welt- (C)
Frau Kollegin, ich würde auch gerne an Sie appellie- wirtschaftsgipfel in Sankt Petersburg nicht aussparen“.
ren, den anberaumten Zeitrahmen einzuhalten. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit der überwältigenden
Petra Heß (SPD): Mehrheit des Hauses abgelehnt.
Ich stelle abschließend fest: Die Soldatinnen und Sol- Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
daten unterstreichen mit ihrem Eingabeverhalten, dass auf Drucksache 16/1879 mit dem Titel „Für demokrati-
sie verantwortungsvolle Staatsbürger in Uniform sind. sche internationale Entscheidungsprozesse statt G 8“.
Ich danke dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeite- Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
rinnen und Mitarbeitern für die engagierte Arbeit und Enthaltungen? – Der Antrag ist ebenfalls mit der großen
wünsche ihnen weiterhin gutes Gelingen. Mein Dank Mehrheit des Hauses abgelehnt.
gilt insbesondere den Soldatinnen und Soldaten, die in Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
der schwierigen Phase der Transformation in hervorra- Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
gender Weise ihre Pflicht erfüllen. sache 16/1966 mit dem Titel „G-8-Gipfel muss Signal zu
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. nachhaltiger Energieversorgung geben und Gesundheits-
systeme in den Entwicklungsländern stärken“. Wer
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
der CDU/CSU) haltungen? – Auch dieser Antrag ist mit der überwiegen-
den Mehrheit des Hauses abgelehnt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Drucksache 16/850 an den Verteidigungsausschuss vor- richts des Ausschusses für Kultur und Medien
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der (22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Deutsche Welle

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c auf: Aufgabenplanung der Deutschen Welle 2007
bis 2010
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Werner Hoyer, Dr. Karl Addicks, Christian – Drucksachen 16/1000, 16/1476 Nr. 1.1, 16/2003 –
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Berichterstattung:
der FDP Abgeordnete Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
(B) (D)
Glaubwürdigkeit der G 8 bewahren – Kriti- Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
sche Themen beim Weltwirtschaftsgipfel in Monika Griefahn
Sankt Petersburg nicht aussparen Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Uschi Eid
– Drucksache 16/1570 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
Lötzer, Heike Hänsel, Hans-Kurt Hill, weiterer
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Für demokratische internationale Entschei- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats-
dungsprozesse statt G 8 minister für Kultur, Bernd Neumann.

– Drucksache 16/1879 – Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes-


c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen kanzlerin:
Trittin, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ Welt schaut auf Deutschland. Die Fußballweltmeister-
DIE GRÜNEN schaft hat unser Land für einige Wochen weltweit in den
G-8-Gipfel muss Signal zu nachhaltiger Mittelpunkt des Interesses gerückt. Ich denke, wir geben
Energieversorgung geben und Gesundheits- ein gutes Bild ab. Wenn aber keine Fußballweltmeister-
systeme in den Entwicklungsländern stärken schaft stattfindet, dann ist es vor allem die Aufgabe der
Deutschen Welle, im Ausland für ein positives Deutsch-
– Drucksache 16/1966 – landbild Sorge zu tragen.
Die Kollegen Dr. Werner Hoyer, Eckart von Klaeden, Die Deutsche Welle ist eine Stimme der Freiheit und
Ulla Lötzer, Dr. Ditmar Staffelt und Jürgen Trittin haben erwirbt durch ihre täglichen Programme Aufmerksam-
ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommen deshalb keit und Sympathien für Deutschland.
zu den Abstimmungen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
auf Drucksache 16/1570 mit dem Titel „Glaubwürdig-
– Der Beifall war für einen Satz später gedacht.
1) Anlage 3 (Heiterkeit)
4308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Staatsminister Bernd Neumann


(A) Dafür sollten wir dem Auslandssender dankbar sein: deutschen Sprache ins Deutsche-Welle-Gesetz aufge- (C)
dem Intendanten ebenso wie all seinen hoch motivierten nommen wurde.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Der Auslandsrundfunk gehört zu unseren wichtigsten
(Beifall im ganzen Hause) Kulturmittlern in der Welt. Eines ist doch klar: Den Zu-
gang zu einem Land erschließt man sich in erster Linie
Die Haltung der neuen Bundesregierung gegenüber über die Sprache. Je mehr Menschen in der Welt mit der
der Deutschen Welle stellt schon einen gewissen Para- deutschen Sprache in Berührung kommen, desto größer
digmenwechsel dar. Wir wollen die Deutsche Welle wird das Verständnis sein, das unserem Land entgegen-
stärken und haben das auch im Koalitionsvertrag festge- gebracht wird. Deshalb ist die Deutsche Welle so wichtig
legt. Ich freue mich, dass wir uns darüber im Bundestag für uns. Die Bundesregierung ist sich dessen bewusst.
im Wesentlichen einig sind. Die Vorgängerregierung hat Sie wird den deutschen Auslandssender auch in Zukunft
dem Sender mehr als 30 Millionen Euro aus dem Etat nach Kräften fördern.
gestrichen. Mit solch drastischen Sparmaßnahmen ist
jetzt Schluss! Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem
LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
geordneten der LINKEN)
Der Haushalt 2006, der kürzlich vom Bundestag be-
schlossen wurde, sieht sogar eine leichte Erhöhung der
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Mittel vor. Der Auslandssender kann sich deshalb jetzt
voll und ganz der Umsetzung des Deutsche-Welle- Der Kollege Christoph Waitz, FDP-Fraktion, hat
Gesetzes annehmen und sich darauf konzentrieren, seine seine Rede zu Protokoll gegeben.1)
Aufgaben zu erfüllen. Der vorliegende Entwurf der Auf- (Jörg van Essen [FDP]: Löblich von Herrn Waitz!
gabenplanung für die Jahre 2007 bis 2010 lässt erken- Und er sitzt trotzdem im Präsidium!)
nen, dass die Deutsche Welle dabei auf dem richtigen
Weg ist. Ich rufe nun die Kollegin Monika Griefahn, SPD-
Fraktion, auf.
Die Deutsche Welle ist ein freier und regierungsunab-
hängiger Sender. Das muss sie auch bleiben. Das unter-
Monika Griefahn (SPD):
scheidet sie von manch anderen Weltsendern.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
Geografische Schwerpunkte der Deutschen Welle ginnen und Kollegen! Jetzt dauert es nicht mehr lange
(B) werden in den kommenden Jahren Ost- und Südost- und hier in Berlin wird angepfiffen zum heiß erwarteten (D)
europa und darüber hinaus Asien und die arabische Welt Viertelfinale. Wer nicht im Stadion sitzen kann, sitzt vor
sein. Vor allem aber auch China ist für Deutschland nicht dem Bildschirm. Das ist überall auf der Welt so. Natür-
nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell von größtem lich fiebere auch ich mit unserer Elf. Doch, insgesamt
Interesse. gesehen, geht es für uns in Deutschland noch um viel
mehr als um die Spiele und das Endergebnis: Es geht uns
Wie wollen wir das alles finanzieren? In der Tat wer- auch darum, uns der Welt als Nation zu präsentieren und
den wir einiges ändern müssen, wenn der Auslandssen- den Menschen in anderen Ländern zu zeigen, dass
der bezahlbar bleiben soll. Es gilt, Synergieeffekte zu Deutschland ein außergewöhnliches, ein spannendes
nutzen. Die bisher schon fruchtbare Kooperation mit Land ist, mit Menschen, die gastfreundlich, weltoffen
ARD und ZDF muss weiter ausgebaut werden. Manches und interessant sind.
lässt sich vielleicht auch durch die Zusammenarbeit mit
anderen Auslandssendern erreichen, vor allem mit Radio Wie ansteckend die tolle Stimmung ist, merkt jeder,
France Internationale. Schon heute gibt es eine frucht- der auf den Straßen unterwegs ist. Genauso empfinden
bare Kooperation mit diesem Sender, auf die beide Sei- das eben auch ausländische Medien. Vor einigen Tagen
ten nicht verzichten können. machte uns beispielsweise die Londoner „Times“ ein
ganz ungewöhnliches Kompliment und schrieb, dass für
Eine andere Frage, die sich die Bundesregierung uns Deutsche momentan Begriffe wie Humor, Mode,
stellt, ist, wie sich die Deutsche Welle angesichts der Eleganz und Leichtigkeit stünden. Doch nur ein Bruch-
Konkurrenz anderer Sender behaupten kann. Sie muss teil der Milliarden von Menschen, die weltweit die WM
sich – davon bin ich überzeugt – noch genauer auf ihre vor den Bildschirmen verfolgen, kann selbst nach
Zielgruppen einstellen. Ein Mittel dazu sind zum Bei- Deutschland kommen und einen Eindruck vor Ort be-
spiel Programmfenster in der jeweiligen Landessprache. kommen. Deswegen sind die Medien besonders in dieser
Mit Arabisch ist da ein wichtiger Anfang gemacht wor- Zeit unser Fenster zur Welt. Die Deutsche Welle ist da-
den. Dadurch können neue Zuschauergruppen gebunden bei eine kraftvolle Stimme, die mit Fernsehen, mit Radio
werden, die sich dann auch langfristig dem deutschspra- und mit Internet – das Tolle ist, dass wir das im Deut-
chigen Programm zuwenden werden. sche-Welle-Gesetz so verankern konnten – rund um die
Natürlich muss das deutschsprachige Angebot der Uhr und rund um den Globus von Deutschland berichtet,
Deutschen Welle auch künftig überwiegen. Schon als und zwar in 30 Sprachen.
Oppositionsabgeordneter hatte ich mich deshalb – er-
folgreich – dafür eingesetzt, dass die Förderung der 1) Anlage 4
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4309
Monika Griefahn
(A) Gerade bei Ereignissen wie der Fußballweltmeister- schafter Fritjof von Nordenskjöld brachte es auf den (C)
schaft wird ganz deutlich, welche Chancen und welches Punkt, als er hinterfragte, ob es wirklich dem Selbstver-
Potenzial wir gerade mit der Deutschen Welle haben. Im ständnis der Bundesrepublik Deutschland entspreche,
Fernsehen, Radio und Internet werden viele Fußballthe- nur 1 Prozent des Gesamtbudgets für die gesamte Au-
men zum Anlass genommen, über deutsche Kultur, Poli- ßendarstellung unseres Landes und noch weniger als ein
tik, Wirtschaft und Gesellschaft zu berichten und Men- Viertel Prozent für die auswärtige Kultur- und Bildungs-
schen in anderen Ländern damit für unser Land zu politik aufzuwenden. Ich muss diesem Zweifel zustim-
interessieren. So findet man beispielsweise auf der Inter- men. In einer globalisierten Welt müssen wir uns gegen-
netseite nicht nur einen Live-Ticker, durch den man die über anderen Ländern, die jetzt sehr viel aktiver werden,
Spiele verfolgen kann, sondern auch Hintergrundbe- positionieren.
richte zu deutschen Firmen, die bei der WM besonders
involviert sind, Informationen zum Studienstandort Dass es darum geht, Deutschland als Kulturnation, als
Deutschland oder mehr über das kulturelle Leben. Diese das Volk der Dichter und Denker, als ein ganz entschei-
Informationsleistung und das Werben für unser Land dendes Land auf der kulturellen und politischen Welt-
sind die Basisanforderungen, die wir an die Deutsche karte zu proklamieren, können wir oft und laut hören.
Welle stellen. Doch bei der Finanzierung verschieben sich die Prioritä-
ten leider viel zu schnell woanders hin.
Aber auch die einzelnen Aufgaben müssen immer
wieder an die aktuelle Situation und das Weltgeschehen Ich will die wertvolle Arbeit in der auswärtigen Kul-
angepasst werden. Nachdem wir 2004 das neue Deut- tur- und Bildungspolitik überhaupt nicht kleinreden,
sche-Welle-Gesetz beschlossen haben, liegt dem Parla- doch den Anspruch auf der einen Seite, den viele an sie
ment jetzt zum ersten Mal nach Maßgabe dieses Geset- haben, und die finanzielle Ausstattung auf der anderen
zes eine Aufgabenplanung vor, die beschreibt, was sich Seite haben wir noch nicht in ein ausgewogenes Verhält-
der Sender für die kommenden Jahre vorgenommen hat. nis bekommen. Ich vergleiche das nur einmal mit eini-
Ich begrüße, dass die momentanen regionalen Schwer- gen Inlandsinstitutionen. Allein dem WDR steht fünfmal
punkte erneut bekräftigt wurden. Besonders im Vorder- mehr Geld zur Verfügung als der Deutschen Welle.
grund stehen damit die Zusammenarbeit in Europa, also Wenn wir nur das Fernsehen betrachten, so stellen wir
in Ost- und in Westeuropa, der arabische Sprachraum fest, dass allein „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ mit
und Asien. dem Budget produziert werden, das der Deutschen Welle
für das komplette TV-Programm zur Verfügung steht. In
Es ist nicht schwer, Begründungen für diese Schwer- der gleichen Dimension ist es auch bei dem weltweiten,
punktregionen zu finden. In Europa muss es auch unsere hoch angesehenen Netz von Goethe-Instituten zu sehen.
(B) Aufgabe sein, den europäischen Verfassungsprozess und Ein Autobahnkreuz kostet mehr als das, was uns die (D)
die europäische Integration gerade der neuen Mitglied- 141 Institute in 80 Ländern im Jahr wert sind.
staaten voranzutreiben. Im arabischen Raum müssen wir
noch mehr für einen funktionierenden Dialog der Kultu- Ich glaube, das ist keine gute Entwicklung in einer
ren tun. In den boomenden Regionen Asiens setzen auch Zeit, in der es wegen der Globalisierungsprobleme und
wirtschaftlich gute Beziehungen ein zeitgemäßes der politischen Situation in vielen Ländern mehr denn
Deutschlandbild voraus. Unsere momentane Weltoffen- des kulturellen Austausches und der Verständigung be-
heit leistet dazu einen guten Beitrag. darf.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Diese Schwerpunkte der Deutschen Welle decken Es gibt einen Boom bei den Auslandssendern. Die
sich mit der Ausrichtung der gesamten auswärtigen USA haben neben der „Voice of America“ mit „al-
Kultur- und Bildungspolitik, sodass die Medienarbeit Hurra“ seit zwei Jahren einen eigenen arabischen Sen-
hier zu einer wichtigen Ergänzung der sonstigen Pro- der. Auch die englische BBC, das französische „France
gramme der Mittlerorganisationen wie dem Goethe- Télévision“ oder die italienische „Rai Med“ sehen, wie
Institut oder dem Deutschen Akademischen Austausch- wichtig der Austausch mit dem arabischen Raum ist, und
dienst wird. Ich betone: Es ist eine Ergänzung. strahlen eigene Angebote aus oder haben dies in Zukunft
vor.
Die Prioritätensetzung bedeutet aber nicht, dass wir
andere Weltregionen, in denen wir uns seit Jahren enga- Die Deutsche Welle hat viel Weitsicht bewiesen, als
gieren, vernachlässigen wollen. In Nord- und Südame- sie 2002 als erster ausländischer Sender vor Ort mit ei-
rika, in Afrika und in Australien ist die Deutsche Welle nem arabischsprachigen Angebot antrat. Diesen Vor-
sehr aktiv und sie soll es auch bleiben. Dennoch ist es sprung dürfen wir uns jetzt nicht von den aufkommen-
wichtig, sich für einige wenige Schwerpunkte zu ent- den Konkurrenzsendern kaputtmachen lassen.
scheiden, die besonders verfolgt werden.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann uns allen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
einen generellen Appell nicht ersparen. In dieser Woche
hatten wir im Unterausschuss für Auswärtige Kultur- Deshalb müssen wir die Prioritäten entsprechend setzen.
und Bildungspolitik eine Anhörung zur Lage der Ich begrüße ausdrücklich, dass die vorliegende Aufga-
Goethe-Institute. Dabei wurde von den Sachverständi- benplanung vorsieht, das Fernsehprogramm von mo-
gen eines besonders kritisiert und der ehemalige Bot- mentan drei auf sechs bis acht Stunden auszuweiten. Ich
4310 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Monika Griefahn
(A) danke dem Kulturstaatsminister ausdrücklich dafür, dass Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): (C)
auch er sagt: Jetzt muss mit den Kürzungen Schluss sein. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir als Parlament sollen heute eine Entschließung zur
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN Aufgabenplanung der Deutschen Welle für die Jahre
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 2007 bis 2010 annehmen, der ein wichtiger Grundsatz
voransteht. Er lautet:
Wenn wir in dieser Zeit an der auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik weiter sparen, dann fällt uns das in Die Stärkung der Deutschen Welle als Mittler der
wenigen Jahren auf die Füße. Die Liste der Länder, die deutschen Kultur- und Bildungspolitik ist das ge-
auf internationale Fernsehangebote setzen, wird immer meinsame Ziel der im Deutschen Bundestag vertre-
länger: Dubai, Iran, Ägypten, China, Russland, Japan, tenen Fraktionen.
Südkorea und Länder Südamerikas. Viele dieser Natio-
nen investieren ebenso in eigene Kulturinstitute. Am Diesem Grundsatz wie auch allen ihm folgenden Forde-
27. April 2006 eröffnete die Volksrepublik China bei- rungen – deren Bedeutung für die Arbeit der Deutschen
Welle hat Frau Kollegin Griefahn ja dankenswerterweise
spielsweise gerade das erste Konfuzius-Institut in
sehr genau und vollständig aufgelistet – stimmt die
Deutschland.
Linksfraktion zu. Sie hat auch nie einen Zweifel an die-
Alle diese Länder nehmen sehr viel Geld in die Hand, ser Zustimmung aufkommen lassen.
um weltweit gerade durch den Rundfunk eine Stimme zu Allerdings wurde der Entschließungsantrag aller be-
bekommen und mit ihrer Kultur im Ausland vertreten zu schworenen Gemeinsamkeit zum Trotz nur von den
sein. Spätestens das zeigt uns, dass unsere Arbeit in der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik nicht zurück- Grünen gestellt. Die Linksfraktion wurde ausdrücklich
fahrbar ist, sondern dass wir sie, im Gegenteil, verstär- ausgeschlossen. Kollegen haben mir freundlicherweise
ken müssen. Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kolle- gesagt, ich solle das nicht persönlich nehmen. Ich nehme
gen, die hier sitzen, das mit uns wollen. Jetzt müssen wir es nicht persönlich. Ich habe mich schließlich nicht
das nur noch unseren anderen Kolleginnen und Kollegen selbst in dieses Hohe Haus berufen. Über 4 Millionen
vermitteln. Wähler haben vor neun Monaten entschieden, dass die
Ich bin froh darüber, dass zumindest für dieses Jahr Linksfraktion diesem Parlament angehört. Diese Wähler,
der Haushalt der Deutschen Welle stabil bleibt. Bei den nicht wir, wurden durch diese Entscheidung wieder ein-
Goethe-Instituten sieht es noch schwieriger aus. Für die mal aus dem demokratischen Parlamentsprozedere aus-
kommende Zeit im Allgemeinen und den Haushalt 2007, gegrenzt. Das ist kein Fall zum Übelnehmen; das ist aus
den wir im September debattieren, im Speziellen liegen meiner Sicht einfach schlechtes Demokratieverständnis.
(B) (D)
wichtige Aufgaben vor uns, zum einen das verstärkte Wir haben im für diese Entschließung zuständigen
Engagement in der auswärtigen Kultur- und Bildungs- Fachausschuss für Kultur und Medien einen eigenen
politik – meiner Meinung nach sollte das auch für die Vorschlag eingebracht, der bewusst in allen Aussagen
finanzielle Seite gelten – und zum anderen die Verbesse- und Formulierungen mit dem der vier anderen Fraktio-
rung der Rahmenbedingungen für die Mittlerorganisa- nen übereinstimmte. Über ihn wurde nicht abgestimmt,
tionen. da er sich von dem Vier-Fraktionen-Vorschlag nicht un-
terschied. Das ist schade; denn es wäre schon interessant
Wie wir auch an dieser Aufgabenplanung sehen, ha- gewesen, die Abstimmung über zwei gleich lautende
ben wir bei der Deutschen Welle mit dem veränderten Anträge zu erleben, von denen einer sich einfach nur da-
Gesetz bereits viel erreicht, was Flexibilisierung und Ef- durch vom anderen unterscheidet, dass er von der Frak-
fektivität angeht. Für das Goethe-Institut stehen mit der tion stammt, die immer wieder diskriminiert werden soll.
Budgetierung und dem Prinzip der Überjährlichkeit sol-
che Veränderungen erst an, die nun endlich so bald wie Ja, die Arbeit der Deutschen Welle zu unterstützen, ist
möglich für das gesamte Institut gelten müssen, so wie gemeinsames Ziel der im Bundestag vertretenen Fraktio-
sie auch für die Deutsche Welle gelten. nen. Aber die Union will, dass das niemand erfährt. Das
hält die Fraktion Die Linke allerdings nicht davon ab
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in diesem Raum und wird sie auch nicht davon abhalten, sich für die
kämpfen, wie ich weiß, gemeinsam für diese Politik. Es Deutsche Welle einzusetzen – so gut sie kann und so
geht letztendlich um mehr als einen Monat Fußballwelt- weit man sie lässt.
meisterschaft. Es geht darum, das Bild der Deutschen in
der Welt auf Dauer positiv zu festigen. Eines können wir nach langen komplizierten Wegen
feststellen: Die demokratische Linke ist heute toleranter
Vielen Dank. als die konservative Rechte. Wir hielten es mit ihr auf ei-
nem Antrag aus.
(Beifall im ganzen Hause)
Ich danke Ihnen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der LINKEN)


Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lukrezia
Jochimsen, Fraktion Die Linke. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Dr. Uschi Eid, Bündnis 90/
(Beifall bei der LINKEN) Die Grünen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4311

(A) Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Deutschen Welle als medialer Botschafter Deutsch- (C)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lands in der Welt.
Wir beraten heute über die Aufgabenplanung der Deut- (Beifall im ganzen Hause)
schen Welle für die Jahre 2007 bis 2010. Dies ist – das
muss man noch einmal unterstreichen – ein Novum.
Eine solche transparente Beratung ist deswegen möglich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
geworden, weil wir vor zwei Jahren im Deutschen Bun- Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
destag einstimmig das Deutsche-Welle-Gesetz verab- Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion.
schiedet haben. Dieses Gesetz sieht den deutschen Aus-
landsrundfunk als Mittler zwischen den Kulturen, als Reinhard Grindel (CDU/CSU):
mediale Visitenkarte unseres Landes und als Sender, der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
mit einem zeitgemäßen Medienangebot im globalen In- Der Entschließungsantrag, von dem vielfach die Rede
formationsmarkt agiert. Die Deutsche Welle – das war, wurde von den Fraktionen unterzeichnet, die auch
möchte ich gleich zu Beginn sagen – erfüllt diese Auf- das Deutsche-Welle-Gesetz gemacht haben. Insofern hat
gaben hervorragend. Deswegen möchte ich auch im Na- das nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern mit der
men meiner Fraktion allen Mitarbeiterinnen und Mitar- Geschichte dieses Gesetzes.
beitern ganz herzlich danken.
Frau Griefahn, Sie haben den Haushalt der Deutschen
(Beifall im ganzen Hause) Welle mit den Haushalten von WDR, „Tagesschau“ und
„heute“ verglichen. Ich glaube, wir dürfen das nicht
Die Deutsche Welle ist nicht einfach ein Deutschland- überfrachten und falsche Bezugsgrößen nehmen. Der
kanal, der einseitig Informationen über Land und Leute WDR hat mit seinen vielfältigen regionalen Aufträgen
vermittelt, sondern sie hat einen breiten Informations- – Herr Ehrmann weiß das – eine ganz andere Finanzaus-
auftrag, und zwar insbesondere dort, wo es um die Kor- stattung verdient. Das Korrespondentennetz von ARD
rektur einförmiger Berichterstattung in autoritären Staa- und ZDF ist umfänglicher als das der Deutschen Welle.
ten geht. Wir dürfen nicht vergessen: Zwei Drittel der
Weltbevölkerung leben nach wie vor in Ländern mit Frau Griefahn, Sie haben zu Recht darauf hingewie-
massiv eingeschränkter Pressefreiheit und unfreien Me- sen, dass wir Prioritäten setzen müssen. Frau Eid, ohne
dienmärkten. Hier objektiven, differenzierten Journalis- die Afrikaberichterstattung zum Steinbruch zu ma-
mus zu verbreiten bleibt nach wie vor die wichtigste chen: Wenn man überall Prioritäten setzt, setzt man nir-
Aufgabe der Deutschen Welle. gendwo Prioritäten. Das heißt, wenn man irgendwo
mehr machen und Akzente setzen will, sollte man wis-
(B) Die vorliegende Aufgabenplanung der Deutschen sen, dass das dann in anderen Bereichen nicht so ist. Ich (D)
Welle ist eine gute Grundlage zur Erfüllung ihres Auftra- finde, wir sollten deutlich machen, was wir von der
ges als transnationales Medium der freien Informa- Deutschen Welle erwarten. Ich sage ganz klar: Wer die
tion. Um im globalen Medienmarkt zu bestehen, ist ein Wirkungsmacht von Bildern im Zusammenhang mit
intelligenter Mix der verschiedenen Medienangebote dem Karikaturenstreit erlebt hat und wer den Dialog
von Fernsehen, Hörfunk und Internet notwendig, der zwischen den Kulturen führen will, der muss den
sich an den Interessen der Zielgruppen orientiert und die Schwerpunkt im arabischen Raum bejahen. Ich unter-
optimalen, technisch zukunftsfähigen Verbreitungswege stütze diesen Schwerpunkt, den sich die Deutsche Welle
wählt. Fernsehen und Internet gewinnen in vielen selbst setzt. Ich bedanke mich insbesondere für die her-
Regionen der Welt neue Bedeutung. Mit dem Ausbau vorragende Arbeit, die etwa – das ist noch nicht erwähnt
des arabischsprachigen Fernsehangebots und der Tele- worden – in Kooperation mit dem afghanischen Fernse-
medien sowie mit dem Ausbau des Onlineauftritts in den hen geleistet wurde. Hier hat die Deutsche Welle Vor-
neuen Wachstumsregionen Asiens trägt die Deutsche bildliches geleistet.
Welle den neuen geostrategischen Herausforderungen
Rechnung. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was mir allerdings Sorge bereitet, ist die Tatsache,
dass Afrika, der Kontinent mit den meisten Hörern des Ich unterstütze außerdem die Angebote der Deutschen
Auslandsrundfunks, nämlich 40 Millionen Menschen, in Welle mit Blick auf den Iran in Farsi im Internet und die
der Aufgabenplanung nur als Status-quo-Region ausge- Überlegungen hinsichtlich eines Schwerpunktes Türkei.
wiesen wird. Meine Fraktion warnt davor, die Afrikapro- Es ist doch richtig: In unfreien Medienmärkten steigt
gramme als Steinbruch für die Ausweitung nach Asien das Interesse an ungefilterten Informationen. Ich be-
und in die arabischen Staaten zu benutzen. grüße, dass sich die Deutsche Welle dazu bekennt, im
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dialog der Kulturen den eigenen Wertekanon selbstbe-
wusst zu vertreten. Dabei muss die Deutsche Welle eine
Ich freue mich, dass es am Mittwoch im Kulturaus- wichtige Alternative zu arabischen, aber auch zu anglo-
schuss gelungen ist, eine gemeinsame Beschlussempfeh- phonen Informationsquellen sein. Ich will in diesem
lung einstimmig zu verabschieden, allerdings mit dem Zusammenhang besonders die Bedeutung der Akademie
Wermutstropfen, den Frau Jochimsen gerade geschildert der Deutschen Welle hervorheben, die Journalisten
hat. Aber diese breite Unterstützung durch den Deut- nicht nur journalistisches Handwerkszeug, sondern auch
schen Bundestag ist eine gute Grundlage für die Arbeit ein Gefühl für Pressefreiheit vermittelt. Die Arbeit der
4312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

Reinhard Grindel
(A) Akademie ist ein wichtiger Beitrag für mehr gegenseiti- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (C)
ges Verständnis und Konfliktabbau. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Ich schließe die Aussprache.
GRÜNEN)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
Es ist gut, dass die Deutsche Welle – der Staatsminis- empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
ter hat es zu Recht angesprochen – in ihrer Aufgabenpla- Drucksache 16/2003 zu der Unterrichtung durch die
nung an verschiedenen Stellen die Bedeutung der Ver- Deutsche Welle über ihre Aufgabenplanung 2007 bis
mittlung der deutschen Sprache betont. Damit geht 2010. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unter-
nicht nur ein Interesse an unserem Land und unserer richtung auf Drucksache 16/1000, eine Entschließung
Kultur einher, sondern das hat auch einen ganz prakti- anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
schen Aspekt, auf den ich aufmerksam machen will: Wir lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
betrachten doch mittlerweile alle die Bedeutung der Be- empfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an-
herrschung der deutschen Sprache als wichtigste Voraus- genommen.
setzung für die Integration der bei uns lebenden Auslän-
der. Wir haben überlegt – das wissen Sie, Herr Kollege Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Ehrmann; wir beide sind ja nicht nur im Kultur-, sondern Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
auch im Innenausschuss –, wie wir erreichen können, Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, Hans-Kurt
dass sich Menschen vielleicht schon vor einem Nachzug Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
nach Deutschland zumindest einfache Kenntnisse der LINKEN
deutschen Sprache aneignen. Ich schlage vor, mit der
Deutschen Welle über Konzepte nachzudenken, damit Umverteilung durch den Emissionshandel
auch auf diesem Weg eine Vermittlung der deutschen beenden – Vorreiterrolle im Klimaschutz
Sprache stattfindet. Das ist auch ein Beitrag zur Integra- übernehmen
tion und zum Konfliktabbau in unserem Land. – Drucksache 16/1682 –
Überweisungsvorschlag:
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Siegmund Ehrmann [SPD]) Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Es gibt bereits interaktive Sprachkurse bei DW-World Haushaltsausschuss
(B) und erfolgreiche Newsletterangebote. Das ist ein wichti- Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu (D)
ger Beitrag bei der Vermittlung von Sprachkenntnissen.
Protokoll gegeben.1)
Ein letzter Aspekt, den ich hier kurz ansprechen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
möchte, ist die beabsichtigte Verschlüsselung des Satel- Drucksache 16/1682 an die in der Tagesordnung aufge-
litenempfangs durch ASTRA, dessen Kapazitäten die führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
Deutsche Welle im europäischen Raum nutzt. Ich be- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
grüße, dass der Deutsche Bundestag sich bei dieser Ge- so beschlossen.
legenheit klar und eindeutig für einen unbeschränkten
und kostenfreien Empfang der Deutschen Welle einsetzt, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
und ich erlaube mir in medienpolitischer Hinsicht hinzu- Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
zufügen: Das soll in Zukunft natürlich auch für die ande- Burgbacher, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weite-
ren öffentlich-rechtlichen Sender, ARD und ZDF, gelten. rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Auch das wollen wir mit unserem Entschließungsantrag
ausdrücken. Zuverlässigkeitsüberprüfung von Privatpilo-
ten auf ein angemessenes Maß reduzieren
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
– Drucksache 16/859 –
FDP)
Überweisungsvorschlag:
Es ist wahr: Die Deutsche Welle ist nicht mehr, wie Innenausschuss (f)
Sportausschuss
früher, die „Sparbüchse für den Haushalt“, wie der
Staatsminister es vor einiger Zeit in der „FAZ“ treffend Die Rednerinnen und Redner haben ebenfalls ihre Re-
formuliert hat. Die Deutsche Welle hat eine gute finan- den zu Protokoll gegeben.2)
zielle Grundlage und Planungssicherheit. Damit lässt Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
sich ein gutes Programm machen. Das wünschen wir uns Drucksache 16/859 an die in der Tagesordnung aufge-
von der Deutschen Welle im Interesse unseres Landes führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
und im Sinne eines fruchtbaren Dialoges der Kulturen verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
weltweit. so beschlossen.
Auch für meine Fraktion möchte ich mich bei allen
Mitarbeitern der Deutschen Welle für die engagierte Ar- 1) Anlage 5
beit herzlich bedanken. 2) Anlage 6
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4313
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
(A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung verein- (C)
bart, den für Freitag, den 7. Juli, vorgesehenen Sitzungs-
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Bärbel Höhn, Renate Künast, Irmingard tag zu streichen. Außerdem wurde vereinbart, dass wäh-
Schewe-Gerigk und der Fraktion des BÜNDNIS- rend der Haushaltsberatungen ab dem 5. September
SES 90/DIE GRÜNEN 2006 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fra-
gestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden sollen.
Moratorium für Gentechnik in der Landwirt- Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
schaft spruch. Dann verfahren wir so.
– Drucksache 16/1909 –
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
Die Rednerinnen und Redner haben ebenfalls ihre Re- tages auf Dienstag, den 5. September 2006, 10.30 Uhr,
den zu Protokoll gegeben.1) ein.
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
sache 16/1909. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unseren
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit Besucherinnen und Besuchern auf der Tribüne ein schö-
der Mehrheit des Hauses abgelehnt. nes Wochenende, einen erholsamen Sommer und heute
einen spannenden Fußballabend.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Die Sitzung ist geschlossen.
1) Anlage 7 (Schluss: 14.49 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4315

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 schläge auf Angehörige der Bundeswehr mehren, ist es


unverantwortlich, wenn diejenigen, die dort hinbefehligt
Die Liste der entschuldigten Abgeordneten lag werden, nicht in ausreichendem Maße ausgestattet wer-
bei Redaktionsschluss nicht vor und wird im den. Leider hören wir von Soldaten, die jetzt in den
nächsten Stenografischen Bericht abgedruckt. Kongo befehligt werden, Ähnliches. Ich vermag nicht zu
erkennen, dass das Ministerium etwas an den Ursachen
für diese Beschwerden ändert. Wenigstens wird Vor-
Anlage 2 sorge für den Fall des Todes von Soldaten im Auslands-
Zu Protokoll gegebene Rede einsatz getroffen. Der Haushalt weist im Einzelplan 14
auf Seite 35 aus, dass für die Überführungs- und Bestat-
zur Beratung der Unterrichtung durch den tungskosten verstorbener Soldatinnen und Soldaten zu-
Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2005 (47. Be- künftig 35 Prozent mehr Mittel als 2004 kalkuliert wer-
richt) (Tagesordnungspunkt 30) den. Stärkere Vorsorge muss aber auch für die steigende
Anzahl von Soldaten getroffen werden, die mit posttrau-
Gert Winkelmeier (fraktionslos): In nur sechs matischen Belastungsstörungen vom Auslandseinsatz
Monaten haben wir hier über die Berichte des Wehrbe- zurückkehren.
auftragten für 2003 und für 2004 gesprochen. Heute Ich bin dem Wehrbeauftragten dankbar, dass er sich in
sprechen wir über den Bericht für das Jahr 2005. einem Teil seines Berichtes mit dem Führungsverhalten
In allen drei Berichten geht es leider auch immer um und dem Missbrauch der Befehlsgewalt beschäftigt. Da-
soldatisches Fehlverhalten bezüglich der Verherrlichung bei ist immer deutlich zu machen, dass nur eine absolute
von faschistischem Gedankengut. 2005 gab es fast Minderheit ihre Macht missbraucht. Aber es gibt diese
150 rechtsextremistische Vorfälle in der Truppe, gegen- Fälle. Dieser Tage konnten wir im Spiegel lesen, dass
über 2004 ist das ein Anstieg um 10 Prozent. Diese Vor- Elitekämpfer, die in den Kongo verlegt werden sollten,
kommnisse gab es in allen Dienstgraden. 34 Prozent der sich nachweislich seit mindestens Mai 2004 gegenseitig
Fälle ereigneten sich bei Zeitsoldaten, 1 Prozent bei Be- drangsaliert haben. Wir müssen nun einmal die Frage
rufssoldaten. Das sind Vorgesetzte von Wehrpflichtigen. nach den Ursachen stellen. Die Fälle wurden in den Be-
Vorgesetzte haben, laut Soldatengesetz, bei Haltung und richten 2004 und 2005 nicht aufgeführt, weil die Vorge-
Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben. Aus solchen, im- setzten in Zweibrücken ihrer Meldepflicht nicht nachge-
(B) mer wieder in Wehrberichten geschilderten Vorkomm- kommen sind. „Da haben wir ja eine schöne Truppe“, (D)
nissen, sollte das Ministerium einmal Konsequenzen zie- sagte der Generalinspekteur, als er sich im Verteidi-
hen. Das könnte für mich bedeuten, dass anerkannte gungsausschuss die vielen Beschwerden des Wehrbeauf-
antifaschistische Organisationen wie zum Beispiel die tragten anhören musste. Ich kann nur hoffen, dass die
VVN/Bund der Antifaschisten bis hin zu kirchlich orien- Verantwortlichen im Ministerium handeln, damit wir
tierten Antifaschisten in politischen Diskussionen vor nicht immer mit solchen Vorkommnissen konfrontiert
Mannschafts- und Offizierskreisen über die Ursachen werden.
und die Geschichte des Faschismus informieren sollten.
Ein weiteres Problem sind die Auslandseinsätze der Anlage 3
Bundeswehr. Mittlerweile befinden sich ständig 6 243 Sol-
Zu Protokoll gegebene Reden
daten im Auslandseinsatz. Organisatorisch sind somit ei-
nige zehntausend Soldaten betroffen. Wenn in diesem zur Beratung der Anträge:
Zusammenhang im Wehrbeauftragtenbericht davon ge-
sprochen wird, dass die Ausstattung mit einsatzgerechter – Glaubwürdigkeit der G 8 bewahren – Kriti-
Bekleidung nicht immer gewährleistet ist, dann ist dies sche Themen beim Weltwirtschaftsgipfel in
ein Armutszeugnis für das verantwortliche Ministerium. Sankt Petersburg nicht aussparen
Viel schlimmer ist es aber, wenn wir im Bericht lesen – Für demokratische internationale Entschei-
müssen – Seite 21 –, dass eine Ausstattung aller Kräfte dungsprozesse statt G 8
mit geschützten Fahrzeugen grundsätzlich vorgesehen
sei. Das entsprechende Konzept werde auch mit Nach- – G-8-Gipfel muss Signal zu nachhaltiger En-
druck verfolgt, jedoch erst mittel- und langfristig reali- ergieversorgung geben und Gesundheitssys-
sierbar sein. Daher müsse zuerst auf ungeschützte Fahr- teme in den Entwicklungsländern stärken
zeuge zurückgegriffen werden. (Tagesordnungspunkt 31 a bis c)
Ich frage Sie: Kann so etwas überhaupt verantwortet
werden? Sie wissen, dass die Fraktion Die Linke und Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Da der G-8-Gip-
auch ich uns immer gegen Auslandseinsätze der Bundes- fel traditionell Stellung zu gewichtigen außenpolitischen
wehr ausgesprochen haben. Die meisten Kolleginnen Themen nimmt, erlauben Sie mir zunächst aus aktuellem
und Kollegen in diesem Hause stimmen aber für diese Anlass ein Wort zur Lage im Nahen Osten. Die Entfüh-
Einsätze und tragen daher unmittelbare Verantwortung rung und Ermordung von israelischen Staatsbürgern
für deren Folgen. Unter dem Aspekt, dass sich An- durch palästinensische Terrorgruppen, Organisationen
4316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) der regierenden Hamas, zeigen, dass die bisherige Poli- tiefen Verwundung des russischen Selbstbewusstseins, (C)
tik der EU und des Nahostquartetts richtig war. Solange insbesondere nach Ende und Auseinanderfall der Sowjet-
die Hamas nicht der Gewalt abschwört, das Existenz- union und ihres Herrschaftsanspruchs. Russland ist ein
recht Israels und die bisherigen Verträge zwischen Paläs- Land auf der Suche nach der Wiedergewinnung seiner
tinenserbehörde und Israel nicht anerkennt, kann Hamas Identität und nach seiner Rolle in der Regional- und Welt-
keine Unterstützung von unserer Seite erhalten. Diese politik. Auf diesem Weg betrachtet die russische Bevöl-
gewalttätigen Übergriffe auf Israelis zeigen aber auch, kerung Präsident Putin als Garanten und Integrationsfi-
dass weder Hamas noch Fatah Einfluss auf die Terror- gur.
gruppen haben oder haben wollen. Das größte Hindernis
für eine aussichtsreiche Zukunft der Palästinenser blei- Zugleich nehmen wir auch zur Kenntnis, dass in der
ben vorrangig die Palästinenser selbst. Bewertung von Freedom House Russland – neben Bela-
rus – der unfreieste Staat in Europa ist. Der kriegerische
So halte ich die Verständigung der beiden Parteien auf Konflikt in Tschetschenien, das neue NRO-Gesetz, die
das „Abkommen zur nationalen Einigung“ keineswegs Prozesse gegen Topmanager des Ölkonzerns Jukos, die
für einen Fortschritt. Das Papier enthält in wesentlichen mit langjährigen Haftstrafen endeten, die zunehmende
Punkten zu viele Formelkompromisse, die unterschiedli- staatliche Kontrolle der Presse lassen erheblichen Zwei-
che Interpretationen erlauben. Kurz: Dieses Dokument fel an der Entwicklung einer pluralistischen Demokratie
ist keine Initiative, mit der die Palästinenser auf Israel aufkommen.
zugehen. Ein Verhandlungsangebot an Israel steht immer
noch aus. Der Deutsche Bundestag hat wiederholt be- Meinungs- und Pressefreiheit sind konstitutive
kräftigt, dass zum Existenzrecht Israels auch das Recht Rechte in der Demokratie. Dies wird auch Thema des
der israelischen Bürger gehört, in sicheren Grenzen frei Treffens russischer Menschenrechtsorganisationen im
von Angst, Terror und Gewalt zu leben. Der entführte Vorfeld des G-8-Gipfeltreffens sein. Ich begrüße, dass an
Soldat Gilad Schalit muss daher sofort und bedingungs- diesem NRO-Treffen auch unser Kollege Andreas
los freigelassen werden. Schockenhoff in seiner Funktion als Koordinator für die
deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammen-
In diesem Jahr hat Russland als jüngstes Mitglied arbeit teilnehmen wird.
zum ersten Mal die Präsidentschaft der G 8 inne. Diese
Präsidentschaft gibt Anlass, einen Blick auf Russland Wir haben ein Interesse daran, dass Russland den
und unser Verhältnis zu Russland zu werfen; denn diese Wandel zu einer stabilen Demokratie erfolgreich bewäl-
Präsidentschaft ist nicht unproblematisch. Die G 8 ver- tigt. Im Übrigen hat Moskau auch am 19. Mai die Präsi-
stehen sich als Forum demokratischer Industrienationen. dentschaft im Europarat übernommen. Zehn Jahre ist
Russland nun Mitglied dieser ältesten zwischenstaatli-
(B) So definiert auch Russland selbst dieses Gremium. Da- chen Organisation Europas. Mit dem Beitritt hat es sich (D)
mit stellen sich zwei Fragen: Erstens: Ist Russland eine
Industrienation? Zweitens: Ist Russland eine Demokra- auch ihren Zielen, Interessen und Werten, nämlich der
tie? Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
Menschenrechten, verpflichtet. Wenn Russland, wie der
Zugleich müssen wir berücksichtigen: Welche Bezie- russische Präsident gestern sagte, angemessene Verant-
hungen haben wir zu Russland, wie abhängig sind wir wortung für die globale Ordnung übernehmen will, muss
von Russland, auf welche Weise wollen wir die Ent- es auch Vorbild für andere Staaten sein.
wicklung Russlands beeinflussen?
Wir haben ein Interesse daran, dass Russland Europa
Russland ist eine bedeutende, aber keine große zugewandt bleibt und nicht sein Wohl in anderen Bünd-
Macht: Die Bevölkerung ist so groß wie die Frankreichs nissen wie der Shanghai-Organisation sucht.
und Deutschlands zusammen. Russland hat enorme de-
mografische Probleme. Nach OECD-Standards ist Russ- Es sind zwei weitere Bereiche, die besonderen Anlass
land keine Industrienation. Seine ökonomische Kraft ist zur Sorge geben: Russlands Nachbarschaftspolitik und
zu vergleichen mit der Belgiens, der der Niederlande, sein Verhalten in internationalen Organisationen. Russ-
der Brasiliens oder der Mexikos. Der Wohlstand der Be- lands Nachbarschaftspolitik, zum Beispiel gegenüber
völkerung liegt hinter dem Polens und Tschechiens. Belarus, der Ukraine, Polen und den baltischen Staaten,
Russland hat keine strategische zivile Industrie. gibt uns immer wieder Anlass zur Sorge. Wir, der Deut-
sche Bundestag, haben immer wieder – gerade im Zu-
Andererseits verfügt Russland über enorme Energie- sammenhang mit den Wahlen im März dieses Jahres –
vorkommen, insbesondere Erdgas. Wir sind auf diese die mangelnden oder gar fehlenden demokratischen und
Lieferungen angewiesen. Umgekehrt ist Russland nicht rechtsstaatlichen Strukturen in Belarus kritisiert und die
nur zur Erschließung der Energievorkommen, sondern russische Regierung gebeten, im Sinne einer gemeinsa-
auch zur gedeihlichen Entwicklung von Wirtschaft und men Verantwortung in Europa ihren Einfluss auf den
Gesellschaft auf unsere Unterstützung angewiesen. Es belarussischen Diktator entsprechend auszuüben.
gilt, diese gegenseitige Abhängigkeit zum gegenseitigen
Wohle zu entwickeln. Dabei wollen wir die russischen Interessen nicht
übergehen und – soweit möglich – eine ausgleichende
Ist Russland eine Demokratie? Die Zeit unter Jelzin Rolle einnehmen. Zur strategischen Partnerschaft zu
galt uns als Zeit des Pluralismus und der Medienfreiheit. Russland gehört aber auch, gegenüber Russland deutlich
Aus russischer Sicht dagegen war diese Zeit überwiegend zu machen, dass wir mit Staaten wie Polen und den balti-
geprägt von Chaos und Staatszerfall. Sie ist Ausdruck der schen Staaten in einer auf Ewigkeit angelegten Schick-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4317

(A) salsgemeinschaft stehen. Eine schlechte Behandlung Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Deutsche Haltung zum (C)
dieser Partner berührt auch uns. Dazu gehört beispiels- G-8-Gipfel in St. Petersburg. Die Integration Russlands
weise, die Drohgebärden gegenüber den baltischen Staa- in die G 8 wird mit der Übernahme der Präsidentschaft
ten einzustellen und bei der geplanten Ostseepipeline auf und der Ausrichtung des Gipfels in St. Petersburg wei-
die Sensibilitäten der Anrainerstaaten wie Polen und die testgehend vollendet. Für Russland ist der G-8-Gipfel
baltischen Staaten einzugehen. und die darin zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung
der G-8-Partner ein wichtiger Meilenstein. Auch für die
Aufgrund der hohen Einnahmen aus den Öl- und Gas- weitere politische Annäherung an den Westen ist der Er-
exporten und dem daraus resultierenden Haushaltsüber- folg des Gipfels in der russischen Bevölkerung überaus
schuss kann Moskau es sich erlauben, den ärmsten Län- wichtig.
dern Schulden zu erlassen und den reichsten Ländern
Schulden vorzeitig zurückzuzahlen. Der russische Finanz- Russland ist seit 1998 offizielles Mitglied und wird
seit 1994 inoffiziell zu den Gipfeln geladen. Grund für
minister hat angekündigt, dem Pariser Club 11 bis
die Aufnahme war das wirtschaftliche Potenzial des
12 Milliarden Dollar seiner Schulden zurückzuzahlen.
Landes und das Bemühen um die Einführung von Demo-
Moskau will damit seinen Wunsch untermauern, endlich
kratie und Rechtsstaatlichkeit.
in alle G-8-Gremien eingebunden und Vollmitglied im
Kreis der G-8-Finanzminister zu werden. Gleichzeitig Vor diesem Hintergrund will ich ausdrücklich beto-
müsste Moskau allerdings klar sein, dass es damit auch nen, dass Deutschland an dem Erfolg von St. Petersburg
Verantwortung zu übernehmen hat. Denn es liegt auf der ein überragendes Interesse hat. Dieses Interesse greift
Hand, dass hohe Energiepreise Risiken für die Weltwirt- aus meiner Sicht über einzelne Auseinandersetzungen,
schaft bedeuten und gerade Entwicklungsländer ohne ei- etwa im Bereich der Energiepolitik, weit hinaus. Bei al-
gene Energiereserven hart treffen. Die G 8 sind das ge- ler Kritik, die an der Entwicklung in Russland geübt
eignete Forum, sich dieses Problems anzunehmen. werden kann und muss, dürfen wir nicht vergessen, dass
auch durch die Zusammenarbeit der G 8 untereinander
Wenn Putin als Ziel vorgibt, „eine zivilisierte Strate- aus einem ehemaligen Feind endgültig ein strategischer
gie zu entwickeln, mit der die Welt verlässlich und si- Partner wird.
cher mit Energie zu vernünftigen Preisen und minima-
lem Schaden für die Umwelt versorgt wird“ – während Darüber hinaus sollten wir die Bedeutung Russlands
des G-8-Finanzminister-Treffens am 12. Februar 2006 – in wirtschaftspolitischer Hinsicht nicht vergessen.
muss er auch das Vertrauen in die russische Politik stär- Seit 1999 hat sich der Warenhandel EU-25 mit Russ-
ken. Ein erster Schritt wäre die Unterzeichnung der land mehr als verdreifacht. Hiervon profitiert Deutsch-
(B) Energiecharta mit der EU. Ich hoffe, dass es in dieser land am stärksten. Wir sind in der EU der größte Expor- (D)
Frage in Sankt Petersburg Bewegung gibt. teur nach Russland. Deutschland liefert alleine 30 Pro-
zent der Ausfuhren der EU-25-Staaten nach Russland.
In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch Ge- Auch deshalb kommt uns im Verhältnis zu Russland eine
danken machen, wie die G 8 zu aufstrebenden Staaten zentrale Mittlerposition zu.
mit schnell wachsender Wirtschaft stehen. Ich mache nur
darauf aufmerksam: dass China – gemessen am BIP – in- Natürlich beobachtet die Bundesregierung aufmerk-
zwischen Italien und Kanada überholt hat und – gemes- sam Fragen der Menschenrechte und der Demokratisie-
sen an den Weltpreisen – immerhin die zweitgrößte rung in Russland und sieht Defizite im Umgang mit den
Volkswirtschaft der Welt ist; dass vor Russland eine Medien und der Zivilgesellschaft. Viele der in dem An-
ganze Reihe von Ländern mit größerem BIP, wie Me- trag der FDP aufgeführten Kritikpunkte bringt sie regel-
xiko, Indien, Südkorea, Brasilien und Australien, stehen. mäßig gegenüber Russland vor. Beispielsweise nutzt das
Auswärtige Amt seine vielfältigen Kontakte auf allen
Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Die Erweiterung Ebenen, um Themen wie Demokratie und Rechtsstaat-
der G 8? Wenn wir der Argumentation des russischen lichkeit, Pressefreiheit und Menschenrechte gegenüber
Präsidenten folgten und den G-8-Prozess auf außenwirt- den russischen Partnern anzusprechen und unsere Sor-
schaftliche Themen reduzieren wollten, müssten diese gen mitzuteilen.
Länder ebenfalls in dieses Forum aufgenommen werden.
Auf EU-Ebene werden ebenfalls Fragen der Men-
Unter dieser Prämisse ließe sich auch nicht länger recht-
schenrechte regelmäßig mit Russland erörtert.
fertigen, sie stets nur als Gäste einzuladen. Über diese
Frage müssen sich die G 7 sehr schnell verständigen. Dabei hat die Erfahrung gezeigt, dass Sorgen und Kri-
tik eher berücksichtigt werden, wenn sie in einem ver-
Die globalen Fragen und Probleme können die Staa- traulichen Rahmen geäußert werden. Die ehemaligen
ten nur gemeinsam lösen. Dies gilt sowohl für den Außenminister der FDP sind den Weg des Dialoges in
Kampf gegen transnationalen Terrorismus oder gegen der Vergangenheit ebenfalls gegangen und werden auch
Seuchen, für Abrüstung und Energiesicherheit, für den zu dieser Erkenntnis gekommen sein. Ich erinnere eben-
Nahostkonflikt und für die Entwicklung in Afghanistan, falls an die neue Ostpolitik Willy Brandts, die auch von
für die Auseinandersetzung um das iranische Nuklear- der FDP gestützt wurde. Es stellt sich zudem ganz
programm oder die so genannten Frozen Conflicts im grundsätzlich die Frage, inwiefern der G-8-Gipfel der
Kaukasus. Die Gruppe der 8 ist ein Forum, das bei der richtige Rahmen ist, um Kritik an einem einzelnen Land
Lösung dieser Fragen eine wichtige Rolle einnimmt. in den Vordergrund zu stellen.
4318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Was wir vielmehr brauchen, ist eine Balance zwi- Themen Gesundheit und Bildung zu besprechen. Von (C)
schen Kooperation und Kritik. Gerade diese Herange- besonderem Interesse ist die Bekämpfung von Infek-
hensweise ist es, die Deutschland international eine hohe tionskrankheiten. Ein Bezug zu Entwicklungsländern ist
Glaubwürdigkeit in Fragen der Menschenrechte beschei- herzustellen.
nigt. Lassen Sie uns diese nicht aufs Spiel setzen. Ich
würde mich freuen, wenn die Kollegen der FDP darüber Schlussbetrachtung zu St. Petersburg. Die von mir an-
nachdenken würden, ob sie ihren Antrag für das richtige gesprochenen Themen zeigen, dass der G-8-Prozess zu
Mittel halten. einem wichtigen Dialog mit Russland über die zentralen
internationalen Fragen führt. Vor diesem Hintergrund
Gesamtkontext des G-8-Gipfels: energiepolitische klingt die Forderung der Linken nach einer quasi Ab-
Spannungen. Lassen Sie uns ebenfalls nicht vergessen, schaffung der G 8 wie blanker Hohn. Insgesamt zeigt die
dass die russische G-8-Präsidentschaft unter dem Zei- Entwicklung, wie richtig es gewesen ist, Russland in den
chen politischer Spannungen im energiepolitischen Be- G-8-Prozess zu integrieren. Der Prozess der Einbindung
reich steht. Zu Beginn des Jahres sorgte die Unterbre- Russlands ist noch nicht abgeschlossen.
chung der Gaslieferungen Russlands an die Ukraine für
internationale Unruhe. Die Spannungen lösten Sorgen
Dr. Werner Hoyer (FDP): Die FDP hat die Initiative
hinsichtlich der Versorgungssicherheit der Gaslieferun-
zu dieser Debatte ergriffen. Wir machen uns Sorgen um
gen aus Russland aus. Glücklicherweise konnte der
das Signal, das von dem wichtigen Sankt Petersburger
Streit zügig beigelegt werden, hinterlässt aber sicherlich
G-8-Gipfel ausgehen könnte. Wir machen uns Sorgen
einen schalen Beigeschmack.
um den Zustand und die Zukunft des Gastgeberlandes
Energieversorgungssicherheit als wichtigster Gipfel- des kommenden Gipfels und als Konsequenz auch um
schwerpunkt. Nicht nur für unser Land ist die Energie- die Zukunft der G 8 insgesamt.
versorgungssicherheit ein zentrales Anliegen. Die Grü-
nen weisen zu Recht in ihrem Antrag darauf hin, dass die Vor einem Vierteljahrhundert wurden die G 7 von
Energieversorgung auch für die Entwicklungsländer eine Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing gegrün-
zentrale Bedeutung für das wirtschaftliche Vorankom- det als Zusammenschluss der „industrialisierten Demo-
men hat. Angesichts des weltweit wachsenden Energie- kratien“. Grundprinzip bei ihrer Gründung war aus-
bedarfs liegt eine auf Dauer hohe Nachfrage nach Ener- drücklich die gemeinsame Verpflichtung auf eine
gie auf der Hand. „offene, demokratische Gesellschaft, die sich zur Frei-
heit des Einzelnen und zum sozialen Fortschritt be-
Russland ist seit über 40 Jahren ein zuverlässiger kennt“. So heißt es wörtlich in der konstituierenden Gip-
Energielieferant für Deutschland und liefert rund ein felerklärung von Rambouillet.
(B) Drittel des deutschen und Gas- und Ölbedarfs. Wir ha- (D)
ben keinen Grund, an der Zuverlässigkeit Russlands in Die Präsidentschaft der G 8 hat in diesem Jahr Russ-
dieser Frage zu zweifeln. Dennoch ist es aus meiner land, der Gipfel findet in zwei Wochen in Sankt Peters-
Sicht wichtig, über weitere gegenseitige unternehmeri- burg statt, der Heimatstadt des russischen Präsidenten.
sche Verpflichtungen und partnerschaftliche Zusammen- Es ist klar, was Präsident Putin damit nach außen, vor al-
arbeit die Energieversorgungssicherheit für Deutschland lem aber nach innen gegenüber seinen eigenen Bürgern
zu erhöhen. dokumentieren will: Seht her, die wichtigsten demokra-
tisch gewählten Staats- und Regierungschefs der Welt
Deutschland hat ein hohes Interesse an einer Deeska- kommen zu mir nach Sankt Petersburg! Wir sind im
lation der Spannungen mit Russland. Wir setzen uns Kreise der führenden Demokratien der Welt angekom-
weiterhin dafür ein, dass die Energiecharta prominent in men.
der G-8-Erklärung erwähnt wird. Russland zeigt sich da-
für offen, ist allerdings zurückhaltend, die Energiecharta Präsident Putin will in Sankt Petersburg einen Jubel-
zu ratifizieren. Auf der anderen Seite hat Russland ein gipfel veranstalten, um seine Machtstellung nach innen
großes Interesse, nicht allein über die Sicherheit des und außen zu festigen. Das muss angesichts der ganz of-
Energieangebots, sondern auch über die der Energie- fenkundigen Rückschritte bei der Entwicklung von De-
nachfrage zu sprechen. Die Diskussion zeigte zuneh- mokratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland in diesem
mend, dass es Russland um die Reziprozität der Markt- Hohen Hause zumindest einmal problematisiert werden,
öffnung im Energiebereich geht. Russland strebt den und zwar ganz besonders deshalb, weil Bundesaußenmi-
Markteintritt auch im Endkundengeschäft an. Für all nister Steinmeier in dieser Frage keinerlei Problembe-
diese Fragen bietet der G-8-Gipfel eine gute Gelegen- wusstsein zu haben scheint. Herr Steinmeier hat gestern
heit. in der wichtigsten noch unabhängigen russischen Tages-
zeitung „Kommersant“ den Transformationsprozess in
Handelspolitik im Zentrum der internationalen Inte- Russland ausdrücklich gelobt.
resses. Je mehr wir uns St. Petersburg nähern, desto
mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Handelspo- Als dann die russischen Journalisten – offensichtlich
litik wichtig für den Gipfel wird. In diesem Zusammen- selbst verwundert über so viel Blauäugigkeit des deut-
hang ist es ebenfalls ein gutes Zeichen, dass Russland schen Außenministers – nachgefragt haben, ob im
zentrale WTO-Partner aus den Schwellenländern in den Kreise der G 8 nicht Zweifel bestünden an der „Treue
G-8-Outreach einbezogen hat: Brasilien, Indien, China, Russlands zu demokratischen Normen“, hat Herr
Mexiko und Südafrika. Neben der Energiepolitik hat Steinmeier das weit von sich gewiesen. Dieser Bundes-
sich Russland vorgenommen, mit den G-8-Partnern die außenminister möchte ganz offensichtlich in der Russ-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4319

(A) land-Politik nahtlos da anknüpfen, wo sein ehemaliger Woher nehmen die G 8 ihre Legitimation? Sind sie (C)
Chef Gerhard Schröder aufgehört hat. gewählt, von internationalen Organisationen delegiert?
Nichts davon. Ihre einzige Legitimation ist ihre ökono-
Minister Steinmeier, Sie müssen sich doch einmal fra- mische und militärische Macht: das Recht des Stärkeren.
gen, wie diese öffentliche Belobigung des Putin-Re- Auch Parlamente spielen dabei nur die Rolle eines Zaun-
gimes bei den mutigen Vertretern der russischen Zivilge- gastes der Entscheidungen, statt sie zu kontrollieren oder
sellschaft ankommt. Diese wirklichen Demokraten zu gestalten. In ihrem Antrag, Herr Trittin, findet man
kämpfen doch unter immer schwieriger werdenden Be- keinerlei Kritik an der demokratischen Legitimation der
dingungen dafür, dass der leider längst rückläufige G 8, im Gegenteil.
Transformationsprozess in Russland überhaupt wieder in
Gang kommt bzw. vom Rückwärtsgang wieder in den Verabredungen zu global relevanten Themen gehören
Vorwärtsgang geschaltet wird. nicht in den Rahmen der G 8, sondern allein in dafür le-
gitimierte Gremien. Das setzt gleichberechtigte Teilhabe
Frau Merkel hat bei ihrem Moskaubesuch Vertreter
der Entwicklungs- und Schwellenländer und die Einbin-
der Zivilgesellschaft getroffen – das war richtig – und
dung der Parlamente voraus. Der Rahmen dafür ist ein-
hat sie damit sichtbar gestärkt. Der Bundesaußenminis-
zig und allein eine in ihren Kompetenzen gestärkte und
ter macht diesen Neuansatz hin zu einer Stärkung der
demokratisierte UNO.
russischen Zivilgesellschaft und zu einer Unterstützung
der Demokratie- und Rechtsstaatsbewegung gleich wie- Wie sehr die Politik der G 8 Kritik hervorruft, zeigen
der kaputt! „Freedom House“ hat Russland kürzlich un- die regelmäßigen massiven Proteste und die weltweiten
ter den „unfreien Staaten“ eingestuft – auf einer Ebene Sozialforen. Zehntausende machen dort Alternativen zur
mit Simbabwe. Der deutsche Außenminister hingegen neoliberalen Wirtschafts- und Entwicklungsdoktrin der
sieht Russland auf dem richtigen Weg. Das passt doch G 8 deutlich. Das ist gelebte Demokratie, nicht die G 8,
nicht zusammen! Herr Hoyer. Und die werden Sie nicht nur in Petersburg,
Die FDP ist der Auffassung, dass die G 8 ihrem eige- sondern auch im nächsten Jahr in Heiligendamm erle-
nen, in Rambouillet aufgestellten Anspruch als Zusam- ben.
menschluss der führenden Demokratien nur dann genü- Auf der Agenda in Petersburg stehen weitere Schritte
gen kann, wenn auch die Sorge über den Zustand der zur Liberalisierung der globalen Energiemärkte. Ein
Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit im Gastgeber- Drittel der Menschen in der Welt haben keinen Zugang
land offen angesprochen wird. Es ist gut, dass die Bun- zu Energie. Die weltweite Liberalisierung der Energie-
desregierung einen Vertreter auch zum NGO-Gipfel versorgung hat diesen Zustand nicht verbessert, im Ge-
nach Sankt Petersburg schicken will. Hier hat Kollege genteil. Durch langfristige Lieferverträge sollen die In-
(B) Schockenhoff als Beauftragter der Bundesregierung für vestitionen der Unternehmen in der Rohstoffgewinnung (D)
die zivilgesellschaftliche Kooperation zwischen abgesichert werden. Dies richtet sich ausdrücklich gegen
Deutschland und Russland Gelegenheit, zu zeigen, wie die lateinamerikanischen Staaten, die gerade mit der
er die russische Zivilgesellschaft in ihrer Arbeit unter- Verstaatlichung einen anderen Weg gehen. Völlig zu
stützen will, statt ihr Steine in den Weg zu werfen. Recht sind sie nicht mehr bereit, die Gewinne aus heimi-
Aber unsere Sorge über die Entwicklung in Russland schen Rohstoffen transnationalen Konzernen zu überlas-
gehört nicht nur in die Hinterzimmer von Sankt Peters- sen und für Armutsbekämpfung um Entwicklungshilfe
burg. Das muss offen auf den Tisch: beim Gipfel; nicht, zu betteln.
um die russische Führung vorzuführen, sondern um die In Russland, 20 Jahre nach Tschernobyl, einen Ak-
russische Zivilgesellschaft zu stärken. tionsplan verabschieden zu wollen in dem über Entwick-
Es geht um die Glaubwürdigkeit der G 8 als Zusam- lungskredite der Weltbank Entwicklungs- und Schwel-
menschluss der führenden Demokratien. lenländern Atomkraftwerke verkauft werden sollen, ist
eine Gefährdung von Mensch, Natur und Sicherheit über
Jahrhunderte. Das ist nicht zu verantworten. Bei der
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Herr Hoyer, Sie sorgen
Frühjahrstagung der Weltbank hat sich Frau Wieczorek-
sich um die Demokratie in Russland. Hier gibt es Defi-
Zeul dagegen ausgesprochen. Das unterstützen wir aus-
zite. Aber die G-8 zum Hüter von Demokratie zu erklä-
drücklich. Hände weg von der Atomenergie, ob hier,
ren, damit machen Sie doch den Bock zum Gärtner.
oder anderswo. Die Zukunft der Energieversorgung liegt
Die G-8-Regierungen repräsentieren ein knappes in Energieeinsparung und der Nutzung erneuerbarer
Siebtel der Weltbevölkerung. Aber ob Entschuldung Energien.
oder wie im Falle globaler Energiepolitik – diese Regie-
rungen fällen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Zum Petersburger Aktionsplan haben wir diesbezüg-
gesamte Weltwirtschaft und auf Entwicklungschancen lich von der Regierung noch kein Wort vernommen. Wir
vieler Länder haben – insbesondere der Länder, die auf möchten dazu hier und heute von Ihnen eine Antwort.
den G-8-Tagungen gar nicht mit am Tisch sitzen. Unter Wir erwarten, dass Sie den Aktionsplan auf dem G-8-
die Weichen werden natürlich ganz im Sinne der Interes- Gipfel ablehen.
sen der G-8-Staaten und ihrer Konzerne gestellt. Sie ver-
suchen mehr und mehr mit der G 8 eine Neben-UN zu Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zen-
etablieren, in der Sie die Bedingungen für Weltwirtschaft trales Thema des diesjährigen G-8-Gipfels in Petersburg
und Weltpolitik diktieren. wird die Energiepolitik und die Energiesicherheit sein.
4320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Ebenso wie in der Vergangenheit wird sich der Gipfel al- lich die Abhängigkeit von fosssilen Energieträgern redu- (C)
lerdings auch mit globalen Entwicklungsfragen befas- zieren müssen. Einsparung, Effizienz und erneuerbare
sen. So steht die Bekämpfung von Infektionskrankheiten Energien sollten im Zentrum einer Strategie der nachhal-
und der Zugang zu Medikamenten genauso auf der Ta- tigen Energieversorgung der G 8 stehen.
gesordnung wie die Verbesserung des Zugangs zu Bil-
dung. Die G 8 müssten sich für den Ausbau emeuerbarer
Energien sowohl in ihren eigenen Ländern als auch in
Eine nachhaltige, sichere und wirtschaftliche Versor- Schwellen- und Entwicklungsländern einsetzen. Sie
gung mit Energie ist essenziell für jede Volkswirtschaft. müssten sich in der Weltbank und den regionalen Ent-
Ohne eine sichere Energieversorgung sind Wohlstand, wicklungsbanken für den Ausbau von Energieeffizienz-
Gesundheit und Mobilität undenkbar. Der Rückgang der programmen, eine Politik der Energieeinsparung und
Vorräte und der Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe sowie den Ausbau emeuerbarer Energien einsetzen. Sie müss-
die steigende weltweite Nachfrage rücken die Frage der ten in einen systematischen, institutionalisierten Dialog
Versorgungssicherheit und des Zugangs zu Energie für mit Schwellenländern über nachhaltige Energiesysteme
die internationale Staatengemeinschaft immer mehr in eintreten. Und die G-8-Staaten müssten den Zugang zu
den Fokus. Von Energieaußenpolitik und Energiesicher- nachhaltigen Energiesystemen in den ärmsten Entwick-
heitspolitik ist die Rede. lungsländern durch die Aufstockung relevanter Pro-
Die prognostizierten Energieszenarien für Schwellen- gramme unterstützen.
länder wie Indien und China verschärfen die Dringlich- Die G 8 sollte vor allem von einem Ansatz absehen,
keit, darüber nachzudenken, wie bei steigender Welt- nämlich anzunehmen, dass die Renaissance der Atom-
bevölkerung und steigendem Wohlstand eine kraft auch nur in Ansätzen den Weg in eine zukunftsfä-
Energieversorgung zu gewährleisten ist, die das „Öko- hige Versorgung weist. Atomenergie ist und bleibt teuer,
system Erde“ überhaupt verkraften kann. Insofern ist es gefährlich und nicht kontrollierbar. Mit der Ausbreitung
nur folgerichtig, dass sich der Gipfel mit dem Thema be- der zivilen Nutzung der Atomenergie erweitern sich
fasst. auch die Möglichkeiten ihrer militärischen Nutzung, wie
Der erste Präsident Bush ist im Kontext der Klimade- man an den Entwicklungen in Indien und Pakistan oder
batte vor mehr als einem Jahrzehnt in Europa berühmt aktuell im Kontext der Urananreicherung im Iran sehen
geworden mit dem Satz: „Der amerikanische Lebensstil kann. Dieses zu verhindern sollte in unser aller Interesse
ist nicht verhandelbar“. Die Kraft der Tatsachen oder sein.
– anders gesagt – 5 Milliarden Menschen in Schwellen-
und Entwicklungsländern stellen jedoch auch scheinbar
(B) wie in Stein gemeißelte Feststellungen infrage. Heute Anlage 4 (D)
sagt der zweite Präsident Bush immerhin in seiner Rede
an die Nation: „Wir müssen weg vom Öl“. Dem ist nur Zu Protokoll gegebene Rede
zuzustimmen, dies gilt auch für unser Land. zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Nur durch eine gerechtere Verteilung und Nutzung Berichts: Aufgabenplanung der Deutschen
der Ressourcen und eine weltweite Orientierung auf er- Welle 2007 bis 2010 (Tagesordnungspunkt 32)
neuerbare Energien werden wir aus meiner Sicht in der
Lage sein, ein wachsendes Konfliktpotenzial zu ent- Christoph Waitz (FDP): Freunde gewinnen und
schärfen. Und es geht nicht nur um die Vorbeugung von binden, könnte als Titel über dem Aufgabenplan der
Konflikten. Heute verfestigen sich die wissenschaftli- Deutschen Welle stehen, über die wir heute beraten.
chen Hinweise, dass die globalen Folgen des vorherr- Diese Aufgabe hat die Deutsche Welle in bemerkens-
schenden Energiesystems dramatischer sind, als noch werter Weise immer wieder erfüllt. Wir hören viel Lo-
vor wenigen Jahren angenommen. Der Klimawandel hat bendes über die Arbeit der Deutschen Welle aus vielen
sich beschleunigt, die Jahrestemperaturen steigen stetig Teilen der Welt und ich will die Gelegenheit nutzen, den
an. Daher müssen die globalen Anstrengungen, bald- Mitarbeitern der Deutschen Welle für ihre Arbeit Dank
möglichst den Klimawandel zu verlangsamen, gesteigert zu sagen.
werden. Die Temperaturen dürfen nicht über 2°Celsius
gegenüber vorindustriellen Zeiten steigen, so eine von Mit der Aufgabenplanung 2007 bis 2010 skizziert die
Klimaforschem geteilte Erkenntnis. Deutsche Welle, wo die Aufgabenschwerpunkte ihrer
Arbeit in den nächsten Jahren liegen. Es verwundert
Ich bin der Meinung, dass die G-8-Staaten beim Welt- nicht, dass diese Schwerpunkte dort lokalisiert werden,
wirtschaftsgipfel im Juli in Sankt Petersburg die Gele- wo der kulturelle Dialog zu intensivieren ist, wie in den
genheit nutzen müssten, Schritte zu vereinbaren, die die arabischsprachigen Staaten und dort, wo die deutsche
Abhängigkeit von Öl und anderen fossilen Energieträ- Vertretung noch ungenügend ist, wie im asiatischen
gern zu vermindern. Sie sollten aufhören, eine Sicherheit Sprachraum.
der Versorgung zu suggerieren, die zumindest mittelfris-
tig nicht aufrecht zu erhalten ist. Technische Ansätze wie Diese neuen Aufgaben werden von einem Medien-
die Erhöhung der Markttransparenz im Ölbereich greifen unternehmen angegangen, das in den letzten Jahren ei-
angesichts der Verfasstheit von Energiemärkten zu kurz. nen beträchtlichen Umstrukturierungsprozess bewältigen
Auch gesteigerte Investitionen im Gas- und Ölsektor musste, der sicher nicht ohne interne Verwerfungen ab-
werden nicht verhindern, dass wir so schnell wie mög- gelaufen ist. Schließlich wurde die Mitarbeiterzahl er-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4321

(A) heblich abgesenkt und der Zuschuss aus Bundesmitteln sparen können, dann empfehle ich Ihnen als Ideengeber (C)
in schöner Regelmäßigkeit reduziert. unser liberales Sparbuch als Anregung und Ansporn für
eine bessere Haushaltspolitik.
Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen haben
es die Verantwortlichen geschafft, sich auf die wechseln-
den Anforderungen einzustellen und das Angebot im Be-
Anlage 5
reich Fernsehen, Radio und den neuen Medien immer
wieder neu anzupassen. Mit dem Aufgabenplan 2007 bis Zu Protokoll gegebene Reden
2010 hat die Deutsche Welle deutlich gemacht, dass nun-
mehr ein Punkt erreicht ist, an dem bei allem guten Wil- zur Beratung des Antrags: Umverteilung durch
len neue Aufgaben nur dann zu schultern sind, wenn ent- den Emissionshandel beenden – Vorreiterrolle
weder zusätzliche Gelder bereitgestellt werden oder aber im Klimaschutz übernehmen (Tagesordnungs-
an anderen Stellen im Haushalt gespart wird. punkt 33)

In Ihrem Aufgabenplan setzt die Deutsche Welle fol-


Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Die Bun-
gende Schwerpunkte: Das arabischsprachige Fenster der
desregierung hat in dieser Woche den Nationalen
Deutschen Welle soll von drei auf mindestens sechs
Allokationsplan II beschlossen. Damit wird der Emis-
Stunden Sendezeit pro Tag ausgedehnt werden. Das
sionshandel fortgeschrieben. Worum geht es dabei?
Auslandsfernsehen soll ausgebaut werden und eine wett-
bewerbsfähige technische Ausstattung soll erhalten wer- Erstens geht es um die Umwelt, es geht um die Redu-
den. All dies kostet zusätzliches Geld. zierung des CO2-Ausstoßes und damit um die Bekämp-
fung des Klimawandels. Dieser ist längst bei uns ange-
Für die Ausdehnung des arabischsprachigen Fensters
kommen und die Erkenntnisse aus jüngster Zeit führen
benötigt die Deutsche Welle zusätzlich 2 Millionen
vor Augen, dass Auswirkungen und Entwicklungen
Euro. Für das Auslandsfernsehen kommen zusätzliche
drastischer sind als bislang angenommen. Das heißt: Es
Kosten in Höhe von 5,75 Millionen Euro für Urheber-
muss gehandelt werden!
rechte, Anpassung von Formaten und die Bereitstellung
zusätzlicher Studiokapazität auf die Deutsche Welle zu. Und wir handeln. Nun sagen manche: Aber nicht ge-
Allein für die Aufrechterhaltung einer wettbewerbsfähi- nug.
gen technischen Ausstattung fehlen der Deutsche Welle
19,1 Millionen Euro bis zum Jahr 2010. Dazu will ich eines festhalten: Die Zuteilungsmenge
im NAP II, also das Gesamtvolumen an möglichem
Die Beschlussempfehlung des Kultur- und Medien- CO2-Ausstoß, beträgt 482 Millionen Tonnen und damit
(B) ausschusses enthält den Appell an die Bundesregierung, noch einmal 13 Millionen Tonnen weniger als im ersten (D)
die bisherige Programmpräsenz in Afrika, hier insbeson- Entwurf vorgesehen. Nun kann man sich immer noch
dere in der Subsahara-Region und in Lateinamerika zu mehr, noch größere Emissionsziele, einen noch geringe-
erhalten, den Dialog der Kulturen zu verstärken und in ren CO2-Ausstoß wünschen.
technologische Aufwendungen wie zum Beispiel mobile
Technologien zu investieren. Dieser Appell ist richtig Aber zur Wahrheit gehört doch eines dazu: Wir sind
und macht Sinn. damit ehrgeiziger als Rot-Grün. Die Vorgängerregierung
hatte im ersten NAP ein Mengengerüst von 503 Millio-
Gerade in der Subsahara-Region betreibt die Deut- nen Tonnen CO2 festgeschrieben. Jetzt sparen wir
sche Welle ein erfolgreiches Radioprogramm; und das in 21 Millionen Tonnen mehr ein. Das mag Sie verwun-
einem Gebiet, in dem das Radio oft die einzige Informa- dern. Aber auch in anderen Bereichen, wo manche durch
tionsquelle darstellt. In Lateinamerika ist die Deutsche das Land gezogen sind und gesagt haben: Wenn die
Welle inzwischen in den Netzen Hunderter Kabelgesell- Schwarzen dran sind, machen sie den Kahlschlag, leisten
schaften vertreten. wir mehr: Bestes Beispiel ist das CO2-Gebäudesanie-
Das Internet als weltweites Medium muss zukünftig rungsprogramm, das wir ganz erheblich aufgestockt
verstärkt genutzt werden, um mehr audiovisuelle Ange- haben und für das wir in dieser Legislaturperiode
bote anzubieten. 5,6 Milliarden Euro ausgeben werden. Also: Sie sagen,
wir machen nicht genug. Ich sage: Wir machen jeden-
Wenn wir sowohl den Focus auf neue Aufgaben len- falls mehr als Trittin, und den haben manche – ich nicht –
ken wollen, als auch die bestehenden Programme erhal- als grünen Umweltengel gefeiert. Also: Wir stehen zu
ten wollen, dann kommen wir nicht umhin, die Deutsche unseren Kioto-Verpflichtungen und Deutschland bleibt
Welle auch mit den benötigten Mitteln auszustatten. Das auch mit diesem NAP II an der Spitze beim Klima-
Ende der Fahnenstange ist bei der Deutschen Welle er- schutz.
reicht. Einsparungen bei gleichzeitiger Ausdehnung des
Aufgabenbereichs sind nicht mehr möglich, ohne dass Und dann wird gesagt: Dieser NAP II ist zu kohle-
die Substanz der Deutschen Welle geschädigt wird. freundlich. Jetzt nehmen Sie mir bitte eins ab: Ich bin
kein Freund der Kohle, eben weil sie CO2-intensiv ist.
Dass heißt, wir müssen die Einsparungen im Haushalt Und deshalb wird man im Detail in der Beratung des Zu-
an anderer Stelle erbringen. Ich kann nur an die Koali- teilungsgesetzes sicher noch das ein oder andere disku-
tion appellieren, hier nicht an der falschen Stelle zu spa- tieren müssen. Aber ich will Ihnen eine grundsätzliche
ren. Sparen Sie lieber dort, wo es wirklich Not tut! Falls Frage stellen: Wofür sind Sie eigentlich? Sie sind gegen
Sie noch nach geeigneten Ausgaben suchen, die Sie ein- die Kohle. Sie sind gegen die Kernkraft und eine
4322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) moderate Verlängerung der Laufzeiten. Aber wofür sind besser? Wie schöpfen wir Mitnahmeeffekte ab und wie (C)
Sie? Sie sind für regenerative Energien. Wir auch. Des- erreichen wir geringere Preise?
halb führen wir die Förderung durch das EEG weiter, es
war ja nicht alles falsch, was in den letzten sieben Jahren Einen ersten Schritt geht der NAP II: Der Energie-
gemacht wurde. Hier gilt: Viel mehr hätte man nicht ma- wirtschaft wird die CO2-Zuteilung um 15 Prozent ge-
chen können und viel mehr kann man auch jetzt nicht kürzt. Das ist richtig und es wird Gewinne abgeschöpft.
machen. Aber selbst wenn wir optimistisch sind: Mehr Aber eine Senkung der Preise erwarten wir nicht.
als 20 Prozent werden sie im Jahr 2020 nicht zur Ener- Was wir brauchen ist mehr Wettbewerb auf dem Ener-
gieerzeugung beitragen. Und das sollte niemand kleinre- giemarkt, weg von der beherrschenden Stellung der
den, dort haben wir weltweit eine Führungsrolle! Und „großen Vier“, hin zu einem offenem europäischen Ener-
der Rest? Also der Löwenanteil? Gas, sagen Sie. Ohne giemarkt. Dann wird die Belastung des Verbrauchers
zu fragen: Wird nicht auch Gas einmal endlich sein? durch immer höhere Energiepreise auch nicht mehr
Welche Auswirkung wird so eine immense Nachfrage möglich sein. Das zeigt das Beispiel der Industrie, die im
auf die Preise haben? In welche neuen Abhängigkeiten internationalen Wettbewerb steht. Und deshalb trotz
würden wir uns begeben. Wir wollen nicht, dass irgend- Emissionshandel keine Preise. Doch mehr Wettbewerb,
wer in Russland uns den Saft abdrehen kann: Die das wissen wir das werden wir nur langfristig schaffen,
Ukraine lässt grüßen. wir brauchen aber eine kurz- und mittelfristige Lösung.
Und deshalb: Wir werden auch in Zukunft einen Und da gibt es ein Instrument, dass die CDU/CSU fa-
Energiemix brauchen. Entscheiden ist eines: Wir brau- vorisiert: die „Ex-Post-Korrekturen“. Durch Koppelung
chen mehr Effizienz, wir brauchen neue Technologien, der Zertifikatvergabe an die tatsächliche Stromproduk-
bessere Wirkungsgrade und damit auch bei der Kohle tion fällt die Möglichkeit weg, keinen Strom zu produ-
weniger Emissionen. Dieses Ziel verfolgt der NAP II. zieren und die zugewiesenen Zertifikate stattdessen zu
Und daneben brauchen wir Gas. So viel wie möglich, verkaufen. Potenzielle Gewinne hieraus sind somit nicht
aber eben auch so wenig wie vertretbar. denkbar und deren Wegfall kann nicht ein-gepreist wer-
Und zweitens geht es dann um Arbeitsplätze. Das ist den. Damit würde der Strompreis sinken.
der Grund, warum die Union darauf gedrungen hat, den Jetzt wissen wir: Die Kommission stemmt sich gegen
Mittelstand außen vor zu lassen und das ist der Grund, dieses Instrument und eine Streitigkeit zwischen ihr und
warum wir von der Industrie nur eine vergleichsweise der Bundesrepublik Deutschland ist am Europäischen
geringe Minderung von 1,25 Prozent verlangen. Wir Gericht in erster Instanz anhängig. Deshalb konnte die
wollen Industrie in Deutschland. Wir wollen etwa auch „Ex-Post-Korrektur“ nicht von vorne herein in den
die chemische Industrie, bei der bestimmte Prozesse not- NAP II aufgenommen werden. Aber: Sobald das Gericht (D)
(B)
wendig zu CO2-Ausstoß führen, zu einem Ausstoß, der – wohl Ende des Jahres – entschieden hat und wenn es
auch nicht reduziert werden kann. Da gibt es nur zwei eine für uns günstige Entscheidung ist – wofür nach un-
Möglichkeiten. Entweder findet das in Deutschland statt serer Einschätzung einiges spricht –, dann muss neu ver-
oder anderswo auf der Welt. Für die Umwelt wäre damit handelt und neu entschieden werden. Das hat auch die
nichts gewonnen. Aber es ginge wieder etwas verloren: Bundesregierung in einer Protokollnotiz festgehalten.
Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land. Das Dafür sind wir dankbar. Dann muss die Kommission
wollen und das werden wir nicht zulassen. Es sind in den umdenken. Eine Verschleppungstaktik mit einer mögli-
letzten Jahren schon viel zu viele Arbeitsplätze vertrie- chen Revision und einem Hinauszögern bis zu einer Ent-
ben worden und die Auswirkungen spüren Millionen scheidung des EuGH machen wir nicht mit. Es dürfen
Menschen in Deutschland und wir alle jeden Tag. nicht durch eine lange Verfahrensdauer Fakten durch
Um Arbeitsplätze zu halten, brauchen wir auch gerin- Zeitablauf geschaffen werden. Wir machen das nicht mit
gere Strompreise. Und diese brauchen wir auch, um die und Herr Minister Gabriel, wir fordern auch Sie ein-
Privathaushalte zu entlasten. Die Stromrechnung ist zur dringlich auf: Lassen Sie das nicht zu!
echten Belastung für viele Bürgerinnen und Bürger ge-
Die anderen vorgeschlagenen Instrumente – von der
worden.
Auktionierung bis zur Zertifikatesteuer – halten wir für
Warum ist der Preis in den letzten Jahren so nach ungeeignet. Es mag für alles eine Für und Wieder geben.
oben geschossen? Ich will auch hier betonen: Nicht we- Aber eines ist sicher: Geringere Strompreise erreichen
gen der Förderung regenerativer Energien. Sie ist gerade wir damit nicht, sondern eher im Gegenteil.
einmal für die Höhe von 2 Prozent des Strompreises ver-
Lassen Sie mich einen letzten Punkt herausheben,
antwortlich, für mehr nicht.
weil das ein Verhandlungserfolg der Union ist: Im
Den Löwenanteil hat der Umgang der großen Ener- NAP II wird die Möglichkeit zur Nutzung von CDM und
gieversorger mit den CO2-Zertifikaten verursacht. Sie Jl-Projekten ganz erheblich erweitert. Bis zu 12 Prozent
haben Verbrauchsrechte kostenlos bekommen, aber dem ihrer Verpflichtungen können die Betreiber in dieser
Verbraucher die potenziellen Kosten auf den Preis drauf Weise erbringen. Was heißt das? Statt durch Maßnahmen
geschlagen. Jetzt geht es uns gar nicht darum, ob das in Deutschland können CO2-Einsparungen beispiels-
redlich ist oder wie auch immer. Fakt ist: Die Energie- weise durch Umwelt- und Technologieprojekte in Ent-
versorger haben sich damit innerhalb der Rahmenbedin- wicklungsländern erbracht werden. Zum Nutzen aller
gungen bewegt, die der NAP I gesetzt hat. Aber die Beteiligten. In die Entwicklungsländer fließt Kapital für
Frage muss doch sein: Wie machen wir’s beim NAP II Umweltschutz, die Unternehmen können in diesen Län-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4323

(A) dern für dasselbe Geld erheblich höhere Effizienzge- Und das mit dem NAP II verbundene Ziel ist klar. Die (C)
winne erzielen und schließlich – für den Klimaschutz entscheidende Frage ist: Ist der vorliegende Nationale
spielt es keine Rolle, ob CO2 hier oder dort eingespart Allokationsplan geeignet das im Rahmen des europäi-
wird. So sind diese Projekte heute Beispiele für erfolg- schen so genannten burden sharings eingegangene
reiche Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft. Und Treibhausgasminderungsziel von 21 Prozent bis 2012
– wie könnte es anders sein – schon erheben sich auch auf der Basis des Jahres 1990 zu erreichen? Ja oder nein?
hier wieder kritische Stimmen, auch in diesem Hause, Die Antwort ist: Ja.
nicht nur bei den Linken, genauso bei den Grünen etwa: Schaffen wir es außerdem das Regelungsdickicht von
Macht hier nur nicht zu viel, irgendwo muss man Gren- 58 Kombinationsregeln zu entwirren und das System
zen ziehen, wo führt das hin, wenn nicht alle Pflichten transparenter zu machen. Die Antwort ist: Ja.
im Inland abgearbeitet werden usw.
Der Umweltminister hat dieses hier in der Frage-
Ich behaupte: Genau hier ist die Trennlinie zwischen stunde am Mittwoch bereits umfassend dargelegt. Der
pragmatischem, effizientem Umweltschutz, der auch Nationale Allokationsplan II ist in vielen Bereichen
Wirtschaft und Arbeitsplätze im Auge hat, und einseiti- deutlich besser als der erste. Er ist eine gute Grundlage
ger Ideologie: Liebe Kolleginnen und Kollegen, global für die Beratungen des Parlaments, also von uns, über
denken, lokal handeln – das war gestern. Heute heißt die das Zuteilungsgesetz 2012 am Ende dieses Jahres.
Devise: Global denken, lokal, national und global han-
deln. Dafür stehen wir – in Verantwortung für den Plane- Der vorliegende NAP II entspricht der Energiepolitik
ten Erde und für die Arbeitsplätze in Deutschland. der Bundesregierung, die gleichzeitig auf Klimaschutz,
Versorgungssicherheit und Preisstabilität setzt. Und nun
verstehe ich ja den Einwand der Umweltökonomen, die
Frank Schwabe (SPD): Drei Vorbemerkungen seien Sie sich in der Opposition zu Eigen machen, dass das
mir gestattet: Erstens. Bei allen Debatten um Mengen- Instrument durch unterschiedliche politische Vorgaben
gerüste, Zuteilungsregeln, Ausnahmeregeln usw. dürfen nicht in seiner Idealform umgesetzt wird. Aber das ist
wir nicht vergessen, worum es beim Emissionshandel ei- eben der Unterschied zwischen Theorie und Praxis und
gentlich geht: um die Bewältigung des Klimawandels. den muss Politik schon machen und den muss Politik
Es geht mit dem Klimawandel um eine der, wenn nicht auch aushalten.
die größte Menschheitsherausforderung. Es geht darum,
Deshalb entscheidet sich die Koalition entgegen man-
dass die Erkenntnisse zur Dramatik des Prozesses immer
cher Wünsche eben für einen Energiemix und gegen eine
intensiver werden.
einseitige Bevorzugung von Gas. Deshalb gibt es den
Zweitens. Man muss den Emissionshandel nicht lie- von manchen gewünschten einheitlichen Benchmark
(B) (D)
ben. Man muss jedoch zur Kenntnis nehmen, dass er das jetzt nicht. Es darf aber auch keine Benachteiligung von
einzige international durchsetzbare Instrument war. Wer, Gas durch den NAP geben.
gerade aufseiten der Wirtschaft, den Emissionshandel Deshalb war es so wichtig, dass der Standardauslas-
nicht will, der muss sich im Klaren darüber sein, welche tungsfaktor für GuD-Kraftwerke jetzt bei 7 500 Stunden
Instrumentarien des Klimaschutzes er dann will. Und pro Jahr liegt. Dass das jetzt so im NAP steht, ist ein Er-
dass es möglicherweise gerade von den Gegnern weni- folg im Sinne des Klimaschutzes. Und das dürfen auch
ger geliebte Instrumentarien sein könnten. Sie so benennen.
Drittens will ich betonen, dass der Emissionshandel Mit dem NAP II werden also die Kiotoziele bis 2012
sicherlich ein zentrales, aber nicht das einzige Mittel zur erreicht. Der NAP II ist einfacher und transparenter, mit
Senkung der Treibhausgasemissionen ist. Ob EEG, seinen Regelungen werden notwendige Investitionen in
KWK, Biokraftstoffe, CO2-Gebäudesanierung, Effi- eine Erneuerung des Kraftwerkparks gefördert. Mit dem
zienzprogramme und anderes. Erst im Zusammenspiel geteilten Erfüllungsfaktor von 15 Prozent für die Ener-
dieser unterschiedlichen Instrumente wird die Klima- giewirtschaft und 1,25 Prozent für die Industrie trägt er
schutzpolitik in Deutschland erfolgreich sein. der Wettbewerbssituation und den unterschiedlichen
Möglichkeiten der CO2-Reduktion Rechnung. Das ist
Bei der Betrachtung des vorliegenden Nationalen Al- richtig. Und er schafft verlässliche Rahmenbedingungen
lokationsplans II für 2008 bis 2012 ist nun für die einen für die Förderung von Klimaschutz im Ausland über die
das Glas halb voll, für die anderen leer, für manche an- Mechanismen von Joint Implementation und Clean
dere läuft es aber schon über. Development Mechanism. Ich halte hier die Quote von
12 Prozent für richtig und ausbaufähig, will aber gleich-
Für die Opposition in diesem Haus ist das Glas leer. zeitig betonen, dass wir immer Wert darauf legen müs-
Ganz und gar. Sie lassen kein gutes Haar an diesem sen einen erheblichen Teil des Klimaschutzes im eigenen
NAP II! Das ist Ihr gutes Recht, es ist sogar Ihre Pflicht, Land zu verwirklichen. Das schafft erst die Glaubwür-
sich kritisch mit der Politik der Regierung auseinander digkeit, international für ambitionierte Ziele einzutreten
zu setzen. und hält den Innovationsdruck, der sicherlich nicht zu
Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt-
Aber das ist eben der Unterschied zwischen Regie-
schaft war und ist, aufrecht.
rung und Opposition. Sie können das Blaue vom Him-
mel fordern, die Regierung muss vor dem Hintergrund Nochmal: Der NAP II ist eine gute Grundlage für die
einer klaren Zielrichtung das Mögliche umsetzen. Diskussion zum ZuG 2012. Aber es ist schon Aufgabe
4324 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) des Parlaments, jetzt in intensive Beratungen einzustei- gern, anstatt sie kostenlos abzugeben. Hier wird nicht (C)
gen. nur Geld verschenkt, sondern die Möglichkeit vergeben,
das Geld an die Stromverbraucher zurückzugeben. Sie
Die SPD-Fraktion hat dabei insbesondere noch Dis- könnten mit den Einnahmen die Stromsteuer senken.
kussionsbedarf zum CAP vor dem Hintergrund der noch Dann würden die Strompreise sinken und nicht steigen,
zu erhebenden Zahlen für die Jahre 2003 und 2004. Die- wie Sie es immer wieder behaupten. Der Wert der Emis-
ses ist aber ja auch die Position der Bundesregierung. sionsrechte ist schließlich bereits jetzt schon eingepreist –
Darüber hinaus werden wir die Frage der Reserve vor trotz kostenloser Ausgabe. Für die Umwelt wäre es egal,
dem Hintergrund der angekündigten Kraftwerksprojekte ob Sie versteigern, für den Verbraucher ist es das nicht.
kritisch überprüfen. Es gibt zudem konkrete Vorschläge, Spekulationsge-
winne bei der Versteigerung zu verhindern. Aber offen-
Die im Koalitionsvertrag angekündigte Vermeidung bar hören Sie, Herr Gabriel, mehr auf die Energiever-
der Mitnahmeeffekte sehen wir noch nicht ausreichend sorger als auf Ihr eigenes Beratergremium, den
umgesetzt. Hier wollen wir prüfen, ob es ein Verfahren Sachverständigenrat für Umweltfragen. Dieser schreibt
gibt, das die windfall profits vermeidet oder abschöpft, in seiner Stellungnahme:
ohne gleichzeitig einen Vorwand für weitere Strompreis-
erhöhungen zu liefern. Die SPD-Fraktion unterstützt die Bei der Wettbewerbsargumentation handelt es sich
Ankündigung des Umweltministers, sich für eine umfas- um vorgeschobene strategische Argumente im
sende Auktionierung in der dritten Handelsperiode ein- Kampf um windfall-profits. Eine Versteigerung ist
zusetzen. die einfachste und transparenteste aller Zuteilungs-
methoden und vermeidet diese Verteilungskonflikte
Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass der Nationale innerhalb des Emissionshandelssektors.
Allokationsplan II genügend Spielräume für einen ambi-
tionierten Klimaschutz nach 2012 bietet. Der Druck auf Dem ist nichts hinzuzufügen.
einen umfassenden Klimaschutz wird mit jeder neuen Ein Investitionshemmnis ist die von allen Experten
Studie zunehmen. Deshalb muss heute zweierlei gewähr- als zu gering erachtete Ausstattung der Reserve von
leistet sein. Es dürfen erstens im NAP II keine Elemente Emissionsrechten für Neuanlagen. Sie ist jährlich min-
enthalten sein, die eine zu starke Belastung für die destens um 15 Millionen zu niedrig angesetzt. Die Re-
nächste Periode mit sich bringen. Vor dem Hintergrund serve muss aufgestockt werden, sonst werden hier Las-
der steigenden Ansprüche an den Klimaschutzwürde das ten in die Zukunft getragen. Entscheidend ist, dass die
das System des Emissionshandels in Gefahr bringen. Aufstockung innerhalb des vorgegebenen CO2-Budgets
Zweitens müssen bereits heute Signale gesetzt werden, erfolgt, um die eingegangenen Klimaschutzziele nicht zu
(B) dass es im Bereich des Kraftwerksbaus, zwar zu einer gefährden. Die entsprechende Kürzung der zugeteilten (D)
durch einen Energiemix energiesicheren, aber auch Mengen für Altanlagen sollte dann aus unserer Sicht bei
gleichzeitig klimaschutzgerechten Entwicklung kommen der Energiewirtschaft und nicht bei den Industrieunter-
muss. Die Kohle in all ihren Facetten wollen wir als nehmen erfolgen.
Säule haben. Wenn aber zu sehr in Kohle investiert
würde und damit ambitioniertere Klimapfade in Zukunft Wir haben also durchaus Übereinstimmungen mit den
nicht mehr zu erreichen wären, müsste im NAP III über Forderungen im Antrag der Linken und teilen die grund-
einen brennstoffunabhängigen benchmark im Sinne des sätzliche Kritik am Nationalen Allokationsplan. Der ent-
Klimaschutzes nachjustiert werden. scheidende Unterschied liegt aber in unseren Auffassun-
gen, was der Staat mit dem Versteigerungserlös aus den
Heute bleibt festzustellen: Erstens. Der NAP II ist Zertifikaten machen soll. Sie wollen neue Ausgabenpro-
besser als der NAP I. Zweitens. Er ist eine gute Grund- gramme beschließen und so die Staatsquote weiter erhö-
lage für die Erreichung der Klimaschutzziele bis 2012. hen. Wir wollen die Stromsteuer senken und so die Bür-
Und abschließend – drittens –: Er ist eine gute Grund- ger entlasten. Wir wollen umverteilen von vier
lage für eine umfassende und intensive parlamentarische Energieversorgern auf die privaten Haushalten, Sie wol-
Diskussion in den nächsten Monaten. Und die werden len umverteilen von Privatwirtschaft zum Staat.
wir von der SPD-Fraktion, und ich nehme an, die ande-
ren Fraktionen auch, umfassend führen. Uns unterscheidet zudem Ihre sehr kritische Haltung
zu den projektbasierten Mechanismen des Kiotoproto-
Michael Kauch (FDP): Emissionshandel ist als effi- koll. Die FDP will, dass alle Kiotomechanismen im Rah-
zientes, kostengünstiges Klimaschutzinstrument sowohl men der nationalen, europäischen und internationalen
bei den Umweltverbänden als auch in der Wirtschaft an- Klimapolitik genutzt, aber auch weiterentwickelt wer-
erkannt. den. So wird Klimaschutz so kostengünstig wie möglich
erreicht. Im Bereich von CDM, des Mechanismus für
Die Bundesregierung gefährdet mit Ihrer Politik aller- umweltgerechte Entwicklung, sind derzeit nicht zu viele
dings seine Akzeptanz, wenn sie ungerechtfertigte Ge- Projekte, sondern zu wenig.
schenke zugunsten der Energieversorger und zulasten
der Verbraucher macht, indem sie die Zertifikate zu Der von der Bundesregierung am Mittwoch beschlos-
100 Prozent verschenkt. sene Nationale Allokationsplan ist ein Paradebeispiel für
eine Politik der verpassten Chancen. Anstatt den Emis-
Sie, Herr Gabriel, könnten das ändern. Wir Liberale sionshandel einfach, kostengünstig und gerecht zu ge-
fordern Sie erneut auf, die Emissionsrechte zu verstei- stalten, bleibt dieses Instrument in Deutschland geprägt
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4325

(A) von Sonderregeln und Verteilungskämpfen. Experten- Schattenhaushalt für die Zukunft von voraussichtlich (C)
meinungen wurden zugunsten von Konzerninteressen in 2 Milliarden Euro aufgemacht.
den Wind geschlagen. Anstatt Vorreiter im Emissions-
handel zu sein, ist Deutschland zur Bremse geworden. Die Bundesrepublik hat sich die meisten ihrer Pro-
bleme im Emissionshandel selbst geschaffen, und zwar
dadurch, dass vollständig auf die Versteigerung der Zer-
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Heute geht der tifikate verzichtet wird. So muss bei der kostenlosen
Nationale Allokationsplan für die zweite Emissionshan- Erstausstattung mit komplizierten Regeln das Ergebnis
delsperiode nach Brüssel. Es ist schon erstaunlich, dass eines marktbasierten Verfahrens nachgebildet werden. In
sich der Bundestag erst auf Antrag der Linken hin mit den Verhandlungen um die Emissionshandelsrichtlinie
seinem Inhalt beschäftigt. Schließlich geht es im NAP ja war es nicht zuletzt deutscher Druck, durch den auf eine
nicht nur um die Architektur des künftigen Emissions- weitgehend kostenlose Zuteilung als Grundprinzip ge-
handels, sondern auch um die Emissionsziele aller drängt wurde.
volkswirtschaftlichen Sektoren der Bundesrepublik bis
2012. Das alles birgt jede Menge Umwelt- und vertei- Doch schon heute wäre eine Versteigerung von
lungspolitischen Sprengstoff. 5 Prozent der Zertifikate EU-rechtlich möglich. Darauf
und damit gleichzeitig auf rund 1,5 Milliarden Euro Ein-
Welche Bedeutung der Zuteilungsplan hat, kann man nahmen verzichtete die alte Bundesregierung.
auch an einem Artikel von „BBC News“ ablesen. Da- Die Unternehmen bedanken sich, denn diese Milliar-
nach hätte Großbritannien mit seinem NAP bewusst auf den wandern direkt als Extraprofit in die Kassen der
die Veröffentlichung des deutschen Plans gewartet. Die Stromkonzerne. Schließlich preisen die Unternehmen
Regierung dort stehe unter Druck der dortigen Unterneh- nach eigenem Bekunden den Marktwert der Zertifikate
men, weil die deutschen Unternehmen seinerzeit im von voll in den Strompreis ein.
Rot-Grün verabschiedeten NAP vergleichsweise großzü-
gig mit Zertifikaten ausgestattet worden seien. Offen- Und so soll es auch in der zweiten Handelsperiode
sichtlich hoffte man in London nun auf ambitionierte weitergehen. Das Kabinett verzichtet bei heutigen
Ziele in der Bundesrepublik. – Wie wir nun wissen, ver- Marktpreisen von um die 20 Euro je Tonne auf rund
geblich. Denn im Vergleich zur Basisperiode 2000 bis 5 Milliarden Euro, wenn die dann möglichen 10 Prozent
2002 sollen hierzulande im Emissionshandelssektor in nicht auktioniert werden. Das Geld fließt erneut in die
der zweiten Handelsperiode gerade einmal 2 Prozent Kassen der Stromversorger. Wir sind der Meinung, das
CO2 eingespart werden. Man muss sich das einmal vor- ist ein Skandal für eine Bundesregierung, die ständig den
stellen: Insgesamt 2 Prozent in knapp zehn Jahren! Das einfachen Leuten in die Tasche greift, weil das angeblich
ist verordneter Stillstand in der Klimapolitik! der klamme Etat erfordert.
(B) (D)
Der renommierte britische Klimawissenschaftler Pro- Unser Fazit: So, wie von der Bundesregierung ge-
fessor Michael Grubb hat sich daher auch tief enttäuscht plant, ist der Emissionshandel erstens eine Gelddruck-
über Deutschland geäußert. Der schlaffe deutsche NAP maschine für die vier großen Energiekonzerne, zweitens
werde Auswirkungen auf die anderen EU-Länder und ein milliardenschweres Haushaltsrisiko, drittens bringt
damit auf den europäischen Emissionshandel insgesamt er nichts fürs Klima und viertens sendet er außenpoli-
haben, stellt er fest. tisch verheerende Signale aus.

Herr Gabriel, wo ist denn nun die internationale Vor- Wir haben die Chance, diese gravierenden Fehler bei
reiterrolle der Bundesrepublik im Klimaschutz? Sie soll- den anstehenden Beratungen zum so genannten Zutei-
ten jeden Morgen ein Dankgebet sprechen, dass die lungsgesetz 2012 rückgängig zu machen. Lassen sie uns
DDR und ihre energiefressende Wirtschaft zusammen- diese Chance gemeinsam nutzen: gegen die Lobby der
gebrochen ist. Energiekonzerne und für das Klima.

Wir müssen hier im Hause im Gesetzgebungsverfah- Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ren dafür sorgen, dass der Emissionshandel in Deutsch- Seit dem l. Januar 2005 steht der Emissionshandel im
land wieder zu einem Klimaschutzinstrument wird. In Zentrum der europäischen Klimapolitik. Der Nationale
unserem Antrag machen wir Vorschläge dafür. Zualler- Allokationsplan für die Jahre 2005 bis 2007, NAP I, hat
erst muss ein anspruchsvolles Emissionsziel her. Der das System des Emissionshandels erfolgreich in
Ausstoß ist deutlich unter 470 Millionen Tonnen zu be- Deutschland etabliert. Viele Sonderregeln, die auf
grenzen, um glaubwürdig auf einem Klimaschutzpfad zu Wunsch unseres damaligen Koalitionspartners aufge-
bleiben. Zudem sind die Regeln für Neu- und Ersatzan- nommen wurden, höhlen aber seine Effektivität aus. Der
lagen zu verändern. Momentan sind sie schlicht Schutz- zweite Nationale Allokationsplan 2008 bis 2012,
klauseln für die Kohlewirtschaft, auch wenn Herr NAP II, sollte diese Fehler vermeiden und zu einer an-
Gabriel ständig das Gegenteil erklärt. spruchsvollen klimapolitischen Grundlage für die kom-
menden Jahre werden. Der NAP II ist damit die erste
Ferner ist die viel zu geringe Neuanlagen-Reserve große klimapolitische Nagelprobe der neuen Bundesre-
von 12 Millionen Tonnen klimapolitisch und haushalts- gierung.
rechtlich eine Anleihe auf die Zukunft. Schließlich muss
der Bund – da es absehbar zu Engpässen kommen wird – Leider, so müssen wir feststellen, hat die Bundesre-
auf dem Markt Zertifikate erwerben, um damit die Neu- gierung diese Nagelprobe aber nicht bestanden. Der
anlagen ausstatten zu können. Damit wird ein weiterer NAP II der Bundesregierung wird den Herausforderun-
4326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) gen des Klimaschutzes nicht gerecht und verschenkt von Privatpiloten sprechen, dann sprechen wir zunächst (C)
leichtfertig die Chancen, die der Emissionshandel bietet. einmal über Vorschriften für einen wirksamen Schutz
Aus unserer Sicht schafft er nicht die Voraussetzungen des Luftverkehrs gegen Flugzeugentführungen, Sabotage-
für ambitionierten Klimaschutz, sondern ist ein Förder- akte und sonstige gefährliche Eingriffe. Diese Vorschrif-
instrument für den Bau neuer Kohlekraftwerke. Gezielte ten sind im Luftsicherheitsgesetz zusammengefasst.
Anreize für Investitionen in klimaverträglichere Ener-
gieträger fehlen, klimaschädliche Kohlekraftwerke sol- Das Bundesverfassungsgericht hat, wie von mir vor-
len sogar doppelt so viele Emissionsrechte erhalten wie hergesagt, zwar Passagen des rot-grünen Luftsicher-
Gaskraftwerke. Das ist ungerecht, behindert Neuinves- heitsgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Vom Urteil
toren und ist ein klimapolitischer Widersinn erster Güte. des Bundesverfassungsgerichts ist aber nicht die perio-
Klimapolitisch richtig wäre ein einheitlicher, brenn- dische Luftsicherheits-Zuverlässigkeitsüberprüfungsver-
stoffunabhängiger Benchmark, insbesondere für neue ordnung betroffen, die in § 7 des Luftsicherheitsgesetzes
Kraftwerke, um ein klares Signal für emissionsfreie geregelt ist. Betroffen von dieser Überprüfung sind circa
oder -arme Technologien zu setzen. 30 000 Piloten in Deutschland.
Zweitens ist es ein schwerer Fehler, dass die Bundes- Grundlage für die Zuverlässigkeitsüberprüfung ist ein
regierung die Zertifikate an die Stromkonzerne ver- Gefährdungsgutachten des BKA: Darin wird sehr deut-
schenken will, was deren Monopolstellung auf den Ener- lich darauf hingewiesen, dass auch Sportflugzeuge
giemärkten weiter festigt. Dieses Geschenk zahlen die – wenn sie in falsche Hände geraten – eine Bedrohung
privaten und industriellen Stromverbraucher, denn die darstellen. Die Innenministerkonferenz der Länder hat
Energieversorger werden auch künftig den Wert der CO2- auf dieser Grundlage entsprechende Forderungen an den
Rechte in die Strompreise einpreisen und damit doppelt Gesetzgeber gestellt. Diese Einschätzung unserer zu-
abkassieren. Besonders Umweltminister Gabriel macht ständigen Sicherheitsbehörden wurde übrigens erst
sich damit zum Erfüllungsgehilfen der Stromkonzerne. jüngst wieder erneuert. Ich denke, wir sollten uns auf die
Wenn selbst die Ministerpräsidenten der Union Roland Meinung der Experten verlassen können.
Koch und Günther Oettinger sich explizit der grünen
Position anschließen und fordern, die Zertifikate zu ver- Die FDP bleibt in ihrem Antrag eine Erklärung schul-
steigern, sollte das dem obersten Klimaschützer dieser dig, warum ihrer Meinung nach mit der Zuverlässig-
Bundesregierung zu denken geben. Ich habe jedenfalls keitsüberprüfung kein zusätzlicher Sicherheitsgewinn
mit Freude vernommen, dass sich auch Kollegen in den verbunden sein soll. Eine starke Behauptung ohne
Koalitionsfraktionen für eine Versteigerung ausspre- Begründung – das ist etwas zu wenig. Ich vertraue in
chen. Unsere Unterstützung im parlamentarischen Ver- diesem Falle deshalb lieber unseren Sicherheitsbehörden
(B) fahren nach der Sommerpause haben Sie dabei! als den Liberalen. (D)
Drittens sind die Reduktionsziele zu wenig ambitio- Es ist der erfolgreichen Arbeit der Sportpilotenver-
niert. Schon in 2005 haben Industrie und Energiewirt- bände geschuldet, dass wir uns so intensiv mit dem § 7
schaft weniger CO2 ausgestoßen als sie zwischen 2008 des Luftsicherheitsgesetzes befassen und in der Vergan-
und 2012 an jährlichen Emissionsrechten durch den genheit befasst haben. Die Opposition – hier besonders
NAP II erhalten sollen. Das passt vorne und hinten nicht die FDP – hat das Thema nämlich gründlich verschlafen:
zusammen. Wir brauchen also ambitionieitere Ziele. Während wir, das Bundesinnenministerium gemeinsam
Grundlage dafür sollte die Zusage aus der Wirtschaft mit den zuständigen Innenpolitikern von Union und SPD
sein, ihre CO2-Emissionen bis 2010 um 45 Millionen und den betroffenen Verbänden, die Ausgestaltung der
Tonnen zu senken. Verordnung zur Zuverlässigkeitsüberprüfung überarbei-
tet und einvernehmlich abgeschlossen haben, hat die
Alles in allem ist der vorliegende NAP II eine ver- FDP einen Antrag erarbeitet, der heute das Papier nicht
passte Chance für den Klimaschutz. Nicht die Interessen mehr Wert ist, auf dem er steht. Das Bundesinnenminis-
der großen Energiekonzerne dürfen der Maßstab beim terium hat eine mit den Verbänden abgestimmte Verord-
Emissionshandel sein, sondern die dramatische Heraus- nung zur Zuverlässigkeitsüberprüfung auf den Weg ge-
forderung des Klimaschutzes. Ich hoffe, dass wir im par- bracht, die einen Ausgleich zwischen den berechtigten
lamentarischen Verfahren Verbesserungen für den Kli- Sicherheitsinteressen der Menschen in Deutschland und
maschutz erreichen. den Wünschen der Sportpiloten darstellt. Jetzt wird sich
der Bundesrat damit noch befassen. Das ist der Stand der
Dinge.
Anlage 6
Diese Verordnung erfüllt fast alle Forderungen der
Zu Protokoll gegebene Reden Sportpilotenverbände: So ist unter anderem das Über-
prüfungsintervall auf fünf Jahre ausgedehnt. Eine Ge-
zur Beratung des Antrags: Zuverlässigkeits- bührenordnung wird derzeit erarbeitet; dabei wird der
überprüfung von Privatpiloten auf ein ange- Kostenrahmen von 60 Euro nicht überschritten. Auch
messenes Maß reduzieren (Tagesordnungs- müssen Berufspiloten, die schon sicherheitsüberprüft
punkt 35) sind, nicht noch einmal überprüft werden. Es ist also
ganz offensichtlich, dass die Forderungen im FDP-An-
Clemens Binninger (CDU/CSU): Wenn wir heute trag überholt sind und dieser Antrag entsprechend wert-
über den FDP-Antrag zur Zuverlässigkeitsüberprüfung los ist.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4327

(A) Ich möchte dennoch die Gelegenheit nutzen, ein paar zwischen den zuständigen Behörden und den Interessen- (C)
grundsätzliche Anmerkungen zu machen. Seitdem sich vertretern der Betroffenen stattfinden. Ich habe mich da-
die westliche Welt der Bedrohung durch den islamisti- für bereits beim Bundesinnenministerium stark gemacht
schen Terrorismus gegenübersieht, müssen wir neue und bin darin sowohl durch Staatssekretär Altmaier als
Wege in präventiven Sicherheitsfragen gehen. Während auch meinem Kollegen Wiefelspütz unterstützt worden.
die USA hierfür auch teilweise eine neue Sicherheitsar-
chitektur geschaffen hat – Stichwort „Heimatschutz- Dieter Wiefelspütz (SPD): Die FDP strebt mit ihrem
ministerium“ oder „FEMA“ – sind es bei uns in erster Antrag an, Privatpiloten im Wesentlichen von der Zuver-
Linie neue Bestimmungen. lässigkeitsüberprüfung nach dem Luftsicherheitsgesetz
Es gibt sicher keinen Streit darüber, dass wir alle ge- zu befreien. Damit bedroht sie die gebotene Balance von
meinsam das Ziel haben, die Sicherheit im Luftverkehr Freiheit und Sicherheit und gefährdet die innere Sicher-
zu verbessern und die Gefahr von Anschlägen oder ihre heit in Deutschland.
Folgen soweit als möglich zu reduzieren. Die Gesell- Der Luftverkehr unterliegt im Vergleich zu anderen
schaft von heute ist auf kaum einem Feld so leicht zu Verkehrsträgern einer besonderen terroristischen Bedro-
treffen wie im Bereich der zivilen Luftfahrt. Flugzeuge hung. Es ist auch davon auszugehen, dass diese Bedro-
als Waffen sind nach wie vor das größte Risiko, das uns hung sich in absehbarer Zeit nicht verringern wird. Dem
in Form von terroristischen Anschlägen drohen kann. ist durch das Luftsicherheitsgesetz durch ein gestaffeltes
Sicherheit in der Luft beginnt deshalb bereits am Bo- System an Sicherheitsmaßnahmen am Boden und in der
den. Das ist ein Grundsatz, auf dem die Zuverlässigkeits- Luft Rechnung getragen worden. Die Ausdehnung der
überprüfung für Sportpiloten aufbaut. Wir sollten nicht Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Luftsicherheitsgesetz
so tun, als sei die Zuverlässigkeitsüberprüfung bei Sport- auf die Privatpiloten entspricht den erhöhten Sicherheits-
piloten ein Kulturbruch: Als Tourist im Ausland erleben anforderungen in der Luftfahrt sowie einer Forderung
wir das auf vielfältige Art und Weise. Wer zum Beispiel der deutschen Innenministerkonferenz. Durch die Zuver-
heute ein Baseballspiel beispielsweise in New York se- lässigkeitsüberprüfung soll verhindert werden, dass un-
hen will, der muss sich bei seiner Reise in die USA und zuverlässige Personen eine Ausbildung zum Piloten er-
beim Betreten des Stadions der New-York-Yankees um- langen oder ein Luftfahrzeug führen.
fassendsten Sicherheitsüberprüfungen unterziehen, ohne Es darf nicht verkannt werden, dass Zuverlässigkeits-
dass man gleich von einer pauschalen Verdächtigung überprüfungen selbstverständlich keinen hundertprozen-
sprechen würde. tigen Schutz gegen Angriffe auf die Sicherheit des Luft-
Sicherheit hat in unseren Zeiten ihren Preis. Deshalb verkehrs bieten können, gleichwohl aber eine wichtige
(B) möchte ich nochmals ganz klar herausstellen: Bei der Si- präventive Komponente darstellen. (D)
cherheitsüberprüfung geht es nicht um die pauschale Zutreffend ist, dass bislang ausländische Piloten
Verdächtigung von Sportfliegern. Das möchte ich von durch diese Zuverlässigkeitsüberprüfung nicht erfasst
hier aus allen betroffenen Sportpiloten deutlich sagen. werden. Auf europäischer Ebene werden gerade Ver-
Vielmehr ist diese Überprüfung lediglich Teil eines um- handlungen geführt, um diesen Missstand abzustellen.
fassenden neuen Sicherheitsanspruches der Menschen in
unserem Land, dem wir Rechnung tragen. Nach gemeinsamer Auffassung der deutschen Sicher-
heitsbehörden sind genügend Tatszenarien vorstellbar, in
Uns liegt übrigens inzwischen ein Verordnungsent-
denen durch die Nutzung eines Kleinflugzeugs als Tat-
wurf der EU vor, der noch über unsere Zuverlässigkeits-
waffe massive Schäden angerichtet werden können, zum
überprüfung hinausgeht. Aber durch unsere Vorarbeiten
Beispiel wenn dieses mit Sprengstoff oder anderen Ex-
und durch die ersten Erfahrungen, die wir schon bald mit
plosivstoffen beladen wird. Mit ausschlaggebend für die
unserer Zuverlässigkeitsüberprüfung machen werden,
Ausdehnung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf alle
sind wir politisch bestens gerüstet, um die deutsche Zu-
Flugzeugführer ist auch das Bedrohungspotenzial, das
verlässigkeitsüberprüfung zu einem europäischen Stan-
aus der Mobilität des Fluggeräts resultiert. Schon von re-
dard zu machen.
lativ kleinen Flugzeugen kann eine erhebliche Gefähr-
Lassen Sie mich abschließend noch zwei Punkte zur dung für Personen in Sicherheitsbereichen ausgehen, die
Diskussion stellen, die mir persönlich sehr wichtig gegen Angriffe vom Boden aus hinreichend geschützt
erscheinen – wichtiger als das, was die FDP uns hier sind.
vorgelegt hat.
Die Zuverlässigkeitsüberprüfung findet seit vielen
Erstens. Es ist meines Erachtens denkbar, dass das Jahren Anwendung auf eine Vielzahl von Personen im
fünfjährige Intervall wegfällt, nämlich dann, wenn die Luftverkehr, ohne dass dies bisher auf Kritik gestoßen
Sicherheitsbehörden die sicherheitsüberprüften Piloten ist. Es macht keinen Sinn, Privatpiloten von der Zuver-
in einer Datei führen, die dann aktiviert wird, wenn neue lässigkeitsprüfung auszunehmen, ihr jedoch weiterhin
Erkenntnisse bei den Behörden über betroffene Piloten alle Beschäftigten auf Verkehrsflughäfen bis zur Reini-
auftauchen. Dann könnten wir auf einen Überprüfungs- gungsfirma zu unterwerfen.
intervall tatsächlich ganz verzichten.
Es ist unser fester Wille, die Belastung der Privatpilo-
Zweitens. Ich plädiere dringend für eine Überprüfung ten durch die Zuverlässigkeitsüberprüfung auf ein Min-
der Maßnahmen zur Zuverlässigkeitsüberprüfung in der destmaß zu reduzieren. Es ist beabsichtigt, zukünftig die
zweiten Jahreshälfte 2007. Diese Überprüfung muss Wiederholungsprüfung nur alle fünf Jahre durchzuführen.
4328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Die Grundlagen hierfür werden gerade im Bundesminis- nicht zustimmen. Diejenigen Privat- und Berufspiloten, (C)
terium des Innern erarbeitet. Auch wird das Bundesmi- die gerade derartige Luftfahrzeuge führen, sollten daher
nisterium des Innern eine Kostenverordnung erarbeiten, aus der Zuverlässigkeitsüberprüfung des § 7 Abs. 1 Nr. 4
die einen angemessenen Gebührenrahmen vorsehen LuftSiG herausgenommen werden.
wird.
Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich daraus, dass sich
Zu den Fragen der Zuverlässigkeitsüberprüfung ste- der Gesetzentwurf zu den Kriterien der Zuverlässigkeit,
hen wir auch in intensivem und hochrangigem Kontakt das heißt, wann ein Pilot die erforderliche Zuverlässig-
mit dem Deutschen Aero-Club, mit dem wir vereinbart keit besitzt oder nicht, gar nicht äußert. Nun kann man
haben, die praktische Durchführung der Zuverlässig- hierzu anführen, dass in anderen ordnungsrechtlichen
keitsüberprüfung weiter zu beobachten und in einem Bereichen eine Definition für Zuverlässigkeit ebenfalls
Jahr diese Erfahrungen gemeinsam auszuwerten. nicht in den Gesetzestext aufgenommen wurde. Der Un-
terschied liegt jedoch darin, dass in anderen Bereichen
Ernst Burgbacher (FDP): Am 15. Februar 2006 hat grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass jemand zu-
das Bundesverfassungsgericht klar und deutlich eine verlässig ist, und nur dann zum Beispiel eine Erlaubnis
Kernregelung des Luftsicherheitsgesetzes, den in § 14 entzogen wird, wenn sich nachträglich die Unzuverläs-
LuftSiG geregelten Abschuss eines Passagierflugzeugs sigkeit herausstellt. Das Luftsicherheitsgesetz macht es
durch die Bundesluftwaffe über dem Bundesgebiet, für jedoch genau umgekehrt. Grundsätzlich sind demzu-
mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. folge die deutschen Piloten unzuverlässig, es sei denn,
sie belegen das Gegenteil. Nur unter diesem Blickwinkel
Die FDP-Bundestagsfraktion war die einzige Fraktion lässt sich die ständig wiederholte Zuverlässigkeitsüber-
im Deutschen Bundestag, die in den Beratungen zum prüfung erklären.
Luftsicherheitsgesetz die Frage gestellt hatte, ob das
Grundgesetz es tatsächlich zulässt, das Leben unschuldi- Das Gesetz sollte daher die Kriterien der Unzuverläs-
ger Flugzeuginsassen preiszugeben, um das Leben Drit- sigkeit zumindest in Form von Regelbeispielen auffüh-
ter zu retten. Die FDP hatte daraufhin im Bundestag dem ren. Dies würde der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit
Gesetz nicht zugestimmt. Die Nichtigerklärung der Re- entgegenkommen und darüber hinaus den Piloten helfen
gelungen des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Bundesver- zu erkennen, wann und bei welchen Verstößen von einer
fassungsgericht hat unsere Auffassung eindeutig bestä- Unzuverlässigkeit ausgegangen werden muss. Das Luft-
tigt. SiG sollte daher klare Kriterien, die eine Beurteilung der
Zuverlässigkeit ermöglichen, aufnehmen.
Nicht berührt von der Entscheidung aus Karlsruhe ist
Die Zuverlässigkeitsüberprüfung auf alle Führer von
jedoch die Regelung des § 7 LuftSiG. Nach dieser Re-
(B) motorgetriebenen Luftfahrzeugen anzuwenden, spiegelt (D)
gelung müssen sich auch Hobbypiloten einer regelmä-
– wie bereits ausgeführt – nicht die tatsächliche Gefähr-
ßigen Zuverlässigkeitsüberprüfung unterziehen. Diese
dung wider. Der bürokratische Aufwand und die Kosten-
Regelung ist in ihrer Ausgestaltung nicht zumutbar und
belastung für die Überprüfungen sind hoch, ein einheitli-
stellt eine unverhältnismäßige Belastung für die Piloten
cher Kriterienkatalog fehlt. Die Wiederholung der
dar. Sämtliche Pilotenvereinigungen haben sich gegen
Zuverlässigkeitsüberprüfung innerhalb eines derart kur-
das im Entwurf der Luftsicherheits-Zuverlässigkeits-
zen Zeitraumes stellt eine unnötige bürokratische Last
überprüfungsverordnung festgelegte Wiederholungsin-
für die Piloten, aber auch für die damit befassten Behör-
tervall der Zuverlässigkeitsprüfung von drei Jahren aus-
den dar.
gesprochen; diese kurze Frist ist für niemanden
nachvollziehbar. Zahlreiche Verbände und Privatperso- Eine Orientierung an den EU-Vorgaben und damit
nen, die als Hobbyflieger von den Bestimmungen zur eine Festlegung des Wiederholungsintervalls für die Zu-
Zuverlässigkeitsüberprüfung betroffen sind, haben mich verlässigkeitsüberprüfung auf fünf Jahre genügt und
angeschrieben und ihre berechtigten Kritikpunkte zum wird dem Sicherheitsbedürfnis ebenso gerecht. Die Bun-
Ausdruck gebracht: desregierung hat in ihrer Antwort auf meine schriftliche
Frage vom März 2006 erklärt, sie wolle darauf hinwir-
Die Ausdehnung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf
ken, dass das Verfahren für die Zuverlässigkeitsüberprü-
alle Luftfahrzeugführer spiegelt nicht die tatsächliche
fung zukünftig einfacher ausgestaltet wird. Sie strebe an,
Gefährdung wider. Die Gefahr, die von einem motori-
den Turnus für die Wiederholungsprüfung von bisher ei-
sierten Flugzeug ausgeht, entspricht ungefähr derjenigen
nem Jahr auf fünf Jahre zu strecken, sodass der Zeitraum
eines Mittelklasseautos. Führer von Mittelklasseautos
mit der gesetzlich vorgeschriebenen Lizenzverlängerung
– die, wie alle anderen Autofahrer auch, für die meisten
identisch ist. Ich möchte die Bundesregierung an dieser
Unfälle mit Sach- sowie Personenschäden verantwort-
Stelle nochmals daran erinnern!
lich sind – müssen eine solche Zuverlässigkeitsüberprü-
fung nicht vornehmen. Da die Flugzeuge von Hobby- Ein Sicherheitsgewinn ist durch die kurze Wiederho-
piloten auch hinsichtlich Größe, Masse und lungsfrist der Zuverlässigkeitsüberprüfung nicht zu er-
Geschwindigkeit einem Mittelklassewagen entsprechen reichen, wie auch die Regierung von Schleswig-Holstein
und zudem in den allermeisten Fällen lediglich zu Pri- auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Wolfgang Kubicki
vat- oder Geschäftsreisen genutzt werden, folgt aus der erklärt hat. Ich zitiere die Antwort der Landesregierung
kontinuierlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung ein Gene- Schleswig-Holstein auf die Frage, ob durch die Angaben
ralverdacht, dem die Hobbypiloten ausgesetzt werden. in den Fragebögen zusätzliche Sicherheit erwartet
Dieser generellen Verdächtigung kann und wird die FDP werde: „Durch die Zuverlässigkeitsüberprüfung der Pri-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4329

(A) vatpiloten verspricht sich das Land Schleswig-Holstein Sechstens. Leider ist das kein Einzelfall. Ex-Innenmi- (C)
keinen zusätzlichen Sicherheitsgewinn. Durch das vom nister Gerhart Baum resümierte unlängst: „Die Erosion
Bund vorgegebene Verfahren entsteht den Ländern zu- der Grundrechte schreitet rapide fort. Die Staatsorgane
sätzlicher Aufwand.“ Diese Beurteilung sollte der Bun- haben sich angewöhnt, Grundrechte nicht mehr zu ach-
desregierung zu denken geben. ten.“ Und er hat Recht: Seit Jahren finden massive An-
griffe auf die Verfassung hier im Bundestag Mehrheiten.
In der von der FDP-Bundestagsfraktion beantragten Mit Patriotismus hat das nichts zu tun.
Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestags am 17. Fe-
bruar zur Haltung der Bundesregierung zum Urteil des Siebtens. Hinzu kommt: Nahezu alle Sicherheitsge-
Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz setze der letzten Jahre durchzieht eine fatale Philoso-
hatte Kollege Bosbach von der Union signalisiert, dass phie: Sie bringen nicht mehr Sicherheit, aber sie opfern
man sich über den § 7 LuftSiG in aller Ruhe unterhalten Bürgerrechte. Die ersten „Otto-Pakete“ wurden mit den
müsse. Ich zitiere den Kollegen Bosbach: „Wir erachten Stimmen der SPD sowie der Grünen und außerdem mit
nicht die Intention des Gesetzgebers als falsch, aber wir dem Versprechen beschlossen, sie würden binnen drei
müssen auch die praktischen Auswirkungen sehen, die Jahren überprüft. Darauf warte ich noch heute.
eine gesetzliche Neuregelung zur Folge haben kann.“ Achtens. Heute geht es um eine solche Überprüfung,
nämlich ob Privatflieger von Kleinflugzeugen so um-
Heute debattieren wir über konkrete Verbesserungs-
fangreich und so häufig auf ihre Loyalität zum Grundge-
vorschläge, die die FDP-Fraktion vorgelegt hat. Ich for-
setz überprüft werden müssen, wie es im Luftsicher-
dere daher den Deutschen Bundestag auf, den Antrag der
heitsgesetz festgelegt wurde. Ich sage Ihnen: Nein, diese
FDP zu unterstützen und die notwendigen Änderungen
übertriebenen Prüfungen sind Unsinn und sachlich nicht
mit Blick auf § 7 Luftsicherheitsgesetzes zu beschließen.
begründbar. Sie sind sogar gefährlich.

Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Die FDP bean- Neuntens. Denn Sie verraten mehr über die strategi-
tragt, die umfassenden Sicherheitsüberprüfungen für Pri- schen Absichten der Bundesregierungen als über die ver-
vatpiloten von Kleinflugzeugen auf ein Normalmaß zu- dächtigten Piloten. Alle Fachleute sind sich einig: Die
umstrittenen Kleinflugzeuge sind für terroristische An-
rückzuführen und zugleich rechtliche Unklarheiten
schläge weitgehend untauglich. Sie sind zu leicht, zu
auszuräumen. Das scheint, wie die „FAZ“ titelte, ein
langsam, zu wenig belastbar, um große Schäden anzu-
„Nebenkrieg um die Lufthoheit“ zu sein, also nichts von
richten. Also eine Null-Nummer!
Belang. Aber der erste Blick täuscht. Es geht ums
Grundsätzliche. Zehntens. Zugleich sei jeder Pkw für Anschläge bes-
(B) ser geeignet. In der Logik der Sicherheitsfanatiker müss- (D)
Zweitens. Die Sicherheitsprüfungen für Piloten von ten demnach alle Autofahrer von Geheimdiensten per-
Kleinflugzeugen wurden mit dem Luftsicherheitsgesetz manent überprüft werden. Und mit den aktivierbaren
im Januar 2005 verfügt. Und wie viele andere so ge- Mautbrücken auf Autobahnen sind solche Überwachun-
nannte Anti-Terror-Gesetze wurde auch das Luftsicher- gen ja auch längst vorinstalliert. Das ist offizieller Trend
heitsgesetz vom Bundesverfassungsgericht als grundge- und den lehnt Die Linke ab.
setzwidrig kassiert, jedenfalls sein Herzstück, das den
Einsatz der Bundeswehr im Innern vorsah. Elftens. Ich wünschte mir dagegen, dass auch der
ADAC endlich aufwacht und bürgerrechtlich mobil
Drittens. Darüber hatten wir hier im Plenum schon wird. Denn sein alter Slogan „freie Fahrt für freie Bür-
einmal kontrovers debattiert. Christian Ströbele hatte da- ger“ bekommt längst einen neuen Klang. Nicht die freie
mals argumentiert, er habe das Gesetz immer für falsch Fahrt, der freie Bürger ist in Gefahr. Und um nochmals
gehalten und er begrüße das vernichtende Urteil. Aber den agilen Liberalen Gerhart Baum zu zitieren: „Wir
ohne Gesetz hätte es auch kein Urteil dagegen geben sind auf dem Weg in einen Überwachungsstaat.“
können. Deshalb habe er seinerzeit für das Gesetz ge-
stimmt. So schwarz kann grüner Humor sein. Zwölftens. Das ist mein Hintergrund für den schein-
bar belangslosen Antrag. Es geht nicht um ein paar Pri-
Viertens. Spannend und bemerkenswert ist etwas an- vatpiloten. Es geht um das Grundgesetz und um die
deres. Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht hatte Frage, was für ein Deutschland wir künftig wollen: einen
kaum geurteilt, da setzten die Gerichtsschelte aus der Staat voller Misstrauen oder eine Republik der Bürger-
Union ein. Doch damit nicht genug. Inzwischen verkün- rechte. Ich weiß, wohin das erste führt. Deshalb stimmt
dete Bundesverteidigungsminister Jung, im Ernstfall sei Die Linke für soziale und für Bürgerrechte.
ihm das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes egal,
also das Grundgesetz. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die FDP verfolgt einen richtigen Ansatz, bringt ihn aber
Fünftens. Und nun vergleichen Sie bitte: Landauf, durch eine allzu offensichtliche Klientelpolitik auf die
landab wird darüber debattiert, welchen Prüfungen Mi- schiefe Bahn.
granten auszusetzen seien, um ihre Verfassungstreue zu
testen. Aber ein Bundesminister, der auf das Grundge- Richtig an dem Antrag ist, überzogene und allzu
setz einen Eid geleistet hat, darf ungerügt sagen, das bürokratische Regelungen für die Hobbypiloten zu hin-
Grundgesetz interessiere ihn nicht. Das ist ein Ding aus terfragen. Die Luftsicherheits-Zuverlässigkeitsüberprü-
dem deutschen Tollhaus. fungsverordnung – allein das Wort verheißt nichts
4330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Gutes – ist überbürokratisch. Die Menge der Auflagen berichtspflichten der Sicherheitsbehörden für den Fall, (C)
und deren Kosten sind überzogen. dass bestimmte Anhaltspunkte über eine Person vorlie-
gen. Das ist effektiver und würde die Betroffenen nicht
Der Ansatz des Antrags selbst ist aber auf der anderen derart belasten wie das gegenwärtige Verfahren. Verbun-
Seite auch verkürzt. Bei der gesamten Frage der Siche- den mit deutlich längeren Intervallen bei der Zuverläs-
rung des Luftverkehrs geht es nicht nur um die Hobby- sigkeitsüberprüfung würden die Betroffen erheblich ent-
piloten. Wir müssen auch über andere Personengruppen lastet.
sprechen, also zum Beispiel auch über die vielen Be-
diensteten am Flughafen. Man kann hier nicht nur eine Generell gilt: Die Verwaltungen müssen mit Augen-
Personengruppe herausgreifen. Wir haben hier bereits ei- maß und Vernunft zu Werke gehen. Wir wollen keinen
nen Antrag eingebracht, in dem die Bundesregierung gläsernen Piloten, wir wollen nicht jede Menge neuer
aufgefordert wird, über den Umfang der gesamten Si- Bürokratie.
cherheits- und Zuverlässigkeitsüberprüfungen zu berich-
ten. Hier dürfen wir die Zusammenhänge nicht aus den
Augen verlieren. Anlage 7
Es geht hier – auch das blendet die FDP aus – um Ter- Zu Protokoll gegebene Reden
rorismusbekämpfung. Die damalige rot-grüne Bundes-
zur Beratung des Antrags: Moratorium für
regierung hat nicht aus Jux und Dollerei diese Regelungen
Gentechnik in der Landwirtschaft (Tagesord-
zur Prävention vor Anschlägen in das Luftsicherheitsge-
nungspunkt 11)
setz geschrieben.
Richtig ist: Dieses Gesetz und die entsprechenden Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Ich hege große Sym-
Rechtsverordnungen verschärfen im Gefolge internatio- pathie für den Vorschlag meines Koalitionskollegen
naler Vereinbarungen, insbesondere der EU-Luftsicher- Herrn Söder, ein fünfjähriges Moratorium für die kom-
heitsverordnung, die Anforderungen an alle Personen merzielle Nutzung der Gentechnik in der Landwirtschaft
mit Zugang zu Flughäfen ganz erheblich. Diese Zuver- einzuführen. Allerdings dürfte dies auf EU-Ebene schei-
lässigkeitsüberprüfungen – zu unterscheiden von den Si- tern. Mit einem solchen Moratorium würden wir uns auf
cherheitsüberprüfungen nach dem Sicherheitsüberprü- rechtlich wackeligen Boden begeben. Und selbst wenn
fungsgesetz – verlaufen periodisch. sich die EU-Länder darauf einigen würden, gäbe dies vo-
Wir haben schon zu Zeiten von Rot-Grün das Gesetz raussichtlich großen Ärger mit der WTO. Deshalb wer-
und die darauf begründeten Verordnungen als zu büro- den wir diesen Antrag ablehnen und werden wohl heute
nicht in den Genuss kommen, hier in ungewohnter Ein-
(B) kratisch kritisiert. Das wurde auch in Gesprächen mit tracht oder zumindest in Kenia-Konstellation – schwarz-
(D)
den Verbänden bereits deutlich gemacht. Unsere Haltung
hat sich auch in der Opposition nicht verändert. rot-grün sind die dortigen Nationalfarben – gemeinsam
dieses Moratorium zu fordern.
Jährliche Überprüfungen ohne jeden Anlass schießen
über das Ziel hinaus. Anders liegen die Dinge, wenn es Wir teilen aber die Ansicht, dass wir die Bedenken
bestimmte Hinweise gib. Dann muss natürlich sofort ge- der Menschen gegenüber der Grünen Gentechnik ernst
handelt werden. Die durch das aufwendige Verfahren nehmen müssen und dass wir ihnen angesichts dessen,
entstehenden Kosten für die Betroffenen sind zu hoch. dass 79 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher
Der bürokratische Aufwand ist außerordentlich und der gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen, solche
Sicherheitsgewinn ist bislang in keiner Weise belegt. Produkte nicht aufzwingen dürfen. Diesen 79 Prozent
müssen weiterhin die gentechnikfreien Produkte angebo-
Wir teilen die Auffassung, dass der Abstand von ei- ten werden können, die sie haben wollen. Der Schutz der
nem Jahr zwischen den einzelnen Überprüfungen erheb- konventionellen und der ökologischen Landwirtschaft
lich ausgeweitet werden soll. Fünf Jahre ist dabei sicher- vor Einträgen aus dem GVO-Anbau muss gewährleistet
lich die Obergrenze. bleiben, Verbraucher und Landwirte müssen die Wahl
haben und selbst entscheiden können, ob sie gentech-
Immer im Auge behalten müssen wir, dass beispiels-
nisch veränderte Produkte kaufen bzw. anbauen wollen
weise „Ausbildungsaufenthalte“ in Pakistan oder in
oder nicht.
Tschetschenien über eine Abfrage beim Bundeszentral-
register nicht in Erfahrung zu bringen sind. Von daher Von der Möglichkeit, in Deutschland weiterhin gen-
dürfen wir keine vermeidbaren Sicherheitslücken entste- technikfrei produzieren zu können, hängen auch Arbeits-
hen lassen. Der Verweis auf die Harmlosigkeit kleiner plätze ab – über 150 000 allein in der Ökolebensmittel-
Maschinen überzeugt mich dabei nicht. Ich erinnere hier branche.
an den Einschlag eines Kleinflugzeugs vor dem Reichs-
tag. Kleine Maschinen können auch für ein Passagier- Der Schutz von Mensch und Umwelt ist für uns das
flugzeug eine erhebliche Gefahr sein. Der Antrag ist an oberste Ziel unseres Gentechnikrechts. Das haben wir
dieser Stelle doch reichlich naiv, wenn er diese Überle- auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Angesichts der
gungen gänzlich ausblendet. Unsicherheiten, die auch die EU-Kommission aufgrund
der noch unvollständigen wissenschaftlichen und techni-
Wenn wir den Zeitrahmen für eine Wiederholung der schen Kenntnis über die noch sehr neuen GVO-Produkte
Zuverlässigkeitsprüfung erweitern, müssen wir aber einräumt, muss sehr sorgfältig und vorsichtig damit um-
auch nachdenken über möglicherweise verstärkte Nach- gegangen werden. Wir sind uns mit Minister Seehofer
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4331

(A) einig, dass es weder Abstriche beim Schutzniveau noch Doch in Oppositionszeiten gilt für die Grünen nicht (C)
bei der Wahlfreiheit der Landwirte und der Verbrauche- mehr, was ihre Funktionsträger in der Regierung gesagt
rinnen und Verbraucher geben darf. Wenn Minister haben. Dr. Thilo Bode hat gestern auf dem Gentechnik-
Seehofer deswegen von der „Frankfurter Allgemeinen“ kongress des FDP-Bürgerfonds festgestellt, dass es
in der Ausgabe vom 27. Juni 2006 als „Risikoscheuer keine gesundheitlichen Bedenken gebe. Die Grünen und
Minister“ betitelt wird, kann ich nur sagen: Das sollte die CSU müssen aufhören, mit wahrheitswidrigen Be-
eine Auszeichnung sein! Denn wer wünscht sich in ei- hauptungen die Ängste der Bürgerinnen und Bürger zu
nem Bereich, wo es um den Schutz der Gesundheit und schüren.
unserer natürlichen Lebensgrundlagen geht, einen „risi-
kofreudigen Minister“? Es ist unglaubwürdig, wenn sich Bundesminister
Seehofer auf dem Forum der „Zeit“ für den Standort
Es wird so manche Sau durchs Dorf getrieben, was Deutschland ausspricht und gegen die Abwanderung der
angeblich an neuen Regelungen zur Gentechnik „in der Forschung ins Ausland. Forschung, deren Anwendung
Mache“ sei. Ich rate zu Ruhe und Bedacht. Da ging es bei uns im Land keine Chancen erhält – und der Minister
zum Beispiel um eine Streichung der Inverkehrbringens- tut alles dafür, die nach Rot-Grün verbliebenen minima-
genehmigungspflicht für Auskreuzungsprodukte aus len Chancen der Grünen Gentechnik noch zu verrin-
Freisetzungsexperimenten. Wir haben bereits mehrfach gern –, wandert ab; denn Forschung ist kein Selbst-
deutlich gemacht, dass das mit uns, mit der SPD-Frak- zweck, sondern dient dem Ziel, innovative Produkte zu
tion, nicht zu machen ist. Das entspricht weder dem Vor- erzeugen.
sorgegrundsatz noch dem EU-Recht. Ich denke, da sind
wir uns auch mit dem Minister einig. Wir müssen leider feststellen: Nach dem schwarz-ro-
ten Wahlbetrug zur Besteuerung der biogenen Kraft-
Wir wollen, dass in diesem Land auch in Zukunft stoffe und der Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei
gentechnikfrei produziert werden kann. Das heißt für die Prozentpunkte bereitet die CSU einen weiteren agrar-
SPD, dass wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass gen- und verbraucherpolitischen Wahlbetrug vor. Am 8. Juni
technikfrei wirtschaftende Landwirte, die Schäden durch 2005 titelte die Zeitung „Die Welt“: „Mehr Grüne
GVO-Einträge erlitten haben, auch bei solchen Einträ- Gentechnik“. Die damalige CDU/CSU-Kandidatin für
gen unterhalb des gesetzlichen Grenzwertes Haftungsan- das Amt der Bundeslandwirtschaftsministerin, Gerda
sprüche geltend machen können müssen. Hasselfeldt, forderte eine Wende der Agrarwende. Unter
anderem sagte die CSU-Schattenministerin, dass die der-
Wir werden uns voraussichtlich nach der Sommer-
zeitige ideologische Blockade bei der Grünen Gentech-
pause lange und ausführlich mit diesem Thema beschäf-
nik Arbeitsplätze in Forschung und Wirtschaft vernichte
tigen. Deshalb will ich’s für heute hierbei bewenden las-
und Nachteile für Landwirte und Verbraucher schaffe. (D)
(B) sen.
Durch die strikten Haftungsregeln werde der Anbau gen-
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Der Wortlaut technisch veränderter Pflanzen verhindert und die Gen-
des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen besteht aus Zi- technik als wichtige, Zukunftstechnologie für Innovatio-
taten des CSU-Generalsekretärs Markus Söder. Dieser nen und Arbeitsplätze blockiert, zitierte die „Welt“ die
hatte in einem Interview in der „Berliner Zeitung“ ein CSU-Politikerin im Bundestagswahlkampf 2005. Die
Moratorium für die kommerzielle Nutzung der Gentech- Förderung der Grünen Gentechnik und eine grundle-
nik in der Landwirtschaft gefordert. Im Koalitionsver- gende Korrektur des Gentechnikrechts waren zudem
trag hatten die CDU/CSU und die SPD-Fraktion gemein- zentrale Wahlkampfversprechen der Union. Davon will
sam vereinbart, die Grüne Gentechnik in Forschung und die CSU in Form ihres Generalsekretärs heute nichts
Anwendung zu fördern. Es ist völlig in Ordnung und mehr wissen.
konsequent, wenn die Grünen jetzt die Probe aufs Exem-
Wir Liberale halten diesen Kurswechsel für eine An-
pel machen und die Aussagen des CSU-Generalsekretärs
biederung an lokale Strömungen. Die CSU wird ihrer
zur Abstimmung stellen. Im Abstimmungsverhalten der
bundespolitischen Verantwortung nicht gerecht. Sie be-
CSU wird sich zeigen, ob der CSU-Generalsekretär ein
treibt keine Politik, die langfristig trägt. Dieser Wahlbe-
Dampfplauderer oder ein ernst zu nehmender Politiker
trug schadet dem Wirtschafts- und Forschungsstandort
ist.
Deutschland. Die Biotechnologieregion München ist zur
Dessen ungeachtet sind die Aussagen von Generalse- Entwicklung von Produkten der Roten und Grünen Gen-
kretär Söder und damit auch die Aussagen im Antrag der technik in den letzten zehn Jahren als einer der Gewinner
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sachlich falsch: Die des 1997 ausgeschriebenen Bioregio-Wettbewerbs mas-
Verbraucherinnen und Verbraucher können völlig sicher siv mit Bundesmitteln gefördert worden. Die Politik der
sein, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel unbe- CSU verhindert jetzt, dass diese Investitionen Früchte
denklich sind, in bestimmten Fällen sind sie herkömm- tragen können. Das ist Verschwendung von Steuermit-
lich produzierten Produkten überlegen. Letzteres ist im teln. Es ist Heuchelei, wenn Bundesminister Horst
Forschungsreport I/2006, der Zeitschrift des Senats der Seehofer zwar Forschung fördern will, aber dazu bei-
Bundesforschungsanstalten veröffentlicht. Bt-Mais ent- trägt, die Umsetzung der Forschungsergebnisse zu ver-
hält in der Regel weniger Pilzgifte als Mais von her- hindern. Damit trägt die CSU dazu bei, die besten jungen
kömmlich gezüchteten Sorten. Auch der ehemalige Naturwissenschaftler und Nachwuchswissenschaftlerin-
Staatssekretär Alexander Müller hatte in einem Artikel nen aus dem Land zu vertreiben. Die FDP-Bundestags-
in der „FAZ“ gesagt, dass es eine „Binsenweisheit“ sei, fraktion lehnt diesen innovationsfeindlichen Weg ent-
dass diese Produkte gesundheitlich unbedenklich seien. schieden ab. Deutschland als ressourcenarmes Land
4332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) kann nicht auf die verantwortbare Nutzung von Zu- Aber was könnte das große Schadenswagnis unge- (C)
kunftstechnologien wie der Grünen Gentechnik verzich- wollter Auskreuzungen und Kontaminationen besser il-
ten. lustrieren als die Weigerung der Versicherungswirt-
schaft, dieses Risiko zu versichern!
Dr. Kristen Tackmann (DIE LINKE): Die große Zu den ökologischen/gesundheitlichen Risiken ganz
Mehrheit der Menschen in diesem Land sieht die Grüne kurz: Es liegen unterdessen nicht wenige, auch alarmie-
Gentechnik als Gefahr. rende Studien vor. Als ein Beispiel sei das Problem der
Resistenz von Hybriden unterschiedlicher gentechnisch
Die Gründe für Ablehnung oder Skepsis sind sehr veränderter Rapssorten gegen gleich mehrere Pflanzen-
vielfältig und reichen von ethischen Bedenken über öko- schutzmittel in den USA genannt, oder der Abbruch ei-
logische und gesundheitliche Risiken bis hin zur Kapita- nes Versuchs in Australien mit gentechnisch veränderten
lismuskritik an den Saatgutmultis! Erbsen infolge Lungenveränderungen bei Nagetieren.
Die Schweizer hatten eine, wie ich finde, sehr interes- Die potenziellen Risiken durch den kommerziellen
sante Möglichkeit, über das hier vorgeschlagene Anwen- Anbau genetisch veränderter Pflanzen wiegen aus mei-
dungsmoratorium zu entscheiden: Sie haben es Ende ner Sicht sehr schwer. Es ist eine Risikotechnologie, erst
2005 mit einer Volksabstimmung legitimiert! Recht, weil klar ist, dass wir noch gar nicht alle Risiken
kennen.
Uns steht diese Option leider nicht zur Verfügung!
Umso genauer sollten wir darüber nachdenken, warum Aber schauen wir uns auch die andere Waagschale an,
die Grüne Gentechnik auch in unserem Land nicht mehr- die möglichen Anwendungsvorteile: Der Sinn und
heitsfähig ist, aber bitte jenseits von „Technologiefeind- Zweck gentechnisch veränderter Pflanzen ist zumindest
lichkeit gegen Fortschrittsgläubigkeit“. umstritten. Ich habe den Eindruck, dass bei vielen eher
große Ernüchterung eingetreten ist. Nicht nur, weil der
Es geht bei dieser Diskussion auch nicht darum, „kei- Segen eines in Aussicht gestellten geringeren Pesti-
nen Unfrieden in die Dörfer zu tragen“, wie Minister zideinsatzes zum Beispiel oft nicht eintritt, im Gegenteil.
Seehofer kürzlich erklärte. Es geht um die Abwägung Wahrscheinlich ist es billiger und wirksamer, mit acker-
zwischen ökologischen/gesundheitlichen Risiken einer- baulichen Maßnahmen Schädlinge unter der Schadens-
seits und möglichen Vorteilen bei der Anwendung ande- grenze zu halten.
rerseits.
Der jüngste Bericht des Büros für Technologiefolgen-
Wobei ich den Vorteil bei dieser Güterabwägung aus- abschätzung des Bundestags hat kürzlich festgestellt,
(B) drücklich auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die dass bislang selbst gentechnisch veränderte Pflanzen der (D)
Landwirtschaft im Besonderen beschränke. Die Vorteile zweiten und dritten Generation, mit denen zum Beispiel
für die Gentech-Saatguthersteller liegen in Form riesiger Arzneimittel hergestellt werden sollten, keine der Erwar-
Profite auf der Hand. Sie wären ganz sicher die großen tungen erfüllt haben. Dafür entstehen neue Risiken. Nie-
Gewinner der Anwendung, vielleicht die einzigen. Aber mand weiß zum Beispiel, was passiert, wenn Schwarz-
das kann bei dieser Abwägung kein Maßstab sein. wild die Arzneimittelkartoffeln frisst.

Bewerten wir also zunächst das Risiko, also quasi das In einigen Studien wird Grüne Gentechnik mit der
Contra: Die Anwendungsrisiken werden selbst von den Schaffung Tausender Arbeitsplätze in Zusammenhang
Befürwortern anerkannt. Deshalb diskutieren wir ja gebracht. Aber eine gerade erst veröffentlichte Studie
überhaupt über Koexistenzregeln, wobei höchst umstrit- der Universität Oldenburg kommt zu folgendem
Schluss: Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass
ten ist, ob Koexistenz überhaupt möglich und finanzier-
in der privatwirtschaftlich finanzierten Grünen Gentech-
bar ist.
nik in Deutschland deutlich unter 500 Arbeitsplätze zu
Während aber Koexistenzregeln zwischen Anwen- verzeichnen sind. Dagegengerechnet werden muss noch
dern und Nichtanwendern intensiv diskutiert werden, der Verlust an Arbeitsplätzen zum Beispiel im Ökologi-
steht die Debatte über die Koexistenz der Anwender mit schen Landbau oder infolge der Konzentrationsprozesse
der natürlichen Umgebung und das Auskreuzungsrisiko in der Saatgutindustrie. Also: Auch da müssen wir genau
mit Wildpflanzen im Hintergrund, wobei richtig ist, dass hinschauen.
dieses Auskreuzungsrisiko vor allem bei Pflanzenarten Bedenklich sind die großen Wissensdefizite in der Ri-
besteht, die einheimische wildlebende Verwandte, zum sikobegleitforschung. Es gibt nicht einmal verbindliche
Beispiel beim Raps, haben. Kriterien zur Bestimmung ökologischer Schäden der
Freisetzung! Dazu läuft übrigens gerade eine Studie am
Für Imker ist, neben dem Völkersterben durch Varoa
Institut für Ökologie der TU Berlin. Auf die Unzuläng-
und bösartige Faulbrut, die Grüne Gentechnik unterdes-
lichkeiten der Zulassungsprüfungen, die gerade die zu-
sen ein beherrschendes Thema. Immer mehr Händler ständigen EU-Kommissare moniert haben, habe ich in
und Verarbeiter verlangen absolut gentechfreie Waren der letzten Debatte schon verwiesen.
und drohen andernfalls mit Rückrufkosten. Die Analy-
sen aber kosten pro Charge 200 bis 250 Euro, für den Unter dem Strich bleibt für mich nur eine Schlussfol-
Konsumenten verteuert sich der Honig dadurch um gerung: Wir sollten dieses Moratorium sehr ernsthaft er-
80 Cent pro Glas. wägen!
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4333

(A) Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute Kommission bisher in jedem Zulassungsfall genutzt – (C)
Morgen wurden auf einer Pressekonferenz im Bayeri- trotz des erklärten Widerstands zahlreicher EU-Länder.
schen Landtag die alarmierenden Ergebnisse einer Stu-
die zum Genmaisanbau vorgestellt. Die Versuche in Zweitens. Es zeigen sich eklatante Mängel bei der
Bayern haben gezeigt, dass der bisher angenommene Transparenz im Rahmen des Zulassungsverfahrens, so-
Sicherheitsabstand zu gentechnikfreien Feldern mit dass es unabhängigen Experten sehr schwer bis fast un-
20 Metern viel zu gering eingestuft worden war. möglich gemacht wird, die Studienergebnisse zu kon-
trollieren, die von den Gentechnikanwendern vorgelegt
Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass bei der Freiset- werden. Eine externe Überprüfung der Zulassungsemp-
zung gentechnisch veränderter Pflanzen dringend Hand- fehlungen ist bisher gar nicht möglich gewesen, da die
lungsbedarf besteht. Die Bayerische Staatsregierung hat ökotoxikologischen Studien nicht offengelegt wurden.
zugegeben, dass es den bayerischen Landwirten nicht zu Drittens. Es gibt Zweifel daran, ob wissenschaftliche
empfehlen sei, gentechnisch veränderte Pflanzen anzu- Studien ausreichend berücksichtigt werden: Die EU-
bauen, weil die Risiken wesentlich größer seien, als bis- Kommission bzw. die zuständige wissenschaftliche Le-
her angenommen. bensmittelsicherheitsbehörde EFSA ist bisher in keinem
Wir müssten uns eigentlich sicher sein können, mit Fall zu einer negativen Bewertung von vorgelegten Zu-
unserem Antrag die Mehrheit dieses Hauses hinter uns lassungsanträgen gekommen. Das weckt zumindest
zu wissen. Besonders freuen wir uns über die Unterstüt- Misstrauen, ob kritische Studienergebnisse ausreichend
zung unseres Anliegens durch Bundeslandwirtschaftsmi- berücksichtigt werden. So wird vor allem von Umwelt-
nister Horst Seehofer. Herr Seehofer hat in einem Zei- und Verbraucherverbänden kritisiert, dass keine Lang-
tungsgespräch am letzten Wochenende „sehr viel zeitstudien vorliegen.
Verständnis“ für die Kritiker der Gentechnik und die Nach außen wird der Öffentlichkeit suggeriert, dass
Einrichtung gentechnikfreier Zonen geäußert und ange- alle von der EU zugelassenen Produkte streng überprüft
kündigt, die Nutzung genveränderter Produkte nicht för- und getestet werden. Zum Beispiel bei MON863 hat sich
dern zu wollen. Daher wäre es nur konsequent, wenn Sie dann aber herausgestellt, dass die EFSA Sicherheitsbe-
unseren Antrag für ein Gentechnik-Moratorium in der denken ignoriert hat.
Landwirtschaft unterstützen. Er besteht komplett aus
Äußerungen Ihres Parteikollegen und CSU-Generalse- Sogar die EU-Kommission äußert Zweifel an der ei-
kretärs Markus Söder. genen Zulassungspraxis in ihrer Stellungnahme bei den
WTO-Verhandlungen um nationale Einfuhrverbote. Sie
Wir brauchen daher dringend ein Moratorium für die erklärt darin zum Beispiel, dass es „ein begründeter und
(B) kommerzielle Nutzung der Gentechnik in der Landwirt- rechtmäßiger Standpunkt“ sei, dass schädlingsresistente (D)
schaft, wie es die Schweiz im Herbst letzten Jahres be- Pflanzen – dazu gehören im Übrigen auch die von
schlossen und Söder in seinem Beitrag im „Tagesspie- Seehofer für Deutschland zugelassenen Sorten aus dem
gel“ am 16. Juni auch gefordert hat. Aber Söder müsste gentechnisch veränderten Mais MON810 – nicht ange-
eigentlich wissen, dass Deutschland anders als die baut werden sollten, bis alle Auswirkungen auf den Bo-
Schweiz EU-Mitglied ist und deswegen den Anbau in den bekannt sind.
Deutschland nicht grundsätzlich verbieten kann. Das wi-
derspricht – leider – dem EU-Recht. Trotz dieser eigenen Bedenken hat die EU-Kommis-
sion zahlreiche neue Gentechpflanzenlinien und Nah-
Trotzdem muss Deutschland auch nicht alles akzep- rungsmittel zugelassen, darunter im Übrigen fast aus-
tieren, was von der EU-Kommission zugelassen wird. schließlich schädlingsresistente Pflanzen wie den Mais
Darum fordern wir die Regierung in einem weiteren An- MON863.
trag auf Drucksache 16/1176, der noch in den Ausschüs- Fakt ist: Die Kommission hat sich bisher in keinem
sen behandelt wird, dazu auf, die rechtlichen Möglich- Fall von ihrem Vorhaben abhalten lassen, gentechnisch
keiten für nationale Einfuhrverbote bereits in der EU veränderte Pflanzen zuzulassen – weder durch fehlende
zugelassener gentechnisch veränderter Organismen aus- qualifizierte Mehrheiten noch neue Risikoanalysen.
zuschöpfen. Nationale Einfuhrverbote für einzelne in der Wenn die EU-Kommission zulassen will, dann lässt sie
EU zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen gibt auch zu. Die Zulassungen gelten dann in allen Ländern,
es inzwischen in immer mehr Ländern: in Österreich, selbst wenn diese Länder während des Verfahrens be-
Luxemburg, Ungarn, Griechenland, Frankreich und auch rechtigte Einwände erhoben haben.
Deutschland.
Darum brauchen wir auf nationaler Ebene die Mög-
Warum wehren sich diese Länder gegen die „Gen- lichkeit, uns gegen die EU-Zulassungen zu wehren. Da-
technik-Zwangsjacke“, die ihnen durch die EU-Kom- rum soll sich die Regierung dafür stark machen, dass wir
mission aufgebürdet wird? Ich will hier drei der wich- in Deutschland ein Moratorium zur kommerziellen Nut-
tigsten Gründe nennen: zung der Agrogentechnik erlassen können.
Erstens. Das Abstimmungsprozedere ist unbefriedi- Wenn es Söder und Seehofer wirklich ernst meinen,
gend. Solange in den Gremien der EU weder eine abso- dann müssten sie und ihre Kollegen von der CSU nicht
lute Mehrheit gegen noch für einen Antrag erreicht wird, nur unserem vorliegenden Antrag, sondern auch unserem
hat die EU-Kommission die Möglichkeit, in eigener Re- Antrag für nationale Einfuhrverbote zustimmen. Sonst
gie eine Zulassung zu erteilen. Diese Möglichkeit hat die liegt der Verdacht sehr nahe, dass die Verkündungen
4334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) nicht mehr waren als halbherzige Versuche, die Wogen liegt in der Innovation! Diese Stärke müssen wir auch (C)
bei den Landwirten in den zahlreichen gentechnikfreien einsetzen!
Regionen in Bayern zu glätten.
Für mich ist dabei selbstverständlich, dass die For-
schung nicht nur im Labor stattfindet, sondern – unter
Dr. Peter Paziorek, Parl. Staatssekretär beim Bun- Beachtung des Schutzes von Umwelt und Gesundheit –
desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- auch im Freiland möglich sein muss. Nur so können wir
braucherschutz: Der Antrag der Grünen ist weder in der uns ein vollständiges Bild von der Gentechnik unter rea-
Form angemessen noch sachgerecht und verantwor- listischen Bedingungen machen.
tungsbewusst. Er setzt ein völlig falsches Signal und ist
daher abzulehnen. Auf welches Niveau haben Sie sich Ein Beitrag, der die Forschung im Bereich der Pflan-
hier begeben? Da stellen Sie im feuilletonistischen Stil zenbiotechnologie voranbringen würde, sollte meiner
die Fragen: „Gibt es ein Risiko für die Gesundheit?” Ansicht nach darin bestehen, das so genannte verein-
Und: „Sind die Folgen für Umwelt und Ökosystem hin- fachte Verfahren über das Jahr 2006 hinaus zu ermögli-
reichend erforscht?“ Das sind selbstverständlich ganz chen. Hierdurch würde die experimentelle Freisetzung
wichtige Fragestellungen. Aber wo findet sich in Ihrem von gentechnisch veränderten Organismen, mit denen
Antrag auch nur im Ansatz ein Vorschlag, wie wir darauf bereits ausreichende Erfahrungen gesammelt worden
Antworten finden können? Kein Wort von verstärkter sind, erleichtert.
Forschung, die wir dringend brauchen, um sachgerechte
Außerdem sollten wir die Verfahren pragmatisch ge-
Entscheidungen treffen zu können. Stattdessen reißen
stalten. Zwei Beispiele: Erstens. Gentechnische Anlagen
Sie Aussagen aus einem Zeitungsartikel aus dem Zusam-
sind in vier Sicherheitsstufen von S 1 bis S 4 eingeteilt.
menhang. Warum zitieren sie hier nicht auch das klare
Gentechnische Arbeiten in gentechnischen Anlagen der
„Ja“ zur Forschung? Für mich lässt das nur einen
Sicherheitsstufe S 1 und Folgearbeiten der Sicherheits-
Schluss zu: Ihr Konzept heißt: „Polemisieren und blo-
stufe S 2 sollten nur noch anzuzeigen statt anzumelden
ckieren.“ Sie schüren bewusst die ohne Frage beste-
sein. Der Betreiber dürfte dann nach der Anzeige mit
hende Unsicherheit in der Bevölkerung und entziehen
den gentechnischen Arbeiten sofort beginnen. Zweitens.
sich jeder Verantwortung für eine sachgerechte Ausein-
Durch die Gesetzesnovelle von 2004 ist die Zentrale
andersetzung mit dem Thema. Mit anderen Worten: Sie
Kommission für die Biologische Sicherheit in zwei Aus-
bleiben mit ihrem Antrag strikt auf Künasts Blockade-
schüsse aufgeteilt und die Zahl der Mitglieder nahezu
Kurs.
verdoppelt worden. Es ist, auch wegen einer nicht aus-
In dem Zusammenhang empfehle ich Ihnen gern den reichenden Bewerberzahl, nicht gelungen, die Aus-
Artikel in der „Zeit” vom 8. Dezember 2003 mit dem schüsse wie vorgesehen zu besetzen.
(B) Titel „Staatlich veräppelte Forschung“. Es ist schon be- (D)
Deshalb wurde mit der Novelle dieses Jahres eine
merkenswert, wie international anerkannte Forscherin-
Übergangsregelung geschaffen, wonach die Kommis-
nen und Forscher aus der Ressortforschung des damali-
sion in der alten Besetzung tagt. Um auch weiterhin eine
gen Bundesverbraucherministeriums von Frau Künast an
sachkompetente Prüfung zu gewährleisten, sollten die
die Kandarre genommen wurden. Für mich ein unver-
beiden Ausschüsse dauerhaft wieder in ein Gremium zu-
gleichlicher Akt ideologisch motivierter Willkür.
sammengeführt werden.
Die Bundesregierung steht dagegen für einen sachli-
chen und verantwortungsbewussten Umgang mit dem Beim kommerziellen Anbau sind wir uns bewusst,
Thema Gentechnik. Entsprechend werden wir die Si- dass die Dinge hier etwas komplizierter sind. Es ist in
cherheitsforschung und Entwicklungsforschung voran- der Tat so, dass in der Bevölkerung Verunsicherung über
bringen, denn nur so gelangen wir zu Erkenntnissen, die die Grüne Gentechnik herrscht und eine große Mehrheit
als Grundlage politischer Entscheidungen unverzichtbar gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnt. Politik
sind. und Wirtschaft haben diese Meinungslage zur Kenntnis
und auch ernst zu nehmen und für die Politik kann ich
Gegen die Sicherheitsforschung können eigentlich Ihnen versichern: Wir tun das auch! Wir müssen dafür
keine ernsthaften Einwände erhoben werden. Gerade die sorgen, dass diejenigen, die das wollen, sich auch in Zu-
Kritiker der Grünen Gentechnik betonen ja immer wie- kunft ohne Gentechnik ernähren können, und auch die
der, dass die Wirkung von gentechnisch veränderten Or- Landwirte in der Lage sind, solche Produkte anzubieten.
ganismen nicht ausreichend erforscht sei. Dann sollten Wir müssen daher sicherstellen, dass die Koexistenz
wir den offenen Fragen auch nachgehen! zwischen gentechnisch veränderten, konventionellen
und ökologischen Kulturen gewahrt wird. Dieser Auf-
Doch auch die Entwicklungsforschung ist zu stärken. gabe werden wir uns mit einer Verordnung über die gute
Die Grüne Gentechnik bietet beträchtliche Perspektiven fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch verän-
und kann einen Beitrag zur Ernährung und zur Versor- derter Pflanzen stellen.
gung mit Energie und Rohstoffen leisten. Die globale
Entwicklung schreitet voran, unabhängig davon, ob in Bei den pflanzenartspezifischen Regelungen in der
Deutschland Entwicklungsforschung betrieben wird Verordnung werden wir uns auf den Anbau von gentech-
oder nicht. Wir wären verantwortungslos, wenn wir uns nisch verändertem Mais beschränken. Das ist die einzige
aus der Entwicklung neuer gentechnisch veränderter gentechnisch veränderte Pflanzenart, die mit gentechnik-
Pflanzen zurückziehen würden und diesen Wachstums- rechtlicher Genehmigung und Sortenzulassung hier
bereich anderen überlassen würden. Deutschlands Stärke kommerziell angebaut wird.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4335

(A) In der Rechtsverordnung zur guten fachlichen Praxis Dem Verhandlungsergebnis stimme ich, trotz großer (C)
wird ein Mindestabstand gegenüber konventionellen Bedenken, zu, um die Gefahr noch größerer und schärfe-
oder ökologischen Maisfeldern festgelegt werden. Wir rer Auseinandersetzungen zu diesem Thema zu vermei-
wollen sowohl den Erzeugern von gentechnisch verän- den. Ich verbinde meine Zustimmung mit der Forderung,
dertem Mais als auch den Nachbarn möglichst große dass der zweite Schritt, die Reform der Finanzbeziehun-
Sicherheit vor wesentlichen Beeinträchtigungen und gen von Bund und Ländern, konsequent noch in diesem
eventuellen Haftungsfolgen geben. Wesentliche Beein- Jahr erfolgt. Darüber hinaus halte ich die Formulierung
trächtigungen der Nachbarn müssen der seltene Ausnah- einer neuen Verfassung für die Bundesrepublik Deutsch-
mefall bleiben. land für den besseren und notwendigen Weg.
In Deutschland erfolgt der kommerzielle Anbau von
gentechnisch verändertem Mais nunmehr im dritten Jahr. Dirk Becker (SPD): Ich bekenne mich ausdrücklich
Mit dem Anbau wurde also in einer Zeit begonnen, als zur Notwendigkeit einer Föderalismusreform. Die Redu-
Frau Künast noch zuständige Ministerin war. zierung der zustimmungsbedürftigen Gesetzesvorhaben
ist dabei ein wichtiges, aber nicht das ausschließliche
Die Europäische Kommission hat mit der Eintragung Ziel.
von MON810 in das Gemeinschaftsregister für gentech-
nisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel aus- Die Reform unseres Staatsaufbaus ist angesichts der
drücklich klargestellt: Das Saatgut ist von der Zulassung Herausforderungen in Europa und in einer globalisierten
und der Eintragung ins Gemeinschaftsregister mit um- Welt und vor dem Hintergrund der Situation in den ein-
fasst. Gentechnisch veränderter Mais wird daher auch in zelnen Bundesländern notwendig. Eine entsprechende
Zukunft in Deutschland angebaut werden können. Reform muss deshalb den damit verbundenen Anforde-
rungen gerecht werden. Die Verfassung ist die Grund-
Europa hat mit staatlicherseits verordneten Morato- lage unseres Zusammenlebens. Jede Änderung hat
rien keine gute Erfahrung gemacht; jedenfalls dann grundsätzliche Bedeutung. Sie stellt eine Gewissensent-
nicht, wenn von den betreffenden gentechnisch verän- scheidung dar, bei der alle Abgeordneten das Wohl des
derten Organismen keine Gefahr für Umwelt oder Ge- ganzen Volkes berücksichtigen müssen. Einer Änderung
sundheit ausgeht: Die WTO hat insoweit einen Verstoß des Grundgesetzes muss sich daher an diesen Kriterien
gegen Welthandelsrecht festgestellt. messen lassen.
Aus den genannten Gründen verdient ein staatliches Ich teile ausdrücklich nicht die Auffassung, dass zur
Zwangsmoratorium keine Unterstützung. Der Antrag ist Beseitigung der mit der Verfassungsänderung aus dem
daher abzulehnen. Jahr 1994 herbeigeführten Rechtsunsicherheit bezüglich
(B) der Regelungskompetenz zwischen Bund und Ländern (D)
und der daraus resultierenden Klageanfälligkeit bundes-
Anlage 8 gesetzlicher Regelungen nunmehr offensichtliche, von
den meisten Sachverständigen auch benannte Ver-
Erklärungen nach § 31 GO schlechterungen in einzelnen Fachbereichen hingenom-
zur namentlichen Abstimmung über den Ent- men werden sollen.
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund- Gleichwohl muss ich zur Kenntnis nehmen, dass wei-
gesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, tere Nachbesserungen aufgrund der Weigerung aus eini-
84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, gen Bundesländern bzw. aus den Reihen der Union nicht
107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesord- möglich sind. Zumindest konnte in den letzten Tagen
nungspunkt 29 a) Dank des Einsatzes von Peter Struck noch an einigen
Stellen Positives erreicht werden. Bedauerlicherweise
Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): Die Verhandlungen musste im Gegenzug im Umweltbereich eine weitere
zur Reform der föderalen Beziehungen zwischen dem Einschränkung hingenommen werden.
Bund und den Ländern haben ihren Abschluss gefunden.
Aus den nachfolgend dargestellten Gründen habe ich
Die gegenwärtige Konstellation der Mehrheit von CDU/
erhebliche Bedenken gegen Teile der vorgesehenen Ver-
CSU und SPD im Bundestag hat einen günstigen Rah-
fassungsreform:
men für eine Lösung der teilweise unklaren Kompetenz-
verteilungen sowie der Blockadeproblematik im Bun- Erstens. Deutschland wird durch diese Verfassungs-
desrat vorgegeben. änderung die großen Herausforderungen, die sich in
Europa und in einer globalisierten Welt ergeben, nicht
Mit der vorliegenden Reform sind die vorhandenen besser wahrnehmen können. Die vorgesehene Änderung
Probleme allerdings nicht adäquat gelöst. Ich hätte mir des Art. 23 des Grundgesetzes und die Einführung der
eine Reform der Kompetenzen von Bund und Ländern Abweichungsgesetzgebung sind kontraproduktiv. Sie
gewünscht, die der gegenwärtigen innerdeutschen Situa- schwächen die europa- und völkerrechtliche Handlungs-
tion wie auch dem zunehmenden europäischen Integra- fähigkeit Deutschlands zum Beispiel im Bereich der Bil-
tionsprozess mehr gerecht wird. Anstatt die zahlreichen dungs- und Umweltpolitik.
Grundgesetzänderungen vorzunehmen, wäre dies der
richtige Anlass gewesen, einen Verfassungskonvent ein- Zweitens. Rechtsdogmatisch wird durch die Möglich-
zuberufen und eine neue bundesdeutsche Verfassung mit keit der Abweichungsgesetzgebung ein Instrumentarium
klaren Zuständigkeiten auszuarbeiten. geschaffen, das nicht zu mehr Transparenz in der
4336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Kompetenzverteilung und Rechtsklarheit führen wird, werden die unterschiedlichen finanziellen Rahmenbe- (C)
sondern zu Rechtszersplitterung. Wenn angeführt wird, dingungen letztlich unterschiedliche Grenzen setzen.
dass die Länder von der Abweichungskompetenz häufig
keinen Gebrauch machen werden, so stellt sich die Siebtens. Die größte Verfassungsänderung seit 1949
Frage, warum man diese Regelung dann schafft. sollte durch die größte Anhörung vorbereitet werden.
Eine angemessene Auswertung dieser Anhörung hat
Drittens. Die Ausgestaltung des Art. 104 a des Grund- nicht stattgefunden. Sie hätte die Punkte 1 bis 5 berück-
gesetzes und die Zustimmungserfordernis des Bundes- sichtigen können. Das Engagement unseres Fraktions-
rates im Rahmen der Art. 72 und 84 des Grundgesetzes vorsitzenden Peter Struck für eine entsprechende Anhö-
widersprechen dem Ziel der Verfassungsänderung, die rung und Auswertung möchte ich in diesem
Quote der zustimmungspflichtigen Gesetzesvorhaben Zusammenhang ausdrücklich anerkennen und hervorhe-
deutlich zu reduzieren, wenngleich diese Fragestellung ben. Hätte die Mehrheit der Verhandlungspartner ebenso
ohnehin nicht lediglich auf die Quantität, sondern viel- gehandelt, wäre eine angemessene Beratung und Ent-
mehr an den jeweiligen Inhalten der Gesetzesmaterien scheidung möglich gewesen. Durch die Verweigerung
ausgerichtet sein muss. insbesondere einiger Länder, die Ergebnisse der Anhö-
rung angemessen in die Beratung der Föderalismusre-
Viertens. Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik sind form einzubeziehen, war letztlich kein besseres Ergebnis
die Felder, auf denen zukünftig zentrale Herausforderun- zu erzielen. So bleibt es letztlich in einigen Bereichen
gen bestehen. Es gibt ein gesamtstaatliches Interesse, das beim Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nen-
durch die vorgesehene Kompetenzverteilung nicht er- ner. Überzeugende Argumente für sinnvolle Korrekturen
füllt werden kann. mit Blick auf unsere Ziele einer integrierten Vorhabens-
Als Mitglied des Umweltausschusses sehe ich es hier- genehmigung und des zu schaffenden Umweltgesetz-
bei als unverzichtbar an, das Umweltverfahrensrecht in buchs, die erstaunlich einvernehmlich von Vertretern der
Art. 84 des Grundgesetzes ausdrücklich ohne Abwei- Umweltverbände, der Industrie und den Sachverständi-
chungsmöglichkeit für die Länder aufzunehmen; den ab- gen vorgetragen wurden, haben kein Gehör gefunden.
weichungsfesten Kern bei dem unbestimmten Rechtsbe- Achtens. Die Reform des Föderalismus wird und
griff „Allgemeine Grundsätze des Naturschutzes“ muss weiter ein zentrales Thema bleiben. Vor dem Hin-
konkreter zu fassen und um den Begriff der „anlagenbe- tergrund der wiedererlangten deutschen Einheit und der
zogenen Regelungen“ zu ergänzen; den Begriff „anlage- europäischen Rechtsharmonisierung muss die grundle-
bezogene Regelungen“ im Wasserrecht zu präzisieren; gende Reform unseres föderalen Bundesstaats das Ziel
die Übergangsregelungen des Art. 125 b des Grundge- sein. Diesbezüglich schließe ich mich dem Diskussions-
setzes zu präzisieren, um so das vereinbarte Moratorium papier der Kollegen Steffen Reiche, Dr. Matthias (D)
(B) zur Schaffung eines Umweltgesetzbuches rechtsverbind-
Miersch und des Staatsrechtlers Prof. Hans Meyer an.
lich zu sichern: rechtssichere Kompetenztitel für die Be-
reiche Bodenschutz, erneuerbare Energien, Chemika- Fazit: Es wäre dieser größten Verfassungsreform in
lienrecht und für den Bereich der nichtionisierenden der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ange-
Strahlung zu schaffen; den Hochwasserschutz als abwei- messen gewesen, wenn sich Bundestag und Bundesrat
chungsfeste Materie festzuschreiben. sorgfältiger mit den Argumenten und Fakten aus den
Anhörungen beschäftigt hätten. Insbesondere einige Mi-
Fünftens. Ich erkenne an, dass die Neufassung des nisterpräsidenten der Union haben diesen intensiven
Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes zumindest geeignet ist, Prozess nicht zugelassen. Hier stellt sich die Frage nach
den jetzigen Zustand der Klageanfälligkeit bundesge- dem Stellenwert der Abgeordneten des Deutschen Bun-
setzlicher Regelungen zu reduzieren und hiermit zu einer destages und dem Wert unserer Verfassung.
Klarstellung und stärkeren Rechtssicherheit beiträgt.
Aus den dargestellten Gründen bleibt eigentlich nur
Jedoch wird durch die in Abs. 3 aufgenommene Ab- die Schlussfolgerung, diese Verfassungsänderung ableh-
weichungsregelung für die Länder – und hier konzen- nen zu müssen.
triere ich mich vorrangig auf den Bereich des Umwelt-
und Naturschutzes – eine neue Rechtsunsicherheit und Wäre da nicht die Frage, welche Auswirkung ein
Klageanfälligkeit geschaffen. Kein Staatsrechtler konnte Scheitern der Reform für die Verfassungswirklichkeit
bisher deutlich machen, welche Regelungskompetenz des hätte. In Kenntnis der wiederholten Rechtssprechung des
Bundes sich letztlich hinter dem unbestimmten Rechtsbe- Bundesverfassungsgerichtes – zum Beispiel Juniorpro-
griff der „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes“ fessur – ist anzuerkennen, dass in Folge der Verfassungs-
verbirgt. Die Reduzierung des abweichungsfesten Kerns änderung aus dem Jahr 1994 in vielen zentralen politi-
auf diese Formulierung wird so zu neuerlichen Verfas- schen Fragen das Verfassungsgericht auch zukünftig die
sungsklagen sowie zur weiteren Rechtszersplitterung bei- derzeitige Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Re-
tragen. gelung des Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes ausgespro-
chen eng auslegen wird.
Sechstens. Wettbewerbsföderalismus setzt gesunde
Startbedingungen voraus, die mit dieser Reform nicht Damit würde der Bund noch stärker als durch diese
gegeben sind. Es ist zu befürchten, dass in zentralen Be- Verfassungsreform an einheitlichen Regelungskompe-
reichen ein Wettlauf um die niedrigsten Standards ein- tenzen verlieren. Eine noch stärkere Rechtszersplitte-
setzen wird. Dann geht es nicht um die Frage, welche rung mit ihren negativen Auswirkungen, auch bezüglich
Ebene Aufgaben besser erfüllen kann, sondern vielmehr der Europatauglichkeit, wäre die Folge.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4337

(A) Im Ergebnis bleibt diese Verfassungsänderung ein Viertens. Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik sind (C)
teils zweifelhafter Kompromiss ohne echte umsetzbare die Felder, die für unser Land zukunftsweisend sind.
Alternative. Aus diesem Grund stimme ich trotz schwer- Hier gibt es ein gesamtstaatliches Interesse, das durch
wiegender Bedenken der Verfassungsänderung zu. die vorgesehene Kompetenzverteilung und durch die
Fassung des Art. 104 b GG nicht erfüllt werden kann.
Dieses gilt auch für weitere Bereiche, wie zum Beispiel
Petra Bierwirth (SPD): Die Reform unseres födera-
für den Strafvollzug.
len Systems ist angesichts der Herausforderungen in
Europa und in einer globalisierten Welt notwendig. Auch Fünftens. Ein Wettbewerb um die besten Lösungen in
die Situation der öffentlichen Haushalte verlangt einen den einzelnen Bundesländern darf den Grundsatz der So-
effizienteren und leistungsfähigeren Staatsaufbau. Die lidarität nicht vernachlässigen. Er setzt aber gesunde
uns heute vorliegende größte Verfassungsänderung seit Ausgangsbedingungen voraus, die nicht gegeben sind.
1949 sollte durch die umfangreichste Anhörung im Es ist zu befürchten, dass in zentralen Bereichen ein
Deutschen Bundestag vorbereitet werden. Nur dem En- Wettlauf „nach unten“ einsetzen wird und negative Ver-
gagement unseres Fraktionsvorsitzenden Peter Struck ist hältnisse zementiert werden. Dabei geht es nicht primär
es zu verdanken, dass diese Anhörung stattfand und wir um die Frage, welche Ebene Aufgaben besser erfüllen
als Parlament unsere Rechte wahrnehmen konnten. Eine kann. Die finanziellen Rahmenbedingungen setzen
angemessene Auswertung dieser Anhörung konnte auf Grenzen. Besonders in den neuen Ländern werden die
Grund der starren Haltung der Ministerpräsidenten der Chancen, den Aufbau Ost weiter voran zu bringen und
Länder nicht stattfinden. bestehende Entwicklungs- und Leistungsunterschiede
auszugleichen, mit der vorliegenden Reform erschwert.
Nachfolgende grundsätzliche Aspekte sind völlig au-
ßer Acht gelassen worden. Sechstens. Gerade im Bereich der Umweltpolitik sind
angesichts der Standortwettbewerbe und ökonomischen
Erstens. Deutschland wird durch diese Verfassungs- Zwänge Aufweichungstendenzen im Rahmen der Ab-
änderung die großen Herausforderungen, die sich in weichungsgesetzgebung zu befürchten. Eine Zersplitte-
Europa und in einer globalisierten Welt ergeben, nicht rung unseres Rechtssystems und unterschiedliche Stan-
besser wahrnehmen können. Die vorgesehene Fassung dards sind die Folge.
des Art. 23 GG und die Einführung der Abweichungs-
gesetzgebung sind kontraproduktiv. Sie schwächen die Der Aufbau des Staates und seine Funktionsfähigkeit
europa- und völkerrechtliche Handlungsfähigkeit Deutsch- sind auch dem Aspekt der Nachhaltigkeit verpflichtet.
lands zum Beispiel im Bereich der Bildungs- und Um- Die vorliegende Verfassungsänderung ist nicht nachhal-
weltpolitik. Zukünftig wird es jedoch gerade auf diese tig. Die politischen Mehrheitsverhältnisse in unserem
(B) Politikfelder ankommen. Land hätten, vor allem bei anderer Haltung der Bundes- (D)
länder, die Möglichkeit eröffnet, eine wirklich zukunfts-
Zweitens. Rechtsdogmatisch wird durch die Möglich- weisende Verfassungsänderung auf den Weg zu bringen.
keit der Abweichungsgesetzgebung ein Instrumentarium
geschaffen, das nicht zu mehr Transparenz in der Kom- Ich kann dieser Grundgesetzänderung nicht zustim-
petenzverteilung, Effizienz und Rechtsklarheit führen men.
wird, sondern zu Rechtszersplitterung und Kompetenz-
wirrwarr. Im Urteil vom 24. Oktober 2002 – 2 BvF 1/01
Dr. Gerhard Botz (SPD): Diese Föderalismusreform
(NJW 2003, S. 41 ff. (44)) führt das Bundesverfassungs-
wird das Verhältnis von Bund und Ländern nachhaltig in
gericht aus:
eine Richtung verändern, die im Widerspruch zu der Er-
Eine „Doppelzuständigkeit“, auf deren Grundlage wartung einer deutlichen Mehrheit unserer Bevölkerung
Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in steht. Die darin verankerten Gewinne des Bundes kön-
unterschiedlicher Weise regeln könnten, ist dem nen meines Erachtens nicht darüber hinwegtäuschen,
System der verfassungsrechtlichen Kompetenznor- dass eine Mehrheit der hier festgelegten Veränderungen
men fremd und stünde mit ihrer Abgrenzungsfunk- zu einem Paradigmenwechsel weg vom Solidarprinzip,
tion (Art. 70 II GG) nicht im Einklang. hin zu mehr Wettbewerbsföderalismus führen. Ich halte
es für völlig inakzeptabel, dass das Beamten- und Besol-
Es ist nicht zu begründen, warum diese Grundsätze dungsrecht, das Strafvollzugs- und das Heimrecht in die
aufgehoben werden. Wenn angeführt wird, dass die Län- Länderkompetenz übertragen werden. Dazu kommen
der von der Abweichungskompetenz häufig keinen Ge- Abweichungsmöglichkeiten der Länder im Naturschutz,
brauch machen werden, so stellt sich die Frage, warum im Jagdwesen, in der Raumordnung, Bodenverteilung,
diese Regelung dann geschaffen wird. dem Wasserhaushalt, der Hochschulzulassung und dem
Hochschulwesen.
Drittens. Die Ausgestaltung des Art. 104 a GG und
das Zustimmungserfordernis des Bundesrates im Rah- Deutschland wird mit diesen Entscheidungen ange-
men der Art. 72 und 84 GG widersprechen dem Ziel der sichts der Herausforderungen der Europäisierung und
Verfassungsänderung, die Quote der zustimmungspflich- der Globalisierung mit angezogener Handbremse in das
tigen Gesetzesvorhaben deutlich zu reduzieren. Wenn- 21. Jahrhundert starten. Nicht zuletzt werden wir auf
gleich dieser Sachverhalt sich nicht nur auf die Quanti- diese Weise unsere angekündigten Bestrebungen in
tät, sondern vielmehr an den jeweiligen Inhalten der Richtung Bürokratieabbau auf Jahrzehnte selber blockie-
Gesetze orientieren muss. ren.
4338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Die große Koalition vergibt damit leider eine gewal- Drittens. Die Anhörung hat ergeben, dass sich die im (C)
tige Chance, unsere Republik rechtzeitig in ihrer Hand- Koalitionsvertrag definierten Ziele – Verbesserung der
lungsfähigkeit substanziell zu stärken. In erster Linie Handlungsfähigkeit des Staates – Seite 109; Vereinfa-
werden von den absehbar nachteiligen Entwicklungen chung des Umweltrechts – Seite 67; Weiterentwicklung
diejenigen Bundesländer betroffen sein, die auch heute der Aufgaben von Bund und Ländern im Bereich der
schon zu den ärmeren gehören. Bildung – Seite 41; Gewährleistung sozialer Sicherheit –
Seite 96 f. – mit der vorgeschlagenen Verfassungsände-
Änderungen unseres Grundgesetzes, die in ihrer Ge- rung – auch als Anlage dem Koalitionsvertrag beigefügt –
samtheit derartige Risiken in sich bergen, kann ich nicht nicht realisieren lassen. Dieser Widerspruch hätte im
zustimmen. parlamentarischen Verfahren aufgeklärt und gelöst wer-
den müssen.
Marco Bülow (SPD): Dem Entwurf eines Gesetzes Viertens. Ich bezweifle, dass Deutschland durch diese
zur Änderung des Grundgesetzes und dem Entwurf eines Verfassungsänderung die großen Herausforderungen, die
Föderalismusreform-Begleitgesetzes stimme ich zu. Im sich in Europa und in einer globalisierten Welt ergeben,
Folgenden möchte ich dazu aber eine Erklärung abge- besser wahrnehmen kann. Die vorgesehene Änderung
ben: des Art. 23 GG und die Einführung der Abweichungsge-
setzgebung sind kontraproduktiv. Sie schwächen die eu-
Die Reform unseres Staatsaufbaus ist angesichts der ropa- und völkerrechtliche Handlungsfähigkeit Deutsch-
Herausforderungen in Europa, in einer globalisierten lands zum Beispiel im Bereich der Bildungs- und Um-
Welt und vor dem Hintergrund der Situation in den ein- weltpolitik. Zukünftig wird es jedoch gerade auf diese
zelnen Bundesländern notwendig. Eine entsprechende Politikfelder ankommen.
Reform muss deshalb den damit verbundenen Anforde-
rungen gerecht werden. Die Verfassung ist die Grund- Fünftens. Mit der Möglichkeit der Abweichungsge-
lage unseres Zusammenlebens. Jede Änderung hat setzgebung wird ein Instrumentarium geschaffen, wel-
grundsätzliche Bedeutung. Sie stellt eine besondere Ge- ches zu größerer Rechtszersplitterung und zu Kompe-
wissensentscheidung dar, bei der alle Abgeordneten das tenzwirrwarr führen wird. Die Befürworter der Reform
Wohl des ganzen Volkes berücksichtigen müssen. führen an, dass die Länder von der Abweichungskompe-
tenz keinen Gebrauch machen werden. Dann stellt sich
Aufgrund reiflicher Überlegung und langer detaillier- die Frage, warum diese Regelung dann geschaffen
ter Diskussionen über die Gesamtreform kann ich zu kei- wurde.
nem eindeutig positiven Urteil kommen. Es ist für mich
allerdings auch nicht zweifelsfrei geklärt, ob die vorlie- Sechstens. Die Reform ist ein deutlicher Schritt in
(B)
gende Reform nachteiliger für die Herausforderungen Richtung eines Wettbewerbsföderalismus. Ich halte al- (D)
der Zukunft ist, als wenn wir es beim Status quo belas- lerdings einen solidarischen Föderalismus in unserem
sen. Durch die Verfassungsänderung von 1994 ist es zu Land für eine bessere Alternative, dies vor allem des-
vielen Unklarheiten gekommen, bei der das Parlament halb, weil nicht alle Bundesländer die gleichen Startbe-
immer stärker von Entscheidungen des Bundesverfas- dingungen haben und zu befürchten ist, dass in zentralen
sungsgerichts abhängig wurde. Dies wird mit den Bereichen ein Wettlauf „nach unten“ einsetzen wird. Da-
Grundgesetzänderungen teilweise verändert. Ich hoffe bei geht es nicht um die Frage, welche Ebene Aufgaben
zudem darauf, dass mit der Reform die Zahl der zustim- besser erfüllen kann. Die finanziellen Rahmenbedingun-
mungspflichtigen Gesetzesvorhaben deutlich reduziert gen setzen Grenzen.
wird. Insgesamt werde ich der Reform trotz erheblicher Siebtens. Gerade im Bereich der Umweltpolitik sind
Bedenken zustimmen. angesichts der Standortwettbewerbe und ökonomischen
Ich möchte meine wichtigsten Bedenken im Einzel- Zwänge Aufweichungstendenzen im Rahmen der Ab-
nen aufführen: weichungsgesetzgebung zu befürchten. Dagegen verhin-
dern klare und bundeseinheitliche Regelungen diese Ent-
Erstens. Meine Vorstellung über eine wirklich umfas- wicklung. Einfachgesetzliche Öffnungsklauseln können
sende Föderalismusreform sieht deutlich anders aus als dabei einen Wettbewerb „nach oben“ eröffnen. Dabei ist
die Vorlage, über die wir im Parlament nun abstimmen. auch unbestritten, dass regionale und örtliche Besonder-
Viele Themen, beispielsweise die Länderfusion, wurden heiten im Rahmen der Abwägungsprozesse auch auf der
gar nicht erst verhandelt. Grundlage bundeseinheitlicher Standards berücksichtigt
werden können.
Zweitens. Der Vorschlagsentwurf, der dem Bundestag
vorgelegt wurde, ist in keiner Phase mit den Fachpoliti- Achtens. Auch Regelungen im Bildungsbereich und
kern besprochen worden. Zudem hat eine angemessene vor allem die Verlagerung der Zuständigkeit für das
parlamentarische Auswertung der Anhörung nicht statt- Heimrecht halte ich für keine gute Entscheidung.
gefunden. Nur durch Drängen der SPD-Bundestagfrak-
tion und das Engagement unseres Fraktionsvorsitzenden Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Ich stimme ge-
Peter Struck wurde überhaupt noch über Einzelfragen gen die Verfassungsänderung und bin dabei insbeson-
diskutiert. Hätte die Mehrheit der Verhandlungspartner dere von folgenden Überlegungen geleitet: Erstens. Die
ebenso gehandelt, wäre eine angemessene Beratung und parlamentarische Beratung der Einzelbestimmungen
Entscheidung möglich gewesen. konnte aufgrund der im Vorfeld getroffenen Festlegun-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4339

(A) gen nicht mehr ausreichend ergebnisoffen erfolgen. Kritikwürdig ist bereits das politische Verfahren. Of- (C)
Zweitens. Ich halte den eingeschlagenen Weg insgesamt fenbar haben die Interessen der Koalition, nicht die Inte-
für falsch und auch die damit verbundenen Erwartungen ressen Deutschlands, ein Schnellverfahren diktiert. Es
für Entflechtungsgewinne für weit überschätzt. Die in wurde nicht einmal der Versuch unternommen, die zahl-
der Verfassung bestehende Kompetenzverteilung zwi- reichen kleinen und größeren Webfehler der Reform zu
schen Bund und Ländern halte ich für das Äußerste, was beheben. Das Verfahren war eine Beleidigung des Parla-
gerade noch hinnehmbar war; in der Zwischenzeit haben mentes und des Grundgesetzes. Der Raum für eine sach-
sich die Probleme einer Stärkung der Länderkompeten- orientierte Debatte war nie gegeben. Damit fehlt dieser
zen weiter gezeigt; auch einzelne Entscheidungen des bedeutenden Reform, die das Grundgesetz und damit
Bundesverfassungsgerichts, die in diese Richtung wei- den Gesellschaftsvertrag in weiten Teilen entscheidend
sen, machen dies nochmals deutlich. Neue Kompetenz- ändert, ein wichtiges Stück demokratischer Legitima-
verlagerungen zugunsten der Länder schwächen den tion.
Bund; sie stellen auch die Regierbarkeit unseres Landes Überdies ist die Reform selbst in weiten Teilen man-
insgesamt in der Zeit der Europäisierung infrage. Wir gelhaft ausgeführt. Die auf Druck der FDP durchgeführ-
brauchen mehr und auch einheitlichere Standards für ten Anhörungen haben überdeutlich gezeigt, dass in vie-
Schulen und Hochschulen, nicht weniger. Und die wei- len Politikfeldern die Reform nur Stückwerk bleibt oder
tere Kompetenzverlagerung auf die Länder werden wir gar in sich widersprüchlich ist. Die unentschlossene
mit einem Anwachsen der Bürokratie für die Betroffe- Neuordnung der Bildungspolitik ist ein Beispiel, die un-
nen und – auf Dauer gesehen – mit einer Stärkung der klare und komplexe Regelung zur konkurrierenden Ge-
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in setzgebungskompetenz ein anderes. Anstatt Klarheit zu
grundrechtsrelevanten Bereichen wie dem Strafvollzug schaffen, sorgt die Reform in einigen Teilen für weitere
bezahlen müssen. Verwirrung. Eine ruhige und sachliche Debatte, wie sie
Auch die für behinderte Menschen, für Kinder und auch der Bedeutung dieses Reformwerkes und dem Wert
Jugendliche und für alte Menschen so wichtigen Rege- unseres Grundgesetzes entspräche, hätte hier viele Feh-
lungskompetenzen werden in Zukunft zu Nachteilen für ler zu heilen vermocht.
die Betroffenen, aber auch für die in der Zivilgesell- Zahlreiche Defizite lassen sich auch in grundsätzli-
schaft Engagierten führen. In den letzten Monaten habe chen Fragen feststellen. Die hier vorgestellte Föderalis-
ich an vielen Runden ergebnisoffener Sachdiskussionen musreform ist in vielem zu zaghaft. Anstatt endlich den
mit Verfassungsexperten teilgenommen. Auch sie haben Schritt zu einem produktiven Wettbewerbsföderalismus
mich davon überzeugt, dass die Erwartungen im Hin- zu wagen, verharrt sie weithin in zentralistischen oder
blick auf politische Gewinne aus einer Entflechtung der konsensorientierten Lösungen. Ein System, in dem Bun- (D)
(B)
Kompetenzen für unsere Demokratie, insbesondere un- desländer untereinander um die besten Lösungen kon-
ter Transparenz- und Zuordnungsgründen, bei weitem kurrieren und so in der Summe das Beste für Deutsch-
überschätzt sein dürften. Sicherlich wird es sie in einigen land erreichen, ist nicht zustande gekommen. Stattdessen
Bereichen geben – auf dem Gebiet der Juristerei. Poli- bleibt das Prinzip des Konsensföderalismus erhalten, ein
tisch indes werden die Länder in allen Bereichen weiter System, das bereits unter normalen Umständen schwer-
mitreden, in denen sie das wollen – künftig indes ge- fällig ist; ohne Konsens aber wird es unbeweglich. Denn
stärkt durch ihre breiteren Kompetenzen. Auch die Er- stets gilt das Prinzip: Das langsamste Schiff bestimmt
wartungen im Hinblick auf die Zuordnung der Verant- das Tempo des ganzen Geleitzugs.
wortung auf die handelnden Akteure in Bund und
Ländern werden mit großer Sicherheit weit überschätzt. Überdies wurde versäumt, die Finanzbeziehungen
zwischen Bund und Ländern auf eine klare Grundlage zu
Insgesamt führt diese Verfassungsänderung in eine Rich-
stellen. Dies war eine der zentralen Voraussetzungen für
tung, die ich nicht vertreten kann. Deshalb stimme ich
die Zustimmung der Liberalen. Denn die Neuordnung
gegen sie.
politischer Kompetenzen ist nur die eine Seite der Me-
daille. Ohne eine transparente und ehrliche Zuweisung
Patrick Döring (FDP): Der Reformbedarf des föde- der finanziellen und steuerpolitischen Zuständigkeiten
ralistischen Systems der Bundesrepublik Deutschland und Verantwortlichkeiten bleibt das Projekt unvollstän-
war und ist unumstritten. Die Klagen sind hinreichend dig. Das gilt auch für die finanzielle Selbstständigkeit
bekannt: Die Verflechtung von Bundes- und Landespoli- der Kommunen. Es ist und bleibt ein Versäumnis, dass
tik hat ein Ausmaß erreicht, in dem die Zuständigkeiten das Grundgesetz nicht um ein echtes Konnexitätsprinzip
der unterschiedlichen Akteure in der Öffentlichkeit nicht für die Kommunen ergänzt wurde. So bleibt uns auch in
mehr wahrgenommen werden. Die Verschränkung der Zukunft das Dilemma erhalten, dass die Bundesregie-
Entscheidung führt zu Blockade und Stillstand der Poli- rung eifrig musikalisch fragwürdige Platzkonzerte be-
tik. Eine vernünftige Föderalismusreform wäre von da- stellt und die Städte und Gemeinden die Musik bezahlen
her tatsächlich die „Mutter aller Reformen“; denn sie dürfen.
schaffte die Grundvoraussetzungen für eine nachhaltige Die Summe dieser Defizite kann für mich nur die Ab-
Modernisierung unseres Landes. lehnung dieses Antrags bedeuten.
Das vorliegende Reformpaket verdient dennoch aus
inhaltlichen wie formalen Gründen nicht meine Zustim- Detlef Dzembritzki (SPD): Ich habe heute dem Ge-
mung. setz zur Änderung des Grundgesetzes, mit dem die seit
4340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) langem fällige Reform des deutschen Föderalismus auf Umfeld von Art. 83 und 84 GG weisen zwar den richti- (C)
den Weg gebracht werden wird, zugestimmt. Da dieses gen Weg, dieser Weg wurde aber leider nicht bis zum
Gesetz aber nach meiner Überzeugung einige erhebliche Ende beschritten.
Mängel aufweist und mir der Entschluss, meine Zustim-
mung zu geben, unter diesen Umständen äußerst schwer Ferner hätte ich ein einheitliches Strafvollzugsrecht,
gefallen ist, möchte ich hiermit von § 31 der Geschäfts- Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, begrüßt. Es besteht die Gefahr,
ordnung des Deutschen Bundestages Gebrauch machen dass sich die Strafvollzugsregeln nach der Kassenlage
und eine persönliche Erklärung abgeben. Die hierin auf- des jeweiligen Bundeslandes richten. Es ist nicht ausge-
geführten Bedenken habe ich auch während des Bera- schlossen, dass Gefängnisse zu bloßen Verwahranstalten
tungsprozesses immer wieder vorgebracht und mit Kol- werden – mit nicht absehbaren sozialen Folgen. Ebenso
leginnen und Kollegen erörtert. halte ich es für bedenklich, dass das Heimrecht der Ge-
setzgebungskompetenz des Bundes entzogen wurde. Es
Mein heutiges Abstimmungsverhalten bedeutet nicht, ist jetzt deutlich schwerer, eine Mindestqualität der sta-
dass ich die Föderalismusreform in ihrer nun vorliegen- tionären Pflege zu sichern und einen Wettlauf nach unten
den Fassung begrüßen würde. Ganz im Gegenteil, wich- zu verhindern. Darüber hinaus hoffe ich, dass auch die
tige Bestandteile des jetzigen Reformpakets lehne ich Abstimmungsverfahren zwischen Bund und Ländern für
nach wie vor ab. Meine Zustimmung habe ich nur des- die Bereiche Rundfunk, Bildung und Kultur auf europäi-
halb nicht versagt, weil ein völliges Scheitern der Re- scher Ebene noch effektiver gestaltet werden.
form noch schlimmere Folgen gehabt hätte. Es bleibt
aber weiterhin sehr unbefriedigend, dass es nicht gelun- Insgesamt zieht sich durch den Reformentwurf die
gen ist, im Vorfeld der heutigen Abstimmung wesentli- Tendenz, die politische Auseinanderentwicklung in
che Änderungen am Reformpaket vorzunehmen. Die Deutschland eher zu stärken als zu schwächen und recht-
vorgenommenen Änderungen aber sind unzureichend liche Harmonisierungen in vielen Bereichen erheblich zu
und weitgehend kosmetischer Natur, sodass zu hoffen erschweren. Die bereits seit Bestehen der Bundesrepu-
bleibt, dass zu einem späteren Zeitpunkt weitere Korrek- blik erkennbaren Schwierigkeiten des Grundgesetzes da-
turen möglich werden. mit, Länderegoismen dort zurückzudrängen, wo bundes-
einheitlichen Regelungen notwendig sind, werden durch
Die größten Mängel des heute vorliegenden Gesetz- die Föderalismusreform leider nicht reduziert, sondern
entwurfs scheinen mir nach wie vor im Bereich der Bil- noch verstärkt, sodass der deutsche Föderalismus mit
dungs- und Schulpolitik zu liegen. Das Kooperationsver- dem vorliegenden Gesetzesentwurf in mancherlei Hin-
bot in der Schulpolitik halte ich für unangemessen. Eine sicht noch auf den Stand von 1949 zurückfällt.
Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund würde der
Letztendlich habe ich trotz all dieser Mängel für die
(B) deutschen Schulpolitik nicht schaden, sondern ihr hel- Reform gestimmt, weil die jetzige Situation noch uner- (D)
fen. Und auch im Hochschulbereich können die geplan-
ten Grundgesetzänderungen in ihrer jetzigen Form nicht träglicher ist, und als Alternative nur das Scheitern des
überzeugen. Zwar ist hier – was positiv zu bewerten ist – Gesamtvorhabens geblieben wäre. Ein solches Scheitern
das zunächst vorgesehene strikte Kooperationsverbot ge- wäre allerdings fatal gewesen. Seit Jahren klagt die Öf-
fallen. Doch auch die jetzige Regelung, nach der für eine fentlichkeit zu Recht über langwierige Entscheidungs-
Kooperation bei Vorhaben der Wissenschaft und For- wege, übermäßige Verflechtungen und gegenseitige Blo-
schung an Hochschulen die Zustimmung aller Länder er- ckaden von Bund und Ländern. Die Steuerungsfähigkeit
forderlich ist, wird eine Zusammenarbeit von Bund und unseres Staates ist in der Tat in nicht akzeptabler Weise
Ländern künftig nicht verbessern. beeinträchtigt. Das können wir uns nicht mehr leisten.
Auch müssen die Menschen künftig nachvollziehen kön-
Die Unterschiede in der fiskalischen Leistungskraft nen, wer für welche Aufgabe zuständig und damit poli-
der verschiedenen Länder werden noch stärker auf Qua- tisch verantwortlich ist. Es wäre ein großer Schaden für
lität und Quantität der Bildungseinrichtungen durch- unser Land und ein Desaster für alle Entscheidungsträ-
schlagen, wobei sich hier insbesondere die ostdeutschen ger, wenn nach mehrjährigem harten Ringen die Reform
Länder einschließlich Berlin, aber auch die finanzschwa- scheitern würde.
chen westdeutschen Länder in einer schlechten Situation
befinden. Dabei stellt die immer weitergehende Ausein- Ungeachtet meiner Kritik übersehe ich natürlich auch
anderentwicklung in den Schul- und Bildungspolitiken nicht, dass durchaus einige wesentliche Reformziele er-
der einzelnen Bundesländer nicht, wie es einige Minis- reicht worden sind. So sinkt etwa die Zustimmungsquote
terpräsidenten offenbar sehen wollen, einen positiven der Bundesgesetze von 55 bis 60 Prozent nun auf vor-
Ausdruck von mehr Wettbewerb im deutschen föderalen aussichtlich unter 30 Prozent. Das ist ein großer Fort-
System, sondern in Zeiten der Globalisierung, in der eine schritt. Der Bund kann nunmehr viele Bereiche, die in
über die Nationalstaaten hinausgehende Zusammenar- seiner Gesetzgebungskompetenz stehen, ohne Einmi-
beit in der Bildungspolitik nötig wird, eine zusätzliche schung des Bundesrates regeln. In wichtigen Bereichen
Provinzialisierung und Verschlechterung dar. behält der Bund seinen Einfluss und gewinnt zudem
sechs wichtige Bereiche dazu, etwa durch die aus-
Darüber hinaus weist der Gesetzesentwurf aber auch schließliche Kompetenz für das BKA im Kampf gegen
in vielen anderen Bereichen problematische Regelungen den internationalen Terrorismus, das Waffenrecht oder
auf. So hätte etwa der Zustimmungsvorbehalt des Bun- durch verbindliche Länderbeteiligung bei Verletzungen
desrates bei der Bundesgesetzgebung deutlicher redu- von EU-Recht sowie bei Sanktionen aufgrund von Ver-
ziert werden müssen. Die Verfassungskorrekturen im letzungen des europäischen Stabilitätspaktes. Darüber
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4341

(A) hinaus haben wir erreicht, dass der Bund Europarecht hören nicht zuletzt die erweiterten Befugnisse des Bun- (C)
schneller umsetzen kann und damit in Brüssel besser deskriminalamtes bei der Terrorismusabwehr und die
aufgestellt ist. Auf der anderen Seite nimmt sich der Sicherstellung, dass im Hochschulbereich Bund-Länder-
Bund dort zurück, wo die Angelegenheiten der Länder Kooperationen möglich sind.
berührt sind.
Ich bedauere, dass das Vorhaben einer Überarbeitung
Es gibt also keinen Grund, das vorliegende Reform- des föderalen Systems oftmals von machtpolitischen
paket in Gänze zu kritisieren. Vieles in der Tat Reform- Fragen überlagert und zuwenig am Maßstab einer sinn-
bedürftige wird angegangen, viele sinnvolle Entflech- vollen Aufteilung und Regelung von Zuständigkeiten
tungen werden auf den Weg gebracht. Die Bedingungen ausgerichtet worden ist. Nach meiner Einschätzung
zur Durchsetzung weiterer wichtiger Reformschritte in würde ein Scheitern der Reform aber nicht zu einem
unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen werden neuen Reformansatz, sondern zu Stillstand führen.
verbessert. Klar ist aber auch, dass der Umbau des deut-
schen Föderalismus mit der Reform noch nicht an sein Deshalb stimme ich dem Gesetzentwurf nach Abwä-
Ende kommen darf. So habe ich es etwa sehr bedauert, gung des Für und Wider zu.
dass im Zuge der hinter uns liegenden Beratungen zur
Föderalismusreform nicht ein einziges Mal ernsthaft Hans Eichel (SPD): Dem vorgelegten Gesetz zur
über die Fusion von Ländern gesprochen worden ist. Die Änderung des Grundgesetzes stimme ich zu, weil in Ab-
Reduzierung der Zahl der Länder aber ist aus meiner wägung der aus meiner Sicht positiven Regelungen mit
Sicht unabweisbar notwendig und darf nicht tabuisiert den aus meiner Sicht negativen Regelungen und in Er-
werden. wägung der politischen Folgen eines Scheiterns für mich
die Zustimmungsgründe überwiegen.
Ich erwarte, dass wir den Prozess der Reform unseres
Grundgesetzes nicht nur begleiten, sondern nach einem Ich will aber ausdrücklich – und im Blick auf künftig
angemessenen Zeitabstand die Wirkung der Änderungen etwa beabsichtigte Verfassungsänderungen – auf zwei
bewerten. Denn das Wohl unseres Landes und seiner mir verfassungspolitisch höchst problematisch erschei-
Menschen in einem modernen, föderalen und sozialen nende Regelungen hinweisen:
Rechtsstaat muss unser fester Wille und das oberste Ziel
Erstens das Zustimmungserfordernis aller Länder in
unseres Handelns sein.
Art. 91 b Abs. l Ziff. 2. Das Grundgesetz kannte aus gu-
tem Grund bisher nirgendwo das Erfordernis der Ein-
Sebastian Edathy (SPD): Ich stimme dem Gesetz- stimmigkeit, sondern als höchstes Erfordernis die Zwei-
entwurf über die Föderalismusreform trotz Bedenken zu. drittelmehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Organe,
(B) Der deutsche Föderalismus bedarf ohne Zweifel der zum Beispiel zur Verfassungsänderung. Außerdem wird (D)
Überarbeitung. Eine sinnvolle Entflechtung gemeinsa- die Einstimmigkeit nicht an die Einstimmigkeit in einem
mer Zuständigkeiten von Bund und Ländern und die Verfassungsorgan gebunden, sondern offensichtlich die
klare Zuordnung von Entscheidungsbefugnissen dienen – informelle – Geschäftsordnungsregel eines in der Ver-
der Transparenz von Prozessen der politischen Willens- fassung gar nicht vorgesehenen Gremiums – wohl der
bildung, der Erkennbarkeit von Verantwortlichkeit und Ministerpräsidentenkonferenz – mit Verfassungsrang
der gesetzgeberischen Effizienz. ausgestattet. Für mich ist das ein unglaublicher Vorgang.
Diese Regelung darf nirgendwo im Grundgesetz in Zu-
Nicht alle vorliegenden Vorschläge sind sinnvoll. Als
kunft noch auftauchen, sie sollte, sobald die Hitze der
Innenpolitiker halte ich drei Punkte für besonders be-
politischen Debatte, die zu ihr geführt hat, abgeklungen
denklich:
ist, bei nächster Gelegenheit wieder aus dem Grundge-
Die Übertragung des Rechtes der Beamtenbesoldung setz herausgenommen werden – mit welcher Mehrheit
an die Länder lässt befürchten, dass es finanzschwäche- übrigens?
ren Bundesländern künftig schwerer fallen wird, beson-
Zweitens. Das Abweichungsrecht der Länder von
ders gut qualifiziertes Personal zu gewinnen bzw. zu hal-
Bundesgesetzen nach Art. 72 Abs. 3 ist meiner Ansicht
ten.
nach ebenfalls politisch inakzeptabel. Dass beinahe 60
Die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht an die Jahre nach Einführung des Grundgesetzes Artikel 31
Länder zu übertragen, ist ein Fehler. Das Versammlungs- „Bundesrecht bricht Landesrecht“ hier durchlöchert
recht ist ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht, wird, darf bei künftigen Verfassungsänderungen nicht zu
dessen Ausgestaltung weiterhin durch eine bundesein- Weiterungen führen. Auch hier ist bei passender Gele-
heitliche Gesetzgebung geregelt werden sollte. genheit die Wiederherstellung der klaren ursprünglichen
Verfassungsregelung erforderlich.
Die Regelungsgewalt über den Strafvollzug den
Landtagen zu überlassen, ist nicht sinnvoll. Auch Häft-
linge sind Grundrechtsträger. Gerade in diesem sensib- Petra Ernstberger (SPD): Die Zustimmung zur Fö-
len Bereich liegt eine bundeseinheitliche Rechtssetzung deralismusreform ist mir nicht leicht gefallen. Denn eine
nahe. Reihe von Bedenken, die ich immer wieder geäußert
habe, sind nicht ausgeräumt worden. Im Wesentlichen
Gleichwohl verkenne ich nicht die Verbesserungen, geht es um folgende Punkte: Der Zustimmungsvorbehalt
welche der Gesetzentwurf – zumal in der im Rechtsaus- des Bundesrates bei der Bundesgesetzgebung hätte deutli-
schuss veränderten Fassung – mit sich bringt. Hierzu ge- cher reduziert werden müssen. Die Verfassungskorrekturen
4342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) im Umfeld von Art. 83, 84 GG wiesen den richtigen Dienstrecht, der allgemein durch die Regel, dass bei den (C)
Weg, der leider nicht bis zum Ende beschritten werden Abweichungsrechten der Länder (Art. 72 Abs. 3, Art. 84
konnte. Ferner hätte ich ein einheitliches Strafvollzugs- Abs. l GG) die späteren Gesetze den früheren vorgehen
recht (Art. 74 Abs. l Nr. l GG) begrüßt. Es besteht die („Ex-posterior-Regel“). Der Bund kann zudem bis 2009
Gefahr, dass sich die Strafvollzugsregeln nach der Kas- ein vollständiges Umweltgesetzbuch entwickeln, von
senlage des jeweiligen Bundeslandes richten. Es ist nicht dem die Länder in den Kernpunkten nicht abweichen
ausgeschlossen, dass Gefängnisse zu bloßen Verwahran- dürfen. Der Bund gewinnt zudem sechs wichtige Berei-
stalten werden – mit nicht absehbaren sozialen Folgen. che hinzu, etwa die ausschließliche Kompetenz für das
Ebenso sehr halte ich es für bedenklich, dass das Heim- BKA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus,
recht der Gesetzgebungskompetenz des Bundes entzo- das Waffenrecht oder durch verbindliche Länderbeteili-
gen wurde. Es ist jetzt deutlich schwerer, eine Mindest- gung bei Verletzungen von EU-Recht sowie bei Sanktio-
qualität der stationären Pflege zu sichern und einen nen aufgrund von Verletzungen des Europäischen Stabi-
Wettlauf nach unten zu verhindern. Ich hätte mir ge- litätspaktes. Darüber hinaus haben wir erreicht, dass der
wünscht, behinderten und alten Menschen wäre ein Bund Europarecht schneller umsetzen kann und damit in
sechzehnfaches Dickicht von Regelungen für die Zu- Brüssel besser aufgestellt ist.
sammenarbeit von Behörden, Einrichtungsträgern und
anderen Beteiligten erspart geblieben. Darüber hinaus Auf der anderen Seite nimmt sich der Bund dort zu-
hoffe ich sehr, dass auch die Abstimmungsverfahren rück, wo die Angelegenheiten der Länder berührt sind.
zwischen Bund und Ländern für die Bereiche Rundfunk, Dies sind insgesamt 16 Materien, unter anderem:
Bildung und Kultur auf europäischer Ebene noch effekti- Das Verfahrensrecht und die Behördeneinrichtung,
ver gestaltet werden. eine ausgesprochene Domäne der Länder. Abschaffung
Trotzdem habe ich der Föderalismusreform zuge- der Kategorie der Rahmengesetzgebung (bisher Art. 75
stimmt. Denn trotz der Risiken, die diese Reform mit GG), weil dreistufige Verfahren (Europäisches Recht,
sich bringt, führt an ihr kein Weg vorbei. Langwierige Bundesrahmenrecht, Landesausfüllungsrecht) zu um-
Entscheidungswege, übermäßige Verflechtungen und ständlich sind und weil diese Gesetzgebungskompetenz
gegenseitige Blockaden von Bund und Ländern haben in der Verfassungspraxis ohnehin ins Leere läuft. Teile
die Steuerungsfähigkeit unseres Staates in nicht akzep- des Öffentlichen Dienstrechts, insbesondere die Besol-
tabler Weise beeinträchtigt. Das können wir uns nicht dung und Versorgung der Landesbeamten und Richter.
mehr leisten. Das Gesetz, dem ich zugestimmt habe, ist Im Bereich des Hochschulwesens, in dem den Ländern
nicht perfekt. Doch es beinhaltet den äußersten Kompro- die Freiheit gegeben wird, den Universitäten und ande-
miss, den wir als Bundestagsabgeordnete der SPD den ren Hochschulen die Chance auf mehr Eigenverantwor-
(B) Ländern abtrotzen konnten, ohne die Reform scheitern tung und Unabhängigkeit zu geben. Im Umweltrecht, (D)
zu lassen. Und ein Scheitern galt es – selbst um einen insbesondere im Bereich des Naturschutzes. Wichtig ist,
hohen Preis – zu verhindern. dass die Länder nur außerhalb der Grundsätze des Natur-
schutzes abweichen dürfen. Mag diese Regelung auch
Zudem haben die Menschen in Deutschland ein Recht vielen Bauchschmerzen bereiten, sie ist dem Kompro-
darauf, nachvollziehen zu können, wer für welche Auf- miss zwischen Bund und Ländern geschuldet. Zudem
gaben zuständig und damit politisch verantwortlich ist. befürchte ich nicht, dass die Landesparlamente die neue
Es wäre ein großer Schaden für unser Land und ein De- Macht nutzen, um den Naturschutz zurückzufahren.
saster für alle Entscheidungsträger, wenn die Reform Ganz im Gegenteil: Das Bewusstsein dafür, wie wertvoll
nach mehrjährigem harten Ringen scheitern würde. saubere Flüsse, abgasarme Luft und gesunde Wälder
sind bildet sich vor allem in den Gemeinden und Stadtei-
Letztendlich habe ich für diese Reform gestimmt, len vor Ort. Und da sind die Länder allemal näher dran.
weil trotz meiner Kritik die wesentlichen Reformziele Gemeinschaftsaufgaben aufzugeben ermöglicht dem
erfüllt wurden. Hier sind zu nennen: Stärkung der Bund ein Stück Bürokratieabbau. Zwar leistet der Bund
Gesetzgebung durch deutlichere Zuordnung der Gesetz- Kompensationszahlungen in Höhe von gut 2,5 Milliar-
gebungskompetenzen und Abschaffung der Rahmen- den Euro jährlich bis 2013. Doch sind diese Aufgaben
kompetenzen. Abbau gegenseitiger Blockaden durch zweckgebunden. Und die Länder übernehmen dafür
Neubestimmung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bun- Aufgaben in den Bereichen Hochschulbau, Gemeinde-
desgesetzen im Bundesrat. Klarere Finanzverantwortung verkehrsfinanzierung und sozialer Wohnungsbau.
zwischen Bund und Ländern durch Abbau von Mischfi-
nanzierungen und Neufassung der Möglichkeiten der Fi- Alles in allem handelt es sich um die größte Verfas-
nanzhilfen des Bundes, wobei die Zusagen aus dem Soli- sungsreform seit Bestehen des Grundgesetzes. Solch ein
darpakt II für die neuen Bundesländer bekräftigt werden Reformprojekt darf man nicht scheitern lassen, so sehr
sollten. ich auch einige Regelungen für verbesserungswürdig
halte.
Diese Ziele haben wir erreicht. Statt 55 bis 60 Prozent
der Bundesgesetze sinkt die Zustimmungsquote nun vo- Schließlich muss ich anerkennen, dass nach den Ex-
raussichtlich auf unter 30 Prozent. Das ist ein großer pertenanhörungen im Mai und Juni 2006 ein wesentli-
Fortschritt. Der Bund kann nunmehr viele Bereiche, die cher Punkt verbessert wurde. Der Kompromiss, dass der
in seiner Gesetzgebungskompetenz stehen, ohne Einmi- Bund Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an
schung des Bundesrates regeln. In wichtigen Bereichen Hochschulen und Forschungsbauten an Hochschulen ne-
behält der Bund seinen Einfluss, etwa im öffentlichen ben wissenschaftlicher Forschung außerhalb der Hoch-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4343

(A) schulen Finanzhilfen geben darf (Art. 91 b GG), stellt waren, etwa im Bodenrecht, öffentlichen Dienstrecht (C)
sicher, dass er auch Gelder für den Ausbau der Hoch- oder im Strafvollzug, treten künftig bis zu 16 verschie-
schulen überweisen kann. Das ist mir sehr wichtig. Die- dene Regelungen. Wo es bei der Gesetzgebungsbefugnis
ser Kompromiss, insbesondere die Erweiterung von des Bundes bleibt, tritt anstelle bisher zustimmungsbe-
„wissenschaftlicher Forschung“ auf „Wissenschaft und dürftiger Bundesgesetze als Kompensation für den Weg-
Forschung“ (Art. 91 b Abs. l Nr. 2 GG) hat wesentlich fall der Zustimmungspflicht des Bundesrats ein Abwei-
dazu beigetragen, dass ich dieser Reform trotz meiner chungsgesetzgebungsrecht der Länder: Diese können
Bedenken zugestimmt habe. etwa im Umweltrecht oder allgemein beim Verwaltungs-
verfahren von Bundesgesetzen abweichen. Der Bund
Ich erwarte, dass wir diesen Reformprozess unseres kann später aber die Regelung wieder an sich ziehen und
Grundgesetzes nicht nur begleiten, sondern nach einem die Länder können erneut abweichen, theoretisch kann
angemessenen Zeitabstand die Wirkung der Änderungen diese Pingpong-Gesetzgebung unendlich fortgehen.
bewerten. Denn das Wohl unseres Landes und seiner
Menschen in einem modernen, föderalen und sozialen Voraussetzung für Erfolg im globalen Wettbewerb ist
Rechtsstaat muss unser fester Wille und das oberste Ziel ein starker Bundesstaat mit klarer Regelungskompetenz
unseres Handelns sein. in den zentralen Fragen der Nachhaltigkeit und der Zu-
kunftssicherung, wie in Umwelt- und Klimaschutz, im
gesamten Bildungsbereich, angefangen im Vorschulalter
Rainer Fornahl (SPD): Nach sorgsamer Abwägung
bis zur Hochschul- und Forschungspolitik (Lissabonstra-
aller Aspekte und Umstände habe ich mich entschlossen,
tegie). Gerade hier sind unübersehbare Rückschritte ge-
der vorliegenden Drucksache 16/813 zuzustimmen.
genüber dem Status quo zu verzeichnen. Um nur ein
Diese Entscheidung ist mir außerordentlich schwer ge-
Beispiel zu nennen: das nunmehr uneingeschränkte Ko-
fallen. Letztendlich muss ich aber anerkennen, dass eine
operationsverbot im Bereich der schulischen Bildung.
sehr große Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen aus
Ein schlimmer Anachronismus.
den Koalitionsfraktionen dem Paket der Änderungen des
Grundgesetzes folgen wird. Dieser nach einem sehr in- Die Globalisierung und der harte internationale
tensiven Diskussionsprozess entstandenen demokrati- Standortwettbewerb haben zu weltweiter wirtschaftli-
schen Mehrheit werde ich mich trotz erheblicher Beden- cher Konkurrenz geführt. Als Antwort muss Europa zu-
ken in der Sache anschließen. sammenarbeiten, um hier noch eine Stimme zu haben.
Weltweite Abstimmung etwa beim Umweltschutz oder
Diese Bedenken stellen sich aus meiner Sicht folgen- die Harmonisierung in Europa etwa im Steuerrecht sind
dermaßen dar: das Gebot der Zeit. Entgegen diesem weltweiten und eu-
Ziel der Reformbemühungen aus der Sicht der Bun- ropäischen Trend geht die Föderalismusreform in
(B) (D)
desregierung, des Bundestages und des Bundesrates war Deutschland den umgekehrten Weg und zersplittert teil-
zu Beginn der Verhandlungen im Jahr 2003 in der Kom- weise wieder einen einheitlichen Rechtsraum, wie etwa
mission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ord- beim öffentlichen Dienstrecht, oder verstärkt ohnehin
nung die Beseitigung oder Verminderung von langwieri- schon vorhandene Barrieren und Mobilitätshindernisse,
gen Entscheidungswegen, übermäßigen Verflechtungen wie etwa im Bildungsbereich. Es ist deshalb ein „fauler“
und gegenseitigen Blockaden zwischen Bund und Län- Kompromiss, wenn auch künftig Landesvertreter (Bun-
dern. Es ging um mehr Klarheit bei der Aufgaben- und desratsrepräsentanten) die Bundesrepublik auf verschie-
Zuständigkeitsverteilung, straffere und schnellere Ent- denen Politikfeldern in Europa vertreten.
scheidungsprozesse und einen europatauglicheren Bun- Durch die Stärkung der Länderebene auf der Basis
desstaat. von außerordentlich unterschiedlichen Ausgangsbedin-
Ausgangspunkt war damals vordergründig die Hand- gungen und Startchancen ist das Ziel der Herstellung
lungsblockade zwischen den Verfassungsorganen Bun- gleichwertiger Lebensverhältnisse so nicht erreichbar.
destag und Bundesrat und eben nicht in erster Linie die Insbesondere für Ostdeutschland sind unübersehbare
Neuordnung von Zuständigkeiten und die Entflechtung Nachteile zu erwarten.
der Gesetzgebung im Sinne der Lösung von Problemen In diesem Zusammenhang ist es aus meiner Sicht be-
im Sinne einer effizienten, ergebnisorientierten Aufga- dauerlich, ja fatal, dass die dringend erforderliche Neu-
benerfüllung für die Bürger der Bundesrepublik ordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und
Deutschland. Die vorliegenden Gesetzentwürfe („Ent- Ländern erst in einem zweiten Schritt, der Finanzverfas-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes“ sungsreform, geregelt werden soll. Eine Verbindung von
[Bundestagsdrucksache 16/813]; „Entwurf eines Födera- Föderalismusreform und Finanzverfassungsreform hätte
lismusreform-Begleitgesetzes“ [16/814]) werden dem die Solidarität der Bundesländer gestärkt und bei verbes-
aus meiner Sicht insgesamt nicht gerecht, wenn ich auch serter Finanzausstattung der Kommunen die Gefahr des
durchaus einräumen will, dass die intensiven Bemühun- Auseinanderklaffens der Lebensverhältnisse verhindern
gen insbesondere der SPD-Bundestagsfraktion zu Ver- können.
besserungen in einigen Bereichen gegenüber dem ur-
sprünglichen Ansatz geführt haben. Bei den komplizierten Mechanismen der Abweichungs-
möglichkeiten der Bundesländer bei der Gesetzgebung,
Der vorliegende Ansatz dieser Föderalismusreform von unbestimmten Ausnahmen in Kernbereichen abgese-
führt zu einer weiteren Komplizierung unserer Rechts- hen, sind Auseinandersetzungen und Abgrenzungspro-
ordnung. Wo Rechtsgebiete bisher einheitlich geregelt bleme programmiert und das Bundesverfassungsgericht
4344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) wird mehr noch als in der Vergangenheit letztendliche punkte gibt: Erstens. Die vorgesehenen Regelungen zu (C)
Regelungen vorgeben müssen. Kostenfolgen von Bundesgesetzen können zu weiteren
Zustimmigkeitspflichten von Bundesgesetzen führen.
Josef Göppel (CDU/CSU): Die heute vorgesehene Zweitens. Das Erforderlichkeitskriterium bleibt zum
Änderung des Grundgesetzes schwächt nach meiner Teil erhalten, was die bekannte Rechtsunsicherheit nicht
Meinung den Naturschutz in Deutschland, anstatt ihn zu beseitigt.
stärken, und sie schafft weniger Investitionssicherheit
anstatt mehr. Drittens. Das Abweichungsrecht birgt die Gefahr ei-
ner großen Unübersichtlichkeit im Rechtssystem.
Ich will das kurz begründen:
Viertens. Auch wenn die Innovationskraft in Deutsch-
Erstens. Alle vorhabenbezogenen Regelungen unter- land über die Begründung einer neuen Gemeinschafts-
liegen dem Abweichungsrecht, ohne dass dieses an aufgabe – sprich einer gemeinsamen Verantwortung –
irgendwelche Voraussetzungen gebunden würde. Die „Hochschulförderung“ klar gestärkt worden ist, wird sie
Föderalismusreform wird deshalb ihr zentrales Ziel im in anderen Bereichen der Bildungspolitik leider eindeu-
Umweltbereich, bundeseinheitliche Genehmigungsstan- tig geschwächt.
dards für Bauvorhaben aller Art zu sichern, nicht errei-
chen. Fünftens. Nicht zuletzt die umfangreiche gemeinsame
Anhörung von Bundestag und Bundesrat hat mit einem
Zweitens. Zum abweichungsfesten Kern des Natur- eindeutigen Votum der Expertinnen und Experten ge-
schutzrechtes gehören aufgrund einer nachträglich ein- zeigt, dass die Zuständigkeit für das Heimrecht und das
gebrachten Änderung nur noch die allgemeinen Grund- Strafvollzugsrecht aus Gründen der Einheitlichkeit der
sätze des Naturschutzes. Damit kann eine Festlegung im Lebensverhältnisse und der Sicherung gemeinsamer
Umweltgesetzbuch, wonach Eingriffe in die Natur aus- Standards beim Bund verbleiben sollte. Ich sehe hierin
geglichen werden müssen, durch Abweichung jederzeit eine bedauerliche Missachtung klarer Forderungen auch
unwirksam werden. Das hebelt den Kern der Natur- aus der Fachöffentlichkeit und der Erkenntnis der ge-
schutzpolitik aus. Der sorgsame Umgang mit den natür- meinsamen Anhörung von Bundestag und Bundesrat,
lichen Gütern unseres Landes droht im Standortwettbe- die nicht mehr sachlich, sondern nur machtpolitisch zu
werb einen schweren Rückschlag zu erleiden. begründen ist.
Ich will die Föderalismusreform jedoch im Ganzen Sechstens. Besonders betroffen fühle ich mich durch
nicht gefährden und stimme deshalb trotz schwerer Be- die Verlagerung des Heimrechts. Das Heimrecht gehört
denken zu. – wie alle anderen Bereiche der öffentlichen Fürsorge –
(B)
Ich setze darauf, dass meine Fraktion bei der Aus- in Bundeszuständigkeit. Es ist nicht nachvollziehbar, (D)
arbeitung des Umweltgesetzbuches klare Vorgaben für warum die Herstellung gleichwertiger Lebensverhält-
die Erhaltung der Eingriffsregelung unterstützt. nisse nicht für die Bewohnerinnen und Bewohner von
Heimen Gültigkeit haben soll. Konkret befürchte ich
durch die Kompetenzverlagerung Verschlechterungen
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Klarheit bei der im Hinblick auf die Qualität von Pflege und Einschnitte
politischen Verantwortung, transparente Verfahren und bei den Verbraucherschutzrechten. Die abzusehenden
mehr Demokratie durch Stärkung der Parlamente: Das Schnittstellenprobleme zwischen der Pflegeversicherung
sind Ziele, die auch von mir geteilt werden. Deshalb war – SGB Xl – und dem dann föderalisierten Heimrecht
es auch unbedingt notwendig, nach den Verfassungsän- werden meiner Meinung nach gravierend sein.
derungen von 1994 und der damaligen Einführung des
Verfassungskriteriums der Erforderlichkeit den Versuch Siebtens. Im Umweltrecht sehe ich die Gefahr, dass
zu unternehmen, sich durch politisch souveräne Ent- wichtige über Ländergrenzen hinausgreifende Problem-
scheidungen der beiden Kammern von der Anhängigkeit lagen nicht angemessen gelöst werden können.
von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu
befreien und insgesamt zu einer klareren Zuordnung der Achtens. Ich nehme die Sorgen ernst, dass ein grund-
politischen Verantwortlichkeiten in den Landesparla- sätzlich unterschiedlich strukturierter und besoldeter öf-
menten und im Bundestag zu kommen. fentlicher Dienst angesichts der sehr unterschiedlichen
Finanzkraft der Länder zu einer massiven Verzerrung in
Mit meiner Zustimmung zu der vorliegenden Verfas- der Ausstattung wie der Leistungskraft des öffentlichen
sungsreform will ich grundsätzlich anerkennen, dass es Dienstes in Deutschland führen kann und auch die Mobi-
hier zu substanziellen Verbesserungen und Klärungen lität behindert.
gegenüber der jetzigen Verfassungslage gekommen ist.
Ich stelle fest, dass insbesondere in den letzten Verhand- Grundsätzlich stelle ich fest: Der solidarische Födera-
lungsrunden noch wichtige Verbesserungen in den Orga- lismus war bisher ein Fundament der Erfolgsgeschichte
nisations- und Verfahrensfragen erreicht worden sind, der Bundesrepublik. Dieses Fundament darf nicht zer-
wie auch in der Verteilung der Zuständigkeiten von stört werden durch einen Wettbewerbsföderalismus, der
Bund und Ländern, hier vor allen Dingen im Bildungs- gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Solidarität
bereich. erschwert oder gar verhindert. Ich mache mit meiner Er-
klärung auch deutlich, dass ich bei den weiteren Ver-
Auf der anderen Seite muss und will ich nachdrück- handlungen über die zukünftige Gestaltung der Bund-
lich deutlich machen, dass es weiterhin klare Kritik- Länder-Finanzbeziehungen für unverzichtbar halte, dass
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4345

(A) die Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhält- eventuelle Länderneugliederung ist kein Thema, und auf (C)
nisse zentrales politisches Ziel und Verfassungsauftrag Dauer nicht lebensfähige Länder bleiben erhalten. Der
auch für die Zukunft bleiben muss. Hieran haben sich gesamte grundlegende Bereich der Finanzbeziehungen
auch alle Überlegungen zu den zukünftigen Finanzbezie- bleibt ausgeklammert, obwohl hier die schwierigsten
hungen von Bund und Ländern und der Länder unterei- Probleme unseres Bundesstaates liegen und Kompetenz-
nander zu orientieren. zuweisungen ohne finanzielle Untersetzung mehr oder
weniger wertlos sind. Die derzeitige Föderalismusde-
Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ich batte kreist um den Innenausbau der Räume, ohne zuvor
werde dem Gesetzentwurf zustimmen. Die durch das durch Bildung leistungsfähiger Länder und die Regelung
Gesamtgesetz erreichte Entflechtung der Zuständigkei- der Finanzbeziehungen das Fundament gelegt zu haben.
ten, neu geschaffene Handlungs- und Entscheidungs- Zweitens. Diese Föderalismusreform wird entgegen
möglichkeiten zwischen dem Bund und den Bundeslän- den Ankündigungen zu einer Ausweitung der Zustim-
dern sowie die Erhöhung der Transparenz der mungspflicht des Bundesrats führen. Der Wegfall der
politischen Verantwortlichkeiten sind richtig und wich- Zustimmungspflicht bei einer bundesgesetzlichen Rege-
tig. lung des Verwaltungsverfahrens oder der Behördenein-
Allerdings habe ich in einem Punkt Bedenken. Aus richtung bei Verwaltungen der Bundesgesetze durch die
meiner Sicht besteht unter keinem Gesichtspunkt die Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 GG ist nur ein scheinbarer
Notwendigkeit einer Ergänzung des Art. 33 Abs. 5 GG Erfolg, da die Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG
um die Wörter „und fortzuentwickeln“ (Art. 1 Ziff. 3 des beliebig davon abweichen können. Im Gegenzug erwei-
Gesetzentwurfes). Dies wurde ausweislich der Proto- tert der neue Art. 104 a Abs. 4 GG die Zustimmungsbe-
kolle einvernehmlich schon in den fachlichen Beratun- dürftigkeit real und massiv. Künftig bedürfen alle Bun-
gen der Föderalismuskommission der vergangenen Le- desgesetze der Zustimmung des Bundesrates, wenn sie
gislaturperiode festgestellt. Alle Experten, die in der Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistun-
gemeinsamen Anhörung des Deutschen Bundestages gen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren
und des Bundesrates eine Stellungnahme abgegeben ha- Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen. Diese
ben, kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass kein Ände- Neufassung des Art. 104 a Abs. 4 GG ist für eine Viel-
rungsbedarf besteht. Sie verwiesen dabei auf die lang- zahl von Kontakten von Verwaltungen und Bürgern ein-
jährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schlägig und erweitert die Zustimmungsbedürftigkeit
zu Art. 33 Abs. 5 GG. Auch ein Blick in die Geschichte von Bundesgesetzen unabsehbar.
der Änderungen des Beamtenrechts unter der Geltung Drittens. Das neue Institut der Abweichungsgesetzge-
des Art. 33 Abs. 5 zeigt, dass eine Modernisierung und bung gemäß Art. 72 Abs. 3 GG (Jagdwesen, Natur- (D)
(B) Fortentwicklung des Beamtenrechts unter der derzeiti-
schutz, Bodenverteilung, Raumordnung, Wasserhaus-
gen Fassung des Grundgesetzes nicht nur theoretisch halt, Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse)
möglich war, sondern tatsächlich auch stattgefunden hat. widerspricht dem Ziel, Gesetzgebungszuständigkeiten
Es besteht daher weder politisch noch rechtlich eine Ver- eindeutiger zuzuordnen und dadurch mehr Transparenz
anlassung, die im Gesetzentwurf enthaltene Änderung zu schaffen. Macht ein Land von seiner Abweichungs-
vorzunehmen. Und da keine Veranlassung besteht, halte möglichkeit ganz oder teilweise Gebrauch, sind künftig
ich die Änderung für falsch. immer zwei gesetzliche Regelungen zur Beurteilung der
In den Beratungen des Gesetzentwurfs wurde festge- Rechtslage heranzuziehen; bei Vorhandensein europäi-
stellt, dass die Änderung lediglich deklaratorischer Na- schen Richtlinienrechts sogar drei. Dies führt zu einer
tur sein soll und die derzeit bestehende Verfassungs- Fülle von Unklarheiten und Abgrenzungsproblemen. Das
rechtsprechung in den Verfassungstext aufnehmen soll. wechselseitige Abweichen ist an keinerlei inhaltliche Vo-
Ich stelle fest, dass die lediglich deklaratorische Ände- raussetzungen gebunden, sodass bei unterschiedlichen
rung mit entscheidend dafür ist, dass ich das oben ange- politischen Auffassungen ein Gesetzgebungswettlauf und
sprochene Votum abgebe. Ich halte die Änderung des eine Pingpong-Gesetzgebung verfassungsrechtlich mög-
Art. 33 Abs. 5 GG aber nach wie vor für ein falsches lich sind und politisch auch stattfinden werden.
politisches Signal und für fachlich nicht geboten. Besonders bedenklich ist der Sechs-Monate-Auf-
schub in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG, nach der Bundesge-
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Den Gesetzentwurf der setze auf diesen Gebieten frühestens sechs Monate nach
CDU/CSU und SPD zur Änderung des Grundgesetzes ihrer Verkündung in Kraft treten. Über die Verweisung
(Bundestagsdrucksache 16/813) sowie der Gesetzent- in Art. 84 Abs. 1 Satz 3 GG gilt dieser Sechs-Monate-
wurf der CDU/CSU und SPD eines Föderalismusreform- Aufschub wohl für die Mehrheit der Bundesgesetze,
Begleitgesetzes (Bundestagsdrucksache 16/814) lehne aber offenbar nicht für die abweichende Landesgesetz-
ich nach Abwägung der Vor- und Nachteile ab, da die gebung. Dies beinhaltet eine deutliche Abnahme an de-
Gesetzgebungskompetenzen komplizierter werden, die mokratischer Handlungsfähigkeit des Bundes.
Gesetzgebung langwieriger wird und es ein Mehr an Ge-
setzen und Bürokratie für immer mehr überforderte Bür- Viertens. Selbst wenn man unterstellt, dass alle
gerinnen und Bürger geben wird. 16 Länder die ihnen neu erwachsenden Gesetzgebungs-
kompetenzen in gleicher Qualität erfüllen können wie
Erstens. Diese Föderalismusreform ist ein „Torso“, da der Bund, entsteht allein aufgrund des Vorhandenseins
wesentliche und grundlegende Elemente fehlen: Eine von bis zu 17 verschiedenen Regelungen ein deutliches
4346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Plus an Gesetzen, Bürokratie und Unübersichtlichkeit. liche Voraussetzung für die Verbesserung der Lebensla- (C)
Und dies bei der Mehrzahl aller Gesetzgebungszustän- gen von Kindern und Jugendlichen. Dies sehe ich durch
digkeiten, nämlich dem Bereich der Abweichungsge- die Föderalismusreform gefährdet. Beispielhaft genannt
setzgebungen gemäß Art. 72 Abs. 3 GG, sämtlichen seien die mögliche Abschaffung der kommunalen Ju-
Bundesgesetzen gemäß Art. 84 Abs. 1 GG, die die Ein- gendämter sowie der Landesjugendämter, die unserer
richtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren re- Einschätzung nach notwendig sind für eine qualifizierte,
geln, sowie bei den neu auf die Länder zu verlagernden schnelle, zielgenaue und effiziente Hilfegewährung.
Gesetzgebungskompetenzen (Recht des öffentlichen
Dienstes, Versammlungsrecht, Strafvollzug, Presserecht, Zweitens. Ich halte die Übertragung der Kompetenz
Heimrecht, Messerecht, Grundstücksverkehr und viele für das Heimrecht auf die Länder nicht für richtig. Das
mehr). Verlierer wären die Bürger und die Wirtschaft, Heimrecht gehört – wie alle anderen Bereiche der öffent-
die immer mehr den Überblick verlören; Gewinner die lichen Fürsorge – in Bundeszuständigkeit. Es ist nicht
juristischen Fachverlage, die eine Unmenge an neuen nachvollziehbar, warum die Herstellung gleichwertiger
Loseblattsammlungen auflegen könnten. Lebensverhältnisse nicht für die Bewohnerinnen und Be-
wohner von Heimen Gültigkeit haben soll. Konkret be-
Künftig können beispielsweise die Länder das Abitur fürchte ich durch die Kompetenzverlagerung Ver-
oder auch den Studienabschluss eines anderen Landes schlechterungen im Hinblick auf die Qualität von Pflege
nicht mehr anerkennen, was die Mobilität in Deutsch- und Einschnitte bei den Verbraucherschutzrechten. Die
land einschränkt und im Widerspruch zu den europäi- abzusehenden Schnittstellenprobleme zwischen der Pfle-
schen Harmonisierungsbestrebungen steht. Im Umwelt- geversicherung – SGB XI – dem dann föderalisierten
recht gehen einheitliche Standards verloren, obwohl Heimrecht werden unserer Meinung nach gravierend
Hochwasser oder Abgase bekanntlich nicht an Länder- sein.
grenzen Halt machen. Im öffentlichen Dienstrecht wer-
den 16 Länder jetzt Dienstrechtsabteilungen aufbauen, Drittens. Ich kritisiere die Kompetenzabgabe des
die ein nicht mehr zu überblickendes Wirrwarr von bis Bundes im Bereich des Jugendstrafvollzugs auf Länder.
zu 17 verschiedenen Beamten-, Laufbahn-, Besoldungs- Ebenso wie das Heimrecht ist meiner Ansicht nach der
und Versorgungsrechten schaffen werden, die sowohl Jugendstrafvollzug im Bundesrecht anzusiedeln. Ich be-
eine länderübergreifende Zusammenarbeit als auch ei- fürchte eine Dezimierung der finanziellen Ausstattung
nen Dienstherrenwechsel fortan so gut wie unmöglich und dementsprechend eine geringere Qualität in der För-
machen werden. derung der Jugendlichen in den Gefängnissen. Letztend-
lich sehe ich die Resozialisierung als oberes Ziel des
Fünftens. Art. 23 Abs. 6 GG, der die Wahrnehmung Jugendstrafvollzugs in Gefahr, sollten jugendliche Straf-
(B) der Rechte der Bundesrepublik Deutschland in der Euro- täter keine besondere, auf sie zugeschnittene Förderung (D)
päischen Union vom Bund auf einen Ländervertreter mehr erhalten
überträgt, wenn im Schwerpunkt Länderkompetenzen
auf dem Gebiet der schulischen Bildung, der Kultur oder Grundsätzlich halte ich eine Föderalismusreform aber
des Rundfunks betroffen sind, ist europauntauglich. Eine für geboten und sinnvoll. Gesetzgebungskompetenzen
einheitliche Außenvertretung der Bundesrepublik klarer zu trennen, die Anzahl der zustimmungspflichti-
Deutschland in Brüssel ist damit nicht mehr gewährleis- gen Gesetze zu reduzieren und damit den Bund hand-
tet und der eigene Einfluss schwindet, da die übliche Bil- lungsfähiger zu machen, für die Bürgerinnen und Bürger
dung von Koalitionen, Kompensationsgeschäfte und die größere Transparenz im Hinblick auf politische Verant-
dauernde Präsenz eines Vertreters nicht mehr gewähr- wortlichkeiten zu schaffen, sind Ziele, die ich für richtig
leistet sind. Andere Bundesstaaten lösen dieses Problem halte und die meine Unterstützung finden. Die Errei-
wesentlich effektiver: In Österreich liegt die Außenver- chung dieser Ziele hat für mich so großes Gewicht, dass
tretung des Bundesstaates in Brüssel grundsätzlich beim ich dem Entwurf trotz unserer Bedenken zustimme.
Bund und die Rechte der Länder werden innerstaatlich
über eine Bindungswirkung von Stellungnahmen der Michael Link (Heilbronn) (FDP): Der Föderalismus
Länder gewährleistet. Deutschlands ohnehin unterpro- in der Bundesrepublik Deutschland ist das Resultat unse-
portionaler Einfluss in Brüssel wird weiter zurückgehen. rer Geschichte und Verfassung. Der Bund ist durch die
Länder entstanden und durch das deutsche Volk in sei-
Jürgen Kucharczyk (SPD): Ich stimme dem oben nen Ländern ist die Einheit Deutschlands herbeigeführt
genannten Gesetzentwurf trotz Bedenken zu. Meine Be- worden. Diese Einheit Deutschlands lebt durch den Fö-
denken wurden durch die Sachverständigenanhörung des deralismus, die Vielfalt der verschiedenen Ideen, Kon-
Deutschen Bundestages und des Bundesrates nicht aus- zepte und politischen Entscheidungen. Mit gutem Grund
geräumt, sondern bekräftigt. hat der Parlamentarische Rat 1948/49 ein System ge-
schaffen, in dem ein „Trial-and-Error“-Prozess möglich
Erstens. Der vorliegende Entwurf der Föderalismus- ist.
reform räumt den Ländern großen Gestaltungsspielraum
im Hinblick auf die Bestimmung von Verwaltungsver- Der Grundgedanke des Wettbewerbs zwischen politi-
fahren und Behördeneinrichtungen ein. Ich befürchte schen Systemen und Ansätzen ist notwendiger denn je.
hierdurch negative Auswirkungen auf die Kinder- und Wettbewerbsföderalismus, also das stetige Ringen um
Jugendhilfe. Denn ein gemeinsamer Rahmen von Stan- die effizientesten Problemlösungsmechanismen ist we-
dards und Strukturen bleibt auch weiterhin eine wesent- sentlich für die politische Entwicklung in der Bundesre-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4347

(A) publik Deutschland und für unsere Zukunft als polyzen- Der Weg zu einer klaren Abgrenzung von Zuständig- (C)
tristische, non-zentrale Gesellschaft. keiten, den sowohl die Fraktionen der CDU/CSU, der
SPD, aber auch die FDP immer wieder gefordert und
Den Föderalismus zu erhalten ist nicht nur ein aus
konstruktiv vorangetrieben haben, geht grundsätzlich in
Art. 20 GG sich ergebendes Gebot, sondern verschafft
die richtige Richtung. Gerade die FDP in Bund und Län-
dem deutschen Staat auch einen zukunftsweisenden,
dern war und ist auf diesem Felde seit Jahrzehnten Vor-
qualitativen Vorsprung. Mit diesem politischen System
denkerin und Antreiberin.
sind wir in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer
Gründung sicher und gut gefahren. Im Rahmen der föde- Heute wird seitens der Regierungsfraktionen CDU/
ralen Regelungen wurde die europäische Integration CSU und SPD ein Gesetzentwurf zur Entscheidung ge-
Deutschlands erfolgreich gestaltet. Die Bundesrepublik bracht, der teilweise Klarstellungen von Zuständigkeiten
Deutschland hat sich dank unserer föderalen Ordnung und die Reduzierung von Mischkompetenzen beinhaltet.
fortschrittlich, kreativ und stabil sowie mit einer reichen Betrachtet man die Klarstellung der Zuständigkeiten al-
pluralistisch-demokratischen Kultur entwickelt. Dieses lein, ist diese Reform ein Schritt in die richtige Richtung
föderale System hat zusammen mit der Garantie der und wäre aufgrund der Tendenz möglicherweise zustim-
kommunalen Selbstverwaltung maßgeblichen Anteil an mungswürdig. Denn schon die bloße Reduzierung der
der tief verwurzelten, demokratischen Haltung der Bür- Zustimmungsvorbehalte durch den Bundesrat ist für sich
gerinnen und Bürger und hat das Ansehen der Bundesre- allein bereits begrüßenswert. Insofern befürworte ich
publik Deutschland als Bundesstaat innerhalb der Euro- ausdrücklich das Bemühen der vorliegenden Föderalis-
päischen Union und weit darüber hinaus gefördert. musreform, den demokratischen Bundesstaat weiter zu
entwickeln.
Für Liberale ist das Vertrauen in jeden Einzelnen und
in die Entscheidungsfähigkeit der Bürger kennzeich- Allerdings ist eine Zustimmung zu dem Gesetzent-
nend. Dementsprechend ist der Grundsatz der Subsidia- wurf insgesamt nicht möglich, da ein entscheidender
rität nicht nur ein technokratischer Begriff sondern ge- Punkt nicht angegangen wurde: Allein die Klarstellung
lebte Graswurzeldemokratie. Wenn ein Problem vor Ort, von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern hilft
also in der eigenen Gemeinde oder im eigenen Bundes- wenig, wenn eine klare Bereitschaft der Regierungsfrak-
land gelöst werden kann, so muss der Gesetzgeber dies tionen zur Reform der Finanzverfassung nicht existiert.
rechtlich auch tatsächlich ermöglichen. Die Verteilung Denn gerade die Reform der Finanzverfassung ist essen-
der Verantwortung zwischen dem Individuum, der Kom- ziell, um Wettbewerb zwischen den Ländern um die bes-
mune, dem Land, dem Bund und der Europäischen ten Lösungen zu erreichen. Eine bloße, unverbindliche
Union nach dem Grundsatz der Subsidiarität muss Ankündigung der Frau Bundeskanzlerin sowie eine un-
grundgesetzlich garantiert und ausgestaltet sein. Die vor- klare Absichtserklärung durch einige Ministerpräsiden-
(B) (D)
liegende Föderalismusreform ist ein Schritt in diese rich- ten reicht nicht aus, um die politisch erforderliche Ver-
tige Richtung. bindung zwischen der klaren Aufgabenzuteilung auf der
einen und der Finanzmittel-“Verteilung“ auf der anderen
Ich stehe zu der Meinung, dass nur das, was unbe-
Seite glaubhaft und sichtbar werden zu lassen. Aber bei-
dingt von der Bundesebene entschieden und umgesetzt
des wäre vonnöten, denn es handelt sich um zwei Seiten
werden muss, auch dort entschieden werden darf: Nur
ein- und derselben Medaille.
das Nötigste zentral; dieser Satz gilt, unabhängig davon,
wer ihn ausspricht. Denn die Subsidiarität politischer Nur durch eine konsequente Änderung der Finanzver-
Entscheidungen und der Vollzug derselben ist ein urlibe- fassung im Grundgesetz lässt sich der Wettbewerbsföde-
raler Ansatz. Der Wettbewerbsföderalismus, der durch ralismus auf Dauer sichern. Die Bewegung sollte dabei
die vorliegende Reform gestärkt wird, trägt diesem An- nicht nur vom Bund, sondern muss auch – unter anderem
satz am effizientesten Rechnung. im Hinblick auf eine mögliche Neugestaltung der Län-
dergrenzen – von den Ländern ausgehen.
Gleichzeitig ist es erforderlich, das föderale System
stetig anzupassen, um es handlungsstark zu halten: Eine vielfach in der öffentlichen Diskussion und in
Langwierige Entscheidungswege im Gesetzgebungsver- den der heutigen Abstimmung vorangegangenen Anhö-
fahren, vielfach unklare Zuständigkeiten zwischen rungen geäußerte Besorgnis einer möglichen Absenkung
Bund, Ländern und Selbstverwaltungskörperschaften oder Anhebung von Standards oder der Rechtszersplitte-
machen deutlich, dass eine Reform erforderlich ist. Es rung durch unterschiedliche Gesetze in den Ländern
gilt, nicht nur den Föderalismus sondern auch das De- oder damit zusammenhängende Entscheidungen der
mokratieprinzip, den Rechtsstaat und die individuellen Gerichte verkennt die Natur des Prinzips Wettbewerbs-
Grundrechte in Deutschland zu stärken. föderalismus. In Anbetracht der gewollten Auseinander-
setzung mit unterschiedlichen Politikansätzen und -kon-
Durch eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten zwi-
zepten, dem Wettbewerb der Ideen und einem gewollten
schen Bund und Ländern werden die Legislativorgane
„Trial-and-Error“-Prozess sind und bleiben Ungleichhei-
der Länder und der Deutsche Bundestag gestärkt und
ten und unterschiedliche Entwicklungen dem Föderalis-
gleichzeitig Entscheidungen im völlig intransparent ar-
mus notwendigerweise immanent.
beitenden Vermittlungsausschuss zahlenmäßig stark re-
duziert. Eine klare Abgrenzung der Kompetenzen macht Im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundesta-
deutlich, wer für welche Entscheidungen die Verantwor- ges zur heutigen Abstimmung sind vor allem Ände-
tung trägt. Dies stärkt die Demokratie in der Bundesre- rungsanträge gestellt worden, die eine Beibehaltung von
publik Deutschland. Kompetenzen beim Bund oder die eine Übertragung von
4348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Aufgaben an den Bund zum Inhalt hatten. Dies ist be- Der Grundgedanke dieser föderalen Jahrhundertre- (C)
merkenswert und beunruhigend; eine gesetzgeberische form sollte aber sein, klare Kompetenzen, klare Zustän-
Tendenz zur weiteren Zentralisierung von Aufgaben digkeiten, klare Verantwortlichkeiten zu schaffen.
setzt immer eine an dem Grundgedanken der Subsidiari-
tät orientierte Vorabprüfung voraus. Diese hat aber mei- Gerade in der Bildungspolitik hat die große Koalition
nes Erachtens nicht stattgefunden. Für mich gilt der auch der Mut zu einer nachhaltigen, richtung weisenden föde-
in dieser Föderalismusreform unangetastete Grundsatz ralistischen Orientierung verlassen. Durch die Bildungs-
aus Art. 70 Abs. 1 GG, wonach grundsätzlich die Länder zentralisten der SPD ist der gesamte Ansatz für ein Ein-
die Befugnis zur Gesetzgebung haben. mischungsverbot des Berliner Bildungsbürokratismus
aufgeweicht worden. Wer wirklich glaubt, dass Bildung
Angesichts der – aus meiner Sicht bedauerlicherweise – dann besser läuft, wenn sie schul- und hochschulfern
überwiegend ablehnenden Haltung der FDP-Fraktion zur von Berlin aus ihre zentrale Prägung erhält, hat aus den
vorliegenden Föderalismusreform einerseits und ange- PISA-Studien nichts gelernt. Im Zentrum einer moder-
sichts des Haltmachens dieser Reform auf halbem Wege nen Bildungspolitik darf nicht Berlin stehen, sondern
andererseits (fehlende Reform der Finanzverfassung), müssen die Schüler und Studenten stehen. Bildung wird
habe ich mich entschlossen, mich in der heutigen umso erfolgreicher sein, je weniger zentral, je weniger
Schlussabstimmung zur Föderalismusreform – anders bürokratisch und je näher an den Schülern und Eltern sie
als meine Fraktion – der Stimme zu enthalten. sich orientiert. Um Schritt für Schritt die selbstständige
Schule und die autonome Universität durchzusetzen,
Patrick Meinhardt (FDP): Der vorliegende schwa- braucht Deutschland eine dezentrale Bildungspolitik.
che Kompromissentwurf, der von der rot-schwarzen Deswegen ist es fahrlässig, dass das Kooperationsverbot
Koalition immer noch Föderalismusreform bezeichnet auf dem Altar des Koalitionsgeschacheres geopfert wird.
wird, ist mut- und perspektivlos. Deswegen stimme ich So sehr zu begrüßen ist, dass wenigstens die Schule
gegen die vorgelegten Grundgesetzänderungen. vom Bund befreit wird, verstetigt die jetzige Regelung
Wer will, dass ein Ruck durch Deutschland geht, der einzig und allein das Kompetenzwirrwarr zwischen
braucht einen klaren ordnungspolitischen Kompass, der Bund und Ländern. Wer Deutschland reformieren will,
braucht ein eindeutiges Bekenntnis zum Wettbewerbs- muss sich ohne Wenn und Aber zum Wettbewerbsföde-
föderalismus, der braucht mehr Freiheit vor Ort. ralismus bekennen.

Dieses rot-schwarze Regelwerk ist deswegen nicht


Dr. Matthias Miersch (SPD): Die Reform unseres
zukunftsweisend, weil es wichtige Themen ausklam-
föderalen Systems ist angesichts der Herausforderungen
(B) mert: in Europa und in einer globalisierten Welt notwendig. (D)
Erstens. Die Bundesregierung hat keine verbindliche Auch die Situation der öffentlichen Haushalte verlangt
Haltung zu einer Reform der Finanzverfassung einge- einen effizienteren und leistungsfähigeren Staatsaufbau.
nommen. Wer aber den Staat irgendwie neu ordnen will Eine entsprechende Reform muss deshalb diesen Anfor-
und die wichtige Frage der Finanzen außen vor lässt, der derungen gerecht werden. Die Verfassung ist die Grund-
lügt sich in die Tasche. Solange jedoch die Finanzbezie- lage unseres Zusammenlebens. Eine derartige Entschei-
hungen zwischen dem Bund und den Ländern und zwi- dung hat grundsätzliche Bedeutung. Sie stellt eine
schen den Ländern ausgeklammert bleiben und auch Gewissensentscheidung dar, bei der alle Abgeordneten
nicht erkennbar wird, dass die Koalition wirklich vorhat, das Wohl des ganzen Volkes berücksichtigen müssen.
diese heißen Eisen anzupacken, ist eine Föderalismusre- Einer Änderung der Verfassung, die nach meiner festen
form das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben Überzeugung die Lebensverhältnisse in Deutschland ne-
steht. gativ beeinflusst und den Herausforderungen der Zu-
kunft nicht gerecht wird, kann ich nicht zustimmen.
Zweitens. Die Städte und Gemeinden werden weiter-
hin im Stich gelassen. Wann, wenn nicht jetzt, muss das Im Einzelnen:
Konnexitätsprinzip ins Grundgesetz. „Wer bestellt, be-
zahlt!“ muss endlich zu einem Grundprinzip unserer Erstens. Die größte Verfassungsänderung seit 1949
Politik in Deutschland werden. Der Koalition fehlt der sollte durch die umfangreichste Anhörung im Deutschen
Mut zu klaren Entschlüssen. Einem Land geht es immer Bundestag vorbereitet werden. Eine angemessene Aus-
nur so gut, wie es den Städten gut geht. wertung dieser Anhörung hat nicht stattgefunden. Sie
hätte die nachfolgenden Punkte berücksichtigen können.
Drittens. Das Thema Länderneugliederungen ist voll- Das Engagement unseres Fraktionsvorsitzenden Peter
kommen ausgegliedert. Die Zeit für 16 Landesregierun- Struck für eine entsprechende Anhörung und Auswer-
gen mit 16 Landesbürokratien ist zu Ende. Aber dies ist tung möchte ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich
im Rahmen dieser Föderalismusreform noch nicht ein- anerkennen und hervorheben. Hätte die Mehrheit der
mal ein Thema. Verhandlungspartner ebenso gehandelt, wäre eine ange-
messene Beratung und Entscheidung möglich gewesen.
Viertens. Bei zentralen Fragen der deutschen Politik
brauchen wir endlich Bürgerbeteiligung in Form von Zweitens. Deutschland wird durch diese Verfassungs-
Volksabstimmungen. Warum hat diese Koalition nicht änderung die großen Herausforderungen, die sich in Eu-
den Mut, der Bevölkerung mehr Mitsprache zwischen ropa und in einer globalisierten Welt ergeben, nicht bes-
den Wahlen einzuräumen. ser wahrnehmen können. Die vorgesehene Fassung des
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4349

(A) Art. 23 GG und die Einführung der Abweichungsgesetz- wirkliche Reform lässt sich nicht erreichen, wenn Bun- (C)
gebung sind kontraproduktiv. Sie schwächen die europa- destag und Bundesrat um die Kompetenzverteilung rin-
und völkerrechtliche Handlungsfähigkeit Deutschlands gen. Nur die die Schaffung einer verfassungsgebenden
zum Beispiel im Bereich der Bildungs- und Umweltpoli- Versammlung und der Weg über Art. 146 GG wird einen
tik. Zukünftig wird es jedoch gerade auf diese Politikfel- effektiven Staatsaufbau ermöglichen, der schließlich
der ankommen. auch europatauglich ist.
Drittens. Rechtsdogmatisch wird durch die Möglich-
keit der Abweichungsgesetzgebung ein Instrumentarium Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Den Gesetzentwür-
geschaffen, das nicht zu mehr Transparenz in der Kom- fen zur Änderung des Grundgesetzes und des Föderalis-
petenzverteilung, Effizienz und Rechtsklarheit führen musreform-Begleitgesetzes konnte ich nicht zustimmen.
wird, sondern zu Rechtszersplitterung und Kompetenz- Im Folgenden führe ich meine Gründe dafür aus!
wirrwarr. Im Urteil vom 24. Oktober 2002 – 2 BvF 1/01
Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen. Das
(NJW 2003, S. 41 ff. (44)) führt das Bundesverfassungs-
System des Föderalismus in der Bundesrepublik – ein
gericht aus:
Erfolgsmodell – habe ich stets bewundert, nicht zuletzt
Eine „Doppelzuständigkeit“, auf deren Grundlage wegen seines solidarischen Prinzips. Nun befürchte ich,
Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in dass diese Solidarität unter den Ländern eingebüßt und
unterschiedlicher Weise regeln könnten, ist dem durch einen Wettbewerbsföderalismus ersetzt wird; wo-
System der verfassungsrechtlichen Kompetenznor- bei es sich dabei um einen Wettbewerb auf Basis unglei-
men fremd und stünde mit ihrer Abgrenzungsfunk- cher Ausgangsbedingungen handelt. Das verstößt gegen
tion (Art. 70 II GG) nicht im Einklang. einen mir persönlich besonders wichtigen Grundsatz, die
Gerechtigkeit.
Es ist nicht zu begründen, warum diese Grundsätze
aufgehoben werden. Wenn angeführt wird, dass die Län- Meine politische Sozialisation in der SED-Diktatur
der von der Abweichungskompetenz häufig keinen Ge- trägt auch zu Bedenken bei, die nicht inhaltlicher Natur
brauch machen werden, so fragt sich, warum man diese sind. Mein Recht, als Abgeordneter eine freie Gewis-
Regelung dann schafft. sensentscheidung treffen zu können, genieße ich ganz
bewusst.
Viertens. Die Ausgestaltung des Art. 104 a GG und
das Zustimmungserfordernis des Bundesrates im Rah- Die Reform unseres Staatsaufbaus ist angesichts der
men der Art. 72 und 84 GG widersprechen dem Ziel der Herausforderungen in Europa und in einer globalisierten
Verfassungsänderung, die Quote der zustimmungspflich- Welt sowie vor dem Hintergrund der Situation in den
(B) tigen Gesetzesvorhaben deutlich zu reduzieren, wenn- einzelnen Bundesländern notwendig. Eine entspre- (D)
gleich diese Fragestellung ohnehin nicht lediglich auf chende Reform muss deshalb den damit verbundenen
die Quantität, sondern vielmehr an den jeweiligen Inhal- Anforderungen gerecht werden. Die Verfassung ist die
ten der Gesetzesmaterien ausgerichtet sein muss. Grundlage unseres Zusammenlebens. Jede Änderung hat
grundsätzliche Bedeutung. Sie stellt eine Gewissensent-
Fünftens. Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik sind
scheidung dar, bei der alle Abgeordneten das Wohl des
die Felder, auf denen zukünftig zentrale Herausforderun- ganzen Volkes berücksichtigen müssen. Einer Änderung,
gen bestehen. Es gibt ein gesamtstaatliches Interesse, das die nach meiner festen Überzeugung die Lebensverhält-
durch die vorgesehene Kompetenzverteilung und durch
nisse in Deutschland negativ beeinflusst und den He-
die Fassung des Art. 104 b GG nicht erfüllt werden rausforderungen der Zukunft nicht gerecht wird, kann
kann. Dies gilt auch für weitere Bereiche, wie zum Bei- ich nicht zustimmen. Vor allem in folgenden Bereichen
spiel für den Strafvollzug.
sehe ich enorme Schwierigkeiten: Umwelt, Heimrecht,
Sechstens. Ein Wettbewerb um die besten Lösungen Strafvollzug sowie Beamtenrechtbesoldung.
in den einzelnen Bundesländern darf den Grundsatz der
Die größte Verfassungsänderung seit 1949 sollte
Solidarität nicht vernachlässigen. Er setzt zudem ge-
durch die größte Anhörung vorbereitet werden. Eine
sunde Ausgangsbedingungen voraus, die nicht gegeben
angemessene Auswertung dieser Anhörung hat nicht
sind. Es ist zu befürchten, dass in zentralen Bereichen
stattgefunden. Sie hätte die nachfolgenden Punkte be-
ein Wettlauf „nach unten“ einsetzen wird und negative
rücksichtigen können. Das Engagement unseres Frak-
Verhältnisse zementiert werden. Dabei geht es nicht pri-
tionsvorsitzenden Peter Struck für eine entsprechende
mär um die Frage, welche Ebene Aufgaben besser erfül-
Anhörung und Auswertung möchte ich in diesem Zu-
len kann. Die finanziellen Rahmenbedingungen setzen
sammenhang ausdrücklich anerkennen und hervorheben.
Grenzen.
Hätte die Mehrheit der Verhandlungspartner ebenso ge-
Siebtens. Gerade im Bereich der Umweltpolitik sind handelt, wäre eine angemessene Beratung und Entschei-
angesichts der Standortwettbewerbe und ökonomischen dung möglich gewesen.
Zwänge Aufweichungstendenzen im Rahmen der Ab-
weichungsgesetzgebung zu befürchten. Die Anhörung hat ergeben, dass sich die im Koali-
tionsvertrag definierten Ziele (Verbesserung der Hand-
Achtens. Die Reform des Föderalismus wird und lungsfähigkeit des Staates – Seite 109; Vereinfachung
muss weiter ein zentrales Thema bleiben. Ich halte an des Umweltrechts – Seite 67; Weiterentwicklung der
dem Weg fest, den ich mit Professor Hans Meyer und Aufgaben von Bund und Ländern im Bereich der Bil-
mit dem Kollegen Steffen Reiche aufgezeigt habe. Eine dung – Seite 41; Gewährleistung sozialer Sicherheit –
4350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Seite 96 f.) mit der vorgeschlagenen Verfassungsände- nen Wettbewerb „nach oben“ eröffnen. Dabei ist auch (C)
rung (auch als Anlage dem Koalitionsvertrag beigefügt) unbestritten, dass regionale und örtliche Besonderheiten
nicht realisieren lassen. Dieser Widerspruch hätte im im Rahmen der Abwägungsprozesse auch auf der
parlamentarischen Verfahren aufgeklärt und gelöst wer- Grundlage bundeseinheitlicher Standards berücksichtigt
den müssen. werden können.
Deutschland wird durch diese Verfassungsänderung Der Aufbau des Staates und die Funktionsfähigkeit
die großen Herausforderungen, die sich in Europa und in des Staates berühren auch den Aspekt der Nachhaltig-
einer globalisierten Welt ergeben, nicht besser wahrneh- keit. Die vorliegende Verfassungsänderung ist nicht
men können. Die vorgesehene Änderung des Art. 23 GG nachhaltig, obwohl die aktuellen Mehrheitsverhältnisse
und die Einführung der Abweichungsgesetzgebung sind die Möglichkeit eröffnen, wirklich zukunftsfähige Lö-
kontraproduktiv. Sie schwächen die europa- und völker- sungen zu realisieren.
rechtliche Handlungsfähigkeit Deutschlands zum Bei-
spiel im Bereich der Bildungs- und Umweltpolitik. Zu- Steffen Reiche (Cottbus) (SPD): Die Föderalismus-
künftig wird es jedoch gerade auf diese Politikfelder reform wird das Verhältnis von Bund und Ländern nach-
ankommen. haltig verändern.
Rechtsdogmatisch wird durch die Möglichkeit der Vieles wird politische Entscheidungen klarer machen,
Abweichungsgesetzgebung ein Instrumentarium ge- Verantwortlichkeiten werden den Ebenen klar zugewie-
schaffen, das nicht zu mehr Transparenz in der Kompe- sen. Mehrheiten für eine bessere Föderalismusreform
tenzverteilung und Rechtsklarheit führen wird, sondern sind im Verfahren der Grundgesetzreform nicht erkenn-
zu Rechtszersplitterung und Kompetenzwirrwarr. Im Ur- bar, da die Länder sich die Reform mit für uns schwer
teil vom 24. Oktober 2002 – 2 BvF 1/01 (NJW 2003, annehmbaren Zugeständnissen haben abringen lassen.
S. 41 ff. (44)) führt das Bundesverfassungsgericht aus:
Der Bund gewinnt manches mit dieser Reform. Aber
Eine „Doppelzuständigkeit“, auf deren Grundlage
die Republik gewinnt damit noch nicht das 21. Jahrhun-
Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in
dert. Angesichts der Herausforderungen von Europäisie-
unterschiedlicher Weise regeln könnten, ist dem Sys-
rung und Globalisierung hätte das Verhältnis von Bund
tem der verfassungsrechtlichen Kompetenznormen
und Ländern klarer bestimmt werden müssen.
fremd und stünde mit ihrer Abgrenzungsfunktion
(Art. 70 II GG) nicht im Einklang. Unsere Sorge gilt insbesondere dem Paradigmen-
wechsel von dem Solidaritätsprinzip zu mehr Wettbe-
Es ist nicht zu begründen, warum diese Grundsätze
werbsföderalismus. Auch wir wollen den Wettbewerb
(B) aufgehoben werden. Wenn angeführt wird, dass die Län- der Regionen, aber mit einem einheitlichen Gesetzesrah- (D)
der von der Abweichungskompetenz häufig keinen Ge-
men für die Republik. Wir haben die Sorge, dass der
brauch machen werden, so fragt sich, warum man diese
Bundesstaat mit dieser Reform einen Schritt zurück in
Regelung dann schafft.
einen Bund teils dominanterer und teils schwächerer
Die Ausgestaltung des Art. 104 a GG und das Zustim- Länder macht. Das gefährdet nicht nur die Gleichheit der
mungserfordernis des Bundesrates im Rahmen der Lebensverhältnisse in Deutschland, sondern auch die
Art. 72 und 84 GG widersprechen dem Ziel der Verfas- Rolle Deutschlands in Europa und der Welt.
sungsänderung, die Quote der zustimmungspflichtigen
Wir kritisieren in besonderer Weise, dass das Beam-
Gesetzesvorhaben deutlich zu reduzieren, wenngleich
ten- und Besoldungsrecht, das Strafvollzugs- und das
diese Fragestellung ohnehin nicht lediglich auf die
Heimrecht in die Länderkompetenz übertragen und Ab-
Quantität, sondern vielmehr an den jeweiligen Inhalten
weichungsmöglichkeiten im Umweltrecht geschaffen
der Gesetzesmaterien ausgerichtet sein muss.
werden. Dies wird zu mehr Bürokratie führen, da es
Umwelt-, Bildungs- und Sozialpolitik sind die Felder, mehr zu beachtende Rechtsvorschriften gibt.
auf denen zukünftig zentrale Herausforderungen beste-
hen. Es gibt ein gesamtstaatliches Interesse, das durch Wir sprechen uns für ein Bundesbildungsgesetz aus
die vorgesehene Kompetenzverteilung nicht erfüllt wer- und werden weiter um Mehrheiten in der Politik dafür
den kann. werben, da eine Zweidrittelmehrheit in der Bevölkerung
dies wünscht und fordert.
Wettbewerbsföderalismus setzt gesunde Startbedin-
gungen voraus, die nicht gegeben sind. Es ist zu befürch- Wir stimmen in der Hoffnung zu, dass die geplante
ten, dass in zentralen Bereichen ein Wettlauf „nach un- zweite Stufe in der Föderalismusreform die Solidarität
ten“ einsetzen wird. Dabei geht es nicht um die Frage, der Bundesländer stärken wird. Schon jetzt wissen wir,
welche Ebene Aufgaben besser erfüllen kann. Die finan- dass dieses bisher größte Reformvorhaben nicht das
ziellen Rahmenbedingungen setzen Grenzen. letzte gewesen sein wird. Weitere Reformschritte, die die
Gefahr des Auseinanderklaffens der Lebensverhältnisse
Gerade im Bereich der Umweltpolitik sind angesichts in sich tragen, können und dürfen nicht erfolgen. Diese
der Standortwettbewerbe und ökonomischen Zwänge Reform wird schneller als die von 1994 an ihre Grenzen
Aufweichungstendenzen im Rahmen der Abweichungs- stoßen. Sehr bald wird deutlich werden, dass der inner-
gesetzgebung zu befürchten. Dagegen verhindern klare staatliche Ausgleich, die notwendigen Reformen in
und bundeseinheitliche Regelungen diese Entwicklung. Deutschland sowie die Ausgestaltung der Rolle von
Einfachgesetzliche Öffnungsklauseln können dabei ei- Deutschland in Europa und der Welt nicht genügend gut
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4351

(A) möglich sein werden. Mit dieser Grundgesetzreform das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit (C)
aber ist deutlich geworden, dass man so das Grundgesetz an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die
nicht angemessen reformiert kann. von dem deutschen Volke in freier Entscheidung be-
schlossen worden ist“ – Art. 146 des Grundgesetzes.
Alle wollen eine grundlegende Reform des Föderalis- Dass dieses Grundgesetz die beste Verfassung ist, die
mus. Denn Deutschland braucht ein neues Miteinander Deutschland bisher hatte, sieht man nicht nur daran, dass
von Bund und Ländern. sie sich in Vielem so bewährt hat, sondern dass sie wie
Naturgemäß aber haben die Länder eine grundlegend alles Große über sich hinausweist.
andere Vorstellung von der Mutter aller Reformen als Das gewählte deutsche Parlament schafft die Voraus-
der Bund und die Bürger. Im bisherigen Verfahren ist aus setzungen zur Wahl einer verfassungsgebenden Natio-
diesen widersprüchlichen Interessen von Bund und Län- nalversammlung oder konstituiert sich selbst als Verfas-
dern nur ein mühsamer Kompromiss geworden. Es sungsgebende Versammlung. Es geht damit den von den
wurde gefeilscht und gehandelt. Für das eine, was gege- Vätern und Müttern des Grundgesetzes gerade für den
ben wurde, musste etwas anderes an Verantwortung Fall der deutschen Einheit in Freiheit gewiesenen Weg.
übertragen werden. Oft war nicht die Frage maßgeblich, Es legt dem deutschen Volk eine neue Verfassung zur
wer es besser kann bzw. welche Ebene der Aufgabe ge- freien Entscheidung vor. 16 Jahre nach „Vollendung der
mäß ist. Das Motto war meist nicht „Was Deutschland Einheit und Freiheit Deutschlands“ haben wir allen An-
nützt, machen wir“ sondern „Wir geben dem Bund et- lass, demütig die Weisheit der Mütter und Väter des
was, wenn er uns dafür etwas gibt“. Grundgesetzes zu nutzen.
Herausgekommen ist eine Reform, mit der aus gegen-
Der Bundestag ist der von dem deutschen Volke ge-
sätzlichen Gründen niemand wirklich zufrieden ist. Weil
wählte Gesetz- und Verfassungsgeber. Gerade auch we-
keiner eine Alternative sieht zu dieser in einem jahrelan-
gen seiner im Grunde alternativlosen Bestimmung zu ei-
gen Ringen erkämpften und schon in einem ersten An-
ner Großen Koalition darf er diesen Auftrag auch für
lauf gescheiterten Reform, wollen alle missmutig zu-
sich annehmen. Der Bundestag muss in diesem Fall
stimmen.
nicht mit dem Bundesrat kooperieren wie Art. 79 Abs. 2
Das Ungleichgewicht zwischen den Ländern wird mit des Grundgesetzes für Grundgesetzänderungen vor-
dieser Reform vertieft. Deutschland wird seine Rolle als sieht. Denn das Verfahren nach Artikel 146 des Grund-
größter Partner in der EU nicht besser wahrnehmen kön- gesetzes ändert nicht das Grundgesetz, sondern es ersetzt
nen und Deutschlands Rolle in der globalen Dynamik es. Die maßgebende Entscheidung liegt nach Art. 146
wird nicht gestärkt. des Grundgesetzes beim Volk.
(B) Aber was passiert, wenn nach den Wochen, wenn Die Erarbeitung der Verfassung kann legitimerweise (D)
nach den Anhörungen im Mai jetzt über 38 Stimmen im nur durch ein vom ganzen deutschen Volk gewähltes
Bundestag fehlen werden und damit die Zweidrittel- Gremium erfolgen. Das ist der Bundestag, denn er setzt
mehrheit verfehlt wird? Viele Abgeordnete insbesondere sich aus Abgeordneten zusammen die in den alten Län-
der SPD und der Opposition verweisen darauf, dass dern und in den 1990 hinzugetretenen Ländern gewählt
Grundgesetzänderungen Gewissensfragen sind und sie worden sind. Schon die Wahl der Abgeordneten nach
deshalb ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag nicht in Landeslisten weist ihre föderale Herkunft aus.
die Koalitionsdisziplin zwingen kann. Zu viel steht auf
Sie können aus ihrer Mitte einen zwischen 50 und
dem Spiel.
100 Abgeordnete umfassenden Verfassungsausschuss
Deshalb muss die Frage gestellt werden: Wie geht es wählen und ihn mit der Erarbeitung einer neuen Verfas-
weiter, wenn die Reform scheitert? Die Frage bliebe: sung beauftragen.
Wie können wir den Föderalismus reformieren? Und die
Lage bliebe dieselbe: es geht nur in einer großen Koali- Ein paritätisch besetztes Gremium aus Bundesrat und
tion der beiden Volksparteien, weil nur so eine Zweidrit- Bundestag liefe Gefahr, in ähnliche Dilemmata zu gera-
telmehrheit, eine grundgesetzändernde Mehrheit erreicht ten, wie wir sie jetzt bei der Diskussion um die Födera-
werden kann. Ein Dilemma, das viele zwingen könnte, lismusreform vorfinden. Eines ist klar: Der Föderalis-
nolens volens doch zuzustimmen. Wider besseren Wis- mus soll mit dem Ziel erneuert werden, zu seiner Stärke,
sens, dass Deutschland damit nur anders, aber nicht bes- der sinnstiftenden Machtverteilung zwischen Bund und
ser wird, dass Deutschland für die Herausforderungen in Ländern nach dem Subsidiaritätsprinzip zu finden und
Europa und der Welt zumindest nicht besser aufgestellt einen Wettbewerb zwischen den Ländern dergestalt zu
ist. ermöglichen, dass die Gleichartigkeit der Lebensverhält-
nisse nicht zerstört wird. Niemand wäre gut beraten, die
Es gibt eine Alternative. Wie die Revolution in Osteu- Idee des föderativen Staats in Frage zu stellen.
ropa, der Sturz der Mauer und die Einheit Deutschlands
zeigen, gibt es immer Auswege, auch aus scheinbar aus- Eine neue Verfassung für Deutschland muss zudem
weglosen Situationen. nicht gänzlich neu erfunden werden. Wir sind alle vom
Grundgesetz geprägt und Zeit unseres Lebens bei den
Die Alternative ist die Erfüllung eines Versprechens Vätern und Müttern des Grundgesetzes in die Lehre ge-
eben jener Verfassung, die eine sinnvolle Reform so gangen. Viel Bewährtes kann übertragen werden. Vor al-
schwer macht. Denn: „Dieses Grundgesetz, das nach lem die Grundrechte haben sich in ihrer knappen und
Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für präzisen Formulierung als starke und geschätzte
4352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Abwehrrechte etabliert. Auch wenn die Maßgaben des Ich kritisiere in besonderer Weise, dass das Beamten- (C)
Art. 79 des Grundgesetzes für einen verfassungsändern- und Besoldungsrecht, das Strafvollzugs- und das Heim-
den Gesetzgeber, nicht aber für einen – neuen – Verfas- recht in die Länderkompetenz übertragen und Ab-
sungsgeber gelten, so sollte dennoch der Leitgedanke weichungsmöglichkeiten im Umweltrecht geschaffen
des Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes, die so genannte wurden. Dies wird eine Zersplitterung unseres Rechts-
„Ewigkeitsgarantie“ für die Gliederung des Bundes in systems und unterschiedliche Standards in wichtigen ge-
Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei sellschaftlichen Bereichen mit sich bringen. Darüber hi-
der Gesetzgebung und die in den Art. 1 und 20 niederge- naus bedaure ich ausdrücklich, dass durch die
legten Grundsätze in der neuen Verfassung respektiert Neufassung des Art. 91 b GG und des Art. 104 b Abs. l
werden. GG eine umfassende Kooperation von Bund und Län-
dern im Bildungsbereich ausgeschlossen wird.
Die neue Verfassung könnte bis zum Ende diesen Jah-
res vorgelegt werden. Eine neue Verfassung sollte dann Trotzdem habe ich dem Gesetzentwurf zugestimmt.
zeitgleich mit einem Volksentscheidgesetz dem Bundes- Durch die nunmehr vorgenommene Klarstellung im
rat vorgelegt und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Art. 91 b GG zur gemeinsamen Förderung von Lehre
Das Volksentscheidgesetzt könnte vorsehen, dass die und Forschung an den Hochschulen ist eine eindeutige
neue Verfassung angenommen ist, wenn über 50 Prozent verfassungsrechtliche Grundlage für die gemeinsame
der Wahlberechtigten in Deutschland an der Abstim- Förderung von Wissenschaft und Forschung durch Bund
mung teilnehmen und wiederum über 50 Prozent von ih- und Länder, und zwar sowohl im investiven wie auch im
nen mit einem „Ja“ gestimmt haben. Dem deutschen nicht investiven Bereich, geschaffen worden. Angesichts
Volke sollte die neue Verfassung zur freien Entscheidung der herausragenden Bedeutung, die Wissenschaft, For-
am 23. Mai 2007, dem Tag des Grundgesetzes, vorgelegt schung und eine qualitativ hochwertige Ausbildung der
werden. Studierenden für die Zukunft unseres Landes und in be-
sonderer Weise für Ostdeutschland haben, ist dies ein
Diese neue Verfassung für Deutschland könnte dann deutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfas-
zum 1. Januar 2008, also noch in dieser Legislatur- sungsentwurf.
periode, in Kraft treten. Darüber hinaus hoffe ich sehr, dass auch die Abstim-
Dieser Weg bietet sich auch deshalb an, weil für die mungsverfahren zwischen Bund und Ländern für die Be-
neue, vom Grundgesetz nicht antizipierbare Situation reiche Rundfunk, Bildung und Kultur auf europäischer
der Bundesrepublik in einem sich vereinigenden Europa Ebene noch effektiver gestaltet werden.
und in einer globalen Welt eine neue Verfassung ge- Trotz der Risiken, die diese Reform mit sich bringt,
(B) schrieben werden würde, die frei wäre von Alliiertenvor- führt an ihr kein Weg vorbei. Langwierige Entschei- (D)
behalten und nach 60 Jahren demokratischer Entwick- dungswege, übermäßige Verflechtungen und gegensei-
lung in Deutschland auch frei von nicht mehr tige Blockaden von Bund und Ländern haben die Steue-
notwendigen Reflexen auf die Zeit der nationalsozialisti- rungsfähigkeit unseres Staates in nicht akzeptabler
schen Diktatur und den undemokratischen Zentralstaat. Weise beeinträchtigt. Das können wir uns nicht mehr
Deutschland lässt sich nicht durch das Klein-Klein einer leisten. Das Gesetz, dem ich zugestimmt habe, ist nicht
oder mehrerer Föderalismusreformen europafähig ma- perfekt. Doch es beinhaltet den äußersten Kompromiss,
chen. Wir brauchen den Weg einer neuen, richtungwei- den wir als Bundestagsabgeordnete der SPD den Län-
senden Verfassung. dern abtrotzen konnten, ohne die Reform scheitern zu
lassen. Und ein Scheitern galt es – selbst um einen hohen
Das heißt, es wäre eine sich aus dem Grundgesetz ent- Preis – zu verhindern.
wickelnde moderne Verfassung, die alles, was sich be-
währt hat, bewahrt und einiges weiterentwickelt. Zudem haben die Menschen in Deutschland ein Recht
darauf, nachvollziehen zu können, wer für welche Auf-
Die Frage steht deshalb jetzt im Raum: Wollen wir gaben zuständig und damit politisch verantwortlich ist.
den Kompromiss des kleinsten erreichbaren Nenners Es wäre ein großer Schaden für unser Land und ein De-
von Bund und Ländern, der dem Parlament jetzt vorliegt, saster für alle Entscheidungsträger, wenn nach mehrjäh-
oder haben wir den Mut, den visionär von den Vätern rigem hartem Ringen die Reform scheitern würde.
und Müttern gewiesenen Weg einer neuen Verfassung zu
gehen? Letztendlich habe ich für diese Reform gestimmt,
weil trotz meiner Kritik die wesentlichen Reformziele
erfüllt wurden. Hier sind zu nennen: Stärkung der Ge-
Maik Reichel (SPD): Die Zustimmung zur Födera- setzgebung durch deutlichere Zuordnung der Gesetzge-
lismusreform ist mir nicht leicht gefallen. Denn eine bungskompetenzen und Abschaffung der Rahmenkom-
Reihe von Bedenken, die ich immer wieder geäußert petenzen, Abbau gegenseitiger Blockaden durch
habe, sind nicht ausgeräumt worden. Im Wesentlichen Neubestimmung der Zustimmungsbedürftigkeit von
geht es um folgende Punkte: Der Zustimmungsvorbehalt Bundesgesetzen im Bundesrat, klarere Finanzverantwor-
des Bundesrates bei der Bundesgesetzgebung hätte deut- tung zwischen Bund und Ländern durch Abbau von
licher reduziert werden müssen. Die Verfassungskorrek- Mischfinanzierungen und Neufassung der Möglichkei-
turen im Umfeld von Art. 83, 84 GG wiesen den richti- ten der Finanzhilfen des Bundes, wobei die Zusagen aus
gen Weg, der leider nicht bis zum Ende beschritten dem Solidarpakt II für die neuen Bundesländer bekräf-
werden konnte. tigt werden sollten. Diese Ziele haben wir erreicht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4353

(A) Statt 55 bis 60 Prozent der Bundesgesetze sinkt die wie sie sich aus Art. l Ziffer 7 Buchstabe a, oo, Nr. 27 (C)
Zustimmungsquote nun auf voraussichtlich unter 30 Pro- des Gesetzentwurfes ergibt, ist aus meiner Sicht nicht
zent. Das ist ein großer Fortschritt. Der Bund kann nun- gerechtfertigt. Der Verbleib des Statusrechtes in der
mehr viele Bereiche, die in seiner Gesetzgebungskompe- Bundeskompetenz wird, wie sich aus der Anhörung der
tenz stehen, ohne Einmischung des Bundesrates regeln. Sachverständigen ergab, zu Abgrenzungsschwierigkei-
In wichtigen Bereichen behält der Bund seinen Einfluss, ten führen und dem Ziel der eindeutigen Trennung der
etwa im Öffentlichen Dienstrecht, oder allgemein durch Zuständigkeiten von Bund und Bundesländern nicht ge-
die Regel, dass bei den Abweichungsrechten der Länder recht.
– Art. 72 Abs. 3, 84 Abs. l GG – die späteren Gesetze
den früheren vorgehen, Ex-posterior-Regel. Der Bund Die Bundesländer selber haben 1971 den Bund ge-
kann zudem bis 2009 ein vollständiges Umweltgesetz- drängt, die Zuständigkeit für Besoldungs-, Versorgungs-
buch entwickeln, von dem die Länder in den Kernpunk- und Laufbahnrecht zu übernehmen. Die damaligen Ar-
ten nicht abweichen dürfen. gumente gelten auch heute noch fort. Die seitherigen
vielfältigen gesetzlichen Regelungen zur Modernisie-
Der Bund gewinnt zudem sechs wichtige Bereiche rung des Beamtenrechts, insbesondere zur Einführung
dazu, etwa durch die ausschließliche Kompetenz für das von leistungsbezogenen Besoldungselementen in der
BKA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, Beamtenbesoldung, wurden von den Bundesländern
das Waffenrecht oder durch verbindliche Länderbeteili- kaum, zum Teil gar nicht angewandt. Damit haben die
gung bei Verletzungen von EU-Recht sowie bei Sanktio- Bundesländer einen gewichtigen Teil einer Wettbe-
nen aufgrund von Verletzungen des Europäischen Stabi- werbskomponente, die ihnen schon seit Jahren zur Ver-
litätspaktes. Darüber hinaus haben wir erreicht, dass der fügung steht, nicht genutzt. Das Argument einer stärker
Bund Europarecht schneller umsetzen kann und damit in wettbewerbsorientierten Gestaltung des Besoldungs-
Brüssel besser aufgestellt ist. und Versorgungsrechts ist daher nur begrenzt stichhaltig.
Ich erwarte, dass wir diesen Reformprozess unseres Die Etablierung von theoretisch 17 verschiedenen
Grundgesetzes nicht nur begleiten, sondern nach einem Versorgungssystemen für Landes- und Bundesbeamte ist
angemessenen Zeitabstand die Wirkung der Änderungen nicht überzeugend begründet und auch nicht überzeu-
bewerten. Denn das Wohl unseres Landes und seiner gend begründbar, zumal auch im Versorgungsrecht schon
Menschen in einem modernen, föderalen und sozialen heute die Bundesländer nicht gehindert sind, Vorsorge für
Rechtsstaat muss unser fester Wille und das oberste Ziel künftig anfallende Versorgungslasten zu treffen. Nur we-
unseres Handelns sein. Ich verknüpfe meine Zustim- nige Bundesländer haben hier – trotz bestehender rechtli-
mung auch mit der dringenden Erwartung, dass bei der cher Möglichkeiten – Regelungen getroffen. Zudem
(B) zweiten Stufe der Föderalismusreform dem Ziel der Si- werden durch die Rückübertragung des Laufbahnrechts (D)
cherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in die Zuständigkeit der Bundesländer auch erhebliche
Rechnung getragen wird und die Zusagen aus dem Soli- Mobilitätshindernisse errichtet, die der im Allgemeinen
darpakt II für die neuen Länder unangetastet bleiben. geforderten Mobilität und Flexibilität der Beschäftigten
des öffentlichen Dienstes diametral entgegenstehen.
Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Obwohl ich Die Rückübertragung dieses Zuständigkeitsbereiches
in Teilen die Änderung des Grundgesetzes für falsch auf die Länder ist meines Erachtens damit das Gegenteil
halte, werde ich dem Gesetzentwurf meine Zustimmung dessen, was im Sinne der geforderten Entbürokratisie-
erteilen. rung notwendig wäre, dies insbesondere auch vor dem
So besteht meines Erachtens nicht die Notwendigkeit Hintergrund einer zunehmenden Harmonisierung inner-
einer Ergänzung des Art. 33 Abs. 5 GG um die Wörter halb der Europäischen Union.
„und fortzuentwickeln“, siehe Art. l Ziffer 3 des Gesetz- Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die insgesamt
entwurfes. Dies wurde ausweislich der Protokolle ein- durch das Gesetz erreichten Fortschritte die Bedenken
vernehmlich schon in den fachlichen Beratungen der überwiegen, die im Detail bestehen. Insbesondere die
Föderalismuskommission der vergangenen Legislatur- Entflechtung der Zuständigkeiten und die neu geschaffe-
periode festgestellt. Alle Experten, die in der gemeinsa- nen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zwi-
men Anhörung des Deutschen Bundestages und des schen dem Bund und den Bundesländern, aber auch das
Deutschen Bundesrates eine Stellungnahme abgegeben Verbot, Kommunen durch Bundesgesetze zu belasten,
haben, kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass kein Än- sowie die Erhöhung der Transparenz der politischen Ver-
derungsbedarf besteht. Auch ein Blick in die Geschichte antwortlichkeiten sind für mich wichtige Vorteile, auf-
der Änderungen des Beamtenrechts unter der Geltung grund derer ich trotz der vorgebrachten Bedenken dem
des Art. 33 Abs. 5 zeigt, dass eine Modernisierung und Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset-
Fortentwicklung des Beamtenrechts unter der derzeiti- zes zustimme.
gen Fassung des Grundgesetzes nicht nur theoretisch
möglich war, sondern tatsächlich auch stattgefunden hat.
Es besteht daher weder politisch noch rechtlich eine Ver- Norbert Schindler (CDU/CSU): Durch die mit dem
anlassung, die im Gesetzentwurf enthaltenen Änderung Gesetzentwurf verfolgten und umzusetzenden Änderun-
vorzunehmen. gen des Grundgesetzes sollen durch die Auflösung der
Rahmengesetzgebung und die Neuordnung der konkur-
Insbesondere die Übertragung des Laufbahn-, Besol- rierenden Gesetzgebung einige Materien auf die Länder
dungs- und Versorgungsrechtes an die Bundesländer, verlagert werden.
4354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Es ist grundsätzlich zu begrüßen und zu befürworten, deuten, wenn die betroffenen Grundstückseigentümer (C)
wenn im Rahmen des Bürokratieabbaus und der stärke- eine zusätzliche finanzielle Last zu tragen hätten, ob-
ren Berücksichtigung länderspezifischer Rahmenbedin- wohl die Vorteile der Flurbereinigung aufgrund der inte-
gungen für bestimmte Gesetze Kompetenzen auf die grativen Ansätze – siehe unten – heute der gesamten Ge-
Länder übertragen werden. sellschaft zugute kommen.
Dies muss jedoch mit Einschränkungen gesehen wer- Eine dauerhafte Finanzierung über die GAK ist erfor-
den, wenn mit der Regelung kein Abbau von Bürokratie derlich und kann nur gesichert werden, wenn das Flurbe-
verbunden ist, wenn mit der Neuregelung finanzielle reinigungsrecht Bundesrecht bleibt.
Nachteile für Bund, Länder und Bürger verbunden sind
und wenn Verbindungen zu anderen Rechtsbereichen Drittens. Das Flurbereinigungsrecht ist unauflöslich
völlig aufgelöst würden und die Rechtssystematik und verbunden mit anderen bundesgesetzlichen Regelungen.
Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigt werden. Neben dem Bodenrecht, dem Grundbuchrecht und dem
Bürgerlichen Recht sind insbesondere des Enteignungs-
Bei der geplanten Änderung der Zuständigkeiten für recht und das Baurecht zu nennen. Da mit dem Flurbe-
den landwirtschaftlichen Grundstücksverkehr – bisher reinigungsrecht bei der Baulandumlegung bundesgesetz-
Teilbereich des allgemeinen Grundstücksverkehrs –, das liche Bestimmungen bis zum Enteignungsrecht
landwirtschaftliche Pachtwesen und das Flurbereini- umgesetzt werden, muss an einem einheitlichen bundes-
gungsrecht – bisher Teil des Bodenrechts – mit der He- gesetzlichen Flurbereinigungsgesetz festgehalten wer-
rausnahme aus der konkurrierenden Gesetzgebung und den.
der Überführung in das alleinige Recht der Länder sind
alle oben genannten negativen Folgen abzusehen. Dies Mit einer Verlagerung des Flurbereinigungsrechtes in
gilt insbesondere für das Flurbereinigungsrecht. die alleinige Kompetenz der Länder besteht die Gefahr
einer unterschiedlichen Wertung und Umsetzung von
Aus diesem Grund hat sich der Verband der Landwirt- Städtebaurecht auf der einen und ländlichem Bodenrecht
schaftskammern mit folgender Begründung dafür ausge- auf der anderen Seite. Einer solchen unterschiedlichen
sprochen, dass das Flurbereinigungsrecht Bundesrecht Wertung und Würdigung ländlicher Räume kann keines-
bleibt: falls zugestimmt werden. Die Wahrung der Rechtsein-
heit und der Gleichbehandlung der Bürger in den Städten
Erstens. Die derzeitige Ausgestaltung der Flurbereini- – Städtebaurecht – und dem ländlichen Raum muss
gung Grundsätzen und rechtlichen Bestimmungen müsste durch bundesweit geltende gesetzliche Vorgaben eines
auch in Zukunft in 16-facher Ausfertigung erfolgen. Im Bundesflurbereinigungsgesetzes gewährleistet werden.
Hinblick auf die Bestimmungen des Grundgesetzes
(B) müsste zwischen den Ländern untereinander und dem Auf die Möglichkeit gemäß § 190 BauGB, Flurberei- (D)
Bund eine Abstimmung erfolgen. Damit wird deutlich, nigungen aus Anlass einer städtebaulichen Maßnahme
dass mit der Verlagerung des Flurbereinigungsrechts in durchzuführen, soll an dieser Stelle besonders verwiesen
die Kompetenz der Länder ein erheblicher zusätzlicher werden. Eine Landeskompetenz für die Flurbereinigung
bürokratischer Aufwand erforderlich wäre. wäre zusammenfassend also ein völliger Systembruch.
Es würde zusätzlicher Aufwendungen bedürfen, um Viertens. Das Flurbereinigungsrecht bietet einen um-
auch in Zukunft zu einer einheitlichen Auslegung des fangreichen Katalog möglicher Maßnahmen zur Lösung
Flurbereinigungsgesetzes unter Berücksichtigung des von Konflikten verschiedener Raumnutzer. Es kann
Grundgesetzes – Eigentumsrecht – zu gelangen. Zudem nicht Sinn einer föderalen Reform sein, die Instrumente
wäre die Rechtsprechung einer bundesgesetzlich einheit- des Flurbereinigungsrechtes nicht mehr gleichberechtigt
lichen gerichtlichen Überprüfung möglicherweise sogar und einheitlich im gesamten Bundesgebiet für die Um-
entzogen. Entgegen der bisherigen bundeseinheitlichen setzung integrativer Raum- und Flächennutzungskon-
Kontrolle von Festsetzungen in der Flurbereinigung zepte anzuwenden.
durch die Oberverwaltungsgerichte und das Bundesver-
waltungsgericht würde es eine Vielzahl von Entschei- Aus diesen Gründen macht es keinen Sinn, das Flur-
dungen geben, die sich möglicherweise widersprechen. bereinigungsrecht in die allgemeine Zuständigkeit der
Gerade das Enteignungsrecht, das im Flurbereinigungs- Länder zu geben.
recht umgesetzt werden kann, bedarf angesichts der Trotz dieser auch der Föderalismuskommission be-
Grundrechtsrelevanz – Art. 14 des Grundgesetzes – zur kannten Bedenken soll heute die entsprechende Ände-
Wahrung der Rechtseinheit auch zukünftig einer bundes- rung des Grundgesetzes beschlossen werden. Die Zu-
gesetzlichen Regelung. stimmung zu dem oben angegebenen Gesetzentwurf in
Zweitens. Die Flurbereinigung wird durch die Ge- der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsaus-
meinschaftsaufgabe – GAK – mit Mitteln der EU und schusses fällt mir deshalb äußerst schwer. Dennoch
des Bundes gefördert und unterstützt. Auch wenn zum werde ich, unter der Voraussetzung, dass wir gemeinsam
jetzigen Zeitpunkt die Finanzierung durch die GAK zu- mit den Ländern für diesen Bereich eine tragfähige Lö-
gesichert wird, kann schon heute abgesehen werden, sung erarbeiten, der Föderalismusreform mit Bauch-
dass sich bei knappen Mitteln die EU und der Bund aus schmerzen zustimmen.
der Finanzierung zurückziehen werden. Eine stärkere fi-
nanzielle Einbindung der Länder ist jedoch nicht zu ver- Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD): Bereits 1994
antworten. Es würde das Ende der Flurbereinigung be- wurde ein Weg begonnen, der unseren deutschen födera-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4355

(A) len Staatsaufbau grundlegend geändert hat. Ich stehe zur frühkindlichen Förderung unter anderem ins Stamm- (C)
dem Wandel vom solidarischen, kooperativen zum Wett- buch geschrieben, dass die föderale Zersplitterung auch
bewerbsföderalismus kritisch gegenüber. Durch den eine Ursache für unser schlechtes Abschneiden ist. Diese
heute vorliegenden Entwurf zur Grundgesetzänderung Zersplitterung wird vergrößert und nicht verkleinert.
wird dieser – in meinen Augen falsche – Weg an einigen
Stellen korrigiert. Das begrüße ich, insbesondere die Wir verabschieden uns als Bund mit der Föderalis-
Stärkung der Landesparlamente. An anderen gesell- musreform, so wie sie jetzt ausgestaltet ist, von weiten
schaftspolitisch zentralen Stellen wird der Weg hin zu ei- Bereichen der Gesellschaftspolitik und von den wich-
nem Wettbewerbsföderalismus verstärkt. Insbesondere tigsten Zukunftsfragen. Diese bestehen für mich in den
ist nicht absehbar, wie die Föderalismusreform II ausse- Bereichen Bildung, Kinder, Familie und Alte, aber auch
hen wird und ob sie Solidarität unter den Bundesländern Behinderte.
und damit die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Beim Heimrecht haben neun von zehn hochkarätigen
stärken wird oder nicht. Sachverständigen eine Alleinzuständigkeit des Bundes
In den Verhandlungen wurden gegenüber dem Ent- abgelehnt. Zum KJHG und zum Behindertenrecht waren
wurf durch die SPD-Bundestagsfraktion, insbesondere acht von zehn Sachverständigen der Meinung, dass gra-
von Dr. Peter Struck, viele Verbesserungen erreicht, vor vierende Verschlechterungen vorprogrammiert sind.
allem im Hochschulbereich. Zitat aus der Sachverständigenanhörung – Dr. Thomas
Meysen –:
Dennoch bleiben viele Punkte die ich nicht mittragen
kann: Ich möchte warnen: Der aktuelle Reformentwurf
stellt an vielen Stellen die Weichen richtig; aber im
Es bleibt bei der Kooperationsmöglichkeit nur für die Recht der sozialen Dienstleistung wird der Zug ent-
Hochschulen, durch die Neufassung der Art. 91 b und gleisen. Als Leiter des juristischen Fachinstituts in
Art. 104 Abs. 1 GG wird eine umfassende Kooperation der Jugendhilfe und als Kommentator der rehabili-
von Bund und Ländern ausgeschlossen. Erfolgreiche Pro- tationsrechtlichen Vorschriften im SGB VIII sage
gramme wie das Ganztagsschulprogramm oder SINUS ich Ihnen: Für den Kinderschutz, für die Kinder-
sind in Zukunft zum Schaden unserer Kinder unmöglich. und Jugendhilfe insgesamt sowie für die Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen würde der der-
Es bleibt bei der Herausnahme des Heimrechtes aus zeitige Reformentwurf einen grundlegenden und
der Bundeszuständigkeit und damit bei einer rechtlichen nicht zu verantwortenden Rückschritt bedeuten.
Zersplitterung des gesamten Bereichs der Heime in
Heimrecht in Länderzuständigkeit einerseits und in Sinngemäß in gleicher Weise hat sich die erdrückende
(B) Heimvertragsrecht, Pflegeversicherung und Altenpflege- Mehrheit der anderen Sachverständigen geäußert. Es ist (D)
ausbildung in Bundeszuständigkeit andererseits. Auch nicht einsehbar, dass sich das Parlament in dieser Weise
das Kinder- und Jugendhilferecht wird zwischen der Er- über den Sachverstand nahezu aller Beteiligten hinweg-
forderlichkeitsregel, der konkurrierenden Gesetzgebung setzt. Es ist auch nicht einzusehen, dass der juristische
und der Abweichmöglichkeit der Länder bis zur Un- Sachverstand regelmäßig über den fachlichen gestellt
kenntlichkeit verändert. Es gibt zwar noch eine Zustän- wird. Mit einer solchen Vorgehensweise verabschieden
digkeit des Bundes für das Kinder- und Jugendhilfe- sich die Mehrheit des Deutschen Bundestages und des
recht, aber die Abweichungsmöglichkeit bei den Bundesrates in weiten Bereichen von den Wünschen und
Verfahren und der Behördenstruktur wird zwangsläufig Forderungen der Menschen. So wichtig mehr Transpa-
zu einer Zersplitterung führen. Die Anzeichen dafür in renz und eine Entflechtung von Zuständigkeiten sind, so
der Vergangenheit waren eindeutig – dazu noch das Er- sehr wünschen die Bürger und Bürgerinnen in den Berei-
forderlichkeitsprinzip und die Bundeszuständigkeit für chen Kinder, Bildung, Familie und ältere Menschen
das Familienrecht – die Konfusion ist vorprogrammiert. mehr Sicherheit, Verlässlichkeit und bundesdeutsche
Einheitlichkeit. Gerade in diesen Bereichen wird mehr
Trotz der im Bildungsbereich erzielten Verbesserun- Wettbewerb um den Preis der Zersplitterung nicht ak-
gen bleibt die große Sorge, dass die Studienförderung zeptiert. Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in
– das BAföG – über die Erforderlichkeitsklausel durch Deutschland wird abnehmen zulasten der Bürger und
die Länder infrage gestellt wird. Bürgerinnen in Ostdeutschland und in Bundesländern im
Der vorgesehenen Regelungen zu Kostenfolgen von Strukturwandel. Insbesondere in den Bereichen von Kul-
Bundesgesetzen werden meines Erachtens zu einer wei- tur und Bildung wird künftig auf europäischer Ebene
teren Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen eine einheitliche und effiziente Vertretung Deutschlands
führen. nicht mehr oder nur noch mit Schwierigkeiten möglich
sein – mit Nachteilen für das ganze Land. In Abwägung
Die Neuregelung des Art. 93 Abs. 3 (neu) bedeutet, der zweifelsohne erreichten Fortschritte und der geschil-
dass das Klagerecht der Länder für die Bereiche, die derten Nachteile kann ich, so schwer mir diese Entschei-
dem Erforderlichkeitsprinzip unterliegen, auch für beste- dung fällt, der Föderalismusreform nicht zustimmen.
hende Gesetze gilt. Die Rechtsunsicherheit wird vergrö-
ßert.
Frank Schwabe (SPD): Bei der größten Verfas-
Ich halte daher wesentliche Teile der Föderalismusre- sungsänderung seit 1949 handelt es sich um eine Gewis-
form für einen Schritt in die falsche Richtung: Die sensentscheidung jedes einzelnen Abgeordneten.
OECD hat der Bundesrepublik in ihrer jüngsten Studie Trotz schwerer Bedenken zum Umgang mit dieser
4356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Verfassungsänderung und den jetzt vorliegenden Ergeb- bessere Verhandlungsergebnisse jedoch insbesondere (C)
nissen stimme ich dieser Verfassungsänderung zu. gegen die geschlossene Front der Länder nicht erreich-
bar waren. Mein Nein zum Entschließungsantrag ist an-
Mit großer Sorge sehe ich das Bestreben, durch einen
gezeigt, weil das Ergebnis dieser Föderalismusreform
ungerechten Wettbewerbsföderalismus den Anspruch
meiner Überzeugung nach nicht den insgesamt notwen-
gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepu-
digen Veränderungen des deutschen Föderalismus ent-
blik Deutschland zu gefährden. Die vorliegende Födera-
spricht und die überzogen positiven Bewertungen im
lismusreform trägt leider insbesondere im Bereich der
Entschließungstext von mir nicht geteilt werden.
Umwelt, der Bildung, des Sozialen, der Justiz und des
Beamtenrechts genau diese Züge. Außerdem stelle ich Im Zusammenhang mit dieser Föderalismusreform
die Europatauglichkeit dieser Reform infrage. lege ich Wert auf folgende Feststellungen: Die Verhand-
Der Weg dazu wurde allerdings bereits durch die lungen zur Föderalismusreform waren auf der Seite der
Grundgesetzänderung am 27. Oktober 1994 und an- Länder jenseits von politischen Sonntagsreden nicht da-
schließende Urteile des Bundesverfassungsgerichts in von geprägt, welche Veränderungen des deutschen Föde-
Richtung Aushöhlung der Bundeskompetenz beschrif- ralismus im Interesse des Gesamtstaates notwendig sind.
ten. Ich sehe die Gefahr, dass durch die jetzt vorgesehene Die Länder nutzten stattdessen durch eine einheitliche
Abweichungsgesetzgebung dieser Weg zumindest in den und abgestimmte Verhandlungsstrategie die Abhängig-
oben benannten relevanten Bereichen vollendet wird. keit des Bundes von dieser Reform, um die Kompetenz-
verteilung abermals zu ihren Gunsten zu verschieben.
Vor dem Hintergrund der politischen Realität er- Einmal mehr wurden notwendige Reformen im deut-
scheint die 1994-er Regelung jedoch nicht umkehrbar zu schen Föderalismus nicht vernunftorientiert im Interesse
sein. Deshalb glaube ich, dass nun eine grundgesetzliche des Ganzen beraten und entschieden, sondern sie muss-
Klarstellung notwendig ist, damit durch die Rechtspre- ten zulasten des Bundes erkauft werden.
chung des Bundesverfassungsgerichts die Bundeskom-
petenz im Sinne der Herstellung gleichwertiger Lebens- Der vorliegende Gesetzentwurf ist deshalb keine aus-
verhältnisse in den nächsten Jahren nicht noch weiter reichende Korrektur der den Bund in seinen Kompeten-
geschwächt wird. In der Abwägung muss ich dabei die zen unverhältnismäßig stark einengenden Verfassungs-
von mir benannten negativen Seiten dieser Reform ak- änderung des Jahres 1994. Die Kompetenzen des
zeptieren. Bundes in der bisherigen konkurrierenden Gesetzgebung
werden nur zum Teil und um den Preis der Kompetenz-
Ausdrücklich will ich das Engagement des SPD-Frak- abgabe an die Länder von diesen Einengungen befreit.
tionsvorsitzenden Peter Struck würdigen, ohne dessen
(B) Einsatz es weder einen der Bedeutung dieser Entschei- Einige der von den Ländern im Gegenzug hierfür er- (D)
dung einigermaßen angemessen Umgang noch Erfolge zwungenen Öffnungsklauseln (Abweichungsrechte) und
in der Frage der erzielten Bundeskompetenz im Hoch- Kompetenzübertragungen können meiner Überzeugung
schulbereich gegeben hätte. Die Mehrheitsfähigkeit im nach bei überzogener Nutzung für den Gesamtstaat und
Deutschen Bundestag wäre dann sicherlich nicht zu er- seine Bürgerinnen und Bürger ein erhebliches Maß an
reichen gewesen. Nachteilen erbringen. Hieraus erwächst für die Parla-
Der solidarische Föderalismus war bisher ein Funda- mente der Länder ein großes Maß an Verantwortung.
ment der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Dieses Auch deshalb war das Desinteresse der Landtage an den
Fundament darf nicht zerstört werden durch einen Wett- Beratungen zur Föderalismusreform unverständlich und
bewerbsföderalismus, der gesamtstaatliche und gesamt- falsch.
gesellschaftliche Solidarität erschwert oder gar verhindert.
Die mit dem Gesetzentwurf verbundene Grundge-
Bei den weiteren Verhandlungen über die zukünftige Ge-
setzänderung darf kein Einstieg in einen Wettbewerbsfö-
staltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist es für
deralismus zwischen den Ländern sein. Dies stünde mei-
mich unverzichtbar, dass die Sicherung der Gleichwer-
ner Überzeugung nach im Widerspruch zu den inneren
tigkeit der Lebensverhältnisse zentrales politisches Ziel
und äußeren Anforderungen, vor denen Deutschland in
und Verfassungsauftrag auch für die Zukunft bleiben
unserer Zeit steht. Das betrifft sowohl Deutschlands ge-
muss. Hieran haben sich auch alle Überlegungen zu den
wachsene Rolle in einer erweiterten Europäischen
zukünftigen Finanzbeziehungen von Bund und Ländern
Union, den Entwicklungsstand der neuen Länder am Be-
und der Länder untereinander zu orientieren.
ginn des Solidarpakts II als auch die berechtigten Erwar-
tungen der Bürgerinnen und Bürger an einen kooperati-
Rolf Schwanitz (SPD): Ich habe bei der heutigen ven Föderalismus in einem modernen Industriestaat.
Abstimmung über die Föderalismusreform beim Gesetz-
entwurf zur Änderung des Grundgesetzes mit Ja und Diese Reform ist abgeschlossen, aber sie ist nicht das
beim Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ Ende der Debatte um den deutschen Föderalismus.
CSU und SPD mit Nein gestimmt.
Mein Ja zum Gesetzentwurf erwächst trotz meiner Gunter Weißgerber (SPD): Die zur Abstimmung
Kritik an einer ganzen Reihe seiner Regelungen nach in- vorgelegte Föderalismusreform lehne ich ab. Sie erfüllt
tensiver Diskussion und reiflicher Überlegung einzig weder ihre wichtigsten Ziele, wie Entflechtung von Bun-
und allein aus der Überzeugung, dass eine Verbesserung des- und Länderebene und die maßgebliche Reduzierung
der Kompetenzen des Bundes zwingend erforderlich ist, von Einsprüchen des Bundesrates in die Gesetzgebung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4357

(A) des Bundes, noch hält sie die Balance zwischen dem Bundesstaat zum Staatenbund. Die jetzigen Änderungen (C)
Bund und den Ländern. im Grundgesetz werden die künftigen Gesetzgeber in der
Bundesrepublik Deutschland mühsam zurückholen müs-
Die Behauptung, wonach der Anteil der zustim- sen.
mungspflichtigen Gesetze nach Art. 84 Abs. l GG auf
unter 30 Prozent sinken wird, kann der Wirklichkeit Ein Staat, der sich auf diese Art selbst zerlegt, hat im
nicht standhalten. In Art. 84 Abs. l Satz 2 GG können die Wettbewerb mit seinen europäischen Nachbarn langfris-
Länder beliebig von dieser Regelung abweichen. Ich bin tig schlechte Karten. Ich bin Bürger der Bundesrepublik
sicher, sie werden dies, wie in der jüngsten Vergangen- Deutschland und lebe in Sachsen. Als sächsischer
heit inflationär gehandhabt, im Falle kleiner Koalitionen Staatsbürger fühle ich mich nicht und als solcher bin ich
auf Bundesebene wieder ausufernd nutzen. 1990 der Bundesrepublik nicht beigetreten.
Die in Art. 84 Abs. l GG scheinbar gewonnene ge- Der vorliegende Reformentwurf ist die „Siegestro-
setzgeberische Freiheit des Bundes wird in Art. 104 a phäe 2004“ der jahrelangen Jagd der CDU-regierten
Abs. 4 GG massiv konterkariert. Künftig bedürfen alle Bundesländer auf die vormalige rot-grüne Bundesregie-
Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates, wenn rung. Eine Siegesformel kann nicht die Grundlage einer
sie Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistun- fairen Reform der bundesstaatlichen Ordnung sein.
gen oder geldwerten Sachleistungen gegenüber Dritten
Meine Farben sind Schwarz-Rot-Gold, die Farben der
begründen. Diese Zustimmungspflicht galt bisher nur,
Republik. Meine Hymne heißt „Einigkeit und Recht und
wenn die Länder mindestens ein Viertel der Leistungen
Freiheit“.
erbringen mussten.
Die neu geregelte Abweichungsgesetzgebung gem. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der Föderalis-
Art. 72 Abs. 3 GG unterläuft das Ziel, Gesetzgebungs- mus in Deutschland ist Resultat unserer Geschichte und
kompetenzen eindeutiger zuzuordnen. Sobald ein Land Verfassung. Der Bund ist durch die Länder entstanden
von seiner Abweichungskompetenz Gebrauch macht, und durch diese ist die notwendige Einheit Deutschlands
müssen künftig innerstaatlich immer zwei gesetzliche herbeigeführt worden. Diese Einheit Deutschlands lebt
Regelungen zur Beurteilung herangezogen werden. Tre- durch den Föderalismus, die Vielfalt der verschiedenen
ten europäische Richtlinien hinzu, sind es dann sogar Ideen, Konzepte und politischen Entscheidungen. Mit
drei zur Beurteilung notwendige gesetzliche Regelun- gutem Grund hat der Parlamentarische Rat 1948/49 ein
gen. System geschaffen, in dem ein „Trial-and-Error“-Pro-
Höchst widersprüchlich ist die 6-Monate-Aufschub- zess möglich ist.
(B) regelung für Bundesgesetze in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG. Der Grundgedanke des Wettbewerbs zwischen politi- (D)
Über die Verweisung in Art. 84 Abs. l Satz 3 GG gilt schen Systemen und politischen Ansätze ist notwendiger
dieser zeitliche Aufschub nur für Bundes-, jedoch nicht denn je. Wettbewerbsföderalismus, also das regelmäßige
für Landesgesetze. Ringen um die richtigen Wege bzw. Inhalte und die Wei-
Bei Unterstellung, dass alle 16 Bundesländer die ih- tergabe von Erfahrungen, ist wesentlich für unsere poli-
nen neu erwachsenden Gesetzgebungskompetenzen in tische Entwicklung in der Bundesrepublik und für unsere
gleicher Qualität erfüllen, entsteht durch das Vorhan- Zukunft.
densein von bis zu 17 verschiedenen Regelungen im Den Föderalismus zu erhalten, ist nicht nur ein aus
Bundesgebiet ein deutliches Plus an Gesetzen. Massiver Art. 20 GG sich ergebendes Gebot, sondern verschafft
Bürokratieaufbau und eine noch größere Unübersicht- dem deutschen Staat auch einen zukunftsweisenden,
lichkeit werden die unangenehme Folge sein. Für bun- qualitativen Vorsprung. Mit diesem politischen System
desländerübergreifende Firmen und Institutionen wird der Bundesrepublik Deutschland sind wir seit der Grün-
dies ein erheblicher Standortnachteil sein. dung sicher, friedlich und gut gefahren. So wurde die eu-
Nach Art. 23 Abs. 6 GG wird die Wahrnehmung der ropäische Integration erfolgreich gestaltet und Deutsch-
Rechte der Bundesrepublik Deutschland in der Europäi- land hat sich so als fortschrittliches, kreatives und
schen Union vom Bund auf einen Ländervertreter über- stabiles Land mit einer demokratischen Kultur entwi-
tragen, wenn im Schwerpunkt Länderkompetenzen ckelt. Dieses föderale System hat zusammen mit der Ga-
betroffen sind. Damit wird es keine einheitliche Außen- rantie der kommunalen Selbstverwaltung maßgeblich
vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel Anteil an der tief verwurzelten, demokratischen Haltung
mehr geben. Wir muten damit anderen Staaten zu, das der Bürgerinnen und Bürger und hat das Ansehen der
komplizierte und schwer durchschaubare politische Sys- Bundesrepublik als Bundesstaat in Europa und der Welt
tem der Bundesrepublik Deutschland entwirren zu müs- gefördert.
sen. Für mich ist das Vertrauen in jeden Einzelnen und in
Besonders schwerwiegend ist das Kooperationsverbot die Entscheidungsfähigkeit und -bereitschaft der Bürger
im Bereich der schulischen Bildung, welches den Schul- kennzeichnend für unsere Politik. Dementsprechend ist
standort Deutschland endgültig zu 16 unterschiedlichen der Grundsatz der Subsidiarität nicht nur ein technokrati-
Schulstandörtchen degradiert. scher Begriff, sondern gelebte Graswurzeldemokratie.
Wenn eine politische Entscheidung vor Ort sinnvoll ge-
Die jetzige Föderalismusreform verschärft die seit troffen werden kann, muss dieses auch möglich sein. Die
1994 (Art. 72 GG) in Gang gesetzte Entwicklung vom Verteilung der Verantwortung zwischen den Kommunen,
4358 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) dem Land, dem Bund und der europäischen Ebene nach der einen und der Erhebung der Finanzmittel – gegen die (C)
dem Grundsatz der Subsidiarität muss immer wieder neu reine Finanzmittel-„Verteilung“ – auf der anderen Seite
austariert werden. Ebenso bin ich der Meinung, dass nur zu erkennen. Aber beides sind zwei Seiten ein und der-
das, was unbedingt von der Bundesebene entschieden selben Medaille.
und umgesetzt werden muss, auch dort richtig platziert
ist. Die Subsidiarität politischer Entscheidungen und der Nur durch eine deutliche Änderung der Finanzverfas-
Vollzug derselben sind ein urliberaler Ansatz. Der Föde- sung im Grundgesetz lässt sich der Wettbewerbsfödera-
ralismus trägt diesem Gedanken, dem ich mich ver- lismus vollenden. Die Bewegung sollte dabei nicht nur
pflichtet fühle, Rechnung. vom Bund, sondern muss, auch im Hinblick auf die Neu-
gestaltung der Anzahl der Länder, von den Ländern aus-
Gleichzeitig ist es notwendig, um das bestehende fö- gehen.
derale System stark zu halten, dieses zu ändern. Lang-
Eine vielfach in der Diskussion und auch in den An-
wierige Entscheidungswege im Gesetzgebungsverfah-
hörungen geäußerte Besorgnis der Absenkung oder An-
ren, vielfach unklare Zuständigkeiten zwischen Bund,
hebung von Standards oder der Rechtszersplitterung
Ländern und Selbstverwaltungskörperschaften und die
durch unterschiedliche Gesetze in den Ländern oder da-
Tatsache, dass durch die im Bundesrat vertretenen Lan-
mit zusammenhängende Entscheidungen der Gerichte ist
desregierungen vielfach die Exekutive der Länder ein
gerade in Anbetracht der gewollten Auseinandersetzung
stärkeres Gewicht erhalten haben, machen deutlich, dass
mit unterschiedlichen Politikansätzen, -konzepten, dem
eine Reform erforderlich ist. Es gilt, nicht nur den Föde-
Wettbewerb der Ideen und dem gewollten „Trial-and-Er-
ralismus, sondern auch die Demokratie, den Rechtsstaat
ror“-Prozess dem Föderalismus immanent. Vor allem ist
und die individuellen Grundrechte in Deutschland zu
der auch in dieser Föderalismusreform unangetastete
stärken. Durch eine klare Aufteilung der Zuständigkei-
Grundsatz, der in Art. 70 Abs. 1 GG firmiert wurde, wo-
ten zwischen Bund und Ländern werden die Legislativ-
nach grundsätzlich die Länder die Gesetzgebungsbefug-
organe der Länder und der Deutsche Bundestag gestärkt,
nis haben, hervorzuheben.
Entscheidungen im intransparent tagenden Vermittlungs-
ausschuss minimiert. Eine klare Abgrenzung der Kom- Im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bundesta-
petenzen macht deutlich, wer für welche Entscheidun- ges sind vor allem Änderungsanträge gestellt worden,
gen die Verantwortung trägt. Dieses wirkt stabilisierend die eine Beibehaltung oder Übertragung von Aufgaben
auf die Demokratie in Deutschland. an den Bund zum Inhalt hatten. Dies dokumentiert eine
bemerkenswerte Einstellung des Bundesgesetzgebers
Der Weg zu einer klaren Abgrenzung der Zuständig- und zeigt ein meines Erachtens unbegründetes Missver-
keiten geht grundsätzlich in die richtige Richtung. Ge- ständnis der Handelnden über die dem Föderalismus zu-
(B) rade die FDP war hier seit Jahrzehnten Vordenkerin und grunde liegenden politischen Fundamente. Eine gesetz- (D)
Antreiberin. geberische Maßnahme zur weiteren Zentralisierung von
Es wurde nun durch die Regierungsfraktionen CDU/ Aufgaben setzt immer eine an dem Grundgedanken der
CSU und SPD ein Entwurf vorgelegt, der stärkere Züge Subsidiarität und an der Bereitstellung der individuellen
zur Klarstellung der Zuständigkeiten beinhaltet. Be- Freiheit für den Einzelnen orientierte Prüfung voraus.
trachtet man die Klarstellung der Zuständigkeiten allein, Hieran hat es leider häufig gefehlt.
ist diese Reform ein Schritt in die richtige Richtung und
wäre aufgrund der Tendenz zustimmungswürdig. Allein
das Ziel der Reduzierung der Zustimmungsvorbehalte Anlage 9
durch den Bundesrat ist begrüßenswert. Insofern befür-
Erklärung nach § 31 GO
worten wir ausdrücklich das Bemühen von CDU/CSU,
SPD und FDP in diesem langwierigen Prozess, den Bun- der Abgeordneten Ingrid Fischbach und
desstaat weiterzuentwickeln. Michaela Noll (beide CDU/CSU) zur namentli-
chen Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
Allerdings ist eine Zustimmung zu dem Gesetzent- setzes zur Änderung des Grundgesetzes
wurf insgesamt schwer, da wesentliche Punkte nicht an- (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85,
gegangen wurden. Die Klarstellung von Zuständigkeiten 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107,
zwischen Bund und Ländern hilft nur wenig, wenn eine 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungs-
klare Struktur der Finanzverfassung durch die Regie- punkt 29 a)
rungsfraktionen nicht existiert. Gerade die Reform der
Finanzverfassung ist essenziell, um Wettbewerb zwi- Hiermit erklären wir gemäß § 31 GO BT: Wir begrü-
schen den Ländern um die besten Lösungen zu errei- ßen, dass der Bund auch weiterhin materielles Jugend-
chen. Auch wurde verpasst, die Sicherheit der Einnah- recht erlassen kann. Dennoch haben wir Bedenken, ob
men der Städte und Gemeinden, deren Freiheit im die Substanz der bundesweiten Gesetzgebungskompe-
Umgang mit ihren Mitteln und damit die durchhaltbare tenz im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe auch wei-
Garantie der Selbstverwaltung ausreichend klarzustel- terhin erhalten bleibt. Die Föderalismusreform darf
len. Allein die unverbindliche Ankündigung der Bundes- keinesfalls zu einer beliebigen Ausdifferenzierung ele-
kanzlerin und eine unklare Absichtserklärung durch ei- mentarer Strukturen des KJHG führen. Die Bereitstel-
nige Ministerpräsidenten reicht nicht, die politisch lung eines gleichwertigen Angebots an Leistungen der
erforderliche und dem eigentlichen Ziel entsprechende Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder, Jugendliche
Verbindung zwischen der klaren Aufgabenzuteilung auf und Familien muss auch durch zentrale Verfahrensrege-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4359

(A) lungen im SGB VIII unterstützt werden. Die verlässliche die Überhand nehmende Mitbestimmung in Bundes- (C)
Qualität der Angebote sowie die angemessene Gestal- angelegenheiten verzichten.
tung der Barrieren der Inanspruchnahme sind bundes-
weite Anliegen und dürfen nicht durch örtliche Prioritä- Darüber hinaus muss durch eine Reform der Finanz-
tensetzung gefährdet werden. verfassung mit einer eigenen Steuerhoheit der Länder
und einer klaren Zuständigkeit bei der Finanzierung von
Wir erwarten, dass die Länder ihre größere Kompe- Aufgaben durch Abschaffung von Mischfinanzierungen
tenz nutzen und die Kinder- und Jugendhilfe qualitativ endlich die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass
weiterentwickeln. erfolgreiche Länder mit tragfähigen Verwaltungsstruktu-
ren belohnt und Länder, deren Politik weniger erfolg-
reich ist und die ihre Politik nicht selbst finanzieren kön-
Anlage 10 nen, unter Druck gesetzt werden, dies zu ändern.
Unabhängigkeit auf Kosten anderer ist ein Widerspruch
Erklärung nach § 31 GO in sich.
der Abgeordneten Florian Toncar und Frank Die von der Koalition vorgelegte Reform berücksich-
Schäffler (beide FDP) zur namentlichen Ab- tigt diese Erwägungen nur bedingt. Sie ist für sich ge-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur nommen nicht ausreichend, aber dennoch eine Verbesse-
Änderung des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, rung im Vergleich zum Status quo.
52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93,
98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, Es ist bedauerlich, dass die Reform der Kompetenz-
143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a) titel ohne eine gleichzeitige Reform der Finanzverfas-
sung durchgeführt werden soll. So nimmt man den
Eine Föderalismusreform ist überfällig. Das ur- Druck von allen Beteiligten, diesen wichtigen zweiten
sprünglich vom Grundgesetz nicht vorgesehene, dann Teil der Reform umgehend in Angriff zu nehmen.
aber im Laufe der Jahre entstandene deutsche Modell
des kooperativen Föderalismus ist gescheitert. Auch der vorgelegte Entwurf weist deutliche Mängel
auf. Zwar sind die an die Länder übergehenden Kompe-
Es ist dadurch gekennzeichnet, dass in zahlreichen tenztitel vertretbar und hätten sogar noch umfangreicher
politischen Fragen Bund und Länder in einer Weise zu- sein können. Allerdings wird mit der vorgesehenen Ab-
sammenwirken, die es den Bürgern nahezu unmöglich weichungsbefugnis für die Länder – etwa im Umwelt-
macht, politische Verantwortung einer bestimmten recht – eine die bisherige Systematik der grundgesetzli-
(B) Ebene zuzuordnen. Folge ist ein Bedeutungsverlust der chen Kompetenztitel durchbrechende neue Form (D)
Länderparlamente, aber auch des Bundestages bei wach- gemeinsamer Gesetzgebung eingeführt, die keinerlei
sender Macht der Exekutive in Bund und Land sowie des sachliche Verbesserung bringt und eher das Ergebnis ei-
Vermittlungsausschusses. Darüber hinaus kommt bei ner komplizierten politischen Kompromissfindung ist als
Einbindung zu vieler Beteiligter, insbesondere über den eine an der Materie orientierte Lösung. Abzulehnen ist
Bundesrat, die politische Lähmung zustande, die wir seit auch der Verzicht auf ein völliges Einmischungsverbot
Jahren zu beklagen haben. des Bundes in die Bildungshoheit der Länder. Gerade so
genannte Kooperationsprogramme des Bundes ver-
Gleichzeitig ebnet der kooperative Föderalismus aus
schleiern Verantwortung, verzerren den Wettbewerb und
einem falschen Gleichheitsverständnis – insbesondere
sind nur ein weiterer Basar, auf dem der Bund sich die
aus einer verfehlten Interpretation des in Art. 72 des
Zustimmung von Ländern in anderen politischen Fragen
Grundgesetzes verwendeten Begriffs der Einheitlichkeit
erkaufen kann. So etwas gehört kategorisch ausgeschlos-
der Lebensverhältnisse heraus – regionale Unterschiede
sen.
ein und nivelliert Erfolge auf Länderebene umgehend
wieder. Das ist unfair den erfolgreichen Ländern gegen- Wegen der genannten Mängel des Entwurfes kommt
über und verhängnisvoll im Hinblick darauf, dass mitt- für mich eine Zustimmung zum Entwurf der Koalition
lerweile zahlreiche Länder auf Dauer nicht finanziell le- nicht in Betracht.
bensfähig sind und auf unabsehbare Zeit auf immer
höhere Transfers anderer Länder und des Bundes ange- Unterschätzt wird in der Diskussion allerdings die er-
wiesen sind. Wenn sich hier nicht schnellstens etwas än- freuliche Reduzierung der im Bundesrat zustimmungs-
dert, ist die finanzielle Leistungsfähigkeit aller Länder pflichtigen Bundesgesetze. Das stärkt das Parlament,
und des Bundes gefährdet. schafft mehr Transparenz und ist ein Gewinn für die De-
mokratie. Es ist darüber hinaus eine Verbesserung im
Die Lösung muss in der Einführung eines Wettbe- Hinblick auf die politische Entscheidungsfähigkeit ins-
werbsföderalismus liegen. Regionale Unterschiede sind gesamt und damit auf die Möglichkeit, die weit reichen-
nicht nur geduldeter, sondern tragender und gewollter den Reformen zügig zu verabschieden, die Deutschland
Bestandteil eines solchen Systems. Voraussetzung dafür so dringend braucht.
ist, dass die Länder, die sich heute vielfach zu Großland-
kreisen, zu fast reinen Verwaltungseinheiten entwickelt Diese Verbesserung in Rechnung stellend, habe ich
haben, wieder mehr eigene politische Gestaltungsmacht mich entschlossen, den Entwurf nicht abzulehnen, son-
bekommen. Im Gegenzug müssen die Länder aber auf dern mich der Stimme zu enthalten.
4360 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Anlage 11 mung bei einem Änderungsantrag zu dieser Frage im (C)


Rechtsausschuss. Unsere Appelle an die Kollegen auf
Erklärung nach § 31 GO
der Bundesebene sind leider ohne Erfolg geblieben. Ein
der Abgeordneten Christine Lambrecht und entsprechender Antrag fand im Rechtsausschuss des
Christoph Strässer (beide SPD) zur namentli- Deutschen Bundestages keine Mehrheit. Es wird daher
chen Abstimmung über den Entwurf eines zu einer Kompetenzübertragung auf die Länder kom-
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes men.
(Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c,
91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, Wir sehen hierin eine bedauerliche Missachtung kla-
125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a) rer Forderungen auch aus der Fachöffentlichkeit und der
Erkenntnis der gemeinsamen Anhörung von Bundestag
Klarheit bei der politischen Verantwortung, transpa- und Bundesrat.
rente Verfahren und mehr Demokratie durch Stärkung
der Parlamente: Das sind Ziele, die auch von den Unter- Grundsätzlich stellen wir fest: Der solidarische Föde-
zeichnern dieser Erklärung nach § 31 der Geschäftsord- ralismus war bisher ein Fundament der Erfolgsge-
nung geteilt werden. Deshalb war es auch unbedingt not- schichte der Bundesrepublik. Dieses Fundament darf
wendig, nach den Verfassungsänderungen von 1994 und nicht zerstört werden durch einen Wettbewerbsföderalis-
der damaligen Einführung des Verfassungskriteriums der mus, der gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche
Erforderlichkeit den Versuch zu unternehmen, sich Solidarität erschwert oder gar verhindert. Die Unter-
durch politisch souveräne Entscheidungen von der An- zeichnenden machen mit der Erklärung auch gemeinsam
hängigkeit von Entscheidungen des Bundesverfassungs- deutlich, dass sie bei den weiteren Verhandlungen über
gerichts zu befreien und insgesamt zu einer klareren Zu- die zukünftige Gestaltung der Bund-Länder-Finanzbe-
ordnung der politischen Verantwortlichkeiten in den ziehungen für unverzichtbar halten, dass die Sicherung
Landesparlamenten und im Bundestag zu kommen. der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zentrales
politisches Ziel und Verfassungsauftrag auch für die Zu-
Mit unserer Zustimmung zu der vorliegenden Verfas- kunft bleiben müssen. Hieran haben sich auch alle Über-
sungsreform wollen wir grundsätzlich anerkennen, dass legungen zu den zukünftigen Finanzbeziehungen von
es hier zu substanziellen Verbesserungen und Klärungen Bund und Ländern und der Länder untereinander zu
gegenüber der jetzigen Verfassungslage gekommen ist. orientieren.
Wir stellen fest, dass insbesondere in den letzten Ver-
handlungsrunden noch wichtige Verbesserungen in den
Organisations- und Verfahrensfragen erreicht worden Anlage 12
sind wie auch in der Verteilung der Zuständigkeiten von
(B) Erklärung nach § 31 GO (D)
Bund und Ländern, hier vor allen Dingen im Bildungs-
bereich. der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg),
Die klare Neuregelung des Art. 72 Abs. 2 GG wird Kerstin Griese, Christel Humme und Caren
die Kompetenzfrage zwischen dem Bund und den Län- Marks (alle SPD) zur namentlichen Abstim-
dern zukünftig verbessern. mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Än-
derung des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52,
Auf der anderen Seite müssen und wollen wir nach- 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93,
drücklich deutlich machen, dass es weiterhin klare Kri- 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b,
tikpunkte gibt. 125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
Ein für uns wesentlicher Punkt ist die Übertragung Wir stimmen dem oben genannten Gesetzentwurf
der Verantwortung für den Strafvollzug vom Bund auf trotz Bedenken zu. Unsere Bedenken wurden durch die
die Länder. Diese halten wir für völlig falsch. Auch die Sachverständigenanhörung des Deutschen Bundestages
Anhörung hat hierfür keinerlei sachliche Begründung er- und des Bundesrates nicht ausgeräumt, sondern bekräf-
geben. Wir bedauern es, dass durch die politische Fehl- tigt.
einschätzung der Bundesjustizministerin Zypries, die die
Kompetenz für den Strafvollzug ohne Abstimmung mit Erstens. Der vorliegende Entwurf der Föderalismus-
den Rechtspolitikern den Ländern angeboten hat. Bedau- reform räumt den Ländern großen Gestaltungsspielraum
erlicherweise hatten spätere Versuche, diesen Fehler zu im Hinblick auf die Bestimmung von Verwaltungsver-
korrigieren, keinen Erfolg, da die Länder an dem Ange- fahren und Behördeneinrichtungen ein. Wir befürchten
bot festgehalten haben. hierdurch negative Auswirkungen auf die Kinder- und
Jugendhilfe. Denn ein gemeinsamer Rahmen von Stan-
Die Folge wird ein Wettbewerbsföderalismus der
dards und Strukturen bleibt auch weiterhin eine wesent-
schlechten Sorte sein, bei dem sich die Situation für die
liche Voraussetzung für die Verbesserung der Lebensla-
Resozialisierungsprogramme und die Wiedereingliede-
gen von Kindern und Jugendlichen. Diesen sehen wir
rung von Strafgefangenen in die Gesellschaft erheblich
durch die Föderalismusreform gefährdet. Beispielhaft
verschlechtern wird. Dies wird weit reichende Auswir-
genannt seien die mögliche Abschaffung der kommuna-
kungen sowohl auf den Strafvollzug als auch auf die Kri-
len Jugendämter sowie der Landesjugendämter, die
minalitätsentwicklung in Deutschland haben.
unserer Einschätzung nach notwendig sind für eine qua-
Wir haben bis zur letzten Minute versucht, dies zu lifizierte, schnelle, zielgenaue und effiziente Hilfege-
verhindern, unter anderem auch durch unsere Zustim- währung.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4361

(A) Zweitens. Wir halten die Übertragung der Kompetenz nalen Studien sind eindeutig: Das Fundament des (C)
für das Heimrecht auf die Länder nicht für richtig. Das Innovationsstandorts Deutschland hat tiefe Risse. Seit
Heimrecht gehört – wie alle anderen Bereiche der öffent- anderthalb Jahrzehnten stagnieren das Qualifikationsni-
lichen Fürsorge – in Bundeszuständigkeit. Es ist nicht veau der Bevölkerung ebenso wie die gesamtstaatlichen
nachvollziehbar, warum die Herstellung gleichwertiger Ausgaben für Bildung. Das deutsche Bildungssystem ist
Lebensverhältnisse nicht für die Bewohnerinnen und Be- nicht leistungsfähig genug, alle Menschen mit der best-
wohner von Heimen Gültigkeit haben soll. Konkret be- möglichen Bildung zu versorgen und alle Begabungsre-
fürchten wir durch die Kompetenzverlagerung Ver- serven auszuschöpfen. Soziale Auslese ist ein wesentli-
schlechterungen im Hinblick auf die Qualität von Pflege ches Merkmal, zunehmende Bildungsarmut und damit
und Einschnitte bei den Verbraucherschutzrechten. Die soziale Armut sind die eine Folge, zu wenig Hochquali-
abzusehenden Schnittstellenprobleme zwischen der Pfle- fizierte und damit drohender Fachkräftemangel die an-
geversicherung (SGB XI) und dem dann föderalisierten dere. Die Korrelation von Bildungsdefiziten mit der
Heimrecht werden unserer Meinung nach gravierend Wachstums- und Innovationsschwäche in Deutschland
sein. ist evident. Um die Negativtrends umzudrehen, bedarf es
eines kooperativen Bildungs-, Wissenschafts- und For-
Grundsätzlich halten wir eine Föderalismusreform schungssystems und gemeinsamer Kraftanstrengungen
aber für geboten und sinnvoll. Gesetzgebungskompeten- von Bund und Ländern. Mit dem im Verfassungsentwurf
zen klarer zu trennen, die Anzahl der Zustimmungs- zunächst vorgesehenen Kooperationsverbot für den ge-
pflichtigen Gesetze zu reduzieren und damit den Bund samten Bildungsbereich wurde der ursprüngliche Ge-
handlungsfähiger zu machen, für die Bürgerinnen und setzentwurf den existenziellen Handlungsnotwendigkei-
Bürger größere Transparenz im Hinblick auf politische ten nicht gerecht und eine Zustimmung wäre von daher
Verantwortlichkeiten zu schaffen, sind Ziele, die wir für nicht zu verantworten gewesen.
richtig halten und die unsere Unterstützung finden. Die
Erreichung dieser Ziele hat für uns so großes Gewicht, Wir begrüßen deshalb nachdrücklich die nunmehr
dass wir dem Entwurf trotz unserer Bedenken zustim- vorgenommene Klarstellung im Art. 91 b GG zur ge-
men. meinsamen Förderung von Lehre und Forschung an den
Hochschulen. Damit ist eine eindeutige verfassungs-
rechtliche Grundlage für die gemeinsame Förderung von
Anlage 13 Wissenschaft und Forschung durch Bund und Länder,
und zwar sowohl im investiven wie auch im nicht inves-
Erklärung nach § 31 GO tiven Bereich, geschaffen worden. Angesichts der her-
der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Ulla ausragenden Bedeutung, die die Wissenschaft, For-
(B) Burchardt, Jörg Tauss, Gerold Reichenbach, schung und eine qualitativ hochwertige Ausbildung der (D)
Gesine Multhaupt, Swen Schulz (Spandau), Ute Studierenden für die Zukunft unseres Landes haben, ist
Berg und Dr. Carola Reimann (alle SPD) zur dies ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen
namentlichen Abstimmung über den Entwurf Verfassungsentwurf.
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes Wir bedauern allerdings, dass durch die Neufassung
(Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 des Art. 91 b GG und des 104 b Abs. 1 GG eine umfas-
c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, sende Kooperation von Bund und Ländern im Bildungs-
125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungs- bereich ausgeschlossen wird. Erfolgreiche Bildungspro-
punkt 29 a) gramme wie SINUS oder das Ganztagsschulprogramm
Die Reform unseres föderalen Systems war und ist haben vielmehr deutlich gemacht, dass Initiativen des
überfällig. Klare Zuordnung der politischen Verantwor- Bundes auch im Schulbereich für die Weiterentwicklung
tung, transparente Verfahren und mehr Demokratie des Bildungswesens sinnvoll und wünschenswert sind.
durch Stärkung der Parlamente: Das sind Ziele, die auch Wir verbinden unsere Zustimmung deshalb mit der Er-
wir nachdrücklich teilen. wartung, dass dieser weltweit einzigartige Ausschluss
der Kooperation nach vier Jahren vor dem Hintergrund
Mit unserer Zustimmung zu der vorliegenden Verfas- der Erfahrungen überprüft wird.
sungsreform wollen wir grundsätzlich anerkennen, dass
es hier zu substanziellen Verbesserungen gegenüber dem Wir gehen bei der im neuen Art. 143 c GG vorgesehe-
bisherigen Verfassungsentwurf gekommen ist. Wir stel- nen Kompensation des Bundes für den Wegfall des
len fest, dass insbesondere in den letzten Verhandlungs- HBFG vorgesehenen Zweckbindung der Finanzzuwei-
runden noch wichtige Verbesserungen in den Organisa- sungen an die Länder bis 2013 davon aus, dass diese die
tions- und Verfahrensfragen erreicht worden sind wie Bundesmittel wie bisher mit 50 Prozent gegenfinanzie-
auch in der Verteilung der Zuständigkeiten von Bund ren.
und Ländern, hier vor allen Dingen im Bildungsbereich.
Auf der anderen Seite haben wir weiterhin erhebliche
In der Wissensgesellschaft betreffen Bildungs- und Bedenken in den folgenden Punkten: Erstens. Die vorge-
Qualifizierungsfragen die existenziellen Interessen des sehenen Regelungen zu Kostenfolgen von Bundesgeset-
Einzelnen wie der Gesellschaft als Ganzes. Bildung ist zen können unseres Erachtens zu weiteren Zustim-
zentrale Voraussetzung für Innovationsfähigkeit und da- mungsrechten des Bundesrates führen. Zweitens.
mit für Zuwächse in Wertschöpfung, Wachstum und Be- Erforderlichkeitskriterium bleibt zum Teil erhalten, was
schäftigung. Die Befunde der nationalen und internatio- die bekannte Rechtsunsicherheit nicht beseitigt. Drittens.
4362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) Das Abweichungsrecht birgt die Gefahr einer großen Wellenreuther, Helmut Brandt, Klaus Riegert (C)
Unübersichtlichkeit im Rechtssystem. Viertens. Wir neh- und Günter Baumann (alle CDU/CSU) zur
men die Sorgen ernst, dass ein in 16 Rechtseinheiten zer- namentlichen Abstimmung über den Entwurf
splittertes öffentliches Dienstrecht zu einer deutlichen eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
Verringerung der Leistungskraft des öffentlichen Diens- (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c,
tes und zu einer erheblichen Einschränkung der Mobili- 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a,
tät der Beschäftigten führen kann. Letzteres wäre gerade 125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
für den Wissenschaftsbereich fatal. Ein leistungsfähiger
öffentlicher Dienst ist ein wesentlicher Standortvorteil Obwohl wir in Teilen die Änderung des Grundgeset-
für alle. zes für falsch halten, werden wir dem Gesetzentwurf un-
sere Zustimmung erteilen. Die durch das Gesamtgesetz
Grundsätzlich stellen wir fest: erreichte Entflechtung der Zuständigkeiten, neu geschaf-
fene Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zwi-
Der solidarische Föderalismus war bisher ein Funda-
schen dem Bund und den Bundesländern sowie die
ment der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Dieses
Erhöhung der Transparenz der politischen Verantwort-
Fundament darf nicht zerstört werden durch einen Wett-
lichkeiten überwiegen allerdings die Bedenken, die im
bewerbsföderalismus, der gesamtstaatliche und gesamt-
Detail bestehen.
gesellschaftliche Solidarität erschwert oder gar verhin-
dert. Wir halten einen Wettbewerbsföderalismus, der das Aus unserer Sicht besteht unter keinem Gesichtspunkt
Partikularinteresse vor das Gesamtinteresse stellt, für die Notwendigkeit einer Ergänzung des Art. 33 Abs. 5
schädlich für die Zukunft Deutschlands. Wettbewerb GG um die Wörter „und fortzuentwickeln“ (Art. 1 Ziff. 3
funktioniert nur, wenn das Eigeninteresse auch dem Ge- des Gesetzentwurfes). Dies wurde ausweislich der Pro-
samtinteresse dient. tokolle einvernehmlich schon in den fachlichen Beratun-
gen der Föderalismuskommission der vergangenen Le-
Die Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensver-
gislaturperiode festgestellt. Alle Experten, die in der
hältnisse muss auch für die Zukunft zentrales politisches
gemeinsamen Anhörung des Deutschen Bundestages
Ziel und Verfassungsauftrag bleiben. Hieran haben sich
und des Deutschen Bundesrates eine Stellungnahme ab-
auch die vorgesehenen Verhandlungen über die Neuord-
gegeben haben, kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass
nung der zukünftigen Finanzbeziehungen von Bund und
kein Änderungsbedarf besteht. Sie verwiesen dabei auf
Ländern und der Länder zu orientieren.
die langjährige Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts zu Art. 33 Abs. 5 GG. Auch ein Blick in die Ge-
schichte der Änderungen des Beamtenrechts unter der
Anlage 14
(B) Geltung des Art. 33 Abs. 5 zeigt, dass eine Modernisie- (D)
Erklärung nach § 31 GO rung und Fortentwicklung des Beamtenrechts unter der
derzeitigen Fassung des Grundgesetzes nicht nur theore-
der Abgeordneten Johannes Singhammer, tisch möglich war, sondern tatsächlich auch stattgefun-
Markus Grübel, Thomas Dörflinger, Paul den hat. Es besteht daher weder politisch noch rechtlich
Lehrieder, Elisabeth Winkelmeier-Becker, eine Veranlassung, die im Gesetzentwurf enthaltene Än-
Antje Blumenthal und Katharina Landgraf derung vorzunehmen.
(alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung In den Beratungen des Gesetzentwurfs wurde festge-
des Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, stellt, dass die Änderung lediglich deklaratorischer Na-
74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, tur sein soll und die derzeit bestehende Verfassungs-
104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) rechtsprechung in den Verfassungstext aufnehmen soll.
(Tagesordnungspunkt 29 a) Wir stellen fest, dass die lediglich deklaratorische Ände-
rung mit entscheidend dafür ist, dass wir das oben ange-
Die Länder haben durch die Föderalismusreform sprochene Votum abgeben. Wir halten die Änderung des
– Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes ersetzt die Zustim- Art. 33 Abs. 5 GG aber nach wie vor für ein falsches
mungsrechte des Bundesrates durch Abweichungsrechte politisches Signal und fachlich nicht geboten.
der Länder – im Bereich des Kinder- und Jugendhilfe-
rechts und im Bereich des Heimrechts einen größeren Die Übertragung des Laufbahn-, Besoldungs- und
Gestaltungsspielraum erhalten. Wir sind überzeugt, dass Versorgungsrechtes an die Bundesländer, wie sie sich
die Länder diesen Gestaltungsspielraum so nutzen, dass aus Art. 1 Ziff. 7 Buchstabe a, oo (Nr. 27) des Gesetzent-
die Qualität der Kinder- und Jugendhilfe und der Pflege wurfes ergibt, ist aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt.
auf hohem Niveau erhalten bleibt und die grundsätzli-
chen Zielsetzungen der öffentlichen Fürsorge im SGB Der Verbleib des Statusrechtes in der Bundeskompe-
nicht verändert werden. tenz wird, wie sich aus der Anhörung der Sachverständi-
gen ergab, zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen und
dem Ziel der eindeutigen Trennung der Zuständigkeiten
von Bund und Bundesländern nicht gerecht.
Anlage 15
Erklärung nach § 31 GO Die Bundesländer selber haben 1971 den Bund ge-
drängt, die Zuständigkeit für Besoldungs-, Versorgungs-
der Abgeordneten Ralf Göbel, Beatrix Philipp, und Laufbahnrecht zu übernehmen. Die damaligen
Clemens Binninger, Reinhard Grindel, Ingo Argumente gelten auch heute noch fort. Die seitherigen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4363

(A) vielfältigen gesetzlichen Regelungen zur Modernisie- durch Stärkung der Parlamente: Das sind Ziele, die wir (C)
rung des Beamtenrechts, insbesondere zur Einführung auch nachdrücklich teilen. Die Geschichte der Bundesre-
von leistungsbezogenen Besoldungselementen in der publik Deutschland ist die Erfolgsgeschichte eines soli-
Beamtenbesoldung, wurden von den Bundesländern darischen Föderalismus. Er beruht auf dem Prinzip des
kaum, zum Teil gar nicht angewandt. Damit haben die Ausgleichs und auf der Unterstützung der Schwächeren
Bundesländer einen gewichtigen Teil einer Wettbe- durch die Stärkeren, ohne damit Unterschiede in der
werbskomponente, die ihnen schon seit Jahren zur Ver- Leistungsfähigkeit zu vernachlässigen. Dieses Funda-
fügung steht, nicht genutzt. Das Argument einer stärker ment darf nicht zerstört werden durch einen Wettbe-
wettbewerbsorientierten Gestaltung des Besoldungs- werbsföderalismus, der gesamtstaatliche und gesamtge-
und Versorgungsrechts ist daher nur begrenzt stichhaltig. sellschaftliche Solidarität erschwert oder gar verhindert.
Die Etablierung von theoretisch 17 verschiedenen Wir kritisieren in besonderer Weise, dass das Beam-
Versorgungssystemen für Landes- und Bundesbeamte ist ten- und Besoldungsrecht, das Strafvollzugs- und das
nicht überzeugend begründet und auch nicht überzeu- Heimrecht in die Länderkompetenz übertragen und Ab-
gend begründbar, zumal auch im Versorgungsrecht weichungsmöglichkeiten im Umweltrecht geschaffen
schon heute die Bundesländer nicht gehindert sind, Vor- wurden. Darüber hinaus bedauern wir ausdrücklich, dass
sorge für künftig anfallende Versorgungslasten zu tref- durch die Neufassung des Art. 91 b GG und des
fen. Nur wenige Bundesländer haben hier – trotz beste- Art. l04 b Abs. 1 GG eine umfassende Kooperation von
hender rechtlicher Möglichkeiten – Regelungen getroffen. Bund und Ländern im Bildungsbereich ausgeschlossen
Die Übertragung des Laufbahnrechts in die Zustän- wird.
digkeit der Bundesländer kann fördernde Wirkungen ha- Trotzdem haben wir dem Gesetzentwurf zugestimmt.
ben. Dies ist in der Anhörung überzeugend vorgetragen Durch die nunmehr vorgenommene Klarstellung im
worden. Gleichzeitig können aber auch erhebliche Mo- Art. 91 b GG zur gemeinsamen Förderung von Lehre
bilitätshindernisse errichtet werden, die der im Allge- und Forschung an den Hochschulen ist eine eindeutige
meinen geforderten Mobilität und Flexibilität der Be- verfassungsrechtliche Grundlage für die gemeinsame
schäftigten des öffentlichen Dienstes entgegenstehen. Förderung von Wissenschaft und Forschung durch Bund
Auch dies wurde in der Anhörung deutlich herausgear- und Länder, und zwar sowohl im investiven wie auch im
beitet. Wir halten daher die im Gesetzentwurf vorgese- nichtinvestiven Bereich, geschaffen worden. Angesichts
hene Übertragung der beschriebenen Zuständigkeiten der herausragenden Bedeutung, die die Wissenschaft,
weder für notwendig, noch für zielführend. Forschung und eine qualitativ hochwertige Ausbildung
Dennoch ist in diesem Zusammenhang zu berücksich- der Studierenden für die Zukunft unseres Landes und in
besonderer Weise für Ostdeutschland haben, ist dies ein
(B) tigen, dass im föderalen System der Bundesrepublik deutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfas- (D)
Deutschland die Bundesländer eigene Staatsqualität ha-
ben. Zu dieser gehören unbestreitbar die Personal- und sungsentwurf. Wir verknüpfen unsere Zustimmung je-
die Finanzautonomie, die das Begehren der Bundeslän- doch mit der dringenden Erwartung, dass bei der zweiten
der auf die Rückübertragung der 1971 an den Bund über- Stufe der Föderalismusreform dem Ziel der Sicherung
tragenen Kompetenzen rechtfertigen. Auch wenn wir die der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Rechnung
Übertragung der genannten Zuständigkeiten für falsch getragen wird und die Zusagen aus dem Solidarpakt II
halten, können wir uns dem Begehren aus Respekt vor für die neuen Länder unangetastet bleiben.
der Eigenstaatlichkeit der Bundesländer nicht verschlie-
ßen.
Anlage 17
Erklärung nach § 31 GO
Anlage 16
der Abgeordneten Johannes Pflug, Heinz Paula,
Erklärung nach § 31 GO Angelika Krüger-Leißner, Iris Hoffmann (Wis-
der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Andrea mar), Petra Ernstberger, Doris Barnett,
Wicklein, Dr. Margrit Spielmann, Dr. Peter Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Dr. Carl-
Danckert, Dr. Ditmar Staffelt, Andreas Christian Dressel, Karin Evers-Meyer, Dagmar
Steppuhn, Christian Kleiminger, Volker Freitag, Monika Griefahn, Hans-Joachim
Blumentritt, Silvia Schmidt (Eisleben), Iris Hacker, Petra Heß, Johannes Kahrs, Dr. h. c.
Gleicke, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Susanne Kastner, Dr. Uwe Küster, Bernd
Engelbert Wistuba und Andreas Weigel (alle Scheelen, Silvia Schmidt (Eisleben), Reinhard
SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Schultz (Everswinkel), Simone Violka und
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Steffen Reiche (Cottbus) (alle SPD) zur nament-
Grundgesetzes (Art. 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, lichen Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, setzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 22,
105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c) (Tages- 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a,
ordnungspunkt 29 a) 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a,
125 b, 125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a)
Die Reform unseres föderalen Systems war und ist
überfällig. Klare Zuordnung der politischen Verantwor- Die Zustimmung zur Föderalismusreform ist mir
tung, transparente Verfahren und mehr Demokratie nicht leicht gefallen. Denn eine Reihe von Bedenken, die
4364 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) ich immer wieder geäußert habe, sind nicht ausgeräumt Diese Ziele haben wir erreicht. Statt 55 bis 60 Prozent (C)
worden. Im Wesentlichen geht es um folgende Punkte: der Bundesgesetze sinkt die Zustimmungsquote nun vo-
Der Zustimmungsvorbehalt des Bundesrates bei der raussichtlich bis unter 30 Prozent. Das ist ein großer
Bundesgesetzgebung hätte deutlicher reduziert werden Fortschritt. Der Bund kann nunmehr viele Bereiche, die
müssen. Die Verfassungskorrekturen im Umfeld von in seiner Gesetzgebungskompetenz stehen, ohne Einmi-
Art. 83, 84 GG wiesen den richtigen Weg, der leider schung des Bundesrates regeln. In wichtigen Bereichen
nicht bis zum Ende beschritten werden konnte. Ferner behält der Bund seinen Einfluss, etwa im Öffentlichen
hätte ich ein einheitliches Strafvollzugsrecht (Art. 74 Dienstrecht oder allgemein durch die Regel, dass bei den
Abs. l Nr. l GG) begrüßt. Es besteht die Gefahr, dass sich Abweichungsrechten der Länder (Art. 72 Abs. 3, Art. 84
die Strafvollzugsregeln nach der Kassenlage des jeweili- Abs. l GG) die späteren Gesetze den früheren vorgehen
gen Bundeslandes richten. Es ist nicht ausgeschlossen, (Ex-posterior-Regel). Der Bund kann zudem bis 2009
dass Gefängnisse zu bloßen Verwahranstalten werden – ein vollständiges Umweltgesetzbuch entwickeln, von
mit nicht absehbaren sozialen Folgen. Ebensosehr halte dem die Länder in den Kernpunkten nicht abweichen
ich es für bedenklich, dass das Heimrecht der Gesetzge- dürfen. Der Bund gewinnt zudem sechs wichtige Berei-
bungskompetenz des Bundes entzogen wurde. Es ist che hinzu, etwa die ausschließliche Kompetenz für das
jetzt deutlich schwerer, eine Mindestqualität der statio- BKA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus,
nären Pflege zu sichern und einen Wettlauf nach unten das Waffenrecht oder durch verbindliche Länderbeteili-
zu verhindern. Ich hätte mir gewünscht, behinderten und gung bei Verletzungen von EU-Recht sowie bei Sanktio-
alten Menschen wäre ein 16-faches Dickicht von Rege- nen aufgrund von Verletzungen des Europäischen Stabi-
lungen für die Zusammenarbeit von Behörden, Einrich- litätspaktes. Darüber hinaus haben wir erreicht, dass der
tungsträgern und anderen Beteiligten erspart geblieben. Bund Europarecht schneller umsetzen kann und damit in
Darüber hinaus hoffe ich sehr, dass auch die Abstim- Brüssel besser aufgestellt ist.
mungsverfahren zwischen Bund und Ländern für die Be-
reiche Rundfunk, Bildung und Kultur auf europäischer Auf der anderen Seite nimmt sich der Bund dort zu-
Ebene noch effektiver gestaltet werden. rück, wo die Angelegenheiten der Länder berührt sind.
Dies sind insgesamt 16 Materien, unter anderem:
Trotzdem habe ich der Föderalismusreform zuge-
– Verfahrensrecht und die Behördeneinrichtung, eine
stimmt. Denn trotz der Risiken, die diese Reform mit
ausgesprochene Domäne der Länder;
sich bringt, führt an ihr kein Weg vorbei. Langwierige
Entscheidungswege, übermäßige Verflechtungen und – Abschaffung der Kategorie der Rahmengesetzgebung
gegenseitige Blockaden von Bund und Ländern haben (bisher Art. 75 GG), weil dreistufige Verfahren (Euro-
die Steuerungsfähigkeit unseres Staates in nicht akzep- päisches Recht, Bundesrahmenrecht, Landesausfül-
(B) tabler Weise beeinträchtigt. Das können wir uns nicht lungsrecht) zu umständlich sind und weil diese (D)
mehr leisten. Das Gesetz, dem ich zugestimmt habe, ist Gesetzgebungskompetenz in der Verfassungspraxis
nicht perfekt. Doch es beinhaltet den äußersten Kompro- ohnehin ins Leere läuft;
miss, den wir als Bundestagsabgeordnete der SPD den
Ländern abtrotzen konnten, ohne die Reform scheitern – Teile des Öffentlichen Dienstrechts, insbesondere die
zu lassen. Und ein Scheitern galt es – selbst um einen Besoldung und Versorgung der Landesbeamten und
hohen Preis – zu verhindern. Richter;

Zudem haben die Menschen in Deutschland ein Recht – im Bereich des Hochschulwesens, in dem den Län-
darauf, nachvollziehen zu können, wer für welche Auf- dern die Freiheit gegeben wird, den Universitäten und
gaben zuständig und damit politisch verantwortlich ist. anderen Hochschulen die Chance auf mehr Eigenver-
Es wäre ein großer Schaden für unser Land und ein De- antwortung und Unabhängigkeit zu geben;
saster für alle Entscheidungsträger, wenn die Reform – im Umweltrecht, insbesondere im Bereich des Natur-
nach mehrjährigem harten Ringen scheitern würde. schutzes. Wichtig ist, dass die Länder nur außerhalb
Letztendlich habe ich für diese Reform gestimmt, der Grundsätze des Naturschutzes abweichen dürfen.
weil trotz meiner Kritik die wesentlichen Reformziele Mag diese Regelung auch vielen Bauchschmerzen be-
erfüllt wurden. Hier sind zu nennen: reiten, sie ist dem Kompromiss zwischen Bund und
Ländern geschuldet. Zudem befürchte ich nicht, dass
– Stärkung der Gesetzgebung durch deutlichere Zuord- die Landesparlamente die neue Macht nutzen, um den
nung der Gesetzgebungskompetenzen und Abschaf- Naturschutz zurückzufahren. Ganz im Gegenteil: Das
fung der Rahmenkompetenzen. Bewusstsein dafür, wie wertvoll saubere Flüsse, ab-
gasarme Luft und gesunde Wälder sind, bildet sich
– Abbau gegenseitiger Blockaden durch Neubestim- vor allem in den Gemeinden und Stadteilen vor Ort.
mung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesge- Und da sind die Länder allemal näher dran;
setzen im Bundesrat.
– Gemeinschaftsaufgaben aufzugeben ermöglicht dem
– Klarere Finanzverantwortung zwischen Bund und Bund ein Stück Bürokratieabbau. Zwar leistet der
Ländern durch Abbau von Mischfinanzierungen und Bund Kompensationszahlungen in Höhe von gut
Neufassung der Möglichkeiten der Finanzhilfen des 2,5 Milliarden Euro jährlich bis 2013. Doch sind
Bundes, wobei die Zusagen aus dem Solidarpakt II diese Aufgaben zweckgebunden. Und die Länder
für die neuen Bundesländer bekräftigt werden sollten. übernehmen dafür Aufgaben in den Bereichen Hoch-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006 4365

(A) schulbau, Gemeindeverkehrsfinanzierung und sozia- zeichnerinnen und Unterzeichnern dieser Erklärung nach (C)
ler Wohnungsbau. § 31 der Geschäftsordnung geteilt werden. Deshalb war
es auch unbedingt notwendig, nach den Verfassungsän-
Alles in allem handelt es sich um die größte Verfas- derungen von 1994 und der damaligen Einführung des
sungsreform seit Bestehen des Grundgesetzes. Solch ein Verfassungskriteriums der Erforderlichkeit den Versuch
Reformprojekt darf man nicht scheitern lassen, so sehr zu unternehmen, sich durch politisch souveräne Ent-
ich auch einige Regelungen für verbesserungswürdig scheidungen von Bundestag und Bundesrat von der Ab-
halte. hängigkeit von Entscheidungen des Bundesverfassungs-
Schließlich muss ich anerkennen, dass nach den Ex- gerichts zu befreien und insgesamt zu einer klareren
pertenanhörungen im Mai und Juni 2006 ein wesentli- Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten in den
cher Punkt verbessert wurde. Der Kompromiss, dass der Landesparlamenten und im Bundestag zu kommen.
Bund Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Mit unserer Zustimmung zu der vorliegenden Verfas-
Hochschulen und Forschungsbauten an Hochschulen ne- sungsreform wollen wir grundsätzlich anerkennen, dass
ben wissenschaftlicher Forschung außerhalb der Hoch- es hier zu substanziellen Verbesserungen und Klärungen
schulen Finanzhilfen geben darf (Art. 91 b GG), stellt si- gegenüber der jetzigen Verfassungslage gekommen ist.
cher, dass er auch Gelder für den Ausbau der Wir stellen fest, dass insbesondere in den letzten Ver-
Hochschulen überweisen kann. Das ist mir sehr wichtig. handlungsrunden noch wichtige Verbesserungen in den
Dieser Kompromiss, insbesondere die Erweiterung von Organisations- und Verfahrensfragen erreicht worden
„wissenschaftlicher Forschung“ auf „Wissenschaft und sind wie auch in der Verteilung der Zuständigkeiten von
Forschung“ (Art. 91 b Abs. l Nr. 2 GG) hat wesentlich Bund und Ländern, hier vor allen Dingen im Bildungs-
dazu beigetragen, dass ich dieser Reform trotz meiner bereich.
Bedenken zugestimmt habe. Auf der anderen Seite müssen und wollen wir nach-
Ich erwarte, dass wir diesen Reformprozess unseres drücklich deutlich machen, dass es weiterhin klare Kri-
Grundgesetzes nicht nur begleiten, sondern nach einem tikpunkte gibt:
angemessenen Zeitabstand die Wirkung der Änderungen Erstens. Die vorgesehenen Regelungen zu Kostenfol-
bewerten. Denn das Wohl unseres Landes und seiner gen von Bundesgesetzen können zu weiteren Zustim-
Menschen in einem modernen, föderalen und sozialen mungspflichten bei Bundesgesetzen führen.
Rechtsstaat muss unser fester Wille und das oberste Ziel
unseres Handelns sein. Zweitens. Das Erforderlichkeitskriterium bleibt zum
Teil erhalten, was die bekannte Rechtsunsicherheit nicht
beseitigt.
(B) Anlage 18 (D)
Drittens. Das Abweichungsrecht birgt die Gefahr ei-
ner großen Unübersichtlichkeit im Rechtssystem.
Erklärung nach § 31 GO
Viertens. Auch wenn die Innovationskraft in Deutsch-
der Abgeordneten Dr. Lale Akgün, Lothar land über die Begründung einer neuen „Gemeinschafts-
Binding (Heidelberg), Elvira Drobinski-Weiß, aufgabe“ – sprich: einer gemeinsamen Verantwortung –
Elke Ferner, Willi Brase, Renate Gradistanac, Hochschulförderung klar gestärkt worden ist, wird sie in
Klaus Hagemann, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, anderen Bereichen der Bildungspolitik leider eindeutig
Gabriele Hiller-Ohm, Frank Hofmann geschwächt.
(Volkach), Dr. Bärbel Kofler, Karin Kortmann,
Rolf Kramer, Anette Kramme, Ute Kumpf, Fünftens. Nicht zuletzt die umfangreiche gemeinsame
Gabriele Lösekrug-Möller, Lothar Mark, Hilde Anhörung von Bundestag und Bundesrat hat mit einem
Mattheis, Dr. Sascha Raabe, Dr. Ernst Dieter eindeutigen Votum der Expertinnen und Experten ge-
Rossmann, Ortwin Runde, Dr. Frank Schmidt, zeigt, dass die Zuständigkeit für das Heimrecht, aber
Heinz Schmitt (Landau), Swen Schulz (Span- auch wichtige Regelungen in der Jugendhilfe und das
dau), Ewald Schurer, Dr. Rainer Tabillion, Strafvollzugsrecht aus Gründen der Einheitlichkeit der
Dr. Wolfgang Wodarg, Heidi Wright, Manfred Lebensverhältnisse und der Sicherung gemeinsamer
Zöllmer, Christian Kleiminger, Karin Roth Standards beim Bund verbleiben sollte. Wir sehen hierin
(Esslingen), Christoph Strässer, Bettina eine bedauerliche Missachtung klarer Forderungen auch
Hagedorn, Martin Gerster, Reinhold Hemker, aus der Fachöffentlichkeit und der Erkenntnis der ge-
Mechthild Rawert, Dr. Axel Berg, Martin meinsamen Anhörung von Bundestag und Bundesrat,
Burkert, Helga Kühn-Mengel und Gabriele die nicht mehr sachlich, sondern nur machtpolitisch zu
Groneberg (alle SPD) zur namentlichen Ab- begründen ist.
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Sechstens. Im Umweltrecht sehen wir die Gefahr,
Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, dass wichtige, über Ländergrenzen hinausgreifende Pro-
33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, blemlagen nicht angemessen gelöst werden können.
93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b,
125 c, 143 c) (Tagesordnungspunkt 29 a) Siebtens. Wir nehmen die Sorgen ernst, dass ein
grundsätzlich unterschiedlich strukturierter und besolde-
Klarheit bei der politischen Verantwortung, transpa- ter öffentlicher Dienst angesichts der sehr unterschiedli-
rente Verfahren und mehr Demokratie durch Stärkung chen Finanzkraft der Länder zu einer massiven Verzer-
der Parlamente: Das sind Ziele, die auch von den Unter- rung in der Ausstattung wie der Leistungskraft des
4366 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Juni 2006

(A) öffentlichen Dienstes in Deutschland führen kann und – Unterrichtung durch die Bundesregierung (C)
auch die Mobilität behindert. Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004
Grundsätzlich stellen wir fest: Der solidarische Föde- Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-
ralismus war bisher ein Fundament der Erfolgsge- tungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haus-
haltsjahres 2004
schichte der Bundesrepublik. Dieses Fundament darf
nicht zerstört werden durch einen Wettbewerbsföderalis- – Drucksachen 15/4214, 15/4290 Nr. 1.5, 16/820 Nr. 25 –
mus, der gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche
Solidarität erschwert oder gar verhindert. Die Unter- – Unterrichtung durch die Bundesregierung
zeichnenden machen mit der Erklärung auch gemeinsam Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004
deutlich, dass sie bei den weiteren Verhandlungen über Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-
die zukünftige Gestaltung der Bund-Länder-Finanzbe- tungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haus-
ziehungen für unverzichtbar halten, dass die Sicherung haltsjahres 2004
der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zentrales – Drucksachen 15/4987, 15/5074 Nr. 4, 16/820 Nr. 26 –
politisches Ziel und Verfassungsauftrag auch für die Zu-
kunft bleiben müssen. Hieran haben sich auch alle Über- – Unterrichtung durch die Bundesregierung
legungen zu den zukünftigen Finanzbeziehungen von Haushalts- und Wirtschaftsführung 2006
Bund und Ländern und der Länder untereinander zu
Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 (apl.)
orientieren. Titel 682 01
– Maßnahmen zur Stützung des Schweinemarktes –
Anlage 19 – Drucksachen 16/1399, 16/1556 Nr. 1 –

Amtliche Mitteilungen
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
Schreiben vom 29. Juni 2006 mitgeteilt, dass sie den An- mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
trag Demokratiebewegung in Belarus unterstützen Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
auf Drucksache 16/1671 zurückzieht. Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
nachstehenden Vorlagen absieht: und Verbraucherschutz
(B) (D)
Drucksache 16/1101 Nr. 2.23
Haushaltsausschuss

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004 Drucksache 16/629 Nr. 2.16
Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- Drucksache 16/722 Nr. 1.7
tungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haus- Drucksache 16/722 Nr. 1.9
haltsjahres 2004 Drucksache 16/1101 Nr. 2.7
Drucksache 16/1101 Nr. 2.8
– Drucksachen 15/3272, 15/3393 Nr. 1.2, 16/820 Nr. 23 – Drucksache 16/1101 Nr. 2.9
Drucksache 16/1101 Nr. 2.20
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache16/1207 Nr. 1.16
Haushalts- und Wirtschaftsführung 2004
Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-
tungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haus- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
haltsjahres 2004 und Reaktorsicherheit
– Drucksachen 15/3697, 15/3764 Nr. 1.1, 16/820 Nr. 24 – Drucksache 15/4567 Nr. 1.9

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ISSN 0722-7980

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