Sie sind auf Seite 1von 192

Plenarprotokoll 13/55

D eutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

55. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Inhalt:

Begrüßung des Präsidenten der ungari- Zusatztagesordnungspunkt 1:


schen Nationalversammlung, Herrn Dr.
Zoltán Gal, und seiner Delegation . . . 4531 A Antrag der Abgeordneten Ernst
Schwanhold, Dr. Uwe Jens, weiterer
Erweiterung und Abwicklung der Tages Abgeordneter und der Fraktion der
ordnung 4531 C SPD: Den Stillstand in der Mittel-
standspolitik beenden - Anstöße zur
Absetzung des Punktes 20a und b von der Schaffung von Arbeitsplätzen bei klei-
Tagesordnung 4532 A nen und mittleren Unternehmen der In-
Tagesordnungspunkt 3: dustrie, des Handwerks, des Handels
und der Freien Berufe geben (Druck-
sache 13/2363)
Wahl des Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdien- Hansjürgen Doss CDU/CSU 4533A
stes der ehemaligen Deutschen Demo- Ulrich Irmer F.D.P 4535A
kratischen Republik
Herbert Lattmann CDU/CSU 4535 C
Ergebnis 4536C, 4699* B
Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . 4536A,
4540C, 4551D
Tagesordnungspunkt 4:
Ernst Schwanhold SPD 4536 D
Mittelstandsdebatte Ernst Hinsken SPD 4539 B
a) Große Anfrage der Abgeordneten Hans Michelbach CDU/CSU . . 4540A, 4557D
E rn st Schwanhold, Dr. Uwe Jens,
Simone Probst BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
weiterer Abgeordneter und der 4543A
NEN
Fraktion der SPD: Möglichkeiten
zur Förderung einer Existenzgrün- Paul K. Friedhoff F.D.P 4544 C
dungsbewegung (Drucksachen 13/ Ernst Schwanhold SPD . . . 4545B, 4557C
896, 13/1793)
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . 4545 C
b) Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 4546B
Bierstedt, Dr. Christa Luft und der -
Gruppe der PDS: Unterstützung Wolfgang Bierstedt PDS 4547D, 4553 B
kleiner und mittlerer Unternehmen Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister
(KMU) der neuen Bundesländer bei BMWi 4549D, 4553 C
der Markteinführung neuer Pro-
Wolfgang Bierstedt PDS 4550 C
dukte - (Drucksache 13/2095)
Ch ri stian Müller (Zittau) SPD 4553 D
c) Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und F.D.P.: Den Mittelstand Dr. Kurt Faltlhauser CDU/CSU . . . 4555A
entlasten (Drucksache 13/2344) Ing ri d Matthäus-Maier SPD 4555 C
in Verbindung mit Dr. Diet ri ch Sperling SPD . . . . . 4555C
II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Ernst Hinsken CDU/CSU 4556 D b) Zweite und dritte Beratung des von den
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein-
BMWi 4559 B gebrachten Entwurfs eines Achtzehn-
ten Gesetzes zur Änderung des Abge-
Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . . 4560 D ordnetengesetzes und eines Fünfzehn-
Dr. Dietrich Sperling SPD 4562 B ten Gesetzes zur Änderung des Euro-
Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . 4563 D paabgeordnetengesetzes (Drucksachen
13/1825, 13/2340, 13/2341)
Rolf Köhne PDS 4565 A
Rolf Köhne PDS 4565 B c) Beschlußempfehlung und Be richt des
Wolfgang Schulhoff CDU/CSU . . . . 4565 C Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung

Tagesordnungspunkt 6: - zu der Beschlußempfehlung und dem


Bericht des Ältestenrates
a) Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und zu den Empfehlungen der Kommis-
F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines sion des Ältestenrates für die Rechts-
Gesetzes zur Änderung des Grundge- stellung der Abgeordneten in den
setzes (Drucksachen 13/2245, 13/2373) Vorlagen vom 16. Juni 1995
hier: Ziffer I. und II.
b) Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. - zu dem Änderungsantrag der Frak-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu
zur Änderung des Finanzausgleichsge- dem Antrag der Fraktionen CDU/
setzes (Drucksachen 13/2246, 13/2368, CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
13/2376) NEN und F.D.P.:
Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4567 B
Weitergeltung von Geschäftsord-
Ingrid Matthäus-Maier SPD 4569B
nungsrecht
Hans-Peter Repnik CDU/CSU . . . 4570 C
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) - zu dem Änderungsantrag der Abge-
CDU/CSU 4571 A ordneten Dr. Gregor Gysi, Wolfgang
Bierstedt und der weiteren Abgeord-
Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/DIE
neten der PDS zu dem Antrag der
GRÜNEN 4573 D
Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜND-
Gisela Frick F.D.P 4574 D NIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.:
Dr. Barbara Höll PDS 4576 C
Weitergeltung von Geschäftsord-
Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . 4577 C
nungsrecht
Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . 4578 A
(Drucksachen 13/1803, 13/2, 13/12,
Namentliche Abstimmung . . . . . . 4580B 13/2342)

Ergebnis 4581 D d) Unterrichtung durch die Präsidentin des


Deutschen Bundestages zur Einsetzung
Tagesordnungspunkt 5: einer Reformkommission zur Größe
des Deutschen Bundestages (Druck-
sache 13/2370)
Beschlußempfehlung des Ausschusses
nach Artikel 77 des Grundgeset-
zes (Vermittlungsausschuß) zu dem e) Beschlußempfehlung und Be richt des
Jahressteuergesetz 1996 (Drucksachen Ausschusses für Wahlprüfung, Immuni-
13/901, 13/1558, 13/1800, 13/1779, tät und Geschäftsordnung: Verhaltens-
13/1960, 13/2003, 13/2016, 13/2100, regeln (Drucksache 13/834)
13/2262 [Berichtigung]) Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU 4585 A
-
Dr. Barbara Höll (Erklärung nach § 31 GO) 4580D Hans-Ulrich Klose SPD 4588 B
Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
Tagesordnungspunkt 7: NEN 4590D, 4606A
Dieter Wiefelspütz SPD 4591 C
a) Zweite und dritte Beratung des von den Gerhard Scheu CDU/CSU . . . 4592D, 4593D,
Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- 4596A, 4614C, 4616B
gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . 4593 B
(Drucksachen 13/1824, 13/2339) Dr. R. Werner Schuster SPD 4594 C
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 III

Dr. Dagmar Enkelmann PDS 4597 C Bundesrepublik Deutschland und


Gerhard Scheu CDU/CSU 4598D dem Großherzogtum Luxemburg
fiber den Autobahnzusammen-
Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜ schluß und den Bau einer Grenz-
NEN 4599 C brücke fiber die Mosel im Raum
Peter Conradi SPD 4600A, 4609B, Perl und Schengen (Drucksache 13/
4612B, 4619B 1885)
Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . 4600 A
Hans Klein (München) CDU/CSU . 4600C, 4603 D c) Erste Beratung des von der Bundes-
Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ regierung eingebrachten Entwurfs
NEN 4602 B eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 10. Juni 1993 zwischen der Re-
Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . 4603A, 4612 C gierung der Bundesrepublik
Dieter Wiefelspütz SPD 4603 D Deutschland und der Regierung der
Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Ukraine fiber den Luftverkehr
NEN 4606B, 4608 A (Drucksache 13/1886)
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. . . 4607D
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . 4608 B d) Erste Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs
Horst Eylmann CDU/CSU 4611 C
eines Gesetzes zu dem Protokoll
Klaus Bühler (Bruchsal) CDU/CSU .. 4612D vom 10. Mai 1984 zur Änderung des
Andreas Schmidt (Mülheim) CDU/CSU 4613B Abkommens vom 7. Dezember 1944
Norbe rt Gansel SPD 4615 C fiber die Internationale Zivilluft-
fahrt (9. Änderung des Abkommens
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . 4617B fiber die Internationale Zivilluft-
Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE fahrt) (Drucksache 13/2044)
GRÜNEN (zur GO) 4619 C
Joachim Hörster CDU/CSU (zur GO) . 4620 B e) Erste Beratung des von der Bundes-
Dr. Gregor Gysi PDS (zur GO) 4620 C regierung eingebrachten Entwurfs
Dr. Peter Struck (zur GO) 4621 C eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
24. September 1992 zwischen der
Jörg van Essen F.D.P. (zur GO) 4621 D Bundesrepublik Deutschland und
Norbert Otto (Erfurt) CDU/CSU (Erklä der Republik Lettland über die För-
rung nach § 31 GO) 4627 D derung und den gegenseitigen
Namentliche Abstimmungen . . . 4622B, 4622B, Schutz von Kapitalanlagen (Druck-
4627C, 4631 A sache 13/2045)
Ergebnisse 4622C, 4625 A,
4628C, 4632 B f) Erste Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs
Tagesordnungspunkt 19: eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
2. April 1993 zwischen der Bundes-
Überweisungen im vereinfachten Ver- republik Deutschland und der Re-
fahren publik Lettland fiber die Förderung
und den gegenseitigen Schutz von
a) Erste Beratung des von der Bundes- Kapitalanlagen (Drucksache 13/
regierung eingebrachten Entwurfs 2046)
eines Gesetzes zu der Resolution
vom 15. Januar 1992 zur Änderung
g) Erste Beratung des von der Bundes-
des Internationalen Übereinkom-
regierung eingebrachten Entwurfs
mens vom 7. März 1966 zur Beseiti-
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom
gung jeder Form von Rassendiskri-
2. April 1993 zwischen der Bundes-
minierung und zu der Resolution
republik Deutschland und der Re-
vom 8. September 1992 zur Ände-
publik Belarus fiber die Förderung
rung des Übereinkommens vom -
und den gegenseitigen Schutz von
10. Dezember 1984 gegen Folter
Kapitalanlagen (Drucksache 13/
und andere grausame, unmenschli-
2047)
che oder erniedrigende Behand-
lung oder Strafe (Drucksache 13/
1883) h) Erste Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Ge-
b) Erste Beratung des von der Bundes- setzes zur Änderung des Geset-
regierung eingebrachten Entwurfs zes zur sozialen Absicherung des
eines Gesetzes zu dem Abkommen Risikos der Pflegebedürftigkeit
vom 18. April 1994 zwischen der (Drucksache 13/2207)
IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

i) Erste Beratung des vom Bundesrat Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in


eingebrachten Entwurfs eines Ge- die Veräußerung einer bundeseige-
setzes zur Änderung des Baugesetz- nen Liegenschaft in Magdeburg
buchs (Drucksache 13/2208) („Schroteplatz") an das Land Sach-
sen-Anhalt (Drucksache 13/2224) . 4635 D
j) Erste Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes über die Anpassung Zusatztagesordnungspunkt 5:
von Dienst- und Versorgungsbezü-
gen in Bund und Ländern 1995 Weitere Überweisungen im vereinfach-
(Bundesbesoldungs- und -versor- ten Verfahren
gungsanpassungsgesetz - BBVAnpG
95) (Drucksache 13/2210) a) Antrag der Abgeordneten Gerd Pop-
pe, Dr. Helmut Lippelt, weiterer Ab-
k) Erste Beratung des vom Bundesrat geordneter und der Fraktion BÜND-
eingebrachten Entwurfs eines Ge- NIS 90/DIE GRÜNEN: Vorausset-
setzes zur Änderung des Achten Bu- zungen und Perspektiven einer Ver-
ches Sozialgesetzbuch und des Bun- handlungslösung für das ehemalige
deserziehungsgeldgesetzes (Druck- Jugoslawien (Drucksache 13/2362)
sache 13/2240)
b) Antrag der Fraktion der SPD: Die
1) Erste Beratung des von den Fraktio- Lage der Bürger in Bosnien-Herze-
nen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. gowina, Kroatien und Serbien und
eingebrachten Entwurfs eines die Bedingungen für die rasche
Dienstrechtlichen Begleitgesetzes Hilfe beim Wiederaufbau nach ei-
im Zusammenhang mit dem Be- nem Friedensschluß (Drucksache
schluß des Deutschen Bundestages 13/2378) 4637 B
vom 20. Juni 1991 zur Vollendung
der Einheit Deutschlands (Dienst-
rechtliches Begleitgesetz - DBeglG) Tagesordnungspunkt 20:
(Drucksache 13/2377)
Abschließende Beratungen ohne Aus-
m) Antrag der Fraktion der SPD: Ge- sprache
plante Versenkung der Shell-Öl-
plattform und glaubwürdiger euro- c) Beschlußempfehlung des Rechtsaus-
päischer Nordseeschutz - (Druck- schusses zu den dem Deutschen
sache 13/1738) Bundestag zugeleiteten Streitsa-
chen vor dem Bundesverfassungs-
n) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald gericht Übersicht 1 (Drucksache 13/
Thalheim, Anke Fuchs (Köln), weite- 1882)
rer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD: Verlängerung des Veräu- d) Beschlußempfehlung und Be richt
ßerungstermins von nicht betriebs- des Ausschusses für Umwelt, Natur-
notwendigen Vermögenswerten im schutz und Reaktorsicherheit zu der
Zusammenhang mit der Altschul- Unterrichtung durch die Bundesre-
denregelung der Landwirtschaft in gierung: Vorschlag für eine Richtli-
den neuen Ländern (Drucksache 13/ nie des Europäischen Parlaments
1772) und des Rates fiber Anforderungen
im Hinblick auf die Energieeffizienz
o) Antrag des Bundesministeriums der von elektrischen Haushaltskühl-
Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 und -gefriergeräten und entspre-
Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in chenden Kombinationen (Drucksa-
die Veräußerung des bundeseige- chen 13/1096 Nr. 2.6, 13/1923)
nen Flugplatzes an die „Holding
Unternehmen Hahn GmbH & Co. e) Beschlußempfehlung und Bericht
KG" (Drucksache 13/1897) des Ausschusses für die Angelegen-
heiten der Europäischen Union zu
p) Antrag des Bundesministeriums der der Unterrichtung durch die Bundes-
Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 regierung: 54. Bericht der Bundesre-
Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in gierung fiber die Integration der
die Veräußerung eines Grundstücks Bundesrepublik Deutschland in die
in Berlin (Drucksache 13/2186) Europäische Union (Berichtszeit-
raum 1. Januar bis 30. Juni 1994)
q) Antrag des Bundesministeriums der (Drucksachen 13/77, 13/342 Nr. 4,
Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 13/1957)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 V

f) Beschlußempfehlung und Bericht Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister


des Finanzausschusses zu der Unter- BMBF 4640 C
richtung durch die Bundesregie- Franz Thönnes SPD 4640 D
rung: Vorschlag für eine Verord-
nung des Rates zur Festlegung der Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister
Fälle, in denen eine Befreiung von BMBF . . . 4641A
Einfuhr- und Ausfuhrabgaben ge- Do ri s Odendahl SPD 4641 B
währt werden kann (Drucksachen
13/725 Nr. 68, 13/2174) Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister
BMBF 4641 C
g) Beschlußempfehlung und Be richt Günter R ix e SPD 4641 D
des Ausschusses für Ernährung, Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister
Landwirtschaft und Forsten zu der 4642 B
BMBF
Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung: Vorschlag für eine Verord- Dr. Peter Glotz SPD 4642 C
nung des Rates über das Verbot der Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister
Verwendung bestimmter Stoffe mit BMBF 4642 D
hormonaler bzw. thyreostatischer
Wirkung und von Beta-Agonisten in Edelgard Bulmahn SPD 4643 A
der tierischen Erzeugung (Druck- Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister
sachen 13/725 Nr. 112, 13/2259) BMBF 4643 B
Ernst Hinsken CDU/CSU 4643 C
h-j) Beschlußempfehlungen des Petiti-
onsausschusses: Sammelübersich- Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister
ten 56, 57, 58 zu Petitionen (Druck- BMBF 4643 C
sachen 13/2271, 13/2272, 13/2273) Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . 4643D

k) Beschlußempfehlung des Ausschus- Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister


ses für Wahlprüfung, Immunität und BMBF 4643 D
Geschäftsordnung: Antrag auf Ge- Volker Kröning SPD 4644 A
nehmigung zur Durchführung eines
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 4644 A
Privatklageverfahrens (Drucksache
13/2281) 4637 D Volker Kröning SPD 4644 B
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA . 4644 D
Tagesordnungspunkt 11:
Konrad Gilges SPD 4645 B
Beschlußempfehlung und Be richt des
F ri edrich Bohl, Bundesminister BK . . 4645 C
Auswärtigen Ausschusses
Tagesordnungspunkt 8:
zu dem Antrag der Abgeordneten Ma-
rieluise Beck (Bremen), Angelika Beer Antrag der Abgeordneten Dr. Herta
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Däubler-Gmelin, Ch ri stel Hanewinckel,
GRÜNEN: Sicherstellung der Humani- weiterer Abgeordneter und der Frak-
tären Hilfe für Bosnien-Herzegowina tion der SPD: Reform des Kindschafts-
rechts (Drucksache 13/1752)
zu dem Antrag der Abgeordneten An- Margot von Renesse SPD 4646 A
gelika Beer, Dr. Helmut Lippelt und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . 4648 C
Stärkeres politisches Engagement der Dr. Edith Niehuis SPD 4649 C
Bundesrepublik Deutschland in Bos-
Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
nien-Herzegowina (Drucksache 13/ 4650 C
NEN
1881) 4638C
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun-
Tagesordnungspunkt 2: desministerin BMJ 4651 D

Befragung der Bundesregierung (Auf- Christina Schenk PDS 4653 B-


stiegsfortbildungs-Förderungsgesetz;
Verhandlungsziel der Bundesregierung Tagesordnungspunkt 9:
auf der Konferenz zur Überprüfung des Erste Beratung des von der Bundesre-
UN-Waffenübereinkommens; weitere gierung eingebrachten Entwurfs eines
aktuelle Themen) Gesetzes zur Neuregelung der steuer-
Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister rechtlichen Wohneigentumsförderung
BMBF 4639 C (Drucksache 13/2235)
Franz Thönnes SPD . . . . . . . . . 4640 B in Verbindung mit
VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Zusatztagesordnungspunkt 2: Tagesordnungspunkt 12:

Antrag der Abgeordneten Franziska Antrag der Abgeordneten Peter Bleser,


Eichstädt-Bohlig, Ch ri stine Scheel, wei- Dr. Susanne Tiemann, weiterer Abge-
terer Abgeordneter und der Fraktion ordneter und der Fraktion der CDU/
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eckwerte CSU sowie der Abgeordneten Jürgen
für ein grünes Wohnungs-Selbsthilfe- Türk, Paul K. Friedhoff, Ulrich Heinrich,
Gesetz für eine soziale und ökologi- Günther Bredehorn und der Fraktion
sche Reform der Wohneigentumsförde- der F.D.P.: Anpassung des Bergrechts
rung (Drucksache 13/2304) (Drucksache 13/2359)
Gottf ri ed Tröger CDU/CSU 4684 A
in Verbindung mit
Hans-Joachim Hacker SPD 4685 A
Zusatztagesordnungspunkt 3: Vera Lengsfeld BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
NEN 4686 C
Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Jürgen Türk F.D.P 4687 C
Warnick, Dr. Barbara Höll und der
Hans-Joachim Hacker SPD . . 4688A, 4690 B
Gruppe der PDS: Reformierung der
Wohneigentumsförderung als ein Be- Gerhard Jüttemann PDS 4688B
standteil der Wohnungsbaupolitik Ulrich Petzold CDU/CSU 4689 B
(Drucksache 13/2357)
Rolf Schwanitz SPD 4689 D
Dr.-Ing. Dietmar Kansy (zur GO) . . . 4655A
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär
Achim Großmann SPD 4655 B BMWi 4690 D
Klaus-Jürgen Warnick PDS 4655 C
Tagesordnungspunkt 13:
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär
BMF 4656 A
a) Erste Beratung des von dem Abgeord-
Otto Reschke SPD 4657 C neten Volker Beck (Köln) und der Frak-
Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
DIE GRÜNEN 4659 D brachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Sicherung der Wohnung für den hin-
Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 4661 D terbliebenen Lebenspartner (Drucksa-
Klaus-Jürgen Warnick PDS . . . 4663C, 4667 B che 13/847)
Dr. Michael Meister CDU/CSU . . 4665A, 4667 C
b) Antrag des Abgeordneten Volker Beck
Wolfgang Ilte SPD 4668 B (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/
Klaus-Jürgen Warnick PDS 4668D DIE GRÜNEN: Gleichberechtigung
von Schwulen und Lesben in der Bun-
Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 4670C desrepublik Deutschland (Drucksache
Dr. Bertold Reinartz CDU/CSU . . . . 4671 C 13/1822)
Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 4674 A
in Verbindung mit
Tagesordnungspunkt 10:
Zusatztagesordnungspunkt 4:
Antrag der Abgeordneten Dr. Angelica
Schwall-Düren, Antje-Marie Steen, Erste Beratung des von den Abgeordne-
weiterer Abgeordneter und der Frak- ten Christina Schenk, Dr. Gregor Gysi
tion der SPD: Verbot dès Einsatzes von und der Gruppe der PDS eingebrachten
Pyrethroiden in Textilien und Innen Entwurfs eines Gesetzes zur Übernah-
(Drucksache 13/1478) -räumen me der gemeinsamen Wohnung nach
Todesfall der Mieterin/des Mieters
Antje-Ma ri e Steen SPD 4676 B oder der Mitmieterin/des Mitmieters
Dr. Harald Kahl CDU/CSU 4677 C (Drucksache 13/2355)
-
Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE Volker Beck BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4692 A
GRÜNEN 4679A Christina Schenk PDS 4692 D
Birgit Homburger F D P. 4679D Dr. Diet ri ch Mahlo CDU/CSU 4693 C
Eva Bulling-Schröter PDS 4680 C Volker Beck BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
Walter Hirche, Parl. Staatssekretär BMU 4681 B NEN 4693D, 4698A
Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE Dr. Barbara Höll PDS 4694 C
GRÜNEN 4681D Margot von Renesse SPD 4695 D
Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . 4682 D Rainer Funke, Pari. Staatssekretär BMJ 4697 B
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Borin, Donnerstag, den 21. September 1995 VII

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . 4698 D Hermann Scheer SPD 4704* A


Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 4704* A
Anlage 1 Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . 4704* B
Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4699* A Uta Titze-Stecher SPD 4704* C
Anlage 4
Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages-
ordnungspunkt 8 (Antrag: Reform des
Namen der Abgeordneten, die an der Kindschaftsrechts)
Wahl des Bundesbeauftragten für die Un-
terlagen des Staatssicherheitsdienstes der Dr. Edith Niehuis SPD 4704* D
ehemaligen Deutschen Demokratischen Ilse Falk CDU/CSU 4706* B
Republik teilgenommen haben 4699* B Heinz Lanfermann F.D.P 4708* B
Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . 4710* D
Anlage 3
Erklärungen nach § 31 GO zur Abstim- Anlage 5
mung über die in Tagesordnungspunkt 7
Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesord-
aufgeführten Gesetzentwürfe: Änderung
nungspunkt 13 (a - Gesetz zur Sicherung
des Grundgesetzes, Änderung des Abge- der Wohnung für den hinterbliebenen Le-
ordnetengesetzes und des Europaabge-
benspartner; b - Antrag: Gleichberechti-
ordnetengesetzes
gung von Schwulen und Lesben in der
Klaus Barthel SPD 4701* D Bundesrepublik Deutschland und Zusatz-
Friedhelm Julius Beucher SPD 4702* C tagesordnungspunkt 4 (Gesetz zur Über-
nahme der gemeinsamen Wohnung nach
Freimut Duve SPD 4703* A Todesfall der Mieterin/des Mieters oder
Günter Gloser SPD 4703* C der Mitmieterin/des Mitmieters))
Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . 4703* D Heinz Lanfermann F.D.P. . . . . . . . 4713* A
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4531

55. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß das Ergebnis
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuerge-
zung ist eröffnet. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. setz 1996 erst nach der Beratung der Gesetzentwürfe
unter Tagesordnungspunkt 6 aufgerufen wird.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte
ich auf der Ehrentribüne den Präsidenten der unga- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
rischen Nationalversammlung, Herrn Dr. Zoltan verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die
Gal, mit seiner Delegation ganz herzlich begrüßen. Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkt
liste aufgeführt:
(Beifall) 1. Beratung des Antrags der Abgeordneten E rnst Schwan-
hold, Dr. Uwe Jens, Anke Fuchs (Köln), weiterer Abge-
Sie sind zum zweitenmal kurz nach Ihrer Wahl in ordneter und der Fraktion der SPD: Den Stillstand in
Deutschland. Das erstemal waren Sie es, um des der Mittelstandspolitik beenden - Anstöße zur Schaf-
10. September 1989 am Reichstagsgebäude in Berlin fung von Arbeitsplätzen bei kleinen und mittleren Un-
ternehmen der Industrie, des Handwerks, des Handels
zu gedenken, wo wir ebenso wie am ungarischen und der Freien Berufe geben - Drucksache 13/2363 -
Parlament eine Tafel befestigt haben, damit wir die-
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska
sen entscheidenden Vorgang nicht vergessen. Sie Eichstädt-Bohlig, Christine Scheel, Ul rike Höfken, wei-
haben die Grenzen geöffnet, um den Menschenrech- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
ten zum Durchbruch zu verhelfen, und dafür Ver- GRÜNEN: Eckwerte für ein grünes Wohnungs-Selbst-
träge gebrochen. hilfe-Gesetz für eine soziale und ökologische Reform
der Wohneigentumsförderung - Drucksache 13/2304 -
(Beifall) 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Jürgen
Warnick, Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel und der
Sie wollen mit uns gemeinsam nach Europa. Wir Gruppe der PDS: Reformierung der Wohneigentums-
förderung als ein Bestandteil der Wohnungsbaupolitik
brauchen einander, und ich bin davon überzeugt, - Drucksache 13/2357 -
daß die parlamentarischen Gespräche in diesen Ta-
4. Erste Beratung des von den Abgeordneten Christina
gen diesen Beziehungen und der Vorbereitung die- Schenk, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS ein-
ses Weges dienen. Herzlich willkommen und einen gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme der
guten Aufenthalt! gemeinsamen Wohnung nach Todesfall der Mieterur
des Mieters oder der Mitmieterin/des Mitmieters
(Beifall) - Drucksache 13/2355 -
5. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme jetzt (Ergänzung zu TOP 19)
zu den Amtlichen Mitteilungen. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Pop-
pe, Dr. Helmut Lippelt, Waltraud Schoppe, weiterer
Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
Nordrhein-Westfalen haben sich darauf verständigt, GRÜNEN
die Stiftung CAESAR, Center of Advanced European Voraussetzungen und Perspektiven einer Ver-
Studies and Research, mit Sitz in Bonn zu errichten. handlungslösung für das ehemalige Jugoslawien-
- Drucksache 13/2362 -
Nach der Satzung besteht der Stiftungsrat aus drei
vom Bund berufenen Mitgliedern des Deutschen Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)
Bundestages. Verteidigungsausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
Gemäß dem Vorschlag der Fraktionen der CDU/ Union
CSU und der SPD werde ich dem Bundesminister für b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie
Die Lage der Bürger in Bosnien-Herzegowina,
die Kollegen Steffen Kampeter, Dieter Pützhofen Kroatien und Serbien und die Bedingungen für die
und Dieter Schanz als Mitglieder für den Stiftungsrat rasche Hilfe beim Wiederaufbau nach einem Frie-
benennen. densschluß - Drucksache 13/2378 -
4532 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Überweisungsvorschlag: Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen
Auswärtiger Ausschuß (federführend)
Verteidigungsausschuß
werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einer
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen der Schriftführerinnen oder einem der Schriftführer
Union an den Wahlurnen. Die Schriftführerinnen und
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Schriftführer bitte ich, darauf zu achten, daß vor der
Wolf, Dr. Willibald Jacob, Dr. Gregor Gysi und der Grup- Stimmabgabe der Wahlausweis übergeben wird.
pe der PDS: Transfer von Zuwendungen in Höhe der
Einnahmen aus der Kaffeesteuer in den Süden - Druck- Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schrift-
sache 13/2358 - führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so- Haben alle Schriftführer die Plätze eingenommen?
weit erforderlich, abgewichen werden. - Das ist offenbar der Fall. Ich eröffne die Wahl.
Weiterhin ist vereinbart worden, daß die Beratun- Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die
gen ohne Aussprache, Tagesordnungspunkte 19 und Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Stimm-
20, im Anschluß an die Debatte über die Parlaments- karte abgegeben? - Das ist offenbar der Fall.
reform aufgerufen werden sollen.
Ich schließe die Wahl und bitte die Schriftführer,
Gleichzeitig soll, ebenfalls ohne Aussprache, über mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der
die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschus- Wahl wird später bekanntgegeben.*)
ses zur Hilfe für Bosnien-Herzegowina, Tagesord-
nungspunkt 11, abgestimmt werden. Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie Platz.
Die Tagesordnungspunkte 20a und 20b sollen ab- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c sowie
gesetzt werden. den Zusatzpunkt 1, Mittelstandsdebatte, mit der Be-
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen ratung mehrerer Vorlagen auf:
Widerspruch. Es ist so beschlossen. 4. Mittelstandsdebatte
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Ab-
geordneten Ernst Schwanhold, Dr. Uwe
Wahl des Bundesbeauftragten für die Unter Jens, Hermann Bachmaier, weiterer Ab-
lagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe geordneter und der Fraktion der SPD
maligen Deutschen Demokratischen Republik
Möglichkeiten zur Förderung einer
Ich gebe zunächst einige Hinweise zum Wahlver- Existenzgründungsbewegung
fahren:
- Drucksachen 13/896, 13/1793 -
Die weißen Stimmkarten für die Wahl wurden in
b) Beratung des Antrags der Abgeordne-
der Lobby und an den Eingängen verteilt. Sollten Sie
ten Wolfgang Bierstedt, Dr. Christa Luft
noch keine Stimmkarte erhalten haben, besteht jetzt
und der Gruppe der PDS
noch die Möglichkeit, sie von den Plenarsekretären
zu erhalten. Außerdem benötigen Sie Ihren weißen Unterstützung kleiner und mittlerer
Wahlausweis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, Unternehmen (KMU) der neuen Bun-
bitte Ihrem Schließfach entnehmen. desländer bei der Markteinführung
neuer Produkte
Bitte achten Sie unbedingt darauf, daß der Wahl-
ausweis wirklich Ihren Namen trägt. Es ist in der Ver- - Drucksache 13/2095 -
gangenheit bei Wahlen wie auch bei namentlichen Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)
Abstimmungen zu Verwechslungen gekommen. Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
Die Wahlen finden offen statt. Sie können die Haushaltsausschuß
Stimmkarten also an Ihrem Platz ankreuzen.
c) Beratung des Antrags der Fraktionen
Nach § 35 Abs. 2 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes der CDU/CSU und F.D.P.
wird der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Den Mittelstand entlasten
Demokratischen Republik auf Vorschlag der Bundes- - Drucksache 13/2344 -
regierung vom Deutschen Bundestag mit mehr als Überweisungsvorschlag:
der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder Ausschuß für Wirtschaft (federführend)
gewählt. Zur Wahl sind also mindestens 337 Stimmen Rechtsausschuß
Finanzausschuß -
erforderlich. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Verkehr
Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
21. Juli 1995 Herrn Joachim Gauck vorgeschlagen. cherheit
Ausschuß für Post und Telekommunikation
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städte-
bau
Sie können Ihre Stimmkarte bei Ja, Nein oder Ent- Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
haltung ankreuzen. Stimmkarten, die keine oder Technologie und Technikfolgenabschätzung
mehr als eine Ankreuzung, andere Namen oder Zu-
sätze enthalten, sind ungültig. s ) Seite 4536D
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4533
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Stichwort: öffentliche Beschäftigung. Am besten,
Schwanhold, Dr. Uwe Jens, Anke Fuchs meine Damen, meine Herren, verbeamten wir die
(Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- ganze Republik.
tion der SPD
(Siegfried Ho rn ung [CDU/CSU]: So denken
Den Stillstand in der Mittelstandspolitik be- manche!)
enden - Anstöße zur Schaffung von Arbeits-
plätzen bei kleinen und mittleren Unterneh- Dann hat jeder sein Gehalt und seinen Pensionsan-
men der Industrie, des Handwerks, des Han- spruch. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, daß in der
dels und der Freien Berufe geben Konsequenz wettbewerbsfähige Arbeitsplätze durch
öffentliche Beschäftigung ersetzt werden sollen.
- Drucksache 13/2363 -
Stichwort: Mehr Mitbestimmung. Das ist doch der
Überweisungsvorschlag: älteste Hut in Ihrer gesamten Kollektion. Die Stärken
Ausschuß für Wirtschaft (federführend) der Gewerkschaften liegen weiß Gott nicht auf dem
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Feld der Unternehmensberatung.
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo-
gie und Technikfolgenabschätzung (Ernst Schwanhold [SPD]: Diese Unterneh-
men wären ohne die Initiative der Gewerk-
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für schaften längst pleite!)
die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgese-
hen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Wir verfahren Die Mittelstandspolitik der Bundesregierung, die-
so. ser Koalition, meine sehr verehrten Damen, meine
Herren, setzt auf die Freisetzung der eigenen Kräfte
Ich eröffne die Aussprache. Als erster erhält der statt auf staatliche Hilfskonstruktionen,
Kollege Hansjürgen Doss das Wo rt .
(Beifall bei der CDU/CSU)
auf vernünftige Rahmenbedingungen für die Be-
Hansjörgen Doss (CDU/CSU): Frau Präsidentin! triebe, auf Entlastung bei den Unternehmensteuern,
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Letzte auf Förderung von Existenzgründern und auf Siche-
Woche traten Rudolf Scharping und der DGB-Vorsit- rung eines fairen Wettbewerbs. Wir brauchen kon-
zende Dieter Schulte vor die Presse und stellten so- kurrenzfähige und rentable Bet ri ebe. Nur so ist
genannte Eckwerte einer innovativen Politik sozial- Arbeit in Deutschland zu halten und neu zu schaf-
staatlicher Reformen vor. fen.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eine (Beifall bei der CDU/CSU)
gute Veranstaltung!)
Wir brauchen mehr originäre Wi rt schaftskraft,
Den einleitenden Feststellungen, da haben Sie durch die sich die rentablen Arbeitsplätze ihren Lohn
recht, kann man zustimmen: „Die finanziellen am Markt selbst verdienen; denn nur rentable Ar-
Grundlagen des Sozialstaates sind ungesichert." beitsplätze sind sichere Arbeitsplätze.
Und: „Von der Lösung dieser internationalen und na-
tionalen Probleme durch Modernisierung der Volks- Arbeitsmarktpolitik, der sogenannte zweite Ar-
wirtschaft und der Reform des Sozialstaates hängt beitsmarkt, ABM oder - wie die SPD dies formuliert -
die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland ab." öffentlich geförderte Beschäftigung in gesellschaft-
lich nützlichen Feldern können, wenn überhaupt,
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) nur als Krückstock dienen.

Dann kommt die Feststellung, daß die Schaffung Mittelstandspolitik, meine sehr verehrten Damen
neuer Arbeitsplätze das wichtigste Ziel ist. So weit, und Herren, muß praxisorientiert sein und sich an
so gut. den Interessen der Bet ri ebe in Deutschland orientie-
ren.
Als Mittel zur Erreichung dieses Ziels fallen Ihnen
außer einigen Selbstverständlichkeiten, wie der qua- Die Unternehmensteuerreform bleibt für diese Ko-
lifizierten beruflichen Bildung, nur reine Rückzugs- alition Punkt Nummer eins der wi rt schaftspolitischen
maßnahmen ein, z. B. Arbeitszeitverkürzung, Aus- Tagesordnung.
bau der öffentlichen Beschäftigung, mehr Mitbestim-
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
mung.
Die beste Steuerreform ist die Abschaffung einer
Stichwort: Arbeitszeitverkürzung. Raten Sie dem Steuer. Deshalb sind wir für die Abschaffung der Ge-
Einzelhändler, beim Umsatzrückgang Regale stillzu- werbekapitalsteuer.
legen? VW zeigt im übrigen, daß wir auf dem Weg
einer gespaltenen Gesellschaft sind: (Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU) Diese Steuer ist arbeitsplatzfeindlich.
28 Stunden hier, 70 Stunden und mehr für Selbstän- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Lohn-
dige. steuer abschaffen!)
4534 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Hansjürgen Doss
- In Sachen Wi rt schaftspolitik sollten Sie sich durch Die Arbeitnehmergruppe und der PKM haben ge-
Beiträge qualifizieren, nicht durch Zwischenrufe. Sie meinsam beschlossen: Vor der Rückführung des Soli-
hätten dann eine große Chance der Profilierung für daritätszuschlages müssen die Lohnzusatzkosten ge-
die SPD. senkt werden. Dies ist konsequent, wenn die Schaf-
fung von Arbeitsplätzen Priorität haben soll.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -
Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sollen wir uns an Auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
Ihnen messen, Herr Kollege?) bleibt für uns ein Thema. Sie bringt rund 63 Mil-
Im internationalen Wettbewerb ist diese Steuer ein liarden DM Kosten für die deutschen Unternehmen
Klotz am Bein der deutschen Wirtschaft, weil sie in jedem Jahr. Wenn montags 30 %, freitags ca. 36 %
weltweit einmalig ist. Selbst in der SPD gibt es in der und mittwochs ca. 6 % der Krankheitstage anfallen,
jüngsten Zeit Signale der Vernunft. So verkündete so liegt der Mißbrauch förmlich auf der Hand.
neulich Kurt Beck, der rheinland-pfälzische Minister-
präsident, er wolle die Gewerbekapitalsteuer ab- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
schaffen. Anscheinend hat er vergessen, daß er noch
im Sommer im Bundesrat gegen eine solche Abschaf- Deshalb lautet mein Vorschlag: Krankenversiche-
fung gestimmt und im „Focus" vom 23. Dezember rung vom ersten Tag an. Der Arbeitnehmer zahlt für
1994 für deren Erhalt plädiert hat. Herzlich willkom- seinen Beitrag selbst und bekommt ihn vom Bet ri eb
men, „Paulus" Beck, im Kreise der Einsichtigen! erstattet. Er kann sich für eine 100 %-Versicherung,
also eine Vollkaskoversicherung, oder für eine 80 %-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es fängt an Versicherung entscheiden; dann zahlt er entspre-
zu klingeln!) chend weniger. Nimmt er die Versicherung nicht in
Anspruch, bekommt er eine Rückerstattung. Dies
Zur Unternehmensteuerreform gehört weiterhin schafft Kostenbewußtsein, stellt keinen Arbeitneh-
die mittelstandsfreundliche Senkung der Gewerbeer- mer schlechter und bekämpft den Mißbrauch.
tragsteuer. Für meine Person will ich hier eindeutig
sagen: Ich bin dafür, daß wir die Gewerbesteuer ins- Die Lohnfortzahlung, die wir zur Zeit für alle Ar-
gesamt abschaffen. Das muß unser Ziel sein. Keine beitnehmer haben, geht auf die Brüningsche Notver-
halben Wege! Wir haben die Chance dazu, und es ordnung von Anfang der 30er Jahre zurück. Sie sollte
gibt jetzt, Gott sei Dank, Bewegung bei der SPD. Un- dazu dienen, die gebeutelten Krankenkassen von
ser Ziel muß sein, die Bet ri ebe zu entlasten und da- Krankengeldzahlungen zu entlasten. Dieses Notmo-
mit letztlich wi rt schaftliche Tätigkeit in Deutschland dell sollte doch nicht heute noch als mustergültig be-
stärker zu ermöglichen, als es bisher der Fall war. zeichnet und entsprechend verteidigt werden.
Bei der Erbschaftsteuer haben wir mit dem Jahres- Ein weiteres Mittelstandsthema, bei dem der Staat
steuergesetz 1996 für den Fall des Betriebsüber- eine besondere Verantwortung trägt, ist die Auftrags-
gangs auf die nächste Generation gewisse Erleichte- vergabe der öffentlichen Hand. VOB und VOL müs-
rungen vorgenommen. Oberhalb des Freibetrags von sen die Grundlage öffentlicher Auftragsvergabe blei-
500 000 DM wird es einen Bewertungsabschlag von ben, auch bei der Deutschen Bahn AG, die schließ-
25 % für die Berechnung der Erbschaftsteuer geben. lich für den Bereich Fahrwege rund 10 Milliarden
Das ist ein Baustein an der Generationenbrücke. Wir DM aus dem Bundeshaushalt erhält. Wir werden auf
sind aber noch nicht soweit, daß wir sagen können: die Einhaltung der entsprechenden Bedingungen
Wir sind zufrieden, und der Vorgang ist abgeschlos- achten.
sen.
Der Mittelstand ist in den neuen Bundesländern
Dauerthema der Mittelstandspolitik ist die Sen-
kung der Lohnzusatzkosten. Deutsche Arbeitnehmer Konjunkturmotor Nummer eins. Mehr als 400 000
verdienen nicht zuviel; sie kosten nur zuviel. Es ist neue selbständige Existenzen und 3,2 Millionen Be-
die Differenz zwischen Nettolohn und Stundenver- schäftigte sind eine stolze Zwischenbilanz. Das För-
rechnungssatz, die legale Arbeit in Deutschland fast derinstrumentarium war erfolgreich, muß aber präzi-
unbezahlbar macht. siert werden. Vor allem wollen wir der Eigenkapital-
schwäche stärker entgegenwirken. Ich verweise hier
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Weil im z. B. auf die gemeinsame Initiative der Arbeitneh-
mer weniger arbeiten und die anderen das mergruppe unserer Fraktion und des hier anwesen-
alles mitmachen müssen!) den Kollegen Herbe rt Lattmann, Vermögensbildung
in Produktivkapital und Risikokapital attraktiver zu
In diesem Zwischenbereich stecken zu viele Kosten, machen.
die teils vom Staat verantwortet werden, teils auch -
von den Tarifparteien vereinbart worden sind. Die Schließlich die Fragen zum Einzelhandel. Hier
Tarifparteien lassen wir ja immer viel zu sehr außen meint man, das Ladenschlußgesetz sei der Nabel der
vor. Arbeitgeber und Gewerkschaften müssen auch Republik, und alles regt sich über diese, wie ich
hier ihrer Verantwortung gerecht werden. Wer die finde, doch nicht zentrale wi rt schaftspolitische Frage
Arbeitsbedingungen bestimmt, muß auch die Be- auf. Ich könnte mir vorstellen, daß wir einen Korridor
schäftigungswirkung seiner Entscheidungen beden- für 60 Stunden in der Woche machen, so daß sich der
ken. Die Arbeitsteilung, wonach die Lohnerhöhung mittelständische Einzelhandelsbetrieb, von einer Fa-
bei den Tarifparteien stattfindet und der Staat die Ar- milie getragen, nicht einem totalen Zeitwettbewerb
beitslosigkeit zu tragen hat, machen wir nicht mit. ausgesetzt sieht: morgens um sechs Uhr anfangen
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4535
Hansjörgen Doss
und abends bis 20 Uhr arbeiten. Wir werden, Herr Weil wir das so wollen, machen wir den Vorschlag
Wirtschaftsminister, in Freundschaft, wie das in die- mit den 60 Stunden. Das ist ganz einfach praktika-
ser Koalition üblich ist, miteinander reden und zu ei- bel. Man hängt in die Ladentür ein Schild, auf dem
nem guten Konsens kommen. gezeigt ist, von wann bis wann der Laden offen hat.
Dann haben wir die beiden Ziele erreicht. Das ist ein
(Lachen bei der SPD - E rnst Schwanhold Vorschlag, für den ich bisher viel Zustimmung gefun-
[SPD]: Das haben wir gestern gemerkt!) den habe.
- Wir gehen in der Koalition besser miteinander um (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Danke; ich habe viel
als Sie in Ihrer eigenen Partei. gelernt!)
(Beifall bei der CDU/CSU - Ul rich Irmer
[F.D.P.]: Herr Kollege, wie wollen Sie diese Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie eine
Korridorzeit kontrollieren?) Zwischenfrage des Kollegen Lattmann?
- Ich habe nur zwölf Minuten Redezeit. Für eine
kurze Mittelstandsdebatte ist das Thema unglaublich Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Sehr gern. Beson-
umfangreich. ders gern.
(Ernst Schwanhold [SPD]: Die ist bestellt,
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Doss, gestat- Herr Doss?)
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer? - Nein; das hatte ich vergessen!

Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Bitte; ja. Herbert Lattmann (CDU/CSU): Herr Kollege Doss,
könnten Sie dem Kollegen Irmer erklären, daß nach
dem geltenden Ladenschlußgesetz die do rt einge-
Ulrich Irmer (F.D.P.): Vielen Dank. Es ist natürlich
räumte Zeit bereits jetzt nicht voll ausgenützt wird,
ein Gesichtspunkt, daß Sie wegen Ihrer knappen
daß es also ohne den segensreichen Einsatz unserer
Zeit nicht auf Zwischenrufe reagieren können. Des-
Polizei einen Korridor gibt und daß es nur darum
halb stelle ich jetzt eine Zwischenfrage.
geht, diese Regelung in der Zukunft flexibler zu ge-
Wenn Sie bei den Ladenschlußzeiten an eine Korri- stalten?
dorlösung denken, dann müssen Sie auch daran den-
ken, daß diese irgendwie kontrolliert werden müßte. Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Ich glaube, verehr-
Jeder Laden hätte ja die Möglichkeit, nach seinem ter Herr Kollege Lattmann, daß diese Frage die Ant-
Gusto innerhalb dieser Korridorzeiten zu öffnen. wort bereits beinhaltet.
Heißt das, daß Sie vor jeden Laden einen Polizisten
stellen wollen, der die Einhaltung der Öffnungszei- (Ernst Schwanhold [SPD]: Auf die Sie selber
ten kontrolliert? nie gekommen wären!

(Widerspruch bei der SPD) Insofern kann ich zu meinem Thema zurückkehren.
Das, was Sie vorgetragen haben, war - wie oft - abso-
lut zutreffend.
Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Ich bedanke mich
ausdrücklich, daß Sie meine Redezeit verlängern und Noch eine Anmerkung zu dem Thema Ausbil-
ich Gelegenheit habe, auf dieses etwas schwierige dungsplätze. Die Sozialdemokraten werden nicht
Thema einzugehen. Ihre etwas polemische Frage müde, immer wieder eine Lehrstellenabgabe zu for-
zeigt mir, daß Sie auch in dieser Frage Ladenschluß dern. Sie brächte nach meinem Dafürhalten keinen
emotional engagiert sind. Das sind die meisten, die einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz. Ich möchte aber -
darüber diskutieren. Wir sollten aber versuchen, das da ich seit rund 30 Jahren Ausbildungsplätze in mei-
mit kühlem Kopf zu lösen. nem Büro habe - darauf hinweisen, daß es einen wei-
teren Faktor gibt, den wir nicht ausreichend beach-
Wir haben zwei Ziele. Das eine ist eine höhere Fle- ten: die Ausbildungsplatzkosten. Wenn Sie im dritten
xibilität. Darüber kann man reden. Das Ladenschluß- Jahr einen Lehrling haben, der 1 400 DM kostet und
gesetz war immer ein Kompromiß. Ein Kompromiß weniger als die Hälfte der Zeit im Büro oder im Be-
macht niemals alle Seiten absolut glücklich. Eine hö- trieb ist, dann ist das einem Gehalt von 3 000 DM ver-
here Flexibilität ist u. a. das Ansinnen und Anliegen gleichbar. Insofern tragen die Tarifparteien eine hohe
der F.D.P. Sehr einverstanden! Wir haben auf der an- Verantwortung für Ausbildungsplätze.
deren Seite die vielen Tausenden Familienbetriebe,
die sich nicht einem totalen Zeitwettbewerb ausge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
setzt sehen wollen. Es muß den Betrieben finanziell möglich sein, daß
sie - -
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Auch wir wollen dies nicht. Wir wollen, daß der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Doss, gestat-
Einzelhandelsfamilienbetrieb in den Vororten der ten Sie eine letzte Zwischenfrage des Kollegen Urba-
Städte und im ländlichen Raum nicht einem totalen niak?
Zeitwettbewerb ausgesetzt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Sehr gern.
4536 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Kollege, ich Last, but not least: Heute beschließt das Kabinett
muß noch einmal auf das Ladenschlußgesetz zurück- das sogenannte Meister-BAföG - ein revolutionärer
kommen: Wenn der Korridor, für den Sie sich ausge- Schritt in Richtung berufliche Bildung. Herzlichen
sprochen haben und der hier kommentiert worden Glückwunsch, Jürgen Rüttgers! Das ist eine feine
ist, jetzt schon nicht ausgenutzt wird, warum wollen Sache. Endlich! Wir haben lange darauf gewartet.
Sie ihn dann überhaupt erweitern? Ist es nicht so, Das muß auch entsprechend gewürdigt werden.
daß bei der Öffnung des Ladenschlußgesetzes nach
Ihren Vorstellungen die Großen mit ihrem Kapital (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
und Personaleinsatz besonders gewinnen und der und der F.D.P. - Zuruf von der SPD: Wo ist
mittelständische Bereich dabei besonders leidet und die Regierung?)
weitere Konkursfälle angesagt sein können? Ihren gestrigen Antrag zum Stillstand in der Mittel-
standspolitik sollten Sie zurückziehen. Dieser Antrag
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
verrät ein hohes Maß an Realitätsverlust, und er ist in
keinem Satz gerechtfertigt. Es gibt eine ganze Reihe
Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Ich will Ihnen gerne von zutreffenden Feststellungen in diesem Antrag.
gestehen, daß ich persönlich einen Sinn im Laden- Das kann man in jedem Handbuch nachlesen. Lö-
schlußgesetz sehe. Man kann sich aber Entwicklun- sungsvorschläge sind kaum enthalten. Man könnte
gen nicht völlig verschließen. Wenn diese Entwick- das Ganze als eine A rt Mittelstandslyrik bezeichnen.
lungen in eine bestimmte Richtung laufen, muß man Wir finden es positiv, daß Sie sich mit dieser Thema-
darauf achten, eine praktikable Lösung zu finden, tik beschäftigen. Da gibt es noch viel zu lernen. Wir
die möglichst vielen Gesichtspunkten Rechnung wollen Ihnen dabei gerne helfen.
trägt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich bin mit Ihnen der Meinung - das impliziert Ihre (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
Frage -, daß es zu einer Veränderung der Kaufströme ordneten der F.D.P. - E rnst Hinsken [CDU/
kommen kann. Ich vermute, daß es so kommen wird, CSU]: Gute Rede! - Dr. Sig rid Skarpelis-
daß aber eine höhere Flexibilität auch eine be- Sperk [SPD]: Nicht so gönnerhaft!)
stimmte Erweiterung der Kaufkraftmöglichkeiten be-
inhaltet. Wir können also nicht völlig ausschließen,
daß sich aus einer größeren Flexibilisierung auch Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und
positive Aspekte ergeben. Herren! Bevor wir zum nächsten Redner kommen,
möchte ich Ihnen das Ergebnis der Wahl bekanntge-
(Zuruf von der CDU/CSU: Zweifellos!) ben. Abgegebene Stimmen: 636, davon gültig: 634.
Mit Ja haben gestimmt: 565 Abgeordnete, mit Nein
Ich möchte aber nicht, daß der Großmarkt auf der haben gestimmt: 51, Enthaltungen: 18.*)
grünen Wiese eine junge Dame oder einen jungen
Herrn an die Kasse setzt, der von morgens 6 bis Herr Joachim Gauck hat die nach § 35 Abs. 2 des
abends 20 Uhr kassiert. Da ist der Personalkostenan- Stasi-Unterlagengesetzes erforderliche Mehrheit von
teil minimal, ganz klar. mindestens 337 Stimmen erreicht und ist damit zum
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staats-
(Siegf ri ed Hornung [CDU/CSU]: Das kann sicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen De-
auch nicht jede Aushilfskraft machen!) mokratischen Republik gewählt.
Der Einzelhändler mit seiner Familie oder mit sei- Meinen herzlichen Glückwunsch an Herrn Gauck
ner Frau müßte, um ein vergleichbares Öffnungsan- und eine gute Weiterführung seines Amtes!
gebot zu geben, quasi rund um die Uhr im Laden
sein. Das wollen wir nicht. Das kann nicht zumutbar (Beifall bei der CDU/CSU, bei der SPD,
sein. Das machen diese Leute auch nicht mit. Beide beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
Vorschläge, eine größere Flexibilität und die Ein- F.D.P.)
grenzung der Öffnungszeiten für den Familienbe- Jetzt kommen wir zum nächsten Redner, zum Kol-
trieb, sind die Lösung. legen Schwanhold.
Ich würde mir im übrigen sehr wünschen, daß die
Sozialdemokraten in dieser Frage mitberaten und wir Ernst Schwanhold (SPD): Frau Präsidentin! Meine
gegebenenfalls, wie wir das auch im Wirtschaftsaus- sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeswirt-
schuß beraten haben, zu einer gemeinsamen Lösung schaftsminister und auch der Kollege Doss haben die
kommen, insbesondere mit den Kollegen der F.D.P., völlige Aufhebung des Ladenschlußgesetzes zu einer
gar keine Frage, aber auch mit Ihnen von seiten der der zentralen Fragen der deutschen Wirtschaftspoli-
Sozialdemokraten. tik erhoben. Dazu hat der Minister ein umstrittenes,
460 Seiten starkes Gutachten erstellen lassen, laut
Meine Damen, meine Herren, wir müssen die Un- Kollegen Hinsken ein „Gefälligkeitsgutachten".
ternehmerlücke in Deutschland schließen. Wenn wir
dies nicht tun, werden wir keine Arbeitsplätze be- Angesichts der Verschiebung der internationalen
kommen. Ich habe an diesem Pult mal von der Muta- Wettbewerbsbedingungen, angesichts der Technolo-
tion des so achtbaren Handwerksgesellen gespro- gie- und Innovationslücke in der deutschen Wi rt
chen, der über Meisterqualifizierung zum Besserver- -schaft,ngeidrAbslokt-efhn
diener wurde. Das Unternehmerbild in Deutschland
bedarf dringend der Reform. *) Liste der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4537
Ernst Schwanhold
weit mehr als fünf Millionen Vollzeitarbeitsplätze -, - Das ist gut, das sollten Sie auch sein, Herr Hinsken.
angesichts der immer weitergehenden Entindustriali-
sierung Ostdeutschlands kann man nur sagen: Wer (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie müssen zuhö-
die Frage der Ladenschlußzeiten zum zentralen ren, Herr Hinsken!)
Punkt der Auseinandersetzung erhebt, muß, wie wir
Norddeutschen sagen, mit dem Klammerbeutel ge- Erstens. Wir wollen die soziale Marktwirtschaft
pudert sein. stabilisieren und fortentwickeln. Wir Sozialdemokra-
ten wollen - genau hier liegt der Unterschied zu Ih-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nen von CDU/CSU und F.D.P. - eine Marktwirtschaft
ten der PDS) auf sozialem und ökologischem Fundament.

Ich komme später darauf zurück. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die mittelständischen Unternehmen sind - das ist Wir wollen eine starke soziale und ökologische Kom-
in vielen Sonntagsreden bekundet worden, die aber ponente. Wir wollen den Einklang von Ökonomie,
überhaupt nicht der realen Politik entsprechen - das Ökologie und sozialer Verantwortung in die Tat um-
Rückgrat und das Fundament unserer Wi rt schaft. setzen und den Unternehmen, die diesen Weg ge-
Diese dürfen wir bei allen notwendigen Bemühun- hen, helfen.
gen, den deutschen Großunternehmen im Wettbe-
werb zu helfen, nicht vergessen. Der Humusboden, (Beifall bei der SPD)
auf dem unser Wohlstand, unser soziales Netz, die
Leistungsstärke unserer Volkswirtschaft gedeihen, Genau dies wollen auch die Unternehmerinnen
sind die mehr als zwei Millionen mittelständischen und Unternehmer der mittelständischen Wi rt schaft.
Unternehmen in Indust rie, Handwerk, Handel, Sie kennen nämlich im Gegensatz zu Ihnen noch die
Dienstleistungsgewerbe und Selbständigen in den Probleme ihrer Beschäftigten.
freien Berufen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Zustimmung bei der SPD)
Wenn Sie von der Koalition vom Umbau des Sozial-
Diese stellen rund 60 % der Arbeitsplätze und tragen staats reden, meinen Sie in Wirk li chkeit Abbau.
mit 50 % zur Wertschöpfung aller Unternehmen bei. Wenn Sie von Effizienz reden, bereiten Sie in Wahr-
Ohne leistungsfähige mittelständische Zulieferer wä- heit einen Kahlschlag vor.
ren auch die deutschen Großunternehmen im inter-
nationalen Wettbewerb längst nicht so weit, wie sie (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt reden
jetzt teilweise wieder sind. Sie an der Tatsache vorbei!)

(Beifall bei der SPD) Wir sollten mit dem Stabilitätsfaktor soziale Sicher-
heit nicht so sorglos umgehen, wie Sie damit umge-
Und obwohl noch mehr als 10 000 Ausbildungs- hen.
plätze fehlen, muß auch an dieser Stelle der mittel-
ständischen Wi rt schaft für ihre großartige Ausbil- (Beifall bei der SPD - Hansjürgen Doss
dungsleistung gedankt werden. [CDU/CSU]: Leider nur Allgemeinplätze!)
(Siegfried Ho rn ung [CDU/CSU]: So, das ist Die mittelständischen Unternehmen wissen sehr
recht!) wohl zu schätzen, was soziale Stabilität heißt.
Sie stellt immerhin 80 % der Ausbildungsplätze. Wir wollen mehr Effizienz, mehr unternehmeri-
Nicht hinnehmen können wir allerdings, daß sich schen Freiraum, mehr Flexibilität und zugleich die
gute Teile der Großindustrie aus der beruflichen Aus- Grundrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
bildung völlig zurückgezogen haben mer sowie den Sozialstaat schützen. Wir wollen den
Wirt schaftsstando rt Deutschland stärken und zu-
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Obwohl
gleich den ökologischen Umbau voranbringen und
die Gewerkschaften da mitbestimmend
sind!) damit neue Zukunftschancen gewinnen.

und sich ihrerseits durch Abwerbung gut ausgebilde- Zweitens. Wir bekennen uns zum Strukturwandel
ter Fachkräfte schamlos an den Ausbildungsleistun- in der Wirtschaft, der auch in der Marktwirtschaft
gen der mittelständischen Indust rie bereichern. notwendig ist, zu neuen Technologien und zur Mo-
dernisierung der Wi rt schaft, Gesellschaft und Ver-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne waltung. -
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -
Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Das sind die (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie verhin-
mitbestimmten Betriebe!) dern doch alles!)

Da wir aber über Rahmenbedingungen sprechen Auch hier gibt es klare Unterschiede zwischen sozial-
wollen, will ich Ihnen einige Eckpunkte sozialdemo- demokratischer Wi rt schaftspolitik und der von Ihnen
kratischer Wi rt schaftspolitik deutlich machen. konzipierten.

(E rn st Hinsken [CDU/CSU]: Jetzt bin ich (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist allerdings
neugierig!) wahr!)
4538 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
E rn st Schwanhold
Wir wollen eben nicht wie Sie und manche Ihrer Stra- nen Antrag vorgelegt, den Sie abgelehnt haben. Hier
tegen mit der Axt in gewachsene Strukturen hinein Fortschritte zu erzielen wäre übrigens auch im Sinne
uen, sondern wir wollen die Risiken und Rückwir- der mittelständischen Wirtschaft und würde die Inve- -ha
kungen neuer Technologien in einem gesellschaftli- stitionskraft der mittelständischen Wi rt schaft stärken.
chen Dialog diskutieren und auch offenlegen.
Auch in der Steuerpolitik haben Sie von der Koali-
(Beifall bei der SPD) tion kräftig dafür gesorgt, daß von unten nach oben
umverteilt worden ist. Das Bundesverfassungsge-
Man muß schon einen Weg suchen und finden zwi- richt hat Sie doch erst kürzlich zur Ordnung gerufen
schen blinder Technologie und Technikgläubigkeit und dafür gesorgt, daß die unteren Einkommen wie-
und unverantwo rtlicher Scheu vor neuen Technolo- der von der Steuer entlastet werden. Was ist das
gien. Aber wir müssen den Menschen auch die denn anderes? Beim Solidaritätszuschlag waren wir
Ängste dabei nehmen. es, die dafür plädiert haben, die unteren Einkommen
freizustellen, während Sie do rt wieder kräftig zuge-
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie schüren doch langt haben.
die Ängste!)
Daß der p rivate Konsum als Konjunkturmotor jetzt
Wir sind deswegen nicht strukturkonservativ, son- fehlt, ist auch zum Schaden der mittelständischen
dern wir sind überzeugt von der Notwendigkeit ei- Unternehmen, ist das Resultat Ihrer Umverteilungs-
nes offenen und auch strittigen gesellschaftlichen politik und sonst überhaupt nichts.
Dialogs. Nur im Dialog können wir Widerstände
überwinden und können die notwendigen Grenzen (Beifall bei der SPD)
gezogen werden. Dazu gehört zum Abschluß eines
Dialogs auch die Bereitschaft, Risiko zu tragen. Nur Viertens. Wir bekennen uns zur notwendigen Fle-
durch diese Form der Annäherung gelingt es, mo- xibilisierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Glo-
derne Technologien und Industrien bei uns zu eta- balisierung der Märkte und die Internationalisierung
blieren und dauerhaft zu sichern. der Unternehmen zwingen uns dazu, daß auch bei
uns effizientere und flexiblere Strukturen geschaffen
Sie allerdings, meine Damen und Herren von der werden.
CDU/CSU, sind die wahren Strukturkonservativen,
Ohne Zweifel müssen dabei Maschinenlaufzeiten
wenn es um Ihre Interessen und die Interessen Ihrer länger sein können.
Klientel geht. Wie anders ist denn zu erklären, daß
die Reform der Landwirtschaftspolitik bei uns und (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: An jedem
vor allem in Europa noch keinen Millimeter weiter- Platz eine andere Rede! - Ernst Hinsken
gekommen ist? [CDU/CSU]: Es dauert zwar etwas, aber es
kommt doch noch bei Ihnen!)
(Beifall bei der SPD)
- Nun warten Sie doch einmal ab! Bleiben Sie doch
Drittens. Wir bekennen uns zum Grundsatz, daß ruhig! - Ohne Zweifel müssen wir bei Arbeitszeit
erst erwirtschaftet werden muß, was verteilt wird. und Arbeitseinsatz flexibler sein als in der Vergan-
genheit. Ich meine, daß die jüngsten Tarifabschlüsse
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!) in der Automobilindustrie in dieser Hinsicht rich-
- Schauen Sie sich einmal die Schulden an, die in tungsweisend gewesen sind. Von übrigens über
den letzten 12 Jahren aufgelaufen sind, die Ihr Schul- 40 000 Tarifverträgen - das sollten Sie sich einmal an-
denminister Waigel angehäuft hat. schauen - schließt nur ein einziger Samstagsarbeit
aus. Nur bei ganz wenigen ist zwingend die Zustim-
(Beifall bei der SPD) mung der Bet ri ebsräte erforderlich. Alle anderen er-
lauben dieses heute schon. Die Wahrheit ist nämlich,
Der Unterschied zwischen Ihnen von der Koalition daß die Samstagsarbeit im letzten Jahr um 5 % zu-
und uns liegt auch hier nicht im Grundsatz, sondern rückgegangen ist. Sie bauen hier eine Scheindebatte
in einem ganz wichtigen Detail, nämlich wie verteilt auf, die Abbau von sozialen Rechten und Lohnantei-
wird und unter welchen Bedingungen das zu Vertei- len zur Folge haben soll. Das werden wir nicht mit-
lende erwirtschaftet wird. machen.

Sie haben in Ihrer 13jährigen Regierungszeit eine (Beifall bei der SPD)
Politik des Verteilens von unten nach oben vorge- Ich komme jetzt noch einmal auf den Ladenschluß
nommen. Seit langem war der Anteil der Arbeitneh- im Zusammenhang mit Flexibilität zurück. Dazu -
meraufkommen am Volkseinkommen nicht so nied- müßten Sie schon einige Fragen beantworten, Herr
ri g wie zur Zeit. Am Ende der Regierung von Helmut
Wirtschaftsminister.
Schmidt war er bei fast 77 %. Heute liegt er knapp
über 70 %, also 7 % Differenz. Erstens. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um zu
verhindern, daß der bedrohliche Konzentrationspro-
Sie haben einen Kahlschlag bei allen vermögens- zeß noch weiter fortschreitet oder gar beschleunigt
politischen Maßnahmen bet ri eben. Bis heute haben wird?
Sie keine Vorschläge für mehr Arbeitnehmerbeteili-
gung am Produktivvermögen vorgelegt. Wir haben Zweitens. Wie wollen Sie verhindern, daß durch
Ihnen dazu in der letzten Legislaturpe ri ode schon ei höhere Flexibilität noch mehr heutige Vollzeitar-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4539
Ernst Schwanhold
beitsplätze durch sozialversicherungsfreie unge- telständischen Einzelhandel in den Innenstädten
schützte Arbeitsverhältnisse ersetzt werden? schützen. In diesem Sinne müssen wir uns um einen
Konsens bemühen. Wir sind bereit, ihn mitzugehen
(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das wird er nicht und mitzugestalten, damit Arbeitnehmerinteressen
verhindern!) nicht auf der Strecke bleiben.
Drittens. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um (Beifall bei der SPD)
ungeschützte Arbeitsverhältnisse zu geschützten, so-
zialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen zu Das war der vorgesehene Text. Dies ist genau die Be-
machen? stätigung dessen, was der Vorsitzende der SPD-Frak-
tion schon seit Wochen dazu sagt.
Viertens. Was wollen Sie tun, um den mittelständi-
schen Einzelhandel in den Innenstädten und in den Fünftens. Wir bekennen uns dazu, den Wirtschafts-
Dörfern zu stärken und nicht durch längere Öff- standort Deutschland zu sichern und auch die Stand-
nungszeiten den großflächigen Einzelhandel auf der ortbedingungen für die mittelständische Wi rt schaft
grünen Wiese zu unterstützen? Diese und andere zu verbessern.
Fragen sind zunächst zu beantworten.
(Siegfried Ho rn ung [CDU/CSU]: Nachdem
Und dann, Herr Rexrodt, sollten Sie nicht so tun, die Firmen ausgewandert sind!)
als ob Sie beim Problem der Ladenschlußzeiten ei-
nen Erfolg erzielen könnten. Schauen Sie sich die Hierzu gehört ohne Zweifel eine Reform der Unter-
Diskussion in der CDU, in der CSU, die Stellungnah- nehmensbesteuerung; hierzu gehört ohne Zweifel
men des DIHT, des Hauptverbandes des Deutschen auch eine Senkung der Lohnnebenkosten; hierzu ge-
Einzelhandels und von HBV und DAG an, und dann hört aber zuallererst eine Offensive in Innovation, in
wissen Sie, wo man Ihnen Widerstand entgegensetzt. neue Produkte und Produktionsverfahren, in mehr
Diesen Widerstand müssen Sie erst einmal überwin- und bessere Bildung und Ausbildung. Anders als die
den, wenn Sie vollmundig ankündigen, Sie würden mittelständische Wi rt schaft denken Sie immer nur in
hinsichtlich der Ladenschlußzeiten etwas tun. Kapitalkategorien, anstatt in Menschen und deren
Erfindungsreichtum, Kreativität und Bildung zu inve-
(Beifall bei der SPD) stieren.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schwanhold, (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen CSU)
Hinsken? Ich wi ll Ihnen eines sagen, sehr verehrter Herr Kol-
lege, der Sie dazwischenrufen: „Jetzt kommen Sie
Ernst Schwanhold (SPD): Ich möchte gern darauf damit!": Seit viereinhalb Jahren hat in diesem Haus
verzichten. Herr Hinsken, wir können uns an anderer keine Mittelstandsdebatte mehr stattgefunden, weil
Stelle darüber auseinandersetzen. die Regierung das nicht als notwendig erachtet. Wir
haben Ihnen eine Große Anfrage vorgelegt und Sie
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt kneift so dazu gezwungen, diese Mittelstandsdebatte hier
er! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU) zu führen.
- Ich bitte Herrn Hinsken, seine Zwischenfrage zu (Beifall bei der SPD)
stellen.
Sie fahren den Technologiehaushalt permanent zu-
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Schwan- rück. Das Studenten-BAföG haben Sie nur unter gro-
hold, wie erklären Sie sich, daß der Fraktionsvorsit- ßem Druck auch von uns aufgestockt. Die von Ihnen
zende der SPD, Herr Scharping, jüngst lautstark geplante drastische Erhöhung der Patentgebühren
nach einer Flexibilisierung der Ladenschlußzeiten konnten wir noch verhindern. Die von Ihnen hinge-
gerufen hat, und haben Sie mit ihm schon einmal nommene Zerschlagung der ostdeutschen For-
über die von Ihnen eben gestellten Fragen gespro- schungslandschaft haben auch wir allerdings leider
nicht verhindern können. Nun planen Sie mit aller-
chen?
hand Haushaltstricks im Einzelplan des Wirtschafts-
ministeriums wieder eine Kürzung der Forschungs-
Ernst Schwanhold (SPD): Herr Hinsken, ich gebe hilfen für die neuen Bundesländer. Ihre Anschläge
Ihnen jetzt die Antwort genau aus meinem Manu- auf die Forschungslandschaft in Deutschland sind je-
skript, und ich bitte Sie, so lange stehenzubleiben, denfalls alles andere als ein schlüssiges Konzept für
wie die Passage dauert, weil ich dadurch Zeit ge- den Wirt schaftsstando rt Deutschland und insbeson--
winne. dere für Ostdeutschland.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD)
der SPD und der PDS)
Den Arbeitnehmern müssen wir sagen: Wir wollen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schwanhold,
keine ungeschützten, keine sozialversicherungs- gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen
freien Arbeitsverhältnisse mehr; wir werden sie ab- Michelbach?
schaffen. Dem mittelständischen Einzelhandel müs-
sen wir sagen: Wir wollen nur einen Korridor für
mehr Flexibilität, und wir wollen vor allem den mit Ernst Schwanhold (SPD): Aber gerne.
4540 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Kollege Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Kollege
Schwanhold, Sie zeigen in Ihrer Rede geradezu ein Schwanhold, es ist klar, wie die Mittelstandspolitik
Horrorszenario des Mittelstandes auf. der Bundesregierung zu beurteilen ist und welche
Strategie sie verfolgt: Sie wi ll mit dem Ladenschluß-
(Ernst Schwanhold [SPD]: Nein, gar nicht! -
gesetz wohl einen Rundumschlag machen. Er wird
Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der Politik!)
aber nichts bringen.
Sie sagen, bei uns sei ein Stillstand in der Mittel-
Können Sie mir vor dem Hintergrund der Politik
standspolitik eingetreten. Ist es richtig, Herr Schwan-
dieser Bundesregierung einmal erklären, warum wir
hold, daß Sie in der SPD-Fraktion nicht einen einzi-
so viele Konkurse, und zwar mit steigender Tendenz,
gen selbständigen Unternehmer aus dem Mittelstand
haben und warum diese besonders den mittelständi-
haben? Wie wollen Sie dann überhaupt die Wi rt
schen Bereich und den Bereich der Familienbetriebe
-schaftundMielpoknderga-
treffen?
stalten? Ist Ihnen bekannt, daß 80 % der Mittelständ-
ler bei der letzten Bundestagswahl sicherlich berech-
tigt CDU/CSU gewählt haben? Ernst Schwanhold (SPD): Herr Kollege Urbaniak,
ich nehme diese Frage gerne auf.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Und F.D.P.!)
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die kön-
Ernst Schwanhold (SPD): Lieber Herr Kollege, nen Sie sehr kurz beantworten!)
vielleicht bleiben Sie so lange stehen; die Antwort Sie kommt in meinem Konzept auch noch vor. Wir
dauert ein bißchen länger, und darauf freue ich mich haben im vergangenen Jahr deutlich über 20 000
schon. Konkurse von Unternehmen gehabt. Auch für dieses
Erstens. Ich finde es schon ziemlich dreist, daß Sie Jahr zeichnet sich ab, daß wir wieder weit über
sich hier hinstellen und so eine Frage stellen, ohne 20 000 Konkurse haben werden.
sich die Biographie des Redenden anzuschauen. Diese Konkurse sind auf unterschiedliche Ursa-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne chen zurückzuführen. Nach meiner festen Überzeu-
ten der PDS) gung sind sie auch darauf zurückzuführen, daß von
seiten der Bundesregierung nichts unternommen
Ich komme nämlich aus einem mittelständischen Un- worden ist, um erstens den Strukturwandel zu schaf-
ternehmen, wo ich in ausreichendem Maße Verant- fen, um zweitens Kapital zu organisieren, damit sich
wortung getragen habe. Ich habe mich sehr intensiv Wachstumsunternehmen - in Ostdeutschland sind es
darum bemüht. ganz häufig solche - am Kapitalmarkt bedienen kön-
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der konnte halt nen, um wachsende Aufträge abzuwickeln und sie
nicht wissen, daß ein selbständiger Unter auch zu finanzieren. Es ist ein wichtiger Punkt, Risi-
nehmer so daherreden kann!) kokapital, Finanzierung und Zugang zum Kapital-
markt nicht auf Kreditbasis, sondern auf der Basis
Zweitens. Wenn ich das richtig sehe, gibt es in der privaten Vermögens zu aktivieren.
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mehr
Selbständige, als die F.D.P. Mitglieder hat. (Beifall bei der SPD - Siegf ried Hornung
[CDU/CSU]: Dann müssen Sie erst zustim-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne men, daß wir die Gewerbekapitalsteuer ab-
ten der PDS - E rnst Hinsken [CDU/CSU]: schaffen!)
Er hat vom Bundestag gesprochen!)
Ich möchte jetzt gern in meinem Konzept fortfah-
Drittens. Sie sollten sich die Mühe machen - wenn ren und darauf hinweisen, daß sich der Technologie-
Sie schon sonst nichts zu tun haben; Sie hören noch rat beim Bundeskanzler nur sehr wenig mit den
nicht einmal zu -, den „Kürschner" zu lesen und sich wirklich anstehenden Fragen beschäftigt. Das ist
die Biographien der Kollegen der SPD anzusehen. eine Schauveranstaltung und hat überhaupt nichts
Da werden Sie z. B. Handwerksmeister, Menschen mit dem zu tun, was meine Kollegen, die das gefor-
wie mich, Rechtsanwälte, eine ganze Menge Freibe- dert haben, in der vergangenen Pe riode initiieren
rufler finden. Also: Machen Sie zuerst Ihre Hausauf- wollten.
gaben.
Der Dialog der Bundesregierung mit der mittel-
Viertens. Ich habe kein Horrorszenario des Mittel- ständischen Wirtschaft, die sogenannte Kanzler-
standes gezeichnet, sondern der Mittelstandspolitik. runde, wurde uns von seiten mittelständischer Ver-
Das ist etwas anderes. Dafür sind Sie verantwortlich. bandsvertreter und mittelständischer Unternehmen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne so charakterisiert: der Bundeskanzler, ein paar Mini- -
ster, ein paar Gewerkschafter, Herr Späth als Vertre-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
ter des Mittelstandes - sonst saß da nur die Indust rie
und der PDS)
herum.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schwanhold, Was soll ein solcher Dialog eigentlich? Mittel-
es gibt eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Ur- standsgespräche machen nur dann Sinn, wenn die
baniak. mittelständische Wirtschaft maßgeblich daran betei-
ligt wird.
Ernst Schwanhold (SPD): Gerne. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4541
E rn st Schwanhold
Sozialdemokraten haben im Bundesrat bei der De- Deshalb müssen Sie erst wieder lernen zu fragen,
batte zum Standortsicherungsgesetz gezeigt, daß wir welche Auswirkungen Gesetzgebung auf den Erhalt
bereit sind, die Investitionsbedingungen in Deutsch- und den Ausbau des Mittelstandes hat und welche
land zu verbessern. Wir waren es doch, die eine Ver- Gesetzgebung objektiv Großstrukturen in die Hände
schlechterung der Abschreibungsbedingungen, die spielt. Also die Frage am Anfang, was bedeutet es für
Sie wollten, verhindert haben. den Mittelstand, ist bei den Gesetzgebungsverfahren
bei Ihnen durchgängig nicht mehr erkennbar. Darum
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) können Sie die Interessen des Mittelstandes auch
Auch sind wir bereit, über die Gewerbekapital- nicht wahrnehmen.
steuer mit uns reden zu lassen. Legen Sie uns aber (Beifall bei der SPD)
bitte vorher zuerst einmal ein Konzept zur dauerhaf-
ten Sicherung der Gemeindefinanzierung vor, das Wir diskutieren heute auch über die Antwort der
auch den grundgesetzlichen Anspruch der Autono- Bundesregierung auf die Große Anfrage „Möglich-
mie der Gemeinden bewah rt . Das ist die Aufgabe, keiten zur Förderung einer Existenzgründungsbewe-
die Sie bisher nicht erfüllen konnten. gung". Es ist schon bemerkenswe rt , wie eine Regie-
rung die Konfusion im eigenen Haus in e in e r Ant-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) wo rt so deutlich darstellen kann.
Die Ausplünderung der Kommunen hat dazu ge- Als große Schwierigkeit bei der Beschaffung von
führt, daß im kommunalen Bereich keine Aufträge Risikokapital stellt die Bundesregierung den Gesetz-
mehr vergeben werden können. Dies trifft die Bau- entwurf der SPD-Bundestagsfraktion dar, obwohl der
wirtschaft ins Mark und wird sich mittelfristig zu ei- in den Ausschüssen noch nicht einmal abschließend
nem Konjunkturrisiko ersten Grades ausweiten. Das beraten worden ist. Dieser Gesetzentwurf läßt aber
hat damit zu tun, daß die Kommunen durch Sie als gerade die Bereiche Joint venture, Sanierungsfälle
Gesetzgeber und Mehrheit immer mehr belastet wor- und Risikofinanzierung mit Ausnahmen zu. Die Bun-
den sind und daß kein kommunaler Finanzausgleich desregierung kennt noch nicht einmal die tatsächli-
vorgenommen worden ist. che Lage, zu der sie antwortet, und sie malt sich die
Wirklichkeit rot-rosig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: „Rot" ja!)
Zuruf des Abg. Herbe rt Lattmann [CDU/
- Rosig! - Wenn Ihnen weiter nichts Mangelhaftes an
CSU])
meiner Rede auffällt, dann dürfen Sie sich gerne
Zum Thema Lohnnebenkosten, Herr Lattmann, ist daran freuen.
Ihnen bisher auch nichts eingefallen, außer in das so- Noch immer ist es in Deutschland leichter, mit ei-
ziale Netz hineinzuschlagen. Wir haben dagegen ein nem schlechten Grundstück einen Kredit zu bekom-
Konzept zur Senkung der Lohnnebenkosten vorge- men als mit einer guten Geschäftsidee und dazuge-
legt, wie im Rahmen einer ökologischen Steuerre- hörenden Märkten.
form Arbeit entlastet sowie Energie- und Ressourcen
einsatz belastet werden kann. (Beifall bei der SPD)
Das volle Rückgabemodell entlastet den beschäfti- Ein anderes Beispiel trauriger Konzeptlosigkeit
gungsintensiven Teil der Indust ri e und insbesondere wird bei der Frage nach den Genehmigungen und
den Mittelstand. Nicht die Höhe der Senkung ist ent- den bürokratischen Hemmnissen geliefert. Die Bun-
scheidend, sondern die Trendwende bei den Lohnne- desregierung sagt, wegen der Gewerbefreiheit sei
benkosten ist das entscheidende Signal. keine Genehmigung einzuholen, es sei also jede Exi-
stenzgründung möglich. Einige Seiten weiter stellt
(Beifall bei der SPD) sie das Problem völlig anders dar. Do rt beklagt sie
mannigfache Hemmnisse durch die diversen Geneh-
Wie weit Sie sich, meine Damen und Herren von
migungsverfahren.
der Regierung, von den Interessen des Mittelstandes
verabschiedet haben, kann exemplarisch dargelegt Stellen Sie sich einmal vor, Bill Gates hätte in einer
werden am Kreislaufwirtschafts- und Abfallbeseiti- Garage in München angefangen. Er hätte in Mün-
gungsgesetz. In diesem Bereich hatte sich eine mit- chen überhaupt nicht anfangen können, weil die Ga-
telständische Wirtschaft aufgebaut, die verantwor- rage, in der er gearbeitet hätte, kein Fenster hat. Fen-
tungsbewußt mit Abfallstoffen umgehen kann. ster aber werden vom Arbeitsschutz verlangt. Gara-
Durch falsche Weichenstellung in der Gesetzgebung gen haben aber in Deutschland keine Fenster, das
ist dieser mittelständische Wi rt schaftszweig Begierde verlangt der Brandschutz. -
der Energieversorgungsunternehmen geworden, die
wie Raubfische im Gartenteich die kleinen Friedfi- Ich will das Beispiel von der Toilette, die schon bei
sche aufgefressen haben. zwei Angestellten unterschiedlichen Geschlechts für
Männer und Frauen getrennt bereitgehalten werden
Mittelstandspolitisch ist dies zu beklagen, unter muß, gar nicht ausweiten. Ich will auch nicht die
Umweltaspekten ist das ebenfalls zu beklagen, da rechtlichen Bestimmungen beim Wasserhaushaltsge-
Wiederverwertungsstrategien, Demontage und öko- setz, beim Immissionsschutzgesetz, beim Umgang
logisch sensible Verwertung von Reststoffen in klei- auch mit kleinen und kleinsten Mengen von Gefahr-
nen Wirtschaftskreisläufen besser vollzogen werden stoffen ausführen. Die Aufzählung ließe sich beliebig
können als in Großtechnologien. lang fortsetzen.
4542 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Ernst Schwanhold
Gates hätte schon im ersten Jahr entnervt aufgege- muß der Zugang durch Stärkung der Außenhandels-
ben, weil er Statistiken für die IHK aufstellen müßte, kammern und durch Unterstützung bei der Präsenta-
IHK-Beiträge zahlen, Beitrittsformulare ausfüllen tion auf Auslandsmessen gewährt und verbessert
müßte. Und er hätte Statistiken für das Statistische werden.
Bundesamt ausfüllen müssen.
Es ist schon nicht zu verstehen, daß sich Länder in
Dies alles sind fix e Kosten, bei denen wir sehr ge- unterschiedlichen Regionen engagieren und Häuser
nau hinzuschauen haben, ob wir darauf verzichten der deutschen Wi rt schaft finanzieren und die Bun-
können, damit das Wi rt schaften auch im Bereich des desregierung nicht in der Lage ist, ein abgestimmtes
Mittelstandes sowohl für das Unternehmen als auch Konzept für die vielen Regionen vorzulegen, obwohl
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie- sie Lateinamerika- und Asienoffensiven ankündigt
der lohnender wird. und nichts tut: Wo rt e, Wo rt e, keine Taten.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
Nein, wer Fragen nach der Befreiung von bürokrati- Wir werden die Beschäftigungsprobleme in der
schen Hemmnissen im Mittelstand so beantwortet, Bundesrepublik nicht ausschließlich mit Großunter-
wie Sie sie beantwortet haben, ist unfähig, die vor- nehmen lösen; die mittelständische Wi rt schaft hat in
handenen Hemmnisse zu beseitigen, weil er sie noch den letzten Jahren den Beweis dafür angetreten, daß
nicht einmal erkennt und überhaupt nicht weiß, was sie allein in den letzten Jahren beschäftigungsinten-
sich im Mittelstand abspielt. siv gewachsen ist. Daß dabei die Zusammenarbeit
zwischen mittelständischer Wi rt schaft und der Groß-
(Beifall bei der SPD)
industrie notwendig und richtig ist, ist selbstver-
Aus den Antworten auf die Große Anfrage haben ständlich. Sie zu organisieren und den Rahmen dafür
wir einen Antrag entwickelt, der heute dem Haus zu setzen ist Aufgabe des Staates.
vorliegt. Dieser Antrag ist von dem Grundtenor be-
Das bewirkt auch eine intelligente Industriepoli-
stimmt, daß die Freiräume für die wi rt schaftliche Be- tik, aber dieses Wo rt nehmen Sie ja aus ideologi-
tätigung erweitert werden müssen, ohne die Stan-
schen Sperren nicht in den Mund. Wie anders als mit
dards nach dem öffentlichen Interesse abzusenken.
Industriepolitik wäre der Strukturumbruch in NRW
Wir haben dabei immer dafür zu sorgen, daß die me-
von Kohle und Stahl zu einem Technologieland mög-
ritorischen Güter höher bewe rt et werden als die indi-
lich gewesen? Schauen Sie sich an, was Ihr Kollege
viduellen Interessen. Daraus folgt, daß die Stellung,
Fischer in Niedersachsen in einzelnen Regionen ge-
die Leistungskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der macht hat, davon können Sie lernen.
kleinen und mittleren Unternehmen in den von mir
genannten Bereichen gestärkt und gesichert werden (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
müssen.
Sie, Herr Rexrodt, haben von den im Jahreswirt-
Erstens. Arbeits- und Ausbildungsplätze in der schaftsbericht angekündigten Zielen drei fundamen-
mittelständischen Wi rt schaft sind nicht nur zu si- tale Ziele nicht erreicht. Sie haben die Arbeitslosig-
chern, sondern zu vermehren. Dazu braucht die mit- keit nicht geschmälert, im Gegenteil, Sie haben die
telständische Wi rt schaft allerdings Hilfestellung. Zahl der Erwerbstätigen nicht steigern können, Sie
haben Ihr prognostizie rt es Wirtschaftswachstum
Zweitens. Die Möglichkeiten zur Anpassung an
nicht erreicht und werden es in Ihrer Wachstums-
den wirtschaftlichen und technologischen Prozeß prognose auf etwas über 2 % reduzieren müssen. Ich
sind zu verbessern. Zu Forschungsfragen habe ich frage mich,
ausführlich Stellung bezogen.
(Siegfried Ho rn ung [CDU/CSU]: Nullwachs-
(Siegfried Ho rn ung [CDU/CSU]: Sie sind
tum und Minuswachstum bei Ihnen!)
doch forschungsfeindlich!)
ob das am 24. Oktober geschehen muß. Oder haben
Drittens. Die Voraussetzungen zur Bildung und Zu- Sie das Herbstgutachten für den 24. Oktober bestellt,
führung des notwendigen Eigenkapitals, insbeson- weil am 22. Oktober in Berlin Wahlen sind?
dere Risikokapitals, sind für die mittelständische
Wi rt schaft zu verbessern. Dabei geht es nicht in er-
ster Linie darum, mit öffentlichen Mitteln Risikokapi- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Sie müssen zum
talfonds auszustatten, sondern darum, p rivates Kapi- Schluß kommen.
tal in diese Anlageform zu locken.
Viertens. Die Gründung, Übernahme, Fortführung Ernst Schwanhold (SPD): Ich weiß, herzlichen
und der Ausbau von Unternehmen der mittelständi- Dank, Frau Präsidentin. Wenn Sie gestatten, noch
schen Wi rt schaft sind zu fördern und zu erleichtern. zwei Sätze.
Dies gilt auch für Kooperationsmöglichkeiten. Sie haben Ihre Prognose bei der Preisstabilität
Fünftens. Die Wettbewerbsfähigkeit der mittel- fast erreicht. Eines jedoch haben Sie erreicht: Die
ständischen Wi rt schaft, insbesondere die Chancen Gewinne aus Unternehmenstätigkeit sind übertrof-
auf den Weltmärkten, sind zu stärken und zu fördern. fen worden. Das ist eine schlechte Ausgangslage zu
einem Zeitpunkt, an dem die mittelständische Wi rt
Die mittelständische Wi rt schaft kann sich nicht aus -schaftSärkungdBelbrinach-
eigener Kraft auf den Zukunftsmärkten bewegen, frage benötigte, an dem sie Zeichen der Stabilisie-
obwohl sie interessante Produkte zu bieten hat. Hier rung für die Zukunft benötigte und an dem sie Rah-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4543
Ernst Schwanhold
mensetzungen benötigte, die das zukünftige Wi rt angepaßt werden. Fördern Sie doch Unternehmen,
-schaftenbir,ud asSgnlwicht die neue Märkte für Umwelttechnologien und die In-
gewesen wäre, daß die Lohnnebenkosten gesenkt formationsgesellschaft erschließen, Unternehmen,
und die Entbürokratisierung vorangetrieben wür- die umweltverträgliche Produkte herstellen, die
den. Dienstleistungen anbieten, die den Stoff- und Ener-
giedurchsatz reduzieren, und nehmen Sie endlich
Es lohnt sich für mich als jemand, der lange in ei- Abschied von Ihrem anscheinend geliebten Gießkan-
nem mittelständischen Unternehmen verantwortlich nenprinzip.
tätig war, in Ideen, in den Bet ri eb und in die Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter zu investieren. Diese Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim
Rahmensetzungen werden wir von Ihnen fordern, Deutschen Bundestag bescheinigt beispielsweise in
damit es sich endlich wieder lohnt, in der mittelstän- seiner Studie den neuen Werkstoffen hohe Marktpo-
dischen Wirtschaft aktiv zu werden, damit es dort tentiale und eine erhebliche Attraktivität für unter-
bergauf geht. nehmerische Tätigkeit. Wenn aber nicht endlich
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Strukturen geschaffen werden, die eine schnelle Um-
ten der PDS) setzung von neuen Forschungsergebnissen auch für
kleinere und mittlere Unternehmen ermöglichen,
wird hier eine große Chance verspielt. Neue Werk-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wo rt hat jetzt stoffe haben oft so spezifische Anwendungen, daß
die Kollegin Simone Probst. die Nähe zu regionalen Märkten, die gerade die klei-
nen und mittleren Unternehmen haben, von großem
Simone Probst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr Vorteil ist.
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Drei Millionen Unternehmen gibt es in der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber vor
Bundesrepublik. Davon sind 99,28 % - das stellt man dem Neuen haben Sie ganz besondere
fest, wenn man es einmal genau ausrechnet - kleine Angst!)
und mittlere Unternehmen. Sie erwirtschaften knapp
die Hälfte aller steuerpflichtigen Umsätze und be- - Nein, nein. Das ist die große Chance, denke ich, die
schäftigen zwei Drittel aller Arbeitnehmerinnen und einfach genutzt werden muß. Wenn Sie das begrei-
Arbeitnehmer. fen, freue ich mich. Ich habe, was Ihre Politik angeht,
allerdings nicht den Eindruck, daß das so ist.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das stimmt so
gar!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
- Wir sind gut informiert. Sie brauchen sich nicht zu bei der SPD und der PDS)
wundern.
Modellbildung, beispielsweise im medizinischen
Die Ausbildungsplatzmisere wurde schon ange- Bereich, wird sich in Zukunft rasch weiterentwickeln
sprochen. Ich möchte betonen, daß 80 % aller Lehr- und wird sehr schnell umgesetzt werden müssen. Die
linge, d. h. mehr als drei Viertel, in mittelständischen ganze Frage des Zahnersatzes, die fast jeden von uns
Unternehmen ausgebildet werden. betrifft, ohne Amalgam und mit Kunststoffen stellt
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So war das nicht nur die Forschung, sondern auch die Anwen-
schon immer!) dung vor große Herausforderung, aber auch vor ge-
wisse Rätsel.
Wir wollen eine umwelt- und sozialverträgliche
Wirtschaftsentwicklung. Dabei spielt ein starker Mit- Damit Sie mich nicht falsch verstehen oder irgend-
telstand eine entscheidende Rolle. Es steht uns ein welche Unklarheiten aufkommen: Ich möchte beto-
tiefgreifender wirtschafts- und arbeitsmarktpoliti- nen, daß die Umsetzung dieser Forschungsergeb-
scher Strukturwandel bevor. Die kleinen und mittle- nisse in wirklich lebensnahe Anwendung nicht
ren Unternehmen können als allererste durch ihre durch schnöde Subventionen bewerkstelligt werden
Flexibilität und ihre regionale Nähe zu den spezifi- kann. Da der Mittelstand in der Regel keine For-
schen Arbeitsmarktstrukturen und Märkten diesen schung mit hohem finanziellen Aufwand betreibt,
Strukturwandel voranbringen. Deshalb muß sich die brauchen wir einen verbesserten Innovations- und
Politik endlich darauf einstellen, diese Stärken zu un- Technologietransfer, der es ermöglicht, daß durch
terstützen, aber nicht allein mit hehren Worten, son- aufbereitete Forschungsergebnisse schnell die sich
dern mit ganz konkreten Initiativen. anbietenden Chancen ergriffen werden.
Es kann hierbei nicht um Einzelförderung und um -
Flickschusterei gehen. Das inzwischen geflügelte Die Realität allerdings sieht ganz anders aus: Nicht
nur die Großindustrie, sondern auch die Existenz-
Wo rt des nichtdurchschaubaren Förderungsdschun-
gründer und kleine Unternehmen bauen sich eine
gels ist ja nicht aus der Luft gegriffen. Dieser Wust
von Förderungen benachteiligt eben gerade diejeni-
Existenz im Ausland auf. Die Bundesrepublik ver-
gen Unternehmen, die einen kleinen Verwaltungs- fügt über exzellentes Grundlagenwissen, die Umset-
apparat haben, in ganz besonderem Maße. zung und Anwendung erfolgt leider oftmals nicht bei
uns. Bestes Beispiel dafür ist die Abwanderung der
Die Fördermaßnahmen müssen gebündelt und letzten größeren Solarzellenfabrik aus Wedel. Bedau-
endlich transparent gemacht werden und an das ern habe ich darüber von fast allen Seiten sehr viel
Prinzip einer wirklich zukunftsfähigen Entwicklung gehört.
4544 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Simone Probst
Aber Sie können diese Problematik nicht allein mit Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster
dem in der Debatte so häufig angewandten Argu- spricht Kollege Paul Friedhoff.
ment der hohen Lohnnebenkosten abtun.
(Siegfried Ho rn ung [CDU/CSU]: Das ist das Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine
neue Schlagwort der SPD!) sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Wir debattieren heute über die
Es sind die Rahmenbedingungen, die falsch gesetzt Mittelstandspolitik der Bundesregierung, und dies,
sind. Die Politik der Bundesregierung schafft kein In- obwohl es eine genaue Definition des Begriffs „Mit-
novationsklima, keine Aufbruchstimmung, sondern telstand" nicht gibt und auch nicht geben kann.
vermittelt ein träges und langweiliges „Immer weiter
so". (Siegfried Ho rn ung [CDU/CSU]: Trotzdem
funktioniert es!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte deshalb zunächst sagen, was ich unter
Mittelstand verstehe. Ich verstehe darunter Unter-
Allein die Dauer der Bearbeitung von Anträgen des nehmen, in denen weit weniger als 500 Mitarbeiter
Mittelstands und der Existenzgründer bis zur Geneh- beschäftigt sind und bei denen - das ist das Wichtige,
migung beträgt oftmals mehr als ein Jahr. Ich denke, darauf kommt es mir an - das geschäftliche Risiko
das kann nicht so weitergehen. Es ist Sorgfalt und von den Unternehmern selbst getragen wird.
nicht Langwierigkeit angesagt. Es tut mir leid, daß
Herr Kanther heute nicht da ist: Wir warten auf die Ver- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)
waltungsreform. Wo sind Ihre konstruktiven Vor-
Im Gegensatz zur Großindustrie oder deren mittel-
schläge? Ich denke, wir müssen es anpacken. Es geht
ständischen Fi li alen - neuerdings gibt es mittelstän-
dabei allerdings nicht um den Abbau von Qualität und
dische staatliche Bet ri ebe, z. B. ausgegliederte Kom-
Standards, sondern um eine Umstrukturierung zugun-
munalbetriebe - können sich diese Unternehmen
sten von mehr Beratung für die kleinen Unternehmen
nicht darauf verlassen, daß der Staat ihnen in wirt-
und einer stringenteren Bearbeitung der Anträge.
schaftlich schwierigen Situationen durch Subventio-
Die von der Bundesregierung eingesetzte Schlich- nen hilft und sie so vor dem Konkurs bewah rt . Mittel-
ter-Kommission - das hat nichts mit Schlichten zu tun, ständische Unternehmen, die etwa die Hälfte der
vielmehr ist sie nach ihrem Vorsitzenden benannt - hat Wertschöpfung in Deutschland erwirtschaften, zeich-
dieses Problem ebenfalls erkannt. Allerdings warne nen sich dadurch aus, daß sie - das ist schon gesagt
ich davor, die Ergebnisse der Kommission als Gesetz worden - etwa zwei Drittel aller Arbeitnehmer be-
umzusetzen. Unter anderem sollen eine Reihe von schäftigen und darüber hinaus etwa 80 % der Ausbil-
neuen Vorschriften geschaffen werden. Dies wird im dungsplätze zur Verfügung stellen. In den neuen
Ergebnis eher zu einer Behinderung als zum ge- Bundesländern ist der Mittelstand für den Arbeits-
wünschten Effekt führen und außerdem wiederum die markt noch wichtiger. Diese wenigen Zahlen zeigen
Großindustrie gegenüber kleinen und mittleren Un- die große Bedeutung des Mittelstands für unsere
ternehmen bevorzugen. Nehmen Sie sich lieber ein Volkswirtschaft und vor allem für den Arbeitsmarkt.
Beispiel an Brandenburg und Hessen, und orientieren
Meine Damen und Herren, Politik für den Mittel-
Sie sich besser an deren Erlassen zum Investitionser-
stand ist, wenn diese Zahlen stimmen, also in hohem
leichterungs- und Wohnbaulandgesetz!
Maße eine Politik für Beschäftigung und gegen Ar-
Zur Förderung und Unterstützung des Mittelstands beitslosigkeit. Die Bundesregierung ist deshalb gut
ist eine stärkere Transparenz und Bündelung der För- beraten, daß sie weite Teile ihrer Wi rt schaftspolitik
derprogramme unabdingbar. Wir fordern als ersten auf die Belange des Mittelstands ausrichtet und im-
Schritt einen jährlichen Be ri cht und eine Analyse über mer ausgerichtet hat. Dabei ist richtig verstandene
die Verteilung der Finanzhilfen einschließlich der Sub- Mittelstandspolitik keine Klientelpolitik, denn Mittel-
ventionen an die Großindustrie und an die Meinen und stand und Großunternehmen sind gemeinsam un-
mittleren Unternehmen. Dies wird die ökologisch be- verzichtbare und in unserer arbeitsteiligen Wirt-
denklichen und innovationshemmenden Subventio- schaft aufeinander angewiesene Unternehmensfor-
nen an die Großindustrie verdeutlichen, die schnell men. Wenn man also für den Mittelstand spricht,
abgebaut werden müssen. Allein eine bessere Koordi- heißt das nicht, daß man sich gegen Großunterneh-
nation der Wirtschafts-, Innovations- und Umweltför- men ausspricht.
derprogramme von EU, Bund und Ländern wird zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
nicht unerheblichen Synergieeffekten führen.
ten der CDU/CSU)
Wir unterstützen nachdrücklich alle Bemühungen, Allerdings gibt es wi rt schaftliche Rahmenbedin-
die spezifischen Stärken Meiner und mittlerer Unter- gungen, die den Großunternehmen mehr und den
nehmen auszubauen. Wir brauchen ein anderes In- kleinen und mittleren Unternehmen weniger nutzen.
novationsklima. Ich bin sehr optimistisch, daß mit
dem anstehenden Generationswechsel viele Kräfte (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vor allen
freigesetzt werden. Voraussetzung ist allerdings ein Dingen bei der Ausbildung!)
Weniger an Bürokratie, ein Mehr an Intelligenz und
Kreativität, auch und gerade in der Politik. Diese Rahmenbedingungen müssen an einigen Stel-
len zugunsten des Mittelstandes verändert werden,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenn mehr Arbeitsplätze entstehen sollen und die
und bei der PDS) deutsche Wi rt schaft den notwendigen Strukturwan-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4545
Paul K. Friedhoff
del, den die vielfältigen Veränderungen der Welt- Wenn er das hier tun würde, wären Sie, Herr
wirtschaft erzwingen, erfolgreich bewältigen wi ll . Schwanhold, einer der größten Kritiker. Sie wären
Von diesen notwendigen Veränderungen ist im An- derjenige, der ihm den Manchesterkapitalismus und
trag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. eine ähnliches vorwerfen würde.
ganze Reihe aufgelistet. Deshalb kann ich mich hier
auf einige wenige Punkte konzentrieren. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer regiert denn
Bevor ich das tue, möchte ich Ihnen, Herr Schwan- hier?)
hold, etwas zu Bill Gates in München sagen. Sie ha-
ben gerade hier das Bild gezeichnet, daß es in Ich habe deswegen für Ihre Zwischenfrage über-
Deutschland solche Unternehmer überhaupt nicht haupt kein Verständnis. Sie zeigt mir, daß Sie auf der
geben soll. einen Seite so tun, als wären solche Unternehmen er-
wünscht; wenn sie aber entstehen, bewirkt das, was
(Ernst Schwanhold [SPD]: Nicht geben
Sie mit Ihrer Politik immer wieder fordern, genau das
soll?)
Gegenteil.
- Ja; das haben Sie gesagt. Sie unterschätzen Bi ll Ga-
tes gewaltig, wenn Sie glauben, daß er in Deutsch- (Siegf ri ed Hornung [CDU/CSU]: Genau!
land nicht fertiggeworden wäre. In Deutschland wer- Das ist zutreffend!)
den laufend mittelständische Unternehmen gegrün-
det, auch in Garagen, auch in Kellern. Es ist nicht so,
daß die Bürokratie alles verhinderte. Wir würden uns Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es liegt ein weite-
mehr Initiativen wünschen. Aber anschließend noch rer Wunsch nach einer Zwischenfrage vor, und zwar
zu sagen, daß wir in NRW ein Technologieland hät- von der Kollegin Skarpelis-Sperk.
ten, während Bill Gates in München gescheitert
wäre, scheint mir doch etwas weit hergeholt. Das
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Herr Kollege,
wollte ich hier einmal deutlich machen.
sind Ihnen in diesem Zusammenhang die Probleme
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) der deutschen Softwareindustrie bekannt, bei der ja
bekanntlich nicht die Großen die Kleinen fressen,
Da der Mittelstand im Verhältnis zur Wertschöp- sondern die Schnellen die Langsamen überholen? Ist
fung überproportional viele Arbeitsplätze bereit- Ihnen bekannt, daß das weniger an behördlichen
stellt, betreffen alle Probleme, die mit Arbeitsplätzen Auflagen als an der Tatsache liegt, daß sich die Ban-
zusammenhängen, in besonderem Maße mittelstän- ken in Deutschland nicht in der Lage sehen, ausrei-
dische Bet ri ebe und damit den Sektor, der dem Ar- chend Risikokapital für Innovationen zur Verfügung
beitsmarkt heute noch in nennenswertem Umfang zu stellen,
Entlastung verschafft.
(E rn st Hinsken [CDU/CSU]: Das ist es!)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Friedhoff, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten daß die Branche dieses als das Zentralproblem an-
Schwanhold? sieht, daß sie ferner als ein Problem ansieht, daß die
öffentliche Infrastruktur auf dem Gebiet der Netze im
Vergleich zu Amerika außerordentlich schleppend
Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Aber selbstverständlich. zur Verfügung gestellt wird, und daß für diesen Be-
reich in der Bundesrepublik Deutschland seit gerau-
Ernst Schwanhold (SPD): Herr Kollege Friedhoff, mer Zeit bis vor kurzem die Bundesregierung zustän-
Sie wissen, daß Bi ll Gates ein Synonym für schnell dig war?
wachsende Betriebe in einem Hochtechnologiebe-
reich ist. Sind Sie in der Lage, mir zwei oder drei Un-
ternehmen in der Bundesrepublik Deutschland nicht Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Wenn wir uns darüber
in gleicher, aber in annähernd gleicher Größenord- unterhalten, warum gerade im Bereich der Telekom-
nung, mit annähernd so großem Wachstum zu nen- munikation in diesem Land noch immer eine Überre-
nen, die in den vergangenen fünf Jahren gegründet gulierung vorhanden ist, und dann das Verhalten Ih-
worden sind? rer Fraktion bei dieser - -

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wir sind an al-


Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Dazu bin ich nicht in der lem schuld! Sie regieren doch, Herr Kol-
Lage. Ich bedaure, daß in Deutschland offensichtlich lege, seit 13 Jahren!)
die Formen und die Möglichkeiten, die es in der ame-
rikanischen Gesellschaft gibt, nicht vorhanden sind. - Ja, aber Sie sind im Parlament - -
Das liegt aber weniger daran, daß wir hier nicht sol-
che Leute wie Bill Gates hätten, sondern in hohem (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU], an Anke
Maße daran, daß wir in unserem Staat an den ver- Fuchs [Köln] [SPD] gewandt: Sie blockieren
schiedensten Stellen, angefangen in den Kommunen doch laufend durch Ihre Bundesratsmehr-
bis hin zu den Ländern, viele rechtliche Vorschriften heit!)
so ausgestaltet haben, daß das, was Bill Gates ge-
macht hat, hier nicht möglich ist.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Die Antwort gibt
(E rn st Schwanhold [SPD]: Genau das ist es!) Herr Friedhoff.
4546 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Frau Fuchs - Sie können Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Urbaniak, ich
gleich noch ein paar Zwischenfragen stellen -, natür- bitte um Verständnis, daß ich keine weiteren Zwi-
lich regiert diese Regierung. schenfragen zulasse. Wir geraten sonst zu stark in
Verzug.
(Ernst Schwanhold [SPD]: Und wie
schlecht!)
Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Meine Damen und Her-
Sie wissen aber, daß wir eine Arbeitsteilung mit dem ren, Falsches wird nicht dadurch richtig, daß man es
Bundesrat haben. Do rt blockieren Sie. Aus diesem ständig wiederholt. Richtiges wird aber auch da-
Grunde sind viele der Gesetze, die etwas mit Deregu- durch nicht falsch, daß es durch häufiges Wiederho-
lierung zu tun haben, nur sehr schleppend auf dem len den Charme der neuen Idee verliert.
Vormarsch.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt!)
Ich wi ll noch etwas zum Risikokapital sagen. Das In einer Mittelstandsdebatte muß man das Thema
Risikokapital wird von den Banken gesammelt und Arbeitskosten ansprechen, da es für den beschäfti-
dann verteilt; sie stellen es letztendlich nicht zur Ver- gungsintensiven Mittelstand ein zentrales Thema ist.
fügung. In diesem Land aber gibt es wenige Leute,
die dieses Risikokapital zur Verfügung stellen, weil Es ist eine Binsenweisheit, daß die Lohnstückko-
die Bedingungen für Unternehmen insgesamt, nicht sten in Deutschland absolute Weltspitze sind. Dies
nur für kleine und mittlere Bet ri ebe, sondern auch liegt weniger an den Nettolöhnen als vielmehr an
für Großbetriebe, nicht so sind, wie sie eigentlich den zahlreichen mit dem Lohn verbundenen Steu-
sein müßten. Deshalb wird, insbesondere wegen der ern, Abgaben und sonstigen sogenannten Zusatzko-
Unternehmensteuer, weniger Risikokapital zur Ver- sten, von denen einige allerdings besser den Namen
fügung gestellt. „Lohnhauptkosten" tragen könnten.
Daß wir in diesem Bereich noch eine Menge ma- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
chen müssen - ich komme nachher noch darauf zu- Seit 1950 haben sich die Personalzusatzkosten von
rück -, gebe ich gerne zu. Ich würde mich aber 35 % auf heute über 80 % mehr als verdoppelt. Dabei
freuen, wenn ich Sie dabei an unserer Seite, nicht auf muß darauf hingewiesen werden, daß mehr als die
der anderen Seite der Bank sähe. Hälfte davon durch die Tarifvertragsparteien, also
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Arbeitgeber und Gewerkschaften, vereinbart wurde.
ten der CDU/CSU - E rn st Schwanhold Meine Damen und Herren, noch einige aufschluß-
[SPD]: Sie haben keinen Gesetzentwurf vor reiche Zahlen: Wurden 1950 bei 100 DM Nettolohn
gelegt, um Risikokapital zu bevo rt eilen!) 31 DM an Lohnsteuern und Sozialabgaben fällig, so
hat sich dies bis 1994 auf 91 DM fast verdreifacht.
Diese Zahlen zeigen, wie stark die Arbeitskosten, de-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Friedhoff, nen der arbeitsintensive Mittelstand naturgemäß be-
Herr Kollege Thiele möchte noch eine Zwischenfrage sonders schlecht ausweichen kann, durch den Staat
stellen. und die Tarifparteien in die Höhe get ri eben wurden.
Während Großbetriebe dieser Belastung durch den
Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Kollege, können Einsatz von Maschinen oder durch die Auslagerung
Sie diese ganze Angelegenheit nicht auch deshalb von beschäftigungsintensiver Produktion ins Aus-
beurteilen, weil Sie selbst in einer Garage als selb- land ausweichen, sind dem Mittelstand diese Mög-
ständiger Unternehmer gestartet sind lichkeiten in der Regel verwehrt. Er muß die Last
schultern. Hier hilft nur: Runter mit den Lohnneben-
(Lachen bei der SPD und der PDS - Anke
kosten! Runter mit den an den Lohn gekoppelten
Fuchs [Köln] [SPD]: Mit Fenster oder ohne?)
Steuern! Wer hier weitere Belastungen beschließt,
und insofern aus eigener Erfahrung beurteilen kön- muß wissen, daß er damit den Mittelstand an einer
nen, mit welchen Problemen man in unserem Lande empfindlichen Stelle trifft und weitere Arbeitsplätze
zu kämpfen hat, daß sie aber zu bewältigen sind und gefährdet bzw. erst gar nicht entstehen läßt.
reduziert werden müssen, damit mehr Menschen (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat
diese Wege bewältigen können? zwar die SPD vorhin auch gesagt, aber sie
meint es anders!)
Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Herr Thiele, das, was Sie Lassen Sie mich einen weiteren Punkt aufgreif en:
ansprechen, ist ein Problem. Es ist häufig so, daß die- Unternehmensbesteuerung. Seit Jahren liegen -die
sen Menschen von Leuten, die aus einer ganz ande- Vorschläge auf dem Tisch, die Gewerbekapital- und
ren Welt kommen, Ratschläge gegeben werden. die Gewerbeertragsteuer bei voller Kompensation
Diese maßen sich dann an, über eine ganz andere der Kommunen abzuschaffen sowie die Körper-
Welt abschließende Urteile zu bilden. Das aber ist in schaftsteuer zu senken.
dieser Welt so. Wir werden das nicht verändern kön-
nen. - Vielen Dank aber für die Frage, Herr Thiele. Auch bei der Unternehmensbesteuerung sind wir
Weltspitze. Dies hat einen wesentlichen Einfluß auf
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - den Mittelstand. Die Eigenkapitalquote mittelständi-
Abg. Hans-Eberhard Urbaniak [SPD] mel scher Unternehmen in Deutschland liegt unter dem
det sich zu einer Zwischenfrage) Niveau in den meisten anderen Industriestaaten. Der
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4547
Paul K. Friedhoff
Zugang größerer Mittelständler zum Kapitalmarkt ist gung, völlig anderer Arbeitsumstände und wesent-
durch ein überreguliertes, auf Großunternehmen zu- lich größeren Wettbewerbsvorsprungs unserer Volks-
geschnittenes Recht erschwert, wenn nicht gar ver- wirtschaft entstanden. Der Wunsch nach ihrer Veran-
baut. Einen Markt für Risikokapital gibt es im Ver- kerung war legitim; ihre Umsetzung erfolgte.
gleich vor allem zu den angelsächsischen Ländern in
Deutschland nicht. Es muß jedoch erlaubt sein, zu fragen, ob durch
das Bestehen auf einzelnen Regelungen nicht das
Wichtig ist, die Unternehmensteuerreform endlich Entstehen der bitter benötigten Arbeitsplätze verhin-
durchzuführen. Wir werden Ihre Beteuerungen, Herr dert wird. Diese Frage zu stellen ist nicht, wie Herr
Schwanhold, und die Liebe der Opposition zum Mit- Schwanhold hier eben sagte, der Abbau eines Sozial-
telstand auf die Probe stellen. Die Gewerbekapital- staates, ist nicht, wie immer gern unterstellt wird, un-
und -ertragsteuer müssen weg. Die Körperschaft- sozial. Unsozial ist vielmehr eine Politik, die durch
steuer gehört auf das international vergleichbare Ni- ihre sture Besitzstandswahrungsmentalität das Ent-
veau von 30 % bis 35 %. stehen von neuen Arbeitsplätzen verhindert.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
ten der CDU/CSU)
Der Zugang zum Kapitalmarkt muß für mittelständi-
sche Unternehmen weit geöffnet werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemein-
sam nach Lösungen suchen, wie wir den Mittelstand
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Mode rne Wirt durch bessere Rahmenbedingungen wirklich stärken
schaftspolitik!) können. Dies geschieht nicht durch theoretische Vor-
schläge oder durch eine Klientelpolitik, die von der
Meine Damen und Herren, eine Debatte über den Interessenwahrung einzelner Gruppen gekennzeich-
Mittelstand und Beschäftigung im Mittelstand kann net ist.
nicht das Thema Arbeits- und Sozialpolitik ausspa-
ren. Großunternehmen versuchen häufig, ihre Be- Wir Liberalen stehen für Lösungen, die die Frei-
schäftigungsprobleme durch die Überführung ihrer räume des einzelnen durch eine möglichst geringe
Mitarbeiter in die Frühpensionierung mit vorgeschal- Regelungsdichte erhalten und, wo nötig, wiederher-
teter Arbeitslosigkeit zu lösen. stellen wollen. Dadurch wird die eigenständige un-
ternehmerische Tätigkeit möglichst vieler Bürger erst
Damit werden die Systeme der sozialen Sicherung ermöglicht. Insofern ist liberale Wi rtschaftspolitik im-
belastet, deren Mittel hauptsächlich durch den Mit- mer zu einem großen Teil Politik für den Mittelstand.
telstand erwirtschaftet werden. Dagegen werden,
wie der Sachverständigenrat und die Monopolkom- Mit einem starken Mittelstand lassen sich die zen-
mission feststellen, mittelständische Unternehmen tralen Probleme am Wirtschaftsstando rt Deutschland
z. B. durch Kündigungsschutzgesetz und Sozialplan- leichter lösen, die internationale Wettbewerbsfähig-
regelungen belastet. keit stärken und ausreichend Arbeits- und Ausbil-
dungsplätze schaffen.
Meine Damen und Herren, wenn ein Mittelständ-
ler wegen fehlender Aufträge Mitarbeiter entlassen Ich danke Ihnen.
muß, ist häufig sogar der gesamte Bet rieb gefährdet.
Daß der Unternehmer in dieser Phase auch noch Ab- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
findungen zahlen und damit seinem gefährdeten Be-
trieb weitere Mittel entziehen muß, verstehen viele Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster
Mittelständler nicht. Sie empfinden dies als falsch, da spricht Wolfgang Bierstedt.
Arbeitsplätze gefährdet werden, und als zutiefst un-
gerecht, da so ihre arbeitsplatzschaffenden Investi-
tionen im nachhinein bestraft werden. Wolfgang Bierstedt (PDS): Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Die PDS hat im
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Zusammenhang mit der heutigen mittelstandspoliti-
schen Debatte einen eigenen Antrag zur weiterge-
Sie befinden sich damit in Übereinstimmung mit aus- henden Unterstützung von kleinen und mittleren Un-
ländischen Investoren, die auf Grund solcher und ternehmen eingebracht.
ähnlicher Regelungen den Standort Deutschland
meiden. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Zur Wei
terführung des Sozialismus?)
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten
fordern die Überprüfung a ller Gesetze, die mit dem -
- Falls Sie irgendwelche Irritationen haben: Ich bin
Arbeitsmarkt in Verbindung stehen, auf ihre Arbeits- selber Mitglied eines Unternehmerverbandes.
platzverträglichkeit.
Worum geht es in diesem Antrag? Nach der
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Deindustrialisierung in Ostdeutschland brauchen wir
ten der CDU/CSU) in den neuen Bundesländern eine Existenzgründer
welle vor allem im Bereich technologieorientierter
Einige der Regelungen, die wir im Betriebsverfas- Unternehmen.
sungsgesetz, im Kündigungsschutzgesetz und ande-
ren Bestimmungen aus dem Bereich des Arbeits- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das brauchen
rechts finden, sind in Zeiten sorgloser Vollbeschäfti wir überall!)
4548 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Wolfgang Bierstedt
Zur Erneuerung der Wi rt schaft in den neuen Bundes- fünf bis zehn Jahren und natürlich auch die Bereit-
ländern bedarf es einer stärkeren Mobilisierung von stellung von Risikokapital zum Aufbau von Techno-
Risikokapital, insbesondere für innovative Unterneh- logieunternehmen. Dabei sollte die Förderquote bei
men. mindestens 50 % liegen.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, das Die Lösung der Zukunftsaufgaben der Industriege-
Eigenkapitalhilfeprogramm des Bundes für kleine sellschaft in Deutschland ist unter den Bedingungen
und mittlere Unternehmen sowie Existenzgründer im der weltweiten Konjunktur- und Strukturkrisen ohne
Technologiebereich aufzustocken. Das ist deshalb so eine technologische Vorwärtsstrategie und eine Stei-
wichtig, weil in den neuen Bundesländern ca. 50 % gerung der Innovationsdynamik undenkbar. Eine
des noch verbliebenen Wissenschaftlerpotentials in wichtige Grundlage dafür bildet die sinnvolle Aus-
KMU mit einer durchschnittlichen Beschäftigungs- wertung prognostischer Studien zu Technologien
zahl von weniger als 100 Mitarbeitern arbeiten. des nächsten Jahrhunderts. Ungelöste strukturelle
Defizite und Wettbewerbsnachteile kleiner und mitt-
In den alten Bundesländern sieht es anders aus: lerer Unternehmen haben zudem zu einer dramati-
Dort sind ca. 80 % des Forschungs- und Entwick- schen Konkurswelle vor allem bei mittelständischen
lungspotentials in Bet ri eben mit über 1 000 Mitarbei- Unternehmen geführt. Diese erreichte 1994 den Re-
te rn konzentriert. Und das hat seinen guten Grund:
kordstand von über 20 000 Unternehmen. Mit einem
Heute berechnen seriöse Unternehmen ihre Kosten weiteren Anstieg ist auch im Jahre 1995 zu rechnen.
für die Markteinführung neuer Produkte mit 50 % Dem Ausscheiden kleiner und mittlerer Unterneh-
ihres Entwicklungsbudgets. Ich frage Sie: Welches men in bedenklicher Größenordnung steht keine in-
kleine und mittlere Unternehmen kann sich einen haltlich gleichwe rt ige Existenzgründungsbewegung
solchen Kostenaufwand für die Markteinführung ei- gegenüber.
nes wirklich innovativen Produktes leisten?
Nehmen wir das Beispiel Thüringen. Laut Wi rt
Uns geht es auch um die Verbesserung von Rah- -schaftminerSuwdmstenHalbjhr
menbedingungen zur Unterstützung einer neuen In- 1995 10 681 gewerbliche Betriebe neu gegründet.
novationspolitik. Das Vorhandensein einer Reihe Dem standen 8 099 vollständige Betriebsaufgaben
von Besonderheiten der Entwicklung des mittelstän- gegenüber. Der Wi rt schaftsminister begrüßte unver-
dischen Bereiches in den neuen Bundesländern - Ei- ständlicherweise diese Entwicklung.
genkapitalschwäche, Zusammenbruch der Industrie-
forschung, fehlende Großindustrie, keine bankenüb- Ich frage Sie: Wo bleibt da der Aufschwung Ost,
lichen Sicherheiten, Probleme des Marktzugangs wo bleiben die „blühenden Landschaften" unseres
und der Markterschließung sowie vieles andere mehr „Obergärtners", wenn von den kleinen und mittleren
- erfordert ein spezifisches Konzept für den Mittel- Unternehmen in den neuen Bundesländern insge-
stand, welches ähnliche außergewöhnliche Bedin- samt 30 000 Existenzgründer und in Thüringen 2 582
gungen schaffen muß, wie das bei der Förderung der übrig geblieben sind?
Montanindustrie, der Raumfahrt und anderer Berei-
che in den alten Bundesländern der Fall war. (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr habt 50 Jahre
Zeit gehabt!)
Meine Damen und Herren, mit dem Setzen neuer,
effektiverer, innovationsfördernder staatlicher Rah- In der Statistik der Bundesregierung werden diese
menbedingungen und erweiterter Fördermaßnah- Zahlen optimistisch als Zuwachs ausgewiesen, ob-
men ist über den Ausbau der Industrieforschung der wohl diese KMU das erste Halbjahr gerade so über-
innovative Mittelstand verstärkt zu fördern. Eine In- standen haben und das Jahresende unter Umständen
dustrie mit zuwenig Forschern, mit zuwenig Kapital nicht mehr erleben werden. Oder wollen Sie bei-
und ungenügender Markterfahrung braucht ein spielsweise allen Ernstes Versicherungs-, Handels-
durchgängiges Förderkonzept, also eine Förderung oder Reiseunternehmen - bei aller Wertschätzung für
diese Art Gewerbe - als gleichwe rt ige Unternehmen
von der Ideenfindung bis zur Markteinführung. Das
ist eine neue, jedoch, wie mir scheint, notwendige für weggebrochene Industrieunternehmen bezeich-
nen?
Förderphilosophie. Es geht insbesondere um den
Ausbau einer marktorientierten Innovationsförde- Der Wirtschaft in den neuen Bundesländern wer-
rung, die auch markteinführende Maßnahmen bein- den jährliche Wachstumsraten von 7 bis 9 % progno-
haltet, bis hin zum Musterbau. stiziert. Die neuen Bundesländer bleiben aber
„dank" der oben geschilderten Trends und ange-
(Siegfri ed Hornung [CDU/CSU]: Das muß
sichts des äußerst bescheidenen Ausgangsniveaus
doch alles Gift für Sie sein, was Sie da er
nur Entwicklungsländer im sprichwörtlichen Sinne.
zählen!) -
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft
Dieses durchgängige Förderkonzept sollte nach forde rt in seinem Positionspapier „Mittelstand 2000":
den Vorstellungen der PDS folgende Programmteile
enthalten: die Förderung von Forschungs- und Ent- Nur durch eine konsequente Förderung zu-
wicklungsaufgaben und Projekten, die fertigungs- kunftsträchtiger Technologien und eine entspre-
technische und bet ri ebswi rt schaftliche Umsetzung chende Produktentwicklung kann Deutschland
von Innovationen, die Markterschließung von Inno- seinen Platz unter den führenden Industrienatio-
vationen, die Förderung a ller Stufen des Innovations- nen behaupten. Dies ist nur durch eine gemeinsa-
zyklus von der Produktentwicklung bis hin zur me Innovationsoffensive von Politik, Forschung
Markteinführung für mittelfristige Zeiträume von und Wi rt schaft und eine effektive Nutzung aller
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4549
Wolfgang Bierstedt
vorhandenen Ressourcen zu erreichen. Dabei gierung zur technologischen Erneuerung der deut-
sind Wettbewerbsnachteile der kleinen und mitt- schen Wi rt schaft, insbesondere der Förderung von
leren Unternehmen gegenüber den Großbetrie- KMU, der Verstärkung des Technologietransfers und
ben und Konzernen abzubauen und zukünftig zu der Förderung von FuE in den neuen Bundesländern
verhindern. im Rahmen der bereitstehenden Haushaltsmittel
nicht möglich ist, dann ist das für mich ganz einfach
Die Bundesregierung, wissend um die Nachteile eine Bankrotterklärung.
der kleinen und mittleren Unternehmen, erklärt:
Solange für Existenzgründungen kein ausrei- Meine Damen und Herren, laut einer Pressemittei-
chendes Kapitalangebot am Markt besteht, ist die lung unseres Zukunftsministers sollen die Ausgaben
Bundesregierung weiterhin bestrebt, dies durch für die allgemeine mittelstandsbezogene Innovati-
geeignete Förderprogramme auszugleichen. onsförderung im Haushalt 1996 um 22 % auf
276 Millionen DM steigen. Die Gesamtförderung
So weit, so gut. Speziell für technologieorientierte kleiner und mittelgroßer Unternehmen soll dabei mit
mittelständische Unternehmen hat die Bundesregie- etwa 600 Millionen DM ein strategischer Schwer-
rung bis 1994 200 Millionen DM Beteiligungskapital punkt bleiben.
für junge Technologieunternehmen zur Verfügung
gestellt. In dem bis zum Jahre 2000 laufenden Nach- Eine Innovationsfördersumme von 276 Millionen
folgeprogramm „Beteiligungskapital für kleine Tech- DM hört sich für den Laien wie eine gewaltige
nologieunternehmen" sollen jedoch nur noch ca. Summe an. Bedenkt man aber, daß in Deutschland
100 Millionen DM Beteiligungskapital bereitgestellt von den rund 3 Millionen bestehenden Unternehmen
werden - eine bescheidene und den tatsächlichen 99,8 % kleine und mittlere Unternehmen sind, dann
Bedürfnissen nicht gerechtwerdende Summe. bleiben für jedes Unternehmen statistisch gesehen
90 DM an Fördermitteln für neue Technologien übrig
(Siegf ri ed Ho rn ung [CDU/CSU]: Können - wahrlich eine gewaltige Summe.
Sie das denn überhaupt beurteilen? -
Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Besser als Man kann natürlich Ablehnungsbescheide schik-
Sie!) ken, wenn ein kleines Unternehmen einen Antrag
gestellt hat. Die Ablehnungsbescheide kosten auch
Diese Einschätzung teilte nicht überraschend auch noch 250 DM. Damit kann man seine Mittel aufstok-
die F.D.P. in der gestrigen Ausschußsitzung. Auf der ken. Falls Sie es nicht glauben: Ich habe hier ein klei-
einen Seite machen Sie große Sprüche zur Unterstüt- nes Beispiel.
zung, und auf der anderen Seite steht die Realität:
200 Millionen DM Förderhilfe pro Jahr für die tech- Die PDS forde rt , daß die Vergabe von Fördermit-
nologieorientierten Unternehmen in Deutschland. teln - egal ob aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe
Kein Wunder, daß die täglichen Meldungen über In- oder für technologieorientierte Unternehmen oder
solvenzen der mittelständischen Bet ri ebe in Deutsch- aus anderen Fördertöpfen - an die Schaffung von
land zunehmen. neuen Arbeitsplätzen bzw. an den Erhalt bestehen-
der Arbeitsplätze und gemäß unserer prinzipiellen
Bundeswirtschaftsminister Rexrodt erklärte ver-
Ansichten an Arbeitsplätze im ausschließlich nicht-
gangene Woche in einem Inte rv iew, er erwarte eine
militärischen Bereich zu binden ist.
zweite Bereinigungsphase im ostdeutschen Mittel-
stand. Er sagte: „Ich weiß, daß das ha rt klingt, aber Sonst erreichen wir einen kontraproduktiven Ef-
da müssen wir durch. " Ich meine, er persönlich muß fekt, nämlich die Wegrationalisierung von Arbeits-
ja nicht bis zum Arbeitsamt durch. Mir fällt im übri- plätzen statt deren Erhaltung und wahrlich keine Si-
gen auf, Herr Minister: Immer, wenn es Schwierig- cherung unseres Standortes.
keiten gibt, sprechen Sie von „wir" und meinen die
anderen; wenn es aber einmal auch noch so beschei- Danke schön.
dene Erfolge gibt, meinen Sie immer sich. Das wollte
ich zumindest einmal eingewandt haben. (Beifall bei der PDS)

(Beifall bei der PDS)


Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wo rt hat jetzt
Als Ursachen für den Niedergang des ostdeut- der Bundesminister für Wi rt schaft, Dr. Günter
schen Mittelstandes erkannte er: schlechte Eigenka- Rexrodt.
pitalausstattung, Selbstüberschätzung der Selbstän-
digen und Fehleinschätzungen des Marktes durch
die Unternehmer. Vielleicht sollten Sie u. a. einmal in Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft:
Richtung BVS schauen, wenn Sie schon Ursachen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und -
benennen. Herren! Unsere Marktwirtschaft lebt von Persönlich-
keiten, die Chancen erkennen, Risiken übernehmen
Wenn das Bundeswirtschaftsministerium in seinem und Freiräume nutzen. Dies sind ganz überwiegend
Bericht an den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, mittelständische Unternehmen und freie Berufe. Weil
Forschung und Technologie behauptet, die Mittel- sie Schwung und Dynamik in die Wi rt schaft bringen,
kürzung gegenüber dem Haushalt 1995 schränke stehen die Bundesregierung und die Koalition für
den Handlungsspielraum des Ministe ri ums in wichti- mehr Selbständigkeit und eine vitale Unternehmens-
gen forschungs-, technologie- und innovationspoliti- kultur in Deutschland.
schen Feldern ein, so daß eine stärkere Beteiligung
an innovationspolitischen Aktivitäten der Bundesre (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
4550 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Wir sind nicht der Auffassung, daß der Staat der vielen Aspekten; hier gibt es Pionierunternehmer
bessere Unternehmer ist. Wir setzen auf den Such- mit neuen Ideen für neue Produkte und neue
prozeß des Marktes. Wir haben nicht das fertige Ge- Märkte. Sie haben Schwierigkeiten mit der Be-
sellschaftsmodell, das wir anderen überstülpen. Wir schaffung von Risikokapital; ich komme darauf
haben nicht klare und exakte Vorstellungen antizi- noch zu sprechen.
piert, was die sektorale Aufteilung unserer Wi rtschaft
angeht. Wir haben auch nicht den fertigen Gesell-
schaftsentwurf für die Informationsgesellschaft. Viel- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, ge-
mehr setzen wir immer wieder auf diesen Suchpro- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
zeß des Marktes. Bierstedt?
Die kleinen Unternehmen leisten in diesem Punkt
viel. Aber ich füge hinzu: Ihnen wird auch viel zuge- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirt schaft:
mutet. Sie sind es, die den Gesetzen des Marktes un- Ja, bitte. - Wo ist er denn?
mittelbar, ungefiltert, hautnah und knallhart ausge-
liefert sind. Sie können sich nicht hinter den breiten
Sesseln verstecken, die auf den Vorstandsetagen ste- Wolfgang Bierstedt (PDS): Herr Minister, Sie ha-
hen. Deshalb, weil hier eine vitale Unternehmer- ben eben schon einmal zu mir hinübergeschaut. - Ich
schaft am Werke ist, stehen wir in unserer Standort- habe folgende Frage: Ist Ihnen entgangen, daß ich
politik zu einer umfassenden und breit angelegten die Leistung, die in der Schaffung von 3,5 Millionen
Mittelstandspolitik. Arbeitsplätzen besteht, nicht negiert habe? Ich
möchte Sie ganz einfach darum bitten, auch die Ge-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne genrechnung aufzumachen und zu fragen, wieviel
ten der CDU/CSU) Arbeitsplätze denn weggebrochen sind.
Die Dynamik der Selbständigen ist imponierend.
Das muß bei einer Mittelstandsdebatte, wie wir sie (Siegf ri ed Hornung [CDU/CSU]: Wo denn?)
Gott sei Dank heute nach langer Zeit wieder einmal
Zweitens möchte ich Sie fragen: Wären Sie unter
führen, gesagt werden.
Umständen bereit, mit mir in die Region Sachsen-An-
(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ja, wie kommt halt zu gehen, zu solchen Unternehmen wie SKET
denn das?) Magdeburg, MAW Magdeburg, Indust ri e- und Rohr-
leitungsbau, Waggonbau Dessau, Maschinenfabrik
- Sie haben ja immer die Freiheit gehabt, eine solche Buckau und zu vielen, vielen anderen Bet rieben, und
Debatte zu beantragen. Das haben Sie aber nicht ge- do rt zu wiederholen, daß Sie 3,5 Millionen Arbeits-
tan.
.

plätze geschaffen haben und daß die Leute doch


(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ach Gott, ach endlich glücklich sein sollen?
Gott!)
Es gibt immer mehr Selbständige in unserem Land. Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
Im vergangenen Jahr waren es 120 000 neue Unter- Wissen Sie, Herr Kollege: Die vielen Arbeitsplätze,
nehmen. Herr Schwanhold, wir haben nicht die in den neuen Bundesländern weggebrochen
2,5 Millionen Unternehmen und Selbständige, son- sind, sind doch nicht deshalb weggebrochen, weil es
dern 3 Millionen, davon 2,5 Millionen in den alten eine Soziale Marktwirtschaft gibt. Sie sind vielmehr
und 500 000 in den neuen Ländern. weggebrochen, weil in 40 Jahren diese Unterneh-
Selbständige schaffen viele Arbeitsplätze. Zwi- men alles andere als wettbewerbsfähig gemacht wur-
schen 1987 und 1992 sind in der mittelständischen den. Es handelte sich um Unternehmen, die auf den
Wirtschaft 2,3 Millionen neue Arbeitsplätze entstan- Weltmarkt nicht vorbereitet waren,
den. Auch in den neuen Ländern wächst diese Zahl, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
trotz der Horrorgemälde, die gezeichnet werden. Wir
haben, obwohl wir quasi bei Null begonnen haben, die einen verrotteten Kapitalstock hatten, die nicht
heute 500 000 neue selbständige Existenzen in den die Fähigkeit hatten, ihre Produkte zu vermarkten
neuen Ländern. Wenn das kein Erfolg ist, frage ich: und zu entwickeln. Wir haben aufräumen müssen. Es
Was ist denn dann ein Erfolg? ist ein Wunder, was da passiert ist, nämlich daß wir
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) heute schon so weit sind. Wir haben erst die Hälfte
des Weges zurückgelegt, aber der Weg führt in die
In diesen mittelständischen Unternehmen erhalten richtige Richtung.
1,5 Millionen Jugendliche eine qualifizierte Ausbil- -
dung und damit eine Perspektive fürs Leben. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
ten der CDU/CSU)
Auch das Folgende muß in einer Mittelstandsde-
batte gesagt werden: Hinter diesen Zahlen stehen Ich möchte nicht unbedingt gerne mit Ihnen nach
verantwortungsvoll handelnde Menschen. Hier ist Sachsen-Anhalt gehen; vielmehr gehe ich lieber
nichts anonymisiert; hier gibt es Menschen, enga- selbst hin und spreche mit Unternehmern, mit Selb-
gierte Unternehmer, die mit vollem eigenen Risiko ständigen und mit Vertretern der Unternehmen, die
in Verantwortung für ihre Mitarbeiter handeln. Hier heute die Weichen richtig gestellt haben und die
gibt es traditionsreiche Familienunternehmen, die weltweit tätig werden auf Grund des Fleißes und
sich um die Nachfolge in ihrer Firma sorgen, unter des Ideenreichtums dieser Menschen, deren Inno-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4551
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
vationsfähigkeit über 40 Jahre lang unterdrückt wor- durch den Steuerzahler finanzieren lassen. Sie entla-
den ist. sten damit zugegebenermaßen die Unternehmen
und auch die Mitarbeiter. Aber ob das die Lösung ist,
(Siegfried Hornung [CDU/CSU], zur PDS lasse ich dahingestellt. Wir können darüber reden.
gewandt: Die Sie vorher hinter Mauer und
Stacheldraht versteckt haben!) Mir kommt es darauf an, daß wir in den anderen
Bereichen nichts zu Tabuzonen erklären. Sie erklä-
Meine Damen und Herren, wenn ich bitte fortfah- ren alles zu Tabuzonen, wo wir im sozialpolitischen
ren dürfte. Unsere Politik für mehr Selbständigkeit Bereich anstoßen und nachdenken wollen. Wir wol-
und für eine vitale Unternehmenskultur setzt an fünf len nicht den Sozialstaat abbauen, aber wir wollen
Punkten an. ihn auch für mittlere und kleine Unternehmen finan-
zierbar machen. Daran werden Sie gemessen.
Erstens. Wir brauchen Freiräume und Flexibilität,
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
damit die kleinen und mittleren Unternehmen ihre
Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nichts als blasse
Verantwortung für Wachstum, Innovation und Be-
Worte!)
schäftigung wahrnehmen können. Das sogenannte
Wirtschaftswunder in Deutschland war ja kein Wun- Das war der erste Punkt. Der zweite Punkt: Wir
der, sondern das Ergebnis einer Politik, die damals müssen eine Wettbewerbskultur beleben und die
auf wirtschaftliche Freiheiten, auf die Entfaltungs- Märkte für mittelständische Unternehmen offenhal-
möglichkeiten der Unternehmen und den Fleiß der ten. Hier möchte ich etwas zur Telekommunikation
Mitarbeiter in den Unternehmen gesetzt hat. sagen. Da sage ich auch wieder ein Wo rt in Richtung
Opposition: Es reicht nicht, daß wir das Monopol
(Ernst Schwanhold [SPD]: Daran muß erin durch Oligopole ersetzen, mit denen Sie liebäugeln.
nert werden! Daran denke ich!) Sie wollen, daß die großen Unternehmen Universal-
verpflichtungen zur Bedienung der Fläche und dar-
Diese Freiräume brauchen wir auch heute, Herr über hinaus haben.
Schwanhold. Sie stellen sich hier hin, sprechen von
Bürokratie und zeigen auf uns. Ich sage Ihnen fol- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer hat
gendes: Ich habe in einem Bundesland in zwei gro- denn die Fusion von Daimler genehmigt?)
ßen Behörden sieben Jahre lang Verantwortung ge- - Das hat nichts oder nur sehr wenig mit Telekommu-
habt. Ich habe diese Verantwortung in einem Bun- nikation zu tun. Lenken Sie doch nicht ab davon, daß
desland gehabt, in dem es eine Reihe von Bezirksäm- Sie die Großbetriebsformen auch in einer Informati-
tern gab. Diese Bezirksämter waren - nicht überall, onsgesellschaft konservieren wollen.
aber in der Regel - mit Ihren Parteifreunden und zu-
nehmend auch Leuten aus dem Bereich der Grünen
besetzt. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Urbaniak?
Herr Schwanhold, ich bin bereit, für folgendes den Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rtschaft:
Wahrheitsbeweis anzutreten: Die mittelständischen Diese gestatte ich noch.
Unternehmen sind in Scharen zum Senator für Wi rt
-schaftundzmSeorüFiangkme,
weil sie sich in den Bezirksämtern, in denen Sie Ver- Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Minister Rex-
antwortung hatten, nicht gut aufgehoben fühlten, rodt, Sie haben selber zugegeben, daß der Finanzie-
weil sie im Gegenteil kujoniert worden sind rungsvorschlag der SPD zur Senkung der Lohnne-
benkosten und damit zur Schaffung einer besseren
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Kondition der Unternehmungen ein sehr interessan-
ter Vorschlag ist. Wenn man diesem folgen würde,
und weil do rt wirtschaftlicher Geist und Unterneh- dann hätte man neue Möglichkeiten, Arbeitsplätze
menskultur Fremdwörter waren. Das ist ein Faktum. zu schaffen. Aber das Hauptproblem, das wir doch
haben, ist die Arbeitslosigkeit. Wenn ich mir die
(Widerspruch bei der SPD) heute veröffentlichten IWF-Zahlen ansehe, muß ich
feststellen, daß da überhaupt keine Entlastung zu er-
Wenn Sie in Sachen Bürokratie mit dem Finger auf warten ist, sondern daß die Arbeitslosigkeit auf ho-
uns zeigen, dann zeigen immer drei Finger auf Sie hem Niveau bestehen bleibt, und das bis zum Jahre
zurück, Herr Schwanhold. Das will ich Ihnen sagen. 2000. Sie müssen doch eine Strategie haben - auch
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - mit der Mittelstandspolitik -, dieses Krebsgeschwür-
Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wer ist endlich auszubrennen.
denn verantwortlich als Exekutive?) (Beifall bei der SPD)
Auch bei den Lohnnebenkosten müssen wir auf
die Bremse treten. Herr Schwanhold, ich habe heute Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ihre Frage, Herr
gehört, daß Sie dabei sind, wenn es darum geht, die Urbaniak!
Lohnnebenkosten zu senken. Ich weiß auch, was Sie
vorschlagen: Sie wollen bei der Arbeitslosenversiche- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
rung die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit Was ist denn Ihre Frage, Herr Kollege?
4552 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Ich kann nichts die ERP-Finanzierung. Wir werden neue Fonds aufle-
dafür. Eben konnten Sie nicht bis drei zählen, und gen und neue Möglichkeiten im Osten Deutschlands
jetzt haben Sie das nicht verstanden. schaffen. Ich werde dazu in wenigen Tagen öffent-
lich Vorschläge unterbreiten.
(Siegf ri ed Ho rn ung [CDU/CSU]: Er hat
keine Frage gestellt!) Wir haben im Zuge der Globalisierung der Märkte
eine stärkere Mobilität von Kapital und Know-how.
Wie Sie das ausbrennen wollen, ist meine Frage.
Dies setzt die Unternehmen unter einen bestimmten
Anpassungsdruck. Wir können in diesem Struktur-
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft: wandel für unsere Unternehmen nur etwas tun,
Ihre Frage in allen Ehren. Wir haben in vielen Debat- wenn wir auf der ganzen Breite den Mittelstand über
ten über die Standortpolitik deutlich gemacht, was Fördermaßnahmen unterstützen.
wir wollen: Wir wollen, daß sich in diesem Land wett-
bewerbsfähige Unternehmen entfalten können, mitt- Das ist bei knappen Haushalten kein leichtes Un-
lere und kleine ganz vorneweg. Dazu müssen wir die terfangen, aber das, was wir über die indust ri elle Ge-
Rahmenbedingungen verändern und punktuell auch meinschaftsforschung, über das RKW, über die vielen
die eine oder andere Fördermaßnahme ergreifen. Programme, die beim Kollegen Rüttgers laufen, tun,
Unsere Politik zielt darauf - ich kann Ihnen das in ei- kann sich sehen lassen.
ner Antwort natürlich nur in wenigen Stichworten sa-
Es wäre schön, wenn wir für den Osten Deutsch-
gen; ich bitte um Nachsicht -, eine neue Dynamik bei
lands noch mehr Mittel zur Verfügung hätten. Hier
Forschung und Entwicklung zu entfalten. Wir wollen
kommt es darauf an, daß bestimmte Strukturen nicht
die Sozialsysteme umbauen. Wir wollen Steuern und
wegbrechen und neue nachwachsen. Das, was ge-
Abgaben senken. Wir setzen auf mehr Flexibilität bei
schehen ist, kann sich sehen lassen. Es ist nicht so,
der Arbeit und am Arbeitsmarkt. Wir setzen darauf,
daß es in Ostdeutschland einen Kahlschlag bei For-
daß dereguliert und entbürokratisiert wird. Wir set-
schung und Entwicklung gegeben hat. Wir standen
zen darauf, daß in den Kommunen und Ländern
vor der schwierigen Aufgabe, eine völlig anders
mehr privatisiert wird, gerade do rt , wo Sie Verant-
strukturierte Forschungslandschaft mit null Aktivitä-
wortung tragen. Wir setzen darauf, daß auch kleine
ten im Mittelstand so zu strukturieren, daß in Ost-
und mittlere Unternehmen auf den Weltmärkten, auf
den boomenden Märkten vertreten sind. deutschland auch auf diesem Sektor eine Wettbe-
werbsfähigkeit mit dem entsteht, was auf dem Welt-
(Dr. Sig ri d Skarpelis-Sperk [SPD]: Indem markt üblich ist.
Sie die Haushaltsmittel kürzen!)
(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Hans-
Das ist ein in sich stimmiges Konzept, zu dem Sie Ulri ch Köhler [Hainspitz] [CDU/CSU])
noch nie eine Alternative entwickelt haben, meine
Damen und Herren. Meine Damen und Herren, viele Beschäftigungs-
felder sind blockiert. Wir haben in Deutschland be-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne klagenswerterweise eine hohe Anzahl Arbeitsloser.
ten der CDU/CSU - Lachen bei der SPD) Aber wenn wir neue Beschäftigungsfelder erschlie-
ßen, wird immer noch blockiert. Es gibt genügend
Potentiale in Deutschland, z. B. im Bereich der priva-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie eine ten Haushalte, im Bereich von Pflege und Gesund-
Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold? heit, bei Handel und Dienstleistungen, in der Um-
welt- und Energietechnik und vor allem in Zukunfts-
Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wi rt schaft: bereichen wie der Informationstechnik.
Nein, ich möchte jetzt gerne fortfahren. Bei 10 Mi-
Diese Felder wollen wir auch über steuerliche
nuten Redezeit bitte ich um Verständnis. Sie hatten
22 Minuten, Herr Schwanhold. Maßnahmen offenhalten und erschließen. Sie sind
es, die das durch unsinnige Vorstellungen, auch im
(Ernst Schwanhold [SPD]: Das wird doch Steuerrecht, blockieren, meine Damen und Herren
nicht angerechnet!) von der SPD.

Ich wollte meinen Gedankengang hier vortragen: (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der
Wir brauchen eine Wettbewerbskultur, die kleinen CDU/CSU)
und mittleren Unternehmen den Zugang zum Markt
öffnet. Dazu gehört auch der Telekommunikations- Wir fahren eine kontrollierte Offensive für mehr
sektor. Dazu gehört der Ladenschluß, der nicht im Selbständigkeit und eine Unternehmenskultur. Mit -
Mittelpunkt der Wi rt schaftspolitik steht. Er ist eine dem Jahressteuergesetz haben wir bereits die Gene-
Unterabteilung des Bereichs Deregulierung, nicht rationenbrücke für die Unternehmensnachfolge ge-
mehr und nicht weniger. Darüber wird noch viel zu baut. Für uns kommt es darauf an, daß wir bei der
sagen sein. Ich erwarte von do rt auch Impulse. Unternehmensteuerreform vorankommen, bei der
Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, der mittel-
Drittens. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der die standsfreundlichen Senkung der Gewerbeertrag-
Selbständigen mehr Zugang zum Kapitalmarkt ha- steuer und deren endgültiger Abschaffung. Wir wol-
ben. Hier haben wir wichtige Instrumente eingeführt len am Ende so schnell wie möglich nach Abschaf-
und werden sie fortführen: das EKH-Programm und fung des Solidarzuschlags auch eine Steuersenkung
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4553
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
über den gesamten Ta rif. Das ist nicht von heute auf und Geschäftsführungen mittlerweile gemeinsam für
morgen zu machen, aber dieses Ziel, gerade im Inter- den Erhalt der Arbeitsplätze kämpfen, und das oft-
esse des Mittelstands, dürfen wir in der Steuerpolitik mals auch gegen die BVS. Ich nenne nur das Beispiel
nie aus den Augen verlieren. SKET, ich nenne die Maschinenfabrik Buckau. Do rt
rt gibt es mittler- gehtsumMarkbing,do
(Beifall bei der F.D.P.) weile modernisierte Betriebe, engagierte Belegschaf-
Meine Damen und Herren, es reicht nicht, dem ten - auch wenn sie einen schweren Stand haben -
Mittelstand in Sonntagsreden Elogen zu machen, wie und engagierte Geschäftsführungen.
das eigentlich von allen Seiten gemacht wird. Es
reicht auch nicht, uns gegenseitig in der Auflage von Sie sagen, Sie stellten fest, daß die Industrie im
Förderprogrammen für den Mittelstand zu übertref- Osten kaputtgeht, weil die DDR es geschafft hat, die
fen. Der Mittelstand braucht Förderung, gezielt und Betriebe in 40 Jahren marode zu machen. Das stimmt
so angelegt, daß daraus wirklich Selbständigkeit ent- einfach nicht. Schauen Sie sich das do rt an! Wenn Sie
steht oder diese erhalten wird. schon nicht mit mir gemeinsam do rt hingehen, gebe
ich Ihnen doch den guten Rat: Wenden Sie sich an
Wir brauchen eine Unternehmenskultur, die das mich, ich verschaffe Ihnen do rt Wege hinein.
Lebenswerk der Mittelständler anerkennt, die ihre
Leistung würdigt, die ein Umfeld schafft, das dazu Danke schön.
beiträgt, daß sich die Bürokratie als Dienstleister für
(Beifall bei der PDS)
Selbständige und für kleine und mittlere Unterneh-
mer versteht. Die Verantwortlichen dürfen sich nicht
hinsetzen und hoheitlich darüber befinden, was Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister,
kleine und mittlere Unternehmen zu tun oder zu las- Sie haben die Möglichkeit zu antworten. - Bitte.
sen haben, sondern müssen in den Behördenstuben
darüber nachdenken, wie sie kleinen und mittleren
Unternehmen helfen können, damit diese ihre Frei- Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft:
räume ausschöpfen und einen wesentlichen und Herr Kollege, ich nehme Ihr Angebot dankend an,
wichtigen Beitrag dazu leisten können, daß in darf Ihnen aber versichern, daß ich gerade in Ihrem
Deutschland mehr Beschäftigung entsteht. Heimatland Sachsen-Anhalt gute und enge Kontakte
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) habe. Ich gebe Ihnen zu, daß sich do rt viele gemein-
sam bemühen, die Freiräume, die wir nun für sie ge-
Diese Atmosphäre brauchen wir, das ist Unterneh- schaffen haben, auszunutzen.
menskultur.
Aber glauben Sie mir eines: Niemand do rt über-
Staatssekretär Kolb als Mittelstandsbeauftragter sieht, welches die Ursachen der schwierigen wirt-
der Bundesregierung und der Bundesminister für schaftlichen Situation sind. Alle wissen, daß sie heute
Wirtschaft werden weiterhin ihr Hauptanliegen darin durch ihre eigenen Anstrengungen die Möglichkeit
sehen, den Mittelstand in Deutschland zu fördern. haben, mit Schwierigkeiten fertigzuwerden. Einige
Die Bundesregierung und die Koalition fühlen sich schaffen es, andere müssen ausscheiden. Das ist bit-
darauf verpflichtet. ter, aber das ist nun einmal verbunden mit einer
marktwirtschaftlichen Erneuerung, wie sie in einer
Schönen Dank.
außerordentlich erfolgreichen und beeindruckenden
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Weise auch in Sachsen-Anhalt stattgefunden hat.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer
Kurzintervention hat der Abgeordnete Wolfgang
Bierstedt. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem
Abgeordneten Ch ristian Müller das Wo rt .
Wolfgang Bierstedt (PDS): Herr Minister Rexrodt,
haben Sie keine Sorge, daß ich mich darüber be- Christian Müller (Zittau) (SPD): Herr Präsident!
klage, daß Sie nicht mit mir in die Firmen gehen wol- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über die
len! Ich kann Ihnen aber ein bißchen behilflich sein Situation des ostdeutschen Mittelstandes zu reden
und Ihnen ein paar Termine verschaffen, sowohl bei bedeutet zweifellos, Licht und Schatten gegenüber-
den Geschäftsführungen als auch - da Sie sich da an- zustellen. Ich meine schon, daß der hier bereits öfters
scheinend nicht sehen lassen - bei den Gewerkschaf- debattierte Mangel an Ausbildungsplätzen in Ost-
ten und den Bet riebsräten. deutschland ein Indikator für den Zustand der Wi rt
(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard -schaftnsicht.
Hirsch)
Kein Zweifel: Auch in den östlichen Bundeslän-
Es ist ganz einfach nicht wahr, was Sie sagen: daß dern sind die kleinen und mittleren Unternehmen zu
auch jetzt noch Bet riebe in den neuen Bundeslän- einem tragenden Bestandteil dieses in sich schwa-
dern kaputtgehen, weil sie marode gewesen sind, chen Teils unserer Volkswirtschaft geworden, der
daß sie in die Knie gehen, weil 40 Jahre Mißwirt- sich, ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau,
schaft geherrscht hat. Sie müssen die Tatsache zur mit beachtlichen Zuwachsraten zu entwickeln be-
Kenntnis nehmen, daß Betriebsräte, Gewerkschaften ginnt.
4554 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Christian Müller (Zittau)
Es wäre allerdings deutlich verheißungsvoller, Um diese bedeutenden Defizite der ostdeutschen
wenn man die Chance dieser mittelständischen Wi rt Industrie, der Wi rt schaft an sich, wenigstens ansatz-
-schaftinemUldskurnöte,a weise auszugleichen, müssen einerseits dringend die
durch einen ausgeprägten industriellen Sektor mit endogenen Potentiale in den Regionen deutlich ver-
bodenständigen Firmensitzen gekennzeichnet wäre, stärkt werden, was in erster Linie bedeutet, die
worin ohne Zweifel ein Hauptproblem der ostdeut- Schwachstellen der vorhandenen Unternehmen, wie
schen Wirtschaft besteht, deren Transformation ins- zu geringes Eigenkapital, Marktzugang, Mangel an
gesamt wohl als abgeschlossen betrachtet werden FuE-Kapazitäten und Innovationsschwäche, abzu-
kann. Dann allerdings müßte man auch noch einmal bauen. Andererseits ist es aber notwendig, verstärkt
über die strukturellen Wirkungen der Treuhandpri- Großinvestoren für die Ansiedelung in Ostdeutsch-
vatisierungspolitik reden. land zu gewinnen, die einen ostdeutschen Standort
als Basis für eine forschungsintensive und fernab-
(Beifall bei der SPD) satzorientierte Produktion wählen. Die Einwerbung
solcher Unternehmen ist notwendig, damit sich in
So ist zunächst nur festzustellen, daß in Ost- Ostdeutschland Strukturen und Netzwerke heraus-
deutschland praktisch nur kleine und mittlere Unter- bilden können, die später auch ohne Förderung
nehmen existieren. Zahl und Bedeutung dieser Un- Wachstum, Beschäftigung und hohes Einkommen si-
ternehmen stehen außer Zweifel. Daß mindestens ei- chern.
nige 30 % dieser Unternehmen in einer sehr schwie-
rigen Situation sind, ist bekannt. Dabei hat in der ost- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
deutschen Indust rie der Mittelstand erheblich an Be- ten der PDS)
deutung gewonnen. Zu ihm zählt der größte Teil der
Unternehmen, knapp 80 %. Er stellt etwa 40 % der in- Beide Aspekte werden von der Bundesregierung
dustriellen Arbeitsplätze. Den übrigen, an der Be- im Jahressteuergesetz 1996 und im Haushaltsplan
schäftigung gemessen, größeren Teil der ostdeut- nicht richtig bewe rt et. Die Kürzung der Regionalför-
schen Industrie machen im wesentlichen die Zweig- derung für Ostdeutschland um 500 Millionen DM
betriebe westdeutscher und ausländischer Unterneh- und der Markterschließungshilfen um 20 Millionen
men aus. DM weisen deutlich in eine falsche Richtung. Dies ist
vom Grundsatz her falsch.
Das bedeutet dann insgesamt, daß in Ostdeutsch-
(Beifall bei der SPD)
land zwar knapp ein Fünftel der deutschen Bevölke-
rung wohnt, der Beitrag zur nationalen Industriepro- Der mit dem Jahressteuergesetz auf den Weg ge-
duktion aber nur 5 % beträgt. Einem Beschäftigungs- brachte mittelfristige Abbau der Förderung für Ost-
aufbau in den Dienstleistungsbereichen steht noch deutschland war insgesamt eine Fehlentscheidung.
immer ein Abbau in den meisten industriellen Berei-
chen gegenüber. Meine Damen und Herren von der Koalition: An-
dern Sie noch einmal diese falschen Ansätze. Sie ha-
(Ernst Schwanhold [SPD]: Dann stellt Herr ben dazu die Möglichkeit. Unsere Unterstützung
Rexrodt sich hier hin und feiert sich ab!) werden Sie haben.

Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den wich- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
tigsten Problemen der mittelständischen ostdeut- ten der PDS)
schen Wirtscha ft machen. Das DIW weist zu Recht
darauf hin, daß in Ostdeutschland ein Defizit an gro- Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes,
ßen Unternehmenszentralen besteht. Weil es vorran- daß Förderung nicht den Anpassungsdruck von den
giges Motiv westlicher Unternehmen war, den ost- Unternehmen entfernen darf, gibt es angesichts der
deutschen Markt zu bedienen und ihn damit auch zu vorhandenen Situation keine Alternative zu einer
erobern, wurden in der Regel keine zentralen Aufga- langfristigen überschaubaren Förderung des ostdeut-
benbereiche dorthin verlagert. Der Handel ist dafür schen Standortes.
nur ein typisches Beispiel. Der Mangel an einheimi-
Meine Damen und Herren, es ist auch bei einer be-
schen strukturbestimmenden Unternehmen, also an fristeten und degressiv gestalteten Förderung sinn-
industriellen Kernen, und die dazugehörige geringe voller, dafür heute einen Zeitraum von zehn Jahren
Zahl neu angesiedelter Großunternehmen verhin- anzulegen, statt kurzfristig angelegte Programme im-
dern bis heute noch eine Neuformierug der Zu- mer wieder zu verlängern. Dies heißt dann, die För-
liefererindustrie. Die früheren Netzwerke müssen
derung Ostdeutschlands muß im Mittelansatz der
mühsam durch neue ersetzt werden. Kontakte, Infor- letzten Jahre für einen solchen Zeitraum verstetigt
mationsaustausch, Lieferprofil und Kooperations- werden, damit ein sich selbst tragendes Gefüge ent-
möglichkeiten müssen neu hergestellt werden. Dabei stehen kann.
haben die neu entstandenen strukturschwachen Re-
gionen Ostdeutschlands besonders schlechte Karten, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
denn es sind die gleichen Gründe wie im Westen, die PDS)
dazu führen, daß ein Unternehmen lieber in einen
Ballungsraum anstatt in eine strukturschwache Re-
gion geht. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
(Beifall bei der SPD und der PDS) Faltlhauser?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4555

Christian Müller (Zittau) (SPD): Aber bitte, Herr Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege, können
Faltlhauser. Sie dem Hause bestätigen, daß im Jahressteuerge-
setz auf Druck übrigens nicht nur der SPD, sondern
auch anderer Verlängerungen für Ostdeutschland in
Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Kollege, ich bestimmten Teilbereichen vorgenommen worden
will mich ja nicht in die Frage einmischen, wo die sind, was wir begrüßen, daß wir aber als SPD z. B. im
wirtschaftspolitische Kompetenz in der SPD ihren Finanzausschuß weitergehende Forderungen etwa
geometrischen Mittelpunkt hat, hier im Bundestag beim Mietwohnungsbau und der Sonder-AfA erho-
oder draußen in den Ländern, aber ich will Sie ange- ben haben, die von den Koalitionsfraktionen leider
sichts Ihrer letzten Ausführungen doch fragen, ob Sie nicht angenommen wurden?
zur Kenntnis genommen haben, daß die Regierungs-
chefs aller SPD-regierten Länder in den Verhandlun-
gen über das Jahressteuergesetz der Auffassung wa- Christian Müller (Zittau) (SPD): Frau Kollegin, das
ren, daß die Reduzierung der Förderung für die bestätige ich ausdrücklich sehr gern.
neuen Bundesländer der richtige Weg sei, und daß
einige Ihrer Kollegen Länderchefs und Finanzmi-
nister in den Verhandlungen über das Jahressteuer- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie
gesetz sogar kritisch festgestellt haben, daß die Bun- eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Sperling?
desregierung diese Reduzierung der Förderung für
die neuen Bundesländer nicht ausreichend stark in Christian Müller (Zittau) (SPD): Sehr gern.
Angriff genommen habe.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört! - Dr. Dietrich Sperling (SPD): Könnten Sie dem gan-
Uwe Lühr [F.D.P.]: Hört! Hört! - Dr. Sig rid zen Haus bestätigen, daß sich die wirtschaftspoliti-
Skarpelis-Sperk [SPD]: Wie war das denn sche Kompetenz von SPD-Länderfinanzministern lei-
bei den Ministerpräsidenten Ihrer Couleur, der unter dem Gesichtspunkt betätigen muß, daß es
Herr Kollege?) eine Bundesfinanz- und -haushaltspolitik eines Bun-
Wie können Sie angesichts dieser Tatsache be- desfinanzministers Waigel gibt, dessen Politik zu ka-
haupten, daß diese Entscheidung, die wir aus haus- tastrophalen Zuständen nicht nur im Bundeshaushalt
haltspolitischen und aus wi rtschaftspolitischen Grün- geführt hat?
den getroffen haben, eine völlig falsche sei? Nehmen
(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/
Sie an, daß Ihre Kollegen draußen in den Ländern,
CSU: Wo leben Sie denn?)
die auch wirtschaftspolitische Kompetenz haben,
auch wenn der Mittelpunkt laut Scharping jetzt hier
sein soll, völlig falsch liegen? War das also eine fal- Christian Müller (Zittau) (SPD): Herr Kollege, ich
sche Entscheidung Ihrer SPD-Kollegen? bin Ihnen sehr dankbar für diesen Hinweis. Sie wei-
sen damit auf einen Zusammenhang hin, der diese
(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sehr gut!)
Situation sehr treffend charakterisiert.

Christian Müller (Zittau) (SPD): Sie weisen auf ei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
nen wirklich interessanten Aspekt der Debatte hin. Meine Damen und Herren, die Ostdeutschen
Im Grunde genommen wird dieser Ansatz trotzdem müssen in jedem Falle eine Chance erhalten, ihre
nicht anders. Es ist eine Tatsache, daß Ostdeutsch- Lebensgrundlagen selbst zu erwirtschaften. Es liegt
land unter den Bedingungen, die wir jetzt haben, auf der Hand - das will ich ausdrücklich unterstrei-
letztendlich nicht besser gefördert wird. chen -, daß es auch im Interesse der westlichen Bun-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) desländer liegt, daß Ostdeutschland ein wirtschaft-
lich selbständiger Standort wird.
Was falsch ist, ist falsch. Wenn wir hier angesichts
unserer föderalen Tendenzen in der Bundesrepublik Dies gilt ausdrücklich auch für den Bereich For-
Deutschland diese Widersprüche ausleben müssen, schung und Entwicklung. Zwar ist es mit einigem
dann ist der Bundestag immer noch der richtige O rt, Mittelaufwand gelungen, den völligen Zusammen-
zu sagen, daß dies trotzdem ein falscher Ansatz ist. bruch der ostdeutschen Industrieforschung aufzuhal-
ten - die Treuhandkonstruktion der Forschungs-
(Beifall bei der SPD) GmbHs hat diesen Aufschub letztendlich ermöglicht-,
aber nur in den seltensten Fällen wurden bei der Pri-
vatisierung Arbeitsplätze in der Forschung gesichert.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Das ist das eigentliche Problem.
es gibt noch zwei weitere Wünsche nach Zwischen-
fragen, und zwar von Frau Matthäus-Maier und von Die innovationsorientierte Politik für Ostdeutsch-
Herrn Sperling. land muß daher auf den Prüfstand. Gegenstand der
notwendigen längerfristigen Förderung muß sein,
die Standortbedingungen für die Forschung attraktiv
Christian Müller (Zittau) (SPD): Ja, sehr gern.
zu gestalten. Dazu erschiene es mir auch als sinnvoll,
im Rahmen der Regionalförderung, also unserer Ge-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Mat- meinschaftsaufgabe, die Innovationsförderung für
thäus-Maier, bitte. den ostdeutschen Markt im Sinne einer marktnahen
4556 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Christian Miller (Zittau)


Forschungsförderung auszubauen. Reden wir dar- festzustellen, daß der Mittelstand durch ein Übermaß
über doch einmal im Zusammenhang mit der Neuab- an bürokratischen Regelungen auf allen Ebenen be-
grenzung und der Neugestaltung der Gemein- lastet sei. Genau dies streitet die Bundesregierung in
schaftsaufgabe, Herr Minister. ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage ab.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie
Ich möchte ein paar Bemerkungen zum Eigenkapi- bei Abgeordneten der PDS)
talmangel machen. Dieser steht bekanntlich an der Da ist doch irgendwo ein Widerspruch.
Spitze des Problemberges. Bei vielen Unternehmen
ist die Liquiditätslage angespannt, und die Möglich- An einer weiteren Stelle in dieser Antwort befin-
keiten zur Finanzierung sind eingeschränkt oder den Sie sich schließlich auch im Gegensatz zur Bun-
nicht vorhanden. Das alles ist bekannt. desregierung. Sie fordern, die rechtlichen und steu-
erlichen Rahmenbedingungen für das Beteiligungs-
Hinzu kommt in nicht unerheblichem Maße, daß geschäft attraktiver zu gestalten, was ausdrücklich
Existenzgründer und Investoren in ihrer Region auf
unsere Unterstützung findet. Aber Ihre Bundesregie-
das Problem stoßen, eine Hausbank zu finden, die rung sieht dafür keine Notwendigkeit. Lesen Sie das
überhaupt bereit ist, sich mit dem Vorhaben zu be- in dieser Antwort einfach einmal nach.
schäftigen. Es geht also nicht nur um den bekannten
Mangel an Risikokapital, sondern gelegentlich auch Eine Forderung in Ihrem Antrag ist besonders be-
darum, daß selbst vorhandene dingliche Sicherheiten merkenswert. Da schreiben die Antragsteller von
für Investitionskredite nicht als ausreichend angese- CDU/CSU und F.D.P.: Auch privatisierte Unterneh-
hen werden. men, wie die Bundesbahn, müssen bei der Auftrags-
Allerdings hat das manchmal auch etwas damit zu vergabe die berechtigten Belange des Mittelstandes
tun, daß im Gefolge von Kreisreformen erfolgreiche beachten. - Schön! Wieso müssen sie, wenn sie doch
mit nicht erfolgreichen Sparkassen fusionieren, wo- privatisiert sind? Wäre dies von uns gekommen, dann
hätten wir uns wieder die üblichen Vorlesungen über
durch am Ende ein Gebilde entsteht, das angesichts
Marktwirtschaft anhören müssen.
seiner Erträge und vorher nicht kalkulierten Investi-
tionen für eigene Gebäude eben nicht mehr der Meine Damen und Herren, Erörterungen zu Mana-
freundliche Ansprechpartner für den Mittelstand der gementproblemen, zu Marktzugang und Marketing
Region ist. So etwas ist in meiner Region geschehen. gehören ausdrücklich in dieses Thema hinein,
Angesichts solcher Probleme, die keinen Einzelfall ebenso die Probleme des Einzelhandels. Dies ist oh-
darstellen, sollten wir gemeinsam darüber nachden- nehin Gegenstand der gesamten Debatte und wird
ken, ob unsere staatlichen Banken, wie KfW und jetzt von mir nicht vertieft.
Ausgleichsbank, nicht für einen Zeitraum von fünf Abschließend will ich allerdings hinzufügen, daß
Jahren ohne die Zwischenschaltung von Geschäfts- auch ich sehr dafür bin, die Gewerbekapitalsteuer in
banken Existenzgründer und Investoren als Kunden Ostdeutschland nicht einzuführen.
aufnehmen sollten und dies für diesen Zeitraum viel-
leicht auch mit einer Haftungsfreistellung von 80 % (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
verbunden werden könnte. und der F.D.P.)
Es ist außerdem eine sehr leidige Angelegenheit, Hier besteht Handlungsbedarf, meine Damen und
daß nach den üblichen Modalitäten bewilligte För- Herren. Wir warten auf Ihre Vorschläge zu einer ver-
dermittel erst nach Vorliegen der Rechnungen ausge- nünftigen Kompensation für die Kommunen.
reicht werden. Daran kann sowohl ein Investor als
auch ein kleiner Handwerker kaputtgehen. Kapital- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr vernünftig!)
schwäche ist dafür die Ursache. Daher schlage ich Ih-
nen vor, über die Einrichtung eines Swingrahmens Dann können wir auch über den Rest noch reden.
für kleine und mittelständische Unternehmen zu re- (Beifall bei der SPD)
den. Er könnte bei den Landesbanken niedrigver-
zinslich eingerichtet werden und zur Verstetigung
und damit zur Sicherung mittelständischer Existen- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
zen beitragen. Wo rt dem Abgeordneten Ernst Hinsken.
In diesem Zusammenhang ist es mir übrigens un-
verständlich, wie die Bundesregierung in ihrer Ant- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Werter Herr Präsident!
wo rt auf die entsprechenden Punkte in unserer Gro- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich pflichte dem
ßen Anfrage der Meinung sein kann, daß die Be- Kollegen Schwanhold bei, wenn er sagt, daß diese
schaffung von Risikokapital in Ostdeutschland und Mittelstandsdebatte im Deutschen Bundestag längst
generell in Deutschland unproblematisch sei, wäh- überfällig ist. Ich meine auch, daß es unser aller Auf-
rend Experten, wie z. B. Landesbankpräsidenten, gabe ist, die Bedeutung des Mittelstands so in der Öf-
ganz andere Ansichten vertreten. fentlichkeit herüberzubringen, wie es erforderlich ist.
Auch bürokratische Verfahrensweisen verdienen Ludwig Erhard hat einmal gesagt: Wi rt schaft ist
Beachtung. Dieses Thema findet sich ebenfalls im nicht alles, aber ohne Wi rt schaft ist alles nichts.
Antrag der Koalition zur Entlastung des Mittelstan-
des wieder. Die Antragsteller bitten den Bundestag (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4557
E rn st Hinsken
Ich möchte das abwandeln und sagen: Mittelstand ist Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich den
nicht alles, aber die ganze Wirtschaftspolitik ist ohne einzelnen Mittelständler draußen frage, was ihn be-
den Mittelstand nichts. drückt, dann gibt es Klagen über zu hohe Steuern,
zuviel Bürokratie, zu hohe Sozialkosten, zu hohe
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Lohnnebenkosten, zu lange Planungs- und Geneh-
ordneten der F.D.P.) migungsverfahren, zuwenig Fachkräfte.
Werte Kolleginnen und Kollegen, neulich fragte
mich jemand, wen ich denn überhaupt zum Mittel- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
stand zähle. Ich antwortete: Jeder, der mit seinem Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
ganzen Vermögen haftet, der seine ganze Kreativität gen Schwanhold?
und Leistungsbereitschaft einbringt, der von einer
35-Stunden-Woche träumt und nicht wie ein sma rter Ernst Hinsken (CDU/CSU): Selbstverständlich,
Manager seinen Hut nehmen kann, wenn es dane- Herr Kollege Schwanhold.
bengeht, ist für mich der wahre Mittelständler.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Ernst Schwanhold (SPD): Herr Kollege Hinsken,
ordneten der F.D.P.) würden Sie mir bestätigen, daß man bei 2,3 Mil-
liarden DM für den Mittelstand, die Sie bei einem
Ich erspare es mir jetzt, auf die große Zahl von mit- Gesamtvolumen von 460 Milliarden DM ansprechen
telständischen Unternehmen und der darin beschäf- - das sind 0,5 % des Gesamthaushalts -, angesichts
tigten Mitarbeiter einzugehen; das wurde bereits der Bedeutung, die Sie soeben beschworen haben,
hinreichend getan. Aber eines möchte ich noch be- die Adäquatheit des Mitteleinsatzes in Frage stellen
sonders hervorheben, Kollege Müller von der SPD: In kann?
den letzten Jahren wurden allein in den neuen Bun-
desländern über 500 000 mittelständische Unterneh- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Schwan-
men gegründet. Das war möglich, weil die Bundesre- hold, es kommt für den Mittelstand nicht nur darauf
gierung eine vernünftige Mittelstandspolitik auch für an, was man finanziell einsetzt, sondern es müssen
die neuen Bundesländer aufgelegt hat. vor allen Dingen die Rahmenbedingungen stimmen,
für die wir sorgen. Wir werden finanziell soviel zur
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
Verfügung stellen, wie es die Haushaltssituation er-
ordneten der F.D.P.)
laubt.
Mittelstand bedeutet für mich deutsche Wertarbeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
Für den Mittelstand bedeutet das auch immer zu sa- und der F.D.P.)
gen: Leistung muß sich lohnen. Wenn ich den SPD-
Antrag lese, Kollege Schwanhold, dann meine ich,
vieles könnte auch von uns sein, und ich weiß nicht: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie
Hat man hier abgeschrieben oder ein bißchen umfor- noch eine Zwischenfrage?
muliert? Nach Auswertung dieses Antrages finde ich,
Uwe Jens hatte recht, als er in der vorigen Woche Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ja, gern.
feststellte, daß es in Sachen Wi rtschaftspolitik zwi-
schen der Regierungspolitik und der SPD nur margi-
nale Unterschiede gibt. Auch Ihnen ist es heute nicht Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Kollege Hin-
gelungen, allzuviel Gegensätzliches herauszuarbei- sken, können Sie bestätigen, daß erstmals überhaupt
ten. bei der Förderung in den neuen Bundesländern auch
der mittelständische Einzel- und Großhandel geför-
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich der Be- dert wird?
deutung des Mittelstands wegen noch ein Zitat unse-
res Bundespräsidenten Herzog anführen, der gesagt Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Michel-
hat, „Eigeninitiative und Verantwortungsbewußt- bach, auch das kann ich bestätigen, und ich bestä-
sein, Kreativität und Innovationsbereitschaft, Indivi- tige es gern. Man hat hier versucht, den kleinen
dualität und persönliches Können, Solidarität und Händlern unter die Arme zu greifen und das Not-
Gemeinsinn", alles klassische Tugenden des Mittel- wendige in finanzieller Hinsicht zur Verfügung zu
standes, seien heute und in Zukunft wichtiger denn stellen. Auch das spricht für die vernünftige Wi rt
je. Dem ist meines Erachtens nicht allzuviel hinzuzu- -schaftundMielpoksrBundegi-
fügen. rung. -
Herr Bundeswirtschaftsminister Rexrodt, Ihnen Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe so-
und unserem Bundesfinanzminister Waigel möchte eben versucht, einige Aspekte dessen herauszuarbei-
ich dafür danken, daß Sie im Bundeshaushalt über ten, was den Mittelständler draußen bewegt. Ich
2,3 Milliarden DM allein für die Mittelstandsförde- habe seine Sorgen und Klagen beschrieben. Ich
rung ausgewiesen haben. Das zeigt, daß die Bundes- kann mir ersparen, näher auf die Einzelheiten im
regierung auch weiterhin mittelstandsfreundliche Hinblick auf die Steuer- und Abgabenpolitik einzu-
Politik machen möchte. gehen; denn dazu wurde bereits hervorragend und
großartig vom ersten Redner der CDU/CSU-Fraktion,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dem Kollegen Doss, etwas ausgeführt.
4558 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Ernst Hinsken
Er hat die Steuerpolitik in den Mittelpunkt seiner Ich möchte noch etwas daraufsetzen. Sozial ist für
Ausführungen gestellt. Ich möchte nur ergänzend mich nicht der, der verteilt - das kann jeder -, sozial
hinzufügen: Wir sind alle gefordert. Allein in den ist für mich der, der arbeitet und etwas leistet, damit
nächsten fünf, sechs Jahren stehen 700 000 Betriebs- es überhaupt etwas zu verteilen gibt.
übernahmen bundesweit an. Wir müssen uns um ein
Erbschaftsteuergesetz bemühen, das es dem einzel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
nen Betriebsnachfolger erlaubt, den Bet rieb zu über- und der F.D.P.)
nehmen. Die Übernahme muß für ihn wi rtschaftlich Das müssen wir verstärkt herüberbringen, damit
interessant bleiben. dem einzelnen bewußt wird, daß nicht alles, was an
Wünschen herangetragen wird, auch umgesetzt wer-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU den kann.
und der F.D.P.)
Der nächste Problembereich sind die Planungs-
Dabei setze ich auch auf Sie, meine Damen und und Genehmigungsverfahren. Hier handeln die
Herren von der Opposition. Ich meine, man muß Bundesregierung und die sie tragenden Parteien. Es
schon zwischen Betriebsvermögen mit Sozialpflich- wird nicht nur geredet. Wir haben uns in den letzten
tigkeit und Privatvermögen unterscheiden. Ich Monaten intensiv mit diesem Thema auseinanderge-
möchte noch einen Satz hinzufügen: Bezüglich der setzt. Wir haben einen Vorschlag erarbeitet, der jetzt
Vermögensteuer bin ich der Meinung, daß sie keine in den Gang der Gesetzgebung geht und hoffentlich
Daseinsberechtigung hat. Über sie sollten wir nach- zum 1. Januar 1997 umgesetzt werden kann.
denken.
Kernelemente unseres Vorschlages sind: Wir wol-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so len ein Angebotsmodell. Wir wollen, daß die Behör-
wie der Abg. Ing rid Matthäus-Maier [SPD]) den nicht auf ein einziges starres Verfahrensmodell
festgelegt werden. Wir wollen auch, daß sich die Be-
Ich beziehe mich auch auf das Urteil des Bundes- hörden ihrer Rolle als Dienstleister stärker bewußt
verfassungsgerichts, das jüngst gesagt hat, daß ge- werden. Wir wollen gestreckte Genehmigungsver-
rade bei der Entscheidungsfindung der Einheitsbe- fahren. Wir wollen die Einschaltung eines Projektma-
wertung eine Mittelstandsverträglichkeit in den Vor- nagers. Wir wollen ferner eine Anzeige an Stelle ei-
dergrund zu stellen ist. nes Genehmigungsverfahrens erreichen.
Der zweite Bereich ist die Bürokratiebelastung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir Politiker uns an
die eigene Brust klopfen. Wir haben zu viele Gesetze Es kann und darf doch nicht so sein, wie es jüngst in
beschlossen und den Bürger zu sehr reglementiert. meinem Heimatland Baye rn geschehen ist: daß eine
Das müssen wir jetzt ändern, denn die Bürokratie be- größere mittelständische Firma ein neues Betriebsge-
lastet vor allem den Mittelstand. bäude plant, zur gleichen Zeit wie bei einem ähnli-
chen Projekt in Belgien beginnt, das Bet riebsgebäude
Von jährlich 58 Milliarden DM Kosten entfallen al- in Belgien bereits seit einem Jahr fertiggestellt ist und
lein 56 Milliarden DM - das sind 96 % - auf mittel- der Bet rieb läuft, während man in Bayern noch beim
ständische und kleine Bet riebe. Jeder Arbeitsplatz ist Planen ist und do rt noch dieser und jener Antrag ein-
hier mit 7 000 DM Bürokratiekosten belastet, wäh- gebracht werden muß. Das festigt nicht den Wi rt
rend bei den Großbetrieben die Belastung durch- -schaftndorBuepblikDtschand.
schnittlich nur bei 305 DM liegt. Das heißt, der Mit-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
telständler zahlt zwanzigmal soviel an Bürokratieko-
sten wie ein Großbetrieb. Wir haben zuwenig Fachkräfte. Deshalb, so meine
ich, muß das Bildungssystem vom Kopf auf die Füße
Deshalb meine ich - das möchte ich auch fordern -, gestellt werden. Es kann und darf doch einfach nicht
daß wir alle zusammen beim Beschluß neuer Gesetze sein, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland
darüber nachdenken sollten, ob es sinn- und zweck- über 200 000 Studenten mehr haben als Lehrlinge.
voll ist, diese Gesetze auch auf Mittelstandsverträg- Darum brauchen wir einen höheren Stellenwert für
lichkeit zu überprüfen, bevor sie Gesetzesform erlan- Meister und Facharbeiter. Bundesbildungsminister
gen. Rüttgers liegt richtig, wenn er heute im Bundeskabi-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU nett einen Entwurf einbringt, der in diese Richtung
und der F.D.P. sowie des Abg. Ernst geht, der vor allen Dingen die berufliche Bildung mit
Schwanhold [SPD]) der akademischen Bildung gleichstellt und der dar-
über hinaus eine arbeitsmarktpolitische Komponente
Es darf nicht nur über den Mittelstand geredet beinhaltet, die von der CSU in den letzten Jahren -
werden, sondern es muß auch danach gehandelt landauf, landab gefordert wurde. Wenn nämlich je-
werden. mand bereit ist, den Weg in die Selbständigkeit zu
gehen, und er Arbeitsplätze schafft, dann bekommt
(Ernst Schwanhold [SPD]: Das ist richtig!) er das Darlehen, das ihm für die Prüfung zur Verfü-
gung gestellt worden ist, von seiten des Staates zur
Ein weiterer Bereich betrifft die Soziallasten. Wir Hälfte erlassen. Das ist vernünftige, gute Politik. Die-
müssen Problembewußtsein dafür schaffen - Kollege sen Weg sollten wir weiter beschreiten.
Schwanhold, Sie haben mir vorhin aus der Seele ge-
sprochen -, daß nur das verteilt werden kann, was er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
wirtschaftet wird. ordneten der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4559
E rn st Hinsken
Meine Damen und Herren, in den letzten zwei Jah- baut auf den Mittelstand auf. Ohne ihn hätten wir
ren gab es bei uns in der Bundesrepublik Deutsch- eine andere wi rt schaftliche und auch eine andere so-
land eine große Standortdebatte. Sie hat meines Er- ziale Realität, nämlich weniger Wohlstand, weniger
achtens Früchte getragen, und zwar dahin gehend, Arbeitsplätze und auch weniger Ausbildungsplätze.
daß den Bürgern klargeworden ist, daß mehr Wohl-
stand nicht erreichbar ist, indem man weniger leistet, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
daß soziale Systeme finanziert werden müssen, und Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen, Mittel-
zwar vom Beitrags- bzw. Steuerzahler, daß Arbeits- standspolitik ist zugleich auch Gesellschaftspolitik.
plätze nur dann sicher sind, wenn sie international Wir brauchen im Interesse des Standorts Deutsch-
wettbewerbsfähig sind. Das bedeutet, daß der Stand- land mehr Menschen, mehr Unternehmer und Selb-
ort Deutschland wettbewerbsfähig sein muß. Das be- ständige, die Zukunftsoffenheit mit bewäh rt en mit-
deutet aber auch, daß das neue Bewußtsein zu dem telständischen Traditionen verbinden, wir brauchen
Konjunkturaufschwung im letzten Jahr beigetragen Unternehmer, die nicht nur das Risiko, sondern auch
hat. Dieser Optimismus in wi rt schaftlicher Hinsicht, die Chancen unternehmerischer Betätigung sehen.
aber auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit Wir brauchen, um es kurz zu sagen, eine Unterneh-
und die Seriosität der Politik sind wichtige Grundvor- mergesellschaft.
aussetzungen für eine wi rt schaftlich erfolgreiche Zu-
kunft auch für den Mittelstand. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Ich wi ll einmal auf die neuen Bundesländer einge-
(Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/ hen. Was eine spezifische Unterstützung für den Mit-
CSU])
telstand leisten kann, ist in den neuen Ländern über-
Wenn wir diese Punkte aufgreifen und wenn wir aus deutlich geworden. Ober 400 000 neue Existen-
das, was den einzelnen Mittelständler draußen be- zen, 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze, das spricht für
wegt, umzusetzen bereit und in der Lage sind, dann sich. Das kommt nicht von ungefähr. Es war nur
ist mir nicht bange, daß der Mittelstand eine Renais- durch die nachhaltige konzentrierte Förderung der
sance erlebt und daß bei jungen Mitbürgern ver- Existenzgründung durch diese Bundesregierung
mehrt die Bereitschaft vorhanden ist, in den Mittel- möglich. So sind aus den beiden wichtigsten Förder-
stand zu gehen, im Mittelstand tätig zu sein und den programmen des Bundes, nämlich dem Eigenkapital-
Weg in die Selbständigkeit anzutreten. hilfeprogramm und dem ERP-Kreditprogramm, in
den neuen Bundesländern insgesamt 56 Milliarden
Ich darf mich für die Aufmerksamkeit herzlich be- DM zinsgünstige, zum Teil eigenkapitalersetzende
danken. Darlehen rund 200 000 Existenzgründern und auch
rund 80 000 bestehenden Unternehmen zugesagt
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) worden. Es wird auch in Zukunft eine Förderung im
Rahmen des mittelfristigen Förderkonzepts für die
neuen Bundesländer geben. Wir haben die Gewäh-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem rung der allgemeinen Investitionszulage und die
Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Hein ri ch Kolb Geltung der Sonderabschreibung in modifizierter
das Wo rt . Form bis 1998 verlängert. Die 10%ige Zulage für das
mittelständische verarbeitende Gewerbe und das
Handwerk wird unverände rt bis 1998 fortgeführt.
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Neu führen wir ab dem nächsten Jahr - ich halte das
desminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine lie-
für überaus wichtig - eine 10%ige Investitionszulage
ben Kolleginnen und Kollegen! Der kategorische Im- für den mittelständischen Groß- und Einzelhandel
perativ dieser Legislaturpe ri ode heißt: Die Wi rt ein.
-schaftpolikmußversätandBlg
der kleinen und mittleren Unternehmen orientieren. Darüber hinaus werden wir, was die Stärkung des
Risikokapitals anbelangt, neue Wege beschreiten.
(Beifall bei der F.D.P.) Neben der Einführung der steuerlichen Freistellung
der Gewinne bei Veräußerung von Beteiligungen für
Daß dies so ist, dokumentieren die mittelstandspoliti- die Jahre 1996 bis 1998 bei Reinvestition in mittel-
schen Ziele der Koalitionsvereinbarung. Das zeigt ständischen Unternehmen wird es auch einen Beteili-
aber auch die Einsetzung eines Mittelstandsbeauf- gungsfonds Ost geben, bei dem in Anlehnung an
tragten der Bundesregierung. den früheren § 16 des Berlinförderungsgesetzes eine
(Ernst Schwanhold [SPD]: Das Beauftrag steuerliche Förderung zusätzlichen langfristigen
tenwesen der Regierung!) Haftkapitals für mittelständische Unternehmen bis -
zu einem jährlichen Gesamtplafond von 500 Mil-
Mein Ziel als Mittelstandsbeauftragter ist es, die lionen DM ermöglicht ist. Ich glaube, das ist ein ganz
Eigenanstrengungen der Unternehmerinnen und nachhaltiger Beitrag zur Stärkung der Eigenkapital-
Unternehmer in den Fragen der Gründung, Festi- struktur des Mittelstands in den neuen Ländern.
gung, Entwicklung sowie auch beim Unternehmens- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
übergang durch eine Verbesserung der allgemeinen
Rahmenbedingungen sowie durch eine flankierende, Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sprach
zielgerichtete Mittelstandsförderung zu begleiten. davon, daß nur der Mittelstand in den nächsten Jah-
Dies ist mir in der Diskussion bisher zu wenig deut- ren einen nachhaltigen Beitrag, zumindest bei sum-
lich geworden. Unsere Gesellschaft in Deutschland marischer Betrachtung, zur Lösung des Problems
4560 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb


Nummer eins, nämlich der Schaffung neuer Arbeits- Ein letzter Punkt - ich muß mich beschränken -:

plätze in Deutschland, leisten kann. Wenn das so ist, Wer aufbauen will , braucht Nachwuchs. Deswegen
dann ist es richtig, daß die Bundesregierung eine In- ist die Unterstützung der Aus- und Weiterbildungs-
itiative für mehr unternehmerische Selbständigkeit in anstrengungen der Wirtschaft ein wichtiges Thema.
Deutschland ergriffen hat, in deren Zentrum die mit- Die Modernisierung von überbetrieblichen Bildungs-
telstandsfreundliche Gestaltung von Rahmenbedin- stätten, die Förderung der Aus- und Fortbildung zum
gungen in mehreren Arbeitsfeldern gehört. Ich kann Handwerksmeister, das sind Maßnahmen, die den
aus Zeitgründen nur noch wenige nennen. notwendigen unternehmerischen Nachwuchs si-
chern. Das heute im Kabinett verabschiedete Gesetz
Es geht einmal darum, daß wir die Unternehmen-
zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung
steuerreform konsequenz fortsetzen. Da ist die Ab-
ist ein wichtiger Beitrag zur Gleichwertigkeit von be-
schaffung der Gewerbekapitalsteuer und die mittel-
ruflicher und akademischer Bildung.
standsfreundliche Absenkung der Gewerbeertrag-
steuer ein ganz zentraler Baustein. (Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.]: Sehr
gut!)
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
ten der CDU/CSU) Ich glaube, das Parlament hat guten G rund, den be-
teiligten Bundesministern, dem Bundesminister für
Um es einmal deutlich zu sagen: Die Gewerbesteuer Wirtschaft, Herrn Dr. Rexrodt, und dem Bundesmini-
insgesamt ist eine Strafsteuer für diejenigen, die in ster für Forschung und Technologie, Herrn
Deutschland Arbeitsplätze schaffen. Deshalb ist es Dr. Rüttgers, zu danken. Beide Häuser haben Seite
wichtig, Herr Kollege Schwanhold, die Frage der an Seite gearbeitet und ihre Last bei der Finanzie-
Kompensation ernst zu nehmen, sorgfältig zu bere- rung getragen.
den. Aber es darf auch nicht so sein, daß es hier zu
einer Blockade kommt. Wir brauchen Bewegung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
beim Thema Gewerbesteuer.
Zum Schluß: Mittelstandspolitik muß und kann
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) noch mehr als bisher mit den Augen der Unterneh-
mer gesehen werden. Dazu gehört auch, daß wir die
Wir müssen die Arbeits-, Tarif-, Sozialpolitik mit Benutzerfreundlichkeit der Förderprogramme des
dem Ziel der Begrenzung der Lohnzusatzkosten Bundes und der Länder erhöhen und sie straffen.
überprüfen. Wenn in den nächsten Jahren Arbeits-
plätze in kleinen und mittleren Unternehmen entste- Die Kollegin Probst, die jetzt leider nicht mehr da
hen sollen, müssen wir uns auch der Frage der ist, hat hier einen weiteren Be richt angefordert. Ich
Wachstumsschwellen in kleinen und mittleren Unter- würde ihr empfehlen, bevor sie neue Berichte for-
nehmen widmen, d. h. bestimmter Grenzen, die in dert, erst einmal den Be richt zu lesen, den ich als
das Arbeits- und Sozialrecht eingezogen sind und Mittelstandsbeauftragter erst vor wenigen Wochen
dazu führen, daß Unternehmen bewußt unter be- zum Thema Transparenz und Konsistenz der Mittel-
stimmten Beschäftigungszahlen zurückbleiben. Dies standsförderung vorgelegt habe.
sind Beschäftigungshemmnisse. Sie müssen auf die
(Ernst Schwanhold [SPD]: 500 Programme!)
Tagesordnung.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich muß
Herr Kollege Hinsken, aber auch andere haben die zum Schluß kommen. Ich glaube, wir brauchen in
Belastung durch Bürokratie schon angesprochen. Es Deutschland einen starken Mittelstand, aber auch
ist richtig, daß das Institut für Mittelstandsforschung ein Umdenken, was die Anerkennung mittelständi-
den Kostenfaktor Bürokratie thematisiert hat. Die scher Leistung, der Leistung der selbständigen Un-
Zahl von 56 Milliarden DM kann ich nur bestätigen. ternehmer in Deutschland anbelangt.
Damit ist die Belastungsfähigkeit der Unternehmen
eindeutig überschritten. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/ Auch dazu kann dieses Haus einen Beitrag leisten
CSU]) und dazu möchte ich Sie nachdrücklich auffordern.
Die Bundesregierung hat hier bereits reagie rt; sie hat Vielen Dank.
Initiativen ergriffen. Ich nenne nur die Stichworte
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Waffenschmidt-Kommission, Schlichter-Kommission,
Sachverständigenrat „Schlanker Staat".
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem
Um Ihnen einmal eine Vorstellung zu geben: Wenn Abgeordneten Karl-Heinz Scherhag das Wo rt .
es gelänge, die bürokratischen Belastungen um 10, -
12, 15 % zurückzuführen, dann hätten wir - übrigens
ohne daß wir uns im Haushalt Gedanken machen Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Herr Präsident!
müßten - eine ähnliche Entlastung mittelständischer Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-
Unternehmen, wie wir sie etwa durch die Abschaf- leginnen und Kollegen! Zunächst einmal lassen Sie
fung der Gewerbekapitalsteuer erreichen. Deswegen mich eine Anmerkung zu dem gestern in der „Bild"-
muß das Thema Bürokratieabbau auf der Tagesord- Zeitung erschienenen A rtikel darüber, was Abgeord-
nung bleiben. nete nebenbei verdienen, machen. Auch ich war do rt
Nebentätigkeiten. Dabeigenat,udzwrmilf
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne hat der Journalist natürlich vergessen, zu sagen, daß
ten der CDU/CSU) von den elf Nebentätigkeiten neun ehrenamtlich
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4561
Karl-Heinz Scherhag
ohne Bezahlung sind. Ich denke, das festzustellen, denn dies ist gegenüber den ausbildenden Betrieben
gehört zur Ordnung, wenn man schon über Abgeord- in keiner Weise gerechtfertigt.
nete und deren Verdienst spricht.
Meine Damen und Herren, in der Kürze der Zeit,
Zwei der Tätigkeiten sind, meine Damen und Her- die mir zur Verfügung steht, möchte ich noch zur Exi-
ren, Tätigkeiten in meiner Firma. Ich gebe in meiner stenzsicherung kommen. Die Existenzsicherung der
Firma immerhin 50 Familien Brot und Einkommen Unternehmen ist von besonderer Bedeutung. Wir
und garantiere ihre Existenz. Ich denke, daß der brauchen gute Rahmenbedingungen und das Ver-
Schreiber dies zur Kenntnis nehmen sollte, wenn er trauen der Betriebe. Wir brauchen die Möglichkeit,
schon über Abgeordnete des Mittelstands spricht. daß die Betriebe weiterhin existieren können. Wir
brauchen aber nicht die Umverteilungsmentalität der
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) SPD. Die Betriebe müssen sich selbst finanzieren
Des weiteren habe ich gestern abend im Fernse- können; sie müssen überleben können. Das ist nur
hen eine Anmerkung von Ihnen, Herr Kollege Schulz möglich, wenn sie gute Bedingungen haben. Wir
von den Grünen, gehört, wo Sie sagten, alle Neben- sollten deshalb diese Diskussion beenden.
tätigkeiten von Abgeordneten müßten eingestellt Zu den Betriebsübergaben. Der Kollege Hinsken
werden. hat schon darauf hingewiesen, daß in den nächsten
(Ernst Schwanhold [SPD]: Kluge Bemer Jahren 700 000 Bet riebe zur Übergabe anstehen, da-
kung!) von 250 000 im Handwerk. Meine Damen und Her-
ren, wir brauchen hier auch Gesetze für die Erb-
Ich gehe davon aus, daß Sie damit alle Mittelständ- schaftsteuer bei Unternehmensübergaben. Diese Be-
ler, Landwirte, Einzelhändler und Handwerker aus triebe können nur übernommen werden, wenn Kapi-
dem Parlament ausschließen wollen und daß Sie un- talleistungen und Kapitalhilfeprogramme zur Verfü-
ter sich bleiben wollen. Anders kann ich das nicht in- gung stehen.
terpretieren. Sie wissen doch: Wenn man in dieses
Parlament gewählt wird, soll man finanziell unab- Zur Existenzsicherung noch einige Daten: Rund
hängig und frei sein und jederzeit in seinen Beruf zu- 3 Millionen Unternehmen, 'das sind zu 99,8 % Meine
rückkehren können. Das sollten Sie sich merken. Ich und mittlere Unternehmen, d. h. Unternehmen mit
weiß allerdings nicht, ob Sie noch einmal in Ihren Be- weniger als 500 Beschäftigten bzw. weniger als
ruf zurückkehren können oder ob Sie überhaupt ei- 100 Millionen DM Umsatz, beschäftigen zwei Drittel
nen haben. aller Arbeitnehmer, bilden aber vier Fünftel aller
Lehrlinge aus. Deshalb nochmals die Forderung, Ka-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU pitalhilfe für die Nachfolger zu leisten und die Mög-
und der F.D.P. - We rner Schulz [Berlin] lichkeit einzuräumen, Arbeitsplätze und Lehrstellen
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie Sie zu sichern.
beide Berufe miteinander vereinbaren kön
nen, ist mir ein Rätsel! Sie sind Mittelständ Ich möchte noch etwas zu dem Bereich der Exi-
ler und Berufspolitiker!) stenzgründung sagen. Meine sehr verehrten Damen
und Herren, zur Existenzgründung gehört zunächst
- Lieber Kollege, ich lebe von meinem Bet rieb. Ich einmal Vertrauen. Wenn die Leute in die Kammern
bin Gott sei Dank in jeder Weise unabhängig. kommen und fragen: Was erwartet uns eigentlich als
Existenzgründer?, dann muß gesagt werden: Viel Ar-
Meine Damen und Herren, der Mittelstand schafft beit, viel Risiko, kein Urlaub. Am Schluß, wenn sie es
in diesem Lande die meisten Arbeitsplätze. Er trägt geschafft haben, wenn sie tatsächlich Kapital gebil-
einen Löwenanteil der Ausbildung und ist ein unver- det haben, dann kommen die Umverteiler der SPD
zichtbarer Teil der Sozialen Marktwirtschaft. Der Mit- und nehmen das Geld wieder weg.
telstand braucht und verdient politische Rahmenbe-
dingungen, nach denen er seine Leistungen entfal- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
ten kann. Rolf Köhne [PDS]: Demagoge!)
Der Mittelstand ist zunächst einmal der Garant der - Das ist die Wahrheit. Sie brauchen nicht herumzu-
Ausbildung. Ich möchte Ihnen die neuesten Zahlen grölen. Immer Ihre Heuchelei, meine Damen und
bekanntgeben: Das Handwerk wird dieses Jahr Herren von der PDS! Daß Sie hier im Saal sitzen und
600 000 Lehrstellen zur Verfügung stellen, wie es sie überhaupt den Mut haben, über Mittelstand zu spre-
versprochen hat. Damit ergibt sich bis zum chen! Sie müssen sich doch schämen.
31. August in den neuen Bundesländern ein Plus von
17,2 %, in den alten Bundesländern ein Plus von (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Wir sind ge--
6,2 %. Das sind 216 100 Lehrstellen mehr. wählt, Sie Demokrat!)

(Ernst Schwanhold [SPD]: Sehr gut!) Soll ich Ihnen einmal etwas sagen: 40 Jahre lang ha-
ben Sie den Mittelstand unterdrückt. Sie hätten doch
Damit müßte nun eigentlich die Umlagenfinanzie- am liebsten das Wort „Mittelstand" aus dem Duden
rung, die Sie, Herr Kollege Schwanhold, ständig for- gestrichen.
dern, endlich vom Tisch sein;
(Ernst Schwanhold [SPD]: Wovon reden Sie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
eigentlich? Ich habe nichts von einer Um gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
lage gesagt!) Köhne?
4562 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Nein. Am Abend hatten wir eine interessante Begeg-
nung mit Vertretern von mittelständischen Verbän-
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Das ist Mißachtung den, Lobbyisten, wenn man so wi ll. Es war alles das
von Wählerwillen!) Gegenteil von Sonntagsreden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Das Plenum des Deutschen Bundestages ist für
brauchen unmittelbare Erleichterung von Existenz- mich der Ort, an dem ich im wesentlichen mit Sonn-
gründungen. Wir brauchen Steuerfreiheit und Um- tagsreden konfrontiert werde. Wer wissen wi ll, was
schulungen für Betriebe. Für die Existenzgründer eine Sonntagsrede ist, braucht nur die Worte „Der
brauchen wir vor allen Dingen ausgezeichnete Aus- Deutsche Bundestag wolle beschließen" im Antrag
bildung und betriebliche Kenntnis. der Regierungskoalition zu streichen und hätte dann
das perfekte Beispiel einer Sonntagsrede vor sich.
Meine Damen und Herren, die Pleiten in den
neuen Ländern sind nicht auf mangelnde Investi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
tionen zurückzuführen. Es ist im Grunde genommen Es sind nur Dinge darin, die sich selbst guten Wil-
nichts anderes, als daß die meisten Betriebsinhaber len bescheinigen, Versprechungen abliefern und im
ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse in be- Abstrakten schwelgen. Konkret wird nichts. Würde
stimmte Situationen hineinkamen. Wir sollten viel man den Haushalt des Wi rtschaftsministers durchfil-
mehr Mittel bereitstellen, damit diese Existenzgrün- zen, so würde man entdecken, daß er im wesentli-
der in der Tat mehr betriebliche Kenntnisse erwer- chen ein Dementi auf die guten Sprüche in diesem
ben können. Dann werden wir weniger Pleiten ha- Antrag ist.
ben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. ten der PDS)
Liebe Kollegen, ich hoffe und wünsche, daß wir alle Folge ich den Rednern hier weiter, sehe ich, daß
gemeinsam die Rahmenbedingungen schaffen, die Mittelstandspolitik eigentlich auf Subventionspoli-
die Betriebe brauchen. Die Politik muß gemeinsam tik aus dem Haushalt reduziert wird, wenn über-
dem Mittelstand helfen. Ohne Mittelstand geht es haupt ein Anklang ans Konkrete da ist. Indessen ist
bei uns nicht. Mittelstandspolitik doch wohl auch etwas ganz ande-
res, jedenfalls nach den Ergebnissen, die wir am
Meine Damen und Herren, der Mittelstand kann Dienstagabend vorgetragen bekommen haben.
seine Arbeitsplätze, seine Existenz nicht ins Ausland
verlagern. Er ist hier in Deutschland Garant für Ar- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nun sagen Sie
beitsplätze, für Lehrplätze und für den Bestand unse- doch einmal, was es ist!)
rer Demokratie.
Der Mittelstand ist interessie rt an funktionierenden
Danke schön. Kommunen.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Auch das!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Wer eine Finanzpolitik macht, die die Kommunen
ruiniert, ruiniert den Mittelstand mit.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
(Beifall bei der SPD - Zuruf des Abg. Ernst
Scherhag, angesichts Ihrer langjährigen ehrenamtli-
Hinsken [CDU/CSU])
chen Tätigkeit im Interregionalen Rat der Hand-
werkskammern des Saarlandes, Lothringens und Lu- Versicherungsvertreter - hören Sie genau zu, Herr
xemburgs sowie in den Innungskrankenkassen und - Hinsken; zu Ihnen komme ich gleich noch ein biß-
was ich besonders hervorheben möchte - im Rat der chen - bekommen langsam den Verdacht, daß eine
Stadt Koblenz ist es fast unpassend, zu erwähnen, Politik, die den Sozialstaat ruiniert, den Versiche-
daß Sie hier zum erstenmal das Wo rt ergriffen haben. rungskonzernen neue Kunden zutreiben will.
Aber traditionsgemäß möchte ich Ihnen dazu gratu-
lieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)
- Oh!
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Warum machen Sie denn dann nicht eine Politik,
Ich erteile nun dem Abgeordneten Dr. Diet rich die dem entspricht, was eine Marktwirtschaft ver-
Sperling das Wort . langt: aufgeklärte Kunden! Vom Bundestagshand-
buch mit der Verweigerung der Aufklärung über Ne-
benerwerbseinkünfte der Abgeordneten bis zum -
Dr. Dietrich Sperling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kleingedruckten des Steuerrechts ist alles unver-
Kolleginnen und Kollegen unten im Saal! Verehrte ständlich und Verschleierung.
Mehrzahl der Anwesenden auf den Tribünen! Am
(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl, Herr
Dienstag war in der SPD-Fraktion der Vorsitzende
Oberlehrer!)
der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zu
Gast. Es war eine überaus interessante Stunde um Dies gilt auch - an dem Beispiel wi ll ich mich jetzt
Fragestellungen der Wertbindung von Politik, kon- festhalten -, wenn Versicherungsmakler durch den
kret und frei von jeder Vermeidung von Zielkonflik- deutschen Gesetzgeber unter Anführung des Wi rt
ten. Es wurde offen geredet. -schaftminerbdlwn.Versichug-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4563
Dr. Dietrich Sperling
makler stehen - sowie sich Europa formiert - vor der Nun könnte man sagen: Mittelstandspolitik ist,
Tatsache, daß die ausländischen Versicherungskon- wenn kleine Bauunternehmen neben der unlauteren
zerne - und Versicherungsgesellschaften müssen im- Konkurrenz der hereingeschleppten ausländischen
mer groß sein, weil sie das Risiko auf viele Schultern Arbeitnehmer, die sich hier unter Dumpingpreisen
verteilen müssen - auf den deutschen Markt kom- anbieten lassen, arbeiten müssen. Da versagt eigent-
men werden. Und unsere Konzerne fürchten das. lich der Herr Minister Blüm in der Mittelstandspolitik
- nicht der Herr Rexrodt, der sowieso versagt -, weil
Die einzigen Versicherungsmakler in Europa, die Mittelstandspolitik auch mit dem Schutz von Arbeit-
kein Berufsbild haben, das ihren Beruf schützt, sind nehmern zu tun hat; denn Arbeitnehmer sind zu ei-
die deutschen. Europa fordert von uns aus Brüssel nem guten Teil beim Mittelstand beschäftigt. Zwei
Richtlinien. Der Wirtschaftsminister, unter Beifall von Drittel der Erwerbstätigen sind in mittelständischen
Ihnen allen, verweigert die Einhaltung dieser Richtli- Unternehmen beschäftigt. Mittelständische Unter-
nien. Demnächst wird im grenznahen Bereich der nehmen sind arbeitsplatzintensiv. Würden wir die
deutsche Versicherungsmakler den Konkurrenz- Lohnnebenkosten senken, wäre dies mehr Mittel-
druck der französischen, belgischen, holländischen, standspolitik, als an der Steuerseite zu drehen.
Schweizer und weiteren Kollegen erfahren, bei de-
nen Regulierungen vorliegen, was die Qualifizierung (Beifall bei der SPD)
dieser Berufstätigkeit angeht. Denken Sie darüber einmal nach. Kapitalintensive
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist keine Unternehmen haben viel weniger von der Senkung
Sonntagsrede, das ist eine Montagsrede!) der Lohnnebenkosten als Mittelstandsunternehmen.
(Beifall bei der SPD)
Nur die deutschen Versicherungsmakler bekommen
so etwas verweigert. In dem Moment, wo Sie an die Lohnnebenkosten
herangehen, dienen Sie den Arbeitnehmern, den
Nun ist das Interessante: So wie wir als Steuerzah- Kunden des Mittelstandes und den mittelständischen
ler mit dem Steuerrecht nicht mehr ohne Steuerbera- Unternehmen. In dem Moment, wo Sie an der Ge-
ter fertig werden, wird man die Produkte der Versi- werbekapitalsteuer drehen, dienen Sie viel mehr den
cherungskonzerne als Kunde gar nicht ohne sach- großen Unternehmen, den Konkurrenten, die den
kundige Beratung begreifen können. Es ist nicht Mittelstand kleinmachen.
mehr zu erkennen, was im Kleingedruckten der Ver-
sicherungsbedingungen steht. Eine sachkundige un- (Beifall bei der SPD)
abhängige Beratung wäre nötig. Dafür braucht der
Kunde den Mittelstand. Dafür braucht der Wettbe- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
werb eine Aufklärung durch selbständige mittelstän- Sperling, Sie müssen zum Schluß kommen.
dische Unternehmer. Die gibt es auch. Die wollen
dies. Ihnen wird dies verweigert. Sie leben folglich
unter Wettbewerbsverzerrungen, und zugleich sind Dr. Dietrich Sperling (SPD): Meine Zeit ist zu Ende,
die Kunden die Benachteiligten. Denn Wettbewerb Herr Präsident. Deswegen verabschiede ich mich mit
kann nur stattfinden, wenn die Kunden wissen, wie einem unfreundlichen Wo rt . Worum es geht, ist, eine
die Produkte im Vergleich aussehen. Politik zu beenden, in der, wie man sonst sagen
würde, eine Dame ohne Unterleib, die F.D.P., die
Nun mag es Ihnen zu dicke kommen, aber so wie keine Bodenhaftung durch kommunalpolitische Ze-
Sie auf den Regierungsbänken gebastelt sind, arbei- hen und just noch einen Nabel in Form von Herrn
ten Sie mehr im Interesse der Versicherungskon- Gerhardt in der Landespolitik hat, -
zerne, die an der Aufklärung der Kunden kein so
großes Interesse haben, als im Interesse der Kunden, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
der kleinen Versicherungsnehmer, die eigentlich wis- Sie müssen Ihre Rede beenden. Dann bitte ich Sie,
sen müssen, wie die Produkte der Versicherungskon- das auch zu tun. Haben Sie gehört?
zerne zu vergleichen sind. Das geht nicht ohne eine
Aufklärung über das Kleingedruckte.
Dr. Dietrich Sperling (SPD): - also gerechterweise
(Beifall bei der SPD) als freischwebende Glatzenpartei bezeichnet werden
müßte, was die Bundesebene angeht - -

Infolgedessen wäre dem Mittelstand und dem Ver-


braucher gedient, wenn ein Berufsbild geschützt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
würde. Ergebnis: Sie reden über Deregulierung und ten der PDS)
verweigern unter diesem irrsinnigen Stichwort ei- -
gentlich effektiven Wettbewerb und Aufklärung der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat
Verbraucher in unserem Land und nennen dies auch die Abgeordnete Dagmar Wöhrl.
noch Mittelstandspolitik, obwohl Sie verstecken, daß
Sie de facto im Interesse großer Versicherungskon-
zerne arbeiten. Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! An unserer heutigen Diskussion
Deswegen gehört der Mittelstand so organisiert sehen wir wieder einmal, für was eine Debatte im
und geschützt - dafür müssen gelegentlich auch Re- Bundestag gut sein kann. Die SPD hat den Mittel-
gulierungen sein - daß die Verbraucher in unserer
, stand entdeckt. Gerade noch rechtzeitig ging gestern
Marktwirtschaft wirklich sinnvoll informiert werden. abend ihr Antrag zum Mittelstand bei uns ein. Ich
4564 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Dagmar Wöhrl
muß dazu sagen: lieber spät als nie. Deswegen Die Frage ist nun die: Wie bringt man dieses Kapi-
freuen wir uns natürlich über ihren Umdenkungspro- tal zu den Menschen, die unternehmerisch tätig sein
zeß. und eventuell auf Grund einer guten Auftragslage
auch expandieren wollen, denen aber das nötige Ka-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - pital fehlt?
Zurufe von der SPD)
In bezug auf das bereits angesprochene Risikoka-
Die immense Bedeutung des Mittelstandes sieht pital können wir uns ein Beispiel nehmen an den
man nicht nur an seiner Größe - ca. 5 000 Großunter- USA und Japan. In den USA finanzieren sich allein
nehmen gegenüber 2,5 Millionen mittelständischen 25 % der jungen Unternehmen mit Hilfe von Ven-
Unternehmen -, sondern auch daran, daß er es ist, ture-Kapitalgesellschaften. In Europa sind es nur
der neue Stellen schafft, während die Indust ri e im- knapp 5 %.
mer mehr Arbeitsplätze wegrationalisiert.
Die Bereitstellung von Risikokapital ist nicht
(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Hört! Hört!) grundsätzlich Aufgabe des Staates. Auch das muß
hier ausdrücklich erwähnt werden. Doch leisten wir
Er beschäftigt die meisten Arbeitnehmer und bildet
unseren Beitrag, um fehlendes Kapitalangebot auf
die meisten Lehrlinge aus, und dies mit steigender dem Markt durch geeignete Förderprogramme aus-
Tendenz. zugleichen.
Ende der 50er Jahre gab es 9,5 Millionen Selbstän- Ich verweise nur kurz auf das Eigenkapitalhilfepro-
dige, heute sind es nur noch 3,5 Millionen. Obwohl gramm, die Hilfen des ERP-Sondervermögens und
die Quote von 1982 mit 6,9 % 1993 auf 8,2 % gestie- auf das neue Beteiligungskapital für kleine Techno-
gen ist, ist dies immer noch zuwenig. Allein bei 5 % logieunternehmen. Auch das Jahressteuergesetz
mehr Selbständigen hätten wir 1,5 Millionen Arbeits- 1996 sieht Regelungen zur Bildung von Risikokapi-
plätze mehr. talfonds vor.
Leider ist es heute oft selbstverständlich, schon im Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, unser
Ausbildungsalter über die Rente nachzudenken. Ri- Ziel ist die Entlastung des Mittelstandes. Dazu ge-
siko will keiner mehr wagen. Nur noch Sicherheit ist hört auch das ungnädige Thema Tarife. Hier stellt
gefragt. sich die Frage, inwiefern unser Tarifsystem mittel-
standsfreundlich ist.
Was wir brauchen, ist unternehmerischer Nach-
wuchs, sind Menschen mit Mut zum Risiko und dem (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Willen, selbst etwas auf die Beine zu stellen.
Gewerkschaften sind fast ausschließlich in großen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Unternehmen organisiert. Der Organisationsgrad bei
mittelständischen Betrieben liegt unter 15 %, zum
Hier, meine Damen und Herren, muß ein gesell- Teil sogar bei nur 5 %. Bei Tarifverhandlungen sitzt
schaftlicher Diskurs über den Stellenwert des Unter- also nur eine Minderheit legitimierter Interessensver-
nehmertums in unserer Gesellschaft stattfinden. Ich treter am Tisch. Ebenso ist es bei den Arbeitgebern.
wende mich besonders an die Kollegen der Opposi- Do rt sind es die Verbandsfunktionäre und Vorstands-
tion: Wer wirtschaftlich erfolgreich ist, darf gesell- mitglieder großer Firmen. Der Mittelstand ist im Ver-
schaftlich nicht diskreditiert werden. hältnis zu seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) do rt deutlich unterrepräsentiert. Lassen Sie es mich
abgemildert ausdrücken: Die allgemeinverbindli-
Leistung und Risiko müssen sich wieder lohnen. Die- chen und flächendeckenden Tarifsysteme sind krea-
ses Gefühl müssen die jungen Leute haben, die es tivitätshemmend und demzufolge nicht gerade mit-
wagen, in die Selbständigkeit zu gehen. telstandsfreundlich. Denn was für ein Ballungszen-
trum wie München, Berlin oder Hamburg gilt, gilt
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) noch lange nicht für den Bayerischen Wald oder Ost-
friesland. Dabei müßte es doch darum gehen, in die-
Wie schon erwähnt worden ist: Eine große Hürde
sen Schwachzonen Bet riebe zu erhalten. Ich frage
ist eine zu dünne Eigenkapitaldecke und meist eine
mich schon: Wo bleibt hier die vielgepriesene Flexi-
Vollkaskomentalität der Banken; das spreche ich hier
bilität, von der wir alle immer reden?
ganz ausdrücklich an. 4 Billionen DM auf Sparbü-
chern und Festgeldkonten fehlen den expansionswil- (Beifall bei der CDU/CSU)
ligen Betrieben, die oft nur eine Eigenkapitaldecke
von 15 % haben. Die Gewerkschaften orientieren sich bei ihren For-
derungen an der ertragsstärkeren Großindustrie und
Meine Damen und Herren, in den nächsten zehn ignorieren vollkommen die schlechtere Gewinnlage
Jahren werden wir einen Erbgang erleben, der unge- der kleineren Bet riebe. Die Folgen kennen wir; sie
fähr 1 500 bis 2 000 Milliarden DM zum Gegenstand sind uns ja alle ausreichend bekannt. Da der mittel-
hat. Wir können sicher sein, daß die Erben das Geld ständische Bet rieb viel mehr mit saisonalen Schwan-
meist nicht unternehmerisch einsetzen werden. kungen zu kämpfen hat als Großbetriebe, wären in-
Wahrscheinlicher ist das Buddenbrooksche Phäno- dividuelle Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle ver-
men, nämlich daß die dritte und vierte Generation schiedentlich von großem Nutzen. Nur bei einer An-
eher verzehrt, als daß sie neu unternehmerisch tätig passung an die Auftragslage könnten Kosten gespart
ist. werden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4565
Dagmar Wöhrl
Meine Damen und Herren, wir debattieren heute Sie das nicht wünschen, erteile ich das Wort dem Ab-
darüber, daß wir den Mittelstand entlasten und da- geordneten Professor Wolfgang Schulhoff.
durch stärken wollen. Aber wir als Politiker können
nur Rahmenbedingungen setzen.
Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lei-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, stungsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft beruht
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten u. a. auch auf einer ausgewogenen Struktur von
Köhne? Klein-, Mittel- und Großbetrieben. Der Ideenreich-
tum mittelständischer Unternehmer mit ihrer großen
Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Ja, bitte.
Innovations- und Entwicklungsdynamik, ihrer Fähig-
keit, sich schnell auf Veränderungen einzustellen, ist
(Zuruf von der [CDU/CSU]: Er soll sich ein eine der wesentlichen Stützen der deutschen Wi rt
mal ein Sakko kaufen!) -schaft.
Sie, Herr Schwanhold, haben vom Humusboden
Rolf Köhne (PDS): Frau Kollegin, können Sie sich gesprochen.
vorstellen, daß die Ertragslage des Mittelstandes des-
halb wesentlich schlechter ist als die der Großindu- (Ernst Schwanhold [SPD]: Das ist ein kluges
strie, weil es der Großindustrie auf Grund ihrer Bild, nicht?)
Machtlage gelingt, Preise durchzusetzen, die nicht - Ich muß Ihnen ausdrücklich recht geben: Das ist
korrekt sind, vor allem gegenüber ihren Zulieferern ein kluges Bild. In der Analyse sind wir uns einig.
und den Selbständigen, die im Grunde genommen Aber was danach von Ihnen kommt, ist nicht kon-
für die Großindustrie die Profite mit erwirtschaften? kret; dann passen Sie, dann blockieren Sie, wie in
den letzten Jahren gerade in der Steuerpolitik. Ich
Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Ich wundere mich im- werde es Ihnen beweisen.
mer, meine Damen und Herren von der PDS, wie Sie
(Beifall bei der CDU/CSU - E rnst Schwan-
zu Ihren Kenntnissen kommen, wo Sie das alles her-
hold [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)
auslesen. Denn Erfahrungswerte haben Sie ja keine.
Dann kommen - wir haben es eben bei Herrn Sper-
(Rolf Köhne [PDS]: Habe ich! - Eduard Os
ling gesehen - einfach ideologische Ladenhüter. Da-
wald [CDU/CSU]: Wenn man das „Kapital"
mit werden Sie dem Mittelstand nicht gerecht.
von vorn bis hinten liest!)
Gerade der Mittelstand garantiert Wettbewerb und
In dieser Angelegenheit muß ich Ihnen vollkommen
Angebotsvielfalt,
widersprechen.
(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wir sind
Ich komme zum Schluß meiner Rede. Als Politiker
können wir nur Rahmenbedingungen setzen. Was hier nicht beim Stammtisch!)
wir brauchen, ist mehr unternehmerische Freiheit auch im Interesse der Verbraucher und des Arbeits-
statt abhängige Beschäftigung, mehr ungehinderte marktes. Diese Dynamik gilt es zu erhalten und zu
Kreativität statt hingenommene Routine, mehr fördern. Die Schaffung der dazu notwendigen Rah-
Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung. menbedingungen war und ist das Ziel der CDU/
Vielen Dank. CSU-Bundestagsfraktion, und das seit Erhard.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU)
Hierbei geht es nicht um Subventionen, sondern -
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile zu Frau Kollegin Wöhrl hat es eben angesprochen - um
einer Kurzintervention das Wo rt dem Abgeordneten den nötigen Freiraum zur unternehmerischen Entfal-
Köhne. tung. Mehr will der Mittelständler doch gar nicht.
Hier spielt aber die Finanz- und Steuerpolitik eine
Rolf Köhne (PDS): Frau Kollegin, ich möchte Ihnen wesentliche Rolle. Deshalb lassen Sie mich einige
sagen, daß ich als Geschäftsführer eines Ingenieur- Aspekte zu diesem Komplex anführen. Uns Mittel-
büros sehr wohl weiß, worüber ich rede. Ich könnte ständlern sind nämlich Fakten lieber als soziologi-
Ihnen aus den Erfahrungen in meinem Bet rieb nach- sche Phrasen, Herr Sperling. Ich frage Sie in diesem
weisen, wie die Großindustrie vorgeht. Ich kann das Zusammenhang nur: Warum ist denn Ihr wirtschafts-
-
allerdings hier nicht öffentlich tun, weil das be- politischer Sprecher Jens weggelaufen? Warum hat
stimmte Firmen betreffen würde und es insofern eine er das Handtuch geschmissen?
heikle Sache wäre. Aber ich kann Ihnen diesen
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat er
Nachweis führen.
recht!)
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Vielleicht
Ich will Ihnen eine der Nagelproben nennen. Der
wirft Ihr Büro einmal einen Anzug ab!)
Einkommensteuerhöchstsatz für gewerbliche Ein-
künfte wurde von 53 % auf 47 % gesenkt. Der Kör-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin perschaftsteuersatz für eingehaltene Gewinne wurde
Wöhrl, Sie haben die Möglichkeit zu antworten. - Da von 50 % auf 45 % reduziert. Hier haben Sie doch
4566 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Wolfgang Schulhoff
blockiert. Hier haben Sie doch wieder mit den alten teuren Steuerberater Jahr für Jahr leisten kann. Ich
Vorurteilen aufgewartet. Damit haben wir nämlich will nichts gegen Steuerberater sagen, aber sie wer-
den leistungsfreundlichsten Einkommensteuertarif den schon durch unsere Steuerpolitik hinreichend
seit Bestehen der Bundesrepublik geschaffen. beschäftigt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sechstens werden die Investitionszulagen - dar-
über haben wir eben gesprochen - von 5 % in den
Es sollte natürlich klar sein, daß dies nicht das neuen Ländern für das verarbeitende Gewerbe und
Ende der Fahnenstange ist. Hier werden Sie gefragt, von 10 % für den Mittelstand bis Ende 1998 verlän-
Herr Kollege, und hier können Sie die Nagelprobe gert, teilweise gegen den Widerstand der sozialde-
auf Ihr mittelständisches Bekenntnis abgeben. mokratischen Ministerpräsidenten.
Über die Eigenkapitalhilfeförderung hat meine (Ing ri d Matthäus-Maier [SPD]: Nein, das ist
Kollegin Wöhrl gesprochen. Ich darf in diesem Zu- nicht wahr!)
sammenhang nur die Ansparabschreibung erwäh-
nen. Daneben wurden noch weitere Verbesserungen - Liebe Frau Matthäus-Maier, Sie wissen doch selber,
- auf das Konkrete kommt es nämlich an - für Klein- daß die Bundestagsfraktion in den Kompromißver-
und Mittelbetriebe geschaffen: erstens die Erhöhung handlungen gar nichts zu sagen hatte. Das wurde
des Freibetrages bei der Gewerbeertragsteuer, zwei- doch ausschließlich von den Ministerpräsidenten ge-
tens die Senkung und Staffelung der Gewerbesteu- macht. Die haben das Heft des Handelns in die H and
ermeßzahl, drittens die Erhöhung des Freibetrages genommen, und Sie haben geschwiegen. Von Ihrem
für betriebliche Vermögen- und Gewerbekapital- Konzept ist nichts durchgesetzt worden.
steuer und viertens die Verbesserung der steuerli- (Ing ri d Matthäus-Maier [SPD]: Wir haben
chen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen Anträge gestellt!)
der Selbständigen.
- Ja, Sie haben Anträge gestellt, natürlich. Wir ken-
Ein wichtiger Eckpfeiler der steuerpolitischen Er- nen das. Aber Sie haben sich in keiner Weise durch-
leichterung auch für den Mittelstand ist zweifellos setzen können.
das Jahressteuergesetz 1996. Leider ist es uns nicht
gelungen, die SPD von der Notwendigkeit der Ab- Siebtens wird die bet riebliche Vermögensteuer in
schaffung der Gewerbekapitalsteuer zu überzeugen. den neuen Ländern bis 1998 weiterhin ausgesetzt.
Ich kann nur hoffen, daß die Opposition ihre Blocka- Die Intention des Bundesverfassungsgerichts bei
dehaltung im Interesse des Wi rtschaftsstando rtes seiner jüngsten Entscheidung zu den Einheitswerten
Deutschland jetzt aufgibt. begrüßen wir auch aus mittelstandspolitischer Sicht
ausdrücklich. Sie ist gleichzeitig Bestätigung unserer
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Politik, den Mittelstand nicht zu schwächen. Dies gilt
Auch hier, Herr Schwanhold, können Sie sich be- gerade für den Generationenwechsel. Daher müssen
währen. Vorschriften geschaffen werden - das wird jetzt un-
sere Arbeit sein, und das wird für Sie wieder eine Be-
(Ernst Schwanhold [SPD]: Ich habe Ihnen währungsprobe sein -, die den Übergang eines Be-
doch die Bedingungen gesagt! - E rnst triebes auf einen Erben von der Besteuerung ausneh-
Hinsken [CDU/CSU]: Kollege Müller hat men.
einige gute Sätze gesagt!)
(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist
- Die Bedingungen sind hervorragend. Das ist doch eine Bewährungsprobe für Sie!)
nur eine Blockadehaltung, eine Verkrustung bei Ih-
Eine steuerliche Freistellung sollte zumindest das zur
nen.
Fortführung des Betriebes betrieblich notwendige
Trotz hartnäckiger Widerstände der Opposition ist Vermögen erfassen. Auch da dürften wir uns einig
es der Koalition mit dem Jahressteuergesetz 1996 ge- sein.
lungen, eine Reihe wichtiger Neuregelungen durch- Ich kann zum Schluß die Opposition nur herzlich
zusetzen. Im einzelnen wären anzuführen: Erstens bitten, endlich den ersten Schritt in die finanzpoliti-
die Generationenbrücke, d. h. die steuerlich verbes- sche Realität zu tun, damit der Mittelstand als wich-
serte Möglichkeit zur Weiterleitung von Bet rieben an tige Stütze des Wirtschaftsstando rtes Deutschland
die nächste Generation; zweitens die Möglichkeit zur seine Leistungsfähigkeit behält. Lippenbekenntnisse
Stundung der Erbschaft- und Schenkungsteuer; drit- genügen nicht.
tens die Einführung eines Bewertungsabschlages
von 25 % für das Betriebsvermögen oberhalb des Ich danke Ihnen herzlich.
Freibetrages von 500 000 DM. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Viertens gelten der Bewertungsabschlag und der
Freibetrag von 500 000 DM künftig auch für die An- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es liegen keine
teile an Kapitalgesellschaften. weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aus-
sprache.
Fünftens sind anzuführen die Maßnahmen zur
Steuervereinfachung, die im einzelnen hier gar nicht Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor-
aufzuführen sind, die aber ganz wichtig gerade für lagen auf den Drucksachen 13/2095, 13/2344 und 13/
den mittelständischen Bereich sind, der sich keinen 2363 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4567
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
schüsse vor. Die Vorlagen auf den Drucksachen 13/ lungsverfahren haben wir die entscheidenden Hür-
2344 und 13/2363 sollen zusätzlich an den Ausschuß den für das Jahressteuergesetz 1996 überwunden. Es
für Fremdenverkehr und Tourismus überwiesen wer- wird heute im Bundestag verabschiedet.
den. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und
höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überwei- Dies ist auch ein besonderer Tag für die Familien.
sungen so beschlossen. Mit den Änderungen im Grundgesetz und im Finanz-
ausgleichsgesetz wird der neue Familienleistungs-
ausgleich auf den Weg gebracht. Durch das Jahres-
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6a und 6 b auf:
steuergesetz 1996 werden insgesamt Nettoentlastun-
a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- gen von 19 Milliarden DM wirksam. Insbesondere
tionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen wer-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- den durch die Neuregelung des Existenzminimums
rung des Grundgesetzes mit 15,5 Milliarden DM entlastet. Die Familien erhal-
ten ab 1996 7 Milliarden DM und ab 1997 weitere
- Drucksache 13/2245 - 4 Milliarden DM mehr. Besondere Vorteile hat die
(Erste Beratung 50. Sitzung) Neuregelung für kinderreiche Familien und Familien
mit kleinen und mittleren Einkommen.
Beschlußempfehlung und Be ri cht des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuß) Um manchem bewußt konstruierten Beispiel, mit
dem das in der Öffentlichkeit in Frage gestellt wird,
- Drucksache 13/2373 - den Wind aus den Segeln zu nehmen, will ich einmal
Berichterstattung: das Beispiel einer Durchschnittsfamilie hier darstel-
Abgeordnete Dr. Susanne Tiemann len. Eine Familie mit Durchschnittseinkommen und
Dr. Herta Däubler-Gmelin zwei Kindern hat ab 1. Januar 1996 Monat für Monat
230 DM mehr Geld in der Tasche, und 1997 kommen
b) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- noch einmal 50 DM im Monat dazu. Das ist ein ge-
tionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- waltiger Schritt beim Familienleistungsausgleich.
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Finanzausgleichsgesetzes (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Peter Dreßen [SPD]: Das haben Sie uns zu
- Drucksache 13/2246 - verdanken!)
(Erste Beratung 50. Sitzung) Addiert man die Entlastung der Haushalte durch
aa) Beschlußempfehlung und Be ri cht des Fi den Wegfall des Kohlepfennigs, der sich bei jeder
nanzausschusses (7. Ausschuß) Stromrechnung bemerkbar macht, wird das verfüg-
bare Einkommen der Familien 1996 deutlich steigen.
- Drucksache 13/2368 - Damit wird auch ein wichtiger Impuls für den priva-
ten Verbrauch gegeben. Neben weiterhin guten Ex-
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela F ri ck portdaten und einer dynamischen Investitionstätig-
keit wird somit der Konjunktur 1996 weiterer Schub
Volker Kröning
Christine Scheel verliehen.
Gunnar Uldall Daneben haben wir im Jahressteuergesetz 1996
bb) Be ri cht des Haushaltsausschusses (8. Aus- die Steuervereinfachung vorangebracht und die In-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung vestitionsförderung für die neuen Länder zielgerich-
tet weiterentwickelt und verlängert.
- Drucksache 13/2376 -
Heute wird ein wichtiger steuerpolitischer Bau-
Berichterstattung: stein in unsere symmet ri sche Finanzpolitik einge-
Abgeordnete Oswald Metzger fügt.
Dankward Buwitt
Karl Diller Meine Damen und Herren, die Familie ist und
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) bleibt eine zentrale Aufgabe unserer Politik. Kinder
sichern unsere Zukunft. Gerade in einer Zeit, in der
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die es oft an Orientierung fehlt, ist die Familie als die Ba-
gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - sis der Persönlichkeitsentwicklung, der Vermittlung
Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das von Kultur und unserer Ethik unverzichtbarer denn
so beschlossen. je. In Familien erfahren Alt und Jung Geborgenheit
-
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die und Zuwendung. Damit leisten die Familien für die
Aussprache über den Entwurf zur Änderung des Gesellschaft einen Zukunftsbeitrag, der unersetzlich
Grundgesetzes namentlich abstimmen werden. ist und auch nicht auf andere Institutionen übertra-
gen werden kann.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Bun-
desfinanzminister Dr. Theo Waigel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Roland Kohn [F.D.P.])
Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Der von mir sehr verehrte Münchener Philosoph
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist Spaemann hat dies einmal die „Freundschaft zwi
ein wichtiger Tag für die Steuerpolitik. Im Vermitt schen den Generationen" genannt. Das ist eigentlich
4568 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Bundesminister Dr. Theodor Waigel


die Grundlage unserer Gesellschaftspolitik, die weit Ich glaube, es ist notwendig, um den Familienlei-
in den Staat hineinreicht. stungsausgleich insgesamt voranzubringen. Deshalb
können wir damit leben, auch wenn immer neue Er-
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Richtig!) gänzungen des Grundgesetzes es nicht gerade zu ei-
ner staatsrechtlichen Schönheitsgalerie werden las-
Daraus folgt die Verpflichtung der Politik, für die sen.
Familien einzutreten und sie zu fördern. Wir haben
die familienpolitischen Leistungen seit 1982 glatt ver- (Beifall bei der CDU/CSU)
doppelt, auf mehr als 60 Milliarden DM, die neuen
Beschlüsse nicht einmal eingerechnet. Das Kinder- Diese Ergänzung verpflichtet den Gesetzgeber, bei
geld für das erste und zweite Kind wird 1996 jeweils der Festsetzung des Beteiligungsverhältnisses an
200 DM im Monat betragen und steigt mit Wirkung der Umsatzsteuer die sich durch den neuen Fami-
ab 1997 auf jeweils 220 DM im Monat. Für das dritte lienleistungsausgleich ergebenden Steuerminderein-
Kind wird es ab 1996 300 DM im Monat und für das nahmen der Länder auszugleichen. Hierdurch wird
vierte und jedes weitere Kind 350 DM im Monat ge- die verfassungsrechtliche Voraussetzung für die dau-
ben. Es gibt also kein „Einheitskindergeld"; kinder- erhafte Fortführung des bisherigen Lastenteilungs-
reiche Familien werden noch besonders gefördert. verhältnisses durch die entsprechenden Regelungen
im Finanzausgleichsgesetz geschaffen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Durch die Änderungen des Finanzausgleichsgeset-
Der Kinderfreibetrag wird von bisher 4 104 DM zes erhalten die Länder zum Ausgleich ihrer Ausfälle
1996 auf 6 264 DM und ab 1997 auf 6 912 DM ange- bei der Lohn- und Einkommensteuer durch den Fa-
hoben. milienleistungsausgleich 1996 und 1997 zusätzlich
5,5 Umsatzsteuerpunkte. Dies entspricht 1996 13,8
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Steigerung und 1997 14,5 Milliarden DM. Die 5,5 zusätzlichen
über 50 %!) Umsatzsteuerpunkte 1996 und 1997 garantieren die
Lastenteilung von 74 : 26, da sie dem Durchschnitt
Damit wird das Existenzminimum vollständig von der Belastungsverschiebung in diesen beiden Jahren
der Besteuerung befreit. entsprechen. Der neue Anteil der Länder an der Um-
satzsteuer beträgt dementsprechend 1996 und 1997
Im laufenden Jahr wird das Kindergeld gezahlt. 49,5 v. H. und der des Bundes 50,5 v. H. des Umsatz-
Ein Kinderfreibetrag wird abgezogen, wenn die ge- steueraufkommens.
botene Steuerfreistellung durch das Kindergeld nicht
in vollem Umfang bewirkt wird. Ob das der Fall ist, Bund und Länder sind verpflichtet, Mitte 1997 Ver-
stellt das Finanzamt bei der Veranlagung zur Ein- handlungen über die zeitgerechte Anpassung dieses
kommensteuer von Amts wegen fest. Ist ein Kinder- Prozentsatzes ab 1998 aufzunehmen, damit auch
freibetrag abzuziehen, wird das erhaltene Kinder- weiterhin das Lastentragungsverhältnis sicherge-
geld verrechnet. Die bewäh rten strukturellen Ele- stellt ist. Damit soll der Dynamik der Umsatzsteuer
mente des dualen Systems - Kindergeld und Kinder- und einer Änderung bei der Bevölkerungsstruktur
freibetrag - haben so auch im neuen Familienlei- Rechnung getragen werden.
stungsausgleich Bestand.
Wichtig ist: Die Länder haben sich verpflichtet, den
Verantwortlich für die Durchführung des Familien- Gemeinden die Steuerausfälle durch die Neurege-
leistungsausgleichs ist künftig die Bundesfinanzver- lung des Familienleistungsausgleichs fair und voll
waltung. Die bisherigen Kindergeldkassen bei der auszugleichen. Wir alle miteinander werden auf-
Bundesanstalt für Arbeit werden zu Familienkassen merksam darüber wachen, daß dies erfolgt. Die glei-
und zu Organen der Bundesfinanzverwaltung. che Fairneß, die der Bund den Ländern entgegen-
bringt, verlangen wir von den Ländern den Kommu-
Die von der Koalition angestrebte Systemumstel- nen gegenüber.
lung auf das steuerrechtliche Optionsmodell und die
Verbesserungen beim Familienleistungsausgleich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so
waren von Anfang an mit der Zusage an die Länder wie bei Abgeordneten der SPD)
verbunden, für die daraus resultierenden Lastenver-
schiebungen einen fairen, vollen Ausgleich zu ge- - Sehen Sie, meine Damen und Herren, ich lese
währen. Im Vermittlungsausschuß haben wir uns auf heute in einer Zeitung, an mir hätte sich die Frau
die dauerhafte Absicherung des bisherigen Lasten- Matthäus-Maier die Zähne ausgebissen. Sie hat mir
teilungsverhältnisses von 74 : 26 beim Familienlei- Beifall geklatscht und hat mich noch nie gebissen.
stungsausgleich geeinigt. Dies erfolgt durch die Er- Ich wollte das nur zur Sprache bringen, um solche -
gänzung des Art . 106 des Grundgesetzes. Falschmeldungen auch in einer so ernsten Debatte
ganz entschieden zu widerlegen.
Man kann darüber streiten, ob es schön und wün-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Ing ri d
schenswert ist, daß eine solche Frage im Grundge- Matthäus-Maier [SPD]: Dann müßte ich
setz geregelt wird. Es war die unabdingbare Voraus- meine dritten Zähne nehmen!)
setzung für die Zustimmung der Länder, und darum
macht es auch gar keinen Sinn, darüber noch lange - Jetzt habe ich Sie gerade in Schutz genommen,
Diskussionen zu führen. jetzt fangen Sie schon wieder an.
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4569
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Weitere Aufgaben in der Steuerpolitik warten auf Sie erinnern sich: Der eine Fehler war der Tarif-
uns. Wir werden einen Vorschlag zur Neuregelung buckel, d. h. also eine sehr starke Steuerbelastung
der einheitswertabhängigen Steuern vorlegen. Am von geringen Einkommen. Der zweite Fehler war -
besten - ich sage das nochmals - wäre ein Verzicht das ist völlig vergessen - eine sehr hohe Steuersen-
auf die Vermögensteuer. kung für Spitzenverdiener. Das stand noch im De-
zember letzten Jahres im Entwurf von Herrn Waigel.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Danach sollten Spitzenverdiener mit 667 DM oder
Aber ich will natürlich hören, was die Länder, die 1,7 % ihrer Steuerschuld viermal so stark entlastet
sich in einer Arbeitsgruppe damit beschäftigen, sa- werden wie Durchschnittsverdiener, die nur 170 DM,
gen. Wenn dies damit finanziert werden sollte, zu- gleich 1,3 % ihrer Steuerschuld, als Steuersenkung
sätzliche Umsatzsteuerpunkte auf unsere Kosten, zu erhalten sollten.
Lasten des Bundes zu bekommen, dann kann dies
natürlich keine Lösung sein. Das Ergebnis ist jetzt: Wir haben durchgesetzt, daß
der Grundfreibetrag in Stufen auf 13 000 DM bzw.
Demnächst werden wir auch die Beratungen zur bei Verheirateten auf 26 000 DM steigt und daß die
Unternehmensteuerreform wiederaufnehmen. Die Entlastung ausschließlich auf kleinere und mittlere
sich nach verschiedenen öffentlichen Äußerungen Einkommen konzentriert wird.
der Opposition abzeichnende Gemeinsamkeit stimmt
mich optimistisch, zu einer überzeugenden Lösung Ich will nicht verhehlen, daß es mir sehr mißfällt,
für die Gewerbesteuer und die damit verbundene daß wir bei der Stufenlösung im Jahre 1998 keine Er-
Gemeindefinanzreform zu kommen, auch wenn die höhung des Grundfreibetrags bekommen. Ich wi ll
finanz- und wirtschaftspolitische Kompetenz und auchnitverl,dßasfüeinvr-
Richtung der Opposition innerparteilich unterschied- sungsrechtliches Risiko halte. Aber wenn ich die
lich beurteilt wird. Ausgangslage des Regierungsentwurfs mit den For-
Ich glaube, ich habe mich sehr vorsichtig ausge- derungen der SPD vergleiche, dann ist angesichts
drückt, um dieser Debatte jede Schärfe zu nehmen. der höchsten Steuer- und Abgabenbelastung, die
Aber die Objektivität und die Tatsache, daß ich auf diese Bundesregierung den Menschen in diesem
die Wahrheit vereidigt bin, Lande auferlegt hat, das Ergebnis beim Grundfreibe-
trag insgesamt ein Erfolg, mit dem wir zufrieden
(Heiterkeit bei der CDU/CSU) sind, meine Damen und Herren.
zwingen mich, auch diesen Satz in die Debatte einzu-
(Beifall bei der SPD)
führen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erfolg Nummer 2: Kindergeld. Wie war die Aus-
gangslage? Die SPD forde rte 250 DM Kindergeld
Meine Damen und Herren, ich hoffe auf die Kraft vom ersten Kind an für alle Kinder und keinen Kin-
guter Argumente, die Vernunft und die gemeinsame derfreibetrag mehr. Demgegenüber haben Sie, Herr
Verantwortung für die Zukunft des Standorts Waigel, noch im Februar dieses Jahres darauf be-
Deutschland. harrt, nur 20 DM beim Zweitkindergeld dazuzulegen
Vielen Dank. und überhaupt nichts hinsichtlich der Verbesserung
des Erstkindergeldes zu tun, es also bei 70 DM zu be-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lassen.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der Wenn ich mir dann das Ergebnis anschaue -
Abgeordneten Ing rid Matthäus-Maier das Wo rt . 200 DM Kindergeld für das erste und für das zweite
Kind statt der von Ihnen geforderten 70 DM -, dann
ist das ein sehr großer Erfolg.
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Jah- (Beifall bei der SPD)
ressteuergesetz 1996 ist ein geradezu klassischer
Kompromiß. Keine Seite im Vermittlungsausschuß
Übrigens, der Kinderfreibetrag bei der Steuer, der
konnte ihre Ziele voll erreichen. Wenn ich mir aber
leider bestehenbleibt - wir sind ja für ein einheitli-
die Ausgangslage anschaue, dann bin ich damit zu-
ches System gewesen -, gilt dann nur noch für 5 %
frieden, was wir Ihnen von der Koalition alles abrin-
aller Steuerzahler; das heißt, für die große Masse gibt
gen konnten, obwohl es sicher noch eine Menge
es kein duales System mehr, sondern ein klares,
gibt, was wünschenswert wäre, aber nicht durchge-
durchschaubares, überzeugendes Kindergeld.
setzt werden konnte.
Lassen Sie es mich an einigen Beispielen deutlich Herr Waigel, Sie haben heute morgen wieder ge-
machen. Erfolg Nummer eins: steuerfreies Existenz- sagt - es fällt mir auf, daß Sie das ständig wieder-
minimum. Die Ausgangslage war: Die SPD forde rte holen -, aus der Tatsache, daß von uns ein Kinder-
eine Erhöhung des Grundfreibetrages auf 13 000 DM geld von 250 DM für alle vorgesehen gewesen sei,
bzw. bei Verheirateten 26 000 DM. Der Entwurf der Sie aber - mit unseren Stimmen! - 300 DM für das
Regierung sah vor, den Grundfreibetrag ganz abzu- dritte Kind durchgesetzt hätten, sei zu schließen,
schaffen und ihn statt dessen durch eine außertarifli- die SPD sei gegen die Mehrkinderfamilie. Ich darf
che Grundentlastung mit zwei Fehlern zu ersetzen. Sie darauf aufmerksam machen, daß jede Drei-Kin-
4570 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Ingrid Matthäus-Maier
der-Fami li e auch ein erstes und ein zweites Kind Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Verehrte Frau Kol-
hat. legin Matthäus-Maier, weil es die letzte parlamenta-
rische Auseinandersetzung in diesem Zusammen-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Heiter hang ist, möchte ich Sie doch noch einmal fragen, ob
keit bei der CDU/CSU - Ernst Hinsken Sie mir zustimmen, daß das ursprünglich von der
[CDU/CSU]: Die Frau hat ja rechnen ge SPD vorgelegte Modell - einheitliches Kindergeld in
lernt!) Höhe von 250 DM - eindeutig nicht verfassungsge-
- Ja, eben! mäß war.
(Detlev von Larcher [SPD]: Immer diese al-
Das muß ich aber so erläutern, weil Herr Waigel
ten Hüte!)
dann nämlich folgendes einsehen muß: Da nach un-
serem Vorschlag das erste Kind 250 DM, das zweite - Es scheint mir wichtig zu sein, diese Frage zu klä-
250 DM und das dritte auch 250 DM bekommen ren. Die SPD konnte sich mit diesem Modell nicht
hätte, wären das immerhin 50 DM mehr als das, was durchsetzen, weil es der Verfassung nicht entsprach.
Sie heute als Kindergeld für drei Kinder vorgesehen Wir haben jetzt ein Modell, das a) der Verfassung
haben, meine Damen und Herren. entspricht und das b) der besonderen Lage der Fami-
lien durch ein gestaffeltes Kindergeld stärker gerecht
(Beifall bei der SPD - Ernst Hinsken [CDU/ wird. Stimmen Sie mir in diesen Punkten zu?
CSU]: Das ist eine Milchmädchenrech
nung!)
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Repnik, ich
- Das ist überhaupt keine Milchmädchenrechnung. stimme Ihnen auf keinen Fall zu.
Oder haben Sie schon einmal eine Vier-Kinder-Fami-
lie gesehen, die kein erstes und kein zweites Kind (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das darf doch
hat, Herr Hinsken? Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen nicht sein!)
zu Hause ist. Ich habe zwar nur zwei, aber ich weiß, Das wissen Sie auch, zumal wir über diese Frage im
wenn ich ein drittes hätte, hätte ich trotzdem die bei- Bundestag x-mal gestritten haben.
den ersten behalten.
Ich kenne die Urteile des Bundesverfassungsge-
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dann seien Ih richts zum Familienlastenausgleich - vielleicht auch
nen die 250 DM auch gegönnt!) verschiedene von Ihnen, weil wir sie hier umsetzen -
fast auswendig. Für mich besteht überhaupt kein
Ich darf Sie außerdem darauf aufmerksam machen, Zweifel daran, daß wir über ein einheitliches Kinder-
daß ich sehr überrascht bin, daß Herr Repnik in der geld und ohne duales System eine verfassungsge-
Haushaltsdebatte vor zwei Wochen den - so darf ich mäße Regelung selbstverständlich hätten herbeifüh-
einmal sagen - geradezu verzweifelten oder fast ren können.
schon komischen Versuch unternommen hat,
(Zuruf von der F.D.P.: Aber nicht ohne
(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Aber Rücksicht auf die Höhe!)
es war eine gute Debatte!)
Ich wundere mich übrigens, daß Sie das hier sa-
gerade die Kindergelderhöhung als großen Erfolg gen. Noch vor ungefähr einem halben Jahr hat der
der CDU/CSU darzustellen. Die Bürgerinnen und Kollege Staatssekretär Faltlhauser in einer Debatte
Bürger erinnern sich sehr gut daran, daß nicht nur im im Deutschen Bundestag, an der ich teilgenommen
Bundestagswahlkampf 1994, in dem die Forderung habe, gesagt, er hielte 250 DM nicht für verfassungs-
nach 250 DM Kindergeld vom ersten Kind an eine gemäß, aber 267 DM. Herrgott, soll alles an den
unserer Schwerpunktforderungen war, sondern auch 17 DM liegen? Die 267 DM könnten Sie gern mit uns
in vielen Debatten in diesem Hause meine Kollegin- gemeinsam im Deutschen Bundestag durchsetzen.
nen und ich darauf aufmerksam gemacht haben, daß
wir dieses Kindergeldmodell wollen. (Beifall bei der SPD)

Herr Waigel, wir stimmen ja heute gemeinsam ab, Das ist verfassungsgemäß. Das ist gerecht. Das ist
deswegen bin ich friedlich gesonnen, aber ich gut für die Familien mit Kindern. Wir könnten das
könnte Zitate von Ihnen, von Frau Rönsch, von Frau hier gemeinsam beschließen.
Nolte, sogar vom Bundeskanzler vorlegen, aus denen Meine Damen und Herren, daß wir uns hier durch-
hervorgeht, daß Sie von unserem Modell nichts ge- gesetzt haben und daß Sie versuchen, das gerade
halten haben. Daß Sie heute weitgehend auf unser beim Kindergeld auf Ihre Mühlen zu leiten, ist wirk-
Modell eingeschwenkt sind, freut uns, meine Damen lich ein bißchen daneben. Das sieht man daran, daß -
und Herren. das „Handelsblatt" gerade über diesen Teil des Jah-
ressteuergesetzes schreibt, es handele sich um eine
(Beifall bei der SPD) „Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik" . Das
„Handelsblatt" ist damit näher an der Wahrheit als
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin Sie.
Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Beifall bei der SPD)
des Kollegen Repnik?
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Mat-
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Ja. thäus-Maier, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4571

Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Ja. schließen es Gott sei Dank heute, eine Alleinerzie-
hende mit einem Kind und einem Brutto-Jahresein-
kommen von 36 000 DM um 119 DM im Monat entla-
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) (CDU/ stet, im Jahr also insgesamt um 1 428 DM. Im Jahr
CSU): Frau Kollegin, teilen Sie die Meinung Ihrer darauf steigt die Entlastung für diese Steuerzahlerin
früheren Kollegin, der jetzigen Ministerpräsidentin sogar auf 1 730 DM.
von Schleswig-Holstein, daß sich die SPD mit ihrer
Forderung nach 250 DM Kindergeld verrechnet hat Meine Damen und Herren, nachdem wir gestern
und daß sie den Bürgern endlich reinen Wein ein- noch einmal in der Zeitung lesen konnten, daß die
schenken muß, daß diese Forderung nicht finanzier- Konjunktur auch deswegen lahmt, weil die Men-
bar ist? schen zu wenig kaufen können, und dies deshalb,
weil durch die Politik dieser Bundesregierung die
Steuer- und Abgabenbelastung so hoch ist, daß ih-
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Nein, Herr Kollege nen zu wenig im Po rt emonnaie verbleibt, um einkau-
Hauser, diese Meinung von Frau Simonis teile ich fen zu können, ist diese Steuerentlastung auch kon-
nicht. Warum? Frau Simonis hat bei ihrer Äußerung junkturell ein wichtiger Schritt.
vergessen - bewußt oder unbewußt; ich weiß es
(Beifall bei der SPD)
nicht, denn ich habe mit ihr nicht darüber gespro-
chen -, daß wir als sozialdemokratische Bundestags- Dritter Punkt: Wir bleiben bei unserem Ziel von
fraktion ausdrücklich einen Finanzierungsvorschlag 250 DM und werden auch versuchen, das in Zukunft
beigelegt hatten. Den hatte ich in meiner heutigen durchzusetzen. Ich bin aber der Ansicht, die Förde-
Rede gar nicht vorgesehen; denn wenn ich vom Ehe- rung von Familien mit Kindern ist nicht allein eine
gattensplitting rede, fangen Sie immer an zu Frage des Geldes. In diesen Tagen, gerade gestern,
schreien, weil Ihnen das unangenehm ist. ist der von der UNO ausgerufene Weltkindertag ge-
wesen. Nun kann man darüber diskutieren, ob der
Aber wenn Sie mich schon danach fragen, dann
Kinderschutzbund mit seinen Zahlen recht hat. Der
darf ich dem Publikum doch bitte vortragen: Wir hat-
Kinderschutzbund redet davon, zwei Millionen Kin-
ten zur Finanzierung der restlichen 30 DM - ich muß
der lebten in Armut. Ich habe bei einigen Kollegin-
hinzufügen, worauf ich stolz bin, daß wir für 1997
nen und Kollegen gelesen, die sagen, das stimme
eine Anhebung auf 220 DM Kindergeld vom ersten
überhaupt nicht, es sei „nur" eine Million. Meine Da-
Kind an durchgesetzt haben; das ist ein wichtiger Er-
men und Herren, wissen Sie, wovon wir da reden,
folg - eine maßvolle Begrenzung des Ehegattensplit- welcher Zynismus dahintersteckt? „Nur" eine Mil-
tings vorgesehen. lion Kinder in Armut - Kinder, von denen wir doch
Herr Hauser, da Sie mir die Gelegenheit geben, wissen, daß sie bei Klassenfahrten nicht mitfahren!
nehmen Sie mir es bitte nicht übel, daß ich den Men- Und wenn man sich dann wundert, warum die immer
schen noch einmal sage: Daß das pure Verheiratet krank sind, wenn die Klassenfahrt stattfindet, dann
sein von Spitzenverdienern, auch wenn sie keine stellt sich heraus, daß die Eltern die Beiträge zur
Kinder haben, einen Steuervorteil von 22 842 DM Klassenfahrt nicht bezahlen können. Nein, meine
bringt, während Otto Normalverbraucher mit 200 DM Damen und Herren, da werden wir mehr tun müssen.
Kindergeld auskommen muß, das ist ein Skandal. Sie Und wir werden auch eine Verkehrspolitik machen
werden sich noch daran erinnern, daß Sie das ändern müssen, mit der es dann nicht mehr so ist, daß wir in
Europa die höchsten Zahlen von Kindertoten im Ver-
müssen.
kehr haben. Und wir werden dann endlich eine
(Beifall bei der SPD - Eduard Oswald Ozonverordnung machen müssen, mit der auch auf
[CDU/CSU]: Diese Aussage werden wir die Umweltbelastung der Kinder stärker Rücksicht
draußen verbreiten!) genommen wird.

- Was heißt „Das werden Sie draußen verbreiten"? (Beifall bei der SPD)
Das haben wir überall erzählt.
Ich will Ihnen nicht verhehlen - ich bin Mutter
Das würde bei etwa 96 000 DM greifen. Auch diese von zwei schulpflichtigen Kindern -: Wir können
Familien hätten noch einen Splittingvorteil. Er würde und müssen nicht nur als Politiker etwas tun, son-
aber nicht mehr bis auf die völlig verrückte Summe dern die Verantwortung geht sehr viel weiter. Ich
von 22 842 DM steigen. las zum Weltkindertag eine Presseerklärung meiner
Kollegin Dorle Marx, darin schreibt sie: In Bayern
Diese beiden wichtigen Erfolge - steuerfreies Exi- wurde vor kurzem eine Malaktion vorgenommen.-
stenzminimum und Kindergeld - führen konkret zu Es wurden 40 000 Bauernhofbilder an Kindergärten
folgendem Beispiel: verteilt, und die Kinder sollten die Bilder ausmalen.
Dabei stellte sich heraus, daß auf einem Drittel der
1996 würde ein Verheirateter mit zwei Kindern zurückgegebenen Bilder die Kühe lila ausgemalt
und einem Brutto-Jahreseinkommen von 60 000 DM waren. Meine Damen und Herren, dazu kann ich
um 2 340 DM entlastet, im Monat immerhin um Ihnen nur sagen: Das können wir als Politiker nicht
195 DM. Im Jahre 1997 würde diese Entlastung, weil ändern. Aber wir müssen hier an die Rundfunkan-
1997 das Kindergeld und das steuerfreie Existenzmi- stalten und auch an die Werbewirtschaft - übrigens
nimum steigen, auf insgesamt 2 950 DM ansteigen. auch an die Eltern - appellieren, verdammt noch
Oder: im Jahre 1996 würde bzw. wird, denn wir be- mal um die Werbeblöcke herum nicht immer noch
4572 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Ingrid Matthäus-Maier
Kinderfilme zu legen! Allerdings ist auch klar: das haben wir uns alle bereit erklärt, das ins Grundge-
Fernsehen ist keine Kinderverwahranstalt. setz zu schreiben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Fünfter Erfolg: Es ist vorgesehen, daß in einzelnen
ten der PDS) wichtigen Bereichen die Wirtschaftsförderung für
Ostdeutschland, die eigentlich 1997 auslaufen sollte,
- Ich wundere mich, daß Sie nicht einmal dazu klat- verlängert wird. Ich begrüße das; denn zweifellos ist
schen können, meine Damen und Herren von der Ko- in Ostdeutschland noch nicht die Situation da, daß
alition! wir eine stetige, selbsttragende Aufwärtsbewegung
haben. Ich will nicht verhehlen, wir Sozialdemokra-
Der dritte Erfolg: Wir werden das Kindergeld ab
ten hätten dort gern etwas mehr eingebracht, insbe-
1. Januar 1996 von der Steuerschuld abziehen. Ich
sondere bei der Sonderabschreibung für den Miet-
halte das für gut, damit auch aus der Sicht der Eltern
wohnungsbau Ost.
gleich eine Verrechnung mit der Steuerschuld er-
folgt. Das heißt, wenn z. B. in einem Büro zwei Ar- Sechster Erfolg: Wir haben einen wichtigen ersten
beitnehmer nebeneinandersitzen, der eine hat keine Schritt beim Subventionsabbau getan. Ich halte es
Kinder und der andere hat zwei, dann zahlt der mit für das Wichtigste, obwohl es nicht sehr viel Geld
den zwei Kindern gleich 400 Mark weniger Lohn- bringt, dennoch ist es ein wichtiges Signal, daß wir
steuer, denn seine Lohnsteuer wird mit dem Kinder- die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern
geld, das ihm zusteht, verrechnet. abbauen.
Das ist noch keine echte Finanzamtslösung, wie (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
wir sie wünschen, aber es ist ein erster Einstieg. Es
Das ist ein Beispiel, über das wir in diesem Bundes-
wird mit Sicherheit Übergangsprobleme bei der Ver-
tag monate-, ja jahrelang gestritten haben. Ich frage
waltung geben. Das darf aber kein Grund sein, in Zu-
Sie einfach: Wo sind denn die Kolleginnen und Kolle-
kunft nicht weiter auf die Finanzamtslösung zuzu-
gen bei Ihnen abgeblieben, die uns in den vielen De-
steuern.
batten mit Häme und Spott überzogen haben, als wir
(Beifall bei der SPD) noch im Sommer 1995 gefordert haben, die steuerli-
che Absetzbarkeit von Schmiergeldern abzuschaf-
Wir haben gemeinsam in diesem Gesetz vorgese- fen. Sie sollten sich alle miteinander schämen, daß es
hen, daß Arbeitgeber mit bis zu 50 Arbeitnehmern so lange gedauert hat, bis Sie dem zugestimmt ha-
sich entscheiden können, ob sie das Kindergeld ben.
gleich mit der Lohnsteuer ihrer Arbeitnehmer ver-
rechnen, oder ob ihre Arbeitnehmer es weiter über (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
die Kinderkasse bekommen. DIE GRÜNEN - Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/
CSU]: Sollen wir uns in die Ecke stellen?)
Es ist gut, daß sie das Recht zu wählen haben.
Das kann nur ein erster Schritt sein. Wir müssen
Aber ich glaube, kluge Arbeitgeber, auch wenn sie
auch dafür sorgen, daß das im internationalen Be-
unter 50 Arbeitnehmer haben, sollten prüfen, ob es
reich bei Zahlungen von Schmiergeldern im Ausland
nicht der bessere Weg ist, gleich eine Verrechnung
zurückgeführt wird. Wir haben dazu im Vermitt-
mit der Lohnsteuerschuld vorzunehmen; denn ihre
lungsausschuß folgendes vereinbart:
Arbeitnehmer haben dann, wenn sie Kinder haben,
ein deutlich höheres Nettoeinkommen, und das Zusätzlich zu der Beschlußempfehlung über das
würde auch zum Betriebsfrieden beitragen. Verbot des steuerlichen Abzugs von inländischen
Zuwendungen bei Korruption wird sich die Bun-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne desregierung auch auf internationaler Ebene,
ten der F.D.P.) z. B. der OECD, für entsprechende Regelungen
Vierter Erfolg: Wir haben eine faire Finanzierung einsetzen und konstruktiv mitarbeiten.
zwischen Bund und Ländern vereinbart. Ich kann Meine Damen und Herren von der Regierung, wir
dem Bundesfinanzminister zustimmen, die bisherige Sozialdemokraten werden peinlich genau darauf
Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern von achten, ob Sie wirklich auf internationaler Ebene
74 % zu 26 % wird abgesichert. Daß das im Grundge- konstruktiv daran mitarbeiten. Bisher haben Sie das
setz geschieht, macht mir Bauchschmerzen. Ich will nicht getan, im Gegenteil:
das nicht verhehlen.
(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist
(Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]) doch nicht wahr! Das ist doch unglaublich!)
Solche Finanzausgleichsregelungen im Grundge- Die Schweizer und die Amerikaner waren in dieser -
setz machen die Verfassung dieses Landes unüber- Frage sehr viel weitergehender als wir. Wir erwarten
sichtlich. Ich hätte das lieber anders geregelt. von Ihnen, daß Sie wirklich dafür sorgen, daß die in-
ternationale Korruption auf diese Weise zurückge-
(Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]) drängt wird.
Da aber bei den Ländern berechtigtes Mißtrauen be- (Beifall bei der SPD)
stand, ob der Bund sie in Zukunft nicht über den
Tisch zieht, Der siebte Punkt ist leider nur ein Teilerfolg, aber
immerhin: Wir haben als Sozialdemokraten verlangt,
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Unberechtigt!) daß im Steuer- und Abgabenrecht die ökologische
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4573
Ingrid Matthäus-Maier
Komponente, der Umweltschutz, ein größeres Ge- Steuermoral in diesem Lande und trägt mit dazu bei,
wicht erhält, als es bisher der Fall ist. Wir konnten daß die ehrlichen Steuerzahler sehr viel höhere Steu-
uns diesmal beim Vermittlungsverfahren nicht ern zahlen müßten, weil man, wenn man die Milliar-
durchsetzen, wobei ich noch einmal betone: Wir hat- den hereinholen würde, die Steuern senken könnte.
ten nicht einfach eine Erhöhung von irgendwelchen
Energiesteuern vorgesehen, sondern unser Konzept Meine Damen und Herren, ich bitte Sie darum -
sah und sieht vor, das, was wir durch die Verteue- wissend, Herr Bundesfinanzminister, daß für die
rung der Energie an Mehreinnahmen erzielen, zu Steuereinziehung die Länder zuständig sind und
100 °A) an die Bürger und Wi rt schaft zurückzugeben, nicht der Bund -:
und zwar z. B. durch die Senkung der Arbeitslosen- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Reden
versicherungsbeiträge, durch steuerliche Entlastung Sie doch mit Ihren Länderfinanzministern! -
von energiesparenden Investitionen. Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher
[SPD]: Hören Sie mal zu! Das ist doch ein
Aber immerhin: Nach all den Jahren, in denen wir
guter Vorschlag!)
uns hier nutzlos gezankt haben, haben Sie im Ver-
mittlungsverfahren zugestimmt, daß wir im Herbst Sorgen Sie mit entsprechenden Richtlinien dafür, daß
dieses Jahres über die Weiterentwicklung ökologi- es sich auch für die Länder lohnt, die Steuern einzu-
scher Elemente im Steuersystem beraten. Dabei darf treiben, die ihnen zustehen, daß nicht länger die
sich die Steuer- und Abgabenquote nicht erhöhen. Scheunentore nach Luxemburg offen sind und daß
Ich habe diese Hoffnung, vielleicht sogar die Zuver- wir, wenn wir die Bürger schon mit Steuern belasten,
sicht, nachdem sich aus Ihren Reihen die Stimmen dies mit gutem Gewissen tun können.
mehren, die sagen - nur ein Beispiel -: Es kann doch
nicht stimmen, daß der Autofahrer beim Benzin mit Wir stimmen diesem Gesetz zu.
über 1 DM Mineralölsteuer pro Liter belastet wird, (Beifall bei der SPD)
aber z. B. der Flugverkehr steuerfrei stattfindet. Es
gibt viele Beispiele, bei denen wir gemeinsam han-
deln könnten. Wir fordern Sie auf, bei den Beratun- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Bundesfi-
gen im Herbst wirklich Butter bei die Fische zu tun. nanzminister, ich muß Sie darauf aufmerksam ma-
chen, daß Sie zwar jederzeit reden können, daß aber
Damit komme ich zum letzten Punkt. Wir ändern Zurufe von der Regierungsbank nicht zulässig sind.
heute Gesetze; wir ändern sogar das Grundgesetz.
Es gibt Steuererleichterungen allein im nächsten (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Herr Präsi-
Jahr von 19 Milliarden DM, die dringend nötig sind. dent, unsere Fraktion übernimmt den Zwi-
Aber wir werden mit unseren Steuergesetzen schei- schenruf!)
te rn , wenn es uns nicht gelingt, sie in die Praxis um- Das Wo rt hat der Abgeordnete Rainder Steen-
zusetzen. block.
Ich bin zutiefst darüber beunruhigt, daß in diesem
Lande eine Meinung um sich greift, die da heißt: Der Reinder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ehrliche ist der Dumme. Was müssen die Bürgerin- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ha-
nen und Bürger denn tagtäglich lesen? Der Baulöwe ben gerade erlebt, warum wir in diesem Hause mög-
Schneider rühmt sich, er habe jahrelang überhaupt lichst niemals eine Große Koalition haben sollten.
keine Steuern gezahlt. Herr Flick zieht ins Ausland, Denn wenn man sich anschaut, wie ein schlechter
um seiner Steuerpflicht zu entgehen. Steffi Graf hat Kompromiß von zwei Seiten schöngeredet worden
anscheinend auf 175 Millionen DM Einkommen mal ist, dann ist festzustellen, daß das nicht nur von den
gerade 10 Millionen DM Steuern gezahlt. Obwohl Inhalten, sondern auch von den Formen her, die Poli-
der normale Lohnsteuerzahler jeden Monat durch tik haben müßte, eine höchst problematische Situa-
den Lohnsteuerabzug pingelig zur Kasse gebeten tion ist. Wenn man dann noch in der Lage ist, daß
wird, hat in diesen Fällen über Jahre offensichtlich man nur wenige Minuten Redezeit hat, um gegen
keine Betriebsprüfung stattgefunden. Oder: Die Bun- diese Große Koalition ein paar Argumente anzubrin-
desregierung öffnet die Scheunentore zur Steuerhin- gen - wir haben die Frage der Reform unseres Parla-
terziehung bei der Zinsbesteuerung nach Luxem- ments heute noch auf der Tagesordnung -, dann ist
burg. Die Steuergewerkschaft redet von dreistelligen das schon bedenklich.
Milliardenzahlen. Selbst wenn die Zahlen der Steu-
ergewerkschaft überzogen sein sollten - ich glaube, Gemessen an den Versprechungen, gemessen an
daß die 140 Milliarden DM, die dort genannt worden den Erwartungen, die an dieses Reformwerk gerich-
sind, nicht sehr realistisch sind -, sage ich Ihnen: tet worden sind, gemessen auch an den Anforderun-
Wenn der Bürger dies alles liest und sieht, daß er pro gen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt
zusätzlich verdienter Mark 48 Pfennig Sozialabga- hat, müssen wir feststellen, daß von all diesem ledig-
ben und Steuern bezahlt, dann fangen auch gutwil- lich ein gesetzgeberischer Torso übriggeblieben ist,
lige Bürger an, sich zu überlegen, ob sie weiter alles der Ausdruck vieler verpaßter Reformchancen ist.
versteuern sollten. Verpaßt wurde als erstes die Chance, durch die Fest-
legung des Existenzminimums an den tatsächlichen
Ich kann Ihnen nur sagen: Wer dies weiter so sozialen Erfordernissen ein soziales Signal zu setzen,
schleifen läßt und wer nicht ernsthaft etwas gegen das auch den Anforderungen des Bundesverfas-
Steuerhinterziehung tut - ich habe bei dieser Bun- sungsgerichts entsprochen hätte. Meine Damen und
desregierung da meine Zweifel -, der untergräbt die Herren, Sie alle wissen sehr genau, daß das, was
4574 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Rainder Steenblock
heute als Kompromiß verabschiedet wird, vor dem dieser Gesellschaft eigentlich hätten, zu reduzieren.
Bundesverfassungsgericht wahrscheinlich kaum Be- Peter Graf kann man sicherlich vorwerfen, daß er
stand haben wird, denn die Höhe der Entlastung ist den falschen Steuerberater gehabt hat. Aber ich
so niedrig gewählt worden, daß die Kritik des Bun- glaube, daß es in diesem Staat durchaus legal sein
desverfassungsgerichts im Grunde überhaupt nicht kann, für 175 Millionen DM nur 10 Millionen DM
berücksichtigt worden ist. Steuern zu bezahlen, wenn man einen cleveren
Steuerberater hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir lehnen die Grundgesetzänderung, die heute
Verpaßt wurde die Chance, durch einen gerechten zur Verabschiedung ansteht, insbesondere aus den
Familienlastenausgleich die unwürdige Situation in Gründen ab, die schon angesprochen worden sind.
diesem Land endlich zu beenden, daß dem Staat die Dem Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und
Kinder reicher Eltern anscheinend mehr we rt sind als Kommunen, der schon jetzt ein Flickenteppich ist,
die übrigen Kinder. Wir befinden uns immer noch in wurde ein neuer Flicken hinzugefügt. Die Belastung
der Situation, daß gutverdienende, daß sehr gut ver- der Kommunen, die hier erfolgt, wird in keiner
dienende Eltern für ihre Kinder eine größere Entla- Weise ausgeglichen. 1 Milliarde DM kommt allein
stung erhalten. Das ist skandalös. durch die steuerliche Freistellung des Existenzmini-
mums als zusätzliche Belastung, die an keiner Stelle
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kompensiert wird, auf die Kommunen zu. 4 Milliar-
den DM aus dem Familienlastenausgleich sollen
Groß angekündigt wurde ein Weiteres. Die Bareis
von den Ländern an die Kommunen weitergegeben
Kommission, die sich Gedanken machen sollte, wie werden.
der Subventionsabbau in dieser Gesellschaft im Rah-
men dieses Gesetzes angegangen werden könne, hat Aber ich sage Ihnen: Wir haben die Nase voll von
intensiv gearbeitet. Die Chancen, die sich mit ihrer Selbstverpflichtungserklärungen sowohl von der Au-
Arbeit verbunden haben, sind aber völlig verpaßt tomobilindustrie als auch von der Energieindustrie
worden. Man muß sich nur einmal anhören, was in oder auch von den Bundesländern. Diese Politik er-
der Mittelstandsdebatte für hehre Worte verwendet setzt mit Selbstverpflichtungserklärungen die Steue-
wurden: Wettbewerbsfähigkeit, freies Unternehmer rung und verzichtet auf politische Handlung. Wir hal-
tum, Subventionsabbau, staatliche Eingriffe sollten ten das für falsch.
zurückgedrängt werden. Hier hat eine große Herde
von Löwen mit großem Imponiergehabe gebrüllt. Im (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Herr Fi-
Gegensatz hierzu muß man sich ansehen, was, als es scher sieht es aber anders!)
darum ging, Subventionen tatsächlich abzubauen,
Wir hätten es sehr viel lieber gehabt, wenn tatsäch-
für ein kümmerliches Häuflein von verschreckten
Mäuslein zusammensaß und überhaupt nicht in der lich die Möglichkeit bestanden hätte, durch eine Be-
teiligung der Kommunen an der Einkommensteuer
Lage war, in dieser Sache irgend etwas zu bewirken.
verläßliche Finanzierungsverhältnisse für die Kom-
Sie haben vor den Interessenverbänden auch des
munen zu schaffen. Was für die Kommunen bleibt, ist
Mittelstandes gekuscht. Man muß sich nur einmal
eine sehr hohe Belastung. Sie wissen selber, daß in
ansehen, wer in dieser Richtung alles initiativ gewor-
diesem Lande viele Kommunen eigentlich den Kon-
den ist.
kurs anmelden müßten. Deshalb ist diese Belastung
Für eine Sache möchte ich mich bei der Regierung für die Kommunen nicht zumutbar. Sie wird sie wei-
ganz besonders bedanken. Sie hat es geschafft, die ter dem Raubrittertum von Bund und Ländern ausset-
völlig konzeptionslosen Vorschläge von Herrn Lafon- zen. Aus diesem Grunde werden wir diesem faulen
taine zur Ökosteuer hier herauszuhalten. Frau Kompromiß nicht zustimmen und die Grundgesetz-
Matthäus-Maier hat gerade angemerkt, daß das ein änderung ablehnen.
Fehler gewesen sei. Ich halte es für einen der we- Danke schön.
sentlichen Erfolge, daß dies nicht vermischt worden
ist. Was Herr Lafontaine zum damaligen Zeitpunkt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
vorgeschlagen hat, war als energiepolitisches Steue-
rungsinstrument von der Sache her völliger Unsinn.
Dieses Instrument hätte durch die erforderliche Kom- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ehe ich das
pensation, die nur dazu gedient hätte, Steuerlöcher Wort weitergebe, möchte ich diejenigen Kollegen,
des Staatshaushalts zu stopfen, einer Diskreditierung die dem Redner dauernd den Rücken zuwenden,
der Ökosteuer Tür und Tor geöffnet. Das sollten wir darauf aufmerksam machen, daß das als eine A rt et-
auf gar keinen Fall zulassen. Glücklicherweise ist was einfältiger Meinungsäußerung verstanden wer-
-
das auch nicht geschehen. den könnte.

Geblieben ist ein Einkommensteuerrecht, das im Ich gebe nun der Kollegin Frau Professor Gisela
wesentlichen so geblieben ist, wie es war: sozial un- Frick das Wort.
gerecht, für die Mehrheit dieses Landes völlig un-
durchschaubar, allerdings voller Schlupflöcher - dar- Gisela Frick (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen
auf hat Kollegin Matthäus-Maier hingewiesen -, die und Herren! Wir haben heute eigentlich ein anderes
es den Gutverdienenden mit ihren Steuerberatern er- Thema als das, was wir alle gehört haben.
möglichen, alle Finessen des Steuerrechts auszu-
schöpfen, um ihre Verpflichtung, die sie gegenüber (Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4575
Gisela Frick
Denn wenn wir die ersten Beiträge hier gehört ha- rat und auch im Vermittlungsausschuß dahin ge-
ben, müßten wir glauben, daß das gesamte Jahres- drückt haben, daß die Entlastung der Bürger keines-
steuergesetz noch einmal auf dem Prüfstand steht. wegs, wie wir vorgesehen hatten, 22,5 Milliarden
Über das Vermittlungsergebnis soll nach der Tages- DM betragen sollte, sondern allenfalls 10 bis aller-
ordnung des Plenums - das ist, soweit ich weiß, eine höchstens 12 Milliarden DM. Wenn wir nun die Zah-
gute Übung - ohne Aussprache abgestimmt werden. len ansehen, dann können wir endgültig feststellen,
Jetzt in der Debatte haben wir uns die Gesetzent- daß die Entlastung der Bürger nach dem Ergebnis
würfe zur Änderung des Grundgesetzes und zur Ä- des Vermittlungsausschusses immerhin 19 Milliarden
derung des Finanzausgleichsgesetzes anzusehen. DM beträgt. Da frage ich Sie: Wer hat sich da mehr
durchgesetzt? Allein die Zahlen zeichnen ein ganz
Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Matthäus-Maier, will eindeutiges Bild.
ich einmal mit dem Ergebnis anfangen - wir stimmen
nämlich diesen Gesetzen zu - und dann begründen, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
warum wir das tun. Bei Ihnen war die Abschlußbe- ten der CDU/CSU)
stätigung, daß Sie zustimmen, nach alledem, was Sie
davor gesagt haben, vorsichtig gesagt, doch sehr Wir wollen diesen neuen Familienleistungsaus-
überraschend. gleich, sind dabei aber auf die Mitarbeit des Bundes-
rates, d. h. auf seine Zustimmung, angewiesen. Der
(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und Bundesrat hat im Vermittlungsverfahren zur Bedin-
der CDU/CSU - Lachen bei der SPD - In- gung gemacht, daß die Lastenverteilung 74:26 dau-
grid Matthäus-Maier [SPD]: Sechs Erfolge erhaft festgeschrieben wird, und hat sich nicht dar-
habe ich genannt!) auf eingelassen, daß dies nur im Finanzausgleichsge-
- Ich habe sogar sieben Erfolge gezählt. setz steht. Es soll ausdrücklich im Grundgesetz for-
muliert werden.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein, das
siebte war ein Teilerfolg!) ( Vo r s i t z: Vizepräsident Hans Klein)
- Ein Teilerfolg, okay. Dabei wäre bei allen sieben Frau Matthäus-Maier, Sie sagten, daß Sie bei die-
Punkten im einzelnen zu widerlegen, daß das Ihre ser Regelung Bauchschmerzen haben. Da treffen wir
Erfolge sind. uns: Auch ich habe Bauchschmerzen deswegen. Ich
finde es absolut nicht gut und frage mich: Wo soll das
(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) hinführen?
Vielmehr sind das Erfolge der Koalition. Das ist doch
Wir werden in nächster Zeit die Unternehmensteu-
wohl ganz eindeutig.
erreform in Angriff nehmen. Bei der Diskussion über
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer steht
Detlev von Larcher [SPD]: Das glauben Sie eine Beteiligung an der Umsatzsteuer im Raum. Wir
doch selbst nicht!) werden ökologische Elemente in unser Steuergesetz
integrieren, das am Aufkommen der Kraftfahrzeug-
- Herr von Larcher, Sie selbst waren dabei, als wir als steuer kratzen mag. Dann werden wir wieder Umver-
Parlamentarier z. B. zum Punkt 1 - Existenzmini- teilungen im Rahmen des Finanzausgleichs brau-
mum - im Finanzausschuß einen neuen Tarifverlauf chen. Es stehen auch die Einheitsbewertung und da-
vorgelegt haben, weil auch uns die ersten beiden Ta- mit Änderungen bei der Vermögensteuer und mögli-
rife nicht gefallen haben. Wir brauchen das hier nicht cherweise der Erbschaftsteuer ins Haus. Auch hier
zu vertiefen. könnte es, weil dies Steuern sind, die die Länder be-
(Detlev von Larcher [SPD]: Da mußten wir treffen, immer wieder zu neuen Verteilungen kom-
Sie drücken, bis es soweit war!) men.

- Da wurde von Ihnen nichts gedrückt; wir waren sel- Sollen wir dann immer wieder sozusagen ein Faß
ber Manns und Frau genug, um das zu ändern. Keine aufmachen und stets das Grundgesetz ändern, weil
Sorge! Sie sagen, es gebe das berechtigte Mißtrauen der
Länder, daß sie vom Bund über den Tisch gezogen
Das ist im Moment aber gar nicht das Thema. Viel- werden? Woher nehmen Sie denn dies?
mehr haben wir die Grundgesetzänderung zum
Thema. Ich möchte für die F.D.P. begründen, warum (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das war
wir zustimmen. In erster Linie möchten wir den schon immer so!)
neuen Familienleistungsausgleich. Dieser Familien-
leistungsausgleich ist in unseren Augen eine deutli- - Das war schon immer so? Ursprünglich gab es eine-
che Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zu- Umsatzsteuerverteilung, die bei 70:30 lag. Heute
stand. Daß das noch nicht die optimale Lösung ist, sind wir schon nahezu bei 50:50. Wir sind bei
die wir alle uns vorstellen können, ist bekannt. Daß 49,5 : 50,5 angelangt, wenn wir heute die Änderung
das nicht am bösen Willen der Koalition, sondern an beschließen. Und da sagen Sie, die Länder würden
den Finanzmöglichkeiten scheitert, ist, glaube ich, ständig über den Tisch gezogen.
auch bekannt.
Die Länder sind bei den Gemeinschaftsteuern in
Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang einer Risikogemeinschaft. Wenn bestimmte Elemente
daran erinnern, daß es gerade die SPD-Landesregie- unseres Steuerrechtes verfassungswidrig sind und
rungen waren, die im weiteren Verfahren im Bundes wir daraufhin Änderungen vornehmen müssen, dann
4576 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Gisela Frick
kann das doch nicht immer nur den Bund betreffen. müssen, nehmen wir als bittere Pille hin. Wir werden
Das ist doch keine reine Bundesangelegenheit. zustimmen, hoffen aber, daß es das letzte Mal ist, daß
wir in diesem Zusammenhang einer Änderung des
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Grundgesetzes zustimmen müssen.
Sie übernehmen doch wie wir alle das Risiko und (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
müssen, wenn Steuermindereinnahmen vorliegen,
ten der CDU/CSU)
ihren Anteil entsprechend der Aufkommensvertei-
lung an den Gemeinschaftssteuern tragen.
Ich glaube nicht, daß wir in Zukunft weiter eine Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wo rt der
solche Verteilung machen werden, schon gar nicht Kollegin Dr. Barbara Höll.
über das Grundgesetz. Das Grundgesetz soll die
Grundordnung unserer Gemeinschaft enthalten. Von
Roman Herzog stammt der Satz, wir sollten verhin- Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da-
dern, daß das Grundgesetz in kleine Münzen umge- men und Herren! Als erstes möchte ich sagen, daß es
setzt wird. Wir sind aber im Moment schon gewaltig mir ähnlich wie Frau Professorin F rick ging, denn zur
dabei, dies zu tun. Das ist nicht unser eigenes Bestre- Frage der Gesetzesänderungen, die hier auf der Ta-
ben. Wir beugen uns in gewisser Weise dem Bundes- gesordnung stehen, haben wir bisher sehr wenig ge-
rat und seinen Vorhaben, weil sonst überhaupt nichts hört.
voranginge. Wir wären absolut reformunfähig, wenn
Durch die vorgesehenen Änderungen des Grund-
stets oberstes Ziel ist, die Besitzstände der jewei ligen
gesetzes und des Finanzausgleichsgesetzes sollen
Finanzen zu halten.
die höheren Belastungen der Länder aus dem Fami-
Ich bin überrascht, daß der Bundesrat solche Be- lienlastenausgleich ausgeglichen werden. Höhere
dingungen, die er in dieser Form eigentlich gar nicht Belastungen bzw. steuerliche Mindereinnahmen ent-
stellen dürfte, durchsetzt, heute aber die Bundesrats- stehen aber nicht nur für die Länder, sondern auch
bank leer ist und sich die Vertreter der Länder dies für die Städte und Gemeinden. Genau zu diesem
noch nicht einmal anhören, obwohl sie das angezet- Punkt war bisher von der Regierungskoalition, aber
telt haben, was wir heute ausbaden müssen. auch von der SPD ziemlich wenig zu hören. Es zeigt
sich, daß da wohl die Hausaufgaben nicht gemacht
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne wurden.
ten der CDU/CSU - Günter Verheugen
[SPD]: Sie haben völlig recht!) Die vorliegenden gesetzlichen Änderungen sehen
keinen unmittelbaren Ausgleich der Mehrbelastun-
Wir stimmen also zu, weil wir im Endergebnis den gen für die Städte und Gemeinden vor. Ohne eine
besseren Familienleistungsausgleich wollen. solche klare Regelung sind die Kommunen wieder
vom guten Willen der Länder abhängig. Ob die Län-
Wir wollen einen verfassungsgemäßen Familienlei- der tatsächlich die entsprechenden finanziellen Mit-
stungsausgleich. Frau Matthäus-Maier, Sie wissen tel an die Kommunen weiterreichen, ist fraglich.
genausogut wie Herr Steenblock und wir, daß ein
einheitliches Kindergeld nur dann verfassungsge- Es gibt hier durchaus berechtigtes Mißtrauen, das
mäß ist, wenn es in einer entsprechenden Höhe an- sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Gerhard
gesetzt wird. Es kommt nicht auf die Einheitlichkeit Seiler als Präsident des Deutschen Städtetages und
als solche an, sondern auf die entsprechende Höhe. CDU-Mitglied wies beispielsweise darauf hin, daß
die westdeutschen Städte im Rahmen des Solidar-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, genau!)
pakts rund 5 Milliarden DM für den Aufbau in den
Daß gerade Ihre Landesfürsten ganz erhebliche neuen Bundesländern zahlen, daß aber nur eine Mil-
Bauchschmerzen haben, wenn es um die Finanzie- liarde bei den Kommunen in den neuen Bundeslän-
rung eines solchen Kindergeldes geht, brauchen wir dern ankommt.
hier nicht zu erwähnen; das ist allgemein bekannt.
Ein ordentliches Kindergeld in einer verfassungs- Man fragt sich, warum das so ist. Es zeigt sich, daß
rechtlich ausreichenden Höhe wäre selbst mit Ihren sich die Länder vielfach aus diesen Mitteln zu ihrer
Landesregierungen im Bundesrat überhaupt nicht Schuldentilgung bedient haben, aber nichts an die
durchzusetzen. Kommunen weitergegeben haben.

Wir haben uns deshalb auf eine Lösung festgelegt, Das Tauziehen zwischen Bund und Ländern, bei
die verfassungsgemäß, aber nicht so wahnsinnig dem die Kommunen außen vor bleiben, ist peinlich. -
teuer ist wie das, was Sie beabsichtigt haben. Wir Es wäre auch nicht nötig gewesen. Die aus dem Fa-
mußten sogar gegen die Landesfürsten kämpfen, um milienlastenausgleich entstehenden Mehrbelastun-
wenigstens die jetzige Höhe durchzusetzen. gen hätten bei politischem Willen durchaus aufkom-
mensneutral durch den Abbau steuerlicher Subven-
(Beifall bei der F.D.P.) tionen ausgeglichen werden können.
Die Lösung ist gut, und wir wollen sie haben. Sie Ich führe dafür nur ein Beispiel an. Allein aus dem
bringt den Familien etwa 7,2 Milliarden DM Entla- vor allem Bezieher hoher Einkommen begünstigen-
stung im nächsten Jahr. Daß wir gewisse Einschrän- den Sparerfreibetrag in Höhe von 6 000 DM für Al-
kungen im Bereich des Finanzausgleichs machen leinstehende und 12 000 DM für Verheiratete entste-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4577
Dr. Barbara Höll
hen den öffentlichen Haushalten jährlich 5 bis 6 Mil- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle-
liarden DM Einnahmenausfälle. Und wir haben die gin Dr. Susanne Tiemann.
Zahl von etwa 7 Milliarden DM für das Kindergeld
als Ausgleich gehört. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Herr Präsident!
Eine weitgehende Reduzierung des Sparerfreibe- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wer-
trages und die entsprechende Erhöhung des Anteils den heute einer Grundgesetzänderung zustimmen,
der Kommunen an der Einkommensteuer von 15 % die ich für weitaus wichtiger halte als die Grundge-
auf 16 % hätten also die Mindereinnahmen der Kom- setzänderung, die wir in der Folge beschließen wer-
munen in Höhe von rund 4 Milliarden DM durchaus den, die aber in der Öffentlichkeit ihrerseits viel Auf-
kompensieren können. sehen erregt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die gegenwärtige Lösung ist Ausdruck der weite-
ren Zentralisierung der öffentlichen Mittel in den Ich möchte auf die Tragweite dieser Grundgesetzän-
Händen von Bund und Ländern. Das ist eine gravie- derung hinweisen.
rende Beschneidung der Handlungsfreiheit der Kom-
Meine Damen und Herren, unsere Finanzverfas-
munen.
sung beruht auf dem Grundsatz, daß Bund und Län-
Das Problem liegt aber, glaube ich, tiefer. Es wer- der einen gleichmäßigen Anspruch auf die Deckung
den Veränderungen in der Gesetzgebung vorgenom- ihrer Ausgaben haben. Verändern sich die Einnah-
men, die über die Köpfe der Betroffenen - diesmal men und die Ausgaben des Bundes und der Länder
der Kommunen - hinweg entschieden werden. Die wesentlich, so müssen durch einfaches Gesetz die
Kommunen sind in keiner Weise in den Entschei- Anteile an der Umsatzsteuer geändert werden.
dungsprozeß einbezogen. Sie können sich tatsäch- Auf diese Weise besteht ein flexibles Verteilungs-
lich nicht einbringen. Hier sehen wir die Auswirkun- system, beruhend auf Deckungsquoten. Es soll be-
gen der Veränderungen des Finanzausgleichsgeset- wirken, daß der Maßstab der Verteilung das jewei-
zes. Die Kommunen sitzen eben nicht im Vermitt- lige Haushaltsvolumen ist, und es soll verhindern,
lungsausschuß. daß sich der Anteil von Schulden auf der einen oder
Somit sind die Gesetzesvorlagen zugleich beredtes der anderen Seite anhäuft. Dieses System des verti-
Zeugnis für die Demokratiedefizite dieser Republik kalen Finanzausgleichs im Bundesstaat bewirkt wei-
und für den tatsächlichen Abbau des im Grundge- testgehende bundesstaatliche Solidarität im Zusam-
setz festgelegten Rechts der Kommunen auf kommu- menhang mit dem Ausgleich bei der Lastenvertei-
lung. Ich meine, daß es den Ländern wohl angestan-
nale Selbstverwaltung.
den hätte, an diesem Solidaritätsverbund auch für
Es ist hier sehr viel Grundlegendes zum Jahres- den so wichtigen Bereich der Familie teilzunehmen.
steuergesetz gesagt worden. Da ich aber nur eine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
sehr begrenzte Zeit zur Verfügung habe, erlaube ich
mir, wenigstens auf einen Punkt hinzuweisen. Darüber hinaus soll mit unserem gegenwärtigen Sy-
stem, meine Damen und Herren, aber auch die Ver-
Sie schmücken sich hier reihum wiederholt mit den schuldungssituation der Haushalte von Bund und
tollen Leistungen für den Familienleistungsaus- Ländern, der grundlegende Stabilitätsfaktor, gegen-
gleich. Das ist auf alle Fälle ein schon lange notwen- seitig ausbalanciert werden. Deswegen sind die An-
dig gewesener Schritt, der tatsächlich zur Entlastung teile an der Umsatzsteuer gegenwärtig eben nicht,
einer Vielzahl von Familien führt. Aber Sie ver- wie bei der Einkommen- und der Körperschaftsteuer,
schweigen ständig, daß es nicht alle Familien betrifft. in der Verfassung selbst festgelegt. Unser gegenwär-
Bei den 1 Million Kindern und Jugendlichen, die von tiges System ist deshalb ein Faktor in die Richtung
Sozialhilfe, von staatlicher Alimentierung, leben, konsolidierte Haushaltsführung.
wird dieses Kindergeld nur gegen die Sozialhilfe ge-
gengerechnet. Ich glaube, auch das zeugt davon, in Beim gegenwärtigen System wären in die Berech-
welcher Höhe das Kindergeld gezahlt wird und daß nung der Deckungsquoten folgerichtig auch die
es trotz allem absolut unzureichend ist. Steuermindereinnahmen einzubeziehen, die sich da-
durch ergeben, daß das Kindergeld direkt von der
Man kann auf verschiedene A rt und Weise rech- Steuerschuld abgezogen werden soll. Insofern ma-
nen, wie man ein Existenzminimum bestimmt. Zum chen die Länder diese Grundgesetzänderung zur Be-
Glück haben wir noch die Sozialhilferegelsätze, auch dingung, weil sich die Lastenverteilung zwischen
wenn sie in den letzten Jahren gedeckelt wurden. Bund und Ländern zu ihren Ungunsten verändern
Sie sollten doch zumindest für Kinder und Jugendli- würde. Wir schreiben mit dieser Grundgesetzände-
che einen Maßstab abgeben. Solange das Kindergeld rung den Länderanteil fest, bewirken aber dadurch -
darunter bleibt, deckt es auf keinen Fall das Exi- und darauf möchte ich hinweisen - gewissermaßen
stenzminimum. Das, was Sie heute zustimmend ver- einen Bund-Länder-Sonderausgleich für den Fami-
abschieden und wozu wir die gesetzliche Grundlage lienbereich.
ablehnen, entspricht nicht den Erfordernissen der
Ich mache darauf aufmerksam, daß wir mit diesem
Zeit.
Sonderausgleich in die Systematik unserer Finanz-
Ich danke Ihnen. verfassung eingreifen. Sie stimmen mir zu, daß man
mit Verfassungsänderungen an sich ohnehin spar-
(Beifall bei der PDS) sam umgehen sollte. Sie sollten nur da erfolgen, wo
4578 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Dr. Susanne Tiemann


eine zwingende Notwendigkeit dazu besteht. Meine Wenn man untersucht, was in diesem Beratungs-
Damen und Herren, nur weil diese zwingende Not- gang neu in das Gesetz gekommen ist, dann stellt
wendigkeit im aktuellen Fall besteht, werden wir man fest, daß es sehr viele Verschlechterungen sind,
dieser Grundgesetzänderung zustimmen, denn wir mit denen sich die Sozialdemokraten durchgesetzt
können und dürfen den mühsam ausgehandelten haben, z. B. die steuerliche Behandlung des Arbeits-
Kompromiß, was den Familienleistungsausgleich an- zimmers. Das ist nicht unsere Erfindung. Das ist Ihr
belangt, nicht aufs Spiel setzen. Wunsch gewesen.
Insofern müssen wir diesen Sündenfall begehen (Ing ri d Matthäus-Maier [SPD]: Nein! Sie
und das Grundgesetz ändern, denn die Entlastung wissen genau, daß das nicht stimmt! Herr
der Familien muß jetzt vorrangig sein. Alles, was wir Repnik, sagen Sie das einmal!)
hier im Rahmen unserer knapp bemessenen Mög-
lichkeiten einsetzen können, ist eine Investition für Oder nehmen Sie die Verschlechterung für die Ar-
die Zukunft. Deshalb muß auch der Preis dieser beitnehmer mit dem doppelten Wohnsitz. Auch dies
Grundgesetzänderung in Kauf genommen werden. war Ihr und nicht unser Anliegen. Wir werden in der
Öffentlichkeit immer deutlich sagen, wer der Erfin-
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. der dieser Dinge gewesen ist, Frau Matthäus-Maier.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Die Koalition und die Bundesregierung wollten
Vizepräsident Hans Klein: Das Wo rt hat der Kol- eine Nettoentlastung. Die Gegenfinanzierung ist
lege Gunnar Uldall. eine Maßnahme, die die SPD mit eingebaut hat. Das
gilt es festzuhalten; denn die Lage der Steuerzahler
Gunnar Uldall (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine wäre noch mehr verbessert worden, als es jetzt schon
Damen und meine Herren! Das Jahressteuergesetz durch dieses Gesetz geschieht.
ist ein großer Schritt nach vorn zu einer Entlastung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
für die Fami li en. Es ist ein großer Schritt nach vorn
für eine gerechte Besteuerung der Bezieher niedriger Meine Damen und Herren, jetzt aber zu dem ei-
und mittlerer Einkommen. Darüber können wir uns gentlichen Punkt unserer Tagesordnung, nämlich der
alle nur freuen, meine Damen und Herren. Änderung des Grundgesetzes und des Finanzaus-
gleichsgesetzes. Wir werden den beiden Anträgen
(Beifall bei der CDU/CSU) zustimmen, tun das aber mit einigen Bedenken.
Freuen sollten sich auch die Sozialdemokraten und Bedenken Nummer eins. Die Neuaufteilung des
meine Vorrednerin Frau Matthäus-Maier; denn die- Umsatzsteueraufkommens - es wurde eben schon
ses ist wirklich ein gutes Ergebnis, das nach langen von Frau Tiemann und Kollegen darauf hingewiesen -
Beratungen herausgekommen ist. wird nicht durch eine einfache Gesetzesänderung,
Um nun keine Geschichtsklitterung aus der Rede sondern durch eine Änderung des Grundgesetzes
von Frau Matthäus-Maier im Raum stehenzulassen, abgesichert. Wenn wir das in Zukunft mit allen
möchte ich auf zwei Aspekte eingehen, die sie ge- finanzpolitischen Maßnahmen so machen würden,
nannt hat. würden wir in Kürze alle Einzelfallregelungen in das
Grundgesetz einbauen und dessen Systematik spren-
Der Tarif, den die sozialdemokratische Bundes- gen.
tagsfraktion gefordert hatte, sah immer ein Existenz-
minimum von 13 000 DM vor. Mit dieser Forderung (Beifall bei der CDU/CSU)
hat sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion Bedenken Nummer zwei. Der Familienleistungs-
nicht durchgesetzt, weil das eine unse ri öse, populisti- ausgleich zwischen Bund und Ländern wird im Ver-
sche und nicht finanzierbare Forderung gewesen ist. hältnis 74 zu 26 aufgeteilt und bevo rt eilt damit die
Das wurde denen von ihren eigenen Parteigenossen Länder. Wie stark sich der Bund hiermit zugunsten
in den Landesregierungen ins Stammbuch geschrie- der Länder festgelegt hat, wird sich erst in einigen
ben. Jahren zeigen, wenn die Familienleistungen im Zuge
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) des steigenden Existenzminimums weiter angehoben
werden.
Man kann nicht sagen, daß sich die SPD hier durch-
gesetzt hat, Frau Matthäus-Maier. Sie hat sich in die- Bedenken Nummer drei. Die Neuregelung ist kom-
ser Frage blamie rt . pliziert. Schon heute ist die Finanzverfassung, das
Gestalten der Einnahmenaufteilung zwischen Bund,
(Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch Ländern und Kommunen nur noch von ganz weni-
bei der SPD) gen Fachleuten zu verstehen. Wenn wir jetzt diesen
Weg gehen, wird es zu einer weiteren Komplizierung
Das gleiche gilt für den Kinderfreibetrag. Die SPD kommen.
wollte immer einen Betrag in Höhe von 250 DM. Die
Ministerpräsidenten stellten das als absolut unreali- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)
stisch heraus. Sie haben ihre eigene Bundestagsfrak-
tion zurückgestellt. Ist so etwas ein Erfolg, Frau Mat- Schließlich müssen wir bedenken, daß die Umsatz-
thäus-Maier? steuer mehr und mehr zu einer Ländersteuer wird.
Nach der jetzigen Änderung wird dem Bund nur
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) noch etwas mehr als die Hälfte, 50,5 %, zur Verfü-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4579
Gunnar Uldall
gung stehen. Wenn wir dann noch in einiger Zeit die Minister Waigel hat vorgeschlagen, die Ausfälle
Gewerbekapitalsteuer beseitigen und damit noch- der Gemeinden in Form eines höheren Anteils der
mals 2,7 % an die Kommunen abgeben werden, wird Kommunen an der Einkommensteuer, nämlich statt
der Bund bei einem Anteil von deutlich unter 50 % heute 15 % dann 16 %, direkt zu kompensieren.
liegen. Aus einer Bundessteuer, deren Aufkommen
ursprünglich zu 100 % dem Bundesstaat zugestan- (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das war
den hat, ist eine Steuer geworden, von der dann we- ein hervorragender Vorschlag! Er wurde
niger als 50 % in die Bundeskasse fließen. aber nicht angenommen!)
Das lehnte der Bundesrat ab. Auch hier ist der Grund
Meine Damen und Herren, die Lastenverteilung
klar. Die Länder wollten natürlich das Geld erst ein-
beim Familienleistungsausgleich zwischen Bund und
mal in den eigenen Kassen haben, bevor sie den Ge-
Ländern beträgt heute 74 % zu 26 %. Bisher hat der
meinden von den Einnahmen, die sie zusätzlich er-
Bund die Ausgaben für das Kindergeld allein getra-
gen. Die Steuermindereinnahmen aus dem Kinder- halten, etwas weitergeben. Wir fordern mit allem
freibetrag hingegen wurden vom Bund, von den Län- Nachdruck die Länder auf, den Kommunen den ih-
dern und den Gemeinden gemäß ihrem Anteil am nen zustehenden Anteil aus der gesetzlichen Um-
satzsteuer zukommen zu lassen.
Aufkommen der Einkommensteuer getragen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so
Als Bundespolitiker wundert es mich doch sehr, zu
wie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.] -
sehen, daß auf der einen Seite das Bundesverfas-
Detlev von Larcher [SPD]: Da klatschen
sungsgericht ein höheres Existenzminimum gefor-
aber nur zwei Leute!)
dert hat und daß es auf der anderen Seite so getan
hat, als ob sich nur für den Bund etwas ändern Hinter allem steht aber die Frage: Warum muß der
würde, aber nicht auch für die Länder. Man kann Bund überhaupt Anteile von der Umsatzsteuer abge-
hier eine Schieflage feststellen. Die Erhöhung des ben? Wäre es nicht sehr viel sinnvoller gewesen, An-
Existenzminimums für Erwachsene von 5 600 DM auf teile von der Einkommensteuer abzutreten? Denn die
12 000 DM wird von Bund, Ländern und Gemeinden Einkommensteuer wird von der Freistellung des Exi-
gemäß ihrem Anteil an der Einkommensteuer ge- stenzminimums und von der Regelung des Familien-
meinsam getragen. Die Erhöhung des Existenzmini- leistungsausgleichs betroffen. Insofern wäre dies der
mums für die Kinder von 4 100 DM auf 6 200 DM richtige Weg gewesen.
aber trägt der Bund weitestgehend allein.
(Beifall der Abgeordneten der CDU/CSU)
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)
Nun muß man mit Sorge feststellen, daß sich über
Wer kann dieses eigentlich erklären? viele Jahre die Steuerstruktur permanent zu Lasten
des Bundes verschlechtert hat.
(Detlev von Larcher [SPD]: Der Finanzmi
nister vielleicht! - Gegenruf des Abg. Carl Der Anteil des Bundes am Gesamtsteueraufkom-
Ludwig Thiele [F.D.P.]: Nein, die Länder, men ist seit 1970 von 53 % auf jetzt 44 % gesunken.
SPD-geführt!) Gleichzeitig stieg der Anteil der Länder am Gesamt-
steueraufkommen von 30 % auf 39 %. Bei den Kom-
Der Steuerausfall ist durch das Urteil des Bundes- munen sank der Anteil leicht von 14 % auf 12 %. Das
verfassungsgerichts begründet, und zwar hinsicht- ist ein Grund mehr, weswegen die Länder jetzt in ei-
lich der Freistellung des Existenzminimums, glei- ner gerechten und fairen Verhandlung ihren Kom-
chermaßen bei Erwachsenen und bei Kindern. Folg- munen den entsprechenden Teil zukommen lassen
lich müßte der Bund auch bei der Freistellung des müssen.
Existenzminimums der Kinder nur mit seinem Anteil
an der Einkommensteuer belastet werden, ebenso (Unruhe)
wie bei den Erwachsenen. Wenn wir dennoch bereit
sind, den Ländern großzügig entgegenzukommen, so Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Uldall, darf
tun wir das nur deswegen, weil wir wollen, daß das ich Sie einen Moment unterbrechen?
Existenzminimum für alle Bürger in der Bundesrepu-
blik jetzt freigestellt wird und daß die Verbesserun- (Anhaltende Unruhe)
gen des Familienleistungsausgleichs jetzt durchge-
setzt werden. Der Kollege Uldall hat noch gut zweieinhalb Minu-
ten Redezeit; dann kommen wir zur Abstimmung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Seien Sie doch so kollegial und hören Sie ihm die
zweieinhalb Minuten noch zu!
Es gilt die Zusage von Minister Waigel, daß der -
Bund an der Systemumstellung des Familienlei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
stungsausgleichs nichts verdienen will. Das Ergebnis Zuruf von der CDU/CSU: Das lohnt sich!)
ist aber, daß die Länder den Steuerausfall nicht in
dem Umfang tragen, wie es gerechtfertigt wäre. Die Gunnar Uldall (CDU/CSU): Herr Präsident, es ist
Länder haben dies natürlich rechtzeitig erkannt. Das nicht so sehr eine Frage der Kollegialität - auch dar-
ist natürlich der Grund, weswegen sie eine Absiche- über freue ich mich -, sondern vor allem kommt es
rung dieser Formulierung im Grundgesetz wün- auf den Inhalt dessen an, was ich vortrage.
schen. Wenn das in einem einfachen Bundesgesetz
geschähe, wäre eine solche einseitige Bevorzugung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
der Länder natürlich leichter rückgängig zu machen. Lachen bei der SPD)
4580 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Gunnar Uldall
Lassen Sie mich folgende Zahlen nennen: Die Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Schieflage der Finanzausstattung des Bundes wird Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge-
sich gemäß mittelfristiger Finanzplanung weiter ver- brachten Entwurf zur Änderung des Finanzaus-
schlechtern. Das Aufkommen des Bundes wird bis gleichsgesetzes, Drucksachen 13/2246 und 13/2368.
1999 um 85 Milliarden DM steigen, das Aufkommen
der Länder dagegen wird um 100 Milliarden DM stei- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
gen. Der Bund steigert sein Einkommen um ein Fünf- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand-
tel, die Länder steigern ihre Einnahmen um ein Drit- zeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Gegen
tel. Dies wird jetzt durch die Veränderung des An- die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
teils an der Mehrwertsteuer noch weiter zugunsten PDS ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
der Länder verschoben. nommen.

Meine Damen und meine Herren, der Bund ist Wir kommen zur
nicht der Zahlmeister der Länder. Es muß eine faire
und gerechte Verteilung der Mittel zwischen allen dritten Beratung
Gebietskörperschaften, zwischen Bund, Ländern und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
und Kommunen, geben. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ih-
(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!) ren Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Wer enthält
sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist gegen die
Hier gibt es einen Nachholbedarf zugunsten des Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS
Bundes. Wir werden in den nächsten Jahren darauf angenommen.
achten, daß hier wieder Gerechtigkeit hergestellt
wird. Aber zunächst freuen wir uns, daß es uns ge-
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
lungen ist, ein gutes Gesetz über die parlamentari-
schen Hürden zu bringen. Wir freuen uns mit allen Beratung der Beschlußempfehlung des Aus-
Familien, die in den Genuß des neuen Familienlei- schusses nach A rtikel 77 des Grundgesetzes
stungsausgleichs kommen. (Vermittlungsausschuß) zu dem Jahressteuer-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gesetz 1996
- Drucksachen 13/901, 13/1558, 13/1800, 13/
Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- 1779, 13/1960, 13/2003, 13/2016, 13/2100, 13/
sprache. 2262 (Berichtigung) -
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Berichterstattung:
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. Abgeordneter Dr. Peter Struck
eingebrachten Entwurf zur Änderung des Grundge-
setzes, Drucksachen 13/2245 und 13/2373. Ich bitte Berichterstatter ist Abgeordneter Dr. Peter St ru ck.
diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dem Wird das Wo rt zur Berichterstattung gewünscht? -
Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen Dies ist offensichtlich nicht der Fall.
gedenken, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Mir liegt eine Wortmeldung zur Abgabe einer Er-
Enthaltungen? - Gegen die Stimmen von BÜND- klärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Ich
NIS 90/DIE GRÜNEN und PDS ist der Gesetzentwurf erteile hiermit das Wort der Kollegin Dr. Barbara
damit in zweiter Beratung angenommen. Höll.
Wir kommen zur
dritten Beratung Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich möchte mein Abstimmungsver-
und Schlußabstimmung. Ich weise darauf hin, daß halten hier erklären, u. a. auch vor dem Hintergrund,
zur Annahme des Gesetzentwurfs eine Zweidrittel- daß der PDS eine Mitgliedschaft im Vermittlungsaus-
mehrheit erforderlich ist. Das sind mindestens schuß verwehrt wurde, so daß wir an diesem Prozeß
448 Stimmen. Es ist namentliche Abstimmung ver- nicht teilnehmen konnten.
langt. Sind die Schriftführer an den Urnen? - Ich er-
öffne die Abstimmung. - Ich werde gegen das Ergebnis des Vermittlungs-
ausschusses stimmen, da damit meines Erachtens ein
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das verfassungswidriger Zustand festgeschrieben wird.
seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint In 1996 führt die Steuerfreistellung des Existenzmini-
nicht der Fall zu sein. mums und des Kindergeldes gemäß dem Ergebnis
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- des Vermittlungsausschusses zu Mindereinnahmen
führer, mit der Auszählung zu beginnen. in Höhe von rund 22 Milliarden DM. Davon trägt der
Bund 10,24 Milliarden DM, die Länder tragen
Meine Damen und Herren, das Ergebnis wird Ih- 6,37 Milliarden DM und die Gemeinden 6,03 Milliar-
nen später bekanntgegeben. Wir setzen jetzt die Ab- den DM. Mit dem Antrag des Vermittlungsausschus-
stimmungen fo rt . ses sollen die Einnahmeausfälle auf rund 18 Mil-
(Un ru he) liarden DM begrenzt werden, indem eine Streichung
von sogenannten steuerlichen Vergünstigungen -
- Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen. Wir stimmen „Subventionsabbau" genannt - in Höhe von
weiter ab. - 4,3 Milliarden DM vorgenommen wird.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4581
Dr. Barbara Höll
Ich stimme gegen dieses Ergebnis des Vermitt- gleichheit und Steuergerechtigkeit überhaupt erst
lungsausschusses, weil mit der Festschreibung des her. Daß sie genau an diesen Punkten den Rotstift an-
Existenzminimums für 1996 in Höhe von 12 095 DM gesetzt haben, zeugt davon, wie unsozial auch dieses
fraktionsübergreifend ein verfassungswidriger Zu- dem Jahressteuergesetz zugrundeliegende Anliegen
stand festgeschrieben wird. Dies ist eigentlich so- ist.
wohl die Auffassung der SPD als auch die der Frak-
tion BÜNDNIS 90/GRÜNE. Aus all diesen hier kurz angeführten Gründen
werde ich gegen das Ergebnis des Vermittlungsaus-
Ich möchte aus dem Entschließungsantrag der SPD schusses stimmen und möchte, wie gesagt, meine
zum Jahressteuergesetz 1996 zitieren - denn auch Kollegen insbesondere der SPD und vom BÜND-
dies begründet meine Meinung zu dem Ergebnis -: NIS 90/DIE GRÜNEN an ihre Position, die sie noch in
diesem Jahr vertreten haben, erinnern.
Nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben muß
daher der Grundfreibetrag mindestens auf 13 000 Ich danke Ihnen.
DM für Alleinstehende und 26 000 DM für Ver-
heiratete angehoben werden. (Beifall bei der PDS)
Dies war bereits für 1996 vorgesehen.
Ich appelliere an die Abgeordneten von SPD und Vizepräsident Hans Klein: Wir kommen zur Ab-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, meinem Beispiel zu fol- stimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10
gen und das Ergebnis des Vermittlungsausschusses Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen,
abzulehnen, da sie ansonsten entgegen ihrer eige- daß im Deutschen Bundestag über die Änderung ge-
nen Überzeugung stimmen. Dies bedeutete nur das meinsam abzustimmen ist.
fortgesetzte Tragen der Regierungspolitik. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ver-
(Unruhe) mittlungsausschusses auf Drucksache 13/2100 mit
den Berichtigungen auf Drucksache 13/2262? - Wer
Des weiteren soll mit dieser Vorgabe nur eine Er- stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
höhung ab 1999 festgeschrieben - - Herr Präsident, Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen von
können Sie bitte einmal für Ruhe sorgen? BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen.
(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das entschei Ich gebe das von den Schriftführerinnen und
det doch der Präsident!) Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
- Ja, aber ich kann ihn doch einmal darum bitten. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/
CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Än-
derung des Grundgesetzes auf den Drucksachen 13/
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, die ein- 2245 und 13/2373 bekannt. Abgegebene Stimmen:
gelegte Pause hat bereits dazu geführt, daß sich der 607. Mit Ja haben gestimmt: 541; mit Nein haben ge-
Lärmpegel etwas gesenkt hat. Bitte fahren Sie fo rt . stimmt: 64; ihrer Stimme haben sich enthalten: 2. Der
Gesetzentwurf ist mit der erforderlichen Mehrheit
Dr. Barbara Höll (PDS): Danke. - Darüber hin- angenommen. Nach A rt . 79 Abs. 2 des Grundgeset-
aus soll nach der Festschreibung für 1996 in Höhe zes ist für die Annahme die Zustimmung von zwei
von 12 095 DM die gesetzliche Verankerung von Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages
13 000 DM als steuerfrei zu stellendes Existenzmini- erforderlich. Das wären 448 Stimmen gewesen. Ich
mum erst für 1999 auf dann unbestimmte Zeit festge- bedanke mich.
schrieben werden. Ich glaube, hiermit wird tatsäch-
lich eine Weiche für die Zukunft gestellt, die in die- Endgültiges Ergebnis Dr. Sabine Bergmann-Pohl
sem Hohen Hause so nicht tragbar ist. Hans-Dirk Bierling
Abgegebene Stimmen: 607; Dr. Joseph-Theodor Blank
Als letzten Grund dafür, daß ich nicht zustimmen davon Renate Blank
kann, möchte ich anführen: Das, was hier „Subven- ja: 541 Dr. Heribert Blens
tionsabbau" genannt wird, ist kein Subventionsab- nein: 64
Peter Bleser
bau. Es ist ein Versuch, den Bürgerinnen und Bür- Dr. Norbe rt Blüm
gern dieses Landes etwas vorzumachen. Denn das, enthalten: 2 Fried ri ch Bohl
Dr. Ma ri a Böhmer
was hier unter der irreführenden Parole „Subven- Jochen Borchert
tionsabbau" als Finanzierung der Steuerentlastung Ja Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
verkauft wird, hat überhaupt nichts, aber auch gar Wolfgang Bosbach
nichts mit Subventionen zu tun. Dr. Wolfgang Bötsch -
CDU/CSU Klaus Brähmig
Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haus- Rudolf Braun (Auerbach)
haltsführung und Aufwendungen für bet ri ebliche Ulrich Adam Paul Breuer
oder berufliche Nutzung des häuslichen Arbeitszim- Peter Altmaier Monika Brudlewsky
mers sind steuerrechtlich Werbungskosten oder Be- Anneliese Augustin Georg Brunnhuber
triebsausgaben. Sie dienen zur Erhaltung, Sicherung Jürgen Augustinowitz Klaus Bühler (Bruchsal)
und Erwerbung von Einnahmen. Ihre Berücksichti- Heinz-Günter Bargfrede Hartmut Büttner
Franz Peter Basten (Schönebeck)
gung führt demnach nicht zur Subventionierung Dr. Wolf Bauer Manfred Carstens (Emstek)
oder Privilegierung, sondern entspricht der Beteue- B ri gitte Baumeister Peter Harry Carstensen
rung nach der Leistungsfähigkeit und stellt Steuer- Meinrad Belle (Nordstrand)
4582 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsident Hans Klein


Wolfgang Dehnel Manfred Kolbe Marlies Pretzlaff Dr. Wolfgang Freiherr von
Hubert Deittert Norbert Königshofen Dr. Albert Probst Stetten
Gertrud Dempwolf Eva-Maria Kors Dr. Bernd Protzner Andreas Storm
Albert Deß Hartmut Koschyk Thomas Rachel Max Straubinger
Renate Diemers Manfred Koslowski Hans Raidel Michael Stübgen
Wilhelm Dietzel Thomas Kossendey Dr. Peter Ramsauer Egon Susset
Werner Dörflinger Rudolf Kraus Rolf Rau Dr. Rita Süssmuth
Hansjürgen Doss Wolfgang Krause (Dessau) Helmut Rauber Michael Teiser
Dr. Alfred Dregger Andreas Krautscheid Peter Harald Rauen Dr. Susanne Tiemann
Maria Eichhorn Arnulf Kriedner Otto Regenspurger Dr. Klaus Töpfer
Wolfgang Engelmann Heinz-Jürgen Kronberg Christa Reichard (Dresden) Gottfried Tröger
Rainer Eppelmann Dr.-Ing. Paul Krüger Klaus Dieter Reichardt Gunnar Uldall
Heinz Dieter Eßmann Reiner Krziskewitz (Mannheim) Wolfgang Vogt (Duren)
Horst Eylmann Dr. Hermann Kues Dr. Bertold Reinartz Dr. Theodor Waigel
Anke Eymer Werner Kuhn Alois Graf von Waldburg-Zeil
Erika Reinhardt
Ilse Falk Dr. Karl A. Lamers Dr. Jürgen Warnke
Hans-Peter Repnik
Dr. Kurt Faltlhauser (Heidelberg) Kersten Wetzel
Jochen Feilcke Roland Richter
Karl Lamers Roland Richwien Hans-Otto Wilhelm (Mainz)
Dr. Karl H. Fell Dr. Norbert Lammert Gert Willner
Ulf Fink Dr. Norbert Rieder
HelmutLap Klaus Riegert Bernd Wilz
Dirk Fischer (Hamburg) Armin Laschet Willy Wimmer (Neuss)
Leni Fischer (Unna) Dr. Heinz Riesenhuber
Herbert Lattmann Hannelore Rönsch Simon Wittmann
Klaus Francke (Hamburg) Dr. Paul Laufs (Tännesberg)
Herbert Frankenhauser (Wiesbaden)
Karl-Josef Laumann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dagmar Wöhrl
Dr. Gerhard Friedrich Werner Lensing Dr. Klaus Rose Michael Wonneberger
Erich G. Fritz Christian Lenzer Elke Wülfing
Hans-Joachim Fuchtel Norbert Röttgen
Peter Letzgus Dr. Christian Ruck Peter Kurt Würzbach
Michaela Geiger Editha Limbach Volker Rühe Cornelia Yzer
Norbert Geis Walter Link (Diepholz) Dr. Jürgen Rüttgers Wolfgang Zeitlmann
Dr. Heiner Geißler Eduard Lintner
Michael Glos Ortrun Schätzle Benno Zierer
Dr. Klaus W. Lippold Wolfgang Zöller
Wilma Glücklich Dr. Wolfgang Schäuble
(Offenbach)
Dr. Reinhard Göhner Hartmut Schauerte
Dr. Manfred Lischewski
Peter Götz Heinz Schemken
Wolfgang Lohmann SPD
Dr. Wolfgang Götzer Karl-Heinz Scherhag
(Lüdenscheid)
Joachim Gres Gerhard Scheu
Julius Louven Gerd Andres
Kurt-Dieter Grill Norbert Schindler
Sigrun Löwisch Robert Antretter
Wolfgang Gröbl Dietmar Schlee
Hermann Gröhe Heinrich Lummer Hermann Bachmaier
Dr. Michael Luther Ulrich Schmalz
Claus-Peter Grotz Ernst Bahr
Erich Maaß (Wilhelmshaven) Bernd Schmidbauer
Manfred Grund Doris Barnett
Dr. Dietrich Mahlo Christian Schmidt (Fürth)
Horst Günther (Duisburg) Klaus Barthel
Erwin Marschewski Dr.-Ing. Joachim Schmidt Ingrid Becker-Inglau
Gottfried Haschke (Halsbrücke)
(Großhennersdorf) Günter Marten Wolfgang Behrendt
Dr. Martin Mayer Andreas Schmidt (Mülheim) Hans-Werner Bertl
Gerda Hasselfeldt Hans-Otto Schmiedeberg
Rainer Haungs (Siegertsbrunn) Friedhelm Julius Beucher
Wolfgang Meckelburg Hans Peter Schmitz Rudolf Bindig
Otto Hauser (Esslingen) (Baesweiler)
Hansgeorg Hauser Rudolf Meinl Dr. Ulrich Böhme (Unna)
Dr. Michael Meister Birgit Schnieber-Jastram Arne Börnsen (Ritterhude)
(Rednitzhembach) Dr. Andreas Schockenhoff
Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Angela Merkel Anni Brandt-Elsweier
Friedrich Merz Dr. Rupert Scholz Tilo Braune
Manfred Heise
Rudolf Meyer (Winsen) Reinhard Freiherr von Dr. Eberhard Brecht
Dr. Renate Hellwig Schorlemer
Ernst Hinsken Hans Michelbach Edelgard Bulmahn
Meinolf Michels Dr. Erika Schuchardt Ursula Burchardt
Peter Hintze
Dr. Gerd Müller Wolfgang Schulhoff Hans Martin Bury
Josef Hollerith
Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Dieter Schulte Hans Büttner (Ingolstadt)
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung Engelbert Nelle (Schwäbisch Gmünd) Marion Caspers-Merk
Joachim Hörster Bernd Neumann (Bremen) Gerhard Schulz (Leipzig) Wolf-Michael Catenhusen
Hubert Hüppe Johannes Nitsch Frederick Schulze Peter Conradi
Peter Jacoby Claudia Nolte Diethard Schütze (Berlin) Christel Deichmann
GeorgJanovsky Dr. Rolf Olderog Clemens Schwalbe Dr. Marliese Dobberthien
Helmut Jawurek Friedhelm Ost Dr. Christian Schwarz- Peter Dreßen
Dr. Dionys Jobst Eduard Oswald Schilling Rudolf Dreßler
Michael Jung (Limburg) Norbert Otto (Erfurt) Wilhelm Josef Sebastian Freimut Duve
Ulrich Junghanns Dr. Gerhard Päselt Horst Seehofer Ludwig Eich
Dr. Harald Kahl Dr. Peter Paziorek Wilfried Seibel Peter Enders
Steffen Kampeter Hans-Wilhelm Pesch Heinz-Georg Seiffert Gernot Erler
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Ulrich Petzold Rudolf Seiters Petra Ernstberger
Volker Kauder Anton Pfeifer Johannes Selle Annette Faße
Peter Keller Angelika Pfeiffer Bernd Siebert Elke Ferner
Eckart von Klaeden Dr. Gero Pfennig Jürgen Sikora Lothar Fischer (Homburg)
Dr.Bernd Klaußner Dr. Friedbert Pflüger Johannes Singhammer Gabriele Fograscher
Hans Klein (München) Beatrix Philipp Bärbel Sothmann Iris Follak
Ulrich Klinkert Dr. Winfried Pinger Margarete Späte Norbert Formanski
Dr. Helmut Kohl Ronald Pofalla Carl-Dieter Spranger Dagmar Freitag
Hans-Ulrich Köhler Dr. Hermann Pohler Wolfgang Steiger Anke Fuchs (Köln)
(Hainspitz) Ruprecht Polenz Erika Steinbach Katrin Fuchs (Verl)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4583
Vizepräsident Hans Klein
Arne Fuhrmann Ing ri d Matthäus-Maier Ludwig Stiegler Dr. Klaus Röhl
Monika Ganseforth Heide Mattischeck Dr. Peter Struck Helmut Schäfer (Mainz)
Norbe rt Gansel Ulrike Mehl Joachim Tappe Co rn elia Schmalz-Jacobsen
Konrad Gilges Herbert Meißner Jörg Tauss Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
I ri s Gleicke Angelika Me rt ens Dr. Bodo Teichmann Dr. Hermann Otto Sohns
Günter Gloser Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Margitta Terborg Dr.MaxStdle
Dr. Peter Glotz Ursula Mogg Jella Teuchner Carl-Ludwig Thiele
Günter Graf (Friesoythe) Siegmar Mosdorf Dr. Gerald Thalheim Dr. Dieter Thomae
Angelika Graf (Rosenheim) Michael Müll er (Düsseldorf) Wolfgang Thierse Jürgen Türk
Dieter Grasedieck Jutta Müller (Völklingen) Dietmar Thieser
Achim Großmann Ch ri stian Müller (Zittau) Franz Thönnes
Hans-Joachim Hacker Ku rt Neumann (Ber lin) Adelheid Tröscher Nein
Klaus Hagemann Volker Neumann (Bramsche) Hans-Eberhard Urbaniak
Christel Hanewinckel Gerhard Neumann (Gotha) Siegfried Vergin
Alfred Hartenbach Dr. Edith Niehuis Günter Verheugen BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Dr. Liesel Hartenstein Dr. Rolf Niese Ute Vogt (Pforzheim)
Klaus Hasenfratz Do ri s Odendahl Karsten D. Voigt (Frankfurt) Gila Altmann (Aurich)
Dr. Ingomar Hauchler Günter Oesinghaus Josef Vosen Elisabeth Altmann
Dieter Heistermann Leyla Onur Reinhard Weis (Stendal) (Pommelsbrunn)
Reinhold Hemker Manfred Opel Matthias Weisheit Marieluise Beck (Bremen)
Roll Hempelmann Adolf Ostertag Gunter Weißgerber Volker Beck (Köln)
Dr. Barbara Hendricks Kurt Palis Ge rt Weisskirchen (Wiesloch) Matthias Berninger
Monika Heubaum Albrecht Papenroth Jochen Welt Annelle Buntenbach
Dr. Wilfri ed Penner Hildegard Wester Franziska Eichstädt-Bohlig
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Martin Pfaff Lydia Westrich Dr. Uschi Eid
Dr. Eckha rt Pick Dr. Norbe rt Wieczorek Andrea Fischer (Berlin)
Stephan Hilsberg
Joachim Poß Heidemarie Wieczorek-Zeul Joseph Fischer (Frankfurt)
Gerd Höfer
Hermann Rappe Dieter Wiefelspütz Rita G ri eßhaber
Jelena Hoffmann (Chemnitz)
(Hildesheim) Berthold Wittich Michaele Hustedt
Frank Hofmann (Volkach)
Karin Rehbock-Zureich Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Manuel Kiper
Ing ri d Holzhüter Monika Knoche
Erwin Horn Renate Rennebach Verena Wohlleben
Otto Reschke Hanna Wolf (München) Dr. Angelika Köster-Loßack
Eike Hovermann Steffi Lemke
Bernd Reuter Heidi Wri ght
Lothar Ibrügger Vera Lengsfeld
Dr. Edelbert Richter Uta Zapf
Wolfgang Ilte Dr. Helmut Lippelt
Günter Rix e Dr. Christoph Zöpel
Barbara Imhof Kerstin Müller (Köln)
Reinhold Robbe Peter Zumkley
Brunhilde Irber Winf ri ed Nachtwei
Gerhard Rübenkönig
Gabriele Iwersen Christa Nickels
Dr. Hansjörg Schäfer
Renate Jäger F.D.P. Cem Özdemir
Gudrun Schaich-Walch
Jann-Peter Janssen Gerd Poppe
Bernd Scheelen
Ilse Janz Dr. Hermann Scheer Dr. Gisela Babel Simone Probst
Dr. Uwe Jens Horst Schild Hildebrecht Braun Dr. Jürgen Rochlitz
Volker Jung (Düsseldorf) Otto Scully (Augsburg) Halo Saibold
Sabine Kaspereit Dieter Schloten Günther Bredehorn Irmingard Schewe-Gerigk
Susanne Kastner Günter Schluckebier Jörg van Essen Rezzo Schlauch
Ernst Kastning Horst Schmidbauer Gisela Frick Wolfgang Schmitt
Hans-Peter Kemper (Nürnberg) Paul K. Friedhoff (Langenfeld)
Klaus Kirschner Dagmar Schmidt (Meschede) Horst F ri edri ch Waltraud Schoppe
Mari anne Klappe rt Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Rainer Funke Werner Schulz (Berlin)
Siegrun Klemmer Regina Schmidt-Zadel Hans-Diet ri ch Genscher Rainder Steenblock
Hans-Ul ri ch Klose Heinz Schmitt (Berg) Dr. Wolfgang Gerhardt Chri stian Sterzing
Dr. Hans-Hin ri ch Knaape Walter Schöler Joachim Günther (Plauen) Manfred Such
Walter Kolbow Ottmar Schreiner Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Antje Vollmer
F ri tz Rudolf Körper Gisela Schröter Dr. Helmut Haussmann Ludger Volmer
Nicolette Kressl Dr. Mathias Schube rt Ulrich Heinrich Helmut Wilhelm (Amberg)
Volker Kröning Richard Schuhmann Walter Hirche
Thomas Krüger (Delitzsch) Dr. Burkhard Hirsch
Horst Kubatschka Reinhard Schultz Birgit Homburger PDS
Ecka rt Kuhlwein (Everswinkel) Dr. Werner Hoyer
Konrad Kunick Volkmar Schultz (Köln) Ulrich Irmer Wolfgang Bierstedt
Chri stine Kurzhals Dr. R. Werner Schuster Dr. Klaus Kinkel Petra Bläss
Dr. Uwe Küster Dietmar Schütz (Oldenburg) Detlef Kleinert (Hannover) Eva Bulling-Schröter
Werner Labsch Dr. Angelica Schwall-Düren Roland Kohn Heinrich Graf von Einsiedel
B ri gitte Lange Ernst Schwanhold Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Ludwig Elm
Detlev von Larcher Rolf Schwanitz Jürgen Koppelin Dr. Dagmar Enkelmann
Waltraud Lehn Bodo Seidenthal Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Ruth Fuchs
Dr. Elke Leonhard Lisa Seuster Dr. Otto Graf Lambsdorff Dr. Gregor Gysi
Klaus Lohmann (Witten) Horst Sielaff Heinz Lanfermann Dr. Uwe-Jens Heuer
Christa Lörcher Erika Simm Sabine Leutheusser- Stefan Heym
Erika Lotz Johannes Singer Schnarrenberger Dr. Barbara Höll
Dr. Ch ri stine Lucyga Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Uwe Lühr Ulla Jelpke
Dieter Maaß (Herne) Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Jürgen W. Möllemann Gerhard Jüttemann
Winf ri ed Mante Wieland Sorge Günther F ri ed ri ch Nolting Dr. Heidi Knake-Werner
Dorle Marx Wolfgang Spanier Dr. Rainer Ortleb Rolf Köhne
Ulrike Mascher Dr. Diet ri ch Sperling Lisa Peters Rolf Kutzmutz
Ch ri stoph Matschie Jörg-Otto Spiller Dr. Günter Rexrodt Andrea Lederer
4584 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsident Hans Klein


Dr. Christa Luft Enthalten c) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Heidemarie Lüth Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung,
Dr. Günther Maleuda Immunität und Geschäftsordnung (1. Aus-
Manfred Mü ll er (Berlin) CDU/CSU schuß)
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dr. Egon Jüttner - zu der Beschlußempfehlung und dem Be-
Ch ri stina Schenk
richt des Ältestenrates
Steffen Tippach SPD zu den Empfehlungen der Kommission des
Klaus-Jürgen Warnick Ältestenrates für die Rechtsstellung der
Gerhard Zwerenz Margot von Renesse Abgeordneten in den Vorlagen vom
16. Juni 1995
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 e auf: hier: Ziffer I. und II.
a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- - zu dem Änderungsantrag der Fraktion
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Antrag
Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜND-
Grundgesetzes NIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.

- Drucksache 13/1824 - Weitergeltung von Geschäftsordnungs-


recht
(Erste Beratung 47. Sitzung)
- zu dem Änderungsantrag der Abgeordne-
Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- ten Dr. Gregor Gysi, Wolfgang Bierstedt, Pe-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- tra Bläss und der weiteren Abgeordneten
schäftsordnung (1. Ausschuß) der PDS zu dem Antrag der Fraktionen
CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
- Drucksache 13/2339 -
NEN und F.D.P.
Berichterstattung:
Weitergeltung von Geschäftsordnungs-
Abgeordnete Andreas Schmidt (Mülheim) recht
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
Simone Probst - Drucksachen 13/1803, 13/2, 13/12, 13/2342 -
Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Schmidt (Mülheim)
b) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes zur Än- d) Beratung der Unterrichtung durch die Präsi-
derung des Abgeordnetengesetzes und eines dentin des Deutschen Bundestages zur
Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Eu-
ropaabgeordnetengesetzes Einsetzung einer Reformkommission zur
Größe des Deutschen Bundestages
- Drucksache 13/1825 -
- Drucksache 13/2370 -
(Erste Beratung 47. Sitzung)
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des
aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung,
Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität Immunität und Geschäftsordnung (1. Aus-
und Geschäftsordnung (1. Ausschuß) schuß)
- Drucksache 13/2340 - Verhaltensregeln
Berichterstattung: - Drucksache 13/834 -
Abgeordnete Andreas Schmidt (Mülheim)
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Berichterstattung:
Simone Probst Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier
Jörg van Essen Jörg van Essen
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Peter Paziorek

bb) Beri cht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Zum Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordne-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ten- und des Europaabgeordnetengesetzes liegt je
ein Änderungsantrag der Abgeordneten Peter Con-
- Drucksache 13/2341- radi, Norbe rt Gansel und weiterer Abgeordneter, der
Fraktion der F.D.P. und der Fraktion BÜNDNIS 90/
Berichterstattung: DIE GRÜNEN vor.
Abgeordnete Ina Albowitz
Antje Hermenau Zur Beschlußempfehlung zur Änderung der Ge-
Adolf Roth (Gießen) schäftsordnung liegen ein Entschließungsantrag der
Karl Diller Gruppe der PDS und ein Änderungsantrag der Ab-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4585
Vizepräsident Hans Klein
geordneten Dieter Wiefelspütz, Andreas Schmidt Noch in dieser Woche wird eine Kommission ein-
(Mülheim) und Wilhelm Schmidt (Salzgitter) sowie gesetzt, die alle Fragen behandeln soll, die mit dem
zwei Änderungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/ schwierigen Problem des Neuzuschnitts der Wahl-
DIE GRÜNEN vor. kreise verbunden sind. Diese Kommission legt ihren
Bericht bis spätestens Frühjahr 1997 vor. Mit diesem
Zur Beschlußempfehlung zur Verkleinerung des Beschluß haben wir uns im Parlament selbst gebun-
Bundestages liegt ein Änderungsantrag der Fraktion den.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie
Der Ältestenrat geht für die gemeinsame Ausspra- der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/
che von einer Debattenzeit von - ich sage das sehr DIE GRÜNEN])
bewußt - ungefähr zwei Stunden aus. Dagegen er-
hebt sich kein Widerspruch. Ich halte also fest: Daß der Bundestag wesentlich
verkleinert wird, ist beschlossene Sache; wie er ver-
Ich weise darauf hin, meine verehrten Kolleginnen
kleinert wird, ist nach Vorlage des Berichts der Kom-
und Kollegen, daß wir im Anschluß an die Ausspra-
mission zu entscheiden.
che mehrere namentliche Abstimmungen haben
werden. Zweitens. Wir wollen eine Verbesserung unserer
politischen Arbeit im Plenum und in den Ausschüs-
Zum Änderungsantrag der Abgeordneten Peter
sen. Wir wollen eine Verlebendigung, eine straffere
Conradi, Norbert Gansel und weiterer Abgeordneter
Arbeit, wir wollen, daß die zentralen Fragen der Na-
wünschen die Antragsteller ebenfalls namentliche Ab-
stimmung. Nach § 52 der Geschäftsordnung kann eine
tion hier im Parlament debattiert werden, sind dazu
auf den Donnerstag mit Kerndebattenzeiten gekom-
namentliche Abstimmung von einer Fraktion oder von
men, und wir wollen, daß die Arbeit der Ausschüsse
anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des
öffentlich gemacht wird.
Bundestages verlangt werden. Ob der Antrag auf na-
mentliche Abstimmung die notwendige Unterstüt- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so-
zung findet, werde ich vor der Abstimmung feststellen. wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin DIE GRÜNEN)
Professor Dr. Rita Süssmuth das Wo rt . Also mehr Transparenz im Parlament, mehr Einsicht
in die Alltagsarbeit der Parlamentarier und der Parla-
Dr. Rita Süssmuth (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen mentarierinnen.
und Kollegen, was wir heute beraten, beschäftigt uns Drittens. Wir schaffen eine neue Grundlage und ei-
seit sechs Jahren. Seit 1989 haben sich zwei unab- nen neuen Orientierungsrahmen für die Abgeordne-
hängige Kommissionen mit dem Abgeordnetenrecht tenbezüge, weil sich die alte Regelung nicht bewäh rt
beschäftigt: die Leber-Kommission mit ihrem Be richt hat.DiesgcnmldrVefasugbt,
vom Juni 1990 und die Kissel-Kommission mit ihrem durch Ergänzung von A rt . 48 Abs. 3 des Grundgeset-
Bericht vom Juni 1993. Danach hat der Ältestenrat zes. Dort ist schon jetzt niedergelegt, daß die Abge-
des Deutschen Bundestages die Neuregelung seit ordneten Anspruch auf eine angemessene, ihre Un-
Beginn dieses Jahres in der Rechtsstellungskommis- abhängigkeit sichernde Entschädigung haben. Sie
sion vorbereitet. soll sich künftig an den Jahresbezügen eines Richters
Was also soll an dem Paket, das wir heute verab- an einem obersten Bundesgericht orientieren. Diesen
schieden wollen, übereilt sein? Worin soll die Satz wollen wir ergänzend in die Verfassung hinein-
„Nacht- und Nebelaktion" bestehen, die uns von nehmen.
Teilen der Öffentlichkeit vorgeworfen wird. Die nähere Ausgestaltung wird durch Bundesge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- setz oder auf Grund eines Bundesgesetzes geregelt.
wie der Abg. Ul ri ch Irmer [F.D.P.] und Damit wird klargestellt, daß auch diese Regelung in
Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren vor der
NEN]) Öffentlichkeit getroffen werden muß.
Diese Reform ist gründlich vorbereitet. Nur wenige Als Anknüpfungspunkt wählen wir die Richterbe-
Fragen sind so lange im öffentlichen Streit gewesen soldung nach der Gruppe R 6. Ich wiederhole: die
wie die Abgeordnetenbezüge, nämlich im Grunde Besoldung eines Richters, nicht - wie uns unterstellt -
seit dem Verfassungsgerichtsurteil 1975 - lange ge- des Vorsitzenden Richters oder des Präsidenten eines
nug. Bundesgerichts. R 6 ist nicht R 8 oder R 10. Dieser Be-
zug ist eindeutig und eine klare Begrenzung; er kann
Das Ihnen vorliegende Paket besteht aus drei Tei- nicht nach oben ausgelegt werden und steht eindeu- -
len: der Parlamentsreform, der Neuregelung des Ab- tig im Abgeordnetengesetz.
geordnetenrechts und der Verkleinerung des Parla-
ments. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der SPD)
Erstens zur Verkleinerung. Der Bundestag hat be-
reits am 29. Juni dieses Jahres beschlossen, daß er ab Die Ankoppelung der Abgeordnetenbezüge an die
der 15. Wahlperiode, also regulär ab dem Jahre 2002, Richterbesoldung soll in sechs Stufen erfolgen. Sie
um maximal 100 Abgeordnete auf unter 600 Mit- beginnt rückwirkend zum 1. Januar 1995 und endet
glieder verkleinert wird, und zwar unter Beibehal- am 1. Januar 2000. Die einzelnen Stufen werden in
tung des geltenden, bewährten Wahlrechts. das Abgeordnetengesetz aufgenommen und sind
4586 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Dr. Rita Süssmuth
do rt , jeweils bezogen auf das Richtergehalt R 6, Die Mindestaltersversorgung, die eine Mandats-
nachprüfbar. Mit dieser Bezugsgröße haben wir uns zeit von wenigstens acht Jahren voraussetzt, wird
an die Maßgaben der Kissel-Kommission von 1993 künftig 24 statt bisher 35 % der Monatsentschädi-
gehalten. Der Beginn der ersten Erhöhungsstufe gung betragen; bei zwölf Jahren werden es 36 statt
rückwirkend zum 1. Januar 1995 bedeutet, daß die bisher 51 % sein.
nach diesem Datum erfolgte Besoldungserhöhung
1995 nicht darin enthalten ist. Diejenigen Parlamentarier, die schon jetzt Ansprü-
che haben, genießen nicht wie allgemein üblich vol-
Im Zusammenhang mit der abgestuften Ankoppe- len Vertrauensschutz. Vielmehr wirkt sich die Erhö-
lung an die Richterbesoldung sind in den letzten Ta- hung der Abgeordnetenbezüge nur zu 50 % auf die
gen abenteuerliche Zahlen genannt worden. Altersversorgung aus. Von einer allgemeinen Erhö-
hung der Altersversorgung um 40 % kann nicht die
(Zustimmung bei der CDU/CSU und der Rede sein.
SPD)
Warum werden diese deutlichen Einschnitte bei
Lassen Sie mich klar feststellen: Dies sind trügeri-
der zukünftigen Altersversorgung und beim Über-
sche Zahlenspielereien, die auf willkürlichen Annah-
men beruhen. gangsgeld von Teilen der Öffentlichkeit verdreht
oder ganz verschwiegen? Das geschieht, weil sonst
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so das Bild vom geldgierigen Parlamentarier zusam-
wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ menbräche.
DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so-
Sie ermitteln hypothetisch für das Jahr 2000 Berech- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
nungsdaten, mit denen in der Öffentlichkeit massiv DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
Stimmung gegen uns als Parlamentarier und Parla-
mentarierinnen gemacht wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Vorberei-
tung dieser Debatte haben wir einseitige und überzo-
(Freimut Duve [SPD]: Und als Parlament!) gene Angri ffe auf das Parlament erlebt wie selten zu-
vor. Kritiker werfen uns vor, wir wollten uns mit der
Ob und in welcher Höhe es Besoldungserhöhungen Neuregelung einen Freibrief zur Selbstbedienung
in den nächsten Jahren überhaupt geben wird, kann ohne Transparenz und ohne jede Kontrolle verschaf-
heute niemand sagen. Deswegen ist es abwegig, von fen. Das ist medienwirksam und bringt die Öffent-
Erhöhungen zwischen 50 und 60 % über sechs Jahre lichkeit gegen uns auf.
zu sprechen.
Absurd finde ich den öffentlich erhobenen Vorwurf
Ein weiterer Bestandteil der Neuregelung ist die der Verschleierung unserer wahren Absichten
Kostenpauschale. Sie bleibt 1995 unverändert und
wird künftig jährlich, erstmalig zum 1. Januar 1996, (Zustimmung bei der CDU/CSU)
der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungsko-
sten angepaßt. Nichts mit rückwirkenden Erhöhun- und eines Verfassungsbruchs von Parlaments wegen.
gen! Es bleibt bei der Pauschale, weil sie die wirt- Diese Vorwürfe sind böswillig.
schaftlichste Form ist - ohne neuen bürokratischen
Verwaltungsaufwand - und die sparsamste für den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so-
Steuerzahler. wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU,
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Hier werden Tatsachen verdeckt und verschleiert,
GRÜNEN) um Vorurteile, ja Falschurteile bewußt zu erzeugen,
weil diese sich mit ihrer Polemik und Diffamierung
Ich füge hinzu: Abgeordnete können über die Pau- besser vermarkten lassen.
schale hinaus keine weiteren Aufwendungen steuer-
lich geltend machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so-
wie bei Abgeordneten der F.D.P.)
Die abgestufte Erhöhung der Diäten bis zum Jahr
2000 wird von deutlichen Einschnitten bei der zu- Hier wird Stimmung gegen das Parlament und
künftigen Altersentschädigung, nämlich minus 27 %, seine Mitglieder gemacht. Das ist gewollt. Diskus-
und dem Übergangsgeld begleitet. Der Bezugszeit- sion: sie ist notwendig; Kritik: sie ist selbstverständ-
raum für das Übergangsgeld nach § 18 des Abgeord- lich; Diffamierung: sie ist undemokratisch. -
netengesetzes wird halbiert. Ab dem vierten Monat
nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so-
tag werden künftig alle anderweitigen Einkünfte an- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
gerechnet. DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
Die Struktur der Altersentschädigung wird verän- Was ist die Absicht? Wozu dieses Feindbild, mit
dert. Die jährliche Steigerungsrate wird auf 3 % ab- dem seit Jahren und immer wieder penetrant die
gesenkt. Der Höchstsatz wird von 75 auf 69 % redu- Parlamentarier als „Selbstbediener", „Absahner",
ziert und zukünftig nicht nach 18, sondern erst nach „Geldgeile", nun auch als „Verfassungsbrecher" und
23 Jahren Mitgliedschaft im Parlament erreicht. „Verschleierer" heruntergemacht werden? Solche
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4587
Dr. Rita Süssmuth
Anfeindungen ersticken jede Bereitschaft zur sachli- Drucksache 13/2339, die Ihnen vorliegt. Deshalb soll-
chen und ehrlichen Auseinandersetzung bei unter- ten die Kritiker unserer Reformen zumindest die
schiedlichen Positionen. Der Demokratie dienen sol- Rechtslage bei unseren Nachbarn zur Kenntnis neh-
che Vorgehensweisen, solche Unterstellungen nicht. men.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so Auch der Gegenvorschlag, die Einsetzung einer
wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ unabhängigen Kommission zur Überprüfung der
DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Diäten beim Bundespräsidenten, bringt keinen wirk-
lich neuen Aspekt in die Diskussion.
Wir verschleiern nicht, sondern legen für jeden nach-
vollziehbar offen, wir brechen nicht die Verfassung, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
sondern schreiben präzise in die Verfassung, was
dort bislang unbestimmt ausgedrückt worden ist. Das alles haben wir im Rahmen der Verfassungsre-
formkommission eingehend erörtert.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Jahrzehntelang war streitig, was ein Abgeordneter Bei jeder Kommission, die eingesetzt wird, ist
verdienen soll. Um diese Auseinandersetzung zu be- nichts gewonnen, wenn sie letztlich nur Empfehlun-
enden, wollen wir jetzt vor den Augen der Öffentlich- gen ausspricht. Der Vorwurf der Selbstbedienung
keit eine Grundsatzentscheidung in der Verfassung könnte dann immer wieder erhoben werden. Sollte
selbst treffen. dagegen eine Kommission mit ihrer Entscheidung
das Parlament festlegen können, dann wäre eben-
Auch die Ausfüllung dieses Orientierungsrah- falls eine Verfassungsänderung notwendig.
mens in den entsprechenden Bundesgesetzen voll-
zieht sich vor den Augen der Öffentlichkeit - Jahr für Vieles, was in diesen Tagen in der öffentlichen Dis-
Jahr, wenn es sein muß, jeweils bei der Anpassung kussion zur Parlamentsreform gesagt wird, liegt ne-
des maßgebenden Besoldungsrechts für die Bundes- ben der Sache, setzt uns in ein abträgliches Licht und
richter. Darüber hinaus werden die entsprechenden schürt mit erheblichem Anteil eine Neiddiskussion.
Zahlen jährlich im Handbuch des Deutschen Bun- Das gilt besonders für die künftige Höhe der Abge-
destages - für jeden zugänglich - veröffentlicht. ordnetenbezüge. Unter dem Deckmantel der Wis-
senschaftlichkeit werden spekulative Berechnungen
Schon bei der erstmaligen Festsetzung der Diäten präsentiert. Dagegen wehre ich mich mit aller Ent-
nach dem Verfassungsgerichtsurteil 1975 waren als schiedenheit.
Orientierungsmaßstab die Jahresbezüge eines
hauptamtlichen Oberbürgermeisters in mittelgroßen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so
Städten, d. h. 100 000 bis 250 000 Einwohner, zu- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
grunde gelegt worden. Inzwischen sind wir weit da- DIE GRÜNEN)
hinter zurückgefallen. Zu diesem Maßstab kehren
wir mit der Richterbesoldung als Anknüpfungspunkt Es sind schlichte Zahlenspielereien, die die öffentli-
zurück. Dies macht Sinn, weil Abgeordnete wie Rich- che Debatte hochgradig emotionalisieren und mit de-
ter nach Art. 38 des Grundgesetzes nicht an Aufträge nen bewußt Stimmung gegen das Parlament ge-
und Weisungen gebunden sind. macht werden soll.

Die Verfassungsänderung ist keine Aushöhlung Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ich dieser
des Grundgesetzes, sondern eine Konkretisierung, Tage über das Gesetzgebungsverfahren gehört und
für jeden Bürger nachlesbar und vom Verfassungsge- gelesen habe - vom Durchpeitschen über Geldgier,
richt nachprüfbar. Betrug, Verheimlichung bis hin zum Verfassungs-
bruch - hat mit den Vorlagen, die in der Rechtsstel-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so lungskommission, im Ältestenrat, in den Fraktionen
wie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/ und den Ausschüssen beraten wurden, kaum etwas
DIE GRÜNEN]) zu tun.
Art . 48 der Verfassung gehört nicht zu dem von Vergessen ist offenbar, daß sich das Parlament seit
Art. 79 Abs. 3 geschützten änderungsfesten Kern des sechs Jahren mit diesem Thema befaßt; vergessen
Grundgesetzes. Ebensowenig ist das demokratische sind offenbar auch die Schlagzeilen vergangener
Prinzip durch die Änderung von A rtikel 48 berührt. Jahre, in denen uns die Vorschläge der Experten-
Wir entscheiden in dem dafür vorgesehenen Gesetz- kommissionen bereits als angeblich beschlossene
gebungsverfahren und haben dafür eine Zweidrittel- Gehaltserhöhungen zugeschrieben wurden.
mehrheit bei der Abstimmung aufzubringen. Dies -
zeigt, wie unberechtigt und abwegig der Vorwurf des Klar ist, daß wir den bislang durch nichts zu ent-
Verfassungsbruchs gegen das Parlament ist. kräftenden Vorwurf der Selbstbedienung für die Zu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kunft ein für allemal ausräumen wollen. Deshalb
fasse ich zusammen: Wir verschleiern nichts, sondern
Was unfreundliche Stimmen bei uns als Skandal schaffen Transparenz; wir ändern das Grundgesetz
bezeichnen, geschieht in über zwei Dritteln der west- in einem offenen Verfahren; wir heben die Abgeord-
europäischen Demokratien, nämlich eine Bindung netenentschädigung in sechs Stufen bis zur Jahrtau-
der Abgeordnetendiäten an Gehälter des öffentli- sendwende an; wir reduzieren die zukünftige Alters-
chen Dienstes. Dazu zählen Richter- und Beamtenge- versorgung; wir verkleinern das Parlament und straf-
hälter. Eine Übersicht darüber enthält die Anlage zu fen seine Arbeit.
4588 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Dr. Rita Süssmuth


Ich halte fest: Trotz der Mehraufwendungen für die diengesellschaft leben. Der Dialog zwischen Politik
Neuregelung der Abgeordnetenbezüge wird unser und Öffentlichkeit wird zu ganz wesentlichen Teilen
Parlament nach der Verkleinerung den Steuerzahler über die Medien vermittelt, was einerseits die Me-
deutlich entlasten. dien zum Part ner der Politik macht, ihnen aber ande-
rerseits eine außerordentliche Machtstellung ver-
Wir haben die Reform gründlich beraten und leiht.
durchdacht. Dabei gab es unterschiedliche Vorstel-
lungen. Die Kritik, der wir dabei ausgesetzt waren (Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND-
und noch sind, ist nicht neu; wir haben uns seit Jah- NIS 90/DIE GRÜNEN])
ren mit ihr auseinandergesetzt. Trotzdem überra-
schen mich die Vehemenz und Wucht dieser Kritik, Etwas überspitzt könnte man sagen: Wenn es in un-
deren Hauptziel es ist, diese Reform um jeden Preis serem Lande so etwas wie kontrollose Macht gibt,
zu verhindern. dann ist es die der Medien.
Ehrverletzungen des Parlaments und der Parla- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der
mentarier können niemals ein verhältnismäßiges F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND-
Mittel in unserer Demokratie sein. Sie schlagen auf NISSES 90/DIE GRÜNEN)
ihre Urheber zurück.
Das wird, füge ich gleich hinzu, auch so bleiben, weil
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so jeder Versuch der Regelung in diesem Bereich fehl-
wie bei Abgeordneten der F.D.P. und des gehen muß und deshalb unterbleiben sollte.
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
Der Deutsche Bundestag hat sich der Kritik zu stel- F.D.P.)
len, hat seine Entscheidungen zu begründen und
transparent zu machen, aber er muß auch nach sei- Die Medien haben unsere Arbeit zur Parlamentsre-
ner Überzeugung und nach eingehenden Beratun- form von Anfang an begleitet und das Ergebnis be-
gen die notwendigen Entscheidungen treffen und sie gutachtet. Das Echo war nicht einheitlich, auch nicht
nicht vor sich herschieben. Deshalb schlage ich Ih- im Falle der Diätenerhöhung, die immer in besonde-
nen das Reformpaket heute in all seinen Teilen zur rer Weise, zumeist unfreundlich, sogar bösartig kom-
Annahme vor. mentiert wird. Im einzelnen will ich das weder analy-
sieren noch bewerten. Zu den Veröffentlichungen im
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so „Spiegel" muß allerdings ein deutliches Wo rt gesagt
wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ werden;
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen
denn der „Spiegel" ist ja nicht irgendein Presseorgan
Hans-Ulrich Klose das Wo rt .
und Rudolf Augstein auch nicht irgendein Journalist.

Hans-Ulrich Klose (SPD): Herr Präsident! Meine Meine Damen und Herren, natürlich steht dem
sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte vorab „Spiegel" jedes Recht zur Kritik zu, was immer die
der Präsidentin des Deutschen Bundestages und den Motive der Redaktion im Einzelfall sein mögen. Es
Kolleginnen und Kollegen in der Rechtsstellungs- hat auch wenig Sinn, sich zu ärgern. Ärgern ist keine
kommission danken. Wir haben ausführlich und sehr angemessene politische Reaktion, wenngleich
sorgfältig und sehr offen im Umgang miteinander be- menschlich verständlich. Hier ist über Politik zu re-
raten. den, und zwar über Politik, die der „Spiegel" macht.
Dazu sage ich: Politisch absolut unakzeptabel sind in
Daß wir unter Zeitdruck gearbeitet hätten, wird den Darstellungen des „Spiegel" vor allem zwei
man schon deshalb nicht behaupten können, weil Punkte.
wir auf jahrelange Vorarbeiten im Parlament zu-
rückgreifen konnten. Wir haben dem Ältestenrat Erstens. Das Schaubild im „Spiegel" der vergange-
und dem Parlament ein Paket vorgelegt, das drei nen Woche trug die Überschrift „Mundwerk hat gol-
Teile oder Körbe hat; die Präsidentin hat sie vorge- denen Boden". Wer so formuliert, setzt erkennbar auf
stellt. Stimmung, auf wohlbekannte Stimmungsmache, die
unter der Überschrift „Parlament gleich Schwatz-
Alle Teile sind wichtig. Wir waren uns aber in der bude" in eine Vergangenheit zurückreicht, die wir
Rechtsstellungskommission einig, daß der Korb 2 der überwunden glaubten.
zentrale ist, jener also, der die Arbeit im Plenum und -
in den Ausschüssen, die Mitwirkungsmöglichkeiten (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der
des einzelnen Abgeordneten bet rifft und das Zusam- F.D.P. sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer
men- und Gegenspiel von Regierung und Parlament, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
von Regierungsmehrheit und Opposition. Hier,
meine Damen und Herren, sind Verbesserungen Das Parlament ist die Bühne der öffentlichen De-
dringend erforderlich: bei der Arbeit, aber auch bei batte. Do rt muß geredet und gestritten werden; das
der Medienvermittlung. ist konstitutives Merkmal des Parlamentarismus. Wer
dies lächerlich macht, macht das Parlament lächer-
Letzteres, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist lich und nimmt die Verächtlichmachung des Parla-
besonders wichtig, weil wir in einer totalen Me ments zumindest in Kauf. Das ist jedenfalls unakzep-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4589
Hans-Ulrich Klose
tabel und verheerend für die Demokratie. Das haben Ein Parlament, das so wenig auf seine Selbstach-
wir bitter gelernt. tung bedacht ist, hat auf Achtung seitens der
Wähler keinen Anspruch mehr.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
F.D.P. sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer Was um Gottes willen soll das heißen?
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Der
Darauf hinzuweisen und solche Art der Darstellung starke Mann soll wieder herl)
zurückzuweisen ist deshalb unsere Pflicht. Sollen Bundestagsabgeordnete, weil sie sich für eine
Ich will, meine Damen und Herren, nicht überzie- bestimmte Systematik in der Diätenfrage entschei-
hen. Polemik ist, wie Sie wissen, meine Sache nicht. den, ehrlos gestellt werden? Was bedeutet dies kon-
Ihnen allen wird aber wie mir aufgefallen sein, daß kret? Die Freigabe zum mindestens politischen Ab-
Herr von Arnim, mit dem ich mich im übrigen nicht schuß? Soll das Parlament insgesamt künftig nicht
weiter befassen möchte, weil es sinnlos ist, mehr geachtet werden, und wenn ja, was heißt das
für die Arbeit, die hier geleistet wird? Welche Grund-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der einstellung verbirgt sich hinter solcher Maßlosigkeit
F.D.P.) in der Kritik? Mit berechtigter Kritik, meine Damen
und Herren, hat das nichts mehr zu tun, nicht einmal
in seinem zweiten Pressestatement zur geplanten mehr mit Rechthaberei.
Änderung des Art. 48 des Grundgesetzes ausdrück-
lich und - was schlimm ist - wohl mit voller Absicht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem
von Ermächtigungsvorschrift spricht. Ermächti- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
gungsvorschrift, das erinnert doch sehr stark an Er- Die akzeptiert zumindest, daß es eine andere Mei-
mächtigungsgesetz und weist in eben jene Zeit zu- nung gibt, während hier nur eine Meinung gilt, die
rück, als das Parlament als Schwatzbude diskredi- des Rudolf Augstein, alles andere ist für ihn „Coup"
tiert und dann abgeschafft wurde. und „Verfassungsbruch".
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Es waren doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen
F.D.P.) - dafür rufe ich auch jene als Zeugen an, die in der
Rechtsstellungskommission mitgearbeitet, die die
An diesem Punkt hat - so scheint es - auch Rudolf Mehrheitsvorschläge aber nicht akzeptiert haben
Augstein in seinem Kommentar gezuckt. Aber er be- und die dennoch die Ernsthaftigkeit der Diskussion
nutzt das gleiche Wo rt , setzt es nur in Anführungszei- bezeugen können - ganz und gar nicht Geldgier und
chen, was die Sache nicht besser macht. So zu formu- Geldgeilheit, die uns veranlaßt haben, eine verän-
lieren ist absolut unerträglich. derte Systematik vorzuschlagen. Es war die gemein-
(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND same Erkenntnis, daß wir niemals aus dem aufs im-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) mer neue vorgetragenen Vorwurf der willkürlichen
Selbstbedienung herauskommen würden, wenn wir
Ich wünschte mir, daß dies auch jene Kolleginnen nicht einen objektiven Maßstab finden für das, was
und Kollegen als unerträglich zurückweisen, die aus im Sinne von Art . 48 des Grundgesetzes angemessen
ganz anderen Gründen, mit Argumenten nämlich ist.
und in angemessener Form, der vorgeschlagenen
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und
Änderung des Art . 48 des Grundgesetzes widerspre-
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
chen. In diesem Punkt sind wir alle angesprochen.
Abgeordnete haben einen „Anspruch auf eine ange-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem messene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädi-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) gung", so steht es in unserer Verfassung. Wann je-
Zweitens. Mindestens ebenso ungeheuerlich sind mals, frage ich mich, haben der Bund der Steuerzah-
ler oder Rudolf Augstein eine Diätenerhöhung, wie
zwei Bemerkungen in dem Kommentar von Rudolf
Augstein, der diesem Parlament immerhin - wenn bescheiden auch immer, bejaht oder sogar unter-
auch nur für wenige Wochen - einmal angehörte; stützt? Sie waren es doch - nicht allein, sondern ge-
länger wollte er die Mühsal nicht auf sich nehmen. meinsam mit vielen anderen -, die ständig und ohne
Zögern und ohne Skrupel von „Selbstbedienung"
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der und „Willkür" geredet und geschrieben und damit
F.D.P.) Stimmung gegen das Parlament und Parlamentarier
gemacht haben, und zwar - ich sage das mit großem-
Er schreibt an einer Stelle: Ernst - in einer Weise, die die Unabhängigkeit der
Abgeordneten sehr viel nachhaltiger beeinträchtigt
Wer immer dieser „Ermächtigungsvorschrift" per hat als sonstige Versuche, Abgeordnete gefügig zu
Verfassungsänderung in dieser Woche zustimmt, machen.
wird auf Achtung und Ehre keinen Anspruch
mehr erheben können. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
(Widerspruch bei der SPD und der CDU/
CSU) Es ist nicht übertrieben, in diesem Zusammenhang
von gebeugten Abgeordneten zu sprechen; mit Mi-
Wenige Zeilen später: mosenhaftigkeit hat das wahrlich nichts zu tun.
4590 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Hans-Ulrich Klose
Meine Damen und Herren, ich kann nicht erken- Veränderungen bis zum Jahr 2000 vorgenommen
nen, daß die vorgeschlagene Regelung gegen das werden. Wenn man die vorgeschlagene Neurege-
Demokratieprinzip und das Gebot der Öffentlichkeit, lung mit 3 % Gehaltssteigerung pro Jahr auf das Jahr
also gegen die Verfassung, verstößt. Kein Verfas- 2000 hochrechnet, dann muß man das auch für die
sungsjurist mit großem Namen hat sich so geäußert. gegenwärtige Regelung tun. Dann aber sehen die
Im Gegenteil: Auch der Vertreter der F.D.P. im Innen- Vergleichszahlen ganz anders aus. Dies nicht getan
ausschuß, ein habilitierter Ju rist, hat für sich klarge- zu haben ist der Trick des Herrn von Arnim.
stellt, er halte den vorgeschlagenen Weg verfas-
sungsrechtlich für unbedenklich. Er hat, wie andere (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
auch, verfassungspolitische Zweifel angemeldet, F.D.P.)
und das ist völlig in Ordnung, weil man in der Tat po- Eine letzte Bemerkung: Die Mitglieder der Rechts-
litisch anderer Meinung sein kann. stellungskommission haben dem Ältestenrat einen
(Beifall bei der F.D.P.) Gesamtvorschlag unter der Überschrift „Parla-
mentsreform" zugeleitet. Es geht - um darauf noch
Ich persönlich glaube allerdings, daß der Vor- einmal hinzuweisen - nicht in erster Linie um die Ab-
schlag, mit einer Kommission zu arbeiten, der weni- geordnetenbesoldung. Es geht um die zu verbes-
ger geeignete Weg ist, weil er uns von dem Vorwurf sernde Arbeitsweise des Parlaments im Plenum -
der Selbstbedienung nicht befreit, es sei denn, die Stichwort: Präsenz - und in den Ausschüssen - Stich-
Kommission würde abschließend für das Parlament wort : Transparenz, es geht um verbesserte Wirkungs-
entscheiden, was dann aber ganz gewiß verfassungs- möglichkeiten des einzelnen Abgeordneten, um
rechtliche Zweifel auslösen müßte. Wenn aber die seine Unabhängigkeit. Dies und die von der Mehr-
Kommission nicht abschließend entscheidet, bleibt heit vorgeschlagene Verkleinerung des Parlaments
die Situation so, wie sie jetzt ist, nur wird der Be richt um bis zu 100 Abgeordnete, das ist die eigentliche
der Präsidentin durch den einer Kommission ersetzt. Parlamentsreform, die der Bundestag in erster Le-
Ich kann nicht sehen, daß uns das weiterhelfen sung schon zustimmend zur Kenntnis genommen
würde. hat.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich weise deshalb ganz besonders auf diesen Ge-
samtzusammenhang hin, weil mir daran liegt, den
Nein, ich bin davon überzeugt, daß wir einen ob- Paketcharakter des Reformwerkes einmal mehr zu
jektiven Maßstab brauchen, und zwar in der Verfas- betonen. Wer einen Stein des Pakets kippt, kippt die
sung selbst, für jedermann nachlesbar, für jedermann Reform und will das wohl auch. Umgekehrt gilt aber
in der konkreten Höhe erkennbar - für die Medien auch, daß, wer heute zustimmt, sich später bei den
und jene, übrigens sehr gut bezahlten, Berufskriti- anderen Teilen des Reformpaketes nicht verabschie-
ker, die sich gutachtlich zu äußern pflegen. den kann.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so-
CDU/CSU und der F.D.P.) wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Im übrigen liegt die Entscheidung über die Jahresbe- DIE GRÜNEN)
züge der Abgeordneten auch in Zukunft beim Parla- Ich betone das deshalb so nachdrücklich, weil die
ment, ist also auf jeden Fall öffentlich. Wer anderes Vorschläge der Rechtsstellungskommission zur Parla-
sagt, redet an der Wahrheit vorbei. mentsreform im engeren Sinne, Plenum und Aus-
Noch einmal: Ich akzeptiere, daß es bei dieser schüsse betreffend, im Dialog der Fraktionen bisher
Frage verfassungspolitisch unterschiedliche Meinun- nur zum Teil umgesetzt worden sind, was ich be-
gen gibt und geben kann. Sich so oder so zu ent- daure und was ich als Schlußpunkt der Reformbemü-
scheiden ist aber weder unehrenhaft noch verächt- hungen auf gar keinen Fall akzeptieren möchte.
lich. Jedenfalls bin ich zutiefst davon überzeugt, daß Meine Damen und Herren, die Wirksamkeit des
die von der Rechtsstellungskommission vorgeschla- Parlaments erweist sich nicht an der Zahl der be-
gene Systematik ein Beitrag ist, um die Jahr für Jahr schlossenen Gesetze, sondern nach innen und nach
mit Lust und Fleiß bet riebene Beschädigung des Par- außen an unserer Fähigkeit und unserem Willen, das
laments zu stoppen. Anders als durch Vorgabe eines Parlament zu dem zu machen, was es nach der Ver-
objektiven Maßstabes ist das nicht möglich. Die fassung sein sollte: das lebendige Zentrum in einer
Orientierung an der Richterbesoldung liegt dabei lebendigen Demokratie. Bei einer solchen Reform,
schon deshalb nahe, weil für beide Berufsgruppen, mit diesem Ziel, mitzuarbeiten lohnt sich allemal.
die der Richter und die der Abgeordneten, Unabhän-
gigkeit ein wesentliches Merkmal ihrer Arbeit ist. (Anhaltender Beifall bei der SPD und der
CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten des
Ich halte zudem die schrittweise - in sechs Schrit- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der
ten vollzogene - Angleichung der Bezüge an die F.D.P.)
Richterbesoldung der Gruppe R 6 - das sind Bundes-
richter, nicht Verfassungsrichter - für maßvoll und
Vizepräsident Hans Klein: Kollege Gerald Häfner,
füge hinzu: Wer Prozentzahlen nennt und Bezüge -
Diäten und Versorgungsbezüge - vergleicht, arbeitet Sie haben das Wo rt .
nach meiner Einschätzung nur dann wissenschaft-
lich, wenn solche Vergleiche für den gleichen Zeit- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
punkt unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4591
Gerald Häfner
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt nicht leicht, ment ganz schnell in einem Hauruck-Verfahren ge-
aber ich muß etwas Wasser in den Wein, der hier ge- ändert werden,
reicht wurde, gießen.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/
Wir können - ich glaube, Herr Klose, wir tun das CSU und der SPD)
zu Recht - uns gegen ausgesprochen unschöne, anti- damit die Diäten der Abgeordneten im Grundgesetz
parlamentarische und gefährliche Töne wehren, die festgeschrieben sind. Sie wissen, meine Damen und
gegenwärtig in der Öffentlichkeit wieder wohlfeil Herren, daß das verfassungswidrig ist. Herr Wiefels-
sind und die Runde machen. pütz, Sie wissen, daß es in dem Sinne verfassungs-
widrig ist, als es gegen die geltende Verfassung und
(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD]) deren eindeutige Auslegung durch das Bundesver-
fassungsgericht verstößt.
Wir sollten uns aber nicht darüber empören, ohne
nachzudenken, ob wir daran nicht selbst schuld sind. Das ist genau der Grund, warum Sie jetzt die Ver-
fassung ändern wollen. Sie müßten die Verfassung
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht ändern, wenn das, was heute beschlossen wer-
den soll, verfassungskonform wäre.
Ich bin dieser Meinung.

Heute sollte eigentlich ein großer Tag werden, eine Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, gestatten
Sternstunde des Parlaments: Dies sollte die erste Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
wirklich große Parlamentsreform werden. Was ist es
geworden? - Lieber Herr Vizepräsident, dieser Ver- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
lauf war absehbar, und zwar genau aus Gründen des Gerne, selbstverständlich.
Junktims, das Sie eben dargestellt haben. Der so
wichtige Komplex der Parlamentsreform, also die
Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Kollege Häfner,
Frage: Wie kann der Bundestag seine Arbeit, aber
können Sie dem Parlament erläutern, warum wir
auch seine Darstellung nach außen - wir sollen ja das
heute von seiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
Volk vertreten - verbessern?, wurde der Fragestel-
GRÜNEN zum erstenmal verfassungsrechtliche Be-
lung untergeordnet: Wie können wir die Diäten so er-
denken gegen die Verfassungsänderung hören?
höhen, daß in Zukunft niemand mehr mitreden kann
und wir keine öffentlichen Debatten dazu mehr be- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
stehen müssen? Das halte ich für ein unzuträgliches
Verfahren. Ich bedaure von Herzen, daß die Parla- Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
mentsreform, die wir heute machen wollten, diesem
kann dies nicht bestätigen. Ich habe diese Bedenken
Verfahren zum Opfer fällt.
in allen Stadien der Beratung, soweit es mir über-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haupt möglich war, als Abgeordneter daran teilzu-
sowie des Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]) nehmen, deutlich gemacht.
Ich möchte Ihnen als Antwort auf Ihre Frage, Herr
Ich möchte an dieser Stelle - es geht hier ja zentral Wiefelspütz, einfach eine Passage aus dem Urteil des
um die Grundgesetzänderung - etwas zum Grund- Bundesverfassungsgerichts zitieren, wo es um die
gesetz und zu unserem Umgang damit sagen. Das Frage geht, ob die Entschädigung der Abgeordneten
Grundgesetz ist die Grundlage dieses Gemeinwe- an der Entschädigung von Beamten orientiert wer-
sens - das sehe ich anders als die Herren Schäuble, den kann. Da heißt es:
Kanther und andere. Wenn wir uns fragen, was die
Menschen in diesem Land in einer Zeit des wachsen- Die Entschädigung hat auch nichts mit den Rege-
den Individualismus, auch des wachsenden Egois- lungen des Gehalts in den Besoldungsgesetzen
mus und des Auseinanderbrechens gesellschaftlicher zu tun. Sie verträgt deshalb auch keine Annähe-
Strukturen zusammenhält, dann können das, so rung an den herkömmlichen Aufbau eines Beam-
meine ich, nicht Werte des 19. Jahrhunderts, nicht tengehalts und keine Abhängigkeit von der Ge-
Blut und Nation sein, das, was uns schon einmal in haltsregelung, etwa in der Weise, daß sie unmit-
die tiefste Katastrophe dieses Jahrhunderts get rieben telbar oder mittelbar in Von-Hundert-Sätzen ei-
hat. Das kann eigentlich nur der Konsens über die nes Beamtengehalts ausgedrückt wird. Denn dies
Grundlagen unserer Verfassung sein. letztere ist kein bloß „formal-technisches Mittel"
zur Bemessung der Höhe der Entschädigung,
Wir hatten lange Debatten über Änderungen des sondern der Intention nach dazu bestimmt, das -
Grundgesetzes in der Gemeinsamen Verfassungs- Parlament der Notwendigkeit zu entheben, jede
kommission. Wir haben Staatszielbestimmungen, die Veränderung in der Höhe der Entschädigung im
Aufnahme von Volksbegehren und Volksentschei- Plenum zu diskutieren und vor den Augen der Öf-
den und vieles andere gefordert. Die Antwort war: fentlichkeit darüber als einer selbständigen poli-
Nein, das Grundgesetz hat sich bewährt. Es hat unse- tischen Frage zu entscheiden. Wertet man also
rem Staat mehr als 40 Jahre lang Stabilität gegeben. die „technische" Kopplung der Entschädigung
Wir sollten es nicht vorschnell ändern. an eine besoldungsrechtliche Regelung materia-
liter, so führt sie zur Abhängigkeit jeder Erhö-
Und heute? Heute soll das Grundgesetz ohne aus- hung der Entschädigung von einer entsprechen-
reichende Debatte in den Ausschüssen und im Parla den Erhöhung der Besoldung. Genau dies aber
4592 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Gerald Häfner
widerstreitet der verfassungsrechtlich gebotenen Die Frage der Höhe der Entschädigung für Abge-
selbständigen (und nicht in die ganz andere Ent- ordnete ist eine schwierige Frage. Denn auf der ei-
scheidung über die angemessene Besoldung der nen Seite können wir nicht in der Bevölkerung Was-
Beamten eingeschlossene) Entscheidung des ser predigen und selbst Wein trinken. Sie wissen, daß
Parlaments über die Bestimmung dessen, was die jährliche Steigerung, die Sie jetzt beantragen,
nach seiner Überzeugung „eine angemessene ... dem Doppelten des Sozialhilfesatzes entspricht, d. h.,
Entschädigung" ist. daß die Steigerung bis zum Jahre 2000 dem Zehnfa-
chen des aktuellen Sozialhilfesatzes entspricht.
So schreibt das Bundesverfassungsgericht. Ande-
res kann ich hier nicht vertreten, wenn ich mich auf
dieser Grundlage bewegen will. Vizepräsident Hans Klein: Herr Häfner, gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Scheu?
Sie wollen, damit eine Feststellung der Verfas-
sungswidrigkeit nicht möglich ist, das Grundgesetz
ändern. Hätten Sie die Sorge nicht, daß eine solche Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach
Feststellung möglich wäre, wäre eine Verfassungs- Vollendung dieses Gedankens selbstverständlich
änderung nicht nötig. Ein einfaches Gesetz würde gerne.
dann ausreichen. Auf der anderen Seite aber müssen wir auch sehen
- das ist in meinen Augen eine Demokratiefrage
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. - Dieter
-,

daß es inzwischen Bürgerinnen und Bürger gibt, die


Wiefelspütz [SPD]: Der Verfassungsgesetz
sich die Wahrnehmung eines Mandates im Deut-
geber ist das Parlament!)
schen Bundestag nicht mehr leisten können, weil sie
- Lieber Herr Wiefelspütz, wir haben es mit einer ge- sich einkommensmäßig schlechterstellen würden.
gebenen Verfassung und deren Auslegung zu tun. Insbesondere einige der Professoren und Journali-
Sie wollen die Verfassung deswegen ändern, weil sten, die uns in der Öffentlichkeit ständig als Abkas-
das, was Sie jetzt machen, als Gesetz gegen die Ver- sierer vorführen, verdienen - wie man sieht, wenn
fassung verstieße. man nachschaut - deutlich mehr als die Abgeordne-
ten des Deutschen Bundestages.
Ich möchte hier auch deutlich machen, daß wir -
anders als die Kruzifix-Fundis in der Bayerischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Staatsregierung und auch in Teilen der größten Frak- und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der
tion des Hauses - der Meinung sind, daß Entschei- CDU/CSU)
dungen des Bundesverfassungsgerichtes unbedingt Bitte sehr, Herr Scheu.
beachtet werden müssen, ob sie einem passen oder
nicht.
Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Kollege Häfner,
(Detlev von Larcher [SPD]: Der dreht wirk ich möchte auf Ihre verfassungsrechtliche Würdi-
lich alles um!) gung zurückkommen und Sie fragen, ob Ihnen die
Stellungnahmen der Professoren Preuß, Randelzho-
Wer auch immer hier das Grundgesetz wegen unse- fer, Römer, Schmidt-Jortzig, Schneider, Steinberg,
rer eigenen Diäten verändern möchte, der legt mei- Würtenberger, Huber und Rommelfanger bekannt
nes Erachtens die Axt an den Verfassungskonsens in sind, die aus Anlaß der Indexierung der Diäten in
der Bevölkerung. Thüringen keine verfassungsrechtlichen Bedenken
(Widerspruch bei der SPD) erhoben haben? Abweichender Meinung ist lediglich
Herr von Arnim. Ist Ihnen auch das abweichende
Denn was bedeutet es, wenn die Bürgerinnen und Sondervotum in der Diätenentscheidung von Vize-
Bürger den Eindruck bekommen, daß unser Grund- präsident Seuffert bekannt, in der ausgeführt wird:
gesetz etwas ist, das die Abgeordneten zum Zwecke
Das Grundgesetz trifft jedoch keine Entschei-
ihrer eigenen Diäten mal eben verändern? Das ist der
dung darüber; ein verfassungsrechtliches Gebot,
Grund, warum wir dabei nicht mitmachen können.
das hier eine „selbständige" Entscheidung ver-
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Glatter langt, läßt sich nicht finden.
Populismus! Schlimm!) Herr Häfner, wenn die Sachverständigen der Wis-
Wir sind andererseits nicht der Meinung - wir stim- senschaft, die sich seriös mit dem Thema beschäfti-
men deswegen auch nicht in diesen platten Populis- gen, aus Anlaß der Regelung in Thüringen keine ver-
mus ein -, daß die Abgeordneten Abkassierer sind, fassungsrechtlichen Einwände unter der Geltung des
daß die Diäten viel zu hoch liegen. Inzwischen meine Diätenurteils erheben, wie ist dann Ihre Behauptung -
ich, daß das seriös nicht mehr behauptet werden juristisch noch tragfähig, der A rt . 48 Abs. 3 (neu) sei
kann. Sie alle wissen, daß von 1976 bis 1993 der Brut- verfassungswidrig?
toverdienst von Angestellten in Industrie und Han- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
del um 115 %, bei den leitenden Angestellten um ordneten der SPD)
128 % und bei den Abgeordneten im Vergleich dazu
nur um 38 % gestiegen ist.
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
(Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Sehr gut, Scheu, ich will Ihnen gerne auf diese Kurzinterven-
daß Sie das sagen!) tion antworten. Ich habe mit Freude festgestellt, daß
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4593
Gerald Häfner
der Präsident eine ausgesprochen lange Zwischen- Alles das konnten wir in den letzten Tagen insbeson-
frage zugelassen hat. dere von denen lesen, die immer wieder eine eigen-
ständige Rolle der F.D.P. in der Politik verlangen.
Herr Scheu, die Verfassungsrechtslage ist eindeu-
tig. Ich habe aus dem Urteil des Bundesverfassungs- (Beifall bei der F.D.P. - Zuruf von der SPD:
gerichts zitiert. Ich denke, dies ist der Maßstab und Weiter so!)
nicht die Auffassung des Kollegen Randelzhofer und Uns geht es um das Grundverständnis der Tätigkeit
anderer. eines Mitgliedes des Bundestages. Das Berufsbild
des Abgeordneten unterscheidet sich von dem des
Zur Verfassungswidrigkeit sei dies noch einmal ge-
Beamten in grundlegender Weise.
sagt: Natürlich - und das ist Ihr Argument - ist der
Deutsche Bundestag auch der Verfassungsgesetzge- (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer bestreitet
ber, nicht nur der einfache Gesetzgeber, d. h., wenn das?)
er die Verfassung ändert, dann gibt es eine neue Ver-
fassungsrechtslage. Das Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht hat 1987 mit diesem
hat dann keine Handhabe mehr, Ihren Beschluß als Satz für Liberale eine Selbstverständlichkeit formu-
verfassungswidrig zu bezeichnen. Dann ist er verfas- liert. Wir werden den von den großen Parteien ge-
sungsgemäß. Sie müssen die Verfassung ändern, planten Schritt einer weiteren Verbeamtung des Par-
weil Ihr Vorschlag der gegenwärtig geltenden Ver- laments nicht mitmachen.
fassungsrechtslage und dem Urteil des Verfassungs- (Beifall bei der F.D.P. - Dieter Wiefelspütz
gerichts widersp richt. Sie nehmen damit die An- [SPD]: Das ist unter Ihrer Würde!)
griffsmöglichkeiten, die nach gegenwärtiger Rechts-
lage möglich wären. - Herr Wiefelspütz, hören Sie zu, bevor Sie ständig
dazwischenquatschen. Der Abgeordnete hat ein öf-
Ich möchte zum Ende noch sagen: Wir meinen, daß fentliches Amt, gehört aber nicht zum öffentlichen
eine angemessene Entschädigung für die Abgeord- Dienst. Er ist weder Richter noch Beamter.
neten des Deutschen Bundestags nötig ist, d. h. nicht
(Detlev von Larcher [SPD]: Das brauchen
Sekt und auch nicht Selters, nicht Privilegien, aber
Sie uns nicht zu erzählen!)
auch nicht am Hungertuch nagen. Die Frage, was
eine angemessene Entschädigung ist, ist in diesem Wir alle beklagen die immer größere Zahl von Staats-
Land sicherlich schwer zu beantworten. Wir haben dienern im Parlament. Gerade weil ich dazugehöre,
nach gründlicher Beratung die allgemeine Einkom- achte ich besonders sensibel auf die notwendige
mensentwicklung im Jahr 1995, die nach gegenwär- strikte Trennung beider Gruppen. Machen wir uns
tig absehbarer Tendenz bei etwa 3,5 % liegen wird, doch nichts vor: Es ist für die Beamten und Richter
zur Grundlage genommen. Ich meine, daß das eine und für den Abgeordneten bequem, beruhigend und
Erhöhung ist, die wir alle in der Öffentlichkeit sehr verlockend, sich mit der Leitmarke R6 in das Gefüge
gut vertreten könnten. Die Tragik ist, daß es hierfür des öffentlichen Dienstes einordnen zu können.
ganz offensichtlich keine Mehrheit gibt. Wir sollten
die allgemeine Einkommensentwicklung zugrunde (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das ist
legen, da wir Vertreter des ganzen Volkes sind. Das Populismus und nichts anderes!)
gilt auch für die Anpassung der Abgeordnetenent- Der Bundestag als Parlament von Beamten mit ei-
schädigung. Das wäre das, was das Grundgesetz ver- ner Besoldung wie im öffentlichen Dienst: Genau
langt, nämlich angemessen und maßvoll; so steht es dieses Bild haben wir nicht. Wir gehen mit der An-
im Grundgesetz. Das, was Sie heute vorschlagen - koppelung an die Richterbesoldung den verfas-
unter dem Strich bis zum Jahre 2000 zwischen 5 000 sungspolitisch - ich wiederhole: verfassungspoli-
und 6 000 DM mehr -, ist nicht mehr maßvoll, son- tisch - falschen Weg.
dern unmäßig, ist auch nicht angemessen, sondern
anmaßend.
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege van Essen,
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. der Herr Kollege Scheu würde Ihnen gerne eine
Frage stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und der PDS sowie bei Abgeordneten der Jörg van Essen (F.D.P.): Ja, gerne.
F.D.P.)

Vizepräsident Hans Klein: Bitte.


Vizepräsident Hans Klein: Das Wo rt hat der Kol-
lege Jörg van Essen. Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Kollege van Es-
sen, ist Ihnen der Parlamentarische Geschäftsführer
einer Bundestagsfraktion bekannt, der am 9. Juni
Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- 1995 in der Zeitschrift „Weltbild" zum Sachverhalt
men und Herren! Die F.D.P. löckt wider den Stachel, „Diäten so hoch wie Richter-Gehälter" folgendes
nicht weil wir uns einen schlanken Fuß machen wol- ausgeführt hat:
len, nicht weil wir populistischen Intentionen nach-
gehen. Wenn wir diesem Trend entgegenwirken wollen,
muß die Arbeit im Parlament attraktiv gestaltet
(Zuruf von der SPD: Nein, nur nicht!) werden. Dazu gehört eine angemessene Bezah-
4594 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Gerhard Scheu
lung. Mit Richtern an obersten Bundesgerichten Jörg van Essen (F.D.P.): Gerne, ja.
können wir uns von der Bedeutung der Tätigkei-
ten sicher vergleichen.
Vizepräsident Hans Klein: Bitte.
Ist Ihnen dieser Parlamentarische Geschäftsführer
bekannt? Sind Sie es vielleicht selbst?
Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Kollege van Es-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sen, ist Ihnen eigentlich bewußt, daß der vielzitierte
einfache Mann und die einfache Frau auf der Straße
Jörg van Essen (F.D.P.): Ja, dieser Parlamentari- mit dem Vergleich R 6 viel weniger Probleme haben
sche Geschäftsführer ist mir bekannt. Lieber Herr als mit der Tatsache, daß einige von uns - diese prä-
Kollege Scheu, ich bin dieser Parlamentarische Ge- gen das Bild der Gesamtheit - Nebentätigkeiten aus-
schäftsführer. üben, die um Größenordnungen über ihrer normalen
Tätigkeit liegen?
(Lachen bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Eine Ankopplung an die Besoldung ist etwas völlig GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord
anderes als die Bedeutung der jewei li gen Funktion. neten der CDU/CSU)
(Beifall bei der F.D.P. - Wilhelm Schmidt Wenn das so ist, warum haben Sie z. B. den Antrag
[Salzgitter] [SPD]: Ein rheto ri scher Klimm von Herrn Conradi und anderen zur Offenlegung
zug, Herr van Essen!) dieser Nebentätigkeiten nicht mit unterstützt?
Ich glaube, Herr Kollege Scheu, Sie als Ju ri st können Warum sind Sie nicht dafür, daß man die Diäten ge-
diesen Unterschied sehr gut erkennen. genrechnet? Wenn jemand das Zweifache seiner Diä-
ten nebenher verdient, hat er doch kaum noch Zeit,
Das Bundesverfassungsgericht hat uns 1975 die im Parlament zu arbeiten.
Maßstäbe vorgegeben, wie der Bundestag die Ent-
schädigung seiner Abgeordneten zu bestimmen hat: (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Der Willensbildungsprozeß muß für jedermann GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord
durchschaubar sein und das Ergebnis vor den Augen neten der CDU/CSU)
der Öffentlichkeit beschlossen werden. Unser Mo-
dell, das wir Ihnen mit unserem Änderungsantrag Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Kollege, ich gehe auf
zur namentlichen Abstimmung stellen, wird genau diesen Punkt im weiteren Verlauf der Rede noch ein
diesen Kriterien gerecht. und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das als Antwort
Wir wollen, daß eine unabhängige Kommission al- hinnehmen würden.
lein das Initiativrecht für Diätenerhöhungen hat.
Nicht wir, sondern die Kommission bestimmt, wann Die Anpassung der Diäten wird nur formal vor den
Erhöhungen erfolgen sollen, und gibt uns Empfeh- Augen der Öffentlichkeit beschlossen. In Wirklich-
keit gehen wir den bequemen Weg, uns hinter den
lungen für die Anpassung. Wir umgehen damit
glaubhaft den Vorwurf der Selbstbedienung. Besoldungserhöhungen für den öffentlichen Dienst
zu verstecken. Wir treffen keine eigenverantwortli-
Der Bundespräsident soll diese Kommission beru- che Entscheidung für die Abgeordneten.
fen. Das vermeidet jeden Anschein, daß wir uns ge-
nehme Kommissionsmitglieder auswählen. Wir wol- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
len, daß wir uns mit offenem Visier dazu bekennen, Es wird behauptet, die Festsetzung der Höhe sei
ob wir dem Erhöhungsvorschlag der Kommission fol- für den Bürger durchschaubar, weil er die Höhe des
gen oder nicht. Es kann Situationen geben, in denen Richtergehaltes aus den entsprechenden Unterlagen
wir sagen, daß die Erhöhung niedriger ausfallen soll, entnehmen könne. Gilt das auch für das Weihnachts-
weil wir damit politische Zeichen setzen wollen. Ge- geld, welches in Zukunft ebenfalls eingerechnet
nau diese Freiheit dürfen wir uns nicht nehmen las- wird? Die Beratungen haben gezeigt, daß die Festle-
sen. gung dieses Betrages selbst für ausgewiesene Spe-
(Beifall bei der F.D.P.) zialisten wie den Kollegen Scheu außerordentlich
kompliziert ist. Bereits diese Überlegungen zeigen,
Wir haben in den letzten Tagen von den Rednern daß allein der Vorschlag der F.D.P. den Anforderun-
der großen Parteien das Hohelied der großen Trans- gen des Bundesverfassungsgerichts mit Sicherheit
parenz von Besoldungserhöhungen im öffentlichen gerecht wird.
Dienst singen hören. Die Wahrheit ist, daß die Vergü- -
tungen im öffentlichen Dienst in aller Regel bei den (Beifall bei der F.D.P.)
Tarifverhandlungen für die Arbeiter und Angestell-
ten festgelegt und dann ohne große Änderungen und Wir sind - auch das muß gesagt werden - für eine
Diskussionen für die Beamten und Richter übernom- maßvolle Diätenerhöhung. Bis zum Beginn der Tä-
men werden. Tarifpartner ist dabei die von uns ge- tigkeit der unabhängigen Kommission sehen wir
zwei Diätenerhöhungen vor, eine zum 1. Ju li 1995
wählte und abhängige Bundesregierung.
auf 11 000 DM. Erst in zwei Jahren wollen wir eine
weitere Erhöhung auf 12 000 DM. Weder eine Mi-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege van Essen, nisterialzulage noch ein 13. Monatsgehalt sind in un-
es gibt eine weitere Bitte um eine Zwischenfrage. serem Vorschlag enthalten.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4595
Jörg van Essen
Ich habe bereits gesagt, daß wir uns keinen schlan- fentlichen Dienst zurückkehren können. Es ist daher
ken Fuß machen. Das zeigt sich auch da ri n, daß wir immer gerechtfertigt gewesen, z. B. bei Beamten
den sicherlich populären Vorschlag von Kollegen der eine Anrechnung der Gehälter vorzunehmen. Sie ha-
SPD nicht mitmachen, daß Abgeordnete verpflichtet ben die Sorge des Übergangs nicht.
werden sollen, alle ihre Einkünfte offenzulegen.
Wir sind hier einen Schritt weitergegangen und
(Lachen bei Abgeordneten der SPD - Zuruf rechnen in Zukunft alle Einkünfte an, auch die aus
von der SPD: Graf Lambsdorff!) der Wi rt schaft. Wir haben dabei insbesondere an die
Fälle gedacht, wo Kollegen unmittelbar nach dem
Es mag einiges dafür sprechen, das gegenüber den Ausscheiden aus dem Parlament hochdotierte Posi-
Wählern zu tun, und ich habe Respekt vor den Kolle- tionen etwa bei einer Bank erreicht haben. Es er-
gen, die sich zu diesem Schritt entschließen. Aber scheint uns gerecht, auch dies in Zukunft zu berück-
auch hier kommt mir wieder das Thema Beamte im sichtigen. Die Aufgabe des Übergangsgeldes ist mit
Bundestag in den Blick. Wer aus dem öffentlichen dem Eintritt in den Beruf erfüllt.
Dienst kommt, wird in den einstweiligen Ruhestand
versetzt und hat nach dem Ausscheiden aus dem Par- Ich verhehle nicht, daß die Reduzierung der
lament keinerlei Probleme, wieder in seinen Beruf Höchstdauer des Bezuges des Übergangsgeldes von
zurückzukehren. Wer aus einem freien Beruf kommt, 36 auf 18 Monate, die mit unserer Zustimmung be-
etwa Architekt oder Rechtsanwalt ist, muß dagegen schlossen werden wird, auch zu Problemen führen
sehr daran interessiert sein, die Verbindung in seinen kann. Wer etwa mit Mitte 50 aus dem Parlament aus-
freien Beruf zu halten. Es muß auch für einen Abge- scheidet und auf dem freien Markt eine Beschäfti-
ordneten möglich sein, seinen mittelständischen Be- gung finden muß, wird sich Schwierigkeiten gegen-
trieb weiterzuführen. übersehen, weil er kein Arbeitslosengeld bekommt.
In diesen Fällen hat das Übergangsgeld eine wich-
(Detlev von Larcher [SPD]: Aber Sie sind tige Überbrückungsfunktion bis zum Beginn der Al-
doch so für Transparenz! Es geht doch nur tersversorgung erfüllt. Das wird in Zukunft wegfal-
um Transparenz!) len. Dies macht aber gleichzeitig deutlich, daß nicht
Wenn wir diese Kolleginnen und Kollegen zur Veröf- nur bequeme Entscheidungen gefallen sind.
fentlichung ihrer Einkünfte aus einer privatwirt- Die Altersversorgung ist ein Gegenstand besonde-
schaftlichen Tätigkeit zwingen, geben wir den Kon- rer Kritik gewesen. Wir machen Ihnen auch da einen
kurrenten Hinweise auf die Wettbewerbsfähigkeit eigenständigen Vorschlag, der nach unserer Auffas-
des Unternehmens oder der Sozietät. sung durch besondere Vernunft geprägt ist. Es gibt
(Lachen bei der SPD - Beifall bei Abgeord bisher eine Ungleichbehandlung von Mandatsträ-
neten der F.D.P.) gern, die nur kurze Zeit im Bundestag waren, im Ver-
gleich zu denen, die die Mindestzeit für eine Altersver-
Es gibt zu Recht keinen Berufsstand, von dem wir sorgung von zwei Wahlperioden erreicht haben. Dies
dies verlangen. führt dazu, daß viele Kollegen an ihrem Mandat kleben
und der notwendige Austausch im Parlament nicht
Auch bei der Frage der Kostenpauschale für man-
stattfindet. Das Parlament lebt gerade davon, daß Poli-
datsbedingte Ausgaben gehen wir keinen populisti- tiker mit neuen Ideen und beruflichen Erfahrungen in
schen Weg. Der Bund der Steuerzahler hat die Einzel-
das Parlament kommen und diese hier umsetzen.
abrechnung gefordert, auch die Kissel-Kommission
hat es getan. Es ist für uns ein Stück Beschneidung Die Tätigkeit als Abgeordneter ist ein Auftrag auf
der Freiheit von Abgeordneten, wenn in Zukunft Be- Zeit und kein Beruf. Daher muß auch die Altersver-
amte darüber entscheiden, ob eine Einzelausgabe tat- sorgung so geregelt sein, daß nicht die Verweildauer,
sächlich politischen, halbpolitischen oder nichtpoliti- sondern jedes Jahr der Mitgliedschaft im Parlament
schen Zwecken dient. So, wie wir uns bei der Besol- für sich zu Altersversorgungsansprüchen führt. Wir
dung nicht an den öffentlichen Dienst ankoppeln las- sehen daher auch einen kürzeren Zeitraum für das
sen wollen, lassen wir Beamte nicht über die A rt und Erreichen der Höchstversorgung vor. Während die
Weise der Ausübung des Mandats richten. großen Parteien 23,5 Jahre voraussetzen, soll nach
unserem Vorschlag die Höchstpension nach
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
20 Jahren, also nach fünf Legislaturpe ri oden, erfüllt
ten der CDU/CSU)
sein. Da wir eine Diätenerhöhung mit Augenmaß
Die Einzelabrechnung hat auch einen unglaublichen vorsehen, bedeutet dies trotzdem eine geringere Er-
bürokratischen Aufwand zur Folge; denn die Ab- höhung der Altersversorgung.
rechnungen müssen im einzelnen jeweils geprüft Der F.D.P. ist vorgeworfen worden, sie mache alle -
werden. Die F.D.P. ist für den schlanken Staat und diese Vorschläge nur, weil sie gegen eine Verkleine-
möchte nicht, daß der Bundestag mit einer Vermeh- rung des Parlaments sei.
rung der Beamtenstellen eine Vorreiterrolle für die
Aufblähung des öffentlichen Dienstes spielt. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Ja!
Ja!)
(Beifall bei der F.D.P.)
Der Vorwurf ist schon deshalb völlig unsinnig, weil
Das Übergangsgeld soll nach der Beendigung des die Angemessenheit von Entschädigungen völlig un-
Mandats den Weg zurück in den Beruf sichern. Diese abhängig von der Größe des Parlaments ist.
Funktion hat es insbesondere bei den Kolleginnen
und Kollegen zu leisten, die nicht sicher in den öf (Beifall bei der F.D.P.)
4596 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Jörg van Essen
In einem Parlament von 60 Abgeordneten kann die Auch das immer wieder vorgebrachte Kostenargu-
Entschädigung angemessen sein, in einem Parla- ment geht fehl. Der Bundestag kostet den einzelnen
ment von 800 kann sie unangemessen sein. Einwohner am viertwenigsten unter 20 Parlamenten
der westlichen Demokratien, wie die Bundestagsprä-
sidentin in ihrem jährlichen Be richt dankenswerter-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, gestatten weise dargestellt hat.
Sie eine erneute Zwischenfrage des Kollegen Scheu?
Das Argument, daß man sich untereinander nicht
mehr kenne, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Ich habe
Jörg van Essen (F.D.P.): Ich freue mich, daß der
es noch in dieser Woche erlebt, daß ein Kollege aus
Kollege Scheu so wißbegierig ist. Gerne!
einer großen Fraktion den Namen eines Fraktions-
kollegen nicht kannte. Würde dieses Argument
Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Kollege van Es- durchgreifen, müßte der Bundestag ja offensichtlich
sen, ich bin deswegen wißbegierig, weil Sie hier dar- kleiner als die SPD-Bundestagsfraktion werden.
stellen, daß es aus Ihrer Sicht keinen Zusammen-
hang zwischen Parlamentsverkleinerung und Abge- (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sehr gut! Sehr schlüs-
ordnetenentschädigung gibt. sig!)

(Zurufe von der F.D.P.: So ist es! Angemes Wir lehnen eine Verkleinerung des Bundestages
sene Entschädigung!) nicht völlig ab. Tatsache ist, daß Wahlkreise in der
Bundesrepublik Deutschland neu geschnitten wer-
- Ja. - Herr van Essen, sind Sie dann in dem Proto- den müssen. Wenn dies zu einer geringfügigen Re-
koll über die Sitzung, in der wir diese Frage erörtert duzierung führt, wird das von uns mitgetragen.
haben, falsch wiedergegeben, daß der von der F.D.P.-
Fraktion eingebrachte Alternativvorschlag „eine Eines lassen wir auf keinen Fall zu: eine Manipula-
Folge des aus einer anderen Interessenlage herrüh- tion am Wahlrecht.
renden Ansatzes der F.D.P. sei, keine Parlamentsver-
kleinerung durchführen zu wollen"? Seite 24 des Pro- (Beifall bei der F.D.P. und beim BÜNDNIS 90/
tokolls. DIE GRÜNEN)

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Die gefundene Mischung aus Mehrheitswahlrecht
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Verhältniswahlrecht ist ein Eckpfeiler der stabi-
len Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland.
Andere Länder beneiden uns darum und haben sich
Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Kollege Scheu, ich an unseren Regeln orientiert. Die kleinen Parteien
habe immer wieder deutlich gemacht, daß wir die sind das Salz in der Suppe sowohl der Regierung als
beiden Fragen unterschiedlich beantworten, daß es auch der Opposition.
aber unsere Linie ist, in beiden Fragen maßvoll vor-
zugehen. Dazu werde ich meine Ausführungen jetzt Zum Schluß möchte ich mich mit dem Teil des Pa-
machen. ketes befassen, der für mich besondere Bedeutung
hat, der Parlamentsreform. Ich bedaure sehr, daß er
(Lachen bei der SPD)
in der öffentlichen Diskussion so wenig Erwähnung
Es ist tatsächlich richtig, daß wir bei der Frage der und Beachtung findet. Es ist uns endlich einmal ge-
Verkleinerung sehr kritisch sind. Nahezu alle Argu- lungen, auf dem Weg zur Parlamentsreform einen
mente, die in diesem Zusammenhang in die Debatte entscheidenden ersten Schritt zu tun, nachdem dies
geworfen werden, halten einer Nachprüfung nicht lange Jahre vergeblich versucht worden ist. Insbe-
einmal andeutungsweise stand. sondere liberale Kolleginnen und Kollegen wie Hil-
degard Hamm-Brücher und Burkhard Hirsch haben
Der Bundestag ist zu groß, wird behauptet. Unter- dies immer wieder angemahnt.
schlagen wird die Tatsache, daß die Parlamente in
Italien, in Frankreich, in Großbritannien etwa gleich (Beifall bei der F.D.P.)
groß wie bei uns sind. Dabei ist allerdings der kleine
Unterschied zu beachten, daß alle diese Abgeordne- Ich habe bewußt von einem ersten Schritt gespro-
ten viel weniger Einwohner zu vertreten haben, als chen. Das, was wir beschließen und als F.D.P. mittra-
es beim Bundestag der Fall ist. Ich höre aus diesen gen werden, muß in einem Jahr in doppelter Weise
Ländern nicht, daß diese Parlamente nicht arbeitsfä- auf dem Prüfstand stehen. Dinge, die sich nicht be-
hig seien. Außer dem amerikanischen Kongreß gibt währen, sollten nicht fortgesetzt werden. Aber wir
-
es kein Parlament in den westlichen Demokratien, müssen auch für neue Schritte offen sein, wenn sich
bei dem die Abgeordneten so viele Bürger wie im die Richtung, die wir jetzt einschlagen werden, be-
Bundestag zu vertreten haben. Im übrigen ist der währt haben wird.
Preis für die geringere Zahl der amerikanischen Ab-
geordneten hoch. Sie verfügen über einen riesigen Unsere Reformvorschläge gehen in zwei Richtun-
Mitarbeiterstab und sind von diesem abhängig. Auch gen. Wir wollen auf der einen Seite den einzelnen
das entspricht nicht unserem Bild vom Abgeordne- Abgeordneten in seiner Tätigkeit und Funktion stär-
ten. ken. Wir wollen auf der anderen Seite die Arbeit im
Plenum und in den Ausschüssen interessanter gestal-
(Beifall bei der F.D.P.) ten.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4597
Jörg van Essen
Hauptpunkt der öffentlichen Kritik an unserer tag- Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Präsident!
täglichen Arbeit ist der leere Plenarsaal. Wir müssen Meine Damen und Herren! Versprochen wurde den
zugeben, daß diese Kritik berechtigt ist. Wir tragen Bürgerinnen und Bürgern des Landes eine grundle-
selbst zu diesem leeren Plenarsaal durch die Geneh- gende, umfassende Reform des Parlaments. In Ab-
migung von parallelen Sitzungen anderer Gremien wandlung eines Sprichworts möchte man heute sa-
und durch nicht immer interessante Debatten bei. gen: Der Bundestag kreißte und gebar ein Reförm-
chen. Aber so ganz stimmt auch das nicht, denn am
Die Kerndebatte am Donnerstag ist eine gute Ende steht eine mächtige Revolution: in den Po rt e-
Chance, um in offenen und nicht vorgegebenen Dis- monnaies der Abgeordneten.
kussionen miteinander um die beste Lösung zu rin-
gen. Solche Debatten sind dann nicht nur für die Ab- (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD:
geordneten, sondern auch für die Öffentlichkeit be- Oh!)
sonders interessant. Nicht umsonst haben ARD und Dabei wäre es doch so lohnenswert, über Verände-
ZDF die Einrichtung eines Parlamentskanals be- rungen nachzudenken, die zu mehr Demokratie, zu
schlossen. Es macht allerdings sehr nachdenklich, Transparenz und größerer Effizienz der parlamentari-
daß das ZDF trotz seines Informationsauftrages ge- schen Arbeit führen. Hier muß man die Frage stellen:
rade diese wichtige Debatte nicht überträgt. Stimmen die Rahmenbedingungen? Ist es tatsächlich
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne länger hinnehmbar, daß gesellschaftlich wichtige Ent-
ten der SPD) scheidungen in der Exekutive gefällt werden, die vom
Parlament nur noch abgesegnet werden? Ist es tat-
Interessante Debatten dienen auch unserem allge- sächlich gewollt, daß Lobbyisten der p rivaten Wi rt
meinen Ansehen. Wir alle wissen, daß die Plenarde- -schaftundzlgkräieVbndfactogrö-
batten häufig auch deshalb nicht gut besucht wer- ßere Befugnisse als die Mehrheit der Abgeordneten
den, weil sie eine protokollarische Wiedergabe des haben und noch dazu über Hausausweise verfügen?
Beratungsstandes aus den Ausschüssen sind, wo Dieses Geflecht einmal aufzureißen könnte reizvol-
nichtöffentlich genau dieses Ringen um die beste Lö- les Ergebnis einer Parlamentsreform sein. Gleich-
sung stattgefunden hat. Die neu eingeführte öffentli- wohl sollte sie wesentlich weiter greifen. Auf die Ge-
che Ausschußsitzung macht diese Arbeit des Parla- fahr hin, daß Sie gleich wieder losbrüllen: Statt wei-
ments transparenter und vermeidet Plenardebatten, teren Demokratieabbaues sollten die Demokratiede-
die nur für ein Fachpublikum interessant sind. fizite beseitigt werden, im übrigen auch in diesem
Insbesondere auf Initiative der F.D.P. gibt es auch Parlament.
mehr Rechte für den einzelnen Abgeordneten. Es (Beifall bei der PDS)
stärkt seine Stellung, wenn er in Zukunft bereits in
der ersten Lesung Änderungsanträge stellen und Wenn Kollege Scherhag, CDU, der PDS vorwirft,
auch dann, wenn er einem bestimmten Ausschuß überhaupt in diesem Hohen Haus zu sitzen, dann
nicht angehört, an der Beratung teilhaben kann. muß sich dieser christliche Demokrat sagen lassen:
Die PDS ist von 2 Millionen Wählerinnen und Wäh-
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) lern demokratisch und rechtmäßig gewählt. Um
diese Tatsache kommen Sie nicht herum. Sie müssen
(Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) uns hier schon aushalten - ich hoffe, möglichst lange.
Es hat in den Beratungen des Geschäftsordnungs- (Beifall bei der PDS)
ausschusses mit Zustimmung der großen Parteien ei-
nige Beschneidungen von Reformen gegeben, die Die Stärkung des Parlaments und seiner Abgeord-
wir nicht unterstützt haben. Ich darf bereits jetzt an- neten setzt eine Demokratisierung der Gesellschaft,
kündigen, daß wir die Auswirkungen der Parla- die unmittelbare Teilhabe von Bürgerinnen und Bür-
mentsreform sorgfältig beobachten werden und uns gern am politischen Entscheidungsprozeß vermittels
ausdrücklich vorbehalten, unsere Vorschläge gege- Volksgesetzgebung sowie die Erweiterung von Mit-
benenfalls im nächsten Jahr erneut einzubringen. bestimmungsrechten in Bet ri eben und Unternehmen
Nur wer den Mut hat, etwas Neues zu wagen, kann voraus. Hier liegt meines Erachtens der Knackpunkt
eine wirkliche Reform durchführen. und die wesentliche Ursache für das Scheitern einer
grundlegenden Parlamentsreform.
Unsere Vorschläge beweisen in jedem Punkt Au-
genmaß. Sie entsprechen voll den Vorgaben des Meine Damen und Herren, natürlich wi ll ich nicht
verhehlen, daß es in den vorliegenden Anträgen
Bundesverfassungsgerichts und verbessern die Ar-
beit des Parlaments. Ich bitte daher sehr um Zustim- durchaus auch einige positive Ansätze gibt. So kön-
nen wir einer Neuregelung der Fragestunde ebenso -
mung zu unserem Änderungsantrag.
zustimmen wie erweiterten öffentlichen Ausschuß-
Herzlichen Dank. beratungen oder der Möglichkeit zur Verlängerung
der Debattenzeiten bei spannenden Themen. Daß
(Beifall bei der F.D.P. - Dr. Antje Vollmer die Redezeiten grundsätzlich auf zehn Minuten be-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr begei grenzt werden sollen, findet bei uns nur ein müdes
stert klingen Sie aber nicht!) Lächeln. Damit mußten wir, von wenigen Ausnah-
men abgesehen, schon immer auskommen. Nun ler-
nen endlich auch die anderen, sich kurz zu fassen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat die
Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann, PDS. (Beifall bei der PDS)
4598 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Dr. Dagmar Enkelmann


Die Vorschläge der PDS aber gehen darüber hin- Solange Ihnen kein Konzept einfällt, wie Massen-
aus. So sollten z. B. die Kompetenzen des Petitions- arbeitslosigkeit, die Zunahme der Zahl von Sozialhil-
ausschusses deutlich erweitert werden und Inititativ- febedürftigen - unter ihnen inzwischen immerhin
rechte auch gegenüber Privatpersonen bzw. Unter- eine Million Kinder -, Obdachlosigkeit oder Altersar-
nehmen enthalten. Wir könnten uns ebensogut vor- mut beseitigt werden können, dürfen Sie auch kein
stellen, daß Massenpetitionen künftig im Bundestag Verständnis erwarten.
zwingend verhandelt werden müssen und ein Ver-
treter oder eine Vertreterin der Petenten hier Rede- Womit die Leute aber ebensowenig klarkommen,
recht bekommt. Wünschenswert wären auch Veto- ist die Tatsache, daß mehr als die Hälfte der Abge-
rechte von Umwelt- oder kommunalen Spitzenver- ordneten über Nebeneinkünfte aus Aufsichtsrats-
bänden. posten, Gutachter- oder Rechtsanwaltstätigkeit ver-
fügen. Mir ist schon schleierhaft, wie das mit intensi-
(Beifall bei Abgeordneten der PDS) ver Arbeit in Bonn und im Wahlkreis vereinbar ist.
Das Problem, um das es uns hier aber gehen sollte,
Wenn von der Erhöhung der Effektivität der parla- ist, ob sich aus solcher Nebentätigkeit nicht Interes-
mentarischen Arbeit die Rede ist, dann ist zu hinter- senkonflikte zur parlamentarischen Arbeit ergeben.
fragen, ob das überhaupt mit der Anzahl von mehr Der Fa ll Neuling ist hier ja ziemlich glimpf li ch abge-
als 270 Gremien - mitsegndrTz-bi gangen. Vor allen Dingen deshalb fordern wir die Of-
672 Abgeordneten zu vereinbaren ist. Den großen fenlegung von Nebeneinkünften. Ich meine, unsere
Fraktionen ermöglicht das durchaus, ihre Abgeord- Wählerinnen und Wähler haben ein Recht auf diese
neten zu beschäftigen. Die kleinen aber müssen sich Information. Sie sollten die Abgeordneten eben nicht
drei- oder vierteilen, einmal ganz abgesehen von nur politisch auf Herz und Nieren prüfen dürfen, son-
dem personellen und damit auch finanziellen Auf- dern bis in die Taschen hinein. Das schafft Vertrauen
wand. und könnte wenigstens ein Mittel gegen Politikver-
drossenheit sein.
Leider haben alle diese Fragen in der Öffentlich-
keit kaum eine Rolle gespielt. Die Empörung vieler (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS])
Bürgerinnen und Bürger richtet sich vor allem gegen
die Neuregelung der Abgeordnetenentschädigung, Nun versuchen Sie die empörte Öffentlichkeit zu
und die kann ich sehr gut nachvollziehen. beruhigen, indem Sie ihr die Volkskammerabgeord-
neten, die nur eine Legislaturpe ri ode in Bonn waren,
Gehen wir zwei Wochen zurück. Ein Zitat von Mi- zum Fraß vorwerfen. Abgesehen davon, daß wir an-
nister Blüm aus seiner Rede zum Haushalt 1996: gesichts vieler ostdeutscher Lebensbiographien mit
gravierenden Brüchen Probleme mit einer Sonderre-
gelung für diese Abgeordneten hätten, ist es ziemlich
Jede Mark muß von Arbeitnehmern und Arbeit-
gebern bezahlt werden. Insofern beginnt der So- leicht zu durchschauen und zeugt nicht gerade von
zialstaat nicht erst auf der Ausgabenseite, son- Charakter, daß Sie sich so schnell einer Gruppe ent-
ledigen, die sich hier nicht wehren kann, und Zuge-
dern er beginnt bei der Belastungsfähigkeit sei-
ner Zahler. ständnisse an einer Stelle signalisieren, die Ihnen
selbst nicht wehtut.
Oder weiter: (Beifall bei der PDS)

Der Haushalt steht unter dem Motto „Sparen und Meine Damen und Herren, wir sollten uns nicht
Gestalten". Sparen ist notwendig, auch aus sozia- davor drücken, auch künftig über unsere Einkünfte
len Gesichtspunkten. selbst zu entscheiden. Grundlage dafür könnten Er-
gebnisse einer unabhängigen Kommission sein.
Sein Kollege Fuchtel von der CDU forde rt e, „daß Gute Arbeit soll gut bezahlt werden. Lassen Sie uns
wir Einsparungen vornehmen müssen". Frau Babel deshalb zuerst über eine bessere Arbeit und danach
von der F.D.P. hatte den Mut, „Einschnitte im sozia- über eine bessere Bezahlung reden.
len Bereich zu vertreten". Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
All das Schnee von gestern? Oder meint da man- (Beifall bei der PDS)
cher: Was kümmert mich mein Geschwätz von vor
zwei Wochen? Und jetzt regen Sie sich darüber auf,
daß die Leute hellhörig geworden sind und Wut im Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zu Beginn der
Bauch haben. Wissen Sie, ich glaube, es geht gar zweiten Runde hat der Kollege Scheu das Wo rt zu ei-
nicht darum, daß man Abgeordneten kein angemes- ner Kurzintervention.
senes Einkommen gönnt, daß man neidisch auf ihre
Privilegien schielt. Nein, die Leute haben absolut Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe
kein Verständnis dafür, daß Sie mit dem Rotstift eine Kollegen! Der Bund der Steuerzahler hat uns ein An-
Sozialleistung nach der anderen streichen und bei schreiben übersandt und das Buch „Der Staat sind
sich selbst gleichzeitig kräftig draufsatteln. wir" von Professor von A rn im
(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Christa (Freimut Duve [SPD]: Hoffentlich ist das
Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nicht aus Steuergeldern bezahlt!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4599
Gerhard Scheu
mit der Bitte, unser Gewissen zu prüfen, ob wir dem Frau Kollegin Nickels.
Gesetz zustimmen könnten. Da darauf eine andere
Antwort nicht möglich ist, möchte ich es auf diese
Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Weise sagen: Ja, ich kann besten Gewissens zustim- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Ich
men. Ich würde den Bund der Steuerzahler bitten, möchte mich auf die Beiträge, die gehalten worden
daß er uns für seine Argumentation mit anderen sind, beziehen und stimme ausdrücklich zu, daß Ab-
Sachverständigenausführungen bekannt macht.
geordnete ordentlich bezahlt werden müssen. Ich
Das sage ich vor dem Hintergrund der Antrittsrede glaube nicht, daß wir Superverdiener sind und uns
des Herrn Professor von Arnim vom 2. November bereichern.
1993 in Speyer, die den Kollegen vielfach nicht be-
Zum zweiten stimme ich auch zu, daß das Medien-
kannt ist. Die zentrale These von Herrn von A rn im
lautet, unsere Demokratie sei in der K rise, weil sie echo teilweise wirkli ch parlamentsverachtend ist und
man die Medien auch sehr genau befragen muß, ob
„in Wahrheit gar keine Demokratie" sei - Seite 28
sie damit nicht wirklich einer Tendenz Vorschub lei-
der Antrittsrede. Unser System sei „neofeudali-
sten, die sie zu beklagen vorgeben. Das finde ich
stisch" - Seite 19 der Antrittsrede. Wir hätten in der
Bundesrepublik „sogenannte Wahlen" - Seite 24 -, wichtig.
weil die Partei und nicht das Volk die Mandate ver- (Beifall im ganzen Hause)
teile. Seite 25: Die Verheißung des Grundgesetzes,
alle Staatsgewalt gehe vom Volke aus, sei nicht ein- Ich habe trotzdem sehr viel Sympathie für das, was
gelöst. Es gelte, „die Institutionen zu ändern". Eine von Frau Enkelmann gesagt worden ist und was ge-
„Abschwächung der Rolle der Parteien" könne aus nerell auch der Kern dessen ist, was normale Leute
seiner Sicht sogar „zu einer Tugend werden" - Sei- an dieser Debatte schwierig finden. Daher möchte
ten 21 und 25. ich Sie auch bitten, noch einmal darüber nachzuden-
ken, die anstehende Entscheidung in die Ausschüsse
Bei diesem Teil seiner Antrittsrede erinnere ich zurückzuverweisen.
mich an die Vorlesungen des großen sozialdemokra-
tischen Philosophen Gustav Radbruch 1947. Ich glaube, daß es uns in einer Zeit, in der die Ver-
teilungskämpfe immer heftiger werden, der Spiel-
raum bei den Finanzen enger wird, schmerzhafte
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege
Entscheidungen anstehen, in der sich arme Men-
Scheu, es tut mir leid, wenn ich Sie einen Augenblick
schen auf dem Sozialamt sozusagen entblößen und
unterbreche. Die Kurzintervention ist im Prinzip dazu
da, um auf den Beitrag eines Kollegen in der Debatte die privatesten Verhältnisse offenlegen müssen und
wegen einem Paar Sportschuhe für ihre Kinder an-
zu antworten, nicht aber um einen eigenständigen
stehen müssen, eigentlich gut ansteht, die Mühe und
Debattenbeitrag zu leisten.
die Belastung auf uns zu nehmen, jedes Jahr eine Be-
(Beifall bei der PDS) gründung vorzutragen. Das ist schwer, weil sich an
uns dann wirklich ein Konflikt austobt, dem in der
Sie bringen mich damit etwas in Schwierigkeiten. Regel ein Drittel der Bevölkerung, das mehr ver-
Herr von Arnim ist nicht Mitglied des Parlaments. dient, nicht ausgesetzt ist. Viele Kinder wissen über-
Das mag jeder bewe rten, wie er will. haupt nicht, was ihre Lehrer verdienen. Sie würden
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der genauso Mund, Nase, Augen und Ohren aufsperren,
F.D.P.) wenn sie diese Summen hören würden. Ich finde, es
steht dem Parlament in solchen Zeiten, in denen
Also wäre ich Ihnen dankbar, Herr Kollege Scheu, Leute gar nicht wissen, wie sie klarkommen sollen,
wenn Sie den Bezug zu einem Debattenbeitrag fän- sehr gut an, in aller Ruhe und mit aller Würde dar-
den, um mir aus den Schwierigkeiten wieder heraus- über zu reden, was auf der einen Seite ein Mensch
zuhelfen. zum Leben braucht und was auf der anderen Seite
ein Mensch wirklich mit der Arbeit von zwei Händen
Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Präsident, ich und seinem Kopf verdienen kann. Das ist für mich
bedanke mich. Ich möchte zum Schluß kommen mit wirklich der einzige Grund, zu sagen, daß die Volks-
dem Satz, daß ich deshalb nicht diesen Intentionen vertreterinnen und -vertreter sich dieser schwierigen
folge, weil Herr von Arnim inzwischen seine ehemals Aufgabe - weil wirklich die Medien wie die Geier
zur Institution gewordene Rolle als Bürgeranwalt ge- warten und in einer unanständigen A rt und Weise
gen die höchst zweifelhafte Rolle des populistischen diskutieren - einmal im Jahr im Parlament stellen.
Demagogen mit Ressentiments gegenüber der De-
mokratie getauscht hat; so Greven in: Vorgänge Danke schön.
1995, 1. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der
der SPD sowie der F.D.P.) PDS)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich habe hier Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich lasse jetzt
noch den Wunsch zu einer Kurzintervention von der noch eine Kurzintervention zu und möchte dann in
Kollegin Christa Nickels. Sie war vor Ihnen an der der Reihenfolge der Wortmeldungen fortfahren. Das
Reihe, Herr Kollege Conradi. Sie müssen einen Au- Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Con-
genblick warten. radi.
4600 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Peter Conradi (SPD): Es ist auch nur ein Satz, Herr sungsänderung genau den richtigen Weg, um end-
Präsident. lich Transparenz zu schaffen,
Nachdem mehrere Debattenredner auf den Bund (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
der Steuerzahler und Herrn Professor Achim von und der SPD)
Arnim abgehoben haben, stelle ich hier die Frage,
ob die allseits geschätzte Abgeordnete Frau die Transparenz, die die Bürger unseres Landes bei
Dr. Tiemann, die Ehrenmitglied des Bundes der Steu- der Entschädigung ihrer Parlamentarier erwarten
erzahler ist und lange Zeit dessen Vorsitzende war, können. Das entspricht nicht nur unserer Kompetenz
die an vielen Stellungnahmen mitgewirkt und in der als Gesetzgeber, sondern wir können hier auch auf
Kissel-Kommission mitgearbeitet hat, nicht etwas zu Grund von Feststellungen des Bundesverfassungsge-
den Anwürfen des Bundes der Steuerzahler und sei- richts reagieren; denn das Bundesverfassungsgericht
nes Gutachters von Arnim sagen will. sagt, hier dürfe nicht einzelgesetzlich gehandelt wer-
den, sondern hier müsse der Verfassungsgesetzgeber
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der handeln.
CDU/CSU - Ulrich Irmer [F.D.P.]: Achim
Es entspricht, meine ich, auch dem Ansehen dieses
von Arn im war ein Dichter!)
Parlaments, daß es selbstbewußt diese Klarstellung
in der Verfassung vornimmt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Kollegin Tie- Ich hoffe, sehr verehrter Kollege Conradi, daß Ihre
mann ist angesprochen. Ich gebe ihr die Möglichkeit Frage insoweit beantwortet ist.
zu einer kurzen Gegenrede.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so-
wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Vielen Dank, DIE GRÜNEN)
Herr Präsident, daß Sie mir noch die Gelegenheit zu
dieser Kurzintervention geben, nachdem mich Herr
Kollege Conradi freundlicherweise angesprochen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat der
und mir damit einen großen Gefallen getan hat, weil Kollege Hans Klein, CDU/CSU.
ich nicht auf der Rednerliste dieser Debatte stehe.
Herr Kollege Conradi, wir kennen uns ja noch aus Hans Klein (München) (CDU/CSU): Herr Präsi-
der Zeit, als Sie unbedingt Mitglied des Bundes der dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
Steuerzahler werden wollten. möchte zunächst den Dank, der unserer Präsidentin
ausgesprochen worden ist, unterstreichen und ihn er-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Dr. Antje weitern auf den Vizepräsidenten Hans-Ulrich Klose
Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Warum wurde er das nicht?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/
Ich persönlich habe mit dem Vorschlag, der heute zur DIE GRÜNEN)
Debatte steht, nicht die geringsten Schwierigkeiten.
Ich bewundere Herrn Kollegen Scheu, wie er mit den sowie alle Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
anderen zusammen diesen Vorschlag ausgearbeitet Arbeit mit großem E rn st, mit großem Einsatz beteiligt
hat. Er hat mich dankenswerterweise sehr früh in die waren.
Information einbezogen, und ich habe die Struktur Ich bin jetzt ein bißchen versucht, auf meinen Kol-
dieses Vorschlags von Anfang an außerordentlich be- legen Jörg van Essen und auf den Kollegen Gerald
grüßt. Häfner einzugehen, die hier eine schwierige Auf-
Wie Sie richtig sagten, Herr Conradi, durfte ich gabe zu erfüllen hatten.
Mitglied dieser unabhängigen Kommission, der Kis- (Heiterkeit)
sel-Kommission, sein. Der Vorschlag, über den wir
heute entscheiden, entspricht in seiner Struktur ge- Frau Kollegin Enkelmann, bitte nehmen Sie es ein-
nau dem, was ich in der Kissel-Kommission mit erar- fach als chevalereske Neigung, daß ich Ihren Beitrag
beitet habe. unkommentiert lasse.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Heiterkeit - Beifall bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der F.D.P.)
Er beinhaltet eine spürbare Anhebung der Entschä-
digungen der Abgeordneten, so wie es dem Ansehen Wir haben heute von allen Seiten dieses Hauses
dieses Parlaments und auch der Erwartung der Steu- Zurückweisungen dieses geradezu ungeheuerlichen
erzahler entspricht, die von ihren Abgeordneten gute Szenarios, das in den letzten Tagen entworfen wor-
Arbeit verlangen und verlangen können, ein Abspek- den ist, gehört. Worüber reden wir? Worüber schrei-
ken dagegen beim Übergangsgeld und bei der Al- ben und reden die Medien? Sie schreiben und reden
tersversorgung - Regelungen, die die Bürger in die- über den Deutschen Bundestag als die parlamentari-
sem Lande nicht so recht einsehen können. sche Vertretung von rund 80 Millionen Menschen.
Seine Abgeordneten sind in unmittelbarer, freier,
Deswegen geht dieser Vorschlag genau den richti- gleicher und geheimer Wahl gewählt. Als einziges
gen Weg. Insbesondere, meine verehrten Kollegin- Verfassungsorgan dieser Republik wird der Deutsche
nen und Kollegen, gehen wir auch mit der Verfas- Bundestag direkt gewählt.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4601
Hans Klein (München)
Seit Herbst 1990 hat die Grundgesetzformulierung Die gegenwärtige Struktur der parlamentarischen
„Vertreter des ganzen Volkes" ihre volle Bedeutung. Arbeit bedarf in der Tat sorgfältiger Überprüfung,
die meiner Meinung nach mit der Verabschiedung
Schon die Bundestage in der alten Bundesrepublik der vorgelegten Reformbeschlüsse erst beginnen
Deutschland und die im März 1991 erst- und einma- wird, wiewohl sie bereits eine ganze Reihe wichtiger
lig frei gewählte Volkskammer in der damaligen Verbesserungen enthalten.
DDR haben eine gesetzgeberische Arbeit geleistet, Daß sich - das ist eben zitiert worden - der Deut-
die den Nutzen des deutschen Volkes gemehrt und sche Bundestag in über 280 Gremien zergliedert, daß
den Frieden in Europa befestigt hat. die Tagesordnungen seiner Plenardebatten mit ab-
surden Randgruppenthemen überfrachtet sind und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Fragen von brennender Aktualität oft nur durch den
ordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/ schmalen Geschäftsordnungsspalt der Aktuellen
DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Stunde gezwängt werden, daß hektische Ad-hoc-
Entscheidungen immer wieder langfristige Planun-
Kein heutiges und kein früheres Mitglied dieses gen und somit auch gründliche Redevorbereitungen
Hohen Hauses braucht sich von einem schreibenden beeinträchtigen, wenn nicht vereiteln, und daß auch
Multimillionär der Geldgeilheit und des Betrugs zei- Parlamentsneulinge bald der Beispielkraft arrivierter
hen zu lassen, Kolleginnen und Kollegen unterliegen, sich mehr auf
Gremiensitzungen, öffentliche Auftritte oder Inter-
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der views zu konzentrieren als auf die Präsenz im Plenar-
F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND saal, das alles sind Strukturschwächen mit nachhalti-
NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) ger Wirkung für das öffentliche Bild der Parlaments-
arbeit. Sie können nicht durch PR-Maßnahmen oder
wenn es den im Grundgesetzartikel 48 Abs. 3 festge- Werbekampagnen überspielt, sie müssen behoben
schriebenen „Anspruch auf eine angemessene " und werden.
die „Unabhängigkeit sichernde Entschädigung" zu
Unbestreitbar wird die heute ebenfalls zu beschlie-
verwirklichen trachtet.
ßende Verkleinerung des Deutschen Bundestages
um bis zu hundert Abgeordnete zu Einsparungen
Ich weiß nicht, ob ein journalistischer Zyniker oder führen, die ein Vielfaches dessen ausmachen wer-
ein in bürokratischen Gedankengängen befangener den, was die bis zum Jahre 2000 in sechs Stufen ge-
Professor nachzuvollziehen vermögen, daß die Mit- plante Erhöhung der Abgeordnetenbezüge kosten
glieder eines Parlaments, das von 1949 bis heute die soll.
gewaltigsten Solidarleistungen in der deutschen Ge-
schichte - vom Lastenausgleich über die Wiedergut- Ich war - das sage ich jetzt vor allem an die
machung bis zum Aufbau Ost - durchgesetzt hat, Adresse der Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. -
ihre 80-und-mehr-Wochenstunden-Tätigkeit aus Ver- anfänglich ein erklärter Gegner der Parlamentsver-
antwortungsbewußtsein und nicht aus Geldgier aus- kleinerung, weil ich als Folge die Forderung nach
üben. mehr Mitarbeitern befürchtete und allein die Verwal-
tung des Deutschen Bundestages schon heute, von
Marie von Ebner-Eschenbach hat dennoch recht der Öffentlichkeit freilich kritiklos hingenommen,
mit der Feststellung, daß keinen Anspruch auf Scho- weit über 2 000 Beamte, Angestellte und Arbeiter be-
nung habe, wer sich in die Öffentlichkeit begibt. schäftigt, weil ich den Vorschlag zunächst für reinen
Schonung - das wäre eine Art Sonderbehandlung. Populismus gehalten habe und weil ich die Arbeitsfä-
Niemand von uns will das. Öffentliche Kritik ist inte- higkeit der Kolleginnen und Kollegen der CSU so-
graler Bestandteil der Demokratie. Aber das Recht wohl in den dann größer gewordenen Wahlkreisen
auf freie Meinungsäußerung setzt den A rt . 1 unseres als auch im Parlament selbst in Gefahr sah. Doch ich
Grundgesetzes nicht außer Kraft, der die Würde des habe mich überzeugen lassen, vor allem von der
Menschen für unantastbar erklärt. Meine Damen kompensatorischen Verbindung zwischen Parla-
und Herren, Abgeordnete sind auch Menschen. mentsverkleinerung und Erhöhung der Abgeordne-
tenbezüge.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Zuruf von der F.D.P.)
ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN) - Das halte ich nicht für etwas Lächerliches.
(Zuruf von der F.D.P.: Aber es ist nicht lo-
Zugegeben: Die meisten Publikationsorgane ha- gisch!) -
ben die parlamentarische Diskussion über Struktur-
verbesserungen und Außendarstellung der Arbeit Das ist - auch der Öffentlichkeit gegenüber - ein
des Deutschen Bundestages, Neuregelung der wichtiger Zusammenhang.
Rechtstellung, mithin auch der Entschädigung der Es war mein bayerischer Kollege Gerhard Scheu,
Abgeordneten und die Verkleinerung der Abgeord- der mit der ihm eigenen - Sie haben es heute schon
netenzahl in den vergangenen Monaten fair und ein paarmal erlebt -, ich möchte sagen: fanatischen
sachkundig begleitet. Der innere Zusammenhang Akribie
dieser drei Bereiche wurde überwiegend positiv
kommentiert, zumal da wir die Diskussion in und mit (Zuruf von der F.D.P.: Man kann auch sa-
der Öffentlichkeit geführt haben. gen: akribischer Fanatismus!)
4602 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Hans Klein (München)


nicht nur meine parteipolitisch begründeten Beden- Ich will Ihnen sagen, was mir als Antwort auf diese
ken ausgeräumt, sondern dem ganzen Reformwerk Frage im Ausschuß gegeben wurde. Die Öffentlich-
an wichtigen Punkten zum Durchbruch verholfen keit würde endlich einmal sehen, was alles an ver-
hat. steckten und überhaupt nicht mehr begründbaren
Zulagen in einem Beamtengehalt enthalten sei. Das
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge wüßte sonst niemand. Das sei somit ein Beitrag zur
ordneten der SPD) Aufklärung der Öffentlichkeit. Vielleicht haben Sie
Basierend auf einer sechsjährigen Diskussion, den - das ist meine Frage - eine für mich überzeugendere
Vorschlägen zweier unabhängiger Kommissionen Antwort.
und der Arbeit der zuständigen Bundestagsgremien
wurde vor den Sommerferien das Reformpaket der Hans Klein (München) (CDU/CSU): Herr Kollege
Öffentlichkeit vorgestellt. Im Diätenteil wird vorge- Häfner, ich hätte mit ziemlicher Sicherheit die Ant-
schlagen, die verfassungsrechtlich gebotene Ange- wort , die Sie vorgetragen haben, nicht gegeben. Wir
messenheit der Abgeordnetenbezüge in der Verfas- haben gesagt, wir orientieren uns mit unseren Bezü-
sung selbst zu definieren. Transparenter geht es gen am Einkommen oberster Bundesrichter. Das um-
nicht. faßt alles. Zu sagen, Zulagen würden nicht dazuge-
rechnet, halte ich für lächerlich. Wir orientieren uns
Als Orientierungsgröße nennen wir die Bezüge ei- an diesem Einkommen.
nes Richters an einem obersten Gericht, der wie wir
an Aufträge und Weisungen nicht gebunden ist. Da In vielen anderen Fragen ist eine Orientierung an
diese Bezüge jeweils erst nach den öffentlich geführ- obersten Bundesrichtern nicht möglich, beispiels-
ten Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst weise werden wir nicht, obwohl das der eine oder die
im Bundesbesoldungsgesetz festgelegt werden, geht andere sicherlich als sympathisch empfände, nicht
es auch nicht öffentlicher. Und ausgerechnet dafür auf Lebenszeit gewählt. Das ist ein entscheidender
werden wir von denen beschimpft, die uns jahrelang Unterschied. Wir müssen alle vier Jahre neu antre-
der Selbstbedienung beschuldigt haben. ten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD)
Nach der Sommerpause aber hat sich jener Speye-
rer Professor, der sich seit Jahren mit wissenschaft- Daß wir das gesamte Einkommen eines obersten
lich fragwürdigen Ang riffen auf das Parlament einen Bundesrichters zur Richtschnur nehmen, was auch,
Namen zu machen sucht, noch einmal in die „Neid- wie bereits die Kollegin Dr. Tiemann dargelegt hat,
diskussion", wie das „Handelsblatt" vorgestern weitgehend den Vorschlägen entspricht, die uns die
schrieb, eingeschaltet. Seine Vorwürfe sind so mon- Kommission gemacht hat, halte ich für völlig normal.
strös, wie sein selbsterfundenes Zahlenwerk wirr ist. Es hält niemand für ein P rivileg, daß ein Monteur
Auslösung und Trennungszulagen erhält, wenn er in
So spricht er beispielsweise vom 72 000-DM-Privi-
leg und meint damit die Kostenpauschale von monat- näherer oder weiterer Entfernung von zu Hause tätig
lich 5 978 DM für Fahrtkosten und Büro im Wahlkreis sein muß. Bei uns geht es nicht nur um die Entfer-
nung zwischen Wohnort und Sitz des Bundestages;
sowie die doppelte Haushaltsführung. Niemand
aus der Kostenpauschale müssen auch die Aufwen-
käme auf die groteske Idee, meine Damen und Her-
ren, bei einem Firmenangestellten, einem Zeitungs- dungen für das Büro im Wahlkreis und die Zweit-
reporter oder auch einem Professor die Kosten für wohnung in Bonn gedeckt werden. Wir haben zwei
Arbeitsorte. Das unterscheidet uns vom Monteur.
Fahrten und Reisen in Ausübung dienstlicher Tätig-
keit als Gehaltsbestandteil zu betrachten. Eine aufgefächerte Pauschalierung dieser Aufwen-
dungen, angeknüpft an die Kostenentwicklung in
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den betreffenden Bereichen, ist wi rtschaftlich wie fis-
kalisch sinnvoll. Das kann nur bezweifeln, wem an
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Ausweitung der Bürokratie liegt.
Klein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Daß uns Rudolf Augstein einen giftigen Kommen-
Häfner? tar und sein Blatt einen herabsetzenden Beitrag wid-
met, gehört inzwischen - so schätze ich das ein - lei-
Hans Klein (München) (CDU/CSU): Bitte sehr. der zur deutschen Normalität. Daß er sich dabei aber
fast ausschließlich auf die Argumentation jenes Pro-
fessors stützt, halte ich für intellektuelle Selbster-
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr niedrigung. -
Kollege Klein, Sie sprachen gerade von Gehaltsbe-
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so-
standteilen. Können Sie mir eine Antwort auf die
wie bei Abgeordneten der F.D.P. und des
Frage geben, warum Sie bei der Anlehnung an die
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Richtereinkommen nach Besoldungsgruppe R 6 die
gesamten Zulagen, also Ortszuschlag, allgemeine Dieses Delikts haben wir uns, wenn auch auf an-
Zulage, Weihnachtsgeld und Ministerialzulage, hin- dere Weise, leider oft genug selber schuldig ge-
zurechnen, obwohl sie für Abgeordnete nicht zutref- macht. Denn so gut wie alle Verbalinjurien, Beleidi-
fen, da das Treueprämien für den öffentlichen Dienst gungen und Verdächtigungen, mit denen wir in den
sind? letzten Tagen von einigen besonders pampigen Kom-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4603
Hans Klein (München)
mentatoren bedacht wurden, sind von Mitgliedern ja 11 000, 12 000 DM betragen; das ist überhaupt
des Hohen Hauses irgendwann schon einmal im poli- nicht unser Thema -, um also diese Verantwortung
tischen Streit übereinander geäußert worden. Auch zu vermeiden, ist der Stein des Anstoßes. Das, finde
daraus sollten wir Konsequenzen ziehen. ich, ist mit politischer Kultur nicht vereinbar.

In unserer parlamentarischen Demokratie ent- (Beifall bei der F.D.P., dem BÜNDNIS 90/
scheiden die Bürgerinnen und Bürger alle vier Jahre DIE GRÜNEN und der PDS)
darüber, wer sie im nächsten Deutschen Bundestag
vertreten soll. Alle während einer Legislaturpe riode Ich darf noch eine weitere Bemerkung machen, die
mit parlamentarischer Mehrheit gefaßten Beschlüsse den Zusammenhang mit der Größe des Bundestages
sind legitim. Daran können weder Demoskopen noch betrifft. Lassen Sie uns darüber reden, wenn wir wis-
Medien, noch Professoren rütteln. Der Souverän ist sen, wie sich das auf die Wahlkreise auswirkt. Sie ha-
das Volk, das uns letztlich an den Ergebnissen unse- ben doch selber gesagt, der Zusammenhang sei da,
rer Arbeit mißt. so daß man dem Bürger sagen könne: Laßt uns die
Diäten ruhig erhöhen; denn per saldo kommt es für
Ich danke Ihnen. euch auf dasselbe heraus, weil wir den Bundestag
verkleinern. - Die Größe des Bundestages muß in ei-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ner Demokratie von den Bedingungen seiner Funkti-
ordneten der F.D.P. und der SPD)
onsfähigkeit abhängen und von nichts anderem.
Sonst könnten Sie hier genausogut vorschlagen, den
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- Bundestag auf die Hälfte zu reduzieren und die Diä-
ner Kurzintervention hat der Kollege Dr. Hirsch. ten zu verdoppeln. Das ist ein völliger Unsinn.

(Beifall bei der F.D.P., dem BÜNDNIS 90/


Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Klein, da DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abge-
Sie besonders die Fraktion der F.D.P. im Zusammen- ordneten der SPD)
hang mit der Transparenz
Ich bitte wirklich darum, dieses populistische Ar-
(Zuruf von der CDU/CSU: Und der Verklei gument fallenzulassen und über die Funktionsfähig-
nerung!) keit und die politische Verantwortung zu reden und
über nichts anderes.
- und mit der Verkleinerung; das kommt alles, keine
Sorge - angesprochen haben, möchte ich Ihnen doch (Beifall bei der F.D.P. und der PDS)
noch einmal vorlesen - Herr Häfner hat das zitiert -,
was das Verfassungsgericht in der Entscheidung von
1975 gesagt hat: „Diese Entschädigung hat auch Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege
nichts mit den Regelungen des Gehalts in den Besol- Klein, Sie haben die Gelegenheit zu einer Gegen-
dungsgesetzen zu tun. " Die Angleichung an die rede, und zwar für drei Minuten, weil ich das auch
Von-Hundert-Sätze ist „der Intention nach dazu be- dem Kollegen Hirsch gestattet habe.
stimmt, das Parlament der Notwendigkeit zu enthe-
ben, jede Veränderung in der Höhe der Entschädi-
gung im Plenum zu diskutieren und vor den Augen
der Öffentlichkeit darüber als einer selbständigen Hans Klein (München) (CDU/CSU): Ich freue mich,
politischen Frage zu entscheiden." Herr Kollege Hirsch, daß ich Ihnen mit der Erwäh-
nung des Parteikürzels F.D.P. Gelegenheit verschafft
(Beifall des Abg. Uwe Lühr [F.D.P.]) habe, doch noch zu diesem Thema zu sprechen. Ihre
Fraktion hatte einen anderen Redner gewählt. Ich
Die Verfassungsänderung, die Sie uns vorschla- kann nur sagen: Ich habe der F.D.P. gegenüber
gen, dient ausschließlich dem Zweck, genau diese meine Motivation dargelegt. Sie können sie für gut
Diskussion zu vermeiden. Sie wollen das; denn es oder für schlecht halten.
heißt in § 11 des Entwurfs zur Änderung des Abge-
ordnetengesetzes zur Entschädigung:
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Wir fahren in der
Ein Mitglied des Bundestages erhält eine monat- Rednerliste fo rt . Das Wort hat der Kollege Dieter Wie-
liche Abgeordnetenentschädigung in Höhe eines felspütz, SPD.
Zwölftels der jährlichen Bezüge eines Richters an
einem obersten Bundesgericht. -

Dann folgt die Aufzählung der Besoldungs- und Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Präsident! Liebe
Ortszuschläge einschließlich der Ministerialzulage, Kolleginnen und Kollegen! Es ist mehrfach darauf
die wir auf diesem Wege für Abgeordnete ruhege- hingewiesen worden, daß wir heute am Ende eines
haltsfähig machen, was wir bei den Beamten vernei- sehr langen Diskussionsprozesses stehen. Viele der-
nen und ablehnen. jenigen Rednerinnen und Redner, die sich heute zu
Wort gemeldet haben, kennen sich aus den verschie-
Diese Automatik, daß wir unsere Verfassung zu densten parlamentarischen Gremien der vergange-
dem Zweck ändern, nicht jährlich über die Angemes- nen Jahre und Monate, wo sie miteinander um die
senheit unserer Bezüge zu entscheiden - sie mögen Probleme gerungen haben.
4604 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Dieter Wiefelspütz
Wir waren, Herr Hirsch und Herr Häfner, bis vor Es ist aber reichlich unverfroren, wenn der Vorwurf
kurzem alle der Meinung - ich schließe alle Kollegin- erhoben wird, wir überstürzten hier wichtige Ent-
nen und Kollegen, alle Fraktionen und Gruppen ein -, scheidungen; ich habe „Augen zu und durch" ge-
daß wir nicht eine Diskussion führen wollten, bei der hört. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Augen
die einen für die Moral und die anderen für das Geld offen und verantwortungsbewußt entscheiden, das
zuständig sind. ist unsere Aufgabe heute.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU sowie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
bei Abgeordneten der F.D.P.)
ten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Antje
Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben die Aufgabe, uns alle Zeit zu nehmen, die
wir brauchen, um wichtige Entscheidungen zu tref-
Wir wollten keine Diskussion führen, in der die einen fen. Aber dann muß auch mit dem Ziel beraten wer-
die Hüter der Verfassung sind und die anderen Ver- den, Entscheidungen zu treffen. Heute ist der Zeit-
fassungsbruch vornehmen wollen. punkt, wo nach einer langen, ausführlichen Bera-
tung, Herr Hirsch, die Entscheidung getroffen wer-
(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) den kann, und dann muß jeder seine Entscheidung
treffen, ja oder nein sagen oder sich enthalten. Das
sind doch die normalen Regeln.
Offenbar ist dieser Konsens, diese gemeinsame
Überzeugung in den letzten Tagen aufgebrochen. In den letzten Tagen werden verstärkt verfassungs-
Ich bin auch erstaunt, Herr Häfner - Sie sind ein Kol- rechtliche Bedenken gegen die vorgeschlagene Ver-
lege, den ich aus vielen, vielen Arbeitszusammen- fassungsänderung geltend gemacht. Das ist ein
hängen sehr schätze -, daß ich heute von Ihrer Frak- wichtiger Punkt. Über ihn muß ausführlich geredet
tion, deren Sprecher Sie sind, erstmals Argumente werden; ich will das jetzt tun.
höre, die die Vizepräsidentin Frau Vollmer und Ihr
Geschäftsführer nicht vorgetragen haben, die sich Das gegenwärtige Verfassungsrecht in Gestalt der
vielmehr kritisch, aber auch konstruktiv an den Dis- Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht
kussionen mit Argumenten beteiligt haben, die mich zwingt die Mitglieder des Bundestages, in eigener
glauben gemacht haben, daß die Fraktion des Sache über ihr Gehalt und ihre Versorgung zu ent-
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN den Vorschlag scheiden. Das ist bis heute geltendes Recht. Auch
heute ablehnen wird. Auch das respektiere ich. Aber wenn viele Menschen uns das nicht glauben: So ist
die Argumentation sollte dann bitte durchgehalten die Rechtslage seit 20 Jahren. Dieses Recht wollen
werden. Verfassungsrechtliche Argumente, Herr wir ändern, dieses Recht dürfen wir aber auch än-
Häfner, haben Sie nie geltend gemacht. dern, und zwar nicht, weil wir die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen wollen,
Auch Ihnen, Herr Vizepräsident Hirsch, muß ich sondern weil wir Verfassungsgesetzgeber sind und
dies vorhalten. Für mich ist das, was Sie jetzt sagen, das Recht haben - wenn die Mehrheiten ausreichend
in dieser Form auch neuartig. sind -, eine andere Form der Regelung in das Grund-
gesetz hineinzuschreiben.
Ich fand auch Ihren Beitrag, Herr van Essen, sehr Warum tun wir das, und welche Gründe gibt es?
widersprüchlich. Aber in einem will ich meinen aus- Das gegenwärtige Recht hat zu zwei Problemen ge-
drücklichen Respekt deutlich machen. Sie haben im führt, die ich kurz erläutern will.
Hinblick auf den Gesetzentwurf der Fraktionen der
SPD und der CDU/CSU nicht den Vorwurf des Ver- Im Jahre 1977, als das Abgeordnetengesetz erst-
fassungsbruchs erhoben. Das wäre allerdings auch mals verabschiedet wurde, stellte sich die Frage: Was
kühn, obwohl auch Ihr Parteivorsitzender in den letz- ist bei der Entschädigung eines Abgeordneten ange-
ten Tagen kurzzeitig der Versuchung nicht widerste- messen? Dann sind Vergleichsmaßstäbe gesucht und
hen konnte, das anklingen zu lassen. gewählt worden. Es war die Rede von dem haupt-
amtlichen Landrat in Süddeutschland oder dem Bür-
Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, in die- germeister. Es war die Rede von dem Ministerialdiri-
sem Bereich eine besondere Verantwortung. Die genten, dem Unterabteilungsleiter in einem Bonner
Ministerium. Es war auch vom Bundesrichter die
Sätze, die wir von uns geben, holen uns alle irgend-
wann einmal ein. Dann kann man damit auch zitiert Rede. Damals, im Jahre 1977, hat man eine zu ver-
werden. Ich finde, man sollte sehr sorgsam argumen- steuernde Bruttoentschädigung für Abgeordnete von
tieren. monatlich 7 500 DM gewählt. Das war in etwa das
damalige Gehalt von Bundesrichtern. -
Das öffentliche Interesse an der Parlamentsreform Dahin wollen wir zurück. Wir wollen wieder in die
und an der Verkleinerung des Parlaments hält sich in Kategorie des Bundesrichtergehalts, wo wir früher
Grenzen. Andererseits ist das Interesse an dem schon einmal waren, Herr Hirsch. Die Gehälter wur-
Thema „Bundestagsabgeordnete und Geld" in den den in den letzten 17, 18 Jahren natürlich angeho-
letzten Tagen spürbar gewachsen. Ich kritisiere das ben, bei den Abgeordneten, aber auch bei den Bun-
nicht, im Gegenteil. Es ist ein wichtiges Thema. Dar- desrichtern - bei den Bundesrichtern prozentual in
über muß offen geredet werden - das tun wir heute -, doppelter Höhe gegenüber den Abgeordneten des
und darüber muß auch gestritten werden können, so- Deutschen Bundestages : Bei allen anderen Beamten
weit das nötig ist. war es ebenso.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4605
Dieter Wiefelspütz
Die angemessene Entschädigung kann nur dann zweifelt und die Verfassungsänderung als „Verfas-
dauerhaft gesichert werden, wenn wir einen verfas- sungsbruch „ , sogar als Staatsstreich bezeichnet.
sungsrechtlich klaren Maßstab wählen. Im Moment
(Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
steht in der Verfassung, die Entschädigung solle
[CDU/CSU]: Davon lebt er! Das wird nicht
„angemessen" sein. Was ist denn eigentlich „ange-
erwähnt!)
messen"? Wir als Verfassungsgesetzgeber sagen
jetzt: Es sollen die Jahresbezüge eines Bundesrich- Es gibt keine weiteren nennenswerten Stimmen, die
ters sein. Dies führt zu einem klaren Maßstab, der die Verfassungsmäßigkeit dieser Verfassungsände-
dann durch den § 11 des Abgeordnetengesetzes rung in Zweifel ziehen. Das ist leicht nachvollzieh-
noch einmal präzisiert wird. Das ist der eine Punkt: bar; denn zum änderungsfesten Kern unserer Verfas-
die angemessene Entschädigung, die durch die Ver- sung gehören das Bundesstaatsprinzip, das Sozial-
fassungsänderung auf Dauer gesichert werden soll. staatsprinzip, das Demokratiegebot. Die A rt und
Weise, wie wir das Thema „Abgeordnete und Geld"
Der zweite Punkt ist nicht minder wichtig, viel- regeln, steht in der Regelungsverantwortung des
leicht noch wichtiger. Auch er ist in dieser Debatte Verfassungsgesetzgebers.
schon angesprochen worden. Es ist gut, wenn man
sagt: Der Bundestag soll jährlich vor den Augen der Ich halte es für eine deutliche Verbesserung der
Öffentlichkeit in eigener Sache entscheiden. Das ha- Rechtslage und auch der öffentlichen Akzeptanz,
ben wir in der Vergangenheit getan. Wir haben uns wenn wir in das Grundgesetz schreiben, wie der
selbstverständlich an die Rechtsprechung von Karls- Maßstab für die Bezahlung der Abgeordneten im
ruhe gehalten. einzelnen aussehen soll. Genau das wird durch diese
Verfassungsänderung bewirkt.
Dies hat uns aber immer wieder, Jahr für Jahr, dem
Vorwurf der Selbstbedienung, der Entscheidung in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
eigener Sache ausgesetzt. Dies hat, liebe Kollegin- Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
nen und Kollegen, ob wir das wollen oder nicht, dem noch einen letzten Gedanken anführen. Ich will auf-
Ansehen des Parlaments, dem Ansehen eines jeden greifen, was Frau Nickels angesprochen hat. Wann
einzelnen Abgeordneten und der demokratischen ist denn der richtige Zeitpunkt für solche Regelun-
Kultur Schaden zugefügt. Das muß leider festgestellt gen? Gibt es ihn überhaupt? Wir sind Mitglieder des
werden. Bundestages, sind Bundestagsabgeordnete. Ich sage
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der häufig sehr gerne: Wir sind Volksvertreter und Volks-
CDU/CSU) vertreterinnen. Was heißt das? Wir vertreten die
Bürgerinnen und Bürger, die uns in dieses Haus ge-
Deswegen plädieren wir für die Indexierung des Ge- wählt haben. Wir alle achten darauf und haben auch
haltes in bezug auf die Besoldung der Bundesrichter. allen Grund dazu, daß wir keine politische Klasse
So entgehen wir dauerhaft dem Vorwurf, in eigener werden, daß wir Teil dieser Bevölkerung bleiben -
Sache zu entscheiden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die CDU/CSU)
Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Verfassungs-
änderung äußerst sorgfältig geprüft. Herr van Essen in unseren Maßstäben, in unseren Verhaltensweisen,
und Herr Hirsch, ich habe nicht den geringsten Zwei- bis hinein in das Finanzielle.
fel, daß Ihre Vorstellungen verfassungsrechtlich un- Die Mitglieder des Deutschen Bundestages be-
bedenklich sind. Aber akzeptieren Sie bitte, daß wir kommen ein gehobenes Gehalt; das ist richtig. Wir
nicht die geringsten Zweifel haben, daß die Verfas- haben uns bei dieser schwierigen Gratwanderung
sungsänderung, die wir vorschlagen, mit unserem gefragt: Was ist angemessen? - Das Jahresgehalt ei-
Grundgesetz in Übereinstimmung steht. nes Bundesrichters sollte der Maßstab sein. Wir kön-
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nen und wollen uns nicht an Spitzengehältern in der
Wi rt schaft oder auch im Staat orientieren. Auch in
Juristen sind bekanntlich sehr meinungsfreudig. Zukunft werden wir nicht so bezahlt wie Vorstands-
mitglieder in der Wirtschaft oder Staatssekretäre
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: bzw. Bundesverfassungsrichter. Wir wollen einen
Das ist aber höflich ausgedrückt!) vernünftigen, vertretbaren Maßstab wählen.
- Es gehört sich doch wohl, hier höflich gegenüber Ich denke, wir können guten Gewissens sagen:
dem eigenen Berufsstand zu sein, Herr Weng. Der Maßstab Bundesrichtergehalt, verbürgt durch
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: unser Grundgesetz, ist eine solide Grundlage für die-
Aber man darf feststellen!) Zukunft; er wird uns allen viele unnötige und ungute
Diskussionen ersparen. Wir werden auf diese Weise
Es gibt in der sehr vielgestaltigen deutschen Juri- auf Dauer den Vorwurf los, daß wir in eigener Sache
stenlandschaft unter den Verfassungsrechtlern, unter entscheiden, daß wir uns selbst bedienen. Wir haben
den Staatsrechtlern einen einzigen mit dieser Verfassungsänderung einen zukunftswei-
senden Vorschlag gemacht, den wir alle guten Ge-
(Jörg van Essen [F.D.P.]: Aber keinen re
wissens vertreten können.
nommierten!)
Herzlichen Dank.
- ich habe mir vorgenommen, den Namen hier nicht
zu erwähnen -, der die Verfassungsmäßigkeit be (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
4606 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- Ich stehe hier, um zu erklären, warum sich auch
ner Kurzintervention hat der Kollege Häfner. die Grünen bei dem Konzept einer umfassenden Par-
lamentsreform für den Weg entschlossen haben mit-
zumachen - was wir auch getan haben - und warum
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr wir uns nicht auf die billige Seite folgenloser Total-
Kollege Wiefelspütz, Sie haben mich hier falsch zi- kritik gestellt haben.
tiert und damit den Eindruck erweckt, als hätte ich in
den Beratungen zu keiner Zeit die Verfassungswid- Seit langem sehen wir: Das Ansehen des Parla-
rigkeit dieses Entwurfs geltend gemacht. Das ist ments stand und steht nicht zum Besten. Das hat
falsch. Ich habe dies von Anfang an getan. Sie wis- viele Gründe, auch selbstverschuldete. Jahrelang
sen allerdings auch, daß der Entwurf erst sehr spät hatte das Parlament nicht sensibel genug auf Kritik
überwiesen worden ist. reagie rt . Jahrelang haben wir mit der Bevölkerung
nicht offen genug über die wirkli chen Probleme un-
(Zurufe von der SPD: Im Juni!) serer Arbeit gesprochen. Jahrelang sind wir aber
auch vor mancher ungerechtfertigter Kritik am Parla-
- In der letzten Woche vor der Sommerpause. mentarismus gebeutelt weggetaucht. Ich finde, mit
diesem Wegtauchen muß es jetzt ein Ende haben.
(Zuruf von der SPD: Vor drei Monaten!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gerade Sie, Herr Wiefelspütz, der Sie als Zeuge sowie bei Abgeordneten der SPD)
dabei waren, wissen, welch ungeheure Anstrengung
es gekostet hat, in der einzigen Sitzung des Rechts- Wir sind jetzt an dem entscheidenden Punkt, daß
ausschusses, die in der Zeit danach stattfand, durch- auch die Parlamentarier wieder Selbstbewußtsein
zusetzen, daß wir uns überhaupt damit befassen. Die und einen geraden Rücken bekommen müssen. Wir
Behandlung des Themas ist dann auf diese Woche sagen: Die Kritik ist bei uns angekommen, und wir
verschoben worden. In dieser Woche aber ist es auf bemühen uns ernsthaft um eine Verbesserung unse-
Antrag der CDU/CSU-Fraktion abgesetzt worden. So rer Arbeit. Wir erwarten aber auch jenes Minimum
stelle ich mir eine vernünftige parlamentarische Be- an Respekt und öffentlicher Akzeptanz, ohne das
ratung nicht vor. Das sei, wenn sich hier so viel Un- kein Parlament der Welt auf Dauer die schweren Pro-
mut erhebt, noch deutlich gesagt. bleme eines Landes regeln kann.
Herr Wiefelspütz, jeder ernsthafte Verfassungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
rechtler wird Ihnen bestätigen, daß das, was Sie jetzt bei der CDU/CSU und der SPD)
machen, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
aus dem Jahre 1975 zutiefst widersp richt. Der erste Teil dieser Reform bedeutet eine umfas-
sende Modernisierung des Politikbetriebs Parla-
(Widerspruch bei der SPD) ment. Manche unserer Kritiker wissen, glaube ich,
gar nicht, was für ein Risiko wir selbst mit diesem
Anders wäre dies, wenn Sie eine Orientierungsgröße Plan der Donnerstagsdebatten eingehen. Wir kom-
nähmen, auf die man sich verständigen kann, dann men damit in der Mediendemokratie und somit in
aber den Bundestag noch jeweils neu entscheiden der Gegenwart an. Das Aushandeln der Themen für
lassen, ob er dieser folgen möchte oder nicht. Dies diese Debatten wird von den Parlamentarischen Ge-
war unser Vorschlag. schäftsführern äußerste Fairneß und von uns allen ei-
nen Sinn fürs Ganze verlangen.
(Beifall der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.])
Diesen Sinn fürs Ganze braucht auch - ich fordere
sie dazu auf - die Regierung mit ihrem Recht, jeder-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt hat die Kol- zeit - so steht es in der Verfassung - in die Debatte
legin Antje Vollmer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das eingreifen zu können. Wenn sich das Parlament auf
Wo rt . das Wesentliche konzentriert, muß das auch die Re-
gierung tun. Sie muß darauf vertrauen, daß mit einer
schlechten Selbstdarstellung des Parlaments und mit
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): geschmälerten Rechten der Opposition auch die Poli-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tik der Regierung schlechter wird. Zur Stärkung der
Auch ich habe mich angesichts der heißen Tonlage in Rechte der Opposition gibt es noch einiges zu tun.
einigen Zeitungen und Magazinen in den letzten Ta-
gen manchmal gefragt, ob wir noch dieselbe Wirk- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
lichkeit teilen. So viel Heuchelei, so viel hohles Pa- und bei der PDS)
thos, so viele selbsternannte Retter des Vaterlandes,
so viele falsche Verfassungsfreunde! Im zweiten Teil des Pakets reduzieren wir die Be-
satzung, die Zahl der Abgeordneten. Dies ist be-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schlossene Sache, und das gilt. Das ist vor der gan-
bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei zen Öffentlichkeit gesagt worden. Auf dem Weg von
Abgeordneten der F.D.P.) der Bonner zur Berliner Republik verschafft sich das
Parlament damit Legitimität für eine Phase, in der al-
Dabei ist kaum etwas so schwer zu stemmen wie die les noch einmal auf den Prüfstand gehört. Längst
Reform eines Parlaments, besonders bei laufendem nämlich stehen grundlegende Reformen des Staates
Betrieb. Alle Beteiligten wissen das. und der öffentlichen Verwaltungen auf der politi-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4607
Dr. Antje Vollmer
schen Tagesordnung. Ich habe immer die Reform des Dafür zu kämpfen, habe ich mir auch als Vizepräsi-
Parlaments als den entscheidenden Probelauf für dentin vorgenommen, und deswegen werde ich für
diese Reformfähigkeit angesehen. Wie denn sonst die Grundgesetzänderung stimmen.
sollte ein Parlament solche großen Reformen initiie-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
ren können, wenn es nicht selbst mit gutem Beispiel
und der SPD)
vorangeht? Das versuchen wir im Moment.
Ich stimme aber gegen das Ausführungsgesetz,
Ein persönliches Wo rt zum Junktim zwischen Ver- weil mir die Diätensteigerung zu schnell geht und zu
kleinerung des Parlaments und Anhebung der Be- hoch erscheint. Mir persönlich reicht es, wenn meine
zahlung der Parlamentarier. Diese Verkleinerung ist parlamentarischen Enkel von dem profitieren, was
für mich keine Gegenfinanzierung zur Neuregelung wir heute einführen, nämlich von der Vergleichs-
der Diäten, selbst wenn es so erscheinen mag. Die größe, die uns aus den unwürdigen Debatten heraus-
Verkleinerung ist für mich vielmehr das Symbol für nimmt.
die Fähigkeit der Politik, gegen die Verstaatlichung
der Parteien und gegen Wucherung des Parteien- Ich persönlich finde den Vergleichsmaßstab eines
staates, also gegen sich selbst, noch einmal Hand- Bundesrichters auch von der Verfassung her akzep-
lungsfähigkeit zu beweisen. Das ist sehr schwer. tabel für einen Parlamentarier.
Bei allem Respekt vor dem Bundesverfassungs-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gericht: Der Gesetzgeber, auch der verfassungsän-
dernde Gesetzgeber, sitzt hier in Bonn und nicht in
Daß einzig die F.D.P. sich einer Verkleinerung ver- Karlsruhe.
weigert, zeigt das Bild einer Partei, die zwar sehr
gerne von Rücknahme des Staates und von Deregu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so-
lierung redet, die aber im entscheidenden Moment, wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
wenn es darauf ankommt, kneift. DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
Das sieht übrigens auch Karlsruhe so. Do rt will man,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN daß wir diese Rolle endlich auch einnehmen.
und bei der SPD)
(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)
Schließlich der dritte Korb: Bezahlung von Parla-
Zum Schluß: Uns Bündnisgrünen fällt die Entschei-
mentariern am festen Maßstab von Richtergehältern.
dung zu diesem Reformpaket nicht leicht. Das kön-
Ich bin, und zwar aus tiefer Überzeugung, wegen der
nen Sie sich denken. Vielleicht ist aber die Vorstel-
notwendigen Selbstachtung des Parlaments für die-
lung einer einmaligen umfassenden Reform über-
sen Maßstab. Die ewig gleich inszenierte Prügelnum-
haupt zu hochfliegend, zu ehrgeizig. Es ist ein Pro-
mer mit den bekannt verteilten Rollen und den Kraft-
ausdrücken, die den Parlamentariern in Sachen Be- zeß, und dieser Prozeß ist änderbar wie alles in der
Demokratie. Aber die Richtung muß stimmen und
zahlung jährlich abverlangt wird, muß endlich ein-
auch die Haltung, mit der wir in diesen Prozeß hin-
mal ein Ende haben, auch wenn das die Pfründe von
Herrn von Arnim schmälern würde. eingehen. Das Ansehen eines Parlaments, liebe Kol-
leginnen und Kollegen und liebe Pressevertreter, ist
leicht zu verspielen. Es ist sehr schwer, es wieder auf-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zubauen. Ich finde, wir sollten uns darin nicht beir-
und bei der SPD)
ren lassen, und letztlich glaube ich immer noch, daß
Man kann nämlich den Politikerberuf so lange ver- sich Mut lohnt und nicht das Zurückweichen vor bil-
ächtlich machen und in den Dreck ziehen, bis auch ligem Populismus.
nur halbwegs Qualifizierte nicht mehr für ein Parla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
ment kandidieren wollen. bei der CDU/CSU und der SPD)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,


Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Der Abgeord-
bei der CDU/CSU und der SPD)
nete Dr. Wolfgang Weng hat das Wo rt zu einer Kurz-
Im übrigen haben auch die klassischen Demokratien intervention.
wie England und Frankreich solche Bezugsgrößen.
Frau Süssmuth hat schon darauf hingewiesen. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Präsi-
dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! In der eben
Um es deutlich zu sagen, auch für die Öffentlich- gehörten Rede ist mir eines besonders aufgefallen.-
keit: Ich glaube nicht, daß die Bezahlung das ent- Das war der Hinweis darauf, wie unwürdig das öf-
scheidende Argument ist, warum jemand Politiker fentliche Verhalten auf die jährlichen Erhöhungen
oder Politikerin wird. Ich glaube aber, daß man Lei- der Diäten in der Vergangenheit gewesen sei. Ich
denschaft, Kreativität und den persönlichen Preis, möchte Sie, Frau Vollmer, hierzu fragen, ob Sie sich
den dieser Beruf auch kostet, nur zahlen kann, wenn daran erinnern, daß die wesentlichen Wortgeber zu
er ein Minimum an öffentlicher Achtung hat. einem außerordentlich hohen Prozentsatz der Stich-
wortgeber für diese Medienmeinungen genau aus
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Reihen Ihrer Fraktion, aus Ihrer Partei gekom-
der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab men sind. Ich möchte das um so mehr tun, als Sie ei-
geordneten der F.D.P. und der PDS) nen in der Sache nicht gerechtfertigten Zwischenein-
4608 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
wurf gegen die F.D.P. gemacht haben, nämlich wir Ich möchte außerdem ausdrücklich betonen, daß
verweigerten uns einer maßvollen Verkleinerung des es nicht um Vorwürfe der Verfassungswidrigkeit ge-
Parlaments. Dies steht heute und hier nicht zur De- gen den Mehrheitsentwurf geht. Ich bestätige aus-
batte. Wir haben aber gesagt, daß wir uns dem nicht drücklich - Herr Vizepräsident, Sie haben mich dabei
verweigern werden. Insoweit ist dieser Anwurf von freundlich angeschaut, und ich bin vorhin auch zi-
Ihrer Seite und auch aus Ihrer Gruppe heraus ein fal- tiert worden -, daß nach meiner Auffassung - ich
scher Anwurf gewesen. denke, das ist eine relativ breite Einstellung im Be-
reich der Verfassungsrechtler - die Initiative der
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zur Gegenrede Mehrheitsmeinung der großen Fraktionen nicht ver-
erhält die Kollegin Vollmer das Wo rt . fassungswidrig ist. Das muß mit Deutlichkeit gesagt
werden.
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Verehrter Herr Kollege Weng! Wenn Sie genau hin-
gehört haben, dann haben Sie in unserer Mitarbeit An dieser Stelle würde ich gerne - selbst wenn es
und in dem, was ich gesagt habe, indirekt natürlich mir den Vorwurf eintragen wird, von oben herab zu
auch eine Kritik an mancher Tonlage, wie sie am An- argumentieren - Herrn Kollegen Häfner meine Reve-
fang unserer Arbeit im Parlament aus unserer Frak- renz erweisen für seinen Mut, mit dem er letzte Weis-
tion gekommen ist, gehört. Ich denke, das habe ich heiten aus dem Verfassungsrecht verkündet. Ich als
sehr redlich dargestellt. Nicht-Waldorf-Pädagoge jedenfalls hätte nicht den
Mut, um letzte Wahrheiten der Waldorf-Pädagogik
(Beifall des Abg. Ge rt Willner [CDU/CSU)) zu streiten.
Ich finde es aber hochinteressant - wir waren da- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
mals eine sehr junge Partei -, daß Sie jetzt mit uns
die Rollen tauschen und daß die F.D.P. nach so langer Wenn Sie behaupten, daß es keinen ernsthaften Ver-
Parlamentserfahrung bei moralischem Fundamenta- fassungsrechtler gibt, der nicht meint, das Ganze sei
lismus und populistischen Äußerungen ankommt. verfassungswidrig, dann muß ich Ihnen leider sagen:
Das ist doch ziemlich daneben.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der Wir haben mit Bef ri edigung zur Kenntnis genom-
SPD) men, Herr Wiefelspütz, daß kein Einwurf - ich sehe
ihn auch nicht ernsthaft - gegen unseren Entwurf be-
züglich der Verfassungsmäßigkeit besteht. Deswe-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat der gen lassen Sie mich auf die Einzelheiten zu sprechen
Kollege Dr. Schmidt-Jortzig, F.D.P.-Fraktion. kommen; denn es geht nicht um das Wegdrücken
Darf ich um etwas Ruhe bitten. der Argumentationen hinter vorgeblichen Verf as-
sungsrechtspositionen. Vielmehr muß man sich auf
eine politische Diskussion der Alternativen einlassen.
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Ich bin Parlaments-
neuling und nehme mit Interesse und sicherlich auch Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege
Verständnis zur Kenntnis, wie bei diesem sehr ern- Schmidt-Jortzig, darf ich noch einmal intervenieren?
sten Thema bei vielen Kollegen die Gereiztheit, die - Es ist wirklich zu laut. Ich finde es nicht fair. In die-
Polemik und der Sarkasmus in Maßen zunehmen, ser wichtigen Debatte sollte jeder die Möglichkeit
wie sie eigentlich dem Thema nicht angemessen haben, so zu reden, daß auch jeder zuhören kann,
sind. und jeder, der zuhören wi ll , sollte dazu die Möglich-
keit haben.
Lassen Sie mich das zu Anfang sagen, bevor ich zu
meiner Rede komme, die, glaube ich, einigermaßen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU,
ruhig und gemessen ist und gleichwohl einen Ge- der SPD und der F.D.P.)
genstandpunkt formuliert.
Bitte.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Den müssen Sie auch ertragen, Frau Kollegin; das Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Also noch ein-
gehört zur Ruhe im Parlament dazu. mal: Ich lade Sie dazu ein, sich auf die politische Dis-
kussion der Alternativen einzulassen und alle Schau-
Mir liegt daran, gleich am Anfang klarzustellen,
gefechte mit falschen Argumenten einmal beiseite zu
daß es uns Liberalen nicht gegen eine maßvolle Er- lassen.
höhung der Abgeordnetenentschädigung zu tun ist,
wenn wir den Mehrheitsentwurf kritisieren. Ich sage Ich sage ganz deutlich: Die Differenz der F.D.P.
ausdrücklich - gerade weil Herr Kollege Wiefelspütz zum Mehrheitsentwurf liegt im Verfassungspoliti-
einen Verdacht geäußert hat, den ich schlimm fände, schen. Die F.D.P. ist gegen ein Wegducken vor der
wenn er begründet wäre -: Meinetwegen kann die öffentlichen Auseinandersetzung um die geplanten
Steigerung durchaus eine Größenordnung erreichen, Erhöhungen der Abgeordnetenentschädigungen,
wie sie nach dem Mehrheitsentwurf im Gespräch ist. selbst wenn ich natürlich nachempfinden kann, daß
Das Geld ist hier nicht das Thema. Vielmehr geht es Sie sich quasi in einem Akt der Notwehr die ständig
um etwas anderes, auf das ich noch zu sprechen wiederkehrenden Anwürfe aus der Öffentlichkeit
kommen werde. Ich bitte Sie, das zu ertragen. vom Hals halten wollen. Ich denke aber, es ist der fal-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4609
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
sche Weg, diesen Anwürfen und Vorwürfen nachzu- nen Gruppenantrag ein, der den A rt . 1 des Geset-
geben und dann nicht mehr jährlich und kontinuier- zentwurfs um eine neue Nr. 7 a ergänzen will. Diese
lich zu diskutieren, d. h. eben, sich wegzuducken. Nummer soll dazu führen, daß § 44 a des Abgeordne-
Wir streiten hier jedenfalls für ein Vorgehen mit de- tengesetzes so geändert wird, daß die Verhaltensre-
mokratisch offenem Visier. geln zukünftig Bestimmungen über die Pflicht zur
jährlichen Anzeige der Art und Höhe aller Einkünfte
(Beifall bei der F.D.P.) im Sinne des § 2 des Einkommensteuergesetzes und
Die F.D.P. ist gegen eine Koppelung an irgendeine über die Veröffentlichung dieser Angaben enthalten
Drittbesoldung; denn auch sie muß ja letztlich das müssen. Ich will diesen Antrag begründen.
Parlament beschließen. Deshalb würde die Selbstbe-
denkung - ich sage nicht: Selbstbedienung - nur me- Das Ansehen der Politik, des Parlaments und der
diatisiert, also etwas komplizierter, aber damit wohl Abgeordneten in unserer Demokratie hat in den letz-
auch problematischer. Wir streiten statt dessen für ten Jahren Schaden genommen. Das erleben wir alle
eine verfassungsmäßig wie inhaltlich eigenständige schmerzhaft in unseren Wahlkreisen. Das sehen wir
Bestimmung der Abgeordnetenentschädigung. auch an der sinkenden Beteiligung bei Wahlen. Es
wäre ungerecht, dafür allein die Mehrheit des Hau-
Die F.D.P. ist gegen jede Verquickung mit Gehalts- ses und die von ihr getragene Regierung verantwort-
bemessungsaspekten des öffentlichen Dienstes, und lich zu machen. Wir alle, Mehrheit und Minderheit,
sei es auch solchen der unabhängigen Richter. Denn haben dazu beigetragen, daß viele Menschen mit der
do rt spielen nun einmal ganz andere Gesichtspunkte Art und Weise, in der wir hier über ihr Leben, über
eine Rolle, als sie für den Abgeordneten maßgeblich unser Zusammenleben reden und oft genug ent-
sein sollten. Dort geht es auch um Beförderungs- scheiden, nicht zufrieden sind. Sie vermissen Orien-
aussichten, um Dienstleistungs- und Treuepflichten, tierung und Stetigkeit, sie vermissen soziale Gerech-
um Lebenszeitprinzip, Urlaubsansprüche, Ortszu- tigkeit, Ehrlichkeit und Mut.
schläge, Pensenschlüssel etc. Der Abgeordnete hin-
gegen hat einen politischen Auftrag. Er ist nur sei- Das Ansehen der parlamentarischen Demokratie
nem Gewissen unterworfen - so steht es ja im Grund- hat aber auch Schaden genommen, weil an einigen
gesetz -, und er ist frei von hierarchischen und büro- Stellen unseres öffentlichen Lebens und in der Wi rt
kratischen Einschnürungen. Wir streiten zwar gleich- Korruption-schaftUnerlik,Vosahmeund
falls für eine Objektivierung der Diätenfestsetzung, um sich greifen.
aber das soll über eine unabhängige Kommission (Unruhe)
laufen mit einem förmlichen, definie rt en Gutachten-
auftrag und ohne das Parlament in seiner Entschei-
dungsverantwortung einzuschränken. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege
Conradi, einen Augenblick! - Ich muß noch einmal,
(Beifall bei der F.D.P.)
verehrte Kolleginnen und Kollegen, an Sie appellie-
Deshalb werden wir gegen die Mehrheitsinitiative ren, etwas ruhiger zu sein. Wir haben noch eine
und für unsere bessere Alternative stimmen. Reihe von Wortmeldungen, und es macht Sinn, gut
zuzuhören.
Vielen Dank.
Herr Conradi.
(Beifall bei der F.D.P.)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat der Peter Conradi (SPD): Danke, Herr Präsident.
Kollege Peter Conradi.
Wer ehrlich ist, wer seine Steuern ordnungsgemäß
zahlt, wer nicht lügt und betrügt, muß sich als der
Peter Conradi (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Dumme vorkommen, wenn nicht nur bei Opel, Sie-
men und Herren! Erlauben Sie mir eine Vorbemer- mens und Daimler-Benz, sondern auch in Behörden
kung. Die beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehan- und Ämtern gegen Recht und Gesetz verstoßen wird.
stalten haben uns in den letzten Tagen heftig kriti-
siert, zum Teil mit verdrehten Zahlen, zum Teil mit (Beifall bei der SPD)
giftigen Kommentaren. Wir haben die Bilder von den Durch Affären und Skandale in allen Parteien ist
herunterschwebenden Hundertmarkscheinen gese- bei vielen Bürgern der Eindruck entstanden, die Poli-
hen. Das ist in Ordnung. Aber ich finde es nicht in tiker bereicherten sich auf Kosten der Allgemeinheit.
Ordnung, daß die beiden öffentlich-rechtlichen An- Viele fragen sich, ob die Krankheit der Käuflichkeit
stalten diese Debatte nicht übertragen. Das finde ich auch die Politik ergriffen hat, ob sich Parteien und-
schäbig. Parlament am Wohl des Volkes oder an finanziellen
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Interessen orientieren. Niemand sollte die Gefahr un-
F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND terschätzen, die von dieser Entwicklung ausgeht. Ein
NISSES 90/DIE GRÜNEN) Blick in unser Nachbarland Italien, in dem das alte
Parteiensystem an der Korruption zerbrochen ist,
In der zweiten Lesung des Achtzehnten Gesetzes sollte uns warnen.
zur Änderung des Abgeordnetengesetzes bringe ich
- nicht namens der SPD-Fraktion - gemeinsam mit Unser Antrag will ein deutliches Zeichen gegen
dem Abgeordneten Norbe rt Gansel und 150 Ab- diese Entwicklung setzen. Wir meinen, die Wählerin-
geordneten des Hauses - das ist fast ein Viertel - ei nen und Wähler haben einen Anspruch darauf, zu er-
4610 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Peter Conradi
fahren, ob wir neben unserer Abgeordnetenentschä- Soll das nur für die Exekutive gelten? Muß das nicht
digung von anderer Seite Einkünfte bekommen, die sehr viel mehr noch für das Parlament gelten?
unsere Unabhängigkeit beeinträchtigen könnten.
Unser Gesetzentwurf - der Wissenschaftliche
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Dienst hat uns dankenswerter Weise bei der Ausar-
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ beitung geholfen - respektiert das Steuergeheimnis.
DIE GRÜNEN) Er respektiert auch das Recht der Ehegatten auf in-
formationelle Selbstbestimmung. Nicht der Einkom-
Das Demokratieprinzip gebietet doch, daß der Wäh- mensteuerbescheid soll offengelegt werden; der oder
ler vor seiner Wahlentscheidung erfährt, ob und in die Abgeordnete soll lediglich eine Erklärung über
welcher Weise der Abgeordnete in der Ausübung Art und Höhe der Einkünfte im Sinne von § 2 des
seines Mandats auch persönliche Interessen verfolgt. Einkommensteuergesetzes abgeben.
Der Wähler kann die Folgen seiner Wahlentschei-
dung nur ermessen, wenn er die maßgebenden Um- Gegen diese Regelung wird der Einwand erhoben,
stände kennt, und dazu gehören auch die Einkünfte ein Selbständiger oder ein mittelständischer Unter-
des Abgeordneten bzw. des Kandidaten. nehmer müßte im Wettbewerb mit Konkurrenten
Nachteile befürchten, würden seine steuerpflichti-
In seinem heute oft zitierten Diätenurteil hat das gen Einkünfte bzw. Entnahmen bekannt. Das könnte
Bundesverfassungsgericht 1975 im 5. Leitsatz erklärt dazu führen - so wurde gesagt -, daß im Parlament
- ich bitte, das zitieren zu dürfen -:
bald keine Unternehmer oder Selbständigen mehr
Art . 48 Abs. 3 in Verbindung mit Art . 38 Abs. 1 säßen.
GG verlangt gesetzliche Vorkehrungen dagegen, Interessant für mich war, daß im Geschäftsord-
daß Abgeordnete Bezüge aus einem Angestell- nungsausschuß kein Unternehmer aus diesem Hause
tenverhältnis, aus einem sog. Beratervertrag oder diesen Einwand erhob, sondern ein Oberstaatsan-
ähnlichem, ohne die danach geschuldeten Dien- walt, eine Professorin, ein Verwaltungsjurist und ein
ste zu leisten, nur deshalb erhalten, weil von ih- Bezirksbürgermeister a. D. Würde uns ein Unterneh-
nen im Hinblick auf ihr Mandat erwartet wird, sie mer aus diesem Hause hier konkret darlegen, welche
würden im Parlament die Interessen des zahlen- Nachteile er aus der Veröffentlichung seiner steuer-
den Arbeitgebers, Unternehmers oder der zah- pflichtigen Einkünfte oder Entnahmen gegenüber
lenden Großorganisation vertreten und nach Konkurrenten befürchten müßte, dann könnte man
Möglichkeit durchzusetzen versuchen. Einkünfte ja über eine Ausnahmeregelung für nachweislich
dieser Art schutzwürdige Interessen reden. Doch einstweilen
- so das Verfassungsgericht - klingt mir dieser Einwand eher nach einer Schutzbe-
hauptung von Abgeordneten, denen die ganze Rich-
sind mit dem unabhängigen Status der Abgeord- tung nicht paßt.
neten und ihrem Anspruch auf gleichmäßige fi-
nanzielle Ausstattung in ihrem Mandat unverein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
bar. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die gesetzlichen Vorkehrungen, die das Verf as- Andere Abgeordnete, so die geschätzte finanzpoli-
sungsgericht 1975 verlangt hat, hat der Bundestag tische Spreche rin meiner Fraktion, wollen einer Of-
bis heute nicht erfüllt. fenlegung nur zustimmen, wenn auch die Einkünfte
anderer „Besserverdiener", also etwa von Chefre-
Ein Weiteres: Das Verfassungsgericht hat im Par- dakteuren, Unternehmensvorständen und Hoch-
teienfinanzierungsurteil unter ausdrücklichem Hin- schullehrern, öffentlich gemacht werden,
weis auf Art . 38 des Grundgesetzes festgelegt, daß
die Verhaltensregeln „verfassungskonform so auszu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
legen sind, daß Geldspenden oder andere geldwerte CDU/CSU)
Zuwendungen an die Mitglieder des Bundestages ... so wie das in Schweden für alle Bürger gesetzlich ge-
zu veröffentlichen sind, soweit sie ... den Wert von regelt ist. Ich finde das sehr sympathisch. Wer von
20 000 DM überschreiten. " Das war peinlich für den uns wüßte nicht gerne, was der mit seiner Lehrtätig-
Bundestag; denn bis dato hatte sich das Präsidium keit offenbar nicht ausreichend ausgelastete Profes-
standhaft geweigert, diese Spenden zu veröffentli- sor von Arnim neben seinem schmalen Professoren-
chen. Jetzt werden sie veröffentlicht; aber die Ver- gehalt vom Bund der Steuerzahler für seine Nebentä-
haltensregeln sind in dem Punkt bis heute nicht ge- tigkeiten als Gutachter bekommt?
ändert.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ein letztes Zitat aus Karlsruhe:
Übrigens, ich habe das Gerücht gehört Peter Graf sei
Die Bundesregierung dem „Bund der Nichtsteuerzahler" als Ehrenmitglied
beigetreten.
- so heißt es im Urteil zum „Flick-Ausschuß" -
(Heiterkeit)
und die obersten Dienstbehörden haben schon
um des öffentlichen Ansehens der Bundesrepu- Doch Professoren sind nicht vom Volk gewählt,
blik Deutschland wi llen ... alles zu tun, um Zwei- und Professoren und Chefredakteure sind nicht wie
fel an der Lauterkeit von Regierungs- und Ver- wir dem Volk, sondern nur ihrem Arbeitgeber verant-
waltungsmaßnahmen ... zu zerstreuen. wortlich. Wir sollten uns mit solchen Leuten nicht
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4611
Peter Conradi
gleichsetzen. Herr von A rnim wird seine Einkünfte Wir beschließen heute eine deutliche Erhöhung
ebensowenig veröffentlichen wie unsere ehemalige unserer Abgeordnetenentschädigung. Ich stimme
Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher, die uns ja häufig dem zu; ich stimme auch der Grundgesetzänderung
moralische Belehrungen zuteil werden läßt zu. Bisher entspricht unser Einkommen dem Gehalt
eines verheirateten Oberstudiendirektors mit zwei
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kindern. Im Jahr 2000 wird es dem Gehalt eines Bun-
und dabei geflissentlich verschweigt, daß sie selbst desrichters entsprechen. Das halte ich für in Ord-
aus ihren öffentlichen Mandaten und Ämtern eine nung. Die derzeitige Bezahlung der Abgeordneten
kumulierte Altersversorgung von 17 000 DM im Mo- ist unserem Amt und unserer Arbeit nicht angemes-
nat bekommt. sen. Ich werde diese Erhöhung auch gegen alle Kriti-
ker temperamentvoll verteidigen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig, Herr
Conradi!) (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD])
Mir fällt zum Steuerzahlerbund, zu Herrn von Ar- Ich meine allerdings, wir sollten mit dieser Erhöhung
nim und zu Frau Hamm-Brücher immer Hein rich unserer Entschädigung durch Offenlegung unserer
Heine ein: Einkünfte unsere Unabhängigkeit und damit das An-
sehen des Parlaments und der parlamentarischen De-
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, mokratie stärken. Dazu bitte ich Sie um Ihre Unter-
ich kenne auch ihre Verfasser, ich weiß, stützung.
sie trinken heimlich Wein und predigen
öffentlich Wasser. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei-
Einige Abgeordnete, darunter der ehrenwerte Vor- ner Kurzintervention hat der Kollege Eylmann.
sitzende des Rechtsausschusses, behaupten, der hier
vorgelegte Änderungsantrag verstoße „recht eindeu-
tig gegen die Verfassung". Da bin ich natürlich ser Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
erschrocken, weil ich aus vielen Parlamentsjahren sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vorweg:
weiß, was die Juristen, vor allem die Verfassungs- Ich bin ein Nebenverdiener.
richter Erstaunliches aus unserer Verfassung heraus- (Zuruf von der SPD: Ich auch!)
lesen oder besser: hineinlesen.
Ich habe daraus nie einen Hehl gemacht und sage
Wir haben den Änderungsantrag vom Wissen- das, weil man mir sonst gleich vorwerfen könnte -
schaftlichen Dienst auch unter verfassungsrechtli- Sie haben mich ja angesprochen -: Der redet im eige-
chen Kriterien prüfen lassen. Gegen den weiterge- nen Interesse.
henden Vorschlag der Offenlegung der Einkommen-
steuerbescheide gibt es überzeugende verfassungs- Ich habe meine Einkünfte auch immer offengelegt.
rechtliche Argumente. Deshalb verfolgen wir diesen Ich will nur einige Zahlen nennen: 1982, dem letzten
Vorschlag nicht weiter. Aber gegen die nun vorlie- Jahr bevor ich in den Bundestag gewählt wurde, ver-
gende Lösung haben wir keine verfassungsrechtli- steuerte ich als Rechtsanwalt und Notar 230 000 DM.
chen Argumente gehört. Deswegen bin ich nun ge- Im nächsten Jahr bekam ich Diäten in Höhe von
spannt, ob der Vorwurf des „recht eindeutigen Ver- 73 000 DM. Im Augenblick beziehe ich noch Ein-
stoßes gegen die Verfassung" hier begründet wird. künfte aus meiner Anwaltstätigkeit, die je nach Jahr
zwischen 60 000 und 80 000 DM schwanken. Selbst
Die vorgeschlagene Regelung entspricht dem wenn ich die Diäten dazuzähle, habe ich noch heute
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ich frage mich: nicht das Einkommen von 1983.
Wer könnte einer solchen Regelung ernsthaft wider-
sprechen? Wer neben der Abgeordnetenentschädi- Obwohl ich meine Einkünfte offengelegt habe, bin
gung Einkünfte aus anderen Tätigkeiten hat, braucht ich aber entschieden dagegen, die Abgeordneten zu
doch das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen, zwingen, das zu tun.
wenn diese seine Unabhängigkeit nicht beeinträchti- (Beifall des Abg. Wolfgang Vogt [Düren]
gen. [CDU/CSU])
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es gibt in dieser Republik viele Frauen und Männer,
Und selbst wenn Anlaß zu der Vermutung besteht, an- die große Macht haben. Es gibt Menschen, die viel
dere Einkünfte könnten die Unabhängigkeit beein- größere Macht haben als wir hier.
trächtigen, kann der betroffene Abgeordnete das doch (Beifall des Abg. Wolfgang Bierstedt [PDS])
öffentlich machen und, wenn eine Interessenkollision
zu besorgen ist, auf die Beteiligung an Beratungen und Wenn die Mächtigen in unserem Lande ihre Ein-
Abstimmungen verzichten, so wie das auf der Gemein- künfte, aus welcher Quelle auch immer, aus öffentli-
deebene allgemein üblich ist. Wer nichts zu verbergen chem Interesse offenlegen sollen, dann muß das bitte
hat - das ist nach meiner festen Überzeugung die weit für jeden gelten.
überwiegende Mehrheit der Abgeordneten dieses
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. - Ru-
Hauses -, sollte diesem Gesetzentwurf zustimmen.
dolf Bindig [SPD]: Machen wir ein Gesetz,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) prima!)
4612 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Horst Eylmann
Jede andere Lösung ist für mich ein Verstoß gegen nicht „alle anderen". Wir werden vom Volk gewählt,
den Gleichheitsgrundsatz. und das Volk, das uns wählt, hat einen Anspruch dar-
auf, daß wir offenlegen, mit welchen Interessen, von
Ein Beispiel: Sie wollen, daß ein Abgeordneter, der
welchen Einkünften geleitet wir hier handeln.
ein Mietshaus hat, angibt, er habe 50 000 DM Ein-
künfte aus Vermietung und Verpachtung. Ich weiß, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
was dann für Stimmen kommen, wenn er über ein BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Mietgesetz abstimmt. Der Richter in einer Mieter- der PDS)
kammer mit genau denselben Einkünften braucht
dies nach Ihrem Vorschlag nicht offenzulegen. Ich Drittens. Nach diesem lebhaften Beifall dafür, daß
frage mich: Warum denn nicht? alle ihre Einkünfte offenlegen sollen, werde ich mir
erlauben, noch in diesem Jahr einen Antrag einzu-
(Rudolf Bindig [SPD]: Machen wir ein Ge bringen, in der Bundesrepublik Deutschland die
setz!) schwedische Lösung, nämlich die Offenlegung der
steuerpflichtigen Einkünfte aller Bürger, einzufüh-
Also, wenn man sich davon wirklich etwas ver- ren. Die vielen, die hier geklatscht haben - Sie voran,
spricht, dann muß das, liebe Kolleginnen und Kolle- geschätzter Herr Kollege -, werden das dann sicher
gen, für alle und nicht nur für uns gelten. unterschreiben. Ich mache keinen Spaß. Das wird im
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Hause diskutiert. Dann werden wir sehen, wie dieje-
ordneten der F.D.P. und der SPD - Detlev nigen, die geklatscht haben, abstimmen.
von Larcher [SPD]: Wann kommt der Ge (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
setzentwurf von Ihnen?) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Da ich gerade das Wo rt habe, nur noch drei, vier und der PDS)
Sätze zur F.D.P. - auch sie ist angesprochen worden -:
Ich teile die Auffassung des Kollegen Hirsch, daß die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
Verkleinerung des Bundestages überhaupt nichts mit Kollege Dr. Hirsch.
den Finanzen zu tun hat.
(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Richtig!) Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Ich bedanke mich da-
für, daß Sie inhaltlich unseren Vorschlägen zustim-
Ich bin aus ganz anderen Gründen für die Verkleine- men.
rung. Ich habe auch immer dafür gestritten, daß der
Bundestag den Mut haben sollte, doch selbst die Ich möchte Sie nur daran erinnern, daß wir einen
richtigen Diäten festzusetzen. Nur, wo waren denn in in allen wesentlichen Punkten exakt gleichen Vor-
den letzten Jahren die mutigen Vorschläge der schlag für die Einrichtung eines - wir haben das da-
F.D.P., die Diäten so angemessen festzusetzen, wie mals so genannt - Senats für Parlamentsfragen
Sie das selber wollten? schon im Jahr 1968 in den Deutschen Bundestag ein-
gebracht haben. Er ist hier in erster Lesung behan-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU delt worden. Er ist von Genscher und der Fraktion
und der SPD) unterzeichnet worden. Er ist dann leider, aus dersel-
Ich weiß ja, daß auch Sie alle die Diäten für zu nied- ben Überlegung heraus nicht weiter behandelt wor-
rig halten. Heute sind Sie mutig. Da kann ich nur sa- den. Die Angemessenheit einer Diät, die ein Bundes-
gen: Gut gebrüllt, Herr Vizepräsident! tagsabgeordneter bekommen muß, zu objektivieren,
dann aber die Entscheidung in diesem Hause jedes-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge mal offen zu treffen, diesen Vorschlag haben wir be-
ordneten der SPD) reits 1968 gemacht.
(Zuruf von der SPD: Da waren Sie noch
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich muß die Ge- nicht da!)
schäftsordnung wieder etwas großzügig handhaben;
denn mit einer Kurzintervention sind zwei Kollegen - Richtig, da war ich noch nicht da.
angesprochen worden, die beide die Gelegenheit zur Wir haben ihn immer wieder eingebracht. Ihr Vor-
Gegenrede erhalten müssen. Zunächst der Kollege halt, wir kämen nun erst mit diesem Gedanken aus
Conradi, dann der Kollege Dr. Hirsch. der Deckung, ist unzutreffend.
Bitte, Herr Kollege Conradi. (Beifall bei der F.D.P.)

Peter Conradi (SPD): Verehrter Herr Abgeordneter Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt hat das-
Eylmann! Erstens. Ich freue mich darüber, daß die Wort der Kollege Klaus Bühler.
Veröffentlichung von steuerpflichtigen Einkünften
eines selbständigen Anwalts keinen Schaden auf
seine Berufsausübung bewirkt. Dieses Argument, Klaus Bühler (Bruchsal) (CDU/CSU): Herr Präsi-
das von vielen Ihrer Fraktion eingebracht wurde, dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
sticht also nicht. Vizepräsidentin Frau Vollmer hat vorhin von den
„lieben Medienvertretern" gesprochen. Ich möchte
Zweitens. Ich räume ein, mir wäre es lieber, wenn kurz von einem Vorgang berichten, der nicht nur mir
auch die versteuerten Einkünfte aller anderen offen- heute nachmittag mit Medienvertretern widerfahren
gelegt würden. Ich meine nur: Abgeordnete sind ist.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4613
Klaus Bühler (Bruchsal)
Wir alle haben volles Verständnis dafür, daß die über eine Diätenreform, sondern das Thema, das auf
heutige Debatte großes öffentliches Interesse findet der Tagesordnung steht, heißt Parlamentsreform.
und daß die Medien in großer Zahl vertreten sind, Parlamentsreform heißt, daß es um ein Reformpaket
um das transparent zu machen. Wenn man aber ei- geht.
nem Abgeordneten kurz vor dem Parlament mehr
oder weniger auflauert, ihn am Arm festhält, wäh- Erstens geht es um die Verbesserung der Struktur
rend die Kamera läuft, und dann mit einem Geldbün- und der Darstellung der parlamentarischen Arbeit.
del vor seinem Gesicht herumfuchtelt, dann hat das Ich glaube, hier haben wir gute Vorschläge vorge-
mit korrekter, seriöser Berichterstattung überhaupt legt.
nichts mehr zu tun.
Zweitens geht es - das ist ganz wichtig und auch
(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und schon beschlossen - um die Verkleinerung des Deut-
der SPD, sowie bei Abgeordneten des schen Bundestages ab dem Jahr 2002. Es geht nicht
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie.
Auch dies sollten wir heute noch einmal bekräftigen
Ich finde das deswegen so ungeheuerlich - das ist und deutlich machen.
keine Pauschalschelte -, weil ein großer deutscher
Privatsender, RTL, zu solchen Mätzchen greift, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P. und der SPD)
(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui!)
Es geht auch um die Rechtsstellung der Abgeord-
der ansonsten stets beteuert, für wie wichtig er es er- neten und um deren Entschädigungen. Auch da muß
achtet, die Würde des Parlaments und die Würde der reformiert werden.
parlamentarischen Demokratie zu schützen.
Da wird dann der Vorwurf erhoben - das ist schon
Ich sage das auch deswegen, weil es anderen Kol-
öfter erwähnt worden -, hier werde ein Gesetz durch
legen in gleicher Weise passiert ist, und um zu ver-
das Parlament gepeitscht, hier handele es sich um ei-
meiden, daß nachher ein Zusammenschnitt er-
nen Schnellschuß. Dieser Vorwurf ist nicht nur bösar-
scheint, in dem in etwa dargestellt wird, daß man
tig und unwahr, er ist einfach perfide.
heute nicht nur über eine Erhöhung der Diäten dis-
kutiert habe, sondern daß die paar Abgeordneten Lassen Sie uns doch kurz über eine Frage nach-
auch bereit seien, auf der Straße mit Geld in irgend- denken: Da gibt es einen Professor aus Speyer, der
einer Weise beeinflußt zu werden. heute schon mehrfach zitiert worden ist. Er behaup-
Ich bin über dieses Vorgehen wirk li ch zutiefst em tet, wir machten einen Schnellschuß, und gleichzei-
pört, nicht nur weil es mich getroffen hat, sondern tig hat er die Zeit, ein Buch über diese Parlamentsre-
weil das Parlament, das ganze Haus, dadurch betrof- form vorzulegen und auf den Markt zu bringen. Wie
fen ist. paßt das eigentlich zusammen?

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und
der SPD sowie bei Abgeordneten des In allem Ernst: Wenn das ein Schnellschuß ist, dann
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) muß Herr von A rn im dieses Buch mit Lichtgeschwin-
digkeit geschrieben haben. Das würde natürlich
auch erklären, warum es in dem Buch so viele Fehler
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat der gibt.
Kollege Andreas Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.
Ich wi ll wegen dieses Vorwurfs in Erinnerung ru-
fen, welche Vorlaufzeit dieses Reformwerk hat. Am
Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Herr 25. Juni 1992 ist die sogenannte Kissel-Kommission
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! eingesetzt worden. Ich wi ll auch noch einmal daran
Wenn ich die letzten kurzen Beiträge Revue passie- erinnern, daß in der Kissel-Kommission der Bund der
ren lasse, dann frage ich mich: Welches Selbstver- Steuerzahler vertreten war. Es war eine unabhängige
ständnis haben wir als Abgeordnete eigentlich? Ei- Kommission. Der Be richt der Kommission ist am
nerseits halten wir das Grundrecht auf informatio- 3. Juni 1993 vorgelegt worden.
nelle Selbstbestimmung hoch und wollen den Daten-
schutz verbessern, andererseits wollen wir uns selbst Was stand mit Zustimmung des Bundes der Steuer-
-
zwingen, alles offenzulegen, uns praktisch nackt zahler in diesem Be richt der unabhängigen Kommis-
auszuziehen. Ich glaube, das ist nicht nur rechtswid- sion? Der Be ri cht sagt: Eine angemessene Entschädi-
ri g, das ist auch inkonsequent und kein positiver Bei- gung der Abgeordneten liegt bei 14 000 DM im Mo-
trag zu einer Parlamentsreform. nat. Jetzt gehen wir auf R 6, und R 6 ist heute weni-
ger als 14 000 DM.
In den letzten Tagen und Wochen ist viel Falsches
über das Thema Parlamentsreform geschrieben und Wir haben in der Rechtsstellungskommission auf
gesagt worden. Ich finde, wir sollten vor allem dem der Grundlage dieses Berichtes seit März 1995 sehr
Eindruck entgegentreten, daß es heute in erster Linie intensiv weitergearbeitet. Ich finde - ich will das ver-
um Geld gehe. Wir reden heute nicht in erster Linie binden mit einem Dank an alle, die do rt mitgearbei-
4614 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Andreas Schmidt (Mülheim)


tet haben -, wir haben in dieser Kommission sehr ver- neten sehen. Wie sollte er eigentlich sein? Ich
antwortungsbewußt gearbeitet. glaube, nach der Vorstellung von Herrn Arnim sollte
er so sein: fleißig, kompetent, mit dem wirtschaftspo-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
litischen Sachverstand von Ludwig Erhard und mit
und der SPD)
der Uneigennützigkeit der Heilsarmee. Dies ist eine
Ich würde mir wünschen, daß ein bißchen von die- Illusion.
sem Verantwortungsbewußtsein bei einigen Medien
und auch bei Herrn von Arnim vorhanden wäre. In diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Es
geht nicht nur um die Bezüge, die wir für die von uns
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) geleistete Arbeit bekommen, sondern es geht auch
um die Frage, wie die Zukunft des Parlaments aus-
Mit einer populistischen Neidkampagne wird man
sieht. Welche Kompetenz, welchen Sachverstand
seiner Verantwortung für diesen Rechtsstaat j eden-
und welche berufliche Erfahrung werden wir in Zu-
falls nicht gerecht. Nicht der Inhalt dieser Parla-
kunft in diesem Parlament versammeln? Auch dar-
mentsreform schadet dem Ansehen des Parlamenta-
über entscheiden wir im Zusammenhang mit der Par-
rismus, sondern eine bewußt wahrheitswidrige und
lamentsreform.
falsche Darstellung des Inhalts der Parlamentsre-
form.
Ich will etwas zu dem, wie ich finde, nicht nach- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege
vollziehbaren Vorwurf des Verfassungsbruchs sa- Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen. Meine Damen und Herren, worum geht es denn gen Scheu?
in Wahrheit? Es geht gar nicht um eine inhaltliche
Verfassungsänderung, sondern es geht um eine Er-
Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Bitte
gänzung, eine Konkretisierung des Grundgesetzes.
schön, Herr Kollege Scheu.
Was ist denn das Ziel? Diejenigen, die uns jetzt den
Angriff auf die Verfassung vorwerfen, haben uns in
der Vergangenheit vorgeworfen, wir würden uns Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Kollege Schmidt,
selbst bedienen, weil wir die Verfassung so ange- Sie sind zu Recht auf die Veröffentlichung von Herrn
wendet haben, wie sie ist. von Arnim eingegangen. Deshalb möchte ich Sie in
Jetzt machen wir nichts anderes, als mehr Transpa- diesem Zusammenhang fragen, ob Sie das Zitat von
renz zu schaffen. Bisher steht im Grundgesetz, die Herrn Michael Greven in „Parlamentsgröße und
Abgeordneten müßten angemessen entschädigt wer- Wahlrecht" kennen, der sich gegen die teils
den, und jetzt schaffen wir mehr Transparenz, indem
wir sagen, was angemessen ist. Wir machen es für je- demagogischen und Ressentiments gegen die
Demokratie insgesamt mobilisierenden Kampa-
den Bürger transparent, indem wir auch den objekti-
gnen wegen der angeblichen Selbstversorgungs-
ven Maßstab - was „angemessen" bedeutet - in die
mentalität der Politiker
Verfassung hineinschreiben. Meine Damen und Her-
ren, im Ernst: Wer die Schaffung von mehr Transpa- wendet. Er meint damit ganz konkret die Veröffentli-
renz und die Einführung eines objektiven Maßstabs chung von Arnims,
für die Abgeordnetenentschädigung als „Angriff auf
die Verfassung" bezeichnet, hat wirk lich jeden der inzwischen seine ehemals geradezu zur Insti-
realen Bezug zum deutschen Verfassungsrecht verlo- tution gewordene Ro lle als „Bürgeranwalt" ge-
ren. gen parlamentarischen Amtsmißbrauch gegen
eine höchst zweifelhafte Rolle des populistischen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Demagogen zu verspielen droht.
Dr. Peter St ruck [SPD])
Schauen wir uns doch einmal an, wie es eigentlich Kennen Sie dieses Zitat? Würden Sie ihm zustimmen,
bei unseren Nachbarn in Europa ist. Machen wir mit Herr Schmidt?
der Ankoppelung wirklich etwas so Ungewöhnli-
ches? Ich will Ihnen sagen, wo das mit der Ankoppe-
Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Ich
lung genauso gemacht wird. Ich will es den Kritikern
kenne es nicht. Aber ich bin dankbar, daß Sie es hier
sagen. Es wird in Dänemark so gemacht; Sie werden
gebracht haben, Herr Kollege Scheu.
nicht sagen, Dänemark sei kein anständiger demo-
kratischer Rechtsstaat. Es wird in Frankreich so ge- Ich will noch einmal darauf zurückkommen, daß es
macht, in Griechenland, in Italien, in Luxemburg, in nicht nur darum geht, wieviel Geld wir bekommen,
den Niederlanden, in Österreich, in Schweden, in sondern daß es auch darauf ankommt, welche Quali- -
Portugal und in Großbritannien. Was do rt richtig ist, tät das Parlament in Zukunft haben wird. Konkret
kann bei uns nicht ganz falsch sein. geht es doch um die Frage, ob wir auch in Zukunft
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. einen Freiberufler gewinnen können, das Risiko ein-
Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ zugehen, für einige Jahre ins Parlament zu gehen,
NEN]) oder ob eine junge Frau oder ein junger Mann mit
beruflicher Karriere, gutes Geld verdienend, bereit
Als ich mir überlegt habe, was ich heute sage, ist, dieses Risiko einzugehen und die Berufserfah-
habe ich mir die Frage gestellt, wie Herr Professor rung ins Parlament einzubringen. Ohne angemes-
von Arnim und einige Medien den idealen Abgeord- sene Entschädigung wird das nicht gehen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4615
Andreas Schmidt (Mülheim)
Ich finde, auch wenn es vielleicht vergeblich ist, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wo rt hat
sollten wir einen Appell an die Medien und auch an jetzt der Kollege Norbe rt Gansel.
viele Bürger in der Öffentlichkeit zu richten versu-
chen: Lassen Sie die Neiddiskussion sein und versu- Norbert Gansel (SPD): Herr Präsident! Meine Da-
chen Sie, auch die Argumente und Aspekte, die hier men und Herren! Ich bin für morgen mit RTL zum
heute sehr sachlich vorgetragen worden sind, zu be- Frühstücksfernsehen verabredet. Diese Verabredung
rücksichtigen! findet nicht statt, solange nicht feststeht, daß die be-
leidigenden Aufnahmen, von denen der Kollege
Ich meine, mit dem Paket der Parlamentsreform Bühler berichtet hat, nicht gesendet werden, und so-
werden wir unserer Verantwortung gerecht. Wir stei-
lange nicht feststeht, daß sich der Sender beim Kolle-
gern das angemessene Gehalt für die Abgeordneten gen Bühler und bei anderen dafür entschuldigt hat.
nicht in einem Schritt - was eigentlich durchaus lo-
gisch wäre, wenn man über angemessene Entschädi- (Beifall im ganzen Hause)
gung spricht -, sondern wir machen es in sechs Stu-
Ich gehe davon aus, daß sich auch alle anderen Abge-
fen. Wir kappen das Übergangsgeld von 36 Monaten
auf 18 Monate; und wir machen eine Absenkung bei ordneten in gleicher Weise kollegialverhalten werden.
der Altersentschädigung auf jetzt linear 3 % und eine Als 1976 die Rechtsverhältnisse der Bundestagsab-
Deckelung bei 69 %. Der Höchstsatz wird erst nach geordneten neu geregelt, die Diäten auf 7 500 DM er-
23 Jahren erreicht. höht und zugleich steuerpflichtig wurden, habe ich
im Bundestag erklärt:
Meine Damen und Herren, da es nicht nur um das
Geld geht, will ich auch noch auf die anderen wichti- Vorbehalte bezüglich der Höhe der MdB-Ent-
gen Punkte hinweisen. Ich will unterstreichen, daß schädigung und der Amtsausstattung hätten
die Verkleinerung des Bundestages definitiv für das mich allein nicht bewogen, dem Gesetz meine
Jahr 2002 beschlossen worden ist. Die Kommission, Zustimmung zu verweigern.
die jetzt eingesetzt werden wird, wird über das Wie Meine Ablehnung gründet sich darauf, daß durch
und nicht mehr über das Ob beraten und dazu Vor- dieses Gesetz ein eigenständiges System der so-
schläge vorlegen. Wir werden fachspezifische Debat- zialen Sicherheit geschaffen wird, das die Volks-
ten in öffentlichen Ausschußsitzungen haben. Das vertreter von den sozialen Interessen des Volkes
wird das Parlament von fachspezifischen Debatten entfremdet.
entlasten und bei interessanten Donnerstagsdebat- ... Der Abgeordnete hat aber nur Anspruch auf
ten eine größere Präsenz im Plenum zur Folge haben. soziale Sicherheit wie andere Staatsbürger, kei-
nen Anspruch auf Privilegien.
Ich will in diesem Zusammenhang auch einmal
deutlich sagen: Die Leere im Plenum ist kein Indiz Als Sozialdemokrat und Parlamentarier identifi-
für die Faulheit der Abgeordneten. Auch dies müs- ziere ich mich ... mit einer Aussage des Bundes-
sen wir der Öffentlichkeit deutlich sagen, weil viele verfassungsgerichts in seinem Urteil vom
Bürgerinnen und Bürger das nicht wissen. Das Pro- 5. November 1975: „Die Demokratie des Grund-
blem ist, daß teilweise Parallelveranstaltungen statt- gesetzes ist eine grundsätzlich privilegienfeindli-
finden. Mit der Parlamentsreform wollen wir verhin- che Demokratie."
dern, daß diese Parallelität weiterhin stattfindet. Wir Das war 1976. - Auch jetzt bestimmt sich meine Hal-
erwarten, daß zukünftig bei den Donnerstag-Kernde- tung nicht durch die geplante Erhöhung der Diäten.
batten das Plenum voll besetzt sein wird. Das wird Ich habe 1976 vorgeschlagen, die Abgeordnetendiä-
auch dem Ansehen des Parlaments nutzen. ten in Zukunft jährlich nur mit dem Prozentsatz zu er-
höhen, mit dem auch die Renten aus der Sozialversi-
Ich bin der festen Überzeugung, daß wir mit dieser
cherung erhöht werden.
Parlamentsreform dem Parlamentarismus in Deutsch-
land einen großen Dienst erweisen werden. Wir wer- (Beifall bei der SPD)
den auch - dies ist zugegebenermaßen so - Herrn
von Arnim ein Spielwiese wegnehmen, aber ich Draußen bin ich dafür bejubelt worden, drinnen
finde, der drohende Verlust einer Spielwiese kann wäre ich fast gelyncht worden; für einen Abgeordne-
kein Argument gegen die Durchsetzung einer positi- ten keine glückliche Position, der ja nicht nur drau-
ven Parlamentsreform sein. ßen gewählt werden will, sondern drinnen auch et-
was bewirken will.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Von 1977 bis 1992 sind die Renten um 75 % gestie-
gen. Mit dem gleichen Anpassungssatz würden die
Wir haben mit großem Verantwortungsbewußtsein
Diäten der Bundestagsabgeordneten heute über
in der Rechtsstellungskommission eine gute Arbeit 13 000 DM betragen und nicht, wie jetzt vorgeschla-
geleistet. Auch ich möchte für meine Fraktion dem
gen wird, 11 000 DM.
Vorsitzenden der Kommission, Herrn Vizepräsiden-
ten Klose, für die geleistete Arbeit danken. Ich Was lehrt uns das?
glaube, es war eine gute, kooperative Atmosphäre.
(Heiterkeit)
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Re- Erstens. Bescheidenheit könnte sich gelegentlich
formwerk in allen seinen Teilen zustimmen. langfristig auszahlen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Erneute Heiterkeit)
4616 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Norbert Gansel
Zweitens: Manche Kritik am Bundestag ist geheu- sprochen habe. Darf ich Ihnen zur Kenntnis bringen,
chelt und unehrlich. daß der Chef des Bundeskanzleramts, Bundesmini-
ster Friedri ch Bohl, mir auf meine Anfrage am
(Beifall im ganzen Hause)
7. September 1995 folgendes geschrieben hat:
Es gibt konstruktive Kritik, auf die wir hören sollten.
Aber es gibt auch Zeichen von Bösartigkeit, die ohne Ihre Vorschläge im Hinblick auf die Rechtsver-
Verantwortung für ihre zerstörerischen Folgen zu Pa- hältnisse der Bundesminister und Parlamentari-
pier gebracht werden wie in der letzten Ausgabe des schen Staatssekretäre, insbesondere im Hinblick
„Spiegel". auf das von Ihnen angesprochene Übergangs-
geld, habe ich mit Interesse zur Kenntnis genom-
(Beifall im ganzen Hause) men. Die Bundesregierung wird prüfen, ob und
welche Konsequenzen sich aus der beabsichtig-
Zu dem Änderungsantrag, den mein Kollege Peter
ten strukturellen Neuordnung der Abgeordne-
Conradi und ich mit über 150 Abgeordneten des
tenentschädigung, des Übergangsgeldes und der
Bundestages eingebracht haben, möchte ich fünf er-
Altersentschädigung für die Bezüge der Mitglie-
gänzende Bemerkungen machen.
der der Bundesregierung und der Parlamentari-
Erstens. Mit der von den großen Fraktionen vorge- schen Staatssekretäre ergeben.
schlagenen Neuregelung wird aus der Abgeordne-
tenentschädigung praktisch ein Gehalt; Status und Wie würdigen Sie diese Antwort der Bundesregie-
rung und die Antwort der Rechtsstellungskommis-
Selbstverständnis von Abgeordneten werden sich än-
sion?
dern.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Norbe rt Gansel (SPD): Ich finde es gut, daß die
Die Konsequenzen sind nicht zu Ende gedacht, und Bundesregierung prüft. Ich fände es noch besser, sie
sie sind nicht geregelt worden. würde entscheiden. Das würde manchem in diesem
Haus auch seine Entscheidung erleichtern.
Zweitens. Keines der jetzt schon für Abgeordnete
bestehenden Privilegien wird abgeschafft. Die in der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Parlamentshierarchie zwischen Präsidialmitgliedern, PDS)
Regierungsmitgliedern und den sogenannten einfa- Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich
chen Abgeordneten oder zwischen städtischen und glaube nicht, daß wir Politiker bessere Menschen
ländlichen Wahlkreisen begründeten Privilegien sind und deshalb Vorbilder für die Gesellschaft sein
werden ebenfalls nicht angetastet. Eine wirk liche
können. Aber das moralische Minimum, dem wir uns
Korrektur gibt es nur beim Übergangsgeld.
nicht entziehen können, bedeutet, daß wir kein
Drittens. Die vorgeschriebene Verfassungsände- schlechtes Vorbild liefern dürfen.
rung kann Auswirkungen auf die Länderparlamente
„Verlange von anderen nichts, was du nicht selbst
haben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß die
zu tun bereit bist! " Das ist die simpelste Form des ka-
Verfassungsänderung im Bundesrat nicht als Selbst-
tegorischen Imperativs in der Politik. Wir alle wissen,
gänger gilt. Die Länderparlamente könnten nachzie-
daß wir den Wählerinnen und Wählern in den näch-
hen. Im Ergebnis wird die Distanz, die jetzt schon
sten Jahren Veränderungen werden zumuten müs-
zwischen den wenigen tausend Quasi-Berufspoliti-
sen, gegenüber denen sich Bundestagsabgeordnete
kern , also uns Abgeordneten, und den mehreren
nicht auf finanzielle oder soziale Immunität werden
hunderttausend ehrenamtlichen Kommunalpoliti-
berufen können.
kern , Funktionären und Aktivisten in den Gemein-
den und an der Basis unserer Parteien und Bürger- Fünftens. Jedes Gesetz im Bundestag ist ein Kom-
initiativen besteht, zunehmen. promiß. Deshalb kann niemand eine Abstimmung
erwarten, die alle seine Vorschläge verwirklicht. Ich
(Beifall des Abg. Dr. Burkhard Hirsch
bin zu einem Kompromiß bereit, wenn wenigstens
[F.D.P.])
eine kontrollierbare Konsequenz daraus gezogen
Viertens. Vor allem aber befürchte ich, daß die Di- wird, daß wir quasi Gehaltsempfänger werden.
stanz zwischen Bundestag und Bevölkerung zuneh-
Das ist das, was Peter Conradi, 150 andere Abge-
men wird. Haben wir uns wirklich ausreichend um
ordnete und ich vorgeschlagen haben. Es ist ein ganz
die vielzitierte Akzeptanz bemüht? Besteht jetzt nicht
pragmatischer und eigentlich milder Vorschlag, daß
die Gefahr einer Trotzentscheidung?
Abgeordnete in Zukunft ihre Nebeneinkünfte veröf-
fentlichen sollen. Damit sollen Interessenkollisionen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege verhindert werden, damit soll für Wählerinnen und
Gansel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Wähler kontrollierbar werden, ob die Abgeordneten
gen Scheu? ihre ganze Arbeitskraft wirklich der Volksvertretung
widmen. Wer das nicht tun kann oder nicht tun wi ll,
Norbe rt Gansel (SPD): Bitte sehr. soll wenigstens verpflichtet sein, sich seinen Wähle-
rinnen und Wählern zu erklären.
Gerhard Scheu (CDU/CSU): Herr Kollege Gansel, Wir haben unseren Änderungsantrag nicht als
Sie haben angesprochen, daß die Rechtsstellungs- Alibi gemeint. Viele von uns legen schon jetzt ihre
kommission gewisse Rechtsstellungen von Ministern finanziellen Verhältnisse offen. Es werden in Zukunft
und Parlamentarischen Staatssekretären nicht ange- mehr sein. Wo der Gesetzgeber versagt, werden
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4617
Norbert Gansel
auch die Parteien durch besondere Verhaltensregeln Ich danke vor allem dem Kollegen Scheu - damit
für ihre Mandatsträger Vorkehr treffen können. auch für seine sonstige Arbeit im Verlauf der vergan-
Auch wenn unser Änderungsantrag heute keine genen sechs Monate, in denen wir miteinander ver-
Mehrheit finden sollte, wird von der großen Zahl der bunden waren - dafür, daß er sich auch heute hier
ihn unterstützenden Abgeordneten doch eine Dyna- wieder sehr intensiv zu vermeintlichen Kleinigkeiten
mik ausgehen, die hoffen läßt. geäußert hat. Denn damit ist klargeworden, daß wir
nicht nur viele Expertinnen und Experten außerhalb
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) des Parlaments bei dieser Arbeit immer wieder ein-
Herr Präsident, zum Schluß eine persönliche Be- gebunden haben, sondern auch in den eigenen Rei-
merkung und eine persönliche Bitte, für die ich nie- hen hohen Sachverstand hatten. Deswegen danke
manden im Bundestag vereinnahmen will: Weil ich ich auch gerade den Kolleginnen und Kollegen in
zum Kompromiß bereit bin, würde ich einer Grund- der Rechtsstellungskommission für diese Arbeit.
gesetzänderung und dem Ausführungsgesetz zu-
stimmen, wenn darin die Offenlegung aller Ein- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
künfte geregelt wäre. Deshalb bitte ich darum, daß
zuerst über das Abgeordnetengesetz abgestimmt Daß Frau Präsidentin Süssmuth und Herr Vizepräsi-
wird - ich stelle keinen Antrag nach der Geschäfts- dent Klose dadurch, daß sie sich persönlich so enga-
ordnung - und erst dann über das Grundgesetz. Das giert haben, über die Monate hinweg dazu beigetra-
würde die Entscheidung erleichtern. Anderenfalls gen haben, die Akzeptanz des Gesamtthemas über ei-
würde mir nichts anderes übrigbleiben, als gegen die nen langen Zeitraum hinweg aufrechtzuerhalten oder
Grundgesetzänderung zu stimmen, die ich verfas- zu sichern- ich denke, das ist schon erwähnt worden -,

sungsrechtlich für zulässig halte, mit der ich aber will ich hier ergänzend sagen. Ich glaube, es ist ein
nicht sozusagen die Blankogrundlage für ein Gesetz Selbstverständnis, aber auch ein Akt der Selbstach-
schaffen möchte, bei dem ich vor den Einzelabstim- tung, den wir hier heute darstellen, bei dem einen oder
mungen nicht ausschließen kann, daß es der parla- anderen Widerspruch, den ich dabei durchaus ein-
mentarischen Demokratie eher schaden als nutzen binde und den ich durchaus respektiere.
könnte.
Das allerdings, meine Damen und Herren, was sich
Und ganz am Schluß: Allen, die zustimmen, auch in großen Teilen der Medien insbesondere in den
der Grundgesetzänderung - das muß nach Augsteins vergangenen Tagen abgespielt hat, kann ich nicht
bösem Artikel im „Spiegel" gesagt werden -, zolle akzeptieren und respektieren. Ich frage: Wo waren
ich ausdrücklich meinen Respekt, obwohl ich ihre diese Medienvertreterinnen und -vertreter in den
Meinung nicht teile. Bitte teilen Sie die Meinung, vergangenen Monaten, als die ganzen Inhalte schon
daß Abgeordnete für mehr Transparenz und für mehr längst vor ihnen in der Öffentlichkeit ausgebreitet
Glaubwürdigkeit unserer parlamentarischen Demo- waren? Niemand hat sich für dieses Thema interes-
kratie sorgen müssen, indem sie ihre finanziellen siert. Ich weiß jetzt nicht, ob ich sagen sollte, wofür
Verhältnisse für Wählerinnen und Wähler kontrollier- sie sich in den Sommermonaten hauptsächlich inter-
bar machen. essiert haben, aber das muß an dieser Stelle nicht
auch noch einmal strapaziert werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Der entscheidende Punkt ist, glaube ich, daß dies
PDS) Ganze, wie Kollege Schmidt von der CDU mit Recht
gesagt hat, nicht im Schweinsgalopp und gewisser-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der maßen in Form eines U-Boot-Verfahrens durchge-
Kollege Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion. führt worden ist. Im Gegenteil, wir haben das höchst-
mögliche Maß an Transparenz - das war nicht wenig -
immer wieder an den Tag gelegt. Wir haben uns je-
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr geehrter der Diskussion im Hause, aber auch in der Öffent-
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- lichkeit gestellt.
gen! Da ich der letzte Redner in der Runde hier heute
bin, der zu diesem Thema sprechen darf, erlauben Ich will das gar nicht so sehr verteidigend sagen.
Sie mir eine kurze persönliche Wertung dieser De- Man muß manchmal fragen: Woher kommt eine sol-
batte. Ich finde, bei allem, was uns zum Teil getrennt che Einstellung von Medienvertreterinnen und -ver-
hat, war es ein unheimlicher Gewinn für die Demo- tretern? Da sollte man dann auch selbstkritisch ge-
kratie und den Parlamentarismus in diesem Lande. nug sein: Ein Teil davon wird hier im Hause selber
Wir haben gut daran getan, so ausführlich über die produziert. Gerade das Umkippen der kleinen Frak-
Parlamentsreform insgesamt zu debattieren. Ich tionen in den letzten Tagen und einiger Spezialver-
danke allen Vorrednerinnen und Vorrednern herzlich treter insbesondere der F.D.P.
dafür.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Jörg van Essen [F.D.P.]: In den letzten
Tagen?)
Ich bin auch dankbar für die Kurzbeiträge und die
Kurzinterventionen, die immer wieder stattgefunden erinnert mich daran, daß es auf diesem Weg schon
haben, weil ich glaube, sie haben einen Teil des einmal bessere Etappen miteinander gegeben hat, in
Spektrums, das für diese Debatte sehr bedeutsam ist, denen wir um die Sache gerungen haben. Nun auf
zusätzlich in die Öffentlichkeit gehoben. einmal findet insbesondere bei Herrn Hirsch und
4618 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


anderen der blanke Populismus statt. Ich kann das Um kurz noch auf die Diäten einzugehen: Die
nicht akzeptieren. Punkte, die ich eben genannt habe, werden von der
sehr vordergründigen Diätendebatte einer ganzen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Reihe von Medien und auch Vertretern in diesem
ten der CDU/CSU) Hause unzulässig überdeckt. Ich kann es nicht extra-
gen, wenn wir dann so tun, als wenn wir hier alle in
Es ist wichtig, daß wir am Ende dieser Debatte zu-
Sack und Asche gehen müßten, und dennoch unsere
sammenfassend noch einmal betonen, meine Damen
Arbeit in dem Maße verrichten, wie das die Öffent-
und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß es
lichkeit allerdings mit Recht von uns verlangt. Kennt
nicht darum geht, nach, wie Vizepräsident Klose es
aber jeder Medienvertreter, der in den letzten Tagen
ab und zu genannt hat, A rt von Rosinenpickerei nun
über uns hergefallen ist, eigentlich den Alltag eines
für den einen oder anderen das Angenehme aus dem
Abgeordneten, einer Abgeordneten? Über die Hälfte
Gesamtpaket herauszunehmen, sich dann auch noch
des Jahres sind wir hier im Parlament und in der Um-
damit zu schmücken und zu sagen: Jawohl, das tra-
gebung Bonns durch Sitzungswochen festgenagelt.
gen wir mit, z. B. die innere Reform des Parlaments
Wir haben darüber hinaus viele andere Aufgaben
oder die Verkleinerung, und dann das andere, gewis-
auch in den Nichtsitzungswochen. Wenn wir dann
sermaßen den Rest, abzulehnen. Dies kann nicht die
am Freitagabend in unsere Wahlkreise, man muß ab
Methode sein, schon gar nicht die, die wir miteinan-
und zu fast sagen: gegen jede ökologische Vernunft
der verabredet haben und die über die letzten Wo-
zurückrasen, dann ist es doch so, daß wir do rt gleich
chen und Monate als Konsens gegolten hat.
das gesamte Wochenende mit Wahlkreisarbeit be-
Es gehört auch dazu, daß man diese Dinge dann schäftigt sind, und dies, wie ich finde, mit Recht. Dies
sehr offen so anspricht, daß man hier nicht gewisser- kann der Bürger, dies kann der Wähler von uns ver-
maßen im letzten Reißaus auf der Zielgeraden des langen.
gesamten Unternehmens auf einmal den Eindruck
Dieses Pensum an Arbeit, das - wie ich finde, viel
erweckt - vielleicht auch mit Blick auf die bevorste-
zu gering - auf 80 Stunden wöchentlich - im Jahres-
henden Wahlen -, daß sich diese Dinge vielleicht in
durchschnitt, wohlgemerkt - berechnet wurde, muß
anderer Weise an anderer Stelle auszahlen können.
angemessen honoriert werden. Hierzu gehört - auch
Ich verurteile dies deswegen zutiefst, weil sie an das haben wir betont -, daß wir den Vergleich mit
vielen Stellen auch so widersprüchlich argumentie- hochstehenden Beamten, mit Richtern und auch mit
ren. Gerade Herr Häfner und Herr Dr. Hirsch haben, Vertretern der Wirtschaft und des öffentlichen Le-
wie ich finde, klargemacht, daß die geäußerte Kritik, bens durchaus aushalten können und ihnen sogar
wenn man das Ganze einer näheren Prüfung unter- unter Hinweis darauf ganz deutlich machen wollen,
zieht, gar nicht aufrechtzuerhalten ist. Ich habe nun was wir 1975/1977 in diesem Hause schon einmal für
nicht mehr die Zeit dafür, dies im einzelnen zu erläu- richtig gehalten haben und wobei wir an manchen
tern, aber ich stelle mich gern künftigen Debatten; Stellen in den vergangenen Jahren immer wieder vor
das will ich hier prophylaktisch sagen. Eine haben der öffentlichen Reaktion eingeknickt sind.
wir demnächst, am Sonntagabend. Do rt können wir
Ich will - auch das gehört dazu - ganz kurz etwas
die Debatte dann fortsetzen.
zu den Sonderanträgen sagen. Meine Fraktion wird
Der Punkt ist doch, daß Sie nicht im entferntesten den Änderungsanträgen aus den Fraktionen des
klarmachen können, daß es logisch wäre, auf der ei- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie
nen Seite so zu tun, als wenn man eine gewisse Erhö- dem Entschließungsantrag von der Gruppe der PDS
hung mitmache, und auf der anderen Seite den Weg nicht zustimmen, weil wir meinen, daß wir dadurch
nicht mitzutragen, der in Ihren eigenen Reihen über den Konsens, den wir insgesamt erreicht haben, ge-
Monate als der richtige Weg, z. B. von Herrn fährden würden, wiewohl wir, gerade was die Frage
Schmidt-Jortzig, angesehen wurde. der Änderungen in den inneren Abläufen des Parla-
mentarismus bet rifft, auch für die eine oder andere
(Widerspruch bei der F.D.P.) Anregung in den nächsten Monaten noch zugänglich
sind, weil wir uns an dieser Stelle eine Offenheit und
Auf diese Weise können wir nicht miteinander umge- einen weiteren Fortgang dieser Veränderungen ge-
hen. Auch deswegen tragen wir das so vor. genseitig zugesagt haben.
Meine Damen und Herren, das Gesamtpaket ist in Ich glaube, es ist wichtig, daß wir hier deutlich ma-
diesem Zusammenhang das Wichtigste. Es besteht chen: Das Paket, das wir hier tragen, ist ein geschlos-
nun einmal aus dem Element der Verkleinerung des senes. Diese gefundene Geschlossenheit wollen wir
Parlaments, das uns von der Öffentlichkeit mit Recht nicht verletzen. Wir wollen vor allen Dingen dazu -
abgefordert worden ist und das wir deswegen am beitragen, daß die Öffentlichkeit erfährt, daß wir
29. Juni dieses Jahres als eine der Säulen in unseren überhaupt nicht vor einer öffentlichen Meinung ein-
Beschluß eingepflanzt haben, und dem zweiten Ele- knicken, die uns nach unserer Auffassung genau in
ment einer inneren Reform. Warum ist es denn nicht die falsche Richtung führen würde, wenn wir den
ein Gewinn, auch wenn wir uns für die nächsten Mo- Parlamentarismus in Deutschland richtig bewe rten.
nate ein Prüfungsverfahren selbst auferlegt haben,
daß wir die Donnerstagskernzeit, öffentliche Aus- Ich will deswegen an dieser Stelle noch einen Satz
schußsitzungen, erweiterte Ausschußsitzungen und zu dem Änderungsantrag, den die Kollegen Conradi
viele andere Dinge schon jetzt miteinander praktizie- und Gansel begründet haben, sagen. Bei allem Re-
ren? spekt, den ich dafür empfinde, seine Einkünfte offen-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4619
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
zulegen, was man vielleicht nicht nur kann, sondern Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zur
sogar sollte, muß man sagen: Die SPD-Fraktion hat Geschäftsordnung erteile ich jetzt dem Kollegen
sich mit Mehrheit dagegen gewandt, dies zu einem Schulz.
festen Rechtssatz, zu einer gesetzlichen Vorschrift zu
erheben. Ich finde, das muß jeder mit sich selber aus-
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
machen. Ich fordere die Wählerinnen und Wähler
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
und Bürgerinnen und Bürger in den Wahlkreisen auf,
Wir sollten uns nicht vormachen, daß über diesem
das mit ihrem Wahlkreisabgeordneten abzumachen
Reformpaket nur eitel Sonnenschein läge und daß es
und ihn vielleicht dazu zu überreden, das zu tun.
hier im Parlament große Stimmigkeit gäbe, auch
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vo ll wenn dieses Gefühl heute erweckt worden ist. Wir
sollten vor allen Dingen nicht den Meinen Unter--mer)
schied zwischen der Stimmung in diesem Haus und
Auch ich habe das in meinem Wahlkreis getan. Ich der draußen vergessen.
habe das dann vor zwei Jahren einmal abgelehnt, als Ich will die Kritik im Vor- und Umfeld nicht über-
ein Journalist mich noch einmal darauf ansprach. Ich bewerten; Sie alle kennen sie. Es helfen uns auch
habe ihm gesagt: Ich bin bereit, meine Einkünfte of- keine mutigen Reden, uns darüber hinwegzusetzen.
fenzulegen, wenn Sie Ihre Einkünfte in der Zeitung Es gibt aber auch Kritik in diesem Haus. Ich denke
daneben veröffentlichen. Von da ab war das Thema dabei nur an das Schreiben der Vorsitzenden des Ar-
von seiten der Zeitung ein und für allemal vorbei. Da- beits- und Sozialordnungsausschusses, Ulrike Ma-
mit ist auch ein gewisser Zustand in der Akzeptanz scher, die Bedenken angemeldet hat, ob manche Re-
solcher Fragen erreicht, von denen ich meine, daß sie gelung dieser Parlamentsreform überhaupt praktika-
sehr viel sorgfältiger als in einer solchen Debatte be- bel sei.
handelt werden sollten.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das
Ich will darauf hinweisen, daß ich es nicht für rich- haben wir bereinigt, Herr Kollege!)
tig halte, jetzt über andere Anträge abzustimmen
und später über den Antrag zur Änderung des Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist der
Grundgesetzes. Wir sollten deshalb das Abstim- Auffassung, daß durchaus Klärungs- und Beratungs-
mungsverfahren in der vorbesprochenen Weise auf- bedarf besteht. Wir sollten deshalb nach § 82 unserer
rechterhalten. Die Grundgesetzänderung liefert uns Geschäftsordnung sämtliche Anträge zur Parla-
erst die rechtliche Grundlage dafür, über die Ge- mentsreform noch einmal in die Ausschüsse überwei-
schäftsordnung und über die Abgeordnetenentschä- sen und uns überlegen, ob das Vorhaben ausgereift
digung abzustimmen. Darum müssen wir zunächst ist.
über den Gesetzentwurf zum Grundgesetz abstim-
Ich will nicht sagen, daß hier ein Hauruck-Verfah-
men. In einer anderen Reihenfolge geht es nicht,
ren praktiziert worden wäre. Schätzen Sie es aber
auch wenn dadurch erreicht wird, daß der Kollege
bitte einmal selbstkritisch ein: Ich glaube, wir legen
Gansel leider nicht mitstimmen kann.
hier ein enormes gesetzgeberisches Tempo vor: erste
In diesem Sinne danke ich noch einmal herzlich für Lesung vor der Sommerpause, zweite und dritte Le-
die lebendige, für die aufschlußreiche und für die - sung unmittelbar danach. Wenn wir das an anderer
wie ich finde - dieses Parlament ehrende Debatte. Stelle täten, nicht nur in eigener Sache, hätten wir
Wir sollten uns von der öffentlichen Meinung, die in schon den ersten Schritt der Parlamentsreform er-
Medien ab und zu verbreitet wird und die Gott sei reicht.
Dank nicht durchgängig ist, nicht übermäßig negativ (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist wahr!)
beeinflussen lassen. Darum wünsche ich diesem Ver-
fahren einen guten Abschluß. Es geht tatsächlich um das Ansehen des Parla-
ments, um das Vertrauen in Politik, in Politiker. Es
Vielen Dank. geht um das große nationale Thema. Das Thema
heute und morgen wird aber diese Diätenerhöhung
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sein, nicht die Parlamentsreform. Darüber werden
die Leute reden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort erteile Ich frage Sie: Warum haben wir nicht die Souverä-
ich jetzt dem Abgeordneten Conradi zu einer Kurzin- nität, mit dem Souverän selbst ins Gespräch zu kom-
tervention. men, dem Souverän selbst Rede und Antwort zu ste-
hen? Jedes andere Reformprojekt, jede andere
Grundgesetzänderung wird von einer großen Anhö-
Peter Conradi (SPD): Der letzte Redner hat gesagt, rung begleitet.
die SPD-Bundestagsfraktion habe den Gruppenan-
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
trag mehrheitlich abgelehnt. Es handelt sich um ei-
nen Gruppenantrag, der von Abgeordneten aus vie- Wo war sie denn? Warum laden wir nicht die Kritiker
len Fraktionen getragen wird. Ich stelle dazu fest: ein, anstatt hier das Gespräch über den abwesenden
Die SPD-Bundestagsfraktion hat über diesen Antrag Herrn von Arnim zu führen?
zu keiner Zeit abgestimmt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) sowie bei Abgeordneten der PDS)
4620 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Werner Schulz (Berlin)


Warum stellen wir nicht Zahlen gegen Zahlen, Fak- Kriterien, die der Kollege Schulz eben dafür ange-
ten gegen Fakten, Argumente gegen Argumente? führt hat, eine Parlamentsdebatte nicht zu Ende zu
Wir haben doch nichts zu verbergen. führen und abzuschließen, in allen Fällen gelten wür-
den, kämen wir nie zu einem Ergebnis, weil es im-
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben
mer den einen oder anderen gibt, der mit unseren
Sie das denn beantragt? Sie haben es nie
Entscheidungen nicht zufrieden ist.
beantragt!)
Wir haben nun seit fünf Jahren die Frage der Parla-
Wenn dies ein wirklich durchdachtes Reformprojekt
mentsreform beraten, und es ist hinreichend deutlich
ist, dann können wir nur gewinnen, Herr Schmidt.
geworden - Sie haben es selbst eingeräumt, Kollege
Ich bitte Sie: Lassen Sie uns doch diese große Anhö-
rung machen! Schulz -, daß es kein Schnellschuß ist, sondern daß
die Vorschläge sehr intensiv in den parlamentari-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - schen Gremien beraten worden sind.
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Reiner
Populismus! Das ist Unsinn!) Ich bin der Auffassung, daß wir jetzt die Entschei-
dung zu treffen haben. Das sollten wir heute tun und
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die Dinge nicht weiter verzögern.
überlegen Sie sich genau, was Sie heute machen!
Lassen Sie sich Ihren Reform- und Oppositions- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
schneid nicht abkaufen! ordneten der SPD und der F.D.P.)

(Zuruf von der SPD: Da brauchen wir keine


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zur
Nachhilfe von Ihnen!)
Geschäftsordnung erhält nun der Kollege Gysi.
Schauen Sie hin! Sehen Sie sich an, wie die Opposi-
(Unruhe bei der CDU/CSU - Zuruf von der
tionsrechte in der 13. Wahlperiode eingeschränkt
CDU/CSU: Wo war er denn den ganzen
worden sind! Wir erleben zunehmend Regierungser-
Tag?)
klärungen, während es das Instrument der Oppositi-
onserklärung noch nicht gibt. Wir haben heute nicht
mehr die Möglichkeit, über Entschließungsanträge Dr. Gregor Gysi (PDS): Sie müssen sich nicht dar-
direkt zu Regierungserklärungen abzustimmen. Eine über aufregen, wo ich war. Sie haben ja noch andere
hauchdünne Mehrheit in diesem Hause hat es ge- Sünden begangen: Ich war die ganze Zeit im Plutoni-
schafft, die Opposition nicht nur kleinzureden - das umausschuß.
tun Sie selbst -, sondern auch einzuschränken.
(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Joseph
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, Im Namen der Abgeordnetengruppe der PDS un-
Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung. terstütze ich diesen Geschäftsordnungsantrag der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir denken
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch, daß es noch Beratungsbedarf gibt. Bei der
NEN): Ich sage Ihnen: Wir haben den Schürmann- Größe des Vorhabens scheint uns das in jeder Hin-
Bau tagtäglich wa rnend vor Augen. sicht angemessen zu sein.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der Ich will mir einen einzigen Komplex heraussuchen.
F.D.P.) Es hat tatsächlich in diesem Sinne keine Anhörung
von - meinetwegen auch verschiedenen - Verfas-
Sorgen wir dafür, daß nach einem langen Planungs- sungsrechtlern gegeben. Ich halte eine solche Anhö-
vorlauf und einer erfolgten Grundsteinlegung nicht rung für ganz wichtig.
durch eine plötzliche, heftige Woge von außen am
Ende nur noch die rostige Armierung einer gewollten Es ist zwar heute in einer Vielzahl von Beiträgen
Diätenerhöhung aus dem Rohbau einer Parlaments- pauschal gesagt worden, daß das Grundgesetz durch
reform herausragt! die heutige Entscheidung nicht verletzt wird. Aber
ich meine, daß man daran auch ernsthafte Zweifel
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben kann, und zwar im Sinne des A rt . 79 Abs. 3 in
sowie bei Abgeordneten der PDS) Verbindung mit dem A rt . 20 Abs. 1 und Abs. 2.
Zum einen geht es bekanntlich um die Frage der
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich muß der
Unabhängigkeit der Abgeordneten und die Tatsa-
Ordnung halber noch feststellen, daß die Aussprache che, daß Sie öffentlich und selbst entscheiden müs-
zu den Tagesordnungspunkten 7 a bis 7 e vor diesem sen, wie die Entschädigung aussieht, und daß sie da-
Beitrag geschlossen wurde. Damit es klar ist: Wir für auch öffentlich rechenschaftspflichtig sind.
sind jetzt in der Geschäftsordnungsdebatte.
Durch die jetzt geplante Grundgesetzänderung
Das Wort zur Geschäftsordnung hat jetzt der Kol-
entscheiden wir künftig nie wieder unabhängig, son-
lege Hörster.
dern immer abhängig, weil wir nämlich über Beamte
entscheiden und damit indirekt über uns. Das ist
Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin! dann ein Abhängigkeitsverhältnis. Dies ist verfas-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die sungsrechtlich zumindest problematisch.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4621
Dr. Gregor Gysi
Wer sollte uns denn daran hindern, in einer Anhö- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zur
rung z. B. Verfassungsrechtler dazu einmal grund- Geschäftsordnung hat nun der Kollege Struck.
sätzlich zu hören, um diese Bedenken entweder aus-
zuräumen oder aber ernst zu nehmen?
Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine
Das zweite Problem. Ich sehe auch eine Gefahr für Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß gegen
die Gewaltenteilung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 des Ende der Debatte eigenartige Töne in diese Debatte
Grundgesetzes. Denn machen wir uns doch nichts hineinkommen.
vor, durch die Grundgesetzänderung erreichen wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so
eines, was alle Beamten nicht verdient haben: Wir wie bei Abgeordneten der F.D.P.)
ziehen sie in unser Boot.
Das gilt sowohl, für Ihren Beitrag, Herr Kollege
Das Parlament muß über die Besoldung der Beam- Schulz, als auch für den des Kollegen Gysi, wobei ich
ten entscheiden, das wissen Sie. So formal das auch als Jurist anfügen möchte: So eine verfassungsrecht-
sein mag, jede Entscheidung über die Besoldung der liche Argumentation, wie Sie sie vorgetragen haben
Beamten und damit über die Besoldung der Richter - dreimal durch die Brust von hinten ins Auge -,
ist künftig zugleich eine Entscheidung über unsere kann man sich wirklich schwer vorstellen. Ich denke,
Besoldung. Damit setzen wir auch die Richter einem damit werden Sie kaum Erfolg haben. Aber das mö-
öffentlichen Druck aus. Wenn wir uns vor Wahl- gen diejenigen prüfen, die sich dazu berufen fühlen.
kämpfen, was ja üblich ist, nicht trauen, unsere Ent-
schädigung zu erhöhen, dann trauen wir uns auch Nun zu Ihnen, Herr Kollege Schulz. Es ist schon
nicht mehr, die Besoldung der Richter zu erhöhen, unglaublich, wenn Sie sich hier hinstellen und sa-
was vielleicht fällig gewesen wäre. gen, man habe nicht einmal eine Anhörung durchge-
führt. Dann frage ich Sie einmal: Warum haben Sie
(Unruhe bei der CDU/CSU) keine Anhörung beantragt und kommen erst jetzt da-
- Auch wenn Sie sich aufregen, es bleibt trotzdem mit?
eine Tatsache! Und wenn wir sie dennoch erhöhen, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
dann schieben wir die Richter und andere vor, ob- F.D.P.)
wohl es uns in Wirklichkeit um uns selbst geht. Aus Das ist schon eigenartig, und es ist ein bißchen dick
dieser moralischen Verquickung kommen wir nicht
aufgetragen.
mehr heraus. Das wird man doch noch problematisie-
ren dürfen, auch die Frage, ob nicht vielleicht die Un- Ich denke, Frau Präsidentin, meine Damen und
abhängigkeit der Richter dadurch gefährdet ist, daß Herren, es gibt kaum ein Gesetzgebungsverfahren
sie gehaltsmäßig plötzlich an uns geknüpft werden, zu dem Thema, das uns heute beschäftigt, das so aus-
) und das auch noch durch das Grundgesetz! führlich, so intensiv nicht nur in den Ausschüssen
des Deutschen Bundestages, sondern auch in der Öf-
(Beifall bei der PDS - Zuruf von der SPD: fentlichkeit diskutiert worden ist. Es bringt über-
Vielleicht einmal zur Geschäftsordnung?) haupt nichts, die Angelegenheit noch einmal zu ver-
Aus diesen Gründen und um das zu beraten, tagen, weil es keine neuen Erkenntnisse geben wird,
meine ich, müßten wir eine Anhörung mit Verfas- sondern wir müssen heute entscheiden. Deshalb plä-
sungsrechtlern durchführen, bevor hier endgültig diere ich gegen diese Anträge.
entschieden wird. Deshalb unterstützen wir den An- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so
trag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. wie bei Abgeordneten der F.D.P.)
Gestatten Sie mir nur noch zwei Sätze.
(Unruhe bei der CDU/CSU - Zurufe von der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zur
CDU/CSU: Nein!) Geschäftsordnung hat der Kollege van Essen.
- Das haben Sie gar nicht zu erlauben; so weit geht
es ja nun noch nicht! Jörg van Essen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich kann es kurz machen: Wir
Ich sage Ihnen folgendes. Hier haben heute sehr sind gegen den Antrag der Grünen.
viele gesprochen, und sie waren über die Kritik sehr
beleidigt. Sie haben sehr beleidigt und sehr getroffen (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/
reagiert . Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob wir DIE GRÜNEN]: Warum?)
wirklich das Recht haben, in diesem Sinne gegen- Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat schon im Früh-
über der Öffentlichkeit beleidigt zu sein. jahr eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit all
diesen Fragen befaßt hat. Wir haben die Arbeit der -
(Lachen bei der CDU/CSU - Joachim Hör
ster [CDU/CSU]: Ausgerechnet die PDS!) Rechtsstellungskommission ständig begleitet. Wir
haben alle Vorschläge in der Fraktion sowohl vor der
Und als zweites: An dem moralischen Dilemma sind Sommerpause als auch jetzt ausführlich diskutiert.
wir doch selber schuld. Sie alle fahren ständig durch Deshalb sind wir der Auffassung, daß jetzt auch ent-
das Land und tun so, als ob Sie die kleinen Leute ver- schieden werden muß.
treten, und dann wollen Sie hier entscheiden, daß Sie (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
verdienen wie die Großen! Das nehmen Ihnen die ten der CDU/CSU und der SPD - Joseph Fi
Leute übel, und dafür habe ich Verständnis.
scher [Frankfurt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
(Beifall bei der PDS) NEN]: O ihr Helden!)
4622 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Fraktion Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat beantragt, die Vorla- nen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wie-
gen zu den Tagesordnungspunkten 7 a bis 7 e an die der eröffnet.
Ausschüsse zurückzuüberweisen. Darüber gab es
jetzt die Geschäftsordnungsdebatte. Wer stimmt für Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Er-
den Antrag auf Zurücküberweisung? - Gegenprobe! gebnis der namentlichen Abstimmung fiber den Ä n-
- Enthaltungen? - Die Zurücküberweisung ist damit derungsantrag der F.D.P. auf Drucksache 13/2364
gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bekannt. Abgegebene Stimmen: 647. Mit Ja haben
und PDS mit den Stimmen des ganzen Hauses abge- gestimmt: 45; mit Nein haben gestimmt: 599; Enthal-
lehnt. tungen: 3. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.

(Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN]: Des Restes des Hauses!) Endgültiges Ergebnis Nein
- Mit den Stimmen des restlichen Hauses, Abgegebene Stimmen: 645
davon CDU/CSU
(Heiterkeit) ja: 45
nein: 597 Ulrich Adam
was eine bedeutende Anzahl ist. Peter Altmaier
enthalten: 3 Anneliese Augustin
Wir kommen zu den Abstimmungen. Da wir meh- Jürgen Augustinowitz
rere namentliche Abstimmungen und zahlreiche wei- Ja Diet ri ch Austermann
tere Abstimmungen durchführen werden, bitte ich Heinz-Günter Bargfrede
Sie um Ihre besondere Aufmerksamkeit. Franz Peter Basten
F.D.P. Dr. Wolf Bauer
Es ist vereinbart, zunächst über zwei Änderungs- B ri gitte Baumeister
anträge zum Entwurf zur Änderung des Abgeordne- Ina Albowitz Meinrad Belle
Dr. Gisela Babel Dr. Sabine Bergmann-Pohl
tengesetzes abzustimmen.
Hildebrecht Braun Hans-Dirk Bierling
(Augsburg) Dr. Joseph-Theodor Blank
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag Renate Blank
Günther Bredehorn
der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 13/2364 ab. Jörg van Essen Dr. Heribert Blens
Die Fraktion der F.D.P. verlangt namentliche Abstim- Gisela Frick Peter Bleser
mung. Paul K. Friedhoff Dr. Norbe rt Blüm
Horst F ri ed ri ch F ri edri ch Bohl
(Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ Rainer Funke Dr. Ma ri a Böhmer
DIE GRÜNEN]: Sie hat doch kaum noch Hans-Dietrich Genscher Jochen Borchert
Namen! - Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ Dr. Wolfgang Gerhardt Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
DIE GRÜNEN) Joachim Günther (Plauen) Wolfgang Bosbach
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Helmut Haussmann Klaus Brähmig
Ich bitte die Schriftführer, an die Urnen zu gehen, Ulrich Heinrich
und eröffne die namentliche Abstimmung. Rudolf Braun (Auerbach)
Walter Hirche Paul Breuer
Dr. Burkhard Hirsch Monika Brudlewsky
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Birgit Homburger Georg Brunnhuber
seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht Dr. Werner Hoyer Klaus Bühler (Bruchsal)
der Fall. Ulrich Irmer Hartmut Büttner
Dr. Klaus Kinkel (Schönebeck)
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- Detlef Kleinert (Hannover) Dankward Buwitt
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergeb- Roland Kohn Manfred Carstens (Emstek)
nis wird später bekanntgegeben. Dr. Heinrich L. Kolb Peter Harry Carstensen
Jürgen Koppelin (Nordstrand)
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Wolfgang Dehnel
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Dr. Otto Graf Lambsdorff
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Abgeord- Hube rt Deittert
Heinz Lanfermann
netengesetz auf Drucksache 13/2372 ab. Auch die Gertrud Dempwolf
Sabine Leutheusser
Albe rt Deß
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlangt na- Schnarrenberger
Renate Diemers
mentliche Abstimmung. Sind die Schriftführer an Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Wilhelm Dietzel
den Urnen? - Ich eröffne die Abstimmung. Werner Dörflinger
Günther Fri ed ri ch Nolting
Dr. Rainer Ortleb Hansjürgen Doss
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Lisa Peters Dr. Alfred Dregger -
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht Dr. Günter Rexrodt Ma ria Eichhorn
der Fall. Dr. Klaus Röhl Wolfgang Engelmann
Helmut Schäfer (Mainz) Rainer Eppelmann
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- Cornelia Schmalz-Jacobsen Heinz Dieter Eßmann
führer, mit der Auszählung zu beginnen, und unter- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Horst Eylmann
breche die Sitzung, bis die Ergebnisse der namentli- Dr. Hermann Otto Solms Anke Eymer
chen Abstimmungen vorliegen. Dr. Max Stadler Ilse Falk
Carl-Ludwig Thiele Dr. Kurt Faltlhauser
Dr. Dieter Thomae Jochen Feilcke
(Unterbrechung der Sitzung von 17.20 Uhr Jürgen Türk Dr. Karl H. Fell
bis 17.32 Uhr) Dr. Wolfgang Weng Ulf Fink
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4623
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Hermann Kues Klaus Dieter Reichardt Dr. Rita Süssmuth
Leni Fischer (Unna) Werner Kuhn (Mannheim) Michael Teiser
Klaus Francke (Hamburg) Karl Lamers Dr. Bertold Reinartz Dr. Susanne Tiemann
Herbert Frankenhauser Dr. Karl A. Lamers Erika Reinhardt Dr. Klaus Töpfer
Dr. Gerhard Friedrich (Heidelberg) Hans-Peter Repnik Gottfried Tröger
Erich G. Fritz Dr. Norbe rt Lammert Roland Richter Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Hans-Joachim Fuchtel Helmut Lamp Roland Richwien Gunnar Uldall
Michaela Geiger Armin Laschet Dr. Norbert Rieder Wolfgang Vogt (Duren)
Norbert Geis Herbert Lattmann Dr. Erich Riedl Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Heiner Geißler Dr. Paul Laufs (München) Dr. Theodor Waigel
Michael Glos Karl-Josef Laumann Klaus Riegert Alois Graf von Waldburg-Zeil
Wilma Glücklich Werner Lensing Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Jürgen Warnke
Dr. Reinhard Göhner Christian Lenzer Hannelore Rönsch Kersten Wetzel
Peter Götz Peter Letzgus (Wiesbaden) Hans-Otto Wilhelm (Mainz)
Dr. Wolfgang Götzer Editha Limbach Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Gert Willner
Joachim Gres Walter Link (Diepholz) Dr. Klaus Rose Bernd Wilz
Wolfgang Gröbl Eduard Lintner Kurt J. Rossmanith Willy Wimmer (Neuss)
Hermann Gröhe Dr. Klaus W. Lippold Adolf Roth (Gießen) Matthias Wissmann
Claus-Peter Grotz (Offenbach) Norbert Röttgen Simon Wittmann
Manfred Grund Dr. Manfred Lischewski Dr. Christian Ruck (Tännesberg)
Horst Günther (Duisburg) Wolfgang Lohmann Volker Rühe Dagmar Wöhrl
Carl-Detlev (Lüdenscheid) Dr. Jürgen Rüttgers Michael Wonneberger
Freiherr von Hammerstein Julius Louven Roland Sauer (Stuttga rt) Elke Wülfing
Gottfried Haschke Sigrun Löwisch Ortrun Schätzle Peter Kurt Würzbach
(Großhennersdorf) Heinrich Lummer Dr. Wolfgang Schäuble Cornelia Yzer
Gerda Hasselfeldt Dr. Michael Luther Hartmut Schauerte Wolfgang Zeitlmann
Rainer Haungs Erich Maaß (Wilhelmshaven) Heinz Schemken Benno Zierer
Otto Hauser (Esslingen) Dr. Dietrich Mahlo Karl-Heinz Scherhag Wolfgang Zöller
Hansgeorg Hauser Erwin Marschewski Gerhard Scheu
(Rednitzhembach) Günter Marten Norbert Schindler
Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Martin Mayer Dietmar Schlee SPD
Manfred Heise (Siegertsbrunn) Ulrich Schmalz
Dr. Renate Hellwig Wolfgang Meckelburg Bernd Schmidbauer Gerd Andres
Ernst Hinsken Rudolf Meinl Christian Schmidt (Fürth) Hermann Bachmaier
Peter Hintze Dr. Michael Meister Dr.-Ing. Joachim Schmidt Ernst Bahr
Josef Holle rith Dr. Angela Merkel (Halsbrücke) Doris Barnett
Dr. Karl-Heinz Hornhues Friedrich Merz Andreas Schmidt (Mülheim) Klaus Barthel
Siegfried Hornung Rudolf Meyer (Winsen) Hans-Otto Schmiedeberg
Ingrid Becker-Inglau
Joachim Hörster Hans Michelbach Hans Peter Schmitz
Wolfgang Behrendt
Hubert Hüppe Meinolf Michels (Baesweiler)
Hans Berger
Peter Jacoby Dr. Gerd Müller Michael von Schmude
Hans-Werner Bertl
Susanne Jaffke Elmar Müller (Kirchheim) Birgit Schnieber-Jastram
Friedhelm Julius Beucher
Georg Janovsky Engelbert Nelle Dr. Andreas Schockenhoff
Rudolf Bindig
Helmut Jawurek Bernd Neumann (Bremen) Dr. Rupert Scholz
Dr. Ulrich Böhme (Unna)
Dr. Dionys Jobst Johannes Nitsch Reinhard Freiherr von
Arne Börnsen (Ritterhude)
Michael Jung (Limburg) Claudia Nolte Schorlemer
Anni Brandt-Elsweier
Ulrich Junghanns Dr. Rolf Olderog Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff Tilo Braune
Dr. Harald Kahl Friedhelm Ost
Eduard Oswald Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Eberhard Brecht
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter Norbert Otto (Erfu rt) Frederick Schulze Edelgard Bulmahn
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Gerhard Päselt Diethard Schütze (Berlin) Ursula Burchardt
Manfred Kanther Dr. Peter Paziorek Clemens Schwalbe Hans Martin Bury
Irmgard Karwatzki Hans-Wilhelm Pesch Dr. Christian Schwarz- Hans Büttner (Ingolstadt)
Volker Kauder Ulrich Petzold Schilling Mari on Caspers-Merk
Peter Ke ller Anton Pfeifer Wilhelm Josef Sebastian Wolf-Michael Catenhusen
Eckart von Klaeden Angelika Pfeiffer Horst Seehofer Peter Conradi
Dr. Bernd Klaußner Dr. Gero Pfennig Wilfried Seibel Christel Deichmann
Hans Klein (München) Dr. Friedbert Pflüger Heinz-Georg Seiffert Karl Diller
Ulrich Klinkert Beatrix Philipp Rudolf Seiters Dr. Marliese Dobberthien
Dr. Helmut Kohl Dr. Winfried Pinger Johannes Selle Peter Dreßen
Hans-Ulrich Köhler Ronald Pofalla Bernd Siebert Rudolf Dreßler
(Hainspitz) Dr. Hermann Pohler Jürgen Sikora Freimut Duve
Manfred Kolbe Ruprecht Polenz Johannes Singhammer Ludwig Eich
Norbert Königshofen Marlies Pretzlaff Bärbel Sothmann Peter Enders
Eva-Maria Kors Dr. Albe rt Probst Margarete Späte Petra Ernstberger
Hartmut Koschyk Dr. Bernd Protzner Carl-Dieter Spranger Annette Faße
Manfred Koslowski Dieter Pützhofen Wolfgang Steiger Elke Ferner
Thomas Kossendey Thomas Rachel Erika Steinbach Lothar Fischer (Homburg)
Rudolf Kraus Hans Raidel Dr. Wolfgang Freiherr von Gabriele Fograscher
Wolfgang Krause (Dessau) Dr. Peter Ramsauer Stetten Iris Follak
Andreas Krautscheid Rolf Rau Dr. Gerhard Stoltenberg Norbert Formanski
Arnulf Kriedner Helmut Rauber Andreas Storm Dagmar Freitag
Heinz-Jürgen Kronberg Peter Harald Rauen Max Straubinger Anke Fuchs (Köln)
Dr.-Ing. Paul Krüger Otto Regenspurger Michael Stübgen Katrin Fuchs (Verl)
Reiner Krziskewitz Christa Reichard (Dresden) Egon Susset Arne Fuhrmann
4624 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Monika Ganseforth Heide Mattischeck Horst Sielaff Vera Lengsfeld
Konrad Gilges Ulrike Mehl Erika Simm Dr. Helmut Lippelt
Iris Gleicke Herbert Meißner Johannes Singer Oswald Metzger
Günter Gloser Angelika Mertens Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Kerstin Müller (Köln)
Dr. Peter Glotz Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Winfried Nachtwei
Günter Graf (Friesoythe) Ursula Mogg Wieland Sorge Gerd Poppe
Angelika Graf (Rosenheim) Siegmar Mosdorf Wolfgang Spanier
Simone Probst
Dieter Grasedieck Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Dietrich Sperling
Dr. Jürgen Rochlitz
Achim Großmann Jutta Müller (Völklingen) Jörg-Otto Spiller
Hans-Joachim Hacker Antje-Marie Steen Halo Saibold
Christian Müller (Zittau)
Klaus Hagemann Kurt Neumann (Berlin) Ludwig Stiegler Irmingard Schewe-Gerigk
Manfred Hampel Volker Neumann (Bramsche) Dr. Peter Struck Rezzo Schlauch
Christel Hanewinckel Gerhard Neumann (Gotha) Joachim Tappe Wolfgang Schmitt
Alfred Hartenbach Dr. Edith Niehuis Jörg Tauss (Langenfeld)
Dr. Liesel Hartenstein Dr. Rolf Niese Dr. Bodo Teichmann Waltraud Schoppe
Klaus Hasenfratz Doris Odendahl Margitta Terborg Werner Schulz (Berlin)
Dr. Ingomar Hauchler Günter Oesinghaus Jella Teuchner Rainder Steenblock
Dieter Heistermann Leyla Onur Dr. Gerald Thalheim Marina Steindor
Reinhold Hemker Manfred Opel Wolfgang Thierse Christian Sterzing
Rolf Hempelmann Adolf Ostertag Dietmar Thieser Manfred Such
Dr. Barbara Hendricks Kurt Palis Franz Thönnes Dr. Antje Vollmer
Monika Heubaum Albrecht Papenroth Uta Titze-Stecher Ludger Volmer
Uwe Hiksch Dr. Wilfried Penner Adelheid Tröscher
Helmut Wilhelm (Amberg)
Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Martin Pfaff Hans-Eberhard Urbaniak
Stephan Hilsberg Georg Pfannenstein Siegfried Vergin
Gerd Höfer Dr. Eckha rt Pick Günter Verheugen
PDS
Jelena Hoffmann (Chemnitz) Joachim Poß Ute Vogt (Pforzheim)
Frank Hofmann (Volkach) Rudolf Purps Karsten D. Voigt (Frankfurt)
Josef Vosen Wolfgang Bierstedt
Ingrid Holzhüter Hermann Rappe Petra Bläss
Erwin Horn (Hildesheim) Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner Eva Bulling-Schröter
Eike Hovermann Karin Rehbock-Zureich
Wolfgang Weiermann Heinrich Graf von Einsiedel
Lothar Ibrügger Margot von Renesse
Reinhard Weis (Stendal) Dr. Ludwig Elm
Wolfgang Ilte Renate Rennebach
Barbara Imhof Matthias Weisheit Dr. Dagmar Enkelmann
Otto Reschke
Brunhilde Irber Gunter Weißgerber Dr. Ruth Fuchs
Bernd Reuter
Gabriele Iwersen Ge rt Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Gregor Gysi
Dr. Edelbert Richter
Renate Jäger Jochen Welt Dr. Uwe-Jens Heuer
Günter Rixe
Jann-Peter Janssen Hildegard Wester Stefan Heym
Reinhold Robbe
Ilse Janz Lydia Westrich Dr. Barbara Höll
Gerhard Rübenkönig
Dr. Uwe Jens Inge Wettig-Danielmeier Ulla Jelpke
Dr. Hansjörg Schäfer
Helmut Wieczorek (Duisburg)
Volker Jung (Düsseldorf) Gudrun Schaich-Walch Gerhard Jüttemann
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Sabine Kaspereit Dieter Schanz Dr. Heidi Knake-Werner
Dieter Wiefelspütz
Susanne Kastner Rudoll Scharping Rolf Köhne
Berthold Wittich
Ernst Kastning Bernd Scheelen Rolf Kutzmutz
Dr. Wolfgang Wodarg
Hans-Peter Kemper Dr. Hermann Scheer Andrea Lederer
Verena Wohlleben
Klaus Kirschner Siegfried Scheffler Dr. Christa Luft
Hanna Wolf (München)
Marianne Klappert Horst Schild Heidemarie Lüth
Heidi Wright
Siegrun Klemmer Otto Schily Dr. Günther Maleuda
Uta Zapf
Hans-Ulrich Klose Dieter Schloten Dr. Christoph Zöpel Manfred Müller (Berlin)
Dr. Hans-Hin rich Knaape Günter Schluckebier Peter Zumkley Rosel Neuhäuser
Walter Kolbow Horst Schmidbauer
Fritz Rudolf Körper Dr. Uwe-Jens Rössel
(Nürnberg)
Nicolette Kressl Ursula Schmidt (Aachen) Christina Schenk
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Steffen Tippach
Volker Kröning Dagmar Schmidt (Meschede)
Thomas Krüger Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Klaus-Jürgen Warnick
Gila Altmann (Aurich)
Horst Kubatschka Regina Schmidt-Zadel Dr. Winfried Wolf
Elisabeth Altmann
Eckart Kuhlwein Heinz Schmitt (Berg) Gerhard Zwerenz
(Pommelsbrunn)
Konrad Kunick Dr. Emil Schnell Marieluise Beck (Bremen)
Christine Kurzhals Walter Schöler Volker Beck (Köln)
Dr. Uwe Küster Ottmar Schreiner Matthias Berninger Enthalten
Werner Labsch Gisela Schröter Annelie Buntenbach
Brigitte Lange Dr. Mathias Schube rt Franziska Eichstädt-Bohlig
Detlev von Larcher Schuhmann Richard Dr. Uschi Eid CDU/CSU
Waltraud Lehn (Delitzsch) Andrea Fischer (Berlin)
Dr. Elke Leonhard Brigitte Schulte (Hameln) Joseph Fischer (Frankfurt) Dr. Egon Jüttner
Klaus Lohmann (Witten) Reinhard Schultz Rita Grießhaber
Christa Lörcher (Everswinkel) Gerald Häfner
Erika Lotz Volkmar Schultz (Köln) Antje Hermenau SPD
Dr. Christine Lucyga Dr. R. Werner Schuster Kristin Heyne
Dieter Maaß (Herne) Dietmar Schütz (Oldenburg) Ulrike Höfken Norbert Gansel
Winfried Mante Dr. Angelica Schwall-Düren Michaele Hustedt
Dorle Marx Ernst Schwanhold Dr. Manuel Kiper
Ulrike Mascher Rolf Schwanitz Monika Knoche BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Christoph Matschie Bodo Seidenthal Dr. Angelika Köster-Loßack
Ingrid Matthäus-Maier Lisa Seuster Steffi Lemke Christa Nickels
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4625
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich gebe jetzt das von den Schriftführern ermittelte Dr. Wolfgang Götzer Editha Limbach
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Joachim Gres Walter Link (Diepholz)
Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Kurt-Dieter G rill Eduard Lintner
Wolfgang Gröbl Dr. Klaus W. Lippold
GRÜNEN auf Drucksache 13/2372 bekannt. Abge- Hermann Gröhe (Offenbach)
gebene Stimmen: 641. Mit Ja haben gestimmt: 39; Claus-Peter Grotz Dr. Manfred Lischewski
mit Nein haben gestimmt: 598; Enthaltungen: 4. Der Manfred Grund Wolfgang Lohmann
Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Horst Günther (Duisburg) (Lüdenscheid)
Carl-Detlev Freiherr von Julius Louven
Hammerstein Sigrun Löwisch
Gottfried Haschke Heinrich Lummer
Endgültiges Ergebnis Dietrich Austermann (Großhennersdorf) Dr. Michael Luther
Heinz-Günter Bargfrede Gerda Hasselfeldt Erich Maaß (Wilhelmshaven)
Abgegebene Stimmen: 637 Franz Peter Basten Rainer Haungs Dr. Dietrich Mahlo
davon Dr. Wolf Bauer Otto Hauser (Esslingen) Erwin Marschewski
ja: 38 Brigitte Baumeister Hansgeorg Hauser Günter Marten
Meinrad Belle (Rednitzhembach) Dr. Martin Mayer
nein: 595 Dr. Sabine Bergmann-Pohl Klaus-Jürgen Hedrich (Siegertsbrunn)
enthalten: 4 Hans-Dirk Bierling Manfred Heise Wolfgang Meckelburg
Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Renate Hellwig Rudolf Meinl
Renate Blank Ernst Hinsken Dr. Michael Meister
Ja Dr. Heribert Blens Peter Hintze Dr. Angela Merkel
Peter Bleser Josef Holle rith Friedrich Merz
Dr. Norbe rt Blüm Dr. Karl-Heinz Hornhues Rudolf Meyer (Winsen)
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Friedrich Bohl Siegfried Hornung Hans Michelbach
Dr. Maria Böhmer Joachim Hörster Meinolf Michels
Elisabeth Altmann
Jochen Borchert Hubert Hüppe Dr. Gerd Müller
(Pommelsbrunn) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Peter Jacoby Elmar Müller (Kirchheim)
Marieluise Beck (Bremen)
Wolfgang Bosbach Susanne Jaffke Engelbert Nelle
Volker Beck (Köln)
Dr. Wolfgang Bötsch Georg Janovsky Bernd Neumann (Bremen)
Matthias Berninger
Klaus Brähmig Helmut Jawurek Johannes Nitsch
Annelie Buntenbach
Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Dionys Jobst Claudia Nolte
Franziska Eichstädt-Bohlig
Paul Breuer Michael Jung (Limburg) Dr. Rolf Olderog
Dr. Uschi Eid
Monika Brudlewsky Ulrich Junghanns Friedhelm Ost
Andrea Fischer (Berlin)
Georg Brunnhuber Dr. Egon Jüttner Eduard Oswald
Joseph Fischer (Frankfurt)
Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Harald Kahl Norbert Otto (Erfurt)
Rita Grießhaber
Hartmut Büttner Bartholomäus Kalb Dr. Gerhard Päselt
Gerald Häfner
(Schönebeck) Steffen Kampeter Dr. Peter Paziorek
Antje Hermenau
Dankwart Buwitt Dr.-Ing. Dietmar Kansy Hans-Wilhelm Pesch
Kristin Heyne
Manfred Carstens (Emstek) Manfred Kanther Ulrich Petzold
Ulrike Höfken
Peter Harry Carstensen Irmgard Karwatzki Anton Pfeifer
Michaele Hustedt
(Nords trand) Volker Kauder Angelika Pfeiffer
Dr. Manuel Kiper
Wolfgang Dehnel Peter Keller Dr. Gero Pfennig
Monika Knoche
Hubert Deittert Eckart von Klaeden Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Angelika Köster-Loßack
Gertrud Dempwolf Dr. Bernd Klaußner Beatrix Philipp
Vera Lengsfeld
Albert Deß Hans Klein (München) Dr. Winfried Pinger
Dr. Helmut Lippelt
Renate Diemers Ulrich Klinkert Ronald Pofalla
Oswald Metzger
Wilhelm Dietzel Dr. Helmut Kohl Dr. Hermann Pohler
Kerstin Müller (Köln)
Werner Dörflinger Hans-Ulrich Köhler Ruprecht Polenz
Winfried Nachtwei
Hansjürgen Doss (Hainspitz) Marlies Pretzlaff
Christa Nickels
Dr. Alfred Dregger Manfred Kolbe Dr. Albert Probst
Gerd Poppe
Maria Eichhorn Norbert Königshof en Dr. Bernd Protzner
Simone Probst
Wolfgang Engelmann Eva-Maria Kors Dieter Pützhofen
Dr. Jürgen Rochlitz
Rainer Eppelmann Hartmut Koschyk Thomas Rachel
Halo Saibold
Irmingard Schewe-Gerigk Heinz Dieter Eßmann Manfred Koslowski Hans Raidel
Rezzo Schlauch Horst Eylmann Thomas Kossendey Dr. Peter Ramsauer
Wolfgang Schmitt Anke Eymer Rudolf Kraus Rolf Rau
(Langenfeld) Ilse Falk Wolfgang Krause (Dessau) Helmut Rauber
Waltraud Schoppe Dr. Kurt Faltlhauser Andreas Krautscheid Peter Harald Rauen
Werner Schulz (Ber lin) Jochen Feilcke Arnulf Kriedner Otto Regenspurger
Rainder Steenblock Dr. Karl H. Fell Heinz-Jürgen Kronberg Christa Reichard (Dresden)
Marina Steindor Ulf Fink Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Bertold Reinartz
Christian Sterzing Dirk Fischer (Hamburg) Reiner Krziskewitz Erika Reinhardt
Ludger Volmer Leni Fischer (Unna) Dr. Hermann Kues Hans-Peter Repnik
Helmut Wilhelm (Amberg) Klaus Francke (Hamburg) Werner Kuhn Roland Richter
Herbert Frankenhauser Karl Lamers Roland Richwien
Dr. Gerhard Friedrich Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Rieder
Nein Erich G. Fritz (Heidelberg) Dr. Erich Riedl
Hans-Joachim Fuchtel Dr. Norbe rt Lammert (München)
Michaela Geiger Armin Laschet Klaus Riegert
CDU/CSU Norbert Geis Herbert Lattmann Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Heiner Geißler Dr. Paul Laufs Hannelore Rönsch
Ulrich Adam Michael Glos Karl-Josef Laumann (Wiesbaden)
Peter Altmaier Wilma Glücklich Werner Lensing Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Anneliese Augustin Dr. Reinhard Göhner Christian Lenzer Dr. Klaus Rose
Jürgen Augustinowitz Peter Götz Peter Letzgus Kurt J. Rossmanith
4626 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Adolf Roth (Gießen) Willy Wimmer (Neuss) Dr. Barbara Hendricks Dr. Wilfried Penner
Norbert Röttgen Matthias Wissmann Monika Heubaum Dr. Martin Pfaff
Dr. Christian Ruck Simon Wittmann Uwe Hiksch Georg Pfannenstein
Volker Rühe (Tännesberg) Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Eckhart Pick
Dr. Jürgen Rüttgers Dagmar Wöhrl Stephan Hilsberg Joachim Poß
Roland Sauer (Stuttga rt) Michael Wonneberger Gerd Höfer Rudolf Purps
Ortrun Schätzle Elke Wülfing Jelena Hoffmann (Chemnitz) Hermann Rappe
Dr. Wolfgang Schäuble Peter Kurt Würzbach Frank Hofmann (Volkach) (Hildesheim)
Hartmut Schaue rte Cornelia Yzer Ingrid Holzhüter Karin Rehbock-Zureich
Heinz Schemken Wolfgang Zeitlmann Erwin Horn Margot von Renesse
Karl-Heinz Scherhag Wolfgang Zöller Eike Hovermann Renate Rennebach
Gerhard Scheu Lothar Ibrügger Otto Reschke
Norbert Schindler Wolfgang Ilte Bernd Reuter
Dietmar Schlee SPD Barbara Imhof Günter Rixe
Ulrich Schmalz Brunhilde Irber Reinhold Robbe
Bernd Schmidbauer Gerd Andres Gabriele Iwersen Gerhard Rübenkönig
Christian Schmidt (Fürth) Robert Antretter Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt Hermann Bachmaier Jann-Peter Janssen Gudrun Schaich-Walch
(Halsbrücke) Ernst Bahr Ilse Janz Dieter Schanz
Andreas Schmidt (Mülheim) Doris Barnett Dr. Uwe Jens Rudolf Scharping
Hans-Otto Schmiedeberg Klaus Barthel Volker Jung (Düsseldorf) Bernd Scheelen
Hans Peter Schmitz Ingrid Becker-Inglau Sabine Kaspereit Dr. Hermann Scheer
(Baesweiler) Wolfgang Behrendt Susanne Kastner Siegfried Scheffler
Michael von Schmude Hans Berger Ernst Kastning Horst Schild
Birgit Schnieber-Jastram Hans-Werner Bertl Hans-Peter Kemper Otto Schily
Dr. Andreas Schockenhoff Friedhelm Julius Beucher Klaus Kirschner Dieter Schloten
Dr. Rupe rt Scholz Rudolf Bindig Marianne Klappert Günter Schluckebier
Reinhard Freiherr von Dr. Ulrich Böhme (Unna) Siegrun Klemmer Horst Schmidbauer
Schorlemer Arne Börnsen (Ritterhude) Hans-Ulrich Klose (Nürnberg)
Dr. Erika Schuchardt Anni Brandt-Elsweier Dr. Hans-Hin rich Knaape Ursula Schmidt (Aachen)
Wolfgang Schulhoff Tilo Braune Walter Kolbow Dagmar Schmidt (Meschede)
Dr. Dieter Schulte Dr. Eberhard Brecht Fritz Rudolf Körper Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
(Schwäbisch Gmünd) Edelgard Bulmahn Nicolette Kressl Regina Schmidt-Zadel
Gerhard Schulz (Leipzig) Ursula Burchardt Volker Kröning Heinz Schmitt (Berg)
Frederick Schulze Hans Martin Bury Thomas Krüger Dr. Emil Schnell
Diethard Schütze (Berlin) Hans Büttner (Ingolstadt) Horst Kubatschka Walter Schöler
Clemens Schwalbe Marion Caspers-Merk Eckart Kuhlwein Ottmar Schreiner
Dr. Christian Schwarz- Wolf-Michael Catenhusen Konrad Kunick Gisela Schröter
Schilling Peter Conradi Christine Kurzhals Dr. Mathias Schube rt
Wilhelm Josef Sebastian Christel Deichmann Dr. Uwe Küster Richard Schuhmann
Horst Seehofer Karl Diller Werner Labsch (Delitzsch)
Wilfried Seibel Dr. Marliese Dobberthien Brigitte Lange Brigitte Schulte (Hameln)
Heinz-Georg Seiffert Peter Dreßen Detlev von Larcher Reinhard Schultz
Rudolf Seiters Rudolf Dreßler Waltraud Lehn (Everswinkel)
Johannes Selle Freimut Duve Dr. Elke Leonhard Volkmar Schultz (Köln)
Bernd Siebert Ludwig Eich Klaus Lohmann (Witten) Dr. R. Werner Schuster
Jürgen Sikora Peter Enders Christa Lörcher Dietmar Schütz (Oldenburg)
Johannes Singhammer Gernot Erler Erika Lotz Dr. Angelica Schwall-Düren
Bärbel Sothmann Petra Ernstberger Dr. Christine Lucyga Ernst Schwanhold
Margarete Späte Elke Ferner Dieter Maaß (Herne) Rolf Schwanitz
Carl-Dieter Spranger Lothar Fischer (Homburg) Winfried Mante Bodo Seidenthal
Wolfgang Steiger Gabriele Fograscher Dorle Marx Lisa Seuster
Erika Steinbach Iris Follak Ulrike Mascher Horst Sielaff
Dr. Wolfgang Freiherr von Norbert Formanski Christoph Matschie Erika Simm
Stetten Dagmar Freitag Ingrid Matthäus-Maier Johannes Singer
Dr. Gerhard Stoltenberg Anke Fuchs (Köln) Heide Mattischeck Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Andreas Storm Katrin Fuchs (Verl) Ulrike Mehl Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Max Straubinger Arne Fuhrmann Herbert Meißner Wieland Sorge
Michael Stübgen Monika Ganseforth Angelika Mertens Wolfgang Spanier
Egon Susset Norbert Gansel Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg-Otto Spiller
Dr. Rita Süssmuth Konrad Gilges Ursula Mogg Antje-Marie Steen
Michael Teiser Iris Gleicke Siegmar Mosdorf Dr. Peter Struck
Dr. Susanne Tiemann Günter Gloser Michael Müller (Düsseldorf) Joachim Tappe
Dr. Klaus Töpfer Dr. Peter Glotz Jutta Müller (Völklingen) Jörg Tauss
Gottfried Tröger Dieter Grasedieck Christian Müller (Zittau) Dr. Bodo Teichmann
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Hans-Joachim Hacker Volker Neumann (Bramsche) Margitta Terborg
Gunnar Uldall Klaus Hagemann Gerhard Neumann (Gotha) Jella Teuchner
Wolfgang Vogt (Duren) Manfred Hampel Dr. Edith Niehuis Wolfgang Thierse
Dr. Horst Waffenschmidt Christel Hanewinckel Dr. Rolf Niese Dietmar Thieser
Dr. Theodor Waigel Alfred Hartenbach Doris Odendahl Franz Thönnes
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Liesel Hartenstein Günter Oesinghaus Uta Titze-Stecher
Dr. Jürgen Warnke Klaus Hasenfratz Leyla Onur Adelheid Tröscher
Kersten Wetzel Dr. Ingomar Hauchler Manfred Opel Hans-Eberhard Urbaniak
Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dieter Heistermann Adolf Ostertag Siegfried Vergin
Ge rt Willner Reinhold Hemker Kurt Palis Günter Verheugen
Bernd Wilz Rolf Hempelmann Albrecht Papenroth Ute Vogt (Pforzheim)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4627
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Karsten D. Voigt (Frankfurt) Uwe Lühr Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
Josef Vosen Jürgen W. Möllemann stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
Hans Georg Wagner Günther Friedrich Nolting dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
Dr. Konstanze Wegner Dr. Rainer Ortleb
Wolfgang Weiermann Lisa Peters
damit in zweiter Beratung mit den meisten Stimmen
Reinhard Weis (Stendal) Dr. Günter Rexrodt der SPD und den Stimmen der CDU/CSU gegen die
Matthias Weisheit Dr. Klaus Röhl Stimmen der F.D.P., des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Gunter Weißgerber Helmut Schäfer (Mainz) NEN, einiger Sozialdemokraten und der PDS ange-
Ge rt Weisskirchen (Wiesloch) Cornelia Schmalz-Jacobsen nommen worden.
Jochen Welt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Hildegard Wester Dr. Hermann Otto Solms Dritte Beratung
Lydia Westrich Dr. Max Stadler
Inge Wettig-Danielmeier Carl-Ludwig Thiele und Schlußabstimmung. Ich weise darauf hin, daß
Dr. Norbe rt Wieczorek Dr. Dieter Thomae zur Annahme des Gesetzentwurfs eine Zweidrittel-
Helmut Wieczorek Jürgen Türk mehrheit - das sind mindestens 448 Stimmen - erfor-
(Duisburg) Dr. Wolfgang Weng derlich ist. Es ist namentliche Abstimmung verlangt
Heidemarie Wieczorek-Zeul (Gerlingen) worden.
Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich Ich eröffne die Abstimmung.
PDS
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit keine Miß-
Wolfgang Bierstedt verständnisse entstehen, weise ich darauf hin, daß es
Hanna Wolf (München)
Petra Bläss
Heidi Wright
Eva Bulling-Schröter
noch eine namentliche Abstimmung gibt. -
Uta Zapf
Heinrich Graf von Einsiedel Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das
Dr. Christoph Zöpel
Dr. Ludwig Elm seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
Peter Zumkley
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Dr. Gregor Gysi Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
Dr. Uwe-Jens Heuer
Gila Altmann (Aurich)
Dr. Barbara Höll kanntgegeben.' )
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann Wir setzen jetzt die Beratungen fo rt . Dafür bitte ich
Dr. Heidi Knake-Werner um etwas Ruhe. Bitte machen Sie auch die Gänge
F.D.P.
Rolf Köhne frei.
Rolf Kutzmutz
Ina Albowitz Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung nach
Andrea Lederer
Dr. Gisela Babel
Dr. Christa Luft § 31 unserer Geschäftsordnung erhält der Kollege
Hildebrecht Braun
(Augsburg)
Heidemarie Lüth Norbert Otto.
Dr. Günther Maleuda
Günther Bredehorn
Manfred Müller (Berlin)
Jörg van Essen Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU): Frau Präsiden-
Rosel Neuhäuser
Gisela Frick
Dr. Uwe-Jens Rössel tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Christina Schenk um Verständnis, daß ich meine Erklärung nicht
Steffen Tippach schriftlich abgegeben habe. Ich möchte ein Thema
Rainer Funke
Klaus-Jürgen Warnick ansprechen, das heute nur am Rande zur Sprache ge-
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Winfried Wolf
Joachim Günther (Plauen)
Gerhard Zwerenz
kommen ist. Frau Enkelmann hatte das als einzige
Dr. Karlheinz Guttmacher angesprochen.
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich Die anstehende Änderung des Abgeordnetenge-
Enthalten
Walter Hirche setzes ist die erste Änderung dieses Gesetzes nach
Dr. Burkhard Hirsch der Wiedervereinigung Deutschlands. In diesem Zu-
Birgit Homburger SPD sammenhang wäre es richtig gewesen, die Leistun-
Dr. Werner Hoyer
Dr. Edelbert Richter
gen und die Zeiten der Tätigkeit in der letzten demo-
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel kratisch gewählten Volkskammer zu würdigen.
Detlef Kleinert (Hannover) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Steffi Lemke Damals, im März 1990, haben sich Menschen in
Jürgen Koppelin der ehemaligen DDR politische Verantwortung für
Dr. Antje Vollmer
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann die Gestaltung der deutschen Einheit aufgebürdet,
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Heinz Lanfermann PDS
haben ihren Beruf, ihre Stellung, völlig ungeachtet
Sabine Leutheusser- ihrer späteren Lebensplanung und ihrer sozialen Si-
Schnarrenberger Stefan Heym cherheit aufgegeben. Eine Reihe dieser Politikerin-
nen und Politiker der ersten Stunde haben in der
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung kom- 12. Wahlperiode in diesem Haus ihre politische Ar-
men wir jetzt zur Abstimmung über den von den beit im Deutschen Bundestag fortgesetzt und sind
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach- danach ausgeschieden. Viele dieser ehemaligen Ab-
ten Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes, geordneten haben heute keine Anstellung in Wi rt
Drucksache 13/1824. Der Ausschuß für Wahlprüfung, -schaftundVerwlg .oaemfürdi
Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt auf älteren Abgeordneten unter diesen ist das eine
Drucksache 13/2339, den Gesetzentwurf unverän-
dert anzunehmen. *) Siehe Seite 4628
4628 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Norbert Otto (Erfurt)


schmerzliche Erfahrung. Erschwerend kommt natür- Weitere Erklärungen werden nicht gewünscht. Bis
lich hinzu, daß der Einstieg in den Vorruhestand die- zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
sen Ex-Abgeordneten, so wie das jedem Arbeitneh- Abstimmung über die Grundgesetzänderung unter-
mer möglich ist, nicht möglich ist. breche ich noch einmal die Sitzung, weise aber dar-
auf hin, daß es noch eine namentliche Abstimmung
In sozialer Verantwortung für die ehemaligen Ab- geben wird.
geordneten und deren Familien gab es eine Reihe
von Vorschlägen, z. B. die Gleichsetzung der letzen (Unterbrechung von 17.44 Uhr bis 17.45
Wahlperiode der Volkskammer mit einer Wahlperi- Uhr)
ode des Deutschen Bundestages oder ein bescheide-
nes Ruhegeld für ältere Ex-Abgeordnete, analog zu Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich kann die un-
den Regelungen in den Landtagen oder bei den terbrochene Sitzung gleich wieder eröffnen und
Wahlbeamten. gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Keiner dieser Vorschläge wurde in den Gesetzent- Abstimmung über den von den Fraktionen der
wurf aufgenommen. Dies bet rifft insbesondere un- CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurf zur
sere Kollegen aus der 12. Wahlperiode, die ausge- Änderung des Grundgesetzes auf den Drucksachen
schieden und heute noch arbeitslos sind. Eine derar- 13/1824 und 13/2339 bekannt. Abgegebene Stim-
tige fehlende Solidarität gegenüber unseren ehema- men: 651; mit Ja gestimmt haben: 507; mit Nein ha-
ligen Kolleginnen und Kollegen und die Ignoranz der ben gestimmt: 139; Enthaltungen: 5. Der Gesetzent-
persönlichen Leistungen auf dem Weg in die deut- wurf ist damit mit der erforderlichen Zweidrittel-
sche Einheit dürften eigentlich nicht noch gesetzlich mehrheit angenommen.
festgeschrieben werden.

Wenn denn letztlich keine Versorgungsansprüche


Endgültiges Ergebnis Dankward Buwitt
ableitbar gewesen wären und sind, hätte man wenig- Manfred Carstens (Emstek)
stens die Zeit der letzen Volkskammerwahlperiode Abgegebene Stimmen: 649 Peter Harry Carstensen
einer Wahlperiode des Deutschen Bundestages davon (Nordstrand)
gleichsetzen müssen. Aber auch diese Anerkennung ja: 505 Wolfgang Dehnel
der parlamentarischen Arbeit bleibt den damaligen Hubert Deittert
nein: 139
Abgeordneten versagt. Ich meine, das ist beschä- Gertrud Dempwolf
mend. enthalten: 5 Albert Deß
Renate Diemers
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, Wilhelm Dietzel
Ja Werner Dörflinger
der F.D.P. und des BÜNDNISSES 90/DIE
Hansjürgen Doss
GRÜNEN) Dr. Alfred Dregger
CDU/CSU Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, Ulrich Adam Rainer Eppelmann
Sie müssen eine Erklärung zur Abstimmung geben. Peter Altmaier Heinz Dieter Eßmann
Anneliese Augustin Horst Eylmann
Jürgen Augustinowitz Anke Eymer
Dietrich Austermann Ilse Falk
Norbert Otto (Erfu rt ) (CDU/CSU): Ich komme zu Heinz-Günter Bargfrede Dr. Kurt Faltlhauser
meinem letzten Satz. - Dennoch habe ich dem Ge- Franz Peter Basten Jochen Feilcke
setz zugestimmt, um die anderen notwendigen Ver- Dr. Wolf Bauer Dr. Karl H. Fell
änderungen zur Neugestaltung des Abgeordneten- Brigitte Baumeister Ulf Fink
gesetzes nicht zu verhindern. Ich verbinde allerdings Meinrad Belle Dirk Fischer (Hamburg)
damit die Hoffnung, daß der Bund seiner sozialen Dr. Sabine Bergmann-Pohl Leni Fischer (Unna)
Verantwortung für diese ausgeschiedenen Abgeord- Hans-Dirk Bierling Klaus Francke (Hamburg)
neten auch nachträglich nachkommt. Dr. Joseph-Theodor Blank Herbert Frankenhauser
Renate Blank Dr. Gerhard Friedrich
Vielen Dank. Dr. Heribert Blens Erich G. Fritz
Peter Bleser Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Norbe rt Blüm Michaela Geiger
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
Friedrich Bohl Norbe rt Geis
und der F.D.P. sowie der Abg. Andrea Lede Dr. Maria Böhmer Dr. Heiner Geißler
rer [PDS]) Jochen Borchert Michael Glos
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wilma Glücklich
-
Wolfgang Bosbach Dr. Reinhard Göhner
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Weitere schriftli- Dr. Wolfgang Bötsch Peter Götz
che Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung lie- Klaus Brähmig Dr. Wolfgang Götzer
gen von den Abgeordneten Friedhelm Julius Beu- Rudolf Braun (Auerbach) Joachim Gres
cher, Freimut Duve, Günter Gloser, Jürgen Koppelin, Paul Breuer Kurt-Dieter Grill
Uta Titze-Stecher, Horst Schmidbauer, Klaus Ba rthel, Monika Brudlewsky Wolfgang Gröbl
Hermann Scheer und Michael Müller vor. *) Georg Brunnhuber Hermann Gröhe
Klaus Bühler (Bruchsal) Claus-Peter Grotz
Hartmut Büttner Manfred Grund
s) Anlage 3 (Schönebeck) Horst Günther (Duisburg)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4629
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Carl-Detlev Dr. Manfred Lischewski Norbert Röttgen Matthias Wissmann
Freiherr von Hammerstein Wolfgang Lohmann Dr. Christian Ruck Simon Wittmann
Gottfried Haschke (Lüdenscheid) Volker Rühe (Tännesberg)
(Großhennersdorf) Julius Louven Dr. Jürgen Rüttgers Dagmar Wöhrl
Gerda Hasselfeldt Sigrun Löwisch Roland Sauer (Stuttga rt) Michael Wonneberger
Rainer Haungs Heinrich Lummer Ortrun Schätzle Elke Wülfing
Otto Hauser (Esslingen) Dr. Michael Luther Dr. Wolfgang Schäuble Peter Kurt Würzbach
Hansgeorg Hauser Erich Maaß (Wilhelmshaven) Hartmut Schauerte Cornelia Yzer
(Rednitzhembach) Heinz Schemken Wolfgang Zeitlmann
Dr. Dietrich Mahlo
Klaus-Jürgen Hedrich Karl-Heinz Scherhag Benno Zierer
Erwin Marschewski
Manfred Heise Gerhard Scheu Wolfgang Zöller
Günter Marten
Dr. Renate Hellwig Norbert Schindler
Dr. Martin Mayer Dietmar Schlee
Ernst Hinsken (Siegertsbrunn) Ulrich Schmalz SPD
Peter Hintze Wolfgang Meckelburg Bernd Schmidbauer
Josef Holle rith Rudolf Meinl Christian Schmidt (Fürth) Gerd Andres
Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Michael Meister Dr.-Ing. Joachim Schmidt Robert Antretter
Siegfried Hornung Dr. Angela Merkel (Halsbrücke) Hermann Bachmaier
Joachim Hörster Friedrich Merz Andreas Schmidt (Mülheim) Ernst Bahr
Hubert Hüppe Rudolf Meyer (Winsen) Hans-Otto Schmiedeberg Doris Barnett
Peter Jacoby Hans Michelbach Hans Peter Schmitz Wolfgang Behrendt
Susanne Jaffke Meinolf Michels (Baesweiler) Hans Berger
Georg Janovsky Dr. Gerd Müller Michael von Schmude Rudolf Bindig
Helmut Jawurek Elmar Müller (Kirchheim) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Ulrich Böhme (Unna)
Dr. Dionys Jobst Engelbert Nelle Dr. Andreas Schockenhoff Arne Börnsen (Ritterhude)
Michael Jung (Limburg) Bernd Neumann (Bremen) Dr. Rupert Scholz Anni Brandt-Elsweier
Ulrich Junghanns Reinhard Freiherr von Tilo Braune
Johannes Nitsch
Dr. Harald Kahl Schorlemer Dr. Eberhard Brecht
Claudia Nolte
Bartholomäus Kalb Dr. Erika Schuchardt Edelgard Bulmahn
Dr. Rolf Olderog
Steffen Kampeter Wolfgang Schulhoff Ursula Burchardt
Friedhelm Ost Dr. Dieter Schulte Hans Martin Bury
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Eduard Oswald
Manfred Kanther (Schwäbisch Gmünd) Hans Büttner (Ingolstadt)
Norbert Otto (Erfurt) Gerhard Schulz (Leipzig) Marion Caspers-Merk
Irmgard Karwatzki Dr. Gerhard Päselt
Volker Kauder Frederick Schulze Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Paziorek Diethard Schütze (Berlin) Peter Conradi
Peter Keller
Hans-Wilhelm Pesch Clemens Schwalbe Christel Deichmann
Eckart von Klaeden
Anton Pfeifer Dr. Christian Schwarz- Karl Diller
Dr. Bernd Klaußner
Angelika Pfeiffer Schilling Dr. Marliese Dobberthien
Hans Klein (München)
Dr. Gero Pfennig Wilhelm-Josef Sebastian Rudolf Dreßler
Ulrich Klinkert Horst Seehofer Freimut Duve
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Helmut Kohl Wilfried Seibel Peter Enders
Beatrix Philipp
Hans-Ulrich Köhler Heinz-Georg Seiffert Gernot Erler
Dr. Winfried Pinger
(Haitispitz) Rudolf Seiters Annette Faße
Ronald Pofalla
Manfred Kolbe Johannes Selle Elke Ferner
Norbert Königshofen Dr. Hermann Pohler
Ruprecht Polenz Bernd Siebert Lothar Fischer (Homburg)
Eva-Maria Kors Jürgen Sikora Gabriele Fograscher
Hartmut Koschyk Marlies Pretzlaff
Johannes Singhammer Iris Follak
Manfred Koslowski Dr. Albert Probst
Bärbel Sothmann Norbert Formanski
Thomas Kossendey Dr. Bernd Protzner Margarete Späte Dagmar Freitag
Rudolf Kraus Dieter Pützhofen Carl-Dieter Spranger Anke Fuchs (Köln)
Wolfgang Krause (Dessau) Thomas Rachel Wolfgang Steiger Katrin Fuchs (Verl)
Andreas Krautscheid Hans Raidel Erika Steinbach Arne Fuhrmann
Arnulf Kriedner Dr. Peter Ramsauer Dr. Wolfgang Freiherr von Monika Ganseforth
Heinz-Jürgen Kronberg Rolf Rau Stetten Iris Gleicke
Dr.-Ing. Paul Krüger Helmut Rauber Dr. Gerhard Stoltenberg Dr. Peter Glotz
Reiner Krziskewitz Peter Harald Rauen Andreas Storm Günter Graf (Friesoythe)
Dr. Hermann Kues Otto Regenspurger Max Straubinger Angelika Graf (Rosenheim)
Werner Kuhn Christa Reichard (Dresden) Michael Stübgen Dieter Grasedieck
Klaus Dieter Reichardt Egon Susset Achim Großmann
Karl Lamers
(Mannheim) Dr. Rita Süssmuth Hans-Joachim Hacker
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Bertold Reinartz Michael Teiser Klaus Hagemann
(Heidelberg)
Erika Reinhardt Dr. Susanne Tiemann Manfred Hampel
Dr. Norbe rt Lammert
Hans-Peter Repnik Dr. Klaus Töpfer Christel Hanewinckel
HelmutLap
Gottfried Tröger Alfred Hartenbach
Armin Laschet Roland Richter
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Klaus Hasenfratz
Herbert Lattmann Roland Richwien
Gunnar Uldall Dr. Ingomar Hauchler
Dr. Paul Laufs Dr. Norbert Rieder Dieter Heistermann
Wolfgang Vogt (Duren)
Karl-Josef Laumann Dr. Erich Riedl (München) Dr. Horst Waffenschmidt Rolf Hempelmann
Werner Lensing Klaus Riegert Dr. Theodor Waigel Dr. Barbara Hendricks
Christian Lenzer Dr. Heinz Riesenhuber Alois Graf von Waldburg-Ze il Monika Heubaum
Peter Letzgus Hannelore Rönsch Jürgen Warnke Dr. Reinhold Hiller (Lübeck)
Editha Limbach (Wiesbaden) Kersten Wetzel Stephan Hilsberg
Walter Link (Diepholz) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gerd Höfer
Eduard Lintner Dr. Klaus Rose Gert Willner Frank Hofmann (Volkach)
Dr. Klaus W. Lippold Kurt J. Rossmanith Bernd Wilz Ingrid Holzhüter
(Offenbach) Adolf Roth (Gießen) Willy Wimmer (Neuss) Erwin Horn
4630 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Eike Hovermann Gudrun Schaich-Walch Hanna Wolf (München) Wolfgang Schmitt
Lothar Ibrügger Dieter Schanz Heidi Wri ght (Langenfeld)
Wolfgang Ilte Rudolf Scharping Uta Zapf Waltraud Schoppe
Barbara Imhof Bernd Scheelen Dr. Christoph Zöpel We rn er Schulz (Ber li n)
Brunhilde Irber Dr. Hermann Scheer Peter Zumkley Rainder Steenblock
Gabriele Iwersen Siegf ri ed Scheffler Marina Steindor
Renate Jäger Horst Schild Chri stian Sterzing
Jann-Peter Janssen Otto Schily Nein Manfred Such
Ilse Janz Dieter Schloten Ludger Volmer
Dr. Uwe Jens Günter Schluckebier Helmut Wilhelm (Amberg)
Volker Jung (Düsseldorf) Ursula Schmidt (Aachen) SPD
Sabine Kaspereit Dagmar Schmidt (Meschede)
Susanne Kastner Wilhelm Schmidt (Salzgitter) F.D.P.
Klaus Barthel
Ernst Kastning Heinz Schmitt (Berg) Ing ri d Becker-Inglau
Hans-Peter Kemper Dr. Emil Schnell Hans-Werner Bertl Ina Albowitz
Klaus Kirschner Walter Schöler Friedhelm Julius Beucher Dr. Gisela Babel
Ma ri anne Klappe rt Ottmar Schreiner Peter Dreßen Hildebrecht Braun
Siegrun Klemmer Dr. Mathias Schube rt Ludwig Eich (Augsburg)
Hans-Ul ri ch Klose Richard Schuhmann Günther Bredehorn
Petra Ernstberger
Dr. Hans-Hin ri ch Knaape Jörg van Essen
(Delitzsch) Norbe rt Gansel
Walter Kolbow B ri gitte Schulte (Hameln) Gisela Frick
Konrad Gilges
Fri tz Rudolf Körper Reinhard Schultz Günter Gloser
Paul K. Friedhoff
Nicolette Kressl (Everswinkel) Horst F ri edri ch
Dr. Liesel Hartenstein
Volker Kröning Volkmar Schultz (Köln) Rainer Funke
Reinhold Hemker
Thomas Krüger Dr. R. Werner Schuster Dr. Wolfgang Gerhardt
Uwe Hiksch
Ecka rt Kuhlwein Dietmar Schütz (Oldenburg) Joachim Günther (Plauen)
Horst Kubatschka
Konrad Kunick Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Karlheinz Guttmacher
Werner Labsch
Christine Kurzhals Ernst Schwanhold Dr. Helmut Haussmann
Christa Lörcher
Dr. Uwe Küster Rolf Schwanitz Erika Lotz Ulrich Heinrich
B ri gitte Lange Bodo Seidenthal Herbe rt Meißner Walter Hirche
Detlev von Larcher Lisa Seuster Dr. Burkhard Hirsch
Gerhard Neumann (Gotha)
Waltraud Lehn Horst Sielaff Günter Oesinghaus
Birgit Homburger
Dr. Elke Leonhard Erika Simm Dr. Werner Hoyer
Dr. Edelbert Richter
Klaus Lohmann (Witten) Johannes Singer Dr. Hansjörg Schäfer Ulrich Irmer
Dr. Chri stine Lucyga Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Klaus Kinkel
Horst Schmidbauer
Dieter Maaß (He rn e) Detlef Kleinert (Hannover)
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Nürnberg)
Winfried Mante Wieland Sorge Roland Kohn
Regina Schmidt-Zadel
Dorle Marx Dr. Diet ri ch Sperling Dr. Heinrich L. Kolb
Gisela Schröter
Ulrike Mascher Jörg-Otto Spiller Jürgen Koppelin
Uta Titze-Stecher
Christoph Matschie Antje-Ma ri e Steen Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Ing ri d Matthäus-Maier Ludwig Stiegler Dr. Otto Graf Lambsdorff
Heide Mattischeck Dr. Peter Struck BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Heinz Lanfermann
Ulrike Mehl Joachim Tappe Sabine Leutheusser
Angelika Me rt ens Jörg Tauss Gila Altmann (Aurich) Schnarrenberger
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Bodo Teichmann Uwe Lühr
Elisabeth Altmann
Ursula Mogg Margitta Terborg Jürgen W. Möllemann
(Pommelsbrunn)
Siegmar Mosdorf Jella Teuchner Günther F ri ed ri ch Nolting
Marieluise Beck (Bremen)
Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Gerald Thalheim Volker Beck (Köln) Dr. Rainer Ortleb
Jutta Müller (Völklingen) Wolfgang Thierse Matthias Berninger Lisa Peters
Ch ri stian Müller (Zittau) Dietmar Thieser
Dr. Günter Rexrodt
Annelie Buntenbach
Ku rt Neumann (Berlin) Franz Thönnes Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Klaus Röhl
Volker Neumann (Bramsche) Adelheid Tröscher Dr. Uschi Eid Helmut Schäfer (Mainz)
Dr. Edith Niehuis Hans-Eberhard Urbaniak Cornelia Schmalz-Jacobsen
Andrea Fischer (Berlin)
Dr. Rolf Niese Siegfried Vergin Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Joseph Fischer (Frankfurt)
Do ri s Odendahl Günter Verheugen Rita G ri eßhaber Dr. Hermann Otto Sohns
Leyla Onur Ute Vogt (Pforzheim) Gerald Häfner Dr. Max Stadler
Manfred Opel Karsten D. Voigt (Frankfurt) Kristin Heyne Carl-Ludwig Thiele
Adolf Ostertag Josef Vosen Dr. Dieter Thomae
Ulrike Höfken
Ku rt Palis Hans Georg Wagner Jürgen Türk
Michaele Hustedt
Albrecht Papenroth Dr. Konstanze Wegner Dr. Wolfgang Weng
Dr. Manuel Kiper
Dr. Winf ri ed Penner Wolfgang Weiermann (Gerlingen)
Monika Knoche
Dr. Ma rt in Pfaff Reinhard Weis (Stendal) Dr. Angelika Köster-Loßack
Georg Pfannenstein Matthias Weisheit Steffi Lemke PDS
Dr. Eckha rt Pick Gunter Weißgerber Vera Lengsfeld
Joachim Poß Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Helmut Lippelt Wolfgang Bierstedt -
Rudolf Purps Jochen Welt Oswald Metzger Petra Bläss
Hermann Rappe Hildegard Wester Kerstin Müller (Köln) Eva Bulling-Schröter
(Hildesheim) Lydia Westrich Winfried Nachtwei Heinrich Graf von Einsiedel
Karin Rehbock-Zureich Inge Wettig-Danielmeier Christa Nickels Dr. Ludwig Elm
Margot von Renesse Dr. Norbe rt Wieczorek Ce rn Özdemir Dr. Dagmar Enkelmann
Renate Rennebach Helmut Wieczorek (Duisburg) Gerd Poppe Dr. Ruth Fuchs
Otto Reschke Heidemarie Wieczorek-Zeul Simone Probst Dr. Gregor Gysi
Bernd Reuter Dieter Wiefelspütz Dr. Jürgen Rochlitz Dr. Uwe-Jens Heuer
Günter Rixe Berthold Wittich Halo Saibold Stefan Heym
Reinhold Robbe Dr. Wolfgang Wodarg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Barbara Höll
Gerhard Rübenkönig Verena Wohlleben Rezzo Schlauch U ll a Jelpke
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4631
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Gerhard Jüttemann Enthalten mung verlangt. Sie wi ll über A rt . 1 Nr. 2 a bis c und
Dr. Heidi Knake-Werner Nr. 3 getrennt abstimmen lassen.
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz CDU/CSU (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Nein, wir
Andrea Lederer
waren jetzt in der Abstimmung! - Andrea
Dr. Christa Luft
Dr. Egon Jüttner Lederer [PDS]: Ich habe es vorher bean-
Ulrich Petzold tragt!)
Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda - Es ist zulässig, so zu verfahren; denn die Notiz hat
Manfred Müller (Berlin) SPD hier gelegen, allerdings nicht auf meinem Pult. Das
Rosel Neuhäuser heißt aber, daß sie hier oben angekommen ist.
Dr. Uwe-Jens Rössel Jelena Hoffmann (Chemnitz)
Christina Schenk Wolfgang Spanier Ich rufe jetzt A rt . 1 Nr. 2 a bis c auf. Wer stimmt da-
Steffen Tippach für? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - A rt . 1
Klaus-Jürgen Warnick
Nr. 2a bis c ist gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN angenommen.
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz Antje Hermenau Ich rufe jetzt A rt . 1 Nr. 3 auf. Wer stimmt dafür? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - A rt . 1 Nr. 3
Wir kommen jetzt wieder zum Entwurf zur Ände- ist bei Enthaltungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
rung des Abgeordneten- und Europaabgeordneten- und PDS angenommen.
gesetzes.
Ich rufe Art. 1 Nr. 4 auf. Wer stimmt für A rt . 1 Nr. 4
Ich rufe den Änderungsantrag der Abgeordneten in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? -
Peter Conradi, Norbe rt Gansel und weiterer Abge- Enthaltungen? - A rt . 1 Nr. 4 ist gegen die Stimmen
ordneter auf Drucksache 13/2343 auf. Hierzu von F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PDS und ei-
wurde zwischenzeitlich von den Fraktionen der nige Stimmen der SPD angenommen.
CDU/CSU und der SPD namentliche Abstimmung
verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und (Norbert Gansel [SPD]: Frau Präsidentin,
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze wieder ein- das gilt auch für die anderen Abstimmun-
zunehmen. gen!)

Ich eröffne die Abstimmung. - - Norbe rt Gansel, ich bitte Sie, dann auch in den
Block der SPD zu gehen. Ich habe es registriert: mit
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine einigen Stimmen der SPD.
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht
der Fa ll. Ich schließe die Abstimmung und bitte die (Zurufe von der SPD)
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
- Wir sind in der Abstimmung!
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
diesen Änderungsantrag hat auf die nun folgenden (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Keine
Einzelabstimmungen keinen Einfluß.) Wir können Kritik an der Präsidentin!)
deshalb mit den Abstimmungen über den Gesetzent- Ich rufe jetzt A rt . 1 Nr. 4 a auf. Wer stimmt dafür? -
wurf zur Änderung des Abgeordneten- und Euro- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen die
paabgeordnetengesetzes in der Ausschußfassung Stimmen der F.D.P. und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
fortfahren. NEN angenommen.
Ich bitte um die notwendige Ruhe; denn es gibt (Norbe rt Gansel [SPD]: Und?)
jetzt eine ganze Reihe getrennter Abstimmungen.
Die Fraktion der F.D.P. verlangt, über einzelne Vor- - Und der PDS und gegen einige Stimmen aus der
schriften getrennt abzustimmen. SPD.
Ich rufe A rt . 1 Nr. 1 auf. Wer stimmt für A rt . 1 Nr. 1 Ich rufe A rt . 1 Nr. 5 auf. Die Gruppe der PDS hat
in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthal- beantragt, über 5 a und 5 b und davon getrennt über
tungen? - A rt . 1 Nr. 1 ist gegen die Stimmen von 5 c abzustimmen. Also rufe ich A rt . 1 Nr. 5 a und 5 b
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P., PDS und zwei auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen?
Stimmen der SPD angenommen. - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenom-
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 auf. Ich bitte diejenigen, die men.
der aufgerufenen Vorschrift in der Ausschußfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer Ich rufe A rt . 1 Nr. 5 c auf. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei wenigen Ge- stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung
genstimmen, insbesondere der F.D.P., und einigen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenom-
Enthaltungen ist A rt . 1 Nr. 2 angenommen. men.
Ich rufe A rt . 1 Nr. 2 a bis 3 auf. Ich bitte diejenigen, Ich rufe A rt . 1 Nr. 6, 6a bis 6 c auf. Wer stimmt da-
die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Einen für? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ge-
Moment! Die Gruppe der PDS hat getrennte Abstim- gen einige Stimmen aus den Reihen der SPD bei Ent-
haltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS
*) Bekanntgabe des Ergebnisses Seite 4632 B angenommen.
4632 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Ich rufe Art . 1 Nr. 7 auf. Wer stimmt für die Nr. 7 in Gabriele Fograscher Albrecht Papenroth
der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Ent- Iris Follak Georg Pfannenstein
haltungen? - Gegen die Stimmen der F.D.P., von Dagmar Freitag Dr. Eckha rt Pick
Katrin Fuchs (Verl) Joachim Poß
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einige Stimmen aus Arne Fuhrmann Karin Rehbock-Zureich
den Reihen der SPD und der PDS angenommen. Monika Ganseforth Margot von Renesse
Norbert Gansel Renate Rennebach
Ich rufe Art . 1 Nr. 8 auf. Wer stimmt dafür? - Wer Iris Gleicke Otto Reschke
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung Günter Gloser Bernd Reuter
von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, einer Enthaltung Günter Graf (Friesoythe) Dr. Edelbert Richter
aus der SPD und gegen einige Stimmen aus der SPD Angelika Graf (Rosenheim) Reinhold Robbe
und der PDS angenommen. Dieter Grasedieck Gudrun Schaich-Walch
Achim Großmann Dieter Schanz
Ich rufe Art . 2 Nr. 1 auf. Wer stimmt für A rt . 2 Nr. 1 Hans-Joachim Hacker Bernd Scheelen
in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Klaus Hagemann Dr. Hermann Scheer
Enthaltungen? - Bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/ Manfred Hampel Siegfried Scheffler
DIE GRÜNEN, gegen die Stimmen der F.D.P. und der Christel Hanewinckel Horst Schild
Alfred Hartenbach Dieter Schloten
PDS und einige Stimmen der SPD angenommen. Dr. Liesel Hartenstein Günter Schluckebier
Ich rufe Art . 2 Nr. 2 auf. Wer stimmt für A rt . 2 Nr. 2 Dieter Heistermann Horst Schmidbauer
in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Reinhold Hemker (Nürnberg)
Rolf Hempelmann Ursula Schmidt (Aachen)
Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS gegen die Dr. Barbara Hendricks Dagmar Schmidt (Meschede)
Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Monika Heubaum Regina Schmidt-Zadel
F.D.P. sowie einige Stimmen aus der SPD angenom- Uwe Hiksch Heinz Schmitt (Berg)
men. Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Emil Schnell
Stephan Hilsberg Walter Schöler
Ich rufe Art . 2 Nr. 3, Art . 3, Einleitung und Über- Gerd Höfer Ottmar Schreiner
schrift auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Frank Hofmann (Volkach) Gisela Schröter
- Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion Ingrid Holzhüter Dr. Mathias Schube rt
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie einigen Enthal- Eike Hovermann Schuhmann Richard
tungen aus der SPD und der PDS angenommen. Lothar Ibrügger (Delitzsch)
Barbara Imhof Reinhard Schultz
Ich gebe das von den Schriftführern und Schrift- Brunhilde Irber (Everswinkel)
führerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Gabriele Iwersen Dr. R. Werner Schuster
Ilse Janz Dietmar Schütz (Oldenburg)
Abstimmung über den Änderungsantrag der Abge- Sabine Kaspereit Dr. Angelica Schwall-Düren
ordneten Peter Conradi, Norbe rt Gansel und weiterer Susanne Kastner Ernst Schwanhold
Abgeordneter auf Drucksache 13/2343 bekannt. Ab- Hans-Peter Kemper Rolf Schwanitz
gegebene Stimmen: 644. Mit Ja haben gestimmt: Klaus Kirschner Lisa Seuster
251; Marianne Klappert Horst Sielaff
Siegrun Klemmer Johannes Singer
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dr. Hans-Hin rich Knaape Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
PDS) Nicolette Kressl Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Thomas Krüger Wieland Sorge
mit Nein haben gestimmt: 377; Enthaltungen: 16. Der Horst Kubatschka Wolfgang Spanier
Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Eckart Kuhlwein Dr. Dietrich Sperling
Konrad Kunick Jörg-Otto Spiller
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Werner Labsch Antje-Marie Steen
Brigitte Lange Ludwig Stiegler
Detlev von Larcher Joachim Tappe
Endgültiges Ergebnis Doris Barnett Waltraud Lehn Margitta Terborg
Klaus Barthel Dr. Elke Leonhard Jella Teuchner
Abgegebene Stimmen: 641; Ingrid Becker-Inglau Klaus Lohmann (Witten) Dr. Gerald Thalheim
davon Wolfgang Behrendt Christa Lörcher Wolfgang Thierse
ja: 251 Hans-Werner Bertl Erika Lotz Dietmar Thieser
Friedhelm Julius Beucher Dr. Christine Lucyga Franz Thönnes
nein: 374 Rudolf Bindig Dorle Marx Uta Titze-Stecher
enthalten: 16 Dr. Ulrich Böhme (Unna) Ulrike Mascher Adelheid Tröscher
Anni Brandt-Elsweier Christoph Matschie Günter Verheugen
Dr. Eberhard Brecht Heide Mattischeck Ute Vogt (Pforzheim)
Ja Edelgard Bulmahn Ulrike Mehl Karsten D. Voigt (Frankfurt)
Hans Martin Bury Herbert Meißner Josef Vosen
Hans Büttner (Ingolstadt) Angelika Mertens Hans Georg Wagner
CDU/CSU Marion Caspers-Merk Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Konstanze Wegner
Wolf-Michael Catenhusen Ursula Mogg Reinhard Weis (Stendal)
Günter Marten Peter Conradi Siegmar Mosdorf Matthias Weisheit
Gerhard Schulz (Leipzig) Christel Deichmann Michael Müller (Düsseldorf) Gunter Weißgerber
Michael Teiser Karl Diller Jutta Müller (Völklingen) Ge rt Weisskirchen (Wiesloch)
Elke Wülfing Dr. Marliese Dobberthien Kurt Neumann (Berlin) Hildegard Wester
Peter Dreßen Dr. Edith Niehuis Inge Wettig-Danielmeier
Freimut Duve Doris Odendahl Heidemarie Wieczorek-Zeul
SPD Ludwig Eich Günter Oesinghaus Dieter Wiefelspütz
Gernot Erler Leyla Onur Berthold Wittich
Gerd Andres Petra Ernstberger Adolf Ostertag Dr. Wolfgang Wodarg
Ernst Bahr Elke Ferner Kurt Palis Verena Wohlleben
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4633

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Hanna Wolf (München) Heidemarie Lüth Dr. Gerhard Friedrich Dr. Karl A. Lamers
Heidi Wright Dr. Günther Maleuda Erich G. Fritz (Heidelberg)
Dr. Christoph Zöpel Manfred Müller (Berlin) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Norbert Lamme rt
Rosel Neuhäuser Michaela Geiger Laschet Armin
Dr. Uwe-Jens Rössel Norbert Geis Herbert Lattmann
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Christina Schenk Dr. Heiner Geißler Dr. Paul Laufs
Steffen Tippach Michael Glos Karl-Josef Laumann
Gila Altmann (Aurich) Klaus-Jürgen Warnick Wilma Glücklich Werner Lensing
Elisabeth Altmann Dr. Winfried Wolf Dr. Reinhard Göhner Christian Lenzer
(Pommelsbrunn) Gerhard Zwerenz Peter Götz Peter Letzgus
Marieluise Beck (Bremen) Dr. Wolfgang Götzer Editha Limbach
Volker Beck (Köln) Joachim Gres Walter Link (Diepholz)
Matthias Berninger Kurt-Dieter Grill Eduard Lintner
Annelle Buntenbach Nein WolfganGröb Dr. Klaus W. Lippold
Franziska Eichstädt-Bohlig Hermann Gröhe (Offenbach)
Dr. Uschi Eid Claus-Peter Grotz Dr. Manfred Lischewski
Andrea Fischer (Berlin) CDU/CSU Manfred Grund Wolfgang Lohmann
Joseph Fischer (Frankfurt) Horst Günther (Duisburg) (Lüdenscheid)
Rita Grießhaber Ulrich Adam Carl-Detlev Julius Louven
Gerald Häfner Peter Altmaier Freiherr von Hammerstein Sigrun Löwisch
Antje Hermenau Anneliese Augustin Gottfried Haschke Heinrich Lummer
Kristin Heyne Jürgen Augustinowitz (Großhennersdorf) Dr. Michael Luther
Ulrike Höfken Dietrich Austermann Gerda Hasselfeldt Erich Maaß (Wilhelmshaven)
Michaele Hustedt Heinz-Günter Bargfrede Rainer Haungs Dr. Dietrich Mahlo
Dr. Manuel Kiper Franz Peter Basten Otto Hauser (Esslingen) Erwin Marschewski
Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Wolf Bauer Hansgeorg Hauser Dr. Martin Mayer
Steffi Lemke Brigitte Baumeister (Rednitzhembach) (Siegertsbrunn)
Vera Lengsfeld Meinrad Belle Klaus-Jürgen Hedrich Wolfgang Meckelburg
Oswald Metzger Dr. Sabine Bergmann-Pohl Manfred Heise Rudolf Meinl
Kerstin Müller (Köln) Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Renate Hellwig Dr. Michael Meister
Winfried Nachtwei Renate Blank Ernst Hinsken Dr. Angela Merkel
Christa Nickels Dr. Heribert Blens Peter Hintze Friedrich Merz
Cern Özdemir Peter Bleser Josef Hollerith Rudolf Meyer (Winsen)
Gerd Poppe Dr. Norbe rt Blüm Dr. Karl-Heinz Hornhues Hans Michelbach
Simone Probst Friedrich Bohl Siegfried Hornung Meinolf Michels
Dr. Jürgen Rochlitz Dr. Maria Böhmer Joachim Hörster Dr. Gerd Müller
Halo Saibold Jochen Borchert Hubert Hüppe Elmar Müller (Kirchheim)
Irmingard Schewe-Gerigk Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Peter Jacoby Engelbert Nelle
Rezzo Schlauch Wolfgang Bosbach Susanne Jaffke Bernd Neumann (Bremen)
Wolfgang Schmitt Dr. Wolfgang Bötsch Georg Janovsky Johannes Nitsch
(Langenfeld) Klaus Brähmig Helmut Jawurek Claudia Nolte
Werner Schulz (Berlin) Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Dionys Jobst Dr. Rolf Olderog
Rainder Steenblock Paul Breuer Michael Jung (Limburg) Friedhelm Ost
Christian Sterzing Monika Brudlewsky Ulrich Junghanns Eduard Oswald
Manfred Such Georg Brunnhuber Dr. Egon Jüttner Norbe rt Otto (Erfurt)
Dr. Antje Vollmer Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Harald Kahl Dr. Gerhard Päselt
Ludger Volmer Hartmut Büttner Bartholomäus Kalb Dr. Peter Paziorek
Helmut Wilhelm (Amberg) (Schönebeck) Steffen Kampeter Hans-Wilhelm Pesch
Dankward Buwitt Dr.-Ing. Dietmar Kansy Anton Pfeifer
Manfred Carstens (Emstek) Manfred Kanther Angelika Pfeiffer
F.D.P. Peter Harry Carstensen Irmgard Karwatzki Dr. Gero Pfennig
(Nordstrand) Volker Kauder Dr. Friedbert Pflüger
Hildebrecht Braun Wolfgang Dehnel Peter Keller Beatrix Philipp
(Augsburg) Hubert Deittert Eckart von Klaeden Dr. Winfried Pinger
Jürgen Türk Gertrud Dempwolf Dr. Bernd Klaußner Ronald Pofalla
Albert Deß Hans Klein (München) Dr. Hermann Pohler
Renate Diemers Ulrich Klinkert Ruprecht Polenz
PDS Wilhelm Dietzel Dr. Helmut Kohl Marlies Pretzlaff
Werner Dörflinger Hans-Ulrich Köhler Dr. Albert Probst
Wolfgang Bierstedt Hansjürgen Doss (Hainspitz) Dieter Pützhofen
Petra Bläss Dr. Alfred Dregger Manfred Kolbe Thomas Rachel
Eva Bulling-Schröter Maria Eichhorn Norbert Königshofen Hans Raidel
Heinrich Graf von Einsiedel Wolfgang Engelmann Eva-Maria Kors Dr. Peter Ramsauer
Dr. Ludwig Elm Rainer Eppelmann Hartmut Koschyk Rolf Rau
Dr. Dagmar Enkelmann Heinz Dieter Eßmann Manfred Koslowski Helmut Rauber
Dr. Ruth Fuchs Horst Eylmann Thomas Kossendey Peter Harald Rauen
Dr. Gregor Gysi Anke Eymer Rudolf Kraus Otto Regenspurger
Dr. Uwe-Jens Heuer Ilse Falk Wolfgang Krause (Dessau) Christa Reichard (Dresden)
Dr. Barbara Höll Dr. Kurt Faltlhauser Andreas Krautscheid Klaus Dieter Reichardt
Ulla Jelpke Jochen Feilcke Arnulf Kriedner (Mannheim)
Gerhard Jüttemann Dr. Karl H. Fell Heinz-Jürgen Kronberg Dr. Bertold Reinartz
Dr. Heidi Knake-Werner Ulf Fink Dr.-Ing. Paul Krüger Erika Reinhardt
Rolf Köhne Dirk Fischer (Hamburg) Reiner Krziskewitz Hans-Peter Repnik
Rolf Kutzmutz Leni Fischer (Unna) Dr. Hermann Kues Roland Richter
Andrea Lederer Klaus Francke (Hamburg) Werner Kuhn Roland Richwien
Dr. Christa Luft Herbert Frankenhauser Karl Lamers Dr. Norbe rt Rieder
4634 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Dr. Erich Riedl (München) Alois Graf von Waldburg-Zeil F.D.P. Dr. Klaus Röhl
Klaus Riegert Dr. Jürgen Warnke Helmut Schäfer (Mainz)
Dr. Heinz Riesenhuber Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Ina Albowitz Cornelia Schmalz-Jacobsen
Hannelore Rönsch Gert Willner Dr. Gisela Babel Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
(Wiesbaden) Bernd Wilz Günther Bredehorn Dr. Hermann Otto Solms
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Willy Wimmer (Neuss) Jörg van Essen Dr. Max Stadler
Dr. Klaus Rose Matthias Wissmann Gisela Frick Carl-Ludwig Thiele
Kurt J. Rossmanith Simon Wittmann Paul K. Friedhoff Dr. Dieter Thomae
Adolf Roth (Gießen) (Tännesberg) Horst Friedrich
Norbert Röttgen Dagmar Wöhrl Rainer Funke
Dr. Christian Ruck Michael Wonneberger Dr. Wolfgang Gerhardt Enthalten
Volker Rühe Peter Ku rt Würzbach Joachim Günther (Plauen)
Dr. Jürgen Rüttgers Cornelia Yzer Dr. Karlheinz Guttmacher
Roland Sauer (Stuttga rt) Wolfgang Zeitlmann Dr. Helmut Haussmann CDU/CSU
Ortrun Schätzle Benno Zierer Ulrich Heinrich
Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Zöller Walter Hirche Hans-Dirk Bierling
Hartmut Schauerte Dr. Burkhard Hirsch Helmut Lamp
Heinz Schemken Birgit Homburger
Kersten Wetzel
Karl-Heinz Scherhag SPD Dr. Werner Hoyer
Gerhard Scheu Ulrich Irmer
Norbert Schindler Hans Berger Dr. Klaus Kinkel
SPD
Dietmar Schlee Arne Börnsen (Ritterhude) Detlef Kleinert (Hannover)
Ulrich Schmalz Tilo Braune Roland Kohn
Bernd Schmidbauer Rudolf Dreßler Robert Antretter
Dr. Heinrich L. Kolb
Christian Schmidt (Fürth) Annette Faße Hermann Bachmaier
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Joachim Schmidt Lothar Fischer (Homburg) Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Ursula Burchardt
(Halsbrücke) Norbert Formanski Dr. Otto Graf Lambsdorff Peter Enders
Andreas Schmidt (Mülheim) Anke Fuchs (Köln) Heinz Lanfermann Dr. Ingomar Hauchler
Hans-Otto Schmiedeberg Konrad Gilges Sabine Leutheusser- Jelena Hoffmann (Chemnitz)
Hans Peter Schmitz Dr. Peter Glotz Schnarrenberger Renate Jäger
(Baesweiler) Klaus Hasenfratz Uwe Lühr Dr. Uwe Jens
Michael von Schmude Erwin Horn Jürgen W. Möllemann Walter Kolbow
Birgit Schnieber-Jastram Wolfgang Ilte Günther Friedrich Nolting Christine Kurzhals
Dr. Andreas Schockenhoff Jann-Peter Janssen Dr. Rainer Ortleb Dr. Martin Pfaff
Dr. Rupe rt Scholz Volker Jung (Düsseldorf) Lisa Peters Günter Rixe
Reinhard Freiherr von Ernst Kastning Dr. Günter Rexrodt Dr. Bodo Teichmann
Schorlemer Hans-Ulrich Klose
Dr. Erika Schuchardt Fritz Rudolf Körper
Wolfgang Schulhoff Volker Kröning Ich stelle fest: Der Entwurf eines Gesetzes zur Än-
Dr. Dieter Schulte Dr. Uwe Küster derung des Abgeordnetengesetzes ist in der Aus-
(Schwäbisch Gmünd) Dieter Maaß (Herne) schußfassung in zweiter Beratung angenommen.
Frederick Schulze Winfried Mante
Diethard Schütze (Berlin) Ingrid Matthäus-Maier Wir kommen zur
Clemens Schwalbe Christian Müller
Dr. Ch ristian Schwarz- (Zittau)
dritten Beratung
Schilling Volker Neumann und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
Wilhelm Josef Sebastian (Bramsche) dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
Horst Seehofer Gerhard Neumann (Gotha)
Wilfried Seibel Dr. Rolf Niese ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Heinz-Georg Seiffert Manfred Opel Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der F.D.P. und
Rudolf Seiters Dr. Willfried Penner des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie einiger
Johannes Selle Rudolf Purps Stimmen aus der SPD und der PDS und einer Enthal-
Bernd Siebert Hermann Rappe tung bei der SPD angenommen.
Jürgen Sikora (Hildesheim)
Johannes Singhammer Gerhard Rübenkönig Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus-
Bärbel Sothmann Dr. Hansjörg Schäfer schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
Margarete Späte Rudolf Scharping ordnung zur Änderung der Geschäftsordnung und
Carl-Dieter Spranger Otto Schily des parlamentarischen Verfahrens. Das ist die Druck-
Wolfgang Steiger Wilhelm Schmidt
Erika Steinbach (Salzgitter)
sache 13/2342 Nr. 1. Dazu liegen drei Änderungsan-
Dr. Wolfgang Freiherr von Brigitte Schulte träge vor.
Stetten (Hameln)
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Dr. Gerhard Stoltenberg Volkmar Schultz (Köln)
Andreas Storm Bodo Seidenthal des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache
Max Straubinger Erika Simm 13/2371? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei eini-
Michael Stübgen Dr. Peter Struck gen Enthaltungen aus der PDS ist der Änderungsan-
Egon Susset Hans-Eberhard Urbaniak trag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Dr. Rita Süssmuth Siegfried Vergin NEN gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE
Dr. Susanne Tiemann Wolfgang Weiermann GRÜNEN abgelehnt.
Dr. Klaus Töpfer Jochen Welt
Gottfried Tröger Lydia Westrich Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Norbert Wieczorek des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache
Gunnar Uldall Helmut Wieczorek 13/2379? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Än-
Wolfgang Vogt (Duren) (Duisburg)
Dr. Horst Waffenschmidt Uta Zapf
derungsantrag ist gegen die Stimmen von BÜND-
Dr. Theodor Waigel Peter Zumkley NIS 90/DIE GRÜNEN und PDS abgelehnt.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4635
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wir kommen zum Änderungsantrag der Abgeord- Wer stimmt für die Beschlußempfehlung in der
neten Dieter Wiefelspütz, Andreas Schmidt (Mül- Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
heim) und Wilhelm Schmidt (Salzgitter) auf Drucksa- Bei Enthaltung der Fraktionen der F.D.P. und
che 13/2374, mit dem Nr. I 3 der Zusammenstellung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfeh-
der Beschlüsse des 1. Ausschusses geändert werden lung gegen die Stimmen der PDS angenommen wor-
soll. Es handelt sich um das Abstimmungsverfahren den.
bei Bezweifelung der Beschlußfähigkeit. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Der Unterrichtung zur Einsetzung einer Reform-
Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen der PDS kommission zur Größe des Deutschen Bundestages
ist der Änderungsantrag mit den sonstigen Stimmen auf Drucksache 13/2370 können Sie die Namen der
des Hauses angenommen. Mitglieder, der stellvertretenden Mitglieder und der
Sachverständigen entnehmen. Außerdem enthält die
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung mit der so- Unterrichtung eine Darstellung der Aufgaben der
eben angenommenen Änderung? - Gegenprobe! - Kommission, wie wir sie bereits am 29. Juni beschlos-
Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist die Be- sen haben. Die Fraktionen haben mich wissen las-
schlußempfehlung gegen die Stimmen von BÜND- sen, daß Herr Vizepräsident Klose den Vorsitz der Re-
NIS 90/DIE GRÜNEN angenommen. formkommission übernehmen soll. Ich gehe davon
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- aus, daß die Unterrichtung und der Vorschlag zum
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Vorsitz der Reformkommission zur Größe des Deut-
ordnung zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ schen Bundestages Ihre Zustimmung findet. - Das ist
DIE GRÜNEN zur Änderung der Geschäftsordnung der Fall.
auf Drucksache 13/2342 Nr. 3. Der Ausschuß emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2 abzulehnen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- schlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprü-
probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung fung, Immunität und Geschäftsordnung zu den Ver-
ist gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haltensregeln, Drucksache 13/834. Wer stimmt für
NEN und der PDS angenommen. diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- DIE GRÜNEN und eines Mitglieds der PDS ist diese
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Beschlußempfehlung mit den Stimmen des ganzen
ordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gysi, Hauses angenommmen worden.
Bierstedt, Bläss und weiterer Abgeordneter zur Än-
derung der Geschäftsordnung auf Drucksache 13/
2342 Nr. 4. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 19a bis
Drucksache 13/12 abzulehnen. Wer stimmt für die 19q sowie Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:
Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE 19. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung gegen die a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
Stimmen der PDS angenommen worden. rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- zes zu der Resolution vom 15. Januar 1992
ßungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache zur Änderung des Internationalen Über-
13/2375. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- einkommens vom 7. März 1966 zur Beseiti-
trag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthal- gung jeder Form von Rassendiskriminie-
tungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist rung und zu der Resolution vom 8. Sep-
der Entschließungsantrag mit den Stimmen des gan- tember 1992 zur Änderung des Überein-
zen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt kommens vom 10. Dezember 1984 gegen
worden. Folter und andere grausame, unmenschli-
che oder erniedrigende Behandlung oder
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- Strafe
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung zur Verkleinerung des Bundestages und zur - Drucksache 13/1883 —
Unterrichtung durch die Präsidentin des Deutschen
Überweisungsvorschlag:
Bundestages zur Einsetzung einer Reformkommis-
sion zur Größe des Deutschen Bundestages. Rechtsausschuß (federführend)
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
Zunächst kommen wir zur Beschlußempfehlung Union
des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung zur Verkleinerung des Bundesta- b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
ges, Drucksache 13/2342 Nr. 2. rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 18. April 1994
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion zwischen der Bundesrepublik Deutschland
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/2369 und dem Großherzogtum Luxemburg über
vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegen- den Autobahnzusammenschluß und den
probe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Frak- Bau einer Grenzbrücke über die Mosel im
tion der F.D.P. und der Gruppe der PDS ist dieser Än- Raum Perl und Schengen
derungsantrag gegen die Stimmen von der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt worden. - Drucksache 13/1885 -
4636 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Überweisungsvorschlag: derung des Gesetzes zur sozialen Absiche-
Ausschuß für Verkehr (federführend) rung des Risikos der Pflegebedürftigkeit
Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- - Drucksache 13/2207 -
heit
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordung (federführend)
c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Ausschuß für Fami lie, Senioren, Frauen und Jugend
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuß für Gesundheit
zes zu dem Abkommen vom 10. Juni 1993
zwischen der Regierung der Bundesrepu- i) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
blik Deutschland und der Regierung der brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
Ukraine über den Luftverkehr derung des Baugesetzbuchs

- Drucksache 13/1886 — - Drucksache 13/2208 —


Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Finanzausschuß (federführend)
Ausschuß für Wi rtschaft
d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
zes zu dem Protokoll vom 10. Mai 1984 zur heit
Änderung des Abkommens vom 7. De- j) Erste Beratung des von der Bundesregie-
zember 1944 über die Internationale Zivil- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
luftfahrt (9. Änderung des Abkommens zes über die Anpassung von Dienst- und
über die Internationale Zivilluftfahrt) Versorgungsbezügen in Bund und Ländern
- Drucksache 13/2044 — 1995 (Bundesbesoldungs- und -versor-
gungsanpassungsgesetz - BBVAnpG 95)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr - Drucksache 13/2210 -
e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Überweisungsvorschlag:
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Innenausschuß (federführend)
zes zu dem Vertrag vom 24. September Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
1992 zwischen der Bundesrepublik
k) Erste Beratung des von vom Bundesrat ein-
Deutschland und Jamaika über die gegen-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
seitige Förderung und den Schutz von Ka-
Änderung des Achten Buches Sozialgesetz-
pitalanlagen
buch und des Bundeserziehungsgeldgeset-
- Drucksache 13/2045 zes
—Überwisungvorschlag:
- Drucksache 13/2240 —
Ausschuß für Wirtschaft
Überweisungsvorschlag:
f) Erste Beratung des von der Bundesregie- Ausschuß für Fami li e, Senioren, Frauen und Jugend
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (federführend)
zes zu dem Vertrag vom 20. April 1993 zwi- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
schen der Bundesrepublik Deutschland
1) Erste Beratung des von den Fraktionen der
und der Republik Lettland über die Förde- CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten
rung und den gegenseitigen Schutz von
Entwurfs eines Dienstrechtlichen Begleitge-
Kapitalanlagen setzes im Zusammenhang mit dem Be-
- Drucksache 13/2046 — schluß des Deutschen Bundestages vom
Überweisungsvorschlag:
20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit
Deutschlands (Dienstrechtliches Begleitge-
Ausschuß für Wirtschaft
setz - DBeglG)
g) Erste Beratung des von der Bundesregie-
- Drucksache 13/2377 —
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Vertrag vom 2. April 1993 Überweisungsvorschlag:
zwischen der Bundesrepublik Deutschland Ältestenrat -
und der Republik Belarus über die Förde- Innenausschuß (Federführung strittig)
rung und den gegenseitigen Schutz von Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Haushaltsausschuß
Kapitalanlagen
m) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
- Drucksache 13/2047 —
Überweisungsvorschlag: Geplante Versenkung der Shell-Ölplatt-
Ausschuß für Wirtschaft form und glaubwürdiger europäischer
Nordseeschutz
h) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än - Drucksache 13/1738 -
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4637

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Auswärtiger Ausschuß (federführend)
heit (federführend) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Verkehr b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Die Lage der Bürger in Bosnien-Herzego-
n) Beratung des Antrags der Abgeordneten wina, Kroatien und Serbien und die Bedin-
Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs (Köln), gungen für die rasche Hilfe beim Wieder-
Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der aufbau nach einem Friedensschluß
Fraktion der SPD
- Drucksache 13/2378 —
Verlängerung des Veräußerungstermins Überweisungsvorschlag:
von nicht betriebsnotwendigen Vermö- Auswärtiger Ausschuß (federführend)
genswerten im Zusammenhang mit der Alt- Verteidigungsausschuß
schuldenregelung der Landwirtschaft in Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
den neuen Ländern
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen
- Drucksache 13/1772 —
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
Überweisungsvorschlag: zu überweisen. Bei Tagesordnungspunkt 191, Dienst-
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten rechtliches Begleitgesetz, ist die Federführung je-
(federführend) doch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
Haushaltsausschuß
SPD wünschen Federführung beim Ältestenrat,
o) Beratung des Antrags des Bundesministeri- die Fraktionen der F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE
ums der Finanzen GRÜNEN beim Innenausschuß. Wer stimmt für den
Überweisungsvorschlag der F.D.P. und des BÜND-
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundes- NISSES 90/DIE GRÜNEN? - Gegenprobe! - Enthal-
haushaltsordnung in die Veräußerung des tungen? - Der Überweisungsvorschlag ist gegen die
bundeseigenen Flugplatzes an die „Hol- Stimmen von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
ding Unternehmen Hahn GmbH & Co. KG" der F.D.P. abgelehnt.
- Drucksache 13/1897 — Wer stimmt für den Vorschlag der Fraktionen der
Überweisungsvorschlag: CDU/CSU und der SPD? - Gegenprobe! - Enthaltun-
Haushaltsausschuß gen? - Gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist der
p) Beratung des Antrags des Bundesministeri- Überweisungsvorschlag angenommen worden. Da-
ums der Finanzen mit liegt die Federführung beim Ältestenrat.
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundes- Die übrigen Vorlagen sollen wie in der Tagesord-
haushaltsordnung in die Veräußerung ei- nung angegeben überwiesen werden. Sind Sie damit
nes Grundstücks in Berlin einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
- Drucksache 13/2186 —
Überweisungsvorschlag: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20c bis 20k und
Haushaltsausschuß 11 auf:
q) Beratung des Antrags des Bundesministeri- 20. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
ums der Finanzen
c) Beratung der Beschlußempfehlung des
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundes- Rechtsausschusses (6. Ausschuß)
haushaltsordnung in die Veräußerung ei-
ner bundeseigenen Liegenschaft in Magde- zu den dem Deutschen Bundestag zugelei-
burg ( „Schroteplatz" ) an das Land Sach- teten Streitsachen vor dem Bundesverfas-
sen-Anhalt sungsgericht
Übersicht 1
- Drucksache 13/2224 —
- Drucksache 13/1882 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß Berichterstattung:
-
Abgeordneter Horst Eylmann
ZP5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Gerd Poppe, Dr. Helmut Lippelt, Waltraud d) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Schoppe, weiterer Abgeordneter und der Berichts des Ausschusses für Umwelt, Na-
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN turschutz und Reaktorsicherheit (16. Aus-
schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun-
Voraussetzungen und Perspektiven einer desregierung
Verhandlungslösung für das ehemalige Ju-
goslawien Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi
schen Parlaments und des Rates über An
- Drucksache 13/2362 - forderungen im Hinblick auf die Ener-
4638 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


gieeffizienz von elektrischen Haushalts- i) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti-
kühl- und -gefriergeräten und entspre- tionsausschusses (2. Ausschuß)
chenden Kombinationen
Sammelübersicht 57 zu Petitionen
- Drucksachen 13/1096 Nr. 2.6, 13/1923 -
- Drucksache 13/2272 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbe rt Rieder j) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti-
Klaus Lennartz tionsausschusses (2. Ausschuß)
Michaele Hustedt Sammelübersicht 58 zu Petitionen
Dr. Rainer Ortleb
- Drucksache 13/2273 -
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für die Angele- k) Beratung der Beschlußempfehlung des Aus-
genheiten der Europäischen Union schusses für Wahlprüfung, Immunität und
(22. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch Geschäftsordnung (1. Ausschuß)
die Bundesregierung
Antrag auf Genehmigung zur Durchfüh
54. Bericht der Bundesregierung über die rung eines Privatklageverfahrens
Integration der Bundesrepublik Deutsch-
land in die europäische Union (Berichts- - Drucksache 13/2281 -
zeitraum: 1. Januar bis 30. Juni 1994) Berichterstattung:
- Drucksachen 13/77, 13/342 Nr. 4, Abgeordneter Dr. Berthold Reinartz
13/1957 - 11. Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
Berichterstattung:
(3. Ausschuß)
Abgeordnete Friedrich Merz
Heidemarie Wieczorek-Zeul - zu dem Antrag der Abgeordneten Ma ri
Christian Sterzing luise Beck (Bremen), Angelika Beer,
Dr. Helmut Haussmann Dr. Helmut Lippelt, Gerd Poppe und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Sicherstellung der Humanitären Hilfe für
schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- Bosnien-Herzegowina
desregierung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika
Vorschlag für eine Verordnung des Rates Beer, Dr. Helmut Lippelt, Gerd Poppe und
zur Festlegung der Fälle, in denen eine Be- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
freiung von Einfuhr- und Ausfuhrabgaben
gewährt werden kann Stärkeres politisches Engagement der Bun-
desrepublik Deutschland in Bosnien-Her-
- Drucksachen 13/725 Nr. 68, 13/2174 - zegowina
Berichterstattung: - Drucksachen 13/1015, 13/1252, 13/1881 -
Abgeordnete Detlev von Larcher
Heinz-Georg Seiffert Berichterstattung:
Abgeordnete Ch ristian Schmidt (Fürth)
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Freimut Duve
Berichts des Ausschusses für Ernährung, Gerd Poppe
Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) Ulrich Irmer
zu der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung Tagesordnungspunkt 20 c: Beschlußempfehlung
des Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bun-
Vorschlag für eine Verordnung des Rates desverfassungsgericht, Drucksache 13/1882. Das ist
über das Verbot der Verwendung bestimm- Übersicht 1. Wer stimmt für die Beschlußempfeh-
ter Stoffe mit hormonaler bzw. thyreostati- lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthal-
scher Wirkung und von Beta-Agonisten in tung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die
der tierischen Erzeugung Beschlußempfehlung angenommen worden.
e--
- Drucksachen 13/725 Nr. 112, 13/2259 - Tagesordnungspunkt 20 d: Beschlußempfehlung
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-
Berichterstattung: torsicherheit zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Abgeordnete Ulrike Höfken Europäischen Parlaments und des Rates über Anfor-
derungen an die Energieeffizienz von elektrischen
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti-
Kühlgeräten, Drucksache 13/1923. Wer stimmt für
tionsausschusses (2. Ausschuß)
diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
Sammelübersicht 56 zu Petitionen tungen? - Bei einigen Enthaltungen aus den Reihen
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die Be-
- Drucksache 13/2271- schlußempfehlung angenommen worden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4639
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Tagesordnungspunkt 20 e: Beschlußempfehlung - Das war so verabredet. Deswegen gibt es keinen
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Euro- Grund zum Staunen.
päischen Union über die Integration der Bundesrepu-
blik Deutschland in die Europäische Union, Drucksa- Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
che 13/1957. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- Befragung der Bundesregierung
schlußempfehlung ist einstimmig angenommen wor- Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen
den. Kabinettsitzung mitgeteilt: Aufstiegsfortbildungs-
Tagesordnungspunkt 20 f: Beschlußempfehlung Förderungsgesetz, Verhandlungsziel der Bundesre-
des Finanzausschusses zu dem Vorschlag für eine gierung auf der Konferenz zur Überprüfung des UN-
Verordnung des Rates zur Befreiung von Einfuhr- Waffenübereinkommens.
und Ausfuhrabgaben, Drucksache 13/2174. Wer Das Wort für den einleitenden Be richt hat der Bun-
stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- desminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung
probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers. Bitte, Herr Mi-
ist einstimmig angenommen worden. nister.
Tagesordnungspunkt 20 g: Beschlußempfehlung
des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung,
Forsten zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Wissenschaft, Forschung und Technologie: Frau Prä-
Rates über das Verbot bestimmter Stoffe in der tieri- sidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will
schen Erzeugung, Drucksache 13/2259. Wer stimmt Ihne,FrauPäsidt ücklhregbn.
für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Ent- Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben be-
haltungen? - Gegen die Stimmen der Fraktion wußt eine Steigerung in der Tagesordnung vorgese-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfeh- hen. Deshalb berichte ich jetzt über den Beschluß
lung angenommen worden. des Bundeskabinetts, das heute den Entwurf eines
Gesetzes zur Förderung der beruflichen Aufstiegs-
Tagesordnungspunkt 20h bis 20j: Beschlußemp- fortbildung verabschiedet hat.
fehlungen des Petitionsausschusses auf den Druck-
sachen 13/2271 bis 13/2273. Das sind die Sammel- Fachkräfte, die an Maßnahmen der beruflichen
übersichten 56 bis 58. Wer stimmt für diese Beschluß- Aufstiegsfortbildung teilnehmen, sollen ab dem
empfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - 1. Januar 1996 staatliche Zuschüsse und zinsgünstige
Bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bankdarlehen erhalten.
NEN und der Gruppe der PDS sind die Beschluß- (Günter R ixe [SPD]: 8 %! - Weiterer Zuruf
empfehlungen angenommen worden. von der SPD: 8,5 % bei jeder Sparkasse!)
Tagesordnungspunkt 20 k: Beschlußempfehlung Damit haben wir die Ankündigungen der Koalitions-
des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und vereinbarung und der Regierungserklärung des Bun-
Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmi- deskanzlers vom 23. November 1994 zügig umge-
gung zur Durchführung eines Privatklageverfahrens, setzt.
Drucksache 13/2281. Wer stimmt für die Beschluß-
empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Werte Kolleginnen und Kollegen, ich wi ll aus-
Enthaltung der Gruppe der PDS und einer Enthal- drücklich darauf hinweisen, daß dieses Gesetz zur
tung aus der Fraktion der SPD ist die Beschlußemp- Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung nach
fehlung angenommen. heutigem Stand das erste und einzige neue Lei-
stungsgesetz in dieser Legislaturpe riode ist.
Tagesordnungspunkt 11: Beschlußempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu den Anträgen der Frak- (Franz Thönnes [SPD]: Reparaturgesetz!)
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Sicherstellung Deshalb bin ich dem Finanzminister dankbar, daß es
der Humanitären Hilfe für Bosnien-Herzegowina und möglich war, dieses Gesetz im Kabinett so zügig zu
zum stärkeren politischen Engagement der Bundes- beschließen. Ich knüpfe daran die Hoffnung, daß es
republik Deutschland in Bosnien-Herzegowina, zu einer sehr zügigen parlamentarischen Beratung
Drucksache 13/1881. Der Ausschuß empfiehlt, die kommt, und bin sicher, daß diese Hoffnung im Bun-
Anträge auf den Drucksachen 13/1015 und 13/1252 destag erfüllt wird. Ich hoffe, daß auch der Bundesrat
zusammenzufassen und in der Ausschußfassung an- seine Beratungen zügig führen kann, weil nach dem
zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Willen der Bundesregierung dieses Gesetz zum
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthal- 1. Januar 1996 in Kraft treten soll.
tung der Gruppe der PDS und einer Enthaltung aus
der Fraktion der CDU/CSU ist die Beschlußempfeh- Dies ist nicht nur ein politisch festgesetztes Datum.
lung mit den übrigen Stimmen des Hauses angenom- Vielmehr ergibt es sich aus der Notwendigkeit, den
men worden. Damen und Herren, die jetzt die Meisterkurse oder
Kurse für mittlere Führungskräfte machen wollen,
Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. rasch Sicherheit zu geben, damit die notwendigen
Ich bin erstaunt, aber im Programm steht jetzt „Be- Anmeldungen zu den Kursen erfolgen.
fragung der Bundesregierung".
Meine Damen und Herren, wir erwarten, daß rund
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Die Tagesordnung 90 000 Teilnehmer an dieser Aufstiegsfortbildung ge-
ist so verabredet!) fördert werden. Wir gehen davon aus, daß von diesen
4640 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers


90 000 Geförderten rund 20 000 ein Unternehmen tionierende und attraktive Aufstiegsfortbildung ge-
gründen werden. Damit werden allein im Grün- geben hat, die von dieser Bundesregierung abge-
dungsjahr rund 60 000 neue Arbeitsplätze geschaf- schafft worden ist, und daß es nicht so ist, wie es
fen. Mittelfristig wird die Zahl weit darüber liegen. heute morgen in einem Debattenbeitrag zur Mittel-
standspolitik anklang, nämlich daß es sich hierbei
Ich will darauf hinweisen, daß im ersten Jahr für
um eine revolutionäre Erneuerung handele, sondern
das Gesetz rund 155 Millionen DM bereitgestellt
daß die jetzigen Regelungen noch weit hinter den
werden sollen. Wenn man den gesamten Finanzie- bisherigen AFG-Regelungen zurückbleiben.
rungszeitraum in der mittelfristigen Finanzplanung
zugrunde legt, werden hierfür Mittel in Höhe von (Zuruf von der SPD: Sehr richtig! - Konrad
rund 1,1 Milliarden DM eingesetzt. Rechnet man die Gilges [SPD]: Schlechte Revision!)
Zuschüsse und die Bankdarlehen zusammen, er-
reicht man pro Jahr eine Förderung in Höhe von Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister
1 Milliarde DM. Ich sage dies deshalb, weil sich diese Rüttgers, bitte.
Beträge sehen lassen können und sicherstellen, daß
die Geförderten die notwendige finanzielle Unter-
stützung für ihren Lebensunterhalt bekommen. Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Technologie: Herr Ab-
Die Bundesregierung hat nach der Anhörung der geordneter, erstens möchte ich darauf hinweisen,
Verbände und Länder die Fördersätze noch einmal daß die Bundesregierung, wie sie es immer tut, ange-
erhöht. Es ist jetzt vorgesehen, daß ein Alleinstehen- boten hat, unmittelbar nach der Kabinettsitzung hier
der 373 DM Zuschuß und 672 DM Bankdarlehen er- im Bundestag zur Regierungsbefragung zur Verfü-
hält, daß Verheiratete insgesamt 1 465 DM erhalten gung zu stehen. Die Bundesregierung hat leider kei-
und pro Kind weitere 250 DM gezahlt werden. nen Einfluß auf die Gestaltung der Tagesordnung
des Deutschen Bundestages.
Im Hinblick auf den Zuschuß zu den Prüfungsko-
sten und den Teilzeitkosten bleibt es bei der Exi- (Dr. Peter Glotz [SPD]: Was heißt hier „lei-
stenzgründungskomponente, d. h., es findet ein der"?)
Schuldenerlaß statt, wenn sich jemand anschließend
selbständig macht. Insofern bitte ich um Nachsicht. Ich stehe natürlich
jederzeit zur Verfügung, wenn der Deutsche Bundes-
Ich will zusammenfassen: Mit diesem Gesetz wird tag dies will. Das war nach dem Beschluß des Bun-
erstmalig in einem eigenständigen Bundesgesetz die destages zu dieser Minute der Fall.
Förderung der Aufstiegsfortbildung umfassend gere-
gelt. Auf die Leistungen besteht ein Rechtsanspruch. Zweitens. Es hat zu einem früheren Zeitpunkt eine
Die Förderung wird aus Steuermitteln finanziert. Das Förderung im Rahmen des Arbeitsförderungsgeset-
Gesetz ist in Anlehnung an das Bundesausbildungs- zes gegeben, die sich allerdings, Herr Abgeordneter,
förderungsgesetz konzipiert. Das heißt konkret: Die in wesentlichen Punkten von dem jetzigen Meister-
Förderung ist abhängig vom Einkommen und vom BAföG unterscheidet. Dies ist auch von den Verbän-
Vermögen des Geförderten. Wie auch beim BAföG den, etwa vom Zentralverband des Deutschen Hand-
jetzt vorgesehen, erfolgt die Förderung teilweise in werks und vom Deutschen Indust rie- und Handels-
Form von verzinslichen Bankdarlehen. Der besonde- tag, ausdrücklich betont worden. Das eine war ein
ren Lebenssituation der Geförderten entsprechend Gesetz im Rahmen des AFG, das in andere Förder-
ist die Leistung zum Lebensunterhalt bei Vollzeit- maßnahmen eingebunden war. Jetzt handelt es sich
maßnahmen nach Familienstand und Familiengröße um ein eigenständiges Gesetz mit einem eigenstän-
gestaffelt. digen Rechtsanspruch.,

Frau Präsidentin, das war der Be richt der Bundes- Ich will auf einen Unterschied hinweisen - es gibt
regierung. noch andere -: Wir erreichen damit, daß nicht indi-
rekt die Lohnkosten erhöht werden, weil es sich nicht
mehr um eine Versicherungsleistung handelt, son-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön. dern in diesem Fall ganz konkret um eine Maß-
nahme, die aus Steuergeldern bezahlt wird.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich
zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Bitte. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Franz Thönnes (SPD): Bei aller Liebe zu der zentra- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Möchten Sie
len Bedeutung dieses Themas liegt mir die Frage auf noch eine Zusatzfrage stellen? - Bitte, Herr Thönnes.
der Zunge, ob den Abgeordneten dieses Hauses in -
Zukunft vielleicht empfohlen werden sollte, eher in Franz Thönnes (SPD): Herr Minister, ist es neben
die Pressekonferenzen der Minister zu gehen, als in der Tatsache, daß das Abhalten von Pressekonferen-
einer später stattfindenden Fragerunde dazu hier so- zen, insbesondere was die Variabilität angeht, natür-
zusagen kalten Kaffee serviert zu bekommen. lich in der Gewalt der Regierung liegt, richtig, daß
(Beifall bei der SPD) dem zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundes-
tages im Moment eine Finanzierungsgröße vorliegt,
Ich will diese Frage aber nicht stellen, sondern die nicht mit der Höhe des Finanzbedarfes überein-
mich auf den Minister konzentrieren und ihn fragen, stimmt, der Ihrerseits gegenüber der Presse erläutert
ob er mir zustimmen kann, daß es bereits eine funk worden ist? Ist es, ergänzend dazu, auch richtig, daß
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4641
Franz Thönnes
die Frage der Finanzierung mit den Ländern noch Erstausbildungsgesetz konzipiert wurde und die be-
nicht geklärt ist? Was wollen Sie eigentlich tun, wenn rufliche Erstausbildung darauf beruht, daß Auszubil-
sich die Länder nicht an der Finanzierung beteiligen? dende eine Ausbildungsvergütung von seiten des Ar-
beitgebers, der Wi rt schaft, erhalten.

Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, Wie kommen Sie zu Ihrer hier geäußerten Zuver-
Wissenschaft, Forschung und Technologie: Herr Ab- sicht, es sei selbstverständlich, daß die Länder sich
geordneter Thönnes, ich bedaure, Ihnen widerspre- daran beteiligen? Diese Selbstverständlichkeit ist
chen zu müssen. Auch die Frage, wann Pressekonfe- noch nicht gegeben.
renzen stattfinden, liegt nicht im Belieben der Bun- Ich habe noch eine zweite Frage, die sich vielleicht
desregierung, sondern im Belieben der Bundespres- gleich anschließen läßt. Sie hat noch mit der Abwick-
sekonferenz, die, wie Sie wissen, ein eigenständiger lung zu tun - ganz abgesehen davon, was entsteht,
Verein ist und die Termine festlegt. wenn man die Zinsen hochrechnet. Ich habe mich
selbst einmal selbständig gemacht. Daß man zwei
Zum zweiten ist es so, daß die Summen, die ich
Jahre lang Zinsfreiheit hat, ist schön. Aber ins Rut-
hier genannt habe, mit denen identisch sind, die dem
schen kommt ein junger Bet ri eb, wenn er einigerma-
Deutschen Bundestag im Haushaltsplan vorliegen.
ßen seriös anfängt, nicht im ersten Jahr. Im zweiten
Dabei handelt es sich zum einen um die Aufteilung
Jahr kann man es manchmal absehen. Ins Rutschen
für dieses Jahr, die Sie im zweiten Teil Ihrer Frage kommt er dann im dritten und vierten Jahr. Ich
angesprochen haben: 65 % Bund, 35 % Länder. Zum würde sehr gern hören, welche Regelungen Sie dafür
anderen habe ich auf die Summe im Finanzpla-
vorsehen wollen.
nungszeitraum hingewiesen. Das waren, wenn ich es
richtig im Kopf habe, 1,1 Milliarden DM. Die Summe,
die sich aus Darlehen und den Zuschüssen, die etati- Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung,
siert sind, ergibt, beträgt diese 1 Milliarde DM, die Wissenschaft, Forschung und Technologie: Zur er-
zur Verfügung steht. Das ist auch so im Haushalt nie- sten Frage nach dem prognostizie rt en Verhalten der
dergelegt. Bundesländer, Frau Odendahl. Mein Optimismus be-
ruht einfach darauf, daß ich die Erklärungen der Län-
Zu der Frage, die sich auf die Länder bezog. Ich der ernst nehme. Ich kann mir nicht vorstellen, daß
habe eben eine Bemerkung im Hinblick auf den Bun- sie zu einem zwiespältigen Verhalten neigen. Wenn
desrat gemacht. Es hat natürlich auch Gespräche mit ich für die Aufstiegsfortbildung bin, kann ich mich
Landesregierungen gegeben. Ich gehe davon aus, nicht verweigern; und wenn ich für die Gleichbe-
daß es im Rahmen des parlamentarischen Verfah- rechtigung von beruflicher und akademischer Aus-
rens, d. h. im Bundesrat, zu einer Zustimmung bildung bin, kann ich mich auch nicht verweigern.
kommt. Sie selber haben dankenswerterweise darauf Ich kann dann nicht dagegen sein, daß wir dieses
hingewiesen, daß das gesetzgeberische Ziel hier im Gesetz so konzipiert haben, wie dies auch im Bereich
Hause weitgehend unstreitig ist. Es gibt eine Viel- des studentischen BAföGs kommen wird.
zahl von Landesregierungen - ich darf etwa an die
niedersächsische erinnern -, die durch eigene An- Der zweite Punkt ist die Frage der Belastung. Wir
träge im Bundesrat initiativ geworden sind. Wenn ei- haben ja nicht nur einen relativ günstigen Zinssatz
ner Landesregierung das Thema der Aufstiegsförde- ermöglicht.
ru ng so am Herzen liegt, dann kann ich mir nicht vor- (Doris Odendahl [SPD]: Günstig?)
stellen, daß sie sich weige rt , an der Finanzierung mit-
wirken zu dürfen. Ihnen geht es um die Belastung in den ersten Jahren,
und das Wichtigste ist: Wenn Sie von einem varia-
(Franz Thönnes [SPD]: Ein gutes Vorstel blen Zinssatz von 6 % beim heutigen Stand ausge-
lungsvermögen!) hen, würde sich im Vollzeitfall, also bei einem Darle-
hen für Lebensunterhalt und Maßnahmekosten von
18 000 DM, bei einer Rückzahlungsdauer von sieben
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat das Jahren und sechs Monaten die monatliche Rate auf
Wo rt die Kollegin Odendahl. 250 DM belaufen. Auch im Teilzeitfall würde ein ent-
sprechender Betrag bei einer Rückzahlungszeit von
drei Jahren und sechs Monaten erreicht.
Doris Odendahl (SPD): Herr Minister, nachdem Sie
das Ziel erläutert haben, gehe ich denn doch davon Ich glaube nicht, daß man davon ausgehen kann,
aus, daß man durchaus im Ziel übereinstimmen daß bei einer Summe von 250 DM monatlich eine
kann, aber vielleicht über den Weg verschiedener Existenzgründung gefährdet wäre, vor allem, wenn -
Meinung ist. Kommen wir jetzt einmal auf die Ver- man dann noch einrechnet, daß ein Teil dieser Be-
schiedenheit. träge im Existenzgründungsfall erlassen werden
kann.
In Ihrem Statement führen Sie - vom Ziel abgese-
hen - aus, daß Sie es für selbstverständlich halten,
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Als nächster er-
daß sich die Länder wie beim BAföG mit 35 % an den
hält Kollege Rixe das Wo rt .
Kosten beteiligen. Nun ist Ihnen aber, obwohl Sie
noch nicht so sehr lange in Ihrer Position als Bil-
dungs- und Forschungsminister sind, doch bekannt, Günter Rixe (SPD): Herr Minister, es ist ja nun
daß BAföG - die Bundesausbildungsförderung - als doch wahr geworden, was wir immer befürchtet ha-
4642 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Günter Rixe
ben und was ich hier auch einmal gesagt habe: daß Herr Kollege Rixe, das ist eine Frage, die wir an-
es nun wirklich ein BAföG-Gesetz für Meister bei der hand der Zahlen durchgehen müssen. Es ist eine
Aufstiegsförderung ist. sehr günstige Sache. Ich darf darauf hinweisen und
würde Sie bitten, das einmal zu bedenken, weil ich
Beantworten Sie mir doch bitte folgende Frage. weiß, daß Sie ein nachdenklicher Mann sind:
Wenn ich die Zahlen sehe und eine zweijährige Voll-
ausbildung in der Aufstiegsförderung nehme, stelle (Günter Rixe [SPD]: Das machen wir im
ich fest, daß der Betreffende nach Ihren Vorstellun- Ausschuß!)
gen 35 000 DM Darlehen nehmen muß, nämlich
20 000 DM für die Lehrgänge und alles, was dazuge- Es kann für diejenigen, die das bet rifft, nicht völlig
hört, und 14 000 DM für die zwei Jahre, weil Sie ja uninteressant sein, wenn der Zentralverband des
nur 337 DM pro Monat an Zuschuß zahlen. Deutschen Handwerks, wenn der Deutsche Indu-
strie- und Handelstag, wenn die anderen Organisa-
Er bekäme dann in den zwei Jahren 35 000 DM tionen aus diesem Bereich, wenn die Bildungsorgani-
Darlehen zu Zinsen von 6 bis 8 %. Ob die günstiger sationen nach der Anhörung diese Lösung in vollem
sind als bei der Sparkasse, weiß ich nicht; denn ich Umfang begrüßen. Ich kann mir auch nicht vorstel-
bekomme heute schon normale Zinsen bei der Spar- len, daß die SPD wirklich wieder eine Position ein-
kasse von 6,8 %, da muß ich nicht zur Ausgleichs- nehmen will, die jenseits a ller Stellungnahmen der
bank gehen. Er bekommt 9 000 DM Zuschuß. gesellschaftlichen Gruppen ist.

Woher soll denn dann noch das Interesse kommen,


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich rufe jetzt die
sich überhaupt diesem Papierkrieg auszusetzen? Er
Frage des Kollegen Peter Glotz auf.
kann auch die letzten 8 000 DM bei der Bank aufneh-
men und seine Meisterprüfung machen. Sie schrei-
ben in dem Papier, daß es 200 000 Meister im Hand- Dr. Peter Glotz (SPD): Herr Bundesminister, auch
werk gibt; da soundsoviel Bet riebe schließen, sind es wir haben eine Anhörung gemacht, bei der alle Ver-
also noch Meistersöhne. Ich würde meinem Sohn ra- bände anwesend waren. In unserer Anhörung haben
ten: Gehe dort gar nicht erst hin, lasse es Dir gar all diese Verbände, darunter viele, die Ihnen näher-
nicht erst ausfüllen, sondern gehe gleich zur Bank! stehen als den Sozialdemokraten, klipp und klar ins-
Sehen Sie in diesem Programm eigentlich noch eine besondere die geplanten Größenordnungen kriti-
Zukunft? siert, und zwar ganz im Sinne der Frage, die der Kol-
lege Rix e gerade gestellt hat. Darf ich Sie fragen:
Halten Sie die Feststellung aufrecht, daß alle großen
Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, Verbände den Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt,
Wissenschaft, Forschung und Technologie: Ich be- begrüßt haben?
dauere, Herr Kollege R ixe, Ihre Frage kann ich nicht
beantworten.
Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung,
(Günter Rixe [SPD]: Das habe ich mir ge Wissenschaft, Forschung und Technologie: Ja, die
dacht!) halte ich aufrecht, Herr Kollege Glotz, wobei Ihr Zitat
auf einer früheren Vorlage beruht, als die Beträge
- Das hat einfach damit zu tun, daß ich Ihre Zahlen noch niedriger waren.
nicht nachvollziehen kann. Ich bin gerne bereit, mich
irgendwann mit Ihnen hinzusetzen und das noch ein- Es gibt einen zweiten Aspekt - das habe ich bei
mal durchzurechnen. Ich bin mir ganz sicher, daß wir den verschiedenen Debatten zu diesem Thema schon
dann auch zu übereinstimmenden Zahlen kommen. betont -: Man kann sich natürlich bei jedem Lei-
Die Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe, stehen stungsgesetz vorstellen, daß die Leistungen noch
so, sind anders. Insofern kann ich es wirklich nicht größer sind. Das ist eine alte Erfahrung. Das ist der
nachvollziehen. Unterschied zwischen dem Spatz in der Hand und
der Taube auf dem Dach. Ich finde es wichtig, daß es
Wenn ich Ihre Frage auf einen Punkt bringen will, in einem Jahr - und deswegen habe ich es betont -,
so wollen Sie wissen: Wo liegt das Interesse? - Es in dem der Haushalt insgesamt mit minus 1,3 % vom
liegt erstens in einem günstigeren Zinssatz, und es Finanzminister und der Bundesregierung gefahren
liegt zweitens in einem Zuschuß. wird, möglich ist, daß ein neues Leistungsgesetz in
Kraft gesetzt wird. Ich könnte Ihnen noch andere
(Konrad Gilges [SPD]: 6 bis 8 %! Das ist Punkte nennen, auch auf der Linie, die Frau Kollegin
doch kein günstiger Zinssatz! Das ist doch Odendahl angesprochen hat, und zwar bezüglich der
Quatsch!) Frage der Erstausbildung und der Zweitausbildung,-
wo man sich noch weitere Verbesserungen vorstellen
- Ich weiß nicht, Frau Präsidentin, ob ich jetzt noch
auf Zwischenrufe eingehen soll, denn dann stellt sich kann. Da ich aber weiß, daß Sie mit mir zusammen
immer bereit sind, für Umschichtungen im Gesamt-
das Problem, daß ich die Fähigkeit zur Beurteilung
haushalt zu sorgen, können wir vielleicht im näch-
von Sachverhalten in Frage stellen muß, was ich aber
sten oder übernächsten Jahr weiter darüber diskutie-
an sich beim Kollegen Gilges, den ich aus einem
ren.
Nachbarwahlkreis kenne, nicht tun möchte. Norma-
lerweise kann er als Gewerkschaftsvorsitzender
rechnen. Insofern weiß ich nicht, welche Probleme er Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich rufe jetzt die
im Moment hat. Frage der Kollegin Bulmahn auf.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4643

Edelgard Bulmahn (SPD): Sehr geehrter Herr Mi- zeiten angerechnet. Das ist im Gesetzentwurf so vor-
nister! Ist es richtig, daß sich der jetzige Vorschlag gesehen.
von dem vorherigen Vorschlag darin unterscheidet,
daß die Teilnehmer einen höheren Kredit aufnehmen (Edelgard Bulmahn [SPD]: Aber es werden
können und einen geringeren Zuschuß erhalten? keine Beiträge gezahlt!)
Wenn dieses zutrifft - und das entspricht den - Ja, es werden keine Beiträge gezahlt.
Zahlen -, dann ist es zumindest meiner Rechnung
nach - der Zuschuß in der ersten Version Ihres Vor-
schlags betrug 472,50 DM; jetzt beträgt er 373,- DM - Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Frage des
deutlich weniger. Von daher kann ich die veränderte Kollegen Hinsken.
Beurteilung, die es angeblich geben soll, anhand der
Verbände nicht ganz nachvollziehen. Aber wir wer- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Minister, haben
den das sicherlich noch im zweiten Schritt nachprü- Sie bereits die heutigen positiven Äußerungen ver-
fen. schiedener Verbände nach der Regierungsbeschluß-
fassung zur Kenntnis genommen, insbesondere sei-
Ich habe aber noch eine weitere Nachfrage. Die tens des deutschen Handwerks, daß man sich dar-
Aufstiegsfortbildung soll für diejenigen gelten, die über freut, daß endlich einmal etwas auf einen ver-
schon längere Zeit im Berufsleben gestanden ha- nünftigen Weg gebracht wurde? Stimmen Sie mir zu,
ben, die eine weitere Qualifikation erlangen wollen. daß unmittelbar vor Ort viele Bürger, insbesondere
Für diejenigen, die schon längere Zeit im Beruf ge- Gesellen, darauf warten, daß Diesbezügliches umge-
standen haben, ist die Frage der Sozialversiche- setzt wird, und zwar möglichst bald, so wie Sie das
rungsbeiträge eine ganz wesentliche und wichtige hier heute angekündigt haben? Können Sie den übri-
Frage. gen Plenumsmitgliedern mitteilen, daß Sie bereits
breiteste positive Resonanz gefunden haben und
Im AFG, nach dem vorher die Meisterfortbildung weiterhin finden werden?
gefördert worden ist, stand die Regelung, daß auch
während der Meisterfortbildung die Rentenversi-
cherungsbeiträge gezahlt wurden. Ist es richtig, daß Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung,
nach dem vorliegenden Gesetzentwurf diese Ren- Wissenschaft, Forschung und Technologie: Ich kann
tenversicherungsbeiträge nicht mehr gezahlt wer- dem Plenum gerne mitteilen, daß dies schon vor der
den? Beschlußfassung des Kabinetts der Fall war. Ich
stimme Ihnen zu: Es ist völlig klar, daß das so kommt,
denn das Gesetz ist so gut, daß man es nur begrüßen
Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung, kann. Im Wahlkreis wird der Kollege R ixe das auch
Wissenschaft, Forschung und Technologie: Zu der er- tun.
sten Frage, Frau Kollegin Bulmahn: Ich beziehe mich
auf öffentliche Erklärungen der Verbände - insofern Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Frage des
ist das kein Geheimnis -, die bei der Presse und an- Kollegen Dr. Guttmacher, bitte.
derswo öffentlich vorliegen. Das, was Sie an Sachver-
halt dargestellt' haben, ist richtig. Aber dies ist auf
Wunsch der Verbände erfolgt. Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Herr Minister,
Sie haben an die Förderung die Voraussetzung ge-
Ich glaube, das Argument wird Ihnen auch ein- knüpft, daß bei der Vollzeitausbildung eine Ausbil-
leuchten. Wir haben von Anfang an, seit meiner er- dung von mindestens sechs Monaten erfolgt. Meine
sten Erklärung hier im Parlament zu diesem Thema, Frage: Haben Sie damit alle Handwerksberufe er-
gesagt, daß die Summe, die dafür zur Verfügung faßt, wenn man daran denkt, daß die monatliche
steht, nicht nach oben erweitert werden kann. Also Ausbildung mit 150 Stunden, wenn sie eine Vollzeit-
konnte es bei einer Verbesserung nur darum gehen, ausbildung ist, bilanziert werden muß und in ver-
die Konditionen bei den einzelnen Summen, die zur schiedenen Handwerksberufen, wie z. B. bei den
Verfügung stehen, zu verbessern. Bäckern und Fleischern, nicht die von Ihnen mit
sechsmonatiger Vollausbildung vorgesehenen
Deshalb ist in der Anhörung von den Verbänden 900 Stunden erreicht werden?
der Vorschlag gemacht worden, den Darlehensanteil
zu Lasten des Zuschußteils zu erhöhen, um damit si-
cherzustellen - das ist für die Betroffenen ein wichti- Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister für Bildung,
ger Punkt -, daß die Summe, die man während des Wissenschaft, Forschung und Technologie: Herr Kol-
Kurses zur Verfügung hat, es einem ermöglicht, ei- lege Guttmacher, diese Frage ist im Vorfeld Gegen--
nen entsprechenden Lebensstandard aufrechtzuer- stand von Debatten, gerade auch mit dem ZDH, ge-
halten. Die Summen sind nicht riesig; das weiß ich. wesen. Herr Kollege Hinsken war in diesem Bereich
Es ist aber so, daß das als ausreichend betrachtet sehr engagiert. Wir haben die Abstimmung mit de-
wird und in den Erklärungen so vorgetragen worden nen, die Kurse veranstalten, so vorgenommen, daß es
ist. von ihnen jetzt so gewünscht und akzeptiert wird.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Vielen Dank!)
Ich habe gerade versucht - ich bitte um Nachsicht,
Frau Bulmahn -, die Feinheiten zu klären: Die Kran-
kenversicherung ist berücksichtigt, und bei der Ren- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Weitere Fragen
ten- und Arbeitslosenversicherung werden Ausfall zu diesem Komplex liegen offensichtlich nicht vor.
4644 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Gibt es weitere Fragen zu den sonstigen im Kabinett rem Namen und im Namen der anderen Fraktionen,
behandelten Themen, oder gibt es allgemeine Fra- die hier nicht durch ihre Berichterstatter zu diesem
gen an die Bundesregierung? - Bitte. Punkt vertreten sind, für die gute Zusammenarbeit in
der unmittelbar zurückliegenden Zeit zu danken.
Volker Kröning (SPD): Frau Präsidentin, ich habe Dennoch interessiert die Öffentlichkeit, gerade
gehört, daß das Bundeskabinett sich heute auch mit auch nach den Verlautbarungen, die bereits über
der Vorbereitung der Konferenz zur Überprüfung des den Ticker gelaufen sind, das Folgende: Sie wissen,
UN-Waffenübereinkommens beschäftigt hat. Wir wä- daß wir uns nicht über die Forderung der SPD-
ren für Ausführungen darüber dankbar. Fraktion verständigt haben, schon auf der Wiener
Konferenz von seiten der Bundesregierung ein Ver-
bot von Antipersonenminen zu fordern, weil ange-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wer antwortet sichts der Ergebnisse der Vorbereitungstreffen die
für die Bundesregierung? - Bitte, Herr Hoyer. Befürchtung bestand, daß man dann die anschlie-
ßende Ratifizierung durch eine größere Zahl von
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Staaten als bisher und vor allem die Erstreckung
Amt: Herr Kollege, wir haben die Thematik heute im des Abkommens auf innerstaatliche Konflikte ge-
Bundeskabinett kurz aufgegriffen. Eine intensivere fährden könnte.
Beratung erschien nicht erforderlich, da vorher völli- Nun gibt es aber einen Mehrländervorschlag, u. a.
ges Einvernehmen bestand. Dieses Einvernehmen von uns so nahestehenden Staaten wie Belgien, Nor-
besteht auch, denke ich, mit dem Deutschen Bundes- wegen, der Schweiz, Österreich, aber auch von ei-
tag, da wir uns auf der Basis der Entschließung des nem besonders betroffenen Staat wie Kambodscha,
Deutschen Bundestages vom 29. Juni 1995 zur weit- schon auf dieser Konferenz über ein Verbot von Anti-
gehenden Einsatzbeschränkung für Landminen be- personenminen ohne Selbstzerstörungsmechanismus
wegt haben. zu verhandeln. Meine Frage ist, ob die Bundesregie-
Unsere Verhandlungsziele für die Konferenz, die rung bereit ist, sich dieser Forderung anzuschließen
vom 25. September bis zum 13. Oktober 1995 in Wien und dafür auch in Wien einzutreten.
stattfinden wird, sind klar, nämlich erstens die Gel- Sie haben im Rahmen Ihrer Punkte auch Ex-
tung des Minenprotokolls auch in Friedenszeiten portverbote angesprochen. Auch dazu hatte die
und bei innerstaatlichen bewaffneten Konflikten SPD-Fraktion eine sehr weitreichende Forderung
durchzusetzen, zweitens die Schaffung eines wirksa- gestellt, nämlich Exportverbote für Landminen
men Überprüfungsmechanismus zur Abschreckung schlechthin, und zwar nicht nur als Gegenstand
und Ahndung von Verstößen gegen das Minenproto- der Konferenz, sondern auch im Wege einer ein-
koll, drittens ein Verbot des Einsatzes aller Landmi- seitigen Entscheidung bzw. einer Selbstbindung
nen, die nicht mit herkömmlichen Minensuchgeräten der Bundesrepublik Deutschland. Damit sind wir
aufzuspüren sind - das ist ja ein erhebliches prakti- nicht durchgedrungen. Statt dessen haben wir uns
sches Problem, um das zu kümmern sich lohnt -, vier- aber im Bundestag darauf geeinigt, das von der
tens besondere Einsatzbeschränkungen für und Ver- Bundesregierung im vorigen Jahr erlassene Ex-
bote von Landminen, die sich nach einer bestimmten portmoratorium für Antipersonenminen, also die
Frist nicht selbst zerstören - diese stellen, wie wir im Moment im Vordergrund der öffentlichen Auf-
wissen, angesichts der enormen Mengen an Landmi- merksamkeit stehende Kategorie, zu „entfristen",
nen, die in dieser Welt leider herumliegen, eine ganz also das Morato rium in ein Verbot umzuwandeln.
besondere Gefährdung dar, und ihre Beseitigung er- Wie weit sind die Überlegungen der Bundesregie-
fordert einen enormen Aufwand -, fünftens Expo rt rung gediehen, diesem Beschluß des Bundestages
-beschränkugdVotefürLanmi,sch- zu entsprechen?
stens ein Verbot des militärischen Einsatzes von La-
serstrahlen, sofern sie dazu dienen, das menschliche Da ich nicht zu ausführlich werden will, möchte ich
Augenlicht dauerhaft zu schädigen, und schließlich nur noch eine dritte Frage anschließen. Wir wissen,
ein Verbot der Produktion und des Einsatzes von La- daß die Ratifizierung des bisherigen Abkommens
ser-Blendwaffen. Diese Position, abgestimmt zwi- sehr lange, nämlich neun Jahre, gedauert hat. Wie
schen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesmini- schnell gedenken Sie ein fortentwickeltes Waffenab-
ster der Verteidigung, ist von der Bundesregierung kommen nebst Protokollen dem Deutschen Bundes-
einvernehmlich gebilligt worden. tag zur Ratifizierung zuzuleiten?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage, Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
bitte. Amt: Herzlichen Dank, Herr Kollege. Zunächst be-
danke ich mich für die guten Worte zu Beginn Ihrer
Ausführungen; es ist wirklich so, daß wir hier ein ge-
Volker Kröning (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- meinsam getragenes Ziel verfolgen. Das, was in die-
men und Herren! In der Tat, Herr Staatsminister, kön- ser Welt an Landminen, speziell an Antipersonenmi-
nen wir die Befassung mit diesem Thema heute nen, herumliegt und einen riesigen Beseitigungsauf-
knapp halten, da wir uns mit ihm zweimal im Plenum wand erfordert, ist eine Geißel der Menschheit. Wir
des Deutschen Bundestages und auch gestern abend müssen uns diesem Thema zuwenden, und ich freue
im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskon- mich, daß Bundesregierung und Deutscher Bundes-
trolle beschäftigt haben. Ich stehe nicht an, in unse- tag hier völlig einig sind.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4645
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
Zu den konkreten Fragen: Ich fürchte, daß die er- heute abend das Gespräch zwischen der Bundesre-
ste Frage sehr eng mit der dritten zusammenhängt. gierung, den Gewerkschaften und den Arbeitgeber-
Wir könnten uns hier sicherlich auf noch ambitiösere verbänden stattfindet? Wie wollen Sie denn nun den
Ziele verständigen, wenn wir nicht damit rechnen Konflikt, der da entstanden ist, lösen?
müßten, sie dann nicht oder nicht ganz umsetzen zu
können, was eine unbef riedigende Ratifizierungssi- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wer möchte für
tuation oder eine nicht hinreichende Unterstützung die Bundesregierung antworten? - Bitte, Herr Bun-
auf der Konferenz zur Folge hätte. desminister Bohl.
Die Bundesregierung hat sich deshalb für einen,
wie ich finde, gleichwohl ambitiösen Schritt-für- Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf-
Schritt-Ansatz entschieden. Im ersten Schritt muß gaben: Frau Präsidentin! Herr Kollege Gilges, ich
das Minimalziel sein, zu strengen Einsatzauflagen kenne den Pressebericht, der von Ihnen hier sicher-
für Antipersonenminen ohne Selbstzerstörungsme- lich richtig zitiert wurde, leider nicht. Das von Ihnen
chanismen zu kommen und nicht detektierbare Mi- angesprochene Thema, das mir als solches bisher
nen völlig zu verbieten. In einem zweiten Schritt, den nicht erkenntlich war, ist heute im Kabinett nicht be-
wir für ebenso bedeutsam halten - wir hoffen, daß handelt worden. Die Bundesregierung pflegt sowohl
wir hier so schnell wie möglich nachlegen können -, zu den Gewerkschaften als auch zu den Wi rtschafts-
muß es zu einem Verbot von Antipersonenminen verbänden gute, intensive und sehr informative Be-
ohne Selbstzerstörungsmechanismus kommen. ziehungen. Das wird schon daraus ersichtlich, daß
wir um 19.30 Uhr unter dem Vorsitz des Bundeskanz-
Daß das Ziel für uns alle letztendlich darin be- lers ein weiteres Gespräch dieser Art haben werden.
stehen muß, ein globales Verbot sämtlicher Antiper- Diese Gespräche sind einzigartig in Europa. Es
sonenminen herbeizuführen, ist, glaube ich, klar und gibt keine vergleichbare Veranstaltung in einem eu-
unbestritten. ropäischen Land, was zum Ausdruck bringt, daß alle
am Wirtschaftsleben in dieser Republik Beteiligten
Was Ihre zweite Frage angeht, so wi ll ich hier nicht den Wunsch und das Bedürfnis haben, zusammenzu-
herumeiern oder eine möglicherweise nicht hundert- wirken, um den Standort Deutschland zu stärken.
prozentig zutreffende Antwort geben. Nach der In-
formation, die meiner Beantwortung Ihrer Fragen Vor diesem Hintergrund ist es ganz selbstverständ-
heute hier zugrunde liegt, bin ich davon ausgegan- lich, daß auch unterschiedliche Bewe rtungen und
gen, daß gegenwärtig Antipersonenminen weder in Vorstellungen vorgetragen werden, auch vor solchen
der Bundesrepublik Deutschland hergestellt noch Veranstaltungen. Darüber wird man, wenn sie denn
aus ihr exportiert werden, so daß die Frage gegen- in der Veranstaltung, heute abend oder bei ähnlicher
wärtig keine große Aktualität besitzt. Ich werde Gelegenheit wieder aufgegriffen werden, sprechen
diese Angelegenheit aber hinsichtlich der Frage, wie müssen und können. Aber insgesamt haben diese Ge-
es mit einer Fortschreibung oder „Entfristung" des spräche schon in der Vergangenheit einen sehr wich-
Morato riums aussieht, gerne noch einmal sorgfältig tigen Impuls gegeben, und sie haben einen hohen
überprüfen und Ihnen die Antwort schriftlich zukom- politischen Wert für die Bundesregierung, aber auch,
men lassen oder im persönlichen Gespräch liefern. wie ich glaube, für alle Menschen in Deutschland.
Deshalb meine ich, daß ein solcher Bericht, der of-
fensichtlich nur sehr vereinzelt erschienen ist - ich
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat das nehme an, daß es sich um einen Be richt handelt, der
Wort der Kollege Gilges. Das ist zugleich die letzte nur in dieser Zeitung oder in vergleichbaren Blättern
Frage in dieser Befragung. erschienen ist, da er jedenfalls in der überregionalen
Presse für mich nicht ersichtlich ist -, nicht weiter zu
bewerten ist.
Konrad Gilges (SPD): Ich habe heute morgen im
„Kölner Stadtanzeiger" gelesen - das ist selbstver-
ständlich eine Frage an die Bundesregierung -, daß Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege
es zwischen der Bundesvereinigung der Deutschen Gilges, die Fragezeit ist leider schon überschritten. In
Arbeitgeberverbände und der Bundesregierung Anbetracht der Tatsache, daß wir heute noch bis
knirscht. Es gibt da großen Streit und Auseinander- nach 1 Uhr hier tagen werden, möchte ich es dabei
setzungen über die Entsenderichtlinie, über die belassen. Es tut mir leid.
Frühverrentung und über die Lohnfortzahlung im Damit beende ich die Befragung der Bundesregie-
Krankheitsfall. Dort wird dargestellt, daß es im Bun- rung. Ich danke für das Erscheinen.
deskanzleramt eine große Verärgerung über die Bun-
desvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
gebe, weil sie zu unsoziale Forderungen stelle. Mich
erstaunt, daß die Bundesregierung damit Schwierig- Beratung des Antrags der Abgeordneten
keiten hat; aber das lasse ich jetzt mal beseite. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Ch ristel Hane-
winckel, Dr. Edith Niehuis, weiterer Abgeord-
Meine Frage ist: Haben Sie denn heute morgen im neter und der Fraktion der SPD
Kabinett dazu beraten, und wenn Sie dazu beraten Reform des Kindschaftsrechts
haben, zu welchen Entscheidungen sind Sie insbe-
.

sondere in bezug auf die Tatsache gekommen, daß ja - Drucksache 13/1752 -


4646 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind ner. Gegenüber allen Dritten können sie sich auf das
für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden Recht berufen, daß eine Inte rvention davon abhän-
vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist gig ist, daß sie wegen des Kindeswohls nötig ist; an-
das so beschlossen. derenfalls darf sie nicht erfolgen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat die Kolle- Das Problem, daß daraus - wenn wir das nichtehe-
gin Margot von Renesse. liche Kind gleichstellen - nicht unversehens eine Dis-
kriminierung verheirateter Eltern wird, ist nicht ganz
Margot von Renesse (SPD): Frau Präsidentin! einfach zu lösen. Sie wissen das; ich weiß das auch.
Meine Damen und Herren! Frau Justizministerin, Aber das müssen wir leisten. Wir lösen dieses Pro-
nachdem wir von der SPD-Fraktion nun schon das blem in unserem Entwurf auf eine, wie ich finde, au-
zweite Mal eine Konzeption des Kindschaftsrechts ßerordentlich wirklichkeitsnahe Weise. Wir gehen
ins Parlament gebracht haben, sind wir jetzt zutiefst davon aus, daß die Eltern im Prinzip, auch bei Schei-
erfreut, daß es einen Referentenentwurf aus dem Ju- dung und Trennung, die Verantwortung behalten,
stizministerium gibt. Das ist doch schon einmal was. eine Regelung zum Wohl ihrer Kinder zu finden. Ich
habe selten Eltern gefunden - bei allem Streit, den
(Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Und was für ei Eltern haben konnten -, die ihren Kindern feindlich
nen! 500 Seiten, Frau Kollegin!) gegenüberstanden. Das gibt es, aber das ist sehr sel-
ten.
Er eröffnet die Freude auf eine hoffentlich gelin-
gende Zusammenarbeit bei diesem in der Tat großen Sie auf das zu behaften, was der eigentliche Grund
Werk. dafür ist, daß sie dieses Vertrauen genießen, nämlich
Lieber Herr Lanfermann, der Entwurf ist wirklich daß sie ihre Kinder mehr lieben als die Jugendämter
gut in den 90 %, in denen Sie die Dinge so regeln und Familienrichter - und auch mehr als die Justiz-
wollen wie wir. Aber in 10 % haben wir süße, kleine ministerin und die Abgeordneten -, sollten wir alle
Unterschiede, und diese sind bezeichnend. bedenken, bevor man mit der Vorstellung von rich-
terlicher oder gesetzgeberischer Omnipotenz in die-
(Günther F riedrich Nolting [F.D.P.]: Jetzt ses komplizierte Geflecht hineinregiert. Es gibt Ver-
aber keine Kritik!) lustängste auf allen Ebenen, deswegen ist es ein har-
ter Kampf.
Ich denke, daß unser Entwurf den Vorzug genießt,
daß er erstens verfassungsrechtlich sauber, zweitens Ich denke, wir als Parlament haben die Chance,
ohne innere Widersprüche - sehr wichtig! -, drittens gemeinsam mit Ihrem Hause etwas Vernünftiges hin-
menschlich und realitätsnah sowie viertens unge- zubekommen. Leider gibt es bei Ihnen traurige Kom-
heuer tolerant gegenüber der Tatsache ist, daß Men- promisse und fehlt an vielen Stellen die ganze Wahr-
schen nun einmal verschieden leben. Das, was ich heit. Warum um alles in der Welt lassen Sie das Recht
für mich mache, und das, was ich meinen Kindern ra- der Kinder auf Versorgung und Deckung des Finanz-
ten kann, ist nicht das, was der Gesetzgeber als Vor- bedarfs durch ihre Eltern, auf Betreuungsunterhalt
schrift machen darf. Das muß man beim Kindschafts- seitens der nichtehelichen Mutter - beide Seiten des
recht wissen. Unterhalts sind gesetzlich verpflichtend - mit dem
Ich wünsche Ihnen viel Glück auf dem Weg. Ich dritten Geburtstag des nichtehelichen Kindes enden?
hoffe, daß Sie es schaffen, entsprechend Ihrem Zeit- Wo ist da die Gleichstellung mit dem ehelichen Kind?
plan einen Kabinettsbeschluß zu bekommen, so daß Denn Sie wissen - so hat es auch das Verfassungsge-
es losgehen kann. Denn das ist nicht einfach. richt dargestellt -: Der Betreuungsunterhalt ist nicht
das Recht des Elternteils, sondern ist das Reflexrecht
Das, was bisher die Reform des Kindschaftsrechts des Kindes auf ungeschmälerte Versorgungssicher-
trotz unbest ri ttener Notwendigkeit behindert hat, ist heit. Das endet nun einmal nicht mit dem dritten Ge-
die Macht der bildergeladenen Vorurteile. Wenn ich burtstag, einmal ganz abgesehen davon, daß die Er-
das in Richtung auf die Koalition ohne jeden Vorwurf werbsfähigkeit von Menschen, die Kinder betreuen,
und ohne jede Häme sagen kann - denn auch wir ha- weit höher beeinträchtigt ist, als es überhaupt mit
ben ähnliche Probleme, wenn auch auf anderem Ge- dem dritten Geburtstag markiert werden kann.
biet -: Es sind die Verlustängste, die Angst, es könn-
ten Werte, Wertsetzungen in Gefahr geraten, wenn Ich denke, hier liegt ein Widerspruch in Ihrer Re-
man die Verfassung beim Wo rt nimmt, die nicht nur gelung. Zudem gibt es auch bei Ihrem Vorschlag
in dem berühmten A rt . 6 Abs. 5 die Gleichstellung zum Erbrecht immer noch diese leidige Stichtagsre-
des nichtehelichen Kindes forde rt , sondern die davon gelung. Ich weiß natürlich, daß wir mitunter Stich-
ausgeht, daß Eltern Eltern sind und Eltern bleiben, tage brauchen: wenn Menschen im Vertrauen auf
die das Vertrauen in die Eltern nicht davon abhängig das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechtsrege- -
macht, ob sie verheiratet, geschieden, getrennt le- lungen Vorkehrungen getroffen, Planungen und In-
bend usw. sind. Die Eltern haben das Wohl des Kin- itiativen entfaltet haben. Aber hat, um Himmels wil-
des zu bedenken. Das ist der elementare, existenzsi- len, ein Mann, der vor 1949 ein nichteheliches Kind
chernde Beitrag, den wiederum Kinder von ihren El- in diese Welt gesetzt hat, dies im Vertrauen darauf
tern fordern können. getan, daß er diesem Kind nichts schuldet? Diese
Überlegung muß man sich wirklich erst einmal auf
Elternrecht und Elternpflicht sind eins. Das betet der Zunge zergehen lassen, will man noch den Mut
jeder Kommentar vor sich hin. Aber das bedeutet haben, in diesem Bereich überhaupt von Vertrauens-
konkret: Gegenüber den Kindern sind Eltern Schuld- schutz zu sprechen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4647
Margot von Renesse
Kinder sind Kinder - nichtehelich und ehelich sind ausüben will , ob sie kontrollieren will, wo Mißtrauen
nun einmal keine Eigenschaften von Kindern, son- herrscht. Ich möchte das nicht. Ich will nicht weitere
dern der Beziehung zwischen ihren Eltern. Besuchsberechtigte, denn diese haben kein Recht
am Kind, sondern das Kind hat ein Recht auf sie.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Diese Erkenntnis ist bei Ihnen nicht ganz konsequent
zugrunde gelegt. Vielleicht - das gehört zu den Dadurch schränke ich auch gleich die Anzahl der
10 % - bekommen wir noch etwas Besseres hin, und Besuchsrechtsprozesse technisch ein. Ich habe wohl
zwar ohne Verlustangst, denn die Verlustängste auf gewußt, daß ich auf diese Weise eine Belastung der
diesem Gebiet sind tatsächlich so zahlreich wie die Justiz vermeide, nämlich die Prüfung, ob etwas für
Steine auf dem Pflaster. Aber das kriegen wir hin, wir das Wohl des Kindes wichtig ist, geht dem Prozeß
werden das schaffen. vor, vor allem aber gehen die Vermittlungsversuche
vor.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Es gibt eine Rechtsfigur, die bei Ihnen, weil Sie
Zum Persönlichkeitsrecht des Kindes, um das es den Kreis der Besuchsberechtigten erweitern und
bei allem geht: Wenn wir Eltern respektieren, re- gleichzeitig einschränken, nicht vorkommt, aber im-
spektieren wir mittelbar ihre Kinder. Nur darum re- mer häufiger von Bedeutung ist. Ich habe allein in
spektieren wir ihr Elternrecht, aber auch deshalb in den letzten Wochen drei solche Fälle erlebt. Ich
vollem Umfang. Die Frage, wie Sie mit dem Persön- meine - lachen Sie sich nicht kaputt - den nichteheli-
lichkeitsrecht des Kindes umgehen, stellt sich mir bei chen Nichtvater. Ein verheiratetes Paar trennt sich.
zwei Punkten. Die Frau lebt mit einem anderen Mann zusammen
und bringt ein Kind auf die Welt. Man lebt mehr oder
Sie wollen den isolierten Feststellungsantrag der minder lange zusammen. Es kommt wieder zu einer
Abstammung nicht zulassen. Liebe Frau Ministe rin, Versöhnung der Ehegatten, keiner ficht an. Der
wir sind Juristinnen. Juristinnen sollten nicht dem nichteheliche Nichtvater weiß, er ist der Vater. Viel-
Furor teutonicus iuristicus unterfallen, der da alles leicht liebt er sein Kind. Vielleicht hat das Kind Be-
rechtstechnisch sieht, und - wie ich das in der Be- ziehungen zu ihm. Er ist weder Pflege- noch Stiefva-
gründung Ihres Entwurfs gelesen habe - einen iso- ter, wenn die Beziehung nicht eine Weile gedauert
lierten Feststellungsantrag des Kindes bezüglich sei- hat. Hier muß dem Kind - wohlgemerkt nur dann,
ner Abstammung deswegen ausschließen, weil wenn das Kind dies braucht, sonst nicht; ich will
nichts vollstreckbar ist, weil ein klassischer Fall des nicht den nichtehelichen Nichtvater in einer An-
mangelnden Rechtsschutzinteresses vorliegt. Beim spruchshaltung sehen - die Möglichkeit zu einer Be-
adoptierten Kind lassen wir das zu. ziehung eröffnet werden.
Muß ein Kind, wenn es erfährt, der Same des Va- Ihre Juri sten haben gesagt: Das ist doch nicht voll-
ters stammt von einer Samenbank - was ja leider streckbar. Frau Ministerin, ich kenne keine Besuchs-
auch nach dem Embryonenschutzgesetz in Deutsch- rechtstitel, die vollstreckbar sind. Wenn ein Richter
land nicht ausgeschlossen ist -, und wissen will, wer solche erteilt, können sich das die Berechtigten hin-
es gezeugt hat, dann gleich seine sozialen Eltern ver- ter Glas an die Wand hängen. Wo nicht Akzeptanz
lassen und diesen Samenspender zu seinem Vater er- durch das Verfahren erreicht wird, sind die Sachen
klären oder darauf verzichten festzustellen, wer es nichts wert . Das wissen alle. Ich denke, wir brauchen
denn war? Es will vielleicht nur wissen, ob dieser nur das Verfahren, nicht die Vollstreckbarkeit, um
Mensch zwei Augen im Gesicht, eine Nase, zwei das zu machen, was viele Familienrichter in Zusam-
Arme und zwei Beine hat, ob es sich seiner Herkunft menarbeit mit den Jugendämtern gemeinsam tun.
schämen muß. Dies alles kann reichen. Ich denke,
menschlich und nach dem Persönlichkeitsrecht des (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein)
Kindes gefragt, bedeutet dies, daß wir die Feststel-
lungsklage auch isoliert zulassen. Heute können Menschen Beziehungen eingehen
und wieder lösen. Es gibt keine Sanktionen, kaum
Ein zweiter Fall, wo meines Erachtens das Persön- mehr Tabus, vielleicht noch in Bayern auf dem
lichkeitsrecht des Kindes bei Ihnen nicht die gebo- Lande. Ich weiß das nicht. Ich könnte es mir vorstel-
tene Rolle spielt, ist das eigenständige Besuchsrecht len.
des Kindes. Sie geben der Großmutter - natürlich
finde ich das sehr gut; ich bin selber Großmutter - (Dr. Sigri d Skarpelis-Sperk [SPD]: Do rt erst
ein eigenes Besuchsrecht, ebenso wie Stiefeltern, recht nicht!)
Pflegeeltern und Geschwistern. Frau Ministe rin,
wenn man Besuchsrechtsprozesse kennt, weiß man, - Nicht immer Bayern. Vielleicht gibt es das auch in
wie böse sie sind. Man weiß, daß fast alle Menschen, Niedersachsen; ich weiß es nicht.
die Besuchsrechtsprozesse anstrengen, wie alle Men-
schen im übrigen auch, von Motivbündeln geprägt Eines muß man bedenken: Erwachsene können
sind. Ich kann bei der Großmutter nicht mehr unter- ihre Beziehungen regulieren, wie sie wollen. Aber
scheiden, weil sie es selber nicht mehr kann, ob sie Kinder werden in eine Lebensumwelt geboren und
es nur tut, weil sie in ihre Kissen weint, da sie das können sie sich nicht aussuchen. Elterliche Verant-
heißgeliebte Enkelkind nicht mehr sehen kann, oder wortung heißt, auch bereit zu sein, sein eigenes Le-
ob sie auch Druck auf die frühere Schwiegertochter ben für das Kind, für das man Verantwortung trägt,
4648 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Margot von Renesse


einzuschränken. Ich denke, das können wir in einem Unser Entwurf hat die Zustimmung des Familien-
Gesetz so zum Ausdruck bringen, daß es eine prä- gerichtstages gefunden. Darauf bin ich sehr stolz,
gende Kraft über das Gesetz und über die Gerichts- denn ich weiß, daß do rt interdisziplinär gearbeitet
verfahren hinaus erhält. Das wäre wichtig. wird, daß do rt Anwälte, Richter, Psychologen, Sozial-
arbeiter, alle, die um das Kindeswohl bemüht sind,
Frau Ministe rin, ich glaube, daß bei Ihnen auch gemeinsam etwas überlegen. Ich denke, um diese
das Verhältnis zwischen dem Justizrecht und dem 10 %, bei denen Sie Kompromisse machen, werden
Sozialrecht darumherum, insbesondere dem Kinder- wir zwar, wie immer zwischen Regierung und Oppo-
und Jugendhilferecht, noch nicht richtig gesehen sition, in streitiger Zusammenarbeit ringen, aber wir
wird. Die Stellung des Jugendamts und des allgemei- werden das hinbekommen.
nen sozialen Dienstes, wie wir sie heute haben, ist
immer noch die eines Außendienstes des Gerichtes. Danke sehr.
Das führt zu unhaltbaren Verwerfungen in der Arbeit
bemühter Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen. (Beifall bei der SPD)

(Beifall bei der SPD)


Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen
Davon ist in Ihrem Entwurf nicht die Rede. Wir be- Dr. Wolfgang Götzer das Wo rt .
reinigen in unserem Entwurf dieses Verhältnis. Wir
sagen, das Jugendamt und der ASD stehen auf
Grund ihrer Fachlichkeit dem Ge richt gegenüber Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Herr Präsident!
und haben nicht auf dessen Wink zu gehorchen, son- Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin von
dern handeln nach eigenem Recht und eigenem Ur- Renesse, Sie haben heute so sympathisch zum
teil. Thema gesprochen

Dieses wird der Vermittlungs- und Beratungstätig- (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Und auch
keit der Bediensteten do rt und natürlich auch der so gut!)
Sinnerfüllung sehr dienen; denn sie sind nicht mehr
- und auch gut, ja -, daß ich mich einmal mehr auf
diejenigen, von denen sich die Leute untereinander
die gemeinsame Berichterstatterarbeit zu diesem
erzählen: Haben Sie schon gehört, die Frau X hatte
Komplex freue.
Besuch vom Jugendamt? - So etwas macht ihre Ar-
beit kaputt, und das muß man bereinigen wie in an- Wir sind uns, glaube ich - Sie haben das heute zum
deren Gesetzen auch. Ich sprach schon im Rechts- Ausdruck gebracht -, in sehr vielen Dingen einig,
ausschuß davon. nicht nur was die Notwendigkeit der Reform des
Kindschaftsrechts angeht, sondern auch über die we-
Wir können nicht immerzu das Heil aller Welt in
sentlichen Ziele und Inhalte dieser Reform: die
Justizverfahren sehen, sondern die Möglichkeit des
Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder,
Self-Restraint auch des Familienrichters, der verfas-
die Stärkung der Stellung des Vaters eines nichtehe-
sungsrechtlich geboten und menschlich vernünftiger
lichen Kindes und auch die stärkere Verankerung
ist, müssen wir so in das Gesetz hineinformulieren,
der gemeinsamen Sorge. Wir sind uns natürlich auch
daß nicht alles um den Tausendsassa Familienrichter
darüber einig, daß im Mittelpunkt der ganzen Re-
oder Familienrichterin - ich will mein Geschlecht
form das Wohl des Kindes stehen muß.
nicht ausnehmen - herum zentriert wird. Richter sind
Volljuristen, und nichts ist schlimmer als die Berufs- Der SPD-Antrag enthält eine ganze Reihe von
krankheit des Omnipotenzwahnes, dem manche un- Punkten, in denen wir sehr nahe beieinander sind
terliegen, weil sie alles gestalten können. oder direkt übereinstimmen. Er enthält auch einige
Positionen, die sich von den unseren unterscheiden.
Es ist eine Zumutung - das habe ich lange nicht so Das ist ganz natürlich. Darüber werden wir dann in
gesehen, ich habe es dann später so empfunden, als
die Diskussion einsteigen.
ich versuchte, mich in diese Rolle zu versetzen -,
wenn ein anderer oder eine andere, die mein Kind Ich möchte für die CSU und die CDU allerdings
kaum kennt, mir vorschreibt, mit wem es Stunden eine Klarstellung vornehmen: Die Gleichstellung der
und Stunden seines Lebens verbringen darf. Ich ehelichen und nichtehelichen Kinder und die Reform
habe das später so ausgedrückt: Niemals wollte ich des Kindschaftsrechts überhaupt sind nicht gleichzu-
wohl, daß ein Familienrichter - Verzeihung! - mit sei- setzen mit einer Gleichstellung der ehelichen und
nen schmutzigen Fingern in der Seele meiner Kinder der nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Das hat
herumgrabbelt. für uns nichts miteinander zu tun, gehört nicht in die-
sen Entwurf, und die CSU verteidigt selbstverständ-
Ich möchte, daß klar und deutlich ist, daß Ju risten lich den verfassungsmäßigen Schutz und Vorrang
Juristen sind und Konflikte entscheiden müssen. Daß der Ehe.
sie auch das Wächteramt des Staates wahrnehmen,
ist völlig klar. Das ist eine Selbstverständlichkeit. (Zuruf von der SPD: Wir auch! - Dr. Edith
Aber sie sollen bei ihren Leisten bleiben und sollen Niehuis [SPD]: Wir reden aber über die Kin-
nicht denken, die Angehörigen ihres Standes seien der!)
so etwas wie die besseren Eltern, sozusagen Übervä-
ter oder Übermütter. Das ist eine Gefahr, der wir vor- - Ja, aber es gab schon Überlegungen, das zusam-
beugen müssen. men zu regeln. Sie wissen, was ich meine.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4649
Dr. Wolfgang Götzer
Ich möchte einige Themen in diesem großen Kom- Mit der Elternvereinbarung haben wir unsere Pro-
plex ansprechen. Bei der Vaterschaftsvermutung bleme. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Zwang,
gibt es in der Tat dringenden Lösungsbedarf, vor al- sich einigen zu müssen, der Sache unbedingt förder-
len Dingen für die Fälle, in denen die Geburt sehr lich ist. Man zieht das Kind mit in den Streit hinein.
lange nach der Scheidung erfolgt ist.
(Widerspruch bei der SPD - Christina
Ebenso verhält es sich bei den Anfechtungsmög- Schenk [PDS]: Wie soll es denn sonst ge-
lichkeiten bezüglich der Elternschaft. Auch in die- hen?)
sem Punkt müssen wir formell und materiell weitere
Möglichkeiten schaffen. Man provoziert möglicherweise da Streit, wo er even-
tuell gar nicht aufgekommen wäre. Ich weiß nicht, ob
Ob man statt „elterliche Sorge" künftig „elterliche das der Weisheit letzter Schluß ist.
Verantwortung" sagt, ist für mich nicht essentiell. In
§ 1626 Abs. 1 BGB steht ohnehin, daß es Rechte und
Pflichten sind, die die elterliche Sorge ausmachen. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Frau
Wenn man von elterlicher Verantwortung spricht Dr. Niehuis möchte gern eine Frage stellen.
und die elterliche Sorge einem Pa rtner übertragen
wird, kann der andere nach meinem Gefühl meinen,
Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Bitte schön.
er habe keine Verantwortung mehr, die elterliche
Verantwortung sei nur noch auf ein Elternteil be-
schränkt. Dagegen lassen Trennung und Scheidung Dr. Edith Niehuis (SPD): Sie haben gesagt, daß Sie
die gemeinsame elterliche Verantwortung für das bei einer Scheidung für die gemeinsame elterliche
Kind bei beiden Partnern in gleicher Weise fortbeste- Sorge im Regelfall sind. Sie denken, es sei gut, wenn
hen, weswegen das gemeinsame Sorgerecht in der beide Eltern zuständig sind. Dann wundert mich
Regel andauert. aber, daß Sie meinen, Eltern könnten keine gemein-
Unser Ziel bei der gemeinsamen Sorge ist, daß wir same Vereinbarung treffen, weil sie sich doch so
diese nach der Scheidung fördern. Ich bin der festen streiten. Sie meinen, die Eltern seien im Scheidungs-
Überzeugung, daß sie die fortbestehende elterliche fall nicht in der Lage, eine gemeinsame Verantwor-
tung zu übernehmen. Sind Sie wirklich der Meinung,
Verantwortung für die Kinder am besten verdeutlicht
und in der Regel auch für das Kindeswohl am besten daß Eltern, die sich über die praktischen Fragen des
Lebens nicht einigen können, irgendwann sinnvoll
ist.
eine gemeinsame Sorge ausüben können?
In Bayern gibt es bisher in rund 17 % der Fälle die
gemeinsame Sorge, wobei die Tendenz steigend ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Ich begrüße das außerordentlich. PDS)

Auch bei den nichtehelichen Kindern wollen wir


die gemeinsame Sorge künftig leichter ermöglichen. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Frau Kollegin,
Ich habe meine Vorbehalte, ob man das, wie in Ihrem ich denke, es kann schon ein Problem sein, wenn
Antrag vorgesehen, der gerichtlichen Prüfung hin- man sich ausdrücklich zusammensetzen muß und
sichtlich des Kindeswohles unterziehen soll, und sich dann möglicherweise an den Formulierungen
frage, ob man das nicht besser einem gemeinsamen verbeißt.
Antrag der beiden Elternteile überläßt.
(Christina Schenk [PDS]: Hört! Hört! Ein
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Formulierungsproblem!)
Frau Kollegin von Renesse, Sie hatten vorhin auch Ich habe da Erfahrungen; ich bin von Beruf Rechts-
davon gesprochen, daß die Richter bei ihren Leisten anwalt. Ich erinnere mich, daß Heiratswillige, wenn
bleiben sollen - sie einen Ehevertrag zu Papier bringen wollen, plötz-
lich über sehr viele Dinge streiten, die sie vorher
(Margot von Renesse [SPD]: Da gibt es Miß überhaupt nicht als Problem angesehen haben. Des-
verständnisse!) wegen habe ich Vorbehalte.
- Sie haben noch etwas deutlichere Formulierungen
(Christina Schenk [PDS]: Das ist doch nur
gebraucht - und sich nicht in Dinge hineinbegeben
gut!)
sollen, die in der Familie vielleicht besser geregelt
werden. Das wäre ein solcher Fall. Außerdem wäre - Ob das nur gut ist, wenn sie sich streiten, weiß ich
es eine Ungleichbehandlung der nichtehelichen ge- nicht. Das mag Ihre Ideologie sein. Ich empfinde es
genüber den ehelichen Kindern. Die beiden werden nicht so. -
dann nicht mehr mit gleicher Elle gemessen. Auch
das ist ein Thema für sich; darüber sprechen wir (Christina Schenk [PDS]: Wenn sie sich dar-
noch. über verständigen, wenn sie sich über man-
che Dinge klarwerden, ist das immer gut!)
Im Fall der Scheidung wollen wir die Sorgerege-
lung aus dem Zwangsverbund herausnehmen. So Was passiert im Fall des Todes eines allein sorge-
sieht es der Referentenentwurf vor. Eine richterliche berechtigten Elternteils? Ich meine auch in diesem
Entscheidung soll es nur auf Antrag geben. Auch das Punkt, daß es nicht, wie in Ihrem Antrag vorgesehen,
liegt auf derselben Linie, die ich gerade skizziert Frau Kollegin von Renesse, in erster Linie der Ent-
habe. scheidung des Gerichts bedürfen sollte, sondern daß
4650 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Dr. Wolfgang Götzer


man auch davon ausgehen sollte, daß die Übertra- zu den verschiedenen Komplexen; das Thema ist un-
gung des Sorgerechts auf den anderen Elternteil ei- geheuer umfangreich. Wir sollten das Vorhaben zü-
gentlich normal wäre, zumindest dann, wenn vorher gig anpacken - im Interesse und zum Wohle der Kin-
ein gemeinsamer Haushalt geführt worden ist. der.

Beim Umgangsrecht wollen wir gemeinsam eine Vielen Dank.


einheitliche Regelung für eheliche und nichteheliche (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Kinder. Maßgeblich soll auch hier selbstverständlich
das Kindeswohl sein, wobei wir von der Vermutung
ausgehen, daß der Umgang des Kindes mit beiden Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Rita
Elternteilen in der Regel dem Kindeswohl entspricht. Grießhaber, Sie haben das Wort.

(Christina Schenk [PDS]: Dafür gibt es


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
keine empirischen Belege!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
- Das Eheleben besteht nicht aus empirischen Bele- denke, es wäre wirklich bahnbrechend, wenn es ein
gen, Frau Kollegin. Ich weiß nicht, ob Sie da eigene Gesetz gäbe, das Väter motivieren könnte, tatsäch-
Erfahrungen haben. Da sollte man besser nicht nur lich die Hälfte der Erziehungsarbeit zu leisten, und
mit Empirie, Soziologie und ähnlichem kommen. das dazu führen würde, daß sie nach der Scheidung
weiterhin intensiven Kontakt zu ihren Kindern hiel-
Was die Ergänzung des § 1626 um einen Abs. 2 be- ten und, sozusagen als Sahnehäubchen obendrauf,
züglich der seelischen Verletzungen angeht, so erin- auch noch regelmäßig Unterhalt zahlten.
nere ich mich an die Debatte in der vergangenen Le- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gislaturperiode, als wir z. B. über das Züchtigungs- und der SPD)
recht gesprochen haben. Ich glaube, daß die Formu-
lierung „seelische Verletzungen" nicht ganz ge- Das wäre wirklich absolut bahnbrechend. Dies mit
glückt ist, denn ein Kind kann möglicherweise schon der automatischen gemeinsamen elterlichen Sorge
durch eine Zurechtweisung, die aber in einer be- nach einer Scheidung erreichen zu wollen bedeutet
stimmten Situation durchaus einmal angebracht sein allerdings, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Da
kann, seelisch verletzt sein. Wir wissen beide, was müssen wir noch ganz andere Dinge in Gang setzen,
wir meinen; auch darüber haben wir in der vergan- als die gemeinsame elterliche Sorge automatisch
genen Pe riode schon gesprochen. Es ist nur ein Pro- herzustellen. Natürlich gibt es die Eltern, die das
blem, das zu formulieren. Im Grunde sind wir uns ei- schaffen und die das machen. Natürlich wollen wir,
nig. daß möglichst viele Eltern das gemeinsame Sorge-
recht haben wollen und ausüben wollen. Aber was
Was die Zwangsmittel zur Durchsetzung eines An- zum Teufel spricht denn dagegen, daß die Eltern sich
spruchs, eines Rechts angeht, so habe ich meine dafür bewußt entscheiden? Wir wollen diese gemein-
Zweifel, ob der völlige Verzicht auf Zwangsmittel bei same Sorge, aber auf Antrag und selbstverständlich
entgegenstehendem Kindeswillen wirklich praktika- auch für nicht verheiratete Eltern.
bel ist und der Sache dient. Natürlich - das ist völlig
klar - kann es keine staatliche Gewalt gegenüber Wir wissen doch auch, daß die Realität so aussieht,
dem Kind geben. Aber gegenüber einem Elternteil, daß zur Zeit die Kinder zu 77 % der Mutter zugespro-
der Umgangsregelungen hintertreibt, sabotiert, muß chen werden und bei ihr leben, und bei Müttern, die
es die staatliche Durchsetzung von Zwangsmitteln Sorge tragen, muß man sich sehr genau überlegen,
geben; ansonsten wäre das ein Freibrief. wann und wo sie die Rechte teilen.
Wir sind bei der Erarbeitung einer Vorlage, bei der
(Margot von Renesse [SPD]: Das steht da
- das gilt natürlich für alle hier im Hause - das Kind
nicht!)
im Mittelpunkt steht. Unsere Schwerpunkte sind da-
- Vielleicht ist das ein Mißverständnis in der Formu- bei, das Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erzie-
lierung oder in der Begründung; dann würde ich hung zu verankern, endlich die Gleichstellung eheli-
mich um so mehr darüber freuen. cher und nichtehelicher Kinder zu erreichen, ferner
ein eigenes Umgangsrecht für das Kind und die Ein-
Ein wesentlicher Punkt ist die Gleichstellung nicht- führung einer Verfahrenspflege. Dazu, Frau Justizmi-
ehelicher und ehelicher Kinder im Erbrecht. Auch da nisterin, finden wir den § 50 des Referentenentwurfs
gibt es Übereinstimmung. Wir hatten innerhalb der sehr schön, der besagt, daß das Ge richt dem minder-
Unions-Rechtspolitiker dazu eine hochinteressante jährigen Kind einen Pfleger für die Verfahren, die
Anhörung. Letztlich finden sich - ich sage das auch seine Person betreffen, beistellt.
als Jurist - keine überzeugenden juristischen Argu- Wir finden nicht, daß die Verfahren damit aufge-
mente für eine Beibehaltung der jetzigen Differenzie- bläht werden. Dieser sogenannte Anwalt des Kindes
rung. ist keine dritte Prozeßpartei, sondern ein Sprachrohr
für das Kind. Ihre Regelung gefällt uns ausgespro-
Ich komme zum Schluß. Es gibt also eine ganze chen gut.
Reihe von Gemeinsamkeiten. Darüber sollten wir
sehr rasch Einvernehmen herstellen. Die Punkte, die Hier steht aber nicht der Regierungsentwurf, son-
wir noch unterschiedlich diskutieren, müssen wir dern der SPD-Antrag zur Debatte. Dazu sage ich: Es
gründlich erörtern, sicherlich auch mit Anhörungen hat uns sehr gefreut, daß Sie nach Ihrer Anhörung zu
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4651
Rita Grießhaber
einer Kursänderung gekommen sind und sich von wollen, was sie schon immer zusammen getan ha-
der automatischen gemeinsamen Sorge in Schei- ben, nämlich gemeinsam die Verantwortung für ihr
dungsfällen verabschiedet haben. Kind zu tragen, empfinden wir als massive Einmi-
schung. Der SPD-Antrag klärt nicht darüber auf, wel-
Im Feststellungsteil Ihres Antrags heißt es, daß im cher Grad an Verbindlichkeit diesem Sorgeplan zu-
neuen Recht das Kind als Rechtspersönlichkeit im kommt.
Vordergrund stehen muß und daß seine Rechtsposi-
tion gestärkt werden muß. Das sind Positionen, die Ich frage auch, wie Sie die Entscheidungen defi-
wir teilen. Ich habe jedoch Zweifel, ob das so durch- nieren, die im Zusammenleben mit Kindern „regel-
gehalten wird, wie es vorgesehen ist. mäßig" vorkommen. Was ich mir unter regelmäßigen
Entscheidungen vorstelle, ist: Was ißt das Kind, wie
Ihr Antrag umfaßt bezüglich der Verfahrenspflege
wird das Kind gekleidet, wie werden die leidigen
in Ziffer 7 die Vaterschaftsanfechtung, in Ziffer 19
Hausaufgaben geregelt? In der Klammer stehen - ich
den Tod eines allein sorgeberechtigten Elternteils
habe Ihren Antrag aufmerksam gelesen - die Herz-
und in Ziffer 25 das Verfahren über das Recht zur
stücke der elterlichen Verantwortung, nämlich das
Pflege der persönlichen Beziehungen. Im Begrün-
Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Ausbildungs-
dungsteil wird plötzlich von der Erforderlichkeit ei-
frage. Das ist eigentlich schon die Sorge, und ich
ner unabhängigen Vertretung des Kindes allgemein
frage mich, was dann noch gemeinsam bleibt.
gesprochen.
Tatsache ist aber, daß der SPD-Antrag zwei für das Wenn das Konfliktpotential im Scheidungsfall so
Kind absolut entscheidende Problemkreise nicht auf- hoch ist, daß man ohne staatliche Kontrolle nicht aus-
genommen hat, nämlich die tatsächlich unvergleich- zukommen glaubt, sollte dann nicht lieber gleich
lich häufig vorkommenden Fälle der Kindeswohlge- eine gerichtliche Entscheidung gesucht werden, und
fährdung und die Sorgerechtsverfahren. Das kann zwar eine solche, bei der mit der Verfahrenspflege
ich nicht nachvollziehen. Wir wollen die grundsätzli- von vornherein das Kind einbezogen wird? Die Er-
che Möglichkeit einer Verfahrenspflege für das Kind fahrung zeigt, daß, wenn eine Familie unwiderruflich
und damit eine durchgängige Stärkung seiner auseinandergeht, von allen Beteiligten nichts dringli-
Rechtsposition. cher gewünscht wird als klare, tragfähige und durch-
setzbare Regelungen. Solche werden wir noch in die-
Ich frage mich auch, wie ernst Sie es mit dem sem Jahr einbringen.
Schutz der Bedürfnisse des Kindes und dem Rückzug
des Staates aus der Familie bei Scheidungsverfahren Vielen Dank.
meinen. In diesem Zusammenhang komme ich wie
der Kollege von der CSU zu der Frage des sogenann- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ten Sorgeplans, den Sie so nicht nennen, der aber so sowie bei Abgeordneten der SPD und der
verankert wurde. PDS)

Meine Schwierigkeiten bestehen da rin, daß im


Sorgeplan vorgesehen ist, daß die sich scheiden las- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Bundes-
senden Eltern dem Gericht darlegen müssen, in wel- ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das
cher Weise sie den weiteren Aufenthalt des Kindes, Wo rt .
den Umgang mit dem Kind und alles weitere regeln
wollen, damit das Ge richt nicht von sich aus ein Ver-
fahren einleitet. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi-
nisterin der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen
Es ist richtig, daß sich Eltern darüber auseinander- und Herren! Ich freue mich, daß die bisherige De-
setzen, sich Gedanken machen und Regelungen fin- batte zu dem zweiten Antrag der SPD-Fraktion mehr
den. Aber man kann es doch nicht als Rückzug des Gemeinsamkeiten als Trennendes gezeigt hat. Sie
Staates vom Wächteramt bezeichnen, wenn das Ge- wissen, was mein Entwurf beinhaltet, da er Ihnen
richt zukünftig zu prüfen und zu beurteilen hat, ob vorliegt. Er ist Ihnen allen zugegangen, so daß ich
private Überlegungen auch wirklich angestellt wur- voraussetze, daß wir uns über die entscheidenden
den. Das geht uns entschieden zu weit. Punkte, um die es in den Beratungen voraussichtlich
Wer mündige Bürgerinnen und Bürger will, kann im nächsten Jahr gehen wird, austauschen können.
von den Eltern durchaus eine bewußte Entscheidung Sie sehen, wie sich auf der einen Seite der Referen-
darüber verlangen, ob sie für ihre Kinder auch nach tenentwurf entscheidet und wie Sie auf der anderen
einer Scheidung gemeinsam sorgen wollen. Wir se- Seite Ihren Antrag und vielleicht konkrete Anträge
hen deshalb das Antragserfordernis für die gemein- zum Gesetzentwurf formulieren.
same Sorge vor. Der Eingriff ist minimal und dient
Ich hoffe, daß es uns gelingt, die 90 % Gemeinsam-
dem Schutz des Kindes; denn das Interesse des Kin-
keiten, die Frau von Renesse angesprochen hat, nicht
des kann nicht sein, daß sich die Eltern wegen des
nur zu verbalisieren, sondern auch umzusetzen. Ich
Kindes streiten und erst dann eingegriffen wird,
denke, das ist ein sehr wichtiges Vorhaben. Es ist von
wenn sich bereits eine konkrete Kindeswohlgefähr-
so großer gesellschaftlicher Bedeutung, daß es insbe-
dung manifestiert hat.
sondere im Interesse einer Stärkung der Stellung der
Daß sich die Eltern zukünftig einer staatlichen Kinder gerade gegenüber ihren Eltern wäre, wenn
Kontrolle über ihre tatsächliche Verantwortlichkeit wir die Regelungen möglichst über die Fraktionen
unterziehen müssen, nur weil sie etwas fortsetzen hinweg im Konsens beschließen könnten.
4652 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


Ich kann hier nur betonen - das ist schon einige eine Lösung gefunden wird. Auch wenn wir alles
Male gesagt worden -, daß bei der rechtlichen schon mit den Verbänden, mit den Interessengrup-
Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder - pen besprochen haben, werden wir diese Themen
es geht nicht um die nichtehelichen Lebensgemein- in den Ausschüssen und Gremien sicher noch ge-
schaften - bei der gemeinsamen Verantwortung und meinsam beraten. Man sollte nicht davor Angst ha-
Sorge der Eltern, wenn sie nicht miteinander verhei- ben, zu versuchen, gemeinsamer Sorge eine grö-
ratet sind, für ihre Kinder und auch hinsichtlich des ßere Chance als bisher zu geben. So verstehe ich
Umgangsrechts eines nichtehelichen Vaters im we- die in meinem Referentenentwurf vorgesehene Re-
sentlichen Konsens besteht. Ich bin der Meinung, so gelung, die keine zwangsweise Verordnung von
wie es der Kollege Götzer ausgeführt hat, daß bei der Verantwortung und Sorge beinhaltet. Ich glaube,
gemeinsamen Sorge von Eltern, die nicht miteinan- wir sind uns alle einig, daß das überhaupt kein
der verheiratet sind, ein gemeinsamer Antrag ausrei- Weg sein könnte.
chen sollte. Wenn man sich dazu entscheidet, die
Verantwortung für die Kinder oder das Kind gemein- Interessanterweise laufen manche Überlegungen
sam zu tragen, auch wenn man nicht zusammenlebt in anderen Staaten in diese Richtung. In Schweden
- das sagen, glaube ich, auch Sie -, dann sollte eine findet z. B. im Moment eine Diskussion in diese Rich-
weitere Prüfung durch das Gericht nicht erforderlich tung statt. Man hat do rt seit vielen Jahren ein mit
sein. dem in meinem Entwurf vorgesehenen fast ver-
gleichbares Recht und gute Erfahrungen damit ge-
Beim gemeinsamen Sorgerecht im Falle von Tren- macht. Aber ich sage ganz klar: Das, was do rt jetzt
nung und Scheidung sind auch durch Ihren jetzt vor- diskutiert wird, kann ich mir in der Praxis überhaupt
gelegten Antrag die Schwierigkeiten deutlich gewor- nicht vorstellen. Es führt nicht zu mehr Konsens, im
den, die sich um diese Frage ranken. In dem ersten Gegenteil, Streitigkeiten würden erst recht provo-
Antrag von 1992 bewegten Sie sich im wesentlichen ziert.
in Übereinstimmung mit dem von mir vorgelegten
Referentenentwurf. Wir hatten denselben Ansatz Bei dem Personenkreis, der in das Umgangsrecht
und im wesentlichen auch dieselben Regelungen einbezogen wird, haben wir konzediert, die Großel-
vorgesehen. Jetzt haben Sie eine Änderung vorge- tern einzubeziehen. Über die anderen Punkte wer-
nommen, wobei im Mittelpunkt die obligatorische den wir gemeinsam reden. An diesem Punkt wird
Vereinbarung steht. Es ist schon richtig, diesen dieses große Vorhaben nicht scheitern.
Punkt zu problematisieren.
Die grundsätzlichen Fragen des Unterhaltsrechts
Es geht nicht darum, daß man generell sagt, es sei sind von Ihnen in Ihrem Antrag angesprochen. Gott
nicht gut, wenn sich Eltern, vielleicht auch noch sei Dank muß man die Sachverhalte, gerade auch
schriftlich festgehalten, über viele Punkte verständi- was das Verfahren betrifft, in einem Antrag nicht im
gen müßten. Aber ich sehe Gefahren darin, wenn wir einzelnen formulieren und darlegen. In der Ausge-
eine Vereinbarung vorschreiben, die ja sehr viele staltung gerade des Verfahrens liegen wirklich die
Punkte umfassen soll. Sie haben auch festgelegt, Schwierigkeiten. Wir arbeiten an einem gesonderten
welche Fragen entscheidend sind, gerade für den El- Entwurf, den wir, wie ich das im Rechtsausschuß aus-
ternteil, der die Betreuung ausübt. Sie haben darge- geführt habe, Anfang nächsten Jahres vorlegen wol-
legt, daß sich das auf die Erziehung, das Aufenthalts- len. Wir wollen beim Unterhaltsrecht eine Gleichstel-
recht, die Pflege, die Versorgung, das Berufsrecht lung der ehelichen und nichtehelichen Kinder.
und andere Punkte bezieht. Ich glaube, daß sich ge- Hierzu wollen wir ein einheitliches Mindestunter-
rade dann, wenn man auseinandergeht und sich haltsverfahren für minderjährige Kinder schaffen
scheiden läßt, sehr schnell die Verhältnisse, die Rah- und eine jährliche Dynamisierung einführen, damit
menbedingungen und die Lebensbedingungen, än- wir nicht mehr die Schwierigkeiten der Unterschei-
dern. dung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kin-
dern haben und zu einer zügigen und schnellen und
Für mich sind die Fragen noch nicht beantwortet, richtigen Anpassung an geänderte Lebensverhält-
wie dann mit einer solchen möglichen Vereinbarung nisse und zu gesteigertem Lebensunterhalt kommen.
umgegangen wird, wieweit sie dann, vielleicht auch Dies wird mit zu den Beratungen über den jetzt vor-
schriftlich und wieder mit einem Verfahren, geändert gelegten Entwurf und über Ihre Vorschläge gehören.
werden muß. Es ist dann vielleicht auch schwieriger, Wir werden das hoffentlich alles zusammen beraten
Änderungen zur Anpassung an neuere Lebensver- können. Ich wäre für jede Unterstützung, die zu ei-
hältnisse vorzunehmen, weil der eine oder andere El- ner Besserung führen kann, dankbar.
ternteil auf der Vereinbarung besteht und auf sie
pocht, sie aber den Lebensbedingungen, die dann Auf der anderen Seite müssen wir die Schwierig-
bestehen, vielleicht nicht mehr entspricht. Deshalb, keit sehen, daß der Unterhaltsschuldner nur bis zu
meine ich, gibt es noch erheblichen Erörterungs- und einem gewissen Grade belastbar ist. Wir kennen aus
Klärungsbedarf. der Praxis die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung
von Unterhaltsansprüchen. Entsprechende Überle-
Bei mir überwiegen im Moment die Bedenken gungen haben wir natürlich auch beim Betreuungs-
gegenüber dem von Ihnen gemachten Vorschlag. unterhalt angestellt. Die Verbesserungen aus der
Ich denke, daß zum gemeinsamen Sorgerecht und letzten Legislaturperiode, eine F rist von bis zu drei
zu der Frage, was wir tun können, damit es in der Jahren vorzusehen, waren gut und richtig. Bei aller
Zukunft günstigere Rahmenbedingungen als bisher berechtigten Sorge der Betroffenen muß man sehen,
geben wird, in den parlamentarischen Beratungen was in der Realität dann tatsächlich durchgesetzt
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4653
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
worden ist. Gerade diese Frage spielt im Unterhalts- Es ist in der Folge dieser breiten gesellschaftlichen
recht eine wichtige Rolle. Diskussion zu einem außerparlamentarischen Bünd-
nis „Gemeinsames Sorgerecht? Ja - auf Wunsch bei-
Das Argument der Vollstreckbarkeit von Entschei- der Eltern, nicht als Regelfall" gekommen. Ich
dungen darf, gerade auf das Umgangsrecht bezogen, meine, daß die intensive, sachliche und auch beharr-
nicht so schnell beiseite gelegt werden. Wenn wir liche Arbeit wesentlich dazu beigetragen hat, daß die
uns überlegen, wie Ansprüche im allerungünstigsten SPD hat einsehen müssen, daß das gemeinsame Sor-
Fall auch durchgesetzt und damit vollstreckt werden, gerecht als Regelfall gerade nicht mit dem Kindes-
müssen wir gleichzeitig überlegen, was Ansprüche wohl begründet werden kann.
wert sind.
Jetzt hat die SPD die Forderung des Bündnisses
Wir haben alle die fürchterlichen Bilder vor Augen, „Gemeinsames Sorgerecht? Ja - auf Wunsch beider
die dabei auftreten können. Ich glaube, keiner von Eltern, nicht als Regelfall" nach einer Elternverein-
uns mag sich vorstellen, daß ein Kind mit Kräften des barung aufgegriffen, der zufolge die Eltern künftig
Staates von der einen Person, wo es sich aufhält, für gehalten sein sollen, unabhängig von der Sorge-
einige Stunden zu der anderen gebracht wird, um rechtsregelung zunächst einmal die Frage des Auf-
ein Umgangsrecht und Besuchsrecht durchzusetzen. enthalts, des Umgangs, der Pflege, der Erziehung
Aber wir sollten uns schon Gedanken machen, ob des Kindes und nicht zuletzt die Frage des Unterhalts
wir nicht eine Vollstreckbarkeit für allerschwierigste einvernehmlich zu klären. In der Frage der Sorge-
Fälle vorsehen müßten, damit nicht dieses Recht rechtsregelung selbst hat sich die SPD dazu durchge-
letztendlich nur auf dem Papier steht und sich in der rungen, daß das Ge richt dem übereinstimmenden
Realität nichts ändert. Vorschlag der Eltern zur Regelung der nacheheli-
Mein Fazit nach dem ersten Durchgang Ihres An- chen Sorge folgen soll, wenn dieser dem Kindeswohl
trags lautet: Wir haben auch im grundsätzlichen An- nicht widerspricht. All das ist ausdrücklich zu begrü-
satz sehr viele Gemeinsamkeiten. Wenn hinterher ßen.
etwas wirk lich Vernünftiges im Interesse der Kinder Beim genauen Lesen des Antragstextes wird aber
herauskommt - da bin ich sehr zuversichtlich; 482 deutlich, daß sich die SPD noch immer nicht von der
Seiten sprechen ihre Sprache -, dann haben wir in nicht nur irrigen, sondern auch, wie ich meine, ge-
dieser Legislaturpe riode etwas Vernünftiges gemein- fährlichen Ansicht getrennt hat, das gemeinsame
sam geschaffen. Sorgerecht sei per se die das Kindeswohl am besten
Vielen Dank. fördernde Sorgerechtsform.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Der Antrag der SPD sieht vor, daß im Streitfall - ich
rede jetzt nur über die strittigen Fälle - der A rt , daß
nur ein Elternteil das alleinige Sorgerecht beantragt,
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Ch ristina das Gericht diesem nur dann folgen soll, „wenn dies
Schenk, Sie haben das Wo rt . zur Wahrung des Kindeswohls angezeigt ist". Das
heißt, die SPD führt in ihrem Antrag für die Übertra-
Christina Schenk (PDS): Herr Präsident! Meine Da- gung des alleinigen Sorgerechts im Streitfall ein Kri-
men und Herren! Ich möchte in meiner Rede nur auf terium ein, das sehr viel schärfer gefaßt ist als die jet-
einen Punkt des Antrags der SPD eingehen, und zige Regelung in § 1671 BGB, nach der eine Sorge-
zwar auf die Frage der Regelung des Sorgerechts rechtsregelung getroffen werden soll, „die dem
nach Trennung und Scheidung. Immerhin muß man, Wohle des Kindes am besten entspricht".
wenn man den jetzt vorgelegten Antrag mit dem aus Warum diese Unterschiede? Warum wird diese Dif-
der vergangenen Legislaturperiode vergleicht, zu der ferenz aufgebaut? Ich meine, der Hintergrund ist,
sehr positiven Feststellung kommen, daß sich die daß transportiert werden soll, daß das gemeinsame
SPD vom gemeinsamen Sorgerecht als Regelfall, Sorgerecht grundsätzlich doch das bessere sei.
d. h. von der Vorstellung, das in der Ehe gegebene
gemeinsame Sorgerecht könne auch nach der Tren- Folgt man dem Antrag der SPD, muß derjenige El-
nung und Scheidung automatisch fortexistieren, ver- ternteil, der das alleinige Sorgerecht, aus welchen
abschiedet hat. Gründen auch immer, will, den Nachweis erbringen,
daß trotz Trennung und Scheidung die Beibehaltung
Die ursprünglichen Vorstellungen der SPD haben des gemeinsamen Sorgerechts nicht zur Wahrung
in der Gesellschaft eine sehr breite Diskussion her- des Kindeswohls geeignet ist bzw. dem Kindeswohl
vorgerufen. Je länger diese andauerte und je stärker sogar schadet.
tatsächlich das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt -
gestellt wurde, desto länger wurde die Liste derjeni- Angesichts der noch immer virulenten Fiktion, die
gen, die die Regelfallregelung beim gemeinsamen Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ins-
Sorgerecht ablehnen. Die Regelfallregelung wird besondere durch Väter lasse sich durch das Rechts-
keineswegs nur von Verbänden, die vorwiegend die institut der gemeinsamen Sorge befördern - Frau
Interessen Alleinerziehender vertreten, abgelehnt, Grießhaber hat das hier deutlich formuliert -, wird es
wie das hier zuweilen behauptet wird. Vielmehr sind dem Elternteil, der das alleinige Sorgerecht bean-
es auch die Familienverbände und der Deutsche Pa- tragt - das sind in der Regel Frauen - nicht oder nur
ritätische Wohlfahrtsverband, die ihre Erfahrungen sehr schwer gelingen, diesen Nachweis zu erbringen
aus der Betreuungs- und Beratungspraxis in die De und die Übertragung des alleinigen Sorgerechts
batte eingebracht haben. durchzusetzen.
4654 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Christina Schenk
Im übrigen heißt das, daß die von der SPD vorgese- Zweitens. Bei einer Scheidung sind die Eltern auf-
hene Regelung dazu führen kann, daß das gemein- gefordert, dem Ge richt einen einvernehmlichen Vor-
same Sorgerecht auch im strittigen Fall gegen den schlag zur nachehelichen Sorgerechtsregelung zu
Willen eines Elternteils angeordnet wird. Im Antrag unterbreiten. Die Ge richte haben diesem Vorschlag
der SPD wird diese für das Kind absolut schlimmste zu entsprechen, wenn dieser dem Kindeswohl nicht
Variante jedenfalls nirgendwo explizit ausgeschlos- widerspricht.
sen. Der Ermessensspielraum für die Ge richte ist
enorm. Drittens. Beantragt nur ein Elternteil die Zuwei-
sung des alleinigen Sorgerechts oder stellen die El-
Es ist mir sehr wichtig, das so deutlich zu sagen: Es tern sich widersprechende Anträge, so soll das Ge-
muß klar sein, daß es im strittigen Fall im Interesse richt wie bisher dem Antrag folgen, der dem Kindes-
des Kindes stets nur die Entscheidung geben kann, wohl am ehesten entspricht. Die Übertragung und
das alleinige Sorgerecht auf einen Elternteil zu über- die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts
tragen. Die nacheheliche Sorgerechtsregelung hat gegen den Willen eines Elternteils ist auszuschlie-
das Kind vor den Konflikten der Eltern zu schützen ßen, und zwar absolut.
und es diesen nicht schutzlos auszuliefern. Von da-
her wäre es durchaus angebracht, Eltern, die den Der letzte Punkt ist meiner Meinung nach für die
Wunsch nach einem gemeinsamen Sorgerecht äu- Praxis des gemeinsamen Sorgerechts sehr wichtig.
ßern, aufzufordern, darzutun, daß sie willens und vor Können sich die Eltern bei Ausübung des gemeinsa-
allem in der Lage sind, den besonderen Anforderun- men elterlichen Sorgerechts in einer einzelnen Ange-
gen, die die nacheheliche Ausübung des gemeinsa- legenheit der elterlichen Sorge nicht einigen, so hat
men Sorgerechts an Kommunikations- und Koopera- der betreuende Elternteil Entscheidungsvorrang.
tionsfähigkeit stellt, gerecht zu werden. Ich meine, gerade bei der Frage des Sorgerechts ist
Noch einmal: Die für das Kind beste Sorgerechts- es relativ einfach, zu vernünftigen Regelungen zu
regelung ist immer die, die das Kind so gut wie kommen, zumindest solange man sich den Blick
nur möglich vor eventuellen Elternkonflikten schützt. nicht durch Mythen oder durch Wunschdenken ver-
Das heißt, das gemeinsame Sorgerecht kann nach ei- kleistern läßt.
ner Trennung bzw. Scheidung nur dann dem Wohl Vielen Dank.
des Kindes zuträglich sein, wenn die Eltern die not-
wendige Bereitschaft und die notwendige Fähigkeit (Beifall bei der PDS)
zur Kommunikation und Kooperation mitbringen.
Vizepräsident Hans Klein: Meine verehrten Kolle-
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle ist es
ganz hilfreich, auch einmal einen Blick auf die gesell- ginnen und Kollegen! Die nächsten vier Redner, der
schaftlichen Realitäten zu werfen. Höchstens 10 % Kollege Pofalla, die Kollegin Niehuis, die Kollegin
der geschiedenen Eltern - das mag gebietsweise et- Falk und der Kollege Lanfermann, geben ihre Reden
was unterschiedlich sein - entscheiden sich für das zu Protokoll.') Ich muß dafür die Zustimmung des
gemeinsame Sorgerecht. Eine Begründung dafür, die Hauses einholen. Sind Sie damit einverstanden? -
Ausnahme per Gesetz zur Regel umdefinieren zu (Zurufe: Ja!)
wollen, wenn auch nur durch die Hintertür, ist bis-
lang noch nicht geliefert worden. Dies wiederum führt dazu, daß sich die jetzige
Aussprache um über eine halbe Stunde verkürzt. Das
Ich will anschließend noch einmal die Grundprinzi- bedeutet, daß der erste Redner zum nächsten Tages-
pien nennen, die unserer Auffassung nach einer ordnungspunkt fehlt. Das ist nicht seine Schuld,
Neuregelung des elterlichen Sorgerechts zugrunde denn er konnte sich ursprünglich darauf verlassen,
liegen sollten. daß er erst in einer halben Stunde zu kommen
braucht. Andere Redner möchten ihre Debattenbei-
Erstens. Die gesetzliche Regelung des Sorgerechts
träge zu Protokoll geben.
muß ohne Bevorzugung eines bestimmten Modells
erfolgen, so daß sich Eltern frei und entsprechend ih- Darf ich vorab schon einmal für diese Redner das
ren persönlichen Bedingungen für eine Sorgerechts Einverständnis des Hauses einholen? - Das Einver-
form entscheiden können. ständnis ist erteilt.
(Zuruf von der SPD: Das wollen wir!) Dies wiederum, meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen, heißt, daß wir mit unserer Tagesordnung
Dies allein ist der bestmögliche Schutz des Wohls des um eine Stunde im voraus sind. Ich mache Ihnen ei-
Kindes.
nen Vorschlag zur Praktikabilität, um auch den Ge-
Ich meine, die Jugendämter sollten in ihren Bera- schäftsführern die Arbeit ein wenig zu erleichtern. -
tungsgesprächen explizit darauf hinweisen, daß zu Ich schlage vor, daß wir die Sitzung jetzt für einige
den notwendigen Voraussetzungen für das nachehe- Minuten unterbrechen, damit die Geschäftsführer
liche gemeinsame Sorgerecht die Kommunikations- mit den vorgesehenen weiteren Rednern in Kontakt
und Kooperationsfähigkeit der Eltern unabdingbar treten können.
dazugehört. Sie müssen die Eltern über die Gefahr Ich unterbreche die Sitzung.
für das Wohl des Kindes aufklären, die entsteht,
wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. In (Unterbrechung von 19.47 Uhr bis 19.52 Uhr)
solchen Fällen ist das alleinige Sorgerecht immer die
bessere Entscheidung. *) Anlage 4
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4655

Vizepräsident Hans Klein: Meine Kolleginnen und Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr.
Kollegen! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich habe zunächst, nachdem ich die Genehmigung Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Ich schließe mich
eingeholt habe, daß die restlichen Reden zu Tages- dieser Argumentation an. Auch ich fühle mich ein
ordnungspunkt 8 zu Protokoll gegeben werden kön- bißchen überfahren; denn ich wurde im Hereinkom-
nen, die Aussprache zu schließen und Ihnen zu sa- men gefragt, ob wir bereit sind, zu Protokoll zu ge-
gen, daß interfraktionell die Überweisung der Vor- ben, weil alle anderen auch zu Protokoll geben. Erst
lage auf Drucksache 13/1752 an die in der Tagesord- im nachhinein habe ich erfahren, daß bei den ande-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgesehen ist. Be- ren kein Zugeständnis in diesem Sinne vorliegt.
steht damit das Einverständnis des Hauses? - Das ist
offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen Vizepräsident Hans Klein: Damit kein falscher
so beschlossen. Zungenschlag in die Geschichte kommt: Wenn das
Haus zu debattieren wünscht, wird debattiert. Ich
Wie vorhin bereits festgestellt, wollen auch die Kol- habe sowieso Dienst. Nur, darüber wollen wir uns klar
leginnen und Kollegen einschließlich der Vertreter sein: Wenn die Geschäftsführer in einer bestimmten
der Bundesregierung die Debattenbeiträge zu dem Situation eine Abmachung treffen, die wieder aufge-
Tagesordnungspunkt 9 sowie zu den Zusatzpunkten 2 rollt wird, dann tun wir uns selber keinen Gefallen.
und 3 zu Protokoll geben. Darf ich dazu noch einmal Aber es ist jetzt so beschlossen. Es ist thematisiert. In
das Einverständnis des Hauses offiziell einholen? - dem Augenblick, in dem man sagt, erst heute nach-
Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Kansy das mittag haben wir über unsere Arbeit gesprochen, also
Wo rt . dürfen wir jetzt nichts zu Protokoll geben, weil die Na-
tion danach lechzt, unsere Stimmen zu hören, ist das
Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Herr Präsi- selbstverständlich für mich hier zwingend.
dent! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt zugege-
benermaßen eine unglückliche Situation, aber wir Ich rufe deshalb den Tagesordnungspunkt 9 sowie
haben heute den ganzen Nachmittag wirklich Parla- die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
ment gezeigt, wie Sie sich das vorstellen und wie wir
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung
uns das vorstellen. Es war eine sehr wichtige De-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
batte. Millionen von Menschen sind allerdings auch
Neuregelung der steuerrechtlichen Wohn-
davon betroffen, wie die Förderung des Wohnungs-
eigentumsförderung
baus und die Eigentumsbildung beim Wohnungsbau
aussehen werden. Meine persönliche Meinung als - Drucksache 13/2235 —
wohnungspolitischer Sprecher der CDU/CSU ist, daß Überweisungsvorschlag:
es durchaus angemessen ist, die langjährigen Über- Finanzausschuß (federführend)
legungen zu diesem Thema auch im Plenum des Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Deutschen Bundestages zu diskutieren. Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Wo ist denn das Plenum?) ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fran-
ziska Eichstädt-Bohling, Christine Scheel, Ul-
- Das Plenum sind wir jetzt, verehrte Kollegin. - Dies rike Höfken-Deipenbrock, weiterer Abgeord-
ist jedenfalls meine persönliche Meinung und ich be- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
trachte die Diskussion darüber als nicht abgeschlos- GRÜNEN
sen. Eckwerte für ein grünes Wohnungs-Selbsthil-
fe-Gesetz für eine soziale und ökologische
Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege Reform der Wohneigentumsförderung
Großmann.
- Drucksache 13/2304 —
Überweisungsvorschlag:
Achim Großmann (SPD): Herr Präsident! Meine Finanzausschuß (federführend)
Damen und Herren! Auch ich möchte darauf hinwei- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
sen, daß, als über die Entscheidung nachgedacht Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
wurde, noch nicht alle Redner im Saal waren. Ich Haushaltsausschuß
habe gerade noch einmal mit einigen Rednern Rück-
sprache genommen. Auch ich als wohnungspoliti- ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten
scher Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion möchte Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Barbara Höll,
fragen, ob es die Möglichkeit gibt, die Entscheidung Dr. Uwe-Jens Rössel und der Gruppe der PDS
noch einmal zu überdenken und die wohnungspoliti- Reformierung der Wohneigentumsförderung
sche Debatte doch zu führen. als ein Bestandteil der Wohnungsbaupolitik
Die Irritationen sind u. a. dadurch zustande ge- - Drucksache 13/2357 —
kommen, daß der letzte Tagesordnungspunkt etwas
Überweisungsvorschlag:
verkürzt worden ist. Von daher hat jeder Mann und
Finanzausschuß (federführend)
jede Frau ein Einsehen, daß man diese Entscheidung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
noch einmal überdenkt, weil die Zeit nicht hinrei- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
chend gegeben war. Haushaltsausschuß
4656 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsident Hans Klein


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind Wir müßten dann ebenfalls, wenn wir mißtrauisch
für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden sein wollen, eine entsprechende Absicherung von
vorgesehen. Ich setze das Einverständnis des Hauses den Ländern verlangen. Ich glaube, das ist nicht un-
dazu voraus. - Dieses liegt auch offenbar vor. Dann bedingt der Weisheit letzter Schluß.
ist das so beschlossen.
Wir schlagen eine Eigenheimzulage vor, bei der
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parla- der Bauherr acht Jahre lang bis zu 5 000 DM jährlich
mentarischen Staatssekretär beim Bundesminister erhält und der Erwerber 2 200 DM. Die volle Förde-
der Finanzen, Professor Dr. Kurt Faltlhauser, das rung erhält bereits derjenige, der förderungsfähige
Wo rt . Kosten in Höhe von 100 000 DM nachweisen kann.
Ich füge gleich folgendes hinzu, weil ich weiß, wie
die Diskussionsbeiträge in den Debatten der Aus-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- schüsse aussehen werden. Man könnte sich fragen:
desminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Da- Wäre es nicht schöner, mehr als 2 200 DM für den Er-
men und Herren! Wir legen Ihnen heute in erster Le- werb eines Altbaus in den neuen Bundesländern
sung einen Gesetzentwurf zur Beratung und zur Ver- aufzuwenden? Ich erinnere mich an Ihre Forderung,
abschiedung vor, der, glaube ich, ein sehr guter An- Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, da deutlich zuzule-
satz für die Förderung des selbstgenutzen Woh- gen. Ich sage nur unter Berücksichtigung des Prin-
nungsbaus ist.
zips der Aufkommensneutralität: Was ich hier zusätz-
lich drauflege, muß ich an anderer Stelle wegneh-
Wir haben in einer komplizierten Debatte während
der letzten Jahre und besonders der letzten Monate men. Soll ich es bei der Familienkomponente weg-
nehmen? Oder wo soll ich es wegnehmen? Ich wäre
in der Bundesregierung ein Optimierungskonzept
dankbar, wenn dies immer gesehen würde. Jeder hat
gesucht und schließlich auch gefunden, das vom
Wohnungsbauminister, vom Finanzminister und von seine bestimmten Präferenzen. Je nachdem, wie die
Präferenz ist, etwa Förderung in den neuen Bundes-
den übrigen Experten der Bundesregierung gemein-
ländern, wird dann auch der Vorschlag im Rahmen
sam getragen wird. Ich bedanke mich insbesondere
der ausgewogenen Förderung innerhalb dieses Ge-
beim Wohnungsbauminister, daß dieser Konsens in
setzes aussehen.
so großer Harmonie und gleicher Zielsetzung gelun-
gen ist. Es gibt das Problem der Familienförderung. Die
Förderung kann von jedem Steuerpflichtigen nur
Meine Damen und Herren, es besteht immer eine einmal in seinem Leben in Anspruch genommen
große Schwierigkeit, wenn man ein altes System ab- werden, von Ehegatten insgesamt zweimal, aber
löst, ein neues versucht und für das neue System den eben nicht gleichzeitig für dieselbe Wohnung. Steht
gleichen finanziellen Rahmen hat. Da knapst es an eine Wohnung im Miteigentum mehrerer Personen,
allen Enden. Da gibt es große Schwierigkeiten. In z. B. bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften, kann
dem Augenblick, in dem Sie - das ist zwingend - die jeder Miteigentümer ebenso wie im Falle von Ehe-
Aufkommensneutralität sichern wollen, reifen nicht gatten, die Miteigentümer sind, die Förderung nur
alle Blütenträume, die es gibt. anteilmäßig erhalten. Eine Kumulation der Förderbe-
träge bei Ehegatten hält die Bundesregierung nicht
Erstens. Wir wollten mit unserem System von vorn- für zu verwirklichen. Dies würde zum einen zu einer
herein insbesondere die Schwellenhaushalte besser ungerechtfertigten Benachteiligung von Alleinerzie-
fördern. henden mit Kindern führen und zum anderen eine
weitere Verkomplizierung bei Ehescheidung, Tod ei-
Zweitens. Wir wollten die Berechenbarkeit der För-
nes Ehegatten, Wiederheirat nach Inanspruchnahme
derung für die Bauwilligen vergrößern.
der Förderung durch einen Ehegatten mit sich brin-
Drittens. Wir wollten eine deutliche Vereinfachung gen. Hierfür kann es aus Haushaltsgründen keinen
sicherstellen. Ich glaube, das ist uns mit dieser Vor- Handlungsspielraum geben.
lage gelungen. Die Kumulation wird z. B. vom Wohnungsbauaus-
schuß des Bundesrates gefordert. Aber die Gesetzes-
Wir haben das Ganze in den Rahmen eines Steuer- anträge - ich weise darauf hin - von Nordrhein-West-
gesetzes eingebaut. Man hätte es auch anders ma- falen, Herr Reschke, und Rheinland-Pfalz sehen
chen können. Sicherlich kann man überlegen: Wir eben keine Kumulation vor.
verwirklichen das in einem Leistungsgesetz. Dann
aber läge die ganze Finanzierung natürlich beim Wir haben im Rahmen dieses Konzeptes Einkom-
Bund, und wir hätten die großen Schwierigkeiten, mensgrenzen vorgesehen. Es sind die gleichen Ein-
das Geld von den Ländern gewissermaßen zurückzu- kommensgrenzen wie bei dem obsolet gewordenen
bekommen. § 10e, der uns allen miteinander nun wirklich zu
kompliziert war. Wir sollten froh darüber sein, daß
Wir haben heute mittag ein entsprechendes Bei- wir das komplizierte und umfangreiche Gesetzes-
spiel im Zusammenhang mit dem Jahressteuergesetz werk des § 10e endlich verabschieden können. So
erlebt, und zwar beim Familienleistungsausgleich. ganz weg ist es ja noch nicht; es wirkt ja immer noch
Wir haben gesehen, wie das dann ist. Die Länder ha- nach. Was getan wurde, ist aber ein guter Schritt
ben zur Absicherung ihrer Forderungen gegenüber voran zur Vereinfachung unseres Steuerrechtes. Wir
dem Bund eine Grundgesetzänderung verlangt, um übernehmen diese Einkommensgrenzen, 120 000
die 5,5 % zusätzlicher Mehrwertsteuer abzusichern. DM für Ledige und 240 000 DM für Verheiratete.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4657
Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
Diejenigen, die radikal vereinfachen wollen, sagen Kinder im Rahmen des Jahressteuergesetzes auszu-
natürlich: Gar keine Einkommensgrenzen. Das ist geben, dann ist es ein unglaubliches Signal dieser
gar nicht unvernünftig, weil die Einkommensgren- Koalition für Familienpolitik. - Das ist weiß Gott des
zen lediglich in 5 % der Bau- und Erwerbsfälle über- Beifalles wert .
schritten werden. Es ist also ein relativ geringer Pro-
zentsatz. Allerdings hätten wir auch hier wieder die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Problematik der Haushaltsklemme. Wir müßten dann Meine Damen und Herren, ich weiß, Wohnungs-
unsere Vorstellungen einer Aufkommensneutralität baupolitik ist schon alleine ein kompliziertes Feld.
aufgeben. Wenn Wohnungsbaupolitik aber mit Haushaltspolitik
Übrigens, so kompliziert ist die Sache mit den Ein- und Steuerpolitik sowie mit Verwaltungs- und admi-
kommensgrenzen nicht; denn wir haben eines vorge- nistrativen Fragen zusammenwirkt, dann wird es
sehen - das scheint mir wichtig zu sein -: Wir stellen eine sehr komplizierte Debatte geben. Aber ange-
sichts der Vorschläge, die auch im Bundesrat vorlie-
diese Einkommensgrenzen einmal fest, und dann be-
lassen wir es dabei. Dies ist, wie ich meine, ein we- gen, werden wir gemeinsam zu einem vernünftigen
Ergebnis zum Wohle derjenigen kommen, die in der
sentlicher Bestandteil auch der Anreizwirkung dieses
Zukunft selbstgenutztes Wohneigentum bilden wol-
Systems. Wenn ich nämlich einmal im Förderbereich
len. Mit diesem Gesetz, daß wir heute zur ersten Le-
bin, weil ich unterhalb dieser Einkommensgrenzen
sung vorlegen, helfen wir ihnen in massiver Weise.
liege, dann kann ich eben acht Jahre lang mit diesem
Geld rechnen. Das fördert meinen Mut, diese wich- Ich bedanke mich.
tige Familien- und Lebensentscheidung tatsächlich
zu treffen, da ich dann nicht das Risiko auf mich neh- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
men muß, nach drei oder vier Jahren möglicherweise
nicht mehr unter diesen Fördertatbestand zu fallen.
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
Dies ist ein ganz wichtiger Punkt, der überdies we-
lege Otto Reschke.
sentlich verwaltungsvereinfachend wirkt.
Sicherlich wird der eine oder andere - da nehme O tt o Reschke (SPD): Herzlichen Dank, Herr Präsi-
ich einmal die zukünftige Diskussion voraus - über dent!
diese Einkommensgrenze hinauswachsen. Aber an-
gesichts der Tatsache, daß bisher nur 5 % der Bau- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vor-
und Erwerbsfälle über dieser Grenze lagen, wird dies liegende Gesetzentwurf zur Neuregelung der steuer-
ein zu vernachlässigender, marginaler Gesichtspunkt lichen Wohneigentumsförderung übernimmt in wich-
sein. tigen Punkten - wie gesagt, in wichtigen Punkten -
langjährige Forderungen der SPD. Die Regierung
(Achim Großmann [SPD]: Er wird nur ein will auf eine einkommensunabhängige Förderung
Jahr lang „runterwachsen" ! ) abstellen; das ist unsere Forderung schon seit über
zehn Jahren.
Lassen Sie mich noch einen wichtigen steuersyste-
matischen Punkt hier anführen, bevor ich noch ein- (Beifall bei der SPD)
mal kurz zur Familienkomponente komme. Auch in
den eigenen Reihen gibt es die Diskussion, ob es Die Förderung soll wirksamer gestaltet und verein-
nicht unstatthaft sei, jetzt zu einer pauschalen Förde- facht werden; das ist schon seit sechs Jahren eine
rung zu kommen und die Progressionsabhängigkeit einstimmige Forderung des Deutschen Bundestages.
aufzugeben. Ich glaube, daß die Förderung des Woh- Das Baukindergeld ist zu erhöhen. Ja, wer wünscht
nungsbaus nicht zwingend in das Steuersystem sich das nicht? Warum haben wir bisher keine Um-
hineingehört. Für mich war das immer schon ein schichtung und Bereitstellung der Mittel gehabt?
schlichter Subventionstatbestand, der mit dem Prin- Und bei der Vorsparförderung sind sich alle Parteien
zip der Leistungsfähigkeit innerhalb des Steuer- einig. Manchmal habe ich den Eindruck, daß sie sich
rechts nicht zwingend etwas zu tun hat. Deshalb ha- bei diesem Punkt im Wahlkampf ein bißchen überbo-
ben wir keine großen Schwierigkeiten gehabt, von ten haben. Diese Vorschläge werden also grundsätz-
den progressionsabhängigen Vorstellungen der Ver- lich von uns begrüßt.
gangenheit Abschied zu nehmen und zu diesem Wir sind jedoch der Auffassung, daß die Koalition
neuen System zu kommen. viel zu lange gebraucht hat, um den unüberschauba-
Wir haben etwas ganz Sensationelles gemacht, in- ren, unwirksamen und ungerechten § 10e abzulösen.
dem wir das Baukindergeld als Teil der Familienför- (Achim Großmann [SPD]: Sieben Jahre!)
derung drastisch erhöht haben. Bisher haben wir, so-
weit ich es im Kopf habe, etwa 3,2 Milliarden DM für Falscher Reformeifer von Herrn Schneider 1986/87
die Familienkomponente ausgegeben, und wir wer- und die Reparaturgesetze förderten immer mehr
den in Zukunft fast 2 Milliarden DM mehr ausgeben, Haushalte mit hohen Einkommen. Anträge der SPD
indem wir von 1 000 DM auf 1 500 DM hinaufgehen. zu Reformen sind von der Koalition stets abgelehnt
Das ist ein guter Schritt, ein richtiges familienpoliti- worden. Heute sagen Sie, Herr Faltlhauser, eigent-
sches Signal. Wenn Sie diese drastische Erhöhung lich sei das immer schon ein Subventionstatbestand
des Baukindergeldes mit dem zusammenknüpfen, gewesen. Hätten Sie das mal ein bißchen früher ge-
was wir heute mittag gemacht haben, nämlich im er- sagt, als Sie noch Sprecher der Arbeitsgruppe Finan-
sten Jahr schon zusätzlich 7 Milliarden DM für die zen waren!
4658 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Otto Reschke
Auf unser Drängen hin forde rte der Bundestag 160 000 DM aufwärts stufenweise abzuschmelzen.
1991 die Bundesregierung auf, ein effizientes Förder- Diese Einsparungen können zugunsten von Fami-
konzept zu entwickeln. Wie gesagt: Die Richtung des lien, zugunsten der Grundförderung verwendet wer-
Gesetzentwurfes stimmt, aber, Herr Minister Töpfer - den.
jetzt spreche ich Sie als Wohnungsbauminister an -,
bleiben Sie mit der Reform nicht auf halbem Wege Viertens. Es bestehen auch in der Frage der Zu-
stehen. Wir sollten gemeinsam versuchen, etwas zu sammenlegung von Förderbeträgen für Ehepaare bei
tun. uns keine Schwierigkeiten. Selbstverständlich gibt
es differenzierte Ansichten der Bundesländer, bei un-
Beratungsbedarf besteht für uns in folgenden acht terschiedlichen Modellen.
Punkten: Erstens. Die Fördergrenze soll bei einem
Einkommen von 120 000 DM für Ledige bzw. 240 000 Die SPD forde rt , daß Eheleuten das Zusammenle-
DM für Verheiratete liegen. Zugrunde gelegt wird gen des jeweiligen Förderbetrages bis zum einein-
nur noch der Gesamtbetrag der Einkünfte, die im halbfachen Betrag ermöglicht wird. Der Spareffekt
Jahr der Fertigstellung oder des Kaufs einer Woh- durch Kumulation und Objektverbrauch bei Ehepaa-
nung erzielt wurden. Auf Grund meiner Kenntnis des ren liegt damit auf der Hand. Es ist nur ein Vorzieh-
Steuerrechts sage ich deutlich: Es gibt genug Mög- effekt. Warum er von der Koalition nicht angegangen
lichkeiten, den Gesamtbetrag der Einkünfte im Jahr wird, bleibt Ihr Geheimnis. Sie sollten die zugrunde-
der Fertigstellung oder Anschaffung einmalig zu sen- liegenden Zahlen dem Haus darlegen.
ken, um so die Förderung zu erlangen, lieber Kollege
Staatssekretär. Nach Ihrem Modell kann die Devise für Unverhei-
ratete nur lauten: Erst bauen, Kinderkomponente
Fakt ist, daß es eine jährliche Überprüfung des vorziehen, dann heiraten. Oder für Verheiratete heißt
Einkommens über den gesamten Förderzeitraum von es nach Ihrem Modell mit der mangelnden Kumula-
acht Jahren nicht mehr geben soll. Sie begründen tion ab 1996: Erst scheiden lassen, Kinderkompo-
dies mit Verwaltungsvereinfachung und sehen es als nente teilen, dann bauen und später wieder zusam-
Anreiz zum Einstieg. Ich frage mich, was Sie sagen menziehen. Eine Wahlmöglichkeit für Familien wäre
würden, wenn die SPD den Vorschlag machte, aus gerechter, sozial und überschaubar für viele Fami-
Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei Wohn- lien.
geld- und Sozialhilfeempfängern die Einkommens-
verhältnisse sieben Jahre lang nicht zu überprüfen. Fünftens. Der Gesetzentwurf der Regierung nimmt
Sie würden in diesem Haus auf den Tischen stehen, keine Rücksicht auf die erheblich höheren Kosten
will ich mal prophezeien. beim Bau oder Erwerb von Wohneigentum in Bal-
lungsgebieten. Bodenknappheit und hohe Grund-
(Beifall bei der SPD) stückskosten sind der Grund, daß in den Ballungsge-
bieten die Eigentumsquote dreimal niedriger ist als
Zu Ihrem Vorschlag kann ich nur sagen: Verwal- in ländlichen Regionen oder in den Randzonen der
tungsvereinfachung darf nicht zu weiterer Fehlförde- Großstädte. Nicht selten machen die Grundstücksko-
rung oder sozialer Ungerechtigkeit führen. sten mehr als die Hälfte der gesamten Gebäude-
oder der gesamten Herstellungskosten aus.
Zweitens. Den Vorkostenabzug, der an die Eigen-
heimzulage gekoppelt werden so ll , lassen Sie weiter- Gerade der Beschluß des Bundestages von 1991
hin progressionsabhängig. Genauso wie der Bundes- fordert die besondere Berücksichtigung der Bal-
rat fordern wir die Streichung der Möglichkeit, Wer- lungsgebiete. Die SPD verlangt daher einen Zu-
bungskosten vor dem Einzug von der Steuer abzuzie- schlag für Ballungsgebiete. Dieser Zuschlag ist auch
hen. Hier können nicht nur 325 Millionen DM umge- notwendig, um dem Trend der immer stärker wer-
schichtet werden, sondern fast 2 Milliarden DM. Da- denden Zersiedlung entgegenzuwirken. Dieses Pro-
durch würde mehr Geld für die Grundförderung und blem kann natürlich nicht allein mit der Wohneigen-
das Baukindergeld oder für die Förderung ökologi- tumsförderung gelöst werden. Die SPD forde rt daher
schen Bauens zur Verfügung stehen. nachdrücklich ergänzende Maßnahmen zur Sen-
kung der Grundstücks- und Baukosten, aber auch
Drittens. „Wir sind nicht blauäugig, sondern glau- zur besseren Bodenbereitstellung.
ben, realistisch Familien mit Einkommen ab 60 000/
70 000 DM im Visier zu haben „ , so Minister Töpfer Sechstens. Der Entwurf der Regierung enthält
am 1. August 1995 im „Handelsblatt „ . Herr Minister, keine Möglichkeit zur Förderung ökologischen Bau-
im Visier hatten Sie anscheinend die Familien, aber ens. Provokativ kann man fragen: Wo, Herr Minister
dann, wie man als Waidmann sagt, danebengeschos- Töpfer, bleibt eigentlich die „Öko-Z", wie die Öko-
sen oder das Ziel verfehlt. So ist es zumindest im Ge- Zulage in Kurzform genannt werden könnte? Ich darf
setzentwurf zu lesen. Sie auch hier wieder zitieren: „Mein Ziel bleibt es,
durch Fördermaßnahmen auch künftig die ökologi-
Im Gesetzentwurf ist die geplante jährliche sche Erneuerung zu unterstützen." Dies jedenfalls
Grundförderung von 5 000 DM für Neubauten und schrieben Sie, Herr Töpfer, in der Zeitschrift „Die
2 200 DM für Gebrauchtimmobilien für Verheiratete Wirtschaft" vom 1. September 1995.
mit mittleren und unteren Einkommen nicht ausrei-
chend. Das sollte verbessert werden. Die SPD for- Leider finden wir im Gesetzentwurf auch von die-
dert, die Förderbeträge mit steigendem Einkommen sem Versprechen nichts. Die SPD forde rt eine zusätz-
- man kann darüber streiten - ab 80 000 DM bzw. liche Förderung für Niedrigenergiehäuser oder ähnli-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4659
Otto Reschke
che Maßnahmen, um die erhöhten Investitionen für Über die finanziellen Auswirkungen nach 1999
die Bauherren aufzufangen. gibt es in der Begründung des Gesetzentwurfs gar
keine Auskunft. Die Regierung schätzt, daß bei der
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vollen Auswirkung der Rechtsänderung im ersten
DIE GRÜNEN) Veranlagungszeitraum im Entstehungsjahr für Bund,
Belassen Sie es, Herr Töpfer, nicht immer nur bei An- Länder und Gemeinden Mehreinnahmen in Höhe
kündigungen. Lassen Sie Ihren Worten auch in der von 585 Millionen entstehen. Das ist Ihre Aufkom-
Regierung Taten folgen. Es wäre schön, wenn Sie mensneutralität. Wir werden dies zur Diskussion stel-
sich mit den Ankündigungen, die Sie vorher machen, len. Machen Sie die Lösung tatsächlich aufkommens-
auch in der Regierung, in der Koalition durchsetzen. neutral, und schummeln Sie nicht Milliardenbeträge
für die Haushaltskonsolidierung weg! Legen Sie für
Böse Zungen behaupten in bezug auf die Ankün- die parlamentarische Beratung die Zahlen auf den
digungen immer wieder, um Frau Merkel sei es des- Tisch! Dies ist dringend notwendig.
halb so ruhig, weil sie die ganze Wahlperiode brau-
che, um Ihre Ankündigungen zu sichten. Aber wol- Zu den Beratungen in den zuständigen Gremien
len wir einmal abwarten, was sie in diesem Punkte möchte ich zum Schluß sagen: Nichts wäre schlech-
macht. ter für die ohnehin dramatisch zurückgehenden In-
vestitionen in den Wohnungsbau, als in diesen Tagen
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie ein mit heißer Nadel gestricktes Gesetz zu verab-
haben doch den Gesetzentwurf auf dem schieden, das sich in der Praxis als untauglich er-
Tisch, Herr Reschke! Wir wollten ihn doch weist und seine Ziele nicht erreicht. Auf der einen
zu Protokoll nehmen!) Seite muß die Politik versuchen, einen breiten Kon-
sens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden her-
Siebtens. „Darüber hinaus werden wir darüber zu beizuführen. Er ist dringend notwendig. Auf der an-
beraten haben, in welcher Form auch die Gründung deren Seite sollten wir in der nächsten Woche genau
von Genossenschaften begünstigt werden kann." zuhören, was zur Ausgestaltung des neuen Gesetzes
Auch das ist ein Zitat von Herrn Töpfer. Ich will ja von der Bauindustrie, den Sozialpartnern, den Mie-
nur aufführen, was alles in den letzten acht Wochen terverbänden, den Verbrauchern, den Verbänden
gesagt worden ist. Wir freuen uns natürlich, daß Herr der Wohnungswirtschaft und den Investoren gesagt
Töpfer die Genossenschaftsidee unterstützen will, wird.
fragen uns jedoch: Was ist aus den Beratungen in der
Koalition über die Förderung von Genossenschaften Allerdings sollten wir schon in der kommenden
geworden? Im Gesetzentwurf vermißt die SPD nach Woche vorweg zwischen allen Fraktionen eine Eini-
wie vor die steuerrechtliche Gleichstellung von Mit- gung herbeiführen, wie eine verbindliche Über-
gliedern in Wohnungsbaugenossenschaften mit den gangslösung aussehen könnte. Der Regierungsvor
Regelungen des Erbbaurechts und des Kaufeigen- schlag ist unzureichend. Familien und Investoren -
tums. Diese sind vor dem Steuerrecht gleich. Warum so haben es alle Parteien festgestellt - sind ein biß-
gilt dies nicht auch für die Mitglieder einer Genos- chen verunsichert. Vielleicht findet man in der näch-
senschaft, die Anteile halten? sten Woche ein gemeinsames Signal, auf das man
sich später bei der Gesamtlösung beziehen kann.
Achtens. Ein Wort zur Aufkommensneutralität der
neuen Regelung: Für 1996 veranschlagen Sie für die Auch wenn die Zeit drängt, um das neue Gesetz
Umschichtung je Baujahrgang rund 17 Milliarden wie geplant zum 1. Januar 1996 in Kraft zu setzen,
DM als Steuermindereinnahmen einschließlich wird die SPD auf eine gründliche Beratung und Dis-
Grundförderung, Kinderkomponente und Vorkosten- kussion zwischen Bund und Ländern und in den zu-
abzug. Sie legen dabei den Baujahrgang 1996 zu- ständigen Ausschüssen nicht verzichten. Ich glaube,
grunde, den Sie noch gar nicht kennen. Sie wollen die Chance für eine Einigung zu einer vernünftigen
die Förderung für die nächsten Jahre bei 17 Mil- Neuregelung sind gut. Aber wir sollten die Eckwerte
liarden DM einfrieren. Anpassungen hängen in Zu- noch einmal wirklich auf Ziel- und Treffsicherheit
kunft also, genauso wie beim Wohngeld, vom Fi- überprüfen. So eine Panne wie in der Umstellung
nanzminister ab. 1987 sollten wir uns nicht noch einmal leisten.
(Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser: Schönen Dank.
Das ist gut so!)
(Beifall bei der SPD)
Aufkommensneutral ist diese Regelung, wenn man
einmal genau nachsieht, trotzdem nicht. Die ersten
Zahlen zeigen dies. Herr Bauminister, Sie haben ja Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Franziska-
versprochen, daß wir im Bauausschuß noch neuere Eichstädt-Bohlig, Sie haben das Wo rt .
Zahlen bekommen. Nach meiner Rechnung sammeln
sich bei Bund, Ländern und Gemeinden bis zum
Jahre 1999 insgesamt Mehreinnahmen in Höhe von Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
2,9 Milliarden DM an, die Sie aus der heutigen För- GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
derung herausnehmen. Nimmt man die Bausparför- Kollegen! Herr Töpfer, Herr Faltlhauser, Sie haben
derung hinzu, sind es sogar 3,3 Milliarden DM, die uns von der Regierungskoalition einen Gesetzent-
vom Bund weniger ausgegeben werden. wurf zur Reform der Wohnungseigentumsförderung
vorgelegt. Leider ist dies ein Reförmchen, das das
(Achim Großmann [SPD]: So ist das!) Ziel hat, den Mißbrauch der Wohnungspolitik zur
4660 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Franziska Eichstädt-Bohlig
Vermögensbildung der besser verdienenden Schich- Der nächste, der dritte Punkt betrifft die Problema-
ten wenigstens etwas einzudämmen. tik der Kumulation im Haushalt. Wir sind der Mei-
nung, daß diese Frage nur durch ein persönliches Le-
Wir müssen Ihnen aber sagen - ich habe es neulich bensförderkonto gelöst werden kann, bei dem es
schon in der Haushaltsdebatte und im Finanzaus- egal ist, ob es sich um ein Kind oder um einen Er-
schuß gesagt -: Dieser Reformschritt kommt eindeu- wachsenen handelt, ob die Personen verheiratet sind
tig zu spät - es ist ja betont worden, wie lange die oder nicht. Alle Lebensformen können da endlich
Debatte schon dauert - und ist zu klein angesichts gleich behandelt werden. Denn die vielen Familien,
der Herausforderungen, vor denen wir heute stehen. auf die Sie das ganze Gesetz zuschneiden, gibt es so
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gar nicht. Deswegen sind wir der Meinung, daß man
sowie bei Abgeordneten der SPD) personenbezogen vorgehen sollte.

Im Klartext: Der Regierungsentwurf ist uns zu teuer. Für die von mir genannten Förderstufen schlagen
Er ist nach wie vor sozial unausgewogen und ökolo- wir in der ersten Förderstufe pro Jahr - wir gehen
gisch - das ist mir das Wichtigste - schlicht eine Kata- auch von demselben Achtjahresmodell aus - 1 500
strophe. DM pro Person als Grundförderung und einen Öko-
bonus vor, den ich gleich noch erläutere, der zwi-
Wir haben in diesem Sommer intensiv gearbeitet schen 250 DM und im Höchstfall 1 000 DM pro Per-
und wollen Ihrem Gesetzentwurf ein grünes Woh- son ausmachen kann. In der zweiten Förderstufe
nungsselbsthilfegesetz entgegenstellen. Dafür haben wollen wir die Grundförderung auf 750 DM pro Per-
wir ein Konzept erarbeitet, dessen wichtigste Punkte son absenken, zuzüglich wieder der Ökobonus, und
ich jetzt nennen will. in der dritten Förderstufe wollen wir nur noch den
Ökobonus, um das ökologische Bauen maximal an-
Erstens - ich habe eben gesagt, der Entwurf ist zu zureizen.
teuer -: Aufkommenssenkung gegenüber Aufkom-
mensneutralität. Wir sind der Meinung, es kann nicht Dementsprechend sind wir also für eine Kumula-
angehen, daß für die Wohnungseigentumsförderung tion, allerdings in einem Finanzrahmen - da unter-
insgesamt 17,2 Milliarden DM Steuervolumen aufge- scheiden wir uns deutlich von der SPD -, der insge-
bracht werden soll. Das sind allein auf Bundesebene samt in etwa um das Volumen pendelt, das Sie poli-
7,3 Milliarden DM. Dem stehen in unserem Haushalt tisch vorgegeben haben und das wir auch im Bereich
2,95 Milliarden DM für Wohngeld, 2,9 Milliarden DM der Schwellenhaushalte für ein verantwortbares Vo-
für sozialen Wohnungsbau und knapp 1 Milliarde lumen halten.
DM für Stadterneuerung gegenüber. Das heißt also, Bei unserem Modell ergibt sich eine deutliche Be-
im Endeffekt haben wir nicht einmal 7 Milliarden
vorzugung von Familien, weil, der Drei-, Vier- und
DM für die wirklich existentiellen wohnungspoliti-
Fünf-Personen-Haushalt eine günstigere Förderung
schen Instrumente, während 7,3 Milliarden DM in hat als der Ein- und Zwei-Personen-Haushalt. Das
das eine Instrument Eigentumsförderung gegeben
halten wir auch für nötig und für gerechtfertigt.
werden. Das darf wirk li ch nicht sein. Es ist den Haus-
halten mit einem niedrigen Einkommen nicht ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ständlich zu machen, daß diese Schieflage sanktio-
niert werden soll. Von daher sind wir deutlich für Ein vierter Punkt: Mieter und Genossenschaften
eine Proportionenverschiebung. sollten dem Wohnungseigentum gleichgestellt wer-
den. Ich selbst komme aus der Berliner Mieterbewe-
Damit komme ich gleich zum zweiten Punkt. Wir gung. Es stört mich seit Jahr und Tag, daß Sie letzt-
fordern - sogar noch stärker als die SPD - einen de- lich die Vermögens- und die Eigentumsbildung för-
gressiven Förderabbau, der bei den besser verdie- dern wollen und nicht, was uns sehr viel wichtiger
nenden Schichten, bei den höheren Einkommen ist, die Eigeninitiative, die Selbsthilfebereitschaft der
greift. Es muß nicht sein, daß ein Haushalt mit Menschen. Warum werden die Mieter, die selbst in-
240 000 DM Einkommen noch eine Eigentumsförde- vestieren wollen, bestraft? Warum werden die Ge-
rung bekommt. Do rt kann man deutlich nach unten nossenschaftsmitglieder, die selbst investieren wol-
gehen. Deshalb schlagen wir vor, uns die Einkom- len, Kapital geben wollen, bauen wollen, Muskelhy-
mensgrenzen im sozialen Wohnungsbau anzu- pothek bereitstellen, schlechter gestellt als die, die
schauen, § 25 ff. des Zweiten Wohnungsbaugesetzes. über ihre Wohnung auch gleichzeitig Vermögensbil-
dung betreiben? Das ist für uns nach wie vor nicht
Wir wollen, daß die Förderung in drei Stufen abge- einsehbar.
baut wird. Erste Förderstufe: bis 140 % der Sozial-
wohnungsberechtigung, zweite Förderstufe: bis Daher fordern wir - weiter gehend als die SPD -
160 % der Sozialwohnungsberechtigung, dritte För- nicht nur die Gleichstellung von Genossenschaftska-
derstufe: bis 200 %. Dann ist Schluß. - Es pital und Genossenschaftsbeiträgen, sondern auch
die Gleichstellung von Mieterinvestitionen, soweit
(Achim Großmann [SPD]: Dann wird das sie über 10 000 DM ausmachen. Es ist klar, daß es
15 Jahre nicht angehoben!) nicht darum geht, jeden 500-Mark-Schein per An-
trag zurückzufordern.
ist dann Aufgabe des Parlaments, die Einkommens-
grenzen des sozialen Wohnungsbaus zu ändern. Wir sind der Meinung, daß dieses Instrument ins-
Aber, die Marge ist angesichts dessen, was sozial besondere für Ostdeutschland wichtig ist. Sie haben
wohnungsberechtigte Mieter sonst für Möglichkeiten uns - und ich sage deutlich: Sie - über das Vermö-
auf dem Wohnungsmarkt haben, richtig. gensgesetz einen Leerstand in Ostdeutschland ein-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4661
Franziska Eichstädt-Bohlig
gebrockt, der wirklich skandalös ist. Geben Sie uns Unsere Forderung - ich habe vorhin gesagt, es
doch bitte ein paar Instrumente, um diesen Leerstand sollte ein Öko-Bonussystem in fünf Stufen geben,
vernünftig abzubauen. Sie können doch nicht sämtli- pro Stufe 250 DM - zielt sowohl auf städtebauliche
che Wohnungen im Osten in Eigentumswohnungen Instrumente als auch auf bautechnische Instrumente.
umwandeln, nur damit irgendwann Ihre Instrumente Ich will sie kurz benennen.
greifen.
Das erste Ziel heißt: Bauen in Großstädten über
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 150 000 Einwohner, um die Konzentration auf die be-
siedelten Bereiche zu aktivieren.
Daher bitten wir Sie dringend, auch einmal dar-
Das zweite Ziel heißt, flächensparendes Bauen be-
über nachzudenken. Der Begriff Schwellenhaushalte
sonders zu fördern.
darf eben nicht nur für Eigentümerhaushalte gelten,
sondern über diese Instrumente sollten wir auch die Das dritte Ziel heißt, den Niedrigenergiestandard
echten Schwellenhaushalte erreichen. besonders zu fördern.
Ein fünfter Punkt. Wir sind der Meinung, daß Neu- Das vierte Ziel heißt, den Einsatz umweltverträgli-
bau- und Bestandswohnungen gleichgestellt wer- cher Baustoffe und wassersparender Maßnahmen be-
den müssen. Ihr Konzept - ich habe es vorhin schon sonders zu fördern.
gesagt - ist unserer Meinung nach eine Aufforde- Das fünfte Ziel heißt, das Bauen im Sanierungsge-
rung zur Zersiedlung und zum Flächenfraß. Wir alle biet besonders zu unterstützen, weil do rt kleinteilig
können rechnen, wir alle kennen die Bodenpreise. und meistens sehr kompliziert gebaut und erneuert
Dieses Modell greift am besten, wenn ich irgendwo werden muß.
j. w. d., weit ab vom Ballungsraum das Häuschen
baue, auf billigem Bauland und auf dem frisch er- Von daher sind wir der Meinung: Mit diesen
schlossenen Ackerland. 17 Milliarden DM kann, wenn man es intelligent
macht, eine Menge für die Umwelt getan werden.
Das ist ökologisch nicht zu verantworten. Wir wol- Wir fordern Sie dringend auf, in diesem Bereich noch
len hier schließlich nicht das Dauerfinanzierungspro- einmal nachzubessern und sich nicht einfach auf die
gramm für Herrn Wissmann organisieren. bequeme Tour zu begeben: Eigentumsförderung ist
Eigentumsförderung, und Ökologie soll sehen, wo
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ ihre Probleme gelöst werden können.
DIE GRÜNEN)
Ich komme zum Schluß. Ich bin der Meinung, un-
Daher wollen wir - das gilt insbesondere für den ser Modell zeigt eines ganz deutlich - Sie haben bis-
Osten -, daß hier ganz deutlich auch Stadterneue- her zuwenig Mut, daranzugehen -: Man kann mit ei-
rung aktiviert wird; denn es ist eines der wenigen nem Modell mehrere Ziele miteinander verknüpfen
wohnungspolitischen Instrumente, die wir auf finan- und zur Lösung bringen. Fiskalisches Ziel: öffentli-
ziellem Gebiet noch haben, so daß wir es uns nicht che Gelder sparen. Soziales Ziel: die Mittel wirk lich
leisten können, die Entwicklung solcher Siedlungen auf die Schwellenhaushalte konzentrieren. Ökologi-
voranzutreiben. sches Ziel: über ein Öko-Bonussystem die Menschen
herausfordern, beim Bauen nachzudenken, wie die-
Wir machen eine Einschränkung. Wir wollen nicht, ses ökologisch organisiert werden kann.
daß damit die Eigentumsumwandlung forciert wird.
Daher beinhaltet unser Vorschlag eine Bedingung: Ich bitte Sie von den Regierungsfraktionen, insbe-
Gebrauchtwohnungen werden nur dann gefördert, sondere auch die SPD mit ihrem Einfluß auf die Län-
wenn der Eigentümer mit dem bisherigen Mieter derpositionen und den Bundesrat, dringend: Geben
identisch ist. Das soll ab 1995 gelten. Für rückwir- Sie sich noch einmal einen Ruck, nicht den einfachen
kende Eigentumsumwandlungen können wir natür- Weg zu gehen. Unterstützen Sie unser Konzept oder
lich keine Regelungen mehr treffen. zumindest die wichtigsten Elemente davon im ökolo-
gischen Bereich und im Genossenschaftsbereich.
Jetzt komme ich zum Wichtigsten, dem Ökobonus.
Daran haben wir, weil wir nun einmal GRÜNE sind, Vielen Dank.
sehr intensiv gearbeitet. Ich muß schon fragen: Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Töpfer, was haben Sie uns eigentlich in Rio verspro- sowie bei Abgeordneten der SPD)
chen? Ich frage das, auch wenn Sie mir jetzt den Rük-
ken zudrehen. Ich kann mir schon vorstellen, daß Sie
das Thema langweilt. Sie haben uns die CO2-Minde- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
rung versprochen. Wann kommen in diesem Haus lege Hildebrecht Braun.
endlich einmal Instrumente, die auch die Chance ha-
ben, realisie rt zu werden? Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Allzu viele Bürger
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) glauben: Die Parteien wollen doch eigentlich alle
dasselbe; es gibt keinen großen Unterschied mehr
Warten Sie darauf, daß Frau Merkel, die praktisch
zwischen ihren Konzepten. Ich wünschte, viel mehr
überhaupt keinen Etat hat, die Probleme löst? würden unserer heutigen Debatte lauschen: Sie müß-
Warum nutzen Sie diese von Ihnen gegebenen ten große Differenzen feststellen.
17 Milliarden DM nicht, um wirklich ökologische
Ziele durchzusetzen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
4662 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Hildebrecht Braun (Augsburg)


Ein zentrales Ziel liberaler Wohnungspolitik ist Je mehr Wohnungen wir haben, desto stärker ist
und bleibt: die eigenen vier Wände für alle. Ich weiß, die Posi ti on der Mieter. Das sollte m an doch einmal
das klingt wie Utopie. Ich weiß aber auch, daß an- sehen, und das müßten eigentlich auch die Grünen
dere Länder diesem Ziel viel näher sind als Deutsch- verstehen.
land. Ich frage mich, warum dies eigentlich so sein
muß; denn der Wunsch nach den eigenen vier Wän- Drittens. Die Wohneigentumsquote ist in den
den ist in Deutschland nicht weniger verbreitet als in neuen Bundesländern besonders niedrig. Wir wollen
Irland, in Spanien oder in Finnland. Die Deutschen ein Volk von Wohnungseigentümern. Aus diesem
sind auch nicht weniger wohlhabend als die Finnen, Grund müssen unsere Bemühungen gerade auf die
die Spanier und die Iren. Aber an irgend etwas muß neuen Bundesländer gerichtet sein, wo aus gesell-
es doch wohl liegen. Wir haben uns schon in den schaftspolitischen Erwägungen heraus ein ex tr a
letzten Monaten kräftig darum bemüht, ein Konzept Nachholbedarf an Wohneigentum vorliegt. Die spe-
zu erarbeiten, das diesen Rückstand in der Eigen- ziellen Bedingungen der neuen Bundesländer legen
tumsquote Deutschlands gegenüber den Nachbar- ein Bürgschaftsprogramm nahe, das nicht nur für den
ländern aufzuholen geeignet ist. Staat sehr preiswert ist; es ist dort auch deshalb be-
sonders hilfreich, weil die Bevölkerung in den neuen
Natürlich legen die Zwänge des Haushalts unse- Bundesländern nur fünf Jahre Zeit hatte, Eigenkapi-
ren wohnungspolitischen Anliegen deutliche Fesseln tal anzusparen, und demgemäß die Banken Pro-
an. Wir müssen Aufkommensneutralität sicherstel- bleme bei der Vollfinanzierung des Wohnungser-
len. Das bedeutet: gestalten statt einfach zusätzlich werbs haben. Was nützt uns eine pauschale Investiti-
Geld ausgeben. Wir haben schon auf den Regie- onszulage, wenn der Bewerber keine Kredite be-
rungsentwurf, der bei der Debatte im Parlament si- kommt? Daher das Bürgschaftsprogramm. Auf des-
cherlich nicht unverände rt bleiben wird, wesentlich sen Ausgestaltung und Durchsetzung werden wir
Einfluß genommen. Einige Eckdaten verdienen es, dringen, denn wir wollen, daß hier nicht mehr Büro-
hervorgehoben zu werden. kratie entsteht, weder für den Staat noch für die Bau-
bewerber. Das muß über die Banken laufen. Wenn
Erstens. Familien mit Kindern brauchen den die einmal die Darlehensgewährung auf Sicherhei-
Schutz der eigenen vier Wände ganz besonders ten usw. durchgeprüft haben, dann müßte dies aus-
stark. Deshalb haben wir einen großen Schluck aus reichen.
der Pulle genommen und das Baukindergeld um
50 % angehoben. Das ist ein gesellschaftspolitisch Viertens. Die Koalition hat sich für die Einführung
nicht hoch genug einzustufendes Zeichen. Familien- einer progressionsunabhängigen Investitionszulage
förderung ist auch ein Stück Sozialpolitik. als zentraler Teil der Wohneigentumsförderung ent-
schieden. Sie löst damit ein Modell ab, das nicht
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) mehr befriedigen konnte. Ich will klarstellen, daß ich
die Progressionsabhängigkeit von Steuererleichte-
Wer die Familien stärkt, verhindert soziale Probleme rungen nicht in Zweifel ziehen will, da sie leistungs-
in der Zukunft mit hohen Nachfolgekosten. fördernd ist und unsere Gesellschaft davon lebt, daß
Menschen zur Leistung bereit sind. Der bisherige
Zweitens. Wir ermutigen speziell junge Menschen, § 10e des Einkommensteuergesetzes sorgte jedoch
auf das Ziel der eigenen vier Wände hinzuarbeiten. für nicht nachvollziehbare Ergebnisse. So verwei-
Wir haben daher das Vorsparen wieder attraktiv ge- gerte er beispielsweise dem Unverheirateten mit
macht. Die Bausparförderung war in den letzten Jah- dem keineswegs völlig unüblichen Monatsgehalt von
ren nahezu auf Nu ll zurückgefahren worden, weil 9 300 DM bereits jegliche Förderung. Auf die Hand
die Einkommensgrenzen über Jahrzehnte nicht an- erhält aber ein Arbeitnehmer mit diesem Einkommen
gehoben wurden. Diese Entwicklung wird nun korri- nur 4 700 DM, wobei ein Arbeitgeberbeitrag zur
giert. Die Anhebung der Grenzen für die Erlangung Krankenversicherung bereits eingerechnet ist. Mit
der Bausparprämie von 28 000 auf 50 000 DM bei DM 4 700 netto ist es aber nicht leicht, ohne jegliche
Nichtverheirateten und von 56 000 gar auf 100 000 Förderung Wohneigentum anzustreben.
DM bei Verheirateten ist be trächtlich. Sie führt dazu,
daß die Mehrheit der Bevölkerung wieder mit staatli- Zentraler Kritikpunkt war aber, daß der § 10 e
chen Anreizen zum Bausparen rechnen kann. Bau- schwer verständlich und kaum handhabbar war. Wer
sparen ist ein hervorragender Weg, über den nach im Vertrauen auf Steuererleichterungen nach dieser
Jahren möglichen Erwerb einer Immobilie zugleich Bestimmung Wohneigentum erwarb, mußte sich
der Altersvorsorge zu dienen. Die staatliche Förde- schon sehr sicher sein, daß er mindestens acht Jahre
rung des Bausparens ist auch als Förderung der Al- lang seinen Job nicht verlieren würde. Diese Sicher-
tersvorsorge sehr gut angelegtes Geld. heit haben heute viele Menschen nicht mehr.
Da muß ich der Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig et- Auch und gerade aus diesem Grunde ist es richtig,
was ins Stammbuch schreiben: Wenn sie immer wie- daß wir uns für die Investitionszulage entschieden
der gegen die Wohneigentumsförderung polemisiert, haben, die auf acht Jahre hinaus klar kalkulierbar ist
dann möge sie doch zur Kenntnis nehmen, daß es und deswegen viele Menschen ermutigen wird, den
kein Instrument gibt, mit dem wir mit weniger Geld Schritt zum Wohneigentum zu wagen.
mehr Wohnungsbau zustandebringen als mit der
Wohneigentumsförderung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das ist für viele Leute ein gewaltiger Schritt.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4663
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Und die Sache ist einfach zu handhaben. Man muß nicht mit Hypotheken belastet werden können und
nicht mehr zum Steuerberater mit unendlich vielen solange sie in der jetzigen Konstruktion die Mobilität
Unterlagen gehen, um dann eine Prognose für die der Genossen innerhalb unseres Landes behindern
Entwicklung des Einkommens und der Steuerer- statt fördern, kann eine Gleichsetzung der Genossen-
leichterungen für die Zukunft zu bekommen, son- schaftsbeteiligung mit dem Volleigentum nicht in
dern jeder weiß vom ersten Tag an, was er in den Frage kommen.
nächsten Jahren bekommt und womit er rechnen
kann. Ich bedanke mich sehr für Ihre Geduld.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
Die Investitionszulage ist nicht die ideale Lösung,
ten der CDU/CSU)
aber ich gehe davon aus, daß sie uns insgesamt dem
Ziel, mehr Menschen Wohneigentum zu ermögli-
chen, näherbringen wird. Sie fördert insbesondere Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Braun, die
die sogenannten Schwellenhaushalte, also die Haus- Gedanken sind frei, aber die Redezeit ist begrenzt.
halte, die vom Einkommen her nicht so ohne weite-
Das Wort hat der Kollege Klaus-Jürgen Warnick.
res in der Lage sind, tatsächlich Wohneigentum zu
erwerben. Das war gewünscht und wird von uns voll
und gern mitgetragen. Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Zuerst: Wir erleben hier -
Der Vorkostenabzug ist um 20 % gekürzt worden. zumindest aus unserer Sicht - den seltenen Fa ll, daß
Das ist betrüblich, aber es war nötig. eine Gesetzesänderung von der Regierung vorge-
Wir wollen uns im Zuge der Beratungen noch mit schlagen wird, die ausnahmsweise keine Verschlech-
zwei Fragen beschäftigen, die noch nicht abschlie- terung des bestehenden Zustandes zur Folge hat.
ßend geklärt sind. Es stellt sich zunächst die Frage Das ist ja schon was.
einer Sonderförderung für bestimmte Städte; denn Das müßte eigentlich ein Grund zur Freude sein.
die Zahlen für Wohneigentum in den Städten Wann erleben wir so etwas schon einmal? Doch die
schwanken beträchtlich. Berlin hat 10 % Wohneigen- Freude wird getrübt; denn die geplanten Verbesse-
tum, Frankfurt 12,3 %, Mannheim 18,5 %, Freiburg rungen sind bei weitem nicht ausreichend. Außer-
18,9 %, aber Bremen 31,8 %, Reutlingen gar 43,1 % dem erdreistet sich die Regierungskoalition so zu tun
und Augsburg - das ist nicht so, weil ich dort Abge- - jetzt kommt die SPD dran -, als ob die Vorschläge
ordneter bin - 47,4 %. zur Verbesserung der Wohneigentumsförderung ih-
rer eigenen Feder entsprungen wären.
Dieses Bild signalisiert Handlungsbedarf; denn ei-
nes ist klar: die einheitliche Förderung, wie sie nach In Wirklichkeit ist der Gesetzesantrag nur die
dem Gesetzentwurf beschlossen werden so ll , führt zu längst überfällige Reaktion auf real bestehende
deutlich mehr Wohneigentum auf dem Land als in Sachzwänge und eine - wenigstens teilweise - Auf-
den Städten. Ob das sinnvoll ist, mag füglich bezwei- gabe des Widerstands gegen schon lange vorgetra-
felt werden. Denn viele Innenstadtviertel, die zu kip- gene Lösungsansätze von SPD, den Grünen und -
pen drohen, würden revitalisiert, wenn es gelänge, seit es sie gibt - natürlich auch der PDS.
gerade dort, in den sozial schwachen Bereichen der
Städte, wieder mehr Wohneigentum zu schaffen und Aber man oder frau ist froh, wenn Sie, liebe Kolle-
dafür zu sorgen, daß Familien, die an den Stadtrand ginnen und Kollegen, lernfähig sind.
oder sogar in die umliegenden Landkreise gezogen Im grundsätzlichen Herangehen an die Wohn-
sind, wieder zurückziehen würden, weil sie do rt eigentumsförderung unterscheiden wir uns aller-
preiswtWohngumbek ön. dings. Ihnen geht es urn die Förderung von selbstge-
Wir sollten im Zuge dieser Erwägung auch darüber nutztem Eigentum, sprich: um Eigentumsbildung.
nachdenken, ob nicht doch die Förderung des Er- Unser Grundgedanke ist ein anderer: Wir wollen da-
werbs von Gebrauchtimmobilien gegenüber dem mit nicht die Ideologie der „Privatisierung über al-
Modell, das jetzt im Gesetzentwurf steht, verbessert les" bedienen, so wie bei Bahn und Post, wo sie sich
werden kann, auf jeden Fall nachdenken. Es spricht ja zum Nachteil der Bürger nicht bewährt hat, son-
viel dafür, daß wir dann, wenn wir die Gebrauchtim- dern uns geht es darum, a) die bestehende Woh-
mobile verbilligen, mehr Leute dazu bringen kön- nungsnot zu beheben, und b) möchten wir, daß die
nen, Wohneigentum zu erwerben. Das wäre natür- Fördergelder denjenigen zugute kommen, die sie
lich sehr im Sinne unserer Ziele. auch wirklich benötigen, um neuen Wohnraum zu
schaffen bzw. zerfallenden wiederherzustellen.
Ich möchte einen letzten Gedanken anführen, was
(Zuruf von der SPD: Gesellschaftliches
mir der Präsident verzeihen mag. Der Wunsch nach
Wohneigentum!)
der Förderung von Genossenschaftsanteilen ist uralt
und wird keineswegs auf Dauer für unmöglich erach- Das ist ein grundsätzlicher Unterschied. Denn für uns
tet. Aber solange das Genossenschaftsgesetz nicht ist Eigentumsförderung nur ein Mittel von vielen,
reformiert ist und die Rechte der Genossen in der Ge- nicht aber das Ziel der Wohnungspolitik.
nossenschaft nicht stärker ausgestaltet sind, die Ge-
nossenschaftsanteile nicht handelbar sind, Der Antrag der PDS konzentriert sich deshalb auf
wohnungs- und nicht auf vermögenspolitische Ef-
(Zuruf von der SPD: Haben Sie schon mal in fekte und unterscheidet sich dem Regierungsentwurf
das Gesetz geguckt?) gegenüber durch folgende Forderungen:
4664 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Klaus-Jürgen Warnick
Erstens. Wir möchten, daß Ehepartner, Lebensge- nungen soll Zersiedlungstendenzen entgegenge-
fährten und sonstige dauerhaft zusammenlebende wirkt werden, und Neubauten sollen eine Grundver-
Personen ebenfalls die Möglichkeit einer Kumulie- sorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln erhalten.
rung ihres Förderanspruches bekommen. Wohn- und Siedlungsprojekte, die ein Leben ohne
Auto ermöglichen, sind ebenfalls zu fördern.
Zweitens. Das Baukindergeld wird nach unserem
Modell von 1 500 auf 2 000 DM je Kind erhöht. Das Der Antrag der demokratischen Sozialisten stellt
ist auch die von der Expertenkommission Wohnungs- immer die wohnungspolitischen Effekte in den Mit-
politik vorgeschlagene minimale Höhe, um Familien telpunkt, gibt die Mittel denjenigen, die aus eigener
mit Kindern eine wirksame Unterstützung zu gewäh- Kraft Wohneigentum nicht schaffen können, ist fami-
ren. 1 500 DM sind hier zuwenig. lienfreundlich, sozial gerecht und ökologisch sinn-
voll. Er ist weiterhin überschaubar, berechenbar und
Drittens. Die jährlich maximal mögliche Bauzulage erfordert geringen Verwaltungsaufwand.
wird von 5 000 auf 4 000 DM reduziert. Dafür erhöht
sich dieser Be trag bei Kumulierung um 50 %. Unser Antrag zur Wohneigentumsförderung soll
aber nicht verhehlen, daß das Wohnen zur Miete bei
Viertens. Der Vorkostenabzug nach § 10e des Ein- uns nach wie vor eine hohe Priorität genießt. Wir wol-
kommensteuergesetzes wird durch eine Verdopp- len nicht wie Herr Braun alle Bürger mit einer eige-
lung der Bauzulage im ersten Förderjahr ersetzt, was nen Wohnung beglücken. Ich glaube, Herr Braun ist
die ganze Wohneigentumsförderung wesentlich ver- der Meinung, daß einige Bürger nicht wissen, was
einfacht. wirkliches Glück bedeutet. Deswegen muß der Staat
Fünftens. Statt eines „Fallbeileffektes" bei 120 000 anscheinend für sie mitdenken und ihnen diese
DM bzw. bei Zusammenveranlagung 240 000 DM Wohltat schmackhaft machen. Aber ich denke, die
steuerpflichtigem Jahreseinkommen setzt ab 66 000 Bürger sind selber in der Lage zu entscheiden, was
DM bzw. 105 000 DM eine Degression um jeweils sie möchten.
10 % ein. Auf dem L an d, in städtischen Vororten sowie für
Sechstens. Die Schaffung von genossenschaftli- Familien mit Kindern und einer gesicherten Arbeit
chem Wohneigentum soll von uns gleichermaßen ge- am Ort ist Wohnen im eigenen Haus in jedem Fall
fördert werden wie die Anschaffung oder Herstel- eine akzeptable Wohnform. Das darf aber nicht dazu
lung eines selbstgenutzten Eigenheims, einer Eigen- führen, daß das Wohnen zur Miete als etwas Minder-
tumswohnung oder die Wiederherstellung, der Aus- wertiges abqualifiziert wird, wie es oftmals erscheint.
bau und die Erweiterung einer bestehenden Woh- Für viele Menschen ist es ganz normal, zur Miete zu
nung. wohnen, vor allem, wenn Mobilität im Berufsleben
gefordert ist, und das wird sie zunehmend. Wohnen
Siebtens. Wir sind grundsätzlich dafür, daß der Er- zur Miete ist auch besser geeignet, die Wohnungs-
werb von Wohnungen aus dem Bestand nicht geför- größe der sich verändernden Familiengröße anzupas-
dert wird. Das unterscheidet uns von allen anderen sen.
Fraktionen. Der Handel mit Altbauten schafft näm-
lich keine einzige zusätzliche Wohnung und behebt Wir sind für die Stärkung gemeinnütziger Woh-
nicht die Wohnungsnot in Deutschland. Im Gegen- nungsunternehmen, von Genossenschaften und
teil: Er reduziert durch Umwandlung und Zusam- kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, für ein
menlegung von kleinen Wohnungen den Bestand an System kontrollierter ortsüblicher Mieten, für ein
preiswerten Wohnungen. Einzige Ausnahme: nach- neues Wohngeldgesetz und die Gewährleistung ei-
trägliche Haus- und Grundstückskäufe in Ost- nes ausreichenden Bestandes an Sozialwohnungen
deutschland nach dem Sachenrechtsbereinigungsge- mit entsprechenden Belegungsrechten. Das erfordert
setz. Diese speziell Be troffenen wurden im Regie- eine neue Haushaltspolitik und eine Umverteilung
rungsentwurf anscheinend „vergessen", obwohl ge- vorhandener Mittel. Die dafür erforderlichen Mittel
rade sie unter der unseligen Entscheidung der Rück- können u. a. durch die Besei tigung ungerechtfertig-
gabe statt Entschädigung leiden und dringender ter Eigentumsförderung mobilisiert werden.
Hilfe zum Erhalt ihres Wohneigentums vor allem in Bei Realisierung unseres Vorschlags werden einer-
Gebieten mit hohen Bodenwerten bedürfen. seits die wohnungspolitischen Effekte der Wohn-
eigentumsförderung erhöht, andererseits sinken ins-
Achtens. Um Manipulationen mit der Antragsbe-
gesamt die Aufwendungen von Bund, Ländern und
rechtigung zur Bauzulage einzuschränken, sollen
Gemeinden um ca. 20 bis 30 %. Damit können wei-
die letzten drei Jahre - und nicht nur ein Jahr - des
tere bezahlbare Mietwohnungen mit dauerhaften Be-
durchschnittlichen versteuerbaren Einkommens zu-
legungsbindungen und Mietpreisbegrenzungen ge-
grunde gelegt werden. Damit ist die Konzentration -
baut werden.
von Verlusten und hohen Steuerabschreibungen auf
nur ein Jahr ausgeschlossen. Sehr geehrter Herr Bundesbauminister, warum so
kleinmütig? Ich denke, ein bißchen mehr dürfte es
Neuntens. Bund und Länder sollen zusätzlich den schon sein. Ich hoffe, daß man mit diesen Kindereien
Bau von behinderten- und altengerechten Wohnun- im Bundestag eines Tages aufhört und vernünftige
gen, eine ökologische Bauweise sowie die Gründung Vorschläge der PDS eventuell aufnimmt.
von Wohnungsbaugenossenschaften fördern. In An-
spruch genommene Fördergelder aus anderen För- (Beifall bei der PDS - Dr.-Ing. Dietmar
derprogrammen sollen den Anspruch auf Bauzulage Kansy [CDU/CSU]: Trümmer schaffen ohne
und Baukindergeld nicht reduzieren. Durch Verord Waffen!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4665

Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Der Entwurf der Bundesregierung, meine Damen
Kollegen Dr. Michael Meister. und Herren, hat vier zentrale Punkte. Zum ersten
wird versucht, die soziale Treffsicherheit und Zielge-
nauigkeit zu verbessern. Das heißt, wir versuchen
Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Herr Präsident! die Überführung der alten, progressionsabhängigen
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu- Regelung in ein System von Bauzulagen, um insbe-
nächst ein Wo rt zum Kollegen Warnick. Der Aus- sondere Haushalte mit mittleren und niedrigen Ein-
schuß war letzte Woche zwei Tage in den östlichen kommen besser zu fördern. Hierzu gehören insbe-
Stadtteilen Berlins und in Cottbus. Wir konnten do rt sondere Familien in der Familiengründungsphase,
sehn,wadiWougspltkndiewohugs- aber auch - das wurde von den Vorrednern schon an-
politischen Komponenten, Herr Warnick, Ihrer Vor- gesprochen - Schwellenhaushalte.
gängerpartei do rt bewirkt hat. Wir haben zerfallene Der Entwurf der Bundesregierung verstärkt die fa-
Plattenbauten, sanierungsbedürfte Plattenbauten, milienpolitische Komponente. Neben der Begünsti-
heruntergekommene Wohnviertel gesehen, die jetzt gung der Schwellenhaushalte wird durch die Erhö-
für viele Milliarden saniert werden müssen. Das ist hung des Baukindergeldes um 50 % von bisher 1 000
das Ergebnis Ihrer Wohnungspolitik. Vor diesem DM pro Kind und Jahr auf 1 500 DM das Volumen
Hintergrund wirken Ihre Belehrungen hervorragend! des Baukindergeldes um nahezu 2 Milliarden DM er-
höht. Ich glaube, das ist ein wesentliches familienpo-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so litisches Signal. Wir von der Unionsfraktion sind da-
wie bei Abgeordneten der SPD) für dankbar, daß es im Bereich des Wohnungsbaus
gesetzt wird.
Liebe Kollegen, die Schaffung von Wohneigentum
für möglichst viele Menschen in der Bundesrepublik, Der Entwurf der Bundesregierung ist zudem auf-
insbesondere für Familien, ist für die Union schon im- kommensneutral. Wir als Wohnungsbaupolitiker ver-
mer ein zentraler Baustein ihrer wohnungspoliti- stehen darunter auch die Beibehaltung des Volu-
schen Zielsetzungen gewesen. Die Bildung von mens. Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, man muß es
Wohneigentum ist für viele Bürgerinnen und Bürger klar und deutlich aussprechen: Wenn Sie sich für
ein wichtiges Standbein der Vermögensbildung, eine Senkung des Volumens einsetzen, wie Sie es
aber auch der privaten Altersvorsorge. Von der star- eben hier getan haben, dann wirkt das gegen die Ei-
ken Wohnungsbautätigkeit seit 1988, die ihren vor- gentumsförderung. Dann ist, was Sie angesprochen
läufigen Höhepunkt im letzten Jahr, 1994, mit na- haben, keine Familienförderung. Das sind Wider-
hezu 600 000 Genehmigungen fand, hat hauptsäch- sprüche: Wenn man das Volumen absenkt, dann
lich der Mietwohnungsbau profitiert. Frau Eichstädt- kann man nicht die gesetzten Ziele verfolgen, wie es
Bohlig, wenn Sie von einer Schieflage sprechen, so die Koalition wi ll .
ist es keine Schieflage zugunsten des Wohneigen-
tums, sondern eine Schieflage zugunsten des Miet- (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/
wohnungsbaus. Selbstverständlich muß man auch DIE GRÜNEN]: Wie wir das wollen!)
do rt Kapital mobilisieren. Aber wenn Sie die Auffas- Meine Damen und Herren, wir wollen - allerdings
sung vertreten, daß wir das alles mit öffentlichen Mit- mit den gegebenen Haushaltsmitteln und dem vor-
teln tun können, dann sind Sie auf dem falschen gegebenen Volumen - eine zielgenauere Förderung
Pfad. erreichen. Ich glaube, daß wir in diesem Bereich rich-
tig liegen.
(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Sehen Sie sich die Zahlen Der Entwurf der Bundesregierung führt auch zu ei-
doch an !) ner deutlichen Verwaltungsvereinfachung: Die Höhe
der Bauzulage orientiert sich allein an der getä tigten
Wir müssen darangehen, die Wohneigentumsquote, Investition und vermeidet komplizierte Berechnun-
die in Deutschland - Kollege Braun hat es erwähnt - gen. Wenn hier jetzt vorgeschlagen wird, während
im europäischen Vergleich sehr niedrig liegt, anzu- acht Jahren mehrfach Prüfungen durchzuführen
heben, und auch versuchen, Privatkapital für den oder etwa ökologische Komponenten aufzunehmen,
Bausektor zu mobilisieren. Wir müssen auch versu- dann muß man dazu eines sagen: Wer zusätzliche
chen, das Lebensalter derjenigen, die bauen wollen, Prüfkriterien, zusätzliche Zielsetzungen oder Verfei-
zu senken und die Leute früher zu Wohneigentum zu nerungen von Zielsetzungen einführt, der verkompli-
bringen. ziert natürlich und erhöht den Verwaltungsaufwand.
Auch geht dabei die Transparenz verloren.
Diese Zielsetzungen hat die Koalition in der Koali- -
tionsvereinbarung vor neun Monaten niedergelegt. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/
Wenn vom Kollegen Reschke kritisiert worden ist, DIE GRÜNEN]: Der CO2-Ausstoß geht nach
daß wir zum einen diese Vorgabe nicht schnell ge- unten!)
nug umsetzen und andererseits einen Entwurf ha- Ich glaube, die Transparenz gerade für Bauherren ist
ben, der mit heißer Nadel gestrickt worden ist, dann, ein wichtiges Element in dem Bereich, den wir hier
glaube ich, Herr Reschke, haben Sie sich damit neu regeln wollen.
selbst widersprochen.
Wenn Sie, Frau Eichstädt-Bohlig, die ökologische
(Zuruf von der SPD: Immerhin haben Sie Komponente ansprechen, dann muß man Sie daran
zehn Jahre dafür gebraucht!) erinnern, daß wir seit dem 1. Januar dieses Jahres
4666 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Dr. Michael Meister
eine neue Wärmeschutzverordnung haben und daß noch sind wir Wohnungsbaupolitiker der Meinung,
wir die Absicht haben, sie im Laufe dieser Legislatur- daß eine weitere Verbesserung durch ein Burg-
periode erneut zu novellieren, und zwar hin zu mehr schaftsmodell kommen sollte, damit eine Absiche-
Wärmeschutz. Des weiteren haben wir ein Milliar- rung der dünnen Eigenkapitaldecke der Bauherren
denprogramm für die Sanierung des Altbaubestan- erfolgen kann. Wir denken daran, von seiten des
des ab dem 1. Januar 1996 aufgelegt. Das sind ökolo- Staates eine Bürgschaft von etwa 20 % der Gesamt-
gische Komponenten. Das können Sie nicht einfach kosten unter der Prämisse zu geben, daß die Gesamt-
wegdiskutieren. finanzierung gesichert ist. Dies wollen wir im Haus-
haltsgesetz regeln.
(Achim Großmann [SPD]: Das kann man al
les besser machen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Aus Sicht der Koalitionsfraktionen ist darüber hin- Ich möchte hier aber klar und deutlich sagen, daß
aus positiv hervorzuheben, daß das Bausparen durch wir nicht die Absicht haben, bei der Neuregelung
die Anhebung der Einkommensgrenzen auf 50 000 des § 10e ein ge trenntes Recht zwischen alten und
DM für Ledige und 100 000 DM für Verheiratete eine neuen Bundesländern zu schaffen. Wir wollen in die-
deutliche Verbesserung erfährt. Auch dies entspricht sem Fall keine Lex Ost, sondern eine einheitliche
unserer gesellschaftspolitischen Zielsetzung. Das Rechtsregelung.
Bausparen erleichtert die Schaffung von Wohneigen
tum durch die hierfür erforderliche Eigenkapitalbil- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
dung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
Nach unserer Auffassung ist es nach 20 Jahren mit glaube, die Qualität des Regierungsentwurfs wird
unveränderten Einkommensgrenzen notwendig, auch durch die ersten Diskussionen in den Fachaus-
diese Grenzen nach oben zu korrigieren. In diesem schüssen des Bundesrates und des Bundestages un-
Zeitraum ist das Einkommensniveau um etwa 148 % terstrichen. Kritik gab es nicht an den Grundprinzi-
angewachsen. Ich glaube, da ist es angemessen, daß pien, sondern lediglich in Detailfragen. Das wurde
m an diese Grenzen erhöht. Deshalb plädieren wir auch bisher in der Debatte deutlich.
nachdrücklich dafür, daß die Anhebung der Einkom-
mensgrenzen, wie im Regierungsentwurf vorgese- Ich darf ausdrücklich die Oppositionsfraktionen
hen, vorgenommen und nicht, wie die SPD gestern einladen, in der nun beginnenden parlamentarischen
im Ausschuß vorgeschlagen hat, zurückgenommen Auseinandersetzung in diesem Sinne ins Gespräch
wird. mit uns einzutreten, um insbesondere für die Bauher-
ren in der Bundesrepublik Deutschland zu einer gu-
Die von der Bundesregierung vorgesehene Neure- ten Lösung zu kommen. Wir möchten deutlich ma-
gelung der Förderung des Wohneigentums ist ein chen, daß wir als Fraktion am Termin des Inkrafttre-
wesentlicher Schritt zur Umsetzung dieser vier ge- tens 1. Januar 1996 festhalten wollen und a ll es dafür
nannten Ziele. Ich darf sie noch einmal nennen: die tun werden, daß dieser Termin eingehalten wird, da-
Aufkommensneutralität, das familienpolitische Si- mit Sicherheit für die Bauherren und die Bauindu-
gnal, die Verwaltungsvereinfachung und die zielge- strie geschaffen wird.
nauere Förderung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Um diese vier Ziele zu erreichen, muß das Ganze
flankiert werden. Sie, Herr Reschke, haben selbstver- Ich möchte hier noch drei Anregungen geben.
ständlich recht, wenn Sie davon sprechen, daß wir, Zum einen bitten wir als Fraktion die Regierung, zu
wenn wir eine Förderung gewähren, auch die Boden- prüfen, ob bei der Berechnung der Förderhöchst-
preise und die Baukosten be trachten müssen. Herr grenzen zur Vermeidung der Überförderung das
Bundesminister Töpfer hat uns zum Thema Bau- Baukindergeld unberücksich tigt bleiben kann.
preise dieser Tage ein Expertengutachten zugeleitet,
das wir auf parlamentarischer Ebene diskutieren (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr
werden, um uns in die richtige Richtung kostenspa- gut!)
renden Bauens zu bewegen. In bezug auf die Boden-
preise haben wir den Kommunen schon in der letzten Damit wollen wir sicherstellen, daß keine Kappung
Legislaturperiode Instrumente, um genau in diesem des Baukindergelds erfolgt.
Sinne etwas zu tun, an die Hand gegeben. Auch von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -
seiten der Koalition werden Signale gesetzt. Ich Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist
denke hier etwas an Bundesliegenschaften. sehr wichtig!)
Meine Damen und Herren, die differenzie rte Situa- -
Zum zweiten wird das Baukindergeld im Regie-
tion der Wohnungsmärkte der alten und der neuen
rungsentwurf für Kinder ab dem Geburtsjahr für den
Bundesländer macht zusätzliche Anstrengungen für
Rest des Förderzeitraums gewährt. Auch hier möch-
die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundes-
ländern erforderlich. ten wir prüfen lassen, ob es nicht möglich ist, dies für
den gesamten Zeitraum der Förderung zu tun. Wir
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bitten auch hier die Regierung, eine entsprechende
Prüfung anzustellen.
Sie profitieren zum einen durch die neugeregelte
Förderung von dem niedrigen Einkommensniveau; (Beifall bei der CDU/CSU - Dr.-Ing. Diet-
denn wir gestalten sie progressionsunabhängig. Den mar Kansy [CDU/CSU]: Ebenfalls sehr gut!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4667
Dr. Michael Meister
Meine Damen und Herren, die Gremien des Bun- vergessen ist. Ist das im Jahre 2005 oder im Jahre
desrates haben bereits eine Angleichung der Woh- 2010? Will im Jahre 2012 noch immer jemand in den
nungsbauprämie und der Arbeitnehmersparzulage Bundestag kommen und Leuten, die überhaupt
angeregt und eine entsprechende Prüfung empfoh- nichts damit zu tun hatten, vorwerfen, was 40 Jahre
len. Wir denken, daß wir das entweder hier oder im lang in der DDR passiert ist? Irgendwann muß dieser
Rahmen des neuen Vermögensbildungsgesetzes re- Unsinn ein Ende haben.
geln können, und werden uns dafür einsetzen.
Danke.
Wenn gefordert wird, die Kumulation für Ehepart-
ner einzuführen oder Verbesserungen im Gebäude- (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/
bestand vorzunehmen, muß darauf hingewiesen wer- CSU: Die geistigen Enkel!)
den, daß dies Mehrkosten verursacht. Wenn ein Ku-
mulationsanteil in Höhe von 50 % angesetzt wird,
muß man von etwa 4 Milliarden DM Mehrkosten aus- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zur Replik Herr
gehen. Dann muß natürlich derjenige, der sich dafür Kollege Meister.
einsetzt, auch sagen, woher das Geld kommen soll.
(Zuruf von der SPD: Das ist Quatsch!) Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Ich möchte zum Schluß noch einige Bemerkungen Warnick, ich glaube, ich habe Sie mit dem, was ich
zu dem Thema des Genossenschaftsbegriffs machen. gesagt habe, nicht persönlich angegriffen. Ich habe
Aus unserer Sicht ist es zunächst notwendig - das hat vielmehr darauf Bezug genommen, daß wir in der
der Minister vor der Sommerpause hier ausgeführt -, letzten Woche mit dem Ausschuß zwei Städte, näm-
daß der Begriff der Genossenschaft und die Rechts- lich die östlichen Stadtteile Berlins und Cottbus, be-
stellung des Mitglieds einer Genossenschaft zu- sucht haben und uns dort ein Bild davon machen
nächst neu definiert und reformiert wird. Wenn die konnten, zu welchen Ergebnissen die Wohnungs-
Rechtsstellung eines Genossenschaftsmitglieds ver- baupolitik in der ehemaligen DDR geführt hat. Ich
bessert ist, dann können wir auch über eine Förde- habe geschildert, wie heruntergekommen die Woh-
rung nachdenken. Solange dies aber nicht erfolgt ist, nungen dort waren, daß ein riesiger Sanierungsbe-
ist dies unserer Meinung nach nicht möglich. darf, insbesondere bei den Plattenbauten, besteht
und daß gerade im Bereich Sanierung nichts ge-
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie ab-
schehen ist.
schließend noch einmal einladen, an der Debatte in-
tensiv teilzunehmen und mit uns gemeinsam nach ei- Ihre Partei, Herr Warnick, die PDS, für die Sie so-
ner guten Lösung für die Bauherren in der Bundesre- eben wohnungsbaupolitische Leitlinien vorgetragen
publik zu suchen. Wir stehen zum Gespräch zur Ver- haben, steht, glaube ich, bewußt in der Tradition der
fügung. Ich hoffe, daß wir auch zu einem guten Er- SED. Es würde Ihnen besser anstehen, vielleicht ein-
gebnis kommen. mal ein paar Worte zu der Situa tion zu finden, in die
Herzlichen Dank. die Mieter und Bewohner dieser Wohnungen gekom-
men sind, warum sie dahin gekommen sind, als sich
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hier hinzustellen und zu sagen: Das bet rifft uns nicht,
das ist nicht unsere Verantwortung.
Vizepräsident Hans Klein: Zu einer Kurzinterven- Sie nehmen ständig diejenigen in die Pflicht, die
tion erteile ich dem Kollegen Warnick das Wo rt. sich bemühen, die Mißstände zu besei tigen, die
durch 40 Jahre SED-Herrschaft hervorgerufen wor-
Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Da ich hier ständig den sind. Wir bemühen uns, diese Schäden zu besei-
angegriffen und für 40 Jahre Wohnungsbaupolitik in tigen. Sie sollten das endlich einmal anerkennen,
der DDR verantwortlich gemacht werde auch einmal etwas Vergangenheitsbewältigung bei
sich selbst betreiben und dies nicht einfach vom
(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Doch nicht Sie Tisch wischen.
persönlich!)
Danke schön.
- ich bin gerade wieder persönlich verantwortlich ge-
macht worden -, möchte ich klar und deutlich sagen: (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Ruth Fuchs
Ich habe mit der DDR, so wie sie war, nichts am Hut [PDS]: Warum verkaufen Sie dann diese
gehabt. Ich war mit dem, was in der DDR an Woh- maroden Wohnungen für ich weiß nicht
nungspolitik betrieben wurde, genauso wie die wieviel tausend Mark an diese Leute? -
Masse der DDR-Bürger nicht einverstanden. Ich Abg. Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/
finde es wirklich populistisch und albern, daß ich da- CSU] meldet sich zu einer Kurzintervention)
für immer wieder verantwortlich gemacht werde.
Wenn wir uns Mühe geben, mitzudenken und kon-
struktive Vorschläge einzubringen, können wir nicht Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Rönsch,
auf immer und ewig rückwärts schauen. nach unsere Usancen gibt es keine Kurzintervention
auf eine Kurzintervention. Die Kurzinterventionen
Ich möchte von denjenigen, die sich so äußern, sind an sich ein Instrument, um auf einen Redner zu
gern einmal wissen, wann eigentlich der Punkt ge- antworten, der dann noch einmal die Gelegenheit
kommen ist, an dem einmal gesagt wird, daß dies bekommt zu replizieren. Meine Empfehlung wäre,
4668 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Vizepräsident Hans Klein
den nächsten Redner abzuwarten und sich da einzu- Mit Ihren Vorschlägen, die Sie anzudeuten versucht
hängen. haben, würden Sie die Schieflage noch verstärken.
Sie wollen - das war mein Eindruck während Ihrer
(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ Rede - zurück zum gesellschaftlichen Wohneigen-
CSU]: Der Herr Kollege Warnick wollte wis- tum. Da muß ich den Kollegen von der Koalition na-
sen, wie lange er von denen noch angegrif- türlich recht geben: An der Stelle finden wir genau
fen wird, die ihn in die Verantwortung neh- das wieder, was wir in Marzahn und im Prenzelberg
men! Deshalb habe ich mich persönlich an- heute noch besichtigen können.
gesprochen gefühlt! Ich muß sagen - - Otto
Reschke [SPD]: Das wollen wir doch gar (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei
nicht wissen! Wieso erzählen Sie uns das? - Abgeordneten der CDU/CSU)
Weiterer Zuruf von der SPD: Wieso reden
Sie, ohne das Wort zu haben? - Otto Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den
Reschke [SPD]: Wieso redet die ohne Wor- wir heute diskutieren, ist wieder einmal ein äußerst
terteilung? Singen wir jetzt gemeinsam, begrüßenswertes Zeichen der Sozialdemokratisie-
Herr Präsident? - Unruhe bei der SPD - Zu- rung der Steuerpolitik der Koalition.
ruf von der SPD: Joschka Fischer macht (Beifall bei der SPD)
Probesitzen auf der Regierungsbank!)
- Einen Moment, bitte! Damit wir ein Minimum an Da kann man nur sagen: Weiter so, meine Damen
und Herren, bravo! Sie sind zumindest erst einmal
Ordnung aufrechterhalten, wende ich mich zunächst
einmal an den Kollegen Fischer. auf dem richtigen Weg.

(Achim Großmann [SPD]: Der will doch so Erinnern darf ich in diesem Zusammenhang daran,
wieso Außenminister werden! - Zuruf von daß das in dieser Legislaturpe riode mit dem einheitli-
der SPD: Der macht Probesitzen!) chen Grundfreibetrag im Einkommensteuertarif statt
der außertariflichen Grundentlastung begonnen hat.
Mir geht es ja nur darum, daß unsere Besucher nicht Und es hat sich im Familienleistungsausgleich fortge-
irritiert werden, wenn sie den Joschka Fischer auf setzt, sprich: mit dem einheitlichen Kindergeld für
der Regierungsbank sehen. 95 % aller Familien. Weiter nenne ich die Absicht der
Koalition, sich zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Schmiergeldern zu bewegen. Diese Linie führt bis
DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, die Besu
zur Vorlage dieses Gesetzentwurfes, der im Prinzip
cher irritiert das schon nicht mehr, eher irri
eine ureigene langjährige Forderung der SPD auf-
tiert es die F.D.P.!) greift, nämlich die Wohneigentumsförderung pro-
Das ist Punkt 1. Jetzt der Punkt 2: Frau Kollegin gressionsunabhängig zu gestalten.
Rönsch, es tut mir leid. Ich muß es wiederholen: Auf
eine Kurzintervention gibt es im Regelfall keine
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Ilte, gestatten
Kurzintervention. Wenn ein Kollege „ihr" sagt und in
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Warnick?
eine bestimmte Richtung zeigt, könnten sich nach Ih-
rer Theorie sämtliche Mitglieder der angesprochenen
Fraktion zu einer Kurzintervention melden. Wolfgang Ilte (SPD): Bitte sehr.
Wir wollen bitte in der normalen Rednerliste fo rt
rt dem Kollegen Wolfg ang-fahren.Ic tiledasWo Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Kollege Ilte,
ilte. sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das,
was Sie gesagt haben, so nicht stimmt und daß wir
(Vorsitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth)
genau deswegen einen Antrag zur Wohneigentums-
förderung eingebracht haben, weil wir der Meinung
Wolfgang Ilte (SPD): Sehr geehrte Frau Präsiden- sind, daß eine Förderung auch sinnvoll und notwen-
tin! Meine Damen und Herren! Herr Warnick, ent- dig ist? Genau das war der Grund. Sind Sie bereit,
schuldigen Sie, ich muß auch noch einmal darauf ein- das anzuerkennen?
gehen. Im wesentlichen haben Sie gesagt, Eigen-
tumsförderung sei für Sie oder für Ihre Partei nicht
alles. Das mag schon sein, aber es ist natürlich etwas Wolfgang Ilte (SPD): Dann haben Sie hier etwas
Wesentliches. Wenn Sie hervorheben, daß wir im anderes gesagt, Herr Kollege Warnick, als Sie einge-
Osten offensichtlich keine Vermögensbildung brau- bracht haben.
chen, liegen Sie einfach schief. Das ist unsere Auf- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der -
gabe! CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
Sie haben gesagt, daß die Wohneigentumsförderung
F.D.P.)
nicht wesentlich ist, sondern daß Mieteigentum we-
Wenn Sie sich die Vermögensverhältnisse in Ost sentlich ist und daß Sie dies - und das habe ich Ihrer
und West anschauen, werden Sie eine erhebliche Rede entnommen - wieder gesellschaftlich regeln
Schieflage feststellen. Die müssen wir abbauen. wollen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Ich bin jetzt leider unterbrochen worden. Ich hoffe,
F.D.P.) Sie haben das, was ich gerade aufgezählt hatte, noch
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4669
Wolfgang Ilte
im Kopf. Wenn nicht, lesen Sie es bitte noch einmal lung gibt es ebenfalls Gestaltungsmöglichkeiten, die
nach, meine Damen und Herren. ein Arbeitnehmer nicht hat.

(Zuruf von der SPD: Noch einmal vorlesen!) (Achim Großmann [SPD]: Offen für alle Ma
-nipulatone!)
- Das werde ich nicht tun. Darüber hinaus besteht auch die Gefahr, daß der
Steuerpflichtige vorwiegend wirtschaftlich unsinnige
Des weiteren haben Sie - Ihrer Einsicht sei ge- Engagements, z. B. Beteiligungen an Verlustzuwei-
dankt - auch außerhalb der Steuerpolitik schon eine sungsgesellschaften, eingeht, um so im Investitions-
Reihe von Schritten in diese Richtung angekündigt. jahr die Einkommensgrenzen zu unterschreiten. Da-
Herr Kollege Schäuble ist end lich bereit, unsere For- mit bekommen wir aber doch genau die Mitnahmeef-
derung nach einer Beseitigung des Rentenstrafrechts fekte, die wir eigentlich gemeinschaftlich abbauen
im Osten in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. wollten.
Wie ich vorgestern der „Tagesschau" entnommen
habe, sind die Koalitionsfraktionen mittlerweile (Beifall bei der SPD)
ebenfalls bereit, sich unseren Vorstellungen zum Lassen Sie das, meine Damen und Herren! Glauben
Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe an- Sie mir bitte, daß uns alle die kontinuierliche Ober-
zunähern, obgleich da offenbar mit Halbherzigkeiten
prüfung der Einkommensgrenze über den Förder-
zu rechnen ist. zeitraum, sprich: 8 Jahre, durch die Finanzämter im
(Zuruf des Abg. Dr.-Ing. Dietmar Kansy Endeffekt wesentlich billiger kommt, als die Manipu-
lationsmöglichkeiten zu bezahlen, die sich jetzt
[CDU/CSU])
durch diese Regelung ergeben.
- Sie von der Koalition können hier aber nicht nur auf Prüfen sollten wir, ob wir auf eine jährliche Über-
Vorschläge der SPD warten. Irgendwann müssen Sie prüfung der Einkommensgrenzen verzichten kön-
sich selber einmal etwas einfallen lassen. Dafür re- nen. Eventuell ist auch eine zweijährige Überprü-
gieren Sie schließlich. Andererseits müssen Sie beim fung der Einkommensgrenzen machbar, um auf die-
Umsetzen unserer sozialdemokratischen Vorstellun- sem Wege die Mißbrauchs- und Manipulationsmög-
gen auch noch richtig hinhören, sonst passiert Ihnen lichkeiten ausschließen zu können. Klar ist auf jeden
wieder das, was eben hin und wieder geschieht, Fall schon jetzt, daß wir eine Einkommensgrenze, die
nämlich der eine oder andere Lapsus, wie prompt nur zu Beginn des Förderzeitraumes überprüft wird,
auch bei diesem Gesetz. Aber Sie sind sicherlich ablehnen werden.
lernfähig. Deshalb lassen Sie mich an dieser Stelle
noch einmal die Punkte aufzählen, an denen dieser (Beifall bei der SPD)
Gesetzentwurf verbesserungsfähig ist. Der Kollege hat schon mit Recht darauf hingewiesen:
Wenn Sie es umgekehrt bei den Sozialhilfeempfän-
Erster Kritikpunkt. Wenn Sie, wie im vorgelegten gern auch machen, könnten wir vielleicht noch ein-
Gesetzentwurf vorgesehen, die Einkommensgren- mal darüber nachdenken.
zen für die Förderung lediglich einmal, und zwar im
ersten Jahr der Förderung, überprüfen, ergeben sich Zweiter Kritikpunkt. Sie wollen den steuerlichen
- das müßte eigentlich allen klar sein, die sich mit Fi- Abzug von Vorkosten erhalten und sogar weiterhin
nanzpolitik befassen - reichliche Manipulationsmög- progressionsabhängig ausgestalten. Statt dieser teu-
lichkeiten. ren, komplizierten und wieder einmal für diejenigen
besonders interessanten Regelung, die auch ohne
(Achim Großmann [SPD]: Sehr wahr!) Förderung bauen würden, sollten Sie besser etwas
Vernünftiges tun. Es ist völlig systemwidrig, die bis-
Ich glaube, ich muß Ihnen überhaupt nicht erläutern, herige einheitliche Wohneigentumsförderung in ei-
daß beispielsweise ein Selbständiger, der plant, in nen progressionsabhängigen Vorkostenabzug und
zwei Jahren ein Eigenheim zu bauen, und der über eine progressionsunabhängige Eigenheimzulage
der Einkommensgrenze von 120 000 bzw. 240 000 aufzusplitten.
DM liegt, mit Leichtigkeit in der Lage ist,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
(Achim Großmann [SPD]: Der lacht sich tot!) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der progressionsabhängige Vorkostenabzug geht
in dem Jahr, in dem er die Förderung beanspruchen insbesondere in den neuen Ländern auf Grund
kann, durch Gewinnplanung sein zu versteuerndes
der Einkommensverhältnisse weitgehend ins Leere.
Einkommen unter diese Einkommensgrenze zu drük-
Durch den Wegfall des Vorkostenabzuges würde -
ken. Begünstigt werden vor allem diejenigen, die die
eine durchgängig progressionsunabhängige Förde-
Höhe ihrer Einkünfte gestalten können. Das sind vor
rung erreicht. Wir sollten deshalb prüfen, ob wir auf
allem Steuerpflichtige, die ihren Gewinn gemäß § 4 Grund des dadurch erreichten Einsparungseffektes
Abs. 3 EStG durch den Überschuß der Betriebsein-
die Förderung des Erwerbs von Altbauten insgesamt
nahmen über die Betriebsausgaben ermitteln. Be- aufkommensneutral erhöhen könnten.
triebseinnahmen werden hier steuerlich erst erfaßt,
wenn sie tatsächlich zugeflossen sind. So ist es etwa Die im Gesetzentwurf vorgesehene Begrenzung
einem Freiberufler ohne weiteres möglich, die Höhe des Förderbetrages auf 2 200 DM jährlich beim Er-
seines Gewinns dadurch zu gestalten, daß er Rech- werb einer Wohnung aus dem Bestand erschwert die
nungen erst später ausstellt. Bei der Gewinnermitt wirksame Unterstützung der Eigentumsbildung im
4670 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Wolfgang Ilte
Wohnungsbestand. Gerade für Haushalte mit mittle- deutlich verbessern, der Wohnungsneubautätigkeit
ren und niedrigen Einkommen bietet der Erwerb ei- zusätzliche Impulse verleihen und die Wohnungsge-
ner Wohnung aus dem Bestand häufig die einzige nossenschaften als demokratische und moderne For-
Möglichkeit, Wohneigentum zu bilden. Dies gilt ins- men der Selbstorganisation unterstützen.
besondere auch für Haushalte in den neuen Ländern,
in denen auf Grund des Privatisierungsgebotes des Für die neuen Länder ist die Einbeziehung der
Altschuldenhilfegesetzes relativ preisgünstige Woh- steuerlichen Förderung von Wohnungsgenossen-
nungen angeboten werden. schaften auf Grund der Privatisierungsverpflichtun-
gen nach dem Altschuldenhilfegesetz von besonde-
So könnte etwa der Fördergrundbetrag für den Be- rer Bedeutung. Mit der Anerkennung von Genossen-
standserwerb auf 3 000 DM pro Jahr angehoben wer- schaftslösungen werden die Privatisierungsanstren-
den. Dies entspricht einem Anteil der Neubauförde- gungen der Wohnungsunternehmen wirksam unter-
rung von 60 %. Die Differenzierung zur Förderung stützt. Da die Privatisierungsförderung des Bundes
des Neubaus selbstgenutzten Wohneigentums mit im Jahre 1995 auslaufen wird, ist eine wirksame steu-
5 000 DM bliebe immer noch groß genug, um wirk- erliche Entlastung von Genossenschaftsmitgliedern
same Anreize zur Schaffung von Wohneigentum zu unerläßlich.
bilden.
(Beifall bei der SPD)
Dritter Kritikpunkt. Nach Ihrem Gesetzentwurf
können zwei Alleinstehende für zwei selbständige
Wohneinheiten in einem Haus die doppelte Förde- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Ilte, gestatten
rung erhalten wie Ehegatten für dieselben Objekte. Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?
Damit erreichen Sie genau das Gegenteil von dem,
was Sie immer propagieren: Ehe und Familie för- Wolfgang Ilte (SPD): Ja, bitte.
dern.
Mein Sohn beispielsweise wäre schön dumm, Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Kol-
wenn er jetzt mit 22 Jahren heiraten und dann bauen lege, Sie sprechen von genossenschaftlichem Wohn-
würde. Besser wäre doch, er baut erst und heiratet eigentum. Nun hat das Bundesverfassungsgericht
dann mit 30. Das kann doch nun wirk lich nicht Sinn 1993 in der Tat auch dem Mieter den Status des Ei-
unserer Politik sein. Greifen Sie doch bitte - ich habe gentümers, obgleich er nur Mieter ist, zugebilligt.
es eingangs angedeutet - unsere Vorschläge richtig Wir alle wissen noch nicht recht damit umzugehen.
auf! Integrieren Sie in das Gesetz eine Kumulations- Aber würden Sie die Güte haben, mir zu erläutern,
möglichkeit für Ehepaare, wobei man aus haushalts- inwiefern die Posi tion des Nutzungsberechtigten in
politischer Sicht durchaus bei Ehepaaren den einein- einer Genossenschaft mit Eigentum irgend etwas zu
halbfachen Fördersatz ansetzen kann, weil sich das tun haben könnte?
aller Voraussicht nach zumindest nicht nega tiv auf
unsere Familienpolitik auswirken würde.
Wolfgang llte (SPD): Bitte schön, lassen Sie es uns
(Zuruf von der CDU/CSU: Es fehlen trotz doch ändern; lassen Sie uns endlich darauf eingehen
dem 4 Milliarden DM, Herr Kollege, bedau und damit anfangen. Wir müssen ja im Endeffekt ir-
erlicherweise!) gendwann anfangen, weil die jetzigen Wohnungsge-
sellschaften im Osten - das haben Sie ja auch in das
Vierter Kritikpunkt. Wir fordern die steuerliche Gesetz geschrieben - die Privatisierung vornehmen
Gleichstellung des genossenschaftlichen Wohn- müssen. Die Mieter, die jetzt darin wohnen, wollen
eigentums bei der Wohneigentumsförderung. Genau im Rahmen der Genossenschaft bauen. Geben wir ih-
an diesem Punkt, meine Damen und Herren von der nen doch gemeinschaftlich die Möglichkeit, dies
Koalition, wird sich zeigen, wie ernst Sie es mit den über eine Genossenschaft auch zu tun. Ich sehe, of-
Bürgerinnen und Bürgern in Ostdeutschland mei- fen gestanden, bei Ihnen lediglich wieder ideologi-
nen. Sie wissen sehr wohl - die Zahlen haben Sie sel-
sche Vorbehalte.
ber ermittelt -, daß im Osten nur ca. 24 % der Fami-
lien über Wohneigentum verfügen, während es in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
Westdeutschland ca. 40 % sind. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -
Achim Großmann [SPD]: Der begreift das
Ich habe es Ihnen schon bei der Debatte zum Jah- nie mit den Wohnungen!)
ressteuergesetz gesagt, und ich sage es immer wie-
der: Hier ist Nachholbedarf. Herr Warnick, das gilt
auch für Sie. Es ist Ihre Verantwortung, dem gerecht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Darf ich noch ein- -
zu werden. Sie kennen doch die Vermögenssituation mal auf die Frage zurückkommen? Ich glaube, hier
bei uns in Ostdeutschland. Daran kommt man nicht liegen Mißverständnisse vor.
vorbei. Es gibt nun einmal eine ganze Reihe von Fa-
milien, die nur in der Lage sind, sich über den Weg
gemeinschaftlichen Wohneigentums wie eben bei ei- Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Ja, ich habe
ner Genossenschaft mit Wohnraum zu versorgen. die Befürchtung, daß wir uns noch nicht so ganz ver-
standen haben. Ich darf noch einmal fragen: Inwie-
Die Einbeziehung von Geschäftsanteilen an Woh- weit können Sie bei dem Nutzungsrecht des Genos-
nungsgenossenschaften in die steuerliche Förderung sen in einer Wohnungsgenossenschaft eigentumsmä-
würde die Finanzierbarkeit der Anteilsleistungen ßige oder eigentumsähnliche Rechte erkennen?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4671

Wolfgang Ilte (SPD): Ganz einfach: Für mich ist das Des weiteren habe ich auch bei der ersten Beratung
so. Wenn nicht, dann fordere ich Sie auf: Ändern wir des Gesetzentwurfes im Finanzausschuß schon ange-
das doch gemeinsam. deutet, daß es darüber hinaus noch eine ganze Reihe
anderer überlegenswerter Möglichkeiten gibt, die
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie Förderung von Wohneigentum aufkommensneutral
bei Abgeordneten der CDU/CSU und des weiter zu verbessern.
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf
von der SPD: Erstklassig!) Soviel zu den Nachteilen des Gesetzes. A lles in al-
Fünfter Kritikpunkt. Zu prüfen wäre, ob nicht auch lem gesehen, wäre es natürlich besser gewesen,
ökologische Aspekte - angeführt wurde es ja schon - wenn sich die Regierungskoalition einmal etwas
in diese Förderung mit einbezogen werden können. Neues hätte einfallen lassen und nicht immer nur
verspätet alte SPD-Forderungen nachbeten würde,
(Achim Großmann [SPD]: Der Braun kann
nicht lesen; das ist das Problem!) (Achim Großmann [SPD]: Und zwar gute!)

Denn wenn wir schon einmal in der heutigen Situa- um sie dann als ihre Ideen zu verkaufen. Der prinzi-
tion ein solches Gesetz machen, dann sollten wir es pielle Ansatz ist ja richtig. Nun lassen Sie uns ihn ein-
richtig machen. Die neue Wärmeschutzverordnung fach nachbessern.
erreicht nicht den Standard des Niedrigenergiehau-
ses. Danke sehr.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph
DIE GRÜNEN]: Genau!) Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Famili en, die selbstgenutztes Wohneigentum auf
Niedrigenergiestandard schaffen, sollten deshalb
zusätzlich gefördert werden. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Red-
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ner spricht der Kollege Dr. Bertold Reinartz.
DIE GRÜNEN]: Da sitzt er, der Ankündi
gungsminister! Jetzt wird er von seiner ei Dr. Bertold Reinartz (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
genen Untätigkeit eingeholt!) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Angenehme
Zu überlegen wäre daher, zeitlich bef ristet eine hö- an der heutigen Debatte über den Gesetzentwurf zur
here Förderung für solche Objekte zu gewähren, die Neuregelung der steuerlichen Wohneigentumsförde-
den Niedrigenergiehausstandard erfüllen. Dies ent- rung ist, daß mit Ausnahme vielleicht der PDS große
spräche auch den von der Bundesregierung be- Einigkeit hinsichtlich der Bedeutung der Eigentums-
schlossenen Maßnahmen zur CO2-Reduktion und zur bildung in unserem Land besteht.
rationellen Energieanwendung sowie dem Beschluß
des Deutschen Bundestages zu den Empfehlungen (Zuruf von der [F.D.P.]: Er hat den GRÜNEN
seiner Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmo- nicht zugehört!)
sphäre". Auch der Bundesrat hat die Förderung und Wohnungseigentum ist in hervorragender Weise ge-
die Einführung des Niedrigenergiehausstandards ge- eignet, subjektive Wünsche nach sicherem und fami-
fordert. liengerechtem Wohnen zu erfüllen. Dieser Grundsatz
Sechster Kritikpunkt. Wenn wir ein Ehepaar mit stand in ähnlicher Ausgestaltung in fast allen großen
zwei Kindern acht Jahre lang mit 8 000 DM pro anno Gesetzgebungsvorhaben der CDU/CSU, die sich mit
unterstützen, kann es leicht passieren, daß die eine Wohnungsbauförderung befaßten. Dieser Satz steht
oder andere Fami li e durch die vorgesehene Fallbeil- jetzt als Eingangsfeststellung in dem am 29. Mai
wirkung ab dem neunten Jahr in finanzielle Pro- 1995 eingebrachten Fraktionsantrag der SPD zur
bleme getrieben wird, da sie selbst ja nunmehr den Neugestaltung der Wohneigentumsförderung. Zu
gesamten Kapitaldienst bestreiten muß. Prüfen Recht ist von den Fraktionen dieses Hauses eine Re-
könnte man hier z. B. einen Vorschlag des Deutschen form der Wohneigentumsförderung als dringlich er-
Volksheimstättenwerkes, nämlich einen Förderzeit- achtet worden. Trotz der großen Übereinstimmung in
raum von 12 Jahren mit jährlicher Abschmelzung bezug auf Dringlichkeit und Ziele gibt es bei ver-
der Fördersumme um ein Zwölftel zu wählen, was schiedenen Gebieten allerdings auch Kritikpunkte,
zwar das gleiche Fördervolumen darstellen würde, die heute hier geäußert wurden.
aber eben mit dem Unterschied, daß der Fallbeilef-
fekt ausbliebe. Auch Professor Oberhauser schlägt Die SPD hat den Vorschlag der Bundesregierung, -
dies im übrigen vor, allerdings aus anderen Gründen, die Wohneigentumsförderung progressionsunabhän-
die mir ebenfa lls einleuchten. Bekanntlich steigen in- gig zu gestalten, als längst überfällig dargestellt.
nerhalb von 12 Jahren die Einkommen unserer Fami- Richtig ist, daß für die jetzt vorgesehene Abkehr von
lien, und wir würden so die monatlichen Belastungen der progressionsabhängigen Förderung erst Vor-
familienfreundlicher verteilen. aussetzungen zu schaffen waren. Diese sind nun-
mehr durch die großen Steuerreformen, die in drei
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Genau Abschnitten von diesem Hause durchgeführt wur-
das Gegenteil ist der Fall! Das größte Pro den, geschaffen worden. Weiterhin ist für eine Ab-
blem ist die Liquidität in den ersten Jah kehr von der progressionsabhängigen Förderung si-
ren!) cherlich die besondere Situation in den neuen Bun-
4672 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Dr. Bertold Reinartz
desländern mit niedrigeren Einkommen als in den al- Es läßt sich aber feststellen, daß die Ziele, die in
ten Bundesländern entscheidend. der Koalitionsvereinbarung als Offensive für mehr
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sehr
Wohneigentum für Familien mit Kindern festgelegt
richtig! Sehr wahr!) wurden, durch diesen Gesetzentwurf erreicht wer-
den. Die Festlegung, daß die Neuregelung zu einer
Bei der gemeinsamen Freude hierüber, meine Da- Vereinfachung führen und aufkommensneutral sein
men und Herren, bleibt, daß jede progressionsunab- muß, wird erreicht. Die Grundbedingung, daß diese
hängige Fördermaßnahme in den nach der Lei- Fördermaßnahmen sozialer ausgestaltet werden
stungsfähigkeit und unter Gerechtigkeitsgesichts- müssen, ist erfüllt. Dies ist zwar kein Grund, sich
punkten ausgestalteten Einkommensteuertarif ein- selbstgerecht zurückzulehnen; aber es ist schon An-
greift. Die Wirkung für den Steuerzahler mag sich laß zur Freude, daß dieses schwierige Vorhaben hof-
bei hohen und höchsten Einkommen verflüchtigen; fentlich mit ausdrücklicher Zustimmung der Länder
aber sie ist insbesondere da gegeben, wo sie mit ei- zum 1. Januar 1996 in Kraft treten kann.
nem wenn auch geringfügigen Überschreiten der
Einkommensgrenze zusammenfällt. (Joseph Fischer [Frankfurt ] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Dann tragen Sie mal freudi-
Wichtig ist aber das Ziel, mehr Bürger als bisher zu ger vor!)
erreichen, die sich ein Eigenheim bislang nicht erlau-
ben konnten. Die Inten tion des Gesetzentwurfes ist - Ich habe Sie immer im Auge, Herr Fischer; da fällt
es, diejenigen Haushalte zum Bau oder Erwerb von mir das schwer.
Wohneigentum zu ermutigen, die ohne eine solche
Förderung den Mut zu dieser das familiäre Leben Vorsicht ist allerdings geboten, wenn sich jetzt die
dauerhaft beeinflussenden Investition nicht hätten Opposition zu Gralshütern der Förderung von Ehe-
und wegen des finanziellen Risikos vielleicht auch paaren aufschwingt. Für Ehepaare wird eine Kumu-
gar nicht haben sollten. Es ist keine Frage, daß ge- lation, also eine Erhöhung der Förderung gefordert,
rade die Familien, die sich mit ihrem Einkommen in um eine angebliche Schlechterstellung gegenüber
diesem Grenzbereich befinden, mit dem Erwerb eine Nichtverheirateten auszuschließen. So wurde eine
für die Fami li e einschneidende Entscheidung treffen. Presseerklärung verbreitet, in der es heißt: „Erst
Es ist eine Entscheidung, die sicherlich familienstabi- bauen, dann heiraten, sonst bist du der Dumme!"
lisierend ist, die aber gleichzei tig zwangsläufig Kon-
sumverzicht für alle Familienmitglieder bedeutet. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/
Genau diesen Familien wollen wir helfen. DIE GRÜNEN]: Wer schreibt denn das?)
Dieses Ziel rechtfertigt nach unserer Auffassung - Frau Matthäus-Maier schreibt das.
die Minderung der Förderung bei höheren Einkom-
men gegenüber dem geltenden Recht. Es rechtfertigt (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
den Kompromiß, der unter Beachtung der Aufkom- DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
mensneutralität zwischen alter und neuer Förderung
im Ergebnis auch einen Eingriff in den Steuertarif Zwar haben auch nach dem neuen Recht Ehegat-
darstellt. ten weiterhin die Möglichkeit, jeder für sich für
ein Objekt die steuerliche Eigenheim-Bauförde-
Eine Einkommensbegrenzung für die Inanspruch- rung in Anspruch zu nehmen. Im Gegensatz zu
nahme der Eigenheimzulage, wie man sie einführen nicht verheirateten Paaren muß es sich dabei
will , darf allerdings nicht dazu führen, daß diejeni- aber bei Ehepaaren um zwei räumlich ge trennte
gen, die geringfügig über der Einkommensgrenze Wohneinheiten handeln.
liegen und deshalb keinen Anspruch auf Förderung
haben, die staatliche Förderung bei vergleichbaren Hierdurch wird der Eindruck erweckt, daß nicht
Einkommen direkt unterhalb der Einkommens- verheiratete Paare bei dem Erwerb einer Wohnung
grenze zu Recht als Ungerechtigkeit empfinden müs- zweimal die volle Förderung erhalten können.
sen. Ungerecht wäre es, wenn in diesem Fall Fami-
lien ohne Förderung bei einer Entscheidung für ein (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
Eigenheim gegenüber Familien mit Förderung ihre CSU]: Ist ja unerhört! - Otto Reschke [SPD]:
Lebensführung spürbar einschränken müßten. Eine Ja!)
staatliche Förderung, die dieses Empfinden bei den
Bürgern auslösen würde, kann nicht sinnvoll sein. - Dies aber ist nicht der Fall, Herr Reschke.

Deshalb ist es richtig, wenn die Einkommens- (Otto Reschke [SPD]: Das weise ich Ihnen
grenze so hoch angelegt ist, daß sie auch von den nach! Sogar die Kinderkomponente!) -
Bürgern akzeptiert wird. Eine niedrigere Einkom-
mensgrenze, wie sie hier teilweise gefordert wird, Passen Sie auf: Erwerben nicht verheiratete Paare
würde als willkürlich und ungerecht empfunden, gemeinsam eine Wohnung, kann jeder von ihnen die
während man oberhalb der jetzt vorgesehenen Ein- Förderung nur entsprechend seinem Eigentumsan-
kommensgrenzen das Ausbleiben der Förderung teil in Anspruch nehmen. Erwerben nicht verheira-
zwar bedauern, aber nicht als staatliche Ungerech- tete Paare zwei Wohnungen, und zwar jeder von ih-
tigkeit empfinden würde. nen eine, so kann naturgemäß jeder auch die volle
Förderung in Anspruch nehmen.
(Achim Großmann [SPD]: Die ist doch ge
nauso willkürlich!) (Zuruf von der SPD: Eben!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4673
Dr. Bertold Reinartz
Voraussetzung ist, daß jeder die Wohnung zu eige- Meine Damen und Herren, das Motto heißt also
nen Wohnzwecken nutzt. nicht „Erst bauen, dann heiraten", sondern „Erst
schauen, dann bauen".
(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Die treffen sich im Treppen (Joseph Fischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
haus!) NEN]: Erst schauen, dann heiraten! - Hei-
terkeit)
Eine doppelte Inanspruchnahme der Förderung
kann ein nicht verheiratetes Paar nur in dem Fall in Es ist das Ziel von CDU/CSU und F.D.P., daß der
Anspruch nehmen, in dem in einem Haus zwei be- Anteil der Familien erhöht wird, die bislang wegen
nachbarte Wohnungen erworben werden und dann ihrer Einkommenssituation ihre Eigenheimabsichten
durch bauliche Gestaltung dies letztendlich als eine nicht umsetzen konnten oder das Risiko des Eigen-
Wohnung genutzt wird. Die Kosten für diese beson- heimerwerbs gescheut haben. Diese Familien kön-
dere Ausgestaltung würden aber vermutlich die För- nen jetzt einfach rechnen: 5 000 DM vom Staat, pro
derung, die der Staat dafür verspricht, übersteigen. Kind 1 500 DM. Das ist soziale und familienfreundli-
che Förderung.
Diesen extremen Ausnahmefall einer Doppelförde-
rung bei nicht verheirateten Paaren möchte nun die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
SPD dadurch vermeiden, daß sie den Ehepaaren eine ordneten der F.D.P.)
um 50 % höhere Förderung zukommen läßt.
Der Gesetzentwurf berücksichtigt zu Recht den be-
(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ sonderen Risikozeitraum - das wird auch von Ihnen
DIE GRÜNEN]: Wenn das der Vatikan er bestritten - zwischen dem Stellen des Bauantrages
fährt, was ihr hier vorhabt! Der wird das als dem Abschluß der Planungsphase bis zum Nut-
nicht billigen!) zungsbeginn der neuen Wohnung. Dies ist die Zeit,
- Furchtbar, Herr Joschka Fischer! wo viele Familien angesichts der vorher möglicher-
weise zwar bedachten, aber in ihrer Höhe nicht prä-
Selbst diese Regelung würde aber im Ergebnis zise einkalkulierten zusätzlichen Aufwendungen
gleichwohl den Vorwurf nicht ausräumen, daß Ehe- Verzweiflung überkommt.
paare in dem extrem gelagerten Beispielsfall eine Be-
nachteiligung erfahren, jetzt nur nicht in Höhe des (Otto Reschke [SPD]: Zum Beispiel für den
vollen Förderbetrages, sondern in Höhe der Hälfte. Notar!)

Diese halbe Lösung eines scheinbaren Gerechtig- - Zum Beispiel, natürlich.


keitsproblems führt allerdings zu einer Mehrbela- Die Miete für die alte Wohnung läuft weiter, Wohn-
stung von 4 Milliarden DM. geldzahlungen können sich überschneiden, Kredit-
(Zuruf von der SPD: Jetzt kommen die zinsen fallen an, das Disagio und natürlich, Herr Kol-
Gründe!) lege Reschke, Notar- und Gerichtskosten.

Eine vollständige Kumulation bedeutet 8 Milliarden (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DM Mehraufwand. Wer Aufkommensneutralität ak- DIE GRÜNEN]: Was machen wir im Schei-
zeptiert - das wollen wir eigentlich a lle; ich habe nie- dungsfall? Sagen Sie dazu doch mal etwas!)
manden gehört, der das nicht wi ll -, kann einen Aus-
gleich nur durch erhebliche Absenkung der Förder- - Dann nehmen wir einen Anwalt, Herr Fischer. Das
beträge erreichen. kennen Sie doch.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Fast (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
eine Halbierung! - Achim Großmann [SPD]: und der SPD)
Nein, durch Umschichtung!) Daß hierbei dann auch die Einkommensgrenzen
Diese Absenkung würde wiederum gerade die Fami- Anwendung finden, ist ein Schönheitsfehler, der
lien mit geringem Einkommen treffen, denen wir mit aber im Hinblick auf das Ziel der Aufkommensneu-
unserem Förderziel zu einem eigenen Wohnungsei- tralität möglicherweise in Kauf zu nehmen ist.
gentum verhelfen wollen. Der Bauförderung allgemein ist die Geltung der
(Wolfgang Ilte [SPD]: Das wollen Sie! Wir Einkommensbegrenzung nicht förderlich, da ein
wollen umschichten! - Dr.-Ing. Dietmar steuerlicher Anreiz bei den Vorkosten, etwa bei der
Kansy [CDU/CSU]: Es ist schon richtig, was Abzugsmöglichkeit des Disagios, auch den Ent-
er sagt!) schluß zum Bau oder Kauf einer Wohnung bei hö--
heren Einkommensbeziehern fördert.
- Das ist nicht richtig, Herr Kollege. Sie haben das
nicht verstanden. Wir wollen mit diesem Gesetzent- (Achim Großmann [SPD]: Das ist doch nur
wurf gerade eine Förderung der Schwellenhaushalte etwas für Durchblicker!)
erreichen, mit einer Grundförderung von 5 000 DM
oder einer Förderung von 1 500 DM für jedes Kind. Insgesamt gilt, daß mit diesem Gesetzentwurf für
Daran müßten Sie gehen, wenn Sie die Kumulation die Ausschußberatungen eine Grundlage geschaffen
bei Ehepaaren einführen würden. wurde, die hoffen läßt, daß in der gebotenen Kürze
die Bürger zum 1. Januar 1996 eine wirksame Hilfe
(Achim Großmann [SPD]: Denkfehler!) für Bau oder Erwerb eines Eigenheims erhalten.
4674 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Dr. Bertold Reinartz
Ich danke Ihnen. vieles weiterzudiskutieren, dringend darum bitten,
daß wir die Termine einhalten. Wir können uns of-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fene Enden nicht leisten, wir müssen die Vorschläge
zusammenbringen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt
der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
und Städtebau, Herr Töpfer. Natürlich kann man bei jedem Gesetz anfügen,
was noch alles gut, wünschenswert und überzeu-
Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- gend ist. Natürlich kann man auch hier ökologische
nung, Bauwesen und Städtebau: Frau Präsidentin! Komponenten ansetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
möchte mit allem Freimut an den Anfang stellen: Ich (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/
bin sehr froh, daß wir heute dieses Gesetz hier disku- DIE GRÜNEN]: Muß man!)
tieren können. Sie können der festen Überzeugung sein, daß man
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so bei mir nicht allzusehr nachbohren müßte.
wie bei Abgeordneten der SPD - Joseph Fi Wenn allerdings die Frau Kollegin Eichstädt-Boh-
scher [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ lig mit Tremolo in der Stimme, was bei ihr selten ge-
NEN]: Laßt uns froh und munter sein!) nug vorkommt, zu mir sagt: „Aber Herr Minister, Sie
Ich denke daran zurück, wie ich hier vor zehn Mo- waren doch in Rio, und jetzt ist es wieder nichts mit
naten zum erstenmal als Bauminister darüber gespro- CO2-Minderungen!", kann ich sie nur darauf hinwei-
chen habe. Es gab von seiten der Opposi tion hinrei- sen: Überprüfen Sie einmal den Haushalt des Baumi-
chend skeptische Zwischenrufe. Lieber Herr Kollege nisteriums. Sie werden feststellen, daß wir in der
Reschke, dieses Gesetz ist real, es ist keine Ankündi- Zwischenzeit ein eigenes CO2-Programm beschlos-
gung. Wir können es in diesem Hohen Hause wirk- sen und finanziert haben, mit dem pro Jahr 1 Mil-
lich beraten. liarde DM eingesetzt werden kann, um gerade in
Fragen der Bausubstanz etwas zu machen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ich wollte das nur deutlich gesagt haben.
Wenn man meint, die Wärmeschutzverordnung
Genauso erwähnenswert ist es, daß wir in dieser leiste dies noch nicht, wäre es vielleicht ganz gut,
Zeit ein Mietenüberleitungsgesetz erarbeitet haben,
sich die damalige Beschlußlage des Bundesrates -
das in diesem Hohen Hause - das sollte man immer der freundlich lächelnde Kollege Fischer war da noch
wieder unterstreichen - mit breiter Übereinstimmung Umweltminister - durchzulesen. Demnach ist näm-
und im Bundesrat einstimmig verabschiedet wurde. lich diese Wärmeschutzverordnung noch in diesem
Das habe ich immer erwähnt: Lassen Sie uns daraus Jahrzehnt - das sind nicht mehr allzu viele Jahre -
lernen, damit wir vielleicht auch andere Gesetze in mit dem Standard des Niedrigenergiehauses zu
dieser Übereinstimmung behandeln können. überarbeiten.
Ich hatte große Hoffnungen; denn als wir das Ge-
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
setz vorgelegt haben - es ist ja schon einige Wochen
DIE GRÜNEN]: Ach, ach, ach! Märchen!)
in jedermanns Kenntnis -, hat der gute Kollege Groß-
mann gesagt, dies sei ein ganz großer Schritt hin zu Ich bin der Überzeugung: An dieser Stelle können
einer parteiübergreifenden Lösung. wir unbürokratisch und damit sehr sozial helfen und
(Achim Großmann [SPD]: Ist es auch!) die ökologischen Forderungen an anderer Stelle wei-
ter umsetzen. Darum geht es mir.
Da hat er gesagt: Wunderbar. - Und wenn man sich
das jetzt alles anhört, scheint es, als seien wir davon (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
weit entfernt. Nein, meine Damen und Herren, das ordneten der F.D.P. - Franziska Eichstädt
ist eine vernünftige Grundlage. Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
ist doch ein Alibi!)
Ich habe mich zu bedanken für die gute Zusam-
menarbeit mit dem Finanzministerium, für viele gute - Das ist alles andere als ein A libi. Wir werden uns ja
Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen aus auch in den Ausschüssen über die Ökofragen unter-
der Fraktion und dafür, daß wir hier vorangekommen halten; ich bin herzlich gern dazu bereit.
sind.
Aber eines möchte ich doch sagen: Wenn wir die -
(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Geschoßflächenzahlen, die Sie uns als Ökopunkte
DIE GRÜNEN]: Können Sie jetzt zum Ende vorlegen, realisieren, dann ist dies zugleich ein För-
kommen?) derprogramm für den Bereich von Herrn Wissmann;
denn dann müssen die Leute, die so dicht siedeln,
Dieses Gesetz betrifft einen wich tigen Bereich. Wo wie Sie das haben wollen, jeden Feierabend heraus-
mehr als 17 Milliarden DM umgeschichtet werden, fahren, um irgendwo im Grünen einmal frische Luft
da ist nun wirklich etwas in a ller Breite zu gestalten. holen zu können. Das paßt also an anderer Stelle
Das geht bis hin zum Einfluß auf die Baukonjunktur, wieder nicht zusammen.
die heute etwas wenig angesprochen worden ist. Ge-
rade deswegen möchte ich bei aller Notwendigkeit, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4675
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Ich bin sehr gerne bereit, alle diese Punkte sehr sen, dann ist das falsch. Denn dann geht das genau
ernst zu nehmen. Ich habe dafür sehr viel Sympathie. an denen vorbei, die wir fördern wollen, nämlich die
Ich will auch nicht Gräben aufreißen, sondern ich Schwellenhaushalte. Also, lassen wir uns da nicht in
will sie dort, wo sie sind, ein Stückchen überdecken. irgendeine Ecke hineindrängen.

(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU)
DIE GRÜNEN]: Da wird die Töpfer-Zimmer
linde hingestellt! - Franziska Eickstädt-Boh Andere Bereiche: Aufkommensneutralität. Herr
lig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zuhören, Kollege Reschke, jeder von uns weiß es, Sie auch,
Herr Kollege!) daß wir die Aufkommensneutralität im Förderjahr-
gang betrachten. Daß das in den ersten Jahren eine
- Das ist doch die alte Vorgehensweise des Kollegen Liquiditätsentlastung für den Haushalt und in den
Fischer. Nun lassen Sie ihm doch die Freude! Mich folgenden Jahren eine Liquiditätsbelastung bedeu-
bringt er nicht durcheinander, und er hat sein Image tet, ist doch für jeden klar. Nebenbei: Die Zahlen
gestärkt. Mehr kann man doch gar nicht verlangen. sind in der Drucksache nachzulesen. Niemand hat
sie verschwiegen oder verschleiert. Wir haben nicht
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) heimlich irgendwelche Haushaltssanierungen vorge-
nommen. Das ist für jeden nachvollziehbar und nach-
Ich will also gar keine Gräben ausheben. Ich will lesbar.
doch versuchen, die Diskussion danach weiterzufüh-
ren. Lassen Sie uns darüber nachdenken, welche wei-
teren Konsequenzen möglich sind. Ich habe es im
Man muß bei der Energie überlegen. Dieses Ausschuß angesprochen: Wie sieht es mit dem Soli-
Thema halte ich für bedenkenswert. Aber dabei müs- darzuschlag aus? Alles dies sind für mich wichtige
sen wir uns sehr gründlich dagegen wappnen, daß Punkte, aber von Verschleiern kann keine Rede sein.
nicht hinterher jemand kommt und sagt: Aha, auf Dies sind doch wieder Pappkameraden, die uns hin-
diese Art und Weise wollen Sie eigentlich Ihrer Ver- terher ganz viele Schwierigkeiten bereiten, wenn
pflichtung zur Weiterentwicklung der Wärmeschutz- wir, wie ich hoffe, ohne Vermittlungsausschuß wie-
verordnung entgehen. Das möchte ich dann aber derum in breiter Übereinstimmung ein solches Ge-
bitte von vornherein klargemacht haben; denn eines setz verabschieden wollen. Ich werbe dafür, daß wir
steht fest: Es geht hier um über 140 000, 150 000, viel- das offenhalten und daß wir dabei vorankommen.
leicht sogar 160 000 Wohneinheiten pro Jahr. Wir ha-.
ben in Deutschland über 30 Millionen Wohnungen. Die Zahlen - ich sage es noch einmal - liegen auf
Wir müssen doch in die Bestände hineinkommen. dem Tisch. Sehen Sie sich die anderen Punkte an :
Deswegen ist es ungleich sinnvoller, in diesen Be- Wir werden auch beim Bundesrat genau die Diskus-
ständen Wärmeschutz zu installieren, als an dieser sion wiederfinden, die wir in der Bundesregierung
Stelle alleine vorzugehen. Darum geht es mir. gehabt haben. Der Bauausschuß beschließt das, was
hier heute für die SPD vorgetragen worden ist. Der
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Finanzausschuß beschließt genau das Gegenteil. In
Achim Großmann [SPD]: Man muß das eine beiden Ausschüssen des Bundesrates ist dieselbe
tun, ohne das andere zu lassen!) Mehrheit, nämlich die der SPD-geführten Länder.
Ich lasse mich nicht gerne in eine Ecke stellen, in (Achim Großmann [SPD]: „Das Gegenteil"
der das nun wirkli ch nicht mehr sinnvoll ist. Nein! stimmt ja wohl nicht!)
Das größte Programm, das gegenwärtig im Energie-
bereich läuft, sind die 60 Milliarden DM Kredit- - Der Finanzausschuß ist gegen Kumulation, die ge-
summe der Kreditanstalt für Wiederaufbau für die rade der Kollege Ilte hier mit großer Begeisterung als
Modernisierung der Bausubstanz in den neuen Bun- unumgängliches wirkliches Essential der SPD vorge-
desländern. tragen hat. Die Finanzminister sagen: Das können
wir nicht machen, weil es uns sehr viel zusätzliches
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Geld kostet. Lesen Sie sich doch bitte die Berichte
Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ über die Erfahrungen durch, die wir beim Jahres-
DIE GRÜNEN]: Das geht 1996 zu Ende! steuergesetz gemacht haben und die Sie auch mit ih-
Was haben Sie danach?) ren Ländern gemacht haben!
Über 30 % davon ist für Energieeinsparung vorgese- Nebenbei, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig: Sie ar-
hen. Ab 1. Januar kommenden Jahres muß eine indi- gumentieren, hier würden für die Eigentumsförde-
viduelle Energieabrechnung vorgenommen werden. rung 17,2 Milliarden DM ausgegeben und für alles-
Da kann jemand, der die Heizung etwas drosselt, der andere so wenig. 17,2 Milliarden DM geben Bund,
also energiebewußt ist, Geld sparen. Das ist Energie- Länder und Gemeinden zusammen aus. Sie haben
und CO2-Sparen, wie wir es permanent vorantreiben. dann freundlicherweise nur das dagegengestellt,
was der Bund ausgibt.
Noch einmal: Wenn es möglich ist, machen wir es
gerne. Aber wenn es durch ein neues Beschäfti- (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/
gungsprogramm erarbeitet werden muß, Frau Kolle- DIE GRÜNEN]: Nein!)
gin Eichstädt-Bohlig, nämlich ein Beschäftigungspro-
gramm in den Finanzämtern, die das alles, was Sie in Dann können Sie beim besten Willen keine Gleich-
diesen Punkten vorgesehen haben, überprüfen müs mäßigkeit erreichen.
4676 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer


Genauso ist es bei der jährlichen Einkommens- tigt, und das, obwohl seit Jahren durch die Medien,
überprüfung. in Studien, wissenschaftlichen Publikationen und Pe-
titionen der Be troffenen auf die hochtoxische Wir-
(Wolfgang Ilte [SPD]: Zwei Jahre reichen
kung dieser Substanzen hingewiesen wird.
auch!)
Der Bauausschuß des Bundesrates sagt: jährlich. Der Wir hätten eigentlich erwartet, daß der Bundesge-
Finanzausschuß des Bundesrates ist gegen die jährli- sundheitsminister handeln würde. Nun legen wir ei-
che Einkommensüberprüfung und gegen jede Um- nen Antrag vor.
stellung. Zur Erklärung: Was sind Pyrethroide? Im Gegen-
Ich will doch nur nicht - dafür muß man doch wer- satz zu den in der Natur vorkommenden Pyrethroi-
ben -, daß wir jetzt Punkte herausarbeiten, dann zu- den, den sogenannten Chrysanthemextrakten, besit-
sammenkommen und Schwierigkeiten haben, wirk- zen synthe tisch hergestellte Pyrethroide eine wesent-
lich einen gemeinsamen Weg zu finden. lich längere Halbwertzeit, bauen sich sehr langsam
ab und führen bei Kontamination zu Reizerscheinun-
Nein, meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist gen der Gesichtshaut, der Schleimhäute, verursa-
eine ganz wich tige Grundlage für die Arbeit. Es ist chen Übelkeit, Durchfall bis hin zu schwersten neu-
nicht das, was im Gesetzgebungsblatt stehen wird, rologischen Auffälligkeiten und bleibenden Funkti-
Herr Kollege Braun. Das haben Sie sicherlich zu onsstörungen. Laut Untersuchung des Bremer Um-
Recht gesagt. Anderenfalls wäre das auch ein seltsa- weltmediziners Eberhard Greiser stehen Pyrethroide
mes Verständnis. Wir sind in die Diskussion hinein- auch im Verdacht, Leukämie und Lymphdrüsenkrebs
gegangen. Aber ich bleibe bei dem, was Herr Groß- auszulösen.
mann gesagt hat: Es ist ein wich tiger, ein wesentli-
cher Schritt zu einem parteiübergreifenden Konsens Nach meiner Einschätzung handelt es sich bei dem
in dieser Frage. eben Beschriebenen um eine gesundheitliche Beein-
trächtigung vieler Bürgerinnen und Bürger und um
Wenn wir weiter mit dieser Meinung darangehen,
eine ähnlich dramatische Entwicklung, wie wir sie
haben wir, glaube ich, eine gute Arbeit vor uns.
aus dem sogenannten Holzschutzmittelskandal ken-
Recht herzlichen Dank. nen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist unverantwortlich, daß Stoffe mit dieser hoch-
giftigen Auswirkung mit irreführenden Beg riffen wie
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Damit sind wir am „naturidentisch" und als „Bioprodukte" vermarktet
Ende der Aussprache, und ich schließe sie. werden, daß sie für Produkte verwandt werden, die,
nicht gekennzeichnet und ohne Warnhinweise, den
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- Eindruck vermitteln, sie seien harmlos. Aber wenn
gen auf den Drucksachen 13/2235, 13/2357 und 13/ Fliegen und Mücken durch pyrethroidhaltige Insek-
2304 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- tensprays tot zur Erde fallen, ist nicht schwer zu dia-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- gnostizieren, daß diese Mittel auch für Menschen
den? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen schädlich sind.
so beschlossen.
In Amerika ist dieser Wirkstoff, der besonders das
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: zentrale Nervensystem angreift, bereits seit 1987 auf
die Liste der 50 toxikologisch bedenklichen Stoffe
Beratung des Antrags der Abgeordneten gesetzt.
Dr. Angelica Schwall-Düren, Antje-Marie
Steen, Lilo Blunck, weiterer Abgeordneter und Trotz Warnung des BGA bzw. des BgVV z. B. vor
der Fraktion der SPD dem Gebrauch von Elektroverdampfern - dort sind
nämlich Plättchen, mit Pyrethroid ge tränkt, enthal-
Verbot des Einsatzes von Pyrethroiden in ten - und der Aufforderung des Petitionsausschusses,
Textilien und Innenräumen diese Elektroverdampfer zu verbieten, läßt der Bun-
- Drucksache 13/1478 desgesundheitsminister eine Verordnung zu, die den
—Überwisungsvorchlag: Einsatz nachts erlaubt. Was am Tag als gesundheits-
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
schädlich gilt, das ist es logischerweise wohl auch
Ausschuß für Gesundheit (Federführung strittig) des Nachts! Diese Verordnung zeigt auf, wie wenig
Ausschuß für Wirtschaft nachhaltig der Gesundheitsminister den gesundheit-
lichen Schutz der Verbraucher und Verbraucherin-
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die -
nen verfolgt.
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Auch
dazu gibt es keinen Widerspruch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat Frau Wo finden wir diese Stoffe noch? Der Blumen-
Antje-Marie Steen. strauß kann damit behandelt sein, vor allen Dingen
bei Importware; Supermärkte sprühen regelmäßig
Antje-Marie Steen (SPD): Frau Präsidentin! Liebe großflächig gegen Schädlingsbefall die Verkaufs-
Kolleginnen und Kollegen! Es ist das erste Mal, daß räume aus, der schöne Wollsiegelteppich erweist sich
sich der Deutsche Bundestag mit der Problematik als tickende Zeitbombe. Und alles geschieht ohne
des Einsatzes der sogenannten Pyrethroide beschäf ausreichende Kennzeichnung, ohne Warnhinweise.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4677
Antje-Marie Steen
Wir fordern ein Verbot des Einsatzes von Pyrethroi- 14 t Pyrethroide zuviel sind. Hier bedarf es einer
den in Textilien und Innenräumen, weil hier die größ- wirklich strengen Regelung.
ten Einsatzfelder dieses Insektizids sind. In Teppi-
(Beifall bei der SPD)
chen, Polsterstoffen, Kleidung, bei Hunde- und Kat-
zenhalsbändern gegen Flöhe, in Insektensprays ge- Wenn wir am Ende dieser Debatte den Antrag zur
gen Silberfische, Fliegen, Mücken, gegen Schäd- Beratung in den Ausschuß verweisen, dann bitte ich
linge in der Küche - überall ist das Vergiftungsrisiko Sie um eine zügige Behandlung in der folgenden
durch Pyrethroide gegenwärtig. Zeit. Wir müssen schnell handeln, weil Menschen
nicht tagtäglich einer hohen Schadstoffbelastung
Trotz Warnung und Wissen um die Gefahr für die ausgesetzt werden dürfen, der sie sich nicht entzie-
menschliche Gesundheit werden z. B. auch Fluggä- hen können und über deren verhängnisvolle Auswir-
ste der Lufthansa, der Condor und der LTU bei der kungen sie nicht informiert sind. Der gesundheitliche
Ankunft in tropischen Regionen mit pyrethroidhalti- Verbraucherschutz darf nicht den Wirtschaftsinteres-
gen Insektiziden besprüht; und die Bundeswehr im- sen unterliegen.
prägniert die Zelte. der Soldaten mit diesem Mittel.
Einen ähnlichen gesundheitspolitischen Skandal
Inzwischen häufen sich die Klagen von Arbeitneh- wie den der Holzschutzmittelgeschädigten können
merinnen und Arbeitnehmern, die auf Grund der wir uns nicht leisten. Er muß vermieden werden.
Einsätze von Pyrethroiden am Arbeitsplatz oder in Ich danke Ihnen.
Materi alien arbeitsunfähig wurden und wohl auch
bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordn
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse, wie viele
Erkrankungen und auf Dauer Geschädigte es in der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wo rt hat jetzt
Bundesrepublik gibt. Eine erste Studie, auf sehr der Kollege Dr. Harald Kahl.
schmaler Basis angelegt, im Auftrag des BgVV und
durchgeführt von Herrn Professor Altenkirch, hatte
neben dem Hinweis auf sechs Fälle einer Pyrethroid Dr. Harald Kahl (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Exposition auch die Erkenntnis geliefert, daß das Meine Damen und Herren! Von der Kollegin Steen
Krankheitsbild weiter untersucht werden muß. Hier haben wir soeben wieder einmal erfahren, wie ge-
möchte ich den Gesundheitsminister nachdrücklich fährdet die Menschen in unserem Lande leben. Das
auffordern, diese Forschung zu intensivieren und Gespenst, das umgeht, heißt dieses Mal „Anwen-
eine breit angelegte Studie über die Auswirkungen dung von Pyrethroiden". Die SPD-Fraktion hat dem
von Pyrethroiden auf die menschliche Gesundheit zu Deutschen Bundestag einen Antrag vorgelegt, der
veranlassen. vorsieht, Pyrethroide zur Insektenbekämpfung in
Textilien und Innenräumen zu verbieten.
(Beifall bei der SPD und der PDS) Lassen Sie mich zum Inhalt einiges anmerken und
einigen in diesem Antrag angeführten Thesen entge-
Besonders die Gefährdung der Kinder und die gentreten. Pyrethroide sind chemisch abgewandelte
möglichen dauerhaften Schäden für ihre Gesundheit Naturprodukte, die weltweit zur Insektenbekämp-
sind bislang nicht untersucht. In diesem Punkt ist be- fung eingesetzt werden. Sie sind hochwirksam, besit-
sonders die Frage nach gegebenenfalls möglichen zen eine geringe Warmbluttoxizität und gehören zu
genetischen Veränderungen und erhöhten Krebsdis- den am gründlichsten untersuchten Stoffgruppen.
positionen zu beantworten. Dabei sind Kinder auf Hauptsächlich werden sie in Elektroverdampfern zur
Grund ihrer schwächeren Konstitution den toxischen Insektenvernichtung in Innenräumen sowie in der
Wirkungen dieses Nervengifts viel stärker ausgesetzt Bekleidungs- und Teppichindustrie zur Ausrüstung
- sei es durch den Verzehr kontaminierter Nahrungs- von Naturprodukten, z. B. zum Schutz vor Motten-
mittel, sei es, weil sie belastete Textilien tragen. und Teppichkäfern, angewendet. Laut SPD-Antrag
soll das in Deutschland in Zukunft nicht mehr mög-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Leidensdruck lich sein. Das sei ein durchaus löbliches Vorgehen,
der Erkrankten ist unbeschreiblich groß, da Dia- wenn hiervon signifikante Gefahren ausgingen, wird
gnose und Nachweis der Exposi tion durch das Ner- manch einer sagen.
vengift äußerst schwierig sind. Die Be troffenen ha-
ben oft keine Ahnung von der erfolgten Schadstoff- Beim näheren Hinsehen jedoch entpuppt sich der
belastung und müssen in langwierigen und oft sehr Antrag als unausgegoren und als Schnellschuß, der
kostenintensiven Verfahren den Nachweis der Kon- eher als Reaktion der SPD auf oberflächliche und fal--
taminierung führen. Das BMG selber konzediert in sche Darstellungen in den Medien zu we rten ist als
70 Fällen eine Pyrethroidvergiftung. Um so notwen- ein ernstgemeinter Vorschlag.
diger ist deshalb ein Verbot des Einsatzes. (Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist eine unerhörte Aussage!)
Da, wo der Einsatz von Insektenvernichtungsmit-
teln unvermeidbar ist, darf er auch nur noch unter Die Tatsache allein, daß Pyrethroide weltweit ein-
strengen Auflagen durch qualifizierte Schädlingsbe- gesetzt werden, zeigt doch, daß mit ihrem Gebrauch
kämpfer erfolgen. Dazu wird meine Kollegin ein geringes Risiko, wenn es denn ein wirk liches Ri-
Schwall-Düren noch detaillierte Ausführungen ma- siko im wörtlichen Sinne dieses Wortes überhaupt
chen. Wir sind der Meinung, daß jährlich eingesetzte gibt, verbunden ist.
4678 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Dr. Harald Kahl


Meine Damen und Herren, ein Verbot dieser Wirk- zutragen. Etwa 10 % der von uns ge tragenen Klei-
stoffgruppe und ihr Inverkehrbringen wären zwar dung, nämlich solche aus Naturprodukten wie Wolle
mit unseren rechtlichen Mitteln leicht zu kontrollie- oder Baumwolle, oder auch z. B. Teppiche aus diesen
ren bzw. zu unterbinden, dennoch würde der Ver- Stoffen werden heute mit Pyrethroiden behandelt.
zicht auf Pyrethroide für die überwältigende Mehr-
heit unserer Bevölkerung zum Teil erhebliche Nach- Nach den Aussagen des BgVV sind seit 1991 ledig-
teile mit sich bringen und die Bevormundung durch lich 130 Fälle in ganz Deutschland bekannt, bei de-
eine öffentlichkeitswirksame Minderheit bedeuten. nen entsprechend dem Chemikaliengesetz und auf
Es hieße, das Einfallstor zu öffnen für die Übertra- Grund der Meldepflicht der Ärzte Beschwerden von
gung von Krankheitserregern und eine erhebliche Patienten bekannt wurden, bei denen allerdings ein
Beeinträchtigung der Hygiene in Kauf zu nehmen, ursächlicher Zusammenhang mit der Einwirkung
ganz zu schweigen von der Tatsache, daß deutsche von Pyrethroiden nicht zweifelsfrei erbracht werden
Hersteller gegenüber anderen Ländern erheblich be- kann. Diesen Beweis schlüssig zu erbringen ist
nachteiligt wären. schwer angesichts der mannigfaltigen Umweltein-
flüsse und deren Interaktionen sowie der verschie-
Genau das ist es, meine Damen und Herren von denartigen Erscheinungen, mit denen Menschen
der SPD, was an Ihrem Antrag zu kritisieren ist. Sie darauf reagieren.
springen auch hier wie häufig auf, wenn in Deutsch-
land der Panikzug abgeht, dessen Lokführer wie im- Nach meinem Dafürhalten kommt es bei der Dis-
mer die Medien sind. Wenn es jedoch darum geht, kussion um dieses Thema darauf an, die Verhältnis-
echte Alternativen aufzuzeigen, steht bei Ihnen ein mäßigkeit zu wahren, abzuwägen, ob wir mit diesem
großes Fragezeichen und steht das Signal auf Halt. geforderten Verbot mehr Schaden anrichten als Nut-
zen daraus ziehen.
Oder wollen Sie etwa im E rnst glauben machen,
daß das Beispiel der Großküche der Uni-Klinik Hei- Unsere Antwort auf den Antrag der SPD läßt sich
delberg, in der Küchenschaben mittels eines auf Le- wie folgt formulieren: Die Bekämpfung von Krank-
bensmittelbasis entwickelten Klebestreifens vernich- heitserregern und eine umfassende Hygienevor-
tet werden, hier verallgemeinerungsfähig ist? Sicher sorge sind in unserem L an d unverzichtbar. Pyre-
ist das ein diskussionswürdiger Ansatz, er ist jedoch throide sind dafür besonders geeignet und leisten be-
weit entfernt davon, eine echte Ersatzlösung für die reits einen wirksamen Beitrag. Gegenwärtig werden
Problematik zu bieten. sie weltweit angewandt. Eine vernünftige Alterna-
tive dazu gibt es nicht.
In Ihrem Antrag ist weiter die Rede davon, daß Pro-
fessor Müller-Mohnssen vermutet, daß mehrere tau- In Abwägung möglicher Wirkungen auf den Men-
send Menschen in Innenräumen mit Pyrethroiden schen ist dem Schutz des überwiegenden Teils der
vergiftet worden sind, und dabei weder beschrieben Bevölkerung vor schädlichen Insekten und damit
wird, ob in Deutschland, Europa oder weltweit. Ich verbundenen Belästigungen, Gesundheitsgefähr-
meine, es wäre leichtsinnig, ja sogar unverantwort- dungen sowie Hygienebeeinträchtigungen eindeutig
lich, lediglich auf Grund von Vermutungen eines der Vorrang zu geben gegenüber dem solcher Men-
Professors gänzlich auf die Anwendung von Pyre- schen, die auf Grund von Überempfindlichkeitsreak-
throiden verzichten zu wollen, ganz abgesehen da- tionen über kurzzeitige Beschwerden oder Mißemp-
von, daß sich natürlich gleich die Frage stellt, wel- findungen klagen.
cher A rt und Schwere denn die Vergiftungen tat-
Die deutsche Indust ri e nimmt jedoch diese, wenn
sächlich waren.
auch verschwindend geringen Fälle ernst und hat die
Etiketten von pyrethroidhaltigen Schädlingsbekämp-
Als Gifte, um das nochmals klarzustellen, bezeich-
fungsmitteln bereits mit zusätzlichen Warnzeichen
net man Stoffe, die in relativ kleinen Mengen Funk-
versehen. Damit wird zumindest sichergestellt, daß
tionsstörungen, Gesundheitsschädigungen oder so-
überempfindlichen Personen die Nebenwirkungen
gar den Tod herbeiführen können. Das trifft sicher
des Gebrauchs von pyrethroidhaltigen Mitteln be-
auch für Pyrethroide zu. Viele andere Stoffe aber
kannt werden.
können ebenfalls solche Wirkungen erzielen, bei-
spielsweise Nikotin, Alkohol. Selbst Kochsalz, in grö- Im übrigen ist eine noch so umfassende Informa-
ßeren Mengen genossen, kann verheerende Wirkun- tion keine Garantie gegen eine unsachgemäße An-
gen haben; wendung und deren Folgen. Das gilt nicht nur für Py-
rethroide. Genauso wichtig ist aus meiner Sicht der
(Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE verantwortungsvolle und fachgerechte Umgang da- -
GRÜNEN]: Also, jetzt reicht es aber! Uner mit.
hört, was Sie hier verbreiten!)
Meine Damen und Herren von der SPD, das Wo rt
und sogar Wasser! Entscheidend, meine Damen und EigenvratwoukmiIhreAntagüb-
Herren, ist die Dosis, und schon Paracelsus meinte haupt nicht vor. Ich finde das sehr bedauerlich. Wir
dazu: „Dosis facit venenum". können Ihrem Antrag nicht folgen.
In Deutschland kommen über 80 Millionen Men- Ich bedanke mich.
schen täglich in irgendeiner Form mit Pyrethroiden
in Berührung, ohne gesundheitliche Schäden davon- (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4679

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Andernfalls ist mit dem nächsten Giftprozeß
spricht der Kollege Dr. Jürgen Rochlitz. zu rechnen, ähnlich jenem um das Holzschutzmit-
tel PCP. Immerhin liegt seit kurzem die Anerken-
nung einer Berufskrankheit durch Pyrethroide vor;
Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schwere Nervenschädigungen und Gehirnatrophie
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und konnten festgestellt werden.
Herren! Zunächst möchte ich die unerhörte Verharm- Ich kann Ihnen, Herr Dr. Kahl, den Befund geben.
losung ganz entschieden zurückweisen, die Sie, Herr Dann können Sie sehen, wie unerhört verharmlosend
Dr. Kahl, verbreitet haben. Zumindest das Deltame- das gewesen ist, was Sie uns haben weismachen wol-
trin, eines der Pyrethroide, hat eine derart niedrige len. Wer weiß, wie viele derartige Fälle schon vorge-
LD50-Dosis, daß Sie die Aussagen, die Sie hier ge- kommen sind; denn nicht nur Kammerjäger sind als
macht haben, nicht aufrechterhalten dürfen. Anwender betroffen. Wir wissen, daß viele Pyrethroid-
erkrankte bis heute noch nicht einmal ahnen, woher
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihre Beschwerden kommen; denn die Symptome
sowie bei Abgeordneten der SPD und der können viele Gesichter haben. Rückschlüsse auf Py-
PDS) rethroide als Verursacher sind schwierig.
Vielleicht haben Sie die Parallelitäten als Chemi- In der sogenannten Pyrethroidstudie des Bundes-
ker noch nicht richtig wahrgenommen, Herr Dr. Kahl, instituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und
aber im Fall der Pyrethroide fand eine ganz typische Veterinärmedizin wurde bei 14 von 23 Patienten der
Fehleinschätzung und Fehlentwicklung in der che- Zusammenhang zur Einwirkung von Pyrethroiden
mischen Industrie statt, ähnlich denjenigen, die zu belegt. Seit 1990 sind darüber hinaus 132 Einzelfälle
FCKWs, zum Pentachlorphenol und anderen Produk- mit pyrethroidtypischen Krankheitssymptomen fest-
ten der Chlorchemie geführt haben. gehalten. Aus China wissen wir, daß schon 1989 sie-
ben - Herr Dr. Kahl, hören Sie zu! - Todesfälle bei
Zunächst ganz harmlose, schnell abbaubare Natur- insgesamt 573 Vergiftungsfällen beklagt werden
produkte aus Chrysanthemen, nämlich die Pyre- mußten.
thrine, waren der Ausgangspunkt für die Entwick-
lung langlebiger und stärker wirkender und damit Bei dieser Datenlage verbleibt eigentlich nur das
auch schwerer abbaubarer Pyrethroide. schnellstmögliche Verbot. Andernfalls steht ein wei-
terer Giftprozeß bevor ähnlich dem leider noch nicht
Mit dem für Pflanzenschutzmittel schon vor 1981 abgeschlossenen um das Holzschutzmittel Penta-
erfolgten üblichen Zulassungsverfahren werden der- chlorphenol. Um unserer Gesundheit willen sollten
zeit 42 t pro Jahr in der deutschen Landwirtschaft wir aus diesen einschlägigen Erfahrungen lernen
versprüht, und - hören Sie genau zu, Herr Kahl! - und diesmal nicht zu spät, sondern rechtzeitig die
ohne jegliches Zulassungsverfahren - Sie sprachen Bremse des Verbots ziehen.
davon, daß das alles genau kontrolliert werde, dem Danke schön für die Aufmerksamkeit.
ist nicht der Fa ll -
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Beifall der Abg. Antje-Ma rie Steen [SPD]) bei der SPD und der PDS)

werden 12 t pro Jahr in Innenräumen und nicht uner-


hebliche 500 kg in Textilien und Teppichen ubiquitär Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wo rt hat jetzt
verteilt. die Kollegin Birgit Homburger.

Gegen diesen breitgefächerten Ang riff durch diese Birgit Homburger (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe
Nervengifte können wir uns noch nicht einmal Kolleginnen und Kollegen! Pyrethroide sind, wie wir
wehren. Überall in Einkaufsmärkten, Kaufhäusern, schon gehört haben, synthetisch hergestellte Stoffe,
Krankenhäusern, nicht zuletzt auch in Kindergärten, die dem Pyrethrum ähnlich sind. Dieses wird aus
ja, auch in Flugzeugen, möglicherweise ebenso in Chrysanthemen gewonnen, ist aber für eine allge-
Bahnabteilen werden sie eingesetzt; aus Textilien, meine Verwendung nicht ausreichend stabil. Die
Teppichen und Hölzern verdampfen sie ohne jegli- synthetisch hergestellten Pyrethroide werden im
chen Warnhinweis oder gar Kennzeichnung. Pflanzenschutz, bei der Schädlingsbekämpfung und
auch in Holzschutzmitteln verwendet.
Wieviel von ihnen über die landwirtschaftliche An-
wendung in Weinen, Mosten, auf Obst und Gemüse Vor allen Dingen durch Fehler bei der Anwen-
landen, wissen wir noch nicht einmal. Nach den bis- dung pyrethroidhaltiger Mittel sind in der Vergan-
her bekanntgewordenen Krankheitsfällen kann man genheit Gesundheitsbeeinträchtigungen bekannt
nur schlicht feststellen: Das Maß ist voll. Diese Stoff- geworden. Dabei zeigen sie eine starke Wirkung auf
klasse ist reif für ein Verbot, zumindest in Innenräu- das periphere Nervensystem und lösen Kribbeln und
men und bei Textilien. Taubheitsgefühle beispielsweise in den Fingern aus.
Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft handelt
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es sich dabei um lokale Effekte, die auftreten kön-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der nen, wenn die Pyrethroidkonzentration auf der Haut
PDS) eine bestimmte Schwelle überschreitet. Diese Effekte
4680 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Birgit Hamburger
verschwinden aber wieder innerhalb von Stunden werbliche Schädlingsbekämpfung mit sehr giftigen,
oder einem Tag. Eine langzeitige Schädigung kann giftigen und gesundheitsschädlichen Stoffen und Zu-
nicht festgestellt werden und wird nach Auskunft der bereitungen durchführen dürfen. Diese sachkundi-
Wissenschaft nicht hinterlassen. gen Personen müssen z. B. die Prüfung zum geprüf-
ten Schädlingsbekämpfer erfolgreich abgelegt ha-
Auf einer fachöffentlichen Anhörung des Bundes-
ben. Daher erübrigt sich aus meiner Sicht die Forde-
instituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und
rung, daß innerhalb einer F rist von drei Jahren nur
Veterinärmedizin - Kollege Rochlitz hat das gerade
noch geprüfte Schädlingsbekämpfer und Schädlings-
schon erklärt - im März in Berlin betonten Sachver-
bekämpferinnen gewerblich tätig sein sollen.
ständige, daß chronische oder irreversible Schäden
derzeit nicht bekannt sind. Allerdings können Pyre- Die Frage der obligatorischen Haftpflichtversiche-
throide möglicherweise im Rahmen einer vielfachen rung, denke ich, kann man nicht abschließend beur-
Chemikalienempfindlichkeit Gesundheitsstörungen teilen. Sicherlich ist die Gefahr von Gesundheits-
hervorrufen. Um hierzu genauere Daten zu erhalten, schäden bei diesem Dienstleistungsgewerbe beacht-
müssen aber noch weitere wissenschaftliche Unter- lich. Aber das gilt auch in vielen anderen Fällen. Da
suchungen durchgeführt werden. Das ist eine der müssen wir eine Gesamtbetrachtung vornehmen.
Empfehlungen aus dieser Anhörung des Bundesinsti- Dabei muß auch beachtet werden: Eigenverantwor-
tuts. tung führt zu mehr Sorgfalt, Versicherungsdenken
Andererseits kann auf den Einsatz von Pyrethroi- oft zu Nachlässigkeit. Daß das dann im Interesse des
den nicht immer verzichtet werden. Bei der Bekämp- Verbrauchers ist, bezweifle ich.
fung von Krankheitsüberträgern beispielsweise kön- Vielen Dank.
nen sie nicht immer durch andere Mittel ersetzt wer-
den. Auch bei wollhaltigen Teppichbelägen kann (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
durch eine Behandlung mit einem Pyrethroid der Be-
fall mit Teppichschädlingen verhindert werden, die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat
beim Menschen wiederum Allergien auslösen kön- Frau Eva Bulling-Schröter das Wort.
nen. Dafür gibt es offensichtlich nicht in allen Fällen
Ersatzstoffe, die ebenso wirksam sind. Daher kann
ein allgemeines Verbot der Pyrethroide nicht die Lö- Eva Bulling-Schröter (PDS): Sehr geehrte Frau Prä-
sung sein. sidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Aus meiner frü-
heren Tätigkeit im Petitionsausschuß des Deutschen
Wichtig ist aus unserer Sicht die Aufklärung des Bundestages sind mir die schrecklichen Leiden, die
Verbrauchers, damit er Gelegenheit hat, zu entschei- die heute zur Debatte stehenden Pyrethroide bei
den, ob er behandelte oder unbehandelte Ware er- Menschen verursachen, gut bekannt. So wurden im
werben möchte. Daher sollten Teppiche und Tep- Januar 1985 im Haus einer Petentin pyrethroidhal-
pichböden entsprechend gekennzeichnet werden. tige Schädlingsbekämpfungsmittel eingebracht, die
Hierüber finden zur Zeit Gespräche zwischen den nachweislich Rückstände hinterließen. Infolge der
Behörden und der Wirtschaft statt. Ich finde, da sollte Kontaminierung sind erhebliche gesundheitliche Be-
zügig eine Lösung gefunden und entschieden wer- schwerden aufgetreten - sie wurden heute schon
den. zum Teil genannt -: Verlust des Geruchs- und Ge-
Bei Textilien werden ohnehin nur 2 % mit Pyre- schmackssinns, Kopfschmerzen, vermehrter Durst,
throiden behandelt. Hier kann meines Erachtens auf starker Ham- und Stuhldrang, nächtliches Schwitzen
den Einsatz ganz verzichtet werden. Ich mache hier und vermehrter Speichelfluß. Im weiteren Verlauf
eindeutig eine Differenzierung. Es ist gut, daß inzwi- der Krankheit stellten sich zunehmende Taubheits-
schen eine Rechtsverpflichtung beispielsweise bei gefühle, Schleimhautschwellungen, Steifheit und
Elektroverdampfern besteht, die Pyrethroide enthal- Schwellungsgefühle in Fingern sowie Schwerege-
ten, Warnhinweise vor fortdauerndem Gebrauch an- fühle in den Beinen, Augenbrennen und Atembe-
zubringen. klemmungen ein.

(Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE Nach Herrn Dr. Kahl gibt es nur 130 Fälle, die
GRÜNEN]: Das reicht doch alles nicht, Frau eventuell davon betroffen sind. Die Argumenta tion
Homburger!) bei Umweltgiften ist eigentlich immer dieselbe: „Es
könnte ja vielleicht ..." Ich kenne das aus der be-
- Die Frage ist, für wie entscheidungsfähig man Ver- trieblichen Praxis zur Genüge. Neben den gesund-
braucherinnen und Verbraucher hält und ob sie nicht heitlichen Schäden hat die Betroffene zudem einen
selber in der Lage sind, wenn ein Warnhinweis ange- hohen materiellen Schaden zu tragen. Das Haus der
bracht wird, diesen zu beachten und zu entscheiden. Petentin ist auf Grund noch immer vorhandener -
Jedenfalls liegen nach den derzeitigen wissenschaft- Insektizidrückstände unbewohnbar geworden. We-
lichen Untersuchungen keine Hinweise vor, die es gen Zahlungsunfähigkeit des Schädlingsbekämpfers
erforderlich machen, diesen Stoff total zu verbieten. konnte aber der gerichtlich festgestellte Schadenser-
satzanspruch nicht vollstreckt werden.
Die Forderung nach einer Beschränkung der ge-
werblichen Schädlingsbekämpfung auf sachkun- Dieser tragische Fall ist aber nur einer von vielen.
dige Personen, die Sie von der SPD ansonsten erhe- Aus ihnen ergeben sich folgende Fragen: Erstens.
ben, läuft meines Erachtens leer, da ab dem 1. No- Wie kann es sein, daß die amerikanische Gesund-
vember dieses Jahres nach der geltenden Gefahr- heitsbehörde bereits 1987 Pyrethroide in die Liste der
stoffverordnung nur noch sachkundige Personen ge 50 bedenklichen Stoffe aufgenommen hat, in der
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4681
Eva Bulling-Schröter
Bundesrepublik aber diese zu den stärksten bisher bende Schäden wurden nicht beobachtet. Das ist an
bekannten Nervengiften zählenden Stoffe in die hie- -ders,alHRochitzerdagsl;vonit
sige Gefahrstoffverordnung immer noch nicht aufge- nichts belegt. Andererseits gibt es auch keine reprä-
nommen wurden? Im Gegenteil, Unternehmen wie sentativen Untersuchungen.
beispielsweise der Bayer-Konzern als größter Her-
(Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE
steller pyrethroidhaltiger Schädlingsbekämpfungs-
GRÜNEN]: Ich kann Ihnen das zeigen! Eine
mittel können ihr pyrethroidhaltiges Produktangebot
Berufskrankheit!)
immer weiter ausweiten. In - das wurde vorhin schon
gesagt - Wollsiegel-Teppichen, Matratzen, überall, Das heißt dennoch nicht, daß nicht auch vorüberge-
selbst auf dem Acker machen sie sich breit, so zu le- hende Symptome die be troffenen Menschen bela-
sen in einer Publikation der Koordination gegen sten und hier Abhilfe zu schaffen ist.
Bayer-Gefahren.
Was ist zu tun? Ich will nur drei Punkte nennen.
Im besagten Petitionsfall weist das Bundesministe-
rium für Gesundheit einfach darauf hin, daß die Ver- Erstens. Wichtig ist eine sachgerechte Aufklärung
antwortung für den Einsatz dieser hochtoxischen der Öffentlichkeit bis hin zu Warnhinweisen bei be-
Mittel grundsätzlich beim Hersteller bleibt, weil bis- stimmten Produkten. Das Bundesinstitut für gesund-
lang kein Zulassungsverfahren bestehe. Verantwor- heitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin
tung sollen also jene wahrnehmen, die mit dem Ein- und das Umweltbundesamt haben mehrfach vor der
übermäßigen Ausbringung von Schädlingsbekämp-
satz der Mittel Geld verdienen und denen deshalb
der Gesundheitsschutz herzlich egal sein kann - ei- fungsmitteln, insbesondere von Pyrethroiden, in In-
gentlich ein Skandal. nenräumen gewarnt. Dies hat nicht nur mit dem
Schutz der Verbraucher vor einer vermuteten Gefahr
Zweitens. Wer kommt für Schadensersatzansprü- zu tun, sondern auch damit, daß im Sinne einer Res-
che auf, wer schützt die Opfer? Eine Haftpflichtversi- sourcenschonung der Einsatz von Chemikalien nur
cherung für Schädlingsbekämpfer wäre ein Anfang, dann erfolgen sollte, wenn er notwendig und sinnvoll
damit die Geschädigten wenigstens eine sichere ist.
Schadensregulierung erhalten. Aber warum wird die
chemische Industrie hier völlig aus ihrer sogenann- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Staatssekre-
ten Verantwortung entlassen? Bei einer Haftpflicht- tär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
versicherung zahlt doch letztlich der Schädlingsbe- Dr. Rochlitz?
kämpfer für ein für ihn oft unüberschaubares Risiko,
welches die großen Konzerne mit ihren Chemiecock-
tails produzieren. Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
Die Bundestagsgruppe der PDS unterstützt den cherheit: Ja, bitte.
Antrag der SPD als ersten Schritt, weil es uns vor al-
lem um ein schnelles Verbot des Einsatzes, aber na-
Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
türlich auch um ein generelles Verbot dieser Umwelt-
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, folgendes zur
gifte geht.
Kenntnis zu nehmen? Mit Genehmigung der Frau
(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ Präsidentin möchte ich hier aus einem Bescheid der
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Landesunfallkasse der Freien und Hansestadt Ham-
SPD) burg zitieren. Es wurde „eine durch Pyrethroide ver-
ursachte Erkrankung" festgestellt.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächsten bitte Als Folgen der Krankheit werden anerkannt: Ne-
ich den Parlamentarischen Staatssekretär Walter Hir- gativ beeinflußte vorbestehende persistierende
che. Leukozytose und Erhöhung der Blutsenkungsge-
schwindigkeit, diskrete Hirnatrophie, auch im
Kleinhirnbereich, ... in den ... Untersuchungen
Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- gesicherte diskrete Zeichen einer älteren neuro-
ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- genen Läsion .. .
cherheit: Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-
ren! Es sind hinreichend viele Fälle bekannt, die den Dies ist anerkanntermaßen eine Berufskrankheit auf
Schluß nahelegen, daß Pyrethroide nachteilige Aus- der Basis des Einwirkens von Pyrethroiden, sicher-
wirkungen auf den Menschen haben können. Beson- lich in hoher Konzentration.
ders häufig werden als Symptome Kopfschmerzen, Würden Sie des weiteren zur Kenntnis nehmen,
schmerzhafte Reizungen der Haut und der Schleim- daß es der Vorsorge dienen würde, wenn m an hier
häute im Gesichtsbereich sowie lokale leichte Narko- Verbote ausspräche?
seerscheinungen wie ein Taubheitsgefühl registriert.
Diese Fälle traten allerdings in der Regel nach Walter Hirche, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
Fehlanwendungen auf, wenn also Schädlingsbe- ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
kämpfungsmittel in übertriebener Menge oder zu oft cherheit: Ich darf noch einmal sagen - das haben Sie
und zu lange ausgebracht wurden. Zum anderen selber eben gesagt -: Es handelt sich um Fehlanwen-
sind die beobachteten Symptome nach heutigem dungen. Zweitens habe ich gesagt: Bleibende Schä-
Kenntnisstand als reversibel anzusehen, d. h., blei- den sind nicht anerkannt. Ich habe dann hinzuge-
4682 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995
Parl. Staatssekretär Walter Hirche
fügt, daß wir trotzdem im Sinne von Vorbeugung und Wir wollen keine Verbotsgesellschaft und deshalb
Vorsorge etwas tun wollen. keine Verbote an einer Stelle, wo sie nicht notwendig
sind. Wir wollen allerdings, daß die Verantwortung
Ich komme damit zu den beiden anderen Punkten, des Verbrauchers beim Umgang mit Produkten, die
die ich anführen wollte. er kauft, gestärkt wird.
Zweitens. Es ist wichtig, daß dann, wenn gravie- (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Jürgen
render Schädlingsbefall z. B. in Schulen, Altenhei- Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So
men oder Krankenhäusern auftritt, unter angemesse- wurde früher auch argumentiert bei Penta-
nen Bedingungen bekämpft wird, daß professionelle chlorphenol! )
Schädlingsbekämpfer eingesetzt werden müssen.
Dafür muß gesorgt werden; das ist ein Anliegen der
Bundesregierung. Deswegen wurde die Gefahrstoff- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich schließe die
verordnung so geändert, daß künftig bei bestimmten Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen - -
Schädlingsbekämpfungsmitteln die Schädlingsbe-
kämpfer ihre Sachkunde nachzuweisen haben. (Zurufe von der SPD: Wir haben noch Rede-
zeit! - Horst Kubatschka [SPD]: Das Geld
Drittens. Die beste Lösung zur Regelung der Ver- muß hier hart verdient werden!)
marktung und des Einsatzes von Schädlingsbekämp-
fungsmitteln ist sicher ein Zulassungsverfahren, wie - Nur zu.
dies auch für andere Stoffe und Zubereitungen mit (Heiterkeit)
speziellen Auswirkungen auf Lebewesen wie Arznei-
mittel und Pflanzenschutzmittel existiert. Entschuldigen Sie, ich hatte Frau Dr. Angelica
Schwall-Düren schon auf der Rednerliste gestrichen.
In Europa wird derzeit über eine Richtlinie über Das geschah durch die Änderung der Reihenfolge
das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten beraten. der Redner.
Allerdings wissen wir alle: Die Prozesse do rt dauern
manchmal etwas länger als berechnet. Wir erwägen, (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Das
vorzuschreiben, daß in Schädlingsbekämpfungsmit- war ja noch zu klären!)
teln, die an p rivate Verbraucher abgegeben werden,
nur bestimmte Wirkstoffe eingesetzt werden dürfen. - Das war ja noch zu retten. Vielleicht sind wir uns
bis zur Abstimmung darüber einig, wer die Federfüh-
Ein generelles Verbot nach § 17 des Chemikalien- rung übernimmt.
gesetzes - damit komme ich zum zweiten Teil Ihrer
Frage -, wie im Antrag der SPD-Fraktion gefordert, Ich erteile Ihnen, Frau Schwall-Düren, das Wo rt.
hält die Bundesregierung nach heutigem Erkenntnis-
stand für eine überzogene Reaktion. Einem generel-
Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Sehr geehrte
len Verbot stehen sowohl die echte Notwendigkeit
einer Schädlingsbekämpfungsmaßnahme in Seu- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und
chenfällen als auch die bei sachgerechter Anwen- Damen! Meine Kollegen Frau Steen und Herr
dung gegenüber früher gängigen Schädlingsbe- Rochlitz haben, so denke ich, eindrucksvoll deutlich
kämpfungsmitteln immer noch günstig zu bewerten- gemacht, daß ein Pyrethroidverbot tatsächlich not-
wendig ist.
den Gesamteigenschaften der Pyrethroide entgegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Um den Verbraucher in die Lage zu versetzen,
selbst zu entscheiden, ob er solche Heimtextilien ak- Herr Kahl - ich weiß gar nicht, wo Sie sind -, ich
zeptiert oder nicht, wurde die Indust rie aufgefordert, wundere mich über das, was Sie hier vorgetragen ha-
eine entsprechende Kennzeichnung der Textilien ben. Ich meine, mich zu erinnern, daß ich Ihre ver-
vorzunehmen. Vorschläge dazu werden derzeit ge- harmlosende Einschätzung bei einer Stellungnahme
prüft. des Industrieverbandes Agrar gelesen habe. Es ist
schon fragwürdig, wenn man seine Informationen so
Die zweite Forderung des SPD-Antrags nach Sach- einseitig bezieht.
kundepflicht ist übrigens schon im wesentlichen er-
füllt. Die Gefahrstoffverordnung enthält die erfor- Ich halte es für Zynismus, wenn davon die Rede ist,
derliche Regelung hierzu. daß die Verbraucher mehr Selbstverantwortung an
den Tag legen sollen, wenn sie mit Produkten in Kon-
Meine Damen und Herren, ich fasse wegen der takt gebracht werden, deren Behandlung mit Pyre-
Kürze der Zeit zusammen: An Stelle von Verbotsre- throiden sie gar nicht kennen können und wozu es
gelungen in Einzelfällen strebt die Bundesregierung gar keine Alternativen gibt.
eine europaweite, umfassende Zulassungsregelung
für Biozide, einschließlich der Pyrethroide, an, wie Wir haben schon in der Vergangenheit mehrfach
sie der Vorschlag der EG-Kommission über das Inver- ein Einschreiten der Bundesregierung angemahnt.
kehrbringen von Biozid-Produkten vorsieht. Dane- Dies war bisher ohne Erfolg. Trotz der Warnungen
ben geht es darum, die Informa tion für den Verbrau- des Bundesgesundheitsamtes in den Jahren 1989,
cher zu verbessern. Die beteiligte Indust rie ist aufge- 1990 und 1993 - das möchte ich hier betonen - und
rufen, über die Kennzeichnungspflicht ihren Beitrag trotz der Versprechen Herrn Töpfers, sich im Rahmen
zu leisten. einer EU-Biozid-Richtlinie um eine schnelle Rege-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4683

Dr. Angelica Schwall-Düren


lung zu bemühen und schon vor deren Verabschie- Die Bundesregierung gibt ja selbst zu, daß es in
dung Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Ge- der Schädlingsbekämpfung tatsächlich notwendig
sundheit gegenüber Pyrethroiden zu ergreifen, ist ist, mit mehr Professionalität vorzugehen. Uns kommt
nichts geschehen. es auch darauf an, daß nichttoxische Schädlingsbe-
kämpfungsmethoden in diese Sachkunde einge-
(Antje-Marie Steen [SPD]: Hört! Hört!) schlossen sind.
Ich komme noch zur Haftpflichtversicherung für
Mit gestrigem Datum teilt mir Frau Bergmann-Pohl gewerbliche Schädlingsbekämpfer. Dieser Fall, den
mit, daß die Beratungen über den Richtlinienvor- der Petitionsausschuß behandelt hat, ist ja nun kein
schlag nicht kurzfristig zum Abschluß kommen wer- Einzelfall. Er ist gerichtlich anerkannt, ein rechtskräf-
den. tiges Urteil liegt vor; und dennoch können die Ge-
schädigten, weil die Schädlingsbekämpfer nicht li-
Ich dachte eigentlich, daß das Votum des Petitions- quide sind, nicht an Entschädigungen kommen. Des-
ausschusses, daß Gesundheitsrisiken nur dann aus- halb ist die Haftpflichtversicherungspflicht für alle
geschlossen werden könnten, wenn der Gebrauch Beteiligten eine letzte Absicherung.
von Pyrethroiden in Innenräumen völlig verboten
würde, die Hoffnung wachsen lassen würde, daß wir Gerade die durch bittere Einzelfallerlebnisse sicht-
jetzt tatsächlich im Sinne des gesundheitlichen Ver- bar gewordenen Auswirkungen zeigen uns, daß wir
braucherschutzes zu einer einvernehmlichen Rege- in der modernen Industriegesellschaft vielfach Mittel
lung kommen könnten. Die Stellungnahmen von anwenden, deren Wirkung wir nicht übersehen. Des-
Herrn Kahl und Frau Homburger lassen mich wieder halb ist es do rt, wo wir auf Grund mangelnder Kennt-
enttäuscht zurück. nisse oder fehlerhaften Verhaltens die schädigenden
Wirkungen nicht verhindern können, notwendig,
Der Petitionsausschuß hat ebenfalls festgestellt, daß wir diese Schäden wenigstens eindämmen und
daß die von Ihnen angesprochenen Warnhinweise abmildern.
nicht ausreichen. In diesem Sinne bitte ich Sie sehr herzlich um Un-
terstützung bei der Beratung unseres Antrags in den
Die Bundesregierung prüft ja nun tatsächlich - so entsprechenden Ausschüssen.
wurde mir mitgeteilt -, ob Maßnahmen zum Schutz
des Verbrauchers hinsichtlich der Verwendung von Herzlichen Dank.
Schädlingsbekämpfungsmitteln und anderen Biozid-
(Beifall bei der SPD und der PDS)
produkten im Haushalt über die bestehenden Rege-
lungen hinaus zu treffen sind. Aber gleichzei ti g wird
gesagt: Ein innerhalb der Bundesregierung abge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und
stimmter Verordnungsentwurf liegt noch nicht vor. Herren, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage
Sehr geehrte Damen und Herren, auch das Ge-
auf Drucksache 13/1478 an die in der Tagesordnung
sundheitsministerium scheint sich - wie der Umwelt-
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Feder-
minister der letzten Legislaturpe ri ode, und die Stel-
führung ist jedoch strittig. Die Fraktion der CDU/
lungnahme von Staatssekretär Hirche läßt ähnliches
CSU wünscht Federführung beim Ausschuß für Um-
vermuten - vor allen Dingen darauf zu verstehen, in
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; die SPD
bezug auf den Gesundheitsschutz der Bürgerinnen
wünscht Federführung beim Ausschuß für Gesund-
und Bürger bei Ankündigungen stehenzubleiben.
heit. Gibt es auch noch einen F.D.P.-Vorschlag? -
Nein .
(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Lassen Sie uns
in Ruhe, gelt!) Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der
SPD? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Überwei-
Wir müssen aber schnell handeln. sungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU
und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS abge-
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lehnt.
Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der
Wenn wir, sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- CDU/CSU? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
gen, mit unserem Antrag ebenfalls verlangen, daß Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der
nach einer Frist von drei Jahren nur noch geprüfte SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - bei-
Schädlingsbekämpfer gewerblich tätig sind und daß der PDS war es nicht so ganz klar - angenommen.
mit der Prüfung ein qualifizierter Sachkundenach- Die Federführung liegt also beim Ausschuß für Um-
weis erbracht werden muß, so geschieht dies, wie welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich wün-
dargestellt, aus gutem Grund. sche ihm gute Gesundheit.
Nun höre ich, daß das alles schon erledigt sein soll. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Meiner Kenntnis nach ist aber in die Gefahrstoffver-
ordnung die Stoffgruppe der Pyrethroide noch nicht Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
aufgenommen. Ich lasse mich jedoch gern eines Bes- Bleser, Dr. Susanne Tiemann, Christian Len
seren belehren. zer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
4684 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth


der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jür- Die dazu seit 1992 beim Bundesverfassungsgericht
gen Türk, Paul K. Friedhoff, Ulrich Heinrich, anhängige Klage von mehr als 15 Grundeigentümern
Günther Bredehorn und der Fraktion der unterstreicht dies ebenso wie das Urteil des Bundes-
F.D.P. verwaltungsgerichtes aus dem Jahre 1993, welches
die Rechtfertigung einer dauerhaften Abspaltung
Anpassung des Bergrechts des Gewinnungsrechtes oberflächennaher Boden-
- Drucksache 13/2359 — schätze vom Grundeigentum ausdrücklich offenläßt.
Das heißt, die als Übergangsregelung formulierte
Überweisungsvorschlag: Rechtssituation wird fragwürdig, wenn versucht
Ausschuß für Wirtschaft (federführend) wird, zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen daraus
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine Dauerlösung zu machen. Nach Informationen
Rechtsausschuß des Oberbergamtes Freiberg in Sachsen waren be-
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
reits vor einem Jahr Abbaurechte für mehr als die
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Hälfte der Vorkommen an oberflächennahen Berggü-
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich tern vergeben. Darunter sind bei derzeitigem Abbau
sehe keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Rechte für zehn bis 15 Jahre zu verstehen.

Es beginnt der Kollege Gottf ried Tröger. Vor diesem Hintergrund ist die Fortsetzung der Be-
nachteiligung der Grundeigentümer in den neuen
Bundesländern nicht mehr hinnehmbar. Entmündigt
Gottfried Trager (CDU/CSU): Frau Präsidentin! und ihrer Wirtschaftskraft beraubt, fühlen sie sich als
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ihnen „Gast im eigenen Land", wenn die Bagger meist alt-
vorliegende Antrag der Regierungskoalition auf bundesdeutscher Bauunternehmer ihre Rohstoffvor-
Drucksache 13/2359 dient der Anpassung des zwi- kommen leerräumen.
schen den alten und den neuen Bundesländern be-
stehenden unterschiedlichen Bergrechts bei oberflä- Eine Regelung im Anhang des Einigungsvertrages
chennahen Berggütern wie Kies, Sand und Steinen. räumt dem Bundeswirtschaftsminister ein, per
Rechtsverordnung eine andere Zuordnung dieser
Gestatten Sie mir zunächst einige grundsätzliche oberflächennahen Bodenschätze vorzunehmen. In
Anmerkungen. In den alten Bundesländern ist der Kenntnis dessen reichte der Freistaat Thüringen im
Eigentümer von Grund und Boden gleichzeitig Ei- Bundesrat eine Entschließung zu diesem Anliegen
gentümer dieser oberflächennahen Bodenschätze ein. Der Bundesrat forderte daraufhin am 12. Mai
und damit auch Abbauberechtigter. Im Unterschied 1995 die Bundesregierung auf, eine Rechtsverein-
dazu hieß es im Bergrecht der ehemaligen DDR: heitlichung auf dem Gebiet des Bergrechtes herbei-
zuführen.
Mineralische Rohstoffe, deren Nutzen von volks-
wirtschaftlicher Bedeutung ist, sind Bodenschät- Ein Wort noch zu den vom Bundesfinanzminister
ze und unabhängig vom Grundeigentum als und von den Länderfinanzministern befürchteten
Volkseigentum zu be trachten. Einnahmeausfällen. Weil diese Übergangslösung
hätte längst beendet werden müssen, haben Bund
Diese unterschiedliche Rechtsstellung der Grund- und Länder länger an der Konzessionsabgabe ver-
eigentümer wurde im Einigungsvertrag für die dient, als ihnen zugestanden hätte. Mit gutem Grund
neuen Bundesländer so übernommen und den hat der Antragsteller für den Geltungstermin der
Grundeigentümern somit das Verfügungsrecht auch Rechtsverordnung einen Rückgriff auf den 1. März
weiterhin entschädigungslos entzogen. Die gute Ab- dieses Jahres vorgesehen.
sicht, mit dieser Regelung eine schnelle Verfügbar-
keit der Rohstoffe zu sichern, war zum damaligen Damit sollte verhindert werden, daß im Wissen um
Zeitpunkt gerechtfertigt - die bevorstehende Veränderung der Rechtslage Be-
willigungen und Abbaugenehmigungen in Größen-
(Vera Lengsfeld [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ordnungen beantragt und vergeben werden, die die
NEN]: Gestehen Sie wenigstens einmal ei Rechtsangleichung an sich für die Grundeigentümer
nen Fehler ein!) gegenstandslos werden läßt.
- Sie müssen hören, was ich sage -, besonders im Obwohl für eine Vielzahl Be troffener diese Rege-
Hinblick auf die Bedeutung für die Bauwirtschaft lung zu spät kommen wird, kann vorliegender Prüf-
und den Verkehrswegebau. Hemmnisse wie lang- auftrag dazu beitragen, ein Stück Vertrauen in die
wierige Rückübertragungsansprüche und ungeklärte Bundesrepublik bei ostdeutschen Grundeigentü-
Eigentumsfragen konnten so umgangen werden. mern zurückzugewinnen. -
Weil aber damals allein wirtschaft liche Belange Lassen Sie uns nicht erst auf die Entscheidung des
ausschlaggebend waren und weder Eigentümer- Bundesverfassungsgerichtes warten, sondern mittels
rechte noch Interessen des Umwelt- oder Naturschut- der Autorität dieses Hauses ein Zeichen zur Verwirk-
zes Berücksichtigung fanden, gerät diese Regelung lichung der inneren Einheit dieser Bundesrepublik
heute, nach fünf Jahren, immer heftiger unter Kritik Deutschland setzen!
und ist der Zeit unangemessen.
Herzlichen Dank.
(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll
mer) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4685

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt Ich frage Sie also: Warum wird jahrelang argumen-
der Kollege Hans-Joachim Hacker. tiert, die Verordnungsermächtigung geht nicht?
Jetzt kommen Sie mit dieser Krücke und wollen da-
mit das Problem für die Menschen, das Sie produziert
Hans-Joachim Hacker (SPD): Frau Präsidentin! haben, lösen.
Meine Damen und Herren, auch auf den Tribünen
und vor den Bildschirmen! Herr Tröger, ich bin schon Nicht bestritten wurde allerdings, daß tatsächlich
etwas ernüchtert. Das, was Sie uns hier geboten ha- eine Ungleichheit bei der rechtlichen Regelung in
ben, war wirklich das Nullimit. den neuen Ländern gegenüber der Rechtssituation in
den alten Ländern besteht.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das war eine
gute Jungfernrede!) Die parlamentarischen Initiativen der SPD-Bun-
destagsfraktion in der letzten Legislaturpe riode wie
Wir haben dieses Thema schon vier Jahre behan- auch in dieser Legislaturpe riode zielen genau darauf
delt. Ich hätte erwartet - Herr Petzold wird sicherlich ab, diese Ungleichheit zu beseitigen; das vor allen
darauf eingehen -, daß Sie ein bißchen die Histo rie Dingen vor dem Hintergrund, daß wir über vier, ja
bewerten. Alles das, was Sie heute anbieten und in nahezu fünf Jahre mit einer erheblichen Konsequenz
Aussicht stellen, sind genau die Forderungen, die die die Rechtseinheit in Deutschland gestaltet haben.
SPD-Bundestagsfraktion genau seit drei Jahren im Gerade in diesem Bereich, im Bergrecht, ist die
Deutschen Bundestag zur Sprache bringt und bei de- Rechtsuneinheitlichkeit erhalten worden. Die Be-
nen sie auf eine Lösung dringt. gründungen, die dafür angezogen worden sind, sind
nicht exakt und nicht nachvollziehbar.
Deswegen komme ich zu dem Ergebnis, daß eine
scheinbar endlose Geschichte heute in eine weitere Ihnen fehlte die Konsequenz, gleiches Recht in be-
Runde gelangt: die Frage der vermögensrechtlichen zug auf das Bergrecht in den neuen Ländern zu
Zuordnung von mineralischen Bodenschätzen in den schaffen. Auch der heutige Antrag wird dem An-
neuen Ländern, d. h. die notwendige Vereinheitli- spruch, der an uns gestellt ist, nicht gerecht, nämlich
chung des Bergrechtes in Deutschland. bei mineralischen Bodenschätzen einheitliches
Recht zu schaffen. Sie, meine Damen und Herren von
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man der Koalition, haben damit auch in den neuen Län-
kann die Diskussion nicht ohne einen Rückblick auf dern vor Ort Konflikte unnö tigerweise eskalieren las-
die Geschichte dieser Debatte führen. Bereits im sen, die jetzt offen ausgebrochen sind, weil Privat-
Jahre 1991 hatte ich in einem B rief vom 22. Februar grundstücke mit Bergwerksrechten der Treuhand
an den damaligen Bundeswirtschaftsminister Jürgen belastet worden sind. Wenn Sie unseren Anträgen
W. Möllemann - schade, daß er nicht da ist - diese gefolgt wären, hätten Sie auch einen Beitrag dazu
Problematik angesprochen und gebeten zu prüfen, geleistet, die Verantwortung und die Mitwirkungs-
inwieweit die bestehende Regelung im Einigungs- rechte der kommunalen Gebietskörperschaften bei
vertrag, wonach eine Neuzuordnung von bergfreien der Entscheidung über den Abbau von Rohstoffen zu
hochwertigen Steinen und Erden möglich ist, tat- stärken und in diesem Prozeß den Belangen des Um-
sächlich umgesetzt werden kann. weltschutzes mehr Bedeutung beizumessen. A ll die-
Die Antwort des damaligen Bundeswirtschaftsmi- ses haben Sie leider nicht getan. Sie haben den Pro-
nisters Jürgen W. Möllemann entbehrt nicht einer ge- zeß der Herstellung der Rechtseinheit in Deutsch-
wissen Pikanterie, wenn m an sich den heute von der land in dieser Hinsicht massiv verzögert, und Sie ha-
Koalition eingebrachten Antrag anschaut. Ich möchte ben den S treit vor Ort, wie ich das bereits sagte, pro-
einen Satz aus dem B rief vom 15. März 1991 zitieren, voziert.
um die Problematik deutlich zu machen, die in Ihrem Meine Damen und Herren, es stellt sich jetzt die
Antrag steckt, vor allen Dingen vor dem Hintergrund Frage, ob mit dem vorgelegten Antrag der Fraktio-
der jahrelangen Diskussion. Herr Möllemann nen von CDU/CSU und F.D.P. das dringende Rege-
schrieb: lungsbedürfnis in den neuen Ländern befri edigt wird
In dieser Verordnung und ob Rechtseinheit im Bergrecht tatsächlich herge-
stellt wird. Das ist ja immer das Ziel gewesen. Ich
- das ist die Verordnung vom 15. August 1990 - komme zu der Bewertung, daß der vorliegende An-
trag diesen Erwartungen nicht gerecht wird. Er ist in-
sind u. a. alle volkseigenen Bodenschätze aufge- haltlich unausgegoren, weil er nicht zur Rechtsein-
zählt und in einer Art und Weise umschrieben heit führt, und er wird zudem mit einer Fristenrege-
worden, die an das Bundesberggesetz angelehnt lung beschwert, die es uns unmöglich macht, eine
ist. Die Voraussetzungen sachgerechte Prüfung der Problematik, über die wir
- jetzt kommt das Entscheidende - seit mehr als zwei Jahren diskutieren, durchzufüh-
ren.
für eine Inanspruchnahme der im Einigungsver-
trag erhalten gebliebenen Verordnungsermächti- Wenn man sich den Antrag anschaut, dann stellt
gung sind daher nicht mehr gegeben. man fest, daß der Bundestag lediglich die Bundesre-
gierung auffordern soll, eine Prüfung durchzuführen,
Gleiches führte auch Herr Staatssekretär Kolb in ob denn nun endlich die bergfreien hochwertigen
seiner Rede im Plenum aus. Die gleiche Argumenta- Steine und Erden durch Rechtsverordnung den
ti on wurde von ihm auch im Wirtschaftsausschuß des grundeigenen Bodenschätzen im Sinne des Bundes-
Deutschen Bundestages vorgetragen. berggesetzes angepaßt werden können. Dieses ent-
4686 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Hans-Joachim Hacker
spricht aber nicht der Rechtslage in den alten Bun- Genau das ist der Punkt, auf den unsere Anträge
desländern. Hier sind die vergleichbaren Boden- seit Jahren abzielen, und das ist der Punkt, über den
schätze nicht unter den Geltungsbereich des Bundes- wir bereits in diesem Jahr die Diskussion geführt ha-
berggesetzes gestellt. Es handelt sich bei diesen Bo- ben. Bei dieser Diskussion haben Sie aber genau
denschätzen um Grundeigentümerbodenschätze, diese Forderung leider nicht unterstützt. Ich fordere
und insofern gelingt mit Ihrem Antrag, meine Damen Sie auf, ich bitte Sie: Schließen Sie sich jetzt unseren
und Herren von der Koalition, die Herstellung der Forderungen an, vor allen Dingen in der Hinsicht -
Rechtseinheit nicht. das fasse ich jetzt noch in drei Punkten zusammen -,
daß wir tatsächlich Rechtseinheit in Deutschland her-
Daran - Herr Petzold, das wissen Sie genausogut stellen. Es kann nicht angehen, daß im fünften und
wie ich - ändert auch die völlig fehlerhafte Informa- sechsten Jahr der deutschen Einheit noch unter-
tion unseres Kollegen - das darf ich einmal so sagen - schiedliches Recht in den neuen und alten Ländern
Kolbe aus Sachsen nichts, der jetzt verkündet, mit existiert.
dem neuen Antrag würde das Problem der rechtli- Stimmen Sie zu, daß die Kommunen endlich Mit-
chen Uneinheitlichkeit in Deutschland überwunden.
wirkungsrechte und auch Mitwirkungsverantwor-
Ich nehme Sie dafür hier auch nicht in die Pflicht, tung bekommen, und stimmen Sie auch zu, daß wir
weil ich weiß, daß Sie im Grunde genommen zu die- die Umweltverträglichkeitsprüfung einführen, das
ser Problematik eine andere Auffassung haben als heißt, auf einem höheren Niveau als bisher die Fra-
Herr Kolbe. Ich will damit nur zum Ausdruck brin- gen des Umweltschutzes in den neuen Ländern bei
gen: So wird hier für die neuen Länder Politik ge-
der Entscheidung über den Kiesabbau und über den
macht. Das finde ich nicht in Ordnung.
Abbau anderer Stoffe prüfen! Ich bitte Sie herzlich:
Schließen Sie sich insofern unserem Antrag an, der
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der seit Monaten im Deutschen Bundestag liegt!
Koalition, vor dem Hintergrund der jahrelangen Dis-
kussion: Warum soll nun im Gesetzgebungsprozeß, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
den Sie einleiten, den wir schon seit Jahren fordern, (Beifall bei der SPD)
ein derartig unnö tiger Zeitdruck entwickelt werden?
In dem vorliegenden Antrag fordern Sie die Bundes-
regierung auf, dem Bundestag bis zum 1. Oktober Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
1995, also innerhalb von 14 Tagen, einen Be richt zu jetzt die Kollegin Vera Lengsfeld.
erstatten. Wir können einem solchen Zeitdruck nicht
zustimmen; wir sind der Auffassung, daß jetzt das Vera Lengsfeld (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
umgesetzt werden muß, was seit Monaten gefordert Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
wird, daß nämlich eine Anhörung durchgeführt wird legen! Sehr geehrter Herr Kollege Tröger, ich war
und daß in dieser Anhörung - das kann innerhalb auch etwas überrascht von Ihrem Beitrag; denn wir
von wenigen Wochen geschehen - die Probleme, die diskutieren seit fünf Jahren dieses Berggesetz und
auf der Tagesordnung stehen, inhaltlich durchdisku- hatten auch in diesem Hohen Hause schon drei De-
tiert werden und daß vor allen Dingen die Interessen batten, eine davon im übrigen Anfang dieses Jahres.
der Betroffenen, d. h. der Kommunen und der Das hätte Ihnen eigentlich nicht verborgen bleiben
Bürgerinitiativen, die sich in den neuen Ländern ja dürfen.
weitflächig gebildet haben, Berücksichtigung finden.
Gerade darum geht es uns; es geht uns darum, daß Wir haben das Bergrecht debattiert, weil mit der
die Interessen der Kommunen, ganz gleich, in wel- Regelung der Anlage II des Einigungsvertrages in
chem Land und bei welcher parteipolitischen Kon- Kapitel V, Sachgebiet D, „Recht des Bergbaus und
stellation, Berücksichtigung finden und daß wir die der Versorgungswirtschaft", nicht nur zweierlei
Forderungen der Bürger, die von diesem Abbau be- Recht in Deutschland in bezug auf Rohstoffsicherung
troffen sind und die sich in Bürgerinitiativen zusam- und -gewinnung festgeschrieben wurde, sondern
mengefunden haben, endlich stärker berücksichti- von Anfang an - dieses Problem spa rt Ihr Antrag völ-
gen. lig aus - gegen Kapitel III, Rechtsangleichung, Arti-
kel 10, Recht der Europäischen Gemeinschaften, und
Ich bin der Meinung, daß wir uns mit dieser Forde- damit gegen geltendes Recht der EG verstoßen
rung in guter Gesellschaft befinden. Denn die Bun- wurde. Das bestätigte kürzlich die Europäische Kom-
desministerin für Umwelt erklärte in einem Schrei- mission auf Anfrage der grünen Europaabgeordne-
ben vom 11. Juli 1995, das mir kürzlich zugegangen ten Elisabeth Schroedter. Von all diesen Problemen
ist: findet sich in Ihrem Antrag kein Wo rt.
Die gängige Praxis in den neuen Bundesländern,
Im Ergebnis sollten in der Tat - wie in den alten Genehmigungsverfahren für Rahmenbetriebspläne
Bundesländern auch - die Baugrundstoffe Sand im Bergbau durchzuführen, stellt einen eklatanten
und Kies von den Regelungen des Bundesberg- Verstoß gegen die Durchsetzung der europäischen
gesetzes ausgenommen werden, mit der Folge, Umweltverträglichkeitsrichtlinie dar. Durch Be-
daß insbesondere die sogenannte Bergbau-Vor- schwerden von Umweltschutzverbänden in den
rangklausel für diese Rohstoffe entfällt und eine neuen Bundesländern wurde von der EG-Kommis-
verstärkte Mitwirkungsmöglichkeit der Umwelt- sion ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die
behörden sowie der kommunalen Planungsträger Bundesregierung eingeleitet, welches nun auch den
erreicht würde. Europäischen Gerichtshof beschäftigen wird. Es be-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe ri ode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4687
Vera Lengsfeld
steht also in der Tat Handlungsbedarf; aber von die- Lassen Sie uns darüber in den Ausschüssen disku-
sen Problemen war in Ihrem Antrag - ich wiederhole tieren. Wir haben da viel zu tun.
es - nicht die Rede. Spätestens jetzt, da ein Verfahren
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist, sollten
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wir wenigstens über dieses Problem reden.
der SPD - Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sie
Der uns vorliegende Antrag der Regierungskoali- können auch unserem Antrag beitreten!)
tion zur Anpassung des Bergrechts in Deutschland
stellt den Versuch dar, fünf Jahre nach der deutschen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
Einheit die Rechtsprinzipien auf dem Gebiet des der Kollege Jürgen Türk.
Bergbaus zu vereinheitlichen, ohne allerdings die
eben genannten Verstöße gegen geltendes EG-Recht Jürgen Türk (F.D.P.): Sehr verehrte Frau Präsiden-
zu korrigieren.
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heute zu
Warum die Regierungskoalition diesen Antrag behandelnde Antrag zur Anpassung des Bergrechts
überhaupt gestellt hat, ist aus der Begründung nicht sichert endlich ein Verfahren, um auch auf dem Ge-
ersichtlich, jedenfalls nicht für mich. Im Stile eines biet des Bergrechts zur Rechtsangleichung zu kom-
deutschen demokratischen Politbürorechenschafts- men.
berichtes wird erst einmal darüber geschrieben, wie In der Sache sind wir uns in allen Fraktionen einig
erfolgreich das System der Bergfreiheit der Boden- - so verstehe ich das jedenfalls -, daß es zu einer An-
schätze sich bewährt habe, und zwar - ich zitiere; passung des Bergrechts und damit zu einer Rechts-
das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen - vereinheitlichung kommen muß.
durch die „Aufrechterhaltung der schon zu DDR-Zei-
ten vergebenen individuellen Rechte". (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Anpassung
oder Vereinheitlichung?)
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich hielt
- Sie sind Jurist; Sie wissen, was ich meine.
es schon immer für eine der besonderen Scheußlich-
keiten des Einigungsvertrages, DDR-Unrecht um (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist ein
vermeintlicher wirtschaftlicher Vorteile wi llen festzu- Unterschied!)
schreiben, und wir haben ja heute statt der wirt-
Das System der Bergfreiheit der Bodenschätze
schaftlichen Vorteile in den neuen Bundesländern
war ein altes DDR-Recht. Es ist durch den Einigungs-
eine schwere Hypothek zu tragen.
vertrag fortgeschrieben worden, um die Rohstoffge-
Kürzlich hat mir Innenminister Schuster in Thürin- winnung und -versorgung in der Übergangszeit von
gen erzählt, vor welchen Schwierigkeiten das Land der zentralen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft si-
Thüringen durch in den letzten Wochen der DDR cherzustellen. Ich glaube, das war auch bis zu einem
massenhaft vergebene Bergbaukonzessionen steht. gewissen Zeitraum richtig und notwendig. Der Be-
Alle diese Konzessionen, meine Kolleginnen und schluß war von vornherein als eine Ü bergangsrege-
Kollegen aus der CDU/CSU, wollen Sie aus Gründen lung gedacht, und er konnte damit auch nur für eine
der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes un- Übergangszeit Gültigkeit haben. Wir können uns
ter Bestandsschutz stellen? Das kann doch wohl nicht darüber streiten, ob das zu lange gedauert hat. Wich-
wahr sein! tig ist, daß wir es jetzt end lich machen wollen und
werden.
Wir haben allein in Thüringen 2 000 Anträge, und
Denn mit der zeitlich bef risteten Zuordnung wurde
zwar - lieber Herr Kollege Tröger, hören Sie zu -
das Verfügungsrecht des Grundeigentümers einge-
nicht nur die nächsten 15, 20 Jahre be treffend, son-
schränkt. Der Grundeigentümer ging leer aus. Mit
dern es sind für die nächsten 30, 50, 80 und 100 Jahre
dem jetzt vorliegenden Antrag kommen wir endlich
Konzessionen vergeben worden.
zur Gleichbehandlung der Grundeigentümer in Ost-
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist uner und Westdeutschland.
hört!) Wie ich schon in der letzten Debatte am 17. März
dieses Jahres ausführte, sind die Bedingungen für
Die Beispiele kann ich Ihnen im Privatgespräch er-
ein zweigeteiltes Recht nicht mehr gegeben und die
läutern. Leider reicht meine Redezeit dazu nicht aus.
Forderungen einer Anpassung völlig gerechtfertigt
Das führt dazu, daß z. B. in Mecklenburg bereits oder auch überfällig, wenn Sie so wollen.
eine Abbaufläche beantragt ist, die der Größe der In- Da der Wille zur Anpassung des Bergrechts, wie
sel Rügen entspricht. -
schon ausgeführt, nach unserer Debatte am 17. März
unstrittig war, machte ich mich auf den Weg, das zu
(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Beantragt ist!) klären. Mein Ziel war, das noch vor der Sommer-
Meine Damen und Herren von der CDU, Ihr An- pause hinzubekommen. Es gibt natürlich unter-
trag kommt fünf Jahre zu spät. Wir müssen jetzt ret- schiedliche Interessen, und deswegen hat sich das
ten, was zu retten ist. Ihr Antrag taugt dazu leider weiter verzögert. Um so froher bin ich, daß es jetzt
nicht. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat endlich etwas werden wird.
am Anfang dieses Jahres einen Antrag vorgelegt, der
meiner Meinung nach besser geeignet ist, die Pro- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
bleme zu lösen. eine Zwischenfrage des Kollegen Hacker?
4688 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Jürgen Türk (F.D.P.): Bitte, wenn es nicht zu juri- möchte ich vorweg richtigstellen: Zu DDR-Zeiten hat
stisch-spitzfindig ist. es einen solch drastischen Raubbau an Bodenschät-
zen nicht gegeben.
Hans-Joachim Hacker (SPD): Lieber Herr Türk, (Vera Lengsfeld [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
bitte keine Angst. Weil ich Ihren Diskussionsbeitrag NEN]: Die Lausitz! Herr Jüttemann, was er-
auch für die weitere Beratung in den Ausschüssen zählen Sie denn für Märchen? - Zuruf von
für sehr wich tig halte, möchte ich nachfragen: Unter- der SPD: Heiliges Kanonenrohr! Tomaten
stützen Sie die Forderung, die allenthalben erhoben auf den Augen! Das kann doch nicht wahr
wird, daß wir zu einer Rechtsvereinheitlichung kom- sein!)
men müssen und auch die Auffassung, daß das im-
mer noch geteilte Bergrecht im wiedervereinigten - Wir reden von diesen Bodenschätzen. Horchen Sie
Deutschland unhaltbar ist? Oder meinen Sie, daß es mal gut zu!
im Grunde genommen nur kosmetische Änderungen
geben soll? Rund 900 Lagerstätten von Bodenschätzen gibt es
in Ostdeutschland. Der überwiegende Teil davon
wird heute intensiv genutzt. Allein in Sachsen, wo
Jürgen Türk (F.D.P.): Klare Antwort: richtige die Hälfte dieser Lagerstätten zu finden ist, hat sich
Rechtseinheit. das Abbauvolumen in der kurzen Zeitspanne zwi-
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ich bedanke schen 1992 und 1994 von 34 Millionen Tonnen pro
mich, Herr Türk! - Rolf Schwanitz [SPD]: Jahr auf 72 Millionen Tonnen mehr als verdoppelt.
Dann müssen Sie aber einen anderen An
In meiner Heimat Thüringen betrug das Volumen
trag stellen!)
1994 ca. 50 Millionen Tonnen, bei steigender Ten-
Die Frage, wer und aus welchem Bundesland stam- denz. Das entspricht ca. 19 Tonnen pro Einwohner,
mend Interessen hat, wurde schon gestellt. Es läßt fast doppelt soviel wie im Bundesdurchschnitt, der
sich jetzt nicht mehr ganz genau ergründen, aber es bei ca. 10 Tonnen pro Einwohner liegt. Entsprechend
gab sicherlich unterschiedliche Interessen. Die An- geschunden ist das Land. Erholungsgebiete mit üppi-
passung im Bergrecht ist jetzt jedenfalls umgehend ger Flora werden zu Stein- und Sandwüsten. Die An-
zu vollziehen. Sie haben vom 1. Oktober gesprochen. wohner leben in Staub und Lärm, Touristen kommen
Das muß sicherlich aktualisiert werden, wenn es schon lange nicht mehr. Wenn Sie sich für Details in-
technisch nicht ganz möglich ist. Dazu wird der teressieren, dann sehen Sie sich am Dienstag um
Staatssekretär sicherlich etwas sagen können. 20.15 Uhr im MDR das Wirtschaftsmagazin „Um-
schau" an. Da können Sie erfahren, wie es im Osten
Ich kann nur hoffen, nachdem bis hin zum Wirt- mit dem Bergrecht zugeht.
schaftsministerium grünes Licht besteht - wir haben
uns da versichert -, daß wir uns im Wirtschaftsaus- Wenn dort jemand Privatland besitzt, auf dem Bo-
schuß - ich glaube, daß es do rt hingehört - so schnell denschätze festgestellt werden, hat er kaum eine
wie möglich auf die Durchführung der Anpassung ei- Ch an ce. In einem Verfahren, in dem die Eigentümer
nigen können. „keine demokratischen Grundrechte" haben,
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Warum muß (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Wie früher
das Wirtschaftsministerium dem Parlament in der DDR, oder wie?)
grünes Licht geben?)
wie der Sprecher der Mittweidaer Bürgerinitiative,
- Jetzt sind wir doch schon wieder bei den Spitzfin- Pfarrer Christoph Kö rn er, sagt, droht ihnen die
digkeiten. Ich wollte damit sagen: Wir haben uns mit Zwangsverpachtung an die Abbaufirma - für jährlich
dem Wirtschaftsministe rium abgestimmt und sind 11 bis 12 Pfennig pro Quadratmeter.
uns einig, daß das schnellstens umgesetzt werden
muß. Möglich gemacht hat das der Einigungsvertrag,
den Sie mit Herrn Krause, also mit sich selbst, abge-
Die F.D.P.-Fraktion ist jedenfalls nicht mehr bereit
schlossen haben. Dann haben Sie gewartet, bis fast
- das sage ich ganz deutlich -, noch einen Tag länger
alle Kinder in den Brunnen gefallen sind.
zu warten, an dem das nicht endlich in Ang riff ge-
nommen wird. Wir wollen die Rechtsvereinheitli- Ihr heutiger Antrag kommt mindestens zwei Jahre
chung. Da der Wille zur Vereinheitlichung des Berg- zu spät.
rechts besteht, sollte dies jetzt ohne Umwege umge-
setzt werden. (Vera Lengsfeld [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Fünf!) -
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Inzwischen ist bereits soviel bewil ligt, daß vielerorts
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so bis zum Jahr 2020 abgebaut werden kann, mit all
wie bei Abgeordneten der SPD) den katastrophalen Folgen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt Aber Ihr Antrag kommt nicht nur zu spät, er greift
der Kollege Gerhard Jüttemann. auch zu kurz. Wieder einmal wollen Sie dem Osten
lediglich Ihr Westrecht überstülpen.
Gerhard Jüttemann (PDS): Sehr verehrte Präsiden- (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist aber
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines gut, das Westrecht! Unsinn!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4689

Gerh ar d Jüttemann
Die Ursprünge des Bundesberggesetzes gehen bis burg stammt, ist zwar auch unsauber formuliert,
in das vergangene Jahrhundert zurück, als sich wenn er in der Überschrift ein einheitliches Berg-
Deutschland unabhängig von ausländischen Boden- recht in Ost und West propagiert und im zweiten An-
schätzen machen wollte. Deshalb bevorzugt das Ge- strich den entscheidenden Unterschied formuliert: im
setz in so starkem Maße die Förderung von Boden- Osten grundeigene Bodenschätze nach Bergrecht; im
schätzen gegenüber allen anderen öffentlichen Inter- Westen soll es so wie bisher bleiben: Grundeigentü-
essen. Unter anderem deshalb haben auch Kommu- merbodenschätze außerhalb des Bergrechts.
nen und Bürgerbewegungen nur eingeschränkte
Trotzdem ist der Ansatz in den neuen Bundeslän-
Mitspracherechte. Das wollen Sie verewigen.
dern, das grundeigene Recht dort durchzusetzen, wo
Wir dagegen fordern die Durchsetzung mindestens in den alten Ländern das Grundeigentümerrecht gilt,
der Gleichrangigkeit ökologischer Interessen mit sehr interessant, da dadurch die Rechte der Grundei-
denen der Rohstoffgewinnung. Wir wollen, daß die gentümer weitgehend - ich will nicht sagen: allge-
betroffenen Grundeigentümer, Kommunen und Bür- mein - gleichgestellt sind. Dieses ist auch Grundlage
gerinitiativen in allen Phasen des bergrechtlichen unserer Überlegungen. Wesentlich für unseren An-
Verfahrens wirkliche Mitspracherechte erhalten. De- trag ist auch, daß im Einigungsvertrag Anlage I, Ka-
mokratische Basisbeteiligung muß gesetzlich festge- pitel V, Sachgebiet D, Abschnitt III, Nr. 1, Buchstabe m,
schrieben werden. Auch bei Abbauflächen von weni- Doppelbuchstabe aa - Sie kennen es alle; das ist
ger als 10 Hektar bzw. Förderung von weniger als auch im Urteil aufgeführt - der Bundeswirtschaftsmi-
3 000 Tagestonnen müssen Planfeststellungsverfah- nister ermächtigt wird, mit Zustimmung des Bundes-
ren mit Umweltverträglichkeitsprüfung durchge- rates die von uns heute be trachteten mineralischen
führt werden. Rohstoffe innerhalb des § 3 des Bundesberggesetzes
anders zuzuordnen. Diese Zuordnung der Boden-
Das funktioniert nicht mit einer neuen Rechtsver- schätze von den bergfreien zu den grundeigenen Bo-
ordnung. Dazu muß das Gesetz umgeschrieben, de- denschätzen wird damit ohne kompliziertes Rechts-
mokratisiert und vereinheitlicht werden. verfahren oder Gesetzgebungsverfahren möglich
Recht schönen Dank. und würde die ganze Sache doch im gegenseitigen
Einvernehmen zwischen uns wahrscheinlich sehr be-
(Beifall bei der PDS - Vera Lengsfeld schleunigen.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser An
trag, Herr Jüttemann!) (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist bisher
durch das Bundesministerium verneint wor-
den!)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
jetzt der Kollege Ulrich Petzold. - Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bejaht
dies ja wohl.
Ulrich Petzold (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben aus dem Jahre 1993 verdichtet sich diese Änderung
schon wahrlich sehr viel darüber gesprochen. Ich der Zuordnung des Gewinnungsrechtes zur Pflicht,
glaube, gerade die heutige Diskussion über das wenn sich die Verhältnisse der Bereitstellung von
Bergrecht zeigt, wie wich tig eine Parlamentsreform Rohstoffen in den neuen Bundesländern angeglichen
ist, nach der ein solches Fachthema in Fachausschüs- haben. Um diese Angleichung der Verhältnisse ge-
sen durchgesprochen und nicht hier im Plenum ir- richtsfest feststellen zu können - denn ein Urteil des
gendwie abgehandelt wird. Bundesverfassungsgerichts steht immer noch aus -,
haben wir unseren Antrag mit einem Prüfauftrag ver-
Lieber Herr Hacker, Sie haben leider so gespro- sehen. Wir meinen, so der Aufforderung des Bundes-
chen, als gäbe es das Urteil des Bundesverwaltungs- verwaltungsgerichts besser nachzukommen.
gerichts vom 24. Juni 1993 nicht. Ich muß Ihnen sa-
gen, es klang auch ein wenig so, als kennten Sie Ih-
ren eigenen Antrag nicht ganz, denn die Unklarhei- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
ten bei der Zielsetzung gerade auch Ihres Antrages eine Zwischenfrage Ihres Kollegen?
liegen wohl doch ein bißchen auf der Hand. Auf der
einen Seite fordern Sie in der Überschrift eine Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ja, Herr Schwanitz.
Rechtsvereinheitlichung, auf der anderen Seite steht
im letzten Satz des ersten Absatzes der Begründung,
Rolf Schwanitz (SPD): Herr Petzold, nachdem das
daß Sie davon ausgehen, daß die Bodenschätze wei-
Bundesverwaltungsgericht bereits 1993 dieses Urteil
terhin der Bergaufsicht unterstehen, was bedeuten
gefällt hat und wir vor einem Dreivierteljahr noch-
würde, daß sie also nicht wie in den Altbundeslän-
eine Debatte gehabt haben, in der Sie die Notwen-
dern Grundeigentümerbodenschätze werden wür-
digkeit der Vereinheitlichung oder der Rechtsanglei-
den, sondern höchstens grundeigene Bodenschätze
chung - den Begri ff haben Sie gewählt - abgelehnt
nach § 3 Abs. 4 des Bundesberggesetzes. Damit,
haben, wie erklärt sich denn nun auf einmal die Er-
meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Herr
leuchtung, die Sie uns jetzt hier präsentieren?
Hacker, befinden Sie sich auf dem Weg, den das
Land Brandenburg in seinem Antrag eingeschlagen
hat und den auch wir als sinnvoll und richtig anse- Ulrich Petzold (CDU/CSU): Es geht um einen ge-
hen und auch irgendwie verfolgen können. Der An- richtsfesten Punkt, an dem wir diese Angleichung
trag des Bundesrates, der eigentlich aus Branden- vornehmen können. Wenn wir diesen gerichtsfesten
4690 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Ulrich Petzold
Punkt nicht wählen, werden wir uns vor Prozessen Rückgriffsregelung zum 1. März, die wir unbedingt
nicht retten können. durchsetzen wollen, damit uns hier nichts wegläuft,
nichts anbrennt. Wir wollen hier etwas schaffen, da-
Wir sind uns wohl einig, daß gerade dieses andere
mit der Grundeigentümer nicht mehr wie bisher
Recht ganz wesentlich zur Stärkung der Bauwirt-
seine Rechte auf die Bodenschätze verliert.
schaft in den neuen Bundesländern beigetragen hat.
Sie geben das letztendlich auch zu. Es geht darum, (Vera Lengsfeld [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
den Punkt zu finden, an dem wir wirklich, wie es im NEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes heißt, dieses
Recht ändern. Hier muß vorher eine vernünftige, or- - Ich glaube, wir kommen jetzt in eine allgemeine
dentliche und tiefgründige Prüfung vorgenommen Diskussion hinein.
werden. Diese haben wir im Bundeswirtschaftsmi-
nisterium - das kann ich klar sagen - nicht erst mit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich möchte alle
diesem Antrag angemahnt, sondern darüber sind wir Kollegen bitten, von weiteren Zwischenfragen abzu-
mit dem Bundeswirtschaftsministerium schon seit sehen. - Ihre Redezeit war bereits vorbei.
Anfang dieses Jahres im Gespräch, so daß die Prü-
fung - das kann ich Ihnen versichern - kein Schnell-
schuß sein wird. Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ich komme zum
Schluß. Ich glaube, eine Diskussion zu diesem Punkt
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine ist lohnenswert, und wir sollten sie im Fachausschuß
Redezeit geht zu Ende. Deswegen kann ich leider führen. Wir sind sehr gern zu Gesprächen bereit.
nicht mehr zu all den Punkten etwas sagen, zu denen Aber uns ist erst einmal unser Antrag sehr wich tig,
ich noch etwas sagen wollte, z. B. zu der Salamitak- um für die Grundeigentümer wieder eine gewisse
tik. Ich bin der Meinung, daß wir hier durchaus et- Rechtssicherheit zu erlangen.
was machen können und machen müssen. Das kön-
nen wir mit einer Regelung zur UVP-Verordnung Danke schön.
Bergbau machen. Ich glaube, wir sollten in der Anhö- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
rung einen vernünftigen Weg suchen. Ich gehe da-
von aus, daß das durchaus machbar ist.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
zum Schluß der Parlamentarische Staatssekretär
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie Dr. Kolb.
eine Zwischenfrage des Kollegen Hacker?
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Hans-Joachim Hacker (SPD): Ich möchte Ihre Re- desminister für Wirtschaft: Frau Präsidentin! Meine
dezeit verlängern und stelle deshalb noch eine Zwi- lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns
schenfrage. heute auf Grund eines Koalitionsantrages erneut mit
dem Bergrecht, nachdem wir vor nicht allzu langer
Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ja, danke schön. Zeit an dieser Stelle die Initiativen von SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum gleichen Thema
Hans-Joachim Hacker (SPD): Ich würde gern noch behandelt haben. In der Zwischenzeit hat sich auch
einmal nachfragen: Das Kernproblem scheint ja zu der Bundesrat auf Antrag des Freistaates Thüringen
sein, ob man Rechtsvereinheitlichung oder Rechts- dieses Themas angenommen und sich mit einer
anpassung will. Was halten Sie denn von der Bemer- Entschließung vom 12. Mai 1995 für die Besei tigung
kung der Bundesumweltministerin Frau Dr. Angela der unterschiedlichen eigentumsmäßigen Zuordnung
Merkel, die eindeutig von Rechtseinheit spricht, d. h. der mineralischen Rohstoffe ausgesprochen.
Nichtunterstellung unter das Bergrecht? Wenn man die nunmehr drei vorliegenden Anträge
im Deutschen Bundestag und auch die Entschlie-
Ulrich Petzold (CDU/CSU): Ich gehe von folgen- ßung des Bundesrates näher prüft, stellt man fest,
dem aus: Da es schneller und besser möglich ist, zu- daß alle Initiativen ein gemeinsames Ziel haben,
nächst eine Angleichung vorzunehmen, sollten wir nämlich die Vereinheitlichung der eigentumsmäßi-
diese Angleichung so schnell wie möglich durchfüh- gen Zuordnung der hochwertigen Steine und Erden
ren. Klar ist - Herr Tröger hat das vorhin schon darzu- in den alten und in den neuen Bundesländern.
stellen versucht -, daß es uns auch um die Eigen-
Die Anträge unterscheiden sich allerdings ganz er-
tumsfrage bei den jetzt noch verbliebenen Grund-
heblich in den Modalitäten der angestrebten Rechts-
stücken geht. Sie wissen, daß in Thüringen noch in
vereinheitlichung. Das gilt sowohl für die Art der Re- -
großem Maßstab Anträge auf Erteilung des Berg-
gelung - ob durch Gesetz oder durch Verordnung -
rechts vorliegen. Thüringen hält sich da natürlich
sehr zurück. als auch für das Spektrum der zu treffenden Rege-
lung.
(Vera Lengsfeld [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
NEN]: Ja, mit Recht!) Zu dem gemeinsamen Ziel der Vereinheitlichung
der Eigentumszuordnung sollte zunächst rückblik-
- Darüber kann man gern diskutieren. Ich gehe da- kend festgestellt werden, daß die seit der Herstel-
von aus, daß wir hier so schnell wie möglich eine Re- lung der Einheit eingetretene Entwicklung im Be-
gelung beschließen. Deswegen auch - ich komme reich der Bauindustrie die Zweckmäßigkeit der da-
leider nicht mehr dazu, darauf einzugehen - diese maligen Entscheidung im Einigungsvertrag durch-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4691
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb
aus bestätigt. Tatsächlich ist der Aufschwung Ost we- Verbesserungen mit dem Ziel erklärt, das ich hier
sentlich von den Bauaktivitäten mit einer starken re- gern noch einmal unterstreichen möchte, nämlich die
gionalen Nachfrage nach geeigneten Baurohstoffen im Bundestag wie im Bundesrat angemeldeten Ver-
und einer entsprechenden jährlichen Produktion von änderungsabsichten auf eine möglichst breite, wenn
über 220 Millionen Tonnen allein im Bereich der eben möglich, gemeinsame Basis zu stellen.
Massenrohstoffe Sand, Kies, Hartgestein und Kalk-
stem getragen. Das bedeutet eine Verdoppelung der Ich möchte jetzt an Sie, an das Parlament appellie-
Produktionszahlen der DDR innerhalb kürzester Zeit ren, einen der vorliegenden Anträge - ich vermute,
auf der Basis des Jahres 1994. es wird der Koalitionsantrag sein - möglichst schnell
zu beschließen, damit der entsprechende Be richt im
Das System der Bergfreiheit der Bodenschätze der Kabinett und in der Folge auch die Verordnung ver-
Steine- und Erdenindustrie hat sich insofern im Hin- abschiedet werden können, mit der das von uns,
blick auf die Kontinuität der Rohstoffversorgung im glaube ich, gemeinsam verfolgte Ziel erreicht wer-
Zuge des Übergangs von einer Staats- zur Marktwirt- den kann.
schaft und im Hinblick auf die Schaffung neuer Pro-
duktionskapazitäten bewährt. Dennoch - damit ha- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
ben die Vorredner zweifellos recht - bleibt eine un-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
bestreitbar ungewöhnliche Rechtssituation, die, un-
abhängig von der Beurteilung der Zweckmäßigkeit
in der Vergangenheit, für die Zukunft geprüft und in Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da-
einer vernünftigen Weise geändert werden muß. mit die Aussprache.
Eine Änderung dieser rechtlichen Rahmenbedingun-
gen bedeutet allerdings einen einschneidenden Ein- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage
griff in das jetzt vorhandene System mit erheblichen auf Drucksache 13/2359 an die in der Tagesordnung
wirtschaftlichen Konsequenzen, die dabei bedacht aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Feder-
werden müssen. führung soll beim Ausschuß für Wirtschaft liegen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fa ll .
Die Unterschiede der drei vorliegenden Anträge Dann ist die Überweisung so beschlossen.
betreffen das Spektrum der zu vereinbarenden Rege-
lung. Der Antrag der SPD und noch mehr der Antrag
vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gehen weit über Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und b und
das gemeinsame Ziel der Vereinheitlichung der ei- Zusatzpunkt 4 auf:
gentumsmäßigen Zuordnung hinaus. Aus meiner 13. a) Erste Beratung des von dem Abgeordneten
Sicht gehen diese Zusatzforderungen zudem ins Volker Beck (Köln) und der Fraktion BÜND-
Leere. NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
Ohne auf die Einzelheiten eingehen zu wollen wurfs eines Gesetzes zur Sicherung der
bzw. wegen der Zeit eingehen zu können, möchte Wohnung für den hinterbliebenen Lebens-
ich hierzu folgendes sagen: Die vorgeschlagene Um- partner
stellung der materiellen eigentumsmäßigen Rechts-
lage bringt bereits einschneidende Veränderungen Drucksache 13/847
in den be troffenen Bereichen mit sich. Im Interesse —Überwisungvorschlag:
der Kontinuität des Industriezweiges sollte deswegen Rechtsausschuß (federführend)
nach Auffassung der Bundesregierung von einer Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
nicht zwingend gebotenen Umstrukturierung des
b) Beratung des Antrags des Abgeordneten
Genehmigungsverfahrens abgesehen werden. Ne-
Volker Beck (Köln) und der Fraktion BÜND-
ben dem finanziellen Mehraufwand für die Unter-
NIS 90/DIE GRÜNEN
nehmen würden nicht unbedeutende zeitliche Ver-
Gleichberechtigung von Schwulen und
zögerungen für geplante und auch schon begonnene
Lesben in der Bundesrepublik Deutschland
oder zu ändernde Vorhaben mit entsprechenden
Konsequenzen für den Baurohstoffmarkt eintreten. - Drucksache 13/1822 —
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinwei- Überweisungsvorschlag:
sen, daß sich auch der Bundesrat nach eingehender Rechtsausschuß (federführend)
Diskussion in der Entschließung 127/95 vom 12. Mai Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf das Kernanliegen der Eigentumsneuordnung be-
schränkt und weitergehende Änderungswünsche ZP4 Erste Beratung des von den Abgeordneten
ausdrücklich abgelehnt hat. Diesem Votum der Län- Ch ri s ti an Schenk, Dr. Gregor Gysi und der
der kommt besonderes Gewicht zu, weil die Länder Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs ei-
mit der Durchführung des Bergrechts be traut sind nes Gesetzes zur Übernahme der gemeinsa-
und aus der Sicht der Praxis besonders gut beurteilen men Wohnung nach Todesfall der Mieterin/
können, welches Maß an Rechtsänderung verkraft- des Mieters oder der Mitmieterin/des Mit-
bar ist. mieters

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung - Drucksache 13/2355


hat bereits bei der Beratung im Bundestag im März —Überwisungvorschlag:
dieses Jahres die Bereitschaft zu unvoreingenomme- Rechtsauschuß (federführend)
ner Prüfung nötiger Veränderungen und möglicher Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
4692 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind geschlechtlichen Lebensgemeinschaften im § 569 a
für die gemeinsame Aussprache drei Viertelstunden BGB gleichzustellen. Denn hier muß dringend ge-
vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist handelt werden. Der Bundesgerichtshof hat den
so beschlossen. Schutz nach diesem Paragraphen zwar von Ehegat-
ten und Familienangehörigen auf heterosexuelle
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- nichteheliche Lebensgemeinschaften ausgedehnt,
lege Volker Beck. homosexuelle Paare hiervon aber ausdrücklich aus-
genommen. Das macht sie zu Lebensgemeinschaften
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dritter Klasse. Anders als Ehegatten oder Partner he-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir de- terosexueller Lebensgemeinschaften kann der Hin-
battieren heute hier zu später Stunde über zwei Initi- terbliebene einer homosexuellen Partnerschaft beim
ativen mit sehr unterschiedlicher Reichweite zur Tod des Partners nicht in dessen Mietvertrag eintre-
Rechtsstellung von Lesben und Schwulen. Unser An- ten.
trag zielt auf umfassende Gleichberechtigung. Unser
Gesetzentwurf ist der kleinste denkbare Schritt, um Durch Aids ist diese Frage des Mieterschutzes ei-
Benachteiligung abzubauen. nes der drängendsten Probleme im Bereich schwuler
Pa rt nerschaften. Die Rechtlosigkeit homosexueller
Meine Damen und Herren, im Februar 1994 hat Paare wirkt sich hier besonders brutal aus. Mir sind
das Europaparlament einen wichtigen Meilenstein Fälle bekannt, in denen Menschen, die ihren kran-
für Demokratie und Bürgerrechte in Europa gesetzt. ken Freund jahrelang gepflegt haben, ihre Wohnung
Mit großer Mehrheit wurde eine Entschließung zur verloren haben. Jetzt stehen sie auf der Straße.
Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben in
der Europäischen Union verabschiedet. Die Ent- So kann das nicht weitergehen. Die Rechtslage ist
schließung forde rt die Länder der EU auf, im Zusam- zutiefst diskriminierend, unsozial und unbarmherzig.
menwirken mit den nationalen Lesben- und Schwu- Dies muß ein Ende haben.
lenorganisationen Maßnahmen und Kampagnen zur
Bekämpfung jeglicher Form der sozialen Diskrimi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
nierung von Homosexuellen einzuleiten. Das Euro-
paparlament verlangt u. a. ein entschiedeneres Ein- Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ge-
schreiten gegen antihomosexuelle Gewalt und die rade eine christliche Partei sollte doch anerkennen,
rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebensge- daß hier Menschen füreinander einstehen und daher
meinschaften. auch rechtlich abgesichert werden müssen. Ich for-
dere Sie auf, diese Frage ohne ideologische Scheu-
Die Entschließung des Europaparlaments trägt
klappen ernsthaft zu prüfen. Hier geht es nicht um
auch in Deutschland erste Früchte. In zwei Bundes-
die Stellung der Ehe an sich. Es geht allein darum, ob
ländern, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen,
haben die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag jemand massive soziale Nachteile erleiden muß, nur
weil er in einer homosexuellen Partnerschaft lebte.
vereinbart, sich im Land wie im Bund für die Umset-
zung der Empfehlungen des Europäischen Parla-
Ich hoffe sehr, daß wir in dieser Frage wirklich zu
ments zur Gleichberechtigung von Schwulen und
einer Einigung hier im Hause kommen. Die Justizmi-
Lesben einzusetzen. Brandenburg, Thüringen und
nisterin hat bereits öffentlich erklärt, daß sie dem Ziel
Berlin haben in ihren Landesverfassungen ausdrück-
unserer Initiative zustimmt und diese Benachteili-
lich festgelegt, daß niemand wegen seiner sexuellen
gung homosexueller Paare im Mietrecht beseitigen
Identität benachteiligt werden darf.
will. Das freut mich sehr. Nun müssen aber Taten fol-
In Bonn freilich gehen die Uhren leider noch an- gen. Die be tr offenen Menschen können nicht war-
ders. Schwulen- und lesbenpolitisch ist Deutschland ten. Wir müssen rasch handeln und das Unrecht be-
ein Entwicklungsland. Anderswo fallen die rechtli- seitigen. Das geht mit der Zustimmung zu unserem
chen Schranken. In vielen europäischen Nachbar- Gesetzentwurf.
staaten gibt es Antidiskriminierungsgesetze. Däne-
mark, Norwegen und Schweden haben die Standes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ämter für homosexuelle Paare geöffnet. Auch ost-
europäische Staaten schicken sich an, Deutschland
zu überholen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt spricht die
Kollegin Ch ri stina Schenk.
Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, daß sich
der Bundestag end li ch ernsthaft mit den Vorschlägen
des Europäischen Parlaments auseinandersetzt. -
Christina Schenk (PDS): Frau Präsidentin! Meine
Meine Damen und Herren, uns ist nicht verborgen Damen und Herren! Es ist ganz sicher nicht so, daß
geblieben, wie schwer sich die Regierungsfraktionen man allein aus der Tageszeit, zu der eine bestimmte
bei den Bürgerrechten für Schwule und Lesben tun, Debatte stattfindet, zwingend auf die Bedeutung des
an den europäischen Standard heranzukommen. Der Tagesordnungspunktes schließen kann. Bei einem
vorliegende Gesetzentwurf zur Sicherung der Woh- Thema, das in so grundsätzlicher Weise die Grundla-
nung für den hinterbliebenen Lebenspartner sollte gen der Demokratie bet ri fft, wie das bei der Bekämp-
Ihnen aber keine ideologischen Probleme bereiten. fung von Diskriminierungen jeder Art der Fall ist, ist
Er sieht vor, gleichgeschlechtliche Lebensgemein- es mir schon unverständlich, daß es zu so später
schaften wenigstens mit nichtehelichen verschieden Stunde behandelt wird.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4693
Chris tina Schenk
Man muß daraus, wie ich denke, leider den Schluß einen gemeinsamen Mietvertrag abgeschlossen ha-
ziehen, daß die etablierte politische Klasse der Bun- ben, existiert nur für hinterbliebene Verwandte bei
desrepublik Deutschland sowohl die Notwendigkeit einem Todesfall das Recht, den Mietvertrag allein
als auch die Tragweite einer entschlossenen Antidis- fortzusetzen.
kriminierungspolitik noch immer nicht erfaßt hat.
Der Gesetzentwurf der Bündnisgrünen löst in der
Noch immer wird gerade in Deutschland die hete- Form, wie er jetzt vorliegt, nur die Probleme von les-
rosexuelle Kleinfamilie, in der sich die Frau treusor- bischen, schwulen oder heterosexuellen eheähnli-
gend und ohne eigenständige Existenzsicherung um chen Lebensgemeinschaften. Ich meine, er ignoriert
Mann, Kind, Haushalt und vielleicht auch das Ehren- damit die Vielfalt der Lebensentwürfe. Deswegen
amt kümmert, als alleiniges und generell zu favori- muß man darüber hinausgehen und den Versuch un-
sierendes Lebensmodell propagiert und gefördert. ternehmen, alle Formen des Zusammenlebens in
gleicher Weise zu behandeln, wie das in unserem
Genau diese Bevorzugung eines von vielen mögli- Gesetzentwurf geschehen ist.
chen Lebensentwürfen ist eine der Hauptursachen Danke.
für die Diskriminierung von Lesben und Schwulen.
Die einseitige Ausrichtung auf die eine Lebensform (Beifall bei der PDS)
verhindert die Entwicklung einer positiven Identität
für Lesben und Schwule. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
der Kollege Dr. Diet ri ch Mahlo.
Von der Erkenntnis, daß Homosexualität und Hete-
rosexualität gleichwer ti ge Varianten menschlicher
Sexualität und Lebensweisen sind, ist sowohl der Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
größte Teil des öffentlichen Bewußtseins als auch die Meine lieben Kollegen! Die drei Gesetzentwürfe, die
Gesetzgebung der Bundesrepublik noch sehr weit uns vorliegen, werden wir zunächst einmal in den
entfernt. Das bet ri fft im übrigen nicht nur Lesben Ausschüssen besprechen. Ich möchte das Ergebnis
und Schwule, sondern generell alle, die nicht nach dieser Besprechungen hier nicht vorwegnehmen.
den klassischen Mustern leben wollen.
Herr Beck, wenn Sie Ihren Fraktionskollegen eine
Tafel Schokolade schenken, aber mir keine, bin ich
Der Antrag der Grünen zur Gleichberechtigung
dann diskriminiert? Das Problem ist doch nicht, daß
von Lesben und Schwulen, der heute zur Debatte
Sie eine Abwesenheit von Diskriminierung verlan-
steht, entspricht einem Teil der diesbezüglichen Ent-
gen, sondern Sie begehren die Teilhabe an bestimm-
schließung des Europäischen Parlaments und ist bis
ten Privilegien, die anderen, z. B. ehelichen Partner-
auf einen Punkt durchaus zu begrüßen.
schaften, gewährt werden. Ich finde, der Umgang
mit dem Wort „Diskriminierung" ist nicht korrekt. Er
Es ist natürlich völlig richtig, daß es absolut keinen
ist eine Art Kampfbegriff, mit dem Sie immer hantie-
Grund gibt, Lesben und Schwulen das Recht auf
ren, aber der den Sachverhalt korrekterweise nicht
Eheschließung zu verweigern, aber dabei muß auch
trifft.
klar sein, daß das allein kein Beitrag zur Gleichstel-
lung aller Lebensformen ist. Die Suche nach immer mehr Sicherheit und immer
mehr Gleichheit ist eine unendliche Geschichte. Sie,
Die PDS wi ll die tatsächliche Gleichberechtigung Herr Kollege Beck, sind im Beg ri ff, ein neues Kapitel
aller Lebensweisen, d. h., sie will den Abbau von dieser Geschichte aufzuschlagen. Wenn wir Ihnen
Diskriminierungen, und sie wi ll den Abbau von Privi- heute zustimmen, dann werden Sie spätestens in ei-
legien. Es also allein bei der Forderung nach den nem Jahr wieder hier stehen, eine neue unerträgli-
Vorteilen, wie es in diesem Antrag steht, die sich aus che Unsicherheit des Lebens oder Ungleichheit unter
dem Eheschließungsrecht ergeben, zu belassen, ist, den Menschen erkannt und aufgespießt haben und
wie jedenfalls ich meine, anachronistisch und kein im Namen des Fortschritts und der Moral nach weite-
Beitrag zur notwendigen Antidiskriminierungspoli- rer Sicherheit und weiterer Gleichheit verlangen.
tik.
(Ch ri s tina Schenk [PDS]: Sie wissen gar
Der Gesetzentwurf der Grünen zur Sicherung der nicht, worum es hier geht!)
Wohnung für den hinterbliebenen Lebenspartner ist
ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung, aber Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
er greift aus unserer Sicht zu kurz. Wir haben daher eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der die
Übernahme von Wohnmietverträgen beim Todesfall
einer Person im Falle der gemeinsamen Haushalts- Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Bitte sehr.
führung vorsieht. Ich denke, das ist der entschei-
dende Schritt in Richtung Abbau von Diskriminie- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
rungen. Ich würde Ihnen gerne bezüglich der Schokolade
antworten, aber da ich hier nur Fragen stellen darf,
Nach dem jetzt geltenden Recht haben nur Ehe- werde ich Ihnen eine Frage stellen.
leute oder Familienangehörige beim Todesfall der
Mieterin oder des Mieters das Recht, das Mietver- (Margot von Renesse [SPD]: Herr Beck, ge-
hältnis zu übernehmen. Selbst wenn zwei Personen ben Sie ihm ein Stück!)
4694 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Volker Beck
- Sie würden von mir auch immer ein Stück bekom- natürlich nur an einer besonderen Gruppe interes-
men. Im Ausschuß können Sie einmal danach fragen. siert. Bitte sehr!

Zum Thema Privilegien. Ich denke, eine Regelung, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
die sich auf nichteheliche heterosexuelle Lebensge- GRÜNEN]: Das ist unglaublich!)
meinschaften erstreckt, wie die, auf die sich § 569a Aber es gibt soundso viel andere Gruppen, deren Un-
BGB bezieht, ist sicher kein P rivileg, das Ausfluß terscheidung überhaupt nicht dargetan ist. Aus die-
z. B. aus Art . 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ist, weil sem Grunde: Plausibilität räume ich ein, aber in dem
do rt Ehe und Familie und nicht die heterosexuelle Sinne, daß keine Irrlehre ganz des Richtigen ent-
nichteheliche Lebensgemeinschaft geschützt wird. behrt. Aber ich frage, ob man dem nachgeben muß
und ob das Gesamttableau, das Sie dann eines Tages
Meinen Sie nicht auch, daß wir als Gesetzgeber
haben, förderlich ist.
neben ideologischen Problemen, wem wir Schoko-
lade geben wollen und wem nicht, die praktischen
Probleme der Menschen lösen müssen? Da haben ho- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
mosexuelle Lebensgemeinschaften nicht nur beim eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?
Mietrecht - aber darüber wollen wir heute vor allen
Dingen reden - keine Möglichkeit, ihre Lebensge-
Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Bitte sehr.
meinschaft so zu schützen, wie das für Heterosexu-
elle möglich ist.
Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Kollege, es stehen hier
zwei Gesetzentwürfe und ein Antrag zur Debatte. Ich
Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Kollege, ich möchte fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen ha-
bestreite überhaupt nicht, daß hier eine Ungleichge- ben, daß in dem Gesetzentwurf der PDS nicht von ei-
wichtigkeit vorhanden ist. Man könnte nur die Frage ner bestimmten Gruppe, an der Sie es jetzt hier fest-
stellen: Soll man auf dem Weg des BGH weiterge- zumachen versuchen, und zwar indem Sie in sehr un-
hen, wie Sie es wünschen, oder soll man die Ent- berechtigter Weise eine ganze Menge von Gruppen
scheidung des BGH als nicht richtig ansehen und von Menschen mit völlig verschiedenen Problemla-
wieder zurückdrehen? gen aneinanderreihen, die Rede ist, sondern daß wir
eindeutig von häuslichen Gemeinschaften sprechen.
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Würden Sie bitte auch noch zur Kenntnis nehmen,
NEN]: Die gesellschaftlichen Realitäten auf daß, wie insbesondere Herr Beck erläutert hat, die im
den Kopf stellen!) Gesetzentwurf des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
angesprochene Problemlage durch die Krankheit
- Herr Kollege, es geht hier doch nicht um Realitäten, Aids und, was Ihrer Partei am Herzen liegen müßte,
sondern es geht um Wertungen. durch die besondere Situation bei der Pflege, die in
(Beifall bei der CDU/CSU - Volker Beck sehr großem Maße ehrenamtlich geleistet wird, und
[Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, zwar nicht wie üblich auf Grund familiärer Beziehun-
es geht um die Lösung der Probleme! - gen, sondern durch den Lebenspartner und die Le-
Christina Schenk [PDS]: Sie haben das miß benspartnerin, verschärft worden ist?
verstanden, aber völlig!)
Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Das, was Sie ge-
- Was heißt denn eigentlich „mißverstanden", Frau sagt haben, ist mir nicht unbekannt. Sie gehen ge-
Kollegin? nau den Schritt weiter, den ich heute als den Main-
stream kennzeichne. Sie haben sich sofort darange-
Der Sachverhalt ist sehr einfach. Die Entscheidung hängt und den Kreis, den Sie zu privilegieren wün-
des BGH ist jedem bekannt. Das Problem, das daraus schen, nochmals erweitert. Das ist eine unendliche
entsteht, ist ebenfalls völlig bekannt. Warum sollen Geschichte. Die Frage ist, ob wir eines Tages eine
wir jetzt aber z. B. gerade bei den gleichgeschlecht- Gesellschaft von nur noch Unterprivilegierten sind,
lich Veranlagten aufhören, sie zu schützen? die ganz besondere Vorrechte in Anspruch nehmen.
(Christina Schenk [PDS]: Richtig!) Das heißt, Leute, die einen bestimmten Mietvertrag
nicht haben, können einen anderen, der es gar nicht
Warum wollen wir nicht unter sozialen Gesichts- will , dazu zwingen, einen Mietvertrag mit ihnen ab-
punkten Arbeitslose, Kinderreiche, Alleinerzie- zuschließen. Das ist doch das Ziel.
hende, Asylbewerber, Ausländer, Aussiedler, Alte, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
Angehörige niedriger Lohngruppen, Studenten, -
GRÜNEN]: Das ist bei allen Familienange-
Kleinwüchsige usw. einbeziehen? hörigen der Fall!)
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Auf irgendwessen Kosten geht das natürlich. Diese
GRÜNEN]: Sie verfehlen das Thema!) Fälle müßte man in die Be trachtung billigerweise
einbeziehen. Aber ich will dem Ergebnis der Bera-
Die Möglichkeit, unterprivilegierte Gruppen zu tungen gar nicht vorgreifen.
finden und mit einer gewissen Plausibilität ihre Un-
terprivilegierung in der Tat darzulegen, ist immer ge- Ausgangspunkt Ihres Anspruchs ist die Tatsache,
geben. Ich bestreite überhaupt nicht, daß Ihre Argu- daß in der Verfassung, in einer Reihe von Gesetzen
mentation eine gewisse Plausibilität bietet. Sie sind und meinetwegen bereits in der Bibel von besonde-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4695
Dr. Dietrich Mahlo
ren Rechten für die Ehe gesprochen wird. Dies be- führt auf der anderen Seite zu immer mehr Abhän-
ruht darauf, daß die Lebensgemeinschaft von Mann gigkeit und immer weniger Freiheit.
und Frau als kleinste gesellschaftliche Einheit, aus
(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/
der typischerweise, allerdings nicht in jedem Fall, die
Fami li e mit Kindern hervorgeht, einen Ausgangs- DIE GRÜNEN und der PDS - Rezzo
punkt der Sozialisation des Menschen darstellt und Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - das
für das Wohl jeder Gemeinschaft, ob sie Staat, Ge-
war die französische Revolu ti on!)
sellschaft oder Volk heißt, von lebenswichtiger Be-
deutung ist. Es ist die Frage, ob die Gemeinschaften, Sie wendet sich im Ergebnis mit ihrer bleiernen
für die Sie Forderungen aufstellen, von gleicher Be- Decke möglicherweise auch gegen diejenigen, de-
deutung sind. nen zu dienen sie vorgibt.
Dann geht es um die Frage, ob die Nachteile, die Ich bezweifle, daß wir den selbsternannten Sozial-
die gegenwärtige Rechtslage ihnen auferlegt, so gra- heitsprotektoren,
vierend, so unerträglich sind, daß sie ihnen wie vie- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Was ist
len anderen auch nicht billigerweise zugemutet wer- das denn?)
den können, ohne sie gewissermaßen plattzuma-
chen, ohne ihnen Möglichkeiten zu lassen, sich le- die Sicherheit, Glück, Lebensführung und politische
bensgemäß zu entwickeln. Nur im letzten Fall müßte „correctness" vorschreiben., folgen sollten und daß
man sie auf viele Schultern umlegen, was der eigent- wir auf diesem Wege zu immer schärferen Eingriffen,
liche Inhalt des Sozialstaates ist. immer neuen Geboten, immer weiteren Abgaben,
immer mehr Wohlfahrtsadministration kommen soll-
Die Frage ist in der Tat: Welche Unterschiede kön- ten.
nen wir hinnehmen, und welche Unterschiede kön-
nen wir nicht hinnehmen? Das Leben ist bunt, die (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: An Ihrer
Menschen sind verschieden. Es gibt Heterosexuelle Rede ist nichts scharf!)
und homosexuell veranlagte Menschen, und nie- Unser Sozialstaat ist bereits jetzt überlastet. Er
mand bestreitet, daß letzteres für die Betroffenen in braucht nicht mehr Regulierung, sondern mehr Dere-
der Regel ein besonderes Lebenserschwernis dar- gulierung.
stellt.
Aber warten wir die Beratungen in den Ausschüs-
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE sen ab!
GRÜNEN]: Aber nur die Rechtssituation!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Aber es gibt Menschen mit robuster Gesundheit und
solche mit labiler Gesundheit und Menschen, die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
schön sind, und Menschen, die häßlich sind und dar- die Kollegin Margot von Renesse.
unter leiden. Es gibt sehr kluge und sehr dumme
Menschen usw. Es gibt eine Fülle von persönlichen
Margot von Renesse (SPD): Frau Präsidentin!
Nachteilen. Es ist die Frage, ob wir sie qua Gesetzge-
Meine Damen und Herren! Es ist nicht ganz leicht für
bung einander angleichen sollen oder ob wir in ei-
mich, nach dieser Rede überhaupt einen Anfang zu
nem gewissen Umfang die Unterschiedlichkeit des
finden. Ich kann es eigentlich nur, in dem ich das ver-
Lebens akzeptieren.
gesse, was ich gerade gehört habe.
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na! - Rezzo
NEN]: Wenn ich Sie so reden höre!) Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Nein!)
- Ich kann von Ihnen nur noch die Füße sehen, Herr
Kollege. Ich kann es insofern nicht vergessen, Herr Beck, als
dies sehr deutlich gemacht hat: Der Weg ist noch
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) sehr weit.
Jetzt wollen wir einmal ernsthaft werden. Ihr Ent-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Füße sehe wurf zum Mietrecht ist, würde ich sagen, gut ge-
ich zwar nicht, aber die Knie, und auch das ist nicht meint, aber leider nicht gut gemacht. Er ist technisch,
so gut. Ich bitte doch, sie einmal herunterzunehmen. handwerklich nicht das, was die Betroffenen von Ih-
nen erwarten dürfen, zumindest von uns als dem Ge-
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ setzgeber. Ich wi ll Ihnen sagen, warum. -
NEN]: Aber es ist auch schon ziemlich
spät!) Sie setzen einen Brocken in eine Rechtsumgebung,
ohne daß Sie definieren, wovon Sie sprechen. Sie be-
- Aber wenn wir im Präsidium mit gleicher Waffe zu- ziehen sich zwar in Ihrer Begründung - ich habe sie
rückschlagen? noch einmal nachgelesen - auf bestimmte Gerichts-
entscheidungen. Aber alle diese Gerichtsentschei-
dungen setzen im Grunde genommen an subjektiven
Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Wir müssen diese Sachverhalten an , die nur ermittelbar sind, wenn
Dinge gegeneinander abwägen. Die Suche nach im- zwei Leute sich zu der Emotionalität des Füreinan-
mer mehr Gleichheit und immer mehr Sicherheit dereinstehens bekannt haben und bekennen. Sie ha-
4696 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Margot von Renesse


ben nichts dazu gesagt, was Sie als Lebensgemein- ger traditionell, als es die Konservativen meinen. Die
schaft ob eheähnlich oder gleichgeschlecht lich, in-
- sind, fürchte ich, was die Rechtsgeschichte Europas
teressiert mich hier einmal am allerwenigsten - defi- angeht, nicht ganz im Bilde. Dem kann man aber ab-
nieren, wenn einer tot ist. helfen.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Ich denke, wir brauchen eine Gesamtkonzeption.
GRÜNEN]: Das machen wir genau wie der Wir sind dabei, diese zu erarbeiten; das wissen Sie.
BGH, genau wie die Rechtsprechung!) Das können wir gerne gemeinsam machen.
Aber darüber können wir reden. Nun zu dem großen Thema der Benachteiligung,
das ich viel weniger als einen, wenn auch notwendi-
Wir haben im Augenblick - da gebe ich Ihnen gen Schritt zu mehr Sozialrecht sehe. Nein, ich
recht; Sie wissen, daß ich diese Auffassung teile - möchte mich eher mit dem Thema des Art. 3 und sei-
eine Rechtsunsicherheit, die für eine Vielzahl von
nen Weiterungen und nicht vorhandenen Weiterun-
Menschen an eine Rechtsnot grenzt, und zwar kei-
gen befassen. Sie wissen, daß wir Sozialdemokraten
neswegs - da kann ich mich vielleicht doch an Herrn gern mehr gehabt hätten.
Mahlo wenden - allein von Menschen, die Liebesge-
meinschaften bilden, sondern auch von solchen, die (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
in Wohngemeinschaften, Haushaltsgemeinschaften GRÜNEN): Da waren wir gemeinsam dran!)
leben, die etwa vom Diakonischen Werk, von der Ca-
ritas, hochwohllöblichen Verbänden, für Behinderte, Wir werden das „Gleichbehandlungsgesetz", wie
für alte Menschen - aus welchen Motiven auch im- ich es aus sprachlichen Gründen lieber nenne als
mer - zunehmend organisiert werden und die mitun- „Antidiskriminierungsgesetz", als ein Gesetz für die
ter in derselben Problematik stehen. Gesellschaft insgesamt verstehen müssen, A rt . 3, das
heißt, die Nichtbenachteiligung - nicht die Gleich-
Wir werden uns darauf einrichten müssen, daß die heit - als Bauprinzip dieser Gesellschaft erkennbar
Menschen nicht nur die Wahl zwischen Ehe und Al- werden zu lassen.
leinsein haben wollen.
Diese Gesellschaft lebt davon, daß es in ihr keine
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Benachteiligung geben darf. Wenn Sie Angst haben,
Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) daß auch die Kleinwüchsigen und all die anderen,
die Sie, Herr Mahlo, genannt haben, dazugehören,
Daher müssen wir unterscheiden und Defini tionen
dann sehen Sie sich Art. 3 an. Dieser Ar tikel nennt
bringen: Was ist eine lockere Wohngemeinschaft?
besondere Risikogruppen beim Namen, in einer Tau-
Was ist und woran verlautbart sich eine Bindung, die
tologie, die die Verfassung schon klugerweise macht.
darüber hinausgeht und die ein Füreinandereinste-
Hier werden Herkunft, Rasse und Geschlecht ange-
hen nach sich zieht? Es kann sogar sein, daß sich
sprochen. Ich weiß nicht, ob die Sprache dabei ist;
durch die Unklarheit der Tatbestände, die wieder
mein Gedächtnis verläßt mich im Augenblick. Aber
zum Richterrecht führen würde - der eine macht es
die Behinderung gehört dazu. Das alles betrifft
so, der andere so; wie Herr Richter meinen -, sogar
Leute, die wegen ihrer Andersartigkeit in jüngst ver-
gegen Betroffene, die Sie meinen und denen auch
gangenen Zeiten schwer zu leiden gehabt haben.
ich helfen will, so etwas wie eine Abwehrhaltung sei-
tens potentieller Vermieter entwickelt, die jede Historische und humane Gründe, christliches
Bremse einsetzen, damit ihnen bestimmte Leute Abendland in Vollendung mahnen uns, unsere Ge-
nicht ins Haus kommen. sellschaft als eine Gesellschaft der Gleichbehand-
lung zu verstehen. Wir werden ein solches Gesetz
Deswegen müssen wir nicht nur diese Regelungen
machen. Dabei werden die gleichgeschlechtlichen
erweitern; dafür bin auch ich. Vielmehr müssen wir
Paare eine Gruppe bilden. Ich möchte kein Schwu-
mit Konzeptionen ansetzen, die die Diskrepanz zwi-
len- und Lesbengesetz, weil der Artikel-3-Appell für
schen Vermieterinteressen und sonstigen Interessen,
mich der übergreifende Gesichtspunkt ist. Ich will
aber auch die Diskrepanz zwischen gebendem und
nicht ein Behindertengesetz, ein Ausländerbenach-
nehmendem Staat - siehe Sozialhilfe und Steuer-
teiligungsgesetz und ein Herkunftsbenachteiligungs-
recht - endlich auflösen, damit daraus ein Ganzes
gesetz. Ich will ein Artikel-3-Gesetz, in dem der
wird.
Punkt „für die Gesellschaft" zum Ausdruck kommt
Ich möchte noch einmal Sie, Herr Mahlo, anspre- und beim Namen genannt wird.
chen: Wir befinden uns auf dem Boden der alten Tra-
(Beifall bei der SPD - Volker Beck [Köln]
dition Europas, des christlichen Abendlandes.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie
(Dr. Dietrich Mahlo [CDU/CSU]: Aha!) ganz auf unserer Linie!) -
Denn das ganze Mittelalter kannte eine Vielzahl von Es gibt einen Punkt, wo ich in der Tat eine rechtli-
Lebensgemeinschaften, von denen es übrigens bis in che Benachteiligung sehe. Das sage ich nur für mich
die heutigen Tage Reste gibt, vom Kloster - Nonnen persönlich. Darum wird noch gestritten werden müs-
und Mönchen - angefangen bis hin zum Beginenhof. sen; das wissen auch Sie. Diese Benachteiligung
Damals wurden Rechtsantworten gegeben. Die Ent- sehe ich darin - Frau Schenk, da bin ich ganz ande-
wicklung hin zu der Wahl, entweder in einer Familie rer Meinung als Sie -, daß wir kein familienrechtli-
im klassischen Sinne zu leben oder allein zu sein, hat ches Äquivalent für die personale Gemeinschaft
erst das 19. Jahrhundert hervorgebracht. Da sind wir zweier Homosexueller - ob Männer, ob Frauen ist
in unseren Rechtsvorstellungen eigentlich viel weni mir egal - haben, die sich genauso wie Heterosexu-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4697
Margot von Renesse
elle lieben - ich benutze dieses altmodische Wort - in dem gerade jene vor Benachteiligung und Herab-
und daraus mit der Übernahme von Verantwortung würdigung geschützt werden, die ihr Leben anders
für den anderen diese anthropologische Konstante als die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ge-
mit den merkwürdigen Worten „ewig", „solange wir stalten.
leben" ableiten wollen.
Ich bin mit den Antragstellern der Auffassung, daß
(Chri stina Schenk [PDS]: Quatsch!) die Berücksichtigung nichtehelicher Lebensgemein-
schaften im deutschen Recht noch nicht bef ri edigend
- Sie sagen „Quatsch"; Frau Schenk. Eines aber wer- geregelt ist. Allerdings sind schwule und lesbische
den Sie nicht tun wollen, gerade weil Sie an Gleich- Lebensgemeinschaften in Deutschland nicht - wie
behandlung interessiert sind. Sie wollen nicht, daß Sie es formuliert haben - völlig rechtlos.
Gleichgeschlechtliche diskriminiert werden.
Gerade, weil ich mit Ihnen der Auffassung bin, daß
Es gibt aber keinen Grund, Leute, die heiraten mehr für nichteheliche und gerade auch gleichge-
wollen, zu diskriminieren. schlechtliche Lebensgemeinschaften getan werden
sollte, sollten derar tige Pauschalurteile, die der Reali-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
tät nicht entsprechen, unbedingt vermieden werden.
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nur dann können, wie dies notwendig ist, die Pro-
Es ist nun einmal genauso notwendig, dies zu erken- bleme differenzierter angegangen werden.
nen. Solange es noch ein Paar auf der Welt gibt, das
Dies gilt auch hinsichtlich mancher der von Ihnen
heiraten will, so lange wird man es niemandem ver-
erhobenen Forderungen, wie etwa der auf Zulassung
weigern dürfen. Ob das nun Gleichgeschlechtliche
von homosexuellen Paaren zur Eheschließung oder
sind oder nicht: Wir brauchen, weil es sozial er-
auf Eröffnung entsprechender Rechtsinstitute, die
wünscht ist, personale Verantwortung für einen an-
alle Vorteile bieten sollen, wie sie sich aus dem Recht
deren. Dies brauchen wir, in welcher Form auch im-
der Eheschließung ergeben.
mer und von wem auch immer. Dies gehört in ein
Gleichbehandlungsgesetz; denn hier ist rechtliche Man kann darüber diskutieren - und Sie wissen,
Diskriminierung vorhanden. Das darf nicht mehr gerade die Bundesjustizministerin hat das wiederholt
sein; da folge ich Ihnen. getan -, ob auch außerhalb der Ehe bestehende, auf
Lassen Sie uns dieses Gesetz aber bitte technisch Dauer angelegte Lebensgemeinschaften in den
so ausgestalten, daß es gutes Handwerk darstellt! Schutz des Grundgesetzes einbezogen werden sol-
Der Gesetzgeber hat gute Gesetze zu machen; wie len.
der Schuster, wenn er Schuhe macht, gute Schuhe
Wir kommen aber nicht an der Tatsache vorbei,
machen soll. Alles andere schadet nur. daß Ehe und Familie nach geltendem Verfassungs-
Danke. recht unter dem besonderen Schutz der staatlichen
Ordnung stehen und die Ehe nach ganz überwiegen-
(Beifall bei der SPD) der Auffassung eine Geschlechtsverschiedenheit der
Partner voraussetzt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Der Herr Kol- Dies schließt sicher nicht aus, zu prüfen, ob nicht
lege Lanfermann hat gebeten, seine Rede zu Proto- ein Rechtsinstitut der „eingetragenen Partner-
koll geben zu dürfen. Sind Sie damit einverstanden? schaft", mit dem einige nordeuropäische Länder gute
- Das ist der Fall. Erfahrungen sammeln konnten - Herr Beck hat ja die
Länder aufgeführt -, in das deutsche Recht integriert
Dann spricht jetzt der Parlamentarische Staatsse- werden kann.
kretär Funke.
Wie Sie wissen, steht die Bundesregierung der Ein-
führung einer solchen Partnerschaft zurückhaltend
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- gegenüber. Ich werde aber mit der Bundesjustizmini-
ministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine Da- sterin daran festhalten, für den Abbau von Vorbehal-
men und Herren! Der allgemeine Beschlußantrag der ten zu streiten und zu einer Prüfung zu kommen, die
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Gleichbe- von dem Verständnis für die Bedürfnisse gleichge-
rechtigung homosexueller Lebensgemeinschaften schlechtlicher Partnerschaften geleitet ist.
verfolgt ja das Ziel, daß sich der Deutsche Bundestag
Forderungen, die das Europäische Parlament hierzu Rechtlos sind gleichgeschlechtliche Partner aber
an die Mitgliedstaaten und vor allem an die EG-Kom- schon heute nicht. Sie können eine Vielzahl der zwi- -
mission gerichtet hat, zu eigen macht und an die schen Ehepartnern geltenden Ehewirkungen durch
Bundesregierung richtet. vertragliche Vereinbarung miteinander herbeifüh-
ren und fahren dabei möglicherweise sogar besser,
Die Bundesregierung hat sich wiederholt zu weil sie damit für ihre konkrete Partnerschaft maßge-
gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften geäu- schneiderte Regelungen treffen können.
ßert. Dabei hat sie stets betont, daß niemand wegen
seiner Homosexualität diskriminiert oder benachtei-
ligt werden darf. Die Toleranz und die Freiheitlich- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
keit einer Gesellschaft bewähren sich in dem Maße, eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
4698 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- - Ich weiß es, aber gerade in diesen konkreten Fäl-
ministerin der Justiz: Ja, bitte. len, die Sie ansprechen, ist der mietrechtliche Besitz-
anspruch nicht vererbbar. Es ist keine Regelung ge-
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): troffen worden. Das ist das, was ich hier vortrage,
Würden Sie mir zustimmen, daß alle Partnerschafts- daß nämlich durch vertragliche und testamentarische
verträge natürlich keine Drittwirkung entfalten, we- Verfügung durchaus Möglichkeiten bestehen. Dies
der gegenüber dem Staat noch gegenüber anderen ist genauso, wenn man entsprechende vertragliche
Personen in der Gesellschaft, und daß deshalb z. B. Vereinbarungen mit dem Vermieter trifft. Noch stär-
Fragen wie Pflichtteilregelung im Erbrecht, Aufent- ker wird die Stellung des überlebenden Partners,
haltsrecht von ausländischen Lebenspartnern oder wenn er den Mietvertrag selbst mitunterschreibt,
auch die Mietrechtsfrage in keiner Weise durch ei- was auch möglich ist, was auch in sonstigen Lebens-
nen noch so guten Partnerschaftsver trag gelöst wer- gemeinschaften passiert.
den können?
Angesichts dieser vertraglichen oder erbrechtli-
chen Möglichkeiten müssen wir sorgfältig prüfen, ob
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- für eine gesetzliche Regelung wirklich ein vordringli-
ministerin der Justiz: Wenn Sie etwas geduldiger ge- ches Bedürfnis besteht. Die Bundesregierung hat
wesen wären, Kollege Beck! Ich werde auf diese kon- sich ohnehin vorgenommen, an diese und andere im
kreten Fragen noch eingehen. Zusammenhang mit nichtehelichen Lebensgemein-
Probleme bestehen allerdings - das kann ich auf schaften bestehenden mietrechtlichen Fragen bei der
Ihre Frage hin gleich einräumen - im Verhältnis zu beabsichtigten Bereinigung des Mietrechts heranzu-
Dritten. Das geltende Recht knüpft vielfach Rechts- gehen. Dazu wird schon in Kürze eine Bund-Länder-
folgen nur pauschal an die Ehe. Dies war so lange Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesjustiz-
gerechtfertigt, wie die Ehe die einzige gesellschaft- ministeriums zusammentreten.
lich akzeptierte Form einer dauerhaften Verbindung
Wenn sich herausstellen sollte, daß die Probleme
darstellte. Heute müssen wir uns dagegen die Frage
verschieden- und gleichgeschlechtlicher Lebensge-
stellen, ob der maßgebende Grund für bestimmte ge-
meinschaften wegen ihrer praktischen Bedeutung
setzliche Regelungen nicht allein im besonderen per-
vorrangig gelöst werden müssen, dann werden wir
sönlichen Verhältnis zweier Partner zueinander oder
uns auch für vorgezogene Regelungen stark ma-
in ihrem Zusammenleben in persönlicher Verbun-
chen. Auch wenn wir alle Probleme, die die Behand-
denheit liegt. Hier muß eine Vielzahl von Einzelrege-
lung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aufwer-
lungen im Lichte der gesellschaftlichen Entwicklung
fen, sicher nicht auf einmal gelöst werden können,
überprüft und gegebenenfalls angepaßt werden,
so werde ich mich doch für Verbesserungen im ein-
Herr Kollege Beck, um den Be troffenen zu helfen, wo
zelnen, vielleicht auch in kleineren Schritten, ein-
ihnen das geltende Recht im einzelnen Probleme be-
setzen.
reitet.
Einer dieser konkreten Problembereiche ist das Vielen D ank für Ihre Aufmerksamkeit.
Mietrecht, zu dem Sie hier einen konkreten Gesetz-
entwurf vorgelegt haben. Der Gesetzentwurf zur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Sicherung der Wohnung für den hinterbliebenen Le-
benspartner ist - das gebe ich zu - sehr sub til und
auch ausführlich begründet. Die zentrale Frage bleibt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe die
aber freilich offen, ob zur Sicherung der Wohnung Aussprache.
hinterbliebener Lebenspartner in gleichgeschlechtli-
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-
chen Lebensgemeinschaften eine gesetzliche Rege-
gen auf den Drucksachen 13/847, 13/1822 und
lung wirklich so dringend notwendig ist, wie dies von
13/2355 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ihnen, Herr Kollege Beck, dargestellt wird.
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
Immerhin wird in der Begründung zu Recht auf die standen? - Dann sind die Überweisungen so be-
erbrechtlichen Möglichkeiten hingewiesen: Wer als schlossen.
Mieter für den Fall seines Todes die Wohnung sei-
nem Lebenspartner sichern wi ll, kann ihm seinen Wir sind damit am Schluß unserer heutigen, lan-
mietrechtlichen Besitzanspruch vererben. Wer dies gen Tagesordnung.
nicht will, kann mit seinem Vermieter eine entspre-
chende vertragliche Vereinbarung treffen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, 22. September 1995,
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE 9 Uhr ein.
GRÜNEN]: Das funktioniert in der Regel
der Fälle nicht! Ich kann Ihnen x Prozesse Die Sitzung ist geschlossen. Gute Nacht.
zeigen, wo es gescheitert ist, wenn Leute es
versucht haben!) (Schluß der Sitzung: 23.55 Uhr)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4699*

Anlagen zum Stenographischen Bericht (C)

Anlage 1 Brigitte Baumeister Gerda Hasselfeldt


Meinrad Belle Rainer Haungs
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Hauser (Esslingen)
Liste der entschuldigten Abgeordneten Hans-Dirk Bierling Hansgeorg Hauser
Dr. Joseph-Theodor Blank (Rednitzhembach)
entschuldigt bis Renate Blank Klaus-Jürgen Hedrich
Abgeordnete(r) Dr. Heribert Blens Manfred Heise
einschließlich
Peter Bleser Dr. Renate Hellwig
Dr. Norbert Blüm Ernst Hinsken
Adler, B ri gitte SPD 21. 9. 95 Friedrich Bohl Peter Hintze
Blunck, Lilo SPD 21. 9. 95 * Dr. Maria Böhmer Josef Hollerith
Jochen Borchert Dr. Karl-Heinz Hornhues
Böttcher, Maritta PDS 21. 9. 95 Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Siegfried Hornung
Dr. Däubler-Gmelin, SPD 21.9. 95 Wolfgang Bosbach Joachim Hörster
Herta Dr. Wolfgang Bötsch Hubert Hüppe
Klaus Brähmig Peter Jacoby
Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 21. 9. 95 * Rudolf Braun (Auerbach) Susanne Jaffke
Haack (Extertal), SPD 21. 9. 95 Paul Breuer Georg Janovsky
Karl Hermann Monika Brudlewsky Helmut Jawurek
Georg Brunnhuber Dr. Dionys Jobst
Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 21.9. 95 Klaus Bühler (Bruchsal) Michael Jung (Limburg)
Dr. Jacob, Willibald PDS 21.9. 95 Hartmut Büttner Ulrich Junghanns
(Schönebeck) Dr. Egon Jüttner
Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 21.9. 95 Dankward Buwitt Dr. Harald Kahl
Leidinger, Robe rt Manfred Carstens (Emstek) Bartholomäus Kalb
SPD 21. 9. 95
Peter Harry Carstensen Steffen Kampeter
Lennartz, Klaus SPD 21. 9. 95 (Nordstrand) Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Wolfgang Dehnel Manfred Kanther
Meckel, Markus SPD 21. 9. 95 Hubert Deittert Irmgard Karwatzki
Scheel, Christine BÜNDNIS 21. 9. 95 Gertrud Dempwolf Volker Kauder
90/DIE Albert Deß Peter Keller
GRÜNEN Renate Diemers Eckart von Klaeden
Wilhelm Dietzel Dr. Bernd Klaußner
Schmidt (Hitzhofen), BÜNDNIS 21.9. 95 Werner Dörflinger Hans Klein (München)
Albe rt 90/DIE Hansjörgen Doss Ulrich Klinkert
GRÜNEN Dr. Alfred Dregger Dr. Helmut Kohl
Maria Eichhorn Hans-Ulrich Köhler
Schmidt (Aachen), SPD 21.9. 95 Wolfgang Engelmann (Hainspitz)
Ulla Rainer Eppelmann Manfred Kolbe
Schönberger, Ursula BÜNDNIS 21.9. 95 Heinz Dieter Eßmann Norbert Königshof en
90/DIE Horst Eylmann Eva-Maria Kom
Anke Eymer Hartmut Koschyk
GRÜNEN Use Falk Manfred Koslowski
Schumann, Ilse SPD 21. 9. 95 Dr. Kurt Faltlhauser Thomas Kossendey
Jochen Feilcke Rudolf Kraus
Dr. Wolf, Winfried PDS 21. 9. 95 Dr. Karl H. Fell Wolfgang Krause (Dessau)
Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 21. 9. 95 Ulf Fink Andreas Krautscheid
Margareta 90/DIE Dirk Fischer (Hamburg) Arnulf Kriedner
GRÜNEN Leni Fischer (Unna) Heinz-Jürgen Kronberg
Klaus Francke (Hamburg) Dr.-Ing. Paul Krüger
Zierer, Benno CDU/CSU 21. 9. 95 * Herbert Frankenhauser Reiner Krziskewitz
Dr. Gerhard Friedrich Dr. Hermann Kues
Erich G. Fritz Werner Kuhn
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Hans-Joachim Fuchtel Karl Lamers
sammlung des Europarates Michaela Geiger Dr. Karl A. Lamers
Norbert Geis (Heidelberg)
Dr. Heiner Geißler Dr. Norbert Lammert
Michael Glos Helmut Lamp
Anlage 2 Wilma Glücklich Armin Laschet
Dr. Reinhard Göhner Herbert Lattmann
Namen der Abgeordneten, Peter Götz Dr. Paul Laufs
die an der Wahl Dr. Wolfgang Götzer Karl-Josef Laumann
des Bundesbeauftragten für die Unterlagen Joachim Gres Werner Lensing
des Staatssicherheitsdienstes der Kurt-Dieter Grill Christian Lenzer
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik WolfganGröb Peter Letzgus
Hermann Gröhe Editha Limbach
teilgenommen haben Claus-Peter Grotz Walter Link (Diepholz)
Manfred Grund Eduard Lintner
CDU/CSU Jürgen Augustinowitz Horst Günther (Duisburg) Dr. Klaus W. Lippold
Dietrich Austermann Carl-Detlev Freiherr von (Offenbach)
Ulrich Adam Heinz-Günter Bargfrede Hammerstein Dr. Manfred Lischewski
Peter Altmaier Franz Peter Basten Gottfried Haschke Wolfgang Lohmann
Anneliese Augustin Dr. Wolf Bauer (Großhennersdorf) (Lüdenscheid)
4700' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Julius Louven Hartmut Schauerte SPD Lothar Ibrügger


Sigrun Löwisch Heinz Schemken Wolfgang Ilte
Heinrich Lummer Karl-Heinz Scherhag Gerd Andres Barbara Imhof
Dr. Michael Luther Gerhard Scheu Robert Antretter Brunhilde Irber
Erich Maaß (Wilhelmshaven) Norbert Schindler Ernst Bahr Gabriele Iwersen
Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee Doris Barnett Renate Jäger
Erwin Marschewski Bernd Schmidbauer Klaus Barthel Jann-Peter Janssen
Günter Marten Christian Schmidt (Fürth) Ingrid Becker-Inglau Use Janz
Dr. Martin Mayer Dr.-Ing. Joachim Schmidt Wolfgang Behrendt Dr. Uwe Jens
(Siegertsbrunn) (Halsbrücke) Hans-Werner Bertl Volker Jung (Düsseldorf)
Wolfgang Meckelburg Andreas Schmidt (Mülheim) Friedhelm Julius Beucher Sabine Kaspereit
Rudolf Meinl Hans-Otto Schmiedeberg Rudolf Bindig Susanne Kastner
Dr. Michael Meister Hans Peter Schmitz Dr. Ulrich Böhme (Unna) Ernst Kastning
Dr. Angela Merkel (Baesweiler) Arne Börnsen (Ritterhude) H an s-Peter Kemper
Friedrich Merz Michael von Schmude Anni Brandt-Elsweier Klaus Kirschner
Rudolf Meyer (Winsen) Birgit Schnieber-Jastram Tilo Braune Marianne Klappert
Hans Michelbach Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Eberhard Brecht Siegrun Klemmer
Meinolf Michels Dr. Rupert Scholz Edelgard Bulmahn Hans-Ulrich Klose
Dr. Gerd Müller Reinhard Freiherr von Ursula Burchardt Dr. Hans-Hinrich Knaape
Elmar Müller (Kirchheim) Schorlemer H ans Martin Bury Walter Kolbow
Engelbert Nelle Dr. Erika Schuchardt H an s Büttner (Ingolstadt) Fritz Rudolf Körper
Bernd Neumann (Bremen) Wolfgang Schulhoff Marion Caspers-Merk Nicolette Kressl
Johannes Nitsch Dr. Dieter Schulte Wolf-Michael Catenhusen Volker Kröning
Claudia Nolte (Schwäbisch Gmünd) Peter Conradi Thomas Krüger
Dr. Rolf Olderog Frederick Schulze Christel Deichmann Horst Kubatschka
Friedhelm Ost Diethard Schütze (Berlin) Karl Diller Eckart Kuhlwein
Eduard Oswald Clemens Schwalbe Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick
Norbert Otto (Erfu rt) Dr. Christian Peter Dreßen Christine Kurzhals
Dr. Gerhard Päselt Schwarz-Schilling Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster
Dr. Peter Paziorek Wilhelm Josef Sebastian Freimut Duve Werner Labsch
Hans-Wilhelm Pesch Horst Seehofer Ludwig Eich Brigitte Lange
Ulrich Petzold Wilfried Seibel Peter Enders Detlev von Larcher
Anton Pfeifer Heinz-Georg Seiffert Gernot Erler Waltraud Lehn
Angelika Pfeiffer Rudolf Seiters Petra Ernstberger Dr. Elke Leonhard
Dr. Gero Pfennig Johannes Selle Annette Faße Klaus Lohmann (Witten)
Dr. Friedbert Pflüger Bernd Siebert Elke Ferner Christa Lörcher
Beatrix Philipp Jürgen Sikora Lothar Fischer (Homburg) Erika Lotz
Dr. Winfried Pinger Johannes Singhammer Gabriele Fograscher Dr. Christine Lucyga
Ronald Pofalla Bärbel Sothmann Iris Follak Dieter Maaß (Herne)
Dr. Hermann Pohler Margarete Späte Norbert Formanski Winfried Mante
Ruprecht Polenz Wolfgang Steiger Dagmar Freitag Dorle Marx
Marli es Pretzlaff Erika Steinbach Anke Fuchs (Köln) Ulrike Mascher
Dr. Albert Probst Dr. Wolfgang Freiherr Katrin Fuchs (Verl) Christoph Matschie
Dr. Bernd Protzner von Stetten Arne Fuhrmann Ingrid Matthäus-Maier
Dieter Pützhofen Dr. Gerhard Stoltenberg Monika Ganseforth Heide Mattischeck
Thomas Rachel Andreas Storm Norbert Gansel Ulrike Mehl
H ans Raidel Max Straubinger Konrad Gilges Herbert Meißner
Dr. Peter Ramsauer Michael Stübgen Iris Gleicke Angelika Mertens
Rolf Rau Egon Susset Günter Gloser Dr. Jürgen Meyer (Ulm)
Helmut Rauber Dr. Rita Süssmuth Dr. Peter Glotz Ursula Mogg
Otto Regenspurger Michael Teiser Günter Graf (Friesoythe) Siegmar Mosdorf
Christa Reichard (Dresden) Dr. Susanne Tiemann Angelika Graf (Rosenheim) Michael Müller (Düsseldorf)
Klaus Dieter Reichardt Dr. Klaus Töpfer Dieter Grasedieck Jutta Müller (Völklingen)
(Mannheim) Gottfried Tröger Achim Großmann Christian Müller (Zittau)
Dr. Bertold Reinartz Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Hans-Joachim Hacker Kurt Neumann (Berlin)
Erika Reinhardt Gunnar Uldall Klaus Hagemann Volker Neumann (Bramsche)
H ans-Peter Repnik Wolfgang Vogt (Duren) Manfred Hampel Gerhard Neumann (Gotha)
Roland Richter Dr. Horst Waffenschmidt Christel Hanewinckel Dr. Edith Niehuis
Roland Richwien Dr. Theodor Waigel Alfred Hartenbach Dr. Rolf Niese
Dr. Norbert Rieder Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Liesel Hartenstein Doris Odendahl
Dr. Erich Riedl (München) Dr. Jürgen Warnke Klaus Hasenfratz Günter Oesinghaus
Klaus Riegert Kersten Wetzel Dr. Ingomar Hauchler Leyla Onur
Dr. Heinz Riesenhuber Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dieter Heistermann Manfred Opel
Hannelore Rönsch Gert Willner Reinhold Hemker Adolf Ostertag
(Wiesbaden) Bernd Wilz Rolf Hempelmann Kurt Palis
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Willy Wimmer (Neuss) Dr. Barbara Hendricks Albrecht Papenroth
Dr. Klaus Rose Matthias Wissmann Monika Heubaum Dr. Willfried Penner
Kurt J. Rossmanith Simon Wittmann (Tännesberg) Uwe Hiksch Dr. Martin Pfaff
Adolf Roth (Gießen) Dagmar Wöhrl Reinhold Hiller (Lübeck) Georg Pfannenstein
Norbert Röttgen Michael Wonneberger Stephan Hilsberg Dr. Eckhart Pick
Dr. Christian Ruck Elke Wülfing Gerd Höfer Joachim Poß
Volker Rühe Peter Kurt Würzbach Jelena Hoffmann (Chemnitz; Hermann Rappe
Dr. Jürgen Rüttgers Cornelia Yzer Frank Hofmann (Volkach) (Hildesheim)
Roland Sauer (Stuttga rt) Wolfgang Zeitlmann Ingrid Holzhüter Karin Rehbock-Zureich
Ortrun Schätzle Benno Zierer Erwin Horn Margot von Renesse
Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Zöller Eike Hovermann Renate Rennebach
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4701*

Otto Reschke Inge Wettig-Danielmeier Dr. Wolfgang Gerhardt Jürgen Türk


Bernd Reuter Dr. Norbe rt Wieczorek Joachim Günther (Plauen) Dr. Wolfgang Weng
Dr. Edelbert Richter Helmut Wieczorek (Duisburg) Dr. Karlheinz Guttmacher (Gerlingen)
Günter Rixe Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Helmut Haussmann
Reinhold Robbe Dieter Wiefelspütz Ulrich Heinrich
Gerhard Rübenkönig Berthold Wittich Walter Hirche PDS
Dr. Hansjörg Schafer Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Burkhard Hirsch
Gudrun Schaich-Walch Verena Wohlleben Birgit Homburger Wolfgang Bierstedt
Dieter Schanz Hanna Wolf (München) Dr. Werner Hoyer Petra Blass
Bernd Scheelen Heidi Wri ght Ulrich Irmer Eva Bulling-Schröter
Horst Schild Uta Zapf Dr. Klaus Kinkel Heinrich Graf
O tt o Schily Dr. Christoph Zöpel Roland Kohn von Einsiedel
Dieter Schloten Peter Zumkley Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Ludwig Elm
Günter Schluckebier Jürgen Koppelin Dr. Dagmar Enkelmann
Horst Schmidbauer Dr.-Ing. Karl-Hans Dr. Ruth Fuchs
(Nürnberg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Laermann Dr. Gregor Gysi
Dagmar Schmidt (Meschede) Dr. Otto Graf Lambsdorff Dr. Uwe-Jens Heuer
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Gila Altmann (Aurich) Heinz Lanfermann Stefan Heym
Regina Schmidt-Zadel Elisabeth Altmann Sabine Leutheusser Dr. Barbara Höll
Heinz Schmitt (Berg) (Pommelsbrunn) Schnarrenberger Ulla Jelpke
Dr. Emil Schnell Marieluise Beck (Bremen) Uwe Lühr Gerhard Jüttemann
Walter Schöler Volker Beck (Köln) Jürgen W. Möllemann Dr. Heidi Knake-Werner
Ottmar Schreiner Angelika Beer Günther Friedrich Nolting Rolf Köhne
Gisela Schröter Matthias Berninger Dr. Rainer Ortleb Rolf Kutzmutz
Dr. Mathias Schube rt Annelie Buntenbach Lisa Peters Andrea Lederer
Schuhmann Richard Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Günter Rexrodt Dr. Christa Luft
(Delitzsch) Dr. Uschi Eid Dr. Klaus Röhl Heidemarie Lüth
Reinhard Schultz Andrea Fischer (Berlin) Helmut Schäfer (Mainz) Dr. Günther Maleuda
(Everswinkel) Joseph Fischer (Frankfurt) Cornelia Schmalz-Jacobsen Manfred Mü ll er (Berlin)
Volkmar Schultz (Köln) Rita Grießhaber Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Rosel Neuhäuser
Dr. R. Werner Schuster Gerald Häfner Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Uwe-Jens Rössel
Dietmar Schütz (Oldenburg) Antje Hermenau Dr. Hermann Otto Sohns Christina Schenk
Dr. Angelica Schwall-Düren Kristin Heyne Dr. Max Stadler Steffen Tippach
Ernst Schwanhold Michaele Hustedt Carl-Ludwig Thiele Klaus-Jürgen Warnick
Rolf Schwanitz Dr. M anuel Kiper Dr. Dieter Thomae Gerhard Zwerenz
Bodo Seidenthal Monika Knoche
Lisa Seuster Dr. Angelika Köster-Loßack
Horst Sielaff Steffi Lemke
Erika Simm Vera Lengsfeld Anlage 3
Johannes Singer Dr. Helmut Lippelt
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Oswald Metzger
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Kerstin Müller (Köln) Erklärung nach § 31 GO
Wieland Sorge Winfried Nachtwei zur Abstimmung über die in Tagesordnungspunkt 7
Wolfgang Spanier Christa Nickels aufgeführten Gesetzentwürfe:
Dr. Diet rich Sperling Cem Özdemir Änderung des Grundgesetzes,
Jörg-Otto Spiller Gerd Poppe Änderung des Abgeordnetengesetzes
Antje-Marie Steen Simone Probst und des Europaabgeordnetengesetzes
Ludwig Stiegler Dr. Jürgen Rochlitz
Dr. Peter Struck Halo Saibold
Joachim Tappe Irmingard Schewe-Gerigk Klaus Ba rthel (SPD): Ich werde der Änderung des
Jörg Tauss Rezzo Schlauch Grundgesetzes, der Diätenerhöhung und der Verklei-
Dr. Bodo Teichmann Wolfgang Schmitt
Margitta Terborg (Langenfeld)
nerung des Bundestages nicht zustimmen.
Jella Teuchner Waltraud Schoppe Es wird argumentiert, daß die Diäten in den vergan-
Dr. Gerald Thalheim Werner Schulz (Berlin)
Wolfgang Thierse Rainder Steenblock
genen Jahren nur selten und geringfügig erhöht wur-
Dietmar Thieser Chri stian Sterzing den. Dem werden Zahlen der allgemeinen Einkom-
Franz Thönnes M an fred Such mensentwicklung entgegengestellt und damit der Ein-
Uta Titze-Stecher Dr. Antje Vollmer druck zu erwecken versucht, es habe für einen Groß-
Adelheid Tröscher Ludger Volmer teil der Bevölkerung deutliche Einkommenszuwächse
Hans-Eberhard Urbaniak Helmut Wilhelm (Amberg) gegeben. Dies trifft auf die überwältigende Bevölke-
Siegfri ed Vergin rungsmehrheit, auf die ich mich in meiner politischen
Günter Verheugen
Ute Vogt (Pforzheim) F.D.P.
Arbeit beziehe, nicht zu. Ihre Einkommenszuwächse
Karsten D. Voigt (Frankfurt) wurden zusätzlich durch höhere Sozialbeiträge aufge--
Josef Vosen Ina Albowitz zehrt.
H an s Georg Wagner Dr. Gisela Babel
Dr. Konstanze Wegner Hildebrecht Braun Das Einfrieren der Diäten in den letzten Jahren war
Wolfgang Weiermann (Augsburg) meist als Vorbild zum Verzicht für alle begründet wor-
Reinhard Weis (Stendal) Günther Bredehorn den. Diese Gürtel-enger-schnallen-Theo rie und die
Matthias Weisheit Jörg van Essen Angriffe auf immer weitere Teile des Sozialstaates ha-
Gunter Weißgerber Gisela Frick ben in der Praxis die Polarisierung der Lebens- und
Gert Weisskirchen (Wienloch) Paul K. Friedhoff Einkommensverhältnisse zugespitzt. Nur eine kleine
Jochen Welt Horst Fri ed ri ch
Hildegard Wester Rainer Funke Minderheit hat gut daran verdient. Dieses Konzept ist
Lydia Westrich Hans-Dietrich Genscher wirtschaftspolitisch gescheitert. Wenn heute an H and
4702* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

der Diäten eine wirtschafts- und sozialpolitische und Mitarbeitern und bessere Arbeitsbedingungen für
Neuorientierung mit Vorbildfunktion eingeleitet diese zugunsten der Wählerinnen und Wähler, die
würde, wäre dies sehr bedenkenswert. Leider kann wir vertreten, sowie für eine Effektivierung der parla-
davon nicht die Rede sein. mentarischen Arbeit. Das derzeitige Paket schnürt
zusammen, was nicht zusammengehört, und läßt
Erst diesen Montag wieder hat es der Bundeskanz- Wichtiges vermissen. Es paßt weder von der Begrün-
ler nicht unterlassen können, im Rahmen seiner wirt- dung noch vom Inhalt her in die gegenwärtige politi-
schaftspolitischen Grundweisheiten erneut gegen sche und soziale Landschaft. Auch verfassungsrecht-
den Tarifabschluß in der Metallindustrie zu polemi- liche Zweifel, insbesondere im Hinblick auf bisherige
sieren. Ihm sind also schon 3,2 % Lohnerhöhung zu- Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes,
viel. konnten für mich nicht restlos ausgeräumt werden.
Der Bundestag will jetzt der Bevölkerung eine Diä-
tenerhöhung in ganz anderer Höhe schmackhaft ma- Friedhelm Julius Beucher (SPD): Ich stimme den
chen. Er bietet ein anderes Geschäft an: Weniger Ab- eingebrachten Entwürfen zur Änderung des Grund-
geordnete sparen in der Summe, damit der und die gesetzes, Drucksache 13/1824, und des Abgeordne-
einzelne mehr bekommen kann. Nur in diesem Paket tengesetzes bezüglich der Erhöhung der Diäten,
sei das durchsetzbar. Wird die Qualität und der Wert Drucksache 13/1825, nicht zu.
unserer Arbeit in Rela ti on zu anderen Einkommens-
gruppen erst dann höher, wenn wir weniger werden? Ebenso halte ich die Verkleinerung des Parlaments
Stimmt die Logik, daß die Leistung mit dem Einkom- für die falsche Antwort auf unserem langen Weg, im-
men steigt und daß nur eine Leistung, die wenige er- mer „mehr Demokratie zu wagen".
bringen, besser bezahlt werden kann?
Warum unterwerfen sich die Abgeordneten des
In unserem Fall wird umgekehrt ein Schuh daraus: Deutschen Bundestages nicht dem unabhängigen
Weniger Abgeordnete haben weniger Kontakt zur Urteil einer Expertenkommission mit allen Konse-
Bevölkerung, haben weniger Gewicht gegenüber ei- quenzen, d. h. schaffen die für eine Demokratie not-
ner immer unangreifbareren, sich nach außen per- wendige Transparenz nicht mit einer offensiven De-
fektionierenden Verwaltung und haben immer weni- batte über solche unabhängigen Expertenvor-
ger die Chance, eine Regierung zu kontrollieren. schläge?
Wenn es um die Bezüge von Abgeordneten geht, Die berechtigte Kritik vieler Bürger setzt nämlich
gäbe es Reformbedarf, der zusammen mit einer genau an diesem Punkt ein: Als weitgehend einzige
Strukturreform der Diäten zu vollziehen wäre. Die Berufsgruppe stimmen Politiker über die Höhe ihrer
Offenlegung von Nebeneinkünften halte ich für un- Einkünfte selbst ab. Wenn, wie im vorliegenden Fall,
verzichtbar, wenn es um eine ehrliche Debatte der eine Grundgesetzänderung möglich ist, muß es auch
Abgeordnetenbezüge gehen soll. einen Weg geben, die Entscheidung über die Diäten-
Um nicht Beifall von falscher Seite zu bekommen, erhöhung außerhalb des Parlaments zu legen.
betone ich, daß eine Diätenerhöhung für mich vor- Die hohe Erwartungshaltung der Bürgerinnen und
stellbar ist, ebenso eine Ankoppelung an Bezüge für Bürger an die Arbeit der Politiker erfordert eine an
gleichwertige Tätigkeiten oder an die allgemeine -gemsnBzahlu,dieübrnjtzgB-
Einkommensentwicklung. Wir müssen uns dagegen gen liegt. Jede vergleichbare Arbeit wird in unserer
wehren, als Abgeordnete Prügelknaben gerade von Republik besser bezahlt als Abgeordnetenarbeit, ins-
solchen Personenkreisen sein zu sollen, die es gerade besondere was Arbeitszeit, -aufwand und auch Qua-
nötig haben, von ihren Einkommensverhältnissen lität angeht.
abzulenken. Fragen wir doch mal nach, welche Gel-
der und welche Leute hinter dem sogenannten Man kann nicht in einem Zeitraum von wenigen
„Bund der Steuerzahlers' stehen. Jahren das nachholen, was in den zurückliegenden
Jahren mit Hinweis auf Verzicht nicht vollzogen
Vergessen wir nicht: Die Union trägt maßgeblich wurde. Ein solcher Verzicht wirkt im Nachhinein un-
die Verantwortung für die soziale Schräglage in un- glaubwürdig und ist nicht nachvollziehbar. Ich habe
serem L an de und die Aggressionen in der Bevölke- das Selbstbewußtsein im Hinblick auf meine gelei-
rung gegenüber der Politik. Die große Koalition in stete Arbeit, mich dem öffentlichen Urteil immer wie-
der Diätenfrage erlaubt es den Grünen und der der neu zu stellen. Das verbietet aber auch jeglichen
F.D.P., gut dazustehen, und der CDU/CSU unbeschä- Automatismus.
digt zu bleiben. Wir Sozialdemokraten ernten von
unseren Wählerinnen und Wählern und unseren Mit- Wenn auch viel Kritik an den abzustimmenden Ge-
gliedern Enttäuschung, Wut und Unverständnis. Wir setzesvorlagen doppelzüngig und nicht ganz aufrich-
Sozialdemokraten werden zu Recht mit s trengeren tig betrieben wurde, bleibt doch ein Kernpunkt der
Maßstäben gemessen. Kritik erhalten: Das Gesetzesvorhaben ist nicht aus-
reichend diskutiert, und es sind einige völlig ver-
Eine Reform tut not. Teile der derzeitigen Pläne schiedene Bereiche unzulässig miteinander ver-
sind sinnvoll, werden öffentlich aber leider nicht dis- knüpft worden.
kutiert. Wir brauchen eine angemessene Einreihung
in das Einkommensgefüge, eine Ankoppelung an die Was hat die notwendige Parlamentsreform, die die
allgemeine Einkommensentwicklung, eine Offenle- Abstimmungsrituale im Plenum und Tagen hinter
gung eventueller weiterer Einkünfte der Abgeordne- verschlossenen Türen in den Ausschüssen end lich
ten, eine bessere Ausstattung mit Mitarbeiterinnen überflüssig machen soll, mit höheren Diäten zu tun?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4703*

Wer kann eigentlich verantworten, ein Parlament zu ächtlicher und nutzloser Berufsstand dargestellt wer-
verkleinern, und dabei verschweigen, daß dann die den, letztlich unabhängig davon, wieviel sie verdie-
Abgeordneten wegen der zwangsläufig größeren nen und um wieviel sie erhöhen. Gerade die Radika-
Wahlkreise noch weniger Bürgerkontakte halten lität und die Maßlosigkeit dieser Kritik zeigt mir: Ab-
können? geordnete haben keine Chance mehr für autonome
Einkommensanpassungen. Jahre der Nichtanhebung
Alles sind diskussionswürdige Einzelpunkte, die werden nicht gewürdigt, Jahre der Anhebungen ge-
hier unnötig zu einer Paketlösung verschnürt wur- geißelt.
den. Die Kraft der Demokratie und des Parlamenta-
rismus besteht vor allem auch darin, von scheinbar Streiten ließe sich über die Einstufung selbst. Ich
festgefahrenen Wegen abzugehen und Beschlosse- halte die Bundesrichter für zu hoch, ich halte den Be-
nes immer wieder in Frage zu stellen. Greifen wir of- zug zum Jahresgehalt - und nicht zum „Gehalt", also
fensiv die öffentliche Diskussion auf und ziehen etwa nur zum Monatsgehalt - für falsch. Ich halte ins-
heute die Gesetzesvorlagen zurück oder stimmen mit besondere die jetzt aufgenommene Nennung der
„Nein" I einzelnen Zulagen des Bundesrichters für nicht ver-
tretbar. Ich halte auch die weitgehende Heraus-
nahme der derzeitigen Abgeordneten aus künftigen
Freimut Duve (SPD): Es gibt Gründe, dieser Neure Kürzungen - etwa bei der Altersversorgung (Ver-
gelung nicht zuzustimmen: vor allem die nicht wirk- trauensschutz) - für nicht zwingend. Wir sind keine
lich reformierte Altersversorgung des öffentlichen Angestellten.
Dienstes und damit der Abgeordneten. Wegen dieser
und anderer Gründe hatte sich in mir die Neigung Aber mich hat die Art der Kritik der letzten Tage
verstärkt, dem Paket „Parlamentsreform" nicht zuzu- überzeugt, die grundsätzliche Entscheidung muß
stimmen. Vor allem war ich der Meinung, wir müßten jetzt fallen. Für die Offenlegung aller Nebenein-
die öffentliche Debatte auch Jahr um Jahr aushalten künfte werde ich mich mit den anderen Kollegen
können. auch weiterhin einsetzen.
„Wer immer dieser ,Ermächtigungsvorschrift' per
Verfassungsänderung in dieser Woche zustimmt, Günter Gloser (SPD): Ich kann den Beschluß
wird auf Achtung und Ehre keinen Anspruch mehr empfehlungen auf der Drucksache 13/2339 zum Ent-
erheben können." Seit ich allerdings von Rudolf wurf eines Gesetzes zur Anderung des Grundgeset-
Augstein den Satz gelesen habe, hat sich meine Auf- zes (Drucksache 13/1824) und auf der Drucksache
fassung geändert: Ich stimme nunmehr zu. 13/2340 zum Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes
zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines
Ich bin nach dieser Form des Ang riffes nicht mehr Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaab-
überzeugt, daß in der medienbestimmten politischen geordnetengesetzes (Drucksache 13/1825) nicht zu-
Wirklichkeit unserer Zeit das Parlament mit solchen stimmen, weil die darin angestrebten Erhöhungen
Formen der vernichtenden Kritik auf Dauer überle- der Diäten meines Erachtens in keinem vernünftigen
ben kann. Verhältnis zu der realen Einkommensentwicklung
Wenn die Tagesthemen (am 19. September) op- der Gesamtbevölkerung stehen, weil ich mich für
tisch Geldscheine vom Himmel regnen lassen, wenn eine jährlich geführte transparente Diskussion von
dann behauptet wird, wir zahlten keine Steuern, und Diätenerhöhungen einsetze und dies mit den vorlie-
wenn uns die Ausstattung unserer Büros, die Gehäl- genden Gesetzen nicht gewährleistet ist und weil mir
ter unserer Mitarbeiter und die Nutzung unserer Bü- die Eile des Gesetzgebungsverfahrens nicht geboten
rotelefone angelastet werden, dann ist die gewollte erscheint aufgrund des noch bestehenden Klärungs-
Botschaft nicht mehr: Abgeordnete verdienen zuviel bedarfs gegenüber von Fachleuten geäußerten Be-
- worüber sich streiten ließe -, sondern: Das Parla- denken zur Umsetzung dieser Gesetze.
ment ist deshalb viel zu teuer, weil es unnö tig ist.
Denn allein der Gedanke, man könne dem Abgeord- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Es ist für mich unver
neten persönlich die Kosten seines Büros zurechnen, ständlich, daß bereits heute das Gesetz zur Ande-
geht ja davon aus, daß er einen „Arbeitsplatz" für rung des Grundgesetzes verabschiedet werden soll.
seine Aufgaben gar nicht brauche.
Es gibt viele ernstzunehmende Bedenken gegen
Gegen die Massivität solcher Angriffe können wir den Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD. Die
einzelnen Abgeordneten uns zwar wehren - nicht „Stuttgarter Zeitung" vom 20. September 1995
aber das Parlament. schreibt nach meiner Auffassung zu Recht von einem
Anschlag auf das Verfassungsgefüge. Heute soll eine-
Mir geht es nicht um die Ehre - sie ist verschlissen Verfassungsdurchbrechung zum eigenen Vorteil der
auf ihren ureigenen Todesfeldern dieses Jahrhun- Bundestagsabgeordneten beschlossen werden.
derts. Mir geht es um die Achtung. Die Anlehnung
an eine bestimmte Kategorie des öffentlichen Dien- Gibt es heute eine Mehrheit für den Gesetzentwurf
stes kann man diskutieren. Sie kann falsch, sie kann von CDU/CSU und SPD, ist das aus meiner Sicht
richtig sein. Aber sie ist kein Akt der Ehrlosigkeit. eine Mißachtung des Bundesverfassungsgerichtsur-
teils von 1975, das die Doppelung der Abgeordneten-
Die Wirkung solcher Kritik ist die Diffamierung diäten mit der Beamtenbesoldung ausdrücklich ver-
und Denunziation des Parlaments und seiner Abge- bietet.
ordneten insgesamt, die Herstellung eines öffentli-
chen Zustandes, in dem die Abgeordneten als ver Ich werde dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
4704* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Dr. Hermann Scheer und Michael Müller (Düssel Durch das Gesetz wird das Problem der Nebenein-
dorf) (beide SPD): Alle Debatten über Abgeordneten- künfte von Abgeordneten nicht gelöst.
entschädigungen leiden seit Jahren darunter, daß
zwei Sachverhalte miteinander vermischt werden: Uta Titze-Stecher (SPD): Hiermit möchte ich anzei
- die jeweilige Höhe der Abgeordnetenentschädigun- gen und erklären, warum ich den beiden obengenann-
gen, die die Unabhängigkeit der Abgeordneten von ten Gesetzesvorschlägen nicht zustimmen werde.
finanziellen Interessen gewährleisten hilft und dem 1. Die Änderung des Grundgesetzes mißachtet mei-
Stellenwert des Parlaments als höchstem Organ der nes Erachtens die Entscheidung des Bundesverfas-
demokratischen Institutionen entsprechen sollte; sungsgerichts aus dem Jahre 1975, wonach Unabhän-
- die auch aus unserer Sicht für die Rolle und das gigkeit und Transparenz bei der Entscheidung der
Ansehen des Parlaments unerträglichen Regelun- Parlamentarier über die Höhe ihres Gehalts geboten
gen gehäufter Altersversorgungen aus öffentlichen sind: Dies ist meines Erachtens nur dann sicherge-
Tätigkeiten, die Möglichkeit von Nebenauskünften stellt, wenn, wie bisher, ein gesondertes Abgeordne-
aus der Hand Dritter und die Tatsache, daß selbst tengesetz über eine Diätenerhöhung beschlossen
Regierungsmitglieder noch zusätzlich Diäten er- wird, nicht aber ein geplanter „Gehalts-Automatis-
halten. Diese Dinge sind es, die die Atmosphäre mus". Die Grundgesetzänderung verletzt weiterhin
vergiften und dem Parlament als Ganzem schaden, den Art. 20 GG, der u. a. die Prinzipien der Gewalten-
obwohl nur eine Minderheit des Parlaments davon teilung und der Demokratie festschreibt. Der Art. 20
unverhältnismäßige und durch nichts zu rechtferti- GG gehört zu denjenigen Artikeln, für die A rt. 79
gende Privilegien hat. Abs. 3 GG „Ewigkeitsgarantie" festlegt, also zum un-
veräußerlichen und unveränderbaren Kernbestand
Weil alle bisherigen Änderungen als „Paket" prä- unseres Grundgesetzes. Wenn es erst einer Grundge-
sentiert wurden, um sie dann in weitgehendem Par- setzänderung bedarf, um das Abgeordnetengesetz
teikonsens zu verabschieden, ist es bisher nie prak- aus der Reichweite der Anforderungen unseres
tisch möglich gewesen, diese Pakete aufzuschnüren. Grundgesetzes und der Forderungen des Bundesver-
Mit der Grundgesetzänderung wird eine prinzi- fassungsgerichts zu entfernen, damit das Verfas-
pielle Regelung geschaffen, die auch zum Zeitpunkt sungsgericht keine Grundlage mehr hat für die Fest-
des Einbringens im Juni 1995 nicht umstritten war stellung einer grundgesetzwidrigen Entscheidung,
und der wir zustimmen. Durch die Ankoppelung der dann geht mir das zu weit. Im übrigen halte ich dieses
Abgeordnetenentschädigungen an die Besoldungs- Vorgehen für ungeeignet, verlorengegangenes Ver-
gruppen von Bundesrichtern - und damit indirekt trauen der (Wahl-)Bevölkerung in eine funktionie-
auch an andere höhere Beamte - wird die kritische rende Demokratie zurückzugewinnen.
öffentliche Aufmerksamkeit viel mehr auf die hö- 2. Ein Abgeordnetengesetz, das sich an den mate-
heren öffentlichen Besoldungen gerichtet. Die An- riellen Rechten (Besoldung), nicht aber an den für Rich-
koppelung muß nach unserer Auffassung vom Bun- ter an einem obersten Bundesgericht geltenden Be-
destag künftig auch als Verpflichtung gesehen wer- schränkungen (Verbot von Nebenverdiensten) orien-
den, generell überhöhte Versorgungsregeln im hö- tiert, lehne ich als inkonsequent ab. Ein Abgeordneter,
heren Dienst und damit verbundene Privilegien von der seine parlamentarische Arbeit in Bonn und seine
Beamten in der Altersversorgung und bei Versiche- Arbeit im Wahlkreis ernst nimmt, hat keine bzw. kaum
rungsleistungen künftig Zug um Zug abzubauen. Zeit - von Ausnahmen abgesehen - für eine regelmä-
Dazu gehören rigorose Regelungen zum Abbau von ßige, zu Nebenverdiensten führende Tätigkeit.
kumulierten Altersversorgungen und zum Verbinden Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich
von finanzierten unselbständigen Nebentätigkeiten - gefordert, die Einkünfte aus öffentlichen Tätigkeiten
ob es sich um Abgeordnete, Professoren oder Bürger- anzurechnen. Da dieser Forderung im geplanten Ab-
meister handelt. Auch die Ablehnung des eingebrach- geordnetengesetz nur zum Teil entsprochen wird, ist
ten Antrags gegen die Nebentätigkeiten wird nichts dies ein weiterer Grund für meine Ablehnung.
daran ändern, daß weitere Initiativen dieser A rt von
uns ergriffen bzw. unterstützt werden. Es wird in Zu-
kunft leichter fallen, diese Privilegien abzubauen, we il
entsprchdMaßmenithrvkopl Anlage 4
sein werden mit den Bezügen der Abgeordneten, die
sich voll und ganz ihren politischen Aufgaben widmen. Zu Protokoll gegebene Reden
zu Tagesordnungspunkt 8
(Antrag: Reform des Kindschaftsrechts)
Hors t Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Diesen Be -
schlußempfehlungen stimme ich insbesondere auf-
grund folgender Punkte nicht zu: Die angestrebte Er-
höhung der Diäten steht in keinem angemessenen Dr. Edith Niehuis (SPD): Weil es in dem Zusam
Verhältnis zu der realen Einkommensentwicklung in menleben von Menschen in den letzten Jahrzehnten
der Bevölkerung. erhebliche Veränderungen gegeben hat, bei uns
durch die deutsche Einheit noch pointierter, mahnt
Durch die Anpassung an die Gehaltsstruktur eines das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen
Richters und der damit verbundenen Automatik ist eine Reform des Kindschaftsrechts an. Wenn es ein
eine jährlich geführte transparente Diskussion über Beispiel gibt, das deutlich zeigt, wie wenig sich die
die Diätenerhöhung nicht mehr möglich. Bundesregierung der alltäglichen Probleme der
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4705*

Menschen annimmt, dann ist es das Kindschafts- oder, wie A rt. 18 der UN-Kinderrechtskonvention es
recht. Spätestens die Ratifizierung der UN-Kinder- formuliert, „ daß beide Eltern gemeinsam für die Er-
rechtskonvention, die seit April 1992 bei uns in Kraft ziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich
ist, hätte die Bundesregierung veranlassen müssen, sind".
das Kind, seine Bedürfnisse und Rechtsposition auch
im Kindschaftsrecht in den Vordergrund zu rücken. Wer sich an diese Norm allerdings erst bei der Dis-
Stattdessen kündigt die Justizministerin seit mehr als kussion um das Sorgerecht nach der Scheidung erin-
nert, zäumt das Pferd von hinten auf, muß scheitern
2 Jahren die notwendige Reform an, ohne allerdings
entsprechende Gesetzentwürfe vorzulegen. Sie sor- und wird so dem Kindeswohl in keiner Weise ge-
gen mit diesen Ankündigungen seit Jahren für Ver- recht. Wir wissen, daß es in Deutschland zu 87 % die
unsicherung bei den Menschen, die die Fürsorge des Frauen sind, die das alleinige Sorgerecht haben. Wer
Gesetzgebers besonders verdienten, der Fürsorge oft nun behauptet, diese Situa tion diene nicht dem Kin-
auch besonders bedürfen. deswohl, wird den alleinerziehenden Frauen, aber
auch den wenigen alleinerziehenden Männern nicht
Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie es nicht- gerecht.
ehelichen Vätern zumute ist, die gerne auch das Sor- Wer nun behauptet, diese geschlechtsspezifische
gerecht für ihr Kind hätten, die die vollmundigen An- Rollenverteilung hinsichtlich der alltäglichen Verant-
kündigungen der Justizministerin vernehmen, dann wortung für Kinder würde sich durch eine gemein-
aber feststellen, daß sich an ihrer rechtlichen Lage same elterliche Sorge verändern, der irrt. Hier ge-
nichts ändert? Können Sie sich eigentlich vorstellen, nügt ein Blick in Länder mit anderen Sorgerechtsmo-
wie einer in Scheidung lebenden Mutter zumute ist, dellen als in Deutschland, z. B. nach Kalifornien, ei-
die auf Grund von Arbeitslosigkeit und mangelnden nem der ersten Staaten mit einer gemeinsamen elter-
Unterhaltszahlungen ohnehin schlecht weiß, wie sie lichen Sorge nach der Scheidung. Auch hier leben
den Tag mit ihren Kindern menschenwürdig über- die Kinder in 70 % der Scheidungsfälle bei den Müt-
steht, wenn sie in ihrer Situa tion noch die sich ge- tern.
betsmühlenhaft wiederholenden Ankündigungen
der Justizministerin hört, das gemeinsame elterliche Wer meint, die Zahlungsmoral der unterhaltspflich-
Sorgerecht müsse nach der Scheidung Regelfall wer- tigen Väter würde durch das gemeinsame elterliche
den? Sorgerecht verbessert, der irrt. Vorliegende Untersu-
chungen bestätigen dieses nicht. Wer meint, das ge-
Abgesehen von den Inhalten einer umfassenden meinsame elterliche Sorgerecht hätte deutlich posi-
Reform des Kindschaftsrechts, über die wir strittig tive Auswirkungen auf den Kontakt des Vaters zu
debattieren werden, halte ich es für unerträglich, daß den Kindern, der irrt. Vorliegende Untersuchungen
Sie den Streit innerhalb der Koalition auf dem Rük- bestätigen dieses nicht. Es gilt, unabhängig von den
ken der betroffenen Menschen austragen. Und bis denkbaren Sorgerechtsmodellen, die schlichte und
heute liegt von Ihnen kein Gesetzentwurf vor, son- auch nachvollziehbare Erkenntnis, daß sich nach der
dem wie in der letzten Legislaturpe riode nur der An- Scheidung in der Regel die geschlechtsspezifische
trag der SPD. Dieses gibt uns vielleicht die Möglich- Rollenverteilung fortsetzt, die es zuvor auch in der
keit, die Bundesregierung in ihrer Meinungsbildung noch intakten Familie gegeben hat.
noch ein wenig zu beeinflussen.
Wer diese einfache Tatsache ignoriert und als
Ich möchte ein paar Gedanken zum elterlichen normsetzend das Regelfallmodell der gemeinsamen
Sorgerecht nach der Scheidung äußern. Nach inten- Sorge nach der Scheidung propagiert, diskriminiert
siver Diskussion geht der SPD-Antrag nicht von ei- die Elternteile, die sich in den Familien um die Kin-
nem gemeinsamen Sorgerecht der Eltern nach der der kümmern, diskriminiert nach der vorherrschen-
Scheidung als Regelfall aus. Zu Recht hat das Bun- den geschlechtsspezifischen Rollenverteilung in er-
desverfassungsgericht 1982 gefordert, neben der al- ster Linie die Frauen und, ich füge hinzu, drückt sich
leinigen elterlichen Sorge auch das gemeinsame Sor- als Gesetzgeber davor, die Rahmenbedingungen zu
gerecht nach der Scheidung zu ermöglichen. 20 % schaffen, derer es bedarf, um die Probleme nach der
der scheidungswilligen Eltern entscheiden sich seit- Scheidung im Sinne des Kindeswohls wirk lich lösen
her für das gemeinsame Sorgerecht. Aus dieser ge- zu helfen.
ringen Zahl nun die Schlußfolgerung ziehen zu wol-
len, das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall nach Wer will , daß die Entwicklung der Kinder gefördert
der Scheidung vorsehen zu müssen, entbehrt jeder wird, auch nach der Scheidung, darf nicht durch die
logischen Grundlage. Diskussion um die Sorgerechtsmodelle von den wirk-
lichen Problemen ablenken. Das gemeinsame Sorge-
Nun wäre es durchaus legitim, wenn ein Gesetzge- recht hat auf die Entwicklung der Kinder - nachzule-
ber nicht nur die Wirklichkeit widerspiegeln, son- sen bei Furstenberg/Cherlin, 1993 - auf ihre Verhal-
dern mit einer Gesetzreform auch posi tive Normen tensschwierigkeiten, auf ihre Selbstachtung, auf ihre
wie z. B. die gemeinsame elterliche Sorge setzen wi ll . Kontaktschwierigkeiten keinen besseren Einfluß als
Die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall nach andere Sorgerechtsmodelle. Was auf die Entwick-
der Scheidung wird aber nur dann als posi tive Norm lung von Kindern Einfluß hat, sind die Rahmenbedin-
gelten können, wenn sie eindeutig dem Kindeswohl gungen, die es einem Elternteil, mit dem das Kind
dient und es sich aus diesem Grund rechtfertigt, eine zusammenlebt, ermöglichen, seinen Aufgaben ge-
Rangfolge zwischen den denkbaren Sorgerechtsmo- recht zu werden. In diesem Zusammenhang ist es äu-
dellen herzustellen. Es ist unumstritten, daß eine ßerst bedenklich, daß die Zahl der Väter, die sich der
gleichberechtigte Elternschaft dem Kindeswohl dient Unterhaltspflicht entziehen, 1994 dem Deutschen Fa-
4706* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

miliengerichtstag zufolge auf 850 000 gestiegen ist. Das heißt, über die Notwendigkeit, eine umfas-
Diese Situation macht es den alleinerziehenden sende Reform des Kindschaftsrechts durchzuführen,
Frauen schwer, dem Kindeswohl täglich gerecht zu bestehen in diesem Hause keine Meinungsverschie-
werden. denheiten.
Wichtig für die gedeihliche Entwicklung von Kin- Da gibt es mehrere Entscheidungen des Bundes-
dern nach der Scheidung ihrer Eltern sind die prakti- verfassungsgerichtes, die Impulse der UN-Kinder-
schen Fragen des Lebens, nämlich wo das Kind sei- konvention sowie die Rechtsangleichung zwischen
nen gewöhnlichen Aufenthalt haben soll, wie sein alten und neuen Ländern, die von juristischer Seite
Umgang mit dem ge trennt lebenden Elternteil ge- her die Reform fordern.
pflegt wird und welche Beiträge die Eltern zur weite- Es gibt aber auch das gesellschaftliche Argument -
ren Pflege, Erziehung und Versorgung der Kinder er- so will ich es einmal nennen -, das diesen Reform-
bringen werden. Wenn sich scheidungswillige Eltern überlegungen zugrunde liegt: Und das sind die ein-
über diese Fragen gütlich einigen können, dann wer- schneidenden Veränderungen der familiären Wirk-
den sie sich auch über das Sorgerecht gütlich einigen lichkeit in unserem Land. Dazu nur die Stichworte:
können, und erst dann hat der gemeinsame Wille Zunahme der Zahl der Alleinerziehenden, steigende
über die Ausgestaltung des Sorgerechts, erst recht Scheidungsrate, Zunahme nichtehelicher Lebensge-
des gemeinsamen Sorgerechts einen We rt . Die SPD meinschaften, Anwalt des Kindes, Unterhaltsflucht -
folgt in ihrem Antrag dieser logischen Folge. Nur dies ließe sich beliebig fortsetzen.
wenn sich Mutter und Vater in der Trennungsphase
über die praktischen Fragen einigen können, sich Im Mittelpunkt dieser Veränderungen stehen die
dann auch auf das alleinige oder gemeinsame Sorge- Kinder als schwächste Glieder unserer Gesellschaft.
recht einigen können, kann m an Hoffnung haben auf Für sie bedeutet der Umbruch der familiären Wirk-
positive Auswirkungen auf das Kindeswohl. lichkeit häufig große Verunsicherung, die wir sehr
ernst nehmen müssen.
Ich lade die Bundesregierung herzlich ein, diesen
pragmatischen und erfolgversprechenden Weg mit Hier bietet uns die Reform des Kindschaftsrechts
uns zu gehen. Gerade der liberalen Justizministerin eine große Chance, die wir nicht durch Schnell-
möchte ich sagen, daß eine Prioritätensetzung des schüsse und unüberlegte Vorabregelungen vergeben
Staates hinsichtlich eines Sorgerechtsmodells der sollten.
problematischen Lebenssituation von Familien im Betroffene sind neben den Kindern natürlich auch
Scheidungsfall nicht gerecht wird; hier sind die be- Mütter und Väter, Alleinerziehende, Großeltern,
troffenen Menschen, Kind, Frau und Mann, die Ex- Stieffamilien. Damit betrifft das Kindschaftsrecht ei-
pertinnen und Experten. Ihnen sollten wir die Ent- nen großen Teil der Menschen in unserem Land und
scheidung überlassen. hat große Auswirkungen auf das Zusammenleben in
unserer Gesellschaft.
Und wir sollten dafür Sorge tragen, daß die Ent-
scheidungsfindung im vorgerichtlichen Raum Hilfe- Als Familienpolitikerin wi ll ich einen mir wesentli-
stellung erfährt. Der § 17 des KJHG gibt die rechtli- chen Punkt aus dem großen Komplex herausgreifen,
chen Rahmenbedingungen für Beratung und Hilfe- das Sorgerecht für minderjährige Kinder.
stellung in diesem schwierigen Entscheidungspro-
Nichts spiegelt die Vermischung der p rivaten Seite
zeß. Wir sollten alles daransetzen, daß die materiellen
der Pflege und Erziehung von Kindern mit rechts-
und personellen Bedingungen es ermöglichen, die
staatlichen Interventionen mehr wider als die Diskus-
Beratung nach § 17 KJHG auch anbieten zu können.
sion um die künftige Ausgestaltung des Sorgerechts.
Seit geraumer Zeit macht ein Referentenentwurf Ich will zwei Beispiele aus der jetzt gültigen Praxis
des Justizministeriums die Runde. Er bedarf auch geben:
hinsichtlich des Sorgerechtsmodells dringend der Die kleine Lisa Müller wächst bei ihren verheirate-
Überarbeitung. Wenn Sie sich nicht von Ideologien ten Eltern auf. Sie haben, weil dies der Gesetzgeber
leiten lassen wollen, sondern von den Erfordernissen richtigerweise als Regelfall vorsieht, die gemeinsame
für das Kindeswohl, muß dieser Referentenentwurf elterliche Sorge. Leider bricht die Ehe (nach dem sta-
gerade hinsichtlich seines Sorgerechtsmodells über- tistischen Durchschnitt) etwa nach vier Jahren aus-
arbeitet werden. Ich wäre froh, wenn diese erste einander. Das Scheidungsverfahren sieht - neben al-
Debatte dazu einen Beitrag leisten könnte. len anderen konfliktbeladenen Auseinandersetzun-
gen - auch eine Entscheidung über die künftige Al-
leinsorge eines Elternteils vor. Die Fortsetzung der
Ilse Falk (CDU/CSU): Ich bin einigermaßen ver- gemeinsamen Sorge für die Tochter ist nach heuti-
blüfft über die Hektik, mit der die SPD auf einer Dis-
gem Recht die schwer erreichbare Ausnahme. Der
kussion ihres hier vorliegenden Antrags zum jetzigen
sogenannte barunterhaltspflichtige Partner verliert
Zeitpunkt bestanden hat. Denn gerade jetzt konkre-
einen Großteil seiner Rechte. Leicht erkennbar wird,
tisiert sich ja, was Sie zu beschleunigen fordern:
daß Sorge und Unterhalt (der ja etwas kostet!) damit
nämlich einen Gesetzentwurf zur Reform des Kind-
unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten be trachtet
schaftsrechts vorzulegen. Es wird Ihnen, meine Da-
bzw. umkämpft werden.
men und Herren von der SPD, nicht entgangen sein,
daß ein Referentenentwurf in der Abstimmung, der Zweitens. Der kleine Lukas Meier wächst bei sei-
im übrigen alle von Ihnen genannten Themen be- nen nicht miteinander verheirateten Eltern auf. Das
rücksichtigt! Sorgerecht für ihn besitzt seine Mutter, wenn sie es
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4707*

geschafft hat, die Amtspflegschaft vor oder nach der bzw. Scheidungsfall, also beim Auseinanderbrechen
Geburt des Kindes erfolgreich „abzuwenden". Der der Familie.
Vater, auch wenn er in friedvoller häuslicher Ge-
meinschaft mit Mutter und Kind lebt, ist in bezug auf Schauen wir uns dazu die derzeit geltende Formu-
seinen Sohn nahezu rechtlos. Er ist damit praktisch lierung des § 1626 BGB Abs. 1 genauer an:
auch von allen Pflichten entbunden, mit Ausnahme Der Vater und die Mutter haben das Recht und die
einer gewissen Unterhaltsverpflichtung, die jedoch Pflicht, für das minderjährige Kind zu sorgen.
unzureichend geregelt ist. Die nachträgliche „Ehe-
licherklärung" auf Antrag des Vaters bewirkt nach So wörtlich und einleuchtend, wie dieser Satz zu-
heutigem Recht den Verlust der Alleinsorge der Mut- nächst erscheint, sollte man ihn auch einmal neh-
ter. Trennen sich die Eltern von Lukas, bleibt die Al- men. Das bedeutet: Wenn die Mutter und der Vater
leinsorge der Mutter bestehen, die dann um die Un- eines Kindes sich über die Pflege und Erziehung ih-
terhaltszahlungen und den Umgang mit dem Vater rer Kinder einig sind und mit ihnen zusammenleben,
zu streiten hat. Schwieriger wird der Fall weiterhin, sollte man ihnen - uneingeschränkt von staatlichen
wenn der Sohn, selbst bei gegenseitigem Einver- Interventionen - auch gemeinsam die Rechte dieser
ständnis, beim Vater leben soll. Die Mutter hat dann Sorge zugestehen wie auch die Pflichten auferlegen.
die Alternative, auf die Alleinsorge zu verzichten
oder sich fortgesetzt mit dem Ex-Partner in allen Ent- Diese Konsequenz ist zugleich auch in A rt. 6 Abs. 2
scheidungen, die das Kind be treffen, zu verständi- unseres Grundgesetz formuliert, in dem es heißt:
gen.
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürli-
Diese beiden konstruierten Fälle zeigen folgende che Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen ob-
„Knackpunkte" auf, die die Sorgerechtsreform be- liegende Pflicht.
rücksichtigen muß:
Gibt es einen einleuchtenden Grund dafür, dieses
- Eheliche und uneheliche Kinder werden ungleich Grundrecht nicht auch auf nichteheliche Kinder zu
behandelt, d. h. die Art ihrer Pflege und Erziehung übertragen? Ich meine, nein! Das Kindeswohl orien-
hängt - juristisch - davon ab, ob ihre Eltern verhei- tiert sich am Recht des Kindes auf beide Eltern.
ratet sind oder nicht. Diese Tatsache setzt sich auch
bei der Trennung der Eltern fo rt: Während für die Vielen von Ihnen mag das noch logisch erscheinen.
nichtehelichen Kinder „bestenfalls" alles beim al- Jedoch zeigen die anhaltenden Diskussionen um die
ten bleibt, müssen die ehelichen Kinder eine Sor- Ausgestaltung des künftigen Sorgerechts und die en-
gerechtsübertragung und die damit verbundene gagierten und kontroversen Stellungnahmen der be-
Kindeswohlprüfung hinnehmen. Das Ergebnis aus troffenen Familien-, Väter- und Mütterverbände, daß
dem Blickwinkel des Kindes ist bei beiden gleich: die Sache in der Regel eben so einfach nicht ist!
Verlust des einen Elternteils, Verschärfung der
Spannungen im Umfeld der Trennung. Unter Wahrung der oben be trachteten Grund-
rechte ist es die Pflicht des Gesetzgebers - unjuri-
- Die Vorgabe von Regelfällen jedweder A rt er- stisch formuliert -, auch die Uneinigkeit der Eltern zu
schwert den Blick auf das, was für die einen an- regeln. Dabei muß er naturgemäß die Interessen aller
nehmbar und sinnvoll erscheint, für die anderen Beteiligten, auch die des Kindes, berücksichtigen.
aber eine unzumutbare und konfliktverschärfende Und hier fängt das Dilemma an.
Harte bedeutet. Nicht selten beschwören erzwun-
gende Regelfallentscheidungen do rt erst Spannun- Der vorliegende Antrag der SPD, der kein Gesetz-
gen und Konflikte herauf, wo vorher die Eltern entwurf ist, versucht bei der Kindschaftsrechtsreform
noch in der Lage waren, ihre Trennung und die den Blickwinkel zugunsten einer verbesserten
Vereinbarung über die Sorge der Kinder auseinan- Rechtsstellung des Kindes zu verschieben. Dabei er-
derzuhalten. scheint mir die platte Formel „mehr Kindesrecht =
mehr Kindeswohl" nicht ausreichend für die Lösung
- Das heutige Recht - in seinen Auswirkungen für der anstehenden Probleme. Selbstverständlich geht
eheliche wie für nichteheliche Kinder - regelt in er- es um die Wahrung der Interessen des Kindes. Aber
ster Linie die Beziehung der Eltern untereinander, es geht darüber hinaus vor allem um die Regelung
und zwar weitgehend unabhängig davon, ob die der Beziehung des Kindes zu seinen Eltern und um
Eltern konsensfähig sind oder nicht und worin vor deren Rechtsbeziehung, die wiederum starke Aus-
allem eine op timale Lösung aus Kindessicht liegt. wirkung auf das Kind hat.
Die Sorgerechtsentscheidung für eheliche Kinder
muß auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung Daraus folgt, daß wir gemeinsam überlegen müs-
zwischen den Eltern gefällt werden. Dies erscheint sen, erstens, welche Mittel geeignet sind, die Kon-
mir aus Kindessicht wohl der ungünstigste Zeit- sensfähigkeit der Eltern zu stärken, und zweitens, ob
punkt für eine tragfähige Entscheidung über die es überhaupt einen Regelfall der gemeinsamen
Zukunft des Kindes! Sorge oder der Alleinsorge geben kann, und zwar für
eheliche wie für nichteheliche Kinder.
Wir haben also auf der einen Seite das Problem -
vorsichtig formuliert - einer Angleichung der Be- Jeglicher Automatismus bedeutet zusätzlichen
handlung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Druck auf die Eltern, auf das Kind und für die Bezie-
Sorgerecht, wenn die Eltern zusammenleben und hung zwischen ihnen. Die Lösung muß beinhalten,
sich gut verstehen. Auf der anderen Seite haben wir daß Eltern in die Lage versetzt werden, eine bewußte
die unterschiedliche Behandlung im Trennungs- Entscheidung zu fällen.
4708* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Wesentlich erscheint mir dabei, die Verpflichtung, Wir sind uns alle dessen bewußt, daß es nicht nur
die mit der Geburt eines Kindes eingegangen wurde, Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die Not-
zu betonen. Elterliche Verantwortung und Fürsorge wendigkeit, in alten und neuen Bundesländern ein-
sind nicht kündbar wie ein Mietvertrag. Gerade des- heitliche Regelungen zu schaffen, und Anstöße aus
halb aber lassen sie sich auch nicht verordnen und in dem internationalen Bereich, vor allem in Gestalt der
Muster pressen. UN-Kinderrechtskonvention, sind, die Reformen er-
forderlich erscheinen lassen. Über diese Veranlas-
Die Entscheidung, ob die gemeinsame Sorge im-
sungen hinaus besteht zudem Einigkeit darüber, daß
mer die beste Lösung für eine befriedigende Eltern-
es unerläßlich ist, den Grundansatz des Kindschafts-
Kind-Beziehung ist, müssen zuallererst die Eltern un-
rechts zu ändern. Mehr als dies bisher der Fall war,
tereinander erörtern. Ihre Entscheidung sollte ohne
muß das Kind, muß das Wohl des Kindes in den Mit-
entmündigende Prüfungen akzeptiert werden. Erst
telpunkt gerückt werden: Es haben sich in erhebli-
wenn sie nicht zu einem Konsens in der Lage sind,
chem Maße soziale Veränderungen vollzogen. Viele
können andere Instanzen beratend vermitteln und
Kinder wachsen von vornherein oder nach einer
eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung herbei-
Scheidung der Eltern bei alleinerziehenden Eltern-
führen. In dieser für die Familie so zentralen Frage
teilen auf, viele Kinder bei Eltern, die in nichteheli-
werde ich jeglichen Automatismus nicht mittragen!
cher Lebensgemeinschaft zusammenleben. Deshalb
Aus der Sicht der Familienpolitik, die ich hier ver- kann nicht mehr allein von dem Grundbild des Ehe-
trete, sollten folgende Maßstäbe für die anstehende paares, das mit seinen Kindern zusammenlebt, aus-
Reform in diesem Teilbereich gelten: gegangen werden. Es ist auch nicht mehr gerechtfer-
tigt, im Kindschaftsrecht in erster Linie Rechte der El-
- die Wahrung der Grundrechte für Kinder und El- tern unter - ja gegeneinander - im Hinblick auf das
tern, Kind - zu regeln. Zentraler Orientierungspunkt für
- der Vorrang elterlicher Verantwortung vor staatli- ein modernes Kindschaftsrecht muß vielmehr das
cher Intervention, Kind sein. Seine Rechte sollen verbessert und das
Kindeswohl bestmöglich gefördert werden. Nicht nur
- der Anspruch von Kindern auf op timale Entwick- in diesem Grundanliegen stimmen wir mit Ihnen
lung und Entfaltung und überein: Es ist auch richtig, wenn Sie darauf hinwei-
- der Anspruch nichtehelicher Kinder - ich betone: sen, daß es bei rechtlichen Regelungen nicht sein Be-
Kinder, nicht Gemeinschaften! - auf Gleichbe- wenden haben darf. Es sind vielmehr flankierende
handlung. Maßnahmen erforderlich, um unsere Gesellschaft
kinderfreundlicher zu machen.
Wenn es uns parteiübergreifend gelingt, diese
Maßstäbe auch für die weiteren Elemente der Reform Ihr Antrag enthält einige Elemente, die bereits in
zu berücksichtigen, so haben wir damit einen großen den vergangenen Jahren aufgegriffen und zum Ge-
Schritt getan für die Familien in unserem Land! genstand von Regierungsentwürfen gemacht worden
sind.
Heinz Lanfermann (F.D.P.): Die SPD-Fraktion greift
mit ihrem Antrag ein Anliegen auf, das nicht nur sie Ein Anliegen ist, die Rechtsposition der Eltern - so-
bewegt. Wie Sie alle wissen, hat das Bundesministe- weit dies mit dem Kindeswohl vereinbar ist - vor un-
rium der Justiz einen umfassenden Referentenent- nötigen staatlichen Eingriffen zu schützen. In diesem
wurf zur Reform des Kindschaftsrechts erarbeitet, der Zusammenhang möchte ich auf das Beistandschafts-
derzeit den Ländern zur Stellungnahme vorliegt und gesetz verweisen, das in der 12. Legislaturpe riode
in der Öffentlichkeit bereits positiven Anklang ge- nicht abschließend beraten werden konnte und nun-
funden hat. Dieser umfangreiche - fast 500 Seiten mehr von der Bundesregierung erneut eingebracht
umfassende - Text enthält eine Fülle von Vorschlä- worden ist. Sein Ziel ist es, die unerträgliche Bevor-
gen mundung von Müttern nichtehelicher Kinder zu be-
seitigen, die in den alten Bundesländern noch immer
Ich freue mich, daß nicht nur die Äußerungen der darin besteht, daß bei der Geburt ihres Kindes eine
Länder, die in besonderem Maße die Erfahrungen gesetzliche Amtspflegschaft besteht.
der familiengerichtlichen Praxis einbeziehen kön- Sie greifen in Ihrem Antrag das Anliegen einer ge-
nen, zu einem Meinungsaustausch führen werden, waltfreien Kindererziehung auf. Die Bundesregie-
sondern daß durch Ihren Antrag die Haltung der rung hatte hierzu in der vergangenen Legislaturperi-
größten Oppositionsfraktion deutlich wird. Ich habe ode ebenfalls einen Gesetzentwurf zu einem Miß-
mich allerdings gefragt, warum Sie nicht ebenfa lls handlungsverbotsgesetz vorgelegt. Es wäre wün-
den Weg eines Gesetzentwurfs gewählt, sondern schenswert gewesen, wenn, vor allem auch in den
sich auf den jetzt hier zur Debatte stehenden An- Beratungen des Bundesrates, Einigkeit über eine
trag beschränkt haben. Aber gleichwohl können wir Formulierung hätte erzielt werden können. Kinder
in einen konstruktiven Dialog eintreten. Dabei ist zählen zu den Schwachen und Hilfsbedürftigen in
erfreulich, daß sowohl über den Reformbedarf als unserer Gesellschaft. Sie zu schützen, muß unser al-
solchen als auch über viele Grundzüge und sogar ler Anliegen sein. Deshalb sind erneut alle Anstren-
Einzelheiten möglicher Regelungen Konsens be- gungen gefordert, zu einem Konsens zu gelangen.
steht. Natürlich wird es im Zuge des Gesetzge-
bungsverfahrens erforderlich werden, ggfls. durch Die zahlreichen Unterschiede, die heute noch hin-
Anhörungen noch streitige Einzelheiten weiter zu sichtlich der rechtlichen Stellung ehelicher und
klären. nichtehelicher Kinder bestehen, sind überholt. Diese
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4709*

nicht mehr gerechtfertigten Differenzierungen müs- lich, daß eine solche Regelung kindeswohlwidrig
sen zugunsten eines einheitlichen Kindschaftsrechts sein könnte.
so weit wie möglich besei tigt werden. Der Referen-
tenentwurf des BMJ sieht hierzu eine Vielzahl von Einigkeit besteht wiederum darin, daß der im
Regelungen vor. Sie haben in Ihrem Antrag insoweit Scheidungsverfahren bestehende Zwangsverbund
ebenfalls Vorstellungen entwickelt. Es sollte aber dahin aufgelockert werden soll, daß keine gerichtli-
nicht außer acht bleiben, daß ein Schritt zur Gleich- che Sorgerechtsentscheidung mehr erfolgt, wenn
stellung ehelicher und nichtehelicher Kinder bereits dieEltrngmsaelichSorgwün-
mit einem Regierungsentwurf aus der 12. Legisla- schen. A ll es andere wäre eine nicht vertretbare
turperiode gegangen worden war. Durch den Ent- staatliche Bevormundung und ließe den Respekt vor
wurf eines Erbrechtsgleichstellungsgesetzes sollten dem Elternwillen vermissen. In einem weiteren
die in erbrechtlicher Hinsicht für nichteheliche Kin- Punkt weichen Ihre Vorstellungen von denen des
der noch bestehenden Sondervorschriften abgelöst Referentenentwurfs des BMJ ab. Während Sie vor-
werden. Dieser Entwurf konnte nicht mehr abschlie- schlagen, daß nach einer Scheidung den Eltern min-
ßend behandelt werden. Das Präsidium der F.D.P. hat derjähriger Kinder ein gemeinsames Sorgerecht nur
sich erst kürzlich dafür ausgesprochen, ihn erneut übertragen werden soll, wenn beide Elternteile es
einzubringen. beantragen, geht der Referentenentwurf davon aus,
daß die gemeinsame Sorge fortbesteht, d. h. daß es
bei der vor der Scheidung bestehenden Rechtslage
Ich erwähnte es bereits eingangs: In vielen der Re-
- dem gemeinsamen Sorgerecht - verbleibt. Eine
formüberlegungen stimmen Regierungskoalition und
Änderung, d. h. die Übertragung der Alleinsorge
SPD-Opposition überein. So etwa darin, daß - auch -
auf einen Elternteil, soll nur auf einen Antrag hin
im Abstammungsrecht die Unterschiede in der
erfolgen, über den unabhängig von dem Schei-
Rechtsstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder
dungsverfahren zu befinden ist. Über diese Frage
beseitigt werden müssen, daß die familienrechtliche
hat es in der Öffentlichkeit bereits hef tige Kontro-
Zuordnung von Kindern bei Anwendung von Techni-
versen gegeben. Ihre Auffassung wird dabei von
ken der Fortpflanzungsmedizin zu klären ist und daß
Frauenverbänden geteilt, die befürchten, die Frau,
es verschiedener, u. a. durch Vorgaben des Bundes-
die die Übertragung der Alleinsorge auf sich bean-
verfassungsgerichts veranlaßter, Änderungen im
trage, stehe vor sich, dem Kind und der Öffentlich-
Hinblick auf die Anfechtung der Elternschaft bedarf.
keit als konsensunfähig, als „Spielverderberin" da.
In Einzelfragen kann Ihrem Antrag dagegen nicht
Auch bestehe die Gefahr, daß auf eine Frau, die ei-
zugestimmt werden, beispielsweise nicht der Ziffer
gentlich die Alleinsorge beantragen wolle, durch
II. 10, die auf eine „rechtsfolgenlose" Feststellung
den wirtschaftlich überlegenen Ehepartner Druck
der Vater- bzw. Mutterschaft abzielt, d. h. auf die Klä-
dahin ausgeübt werde, einen solchen Antrag zu un-
rung der gene tischen Abstammung ohne Auswir-
terlassen. Dies sind sicherlich ernstzunehmende Ar-
kungen auf die familienrechtliche Zuordnung. Eine
gumente. Andererseits darf auch nicht unberück-
solche Regelung wäre nämlich nur schwer praktika-
sichtigt bleiben, daß bereits jetzt die Zahl derjeni-
bel und würfe eine Vielzahl schwer zu beantworten-
gen Ehegatten, die bei ihrer Scheidung das gemein-
der Fragen auf.
same Sorgerecht beantragen, zwar noch immer
recht gering ist; die Zahl der Fälle des gemeinsa-
Im Grundsatz Einigkeit besteht darin, daß das men Sorgerechts ist aber in den letzten Jahren ins-
Recht der elterlichen Sorge reformiert werden muß. gesamt angestiegen. Ferner ist zu fragen, ob Ihr An-
So ist die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts satz konsequent ist: Auch Sie wollen - zu Recht -
umzusetzen, daß auch für nicht miteinander verhei- das Kind in den Mittelpunkt der Neuregelung rük-
ratete Eltern, selbst wenn sie nicht zusammenleben, ken. Auch Sie akzeptieren, daß es für das Kind eine
auf Grund einer gemeinsamen Erklärung die ge- schwere Belastung ist, erkennen zu müssen, daß
meinsame elterliche Sorge möglich sein muß. Hier nach der Scheidung nicht mehr beide Eltern ge-
besteht aber ein entscheidender Unterschied zwi- meinsam für es verantwortlich sind. Darf dann den
schen Ihrer und unserer Auffassung: Sie wollen näm- Befürchtungen von Elternteilen der Vorrang gegen-
lich die gemeinsame Sorge nicht miteinander verhei- über diesen Überlegungen gegeben werden? Wir
rateter Eltern davon abhängig machen, daß in einer alle sind hier aufgefordert, in dieser Frage aufeinan-
zuvor in jedem Einzelfall durch des Familiengericht der zuzugehen und den Standpunkt der jeweils an
durchzuführenden Prüfung festgestellt wird, ob die -dernSitszuhme.Iciltsfürb-
gemeinsame Lösung dem Wohl des Kindes nicht wi- dauerlich, wenn gerade in diesem Punkt die be-
derspricht. Die Forderung nach einem solchen „Sor- stehenden Gräben zwischen den verschiedenen
gerechtführerschein" bedeutet nicht nur, daß Unter- Auffassungen bestehen blieben. -
schiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kin-
dern in einem wich tigen Punkt beibehalten würden; Ein Teil Ihres Antrages ist dem Recht auf Pflege
denn bei miteinander verheirateten Eltern tritt ja die persönlicher Beziehungen, d. h. dem Umgangsrecht,
gemeinsame Sorge ohne vorherige gerichtliche Prü- gewidmet. Wir sind uns darüber einig, daß der Um-
fung ein. Ihr Konzept läßt auch ein ungerechtfertig- gang des Kindes mit den für seine Entwicklung be-
tes Mißtrauen gegenüber nicht miteinander verheira- deutsamen Bezugspersonen seinen Interessen und
teten Eltern erkennen. Wenn diese sich entschließen, seiner Entwicklung dient. Konsens besteht auch in
die Übertragung der gemeinsamen Sorge zu beantra- bezug auf die behutsame Erweiterung des Kreises
gen, wird dies ein Zeichen für ihr gemeinsames Be- der Personen, die von dem Umgangsrecht erfaßt
mühen um das Kind sein; es ist kaum wahrschein sind, z. B. auf Groß- oder Stiefeltern.
4710* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

Es mag aber bezweifelt werden, ob es praktikabel Mutter und Vater seine Entwicklung begleiten. Be-
ist, das Recht auf Pflege der persönlichen Beziehun- stand der Kontakt zum Vater zunächst noch nicht
gen - wie Sie es tun - in der juristischen Konstruktion oder nur in ganz geringem Ausmaß, gilt dann doch
als „Umgangsrecht des Kindes" auszugestalten mit die Maxime „Besser spät als nie". Die von Ihnen be-
der Folge, daß bei unzureichenden Kontakten des fürworteten einschränkenden Voraussetzungen wi-
Kindes mit Bezugspersonen, insbesondere dem El- dersprächen im übrigen den Regelungen der ande-
ternteil, der ge trennt von dem Kind lebt, ein Pfleger ren europäischen Staaten. In den meisten Ländern
für das Kind zu bestellen ist, der das Umgangsrecht des Kontinents sind Väter nichtehelicher Kinder
dann im Namen des Kindes gegen den Elternteil, bei grundsätzlich wie andere Eltern umgangsberechtigt.
dem sich das Kind aufhält, geltend macht. Hier sollte Teilweise ist sogar ausdrücklich festgelegt, daß die
gefragt werden, ob die Einmischung eines Außenste- biologische Vaterschaft zur Begründung des Um-
henden die bereits vorhandenen Konflikte nicht eher gangsrechts immer genügt. In unserem Nachbarland
noch verschärft. Österreich ist sogar anerkannt, daß lange Nichtaus-
übung grundsätzlich keinen Einfluß auf das väterli-
Die Vollstreckung eines gerichtlich festgelegten che Besuchsrecht hat.
Umgangsrechts soll nach Ihrer Vorstellung grund-
sätzlich nicht erfolgen. Bei der Umgangsvereitelung Mit Ihrer Forderung, eheliche und nichteheliche
ist eines der schwierigsten Probleme der Kind- Kinder im Unterhalts- und Erbrecht gleichzustellen,
schaftsrechtsreform angesprochen. Einen „Königs- rennen Sie offene Türen ein. Ich habe bereits auf den
weg" gibt es hier nicht. Auch der Blick auf andere Regierungsentwurf eines Erbrechtsgleichstellungs-
Rechtsordnungen hilft insoweit nicht weiter. In Ih- gesetzes hingewiesen. Regelungen, wie Sie sie be-
rem Konzept vermisse ich eines: Sie bedenken nicht, fürworten, sind auch auf dem Gebiet des Unterhalts-
daß der Umgang nicht nur im Interesse des um- rechts in Vorbereitung. Das Bundesministerium der
gangsberechtigten Elternteils gewährt wird, sondern Justiz arbeitet am Entwurf eines Kindesunterhaltsge-
vor allem dem Interesse des Kindes und seiner Ent- setzes, das ein einheitliches Regelunterhaltsverfah-
wicklung dient. Dann ist es unerläßlich, eine Voll- ren für alle minderjährigen Kinder, deren Eltern ge-
streckungsmöglichkeit einzuräumen, da von einer trennte Haushalte führen, vorsieht.
solchen jedenfalls eine Signalwirkung ausgeht. Im Hinblick auf das Adoptionsrecht ist wieder das
Schon die Möglichkeit, die Umgangsrechtsentschei- bei Ihnen wie bei uns bestehende Anliegen hervor-
dung zu vollstrecken, kann entscheidend dazu bei- zuheben, die Stellung des nichtehelichen Vaters zu
tragen, daß der Umgang in einer Vielzahl von Fällen stärken. Während bisher eine Adop tion des Kindes
nicht vereitelt wird. Dadurch könnte vielleicht auch auch ohne seine Zustimmung erfolgen kann, soll die
verhindert werden, daß geschiedene Ehepartner - Einwilligung künftig Adoptionsvoraussetzung wer-
oder Mütter nichtehelicher Kinder - aus Verbitte- den. Dies sieht sowohl Ihr Antrag als auch der Refe-
rung über den ungetreuen Partner das Umgangs- rentenentwurf des BMJ vor.
recht vereiteln, obgleich dieses dem Wohl des Kin-
des nicht abträglich wäre. Ein Elternteil, der mit Abschließend möchte ich den Antragstellern noch
dem anderen in partnerschaftlicher Beziehung in ei- einmal versichern, daß wir uns auf eine breite und
nem ungelösten Konflikt lebt und diesem womöglich konstruktive Beratung freuen, die dem gemeinsamen
sogar schweres Unrecht zugefügt hat, kann gleich- Ziel, dem Kindeswohl zu dienen, nur nützen kann.
wohl eine wichtige Bezugsperson für die Entwick-
lung des Kindes sein und zu diesem eine liebevolle Ronald Pofalla (CDU/CSU): Wenn wir heute im
Beziehung aufbauen. Parlament erneut die Beratungen über die Reform
des Kindschaftsrechts aufnehmen, dann folgen wir
Im Umgangsrecht besteht noch ein weiterer Dis- mehreren Aufforderungen des Bundesverfassungs-
sens: Sie knüpfen das Umgangsrecht eines Elterntei- gerichts, das Kindschaftsrecht zu reformieren, versu-
les an die Voraussetzung, daß das Umgangsrecht chen aber auch, das geltende Recht an die veränder-
dem Kindeswohl nicht widersp richt, und wollen, ten Gegebenheiten anzupassen.
wenn keine rechtlichen oder tatsächlichen Verbin-
dungen zwischen dem Elternteil und dem Kind be- Schon 1982 hat es das Bundesverfassungsgericht
stehen, die Zubilligung von Besuchskontakten davon für verfassungswidrig erklärt, daß die Möglichkeit ei-
abhängig machen, daß dies dem Wohl des Kindes ner gemeinsamen Sorge geschiedener Eltern für ein
entspricht. Dies bedeutet keine entscheidende Ver- Kind nicht möglich ist. Ebenso wurde vom Verfas-
besserung für die Väter nichtehelicher Kinder, die sungsgericht 1989 das fehlende Recht eines Kindes
noch nicht „über längere Zeit eine persönliche Bezie- auf Kenntnis der eigenen Abstammung beanstandet.
hung zu dem Kind aufgebaut" haben; denn sie sind Später hat das Ge richt in Karlsruhe die fehlende
von der Feststellung abhängig, daß - und in wel- Möglichkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge für
chem Umfang - der Umgang dem Kindeswohl ent- nicht miteinander verheiratete Eltern beanstandet.
spricht. Aus Ihrem Regelungsvorschlag spricht ein Und erst jüngst hat das oberste Ge richt entschieden,
Mißtrauen gegenüber dem nichtehelichen Vater. Ist daß die Väter nichtehelicher Kinder generell Träger
es denn nicht ein gutes Zeichen, wenn ein nichteheli- des verfassungsrechtlich geschützten Elternrechts
cher Vater, der bisher - aus welchen Gründen auch sind. 1991 hat das Gericht zudem mit Blick auf Art. 6
immer - noch keine längerwährende persönliche Be- Abs. 5 dem Gesetzgeber aufgegeben zu prüfen, ob
ziehung zu dem Kind aufgebaut hatte, eine solche es die Regeln, die zwischen ehelichen und nichtehe-
nunmehr anstrebt? Berücksichtigen Sie doch bitte, lichen Kindern unterscheiden, sachliche Gründe
daß es für ein Kind grundsätzlich am besten ist, wenn gibt. Dabei müsse als Maßstab der Normalfall des
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4711'

ehelichen Kindes gelten. Das Bundesverfassungsge- Zweitens. Wir plädieren für die Möglichkeit einer
richt hat uns als Gesetzgeber eine ganze Reihe von gemeinsamen Sorge bei nichtehelichen Kindern.
Aufgaben mit auf den Weg gegeben, die wir, so hoffe Dies sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit
ich, in dieser Legislaturpe riode lösen werden. sein, wenn beide Eltern dies wollen. Mir ist es daher
unverständlich, warum die SPD in ihrem Antrag ei-
Zudem gibt das Grundgesetz in Ar tikel 6 Abs. 5
nen Vorbehalt formuliert, der zunächst eine gerichtli-
dem Gesetzgeber auf, die gleichen Bedingungen für
che Prüfung vorsieht, ob dies nicht dem Wohl des
die leibliche und seelische Entwicklung ehelicher
Kindes widerspricht. Sie, meine Damen und Herren
und nichtehelicher Kinder zu schaffen.
von der SPD, drücken damit ein nicht gerechtfertig-
Noch immer gelten in den alten und den neuen tes Mißtrauen gegen diejenigen aus, die sich der el-
Bundesländern unterschiedliche Regelungen hin- terlichen Verantwortung stellen und sie teilen wol-
sichtlich des Kindschaftsrechts. Die von uns zu ge- len. Ich kann auch nicht nachvollziehen, warum Sie
staltende Reform des Kindschaftsrechts bedeutet so- hier ein Zweiklassenrecht, das zwischen ehelichen
mit auch ein weiteres Stück Vereinheitlichung des und nichtehelichen Kindern unterscheidet, etablie-
deutschen Rechts und Vollendung der inneren Ein- ren wollen, wo Sie sonst doch alles daransetzen, die-
heit Deutschlands. sen Unterschied vollkommen aufzuheben.
Doch nicht nur die gerade genannten Gründe er- Drittens. Ich mache aber ausdrücklich darauf auf-
fordern eine Reform, sie ist auch im Blick auf die Rea- merksam, daß wir, wenn wir die Möglichkeit der ge-
lität zwingend notwendig. Mittlerweile wird in meinsamen Sorge schaffen, keine Entscheidung dar-
Deutschland nahezu jede dritte Ehe geschieden. Al- über treffen, ob wir der gemeinsamen Sorge oder der
lein 1993 waren in den alten Bundesländern fast Alleinsorge den Vorzug geben. Wenn wir der einen
105 000 Kinder von Scheidungen be troffen, in den oder anderen Art eine Präferenz einräumen wollten,
neuen Ländern waren es fast 19 000 Kinder. 1993 wa- müßten wir eindeutige Erkenntnisse darüber vorlie-
ren in den alten Bundesländern fast 12 % der Gebo- gen haben, daß die Alleinsorge oder die gemeinsame
renen nichteheliche Kinder, in den neuen Ländern Sorge dem Kindeswohl prinzipiell besser dient. Wir
sogar fast 41 %. Um uns einmal die Zahl vor Augen alle wissen, in der Wissenschaft ist hierüber seit Ge-
zu führen: Wir sprechen hier von 85 000 Kindern in nerationen ein breiter Disput im vollen Gange.
den alten Bundesländern und von über 33 000 Kin-
dern in den neuen Ländern. Die Zahl der nichteheli- Wenn die Eltern die gemeinsame Sorge inneha-
chen Lebensgemeinschaften steigt mit zunehmender ben, müssen sie diese im gegenseitigen Einverneh-
Tendenz an. Dies ist die Realität. men zum Wohle des Kindes ausüben. Das bedeutet
aber auch, daß sie sich bei Meinungsverschiedenhei-
Das heute geltende Recht des Vaters eines nicht- ten - beispielsweise über den Schulbesuch - einigen
ehelichen Kindes, bleibt weit hinter dem Recht des und zusammenwirken, aber auch, daß sie sich jeden-
Vaters eines ehelichen Kindes zurück, der nicht Inha- falls grundsätzlich über die das Kind be treffenden
ber der elterlichen Sorge ist. Ich denke dabei bei- Angelegenheiten des täglichen Lebens verständi-
spielsweise an das Umgangsrecht. Zunehmend drän- gen.
gen die Mütter nichtehelicher Kinder, die mit dem
leiblichen Vater zusammenleben, auf ein gemeinsa- Einiges von dem, was ich gerade gesagt habe, be-
mes Sorgerecht. A ll dies zwingt uns dazu, eine Re- trifft auch die Fälle, in denen es um die gemeinsame
form des Kindschaftsrechts vorzunehmen. Die Bun- Sorge für geschiedene Eltern geht. Die von mir ein-
desregierung wird spätestens im nächsten Frühjahr leitend angesprochene Entscheidung des Bundesver-
einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. Momentan fassungsgerichts macht es schon heute möglich, daß
befindet sich der Referentenentwurf in der Ressort- die Eltern auch nach der Scheidung die Sorge für ihr
abstimmung. Kind weiterhin gemeinsam innehaben. Wie wir wis-
sen, wird von dieser Möglichkeit auch zunehmend
Ich mache keinen Hehl daraus, der vorliegende
Gebrauch gemacht. Allerdings fallen die Sorgeent-
SPD-Antrag deutet in einigen Fällen in die falsche
scheidungen im Scheidungsverbund sehr unter-
Richtung. Darauf möchte ich in meinen weiteren
schiedlich aus. Ich möchte dies anhand der Zahlen
Ausführungen eingehen.
aus dem zweiten Halbjahr 1994 belegen. Die Pro-
Erstens. Besonders liegt mir die Stärkung der Posi- zentzahl der Zuweisung der elterlichen Sorge an
tion der Eltern und des Elternsorgerechts am Herzen. beidEltrnmSchugsvefalinSch-
Unser Ziel muß es sein, den Eltern einen Schutz vor Anhalt bei 6,5 %, während sie im Saarland 23,6 % er-
unnötigen staatlichen Eingriffen zu bieten. Als ober- reichte. Diese Zahlen zeigen deutlich, wie unter-
stes Ziel müssen wir das Kindeswohl anstreben. Des- schiedlich die Ge richte entscheiden und wie drin-
halb halten wir an dem Begriff „elterliche Sorge" gend erforderlich eine Rechtsklarheit ist.
fest. Er charakterisiert am besten den Fürsorgecha-
rakter der elterlichen Aufgabe. Bis heute haben wir dafür jedoch noch keine ein-
deutige gesetzliche Regelung; das ist unbefriedi-
Sehr geehrte Damen und Herren von der SPD, die gend. Deshalb plädieren wir dafür, bei der Reform
von Ihnen vorgeschlagene Formulierung „elterliche des Kindschaftsrechts eine entsprechende gesetzli-
Verantwortung" lehnen wir ab; denn wer wie Sie von che Verankerung vorzusehen. Die bisher geltende
der „elterlichen Verantwortung" spricht, entläßt im Regelung, daß das Familiengericht zwingend über
Falle der Alleinzuweisung der elterlichen Sorge an die elterliche Sorge entscheidet, wenn es zu einem
einEltrdaentilusr Scheidungsverfahren kommt - sogenannter Zwangs-
Verantwortung. Und dies wollen wir nicht. verbund -, halten wir für hinfällig. Die Eltern wissen
4712* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995

in der Regel am besten, was das Beste für ihr Kind ches Verhältnis zwischen dem Vater und dem Kind
ist. Der Staat hat hier nur in Ausnahmefällen eine besteht. Wir alle wissen: Es kann sehr wohl dem Kin-
Rolle zu spielen und einzugreifen. deswohl dienen, wenn dem Vater die Sorge übertra-
gen wird. Dies gilt auch, wenn sich der Kontakt zwi-
Der Zwangsverbund gehört abgeschafft. Wir wol- schen dem Vater und dem Kind erst noch entwickeln
len, daß es nur in solchen Fällen noch zu einem Ver- muß.
fahren über die elterliche Sorge kommt, wenn ein El-
ternteil einen Antrag auf Alleinsorge stellt. Anson- Der genannte Referentenentwurf der Bundesregie-
sten wollen wir an der gemeinsamen Sorge festhal- rung verbessert das Recht eines Kindes auf Kenntnis
ten. seiner Abstammung. Das eheliche Kind kann nach
geltendem Recht seine Ehelichkeit nur unter ganz
Wir lehnen eine gerichtliche Überprüfung und Ent- bestimmten Umständen innerhalb einer F ri st von
scheidung in den Fällen ab, in denen kein Antrag auf zwei Jahren ab Erlangung der erforderlichen Kennt-
Übertragung der Alleinsorge gestellt wird. Denn al- nisse anfechten; eine Anfechtung kann es längstens
lein der Zwang, über die Kinder ein Verfahren füh- bis zur Vollendung seines 20. Lebensjahres geltend
ren zu müssen, trägt zur Konfliktverschärfung bei machen. Ähnlich verhält es sich bei nichtehelichen
und verringert die Chance, die bisherige gemein- Kindern, jedoch ist eine absolute Altersgrenze nicht
same Sorge beizubehalten. vorgesehen.
Mir ist ein weiterer Punkt bei der Abschaffung des Der Referentenentwurf sieht vor, daß ein volljähri-
Zwangsverbundes wich tig: Würde im Scheidungsfall ges Kind ohne besondere Gründe ein Recht auf
der Zwangsverbund fortbestehen, so würden diese Kenntnis seiner Abstammung erhält. Dem Kind sol-
Eltern stärker staatlich überwacht, als die Eltern len vom Eintritt der Volljährigkeit an zwei Jahre für
nichtehelicher Kinder beim Scheitern ihrer Partner- die Anfechtung der Vaterschaft zur Verfügung ste-
schaft. Dies kann nicht unser Ziel sein. hen. Erlangt es erst später Kenntnis von den Umstän-
Viertens. Sehr geehrte Damen und Herren von der den, die gegen die Vaterschaft sprechen, beginnt erst
SPD, bei der Lektüre Ihres Antrags habe ich mir dann die Anfechtungsfrist. Das künftige Anfech-
m an ches Mal verwundert die Augen gerieben. Auf tungsrecht wird einheitlich für alle Kinder - egal, ob
Unverständnis stößt bei mir Ihre Forderung nach ei- ehelich oder nichtehelich - gelten. Auch hier müssen
ner Elternvereinbarung bei getrennt voneinander le- wir die ehelichen und nichtehelichen Kinder gleich-
benden Eltern. In der Begründung des Antrags heißt stellen. Dies forde rt nicht zuletzt das Bundesverfas-
es: „Die Elternvereinbarung muß die tatsächlichen sungsgericht.
Lebensbedingungen eines Kindes nach der Tren- Die „Ehelichkeit „ bzw. „Nichtehelichkeit" eines
nung umfassend regeln: Aufenthalt, Umgang, Pflege Kindes soll künftig für keine Person mehr ein anhaf-
und Erziehung, Unterhalt. Sind sich die Eltern über tendes Statusmerkmal sein. Die das heutige Ab-
alle diese Punkte einig, so bedarf es keiner richterli- stammungsrecht prägende Unterscheidung zwischen
chen Entscheidung, es sei denn, eine erkennbare Ge- ehelicher und nichtehelicher Abstammung nähert
fährdung des Kindeswohl verpflichtet den Staat in der Referentenentwurf der Bundesregierung zugun-
Wahrnehmung seines Wächteramtes zum Eingrei- sten einer einheitlichen Regelung an.
fen. "
Die heute vorhandenen Möglichkeiten einer Ei-
Wie dies in der Praxis funktionieren soll, ist mir ein oder Embryonenspende machen es erforderlich, daß
Rätsel. Nicht verheirateten Eltern, die künftig die ge- wir zu einer gesetzlichen Defini tion der Mutterschaft
meinsame Sorge erlangen können, kann für den Fall kommen. Ich freue mich, daß die Regierungsfraktio-
des Scheiterns ihrer Gemeinschaft keine entspre- nen und die SPD-Fraktion in diesen grundlegenden
chende Verpflichtung auferlegt werden, da ein Fragen dicht beieinander liegen. Der Referentenent-
Scheidungsverfahren do rt nicht durchgeführt wird. wurf der Bundesregierung stellt klar - wie dies übri-
Eltern, die miteinander verheiratet sind, würden gens auch im Antrag der SPD vorgesehen ist -, daß
durch die Pflicht zum Sorgeplan also stärker über- die Mutter eines Kindes im Rechtssinne allein die
wacht als Eltern nicht ehelicher Kinder. Gegen eine Frau ist, die das Kind geboren hat. Diese Regelung
Pflicht zur Errichtung eines Sorgeplans spricht auch, ist im Interesse der Vermeidung einer „gespaltenen"
daß in Fällen, in denen die gemeinsame Sorge wäh- Mutterschaft, insbesondere von Leihmutterschaften
rend der Trennungszeit einigermaßen funktioniert, in Form der „Ammenmutterschaft", geboten.
durch den Zwang zur schriftlichen Niederlegung erst
Anlaß für einen S treit - und sei es nur um Formulie- Keine Regelung enthält der Referentenentwurf -
rungen - entstehen kann. Auch kann der Sorgeplan wie im übrigen der SPD-Antrag auch nicht - über die
in seiner scheinbaren Endgültigkeit dazu führen, daß abstammungsrechtlichen Folgen einer Samen-
Eltern nach der Scheidung nicht flexibel genug auf spende. Der Grund hierfür ist, daß die Zulässigkeit
geänderte Situationen reagieren. der Samenspende nach wie vor umstritten ist und
eine einheitliche Regelung des Bundes noch aus-
Fünftens. Nach heutigem Recht kann der Vater ei- steht.
nes nichtehelichen Kindes nur unter sehr erschwer-
ten Voraussetzungen die Sorge für sein Kind erhal- Lassen Sie mich abschließend noch auf einen wei-
ten. Dies gilt selbst dann, wenn die mit der Sorge teren Aspekt bei der Reform des Kindschaftsrechts
ausgestattete Mutter des nichtehelichen Kindes s tirbt eingehen. Das geltende Recht ist nicht nur für den
oder ihr das Sorgerecht entzogen wird. Das ist beson- juristischen Laien wenig überschaubar. Die bisherige
ders dann höchst unbefriedigend, wenn ein persönli- Unterscheidung zwischen Sorgeverfahren, die in die
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 55. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. September 1995 4713*

Zuständigkeit der Familiengerichte fallen, und von bensgefährliche Verletzungen geht - als unmensch-
vormundschaftsgerichtlichen Sorgeverfahren muß lich empfinde. Dazu gehört dann aber auch der Ein-
abgeschafft werden. Die unterschiedlichen Zustän- tritt in bestehende Mietverträge im Todesfall eines
digkeiten für die die elterliche Sorge be treffenden Partners, um nur zwei Beispiele aufzugreifen.
Verfahren bei ehelichen und nichtehelichen Kindern
sollen künftig durch eine einheitliche Zuständigkeit Wer nun einwendet: Darm sollen die Betroffenen
bei Familiengerichten ersetzt werden. doch heiraten, der vernachlässigt z. B., daß gleichge-
schlechtlichen Paaren dies verwehrt ist. Die F.D.P.
Lassen Sie uns zum Wohle der Kinder die bevorste- bekennt sich jedoch ausdrücklich zu einer Lebensge-
henden Beratungen in einem konstruktiven und ziel- meinschaft für gleichgeschlecht liche Paare und
gerichteten Geist führen. schlägt deshalb in ihrem Wahlprogramm vor, das
Rechtsinstitut der „eingetragenen Partnerschaft" zu
schaffen. Dieses Rechtsinstitut soll sich im Grundsatz
am Familienrecht orientieren und insbesondere hin-
Anlage 5 sichtlich des Angehörigen-, Hinterbliebenen- und
Sozialrechts gleiche Rechte und Pflichten begründen
Zu Protokoll gegebene Rede wie die Ehe. Auf diese Weise könnte durch die
zu Tagesordnungspunkt 13 Rechtsordnung für alle Lebensformen ein vernünfti-
(a - Gesetz zur Sicherung der Wohnung ger Rahmen geschaffen werden, der jedem Mann
für den hinterbliebenen Lebenspartner; und jeder Frau nicht nur ermöglicht, nach eigenem
b - Antrag: Gleichberechtigung von Schwulen und Wunsch zusammenzuleben, sondern auch ein Min-
Lesben in der Bundesrepublik Deutschland) destmaß an Rechtssicherheit garantiert. Der demo-
und Zusatztagesordnungspunkt 4 kratische Rechtsstaat tut gut daran, nicht über per-
(Gesetz zur Übernahme der gemeinsamen Wohnung sönliche Motive des Zusammenlebens zu urteilen,
nach Todesfall der Mieterin/des Mieters sondern sie zu respektieren. Hier geht es um die Frei-
oder der Mitmieterin/des Mitmieters) heitlichkeit und Toler anz unserer Gesellschaft.
Auch in Zukunft wird es rechtliche Unterschiede
Heinz Lanfermann (F.D.P.): Die von BÜNDNIS 90/ zwischen Ehe und Familie einerseits und nichteheli-
DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS vorgelegten chen Lebensgemeinschaften andererseits geben.
Anträge beschäftigen sich mit einer Problematik, auf Dies folgt zwangsläufig aus der höheren Verbindlich-
die die Bürgerrechtspartei F.D.P. in ihrem Wahlpro- keit und dem größeren Pflichtenkreis von Ehe und
gramm zur Bundestagswahl 1994 klare Antworten Familie. Die F.D.P. geht mit ihrem Vorschlag einen
gegeben hat. vernünftigen Mittelweg. Keine Gleichstellung von
Ehe und Nichtehe, wohl aber eine verfassungsrecht-
Unverändert besteht der Vorschlag der F.D.P., den liche Achtung der auf Dauer angelegten Lebensge-
mein Kollege Hans-Joachim Otto in der Verfassungs- meinschaften. Die F.D.P. unterstreitlich hiermit ihr
debatte der letzten Legislaturpe riode auch hier im Bekenntnis zur gesellschaftlichen Pluralität und zur
Plenum eingebracht hat, A rt. 6 Abs. 1 Grundgesetz gesellschaftlichen Toleranz. Das dauerhafte Zusam-
wie folgt zu ergänzen: menleben und Füreinander-Einstehen von Partnern
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen ist die bessere und dem Menschen gemäßere Form
Schutz der staatlichen Ordnung. Sie achtet andere des Lebens als das unfreiwillige Alleinleben. Für-
auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften. sorge und wechselseitige Verantwortung der Partner
schafft gesellschaftliche Stabilität.
Diese Ergänzung des Grundgesetzes ändert in kei-
ner Weise etwas an dem tradierten und richtigen So notwendig und hilfreich die vorgeschlagenen
Schutz von Ehe und Familie des Grundgesetzes. Gesetzesänderungen auch sein mögen, so wich tig ist
aber auch die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz
Gleichwohl trägt der Vorschlag der F.D.P. - und gleichgeschlechtlicher Lebenspaare. Diese kann
das muß ein zentrales Anliegen der Politik sein - der durch Gesetze bestenfalls positiv verstärkt werden.
gesamtgesellschaftlichen Entwicklung Rechnung. Im Die rechtliche Gleichstellung homosexueller Frauen
Jahre 1991 gab es in Deutschland rund 1,4 Millionen und Männer ist also ein Signal für ihre gesellschaftli-
nichteheliche Lebensgemeinschaften. Den Wunsch che Integration. Verständnis für den anderen Men-
einer solch beachtlichen Zahl von Bürgerinnen und schen und seine von der gesellschaftlichen Mehr-
Bürgern, eine solche Lebensform zu wählen, darf die heits-Norm abweichende Lebensauffassung kann
Politik nicht ignorieren. Sie muß vielmehr im Rah- nicht verordnet werden. Das erfordert einen gesamt-
men der Möglichkeiten die in der Lebenswirklichkeit gesellschaftlichen Bewußtseinswandel. Dieser muß -
auftretenden Mängel besei tigen. Dazu gehört unter sich entwickeln, und zwar insbesondere durch die
anderem das gegenseitige Besuchsrecht der nicht Erziehung, in der Schule und Jugendarbeit. Dies ist
miteinander verheirateten Partner im Krankheitsfall, ein langwieriger Prozeß, den die F.D.P. im Rahmen
dessen Versagung ich - insbesondere wenn es um le der Möglichkeiten unterstützen und fördern wird.

Das könnte Ihnen auch gefallen