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Plenarprotokoll 13/65

Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

65. Sitzung

Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Inhalt:

Abweichung von den Richtlinien für die DIE GRÜNEN: Fortsetzung der Bun-
Fragestunde, für die Aktuelle Stunde so- deswehrreduzierung und Verzicht auf
wie der Vereinbarung über die Befragung Umstrukturierung der Bundeswehr für
der Bundesregierung in der Sitzungs- weltweite Kampfeinsätze (Drucksache
woche ab 6. November 1995 5563 A 13/499) 5564 C

Zur Geschäftsordnung in Verbindung mit


Dr. Dagmar Enkelmann PDS 5563 B
Zusatztagesordnungspunkt 14:
Joachim Hörster CDU/CSU 5563 D
Beschlußempfehlung und Bericht des
Tagesordnungspunkt 13: Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Abgeordneten der PDS:
a) Abgabe einer Erklärung der Bundes-
Kampfeinsätze der Bundeswehr (Druck-
regierung
sachen 13/136, 13/1880) . . . . . . . 5564 D
40 Jahre Bundeswehr — 5 Jahre Armee
der Einheit Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 5564 D
Rudolf Scharping SPD 5568 C
b) Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Ent- Paul Breuer CDU/CSU 5572 A
wurfs eines Gesetzes zur Änderung Rolf Köhne PDS 5573 C
wehrrechtlicher Vorschriften (Wehr-
rechtsänderungsgesetz) (Drucksachen Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
13/1801, 13/2209, 13/2547, 13/2548) . 5564B NEN 5575 A
Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . 5577 A
in Verbindung mit Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 5577 C
Zusatztagesordnungspunkt 12: Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 5580 C
Antrag der Abgeordneten Andrea Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 5582 C
Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE
Dr. Willibald Jacob und der weiteren GRÜNEN 5584 A-
Abgeordneten der PDS: Abschaffung
Walter Kolbow SPD 5585 D
der Wehrpflicht (Drucksache 13/580) . 5564 C
Rainer Eppelmann CDU/CSU 5588 C
in Verbindung mit Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 5590 D
Zusatztagesordnungspunkt 13:
Günther F ri edrich Nolting F.D.P. . . . 5592 C
Antrag der Abgeordneten Winfried
Dieter Heistermann SPD 5594 C
Nachtwei, Angelika Beer, Christian
Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Paul Breuer CDU/CSU 5595 D
II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Klaus Rose CDU/CSU 5597 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN 5612C
Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 5598A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 5613 C

Dr. Gregor Gysi PDS 5600A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 5614 B

Volker Kröning SPD 5601 D Detlev von Larcher SPD 5614 C

Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . 5603 B Klaus-Jürgen Warnick PDS 5615 D


Gerhard Schulz (Leipzig) CDU/CSU . 5616D
Rolf Köhne PDS 5605 C
Achim Großmann SPD 5618 A
Dr. Uwe-Jens Heuer PDS (Erklärung nach
§ 30 GO) 5606A Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 5620 B
Otto Reschke SPD 5621 D
Tagesordnungspunkt 10:
Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/
a) Zweite und dritte Beratung des von der DIE GRÜNEN 5622 A
Bundesregierung eingebrachen Ent-
Ingrid Matthäus-Maier SPD (Erklärung
wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung
nach § 31 GO) 5622 B
der steuerrechtlichen Wohneigentums-
förderung (Drucksachen 13/2235, 13/
2476, 13/2784, 13/2785) 5607 A Zusatztagesordnungspunkt 15:

b) Beschlußempfehlung und Bericht des Aktuelle Stunde betr. Haltung der


Finanzausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Altschuldenrege-
Abgeordneten Franziska Eichstädt- lung für ostdeutsche Kommunen an-
Bohlig, Christine Scheel, weiterer Ab- gesichts erster Bewertungsergebnisse
geordneter und der Fraktion BÜND- eines Rechtsgutachtens zur Auferle-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Eckwerte für ein gung von Rückzahlungsverpflichtun-
grünes Selbsthilfe-Gesetz für eine so- gen 5623 C
ziale und ökologische Reform der Dr. Christine Lucyga SPD 5623 D
Wohneigentumsförderung
Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 5624 D
zu dem Antrag der Abgeordneten
Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Barbara Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE
Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel und der GRÜNEN 5625 D
Gruppe der PDS: Reformierung der Jürgen Türk F.D.P 5626 D
Wohneigentumsförderung als ein
Bestandteil der Wohnungsbaupolitik Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 5627 C
(Drucksachen 13/2304, 13/2357, 13/2784) 5607 A
Irmgard Karwatzki, Pari. Staatssekretärin
c) Beschlußempfehlung und Bericht des BMF 5628 B
Ausschusses für Raumordnung, Bauwe- Dr. Uwe Küster SPD 5629 A
sen und Städtebau zu dem Antrag der
Abgeordneten Otto Reschke, Achim Dr. Michael Luther CDU/CSU 5630 B
Großmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD: Neugestaltung Gunter Weißgerber SPD 5631 A
der Wohneigentumsförderung Susanne Jaffke CDU/CSU 5631 D
zu dem Antrag der Abgeordneten Die- Dr. Mathias Schubert SPD 5632 D
ter Maaß (Herne), Achim Großmann,
weiterer Abgeordneter und der Frak- Arnulf Kriedner CDU/CSU 5633 B
tion der SPD: Wohnungsbaugenossen- Ingrid Matthäus-Maier SPD 5634 B
schaften stärken - Mitglieder steuer-
lich fördern (Drucksachen 13/1501,
13/1644, 13/2771) 5607 B Zusatztagesordnungspunkt 16:

Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär Erste Beratung des von den Fraktionen
BMF 5607 C der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach-
ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Otto Reschke SPD 5608 D Änderung des Asylbewerberleistungs-
gesetzes und anderer Gesetze (Druck-
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 5610 C sache 13/2746) 5635 B
Klaus-Jürgen Warnick PDS 5611B Ulf Fink CDU/CSU 5635 C
Dr. Barbara Höll PDS 5611 D Brigitte Lange SPD 5636 C
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 III

Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Anlage 1


GRÜNEN 5638 A
Liste der entschuldigten Abgeordneten 564 1 * A
Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. .. 5639A

Dr. Heidi Knake-Werner PDS 5640 A


Anlage 2

Nächste Sitzung 5640 D Amtliche Mitteilungen 564 1 * C


Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5563

65. Sitzung

Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und gerade weil das Gesetz so wichtig ist, ist es notwen-
Herren, die Sitzung ist eröffnet. dig, gründlich zu beraten. Erst am Mittwochabend
zwischen 22 Uhr und 23 Uhr fanden mehr als
Ich teile zunächst mit, daß der Ältestenrat in seiner
50 Einzelabstimmungen und die Schlußabstimmung
gestrigen Sitzung vereinbart hat, daß in der kom-
im federführenden Ausschuß statt. Über 20 Ände-
menden Sitzungswoche wegen der Haushaltsbera-
rungen am Regierungsentwurf wurden vorgenom-
tungen keine Befragung der Bundesregierung, keine
men. Ich denke, das zeugt eher von Schludrigkeit
Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfin-
beim Einbringen des Gesetzes.
den. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann werden wir so verfahren. Ein wichtiger Vorschlag - wichtig vor allen Dingen
für die Betroffenen -, wie die Einbeziehung der
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen
Haus- und Grundstückskäufe nach dem Sachen-
wir über Geschäftsordnungsanträge abstimmen.
rechtsbereinigungsgesetz, wurde mit der Begrün-
Zwischen den Fraktionen und der Gruppe der PDS
dung abgelehnt, daß die Zeit für die Beratung fehle.
war vereinbart, den Tagesordnungspunkt 10 - zweite
Der Gipfel allerdings ist die Formulierung eines
und dritte Beratung des von der Bundesregierung
Ermächtigungsparagraphen, wonach das Finanzmi-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege-
nisterium nach der Verabschiedung des Gesetzes im
lung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförde-
Bundestag noch beliebig am Gesetz herumarbeiten
rung - heute nach der Debatte über die Bundeswehr
darf. Da muß man sich schon fragen: Wer ist denn
zu beraten, obwohl die Beschlußempfehlung des Fi-
hier nun eigentlich der Gesetzgeber?
nanzausschusses erst gestern abend verteilt wurde.
Die Gruppe der PDS hat nun gestern nachmittag ihre Gravierende Fehler, wie sie u. a. beim Mietenüber-
Zustimmung zu dieser Vereinbarung zurückgezogen leitungsgesetz passiert sind, also bei der Frage, ob
und die Absetzung des Tagesordnungspunktes bean- nun Mietsteigerungen möglich sind und ob das bei
tragt. Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. dem Vorhandensein von Bad und/oder Zentralhei-
haben fristgerecht einen Antrag eingereicht, von der zung möglich ist, sind so eigentlich vorprogrammiert.
Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen. Die Folgen solcher Fehler in mit heißer Nadel ge-
strickten Gesetzen sind, daß Tausende von Gerichts-
Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? -
verfahren gegen Mieterinnen und Mieter in den
Frau Enkelmann.
neuen Bundesländern stattfinden.

Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Frau Präsidentin! Das Gesetz soll am 1. Januar 1996 in Kraft treten.
Meine Damen und Herren! Gerade weil wir der Auf- Eine Vertagung heute auf die nächste Sitzungs-
fassung sind, daß dieses Gesetz so wichtig ist, haben woche würde diesen Termin nicht gefährden. Ich
wir zunächst Fristverzicht erklärt, und zwar vor der denke, wir tragen als Gesetzgeber durchaus Verant-
abschließenden Beratung in den betreffenden Aus- wortung. Wir, die Abgeordneten des Bundestages,
schüssen. In dieser Nacht, um 0.30 Uhr, ist dieses Pa- sind kein politisches Kasperletheater, bei dem die
ket auf den Tischen der Fraktionen und der Gruppe Bundesregierung mit den Figuren spielt. Stimmen
gelandet. Es kann keiner - ich denke: wirklich kei- Sie deshalb mit mir einer Vertagung zu.
ner - hier sagen, daß es ausreichend in den Fraktio- (Beifall bei der PDS)
nen und in der Gruppe beraten werden konnte.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Hör-
CSU) ster.
Es war nicht mehr möglich, Änderungsanträge, Ent-
schließungsanträge usw. in der Gruppe bzw. in den Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Fraktionen ausreichend zu beraten. Deswegen ha- Meine Damen und Herren! Die Geschäftsführerkolle-
ben wir den Fristverzicht zurückgezogen. Ich denke, gen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
5564 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Joachim Hörster
haben mich gebeten, für uns alle dafür zu plädieren, bb) Be richt des Haushaltsausschusses
den Antrag der PDS abzulehnen. (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge-
schäftsordnung
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
- Drucksache 13/2548 -
Wir hatten in voller Kenntnis des Beratungsstandes
vereinbart, dieses Gesetz heute zu verabschieden. Berichterstattung:
Die Beratungsdauer hatte lediglich den Hintergrund, Abgeordnete Diet ri ch Austermann
daß man dieses Gesetz auch bis in die letzten Ver- Jürgen Koppelin
ästelungen gründlich beraten wollte. Daß noch zu- Ernst Kastning
sätzliche Änderungsanträge aufgesetzt wurden, Frau Oswald Metzger
Enkelmann, beruhte auf der Tatsache, daß das Bun-
ZP12 Beratung des Antrags der Abgeordneten An-
desfinanzministerium in wesentlichen Teilen Formu-
drea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel,
lierungshilfen geleistet hat, um Wünsche zu erfüllen,
Dr. Willibald Jacob und der weiteren Abgeord-
die im Ausschuß mit dem Ziel vorgetragen worden
neten der PDS
sind, das Gesetz noch besser und exakter zu machen.
Abschaffung der Wehrpflicht
Aus diesem Grunde ist Ihr Antrag, die Beratung
heute abzusetzen, nichts anderes als Obstruktion. - Drucksache 13/580 —
Denn wenn es Ihnen um die Sache gegangen wäre, Überweisungsvorschlag:
hätten Sie diesen Gedanken sehr viel früher haben Verteidigungsausschuß (federführend)
können. Der Beratungsstand war hinreichend klar. Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Antrag
der PDS abzulehnen. ZP13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Win-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fried Nachtwei, Angelika Beer, Ch ri stian Ster-
zing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es gibt keine weite-
ren Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstim- Fortsetzung der Bundeswehrreduzierung und
mung. Verzicht auf Umstrukturierung der Bundes-
wehr für weltweite Kampfeinsätze
Zunächst stimmen wir über den Absetzungsantrag
der PDS ab. Wer stimmt dafür, den Tagesordnungs- - Drucksache 13/2499 —
punkt 10 abzusetzen? - Wer stimmt dagegen? - Ent- Überweisungsvorschlag:
haltungen? - Damit ist der Absetzungsantrag mit den Verteidigungsausschuß (federführend)
Auswärtiger Ausschuß
Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und des Rechtsausschuß
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der ZP14 Beratung der Beschlußempfehlung und des
CDU/CSU und der F.D.P., von der F rist für den Be- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-
ginn der Beratung abzuweichen und den Gesetzent- schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten der
wurf heute in zweiter und dritter Beratung zu behan- PDS
deln? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Kampfeinsätze der Bundeswehr
Antrag ist mit der erforderlichen Mehrheit angenom- - Drucksachen 13/136, 13/1880 -
men. Der Tagesordnungspunkt 10 wird nach der
Aussprache zur Bundeswehr aufgerufen. Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Lamers
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13a und b so- Karsten D. Voigt (Frankfurt)
wie die Zusatzpunkte 12 bis 14 auf: Ludger Volmer
Ulrich Irmer
13. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- Andrea Lederer
rung 40 Jahre Bundeswehr - 5 Jahre Ar-
mee der Einheit Zum Wehrrechtsänderungsgesetz liegen ein Ände-
rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
b) Zweite und dritte Beratung des von der F.D.P., ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs und ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜND-
eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtli- NIS 90/DIE GRÜNEN vor.
cher Vorschriften (Wehrrechtsänderungs-
gesetz) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die
- Drucksachen 13/1801, 13/2209 - Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen.
(Erste Beratung 47. Sitzung) Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung
Verteidigungsausschusses hat der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
(12. Ausschuß)
- Drucksache 13/2547 - Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Frau Präsidentin!
Berichterstattung: Meine Damen und Herren! Wir danken heute der
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Bundeswehr für ihre Leistungen im Dienste unserer
Dieter Heistermann freiheitlichen Demokratie. Die Bundeswehr ist jetzt
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5565
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
40 Jahre alt. Seit fünf Jahren dient sie als Armee der vier Einsichten leiten, die untrennbar zusammenge-
Einheit. Unser Dank und unsere Anerkennung gel- hörten:
ten ihr für den Beitrag, den sie in dieser Zeit für Frie-
den und Freiheit geleistet hat. Ich spreche diesen Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland konnte
Dank im Namen vieler Mitbürger und Mitbürgerin- Freiheit und Sicherheit nicht aus eigener Kraft erhal-
nen aus. ten und fördern; sie brauchte den Schutz anderer, al-
len voran der Vereinigten Staaten von Amerika.
(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und
der SPD) Zweitens. Um die Souveränität der Bundesrepu-
Wir haben uns in diesem Jahr aus gutem Grund in blik Deutschland zu gewinnen, war ein aktiver Bei-
vielen Diskussionen und auch in nachdenklichen Ge- trag zur Verteidigung des Westens notwendig.
sprächen an das Ende des Zweiten Weltkriegs erin-
nert. Die Bundesrepublik Deutschland hat seither - Drittens. Sicherheit für Deutschland und Sicherheit
gemeinsam mit ihren Freunden und Pa rtnern in Eu- vor Deutschland - wie unsere Nachbarn es damals
ropa und in Nordamerika - einen guten, einen erfolg- sahen -, dieser scheinbare Gegensatz der Nach-
reichen Weg zurückgelegt. Und wir erinnern uns kriegspolitik konnte nur durch eine konsequente
dankbar an die große Aufbauleistung in den vergan- Politik der Westintegration gelöst werden.
genen 50 Jahren.
Ein zusammenwachsendes, friedliches, stabiles
Seit fünf Jahren ist Deutschland wiede rvereinigt. und prospe rierendes Westeuropa würde dann vier-
Wir haben allen Grund zur Zuversicht, daß Friede tens auch eine Anziehungs- und Ausstrahlungskraft
und Freiheit unserem Volk erhalten bleiben, wenn entfalten, die die Einheit ganz Europas und die Wie-
wir den Willen haben, unsere Freiheit zu verteidigen. dervereinigung Deutschlands begünstigen müßte.
Frieden und Freiheit bedingen einander; sie sind un-
lösbar miteinander verbunden. Die Integration war fortan Ziel und Gestaltungs-
prinzip deutscher Außen-, Sicherheits- und Verteidi-
Vor 50 Jahren begann die längste Friedensperiode gungspolitik. Integration sollte Europa Frieden und
der neueren deutschen Geschichte. Die Bundeswehr Freiheit sowie Deutschland die Einheit bringen. Der
hatte und hat ihren eigenen, ganz wesentlichen An- Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO
teil an dieser Entwicklung. Ohne die Entscheidung
am 5. Mai 1955 und die Aufstellung der Bundeswehr
der Bundesrepublik Deutschland für die politische
nur zehn Jahre nach Kriegsende waren ein histori-
und militärische Integration in die westliche Ge-
scher Schritt. Heute wissen wir: Es war der richtige
meinschaft wäre all dies nicht denkbar gewesen. Wir
Schritt. Die Geschichte hat Konrad Adenauer recht
können stolz sein auf unsere Bundeswehr. Ihre Ein-
gegeben.
satzbereitschaft und ihr Ausbildungsstand finden
hohe internationale Anerkennung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so
wie bei Abgeordneten der SPD) Am 12. November 1955 händigte der erste Bundes-
minister der Verteidigung, Theodor Blank, den er-
Die Bundeswehr ist die erste Wehrpflichtarmee ei- sten freiwilligen Soldaten der neuen Streitkräfte der
ner Demokratie in Deutschland. Ihr Leitbild ist der Bundesrepublik Deutschland hier in Bonn ihre Er-
Bürger in Uniform. Persönliche Freiheit, Menschen- nennungsurkunden aus.
würde und Recht sind die Fundamente ihrer inneren
Verfassung; sie bestimmen ihren Auftrag seit ihrer Gewaltige Schwierigkeiten waren zu überwinden.
Gründung. Sie wurden rasch gemeistert. Insbesondere unter der
Die Bundeswehr war Teil eines fundamentalen tatkräftigen Führung von Franz Josef Strauß wurden
Neuanfangs - politisch und moralisch. Ihr Selbstver- der Aufbau und die Struktur der Bundeswehr in den
ständnis und ihre Tradition sind ganz wesentlich ersten Jahren entscheidend vorangebracht.
von den freiheitlichen Werten der deutschen Mili-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
tärgeschichte geprägt, wie sie sich etwa mit Namen
Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Na! - Wei-
von Reformern wie Schamhorst verbinden. Der
tere Zurufe von der SPD und dem BÜND-
Geist des deutschen Widerstands gegen die natio-
NIS 90/DIE GRÜNEN)
nalsozialistische Diktatur gehört ebenso zum ethi-
schen Fundament, auf dem die Bundeswehr seit ih- - Sie werden doch wenigstens zugeben, daß Sie
rer Gründung aufbaut. Ich nenne hier aus gutem heute hier nicht die Geschichte umschreiben kön-
Grund vor allem die Männer und Frauen des nen; das ist es doch, was Sie wollen. -
20. Juli 1944.
(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und (Joseph Fischer [Frankfurt] [BUNDNIS 90/
der SPD) DIE GRÜNEN]: Nein, nein, wir wollten sie
ergänzen!)
Als im Jahr 1950 erste Überlegungen zu einem
möglichen Beitrag Deutschlands zur Verteidigung - Warten Sie doch erst einmal ab, was jetzt kommt!
Westeuropas angestellt wurden, stand die deutsche Dann haben Sie gleich Grund zum Klatschen.
Politik noch ganz im Banne der Katastrophe, die der
Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg verur- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
sacht hatten. Damals ließ sich Konrad Adenauer von DIE GRÜNEN]: Starfighter! HS 30!)
5566 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl


- Sie waren nicht dabei. Sie waren in jenen Jahren 3. Oktober 1990 - ich finde, dies ist etwas, was alle
auf Straßen und Plätzen und haben gegen die Frei- zur Kenntnis nehmen sollten - hat sich am Beispiel
heit der Bundesrepublik Deutschland demonstriert. der Bundeswehr gezeigt, was erreichbar ist, wenn
Deutsche aus Ost und West aufeinander zugehen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.- und sich mit Tatkraft und mit Offenheit im Umgang
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ miteinander einer gemeinsamen Aufgabe widmen.
DIE GRÜNEN]: Es waren auch viele bei Ih Es waren große Anstrengungen nötig, um die Natio-
nen nicht dabei, mein Lieber!) nale Volksarmee aufzulösen, ihre Einrichtungen und
Leute Ihres Schlages haben gestern und heute kei- Geräte zu übernehmen und zugleich die Bundes-
nen Beitrag zur Freiheit geleistet wehr in den neuen Ländern aufzubauen.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Noch wichtiger als diese Entscheidungen im mehr
DIE GRÜNEN]: Wer hier einen Schlag technischen Bereich war es, die Aufgabe zu lösen,
hat ... Sie haben völlig recht!) das menschliche Miteinander zu gestalten. Die Bun-
deswehr hat Streitkräfte zusammengeführt, die ein-
und werden dies sicherlich auch morgen nicht tun. mal verschiedenen Bündnissystemen angehört ha-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ben. Die Integration von 11 000 ehemaligen Soldaten
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ der NVA in die Bundeswehr ist eine Leistung, die
DIE GRÜNEN]: In der ersten Klasse waren historisch wohl einmalig ist; ich sage dies voller Re-
wir schon dagegen! 1950!) spekt.

- Herr Abgeordneter, das paßt heute gut: Sie sind (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so-
und bleiben ein Trittbrettfahrer der Geschichte, aber wie bei Abgeordneten der SPD)
kein Gestalter.
Die Bundeswehr muß sich heute auf vielfältige
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - neue Aufgaben einstellen. Dies erfordert eine Um-
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gliederung, die sich zum Teil sehr schwierig gestal-
DIE GRÜNEN]: Besser Trittbrett als Brett tet. Ich finde, daß auch diese Anstrengung in der Öf-
vor dem Kopf! Das sage ich Ihnen!) fentlichkeit viel zu wenig gewürdigt wird. Denken
wir an die Widerstände, auf die der notwendige
Aber auch alle Nachfolger von Franz Josef Strauß Strukturwandel in anderen Bereichen unserer Ge-
im Amt des Verteidigungsministers ich denke,
-
sellschaft stößt, so ist die Bereitschaft der Soldaten
Frau Kollegin, jetzt werden Sie zufrieden sein -, Kai der Bundeswehr zum Umdenken alles andere als
Uwe von Hassel, Gerhard Schröder, Helmut Schmidt, selbstverständlich.
Georg Leber - ihn nenne ich mit besonderer Sympa-
thie -, Hans Apel, Manfred Wörner, Rupert Scholz Es ist im übrigen schon bemerkenswert - auch das
und Gerhard Stoltenberg, haben einen entscheiden- gehört in diese Stunde -, daß gerade jetzt in vielen
den Beitrag dazu geleistet, daß die Bundeswehr das Standorten in der Bundesrepublik Deutschland der
wurde, was sie heute ist. Wir schulden allen herzli- Wirtschaftsfaktor Bundeswehr neu entdeckt wird.
chen Dank. Ich kann mich noch gut an die vielen Proteste gegen
Manöverschäden und vieles andere mehr erinnern.
(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und Diese neue Wertschätzung tut der Bundeswehr gut,
der SPD) übrigens auch den alliierten Streitkräften.
Meine Damen und Herren, mehr als acht Millionen
Männer und Frauen haben in den vergangenen vier Jahrelang konnte ich beispielsweise in meiner Hei-
Jahrzehnten in der Bundeswehr ihren Beitrag zur Si- mat die törichte Parole „Ami go home" an den Wän-
cherung des Friedens und der Freiheit geleistet. den lesen. Jetzt schreiben mir zum Teil die gleichen
Dazu gehören auch bereits über 200 000 Wehrpflich- Bürgermeister, die damals für diese Parole einstan-
tige aus den neuen Bundesländern, die in den letz- den, erbitterte B ri efe und fordern den Verbleib unse-
ten fünf Jahren ihren Dienst getan haben. rer Freunde und Partner. So ändern sich die Zeiten.
Auch das gehört zum Bild der Gegenwart.
Wenn ich die Leistungen der Angehörigen unserer
Bundeswehr anspreche, dann will ich in diesen Dank (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
ganz ausdrücklich deren Ehepartner und Kinder ein-
Meine Damen und Herren, die existenzielle Bedro-
beziehen. Ihnen wurden und werden oft große per- hung unseres Landes ist nach dem Ende von Ost-
sönliche Opfer bei der Gestaltung des gemeinsamen West-Konflikt und Kaltem Krieg verschwunden. Die
Lebensweges zugemutet. Auch dies verdient unse- internationale Lage hat sich in den letzten Jahren -
ren besonderen Respekt und unsere besondere Aner- grundlegend, ja dramatisch verändert. Die interna-
kennung. tionale Verantwortung Deutschlands ist nach der
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Wiedervereinigung gewachsen.
wie bei Abgeordneten der SPD)
Deutschland braucht auch weiterhin Streitkräfte,
Meine Damen und Herren, unsere Streitkräfte ha- die zur Landesverteidigung befähigt bleiben. Sie
ben im Einigungsprozeß Außergewöhnliches gelei- müssen aber auch im Bündnisrahmen zur Krisen-
stet: im Zusammenführen der Sold aten und im Be- reaktion fähig sein und schließlich für die Völkerge-
reich des sich neu entwickelnden Zusammenlebens meinschaft zur Verfügung stehen, wenn unsere Hilfe
ebenso wie in der militärischen Integration. Seit dem geboten erscheint.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5567
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Schon in der Vergangenheit - auch das gehört zur deure dieses Korps abwechseln und damit bedeu-
Geschichte der letzten 40 Jahre - hat sich die Bun- tende Teile der Streitkräfte der jeweils anderen Na-
deswehr in zahllosen Hilfseinsätzen und in neuen tion befehligen werden. Vor 40, vor 30 oder noch vor
Einsätzen im Rahmen internationaler Friedensmissio- 20 Jahren hätten wir dies gemeinsam für unmöglich
nen vielfach bewährt. Auf diese Tradition des Hel erachtet. Daß das nicht mehr unmöglich ist, ist eine
fens kann die Bundeswehr in einer besonderen großartige Entwicklung, für die wir dankbar sind.
Weise stolz sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so-
So hat sie bei Sturmfluten, Schneekatastrophen, wie bei Abgeordneten der SPD)
Waldbränden, Hungersnöten, Erdbebenkatastro-
phen und Überschwemmungen vielen Menschen Wie weit wir in Europa dabei fortgeschritten sind,
Hilfe leisten können. Ich erinnere vor allem an die verdeutlicht auch die enge deutsch französische Zu-
-

Hilfsaktion während der Sturmflut im Februar 1962 sammenarbeit im Eurokorps, vor allem aber in der
in der Küstenregion zwischen Hamburg und Bremen, deutsch-französischen Brigade. Ein weiteres Beispiel
bei der rund 40 000 Soldaten der Bundeswehr im Ein- für die sich immer noch weiterentwickelnde militäri-
satz waren. Unvergessen bleibt, wie damals die Bun- sche Zusammenarbeit im Bündnis ist die verstärkte
deswehr den Menschen in Not Beistand geleistet hat. deutsch amerikanische Integration auf Korpsebene.
-

Mit all diesen nicht mehr rein national besetzten Stä-


(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und ben und Verbänden bringen wir gemeinsam mit un-
der SPD) seren Partnern im Bündnis unseren festen Willen
Zugleich unterstützt unsere Bundeswehr die Ver- zum Ausdruck, uns den sicherheitspolitischen Her-
einten Nationen dabei, deren Aufgaben bei der Frie- ausforderungen unserer Zeit zu stellen.
denssicherung zu erfüllen. Wesentlich ist, daß wir Vor allem die Vereinigung wichtiger Teile der
unseren Bündnispartnern zur Seite stehen, wenn es deutschen Streitkräfte mit Einheiten europäischer
darauf ankommt, bedrängten Menschen zu helfen Verbündeter weist weit in die Zukunft. Sie dient dem
und dem Frieden zu dienen, so wie unsere Verbün- Ausbau der europäischen Verteidigungs und Si- -

deten über vier Jahrzehnte für uns und unsere Si- cherheitsidentität, und sie stärkt zugleich den euro-
cherheit und nicht zuletzt für die Freiheit Berlins ein- päischen Pfeiler in der Atlantischen Allianz.
standen.
Die enge Zusammenarbeit der Bundeswehr mit
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so
Truppenteilen anderer Bündnispartner in gemeinsa-
wie bei Abgeordneten der SPD)
men Verbänden ist für die Männer und Frauen, die
Die Soldaten unserer Partner zeigen im früheren hier zusammenarbeiten, zugleich, wie ich denke,
Jugoslawien, was Solidarität bedeutet. Stellvertre- eine gute Chance der Begegnung. Hier können sich
tend für sie alle nenne ich die Vereinigten Staaten Freundschaften zwischen Angehörigen verschiede-
von Amerika, Frankreich, Großbritannien, die Nie- ner Nationen im Alltag bewähren. Man hat die
derlande und Belgien. Das gilt auch für unsere italie- Chance, sich besser kennenzulernen.
nischen Freunde, die auf ihrem eigenen Territorium
einen wichtigen Beitrag leisten. Zugleich leistet die Bundeswehr im Rahmen der
Partnerschaft für den Frieden einen aktiven Beitrag
Vor wenigen Monaten haben Bundesregierung zur Heranführung der Staaten Mittel-, Ost- und Süd-
und Bundestag den Einsatz von Bundeswehreinhei- osteuropas an die Strukturen der Atlantischen Alli-
ten zum Schutz und zur Unterstützung der schnellen anz. Die jüngsten gemeinsamen Manöver beispiels-
Eingreiftruppe im früheren Jugoslawien beschlos- weise in Polen sind ein deutlicher Ausdruck für den
sen. Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen dort Geist der Verständigung und Zusammenarbeit, der
eine Pflicht, die das vereinte Deutschland im Rahmen diese Länder mit der NATO verbindet. In diesem Zu-
der Völkergemeinschaft wahrnimmt. Sie leisten da- sammenhang begrüße ich ausdrücklich auch die Pa-
mit einen Dienst für uns alle, vor allem jedoch für die ten- und Partnerschaften zwischen grenznahen deut-
ganz unmittelbar Betroffenen, für die leidenden schen Garnisonen und polnischen und tschechischen
Menschen in dieser Region. Einheiten.
Wir hoffen zuversichtlich, daß die sich jetzt bie- Meine Damen und Herren, wer als Soldat durch
tende Chance zum Frieden genutzt wird. Mit dem Gelöbnis oder Eid bekundet, unserer Bundesrepu-
Kabinettsbeschluß vom Dienstag dieser Woche zur blik Deutschland treu zu dienen und das Recht und
Unterstützung der multinationalen Friedenstruppe die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidi-
bei der Umsetzung einer künftigen Friedensverein- gen, der hat Anspruch auf die Unterstützung aller
barung wollen wir dazu unseren Beitrag leisten. gesellschaftlichen Kräfte. Er hat Anspruch auf die -
Unterstützung des ganzen Volkes.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
stehen heute vor vielfältigen sicherheitspolitischen (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und
Herausforderungen. Diese können wir nur gemein- der SPD)
sam mit unseren Partnern und Freunden bewältigen.
Jüngstes Beispiel ist die Gründung des Deutsch Nie- - Denn von ihm wird erwartet, daß er in letzter Konse-
derländischen Korps vor gerade zwei Monaten. Wel- quenz bereit ist, Gefahren für Leib und Leben in
chen Weg wir in diesen Jahrzehnten zurückgelegt Kauf zu nehmen. Gerade in diesen Tagen denken wir
haben, veranschaulicht u. a. die Tatsache, daß deut- in Trauer an jene Soldaten, die in Ausübung ihres
sche und niederländische Offiziere sich als Komman- dienstlichen Auftrags ihr Leben verloren haben.
5568 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl


Wir sollten niemals vergessen: Es ist die junge Ge- schaft und fähigkeit verbürgen. Nur so können wir
-

neration unseres Landes, die in der Bundeswehr ih- Frieden und Freiheit gemeinsam mit unseren Freun-
ren Dienst tut. Aus der Sicht meiner Generation kann den und Partnern sichern und garantieren.
ich sagen: Es ist die Armee unserer Söhne. Als ver-
Wir können uns - ich glaube, das ist ein wichtiges
antwortungsbewußte und engagierte Mitbürger stel-
Bekenntnis von uns allen - auf diese Bundeswehr
len sie sich für uns alle in eine besondere Pflicht.
verlassen, eine Armee des Friedens, unsere Armee,
Wehrpflicht ist und bleibt Ausdruck der Bürgerver- auf die wir stolz sein können.
antwortung in einer freiheitlichen-demokratischen
Grundordnung. Meine Damen und Herren, der (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
der F.D.P. - Beifall bei der SPD)
Wehrdienst ist die vom Grundgesetz vorgesehene
Normalität.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping.
Die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissens-
gründen ist die Ausnahme. Ich sage das so bewußt, Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine
weil es manche im Lande gibt, die dies andersherum Damen und Herren! 40 Jahre Bundeswehr sind An-
haben möchten. laß zum Dank, zum Dank an jene 8 Millionen Frauen
Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. Es gehört, wie und Männer, die in der Bundeswehr seit ihrer Grün-
ich denke, zum Erziehungsauftrag unserer Bildungs- dung Dienst dafür geleistet haben, daß sich dieses
einrichtungen, an diese einfache Wahrheit immer Land friedlich und freiheitlich entwickeln konnte.
wieder zu erinnern. Überall kann davon mehr die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
Rede sein. F.D.P.)
Ich füge ganz ausdrücklich hinzu: Ich habe großen 40 Jahre Bundeswehr sind auch Anlaß zur Aner-
Respekt vor denen, die Ersatzdienst leisten. Diejeni- kennung, sowohl für die politischen Leistungen, die
gen, die ihren Dienst in Krankenhäusern, auf Inten- mit ihrem Aufbau verbunden sind, wie auch für den
sivstationen oder in Pflegeeinrichtungen für enormen Beitrag, den die Bundeswehr gemeinsam
Schwerstbehinderte tun, verdienen ebenfalls unsere mit unseren Freunden und Verbündeten für die Si-
Anerkennung. cherheit dieses Landes geleistet hat.
(Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der SPD)
Gleichwohl wiederhole ich: Der Wehrdienst ist der 40 Jahre Bundeswehr sind auch Anlaß zu einer kri-
vom Grundgesetz, unserer Verfassung, vorgesehene tischen Bilanz. In diesem Sinne war es nach den Er-
Regelfall. fahrungen der deutschen Geschichte nicht selbstver-
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich ständlich, daß eine demokratieverträgliche, besser
wünsche mir für diese Wochen der Erinnerung an gesagt: eine demokratieunterstützende Institution
40 Jahre Bundeswehr, daß möglichst viele in unse- mit der Bundeswehr gefunden werden konnte. Im
rem Land darüber nachdenken, welchen Weg wir in Unterschied zu früheren Epochen wurde mit der mili-
diesen vier Jahrzehnten genommen hätten, wenn die taristischen Tradition durch den Aufbau der Bundes-
Soldaten der Bundeswehr ihre Pflicht nicht erfüllt wehr gebrochen und die geschichtliche Hypothek
hätten. aus der Nazizeit in eine angemessene Wehr- und
Verteidigungspolitik umgesetzt.
Konrad Adenauer hat anläßlich seines Appells vor
den Soldaten der im Aufbau begriffenen Bundes- Mit ihrem verteidigungspolitischen Auftrag und
wehr am 20. Januar 1956 in Andernach gesagt - ich mit ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung, dem
zitiere -: Konzept der Inneren Führung und dem Leitbild des
Staatsbürgers in Uniform wurde der Bundeswehr ein
Das deutsche Volk sieht in Ihnen die lebendige Fundament gegeben, das einer Demokratie ange-
Verkörperung seines Willens, seinen Teil beizu- messen ist.
tragen zur Verteidigung der Gemeinschaft freier
Völker, der wir heute wieder mit gleichen Rech- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
ten und Pflichten wie die anderen angehören. ten der F.D.P.)
Dieser unser Beitrag und die enge Zusammenar- Nicht nur der Primat der Politik, auch die Konzep-
beit .mit unseren Verbündeten ... bedeuten für tion der Streitkräfte als Wehrpflichtarmee haben zur
uns mehr als eine vertragliche Verpflichtung; sie gesellschaftlichen Offenheit und zur demokratischen -
sind uns eine Herzenssache. Verankerung der Bundeswehr entscheidend beige-
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr - in tragen.
Heer, Luftwaffe und Marine - haben ihren Einsatz- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
willen und ihre Leistungsfähigkeit in den letzten ten der F.D.P.)
40 Jahren immer wieder eindrucksvoll unter Beweis
gestellt. Das persönliche Engagement aller Bundes- Deshalb ist auch der Dienst jener acht Millionen
wehrangehörigen der Männer und der Frauen, der
- Frauen und Männer in den Streitkräften oder in der
Wehrpflichtigen, der Zeit- und Berufssoldaten, der Bundeswehrverwaltung wichtig für eine zivile Kul-
Reservisten, der Beamten und der Arbeitnehmer - tur der Bundeswehr und zugleich eine entschei-
wird auch in Zukunft die notwendige Einsatzbereit dende Basis ihrer Legitimation. Aus diesem Grund
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5569
Rudolf Scharping
betonen wir auch für die Zukunft die Notwendigkeit, Es ist für die Sozialdemokraten aber auch wichtig,
an der Wehrpflicht festzuhalten. darauf hinzuweisen, daß die Bundeswehr einen Bei-
trag zur Überwindung der kulturellen Spaltung lei-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne stet. Georg Leber hat bei der Festsitzung des Vertei-
ten der CDU/CSU und der F.D.P.) digungsausschusses zu Recht auf die Bedeutung der
Die große Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert die Wehrpflicht auch für die innere Einheit unseres Lan-
Bundeswehr als ein notwendiges Instrument zur des hingewiesen und darauf, daß der gemeinsame
Wahrung unserer äußeren Sicherheit. Wenn man Dienst von jungen Menschen aus den neuen und den
über die historischen Weichenstellungen in der Ge- alten Bundesländern Verständigung miteinander
schichte der Bundeswehr und der Bundesrepublik und Verständnis füreinander fördert.
Deutschland redet, dann darf man die glücklichen Meine Damen und Herren, gerade weil die Bun-
Umstände deutscher Außen- und Sicherheitspolitik deswehr in den 40 Jahren ihrer Existenz einen aner-
nicht unerwähnt lassen. Die Aufnahme der Bundes- kannten Platz in unserem demokratischen Rechts-
republik Deutschland in die Gemeinschaft der westli- staat gefunden hat, gerade weil sie auf eine freiheitli-
chen Demokratien, die Westintegration der Bundes- che demokratische Verfassung gründet, konnte sie
republik, bildete nicht nur einen stabilen äußeren auch einen guten Beitrag zur Fähigkeit unseres Lan-
Rahmen für die Entwicklung einer demokratischen des, sich zu verteidigen, und zur Sicherheit unseres
Gesellschaft, sondern sie hat gleichzeitig entschei- Landes, zur Integration in der NATO und zur Frie-
dend den Aufbau und die Ausrichtung der Bundes- denssicherung leisten. Das ist, allen anderen aktuel-
wehr geprägt als eine Armee im Bündnis. len Debatten und Meinungsverschiedenheiten zum
Trotz, eine beispielhafte Leistung.
Deshalb betonen wir: Die militärische Einbindung
der Bundesrepublik Deutschland in die NATO war (Beifall bei der SPD)
und bleibt wesentlicher Bestandteil unserer Außen-
politik, war wesentlicher Bestandteil der Aussöh- Die Sozialdemokratie hatte nicht immer - das will
nung und ist jetzt ein festes Fundament dafür, daß ich genauso offen ansprechen - ein in der Politik hier
aus Partnern auch Freunde geworden sind, zwischen und da zwischen Regierung und Opposition umstrit-
denen Krieg nicht mehr denkbar ist. tenes, aber in den Grundsätzen so ungebrochenes
Verhältnis zu Streitkräften. Das hat mit dem Charak-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ter der bewaffneten Macht im Kaiserreich und der
ten der CDU/CSU und der F.D.P.) tradierten Rolle der Streitkräfte bis hinein in die Wei-
marer Republik zu tun, das hat zu tun mit der Be-
In diesen Rückblick auf 40 Jahre Bundeswehr fürchtung, die damals zu Recht bestand, daß Streit-
schließen wir ausdrücklich die Würdigung der Arbeit kräfte im Innern eingesetzt und zugunsten autoritä-
der Bundeswehr bei der Gestaltung einer gesamt- rer Kräfte mißbraucht werden könnten. Gleichwohl
deutschen Streitmacht ein. Seit dem 3. Oktober 1990 war die Sozialdemokratie nie eine pazifistische Par-
hat die Bundeswehr etwa 10 000 ehemalige Soldaten tei, sondern sie hat auch schon in der ersten Republik
der NVA integriert. Das ist eine große Leistung, ihre Unterstützung von Streitkräften von der Exi-
wenn man berücksichtigt, daß auch 200 000 Wehr- stenz eines kollektiven Sicherheitssystems und der
pflichtige aus den östlichen Bundesländern mittler- Demokratisierung und Demokratieverträglichkeit
weile Dienst in der Bundeswehr getan haben. der damaligen Wehrmacht abhängig gemacht,
Wenn wir heute also von einer gesamtdeutschen (Beifall bei der SPD)
Bundeswehr sprechen können, dann verbergen sich
dahinter enorme Anpassungsleistungen, große An- Bedingungen, die leider nicht erfüllt waren.
strengungen, Einsatzbereitschaft und auch Füh-
rungsfähigkeit. Man darf dabei nicht vergessen, daß Vor dem Hintergrund des rassistischen Vernich-
tungskrieges der Nationalsozialisten und der tiefen
die Bundeswehr in ihrer gesamtdeutschen Dimen-
sion aus einem tiefgreifenden Umstrukturierungspro- Spaltung Deutschlands nach 1945 hat die SPD am
zeß hervorgegangen ist. Die Streitkräfte wurden von Beginn der zweiten Republik gegen die Wiederbe-
waffnung gerungen. Das war aber, sorgfältig be-
etwa 600 000 auf 370 000 Soldaten reduziert, die zivi-
len Mitarbeiter von 230 000 auf etwa 160 000. In nur trachtet, eine Ablehnung, die nie aus pazifistischer
vier Jahren wurden zudem 200 Standorte in den Verweigerung herrührte, sondern den internationa-
westlichen Bundesländern geschlossen, in den östli- len Handlungsbedingungen geschuldet war. Denn
chen Bundsländern 2 300 Standorte der NVA über- schon 1952 hat die Sozialdemokratie formuliert, daß
nommen und weitgehend aufgelöst. sie gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung des
Friedens und der Verteidigung der Freiheit auch mit -
Dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Für die militärischen Mitteln befürwortet, wenn sie in die Be-
Gegenwart und die nähere Zukunft gilt: Wir brau- mühungen um Wiedervereinigung und ein europä-
chen einen stabilen Rahmen. Die bisher viermalige isches Sicherheitssystem, in die Gleichberechtigung
Umstrukturierung der Bundeswehr und die noch im- der Teilnehmer an einem solchen System und in die
mer nicht abgeschlossenen Maßnahmen signalisie- demokratisch-parlamentarische Kontrolle der Streit-
ren, daß dem Einsatzwillen und der Bereitschaft der kräfte selbst eingebettet bleiben. Diese Bedingungen
Soldatinnen und Soldaten ein zukunftsweisendes sind heute erfüllt. Deshalb fällt es uns nicht schwer,
Konzept noch nicht gegenübersteht. sondern wir sind fest davon überzeugt, daß unter sol-
chen Bedingungen Streitkräfte in einer Demokratie
(Beifall bei der SPD) mit einer festen demokratischen Verankerung sinn-
5570 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Rudolf Scharping
voll und angesichts der äußeren Bedingungen unse- mit bestimmten Beschaffungsvorhaben gemacht
res Landes nach wie vor notwendig sind. hatte, dringend erforderlich war,

(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)


Neuordnung der Ausbildung und der Bildung der
Ich erwähne, meine Damen und Herren, diese Ent-
Soldaten, staatsbürgerlicher Unterricht, weibliche
wicklung auch, um deutlich zu machen, daß die SPD
Sanitätsoffiziere, Traditionserlaß. All das sind Stich-
mit ihren Erfahrungen und auf ihnen aufbauend ei-
worte für das demokratische Fundament und für so-
nen richtungsweisenden Beitrag zum Aufbau der
zialdemokratische Verteidigungspolitik; dies reicht
Streitkräfte geleistet hat, von Streitkräften, die der
bis hin zur Stärkung der Position des Vertrauensman-
Freiheit und der Demokratie und dem Frieden glei-
chermaßen verpflichtet sind. Denn unter der geisti- nes.
gen Führung eines meiner Vorgänger, des, wie ich (Beifall bei der SPD)
denke, nun wirklich bedeutenden Abgeordneten Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit
Fritz Erler, begann die sozialdemokratische Opposi- dem Stichwort Traditionserlaß möchte ich hinzufü-
tion, sich 1956 aktiv und prägend an der Ergänzung gen, daß es unredlich wäre, frühere Auseinanderset-
des Grundgesetzes um die Wehrverfassung zu betei- zungen zu verschweigen. Es war nicht selbstver-
ligen. Das fand auch auf der Seite der Angehörigen ständlich - auch bis heute ist es leider nicht selbstver-
der Bundeswehr Respekt und Anerkennung. Ich will, ständlich -, daß man sich uneingeschränkt, wie es
um ein Wort von Ulrich de Maizière aufzugreifen, richtig wäre und wie wir es fordern, auf die demokra-
ganz deutlich sagen, daß diese parlamentarische tische, die verfassungsorientierte Tradition von Streit-
große Koalition mit Fritz Erler und Richard Jaeger, kräften beruft. Es war damals und es ist leider auch
mit dem wir manche Konflikte, manche Sträuße aus- heute hier und da noch notwendig, harte, zum Teil
zufechten hatten, durch Regelungen wie Befehls- bittere Auseinandersetzungen um diese Orientie-
und Kommandogewalt, allgemeine Wehrpflicht, In- rung zu führen; denn sie war weder in der Bundes-
stitution des Wehrbeauftragten und die genannten wehr noch in ihrer politischen Führung in den 50er
Elemente einen Aufbau der Bundeswehr ohne einen und 60er Jahren selbstverständlich. Die Auseinan-
Verfassungskonflikt ermöglicht hat. dersetzungen um den Namen mancher Kaserne zei-
gen, daß diese Orientierung auch heute noch nicht
Unter dem Einfluß von Fritz Erler, der zusammen völlig selbstverständlich geworden ist.
mit Georg Leber in der Kluft zwischen Armee und
Arbeiterschaft eine - ich sage: eine - der Ursachen (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE
für das Scheitern der Weimarer Republik sah, hat GRÜNEN sowie des Abg. Heinrich Graf von
sich die SPD zur Landesverteidigung bekannt und Einsiedel [PDS])
das Konzept der inneren Führung als ein Markenzei- Die Bundeswehr steht heute vor einer dritten gro-
chen sozialdemokratischer Verteidigungspolitik im
ßen Zäsur. Das Urteil des Bundesverfassungsgerich-
Gegensatz zur alten Tradition des Kaiserreichs und
tes vom 12. Juli 1994 beinhaltet zwei entscheidende
der Weimarer Republik, von der Nazizeit gar nicht zu
Festlegungen: Erstens ist neben dem Einsatz zur
reden, durchgesetzt.
Landes- und Bündnisverteidigung der Einsatz be-
(Beifall bei der SPD) waffneter Streitkräfte auch im Rahmen eines Systems
kollektiver Sicherheit wie beispielsweise der Verein-
Deshalb bleibt für uns der Satz „Der Soldat bleibt ten Nationen möglich. Zweitens ist die Bundesregie-
auch in Uniform Staatsbürger" der Leitsatz für eine rung verpflichtet, für einen solchen Einsatz der Bun-
moderne Stellung der Streitkräfte in der Demokratie. deswehr die konstitutive Zustimmung des Parla-
ments einzuholen. Die Bundeswehr ist Parlaments-
(Beifall bei der SPD) heer, und manchem Eindruck zum Trotz: Sie muß
auch Parlamentsheer bleiben und darf nicht Instru-
Meine Damen und Herren, wir haben uns längs die-
ment alleine einer Regierung oder gar einer Partei
ser grundsätzlichen Erwägungen und Überzeugun-
werden.
gen verhalten.
(Beifall bei der SPD)
Ohne die Verdienste anderer zu schmälern, will ich Deshalb sind wir der Auffassung, daß es ein Bun-
doch sagen, daß die drei sozialdemokratischen Ver- deswehraufgabengesetz geben sollte, in dem Auf-
teidigungsminister Helmut Schmidt, Georg Leber trag, Form und Ausmaß der parlamentarischen Mit-
und Hans Apel sowie der damalige Wehrbeauftragte wirkung beim Einsatz der Streitkräfte geregelt wer-
Karl Wilhelm Berkhan einen wesentlichen Anteil den. Das wäre eine sinnvolle und notwendige Er-
daran haben, daß die Streitkräfte in Struktur und gänzung der guten Entwicklung der letzten Jahr-
Ausrüstung, in Ausbildung und innerem Gefüge ein zehnte.
modernes und der Gesellschaft angemessenes Ge-
sicht erhielten. In jener Zeit wurde unter der Füh- Für Deutschland bleibt nämlich nicht nur die Ein-
rung von Willy Brandt und später von Helmut bettung in die NATO, sondern bleiben auch das poli-
Schmidt die gesellschaftliche Integration der Bun- tische Engagement und die Präsenz der Vereinigten
deswehr gefördert und vorangebracht. Dies geschah Staaten in Europa wesentlich. Ihre Präsenz und die
in vielen Reformen, die auch heute noch tragfähig der anderen Freunde und Verbündeten hat diesem
sind: Schaffung der Universitäten der Bundeswehr, Land erheblich geholfen in seiner äußeren Sicher-
Einführung der Weißbücher, Reorganisation des Rü- heit, schließlich auch in der Gestaltung seiner staatli-
stungsbereiches, die nach den Erfahrungen, die man chen Einheit. Allerdings, für die Zukunft wird eine
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5571
Rudolf Scharping
Reform der NATO angesichts der großen Umbrüche heitspolitik, sondern auch gegenüber den Vereinten
in den internationalen Beziehungen notwendig, und Nationen und ihrer Wirksamkeit, daß Entscheidun-
sie muß mit dem Ziel betrieben werden, das transat- gen des Weltsicherheitsrates manchmal erst mit mo-
lantische Bündnis aufrechtzuerhalten. natelanger Verzögerung durchgesetzt oder umge-
setzt werden können. Auch deshalb wäre es gut,
(Beifall bei der SPD) wenn Deutschland eine speziell ausgerüstete und
Neben die Stärkung des Bündnisses muß die Stär- ausgebildete Truppe zur Verfügung stellte, die ein
kung der Europäischen Union treten. Ich sage das rascheres Umsetzen von Entscheidungen des Weltsi-
aus zwei Gründen. Wir sollten an der Maxime fest- cherheitsrates ermöglicht.
halten, daß ein geeintes Deutschland auch der euro-
(Beifall bei der SPD)
päischen Einheit bedarf. Und wir sollten auch daran
festhalten, daß die Sicherung und dauerhafte Stabili- Damit wird die Bedeutung der Vereinten Nationen
tät für demokratische und friedliche Entwicklungen nicht gemindert, die ja im wesentlichen darin be-
in Europa nicht allein abhängig sein können von der steht, zivile, globale, gemeinsame Entwicklung vor-
Stärkung militärischer und auf Sicherheit orientierter anzubringen. Deshalb sage ich auch hier: Die sozial-
Bündnisse, sondern genauso die wirtschaftliche, die demokratische Politik bleibt der Sicherung des Frie-
soziale und kulturelle Verständigung und Integration dens, dem Willen zu weiterer Abrüstung, einer re-
in Europa brauchen. striktiven Exportpolitik und der Solidarität und Ge-
(Beifall bei der SPD) rechtigkeit gegenüber Partnern, gegenüber sozial
Schwächeren und gegenüber späteren Generationen
Also ist die mögliche Erweiterung beider Organisa- verpflichtet.
tionen miteinander verbunden, und dabei wird zu
berücksichtigen sein, daß kluge Außen- und Sicher- Wenn wir diesem Anspruch gerecht werden wol-
heitspolitik immer Rußland an der Schaffung eines len, dann muß Deutschland mehr und solidarisch
europäischen Sicherheitsraumes beteiligt und einbe- handeln, und dann darf das deutsche Handeln nicht
zieht. reduziert werden auf hier und da notwendige, unver-
(Beifall bei der SPD) meidliche, richtige Beiträge zur militärischen Siche-
rung von Frieden, sondern dann muß der Schwer-
Meine Damen und Herren, für den Westen Euro- punkt des deutschen Engagements in einer friedli-
pas ist uns das gelungen, und die Sozialdemokratie chen Entwicklung, in gegenseitiger Hilfe und in der
stimmt ausdrücklich zu, daß mit der Schaffung der Unterstützung von Schwächeren liegen.
deutsch-französischen Brigade, aber auch durch das
deutsch-niederländische Korps ein Beitrag zur euro- (Beifall bei der SPD)
päischen Sicherheit und zur europäischen Ausrich-
tung und Integration der Streitkräfte geleistet wird. Meine Damen und Herren, ich will mich zum Ende
Allerdings, gerade der Krieg im ehemaligen Jugosla- meiner Bemerkungen namens der Sozialdemokrati-
wien führt eindringlich vor Augen, daß eine Renatio- schen Partei Deutschlands bei den Angehörigen der
nalisierung der Außenpolitik für diesen notwendigen Bundeswehr für ihren Dienst, der ein Dienst für den
Prozeß kontraproduktiv ist. Frieden ist, bedanken, bei den Soldaten und Solda-
tinnen im aktiven Dienst genauso wie bei den Reser-
(Beifall bei der SPD) visten der Bundeswehr, bei den Vorgesetzten ge-
nauso wie bei den Untergebenen. Ich betone: Unser
Einheitliches außen- und sicherheitspolitisches Dank gilt insbesondere den Wehrpflichtigen, die ih-
Handeln ist zwingend erforderlich, um in Europa ren Wehrdienst leisten, der heute nicht nur schwieri-
Konflikte zu verhindern, sie zu begrenzen oder sie zu ger, sondern hier und da auch politisch schwieriger
beenden, wenn der Ausbruch gewaltsamer Ausein- begründbar geworden ist. Dennoch bleibt die Wehr-
andersetzungen nicht zu unterbinden war. Dabei pflicht das konstitutive Element einer in der Demo-
kommt der politischen Einbettung der Verteidi- kratie verankerten Streitmacht.
gungspolitik in eine Strategie der Prävention von
Konflikten entscheidende Bedeutung zu. Und es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
bleibt für die Zukunft auch dabei, daß politische, ten der CDU/CSU - Beifall des Abg. Hans-
nicht militärische Lösungen im Vordergrund unseres Dietrich Genscher [F.D.P.])
Handelns stehen.
Wir wollen nicht vergessen, den zivilen Mitarbeite-
In diesem Zusammenhang ist es dann wichtig und rinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr zu danken
richtig zu betonen: Die SPD steht für Landes-, und und mit Trauer und Anerkennung auch jener 2 440
sie steht für Bündnisverteidigung. Die SPD hat wie- Männer zu gedenken, die im Dienst der Bundeswehr -
derholt deutlich gemacht, daß sie es für außerordent- und für unser Land ihr Leben verloren haben.
lich wünschenswert hält, daß Deutschland entspre-
chend seinen Fähigkeiten die Vereinten Nationen Die Bundeswehr hat in den 40 Jahren ihres Be-
bei der Friedensbewahrung, also beim Peacekeep- stehens eine verfassungsmäßig bewährte Aufgaben-
ing, unterstützt. Die SPD plädiert in diesem Zusam- verteilung zwischen Streitkräften und ziviler Verwal-
menhang für die Aufstellung einer speziell ausgerü- tung, zwischen militärischem Kommando und dem
steten und ausgebildeten Truppe, die den Vereinten Primat der politischen Führung erfahren. Wir sagen
Nationen zur Verfügung steht und im Rahmen ihrer also allen daran Beteiligten Dank und Anerkennung
Aktivitäten eingesetzt wird. Wir halten es für einen und wünschen eine Zukunft in Frieden. Den Mitar-
Fehler nicht nur der deutschen Außen- und Sicher beiterinnen und Mitarbeitern, den Soldatinnen und
5572 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Rudolf Scharping
Soldaten wünschen wir Zufriedenheit in ihrem stern abend beim Zapfenstreich dabeigewesen wä-
Dienst und persönlich eine gute Zukunft. ren?
(Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
bei Abgeordneten der F.D.P.) ordneten der F.D.P. - Rudolf Scharping
[SPD]: Können Sie verstehen, daß ich nicht
dazu da bin, Ihre Vermutungen zu demen-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster tieren?)
spricht der Kollege Paul Breuer.
Es kommt ja, geschätzter Herr Kollege Scharping,
nicht von ungefähr, daß solche Vermutungen immer
Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine direkt aufkommen. Ich habe gestern abend - und ich
Damen und Herren! 40 Jahre Bundeswehr und fünf war nicht alleine damit - bei den Demonstranten
Jahre Armee der Einheit, zwei Anlässe, die Grund auch Juso-Fahnen sehen müssen.
genug dafür sind, die Leistungen der aktiven und
ausgeschiedenen Soldaten und der Zivilbediensteten (Beifall bei der PDS - Günter Verheugen
der Bundeswehr zu würdigen. Es geht darum, dank- [SPD]: In diesem Land herrscht Meinungs-
bar dafür zu sein, daß die Geschichte der Bundes- freiheit!)
wehr eine Erfolgsgeschichte sein konnte. Ich glaube nicht, daß do rt irgend jemand Fremdes
die Fahne der Jungsozialisten in der SPD mißbraucht
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
hat, sondern daß es Jungsozialisten gewesen sind.
Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.])
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard
40 Jahre Frieden und Freiheit für die Menschen im Hirsch)
Westen Deutschlands, fünf Jahre Freiheit für alle
Deutschen. Dies ist mit ein Verdienst der Bundes- Auf der anderen Seite, Herr Kollege Scharping,
wehr. kenne ich natürlich sehr geschätzte Kollegen Ihrer
Fraktion, die für die Bundeswehr eintreten und viel
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gutes tun. Es ist notwendig, daß nicht nur Sie, Herr
Meine Damen und Herren, dieser Weg der Bun- Scharping, sich darum bemühen, sondern daß die
deswehr war nicht selbstverständlich. Am Anfang SPD sich insgesamt darum bemüht, diese Wider-
der Diskussion um die Wiederbewaffnung, in den sprüchlichkeit in Ihrer Partei zu beseitigen.
50er Jahren, standen tiefe Meinungsverschiedenhei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
ten in unserem Volk einander gegenüber. Es wurde ordneten der F.D.P.)
sehr emotional über die Frage gestritten, wie diese
erste deutsche Bürgerarmee in der Demokratie ver- Wenn wir über die Geschichte der Bundeswehr re-
faßt sein werde. den, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsiden-
tin - -
In dieser Debatte ist schon darauf hingewiesen (Heiterkeit)
worden, daß Scharnhorsts Aussage „Der Bürger in
Waffen und die allgemeine Wehrpflicht untermauern - Entschuldigung, Herr Präsident, dies ist nicht mir
den Willen des Volkes, Freiheit durch Mitverantwor- als erstem passiert, daß man, weil hier keine Rück-
tung zu verteidigen", für das Leitbild des Staatsbür- spiegel eingebaut sind, den Präsidentenwechsel
gers in Uniform Pate stand. Es war aber hart umstrit- nicht zur Kenntnis nehmen kann.
ten. Dieses Leitbild des Staatsbürgers in Uniform hat (Walter Kolbow [SPD]: Das fühlt man, Herr
sich bis heute bewährt. In der damaligen Zeit, in den Kollege!)
50er Jahren, wurde darüber gestritten, meine Damen
und Herren, wie groß der Beitrag des einzelnen sein Meine Damen und Herren, die Aufstellung der
konnte. „Ohne mich" war eine Parole, die es damals Bundeswehr stand von Anfang an im Zusammen-
gab, und diese Parole ist - das muß im Hinblick auf hang mit dem Wunsch der Deutschen im freien Teil
manche Diskussionen über die allgemeine Wehr- Deutschlands nach Souveränität und nach Wieder-
pflicht leider gesagt werden - heute wieder in unse- vereinigung. So stellte Konrad Adenauer 1952 fest:
rer Bevölkerung vorhanden. „Nur die Beteiligung an einer integrierten westlichen
Streitmacht gewährleistet die Sicherheit Deutsch-
(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!) lands und bereitet den Weg zur Wiedervereinigung."
Adenauer erfuhr damals zum Teil herbste Kritik. Ihm
Bei aller Verankerung der Bundeswehr in der deut-
wurde der Vorwurf gemacht, durch das klare Einbin-
schen Bevölkerung, die groß ist, ist dies ein Punkt,
den der damaligen Bundesrepublik in das westliche
der unsere Aufmerksamkeit stärker verdient.
Bündnis eine Politik, die gegen die Einheit gerichtet
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammen- sei, zu betreiben. Er hat mit seiner Vision recht behal-
hang will ich mich auch auf die Debatten der letzten ten, und der 3. Oktober 1990, der Tag der deutschen
Tage beziehen. Herr Scharping, jeder von uns hat Einheit, hat ihn eindrucksvoll bestätigt.
Probleme mit seinem Terminkalender. Es steht mir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
überhaupt nicht zu, über den Ihren zu urteilen. Aber
meinen Sie im nachhinein nicht auch, daß manche Wichtig, meine Damen und Herren, ist die Feststel-
Vermutungen und Verwirrungen der letzten Stunden lung, daß an der Schwelle, am Anfang der Aufstel-
und Tage vermeidbar gewesen wären, wenn Sie ge- lung der Bundeswehr, das Streben nach Souveränität
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5573
Paul Breuer
und das Streben nach Integration und Kooperation Aber wir haben es durch gemeinsame Anstrengun-
stand. Die Bundeswehr hat mit ihrem Leitbild des gen der Regierungen, durch gemeinsame Anstren-
Staatsbürgers in Uniform, das dem Soldaten prinzipi- gungen des Parlaments, durch gemeinsame Anstren-
ell die gleichen Rechte wie den zivilen Bürgern gibt, gungen in der Bundeswehr geschafft, derartig Dane-
einen neuen Meilenstein in der deutschen Wehrge- bengegangenes zu überwinden und trotzdem zu ei-
schichte gesetzt. Mit dem unpolitischen Soldaten der nem großen Erfolg zu kommen. An dieser Stelle darf
Reichswehr, der nicht einmal wählen durfte, haben ich insbesondere den Wehrbeauftragten des Deut-
wir in der Bundeswehr Schluß gemacht. schen Bundestages aus den letzten Jahrzehnten und
auch unserer heutigen Wehrbeauftragten Claire
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Marienfeld herzlich für ihre Arbeit danken.
Es gibt natürlich in der deutschen Wehrverfassung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so-
viel mehr an Neuem, was von Ihnen, Herr Fischer, wie bei Abgeordneten der SPD)
wenn ich mich denn mit Leuten Ihrer Prägung aus-
einandersetze, zum Teil gar nicht zur Kenntnis ge- Die Bundeswehr war von Beginn an eine Bündnis-
nommen wird. armee, was ja im Hinblick auf die deutsche Ge-
schichte nicht selbstverständlich war, die wie ein
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Krater zu Beginn der 50er Jahre die Aufstellung der
DIE GRÜNEN]: Ich habe schon einen Helm neuen deutschen Streitkräfte belastete. Eine große
auf!) Hürde des Mißtrauens mußte von den deutschen Sol-
Wenn ich die Vorwürfe von Militarismus höre und daten in dieser neuen Armee überwunden werden.
die Soldaten der Bundeswehr in der Eingebunden-
heit in unser friedliebendes Volk und die deutsche Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
Wehrverfassung sehe, dann ist es beschämend, daß Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
Ihre Leute gestern abend als Demonstranten vor den gen Köhne?
Gattern standen und „Mörder! Mörder! " riefen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Paul Breuer (CDU/CSU): Bitte sehr.
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Meine Güte, Herr Breuer,
wer in die Öffentlichkeit geht, muß mit Pro Rolf Köhne (PDS): Herr Kollege, Sie haben eben
test rechnen! Ich bitte Sie! Wir sind in einer von Menschenführung gesprochen. Was halten Sie
Demokratie, da darf der Zapfenstreich wie von der Menschenführung der Feldjägertruppe, die
die Gegendemonstration stattfinden!) in ihrem Schlachtruf „Knüppel frei" zum Ausdruck
gekommen ist?
Es ist beschämend, Herr Fischer.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der
(Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie F.D.P.)
sind eine Fraktion von Schreihälsen! - Jo-
seph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Helm ab zum Gebet! - Weitere Paul Breuer (CDU/CSU): Ich weiß nicht, woher
Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre profunde Kenntnis der Feldjägertruppe stammt.

- Brüllen Sie sich hier ruhig aus. (Rolf Köhne [PDS]: Ich war Mitglied dieser
Truppe!)
Ich will mich gar nicht allzu lange mit der grünen
Bürgermeisterin der Stadt Bonn beschäftigen. Ich bestreite, daß es bei den Feldjägern in der Bun-
deswehr üblich ist, sich mit derartigen Parolen im
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ täglichen Dienst zu beschäftigen.
DIE GRÜNEN]: Doch, tun Sie das!)
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ty-
Aber eines ist mir in den letzten Tagen noch einmal pisch PDS!)
deutlich geworden.
Es ist schon bezeichnend, Herr Kollege, daß Ihnen in
Das, was Sie in den letzten Wochen versucht ha- einer solchen Debatte, in der es darum geht, den Sol-
ben - der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und daten für 40 Jahre Frieden und Freiheit Dank zu sa-
dieser Partei einen staatstragenden Anstrich zu ge- gen, nichts Besseres als eine derartige Parole einfällt.
ben, auch im Hinblick auf internationale Verantwor-
tung -, das ist in den letzten Tagen und auch gestern (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
-
abend absolut gescheitert. Mit der Wiedervereinigung unseres Volkes, meine
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Damen und Herren, stand nicht nur unser ganzes
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Volk, sondern insbesondere auch die Bundeswehr
DIE GRÜNEN]: O nein!) vor einer großen Herausforderung. Gerade dort, wo
die Gräben der deutschen Teilung und der Spaltung
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat in am tiefsten waren, dort, wo man in der ehemaligen
der Menschenführung Erfolg gehabt, aber sie hat na- NVA durch eine gezielte Erziehung zum Haß ver-
türlich auch Rückschläge erlitten. Für einen Rück- sucht hatte, die Menschen gegeneinander aufzubrin-
schlag steht nach wie vor der Name eines sehr schö- gen, gerade dort mußte es gelingen, sehr schnell zu-
nen Ortes in Baden-Württemberg, nämlich Nagold. einanderzukommen. Wir können heute dankbar fest-
5574 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Paul Breuer
stellen, daß dies mit der Bundeswehr und in der Bun- Ich habe mich dabei sehr unwohl gefühlt. Das war
deswehr sehr schnell gelungen ist. gestern abend beschämend.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
ordneten der F.D.P.)
Wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, damit
Das stand ja in keinem Regiebuch. Genausowenig das geändert werden kann.
wie es in einem politischen Regiebuch stand, wie die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
deutsche Einheit hergestellt werden konnte, stand es Gerhard Zwerenz [PDS]: Wie im Dritten
in keiner Vorschrift der Bundeswehr, in welcher Art Reich! Da wurde das auch geändert!)
und Weise mit deutschen Soldaten, die aus der ehe-
maligen NVA in die Bundeswehr integriert werden - Hören Sie doch auf, Herr Kollege. Als Mensch auf
sollten und mußten, umzugehen war. Es waren viel- dem Weg in der Geschichte kann man sich täuschen.
fach schwierige menschliche Begegnungen, die dort Das kann jedem passieren und ist vielen passiert.
stattfanden. Das wird den Kollegen, die die NVA aus Aber wenn man sich täuscht und es dann, wenn die
der Wendezeit kennen, noch gut in Erinnerung sein. Zeiten sich ändern, nicht zugibt und immer noch die
Ich sage noch einmal herzlichen Dank an Rainer alten Platten abspielt, so wie Sie das tun, dann ist das
Eppelmann, den Abrüstungs- und Verteidigungsmi- nicht in Ordnung. Das muß deutlich gesagt werden.
nister der DDR in der ersten frei gewählten Regie-
rung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
ordneten der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) Ich will noch einmal auf gestern abend eingehen.
(Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/
Es war für uns schon eine ganz besondere Erfahrung DIE GRÜNEN]: Das muß ja wirklich ein
und Situation, diesen Menschen, die zum Teil auch prägendes Erlebnis gewesen sein!)
mißbraucht worden sind, zu begegnen und ihre Fra-
gen zu hören und zu sehen, daß sie damals in eine - Ja, das war ein großes Erlebnis. Schade, daß Sie
ungewisse Zukunft gingen. nicht dabei waren. Nur, man hätte dann befürchten
müssen, daß Sie sich auch dort danebenbenehmen,
Ich stelle heute fest: Wir haben aus dieser ungewis- Herr Kollege Fischer.
sen Zukunft für viele in der Bundeswehr eine gute
Zukunft auf dem Boden unserer freien Verfassung in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -
unserem freien Bündnis gemacht. Das ist eine tolle Joseph Fischer [Frankfurt)] [BÜNDNIS 90/
Sache, meine Damen und Herren. DIE GRÜNEN]): Da haben Sie mal keine
Sorgen!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) Vor uns stand gestern die Präsidentin des Bundes-
verfassungsgerichts. Ich und andere auch hatten Ge-
Die deutsche Einheit hat uns insgesamt stark her- legenheit, sie bei ihrer Reaktion auf diese beschä-
ausgefordert, nicht zuletzt auch finanziell. Besser ge- menden Rufe zu beobachten.
sagt: Das Wegräumen der Trümmer des Sozialismus
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
hat uns so herausgeforde rt , auch die Bundeswehr.
Die letzten Jahre waren oftmals dadurch geprägt, Nicht petzen!)
daß in der Bundeswehr an allen Ecken und Kanten Ich hoffe, daß dieses Erlebnis von gestern abend ein
gespart werden muß. Ich denke, wir, Bundeswehr Stück mit dazu beigetragen hat, daß eine Änderung
und Politik, haben es geschafft, die Einsatzfähigkeit in dieser Beziehung erfolgen kann.
trotzdem zu bewahren. Aber es gibt auf dem harten
Weg des Sparens, Umstrukturierens und Rationalisie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
rens noch große Herausforderungen. Wir haben ordneten der F.D.P. - Joseph Fischer
keine Mark zuviel. Es lohnt, den Schweiß der Edlen [Frankfurt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
zu vergießen, um die neuen Strukturen in der Bun- Das muß ja furchtbar gewesen sein!)
deswehr, die natürlich immer mit menschlichen Her-
ausforderungen befrachtet sind, aufzubauen. Dafür Ich will jetzt noch eines feststellen - mich animie-
braucht die Bundeswehr unsere Begleitung und un- ren diese Zwischenrufe natürlich ganz besonders:
sere Unterstützung. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ -
DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt eine Anti
Ich weiß nicht, wie es Ihnen gestern abend gegan- Schock-Therapie!)
gen ist. Was geht in den Köpfen von deutschen Sol-
daten vor, die der freiheitlichsten Demokratie dienen, Was die deutschen Soldaten tun, das tun sie in unse-
die es auf deutschem Boden je gegeben hat, wenn rem Auftrag. Das beschließt das deutsche Parlament.
sie ertragen müssen, daß die Chaoten dort „Mörder! Es gibt den Primat der Politik. Wer „Mörder! Mör-
Mörder!" schreien und der freiheitlichste Rechtsstaat der!" ruft, der beleidigt nicht nur die Soldaten, son-
nicht in der Lage ist, das zu unterbinden. dern insbesondere auch das freigewählte Parlament
der Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so
wie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5575

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege tiert worden ist, nämlich das Recht auf Demonstra-
Breuer, Sie müssen zum Abschluß Ihrer Ausführun- tionsfreiheit und freie Meinungsäußerung, hochge-
gen kommen. halten und die Demonstrantinnen und Demonstran-
ten gestern abend begrüßt hat.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Ich bete jeden Abend für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
die unterdrückten Seelen! Jeden Abend
schließe ich sie in meine Gebete ein! Ich bin Ich möchte aber trotzdem feststellen, daß die Diffa-
halt christlicher als Sie!) mierungen im Vorfeld und das Bedrohungsszenario,
das aufgebaut worden ist, weil versucht werden
Paul Breuer (CDU/CSU): Meine Damen und Her-
sollte, diesen pompösen Zapfenstreich, der einer
ganz schlechten militaristischen preußischen und
ren, lassen Sie uns gemeinsam die Bundeswehr, die
dann auch deutschen Tradition entstammt, zu verhin-
jungen Menschen in unserem Lande, die wir als
dern, mich an die Diffamierung der Friedensbewe-
Wehrpflichtige in der Zukunft benötigen, auf ihrem
gung damals erinnern. Wir, die wir gestern abend
Weg für eine freiheitliche Demokratie in diesem
dort gestanden haben - ich rede nicht von denen, die
Lande und in einem freiheitlichen Europa unterstüt-
zen! „Mörder" geschrieen haben; ich halte davon über-
haupt nichts und weise das zurück-,
Herzlichen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ger-
Beifall bei der F.D.P.) hard Zwerenz [PDS])
waren dort, weil wir zu der Tradition der Friedens-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das bewegung stehen, die von diesem Platz, dem Hofgar-
Wort der Abgeordneten Angelika Beer. ten, 1981 und auch danach weltweit Signale gegen
die atomare Aufrüstung, gegen die Militarisierung
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr gesendet hat, und sie heute mit einem demokrati-
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr schen und friedensbewegten Protest verteidigen.
geehrter Herr Dr. Kohl, Sie haben sich gestern einen
wahrscheinlich lang gehegten Wunsch mit der Insze- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nierung des Großen Zapfenstreichs anläßlich des sowie bei Abgeordneten der PDS)
40. Jahrestages der Bundeswehr erfüllt. Im Bonner
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben
Hofgarten haben Sie sich im Mittelpunkt des Fackel-
heute in die Diskussion zum vierzigjährigen Be-
scheins postiert.
stehen der Bundeswehr einen Antrag eingebracht, in
(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!) dem wir die weitere drastische Reduzierung der Bun-
deswehr fordern und uns dafür einsetzen, die jetzt
Mit einem Riesenaufgebot an Polizisten und einem stattfindende Umrüstung zu einer Armee, die auf
faktischen Ausnahmezustand am gestrigen Nachmit- mögliche weltweite Kampfeinsätze vorbereitet wird,
tag und Abend in der Bonner Innenstadt zu beenden. Wir werden heute gegen den Antrag auf
(Zuruf von der CDU/CSU: Wieso denn? We Reduzierung der Wehrdienstzeit auf zehn Monate
gen Ihnen! - Christian Schmidt [Fürth] stimmen, nicht weil wir gegen die Reduzierung sind,
[CDU/CSU]: „Haltet den Dieb!" ruft der sondern weil wir für die Abschaffung der Wehr-
Brandstifter!) pflicht sind, weil wir meinen, daß jede Art von
Zwangsdienst beendet werden muß.
haben Sie die Rahmenbedingungen geschaffen, um
Ihr Bekenntnis zur Remilitarisierung Deutschlands Wir würdigen die Leistungen der Zivildienst-
nach dem Zweiten Weltkrieg leistenden - die Sie, Herr Scharping, heute nicht ein-
mal mit einem Satz erwähnt haben -,
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/
CSU und der F.D.P.) (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Doch!)
und Ihr Bekenntnis zum Zwangsdienst zu vertreten. aber wir meinen, daß dies kein Zwang sein darf. Wir
(Zuruf von der F.D.P.: Da klatscht nicht mal sind für freiwillige zivile Dienstleistungen. Die j
Herr Fischer! - Günther Friedrich Nolting gen Leute dürfen nicht unter Zwang - und dann
auch noch mit Ungleichberechtigungen - eingezo-
[F.D.P.]: Was sagt Herr Fischer dazu?)
gen werden. -
Wir Grünen haben nach ausführlicher Diskussion,
in der es einzelne durchaus lesenswerte Stellungnah- In Richtung von Frau Ministerin Nolte, aber auch
men gab, Ihre Einladung zur Teilnahme an diesem der F.D.P., die heute sicherlich noch die Gelegenheit
Zapfenstreich abgelehnt. Ich freue mich ganz beson- nutzen wird, endlich die Einbeziehung der Frauen in
ders, daß die grüne Oberbürgermeisterin in Bonn die Bundeswehr hier einzufordern,

(Widerspruch bei der SPD) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Richtig,


woher wissen Sie das?)
sämtlichen Diffamierungsversuchen im Vorfeld wi
derstanden hat und ein Grundrecht der freien, demo sage ich: Dieser fehlverstandene Feminismus und
kratischen Grundordnung, das heute so oft schon zi diese fehlverstandene Emanzipation treffen auf unse-
5576 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Angelika Beer
ren massiven Widerstand, aber nicht nur auf unse- higkeit umzuhängen versucht. Für diese Unfähigkeit
ren, sondern auch auf den der Gesellschaft. sind Sie verantwortlich, weil unsere finanziellen Res-
sourcen verschwendet werden, um Riesenprojekte
(Günther Fried rich Nolting [F.D.P.]: Da soll wie den Jäger 90 zu finanzieren und Krisenreaktions-
ten Sie sich einmal Umfragen ansehen, Frau kräfte auszurüsten, während der UNO und auch der
Kollegin!) OSZE nicht genügend Geld zur Verfügung gestellt
Frau Ministerin Nolte, Sie haben gestern betont, ge- wird.
rade die Frauen hätten einen wesentlichen Anteil am Ich möchte das Wort - auch heute oft gebraucht -
Aufbau der Bundeswehr. Das ist aus meiner Sicht ein „Bündnisfähigkeit" erwähnen. Bündnisfähigkeit
Schlag ins Gesicht der Trümmerfrauen, die die Trüm- wird uminterpretiert. Die Möglichkeit der einseitigen
mer des Faschismus in Deutschland weggeräumt ha- Abrüstung - das darf man heute schon gar nicht
ben. mehr benennen - wird als Gefahr eines Weges in die
(Beifall des Abg. Heinrich Graf von Isolierung der deutschen Außenpolitik und als Ge-
Einsiedel [PDS]) fahr eines deutschen Sonderweges diffamiert. Diese
Wortwahl ist typisch für den demagogischen Diskus-
Diese Frauen haben einen wichtigen Anteil an einer sionsmarathon der letzten Wochen. „Sonderweg" ist
antimilitaristischen und friedlichen Grundüberzeu- die Bezeichnung für den preußischen und deutschen
gung in unserer Gesellschaft. Militarismus, der in diesem Jahrhundert zu den zwei
Weltkriegen und zum deutschen Nazismus geführt
Nun sind es wahrscheinlich gerade diese Grund-
hat. Wenn sich jemand in diese Tradition stellt, dann
überzeugungen, die durch die Strategien der Bun-
sind es nicht die Abrüstungsbefürworter, sondern
desregierung scheibchenweise revidiert werden sol-
diejenigen, die gestern den Großen Zapfenstreich
len. Das, was uns heute so schön unter „militärischer
abgehalten haben.
Handlungsbereitschaft", „Verantwortung der Bun-
deswehr" , „Souveränität Deutschlands" und „inter- (Beifall des Abg. Heinrich Graf von
nationalen Verpflichtungen" verkauft wird, ist nichts Einsiedel [PDS])
anderes als das, was im Rahmen dieser Krisenreakti-
onskräfte konstruiert wird: Sondereinheiten, Füh- Wir möchten - auch mit unserem Antrag - darauf
rungszentren, die schon in Richtung Generalstab ge- hinweisen, daß noch Zeit für eine Kurskorrektur der
hen, und weltweite Kampfeinsätze. Unter diesen deutschen Außenpolitik ist. Wir möchten deutlich
Voraussetzungen werden rigide Jubelveranstaltun- machen, daß es einen finanziellen, vor allen Dingen
gen zum Geburtstag der Bundeswehr durchgezogen. aber den politischen Spielraum gibt - wenn der Wille
vorhanden ist; ich sage das gerade im Blick auf die
Wer als Soldat durch Gelöbnis oder Eid bekundet jetzigen Konflikte und die sich anbahnenden Kon-
hat, unserer Bundesrepublik Deutschland treu zu flikte in Europa, aber auch darüber hinaus -, die zivi-
dienen und das Recht auf Freiheit des deutschen Vol- len Strukturen endlich mit den Mechanismen der
kes tapfer zu verteidigen, der braucht in der Tat die frühzeitigen Konfliktlösung zu versehen und diese
Unterstützung aller gesellschaftlichen und demokra- Mechanismen auch zum Einsatz zu bringen.
tischen Kräfte: um sein Grundrecht auf Verweige-
rung durchzusetzen, und sei es nachträglich, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der PDS)
er für eine Politik der nationalen Interessendurch-
setzung mißbraucht wird. Ich spreche von der Stärkung der OSZE, von der
Stärkung der Vereinten Nationen, von der Stärkung
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
konfliktschlichtender Blauhelmkonzeptionen und
und bei der PDS - Günther Friedrich Nol-
der Verantwortung der Vereinten Nationen und nicht
ting [F.D.P.]: Wo bin ich hier eigentlich? -
von „peace enforcement" oder „peace implementa-
Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Wer wird hier
tion" , die zur Zeit dauernd in den Vordergrund ge-
mißbraucht? - Siegfried Hornung [CDU/
drängt werden.
CSU]: Wo wird denn jemand mißbraucht?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Symptomatisch sind die Verstärkung der militäri-
schen Komponenten der Außenpolitik, die Demon- Diese zivilen Strukturen sind in unserer Gesell-
tage des Blauhelmkonzeptes der Vereinten Natio- schaft mehrheitlich gewollt. Das zeigen nicht nur die
nen. Umfragen; das zeigen auch die Wahlergebnisse.
Schauen Sie sich doch an, woher Sie Ihre Wähler-
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der Kol stimmen bekommen. Wer von den Jugendlichen un-
lege Fischer ist seltsamerweise sehr ruhig!) ter 20 Jahren teilt denn Ihre Vorstellungen von der -
Hier sind Sie, Herr Rühe, federführend. Sie haben Bundeswehr? Diese Jugendlichen haben die Cou-
z. B. im „Spiegel" gesagt: Nie wieder Blauhelme al- rage, zu verweigern und Zivildienst zu leisten. Für
leine; die Grünhelme müssen immer dabeisein, da- sie treten wir ein, wenn wir die Abschaffung der
mit man sich notfalls wirksam schützen und durch- Wehrpflicht fordern.
setzen kann. - Sie sind derjenige, der das Konzept (Zuruf von der F.D.P.: Das Protokoll Ihrer
einer vernünftigen Peace-keeping-Operation, die wir Rede werden wir in der Bundeswehr vertei-
durchaus für richtig halten, abbaut und zu militarisie- len!)
ren versucht, der alleine der NATO die Entschei-
dungsbefugnis zu Kampfeinsätzen zugestehen will Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin über-
und der UNO das Mäntelchen der politischen Unfä zeugt, daß der Große Zapfenstreich dem Ziel einer
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5577
Angelika Beer
friedlichen gesellschaftlichen Außenpolitik wider- mit dem Gewehr zu begehen und auf sie zu schie-
sprochen hat. Wer keinen Krieg führen will, wer die ßen, überall eingehalten wird!
Menschen nicht zum Kriegführen motivieren will,
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie wider-
braucht diese Rituale nicht. In diesem Sinn: Helm ab
zur Abrüstung! sprechen sich!)
Sorgen Sie dafür, daß bei uns die Demokratie auf-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechterhalten wird und daß die Kriegsdienstverwei-
sowie bei Abgeordneten der PDS) gerer nicht aus den eigenen Reihen ständig diffa-
miert und als Drückeberger hingestellt werden!
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist keine
Beer, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Antwort auf die Frage!)
Geißler, wenn Sie schon keine Zwischenfrage zulas-
sen wollen? Dieses Grundrecht zu verteidigen heißt noch lange
nicht, Zwangsdienste zu etablieren. Darüber sind wir
in unserer Gesellschaft hinaus. Wir haben in
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Deutschland infolge unserer historischen Erfahrung
Nachfrage? allen Grund, mit gutem Beispiel voranzugehen und
die Verpflichtung, den Dienst an der Waffe zu lei-
sten, endlich zu streichen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Zwischen-
frage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der PDS)

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem
gestatte die Zwischenfrage, wenn sie nicht auf die Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt das Wort.
Redezeit unserer Fraktion angerechnet wird. Meine
Redezeit ist vorbei; deshalb muß ich das sagen.
Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Einen entscheidenden
Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Frau Kollegin Beer, Unterschied zu der eben vorgetragenen Position der
da in fast allen Staaten der Welt Wehrdienstverwei- Kollegin gleich vorweg: Unserem Land wird heute
gerer rechtlich nicht anerkannt werden, teilweise im international großes Vertrauen entgegengebracht.
Gefängnis landen, in Irrenhäuser verbracht, zur Das ist das Verdienst vieler, vieler in der Gesellschaft
Zwangsarbeit verurteilt werden, zur Zeit der Frie- und vieler Bürger. Aber es ist auch das Verdienst un-
densbewegung 1982, 1983 und 1984 friedensbe- serer Soldaten, weil sie zum erstenmal in der Ge-
wegte Bürgerinnen und Bürger in den Diktaturen schichte unseres Landes international als Verteidiger
des Ostens verhaftet und unterdrückt worden sind einer Demokratie angesehen werden.
und wir in Deutschland als einziger Staat das Recht
auf Wehrdienstverweigerung - ebenso wie das De- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
monstrationsrecht - in der Verfassung verankert ha- Deshalb gehören bei einem solchen Jubiläum unsere
ben, frage ich Sie: Würden Sie nicht bitte einmal an- Soldaten, auch wenn sie ihren Dienst ansonsten in
erkennen, daß dieser Staat gerade deswegen vertei- Kasernen und anderswo versehen, auf die Plätze der
digungswert ist und daß Sie damals Ihre Demonstra- Demokratie, wie gestern abend.
tionen nur deswegen durchführen konnten, weil es
die Bundeswehr und die NATO gibt? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU
und des Abg. Walter Kolbow [SPD])
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so
wie bei Abgeordneten der SPD) Sie brauchen sich dafür nicht zu entschuldigen; sie
können sich dort im wahrsten Sinne des Wortes se-
hen lassen. Denn auch sie haben eine Gewissensent-
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr scheidung getroffen: Sie haben sich mit ihrem Ge-
Kollege Geißler, ich würde mir wünschen, daß Sie wissen verpflichtet, notfalls mit der Waffe in der
Grundrechte, die bei uns in der Tat weitgehender Hand Freiheit und Leben von Menschen einer frei-
sind als in anderen Staaten, vor allen Dingen aber heitlich-demokratischen Gesellschaft zu verteidigen,
auch weitgehender sind als in NATO-Mitgliedstaa- und dafür danken wir ihnen.
ten, gegenüber unseren Bündnispartnern genauso (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so--
massiv vertreten. Sorgen Sie dafür, daß die Kriegs- wie des Abg. Walter Kolbow [SPD])
dienstverweigerer in der Türkei nicht inhaftiert und
in den Knast gesperrt werden! Auch sie dienen dem Frieden. Kein Soldat wünscht
sich mehr Frieden als der, der sich bewußt entschei-
(Beifall bei Abgeordneten der PDS - Zurufe det, seine Pflicht nach der Verfassung zu erfüllen.
von der CDU/CSU: Hier!)
Der Aufbau und die Organisation der Bundeswehr
Sorgen Sie dafür, daß dieses Grundrecht zu sagen: vor 40 Jahren haben auf einem ganz anderen Hinter-
wir sind nicht bereit zur Ausübung des Dienstes an grund begonnen, als wir das in der Geschichte unse-
der Waffe, wir sind nicht bereit, einen tatsächlich res Landes gewohnt waren. Es kam zur demokrati-
stattfindenden Mord an der kurdischen Bevölkerung schen Einbettung der deutschen Streitkräfte in eine
5578 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Wolfgang Gerhardt


freiheitliche und offene Gesellschaft. Wir sprechen ken kann. Das ist die ganz deutliche Leistung der
doch deswegen vom Staatsbürger in Uniform. Wir Bundeswehr.
wissen, daß die Bundeswehr zum erstenmal in der (Beifall bei der F.D.P.)
Geschichte unseres Landes ihrem Auftrag verpflich-
tet ist, niemand anderen anzugreifen, sondern uns in Wir haben in diesem Jahr viele Gedenkmomente,
den Grenzen unseres Staatswesens zu verteidigen, die zwischen epochemachenden Ereignissen - dem
für das wir uns eine Verfassung gegeben haben. Ende des Zweiten Weltkriegs und der Vereinigung
unseres Landes - der deutschen Nachkriegsge-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schichte liegen. Wir müssen aufpassen, daß sie in
diesem schnellen Ablauf nicht ein Stück geschichtli-
Wir wissen doch auch, daß heute Befehl, Gehor- che Normalität werden, ohne daß wir uns vergewis-
sam und Disziplin, militärische Führung in Form der sern, warum diese Schlüsselentscheidungen und -er-
inneren Führung, zum erstenmal in der Geschichte eignisse deutscher Geschichte uns das Glück be-
unseres Landes nicht mehr einer überhaupt nicht de- schert haben, heute hier so leben zu können.
mokratisch legitimierten Führungspersönlichkeit die-
nen, sondern im Grunde einer demokratischen Wer- Wir müssen schon ein Stück Vergewisserung be-
tegemeinschaft verpflichtet sind. Das ist ein gewalti- treiben, weil auch auf die neuen Herausforderungen
ger Unterschied, den wir jetzt erleben dürfen. Des- immer ein Fingerzeig aus abgelaufenen Zeiten wich-
wegen muß man sich bei solchen Jubiläen dieser ent- tig ist. Entscheidend ist, daß die Einbindung
scheidenden Grundlagen immer wieder bewußt wer- Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft
den. Das war die entscheidende Grundlage für die und das transatlantische Verteidigungsbündnis die
Akzeptanz der Bundeswehr in unserer Gesellschaft. große politische Grundentscheidung dieses Landes
Das war auch die entscheidende Grundlage für ein waren, an der wir festhalten wollen.
anderes, ein neues Bild eines deutschen Soldaten, Wir wissen heute, daß die Westintegration und die
das sich deutlich von dem unterscheidet, das andere Bündnisfähigkeit der alten Bundesrepublik im geteil-
vorher abzugeben gezwungen wurden. ten Deutschland Garant für die heutigen Chancen
Das ist die Chance auch für die Zukunft. Denn die sind. Wir sollten unseren Frieden damit machen. Er-
Bundeswehr hat zwei ganz kritische, aber wichtige hard Eppler hat in einer früheren Feierstunde zum
Aufgaben bewältigt, die man nach 40 Jahren nennen 17. Juni einmal in einem Vortrag zur Versöhnlichkeit
muß: Das war erstens zum erstenmal in der Ge- zwischen den politischen Grundströmungen dieses
schichte unseres Landes die erfolgreiche Einbindung Landes aufgerufen.
einer deutschen Armee in eine offene, demokratisch Es ist wahr, daß die Grundentscheidung Konrad
verfaßte Gesellschaft, und das war zweitens die Ge- Adenauers, damals von der sozialdemokratischen
währleistung einer glaubwürdigen Landes- und Partei heftig befehdet, richtig war. Ich sage das als
Bündnisverteidigung gemeinsam mit unseren Ver- Freier Demokrat sehr gelassen, weil wir diese Ent-
bündeten, ohne die der Wiederaufbau und die Wie- scheidung gestützt haben. Aber ich erinnere eine an-
dervereinigung unseres Landes in Frieden und Frei- dere große politische Kraft daran, daß auch die ersten
heit nicht möglich gewesen wären. Schritte auf die osteuropäischen Nachbarn zu, für de-
ren Unterstützung die Freien Demokraten fast mit ih-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
rer Existenz eine Bundestagswahl verloren hätten,
wie bei Abgeordneten der SPD)
dazugehören.
Das war die erste deutsche Armee, die nicht auf Jede politische Grundströmung könnte ihren Bei-
Sonderwege geführt und nicht in Abenteuer ge- trag auch anläßlich einer solchen Situation positiv
schickt wurde, sondern die in die Demokratie einge- herausstellen. Es ist nicht nötig, darüber zu streiten.
gliedert war. Das ist die gewaltige Leistung von vie-
len Soldaten. Sie haben für uns international Ver- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
trauen und Ansehen gewonnen. Dafür danken wir ten der CDU/CSU und der SPD)
alle.
Es gibt Leistungen, die das gemeinsam möglich ge-
Für die Freie Demokratische Partei sage ich den macht haben.
Soldatinnen und Soldaten, den Beschäftigten der Für die Koalition ist heute wichtig, zu sagen: Ich
Bundeswehr und auch den Bürgerinnen und Bür- habe den Eindruck, daß im Kern das Bewußtsein,
gern, die das so wie wir sehen, Dank für ihre Arbeit, daß dieses Land das Vertrauen der anderen Länder
für ihre Zustimmung und für die Schaffung der Ak- durch Bündnisfähigkeit braucht und daß wir deshalb
zeptanz der Armee. international handlungsfähig sein müssen, daß wir -
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der mit unseren Partnern zusammen notfalls anderen
CDU/CSU) entgegentreten müssen, nicht überall beheimatet ist.
Deshalb erinnere ich daran: Dieses Land muß inter-
Wir sind auch durch Soldaten, durch ihren Um- national in Rechten und Pflichten bündnisfähig und
gang mit Soldaten anderer Nationen in der Bündnis- verantwortungsfähig sein.
politik eigentlich schon viel früher, als der Zwei-plus- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so-
Vier-Vertrag das festgemacht hatte, aus einem Ob- wie bei Abgeordneten der SPD)
jekt der Geschlagenen zu einem geachteten Bünd-
nispartner geworden. Viel früher haben wir Respekt Das ist der Kern des Lernens aus der Geschichte.
gehabt, als das ein Zwei-plus-Vier-Vertrag ausdrük Deshalb glaube ich, man kann nicht durch Weg-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5579
Dr. Wolfgang Gerhardt
schauen abtauchen, wenn es auf bestimmte Ent- Job versehen, daß sie Wertvolles für unsere Gesell-
scheidungen ankommt. Wer dieses Land regieren schaft leisten. Wir respektieren ausdrücklich die Ge-
will, muß wissen, welche Geschichte dieses Land hat wissensentscheidung eines Zivildienstleistenden.
und welche Pflichten der Regierung dieses Landes
auferlegt werden. (Beifall bei der F.D.P.)

Wer diese Frage nicht beantworten kann, der kann Wir akzeptieren auch seinen Beitrag für eine freiheit-
hier nicht sitzen. Deshalb sitzen der Bundeskanzler liche Gesellschaft. Wir wehren uns nur in einem: daß
und der Bundesaußenminister für uns zu Recht hier. über die Gewissensentscheidung so geredet wird, als
Denn das ist die positive Grundentscheidung in der wären manche das Gewissen selbst. Auch die Solda-
Politik Deutschlands. ten haben Anerkennung verdient, weil sie die glei-
chen Ziele der Friedenserhaltung wie die Zivildienst-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) leistenden mit anderen Mitteln verfolgen.
Ich will für die Freien Demokraten eine Grundent- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so-
scheidung ausdrücklich befürworten. Die gesell- wie bei Abgeordneten der SPD)
schaftliche Einbettung und die Akzeptanz der Bun-
deswehr wären ohne die allgemeine Wehrpflicht so Deshalb darf sich eine Gesellschaft in diesen Diskus-
nicht denkbar gewesen. Sie ist die entscheidende sionen nicht spalten lassen. Auch unsere Soldaten
Klammer zwischen einer Gesellschaft und den Streit- dienen dem Frieden.
kräften; sie ist zugleich Ausdruck des Willens und Die Bundeswehr hat als Armee der deutschen Ein-
der Bürgerpflicht, einen eigenen Beitrag zum Schutz heit in den letzten fünf Jahren die zweite große Auf-
von Demokratie und Freiheit zu leisten. bauleistung ihrer Geschichte gemeistert. Sie hat mit
Allein der Verfassungsrang begründet nicht die unglaublichem Engagement, mit viel menschlichem
hohe politische und moralische Qualität der Wehr- und kameradschaftlichem Einsatz, einen Vereini-
pflicht. Viele meinen, nach Wegfall der alten Kon- gungsprozeß ganz konkret vollzogen. Es mag im Be-
frontation könne man über eine Berufsarmee nach- reich der Wi rtschaft über Joint-ventures diskutiert
denken. Die Wehrpflicht wird zunehmend durch eine werden, über den Kauf eines Betriebes. In der Bun-
wachsende Zahl von Zivildienstleistenden in Frage deswehr haben bei dieser gewaltigen Leistung in be-
gestellt. Nicht wenige diskutieren viele Modelle ei- zug auf die ehemalige NVA Personen täglich neben-
ner Freiwilligenarmee oder einer allgemeinen einander diesen Vereinigungsprozeß leisten müssen.
Dienstpflicht als Alternative zur Wehrpflicht. Ich Das ist eine gewaltige Leistung der deutschen Solda-
meine und sage das für die F.D.P.: Diese Entwicklun- ten,
gen dürfen nicht vom politischen Kern der Wehr- (Beifall des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
pflichtfrage ablenken, wer nämlich in unserem Land [F.D.P.])
die Verantwortung für die Verteidigung trägt. Für
mich gibt es eine ganz klare Antwort: Die Verteidi- auch in einer massiven Verkleinerung von über
gung unserer Freiheit muß auch in Zukunft die An- 600 000 auf demnächst 340 000 Soldaten, mit vielen
gelegenheit aller bleiben. Umzügen, mit Belastungen, mit familiären Proble-
men. Es gibt angesichts vieler Saturiertheiten einer
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so freiheitlichen Gesellschaft in unserem Land kein Be-
wie bei Abgeordneten der SPD) rufsbild, das Veränderungen mit diesem Tempo in ei-
Der Schutz von Freiheit und Recht ist nicht aus- nem solchen Pflichtgefühl wie die deutschen Solda-
schließlich als Leistung von Berufssoldaten zu verste- ten in dieser Zeit auf sich genommen hat.
hen. Theodor Heuss hat die Wehrpflicht deshalb zu (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Recht als legitimes Kind einer Demokratie bezeich-
net. Der frühere Bundespräsident Richard von Weiz- Dafür müssen wir den gesamten Familien Dank und
säcker hat sie als konstitutives Merkmal unserer Anerkennung aussprechen.
Streitkräfte genannt.
Fünf Jahre deutsche Einheit - das bedeutet außen-
Wir sprechen uns für die Beibehaltung der Wehr- und sicherheitspolitische Souveränität. In diesen
pflicht aus. Sie ist Ausdruck des Willens einer Demo- fünf Jahren hat sich Deutschland seiner gewachse-
kratie, die Verteidigung der Freiheit als ständige nen internationalen Verantwortung für den Frieden
Aufgabe in der gesamten Gesellschaft zu verankern. erfolgreich gestellt. Dieser Prozeß ist angesichts der
Wir werden den Gedanken an Wehrpflicht nicht auf- Rückkehr von Gewalt, Haß und Nationalismus und
geben, nur weil es schwieriger geworden ist, eine eines brutalen Terrors in der Mitte Europas noch
Wehrpflichtarmee zu organisieren. nicht am Ende. -
Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit sind zwei Sei- Wir wollen eine Kultur der Zurückhaltung üben.
ten einer Medaille. Wir müssen Wehrgerechtigkeit Sie beruht auf der historischen Erfahrung zweier
gewährleisten. Es ist deshalb Aufgabe der Politik, Weltkriege. Sie wird auch in Zukunft, wie das der
den Wehrdienst deutlich zu verbessern, immer wie- Bundesaußenminister immer ausführt, unser interna-
der qualifizierten und motivierten Nachwuchs sicher- tionales Engagement bestimmen. Aber Zurückhal-
zustellen. tung und Gewaltverzicht können nicht am Ende bloß
Wegschauen bedeuten.
Es ist wichtige Aufgabe in einer Demokratie, an-
dere Meinungen zu respektieren. Es ist überhaupt Deshalb sage ich auch hier: Die Entscheidung in
keine Frage, daß Zivildienstleistende einen harten der Bosniendebatte, die wir in diesem Haus geführt
5580 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Wolfgang Gerhardt


haben, eine der neuen Schlüsselentscheidungen der schwieriger gewordenen, aber demokratischen Auf-
deutschen Politik, die sich, die sie befürwortet ha- trag verlassen kann.
ben, gegenüber den Soldaten nicht leichtgemacht
Wer Freiheit verwirklichen und schützen will,
haben, war schwierig, aber sie war doch - das wie-
braucht Macht. Niemals wurde das dramatischer er-
derhole ich hier - richtig. Sie hat eben nicht, wie
fahren als beim ersten Versuch einer Verfassungsge-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damals behauptet hat,
bung in Deutschland in der Paulskirchenversamm-
zu einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik
lung.
geführt. Sie hat auch nicht, wie die Mehrheit der SPD
damals behauptet hat, zu einer Eskalation der Ge- Eine Demokratie braucht Streitkräfte. Unsere Sol-
walt geführt. Die Entscheidung, die wir mit anderen daten sind dazu da, uns, unsere Gesellschaft in ihrer
getroffen haben, hat dazu geführt, daß zum ersten- freiheitlichen Verfassung in den Grenzen unseres
mal die Chance eines Friedensprozesses in Bosnien Landes zu verteidigen. Sie werden auch bei der Er-
Herzegowina eröffnet wird. Das ist die Wahrheit füllung ihrer neuen, internationalen Aufgaben das
nach diesen Tagen. bleiben, was sie 40 Jahre für uns gewesen sind: Sol-
daten in der Bundeswehr, eine Armee der Freiheit
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
und der Demokratie. Wir danken ihnen.
Das wird später als eine große Schlüsselentschei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
dung des deutschen Parlaments bewertet werden;
ich sehe das jedenfalls so.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wo rt hat
Ich glaube, wir haben Glück gehabt, daß wir in un- nun der Abgeordnete Graf von Einsiedel.
serem Land wichtige Grundentscheidungen in Kern-
fragen nach langer und kontroverser Beratung im-
mer einigermaßen richtig getroffen haben. Auch Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Herr Präsident!
diese Entscheidung, die die Bundeswehr betrifft, ist Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gerhardt, auch
richtig getroffen worden; denn glaubwürdige Frie- ich fürchte, das wird eine Schlüsselentscheidung des
denswahrung muß in letzter Konsequenz auch die Parlaments sein. Wir können uns an andere, ähnliche
Bereitschaft zum Kampfeinsatz beinhalten. Das Völ Schlüsselentscheidungen erinnern, z. B. an die Be-
willigung der Kriegskredite 1914. Hoffentlich wird -kerchtansi lbchützen.Esmußvo
denen geschützt werden, die es tragen. Oder es wird diese Schlüsselentscheidung nicht solche Folgen ha-
nicht geschützt, und es wird nirgends mehr respek- ben.
tiert. Die große Mehrheit dieses Hauses feiert heute den
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) 40. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr. Aber
ich und die Fraktion, für die ich hier spreche, können
Wir wollen dort möglichst schnell zu einem Frie-
sich diesen Festreden nicht anschließen.
densschluß kommen. Der Bundesaußenminister, der
Bundesverteidigungsminister und der Bundeskanz- (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr seid keine
ler müssen wissen: Sie haben die Unterstützung der Fraktion!)
F.D.P. bei einer deutschen Beteiligung an der vorge-
sehenen NATO-Friedenstruppe. Ich wünsche mir, - Ja, keine Fraktion, ich weiß. Für mich sind wir eine
daß der dann dafür notwendige Beschluß des Bun- Fraktion. Ihre Geschäftsordnungstricks, die uns be-
destages mit größerer Mehrheit gefaßt wird als der nachteiligen, interessieren mich nicht.
damalige Beschluß. Das wäre für die Soldaten als (Beifall bei der PDS)
entscheidendes Signal der Politik in Deutschland
wichtig. Fast 90 % der heutigen Mitglieder des Hauses wa-
ren damals, als die Wiederbewaffnung Deutschlands
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) beschlossen wurde, höchstens Teenager oder noch
Meine Damen und Herren, als dieses Land zusam- jünger. Sie sind alle - ob sie nun in der Bundesrepu-
mengebrochen war, war die erste Forderung: Nie- blik oder in der DDR erwachsen geworden sind - in
mals wieder Krieg! Der europäische Aufbau und un- einem politischen Umfeld, in einem politischen Klima
ser eigener Umgang mit dem Bündnis haben dazu herangereift, das vom kalten Krieg geprägt war, von
geführt, daß wir in einer Stabilitätsgemeinschaft le- der Vorstellung, daß die militärische Auseinanderset-
ben. Wir müssen alles versuchen, um Konfrontation zung mit der Sowjetunion unvermeidlich oder doch
und Renationalisierung in Europa zu verhindern. Das nur durch die Politik der militärischen Stärke zu ver-
wird auch in Zukunft Ziel der Außenpolitik bleiben hindern sei. Aber sie sind meistens nicht genug her-
müssen. Wir werden das in engerer Abstimmung und angereift, um dieses Geschichtsbild einmal zu hinter-
in stärkerer gesamteuropäischer Verantwortung und fragen. -
Orientierung in Europa wahrnehmen müssen. Ich will gar nicht bestreiten, daß die Sowjetunion
mit ihrer Politik nach dem Sieg über Hitler-Deutsch-
Für diese Aufgabe ist in Zukunft eines unverzicht-
bar: Man kann Frieden nicht schützen, man kann land viel Anlaß geliefert hatte, diese Einschätzung
Menschen nicht helfen, wenn man nicht über Solda- der Lage in Europa mit anscheinend unwiderlegli-
chen Argumenten zu untermauern. Wer wie ich da-
ten verfügt.
mals und noch heute die Lage anders einschätzte,
Die Bundeswehr hat Zukunft. Sie muß wissen, daß galt bestenfalls als nützlicher Idiot, wenn nicht gar
sie sich auf die politische Unterstützung der F.D.P. als Schlimmeres. Aber ich habe sie anders einge-
und der Koalition bei ihrem gewachsenen, klaren, schätzt, nicht weil ich gegenüber der Sowjetunion
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5581
Heinrich Graf von Einsiedel
blauäugig gewesen wäre, sondern weil ich sie besser Volk nach dem Zweiten Weltkrieg vollbracht hat, ist
kannte. nicht der Entschluß zur Wiederbewaffnung, sondern
die Anerkennung dieser Grenze, das Sich-Abfinden
Die Unterwerfung der durch die Rote Armee unter
mit der massenhaften Vertreibung,
ungeheuren Blutopfern auf beiden Seiten von der
Hitler-Wehrmacht befreiten Länder zu Satellitenstaa- (Beifall bei der PDS)
ten der Sowjetunion war aus der Angst geboren, aus
einem tiefsitzenden Unterlegenheitsgefühl, aus dem die, selbst wenn man sie als Strafe für die schreckli-
Schock, daß der Vernichtungsfeldzug der Wehr- chen Verbrechen Hitler-Deutschlands ansieht, eine
macht gegen die Sowjetunion um ein Haar, wie Sta- nur sehr schwer zu verkraftende Verletzung der Psy-
lin selber eingeräumt hat, erfolgreich gewesen wäre. che von Millionen Menschen war. Aber das hat eben
Diese Satellitenstaaten sollten ein Glacis für die Fe- Generationen gedauert.
stung Sowjetunion bilden, ein Vorfeld ihrer Verteidi- Deshalb kann ich nicht Ihren Optimismus teilen,
gung, keine Absprungbasis für weitere Aggressio- der möglicherweise bevorstehende, mit Waffenge-
nen. walt erzwungene Frieden in Ex-Jugoslawien werde
Die Drohung, Westdeutschland, die Bundesrepu- bereits in einem Jahr unumkehrbar sein. Die
blik, wiederzubewaffnen hatte zunächst Erfolg: Sta- schrecklichen ethnischen Säuberungen in Jugosla-
lin lenkte ein. Er bot einen Friedensvertrag mit wien, die mit deutscher und NATO-Hilfe dort jetzt
Deutschland an, die Wiedervereinigung unter der festgeschrieben werden sollen, werden sich als
Bedingung, daß das wiedervereinigte Deutschland schwere Hypothek für einen dauerhaften Frieden er-
sich keinem gegen die Sowjetunion gerichteten Mili- weisen.
tärpakt anschließen dürfe und die Oder-Neiße-Linie (Beifall bei der PDS)
anerkennen müsse. Dieses Angebot kam sicher sehr Doch zurück zur Bundeswehr. In Ihren Augen war
spät. Aber war der Westen nicht sowieso längst ent- die Wiederbewaffnung die Grundlage des Friedens
schlossen, den kalten Krieg zu führen und die So- in den letzten 40 Jahren. Woher Sie aber wissen wol-
wjetunion so lange unter militärischen Druck zu set- len, ohne diese Wiederbewaffnung hätte es Krieg in
zen, bis sie aufgab? Wie dem auch gewesen sein Europa gegeben, bleibt Ihr Geheimnis.
mag: Daß dieses Angebot der Sowjetunion nicht ein-
mal in Verhandlungen auf seine Stichhaltigkeit hin (Beifall bei Abgeordneten der PDS)
überprüft worden ist, halte ich für einen unverzeihli- In meinen Augen war der Entschluß zur Wiederbe-
chen, schlimmen Fehler der Außenpolitik Adenau- waffnung eine höchst risikovolle Provokation der So-
ers. wjetunion. Sie war nämlich das einzige Motiv, das
(Beifall bei der PDS) die Sowjetunion für eine Aggression gegen Westeu-
Wir haben damals ohne Not die Menschen in der ropa hätte haben können, zumal die Wiederbewaff-
DDR im Regen stehenlassen, und wir haben sie die nung von recht aggressiven Attitüden begleitet war.
Hauptlast dieses Krieges, nämlich die Reparationen Erinnern Sie sich nicht mehr an die Sprüche vom
an die Sowjetunion, zahlen lassen. Für mich waren Rollback der Sowjetunion bis an den Ural aus Ihren
die Bedingungen dieses Angebots annehmbar. Es Reihen, an die Plakate der F.D.P. „Niemals Deutsch-
hätte uns 40 Jahre Spaltung, 40 Jahre kalten Krieg land dreigeteilt", an all die großen Kundgebungen
und vielleicht 2 Billionen DM Rüstungskosten erspa- der Vertriebenenverbände, auf denen die Redner der
ren können. Wir hätten dabei sogar eine Bundeswehr beiden großen Parteien dem deutschen Volk verspra-
zur eigenen Verteidigung haben dürfen, nicht zur chen, daß Wroclaw wieder Breslau heißen werde,
Vorwärtsverteidigung, wie man die Angriffsfähigkeit daß Pommern, Schlesien und Ostpreußen wieder
der Bundeswehr umschreibt, und auch ohne welt- deutsch sein würden?
weit einsatzfähige Krisenreaktionskräfte, wie man
sie jetzt aufbauen will. Aber das wäre ja schon mehr Unter diesen Umständen sollten die Polen und die
als genug gewesen, jedenfalls für mich. Sowjetunion keinen Grund zu der Befürchtung ha-
ben, die Deutschen könnten doch noch einmal zur
Ich weiß, Sie sind davon überzeugt: Dieses Ange- Revanche antreten? Das konnten doch nur die glau-
bot war nur ein taktisches Manöver, nur ein Trick. ben, die vollkommen verdrängt hatten, was die
Aber, meine Damen und Herren, die Viererbande, Wehrmacht und die SS im Osten angerichtet hatten.
wie sie in der Sowjetunion genannt wurde, die bereit Statt so stolz auf die Wiederbewaffnung zu sein, soll-
war, die DDR gegen die militärpolische Neutralisie- ten Sie lieber wie der Reiter über den Bodensee zu-
rung Deutschlands aufzugeben, hat es doch gege- rückschauen.
ben. Semjonow hat mir das drei Wochen vor seinem (Beifall bei der PDS)
Tode in einem Gespräch noch einmal ausdrücklich
bestätigt. Er war nicht wenig stolz darauf, im letzten Glauben Sie etwa, es war ein Zufall, daß der Aner-
Moment nach Stalins Tod und vor Berijas Liquidie- kennung der Oder-Neiße-Linie in Polen als erster
rung von diesem Zug abgesprungen zu sein. Schritt die Gründung der Solidarno ść auf dem Fuße
folgte, nämlich als die Polen nicht mehr das Gefühl
In einer Beziehung allerdings kam das Angebot hatten, sie müßten sich fest an die Sowjetunion an-
Stalins zu früh, weil niemand im Westen Deutsch- klammern, um diese Grenze zu sichern?
lands es im Unterschied zum Osten wagen durfte, die
Oder-Neiße-Linie anzuerkennen, ohne als Vater- Auch bitte ich Sie, einmal darüber nachzudenken,
landsverräter zu gelten. Ich möchte es hier gleich sa- ob die Wiederbewaffnung Deutschlands nicht eine
gen: Die größte politische Leistung, die das deutsche sehr entscheidende Ursache für das Ausbleiben jeder
5582 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Heinrich Graf von Einsiedel


tieferen Reform oder Perestroika nach Stalins Tod in Fackeln, die am 30. Januar 1933 unter dem Branden-
der Sowjetunion gewesen ist. Unter dem militäri- burger Tor getragen worden sind.
schen Druck von außen und der Bedrohung, unter
der sich die Menschen dort genauso wie im Westen (Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der
fühlten, war es eben für die Machthaber dort nicht CDU/CSU und der F.D.P.)
leicht - jedenfalls haben sie es nicht gewagt -, Refor- Wir sagen nein dazu. Stoppen Sie die Militarisie-
men einzuleiten, die zunächst immer auch eine rung der Gesellschaft! Lassen Sie uns umkehren in
Schwächung der zu reformierenden Strukturen dar- Richtung konsequenter Entmilitarisierung!
stellen.
Sie sind übrigens auf dem besten Weg, diesen Feh- Danke sehr.
ler jetzt zu wiederholen, nämlich mit der NATO-Er- (Beifall bei der PDS - Zurufe von der CDU/
weiterung, mit dem militärischen Druck, den Sie CSU: Buh!)
jetzt wieder auf Rußland, das sich in einem aller
schwierigsten Reformprozeß befindet, ausüben.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo leben
Wort dem Bundesminister Volker Rühe.
Sie denn?)
Sie machen sich offenbar nicht die Mühe, oder Sie
sind unfähig, sich einmal in die Schuhe des vermeint- Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung
lichen Gegners zu stellen. Rußland ist heute als Groß- (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsi-
macht in Europa um Jahrhunderte, fast in die Zeit vor dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
Peter dem Großen zurückgeworfen. Die Russen ha- zunächst im Namen der ganzen Bundeswehr dem
ben große Teile ihres in Jahrhunderten gewachsenen Bundeskanzler für die ehrenvollen Worte, die er an
Imperiums aufgegeben. Was für Demutsgebärden er- unsere Soldaten gerichtet hat, sehr herzlich danken.
warten Sie eigentlich noch? Sollen sie den Kreml an (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Walt Disney verkaufen, um die Unterwerfung kom-
plett zu machen? Das erfüllt alle Angehörigen der Bundeswehr, die
Soldaten und die zivilen Mitarbeiter, mit Freude und
(Beifall bei der PDS)
auch mit Stolz.
Ihre Außenpolitik ist leider viel zu stark vom Denken
in militärischen statt in politischen Kategorien befan- Ich bin auch für die vielfältige Zustimmung und
gen. Anerkennung aus fast allen Bereichen des Deut-
schen Bundestages dankbar, denn bis auf PDS und
Noch eine Bemerkung kann ich Ihnen nicht erspa- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben alle unseren Sol-
ren. Nicht nur die Sieger über Hitler, sondern auch daten ihren Respekt bezeugt. Das ist wichtig. Diese
viele Menschen meiner Generation waren aus der haben 40 Jahre lang einen großartigen Dienst für un-
schrecklichen Erfahrung, die wir mit unseren Gene- ser Land geleistet. Sie tun das tagtäglich weiter. Des-
rälen gemacht haben, 1945 der tiefen Überzeugung, wegen ist es wichtig, daß das an einem solchen Tage
wir Deutschen dürften so bald nicht wieder Waffen in deutlich wird.
die Hand nehmen - das war auch das Ziel des Krie-
ges gegen Hitler-Deutschland -, schon gar nicht un- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und
ter deni Befehl von Männern, die sich durch den er- der SPD)
neuten Ruf zu den Waffen mit dem alten Feindbild
Sowjetunion nachträglich noch in ihrem bedin- Die Bundeswehr ist die Armee der deutschen De-
gungslosen Gehorsam gegenüber Hitler und seiner mokratie. Sie ist eine Bündnisarmee, und sie ist eine
verbrecherischen Kriegsführung weitgehend ge- europäische Armee. Bei diesem Dreiklang wird es
rechtfertigt und entschuldigt wähnten. In einer Zeit, bleiben.
als noch jeder Widerstand gegen Hitler, nämlich in (Zustimmung bei der CDU/CSU)
den 50er Jahren, nicht nur der kommunistische, son-
dern selbst der der Verschwörer vom 20. Juli, auf die Ich möchte ausdrücklich dem Vorsitzenden der
Herr Bundeskanzler Dr. Kohl abgehoben hat, als Ver- SPD-Fraktion, der sich jetzt für einen kurzen Zeit-
rat angesehen wurde, wo der militärische Gehorsam raum entschuldigt hat - das ist völlig in Ordnung -,
noch vielen als die höchste Tugend galt, gleichgültig, für die Würdigung danken, die er mit seinem Beitrag
wem er geleistet wurde, war es ein schwerer Rück- der Bundeswehr hat zukommen lassen.
schlag für die geistige Gesundung dieses Volkes,
seine Söhne wieder in Uniform zu stecken. (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein) -
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und Diese Würdigung muß sich natürlich in der Praxis be-
nach dem Wegfall des vermeintlichen Grundes für währen und darf nicht nur in Feierstunden geäußert
die Wiederbewaffnung die nächste Enttäuschung: werden. Der jüngste Beschluß der SPD-Fraktion, was
zunächst Abrüstung, jetzt aber schon wieder ver- Auslandseinsätze angeht, geht in die richtige Rich-
stärkte Rüstung, statt militärischer Zurückhaltung tung. Ich möchte hier unterstreichen, was die Kolle-
Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Bündnisge- gen Gerhardt und Paul Breuer gesagt haben: Für un-
biets, statt Verbot des Rüstungsexports seine stän- sere Soldaten ist es ganz wichtig, daß soviel Konsens
dige Steigerung. Und dann das wilhelminische Prim wie möglich herrscht; denn sie gehen in Einsätze, in
borium des Großen Zapfenstreichs mit denselben denen sie notfalls ihr Leben riskieren. Deswegen
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5583
Bundesminister Volker Rühe
brauchen sie hier im Deutschen Bundestag soviel Bruchteil Ihrer Wähler weiß, welche Positionen Sie
Unterstützung wie irgend möglich. zum Schaden unseres Landes hier vertreten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
wie bei Abgeordneten der SPD)
Während Sie im Ausschuß - so Frau Beer auch
Herr Scharping hat sich in die Tradition des SPD- hier - die Abschaffung der Bundeswehr und der
Fraktionsvorsitzenden Erler gestellt. Ich habe Herrn NATO fordern, führen Sie eine große Diskussion dar-
Erler damals auch mit großer Begeisterung zugehört, über, daß man die Schutzzonen in Bosnien schützen
und ich muß sagen, daß es ein großer Anspruch ist, muß. Hier stellt sich doch genau die Frage, was ei-
dem gerecht zu werden, daß dies Führungsstärke gentlich moralisch geboten ist.
verlangen wird. Im übrigen habe ich mich auch rie-
sig gefreut, daß jetzt die drei sozialdemokratischen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Verteidigungsminister gewürdigt worden sind, daß DIE GRÜNEN]: Der Zapfenstreich?!)
Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel wenig-
stens im nachhinein eine späte Würdigung erfahren Herr Fischer, Sie haben ja erste Versuche gemacht.
haben. Ist es nicht richtig, daß es in der Situation von Srebre-
nica, in der Situation des früheren Jugoslawien zu-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tiefst unmoralisch wäre, den Einsatz von Soldaten zu
verweigern? Darum geht es doch. Und dann muß
Als Verteidigungsminister weiß ich, daß es ganz hilf- man ihnen auch bei einem solchen Zapfenstreich Re-
reich ist, wenn man schon unterstützt wird, solange spekt bezeugen.
man im Amt ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
und der F.D.P.) Es kamen in der Vergangenheit viele Ihrer Fraktions-
kollegen zu mir und sagten, ich müsse mehr zum
Und weil Sie von der SPD zur Zeit keinen stellen -
Schutz von Tuzla und von Srebrenica tun. Ich habe
das wird ja vielleicht noch ein bißchen dauern -,
Hochachtung vor ihnen.
möchte ich Ihnen empfehlen, damit anzufangen, daß
Sie Ihre Verteidigungspolitiker unterstützen. Denen Übrigens: Wie müssen sich eigentlich diejenigen in
möchte ich nämlich auch meinen Respekt sagen; sie Ihren Reihen fühlen, die die Nationale Volksarmee
bestehen manche schwierige Auseinandersetzung. erlebt haben und jetzt miterleben müssen, wie
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier der Armee der De-
wie bei Abgeordneten der SPD) mokratie und des vereinten Deutschlands den Re-
spekt verweigern?
Beschämend ist das Auftreten der Grünen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
wahr!) DIE GRÜNEN]: Reicht es, wenn wir einmal
aufstehen und salutieren? Sind Sie dann zu-
Herr Fischer, Sie haben gestern Kübel voll Schmutz
frieden? Reicht das?)
über den Zapfenstreich ausgegossen. Es ist beschä-
mend, daß Sie den deutschen Soldaten den Respekt Frau Beer, das große Polizeiaufgebot war doch
verweigern. nicht wegen der Soldaten da, sondern wegen der
friedlosen Störer, die sich dort versammelt hatten.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Ich verweigere dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Zapfenstreich den Respekt!)
Und beim Hofgarten kommen wir ja wirklich auf
- Dann erinnere ich an das, was Frau Beer gesagt den Punkt. Da fühlen sich einige Grüne auf den
hat. Wissen Sie, der letzte, den ich mit dem Zapfen- Schlips getreten, und sie sagen: Das ist doch eigent-
streich geehrt habe, war der französische General- lich unser Platz gewesen, der Platz der großen De-
stabschef, Admiral Lanxade. Er hat mir geschrieben, monstrationen Anfang der 80er Jahre, wo man ge-
daß er und mit ihm alle französischen Soldaten sich sagt hat, der sowjetischen Hochrüstung darf nichts
niemals mehr geehrt gefühlt hätten. entgegengestellt werden. Heute wissen wir: Nur
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ durch die Bereitschaft, dem etwas entgegenzustel-
DIE GRÜNEN]: So unterschiedlich sind die len, haben wir den Frieden in Europa gesichert.
Geschmäcker!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - -
Wie kann der Zapfenstreich ein vordemokratisches, Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
nationalistisches Zeremoniell sein, wenn sich die DIE GRÜNEN]: Der ewige Kanzler wollte
französischen Soldaten durch ihn geehrt fühlen? Es auch mal diesen Platz betreten!)
ist doch Unsinn, was Sie da verbreiten,
Deswegen ist es ein wirkliches Symbol, daß jetzt die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eigentliche Friedensbewegung der 80er und 90er
Jahre, nämlich die Bundeswehr, dort diesen Zapfen-
Im übrigen frage ich mich, wer eigentlich für die streich durchgeführt hat, genau auf diesem Platz.
Grünen spricht. Ich sage das hier einmal, weil es
wichtig ist; denn ich bezweifele, daß auch nur ein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
5584 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, allem den Angehörigen möchte ich in dieser Stunde
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen sagen, daß ihnen unser ganzes Mitgefühl gilt.
Dr. Lippelt?
Vierzig Jahre Bundeswehr, fünf Jahre Armee der
Einheit: Freiheit und Menschenwürde, Recht und
Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Frieden, Solidarität mit Verbündeten, Hilfe für Men-
Bitte, ja. schen in Not bestimmen den Dienst der Soldaten der
Bundeswehr. Diese vierzig Jahre waren vier Jahr-
Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zehnte Kriegsverhinderung in schwieriger Zeit. In
Herr Minister, wären Sie erstens bereit anzuerken- vielen europäischen Krisen der Nachkriegszeit ha-
nen, daß es möglicherweise einen Unterschied gibt ben Bundeswehr und Nordatlantisches Bündnis der
zwischen einem vordemokratischen martialischen Bundesrepublik Rückhalt gegeben, und die Bundes-
Zeremoniell und dem demokratischen Inhalt der wehr war und ist das Rückgrat der NATO-Verteidi-
Bundeswehr nach Baudissin, den wir ja nicht abstrei- gung in Mitteleuropa.
ten? Ich möchte eine Bemerkung von Herrn Scharping
Zweitens. Wären Sie bereit anzuerkennen, daß bei aufgreifen. Er hat vor der Gefahr der Renationalisie-
der Frage, wodurch in den 80er Jahren dieses Land rung gewarnt. Wolfgang Schäuble und ich haben
vor einer möglicherweise hochgefährlichen Situation uns angeschaut: Das ist genau der Punkt, warum wir
stand, in einem System, wo Raketen nur sieben Mi- in den letzten Jahren so energisch darum gekämpft
nuten von hier bis Moskau brauchten, haben, daß unsere Soldaten, die auch vor Gericht
standen, an Bord der AWACS-Maschinen bleiben. Es
(Zurufe von CDU/CSU und F.D.P.: Umge ist ein großartiger Fortschritt, daß jetzt zwölf Natio-
kehrt!) nen gemeinsam ein Flugzeug betreiben und - ob Lu-
beide Seiten ihr Recht hatten xemburger oder Amerikaner - jeder dieselben Infor-
mationen bekommt. Wer dort aussteigt, der führt ge-
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist nau diese Renationalisierung herbei.
entlarvend!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
und nicht nur Sie, die eine hochriskante Politik be-
trieben haben? Herr Scharping, man kann nicht das deutsch-nie-
derländische Korps begrüßen - ich bin auf das, was
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der wir da verwirklicht haben, stolz - und gleichzeitig
F.D.P.) darauf bestehen, daß ich, wenn es ernst wird, den
niederländischen Kollegen sagen muß: Unsere Ein-
Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: heiten bleiben leider zu Hause bzw. im Hafen.
Herr Kollege Lippelt, wir haben vor allen Dingen
Wir reden doch über eine weitere Vertiefung der
eine erfolgreiche Politik für den Frieden gemacht.
Gemeinsamkeiten. Das ist der Kern der Dinge: Wer
Heute sind alle diese Waffen verschwunden, die hin-
die europäische Gemeinsamkeit will, wer eine Rena-
zunehmen Sie bereit waren. Das ist genau der ent-
tionalisierung verhindern will, der muß uns auf die-
scheidende Punkt.
sem Wege folgen. Die Bundeswehr muß bereit sein,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zusammen mit ihren Freunden, Nachbarn und Ver-
bündeten hier ihren Beitrag zu leisten. Das ist die ei-
Im übrigen: Zapfenstreiche haben alle Verteidi-
gentliche Aufgabe, der Sie sich stellen müssen, wenn
gungsminister der Bundesrepublik Deutschland Sie mit uns darin übereinstimmen.
durchgeführt, alle Bundeskanzler; dabei wird es
auch in Zukunft bleiben. Es ist eine gute Tradition 40 Jahre Bundeswehr sind auch 40 Jahre Innere
der Bundeswehr, die sich dort entwickelt hat. Führung. Darüber hat es manche Debatten gegeben,
heute aber nicht mehr. Ich muß Ihnen sagen: Ich bin
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ zutiefst beeindruckt gewesen, als ich die Soldaten im
DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zur
Einsatz erlebt habe. In schwierigen Situationen, in
Dietl-Kaserne!) Somalia und anderswo, hat nicht Zackigkeit gezählt,
Meine Damen und Herren, wenn wir heute an sondern Souveränität, auch die Souveränität des
40 Jahre Bundeswehr denken, dann erinnern wir uns Feldwebels, sich auf die Kultur einzustellen und lie-
auch an die vielen Soldaten, die im Frieden ihr Le- ber ein paar Stunden zu reden und einen Brunnen zu
ben ließen. In tiefer Trauer verneigen wir uns vor den bauen, statt nur daran zu denken, Sicherheit mit Ma-
Kameraden der Luftwaffe, die am vergangenen schinengewehren herzustellen.
Sonntag mit ihrer Transall-Maschine auf den Azoren -
Auf die Verteidigungskultur, die wir entwickelt
tödlich verunglückt sind. Diese Männer gehören zu
haben und die heute ein großer Exportartikel in Rich-
denen, die seit Jahren überall auf der Welt, zuletzt tung der neuen Demokratien in Mitteleuropa ist,
auch für Sarajevo und Bosnien, Tausenden von not-
können wir stolz sein. Wir sind hier auf dem richtigen
leidenden Menschen Hilfe gebracht und Hoffnung
Wege. Das ist der Alltag der Bundeswehr. Daran
gegeben haben, unter Gefahr für Leib und Leben, sollte niemand herumnörgeln.
unter Beschuß. Um so tragischer ist es, daß sie ihr Le-
ben auf diesem Flug gelassen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Wir müssen in einer solchen Stunde daran erin- Dankbar bin ich auch dafür, daß eigentlich von je-
nern, daß wir um diese toten Soldaten trauern. Vor dem die Leistung der Bundeswehr, was die innere
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5585
Bundesminister Volker Rühe
Einheit angeht, gewürdigt wurde. Wir wollen aber sere junge Generation und eine verbesserte Attrakti-
nicht nachlassen, nachdem wir so viel Lob bekom- vität der Bundeswehr wichtig.
men haben. Es gilt, noch viel zu tun. Mancher West-
Das wichtigste ist - der Bundeskanzler hat es ge-
deutsche hat den verschütteten Idealismus in sich
wieder entdeckt; das spüre ich immer wieder in Ge- stern abend auch gesagt -: Wir brauchen zwar mo-
sprächen mit Soldaten. Das sollte uns nachdenklich dernes Material, aber das wäre alles nichts, wenn wir
machen. nicht die richtigen Menschen hätten, die in der Bun-
deswehr dienen. Weil sie eine Wehrpflichtarmee ist,
Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Ich habe bekommen wir auch die richtigen Berufssoldaten.
ganz großen Respekt vor den Soldaten der Nationa- Wir wollen keine Rambos, wir wollen keine Legio-
len Volksarmee, die wußten, daß wir sie nicht über- näre. Das muß man im übrigen immer auch bei Aus-
nehmen - zum Teil haben sie das selbst entschieden -, landseinsätzen wissen: Eine Armee muß eingesetzt
und ihren Dienst trotzdem ganz treu und loyal für werden können - für die Demokratie, für das Bünd-
einen begrenzten Zeitraum verrichtet und diesen nis -, aber es muß schwer sein, diese Entscheidung
phantastischen Übergang mit ermöglicht haben. Sie zu treffen. Diese Entscheidung ist schwer zu treffen,
verdienen es, daß wir dies in dieser Stunde würdi- wenn es sich um eine Wehrpflichtarmee handelt.
gen. Auch die 11 000 Männer, die heute nicht mehr
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so-
in der Bundeswehr sind, haben unserem Vaterland
wie bei Abgeordneten der SPD)
durch ihr Verhalten loyal gedient.
Wir haben uns die Entscheidung schwer gemacht.
(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und
Weil die Menschen das gespürt haben, hat sich ein
der SPD)
Konsens entwickelt, den viele in den vergangenen
Ich will aber nicht nur sagen, daß wir nicht nach- Jahren nicht für möglich gehalten haben. Ich finde,
lassen werden, sondern möchte das, was die Bundes- das sollte man auch einmal sagen, weil soviel von
wehr im Hinblick auf die innere Einheit gemacht hat, Unbeweglichkeit gesprochen wird: Dies geschah
auch zur Nachahmung empfehlen. Wir haben näm- mitten im deutschen Einigungsprozeß, als die Men-
lich Führungseinrichtungen von West nach Ost verla- schen in Dresden, Leipzig und Rostock wirklich an-
gert, die es nur einmal gibt; das ist der eigentliche dere Probleme hatten als Auslandseinsätze und auch
Kern. So können dort auch neue Eliten entstehen. die Menschen im Westen mit anpacken und für die
Wiedervereinigung große Leistungen erbringen
Ich war vor einigen Tagen mit 600 jungen Offiziers- mußten. Heute gibt es ein Verständnis dafür, daß die
schülern in Hannover zusammen; sie waren im Bundeswehr die Solidarität zurückgeben muß, die
Schnitt 21 Jahre alt. Dort wurde auch die große Ver- sie in der Vergangenheit erfahren hat, daß sie nicht
antwortung deutlich. In wenigen Jahren wird diese aus dem internationalen Verbund ausscheren kann.
Ausbildung, die es nur einmal in Deutschland gibt, in
Dresden stattfinden. Das ist eine Entscheidung, die Deswegen möchte ich mich zum Schluß bei den
sich andere vielleicht zum Vorbild machen könnten. Menschen in unserem Lande dafür bedanken, daß
Manche bleiben sogar in Westdeutschland, obwohl sie den Weg der Soldaten und der Bundeswehr mit
sie in asbestverseuchten Gebäuden sitzen. Ich denke so viel Verständnis begleiten.
da z. B. an eine Einrichtung in Köln. Ich bedanke mich.
Wir werden modernste Einrichtungen in München (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
und Hannover verlassen, weil wir gesagt haben: Die der F.D.P. - Beifall bei Abgeordneten der
Investition in die Menschen ist wichtig. Eine Füh- SPD)
rungseinrichtung, die es nur einmal in Deutschland
gibt, muß es im Osten geben. Es dürfen nicht immer
nur Ableger sein. Das empfehle ich zur Nachah- Vizepräsident Hans Klein: Kollege Walter Kolbow,
mung. Sie haben das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Walter Kolbow (SPD): Herr Präsident! Meine sehr
Die Bundeswehr ist Teil des Volkes; sie gehört in verehrten Damen und Herren! Zu vielen Ihrer Aus-
unsere Mitte. Hier darf ich dankbar feststellen, daß führungen, Herr Bundesminister der Verteidigung,
sich nicht nur die Koalitionsparteien voll zur Wehr- habe ich meine Zustimmung zu bekunden. Dies ist
pflicht bekannt haben, sondern auch der Vorsitzende auch bei der Veranstaltung meiner Fraktion vor drei
der SPD. Auch daraus erwächst Verantwortung; Tagen deutlich geworden, auf der wir das 40jährige
denn es gibt immer wieder andere Stimmen. Ich Jubiläum der Bundeswehr gewürdigt haben. Die so-
möchte ausdrücklich festhalten - es ist wichtig, daß zialdemokratische Bundestagsfraktion hat dies mit-
das von allen gemeinsam gewürdigt wird -: Wehr- Selbstbewußtsein getan, nicht nur, um die Leistun-
dienst ist in der Demokratie ein Ehrendienst. Wir alle gen unserer Streitkräfte herauszustellen, sondern
müssen uns Mühe geben, dies den Wehrpflichtigen auch, um unsere eigenen Verdienste zu würdigen.
deutlicher zu machen. Herr Kollege Gerhardt, Sie haben das anempfohlen.
Wer könnte Ihnen da widersprechen?
Wir diskutieren auch über das Wehrrechtsände-
rungsgesetz. Hier gibt es wichtige Veränderungen. Die Leistungen der demokratischen Parteien, auch
Wir bemühen uns, wirklich einen kompakteren auf dem Sektor der Außen-, Sicherheits- und Vertei-
Dienst zu gestalten: Wehrdienst so lange wie nötig, digungspolitik, sind identitätsstiftende Grundlagen
aber auch so kurz wie möglich. Das ist gerade für un für unser Gemeinwesen. Deshalb ist dieser Tag,
5586 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Walter Kolbow
meine Damen und Herren, auch im Parlament so Wir in der parlamentarischen Opposition fühlen
wichtig. uns heute wie in der Gründungszeit für die Bundes-
wehr mitverantwortlich. Dies wird aus den deutlich
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne bekundeten Übereinstimmungen, aber natürlich
ten der CDU/CSU und der F.D.P.) auch in den Gegensätzen zur Bundesregierung sicht-
Als Redner für eine Partei, in der Pazifisten und Pa- bar. Ich komme darauf zurück.
zifistinnen immer ihren angestammten Platz in Re- Ich will hier für meine Fraktion noch einmal in Un-
spekt vor einem wehrhaften Demokraten wie mir terstreichung dessen, was mein Fraktionsvorsitzen-
hatten und haben werden, will ich sagen, daß es we- der gesagt hat, herausstellen, daß dieser Tag eine
nig Sinn macht, den gestrigen Abend und den Ort hervorragende Bedeutung ebenso deswegen hat,
möglicherweise als Sieg der Bundeswehr über die weil wir fünf Jahre Armee der deutschen Einheit be-
Friedensbewegungen darzustellen. gehen können. Auch da gibt es keinen Dissens zwi-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schen den wesentlichen, die Streitkräfte stützenden
DIE GRÜNEN) politischen Kräften in unserem Lande.

Ich weise auf Empfindlichkeiten, die in diesem Land Mir ist dabei die Botschaft des damaligen Befehls-
bestehen, auch als jemand, der nicht bei Demonstra- habers in den neuen Ländern General Schönbohm
tionen der Friedensbewegungen dabei war, hin, weil im Bewußtsein, der in seinem Buch „Ein Staat, eine
dies zur Versöhnung in unserem Lande gehört. Ihrer Armee" geschrieben und den NVA-Soldaten quasi
Einseitigkeit, meine Damen und Herren von der Ko- zugerufen hat:
alition, steht nicht eine Einseitigkeit in diesem Lande Wir kommen nicht als Sieger zu Besiegten, son-
gegenüber. Dies muß von dieser Stelle aus gesagt dern als Deutsche zu Deutschen. Wir wollen ge-
werden dürfen, ja gesagt werden müssen. Wir, meine meinsam die Zukunft gestalten, in Kenntnis der
Damen und Herren, haben bei der Inneren Führung, Vergangenheit. Nur dies konnte der Weg sein,
beim Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, wesentli- der auch tragfähig war. Wir müssen eine gemein-
che Grundlagen dafür gelegt. same Perspektive entwickeln, damit es für alle
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne lohnend war, sich einzubringen.
ten der F.D.P.) Das war der Maßstab des Erfolgs, den sich die Poli-
tik gesetzt hatte. Der Erfolg ist eingetreten.
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Kolbow,
Deshalb ist nach der Vereinigung zu sagen: Die
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Loyalität der Bundeswehr als verläßlicher Teil unse-
Breuer?
rer Demokratie steht außer Frage. Unsere Soldatin-
nen und Soldaten sind wesentlicher Bestandteil un-
Walter Kolbow (SPD): Herr Kollege Breuer, wenn serer freien Gesellschaft, und sie haben zusammen
Sie mich im Zusammenhang vortragen lassen wollen. mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Wir können so oft im Verteidigungsausschuß die einen wichtigen Anteil am Aufbau des Staates. Sie
Klingen kreuzen. Ich glaube zu wissen, was Sie fra- stehen für die Sicherheit ein, und tagtäglich bewäh-
gen wollen. Ich komme darauf während meiner Aus- ren sie sich auch als demokratische Mitbürgerinnen
führungen sicherlich noch zurück. Ich bitte aus- und Mitbürger.
drücklich, dies nicht als fehlenden Respekt vor dem
Kollegen Breuer zu werten, sondern ich möchte in Deswegen schulden wir ihnen und ihren Familien
meiner kurzen Redezeit im Zusammenhang vortra- Dank. Weil dies so ist, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen. gen, darf man nicht blind auf die Soldatinnen und
Soldaten und auf die, die sie stützen, einschlagen,
Innere Führung, das Leitbild des Staatsbürgers in auch nicht im Zusammenhang mit dem Großen Zap-
Uniform sind Markenzeichen unseres Beitrages. Ich fenstreich. Man muß - das kann nicht befohlen wer-
füge die Stichworte Bildungsreform in den Streit- den - in unserem Lande, in unserer Demokratie, den
kräften, Bundeswehruniversitäten und Militärge- Zapfenstreich nicht mögen - ich mag ihn -, aber man
schichtliches Forschungsamt hinzu; Sie haben das muß, so meine ich - und da richte ich mich an die
auch in Ihren Aussagen zu diesem Tag gewürdigt. links von uns stehenden Parteien und Gruppen in
diesem Bundestag -, in jedem Fall soviel Gelassen-
Ich nenne nicht ohne Grund auch das Sozialwis- heit aufbringen, ihn zu tolerieren. Das verlangen wir
senschaftliche Institut, das im Augenblick unter Ih- als Demokraten, um Sie als solche zu respektieren,
rer Verantwortung, Herr Bundesminister der Vertei- von Ihnen.
digung, ein Kümmerdasein führt. Ich rege an dieser -
Stelle auch an zu überlegen, ob man dieses wichtige, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
auch unabhängige Meinungen fördernde, im Zusam- F.D.P.)
menhang mit wichtigen Fragen unserer Landesver-
teidigung notwendige Institut nicht der Wehrbeauf- Heute, im vierzigsten Jahre des Bestehens, steht
tragten unterstellt und es damit dem Parlament gibt, die Bundeswehr vor einer weiteren Zäsur. Es ist auf
damit wir gemeinsam mit den Streitkräften diese das wichtige Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Leitideen der Inneren Führung und des Staatsbür- hingewiesen worden, vor dem, Herr Kollege Rühe,
gers in Uniform vertiefen können. nicht die Soldaten standen. Dieses Wort, glaube ich,
wollten Sie so, wie es angekommen ist, nicht sagen.
(Beifall bei der SPD) Vor dem Gericht stand eine Weiterentwicklung unse-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5587
Walter Kolbow
rer Politik in bezug auf notwendige internationale wir dafür ein, in unseren Streitkräften einen Dialog
Entwicklungen, und die Politik selbst stand durch über die große Bundeswehrreform zu führen, die wir
den Klagevertreter Herrn Kinkel, der mit in Ihrem nach wie vor nicht haben.
Kabinett sitzt, vor Gericht.
(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Es ist der Beharrlichkeit der Sozialdemokratinnen NEN]: In der Gesellschaft vor allem!)
und Sozialdemokraten zu verdanken,
Wir sind bereit, mit unseren Kräften dabei mitzuwir-
(Widerspruch bei der F.D.P.) ken und einen Beitrag zum Konsens zu leisten.
daß dies ein Parlamentsheer auch bei internationalen (Beifall bei der SPD)
Einsätzen ist, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, im Verhältnis von Par-
(Beifall bei der SPD) lament und Bundeswehr - ich habe die Bedeutung
des Parlamentsheeres herausgestrichen - hat das
Weil es ein Parlamentsheer ist, bitte ich Sie - beschei- Amt des Wehrbeauftragten einen überragenden
den aus der parlamentarischen Arbeit heraus, wie es Stellenwert. Mir ist es persönlich, aber natürlich auch
dem Sprecher einer Oppositionsfraktion zukommt - politisch ein wichtiges Anliegen, dem Sozialdemo-
zu überlegen, ob nach diesen deutlichen Worten des kraten Karl Wilhelm Berkhan, der von 1975 bis 1985
Verfassungsgerichts bei einem wichtigen Zeremo- dieses Amt vorbildlich ausübte, im nachhinein Dank
niell unserer Streitkräfte nicht auch die Bundestags- zu sagen und an dieser Stelle an sein Wirken zu erin-
präsidentin auf das Ehrenpodium gehört. nern. Er war das Auge und das Ohr, und er war das
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt soziale Gewissen. Das ist seither der Maßstab für die
hat das Schicksal aber zugeschlagen! - Paul Arbeit aller Wehrbeauftragten in unserem Land.
Breuer [CDU/CSU]: Kolbow wollte ja nicht (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Schäu-
klagen!) ble [CDU/CSU]: Was ist denn mit den ande-
Denn auch das Parlament repräsentiert unsere Streit- ren Wehrbeauftragten? - Wolf-Michael Ca-
kräfte. Sie haben das Recht, Frau Kollegin tenhusen [SPD]: Die haben Sie doch schon
Dr. Süssmuth - so darf ich in diesem Fall sagen -, gelobt! - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/
CSU]: Wir haben alle gelobt! Das ist der Un-
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Profes terschied!)
sor!)
Wir haben heute festzustellen - trotz der richtigen
die Ehrungen mit abzunehmen, und brauchen nicht Worte des Herrn Bundeskanzlers und auch des Herrn
wie wir nur auf der Besuchertribüne zu stehen. Bundesministers der Verteidigung: Wehrpflicht ist
und bleibt Ausdruck der Bürgerverantwortung -, daß
(Beifall bei der SPD - Günter Verheugen
sich die Wehrpflicht heute in einer Krise befindet.
[SPD]: Das sind die kleinen Stillosigkeiten!)
Ihre Legitimation in unserer Gesellschaft ist zumin-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die dest brüchiger geworden, wenn nicht gar brüchig.
neuen Aufgaben fordern notwendigerweise eine Mo- Von den jungen Männern wird sie immer weniger
dernisierung der Bundeswehr. Sie muß breit ange- akzeptiert. Hier ist die Praxis gefordert, die Sie ange-
legt sein. Sie muß die Konkretisierung des Auftrags, mahnt haben. Ich habe den Eindruck, daß niemand
das Konzept der Inneren Führung, die Personalfüh- frei davon ist, an Sonntagen feierlicher und grund-
rung, die Ausbildung, die Ausrüstung, die Integra- sätzlicher zu sprechen als an Werktagen. Aber bei
tion in Staat und Gesellschaft sowie die Integration der Wehrpflicht - das muß ich Ihnen auch nach dem
der Streitkräfte in das westliche Verteidigungs- und sagen, was Sie wieder vorschlagen - sind Sie den
Sicherheitsbündnis nicht nur wie bisher umfassen, Sonntagsreden näher als wir.
sondern auch vertiefen. Ich unterstreiche ausdrück-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
lich das zur Verbreiterung im Bündnis Gesagte, was
internationale Korps betrifft und was die Grundlage Deswegen mahne ich an, miteinander ins Ge-
der Bündnisfähigkeit ist. spräch zu kommen. Ein „Weiter so!" genügt hier
nicht. Die Defizite in der gesellschaftspolitischen Dis-
In diesem Prozeß haben die Soldaten und Soldatin- kussion sind zu groß. Wir haben sie miteinander aus-
nen einen Anspruch auf besondere Fürsorge. Daher zugleichen. Die Feststellungen der Grünen und der
ist eine vorausschauende mittelfristige Bundeswehr- Gruppe der PDS hierzu müssen wir aus Überzeu-
planung notwendig, die alle politischen, militäri-
gung ablehnen. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist
schen, betriebswirtschaftlichen und sozialen Fakto- nicht die richtige Antwort darauf.
ren sowie die Ergebnisse politischer Erwägungen -
einbezieht. Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
die Reform der Bundeswehr für alle nachvollziehbar ten der F.D.P.)
und über einen längeren Zeitraum hinweg zu pla-
Hier gilt: Nicht alles - und ich kenne viele ernstzu-
nen. Ein knapper, inhaltlich auch noch umstrittener
nehmende Kolleginnen und Kollegen gerade unter
Koalitionsvereinbarungsbeschluß von 1994 kann
den Verteidigungspolitikerinnen und Verteidigungs-
doch nicht die Grundlage dafür sein, meine Damen
politikern und diskutiere mit ihnen -, was gut ge-
und Herren von der Koalition, wie die Bundeswehr in
meint ist, ist auch gut. In diesen Zusammenhang ge-
der Zukunft aussehen soll. Das ist zu kurz gesprun-
hört Ihre Position zur Wehrpflicht.
gen. Das erreicht auch nicht unsere ganze Gesell-
schaft, die dabei mitwirken muß. Deswegen treten (Beifall bei der SPD)
5588 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Walter Kolbow
Meine Damen und Herren, die Soldatinnen und Ich danke für die Geduld.
Soldaten sind von allen gewürdigt worden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ten der CDU/CSU und der F.D.P.)
NEN]: Ich kann „Soldatinnen und Solda
ten" nicht mehr hören!)
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
- Daran müssen Sie sich gewöhnen; denn auch Sol- lege Rainer Eppelmann.
datinnen tragen Uniform. Ich habe mich ebenfalls
daran gewöhnen müssen. Dem Anspruch auf Eman-
zipation werden wir auch dadurch gerecht, daß wir Rainer Eppelmann (CDU/CSU): Herr Präsident!
jungen Frauen das Recht geben, Soldatinnen zu wer- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wußten ei-
den, auch wenn sie es selber nicht wollen. gentlich die Menschen in der DDR von der Bundes-
wehr, die in diesen Tagen ihr 40jähriges Bestehen fei-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ern kann? Ein weitverbreitetes DDR-Wörterbuch der
ten der CDU/CSU und der F.D.P.) Geschichte charakterisierte die Bundeswehr als
Ich will zum Abschluß meiner Rede deutlich ma- ... wichtigstes bewaffnetes Machtorgan des
chen: Wir haben in den Art. 87a und 87 b des Grund- staatsmonopolistischen Regimes der BRD, dessen
gesetzes die Aufgabenteilung zwischen den Streit- innenpolitische Funktion die Sicherung der mo-
kräften und der Bundeswehrverwaltung zur gemein- nopolkapitalistischen Klassenherrschaft ist und
samen Aufgabenerfüllung festgeschrieben. Dieses dessen außenpolitische Funktion darin besteht,
hat sich bewährt. Dabei wollen wir bleiben. Nur müs- expansionistische Ziele unter militärischer Ge-
sen dann auch die Bediensteten, die Mitarbeiterin- waltanwendung erreichen zu können.
nen und Mitarbeiter im zivilen Bereich, merken, daß
Sie, die politische Führung, mit ihnen bei der Redu- Ich mute Ihnen allen diesen typischen SED-Text zu,
zierung auf soziale Weise umgehen. Ich mahne die weil mir wichtig ist, mit diesem Zitat deutlich zu ma-
Behandlung der Fragen der Vertiefung des Tarifver- chen, was die Menschen in der DDR nach dem Wil-
trages und der Sozialfürsorge an. Die Wohnungsfür- len der DDR-Machthaber von der Bundeswehr glau-
sorge für unsere Bundeswehr ist eine Katastrophe. ben sollten.
Ich will den Bundesverteidigungsminister nicht für
Das Eintreten für den Frieden und die Verweige-
etwas in Anspruch nehmen, was er nicht zu vertreten
rung des Waffendienstes in der Nationalen Volksar-
hat. Aber wenn der Bundesfinanzminister, weil er
mee
kein Geld mehr hat, jetzt Bundeswohnungen ver-
kauft, müssen wir genau darauf achten, ob es sich (Zuruf des Abg. Ludger Volmer [BÜND-
dabei nicht auch um bundeswehreigene Wohnungen NIS 90/DIE GRÜNEN])
handelt,
(Beifall bei der SPD) - hör doch zu! - gehörten in der DDR zu den wichtig-
sten Motiven für Widerstand und Opposition. Ich
so daß dann im Ergebnis die Bediensteten der Bun- selber wurde endgültig zu einem politischen Men-
deswehr die Benachteiligten sind. schen, als ich mich zum Dienst in den Baueinheiten
Ich will auch an die Reservisten erinnern, die ei- der NVA entschloß und als „Spatensoldat" das Ge-
nen wichtigen Dienst leisten und die auch von dieser löbnis verweigerte, mit dem ich meinen militärischen
Stelle im Deutschen Bundestag aus gesagt bekom- Genossen Vorgesetzten unbedingten Gehorsam ge-
men sollen, daß wir anerkennen, welch wichtigen loben sollte. Das konnte und das wollte ich nicht.
Dienst sie leisten, und daß wir sie weiter brauchen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Wir grüßen von dieser Stelle aus alle, die heute in -
DIE GRÜNEN]: Wie war das in der Ost
den Kasernen sind und uns möglicherweise zu- CDU?)
schauen oder sich eine Aufzeichnung anschauen
Nach dem Sturz der SED-Diktatur wurde aus
können. Wir grüßen die Familien der Soldaten.
dem Bausoldaten, der wegen Gelöbnisverweigerung
(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Das ist doch acht Monate Militärhaft hatte abbüßen müssen, ein
eine Sonntagsrede!) Minister. Ich legte großen Wert darauf, daß sich das
Ministerium, an dessen Spitze ich berufen wurde,
- Das ist ein wichtiger Anspruch, Herr Kollege Rose, „Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der
den Sie in Ihrer Rede, die folgen wird, einlösen kön- DDR" nannte. Ich glaube auch heute noch, daß wir
nen. damit damals ein wichtiges Zeichen gesetzt hatten.
Für uns gilt unverändert der Satz von Willy Brandt, Der Verteidigungsauftrag wird im Interesse der Men--
der eine Gesamtwürdigung dessen darstellt, was die schen, um deren Verteidigung es geht, immer nur
Bundeswehr 40 Jahre lang bewirkt hat, und der ein dann richtig begriffen, wenn er alle Möglichkeiten,
Wunsch in bezug darauf ist, was die nächsten zu geordneten Formen der Abrüstung zu kommen,
40 Jahre für unser Land Gutes bringen sollen: „Der im Blick behält.
Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles
Die Position, die meine Freunde und ich damals
nichts. "
einnahmen, war damals keineswegs selbstverständ-
Deswegen wünschen wir den Angehörigen der lich. Wir begannen aber zu begreifen, daß die Verei-
Bundeswehr Glück auf dem weiteren Weg in eine nigung unseres geteilten Landes in Frieden und Frei-
friedliche Zukunft. heit nur dann möglich sein würde, wenn es gelingt,
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5589
Rainer Eppelmann
die Vereinigung von Volksarmee und Bundeswehr nannten Klassenauftrag zu erfüllen. Wir wissen
erfolgreich zu gestalten. heute: Diese Armee bereitete sich im Auftrag der
SED-Machthaber auf die Eroberung Westberlins vor,
Welche harten Konflikte sich damit auch im ganz entwickelte Pläne für die Besetzung Westdeutsch-
persönlichen Bereich ergaben, will ich Ihnen mit ei- lands bis zum Rhein und war - auch das wissen wir
ner kleinen Geschichte, an die ich mich noch erin- inzwischen durch die Arbeit der Enquete-Kommis-
nern kann, illustrieren: Als ich zu der Zeit, in der ich sion - voll einsatzbereit, als in Prag und Warschau
Minister für Abrüstung und Verteidigung war, eines die kommunistischen Diktaturen zu wanken began-
Tages nach Hause kam - ich wohnte damals noch in gen. Erst - aber auch das muß fairerweise dazuge-
der Gemeinde, in der ich Pfarrer war -, war mit gro- sagt werden - in den letzten Wochen und Monaten
ßen Lettern an die Wand des Hauses, in dem ich der DDR begann sich dieser blinde Gehorsam gegen-
lebte, gesprüht: „Eppelmann treibt uns in die über den Diktatoren zu wandeln. Und in der Wende-
NATO". Ich habe hinterher erfahren, daß es ein lie- zeit stellte sich die NVA in ihren allergrößten Teilen
ber Mensch war, der das an die Wand gesprüht hatte. auf die Seite der ersten demokratisch gewählten Re-
Er hat seine Sorgen öffentlich gemacht und ver- gierung in der DDR. Dafür gehört ihr Dank.
suchte auf diese Weise, seinem Vater etwas ins
Stammbuch zu schreiben. Es war mein ältester Sohn, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
der das an die Wand gesprüht hat.
Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hat die
(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE Überleitung der NVA in die Bundeswehr am
GRÜNEN]: Gute Familie!) 9. Oktober als eine Leistung gewürdigt, die histo-
- Ja, und - darauf lege ich Wert - nicht ohne den Va- risch ohne Beispiel ist. Als einer, der an diesem Pro-
ter denkbar. zeß beteiligt war, kann ich dieses Urteil aus meiner
Sicht bestätigen. Ich glaube, wir dürfen heute sagen:
(Heiterkeit bei der CDU/CSU) Die Integration ist - gemessen am Leben und nicht
Ich erzählte diese Geschichte, um Ihnen deutlich an irrationalen Träumen - beispielhaft gut gelungen.
zu machen: Die deutsche Vereinigung erfordert von Aus Menschen, die sich als Feinde gegenüberstan-
allen daran Beteiligten ein neues Denken. Wir von den, sind Kameraden geworden. Alte Feindbilder
der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR sind innerhalb von wenigen Monaten zerbrochen.
mußten unsere Auffassungen zur politischen Auf- Rund 3 000 Offiziere und 7 600 Unteroffiziere der
gabe der Verteidigung und zur politischen Funktion ehemaligen NVA wurden von der Bundeswehr über-
einer Bürgerarmee grundlegend überdenken. Bei al- nommen. Bundeswehrdienststellen wurden in den
len Parallelen gab es nämlich gewaltige grundsätzli- neuen Bundesländern neu aufgebaut, Wehreinrich-
che Unterschiede zwischen Bundeswehr und Natio- tungen, Truppenteile und Dienststellen vom Westen
naler Volksarmee, zwischen NATO und WVO. Ar- in den Osten verlegt. In jedem Jahr der deutschen
mee ist eben nicht gleich Armee, und militärisches Einheit wurden die sanitären und hygienischen Ver-
Bündnis ist eben nicht gleich militärisches Bündnis. hältnisse, wurde die Unterbringungs- und Betreu-
ungssituation der Soldaten besonders in den neuen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundesländern durch Milliardenbeträge massiv ver-
bessert.
Heute ist mir klar - als Pazifist sage ich das eigent-
lich gar nicht so gerne; aber um der Ehrlichkeit wil- Solche Zahlen und Aussagen verdeutlichen nicht
len muß ich es sagen -: Ohne NATO und ohne Bun- alles. Wichtig war und ist mir, welche Schicksale sich
deswehr gäbe es heute kein demokratisches Europa dahinter erkennen lassen. In der gesamtdeutschen
mit einem demokratischen Deutschland. Davon bin Bundeswehr ist jenes Vertrauen gewachsen, das
ich überzeugt. Darum bin ich froh, daß es sie gege- Menschen brauchen, die sich im Ernstfall total auf-
ben hat. einander verlassen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Inzwischen hat auf der Ebene der Wehrpflichtigen
wie des Abg. Walter Kolbow [SPD]) jene Durchmischung stattgefunden, die die Integra-
Im Bonner Verteidigungsministerium, in der Bun- tion erst wirklich dauerhaft macht. Bis heute haben
deswehr und in der Führung der Nationalen Volksar- 200 000 ostdeutsche junge Männer ihren Wehrdienst
mee mußte man darüber nachzudenken beginnen, in der Bundeswehr abgeleistet - viele von ihnen an
wie zwei Armeen, die sich fast vier Jahrzehnte lang Standpunkten, die sich in den alten Bundesländern
als potentielle Kriegsgegner gegenüberstanden, nun befinden. Die Erfahrungen, die sie da mit ihren Ka-
zusammengeführt - zusammen geführt - werden meraden gemacht haben, waren überwiegend posi-
können. Die NVA-Angehörigen sahen sich zusätzlich tiv. Das finde ich gut. Auch in diesem Bereich wächst -
einer völlig ungewissen Zukunft gegenüber. Hervor- allmählich zusammen, was zusammengehört.
ragend ausgebildet und ausgestattet sahen sie, die
doch wie alle anderen Bürger auch ihre persönlichen Mit dem Prinzip der Durchmischung von Wehr-
Hoffnungen und Ängste hatten, sich einer mehr als pflichtigen, längerdienenden Soldaten und Zivilbe-
ungewissen Zukunft gegenüber. schäftigten aus Ost und West wird für das Zusam-
menwachsen der Menschen ein besonders wichtiger
Das politische Urteil über die Nationale Volksar- Beitrag geleistet. Die Bundeswehr bereitet sich damit
mee als Klassen- und Machtinstrument der SED auf die völlig neuen Aufgaben vor, die ihr ein zusam-
konnte durch diese Einsicht jedoch nicht getrübt menwachsendes Europa stellt, in dem Integration,
werden. Die NVA stand immer bereit, ihren soge Konfliktbegrenzung und Katastrophenhilfe in ge-
5590 Deutscher Bundestag -- 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Rainer Eppelmann
meinsamer Verantwortung organisiert werden müs- Rechtsstaat als überlegen und als der menschlichere
sen. Staat erwiesen.

Ich könnte hier noch sehr viel davon berichten, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
was ich als Pazifist und Zivilist in der Zeit der Über-
Die Bundeswehr ist heute eine gesamtdeutsche
leitung der Nationalen Volksarmee in die Bundes-
Armee, in der Menschen aus den alten und neuen
wehr erlebt habe. Gewiß habe ich dabei auch Fehler
Bundesländern gemeinsam wirken. Sie verstehen
gemacht. Gewiß bin ich dabei von den Profis auch
sich als „Staatsbürger in Uniform", die sich in Befehl
gelegentlich über den Tisch gezogen worden. Ich
und Gesetz nicht an eine Parteiclique, sondern an die
habe aber auch hohe Einsatzbereitschaft, Vermitt-
Grundwerte unserer freiheitlichen Demokratie und
lungsfähigkeit in schwierigen Konfliktsituationen
ihr Gewissen gebunden fühlen. Sie verstehen sich als
und hohe fachliche Kompetenz bei den Männern er-
Angehörige einer Armee, die unlösbar in ein umfas-
lebt, mit denen ich da zu tun hatte.
sendes Bündnis der parlamentarischen Demokratien
Auch an dieser Stelle möchte ich deutlich sagen: in dem sich vereinenden Europa eingebunden ist. Sie
Es ist ein ungeheures Verdienst, daß bei der Fülle erproben und bewältigen vor dem Hintergrund un-
von Waffen, Munition und Material, die uns überge- terschiedlichster Biographien Tag für Tag alle die
ben worden ist - das läßt sich heute nachweisen -, vielfältigen Probleme, die der Prozeß der deutschen
nicht eine Pistole, nicht ein Schuß Munition verloren- Einheit uns allen aufgibt.
gegangen ist. Da ist eine ganz wichtige Arbeit zur Er- Die Bundeswehr ist zu einer Schmiede der Integra-
haltung des inneren Friedens für uns alle geleistet tion und der deutschen Einheit geworden. Die Bun-
worden. deswehr als Bürgerarmee des vereinigten Deutsch-
lands ist zu einem guten Modell dafür geworden,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
was wir in allen Bereichen unseres Lebens erreichen
Das hätte im Frühjahr 1990 alles ganz anders laufen wollen und müssen. Darum muß sie, solange wir
können. noch eine Armee brauchen, eine Bürgerarmee blei-
ben; sie sollte keine Berufsarmee werden und keines-
(Zustimmung bei der CDU/CSU) falls eine Parteiarmee, wie es die NVA war.
Die Gefahr eines Putsches einzelner bewaffneter Ich sage Ihnen ganz ehrlich, daß ich mir vor fünf
Kräfte der SED-Diktatur war nicht nur ein Hirnge- Jahren diese Entwicklung zwar vorstellen konnte,
spinst überängstlicher Gemüter. daß ich keineswegs aber gewiß war, ob es sich auch
realistisch umsetzen läßt. Heute kann ich voller
Wenn wir heute an die Gründung der Bundeswehr Dankbarkeit feststellen: Das große Experiment ist ge-
vor 40 Jahren denken, dann gehört für mich auch der lungen. Verantwortung füreinander und die Bereit-
fünfte Jahrestag der Integration der Nationalen schaft, aufeinander zuzugehen und sich völlig neu zu
Volksarmee in die Bundeswehr dazu. Immerhin ist orientieren, haben sich in der Bundeswehr des ver-
das schon ein Achtel ihrer Gesamtgeschichte. einten Deutschlands bewährt. Dafür danke ich allen
aus den alten und den neuen Bundesländern, die
Natürlich hätte ich mir gewünscht, daß noch mehr
dazu beigetragen haben und dies geschafft haben.
Menschen in diesen Integrationsprozeß hätten einbe-
Danke schön ihnen allen!
zogen werden können. Ich weiß aber auch, wo die
Grenzen - auch vor dem Hintergrund von Wien I und (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
Wien II - des Machbaren und Möglichen liegen. In der F.D.P. - Beifall bei der SPD)
manchen Punkten hätte man gewiß großzügiger sein
können. So halte ich es noch immer für möglich, daß
Offiziere der NVA, die sich nichts zuschulden kom- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
men ließen, ihren militärischen Rang mit einem sach- lege Winfried Nachtwei.
lich präzisen Zusatz, z. B. Oberst a. D. oder Oberst
der NVA a. D., führen dürfen. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geburts-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
tage sind in der Regel Anlaß für Lobeshymnen, Um-
ordneten der F.D.P.)
armungen und oft auch Rauschzustände. Hiervon hat
Auch im Bereich der Versorgungsleistungen halte es in den letzten Wochen aus Anlaß des 40jährigen
ich Verbesserungen noch immer für machbar. Wir Bestehens der Bundeswehr reichlich gegeben. Un-
sollten da so großzügig wie nur möglich verfahren. sere Aufgabe hier und heute ist, zu einer nüchternen-
Wer hier aber kritisiert, sollte dabei fair sein. Das Zwischenbilanz beizutragen. Das will ich aus unserer
heißt, es geht und es ging uns in unserem politischen Perspektive versuchen.
Bemühen um eine allgemeinverträgliche Lösung. Die Gründung der Bundeswehr wurde gegen den
Nicht alle Wünsche sind erfüllbar, und das Ergebnis Willen eines Großteils der Bevölkerung durchgesetzt
ist nicht immer von allen zu akzeptieren. Wer zu laut und war keineswegs d e r demokratische Neuanfang,
über nach seiner Meinung zu schlechte Behandlung wie es heute verklärend dargestellt wird. Sie wissen,
schimpft, sollte bedenken: Wenn die Geschichte an- daß damals wegen der Wiederbewaffnung Gustav
ders gelaufen wäre, hätte kein Soldat und kein Offi- Heinemann aus der CDU ausgetreten ist.
zier der Bundeswehr in der NVA anerkannt Dienst
tun können. Auch hier hat sich der demokratische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5591
Winfried Nachtwei
Den Aufbau der Bundeswehr prägten 10 000 ehe- gerät die Innere Führung insgesamt wieder stärker
malige Wehrmachtsoffiziere, die zur Bedingung ihrer unter Druck. Wenn politische Bildung vielfach ver-
Mitarbeit die „Rehabilitierung des deutschen Solda- nachlässigt wird, wenn laut Bericht des Wehrbeauf-
ten" gemacht haben. So wurde die aktive Beteili- tragten in der Truppe wiederholt körperliche und
gung der Wehrmacht am nationalsozialistischen Ver- Kollektivstrafen angewandt werden, also schikaniert
nichtungskrieg systematisch verdrängt und die Le- wird, dann sind das beunruhigende Zeichen.
gende von der „sauberen Wehrmacht" und ihren so-
genannten soldatischen Leistungen zur jahrzehnte- (Michaela Geiger [CDU/CSU]: Vielleicht
langen Lebenslüge und faktisch vorherrschenden gibt es auch ein paar gute Sachen!)
Traditionslinie in der Bundeswehr. Das ging einher Stolz behaupteten die vorherigen Festredner, die
mit der Achtung derjenigen ehemaligen Wehr- Bundeswehr habe 40 Jahre Frieden und Freiheit ga-
machtssoldaten, die damals nicht mehr mitgemacht rantiert. Als Angehöriger der Nachkriegsgeneration
haben, der Deserteure. Das ging einher mit einem bin ich in der Tat froh, bisher keinen Krieg erlebt ha-
Bild von der Sowjetunion, das sich kaum von dem ben zu müssen. Aber die Tatsache, daß die Blockkon-
vor 1945 unterschied und das bis Ende der 80er frontation glimpflich zu Ende ging, kann das System
Jahre so fortexistierte. der atomaren Abschreckung und die Rolle der Bun-
deswehr dabei nachträglich keineswegs heiligspre-
Eindeutig stellt der Traditionserlaß von 1982 fest:
chen:
„Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tra-
dition nicht begründen." Dieser Anspruch ist bis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
heute längst nicht durchgesetzt. In unserer Debatte sowie des Abg. Heinrich Graf von Einsiedel
zur Benennung von Kasernen nach antidemokrati- [PDS])
schen - sogenannten - „Helden" der Wehrmacht
wurde das überdeutlich. Daß weiterhin, über sieben Über Jahrzehnte pflegte man in Ost und West völlig
Jahre lang, Kasernen nach überzeugten nationalso- überzogene Bedrohungsbilder, kräftig geschürt von
zialistischen Generälen benannt sind, ist ein fortdau- entsprechenden Rüstungsinteressen. Die atomare
ernder Skandal. Abschreckung baute auf der Bereitschaft zum atoma-
ren Völkermord auf. Sie ging schließlich mit einem
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich gegenseitig hochschaukelnden Wettrüsten ein-
sowie bei Abgeordneten der SPD) her, das gigantische Summen fraß. Die Jahrzehnte
des ostwestlichen Rüstungswahns waren für die so-
Kein Wunder, daß es angesichts solcher Un-Vorbilder
ziale und ökologische Entwicklung der Menschheit
in der Truppe des öfteren zu einem kritiklosen Rück-
verlorene Jahre.
griff auf Wehrmachtstraditionen kommt, wie der
Wehrbeauftragte selbst bemängeln mußte.
Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi-
Es ist allen Armeen gemeinsam, daß ihre Soldaten schenfrage des Kollegen Mahlo?
gegebenenfalls für ihren Auftrag zerstören, töten
und verstümmeln und dabei selbst Leben und Ge-
sundheit ri skieren müssen. Unterhalb dieser Ebene Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
können wir aber nicht verkennen, daß sich die Bun- Nein, jetzt nicht.
deswehr in wesentlichen Punkten von allen früheren Sein tödliches Erbe - vor allem das der Atomwaf-
deutschen Armeen und der Nationalen Volksarmee fen - ist noch längst nicht bewältigt.
unterscheidet.
(Beifall der Abg. Kerstin Müller [Köln]
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit der Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts kam in Eu-
Waffe, das verfassungsmäßige Verbot des Angriffs- ropa ein Abrüstungsprozeß in Gang, wie er zu Frie-
krieges, den Primat der Politik, die Innere Führung denszeiten in der Tat ohne Beispiel ist. Auch die Bun-
mit dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform", die deswehr schaffte dabei enorme Abrüstungsschritte
rechtsstaatliche Bindung von Befehl und Gehorsam und löste die NVA weitgehend lautlos auf. Über-
und vor allem die Institution des Wehrbeauftragten schattet wurde das von einer Politik der Bundesregie-
nenne ich als besondere Merkmale. rung, die die Lieferung überschüssiger Rüstungsgü-
Die Bundeswehrangehörigen sind so sehr in die ter in Krisenländer wie die Türkei und Indonesien zu-
Gesellschaft integriert, daß von einem „Staat im ließ. Hier pervertierte Abrüstung in ihr Gegenteil.
Staate" keine Rede sein kann. Wie weit dieser hohe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Anspruch der Inneren Führung auch in die Tat um-
gesetzt wird, muß sich jeden Tag neu erweisen. Das Während in der Öffentlichkeit der Eindruck vor-
zeigt sich nicht zuletzt am Umgang von Vorgesetzten herrscht, es gehe mit der Abrüstung weiter, ist diese
mit internen Kritikern. Die Männer des „Darmstädter hoffnungsvollste Phase in der Geschichte der Bun-
Signals" wissen ein Lied von der oft mangelnden de- deswehr in Wirklichkeit längst zu Ende, ist wieder
mokratischen Souveränität von Vorgesetzten zu sin- der Rückwärtsgang eingelegt. Erstmals seit Jahren
gen. wächst der Anteil der Militärausgaben am Gesamt-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haushalt wieder, nämlich von 10 % in diesem Jahr
auf 10,7 % im nächsten Jahr. Die Bündnisgrünen leh-
Mit der Auftragserweiterung der Bundeswehr und nen diesen neuen Aufrüstungskurs einhellig ab.
der Forderung nach mehr Härte in der Ausbildung Denn daß die Bundeswehr mit Kampfeinsätzen zur
5592 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Winfried Nachtwei
Bewältigung überwiegend innerstaatlicher Konflikte Sicherheits- und Friedenspolitik geht alle an. Des-
beitragen könnte, ist ein gefährlicher und zudem halb appelliere ich an die vielen Bürgerinnen und
äußerst teurer Irrglaube - Ihr Irrglaube. Bürger, die sich der Friedensbewegung zurechnen
oder zurechneten: Mischt euch wieder ein! Zwischen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grün und Olivgrün liegen meist Welten. Gerade des-
Möglich und nötig ist eine weitere Reduzierung halb ist der kritische Dialog zwischen Friedensbe-
der Bundeswehr, die mit der Abschaffung der Wehr- wegten und Soldaten unverzichtbar.
pflicht einhergehen muß. Dieser Zwangsdienst, der Danke schön.
inzwischen so schwindelerregend idealisiert wird, ist
schlichtweg nicht mehr legitimierbar. Sie kennen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
den Bericht der Jugendoffiziere, die feststellen, daß sowie bei Abgeordneten der PDS)
unter Jugendlichen die Wehrpflicht einhellig abge-
lehnt wird. Vizepräsident Hans Klein: Kollege Günther Nol-
ting, Sie haben das Wort.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Gott sei Dank!)
Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsident!
Hierzu werden wir in Kürze einen Antrag in den Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr und alle
Bundestag einbringen. die, die ihr als Grundwehrdienstleistende, als Frei-
willige, als Reservisten oder als Zivilangestellte die-
Seit 30 Jahren habe ich Entscheidungsprozesse nen und gedient haben, sicherten zusammen mit un-
junger Männer miterlebt, die sich fragen mußten: seren Freunden und Partnern Deutschland und Eu-
Wie halte ich es mit dem Wehrdienst bzw. mit dem ropa vier Jahrzehnte den Frieden. Sie tun dies bis
Zivildienst? Über viele Jahre erforderte es besonde- heute. Der Dienst der Bundeswehrangehörigen war
rer Zivilcourage, den Kriegsdienst mit der Waffe zu und ist somit Friedensdienst und verdient als solcher
verweigern. Wenn inzwischen Kriegsdienstverweige- Anerkennung.
rer und Zivildienstleistende in der Gesellschaft aner-
kannt sind, dann liegt das an ihrer sichtbar hilfrei- Herr Kollege Kolbow, der Platz für den Zapfen-
chen Arbeit, dann ist das ein echter zivilisatorischer streich gestern abend war richtig. Die Bundeswehr
Fortschritt. ist eine, ist die Friedensbewegung in der Bundesre-
publik Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der PDS) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Vertreter der Koalition versuchen in der letzten Herr Kollege Nachtwei, auch Sie sollten dies zur
Zeit verstärkt, die Kriegsdienstverweigerer abzuwer- Kenntnis nehmen. Sie sollten ebenfalls die Erfolge in
ten, ja zu diskreditieren. Um den Nachwuchssorgen der Abrüstung, in der Abrüstungskontrolle anerken-
der Bundeswehr entgegenzuwirken, soll der Zivil- nen. Wenn Sie hier den Anstieg der Mittel für den
dienst zur „lästigen Alternative" - so ein CDU-An- Verteidigungshaushalt ansprechen, so vergewissern
trag - und der Wehrdienst attraktiver gemacht wer- Sie sich bitte noch einmal: Das waren Mittel für Per-
den. sonalstärkung, also Gelder für tarifliche Gehaltserhö-
hungen. Ich denke, daß unsere Soldaten hierauf
Im Unterschied zu Ihnen habe ich gelernt - unab- auch einen Anspruch haben.
hängig von meiner Auffassung -, die Entscheidung (Beifall bei der F.D.P.)
der jungen Wehrpflichtigen für Wehrdienst oder Zi-
vildienst zu respektieren. Deshalb treten wir in unse- Meine Damen und Herren, die vor 40 Jahren ge-
rem Antrag zum Wehrrechtsänderungsgesetz dafür gründete deutsche Bundeswehr hat ihren Auftrag
ein, endlich wieder dem Buchstaben des Grundge- zur Verteidigung Deutschlands und Mitteleuropas
setzes zu folgen und die Dauer des Ersatzdienstes an erfüllt. Ihre bisherige Organisationsstruktur war
die des Wehrdienstes anzugleichen. überwiegend auf die Landes- und Bündnisverteidi-
gung ausgerichtet. Heute dagegen müssen unsere
In den 80er Jahren standen Friedensbewegung Streitkräfte an die neuen politischen Verhältnisse an-
und Soldaten bei Tausenden Gelegenheiten in hei- gepaßt werden. Dieser Prozeß ist in Gang gesetzt
ßen Auseinandersetzungen. Es waren Auseinander- worden. Dabei bleibt die feste Bindung in das Nord-
setzungen, die oft lehrreich waren. Ich glaube, die atlantische Bündnis die grundsätzliche Vorausset-
heutige Bundeswehr wäre nicht so - auch hinsicht- zung für eine erfolgversprechende europäische Ent-
lich ihrer Behutsamkeit -, wie sie von der militäri- wicklung.
schen und politischen Führung nach außen darge-
stellt wird, wenn es nicht die Kritik und die Ausein- Parallel zum Umstrukturierungsprozeß der NATO
andersetzung mit der Friedensbewegung gegeben hat die Bundeswehr eine bewundernswerte Leistung
hätte. für die deutsche Einheit erbracht, die sich zahlreiche
gesellschaftliche Institutionen und Organisationen
Inzwischen gibt es diese öffentliche Auseinander- zum Vorbild nehmen sollten. Meine Damen und Her-
setzung um Sicherheits und Friedenspolitik in der
- ren, die Armee der Einheit hat sich bewährt.
Bevölkerung kaum noch. Das, denke ich, ist von
übel! Ich bin zuversichtlich, daß unsere Streitkräfte in
gleicher Weise Hervorragendes leisten werden,
(Uwe Lühr [F.D.P.]: Das ist hervorragend!) wenn es darum geht, mit ehemaligen Gegnern und
Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5593
Günther Friedrich Nolting
heutigen Freunden im Rahmen der Pa rtnerschaft für der Bundeswehr zurück, die Sie in diesem Zusam-
den Frieden zusammenzuarbeiten. Herr Minister menhang hier vorgenommen haben. Die Bundes-
Rühe, Sie haben auf diesen Bereich schon hingewie- wehr ist demokratisch legitimiert. Aber dies werden
sen. Das Vertrauenskapital, das hier aufgebaut wird, Sie als Vertreter der SED-Nachfolgeorganisation
reicht weit über die Sicherheitspolitik hinaus in an- wahrscheinlich nie verstehen. Ich habe den Ein-
dere Politikbereiche hinüber. Darüber sind sich, druck, daß einige von ihnen immer noch dem alten
glaube ich, viele nicht im klaren, die eine Armee be- System nachtrauern.
stenfalls als notwendiges Übel betrachten.
Meine Damen und Herren, ich denke, solch eine
Die Wehrpflicht bleibt aus ideellen Gründen wie Geburtstagsfeier bietet auch die Möglichkeit zu ei-
praktischen Überlegungen weiterhin ein legitimes nem Ausblick in die Zukunft. Ich will hier einige we-
Kind der bundesdeutschen Demokratie. Der Kollege nige Punkte nennen:
Gerhardt hat dies schon angesprochen. Ich will aber
eins dazusagen: Es muß dem in der jüngeren Ver- Erstens. Es muß eine umfassende gesamtgesell-
schaftliche Diskussion über die zukünftige Rolle
gangenheit entstandenen Eindruck entgegengewirkt
werden, es handele sich hier um ein Stiefkind. deutscher Streitkräfte geführt werden, die die neue
außenpolitische Situation Deutschlands berücksich-
Die historisch gewachsene sehr kritische Einstel- tigt. Ausgangspunkt dafür sollte die heutige Diskus-
lung großer Teile der Gesellschaft bzw. auch der mei- sion sein, die aber auf allen Ebenen fortgesetzt wer-
nungsbildenden gesellschaftlichen Gruppen würde den muß. Es genügt eben nicht, hier eine Feier-
sich bei einer Aufgabe der Wehrpflicht - wie von vie- stunde abzuhalten und ab morgen wieder zur Tages-
len hier im Hause gefordert - in Gleichgültigkeit ordnung überzugehen. Ich denke, Herr Kollege Kol-
wandeln. Diese Gleichgültigkeit wäre aus meiner bow, wir werden Sie beim Wort nehmen, auch wenn
Sicht weitaus gefährlicher für unser Gemeinwesen es um die Frage des Konsenses geht.
als jede noch so distanzierte Kritik, die immerhin
Zweitens. Es muß erreicht werden, daß zukünftig
noch ein gewisses Interesse deutlich macht. Dies gilt
auch für öffentliche Veranstaltungen der Bundes- schneller klare politische Vorgaben für die Streit-
kräfte erlassen werden, die nicht auf Knopfdruck ei-
wehr, wie z. B. gestern für den Zapfenstreich.
nen Auftrag erfüllen können, sondern die sich ent-
Meine Damen und Herren, die Meinungsfreiheit sprechend vorbereiten müssen. Auch hier, denke ich,
gehört zu den Grundrechten der Bundesrepublik ist eine verantwortungsbewußte Opposition gefor-
Deutschland. Ich sage an dieser Stelle aber ganz of- dert.
fen: Ich schäme mich für das, was wir gestern abend
von einigen sogenannten Demonstranten hören muß- Drittens. Das Recht auf Wehrdienstverweigerung
ten. bleibt ein wichtiges Grundrecht. Wehr- und Zivil-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dienst müssen aber im Bewußtsein der Bevölkerung,
besonders der jungen Menschen, wieder in das Ver-
Die Soldaten der Bundeswehr verteidigen das hältnis zueinander gerückt werden, das das Grund-
Recht und die Freiheit, auch das Recht und die Frei- gesetz ihnen zumißt.
heit dieser Demonstranten. Ich möchte mich an die-
ser Stelle ausdrücklich für die F.D.P.-Bundestagsfrak- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
tion bei der Bundeswehr, der Polizei, dem Bundes- Viertens. Der Deutsche Bundestag sollte noch in
grenzschutz und allen anderen bedanken, daß dieser dieser Legislaturperiode die gesetzlichen Möglich-
Zapfenstreich gestern abend stattfinden konnte. Ich keiten schaffen, die Bundeswehr für Frauen in allen
hoffe, Herr Minister, daß ähnliche öffentliche Zap- Bereichen gleichberechtigt zu öffnen, wenn diese auf
fenstreiche auch in Zukunft noch stattfinden werden. freiwilliger Basis Dienst in der Bundeswehr leisten
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wollen.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
Ich halte es für mehr als bedenklich, wenn ein Kol-
lege der traditionsreichen - ich betone ausdrücklich: ten der CDU/CSU)
traditionsreichen! - SPD den gestrigen Großen Zap- Fünftens. Die jetzt geschaffene Bundeswehrstruk-
fenstreich als - ich zitiere - „mieses Geburtstagsge- tur muß sich festigen und die Streitkräfte ins nächste
schenk" für die Bundeswehr bezeichnet hat. Herr Jahrhundert führen. Hierzu ist es unabdingbar, daß
Kollege Kolbow, ich hätte heute zumindest erwartet, für den Haushalt der Bundeswehr weiterhin Pla-
daß Sie sich von dieser Aussage eindeutig distanzie- nungssicherheit besteht. Wenn man den Streitkräf-
ren. ten Aufträge erteilt, bei denen sie gegebenenfalls
auch ihr Leben einsetzen müssen, dann haben auch
(Walter Kolbow [SPD]: Ich kommentiere
auch nicht alles, was Herr Möllemann sagt! ihre Familien Anspruch auf unsere Unterstützung. -
Kümmern Sie sich einmal um Ihren Mölle Herr Kollege Nachtwei, die Soldaten haben aus die-
mann, dann kümmern wir uns um unseren ser Frage heraus einen Anspruch auf ausreichend
Kollegen!) gutes Gerät und Ausstattung. Ich denke, das gebietet
die Fürsorge, die wir gerade als Mitglieder des Ver-
- Sie haben von Sonntagsreden gesprochen. Dann teidigungsausschusses gegenüber diesen Soldaten
müssen Sie hier auch zeigen, wie Sie zu solchen Aus- haben.
sagen stehen.
Sechstens. Der Grundwehrdienst muß materiell,
Graf Einsiedel - er ist jetzt nicht mehr hier -, ich aber auch ideell attraktiver gemacht werden. Ein er-
weise die Diffamierungen gegenüber den Soldaten ster Schritt im materiellen Bereich wird durch das
5594 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Günther Friedrich Nolting


heute hier zu verabschiedende Wehrrechtsände- Entschuldigen Sie bitte meine Stimme. Da weiß
rungsgesetz getan. Insbesondere die Mobilitätszu- man eine Zweitstimme erst einmal zu schätzen.
lage und das doppelte Verpflegungsgeld sowie das
Vorziehen des Dienstzeitausgleichs auf den vierten Vielen Dank.
Dienstmonat sind erste Maßnahmen, die wir begrü- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
ßen. Als weitere Schritte werden wir uns als F.D.P.
dafür einsetzen, den Dienstzeitausgleich in finanziel-
ler Form vom ersten Tag an zu gewähren. Ich denke, Vizepräsident Hans Klein: Kollege Dieter Heister-
wir werden uns im kommenden Jahr auch über eine mann, Sie haben das Wort.
Wehrsolderhöhung unterhalten müssen.
Siebtens. Ein ganz wichtiger Bereich - ebenso Dieter Heistermann (SPD): Herr Präsident! Meine
wichtig wie die materielle Besserstellung - ist die sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben wahr-
ideelle Akzeptanz der Bundeswehr und besonders lich Grund zum Feiern. Aber es gibt auch den Alltag
auch der Wehrpflichtigen. Hier ist die Politik gefor- der Bundeswehr, und dem möchte ich mich jetzt zu-
dert, aber nicht nur sie, sondern darüber hinaus auch wenden.
alle anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen:
die Kirchen, die Gewerkschaften, die Verbände und Sie mögen es drehen und wenden, wie Sie wollen,
insbesondere auch die Medien. meine Damen und Herren von der Koalition: Die Pro-
bleme sind hausgemacht. Dafür müssen Sie die Ver-
Meine Damen und Herren, ich will auf einige we- antwortung übernehmen, auch dafür, daß die Akzep-
nige Vorredner kurz eingehen. Herr Kollege Nacht- tanz der Wehrpflicht in der Bevölkerung schwindet
wei, die Grünen „gratulieren der Bundeswehr nicht". und die Attraktivität des Wehrdienstes im Vergleich
Dies habe ich einer Pressemeldung entnommen. Es zum zivilen Ersatzdienst spürbar nachgelassen hat.
heißt weiter:
(Beifall bei der SPD)
Erst dann, nach der Abschaffung der Bundes-
wehr, haben wir einen wirklichen Grund zum Ein Versuch der Bundesregierung, die Probleme der
Feiern. Bundeswehr durch einen parteiübergreifenden An-
satz zu lösen, wäre zu begrüßen gewesen. Er ist un-
(Zuruf von der F.D.P.: Hört! Hört! - Zustim terblieben. Auch das haben Sie zu verantworten.
mung bei der PDS)
Das jetzt zu beschließende Gesetz zur Änderung
Aber es heißt hierin auch: wehrrechtlicher Vorschriften beinhaltet letztendlich
nicht nur die Anpassung wehrrechtlicher Bestim-
40 Jahre nach der Gründung der Bundeswehr mungen an die veränderte sicherheitspolitische
üben deutsche Soldaten für den Einsatz auf dem Lage, sondern es soll auch der Verstärkung von An-
Balkan. Wir können Verteidigungsminister Vol- reizen zum Dienst als Soldat in der Bundeswehr die-
ker Rühe für diesen unrühmlichen Schritt nicht nen. Wird dieses Gesetz diesem Anspruch aber ge-
gratulieren. recht? Darauf geben wir Sozialdemokraten die klare
Haben Sie von den Grünen eigentlich vergessen, Antwort: Nein, es wird nicht der große Wurf. Dieses
welche Greuel - Mord, Vergewaltigung, Verschlep- Gesetz bleibt Stückwerk, es löst nicht die entschei-
pung und Vertreibung - sich in diesen Gebieten ab- denden Probleme, und es hilft nicht mit, die Attrakti-
spielen bzw. abgespielt haben? Ich denke, das, was vität der Wehrpflicht zu erhöhen.
Sie hier aufgezeigt haben, ist an Menschenverach- Der Bundesverteidigungsminister a. D. Georg Le-
tung nicht mehr zu überbieten. ber hat in seiner großen Rede in der Feierstunde des
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so Verteidigungsausschusses zum 40jährigen Bestehen
wie bei Abgeordneten der SPD) der Bundeswehr in beeindruckender Weise die Be-
reitschaft beschrieben, dem Volk und seinem Staat
Eine Waffe ist nicht ein Übel, nur weil es eine zu dienen. Er sagte:
Waffe ist. Sie wird vielmehr zum Übel in der Hand
des Gangsters, der damit Geiseln bedroht oder tötet; Die Bereitschaft, dem Volk und seinem Staat zu
in der Hand des Polizisten, der die Geiseln vor ihrem dienen, diese Einsicht muß aus der Überzeugung
Schicksal rettet, ist diese Waffe etwas Positives. Ge- des ganzen Volkes wachsen. Wir müssen nach
nauso verhält es sich mit Streitkräften, die demokra- Wegen suchen, wie wir, nicht nur bei den jungen
tisch kontrolliert und legitimiert zur Wahrung von Männern, die gerufen werden, sondern in der ge-
Recht und menschlichen Werten eingesetzt werden. samten Bevölkerung, immer wieder Einsicht wek--
ken und stärken können, daß dieser Dienst
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Ab-
schluß sagen: Die F.D.P. steht zu dieser Wehrpflicht- - das gilt, füge ich ein, auch für die allgemeine Wehr-
armee. Wir stehen zu dieser Armee, die in den letz- pflicht -
ten 40 Jahren Großartiges geleistet hat. Ich weiß, daß sich aus unserer Freiheit ergibt und daß er ein Be-
die deutsche Außenpolitik Verantwortung für weis unserer Staatsgesinnung ist.
40 Jahre Frieden in diesem Vaterland trägt - wie
sollte ich gerade als Liberaler das vergessen? -, aber Hier wird vom Dienen gesprochen. Unterstützen
all das, was wir erreicht haben, wäre ohne diese Bun- wir also diejenigen jungen Menschen, die in unserer
deswehr nicht möglich gewesen. Republik in vorbildlicher Weise dienen, unterlassen
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5595
Dieter Heistermann
wir jene Versuche, zwischen den Diensten moralisch Dieses Geld nehmen Sie, meine Damen und Herren
zu differenzieren. Das hilft niemandem. von der Koalition, um den sogenannten Mobilitätszu-
schlag für Grundwehrdienstleistende und anderes zu
(Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) finanzieren.
Wer also die Akzeptanz und die Attraktivität der Nicht zu bestreiten ist, daß dieser Mobilitätszu-
Wehrpflicht wiederherstellen will, muß verständlich schlag sicherlich bei denen Freude auslösen wird,
erklären, warum die Wehrpflicht notwendig ist und die davon profitieren. Aber es bleibt die Tatsache,
wie die persönlichen Fähigkeiten und erworbenen daß alle Wehrpflichtigen, die weniger als 50 km vom
Qualifikationen der Grundwehrdienstleistenden an- Standort entfernt wohnen, keinen Mobilitätszuschlag
gemessen in der Bundeswehr berücksichtigt und ge- bekommen und zudem weniger Entlassungs- und
fördert werden können. Er wird auch Auskunft dar- Weihnachtsgeld erhalten.
über geben müssen, wie die Lebens- und Arbeitsbe-
dingungen der Soldaten attraktiver gestaltet werden (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Die an-
können, damit der Dienst in den bewaffneten Streit- deren haben doch auch höhere Kosten!)
kräften gegenüber den Ersatzdiensten konkurrenzfä- Wie formulierte ein Grundwehrdienstleistender so
hig bleibt. treffend: „Nicht der Wehrdienst wird entschädigt,
Den jungen Menschen ist nicht entgangen, daß in sondern die Entfernung." Das ist eine Grundhaltung,
jedem Geburtsjahrgang inzwischen die Grundwehr- die Sie bei vielen Wehrpflichtigen antreffen werden.
dienstleistenden eine Minderheit darstellen. Wer die Wir werden sehen, wie Sie mit diesem Problem nicht
Zahl der Kriegsdienstverweigerer, die Zurückstellun- nur hier im Bundestag, sondern auch im praktischen
gen und sonstigen Ausnahmeregelungen zusammen Alltag umgehen werden.
gewichtet, wird an dieser Tatsache nicht vorbeikom- (Beifall bei der SPD)
men.
Während der Beratungen im Verteidigungsaus-
In der jungen Generation und in der Bevölkerung schuß wurde immer deutlicher, daß dieser Mobilitäts-
wird anerkannt, daß diejenigen, die einen Dienst an zuschlag nur eingeführt wird, um die Grundwehr-
diesem Staat leisten, allen Respekt verdienen. dienstleistenden und Zivildienstleistenden auseinan-
derzudividieren. Dazu reichen wir nicht unsere
(Beifall bei der SPD) Hand.
Kolleginnen und Kollegen, unser Problem liegt bei (Beifall bei der SPD)
der Dienstgerechtigkeit; denn über 30 % eines Jahr- Die SPD fordert seit Jahren eine Erhöhung des
ganges leisten überhaupt keinen Dienst. Hier liegt Wehrsolds um 2 DM pro Tag. Mit welchem Recht
das eigentliche Grundübel. Junge Menschen akzep- verweigern die Bundesregierung und die Fraktionen
tieren nicht, daß einige zum Dienst herangezogen von CDU/CSU und F.D.P. den sozial Schwächsten,
werden, während andere ihren privaten Lebenspla- die einen „Ehrendienst für unser Land leisten" - wie
nungen nachgehen können. Das verärgert junge immer unter dem Beifall aller festgestellt wird -,
Menschen. Hier ist die Politik gefordert. Hier ist die
Bundesregierung gefordert, ihre Position einzubrin- (Günter Verheugen [SPD]: Das sind nur
gen. schöne Worte!)

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Aber die SPD ist die überfällige Wehrsolderhöhung?
auch gefordert!)
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Heister-
- Ich komme gleich zu dem, was wir bringen, Kollege mann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
Breuer. gen Breuer?
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf fällt auf, daß
der Wehrsold nicht erhöht wird, daß das Entlassungs- Dieter Heistermann (SPD): Da ich nur wenig Zeit
geld von derzeit 1 800 DM auf 1 500 DM reduziert habe, Kollege Breuer, möchte ich meine Ausführun-
wird gen im Zusammenhang machen. Ich bitte um Ver-
ständnis.
(Günter Verheugen [SPD]: Das ist ein Skan
dal!)
Vizepräsident Hans Klein: Es wird Ihnen nicht auf
und daß das Weihnachtsgeld von derzeit 450 DM auf Ihre Redezeit angerechnet.
375 DM gekürzt wird.
-
(Günter Verheugen [SPD]: Eine Schweine Dieter Heistermann (SPD): Herr Präsident, Sie ha-
rei ist das!) ben mich überzeugt.

Die Konsequenz daraus ist: Jeder Wehrpflichtige Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege
wird am Ende seines Grundwehrdienstes 375 DM Breuer.
weniger im Portemonnaie haben.
(Paul Breuer [CDU/CSU]: Stimmt nicht! - Paul Breuer (CDU/CSU): Geschätzter Kollege Hei-
Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Krämer stermann, eben haben Sie den Vorwurf erhoben, wir
rechnung!) wollten Wehrdienstleistende und Zivildienstleistende
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Paul Breuer
durch den Mobilitätszuschlag auseinanderdividie- Wer mehr Dienst anordnet, Kollege Breuer, muß
ren. Sind Sie bereit, festzustellen, daß einer der we- vom ersten Monat an bezahlen. Kein Grundwehr-
sentlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen dienstleistender wird dafür Verständnis aufbringen,
darin liegt, daß die Zivildienstleistenden zumeist die daß die Mittelansätze für Zeit- und Berufssoldaten er-
Möglichkeit haben, in ihrem Heimatort zu wohnen, höht werden, sie aber zugleich drei Monate lang leer
während die Wehrdienstleistenden dies gerade nicht ausgehen. Ob die vorgesehenen Vergütungen für
können? Dies soll durch den Mobilitätszuschlag aus- Soldaten mit besonderer zeitlicher Belastung bei
geglichen werden. Es liegt also in der Situation der Mehrarbeit von 12 bis 16 Stunden bzw. 16 bis
jeweiligen Gruppen begründet. 24 Stunden große Freude auslöst, darf zu Recht be-
zweifelt werden. Bei den Grundwehrdienstleisten-
(Zustimmung bei der CDU/CSU) den werden die Entschädigungssätze seit Jahren als
unsozial gewertet.
Dieter Heistermann (SPD): Herr Kollege Breuer, Wir bekräftigen, daß wir in Friedenszeiten soviel
man muß sich das, was Sie eben ausgeführt haben, wie möglich gesellschaftliche Normalität auch bei
einmal auf der Zunge zergehen lassen; denn Sie wer- den Soldaten haben wollen, also Freizeit vor finan-
den doch auch feststellen müssen, daß Sie dem zieller Vergütung. Wir werden genau hinsehen, wie
Wehrpflichtigen, der weniger als 50 km vom Standort die Truppe mit dem Faktor Zeit und dem Faktor Frei-
entfernt wohnt, 37,50 DM aus der Tasche nehmen. zeit umgeht.
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wieso Wo bleibt eigentlich ein flexibles Dienst-, Lauf-
das denn?) bahn- und Statusrecht, das seit fünf Jahren durch die
- Das ist der Tatbestand. - Und auf der anderen Seite Opposition und den Deutschen Bundeswehrverband
wissen Sie, daß die Wehrpflichtigen in immer ferner gefordert und angemahnt wird? Wo bleibt die Ein-
von ihrer Heimat liegende Standorte einberufen wer- führung der Feldwebellaufbahn? Wo bleibt die Ein-
den, weil es nicht so viele Kasernen in den einzelnen führung einer Mannschaftslaufbahn mit kürzeren Be-
Ländern gibt. Warum haben wir denn das Problem förderungszeiten? Wo bleibt die Begrenzung des Ein-
der Heimatferne? Weil durch die Struktur, die die berufungshöchstalters auf 25 Jahre?
Bundeswehr neuerdings hat, die Entfernungen zwi-
Im letzten Punkt zeigt nun auch die Koalition
schen Wohnort und Standort immer größer werden.
leichte Beweglichkeit. Sie will die Einberufungspra-
Das ist aber bei den Zivildienstleistenden nicht der
xis bei Wehrpflichtigen, die das 25. Lebensjahr voll-
Fall.
endet haben, überprüfen. Ein SPD-Antrag zum glei-
Wenn Sie wirklich gerecht hätten handeln wollen, chen Inhalt wurde vor noch gar nicht langer Zeit ab-
dann hätten Sie den Wehrsold um 2 DM erhöht; denn gelehnt. Kolleginnen und Kollegen, wir helfen aber
der kommt den Zivildienstleistenden in gleicher der Koalition in dieser Frage gern auf die Sprünge.
Höhe zugute.
Die Absicht der Bundesregierung, auch Grund-
(Beifall bei der SPD) wehrdienstleistende im Wehrpflichtverhältnis, die
Das wollten Sie natürlich nicht. Deshalb waren Sie dies freiwillig wollen, außerhalb der Landes- und
gegen eine Wehrsolderhöhung. Bündnisverteidigung einzusetzen, lehnt die SPD ab,
weil damit der Sinn und der Zweck der Wehrpflicht
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Warum aufgegeben und deren Legitimation in Frage gestellt
soll der Zivildienstleistende davon profitie wird. Die SPD bleibt bei ihrer Auffassung, Grund-
ren?) wehrdienstleistende nicht außerhalb der Landes-
und Bündnisverteidigung einzusetzen.
Ich kann nur feststellen: Es gibt keine rechtferti-
genden Gründe für den Mobilitätszuschlag. Ihr Ver- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ja, wer
halten in dieser Frage, den Wehrsold nicht zu erhö- will das denn?)
hen, ist schlichtweg unerträglich.
Der Status der freiwilligen Verpflichtung ist überflüs-
(Beifall bei der SPD) sig wie ein Kropf und nur eine finanzielle Hilfs-
brücke. Der Status Soldat auf Zeit oder auf Monate
Es bleibt dabei: Wir Sozialdemokraten wollen mit-
reicht völlig aus. Wir werden sehen, ob die Zahl der
tel- und langfristig eine kontinuierliche Anpassung
erforderlichen Weiterverpflichtungen erreicht wird,
an die jährlich steigenden Lebenshaltungskosten mit
wie das die Koalition bei ihrem Strukturmodell unter-
dem Ziel, den Wehrsold an die Einkommen der Aus-
bildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr des stellt.
öffentlichen Dienstes anzugleichen. -
Die Dauer des Grundwehrdienstes soll auf zehn
Wer zudem, wie im vorliegenden Wehrrechtsände- Monate verkürzt werden. Anschließend sollen die
rungsgesetz vorgesehen, die wöchentliche Rahmen- Wehrpflichtigen für zwei Monate in Verfügungsbe-
dienstzeit auf 46 Stunden verlängert und den Dienst- reitschaft bleiben. Die Verkürzung auf zehn Monate
zeitausgleich erst nach dem dritten Monat finanziell ergibt sich nur aus den fehlenden Haushaltsmitteln,
vergüten will, macht den Wehrdienst noch unattrak- nicht aus einer sicherheitspolitisch begründeten Kon-
tiver, als er heute schon ist. Dies lehnt die SPD als un- zeption. Das Aufgeben der quartalsweisen Einberu-
soziale Maßnahme ab. fung bei W 10 verursacht einen erheblichen organi-
satorischen Aufwand, allein schon deshalb, weil der
(Zustimmung bei der SPD) bewährte quartalsweise Einberufungsrhythmus auf-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5597
Dieter Heistermann
gegeben und statt dessen ein zweimonatiger Einbe- Aus den dargelegten Gründen lehnen wir das Ge-
rufungstermin eingeführt werden muß. setz ab.
Die Anschlußbeorderung von zwei Monaten, die Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
nur angeordnet wird, um schnell auf 370 000 Solda-
ten Präsenzstärke aufwachsen zu können, verursacht (Beifall bei der SPD)
ebenfalls einen nicht vertretbaren Verwaltungsauf-
wand. Dieser Verwaltungsaufwand, der unter den
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen
heutigen politischen Bedingungen nicht zu vertreten
Dr. Klaus Rose das Wort.
ist und nicht notwendig wäre, verursacht zudem Ko-
sten in zweifacher Hinsicht: erstens auf Grund der
Aufrechterhaltung eines aufgeblähten Streitkräf- Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
teumfangs und zweitens auf Grund der unwirtschaft- sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Par-
lichen Verfügungsbereitschaft von zwei Monaten, lamentsdebatte aus Anlaß des 40jährigen Bestehens
die nicht erforderlich ist. Auch wird sich die Situation der Bundeswehr geht ihrem Ende entgegen. Den
der Wehrpflichtigen durch die Einführung einer Ver- Aussagen des Kollegen Heistermann wird unser Kol-
fügungsbereitschaft von zwei Monaten nach dem lege Augustinowitz entgegnen; denn es lohnt sich
normalen Grundwehrdienst nicht verbessern, da sie wirklich, manche Dinge richtigzustellen und damit
in dieser Zeit präsent bleiben müssen. im Interesse der Bundeswehr für Klarheit zu sorgen.
Die SPD tritt seit 1990 für die Verkürzung des Ich als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses
Grundwehrdienstes auf neun Monate ein. Neun Mo- möchte der Bundesregierung herzlich Dank sagen,
nate Grundwehrdienst reichen aus, um bei den ge- daß sie heute eine Regierungserklärung abgegeben
genwärtigen Sicherheitsrisiken die Wehrpflichtigen hat und der Bundeskanzler selbst die Bedeutung der
so auszubilden, daß die gemeinsame Landesverteidi- Bundeswehr unterstrichen hat. Unsere Soldaten ha-
gung im Bündnis sichergestellt werden kann. Das ben diese Anerkennung verdient.
sieht der Beirat für Fragen der Inneren Führung
ebenso. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so-
wie bei Abgeordneten der SPD)
Für zur Alarmreserve beorderte Mannschaftssolda-
ten könnte die Verkürzung des Grundwehrdienstes Zu den gestrigen Ereignissen soll von meiner Seite
um einen Monat erwogen werden, mit der Maßgabe, nur soviel gesagt sein: Die Bundeswehr sorgt für den
die Pflichtwehrübungstage entweder im direkten Frieden und die Freiheit aller Mitbürger. Sie darf sich
Anschluß an den Grundwehrdienst oder durch spä- selbstverständlich an ihrem Geburtstag freuen und
tere Wehrübungen zu erbringen. Für nichtbeorderte ein so friedvolles Zeremoniell wie gestern in aller Öf-
Mannschaften entfiele die Wehrübungsverpflichtung fentlichkeit abhalten. Gestört hat nicht die Bundes-
nach Entlassung aus dem Grundwehrdienst. wehr, gestört haben die Schreier.
Es gibt also bessere Alternativen zum jetzt einge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so-
schlagenen Weg. wie bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht
Wer nicht versteht, daß die Bundeswehr für den
auf alle Bestimmungen des Wehrrechtsänderungsge-
Frieden und die Freiheit aller Mitbürgerinnen und
setzes eingehen. Vieles ist unausgegoren und mit
Mitbürger sorgt, dem ist nicht zu helfen. Er wird
heißer Nadel gestrickt.
ewig Außenseiter bleiben und niemals Regierungsfä-
(Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) higkeit erlangen. Der Kollege Fischer, der sich sonst
so gerne als ein Mann innerparteilicher Stärke dar-
Ein gut durchdachtes Konzept ist nicht erkennbar. stellt, wird gerade auf diesem Feld Schiffbruch erlei-
(Walter Kolbow [SPD]: Koalitionsflickwerk!) den. Ihm scheint offensichtlich auch der Fraktions-
vorsitz wichtiger zu sein als der Eintritt für Vernunft.
Wir erkennen durchaus an, daß einige Punkte die- Er sollte die Aufgabe der Bundeswehr endlich als das
ses Gesetzes unsere Zustimmung erhalten können. ansehen, was sie seit 40 Jahren ist, nämlich die Ge-
Insgesamt aber wird der Gesetzentwurf den dringen- währleistung der Freiheit dieses Landes.
den Notwendigkeiten für die Personallage der Bun-
deswehr nicht gerecht. Viele Maßnahmen sind falsch (Beifall bei der CDU/CSU)
gewichtet.
Meine Damen und Herren, wir haben bei unserer
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Opposi öffentlichen Sitzung des Verteidigungsausschusses -
tionsflickwerk!) am 27. September im Wasserwerk über alle Frakti-
onsgrenzen hinweg Einigkeit in dem Sinne demon-
Dieses Gesetz stärkt nicht die Wehrpflicht und gibt
den Grundwehrdienstleistenden nicht den notwendi- strie rt , daß die Bundeswehr eine Armee des ganzen
Volkes ist. Wir haben damals auch bewußt den frühe-
gen Rückhalt.
ren Bundesverteidigungsminister Georg Leber ein-
Sie wissen doch wie wir, daß der Nachwuchs der geladen, der als Sinn der Wehrpflicht die Integration
Bundeswehr aus den Grundwehrdienstleistenden aller Bevölkerungsschichten bezeichnet hat. Ich er-
gewonnen werden muß. Deshalb müssen sie Aus- wähne das deshalb, weil ich damals natürlich beob-
gangspunkt aller Maßnahmen sein. Dem werden Sie achtet habe, wie über alle Fraktionsgrenzen hinweg
mit Ihrem Gesetz nicht gerecht. Beifall gespendet wurde. Auch die Grünen haben
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Dr. Klaus Rose


wegen der Begeisterung über manche Aussage die- unserem System überzeugt werden konnten. Dies ist
sen Beifall öffentlich gezollt. - und das möchte ich deutlich sagen - eine Pioniertat
der Wiedervereinigung. Es ist kein Zufallsprodukt,
(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
sondern Ernte einer gelungenen Erziehung unserer
NEN]: Weil der Mann Charakter hat!)
Soldaten. Darauf läßt sich aufbauen, denn wir brau-
Wenn Sie aber wieder in Ihren eigenen Kreisen sind, chen in Zukunft eine von allen bürgerlichen Kräften
muß ich mit riesiger Enttäuschung feststellen - ich gemeinsam getragene Außen- und Sicherheitspoli-
sage das auch öffentlich -, daß ich gestern z. B. im tik. Gerade deshalb und weil ich mich über das, was
Fernsehen den Kollegen Nachtwei unter den Randa- ich gerade geschildert habe, sehr ärgere, hoffe ich,
lierern gegen die Bundeswehr gesehen habe, ein daß sich auch die Vertreter der Grünen mehr auf die
Mitglied des Verteidigungsausschusses unter den Seite der Bundeswehr stellen können und nicht
Randalierern! Das halte ich nicht für mit dem, was dann, wenn es irgendwo zu schwierigen Ereignissen
ich mir vorstelle, verträglich. kommt, plötzlich wieder alles vergessen, was sie in
vernünftiger Kleinarbeit auch zugunsten der Bundes-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wehr leisten.

Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine (Zuruf der Abg. B rigitte Schulte [Hameln]
Frage des Kollegen Nachtwei? [SPD])
Meine Damen und Herren, die CSU war und ist -
Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Er hat selbstverständ- lassen Sie mich das als Vertreter der CSU deutlich sa-
lich das Recht, diese Darstellung des Sachverhalts gen - alles andere als nur ein Schönwetterfreund der
noch zu bestätigen. Bundeswehr. In Fragen der Landesverteidigung und
der Bundeswehr sind wir in jahrzehntelanger Konti-
nuität immer einen klaren Weg gegangen, ob dies
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
das Thema der Wiederbewaffnung war, das Thema
Lieber Kollege Rose, sind Sie bereit festzustellen, daß des NATO-Doppelbeschlusses
ich wohl bei dieser Kundgebung und auf der Straße
war und dann ungefähr eine Stunde lang in dem von (B rigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das sind
der Polizei gebildeten Schlauch war, daß ich aber in doch alte Kamellen!)
keiner Weise herumrandaliert habe? Sie kennen
mich doch nun soweit, daß Sie das in keiner Weise oder wie zur Zeit der deutsche Beitrag für eine Frie-
annehmen können. Im Gegenteil: Ich habe dort die- denslösung in Bosnien. 40 Jahre Armee in der Demo-
sen Reden nur ruhig zugehört. kratie heißt: 40 Jahre Diskussion und politische Aus-
einandersetzungen um die notwendige Akzeptanz in
der Bevölkerung, 40 Jahre politischer Streit um einen
Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Kollege Nacht-
ausreichenden Verteidigungsetat und nicht zuletzt
wei, weil ich Sie kenne, antworte ich jetzt noch ein-
40 Jahre Überzeugungskampf gegen die trügerische
mal ganz bewußt - ich habe es ja nur im Fernsehen Irrlehre von Pazifismus, die noch von einigen in un-
gesehen -: Statt daß ich Sie als Mitglied des Verteidi-
serem Land wider bessere Erfahrung gepredigt wird.
gungsausschusses bei denen gesehen habe, die den
Zapfenstreich mit der Bundeswehr begangen haben, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
habe ich Sie im Fernsehen leider unter denen gese- ordneten der F.D.P. )
hen, die gegen die Bundeswehr demonstriert haben,
randaliert haben und die „Mörder" gerufen haben, Meine Damen und Herren, wie der Blick auf die
was ich selber gehört habe. Ränder Europas zeigt, benötigen wir auch in Zukunft
eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit. Nicht sub-
(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ jektiver Pazifismus, sondern nur qualitativ hoch-
NEN]: Wir haben nicht randaliert, aber un wertige motivierte Streitkräfte bilden die Garantie
sere gesamte Fraktion hat da mitgemacht!) für die äußere Sicherheit unseres Landes. Unsere
Ich habe nie behauptet - vorher nicht und auch jetzt Bürger haben Anspruch auf eine realistische, glaub-
nicht -, daß Sie es selber gemacht haben, aber Sie würdige und stabile Sicherheitspolitik, die sie wirk-
standen unter diesen Leuten. Ich finde das sehr be- lich schützt. Sie haben Anspruch auf eine Politik, die
schämend. auch in Friedenszeiten nüchtern die Risiken analy-
siert und die nötige Vorsorge trifft.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Meine Partei hat sich immer klar zu den erweiter-
NEN]: Werfen Sie doch bitte nicht alle De ten Aufgaben der Bundeswehr bekannt. Das vereinte -
monstranten in einen Topf!) Deutschland muß sich seiner gewachsenen Verant-
wortung stellen. Wir dürfen dafür auch keine Sonder-
Meine Damen und Herren, wir haben heute nicht rolle beanspruchen.
bloß diese 40 Jahre Bundeswehr, sondern auch fünf
Jahre Armee der Einheit. Gerade die Wiedervereini- Ich habe das Zutrauen in diese Demokratie - ich
gung und die Übernahme der Nationalen Volksar- möchte das dem Kollegen von der PDS sagen, der
mee haben gezeigt, wie tragfähig und attraktiv die vorhin gesprochen hat -, daß wir es jederzeit verhin-
Bundeswehr ist und mit welchem demokratischen dern werden, daß deutsche Streitkräfte je wieder für
Selbstverständnis, offen und unverkrampft, viele verbrecherische Ziele mißbraucht werden. Kein Sol-
NVA-Soldaten in die Bundeswehr integriert und von dat, auch kein Bürger muß befürchten, daß unsere
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5599
Dr. Klaus Rose
Armee je wieder von falschen Ideologen in einen völ- Wenn wir heute unseren Soldaten der Bundeswehr
kerrechtswidrigen Angriffsk ri eg geführt wird. danken, dann müssen wir uns in Erinnerung rufen,
daß unsere Berufs- und Zeitsoldaten und unsere
Schöne Worte des Dankes allein nützen nichts. Wir Wehrpflichtigen sich für Aufgaben bereithalten, die
müssen deshalb auch bereit sein, den Preis zu zah- es verlangen, daß sie nötigenfalls auch ihre Gesund-
len, um unsere Bundeswehr modern und leistungsfä- heit und ihr Leben aufs Spiel setzen. Ich weise des-
hig zu halten. Deshalb wird heute auch von Verbes- halb um so entschiedener jede Diffamierung und Be-
serungen gesprochen, und ich sage nochmals: Kol- leidigung unserer Soldaten zurück.
lege Augustinowitz wird diesem Kapitel noch beson-
dere Worte widmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Meine Damen und Herren, da es um unsere Si- Ich muß in diesem Zusammenhang nochmals auf
cherheit geht, müssen wir uns auch öffentlich zu un- die sogenannte Mörder-Diskussion zurückkommen.
serer Bundeswehr bekennen. Für mich ist es eine Sie ist schändlich, sie ist beschämend, sie ist uner-
Form der Undankbarkeit, wenn gefordert wird, die träglich.
Bundeswehr solle sich in unserer Demokratie mit ih-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
ren Gelöbnissen in ihre Kasernen zurückziehen. Ich
sage Ihnen: Das Gegenteil ist richtig. Gelöbnisse in Was mich an dieser typisch deutschen Diskussion
der Öffentlichkeit sind eine Selbstverständlichkeit so nachdenklich macht, sind die Häme und der Zy-
für eine gesellschaftlich integrierte, in die Demokra- nismus derer, die mit dem Selbstanspruch des Pazifi-
tie eingebettete Armee, sten versuchen, bitteren Unfrieden in unsere Gesell-
schaft zu bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so
wie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
und dieses öffentliche Bekenntnis zu unserer Bun- Ich bin persönlich äußerst unglücklich darüber,
deswehr ist wichtig für unsere Soldaten und wichtig daß es dem Verfassungsgericht nicht gelungen ist,
für unsere Gesellschaft. mit seinem Urteil die Klarheit zu schaffen, die die
Bürger unseres Landes, wie aktuelle Umfrageergeb-
Die Bundeswehr hat in ihrer Geschichte immer nisse zeigen, mit Recht erwartet haben.
wieder massive Strukturveränderungen in Anpas-
sung an neue Aufgaben hinnehmen müssen. Das hat Meine Damen und Herren, es ist schwierig, in ei-
bekanntlich nicht so sehr die allgemeine Bevölke- ner freien und pluralistischen Gesellschaft Werte und
rung bewegt, aber das hat die Soldaten und ihre Fa- Autoritäten zu erhalten, auf die die Bürger vertrauen
milien getroffen. Viele Bürger in unserem Land kön- können und die unserem Staat Stabilität und inner-
nen sich nämlich gar nicht vorstellen, was es bedeu- gesellschaftlichen Frieden geben. Gerade deshalb
tet, wenn man unseren Soldatenfamilien in kurzen haben Gerichte eine besondere Verantwortung. Ge-
Zeitabständen immer wieder Mobilität, Versetzung rade deshalb dürfen diese Werte nicht durch falsche
abverlangt. oder zumindest unverständliche Urteile schwierig
gemacht werden. Wir werden denen entschieden wi-
Um so wichtiger ist es, daß wir unseren Soldaten dersprechen, die versuchen, die Dinge auf den Kopf
und ihren Familien in unseren Gemeinden und Städ- zu stellen.
ten offen und freundschaftlich begegnen, um ihnen
die jeweilige Integration leichtzumachen, daß wir sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
immer wieder aufnehmen, daß wir sie akzeptieren, Meine Damen und Herren, jeder Staat hat Vor-
so daß sie sich bald auch am neuen Ort wieder zu sorge zu treffen, Leben und Freiheit seiner Bürger zu
Hause fühlen und daß sie bei der Bevölkerung mer- verteidigen. Deshalb sage ich - wie vorhin Minister
ken, daß sie unterstützt sind. Rühe - nochmals laut und deutlich: Wehrdienst ist
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ehrendienst. Es ist ein lebenswichtiger Dienst für un-
ser Land und für die Menschen in unserem Land, für
Meine Damen und Herren, wir erleben, daß Solda- deren Lebensqualität, für ihre Freiheit und für ihren
ten in vielen Vereinen und Ehrenämtern engagierte Wohlstand. Wenn jemand Wehrdienst geleistet hat,
Bürger sind, die zu erkennen geben, daß sie einen kann er immer noch alte und behinderte Menschen
Beruf gewählt haben, den die Bereitschaft und die pflegen. Deshalb ist die Priorität auf jeden Fall auch
Begabung, die Dinge anzupacken, auszeichnet. unter diesem Gesichtspunkt zu werten.
Ich meine, wir brauchen dringend auch eine öf- Ich meine, wir sollten auch zukünftig für eine lei-
fentliche Diskussion über den Wert und die Wichtig- stungsfähige Landesverteidigung streiten. Deshalb -
keit der Wehrpflicht. Das ist in diesem Jahr ohnehin fordere ich alle Parteien im Deutschen Bundestag
häufig zitiert worden, aber wenn wir die Erfolgsge- auf, sich geschlossen hinter den Auftrag der Bundes-
schichte der Armee in der Demokratie fortschreiben wehr zu stellen.
wollen, dann - davon bin ich felsenfest überzeugt -
müssen wir die Wehrpflicht bewahren. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das haben wir doch nun schon ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) klärt!)
Wir müssen die Wehrpflicht attraktiv halten und ihr Wir sind gegen jede weitere Reduzierung der Stärke
den gesellschaftlichen Wert zukommen lassen, der der Bundeswehr; das sage ich jetzt als CSU-Politiker.
ihrer Bedeutung entspricht. Die Wehrpflicht muß für die jungen Menschen in un-
5600 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Klaus Rose


serem Land ein attraktiver und anerkannter Dienst 1990 ist endlich die Gefahr vorbei, daß es einen Krieg
bleiben. zwischen den beiden deutschen Staaten gibt.
Deshalb möchte ich zum Abschluß allen Soldaten (Zurufe von der CDU/CSU: Ja, warum
und ihren Familien sagen: Wir sind der Bundeswehr denn? - Was haben Sie denn dazu beigetra-
sehr dankbar. Wir sind stolz auf unsere Bundeswehr. gen?)
Sie hat ihren Platz mitten unter uns. Wir brauchen
Das ist, wenn Sie so wollen, das positivste Ergebnis
sie, um weiter in Frieden leben zu können.
der deutschen Einheit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so (Beifall bei der PDS - Friedrich Bohl [CDU/
wie bei Abgeordneten der SPD) CSU]: Herr Honecker hatte die Marschbe-
fehle schon vorgedruckt!)
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- Wenn wir schon über die NVA sprechen - über die
lege Dr. Gregor Gysi. ich viel Kritisches sagen könnte -, muß ich Ihnen ei-
nes vorhalten: Es ist eine historische Leistung, daß
Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- eine Armee, die für einen Staat da ist, bei der Auflö-
men und Herren! Wir hatten in dieser Woche zwei sung dieses Staates genau nicht zur Waffe greift
Jubiläen. Das eine war der 50. Jahrestag der Grün- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Dem geht es doch
dung der UNO, das andere war der 40. Jahrestag der nur um die Stimmen, um sonst gar nichts!)
Gründung der Bundeswehr. Was mir eigentlich
Sorge bereitet, ist, daß sich der Kanzler weigert, zur und daß es auch keinen solchen Befehl gab, sondern
UNO zu fahren, weil seine Redezeit begrenzt ist - ich daß sie sich friedlich auflöst und mit dem Staat zu-
bin auch für nur fünf Minuten hierhergekommen -, sammen untergeht. Das hat es in der Geschichte
und daß er auch in der Bundestagsdebatte dazu nicht noch nie gegeben. Das will ich an dieser Stelle aus-
spricht, drücklich würdigen.
(Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der PDS)
während er heute zum 40jährigen Jubiläum der Bun- Sie sprechen in diesem Zusammenhang immer von
deswehr spricht. der Armee der Einheit. Das ist allerdings mehr eine
(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Illusion als eine Tatsache. Von 50 000 Berufssoldaten
haben Sie 11 000 übernommen. Davon sind heute
Hat er doch!)
noch 2 575 in der Bundeswehr. Da kann man natür-
- Zu Beginn hat Herr Kinkel gesprochen. lich leicht von einer „Armee der Einheit" reden.
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der ist Sie haben dort ganz unterschiedliche Besoldungs-
auch Außenminister!) gruppen. Wenn jetzt jemand mit 53 Jahren aus der
Bundeswehr entlassen wird und er aus dem Osten
Das hatte auch seine Gründe. Damit haben Sie den kommt, bekommt er 1 844 DM und muß davon noch
unterschiedlichen Stellenwert deutlich gemacht, den Sozialversicherung bezahlen. Anschließend muß er
UNO und Bundeswehr in Ihrer Politik haben. Das Sozialhilfe beantragen. Jemand, der von Anfang an
darf man wohl noch kritisch und zugleich auch be- im Westen gedient hat, bekommt 3 465 DM brutto.
sorgt feststellen. Das heißt: Es gibt eine klare soziale Spaltung inner-
halb der Bundeswehr, übrigens zum Teil in bezug auf
Die Bundeswehr ist im kalten Krieg entstanden.
völlig idiotische Dinge, nämlich beispielsweise in Ab-
Das ist wahr. Nun vertreten alle die These, daß aus
hängigkeit davon, wo man den Dienstvertrag unter-
dem kalten kein heißer Krieg wurde, weil es die Bun-
schreibt. Unterschreibt man ihn in Westberlin, be-
deswehr gegeben hat. Ich halte diese These zumin-
kommt man Westbezüge; unterschreibt man ihn zu-
dest für sehr leichtfertig; denn in der Zeit, in der es
fällig in Ostberlin, bekommt man Ostbezüge. Ratio-
keine Bundeswehr gab, ist aus dem kalten auch kein
nal ist das Ganze nicht zu erklären. Vielmehr dient es
heißer Krieg geworden. Das heißt, ich glaube, daß
auch nur der Demütigung.
diese zwangsläufige Feststellung abenteuerlich ist.
Herr Eppelmann hat erklärt, daß er umdenken
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU mußte, daß er Pazifist war, daß er den Wehrdienst
und der F.D.P. - Kurt J. Rossmanith [CDU/ verweigert hat, daß er Abrüstungsminister werden
CSU]: Das sagt ein Kommunist!) wollte und auch wurde, daß er heute ein tiefes Be-
Wenn sie denn zutreffen sollte, müßten Sie allerdings kenntnis zur Bundeswehr, zur NATO und zu interna-
hinzufügen, daß es dann auch berechtigt wäre, zu sa- tionalen Einsätzen der Bundeswehr ablegt und daß -
gen, daß die NVA mit dafür gesorgt hat, daß aus dem das eben daran liegt, daß die Armeen nicht gleich
kalten Krieg kein heißer wurde. Damit stünden Sie sind, die Bündnisse nicht gleich sind und auch offen-
vor einer komplizierten Frage. sichtlich die Kriege nicht gleich sind. Ich denke, Sie,
Herr Eppelmann, hätten nur noch hinzufügen müs-
(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Trauern Sie ihr nur sen, daß dieses Ihr Bekenntnis auch damit zu tun hat,
nach!) daß Sie natürlich andernfalls nicht hätten CDU-Ab-
geordneter im Bundestag werden können und auch
- Wissen Sie, mich wundert eines. An dem 3. Oktober
nicht Mitglied im Präsidium der CDU.
1990 wird vieles gewürdigt, nur eines nicht, und das
halte ich für das Entscheidende: Seit dem 3. Oktober (Beifall bei der PDS)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5601
Dr. Gregor Gysi
Dann wären wir der Wahrheit schon etwas näher ge- Aber wenn es schon eine Wehrpflicht gibt, dann ist
kommen. es ein Skandal, daß beim Sozialabbau in erster Linie
die Wehrpflichtigen herhalten müssen und natürlich
Ich glaube eben, daß es eine Fehlentwicklung ist, nicht die Offiziere und die Berufssoldaten. Das ist
daß die Hoffnungen, die am 3. Oktober 1990 bestan- Ihre Art.
den, nämlich die einer Demilitarisierung der Gesell-
schaft, sich völlig zerschlagen haben und wir eine
permanente Militarisierung erleben. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege.
Ich habe es doch noch erlebt: Als ich ein Kind war,
war schon der Besitz einer Wasserpistole verpönt. Dr. Gregor Gysi (PDS): Mein letzter Satz: Wenn Sie
Dann habe ich erlebt, wie sich auch unser Leben ge- in bezug auf Friedenspolitik glaubwürdig sein wol-
sellschaftlich sozusagen militarisiert hat, was ich un- len, dann müssen Sie erst einmal erklären, weshalb
erträglich fand. Mein Bedarf an Großen und Kleinen der Waffenexport derart zunimmt. Wer so viel Waffen
Zapfenstreichen und Militärparaden ist in der DDR exportiert und so viel daran verdient, verdient letzt-
ein für allemal gedeckt worden. Meine schwache lich an Krieg und Bürgerkrieg. Das ist der eigentliche
Hoffnung, daß das wenigstens hier nicht stattfindet, Skandal der heutigen Situation.
haben Sie gestern zerstört. Jetzt stelle ich fest: Das
gleiche Säbelgerassel, dasselbe Getue (Beifall bei der PDS - Kurt J. Rossmanith
[CDU/CSU]: Das sagt ein Ex-DDR-Kommu-
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wollen nist! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU:
Sie das etwa vergleichen?) Laßt nächstens die Leute reden, die Ah-
nung davon haben!)
- ja -, nur um der Bevölkerung klarzumachen, wie
wichtig Ihnen das Militär ist. Deshalb veranstalten
Sie doch diesen Großen Zapfenstreich, um uns an die Vizepräsident Hans Klein: Bei allen Rednern, Herr
Militarisierung der Außen- und der Innenpolitik zu Kollege Gysi, hat es bisher geklappt, daß ich, ohne
gewöhnen. Genau dagegen richtet sich unser Wider- das Mikrophon einzuschalten, von hinten leise ge-
stand. sagt habe: Ende der Redezeit. Dann sind sie zum
Schluß gekommen. Sie haben locker eine Minute
(Zuruf von der F.D.P.: So was wird noch ge
weitergeredet. Das finde ich nicht fair.
wählt!)
Sie sind dann gestern noch weiter gegangen. Sie (Widerspruch bei der PDS - Dr. Gregor Gysi
haben gestern das erste Mal über das Brandenburger [PDS]: Das hätte der Kanzler in der UNO
Tor Tornados, Phantom-Flugzeuge und MiGs ge- auch versuchen können! - Hannelore
Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wann hat
schickt.
sich die PDS je an Spielregeln gehalten?)
(Zuruf von der CDU/CSU: Pfui Teufel!)
Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Kröning.
Was wollten Sie denn eigentlich der Berliner Bevöl-
kerung zu verstehen geben? frage ich Sie. Dazu ha-
ben Sie nicht Stellung genommen. Volker Kröning (SPD): Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf die Ta-
(Beifall bei der PDS - Unruhe bei der CDU/ gesordnung zurückkommen, und zwar auf das Wehr-
CSU) rechtsänderungsgesetz, und darf mich dabei auf den
Wir bleiben ganz entschieden dabei, daß wir die Antrag der SPD Fraktion auf Drucksache 13/2757
-

internationalen Konflikte mit nichtmilitärischen Mit- beziehen.


teln lösen müssen. Für uns kommt ein Bundeswehr- Die SPD-Fraktion hat aus Anlaß des 40jährigen Ju-
einsatz unter Blauhelmen oder anderen Helmen biläums der Bundeswehr vielfach ihre Grundsatz-
nicht in Frage. Deshalb wenden wir uns dagegen. position zum Ausdruck gebracht, daß sie zur Wehr-
Sie wissen, daß wir gegen die Wehrpflicht sind. Ich pflicht steht, d. h. zum Wehrdienst und zu den als Er-
habe jetzt keine Zeit, das hier näher auszuführen. satz für den Wehrdienst gesetzlich vorgesehenen
Für uns geht es um das Signal der Entmilitarisierung, Dienstarten. Man sollte diese Dienste - Friedensdien-
das sich damit verbinden würde, auch mit der Ab- ste mit und ohne Waffe - nicht gegeneinander aus-
schaffung der anderen Zwangsdienste. spielen.

(Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Damit hät (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
ten Sie anfangen sollen; dann wäre es noch Da kann ich mich nicht nur mit einem Appell, son--
glaubhaft gewesen! - Weitere Zurufe von dern sogar mit einer Referenz ausdrücklich an die
der CDU/CSU) Koalitionsfraktionen wenden: Sie haben dies heute
- Eines muß ich zu dem Zwischenruf sagen: Den Pa- nicht getan. Deshalb wende ich mich an die anderen
zifismus haben Sie vorhin verurteilt. Wenn über- Oppositionsvertreter, auch wenn ich nicht sehr hoff-
haupt, dann hat er seinen Ursprung in der Bergpre- nungsfroh bin, sie von unserem Anliegen überzeu-
digt. Sie nennen sich christlich; also sollten Sie ein- gen zu können: Friedensdienste mit und ohne
mal darüber nachdenken. Waffe -

(Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
CDU/CSU) NEN]: Der Dienst mit der Waffe ist keiner!)
5602 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Volker Kröning
das sollten wir in dieser Minute noch einmal deutlich Darüber hinaus forde rt die SPD zum wiederholten
machen - haben ein gemeinsames Fundament, näm- Male, die Dauer von Zivildienst und Grundwehr-
lich die Pflichterfüllung gegenüber der Allgemein- dienst zu vereinheitlichen. Dazu sagt der erwähnte
heit. In einer Zeit der Überordnung des Einzelinter- Be ri cht der Bundesregierung:
esses über das Allgemeininteresse, einer ebenso un-
gelösten wie lösungsbedürftigen Konkurrenz von In- Dem Gesetzgeber ist durch die Unterschiede, die
dividualismus und Solidarität ist es nicht das Gering- die beiden Dienste prägen, ein Gestaltungsspiel-
ste, neben dem Recht, das immer gegen die Pflicht raum eröffnet; er ist nicht zu einer schematischen
ausgespielt wird, vor allen Dingen die Pflicht von Gleichbehandlung verpflichtet.
Menschen gegenüber Menschen zu betonen, die in Dies ist ein seltener Fall von richtig und falsch: Rich-
beiden Dienstarten erfüllt wird. tig ist, daß der Gesetzgeber anders handeln könnte.
Ob er aus rechtlichen Gründen auch anders handeln
Das ist für uns Ausgangspunkt für zwei Initiativen, muß, will ich hier und heute offenlassen. Doch falsch
von denen eine neu und eine leider alt ist; doch nach ist, daß sich die Bundesregierung noch immer auf das
unserem Dafürhalten sind beide überfällig. Es geht Bundesverfassungsgericht beruft, das in der Tat die
um die Gleichbehandlung der Dienstarten im Wehr-
unterschiedliche Dauer von Wehr- und Zivildienst le-
pflichtgesetz und im Zivildienstgesetz, nämlich in fi- gitimiert hat.
nanzieller Hinsicht des sogenannten Dienstes im
Ausland - einer Alternative zum Zivildienst - mit die- Es bleibt nämlich ein Unikum unserer Rechtsord-
sem Zivildienst und in zeitlicher Hinsicht des Zivil- nung - und das ausgerechnet im Kernbereich von
dienstes mit dem Grundwehrdienst. Rechten und Pflichten, von Dienen und Helfen, ja
von Leben und Tod - daß gegen den klaren Wortlaut
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, dazu einer Verfassungsnorm verstoßen wird, daß - im Klar-
einen Blick auf den „Bericht der Bundesregierung text - entgegen Art. 12a des Grundgesetzes der Zi-
zur Gleichbehandlung von Grundwehrdienstleisten- vildienst noch immer länger dauert als der Wehr-
den und Zivildienstleistenden" werfen, der schon vor dienst und nach dem vorliegenden Gesetzentwurf
anderthalb Jahren dem Deutschen Bundestag vorge- auch weiterhin länger dauern soll.
legt und neulich im Verteidigungsausschuß behan-
delt worden ist. Der Bericht spricht in beeindrucken- Die grundgesetzliche Vorschrift, daß die Dauer des
der Weise von einem „gesetzgeberischen Willen, Ersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht
... beide Gruppen von Dienstpflichtigen gleichzu- übersteigen darf, wird in einer für das juristisch ge-
stellen" und stellt fest, daß „die Problematik der bildete wie für das unverbildete Publikum erstaunli-
rechtlichen und tatsächlichen Gleichbehandlung der chen Weise uminterpretiert:
Grundwehrdienstleistenden und der Zivildienstlei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ingrid
stenden im Bewußtsein der Betroffenen besonders
Matthäus-Maier [SPD]: Das kann man wohl
sensibel" ist. Ich meine, auch ein 40jähriges Jubi- sagen!)
läum der Bundeswehr gibt Anlaß, diesen Punkt, der
die Öffentlichkeit ebenfalls interessiert, noch einmal Nicht die Dauer, sondern die Belastung wird ver-
zur Sprache zu bringen. glichen. Die Wehrübungen werden angerechnet. Da-
bei werden nicht die tatsächlich geleisteten Übun-
(Beifall bei der SPD) gen, sondern eine gegriffene Größenordnung zu-
grunde gelegt.
Wer z. B. als junger Mann auch Russisch gelernt
hat und sich verpflichten möchte, in Moskau Kinder Auch diese Begründung ist beinahe überholt. Die
und Jugendliche zu betreuen, die von Verwahrlo- Bundesregierung bemüht in ihrem erwähnten Be-
sung bedroht sind, die Gefahr laufen, nicht einmal richt ein denkbar dürftiges Zitat der letzten Entschei-
mehr Kindergärten und Schulen zu besuchen, stellt dung des Bundesverfassungsgerichts.
fest, daß sein Dienst, der im Zivildienstgesetz gere-
gelte sogenannte Andere Dienst im Ausland - die (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Na! Na!)
vom Gesetzgeber selber eröffnete Alternative zum - Doch, doch. Ich will mich nicht auf das Glatteis der
Zivildienst im Inland -, in dem Bericht der Bundesre- Kritik am Bundesverfassungsgericht begeben; aber
gierung überhaupt nicht erwähnt wird. Das muß ihn ich muß Ihnen dieses Zitat, auf das sich die Bundes-
wundern. Denn dieser Dienst wird, anders als der regierung bezieht, vorlesen. Es heißt dort:
Wehr- und der Zivildienst, nicht entgolten. Die Ko-
sten für dieses Engagement müssen die jungen Der Zivildienstleistende ... ist in der Regel einem
Leute selber tragen - oder ihre Eltern und freie Trä- weniger strengen Dienstverhältnis unterworfen
ger, die dazu oft nicht in der Lage sind. und befindet sich typischerweise in einer weniger
belastenden Lebenssituation.
Das ist ein krasser Fall von Ungleichbehandlung,
der auch dein Zweck der Regelung zuwiderläuft, der (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)
im Gesetz ausdrücklich mit der „Förderung des fried- Jeder mag sich darauf einen Reim machen. Doch ei-
lichen Zusammenlebens der Völker" - eine vielleicht nes besagt dieser Satz: Es kommt auf die Realität an
etwas altmodisch klingende, aber nach wie vor be- und darauf, wie sie bewertet wird.
rechtigte Formulierung - umschrieben wird. Wir for-
dern, daß dieses Defizit beseitigt wird. Für uns ist die Antwort eindeutig: Längst werden
nahezu alle Wehrpflichtigen, auch alle, die den
(Beifall bei der SPD) Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern,
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5603
Volker Kröning
zum Dienst herangezogen. So wichtig der Wehr- Denn es gibt in der Tat ein Problem, nämlich die Aus-
dienst ist, so unentbehrlich ist der Zivildienst für un- wirkungen dieser Verkürzung auf die personelle Be-
sere Gesellschaft inzwischen geworden. Die Zahl der darfsdeckung der Bundeswehr.
Wehrübungen ist so verschwindend gering, daß sie -
selbst wenn man der bisher herrschenden Meinung Es ist zweifelsohne auch richtig, daß es einen ge-
wissen Zielkonflikt zwischen der Verkürzung auf
folgen wollte - eine pauschale Ungleichbehandlung
des Zivil- und des Wehrdienstes nicht mehr rechtfer- zehn Monate und der Friedensstärke von 340 000
Soldaten gibt, vor allem mit Blick auf die doch sehr
tigt.
stark gestiegene Quote der Wehrdienstverweigerer.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es kommt entscheidend darauf an, daß wir diese
auch vom Bundesminister immer als kompakt be-
Meine Damen und Herren, die Funktionsfähigkeit zeichnete zehnmonatige Ausbildung entsprechend
der militärischen Komponente unserer Sicherheit ist umsetzen. Dazu brauchen wir genügend Ausbilder,
bei einer Gleichbehandlung, wie die Verfassung sie die für die Durchführung dieser kompakten und for-
fordert oder wie sie der Gesetzgeber zumindest mit dernden Ausbildung zur Verfügung stehen. Es ist
dem gegebenen Spielraum einführen sollte, nicht in auch politisch besonders wichtig für das Ministerium,
Gefahr. genügend Ausbilder zu bekommen.
( Vo rs it z : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Wir haben gesagt, daß diese Frage intensiv disku-
tiert worden ist.
Die Voraussetzungen für die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts sind somit entfallen. Der (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Na!)
Gesetzgeber sollte keiner der beiden Gruppen von
Dienstleistenden die Ernsthaftigkeit ihrer Entschei- - Frau Kollegin Schulte, das wissen Sie genau; Sie
dung absprechen. waren doch immer dabei. - Letztlich war es so, daß
dies auch von der Leitung des BMVg für machbar ge-
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das halten worden ist. Die Risiken sind also beherrsch-
gebe ich bei meinen nächsten Truppenbe bar.
suchen weiter!)
Einhergehend mit der Verkürzung des Grund-
Er sollte für die Attraktivität beider Dienstarten sor- wehrdienstes auf zehn Monate wird auch die Grund-
gen. Er sollte endlich die Gleichwertigkeit beider ausbildung bei Heer und Luftwaffe auf zwei Monate
Dienstarten anerkennen. Es wird Zeit. reduziert. Ich möchte die Hardthöhe wirklich bitten,
diese Verkürzung der Grundausbildung zu einer
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Fahren
echten Entrümpelung zu nutzen, damit nicht immer
sie mal in die neuen Bundesländer, wo die
wieder zivil erlernte Maßnahmen in der Bundeswehr
Dienstleistenden mehr als 100 Kilometer zu
neu erlernt werden müssen, z. B. Stichwort Führer-
rücklegen müssen!)
schein.
- Sie können sich zu einer Zwischenfrage melden. -
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Keine der beiden Dienstarten ist „2. Klasse".
Die Koalitionsfraktionen - man muß wirklich blind
Wir bitten deshalb um Annahme unseres Antrages.
sein, wenn man das nicht anerkennt - haben in den
(Beifall bei der SPD) parlamentarischen Beratungen im Ausschuß - das
wissen Sie ganz genau, Herr Kollege Heistermann -
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der deutliche Verbesserungen für die Grundwehrdienst-
Kollege Augustinowitz, CDU/CSU-Fraktion. leistenden mit einem Gesamtvolumen von annä-
hernd 300 Millionen DM erreicht.
(Zuruf von der CDU/CSU: Endlich mal ein
Fachmann!) (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
Wenn Sie ehrlich und redlich sein wollen, hätten Sie
Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Herr Präsi- auch dies einmal erwähnen müssen.
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das (Beifall bei der CDU/CSU)
Wehrrechtsänderungsgesetz wird die tiefgreifendste
gesetzliche Eingriffsmaßnahme in die Bundeswehr in Sie haben den Eindruck vermittelt, als ob es hier zu
dieser Wahlperiode sein. Deswegen will ich mich auf Kürzungsmaßnahmen gekommen wäre. Aber ich
dieses Gesetz konzentrieren. habe Ihnen angemerkt: Sie haben sich bei der Dar-
stellung dieses Themas in Ihrer eigenen Haut nicht -
Kernpunkt des Gesetzes ist die Verkürzung des wohlgefühlt.
Grundwehrdienstes auf zehn Monate, mit der Mög-
lichkeit, freiwillig bis zu 23 Monate in der Bundes- Alle Maßnahmen, die wir umgesetzt haben, haben
wehr zu dienen. Es gehört zur Redlichkeit dazu, zu nur ein Ziel: Die Stärkung des verfassungsmäßig vor-
sagen, daß es im Vorfeld dieser politischen Entschei- rangigen Grundwehrdienstes. Ich möchte auf diese
dung Diskussionen über diese Frage in der Gesell- Punkte im einzelnen eingehen.
schaft und natürlich auch in der CDU/CSU und der
F.D.P., also in der Koalition, gegeben hat. Das erste ist der schon zitierte Mobilitätszuschlag,
ein völlig neues Instrument, das wir in der Tat dazu
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wir sind konzipiert haben, den Grundwehrdienst zu stärken.
sehr diskutierfreudig!) Ich finde, 90 DM pro Monat für jemanden, der mehr
5604 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Jürgen Augustinowitz
als 50 Kilometer fährt, und 180 DM pro Monat für je- können Sie und die Vorgesetzten in der Truppe noch
manden, der mehr als 100 Kilometer fährt, sind bei etwas tun, und darum bitten wir Sie hier im Parla-
einem Wehrsold von etwa 400 DM eine sehr deutli- ment.
che Verbesserung, die man auch hier im Parlament
einmal deutlich hervorheben muß. Nur wenn der Soldat die Bundeswehr mit dem Be-
wußtsein verläßt, wirklich gebraucht worden zu sein
(Beifall bei der CDU/CSU) und einen sinnvollen Dienst geleistet zu haben, wird
er ein positives Bild von den Streitkräften mit in das
Der zweite Punkt. Herr Kollege Heistermann, Sie
Zivilleben nehmen und in die Bevölkerung tragen.
haben so getan, als ob es schon seit Jahren ab dem
vierten Monat Dienstzeitausgleich gäbe. Wir haben Es ist sehr zu begrüßen, daß der Fraktionsvorsit-
mit diesem Gesetz umgesetzt, daß der Dienstzeitaus- zende der SPD heute ein klares Wort zur Wehrpflicht
gleich auch für unsere Grundwehrdienstleistenden gesagt hat. Dafür bin ich ihm auch im Namen der
ab dem vierten Monat gilt. Nicht Sie, sondern wir ha- CDU/CSU-Fraktion dankbar. Das ist für unsere Bun-
ben das umgesetzt. Bisher war das nämlich ab dem deswehr wichtig.
siebten Monat der Fall.
Aber das eine ist das Reden, das andere ist das tat-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sächliche Handeln. Ihr Antrag, die Dauer des Zivil-
dienstes an die Dauer des Grundwehrdienstes an-
Man kann das doch wirklich einmal sagen, wenn
zugleichen, bedeutet doch in der Praxis die Aufgabe
sich etwas verbessert hat. Tun Sie doch nicht so, als
der allgemeinen Wehrpflicht, weil wir dann Verwei-
ob wir hier nur Dinge machten, die nicht passen!
gerungszahlen bekommen würden, die den Perso-
Ich will hinzufügen, daß dieser Dienstzeitausgleich nalumfang der Bundeswehr nicht mehr sicherstellen
auch für die militärische Leitung und das Ministe- würden.
rium in der Regel in Geld geleistet werden soll. Aber
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
wir wollen den militärischen Führern auch das Füh-
ordneten der F.D.P.)
rungsinstrument Freizeitausgleich in Zeit lassen. Wir
werden bei der Formulierung des Erlasses genau Das ist ein unverantwortlicher Antrag, den Sie zum
darauf achten, daß das eingehalten wird. wiederholten Male gemacht haben. Schauen Sie,
Herr Kollege, einmal nach Frankreich. Die Franzosen
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wir hal
haben einen Grundwehrdienst von zehn Monaten.
ten am Dienstzeitausgleich fest!)
Wissen Sie, wie lange dort der Zivildienst dauert? Er
Die Forderung einer Gleichbehandlung zwischen dauert 20 Monate, und die Franzosen haben eine
Wehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden bleibt Verweigerungsquote von 5 %.
auch beim Dienstzeitausgleich. Wir haben bei den
Ehrlicher sind dabei die Grünen. Die Grünen sa-
parlamentarischen Beratungen eine Änderung des
gen: Wir wollen die Abschaffung der Wehrpflicht, um
§ 32 des Zivildienstgesetzes eingefordert. Die Bun-
die Bundeswehr insgesamt abzuschaffen. Das ist zu-
desregierung ist hier in der Bringschuld.
mindest eine ehrliche Antwort auf die Fragen, die
Drittens: Verkürzung der Beförderungsintervalle. wir uns alle stellen. Dafür muß ich sie ausdrücklich
In der nächsten Zeit wird der Grundwehrdienstlei- loben.
stende bereits nach drei Monaten Gefreiter. Das ist
Ich möchte noch etwas Grundsätzliches zum
nicht nur finanziell, sondern vor allem auch ideell
Thema Wehrpflicht sagen: Es ist eine der grundle-
wichtig. Wir haben außerdem bereits zum 1. Oktober
genden Pflichten des Staates, seine Bürger vor äuße-
dieses Jahres das doppelte Verpflegungsgeld an al-
ren Gefahren zu schützen. Für Deutschland ist diese
len dienstfreien Tagen eingeführt. Das kostet übri-
Verpflichtung in Art. 1 Grundgesetz ausdrücklich
gens 90 Millionen DM im Jahr, Herr Kollege Heister-
festgeschrieben. Dem Privileg des Bürgers, vom
mann. Warum reden Sie eigentlich nicht einmal da-
Staat geschützt zu werden, steht die Pflicht gegen-
von? Das ist doch eine positive Sache.
über, als Teil unseres Staates am Erhalt der äußeren
(Beifall bei der CDU/CSU) Sicherheit mitzuwirken, zumindest zeitweise mitzu-
wirken.
Das sind wichtige Erfolge der Koalitionsfraktionen
für die Grundwehrdienstleistenden. Ich will deutlich Der Bürger erfüllt diese Pflicht, indem er sich für
machen: Das sind materielle Anreize, im Mittelpunkt einen Zeitraum in den Dienst der bewaffneten Streit-
unserer Bemühungen müssen aber die immateriellen kräfte stellt. Die allgemeine Wehrpflicht ist der greif-
Dinge stehen, auf die ich gleich noch eingehen bare Ausdruck der persönlichen Mitverantwortung
werde. Sie sind wichtiger als die materiellen Leistun- des Bürgers für ein Leben der deutschen Nation in
gen. Frieden und Freiheit. -
Aber auch die Bundeswehr muß einen eigenen Der Grundwehrdienstleistende ist verpflichtet, treu
Beitrag zur Senkung der Verweigererquote leisten. zu dienen und das Recht und die Freiheit des deut-
Hierzu zählt insbesondere der Umgang mit den schen Volkes tapfer zu verteidigen. Das bedeutet für
Wehrpflichtigen in der Truppe wie bei den Wehrer- den Grundwehrdienstleistenden, im Katastrophen-,
satzbehörden. Die Jahresberichte der Wehrbeauf- im Spannungs- oder im Verteidigungsfall unter Ein-
tragten zeigen immer wieder, daß es in diesen Berei- satz seiner Gesundheit oder seines Lebens für Frie-
chen noch erheblichen Spielraum für Verbesserun- den und Freiheit unseres Volkes einzutreten. Das un-
gen gibt. Gerichtet an die Inspekteure der Teilstreit- terscheidet den Grundwehrdienstleistenden funda-
kräfte und den Generalinspekteur sage ich: Hier mental vom Zivildienstleistenden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5605
Jürgen Augustinowitz
Es ist eine entscheidende politische Führungsauf- Es muß deutlich werden, daß bewaffnete Streit-
gabe, den unauflösbaren Zusammenhang zwischen kräfte ein entscheidendes Merkmal der Souveränität
Wehrpflicht und Landesverteidigung zu verdeutli- unseres Staates sind. In Deutschland ist die Bundes-
chen. Landesverteidigung und Wehrpflicht sind zwei wehr das sichtbare Symbol unserer wehrhaften De-
Seiten der gleichen Medaille. mokratie.
Die Bundeswehr hat nach dem Ende des kalten Georg Leber hat zu recht bei der Feierstunde des
Krieges aus Sicht vieler junger Menschen ein Be- Verteidigungsausschusses am 27. September 1995
gründungsproblem. Die hohe KDV-Quote ist ein Be- gesagt:
leg dafür. Seit dem Wegfall der massiven, unmittel-
baren Bedrohung Deutschlands durch den War- Die Bundeswehr ist ein natürlicher Teil unserer
schauer Pakt glaubt mancher Wehrpflichtiger, daß staatlichen Daseinsvorsorge geworden.
sein Dienst in der Bundeswehr nicht mehr notwendig Das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht hat sich be-
sei, da Deutschland mangels einer konkreten Bedro- währt. Der Erfolg der Bundeswehr ist auch ein Erfolg
hung keine Streitkräfte mehr brauche. von Millionen Grundwehrdienstleistenden.
Diese Fehleinschätzung ist eine Folge der ober- Es muß sichergestellt werden, daß die Bundeswehr
flächlichen Begründung der Existenz der Bundes- auch unter den geänderten Bedingungen ihren Auf-
wehr während des kalten Krieges. Die Bundeswehr trag, für ein Leben der deutschen Nation in Frieden
wurde zu wenig als Ausweis für die Souveränität und Freiheit zu sorgen, uneingeschränkt erfüllen
Deutschlands begründet, als die Fähigkeit des deut- kann. Die Soldaten haben daher Anspruch auf un-
schen Staates, seine Bürger vor Gewalt und Bedro- sere volle Unterstützung.
hung von außen zu schützen. Statt dessen wurde die
bequemere, weil offensichtliche Begründung der Be- Vielen Dank.
drohung aus dem Osten als Existenzgrund ange- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
führt. Dies rächt sich jetzt.
Daß sich viele Wehrpflichtige unter diesen Bedin- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei-
gungen gegen den Dienst in der Bundeswehr ent- ner Kurzintervention hat der Kollege Köhne, PDS.
scheiden, deren Sinn und Legitimation ihnen zum
Teil nie richtig vermittelt wurde, kann nicht verwun-
dern. Hier ist die Politik in der Verantwortung, Ver- Rolf Köhne (PDS): Ich beziehe mich auf die Ant-
änderungen durchzusetzen. Dabei spielen auch z. B. wort vom Kollegen Breuer, der meinte, ich hätte über
Schulen eine Rolle. Im Schulunterricht muß über die- die Bundeswehr keine Kenntnis.
ses Thema vernünftig geredet werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)
(Abg. Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS] meldet Ich habe 1972/73 im Feldjägerbataillon 720 gedient.
sich zu einer Zwischenfrage) In der Ausbildungskompanie dieses Bataillons wurde
der Schlachtruf „Knüppel frei" offiziell und mit Wis-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, ge- sen des Bataillonskommandeurs beim täglichen An-
statten Sie eine Zwischenfrage? treten benutzt. Dies war ein bewußtes, gezieltes Mit-
tel der Menschenführung, ebenso wie das gepflegte
Liedgut und andere erzieherische Elemente.
Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Nein, nicht
von diesem Herrn. Meine Frage zielte darauf zu problematisieren, in
welche Richtung junge Menschen wohl geführt wer-
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Setzen!)
den sollen, wenn sie gezwungen werden, täglich
In einer Zeit eines objektiv und subjektiv ge- mehrmals beim Antreten den Schlachtruf „Knüppel
schwundenen Bedrohungsgefühls der Menschen ste- frei" zu rufen. Eine solche, sehr zweifelhafte Art von
hen die militärischen Führer und Unterführer der Menschenführung, für die es auch noch diverse an-
Bundeswehr vor einer völlig neuen, auch intellek- dere Belege gibt, ist mindestens bis Mitte der 70er
tuellen Aufgabe. Jahre in der Feldjägertruppe, die sich immer als mili-
tärische Elite gesehen hat, betrieben worden. Das ist
Die Erkenntnis, daß der Staat als nationale Schutz- keine Besonderheit des Feldjägerbataillons 720.
und Schicksalsgemeinschaft nur dann bestehen
kann, wenn Rechte und Pflichten gegenüber dem An der Feldjägerschule in Sonthofen, die jeder
Staat gleichermaßen wahrgenommen werden, muß Feldjäger durchlaufen mußte, herrschte ein ähnlicher
in das Bewußtsein der Bürger zurückgerufen wer- Geist. Dort galten bereits Jusos als subversive Ele-
den. CDU und CSU stehen als christlich-konserva- mente.
tive Parteien bei der Erfüllung dieser Aufgabe in ei- (Beifall bei der CDU/CSU)
ner besonderen Verantwortung und Verpflichtung.
So Hauptmann Klee im Unterricht.
Es ist insbesondere die Aufgabe der Verteidi-
gungspolitik, das Begründungsproblem der Bundes- Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Kri-
wehr zu beenden. Die Bundeswehr ist und bleibt un- tik trifft nur einen Teil der Bundeswehr. Sie trifft
sere Versicherung gegen die Wechselfälle der Ge- nicht alle Soldaten, und ich hoffe, sie trifft nur für ver-
schichte in einer ungewissen Zeit. gangene Zeiten zu. Ich habe in der Bundeswehr
auch viele Menschen mit zutiefst demokratischer Ge-
(Beifall bei der CDU/CSU) sinnung getroffen. Ich bin heute noch froh und den
5606 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Rolf Köhne
Offizieren des Panzerbataillons, die seinerzeit mit Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktio-
uns am Truppenübungsplatz Ehra-Lessien waren, nen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/
dankbar dafür, daß sie gegen das Absingen des 2748? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Horst-Wessel-Liedes durch Teile unseres Bataillons, Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
durch fast alle Offiziere, u. a. auch durch den Kom- fraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
mandierenden dieses Panzerbataillons, eingeschrit- nommen.
ten sind, und daß sie dadurch verhindert haben, daß
es in diesem Bataillon zu einer Schlägerei zwischen Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf
den Faschisten und den Demokraten gekommen ist. Drucksache 13/2757? - Gegenprobe! - Enthaltun-
Auch das gehört zu 40jähriger Geschichte der Bun- gen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
deswehr und muß hier und heute einmal gesagt wer- onsfraktionen bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/
den. DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der SPD
(Beifall bei der PDS) abgelehnt.

Wir kommen zum Gesetzentwurf. Ich bitte dieje-


Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Der Kollege nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfas-
Breuer hat mir erklärt, er wolle nicht erwidern. sung mit der beschlossenen Änderung zustimmen
(Beifall bei der CDU/CSU) wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
Dann schließe ich jetzt die Aussprache und gebe zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions-
für eine Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsord- fraktionen gegen die Stimmen der Opposition an-
nung dem Kollegen Dr. Heuer von der PDS das Wort. genommen.

Interfraktionell ist vereinbart, jetzt sogleich in die


Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Danke schön, Herr Prä-
dritte Beratung einzutreten, obwohl in der zweiten
sident. - Meine Damen und Herren, Herr Breuer hat
Beratung Änderungen angenommen wurden. Ich
erklärt, er sei nicht bereit, mir eine Frage zu beant-
gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden
worten. Deswegen möchte ich dazu jetzt etwas sa-
ist. - Kein Widerspruch. Dann ist das mit der erfor-
gen.
derlichen Mehrheit so beschlossen.
Herr Breuer hat gesagt - wenn ich ihn recht ver-
standen habe -, es gebe keine konkrete Bedrohung. Dritte Beratung
Er hat weiterhin erklärt, es sei ein großer Fehler ge-
wesen, früher nur von einer Bedrohung aus dem und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
Osten zu sprechen. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Ich frage mich: Aus welcher Himmelsrichtung ist Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions-
denn heute die Bundesrepublik Deutschland be- fraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange-
droht? Das möchte ich gerne von Herrn Breuer wis- nommen.
sen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
Meine zweite Bemerkung: Hier ist gesagt worden, schließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
die Soldaten seien heute zur Landesverteidigung GRÜNEN auf Drucksache 13/2770. Wer stimmt für
aufgerufen. Aber in der Realität geht es jetzt um diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dage-
Kampfeinsätze, die mit Landesverteidigung nicht das gen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsan-
Geringste zu tun haben und die man mit dem Begriff trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
der Landesverteidigung nicht verknüpfen kann. und der SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Gruppe
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege PDS abgelehnt.
Dr. Heuer, ich habe Ihnen das Wort zu einer Erklä-
rung nach § 30 der Geschäftsordnung gegeben. Sie Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla-
hatten Anlaß, etwas zu sagen, wegen der Verweige- gen auf den Drucksachen 13/580 und 13/2499 an die
rung der Zwischenfrage und der Begründung durch in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
den Kollegen Augustinowitz - nicht Breuer. geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Jetzt machen Sie einen Debattenbeitrag, und dazu
haben Sie nicht das Wort. Es tut mir sehr leid. Die Er- Jetzt kommen wir zu dem Zusatzpunkt 14, zur Ab-
klärung haben Sie abgegeben. stimmung über die Beschlußempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
der PDS zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr, Druck-
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sache 13/1880. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag
kommen jetzt zur Abstimmung über den von der auf der Drucksache 13/136 abzulehnen. Wer stimmt
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Ent-
Wehrrechtsänderungsgesetzes. Das sind die Druck- haltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den
sachen 13/1801, 13/2209 und 13/2547. Dazu liegen Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei
Änderungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU Stimmenthaltung von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vor, über NEN und gegen die Stimmen der Gruppe der PDS
die wir jetzt zuerst abstimmen. angenommen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5607
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 10a bis Wohnungsbaugenossenschaften stärken - Mit-
10c auf: glieder steuerlich fördern
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- - Drucksachen 13/1501, 13/1644, 13/2771 -
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Berichterstattung:
Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtli- Abgeordnete Otto Reschke
chen Wohneigentumsförderung Dieter Maaß (He rne)
- Drucksachen 13/2235, 13/2476 - Dr. Michael Meister
(Erste Beratung 55. Sitzung) Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi Gruppe der PDS sowie ein Änderungsantrag der
nanzausschusses (7. Ausschuß) Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und
- Drucksache 13/2784 - zwei Änderungsanträge des Abgeordneten Klaus-
Jürgen Warnick vor.
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildebrecht Braun (Augs- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die
burg) gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen.
Franziska Eichstädt-Bohlig Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Dr. Barbara Höll
Otto Reschke Sobald etwas Ruhe eingekehrt ist, werde ich die
Gerhard Schulz Aussprache eröffnen. - Darf ich die Kolleginnen und
Kollegen bitten, Platz zu nehmen bzw. ihre Unterhal-
bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- tungen in die Lobby zu verlagern.
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregie-
- Drucksache 13/2785 - rung hat Herr Staatssekretär Kurt Faltlhauser das
Berichterstattung: Wort.
Abgeordnete Adolf Roth (Gießen)
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Da-
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des men und Herren! Zu Beginn der Schlußberatung des
Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) Gesetzes zur Neuregelung der steuerlichen Wohn-
zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska eigentumsförderung will ich auf einen Umstand bei
Eichstädt-Bohlig, Christine Scheel, Ulrike der Entscheidungsfindung vorrangig hinweisen. Wir
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Frak- haben dieses Gesetz im Finanzausschuß und parallel
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Wohnungsbauausschuß nicht nur einvernehmlich
Eckwerte für ein grünes Wohnungs-Selbsthil- innerhalb der Koalition zu einer Entscheidung ge-
fe-Gesetz für eine soziale und ökologische bracht, sondern auch Einvernehmen mit der Opposi-
Reform der Wohneigentumsförderung tion erzielt. Dies war nicht einfach, aber wir haben es
trotzdem in diesem Bundestag erreicht.
zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Jür-
gen Warnick, Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
Rössel und der Gruppe der PDS F.D.P.)
Reformierung der Wohneigentumsförderung Ich glaube, daß dies für das Selbstverständnis die-
als ein Bestandteil der Wohnungsbaupolitik ses Hauses gut ist. Denn es ist nicht besonders er-
- Drucksachen 13/2304, 13/2357, 13/2784 - freulich, wenn die Mitglieder dieses Bundestages im-
mer wieder erfahren müssen, daß die eigentlichen
Berichterstattung: und letzten Entscheidungen in der Dunkelkammer
Abgeordnete Hildebrecht Braun (Augsburg) des Vermittlungsausschusses schnell und mit vielen
Franziska Eichstädt-Bohlig Prämissen
Dr. Barbara Höll
Otto Reschke (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
Gerhard Schulz (Leipzig) F.D.P.)
und nicht auf der offenen Bühne dieses Parlaments
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des
abschließend getroffen werden. Bedeutung hat die-
Berichts des Ausschusses für Raumordnung,
ser Umstand nicht nur für das Selbstverständnis des
Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß)
Bundestages, sondern auch für die Bürger, weil sie -
zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Resch- auf diese Weise klarere Entscheidungsstrukturen
ke, Achim Großmann, Dr. Ulrich Böhme (Un- und Verantwortlichkeiten erkennen können. Dies ist
na), weiterer Abgeordneter und der Fraktion ein Punkt, der so wichtig ist, daß er hier erwähnt wer-
der SPD den muß. Wir werden das nicht immer durchhalten
Neugestaltung der Wohneigentumsförderung können. Aber ich glaube, dieses Beispiel ist Grund
genug, es auch in anderen Bereichen zu probieren.
zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Maaß
(Herne), Achim Großmann, Dr. Ul rich Böhme In diesem Sinne bedanke ich mich nicht nur für die
(Unna), weiterer Abgeordneter und der Frak- engagierte und hochfachkundige Mitarbeit der Kol-
tion der SPD legen aus dem Wohnungsbauausschuß und aus dem
5608 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Kurt Faltlhauser


Finanzausschuß, der federführend war, sondern auch und die deutliche Anhebung des Baukindergeldes
bei den Kollegen vor allem aus der Opposition, die als ein Paket sehen. Das gehört zusammen.
letztlich doch mitgewirkt haben. Es war natürlich
nicht immer leicht. Man ist manchmal verzweifelt. Fünftens. Wir haben eine besondere Förderung
Manchmal habe ich gedacht, in München wird das der Schwellenhaushalte geschaffen. In diesem Punkt
wohl ein bißchen leichter werden, da gibt es klarere war die Anhörung interessant. Es wird immer wieder
Mehrheiten. gesagt, diejenigen, die eigentlich bauen könnten,
werden gar nicht gefördert. Die Anhörung hat erge-
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Rege- ben, daß § 10e EStG schon bisher in sehr starkem
lung, die vorliegt, ist deutlich besser als das, was wir Maße von Personen mit Einkommen bis 50 000 DM
gegenwärtig noch im Gesetzblatt stehen haben. beansprucht wird. Genau in diesen Bereich zielt
§ 10e EStG ist eine der kompliziertesten Regelun- diese Förderung. Ich bin fest davon überzeugt, auch
gen, die wir überhaupt im Steuerrecht haben. Man- wenn es aus fiskalischen Gesichtspunkten nicht un-
che sagen, es ist das Komplizierteste überhaupt, und bedingt erfreulich sein muß, daß diese Art der Förde-
niemand versteht es mehr. Das war für die Bauwilli- rung breitere Wirkung haben wird.
gen nicht unbedingt günstig. Wir haben jetzt die
Grundlage geschaffen, daß diese Kompliziertheit ab- Damit ist diese Regelung auch gut für die Baukon-
gebaut wird. junktur. Wir haben dadurch gerade in der jetzigen
Situation auch ein Signal für das Baujahr 1996 ge-
Ich finde, daß das neue Gesetz sechs Vorteile hat, setzt.
die hervorzuheben sich lohnt. Erstens: administra-
tive Vereinfachungen. Wir haben nur noch einmal Wir haben dabei noch ein Problem - das haben wir
eine Einkommensprüfung. Alleine das entlastet die alle miteinander immer gesagt -: Wie wirkt die För-
Finanzbehörden. derung in den teuren Großstädten? Um hier ein biß-
chen was zu tun, wird ein Vorkostenabzug von
Zweitens: Diese Regelung ist für die Bauwilligen 22 500 DM für Erhaltungsaufwendungen beibehal-
berechenbarer geworden. Wenn wir etwa für den ten, und zwar nach den Beratungen auch noch ohne
Neubau 5 000 DM mal 8 nehmen, und wenn der Bau- Einkommensgrenze. Das ist für die Großstädte ein
herr zwei Kinder hat, noch einmal 1 500 DM mal 2 richtiges Signal.
gleich 3 000 DM und dies mal 8 nehmen, dann kann
der Bauwillige mit einem Gesamtbetrag der Förde- Meine Damen und Herren, mein Fazit: Der heutige
rung durch den Staat von 64 000 DM im Zeitablauf Freitag ist ein guter Tag für die Bauwilligen, die Fa-
rechnen. Ich glaube, dies wird für mehr Bauwillige milien und die Baukonjunktur.
als bisher ein Anreiz zum Bauen sein.
Ich bedanke mich.
Drittens: Diese Regelung ist gut für die neuen Bun-
desländer. Es gibt dabei vier Ansätze. Allein durch (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und
die Umstellung des Systems auf eine von der Steuer- der SPD)
progression unabhängige Förderung werden die Bür-
ger gerade in den neuen Bundesländern wesentlich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
deutlicher als bisher gefördert, weil das Einkom- Kollege Reschke, SPD.
mensniveau in den neuen Bundesländern bedauerli-
cherweise noch niedriger ist. Es ist eine Regelung,
die vom System her auf die neuen Bundesländer ab- Otto Reschke (SPD): Herr Präsident! Meine sehr
gestellt ist. Zweiter Ansatzpunkt: Wir haben in den verehrten Damen und Herren! Nach einem sech-
Ausschußberatungen die Förderung des Altbaus von zehnstündigen Marathon mit kaum einer Unterbre-
2 200 DM auf 2 500 DM angehoben. Ich habe dies chung haben wir am vergangenen Mittwoch den Ge-
sehr begrüßt, auch wenn dadurch Finanzierungspro- setzentwurf im Fachausschuß verabschiedet. Für
bleme entstanden, weil der Abstand zwischen Neu- mich war es in meiner langjährigen Praxis die läng-
bauförderung von 5 000 DM und der Altbauförde- ste Ausschußssitzung, und ich kann heute nach einer
rung von 2 200 DM tatsächlich eine schmerzliche Bilanz sagen, daß es sich gelohnt hat.
Förderungslücke war. Ich glaube, diese Regelung ist Erstens. Wir haben das Ziel erreicht - das ist das
jetzt gut vertretbar. Dazu kommt für die neuen Bun- Wichtigste für mich -, die Neuregelung zum 1. Ja-
desländer die Bürgschaftsregelung und sicherlich nuar 1996 in Kraft zu setzen, nachdem es lange Zeit
auch das, wofür sich besonders die Kollegen aus der unklar war, ob wir überhaupt etwas erreichen.
SPD eingesetzt haben, die Genossenschaftsförde-
rung. Zweitens. Ein Vermittlungsverfahren ist wohl
auch verhindert worden. Ich halte es für ein wichti--
Viertens ist diese Regelung gut für die Familien. ges Ziel, daß der Bundestag damit Herr der Gestal-
Wir haben das Baukindergeld um 50 % aufgestockt.
tung bleibt. Das ist für die Zukunft wichtig; das sehe
Das ist kein kleines Signal. Das ist ein deutliches Si-
ich genauso wie der Staatssekretär.
gnal. Das kommt zu den 7 Milliarden DM unseres Fa-
milienleistungsausgleichs hinzu. Das neue Gesetz entspricht jahrelangen sozialde-
mokratischen Forderungen: erstens einkommensun-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
abhängig, zweitens durchschaubar, drittens familien-
Wir müssen den Familienleistungsausgleich, wie wir gerecht, viertens berechenbar, fünftens verwaltungs-
ihn Mitte dieses Jahres im Vermittlungsausschuß be vereinfachend. Die Schränke bei manchem Steuer-
schlossen haben, mit im Ergebnis 7 Milliarden DM berater können in Zukunft ausgeräumt werden; die
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5609
Otto Reschke
Meterware „7 b/10 e" kann ins Archiv gestellt wer- Steigerung von 50 % zu verzeichnen. Für insgesamt
den. acht Jahre wird die Förderung pro Kind 12 000 DM
(Beifall bei der SPD) betragen. Das ist ein wichtiger Schritt, eine Initial-
zündung für die Familienpolitik aus diesem Hause.
Schon 1986 forderten wir in unserem Gesetzent-
wurf die einkommensunabhängige Förderung. Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
Koalition hat es damals abgelehnt, den komplizierten ten der CDU/CSU)
und ungerechten § 10e in eine einkommensunab-
hängige Regelung umzuwandeln. Die Folge war Diese Verbesserung kommt vor allem Familien mit
nach unserer Auffassung eine milliardenteure Fehl- Kindern im unteren und mittleren Einkommensbe-
förderung. Wir haben über acht Jahre lang größten- reich zugute. Auch beginnt der neue § 10e endlich in
teils die Falschen gefördert. Die Eigentumsquote er- den neuen Bundesländern zu wirken.
höhte sich nicht; das hat sich ganz deutlich gezeigt.
Viertens. Durch die einmalige Überprüfung der
Drei Bauminister kamen und gingen, und es dau- Einkommensgrenze wird das Verfahren wesentlich
erte acht Jahre, bis die Regierung ihr Versagen in der vereinfacht. Das geben wir zu. Aber der Regierungs-
Eigentumsförderung erkannte. Erst Bauminister entwurf bot insbesondere für Freiberufler und Unter-
Nr. 4, um es chinesisch auszudrücken, ist endlich be- nehmer die Möglichkeit, ihr Einkommen einmalig
reit, die Förderung sozial und gerecht zu gestalten. unter die 120 000- bzw. 240 000-DM-Einkommens-
Wir freuen uns darüber, daß wir einen gemeinsamen grenze zu senken und sie damit unwirksam zu ma-
Weg gefunden haben. chen. Um Manipulationen dieser Art zu verhindern,
wird bei der Prüfung des Einkommens ein zweijähri-
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Hanne
ger Zeitraum zugrunde gelegt. Wir halten das als Mi-
lore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU])
nimallösung für richtig, um Manipulationen auszu-
Ich sage es in vollem Ernst: Herr Minister Töpfer, schließen.
wie Sie die Koalition binnen eines Jahres um
180 Grad gedreht haben, verdient Respekt und Aner- Fünftens. Auf die Ökokomponente und die Genos-
kennung. Laßt es uns bei anderen Beispielen ge- senschaftsförderung im neuen Gesetz und auf das
nauso tun! Bürgschaftsprogramm Ost wird Achim Großmann
noch stärker eingehen.
Wir sind uns einig, wenn Sie sagen: Unser Weg ist
richtig. - Dies ist eine klare Bestätigung für die Rich- Sechstens. Nicht zuletzt gehört zur Eigentumsför-
tigkeit des SPD-Konzeptes, obwohl Sie mit dieser derung die deutlich verbesserte Vorsparförderung.
Presseschlagzeile natürlich sich selbst gemeint ha- Wir begrüßen die Anhebung der Einkommensgren-
ben. zen auf 50 000 bzw. 100 000 DM und die Anhebung
der förderungsfähigen Höchstbeträge der Woh-
Unsere parlamentarische Beharrlichkeit zahlt sich nungsbauprämie auf 1 000 bzw. 2 000 DM.
jetzt für die Bauherren aus.
Damit unterstützt die SPD deutlich das Ziel, die Ei-
Erstens. Die Bauherren werden sich nun über eine gentumsquote in Deutschland weiter zu verbessern.
Grundförderung von jährlich 5 000 DM beim Neu-
Aber wir sagen dabei ganz deutlich. Dieses Gesetz
bau und 2 500 DM beim Bestandserwerb freuen. Wir ist ein erster Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel. Wir
haben dringend auf einer Verstärkung beim Be- sagen: Eigentum ist der beste Mieterschutz, aber es
standserwerb im Blick auf die Ballungsgebiete be- müssen noch flankierende Maßnahmen dazu kom-
standen. men.
Zweitens. Auch in einem anderen Punkt haben wir
eine Verstärkung durchgesetzt. Der Neubau wie Ich will aber zuvor noch sagen: Jeder Bürger kann
auch der Erwerb aus dem Bestand werden durch die die Eigenheimzulage nur einmal in seinem Leben in
Einigung bei den Vorkosten und den Erhaltungsauf- Anspruch nehmen. Es wäre für uns Sozialdemokra-
wendungen gestärkt. Hier haben wir einen tragfähi- ten sinnvoll gewesen, wenn Ehepaare, die in der Re-
gen Kompromiß erzielt. Die Erhaltungsaufwendun- gel nur einmal bauen, ihre Förderbeträge hätten zu-
gen vor Bezug beim Erwerb einer Bestandsimmobilie sammenlegen können. Diesen Punkt konnten wir lei-
sind weiterhin bis zu 22 500 DM von der Steuerbe- der nicht durchsetzen, auch nicht gegenüber unse-
messungsgrundlage einkommensunabhängig ab- ren Bundesländern - das geben wir gerne zu -, und
zugsfähig. Eine wichtige Neuerung dabei ist, daß zwar aus Kostengründen.
Mieter, wenn sie die Wohnung kaufen, in der sie Die SPD hat die Zusammenlegung der Förderung
wohnen, Erhaltungsaufwendungen auch noch im für Ehepaare bis zum anderthalbfachen Betrag ge-
Jahr nach dem Kauf geltend machen können. Die fordert. Prinzipiell bleiben wir bei diesem Vorschlag. -
neue Vorkostenpauschale, die auch die Finanzie- Wir haben diese Forderung deshalb auch in unseren
rungs-, Notar- und Gerichtsgebühren umfaßt, kann Entschließungsantrag aufgenommen.
in Höhe von 3 500 DM von der Steuerbemessungs-
grundlage abgezogen werden, allerdings einkom- (Beifall bei der SPD)
mensabhängig. Auch das halten wir für richtig; ob-
wohl hier ein kleiner Systembruch gegeben ist, sind Das Problem bei der Kumulation sind für den Fi-
wir für diesen Kompromiß angetreten. nanzminister die Vorzieheffekte, nicht die Mehraus-
gaben. Später würde der Staat ohnehin vom Objekt-
Drittens. Die Anhebung des Baukindergeldes auf verbrauch bei Ehepaaren profitieren, die ihre Förde-
1 500 DM begrüßen wir nachdrücklich. Hier ist eine rung heute zusammenlegen.
5610 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Otto Reschke
Es ist ja schon gar keine Praxis mehr bei Finanzmi- trägliches Stadtkonzept mit einer stärkeren Beto-
nistern - das möchte ich zwischendurch anmerken -, nung des Wohnens.
schon heute für ihren Nachfolger zu sparen. Viel-
leicht ist das ein sinnvoller Hinweis, für ihre Nachfol- Für eine höhere Baulandbereitstellung müssen die
ger in naher Zukunft hauszuhalten. Kommunen endlich ein zoniertes Satzungsrecht ha-
ben.
Sobald es wieder Spielraum im Bundeshaushalt
gibt, muß über die Einführung der Kumulationsmög- Weiterhin - dies nenne ich als letzten Punkt - steht
lichkeit für Ehepaare neu nachgedacht werden. durch den Karlsruher Spruch zu den Einheitswerten
Dazu gehört auch die Frage besonderer Hilfe für Al- die Reform der Bodenbesteuerung dringend an, da-
leinerziehende. Wir werden diese Punkte aufgreifen. mit hier nichts aus dem Ruder läuft.
Eine Übergangsregelung für das neue Gesetz, die Eine Menge Reformarbeit liegt vor uns. Wir sind
sofort greift, also ab heute, ist wichtig, um Attentis- bereit dazu, weil wir meinen, daß Wohnen ein wichti-
mus zu verhindern. ges soziales Gut in diesem Staat ist.
Wir hätten gern schon den 28. Juni und nicht den
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
heutigen Tag als Stichtag für die neue Förderung mit
dem neuen Wahlrecht vorgeschlagen, weil wir schon ten der CDU/CSU und der F.D.P.)
die ersten Schreiben vorliegen haben. Danach haben
viele nach dem 28. Juni per Kaufvertrag eine Immo-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die
bilie gekauft, die erst 1996 bezugsfertig wird, und ge-
Kollegin Rönsch, CDU/CSU-Fraktion.
dacht, bereits in die neue Förderung zu kommen. Ein
Stückchen Ungerechtigkeit ist also vorhanden.
Das Eigenheim-Zulagengesetz allein reicht nicht Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr
aus, um eine Eigentumsquote von 50 % und mehr zu Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
erreichen. Die Rahmenbedingungen für die Bildung Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, die
von Wohneigentum müssen deshalb in weiteren Nachfolgeregelung zu § 10e in dem vorliegenden
Punkten bei den in den kommenden Jahren anste- Gesetzentwurf zur Wohneigentumsförderung, der
henden Beratungen im Fachausschuß entscheidend heute zur zweiten und dritten Beratung ansteht, ist
verbessert werden. ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung der Familien
in Deutschland. Ich denke, diese Neuregelung ist
Wir fordern die Bundesregierung daher auf, wei- aber auch für uns wichtig, weil sie zeigt, daß Parla-
terhin auf Möglichkeiten zur verstärkten Bauland- mentarismus anders aussehen kann.
ausweisung für bauwillige Familien hinzuweisen
und die Möglichkeiten dafür zu schaffen. Wir müs- In vielen Stunden wurde gemeinsam gerungen.
sen das Erbbaurecht aktivieren, kostengünstiges Ich glaube, all diejenigen, die mitgestritten haben,
Bauen fördern und nach meiner Einschätzung auch sind mit dem Ergebnis ausgesprochen zufrieden.
das Wohneigentumsgesetz bald novellieren, um eine Selbstverständlich, Herr Kollege Reschke: Ich ge-
gute Voraussetzung für Wohneigentum in den Bal- stehe ein, daß wir miteinander gerungen haben, aber
lungsgebieten zu haben. nicht in allen Punkten - in einem Punkt war ich mit
(Beifall bei der SPD) Ihnen einig, Frau Eichstädt-Bohlig - mit Ihnen einig
werden konnten. Wir hätten uns an der einen oder
Den wichtigen ersten Teil der dringend notwendi- anderen Stelle etwas mehr, vielleicht auch etwas an-
gen Reform der Wohnungspolitik schließen wir heute deres vorstellen können.
ab. Aber Verhandlungsbedarf besteht nach wie vor.
Das zeigen ja auch die noch fehlenden zwei Millio- Wir waren uns aber von vornherein einig, daß für
nen Wohnungen, und das zeigt die Bevölkerungsent- uns vier wichtige Kriterien ausschlaggebend sind:
wicklung bis zum Jahre 2010. Preisgünstiger Wohn- Zum einen wollten wir die Neuregelung familien-
raum wird dringend benötigt, und deshalb müssen freundlicher gestalten. Zum anderen wollten wir die
wir jetzt das Dritte Wohnungsbaugesetz in Angriff Bezieher der unteren und mittleren Einkommen we-
nehmen. Die Unterlagen dazu liegen auf dem Tisch. sentlich stärker berücksichtigen. Wir wollten auch -
Das ist eine Forderung von Sozialdemokraten aus der ich hoffe, daß uns dies umfänglich gelungen ist - das
letzten Periode. Steuerrecht vereinfachen und mußten uns darauf
verständigen, daß das Ganze aufkommensneutral ist.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja nun Das waren vier wichtige Kriterien, die Grundlage der
übertrieben!) Beratung gewesen sind. Was wir zudem zwingend-
Die direkten und indirekten Förderungsinstru- erreichen wollten, war ein Inkrafttreten zum 1. Januar
mente in der Wohnungspolitik müssen endlich har- 1996.
monisiert und effizienter gemacht werden. Wir brau-
Ich habe deshalb überhaupt kein Verständnis da-
chen einen neuen Schub für den sozialen Wohnungs-
für, wenn eine Gruppe heute morgen meint, die Zeit
bau, nicht dessen Abschaffung, Herr Kollege Braun,
für die Beratung habe auch in den jüngsten Tagen
vielleicht arbeiten wir auch wieder zusammen, um
nicht ausgereicht - viele Kolleginnen und Kollegen
dieses Ziel zu erreichen.
haben sehr ernsthaft bis zu 13 Stunden zusammen-
Wir müssen die Novellierung des Baugesetzbu- gesessen -, und damit das Inkrafttreten zum 1. Januar
ches angehen. Wir brauchen ein neues umweltver 1996 in Frage gestellt wird.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5611

Hannelore Rönsch (Wiesbaden)


Diese neue gesetzliche Regelung bringt für die Fa- einig sind, daß die Opposition das schon dargestellt
milien in den neuen Bundesländern gegenüber dem hat. Ich gehöre nicht dazu. Wir haben die Regierung,
bestehenden § 10e umfassende Verbesserungen. wir haben die Opposition. Was sind wir dann in Ihren
Augen? Als Opposition werden wir von Ihnen an-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so scheinend nicht dargestellt und wahrgenommen.
wie bei Abgeordneten der SPD) Darauf hätte ich gerne eine Antwort. Vielleicht habe
Deswegen wäre es schändlich, wenn man genau ich in der letzten Zeit etwas übersehen.
diese Familien jetzt noch einmal auf einen späteren
Zeitpunkt hätte vertrösten müssen, weil irgend je- Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr
mand meint, nicht genug Zeit für die Beratung ge- Kollege, die Gruppe, die Sie repräsentieren, hat sich
habt zu haben. Ich bin froh, daß wir heute abschlie- heute morgen als die Gruppe der Verhinderer darge-
ßend beraten, weil wir damit für die Familien, die stellt. So war es bei dem Gesetzentwurf heute mor-
bauen wollen, einen guten Weg beschreiten. gen, und so ist es bei diesem Gesetzentwurf.
Wenn wir bedenken, daß auf dem Gebiet der alten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
Bundesrepublik die Eigentumsquote bei 41 % liegt ordneten der SPD)
und die Eigentumsquote in den neuen Bundeslän-
dern 24 % beträgt, dann sind wir ganz besonders auf- Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie
gerufen, den Familien in den neuen Bundesländern gerade hier, wo es fast um eine Sonderregelung für
den Weg zu Eigentum zu ermöglichen. Zudem ist zu die neuen Bundesländer geht, Fristeinrede geltend
beachten, daß die Bundesrepublik bezüglich des machen und meinen, Sie bräuchten noch Zeit zur Be-
Durchschnittsalters beim Eigentumserwerb in Eu- ratung. An der Struktur dieses Gesetzes hat sich in
ropa an der Spitze steht. Bei uns erwirbt man im den letzten drei Tagen überhaupt nichts geändert.
Durchschnitt mit 38 Jahren Eigentum. Sehr oft haben Sie betreiben bewußt Verzögerung und Verhinde-
Familien dann schon Kinder. rung, weil Sie ganz bewußt das Inkrafttreten verhin-
dern wollen. Das werden wir den Bürgern in den
Es ist ein seltener Fall, daß man all das, was im Ge- neuen Bundesländern auch ganz deutlich machen.
setzentwurf an Neuregelungen enthalten ist, als er-
ster Redner der Koalition nicht mehr vortragen muß, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
weil dies schon die Opposition ganz korrekt darge- ordneten der SPD)
stellt hat. Mein Kollege Schulz, der heute noch einmal darle-
Ich freue mich, daß wir jetzt eine progressions gen wird, wie sich dieses neue Gesetz gerade für die
unabhängige Bauzulage von 5 000 DM haben, weil Mitbürgerinnen und Mitbürger in den fünf neuen
dadurch gerade die kleinen und mittleren Haushalte Bundesländern auswirkt, wird deutlich machen, daß
bevorzugt werden. Ich freue mich gleichfalls, Herr Sie diejenigen gewesen sind, die dieses Gesetz so
Kollege Faltlhauser - und ich danke dabei besonders schnell nicht auf den Weg bringen wollten.
auch dem Wohnungsbauminister -, daß es möglich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
war, die Kinderzulage auf 1 500 DM zu erhöhen. Da- ordneten der SPD)
durch bieten wir den Familien tatsächlich einen An-
reiz zur Schaffung von Eigentum.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin
Ich will es einmal an einem Rechenbeispiel deut- Rönsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage
lich machen: Eine Familie mit zwei Kindern wird bei der Kollegin Höll? - Bitte sehr.
einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 DM
im Jahr künftig eine Gesamtförderung von bis zu Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Kollegin Rönsch, ich
64 000 DM erhalten können. Ich denke, das ist eine hätte trotzdem gerne eine Beantwortung der Frage
stolze Summe. Hier wird dann der Wunsch nach Ei- bezüglich der Opposition. Das kann man nicht mit
gentum vielleicht an der einen oder anderen Stelle dem Wort Verhinderer erklären. Das ist meines Er-
die Sorge vor Eigentum überlagern, und man hat achtens keine parlamentarische Kategorie. Vielleicht
dann die Möglichkeit, Eigentum zu schaffen und sei- läßt sich dieses aber nachholen.
nen Kindern den entsprechenden Wohnraum zur
Verfügung zu stellen. Des weiteren möchte ich sagen: Sie sind in der Re-
gierungsverantwortung, und Sie sind von vornherein
an so ein wichtiges Gesetz mit einer Zeitspanne der
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin parlamentarischen Beratung von sage und schreibe
Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- nur einem Monat herangegangen.
gen Warnick? -
(Zuruf von der CDU/CSU: Seit drei Jahren
reden wir davon!)
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Bitte.
Wir haben als PDS an allen Beratungen teilgenom-
Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Frau Kollegin men, sogar bis zum Ende der 14stündigen Sitzung.
Rönsch, können Sie mich vielleicht unterstützen? Bitte behaupten Sie nicht, daß da eine ordentliche
Vielleicht habe ich irgend etwas in der letzten Zeit parlamentarische Arbeit noch möglich ist.
übersehen - ich weiß nicht, ob wir eine Parlamentsre-
form oder etwas ähnliches hatten -: Hier wird immer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin,
davon gesprochen, daß Sie sich mit der Opposition ich habe Ihnen das Wort zu einer Zwischenfrage ge-
5612 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose


geben. Sie machen aber eine Kurzintervention. Das diskutieren. Ich freue mich, daß es uns gelungen ist,
müssen Sie vorher ankündigen. Machen Sie jetzt dies gemeinsam zu tun.
bitte ein Fragezeichen und kommen Sie zum Ende.
Ich denke auch, daß es gerade für die Bürgerinnen
und Bürger in den neuen Bundesländern ausgespro-
Dr. Barbara Höll (PDS): Entschuldigung, Herr Prä- chen sinnvoll ist, daß wir die Altbauförderung auf
sident. Frau Kollegin Rönsch, haben Sie zur Kenntnis 2 500 DM pro Jahr hochsetzen konnten; denn auch
genommen, daß die PDS einen eigenen Gesetzesan- dies ist ein Betrag, mit dem man eine Wohnung oder
trag vorgelegt hat und damit nicht einfach als Ver ein Haus aus dem Bestand kaufen kann. Diese För-
hinderer dargestellt werden kann? derung gilt zwar in ganz Deutschland, aber gerade
(Otto Reschke [SPD]: Aber sehr spät!) die Bürger in den neuen Bundesländern werden
daran speziell partizipieren.

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Jetzt Ich erhoffe mir davon - auch wieder besonders in
erschließt sich mir nicht ganz, warum Sie auf der ei- den neuen Bundesländern - eine Privatisierungsof-
nen Seite behaupten, Sie hätten nicht genügend Zeit fensive, damit gerade Familien mit Kindern, die sonst
gehabt, um die vorliegenden Gesetzesentwürfe zu auf dem Wohnungsmarkt doch oft erhebliche
beraten, auf der anderen Seite aber sagen, Sie hätten Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche haben,
selbst einen Gesetzentwurf eingebracht. Offensicht- durch unsere gemeinsame Regelung aller demokra-
lich hat die Zeit doch ausgereicht, die weit über ei- tischen Kräfte in der Zukunft mehr, besseren und
nen Monat hinausging. Wenn Sie sich immer intensiv schöneren Wohnraum bekommen.
an den Beratungen beteiligt hätten, hätten Sie, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
glaube ich, wie 98 % des Hauses mitgestalten kön-
nen. Aber dies haben Sie nicht gewollt.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat
Ich bin heute nicht bereit, hier mit Ihnen über den die Kollegin Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/DIE
Parlamentarismus zu diskutieren. Das werden wir bei GRÜNEN.
einer anderen Debatte machen. Ich werde meine Zeit
heute nutzen, um über den Wohnungsbau, vielleicht
auch mit Ihnen, zu streiten, damit auch Sie Erkennt- Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
nisse gewinnen können, die Sie über 40 Jahre DDR GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
schmählich vermissen mußten. Kollegen! Herr Töpfer! Herr Faltlhauser!
(Joachim Hörster [CDU/CSU]: So alt ist sie (Zuruf des Abg. Dr.-Ing. Dietmar Kansy
noch nicht!) [CDU/CSU])
- Nein. Aber man hofft und wünscht sich, wenn man - Das werde ich bei Gelegenheit wieder machen,
die Nachfolge einer Partei antritt, die nichts anderes Herr Kansy.
getan hat, als Wohnraum zu vernichten, daß man
sich dann einfach schlau macht. Einen kurzen Satz zum Beratungsverfahren: Ich
muß schon sagen, daß die Zeit sehr knirsch war, aber
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Genau den „ver nicht die Zeit zur Beratung. Das sollte man, glaube
nichteten Wohnraum" wollen Sie verkau ich, wirklich deutlich unterscheiden.
fen! Das ist doch Blödsinn!)
Herrn Thiele ist es gelungen, uns sehr ausführlich
- Wenn Sie damit die Plattenbauten meinen, Frau alle Einzelpunkte beraten zu lassen, und dafür
Kollegin Höll - das ist das letzte, was ich von Ihrer möchte ich mich jenseits aller inhaltlichen Differen-
Seite an Zwischenrufen aufnehme -: Bis 1989 mußte zen bedanken, auch wenn Herr Thiele nicht da ist.
man ausgesprochen privilegiert sein, um in Berlin
(Ost), der Hauptstadt der DDR, eine Plattenwohnung (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
zu bekommen. F.D.P.)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ich muß aber sagen - an dieser Stelle sollten wir in
Lachen bei der PDS - Dr. Barbara Höll Zukunft auch noch etwas achtsamer mit Gesetzen
[PDS]: So ein Schwachsinn!) umgehen -, wir sollten darauf achten, den Ministeri-
albeamten und -angestellten die Zeit, die sie brau-
Hellersdorf, Marzahn, Hohenschönhausen - wer chen, um nach unseren Beratungen ein Gesetz zu er-
wohnt denn da? Man mußte wirklich relativ system- arbeiten, zu geben.
treu sein, um überhaupt eine dieser Wohnungen be-
ziehen zu dürfen, und jetzt tun Sie so, als seien diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Wohnungen nicht mehr zu beziehen und zu bewoh- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
nen. F.D.P. und der SPD)
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Die Vorlage eines Zum Inhalt: Ich muß sagen, daß ich trotz dieser gro-
Gesetzes ist nicht die parlamentarische Dis ßen Koalition der Zufriedenheit doch etwas Wasser in
kussion!) den Wein gießen muß. Wir selbst sehen dieses Ge-
setz mit zwiespältigen Gefühlen.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir
sind eigentlich heute hier zusammengekommen, um Einerseits ist eindeutig klar - das möchten wir
die Weiterentwicklung der Eigentumsförderung zu auch anerkennen -, daß gegenüber dem § 10e EStG
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5613
Franziska Eichstädt-Bohlig
deutliche Fortschritte erreicht worden sind. Darum mitglied die Zulage bekommen soll, haben Sie das
sollte man nicht herumreden. Solidarprinzip empfindlich gestört.
Trotzdem möchte ich begründen, an welchen Stel-
len wir nach wie vor deutliche Bauchschmerzen ha- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Eichstädt-
ben und warum wir diesen Erfolgen und auch eini- Bohlig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
gen sehr positiven Einzelpunkten zum Trotz das Ge-
setz in der Gesamtheit ablehnen. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
Ich möchte den wichtigsten Punkt nennen; ich GRÜNEN): Ja.
habe ihn auch bei meiner Einstiegsrede zu diesem
Thema und auch im Ausschuß angesprochen: Für Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Liebe Frau
uns war nicht die Diskussion Aufkommenssteigerung Eichstädt-Bohlig, ist Ihnen bekannt, daß auch jetzt
versus Aufkommensneutralität, sondern Aufkom- nach dem Wohneigentumsgesetz der einzelne Eigen-
mensneutralität kontra Geldeinsparung wichtig, und tümer Verantwortung für das gemeinschaftliche Ei-
ichbedaurs,ßSiDkuondesr gentum hat?
Richtung kein einziges Mal mitgetragen haben.
Wir sind nach wie vor der Meinung, daß bei den Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
Einkommensgrenzen zu großzügig verfahren worden GRÜNEN): So weit, wie das Gemeinschaftseigentum
ist, daß der Vorkostenabzug ein zu großzügiges und vernünftig gepflegt wird. Er soll den Wert des Eigen-
auch systemwidriges Geschenk ist und daß wir deut- tums aber für sich selbst realisieren können. Bei der
lichere Einsparungen gebraucht hätten, wie sie in Genossenschaft ist das nicht möglich. Das ist eine
unserem Antrag auch vorgesehen waren. hohe Qualität und nicht, wie Sie sagen, ein negativer
Aspekt bei Genossenschaften. Darüber sollten wir
Wenn man da strenger herangegangen wäre, wäre ausführlicher diskutieren. Denn gerade darin besteht
das auch möglich gewesen. Dieses Geld bräuchten der Unterschied zwischen beiden Eigentumstypen.
wir nicht nur zur Haushaltskonsolidierung und für
die Lösung der Probleme, die Herr Waigel sonst hat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sondern wir bräuchten es gerade für den Einzelplan 25, und der SPD - Hildebrecht Braun [Augs-
für das Wohngeld, für die Städtebauförderung, für burg] [F.D.P.]: Das werden wir tun!)
den sozialen Wohnungsbau. Diese Ungleichheit in Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, den
den Proportionen muß ich wirklich massiv kritisieren.
Ökobonus. Das finde ich ganz toll, und dafür will ich
Ich bedaure sehr, daß sie nie Gegenstand der Diskus-
mich bedanken. Ich habe ein bißchen das Gefühl,
sion waren. daß auch wir dazu unseren Beitrag geleistet haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daß Sie den Mut haben, Eigentumsförderung mit
CO2-Minderung und anderen ökologischen Kriterien
Zum zweiten Punkt. Wir haben jetzt einen sehr zu verknüpfen, finde ich wirklich sehr toll. Ich hoffe,
wichtigen Punkt hereinbekommen; das ist die Förde- daß das greift und daß es ein Stück Vorarbeit für die
rung des Erwerbs von Anteilen an Genossenschaf- nächste Wärmeschutzverordnung ist, um daraus ge-
ten. Das finde ich im Grundsatz sehr positiv. Ich nerelle Ziele für ökologisches Bauen zu machen. Ich
möchte besonders Herrn Großmann für die enga- bedanke mich, daß das gelungen ist, und hoffe, daß
gierte Art danken, in der er sich dafür eingesetzt hat, es in diesem Sinne wirkt.
daß in den Länderdiskussionen und in all den Zwi-
schengesprächen dieser Punkt immer wieder ange- (Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser:
sprochen und jetzt auch einbezogen worden ist. Das war die erste Lesung!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ja, danke.
und der SPD sowie bei Abgeordneten der
Trotzdem möchte ich einen bedenkenswerten
CDU/CSU und der F.D.P.)
Punkt anfügen. Es ist in der ganzen Debatte leider
Das finde ich im Grundsatz sehr wichtig und sehr un- nicht gelungen, den Aspekt der Zersiedlung, der
terstützenswert. nach wie vor ein großes Problem bei diesem Gesetz
ist, intensiver zu problematisieren. Insofern bleibt es
Trotzdem haben wir uns auch an dieser Stelle ent- dabei, daß ich die bautechnische Seite hervorragend
halten. Ich werde gleich sagen, was unsere Sorge da- finde, die stadtstrukturelle und siedlungspolitische
bei ist. Sie von der Koalition haben mit dieser Förde- Seite aber mit großer Sorge sehe. Das Gesetz, wie es
rung den Genossenschaften praktisch etwas aufge- momentan angelegt ist, ist ein Instrument zur weite-
zwungen, was für Genossenschaften systemwidrig ren Zersiedlung. Diese Tendenz sollten wir beobach- -
ist. Die Qualität von Genossenschaften besteht im So- ten, und wir sollten prüfen, ob es nicht Instrumente
lidarprinzip und in der Verantwortung für das Ge- gibt, dem entgegenzuarbeiten.
meinschaftseigentum. Das ist der Unterschied zum
Individualeigentum. Der Wert wird nicht aus der Ge- Lassen Sie mich einen letzten Aspekt aufgreifen,
nossenschaft individuell herausgezogen, sondern der eigentlich gar nicht zur Wohneigentumsförde-
man beläßt ihn dort. Das macht Genossenschafts- rung gehört, der aber nach der Methode „Ostpoliti-
wohnungen preisgünstig, und das ist das sozial- und sche Schwierigkeiten müssen in anderen Gesetzen
gesellschaftspolitisch Hervorragende an Genossen- durch Art. X oder Y geregelt werden" hineingekom-
schaften. Mit Ihrer Forderung, Individualeigentum men ist. Meiner Meinung nach ist er nicht ausrei-
zur Auflage zu machen, wenn ein Genossenschafts chend geregelt. Wir haben deshalb einen Ande-
5614 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Franziska Eichstädt-Bohlig
rungsantrag dazu gestellt. Das ist die Grunderwerb- lich. Wir haben uns an die Vorgaben der Kostenneu-
-steuerbefreiung für alle Vermögens-, Bereinigungs tralität gehalten.
und Zuordnungsfälle, die im Osten nach wie vor an-
stehen und die bis 1996 in keiner Weise geregelt wa- (Beifall bei der F.D.P.)
ren. Für viele Menschen in den unteren und mittleren
(Rolf Rau [CDU/CSU]: Ist doch geregelt!) Einkommensgruppen Geld freizubekommen war
deswegen nur dadurch möglich, daß wir es denen
Im Grundsatz haben Sie - das finde ich auch sehr weggenommen haben, die deutlich mehr verdienen.
gut - der Verlängerung bis 1999 zugestimmt. Damit Das müssen wir hier offen sagen. Wir nehmen vielen
sind wir völlig d'accord. Darüber brauchen wir uns auch Geld weg zugunsten einer Umschichtung, die
nicht zu streiten. Aber die Bundesvereinigung der wir gemeinsam wollen.
Kommunalen Spitzenverbände hat dringend darum
gebeten, nicht nur diesen Tatbestand bis 1999 zu ver- Ich bin der Meinung, daß es hocherfreulich ist,
längern, sondern gleichzeitig die Vereinigungen und wenn wir mit diesem Gesetz heute einen wichtigen
Anteilsvereinigungen und die Aufspaltung kommu- Beitrag dazu leisten können, daß die Eigentums-
naler Gesellschaften, die derzeit auf Grund von Ge- quote in unserem Land steigen wird, eine Eigen-
meindeänderungen oder zu schnellen und zu kurz tumsquote, die bei uns, im reichsten Land Europas,
gegriffenen Gesellschaftsgründungen in der Start- niedriger liegt als irgendwoanders in Europa.
phase dringend nötig sind, steuerfrei zu stellen.
Darum haben wir den Ergänzungsantrag, der neu- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege
lich im Ausschuß abgelehnt worden ist, nochmals ge- Braun, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
stellt. Interessanterweise haben wir im Ausschuß gen von Larcher?
allerdings etliches an Zustimmung quer durch die
Fraktionen bekommen. Wir bitten Sie sehr eindring-
Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Bitte sehr.
lich. Es sind wirklich fast Peanuts. Aber für den
Osten und die Kommunen dort ist es ein sehr wichti-
ger Punkt. Wir haben Sorge, daß dort die Vermö- Detlev von Larcher (SPD): Kollege Braun, mit Freu-
gensbereinigung nicht solide vonstatten geht, wenn den höre ich Ihr großes Lob über dieses Gesetz. Kön-
ständig das Steuerhindernis dazwischensteht. nen Sie mir sagen, warum es so viele Jahre gedauert
hat, bis Sie zu dieser Erkenntnis gelangt sind?
Insofern habe ich die dringende Bitte: Stimmen Sie
dem zu! Es handelt sich überhaupt nicht um etwas (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Er ist
Ideologisches. Sie machen damit nichts Grünes. Viel- erst ein Jahr in diesem Parlament!)
mehr helfen Sie den ostdeutschen Städten und den - Ich meine natürlich Ihre Partei und nicht Sie per-
städtischen Wohnungsbaugesellschaften. sönlich.
In diesem Sinne bedanke ich mich für das gesamte
Verfahren; ich fand es sehr korrekt und kollegial. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Ehrlich ge-
sagt, ich bin mit dieser Reform seit Februar dieses
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahres befaßt, wie alle, die wir heute zusammensit-
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der zen. Wir haben heftig diskutiert, alle haben auch hef-
SPD, der F.D.P. und der PDS) tig dazugelernt und viele Dinge von außen aufge-
nommen. Wir sind insgesamt zu dem Ergebnis ge-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der kommen, daß die Grundrichtung, die wir eingeschla-
Kollege Braun, F.D.P.-Fraktion. gen haben, für unsere Zeit richtig ist. Ich wüßte
nicht, wem hier ein Vorwurf zu machen wäre.

Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Wertes Prä-


(Detlev von Larcher [SPD]: Wir hätten das
vor acht Jahren haben können!)
sidium! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Heute ist ein guter Tag für die deutsche Bevölke- - Ich sage Ihnen ehrlich: Vor acht Jahren habe ich
rung; heute bringen wir eine Reform zu Ende, die meine segensreiche Wirkung als Stadtrat in Mün-
vielen, vielen Menschen in unserem Land neue Hoff- chen entfaltet. Ich war damals noch nicht in dem
nung geben wird. Normalerweise verhält es sich so, Maße in der Lage, auf die Willensbildung hier Ein-
daß in unseren Zeiten von diesem Platz aus die Be- fluß zu nehmen.
völkerung um Verständnis dafür gebeten werden
muß, daß vom Staat weniger Leistungen erbracht Lassen Sie mich fortfahren.
werden können, weil die finanzielle Situation des Wichtig ist, daß wir eine Reform zustande gebracht
Staates schlecht ist. Aber wir können heute Hundert- haben, die viel schwieriger war als der Familienla-
tausenden von Menschen verkünden, daß sie in Zu- stenausgleich. Denn do rt standen etliche Milliarden
kunft die Chance haben werden, Wohneigentum zu zusätzlich zur Verfügung; hier ging es darum,
erwerben, Menschen, die bisher dazu nicht in der kostenneutral ganz neue, und zwar effizientere, Wir-
Lage waren. Das ist eine sehr, sehr gute Nachricht. kungen insgesamt zu erzielen.
Das war natürlich nicht deshalb möglich, weil wir Was wir anstreben, ist gesellschaftspolitisch ge-
plötzlich das System der wundersamen Geldvermeh- wollt. Wir wollen ein Volk von Eigentümern; denn
rung erlernt hätten, nein, ganz im Gegenteil. Die Re- Eigentum macht frei. Selbst der beste Mieterschutz -
form kostet den Steuerzahler keinen Pfennig zusätz- durch noch so mieterfreundliche Gesetze - gibt dem
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5615

Hildebrecht Braun (Augsburg)


einzelnen nicht die Freiheit und Unabhängigkeit, die nicht ganz so kraß ausfallen, wie das sonst der Fall
Eigentum gewährt. Wir tragen auch zu einem Wan- gewesen wäre.
del der Stellung des einzelnen in unserer Gesell-
schaft bei. Aus vielen Mietern werden viele Eigen- Wir sind der Meinung, daß diejenigen, deren Ein-
tümer werden. Das ist einer der ganz zentralen Wün- kommen jenseits der Grenzen liegen, selbst für
sche von uns, nämlich daß Mieter ihre eigenen vier Wohneigentum sorgen müssen. Sie können das aber
Wände, in denen sie bisher schon wohnten, kaufen auch, weil sie ein ausreichendes Einkommen haben.
können. Das führt zu mehr Eigenverantwortlichkeit, Ich möchte die Gelegenheit nehmen, dem Kolle-
aber eben auch zu mehr Unabhängigkeit. Das ist ge- gen Faltlhauser ausdrücklich für seinen Einsatz in
nau das, was wir wollen. diesem Zusammenhang zu danken.
(Beifall bei der F.D.P.)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so-
Wohneigentum ist eine besonders gute Form der wie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig
Altersvorsorge. Wer die eigenen vier Wände recht- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
zeitig erworben hat, hat weniger Angst vor dem Le-
ben im fortgeschrittenen Alter. Ich möchte auf einige Das wird eines der letzten großen Gesetzeswerke
Bestandteile der Änderung eingehen. sein, die Herr Faltlhauser in diesem Haus erlebt, be-
vor er seinen Tätigkeitsort nach München verlegt.
Die Zulagenregelung insgesamt schafft Sicherheit Aber ich hoffe, daß er in Zukunft in ähnlicher Weise
für den einzelnen, der vor der Entscheidung steht, ob zum Wohl der Bayern beitragen wird.
er sich die Investition leisten will oder nicht - ein un-
schätzbarer Vorteil. Ich bin zuversichtlich, daß dieses Gesetz sehr posi-
tive Auswirkungen haben wird, daß viele neue Ei-
Das Baukindergeld ist um 50 % angehoben wor- gentümer gewonnen werden. Und ich bin auch zu-
den. Das ist in unserer Zeit eine enorme Zuwachs- versichtlich, daß sich die Skepsis, die bei einigen
rate. Dies war eine ausdrückliche Forderung der Fachleuten sehr wohl noch vorhanden ist - nämlich
F.D.P. ebenso wie die Forderung, das Bausparen wie- daß die Umstellung der Förderung zu stark ausgefal-
der attraktiv zu machen. Dies ist durch eine Anhe- len ist -, nicht bestätigen wird. Wir haben uns viele
bung der Einkommensgrenzen um nahezu 100 % ge- Monate - es war nicht ein so kurzer Zeitraum, wie
lungen. das hier dargestellt wurde - intensiv mit der Thema-
Ganz besonders wichtig ist, daß es noch gelungen tik beschäftigt. Wir sind davon überzeugt, daß wir
ist, die Grundförderung für den Erwerb aus dem Be- insgesamt die richtigen Entscheidungen getroffen
stand anzuheben. Denn gerade durch diesen Schritt haben.
werden viel mehr Mieter in die Lage versetzt, Eigen-
tümer zu werden. So wird sich das neue Fördersy- Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, auch und
gerade bei der SPD, daß sie diese Reform in toto mit-
stem nicht nur zugunsten des Wohnungsbaus auf
dem flachen Land auswirken, sondern es fließt auch trägt.
Fördergeld in die Städte, die zusätzliches Wohn- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so-
eigentum dringend nötig haben. Denn gerade dort wie bei Abgeordneten der SPD)
ist die Wohneigentumsquote besonders gering.
(Beifall bei der F.D.P.)
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
Zugleich schaffen wir hiermit eine Förderkompo- Kollege Warnick, PDS.
nente zugunsten der neuen Bundesländer. Denn dort
wird der Kauf aus dem Bestand ganz besonders häu-
fig Wirklichkeit werden. Und wir leisten einen Bei- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Präsident!
trag dazu, die von den Parteien des Bundestags ge- Meine Damen und Herren! Zu Anfang für meine
forderte Privatisierung von kommunalen Wohnungs- liebe Kollegin Frau Rönsch eine kleine Lektion im
beständen im Osten deutlich zu erleichtern. DDR-Sprachgebrauch: Plattenbauwohnungen in der
DDR nannte man allgemein „Arbeiterschließfächer".
Wir haben das Bürgschaftsverfahren für die neuen Man wird sie wahrscheinlich deswegen Arbeiter-
Bundesländer erweitert. Das steht zwar nicht aus- schließfächer genannt haben, weil da nur Beamte
drücklich im Gesetz, aber zwischen allen Beteiligten und Stasi-Leute gewohnt haben; dies nehme ich ein-
ist vereinbart worden, daß für die neuen Bundeslän- mal an. Dies jedenfalls wollte Frau Rönsch in ihrer
der eine Bürgschaftsregelung geschaffen wird, wo- wirklichkeitsfremden Äußerung vorhin so darstellen.
nach es dem einzelnen, der eben nicht, wie im We-
sten, die Möglichkeit hatte, Wohneigentum zu bilden (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/
und damit einen Grundbetrag anzusammeln, erleich- CSU: Aber eingeschlossen habt ihr sie, die
tert wird, Kredite zu bekommen. Die Kredite werden Arbeiter!)
zudem billiger werden, weil ein Teil staatlich ver-
Zum Gesetz. Wir alle waren uns einig darüber, daß
bürgt wird. Das ist eine gezielte, sehr preiswerte
das Gesetz zum 1. Januar kommen soll. Es ist völlig
echte Hilfe für die neuen Bundesländer.
falsch, zu behaupten, wir wollten verhindern, daß
Der Vorkostenabzug wurde reduziert, aber er dieses Gesetz zum 1. Januar in Kraft tritt. Wir hatten
bleibt progressionsabhängig. Das ist richtig und not- einfach zuwenig Zeit. Wir hätten uns mehr Zeit neh-
wendig, weil auf diese Weise die Nachteile für dieje- men müssen - die notwendige Zeit -, um dieses Ge-
nigen, die wir jetzt doch kräftig zur Ader lassen, setz entsprechend sauber auszuarbeiten.
5616 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Klaus-Jürgen Warnick
Dieses Gesetz ist in den Ausschüssen auf Zuruf zu- Erwähnen und begrüßen möchte ich vor allem die
sammengebastelt worden. Jede neue Idee wurde Einbeziehung der Genossenschaften in die Wohn-
kurzfristig schriftlich niedergelegt. Auf diese Weise eigentumsförderung und auch die Aufnahme der
hat man am Mittwoch 14 Stunden an diesem Gesetz ökologischen Komponenten.
herumgebastelt.
Es gibt aber auch grundlegende Unterschiede. Es
Herr Thiele hat die Sitzung zweifelsfrei hervorra- stimmt: Das Gesetz ist einfacher; aber es ist nicht ein-
gend geleitet; das muß man anerkennen. Trotzdem fach. Es ist gerechter, aber noch lange nicht so ge-
ist nicht auszuschließen, daß sich - wie beim Mieten- recht, wie es hätte sein können. Es ist familienfreund-
überleitungsgesetz - Fehler eingeschlichen haben, licher, aber nicht so familienfreundlich, wie wir es ge-
die in den Ausschüssen keiner der Abgeordneten er- braucht hätten. Das liegt daran, daß Sie nicht die
kannt hat. wohnungspolitischen, sondern die vermögenspoliti-
schen Aspekte in den Vordergrund gestellt haben.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Fehler kann
man nie ausschließen!) Der gravierende Unterschied zu unserer Vorstel-
lung besteht darin, daß wir grundsätzlich gegen den
Mir ist noch sehr gut im Ohr, wie Leute in den
Erwerb aus dem Bestand waren, daß wir für eine Ku-
neuen Bundesländern uns hinsichtlich der schlampi-
mulierung waren, die leider nicht erreicht werden
gen Art und Weise beschimpft haben, mit der das
konnte, daß wir eine weitere Erhöhung des Baukin-
Mietenüberleitungsgesetz verabschiedet wurde.
dergeldes beantragt hatten und daß wir auch diejeni-
Hunderttausende, nein, Millionen Bürger mußten
gen, die unter das Sachenrecht fallen, mit einbezo-
unter dieser Art und Weise leiden.
gen haben wollten. Mit dem Hinweis, die Zeit reiche
(Lachen bei der SPD) nicht aus, das entsprechend einzuarbeiten, wurden
diese Forderungen nicht mit aufgenommen. Auch
- Das ist so. Fragen Sie die Bürger do rt , welche Pro- das haben wir der kurzen und knappen Arbeit zu
bleme sie damit hatten. verdanken.
Man kann den Bürgern draußen kaum erzählen, in Deswegen haben wir noch einen Entschließungs-
welchem Hauruckverfahren hier im Bundestag Ge- antrag eingebracht und bitten um Unterstützung, um
setze gemacht werden. Sie würden es uns nicht glau- wenigstens das, was im Ausschuß dazu gesagt
ben. Wir haben heute früh um 0.30 Uhr die Beschluß- wurde, klar und deutlich zu machen.
empfehlung des Finanzausschusses bekommen. Also
konnte man erst heute morgen diese Beschluß- Warum haben wir noch Änderungsanträge ge-
empfehlung einsehen. bracht?
Es stimmt auch nicht - wie heute morgen in der
Geschäftsordnungsdebatte gesagt wurde -, daß wir Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Redezeit,
nicht schon vorher auf die A rt und Weise hingewie- Herr Kollege!
sen hätten, mit der dieser Gesetzentwurf hier verab-
schiedet werden soll. Ich habe das im Ausschuß ein- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Es ist klar: Wir haben
deutig kritisiert und gesagt, ich sei nicht damit ein- keine Chance, daß sie durchkommen. Aber wir wol-
verstanden, daß das Gesetz in diesem Eilverfahren len der Öffentlichkeit dokumentieren, wie hier abge-
durchgepeitscht werden soll. stimmt wird. Die nächsten Wahlen kommen be-
Es stimmt auch nicht, daß dieses Gesetz, wenn wir stimmt. Wir sammeln schon einmal Mate rial. Sie wer-
es vierzehn Tage später verabschieden würden, nicht den uns dabei unterstützen.
zum 1. Januar in Kraft treten könnte. Vielen Dank.
(Zuruf von der CDU/CSU: Hätten Sie denn (Beifall bei der PDS)
zugestimmt?)
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
- Nein. Kollege Gerhard Schulz, CDU/CSU-Fraktion.
(Lachen bei der CDU/CSU, dem BÜND
NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Gerhard Schulz (Leipzig) (CDU/CSU): Herr Präsi-
Das hat aber eine völlig andere Ursache. Die Gefahr, dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
den Vermittlungsausschuß des Bundesrates anzuru- hatte eigentlich vor, weite Teile meines Manuskripts
fen, hat zu keiner Zeit bestanden, weil sich die SPD wegzulassen, weil ein paar Vorredner das schon ge-
schön brav in allem gefügt und angepaßt hat. sagt haben. Aber ich halte es doch für notwendig, ei-
niges noch einmal zu sagen, damit wir wissen, wor- -
(Widerspruch bei der SPD) über wir eigentlich reden. Ich bitte also um Entschul-
Es gibt hier ja nur noch wenige Unterschiede. Bei digung, wenn ich manches wiederhole.
den Wahlen in Berlin hat man es gesehen: Die Berli- Im November 1994 kündigten die Regierungspar-
ner wählen lieber gleich das Original und nicht die teien in ihrer Koalitionsvereinbarung eine Reform
Kopie oder uns als Alternative. der steuerlichen Wohneigentumsförderung an. Die
(Beifall bei Abgeordneten der PDS) Ansprüche an diese Reform waren: Die Steueraus-
fälle des neuen Fördersystems sollten im Vergleich
In einigen Punkten können wir diesen Gesetzent- zur bestehenden Regelung nicht höher sein, es sollte
wurf mittragen bzw. haben nur geringe Differenzen. eine vorrangige Förderung von Familien mit Kindern
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5617
Gerhard Schulz (Leipzig)
erfolgen, und es sollte eine sozialere Ausgestaltung Das ist auch notwendig; denn in Ostdeutschland be-
erreicht werden, damit mehr Familien als bisher trägt die Wohneigentumsquote - das wurde er-
Wohnungseigentümer werden können. wähnt - nur 22 %. Wir belegen damit im westeuro-
päischen Vergleich den letzten Platz. Hier ist also
Heute, nach rund einem Jahr, ist das neue Eigen- wirklich Abhilfe notwendig.
heimzulagengesetz fertig. Die Koalition dokumen-
tiert damit erneut ihre Verläßlichkeit und Kontinuität Zweitens. Im Gesetzgebungsverfahren konnte er-
in ihrem politischen Handeln. reicht werden, daß die Zulage für Erwerb aus dem
Bestand, also Altbau, von 2 200 DM auf 2 500 DM er-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) höht wurde. Das ist für die alten Länder, wenn man
so will, so etwas ähnliches wie eine Ballungsraumzu-
In dieses Lob beziehe ich ausdrücklich - da bin ich
lage. Für die Ostländer ist das aber eine Zusatzförde-
nach der Debatte mit Frau Rönsch vorsichtiger ge
rung. Warum sage ich das? In Leipzig wird geschätzt,
worden - den gutwilligen Teil der Opposition mit ein.
daß dort allein durch das Sanieren des gesamten sa-
(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU nierungsfähigen Wohnraums die Wohnungspro-
und der F.D.P.) bleme zu lösen seien. Man bräuchte quasi keinen
Neubau.
Durch Konzentration auf die Sachprobleme ist dieses
Parlament in der Lage, innerhalb kurzer Zeit wich- Durch das jetzt vorhandene Instrumentarium, wel-
tige und notwendige Reformen zum Wohle der Bür- ches sich zusammensetzt aus erstens der Förderung
gerinnen und Bürger zu verabschieden. Wenn jetzt für den Erwerb von Altbau über acht Jahre mit je-
noch der Bundesrat diesem Gesetz zustimmt, ist das weils 2 500 DM plus 1 500 DM für jedes Kind, zwei-
ein tolles Ergebnis. tens progressionsabhängiger Vorkostenabzug von
maximal 22 500 DM für Renovierung und Sanierung
Mit diesem Gesetz vollziehen wir eine grundle- am gekauften Altbauobjekt und drittens 40 000 DM
gende Umstellung der steuerlichen Wohneigentums- für Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen
förderung. Das wurde bereits gesagt; ich lasse es nach § 7 des Fördergebietsgesetzes - das Gesetz exi-
weg. Diese Umstellung ist ein wichtiger Schritt zur stiert ja noch immer -, die zusätzlich wie Sonderaus-
Erzielung einer höheren Effizienz der Eigentumsför- gaben abgesetzt werden können, besteht für die
derung. Wir leisten damit einen Beitrag zur Steuer- Menschen in den neuen Bundesländern ein attrakti-
vereinfachung, und wir leisten einen notwendigen ves Fördersystem für den Erwerb von Wohneigen-
Beitrag zur Abgrenzung von Steuer- und Transfer- tum.
recht. Zudem werden vor allem die mittleren Ein-
kommensschichten, die sogenannten Schwellen- Drittens. In Ostdeutschland konnte in den vergan-
haushalte, in die Lage versetzt, Wohneigentum zu er- genen Jahren - darüber wurde an dieser Stelle oft
werben und damit die Eigentümerquote in ganz genug berichtet - keine Vermögensbildung stattfin-
Deutschland zu erhöhen. den.

Insgesamt ist die Neuregelung der Wohnungsför- Die Haushalte verfügen über wenig Eigenmittel
derung zwar aufkommensneutral. In den neuen und müssen beim Erwerb von Wohneigentum hohe
Ländern ergeben sich aber überwiegend Verbesse- Kredite aufnehmen. Hier besteht die Gefahr, daß ih-
rungen. Von dem gesamten Volumen von über nen diese Kredite wegen fehlender Sicherheiten ver-
17 Milliarden DM steuerlicher Förderung entfällt weigert werden. Um diesem Problem Rechnung zu
auf die neuen Länder ein Anteil von über 4 Milliar- tragen, wird ein nur für die neuen Bundesländer gül-
den DM. Mit dieser Eigenheimzulage wird in den tiges Bürgschaftssonderprogramm für den Erwerb
neuen Bundesländern eine ganz neue Förderdimen- von Altbauten aufgelegt. Die Höhe der Bürgschaft
sion erreicht. Darauf möchte ich mich jetzt konzen- beträgt 20 % des Kostenaufwands für den Erwerb, je-
trieren. doch maximal 30 000 DM. Aber dieses Sonderpro-
gramm ergänzt das bereits bundesweit existierende
Erstens. Bisher konnten nach § 10e des Steuerge- Bürgschaftsprogramm für Neubauten. Es rundet da-
setzes nur äußerst wenige Haushalte in den neuen mit das Bürgschaftsinstrumentarium des Bundes ab
Ländern am bestehenden Fördersystem partizipie- und erleichtert die Kreditfinanzierung für den Kauf
ren, weil Einkommen und Steuerlast im Durchschnitt von billigen Wohnungen.
niedriger liegen als in den alten Bundesländern. So
können die Steuervergünstigungen bei einer ost- Das vorliegende Eigenheimzulagengesetz ist die
deutschen Familie mit zwei Kindern erst ab einem Grundlage für eine effektive soziale und familien-
jährlichen Bruttoeinkommen von 47 000 DM vollstän- freundliche Wohneigentumsförderung. Wir legen da-
dig in Anspruch genommen werden. Der durch- mit in den neuen Bundesländern den Grundstein für -
schnittliche Bruttojahresverdienst eines ostdeutschen mehr selbstgenutztes Wohneigentum, vor allem in
Industriearbeiters betrug 1994 jedoch lediglich rund den mittleren Einkommensschichten. Darum halte
39 000 DM, also 8 000 DM weniger. ich es für ein gutes Gesetz.
Schönen Dank.
Die Steuerersparnis nach § 10e beträgt für diese
Familie rund 27 200 DM. Mit der neuen Eigenheim- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
zulage erhöht sich diese Förderung auf 64 000 DM,
also um rund 135 %.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der
(Beifall bei der CDU/CSU) Kollege Großmann, SPD.
5618 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Achim Großmann (SPD): Herr Präsident! Meine verdient, das Doppelte derjenigen Förderung be-
Damen und Herren! Es ist schön, daß wir viele Ge- kommt, die eine Familie mit mittlerem Einkommen
meinsamkeiten festgestellt haben. Das werde auch bezieht. Er ist familien- und kinderfreundlich; denn
ich in meinem Redebeitrag tun. Aber es ist natürlich das Baukindergeld, auch wenn es bis jetzt als Ab-
ebenso wichtig, daß man den Unterschied zwischen zug von der Steuerschuld gezahlt wurde, hat den-
Regierung und Opposition nicht verwischt. Deshalb noch dazu geführt, daß viele Familien auf Grund
will ich versuchen, auch diesen Teil nicht zu kurz ihrer Steuersituation das Baukindergeld nicht nut-
kommen zu lassen. zen konnten.
Mehr als ein Jahrzehnt hat die SPD dafür ge- Er ist ökonomisch sinnvoll, weil die Mittel, die der
kämpft, die sozial ungerechte, familienfeindliche und Staat zur Verfügung stellt, stärker auf die Menschen,
nicht treffsichere Wohneigentumsförderung durch die sonst nicht bauen könnten, konzentriert sind. Er
eine wirklich neue Reform zu ersetzen. ist einfacher zu verstehen und schafft Klarheit, weil
jeder Bauherr beim ersten Spatenstich bis auf die
(Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!)
letzte Stelle hinterm Komma genau weiß, was er an
Wenn die Hälfte einer staatlichen Förderung 20 % Förderung bekommen wird.
der Haushalte, die das höchste Einkommen haben,
Der neue Gesetzentwurf hat innovative Elemente,
bekommen und wenn Familien mit mittlerem Ein-
nämlich den Ökobonus und die Förderung von Ge-
kommen mangels Masse nicht bauen können, dann
nossenschaftsanteilen.
muß ein solches Gesetz weg.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Dazu möchte ich ein paar Bemerkungen machen.
Wenn die Menschen in den neuen Bundesländern
kein Eigentum schaffen können, weil sie auf Grund Die Ökokomponente finden Sie im SPD-Antrag
niedrigerer Einkommen § 10e EStG nicht nutzen vom Mai dieses Jahres. Dort heißt es:
können, dann muß ein solcher Paragraph weg. Im-
Die neue Wärmeschutzverordnung erreicht nicht
mer und immer wieder haben wir Ihnen das gesagt -
den Standard des Niedrigenergiehauses. Drama-
das ist heute schon angeklungen -, und wir haben
tische Änderungen der klimatischen Bedingun-
viele Jahre gebraucht, ehe Sie in der Lage waren,
gen erfordern aber weitere Anstrengungen. Fa-
diesen Weg mitzugehen und das Gesetz zu reformie-
ren. milien, die selbstgenutztes Wohneigentum auf
Niedrigenergiestandard schaffen, sollten zusätz-
In der Zwischenzeit hätten Hunderttausende von lich gefördert werden.
Menschen Eigentum schaffen können. Das sollte
Wir haben diesen Antrag eingebracht. Ich bin in
man an einem solchen Tag einmal festhalten.
einigen Landeshauptstädten gewesen und habe für
(Beifall bei der SPD) die Idee geworben; denn wir brauchen ja nicht nur
die Bundestagsmehrheit, sondern auch die Bundes-
Ich habe eine Reihe von Zitaten vorliegen, die ich ratsmehrheit. Ich bin froh, daß der Bundesrat die For-
nicht vortragen will, die aber belegen, mit welchen derungen der SPD übernommen, eingespeist und
teilweise abenteuerlichen Argumenten Sie eine Re- auch vorgeschlagen hat, die Ökokomponente in das
form der Wohneigentumsförderung verhindern. Das Gesetz hineinzunehmen.
beginnt mit Herrn Solms im März 1985 und reicht bis
in die letzten Monate hinein. Ich will nicht zitieren, (Beifall bei der SPD)
denn das ist Vergangenheit. Es sollte hier nur noch
Ich bin ebenfalls dankbar, daß aus dem Bundes-
einmal festgehalten werden: Jahrelang hat sich die
bauministerium ein zusätzlicher Vorschlag kam - das
Koalition geweigert, § 10e EStG zu ändern, der zu
sollte man hier der Wahrheit halber sagen -, eine
einer krassen Fehlförderung in der Wohneigentums-
zweite Ökokomponente mit hineinzunehmen.
förderung geführt hat.
(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/
Heute erleben wir ein kleines Wunder: Die, die uns
DIE GRÜNEN]: Von uns!)
jahrelang wegen unserer Idee der einkommensunab-
hängigen Förderung beschimpft haben, preisen mit Wir haben das sehr gerne unterstützt und tragen es
wortreichen Redebeiträgen an die eigene und damit heute mit.
an die falsche Adresse die Vorzüge, die Effizienz und
die Gerechtigkeit der neuen Paragraphen. Natürlich - das sage ich auch wegen der Wahr-
heitsfindung, Frau Eichstädt-Bohlig - haben auch die
(Beifall bei der SPD) Grünen in ihrem Antrag, der im August etwas später
als unserer kam, Vorschläge für Ökoboni gemacht.
Wenigstens einer, Bauminister Töpfer, hat in der
Ich hoffe, daß wir Sie mit unserem Antrag in Ihrem
Diskussion der vergangenen Wochen gesagt: Okay,
Anliegen ein wenig befruchtet haben.
das war eine gute Idee der SPD. Er hat sich dafür be-
dankt und bestreitet nicht die Urheberschaft der (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Du bist aber
Idee. milde gestimmt!)
Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, Der zweite Punkt, auf den ich etwas näher einge-
entspricht in weiten Teilen - nicht in allen - den hen will, ist die Förderung von Genossenschaftsan-
Forderungen der SPD. Er ist sozial gerecht, weil die teilen. Die Förderung von Genossenschaftsanteilen,
Fehlförderung aufhört, daß jemand, der sehr viel die jetzt ermöglicht wird, kann man, glaube ich, nicht
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5619
Achim Großmann
hoch genug werten. Es ist ein historischer Durch- rechte an Wohnungsgenossenschaften zu unter-
bruch in der Geschichte der Genossenschaftsbewe- suchen. Außerdem ist dabei der Frage nachzuge-
gung. hen, wie die genossenschaftlichen generellen
(Beifall bei der SPD) Mitwirkungsbefugnisse auf unternehmenspoliti-
sche Entscheidungen einschließlich der Gestal-
Erstmals wird es möglich, daß ein Mitglied, das Ge- tung der Nutzungsentgelte gestärkt werden müs-
nossenschaftsanteile erwirbt, mit einer Zulage des sen.
Staates gefördert wird. Diese Förderungsmöglichkeit
betrifft Genossenschaften, die nach dem 1. Januar Das ist ein Weg, den wir gerne mitgehen wollen;
1995 gegründet werden. Das bedeutet: Es ist im Mo- denn das bedeutet nichts anderes, als daß wir an un-
ment noch eine auf die ostdeutschen Bundesländer serer Forderung weiterhin festhalten, auch Mitglie-
zugeschnittene Förderung. Das begrüßen wir aus- dern bestehender Genossenschaften eine steuerliche
drücklich; denn in den neuen Bundesländern läuft Förderung ihrer Geschäftsanteile zu gewähren.
die Privatisierung. Aber sehr viele Leute, sehr viele Daran werden wir in den nächsten drei Jahren arbei-
Mieterinnen und Mieter, auch in Genossenschaften, ten.
haben vor dieser Privatisierung Angst, weil sie sich (Beifall bei der SPD)
entscheiden mußten, eine Wohnung unter Umstän-
Ein Großteil dieses Gesetzes - es ist schon gesagt
den als Volleigentum zu kaufen, dafür jedoch nicht
worden - führt zu großem Nutzen in den neuen Bun-
das Geld hatten.
desländern. Wir haben bei den vielen Versuchen zur
Mit dem Weg, den wir jetzt beschreiten, gibt es die Reform des § 10e immer wieder darauf hingewiesen,
Entscheidung nicht, auf der einen Seite Mieter oder daß die Menschen in den neuen Bundesländern
Mieterin zu bleiben und auf der anderen Seite Voll- diese Bestimmung nicht nutzen konnten. Ich habe
eigentum zu erwerben, was man sich finanziell viel- eben schon darauf hingewiesen.
leicht gar nicht leisten kann oder sich nur aus Angst In einer Presseerklärung von Februar 1992 hatte
leistet, wobei man nachher feststellt: Ich muß es wie- ich gesagt:
der abgeben, ich muß das zwangsversteigern lassen
oder verkaufen. Die Bauministerin hängt den Speck staatlicher
Förderung so hoch, daß selbst vergleichsweise
Nein, es gibt einen dritten Weg. Es gibt einen Weg gut verdienende Familien in den östlichen Län-
des mittelbaren Eigentums, der steuerlich oder per dern leer ausgehen. Hunderttausende Arbeitneh-
Zulage über das genossenschaftliche Eigentum ge- merfamilien können kein Eigenheim erwerben
fördert wird. Das ist ein guter Weg. Dafür haben wir und werden von der Vermögensbildung ausge-
im Gesetzgebungsverfahren lange fechten müssen. schlossen.
(Beifall bei der SPD) Die starke Benachteiligung der Menschen in den
Aber auch die Baugenossenschaften im Westen, neuen Bundesländern ist ab heute beendet; denn die
Norden und Süden unseres Landes werden diesen einkommensunabhängige Förderung wird dazu füh-
Weg aufgreifen. Es werden sich Bauträgergenossen- ren, daß viele Menschen, die von Eigentum bisher
schaften bilden. Ich bin sicher, daß das innovative nur träumen konnten, diesen Traum verwirklichen
Angebot Flügel bekommen wird und daß es sehr können.
kreative Leute geben wird, die dieses Angebot aus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
füllen und eine neue Form der Eigentumsbeteiligung CDU/CSU)
schaffen werden.
Auch die Genossenschaftsregelung als Einstieg ist
Ich sage aber auch ganz deutlich: Dies kann nur typisch für die neuen Bundesländer; das habe ich be-
ein erster Schritt sein. Wir haben einvernehmlich be- reits dargestellt. Aber auch die Erhöhung der Förde-
schlossen, daß weitere Schritte folgen. Wenn wir also rung der Bestandskäufe von 2 200 auf 2 500 DM und
heute unseren eigenen Antrag zum Genossen- der Tatbestand, daß wir in dem Gesetz die Möglich-
schaftsweg formal für erledigt erklären, dann muß keit belassen, Erhaltungsaufwendungen bis zu
ich das begründen, damit es nicht falsch verstanden 22 500 DM geltend zu machen, wenn man aus dem
wird. Bestand erwirbt, werden von den Menschen in den
Wir machen diesen Schritt deshalb, weil wir auf neuen Bundesländern sehr gut genutzt werden kön-
der einen Seite einen ersten Schritt geschafft haben, nen. Ich denke, das ist gut und richtig so.
nämlich den Einstieg in die Förderung der Genossen- Fazit: Wir haben nach wirklich langem Kampf -
schaftsanteile, und der Bauausschuß gleichzeitig ein- das muß ich für die SPD sagen - ein Gesetz geschaf-
vernehmlich folgendes beschlossen hat. In der gut- fen, das eine derartig deutliche SPD-Handschrift -
achterlichen Stellungnahme für den Finanzausschuß, trägt, daß wir heute sehr froh und glücklich sind, die-
die auch im Bericht auftaucht, heißt es: ses Gesetz verabschieden zu können. Herr Reschke
hat aufgezeigt, daß wir weitere Aufgaben zu erledi-
Es besteht Einvernehmen darüber, daß die Förde-
gen haben, daß einige unserer Wünsche nicht erfüllt
rung des Erwerbs von Genossenschaftsanteilen
in die steuerliche Wohneigentumsförderung ein- worden sind. Deshalb werden wir nicht die Hände in
den Schoß legen, sondern wollen an weiteren Refor-
bezogen werden soll. Eine umfassende Regelung
men für den Wohnungsbau arbeiten.
sollte noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt
werden können. Dabei ist eine sachenrechtliche Ein Dank gilt - das ist schon gesagt worden -
Ausrichtung der genossenschaftlichen Mitglieds Herrn Faltlhauser, aber auch Herrn Töpfer. Wir wis-
5620 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Achim Großmann
sen: Eine gute Idee der SPD aufzugreifen und dies nicht konfliktfähig. Kompromiß hat so etwas an sich
öffentlich zuzugeben, dazu gehört Mut. Diese SPD- wie Mauschelei, den anderen über den Tisch ziehen,
Idee dann auch noch in der Koalition durchzusetzen, dem anderen irgend etwas reindrücken. Das Wort
dazu gehört noch mehr Mut. Dafür unseren herzli- „Kompromiß" ist also nicht von vornherein positiv
chen Dank, Herr Bauminister. belegt. Viele Bürgerinnen und Bürger bei uns sind
der Meinung: Da haben sie wieder einmal gemau-
(Beifall bei der SPD) schelt; man hat verwässert und nicht verbessert. Des-
Aber Achtung! Zu Ihrer bisherigen Bilanz gehören wegen will ich das aufgreifen.
nicht nur Erfolge - die Sie übrigens fast immer zu- Meine Damen und Herren, richtig ist - ich habe
sammen mit der SPD erstritten haben, z. B. das Mie- das schon mehr als einmal zitiert -, was der große
tenüberleitungsgesetz -, sondern es gibt auch Münchener Philosoph Robert Spaemann im Rahmen
schlimme wohnungspolitische Entwicklungen. der Laudatio für Hans Jonas in der Paulskirche ge-
In den letzten Tagen konnten wir lesen, daß die Be- sagt hat. Er hat darauf hingewiesen: Wenn man sich
stände der Post- und Bahnwohnungen verkauft wer- zu schnell auf das Falsche einigt, bleibt es immer
den sollen, daß die Deutschbau ihre Wohnungen ab- noch das Falsche.
geben soll. Wenn der Bund die Aushöhlung der Woh-
Die Frage ist also berechtigt: Haben wir uns auf et-
nungsfürsorge mitmacht und die Wohnungsfürsorge
was Falsches geeinigt? Ich meine, einen Kompromiß
schleifen läßt, wenn in der Bevölkerung der Eindruck
zu schließen heißt auch, die Kraft zu haben, darüber
entsteht, daß die kleinen Beamten in den Großstäd-
nachzudenken, welche Positionen bei dem jeweils
ten, die für Post und Bahn arbeiten, demnächst große
anderen richtig sein können, und sie dann auf zuneh-
Sorgen haben müssen, während gleichzeitig in Ber-
men. Diese Kraft sollten wir wechselseitig haben.
lin Wohnungen für Ministerialdirigenten gebaut wer-
den, dann ist das ein falsches Signal. Wohnungspoli- Mich erinnert das an ein Bild, das ich Norbert Blüm
tisch bliebt viel zu tun. verdanke. Als ein Gesetzgebungsvorhaben, das sein
Ressort betraf, parteiübergreifend möglich geworden
Vielen Dank.
war, hat man gefragt: Wer ist der Urheber dieses Ge-
(Beifall bei der SPD) setzes? Ist das eher die SPD, ist das eher die CDU/
CSU, oder ist das die Koalition? Dazu hat er gesagt:
Das ist so, als wenn ein Kind geboren wird; dann
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat
streitet man sich auch, ob es eher dem Vater oder
Herr Bundesminister Töpfer.
eher der Mutter ähnlich sieht. Ich, so hat Norbe rt
Blümgesat,vrwiduf:Hpsache,Kind
Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- ist gesund. - So würde auch ich heute sagen: Haupt-
nung, Bauwesen und Städtebau: Herr Präsident! sache, das Kind ist gesund.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin
Herrn Kollegen Großmann für seine letzte Bemer- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
kung sehr dankbar. Er hat zunächst auf das hinge- F.D.P.)
wiesen, was wir angeblich falsch gemacht haben. Wenn wir uns streiten, ob es eher der Mutter oder
Hätte mich die Opposition nur gelobt, hätte ich an dem Vater ähnlich sieht, möchte ich nur auf eines
anderer Stelle Ärger bekommen. Deswegen herzli- hinweisen: Manche Kinder sehen über die Jahre et-
chen Dank für die Kritik, Herr Kollege Großmann. was anders aus, als sie bei der Geburt ausgesehen
(Beifall bei der CDU/CSU - Lachen bei der haben. Hoffentlich finden wir uns in unserem Geset-
SPD) zesvorhaben am Ende auch wieder und sagen: Es ist
unser gemeinsames Kind; dieser Kompromiß ist ver-
Zum Ernst zurück: Es ist sicherlich gute Arbeit ge- nünftig. Ich möchte, daß man bis nach Buxtehude
leistet worden, für die ich mich insgesamt bedanken hinein sagen kann: Das ist etwas Vernünftiges ge-
möchte. Dieses Gesetz hat immerhin ein Volumen worden. Das wollte ich doch schon immer einmal ge-
von 17,3 Milliarden DM pro Jahr. Mit ihm können wir sagt haben.
Wohneigentum gezielter fördern, damit die Wohn-
eigentumsquote steigt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der
F.D.P.)
Das Gesetz ist ein Kompromiß, der über die Koali-
tion und die Opposition hinweggreift; das finde ich Meine Damen und Herren, Hauptsache, es ist ein
besonders gut. Wenn wir demnächst auch bei der sinnvoller Kompromiß. Ich glaube, das ist der Fall.
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig noch die letzten Vor- Mit diesem Gesetzentwurf können wir wichtige fami-
behalte beseitigen können, bekommen wir hier ins- lienpolitische und gesellschaftspolitische Ziele errei-
gesamt einen Schulterschluß zustande. Das wäre chen. Wir können wirklich nicht gescholten werden,
doch etwas ganz Interessantes, Frau Eichstädt-Boh- wir hätten wieder einmal verwässert. Es kann viel-
lig. Bei Ihren Darstellungen habe ich manchmal den mehr gesagt werden: Wir haben verbessert.
Eindruck gehabt, Sie hätten ganz gern mitgestimmt,
Deswegen habe ich in besonderer Weise dem Kol-
aber so ganz gedurft haben Sie noch nicht. Aber
legen Faltlhauser und dem gesamten Finanzministe-
auch das bekommen wir noch hin.
rium zu danken. Sie sehen, welche Kontinuität wir
Mit Kompromissen ist das in Deutschland so eine haben: von Faltlhauser zu Hauser. Ein Namensbe-
Sache. Wenn du einen Kompromiß eingehst, wird dir standteil stimmt bereits; es bleibt alles beim alten.
meistens zunächst einmal vorgeworfen: Du bist gar Herr Kollege Hauser, herzlich willkommen in dieser
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5621
Bundesminister Dr. Klaus Töpfer
Arbeit. Dem Kollegen Faltlhauser vielen Dank für sagt könnten wir dies bei den Postbediensteten gar
das, was er gemacht hat. nicht, denn an der Deutschbau ist die Post unmittel-
bar beteiligt. Was sie mit ihren Anteilen macht, ist
Ich habe mit ihm darüber gesprochen: Er wird uns doch ihre eigene Sache. Ich wäre Ihnen auch im
in die Bayerische Staatskanzlei zu einem Weißbier Sinne einer verminderten Emotionalisierung und
mit Weißwürsten einladen. Wir müßten aber vor damit Verängstigung von Mieterinnen und Mietern
12 Uhr mittags kommen, sonst wäre das nicht mög- sehr herzlich dankbar: Lassen Sie diese Argumenta-
lich. tion sein!
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich bitte darum,
das Präsidium in die Einladung einzuschließen. Gehen wir sachlich an die Frage heran, ob wir auf
Dauer bundeseigene Wohnungen haben müssen
oder ob wir nicht mit seriösen Erwerbern dieser Un-
Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord-
ternehmen und klarer Kennzeichnung des Mieter-
nung, Bauwesen und Städtebau: Ich werde mich be-
schutzes arbeiten können!
mühen, das Präsidium einzuschließen, Herr Präsi-
dent. Wenn ich mich hier umsehe, sehe ich viele Anwe-
sende, die wissen, welche Aufgaben des Wohnungs-
Lassen Sie mich eines hinzufügen: Wenn ich den baus in Berlin bestehen. Ich habe unter dem Beifall
Kollegen Faltlhauser nenne, dann meine ich auch die des Bundestages gesagt: Wir wollen diese Wohnun-
vielen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Finanz- gen nicht nur mit bundeseigenen Gesellschaften
ministeriums und - mit aller Bescheidenheit - auch bauen, sondern wir wollen sie auch im Investoren-
meines eigenen Ministeriums. wettbewerb bauen. Wenn es dort richtig ist, ist es
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem nicht falsch, wenn wir uns hier darüber Gedanken
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) machen, ob solche Unternehmen privat nicht genau-
sogut geführt werden können und wir die dadurch
Das ist eine hervorragende Arbeit gewesen, die nur frei werdenden Mittel für wichtige Aufgaben einset-
mit viel Sachverstand bewältigt werden konnte. Sie zen können.
war erforderlich, damit wir uns nicht etwas in die Ta-
schen rechnen, was uns andere hinterher vorwerfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Das Ganze ist sicherlich eine vernünftige und gute
Sache gewesen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reschke?
Das zu konservieren sollten wir uns auf jeden Fall
vornehmen. Denn das, was vor uns liegt, ist nicht we-
niger schwierig. Wir haben die Probleme des Wohn- Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord-
gelds zu bewältigen, wir haben das dritte Wohnungs- nung, Bauwesen und Städtebau: Bitte.
baugesetz zu erarbeiten, wir müssen uns um den so-
zialen Wohnungsbau kümmern. Wir haben das Bau- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
gesetzbuch zu novellieren, wir haben die Baunut-
zungsverordnung zu novellieren. Es ist also nicht so,
Otto Reschke (SPD): Herr Bauminister, sind Sie
als hätten wir in dem Bereich, in dem wir auch ein-
nicht der Auffassung, daß der Finanzminister und
mal über die Grenzen blicken müssen, schon alles
sein Haus mit den Informationen ziemlich tölpelhaft
ausgearbeitet. Insofern wäre ich sehr dankbar, wenn
an die Öffentlichkeit gegangen sind, und sind Sie
man diese Art der Zusammenarbeit - ich habe das
nicht der Meinung, daß diese beiden Gesellschaften,
schon an anderer Stelle gesagt - ein Stück konservie-
nämlich die Frankfurter Siedlungsgesellschaft und
ren könnte.
die Deutschbau, die Funktion des Wohnungsbaus für
Lassen Sie mich, Herr Kollege Großmann, ab- Bundesbedienstete nach wie vor übernehmen soll-
schließend auf Ihren Hinweis, was wir mit der Priva- ten?
tisierung von Wohnungsgesellschaften so Böses ma-
chen, mit zwei, drei Sätzen eingehen. Bereits am Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord-
5. Juli dieses Jahres habe ich als Bauminister dem nung, Bauwesen und Städtebau: Ich kann nur eines
Kollegen Finanzminister, Theo Waigel, geschrieben noch einmal unterstreichen: Mein Angebot auch an
und habe ihm erklärt: Es gibt eigentlich kein hinrei- die Opposition in diesem Hause, über diese Gesell-
chendes Bundesinteresse, Wohnungsgesellschaften schaften zu sprechen, besteht. Wir wollen Ihnen gern
zu haben. sagen, was dort sinnvollerweise gemacht werden -
Sie müssen mir endlich einmal sagen, warum wir kann und - ich füge das hinzu - welche hilfreiche
das brauchen. Wir wollen doch, Frau Kollegin Mat- Möglichkeit damit für den Finanzminister verbunden
thäus-Maier, nichts verscherbeln, sondern wir wollen ist. Wer könnte das anders sagen? Wir haben eine
uns überlegen, ob nicht andere Unternehmen diese schwierige Situation, und diese kann dadurch ver-
Dinge genauso gut, vielleicht sogar noch besser ma- bessert und erleichtert werden. Mein Angebot be-
chen können als wir. steht; seien Sie mir wirklich herzlich willkommen.
Wir werden Sie mit allen Informationen weiter auf
Wir wollen den Postbediensteten oder den Bahn- dem laufenden halten, damit Sie sehen, daß hier
bediensteten in seinen Mieterrechten nicht auch nichts verscherbelt wird, daß hier nichts zu Lasten
nur im entferntesten andersstellen. Nebenbei ge von Mietern gemacht wird, sondern an einer ver-
5622 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer


nünftigen Perspektive für Bundeseigentum gearbei- freue mich, daß sie heute kommt -: als einfache Ab-
tet wird. geordnete, als Vorsitzende des Finanzausschusses,
als Mitglied der Opposition. Ich finde, darüber kön-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister, nen wir alle zufrieden sein.
gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage? Ich möchte den wichtigsten Punkt hervorheben.
Über Jahrzehnte war es so: Je mehr der Bauherr ver-
Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- diente, desto höher war und ist bis heute für ihn die
nung, Bauwesen und Städtebau: Aber gerne. Entlastung. Das ändern wir heute gemeinsam. Das
ist so ähnlich wie beim Kindergeld: Wir ersetzen den
Kinderfreibetrag für etwa 95 % der Eltern durch das
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Frau Eich- Kindergeld. Das ist ein enormer Fortschritt.
städt-Bohlig.
Ich danke meinen Kollegen in der SPD, daß sie das
(BÜNDNIS 90/DIE in mühevoller Kleinarbeit durchgesetzt haben. Ich
Franziska Eichstädt-Bohlig
GRÜNEN): Herr Minister, können Sie dafür Sorge danke Ihnen von den Koalitionsfraktionen, daß das
tragen, daß ausschließlich an Gesellschaften mit an nach langem Widerstand heute durchkommt. Da ich
sehr milde gestimmt bin, will ich nicht zitieren, was
der Gemeinnützigkeit orientierter Satzung verkauft
Sie über all die Jahrzehnte dagegengehalten haben.
wird, wenn wir schon keine Wohnungsgemeinnüt-
zigkeit mehr haben, und nicht an verwertungsorien- (Zuruf des Abg. Dr.-Ing. Dietmar Kansy
tierte Gesellschaften? [CDU/CSU])
- Nicht Sie, Herr Kansy, aber viele von Ihnen.
Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord-
nung, Bauwesen und Städtebau: Wir können auf je- (Zurufe von der CDU/CSU)
den Fall sicherstellen, daß in dem Vertrag - jedem - Ich habe es doch miterlebt! Nun freuen Sie sich
solchen Kauf muß ja ein Vertrag zugrunde liegen - doch, daß wir das heute machen!
vom Grundsatz her diese Anforderung fixiert wird.
Frau Eichstädt-Bohlig, auch wir stehen in der öffent- (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)
lichen Diskussion. Keiner wird es anders bewerten Ich stimme dem Gesetz zu und freue mich, daß wir
können. Es ist das originäre Interesse des Finanzmi- dafür heute endlich eine Mehrheit haben.
nisters und des Bauministers, hier einen Beleg dafür
zu erbringen, daß Privatisierung nicht etwas ist, was Danke schön.
man besser nicht macht, sondern daß Privatisierung
(Beifall bei der SPD)
etwas ist, was wir alle - wo immer möglich - mittra-
gen sollten, damit sich der Staat wirklich auf seine
Aufgaben beschränkt. Das, was Sie gefordert haben, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Wir kommen zur
werden wir grundsätzlich tun. Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung auf
schließend sagen: Ich habe vielen in diesem Hohen den Drucksachen 13/2235, 13/2476 und 13/2784
Hause und weit darüber hinaus zu danken. Wir be- Nr. 1 a. Dazu liegen ein Änderungsantrag der
kommen ein wichtiges Gesetz, das die Bildung von Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zwei
Wohneigentum, auch in Genossenschaften, ermög- Änderungsanträge des Abgeordneten Klaus-Jürgen
licht und einen Ökobonus und viele andere Ergän- Warnick vor, über die wir zuerst abstimmen.
zungen enthält. Es war ein gutes Verhandeln; herzli-
chen Dank dafür. Ich hoffe, wir können in dieser Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Weise weiterarbeiten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/
2795? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Än-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) derungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der SPD gegen die Stimmen von
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe PDS
Aussprache und gebe das Wort für eine Erklärung abgelehnt.
zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsord- Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abge-
nung der Kollegin Matthäus-Maier. ordneten Warnick auf Drucksache 13/2798? - Die Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrter Herr ist mit den Stimmen der vier Fraktionen gegen die-
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, es ist Stimmen der Gruppe PDS abgelehnt.
spät, aber ich möchte kurz erklären, warum ich dem
Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abge-
Gesetz zustimme.
ordneten Warnick auf Drucksache 13/2799? - Gegen-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es hat Vor probe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist
teile, wenn man in Bonn wohnt!) mit der gleichen Mehrheit wie zuvor abgelehnt.
Politik ist das Bohren von dicken Brettern, und Wir kommen zum Gesetzentwurf. Ich bitte diejeni-
manchmal sind sie besonders dick. Das heutige Re- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung
formpaket gehört dazu. Seit 25 Jahren kämpfe ich zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
auf verschiedenen Ebenen für eine Änderung - ich stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5623
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko- Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu
alitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen dem Antrag der Gruppe der PDS zur Reformierung
von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthal- der Wohneigentumsförderung, Drucksache 13/2784
tung der Gruppe PDS angenommen. Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf der
Drucksache 13/2357 abzulehnen. Wer stimmt für
Wir kommen zur diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
dritten Beratung tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, von BÜNDNIS 90/DIE
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die GRÜNEN und SPD gegen die Stimmen der PDS an-
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- genommen.
ben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raum-
fraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen ordnung, Bauwesen und Städtebau zu den Anträgen
von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthal- der Fraktion der SPD zur Neugestaltung der Wohn-
tung der PDS angenommen. eigentumsförderung und zur Stärkung der Woh-
nungsbaugenossenschaften, Drucksache 13/2771.
Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 1 b seiner Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Druck-
Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschlie- sachen 13/1501 und 13/1644 für erledigt zu erklären.
ßung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung
(Detlev von Larcher [SPD]: Herr Präsident, ist einstimmig angenommen.
welche ist das? Es muß doch drei geben!)
- 1 b. - Ist das Haus einig, worüber wir abstimmen? Ich rufe auf den Zusatzpunkt 15:
(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) Aktuelle Stunde
- Können wir über diese beiden Texte unter den Haltung der Bundesregierung zur Altschul-
Buchstaben aa und bb gemeinsam abstimmen? denregelung für ostdeutsche Kommunen an-
gesichts erster Bewertungsergebnisse eines
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja!) Rechtsgutachtens zur Auferlegung von Rück-
- Dann frage ich noch einmal: Wer stimmt der Be- zahlungsverpflichtungen
schlußempfehlung des Finanzausschusses unter Diese Aktuelle Stunde ist von der SPD-Fraktion
Nr. 1 b zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- beantragt worden.
schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimment- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
haltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gin Dr. Christine Lucyga, SPD.
angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Dr. Christine Lucyga (SPD): Herr Präsident! Meine
ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Damen und Herren! Die Debatte über die sogenann-
13/2786. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- ten Altschulden der ostdeutschen Kommunen kommt
trag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- spät, obwohl das Thema seit langem auf der politi-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- schen Tagesordnung steht.
tionsfraktionen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die SPD-Fraktion bei Stimmenthal- Wie dringlich diese Debatte ist, belegen der noch
tung der PDS abgelehnt. nicht allgemein zugängliche Bundesrechnungshof
bericht über die Abwicklung der Altkredite der DDR,
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- der der Bundesregierung in der Altschuldenfrage
ßungsantrag der Gruppe PDS auf Drucksache 13/ schwere Fehler und Unterlassungen bescheinigt, so-
2794. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - wie Expertengutachten zur Verfassungswidrigkeit
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungs- der Altschuldenforderungen des Bundes an die ost-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen deutschen Kommunen.
und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Stimm-
enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abge- Die Erklärungsnot von Bundesfinanzminister und
lehnt. Bundeskanzleramt wird größer. Wie anders kann die
Tatsache gedeutet werden, daß sich die Bundesregie-
Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu rung nach einem kurzen und enttäuschenden Le- -
dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- benszeichen in der Altschuldenfrage jetzt wieder
NEN zu Eckwerten für ein grünes Wohnungs-Selbst- einigelt und vereinbarte Verhandlungsrunden ab-
hilfe-Gesetz, Drucksache 13/2784 Nr. 2. Der Aus- setzt?
schuß empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 13/
2304 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- Das Altschuldenproblem ist aber weit mehr als ein
empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Schildbürgerstreich des Hauses Waigel; es ist auch
Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der ein Präzedenzfall politischer Unmoral. Bis jetzt hat es
Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthal- die Bundesregierung nämlich nicht vermocht, einen
tung der PDS gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/ im Einigungsvertrag angelegten Fehler zuzugeben.
DIE GRÜNEN angenommen. Nein, sie versucht, den entstandenen und täglich
5624 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Christine Lucyga


wachsenden Schaden aus ihrer Fehlentscheidung Jahren irgendwie entschuldet" zu Protokoll gegeben
den Betroffenen aufzuladen. wurde. Dann muß aber auch die Frage erlaubt sein,
ob nicht die Schulden der übrigen Kommunen eben-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne falls auf den Prüfstand gehören.
ten der PDS - Beifall der Abg. Franziska
Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
NEN]) ten der PDS)
Die Drohung der Bundesregierung, ihre Forderun- Andernfalls erhalten willkürliche Zufallsentschei-
gen auf gerichtlichem Wege durchsetzen zu wollen, dungen - oder auch zufällige Willkürentscheidun-
sollten sich die Gemeinden länger renitent zeigen, ist gen; wie man es formulieren will - nachträglich eine
ein mittelalterlicher Willkürakt. Besser wäre es, die rechtliche Anerkennung. Zudem werden regionale
Bundesregierung würde den betroffenen Kommunen Disparitäten festgeschrieben.
eine akzeptable politische Lösung anbieten; denn
hier hat sie eindeutig eine Bringepflicht. Die eigentlichen lachenden Erben dieser zweifel-
haften Erbschaft sind die Banken, denen die Über-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) nahme der dubiosen Altkredite durch absurd hohe
Zinsen bisher einen wahren Goldregen beschert hat.
Weiteres Aussetzen und Liegenlassen machen nichts
besser, im Gegenteil. Dieses vom BMF zu verantwortende Mißmanage-
ment zu Lasten der Kreditgeschädigten und der
Auch sollte es sich für einen Rechtsstaat verbieten, Steuerzahler kommentiert der Bundesrechnungshof
willkürliche Entscheidungen des DDR Staatsappa-
-
so: Eine direkte Übernahme der Altschulden in den
rates nachträglich zu Rechtsakten umzuinterpretie- Bundeshaushalt wäre um Milliarden günstiger gewe-
ren, die der Realität in den neuen Ländern so nicht sen als der Umweg über das teure Schuldenkarussell
standhalten können. p rivater Banken.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Fran (Beifall bei der SPD)
ziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]) Wenn der Bundesfinanzminister mit einem Haus-
haltsdefizit in Milliardenhöhe im Nacken Altschul-
Es ist ein Stück aus dem politischen Tollhaus, den bei den Kommunen geltend macht, die wirklich
wenn in glatter Umkehr der Beweispflicht ostdeut- keine Mark zuviel haben, dann sollte doch eher dar-
sche Städte und Gemeinden für Altkredite, die oft über nachgedacht werden, ob man diese Milliarden-
gar nicht zuzuordnen sind ,und denen oft kein kon- beträge nicht gerechterweise aus den Taschen zu-
kreter Vermögenswert gegenübersteht, zur Kasse ge- rückholen sollte, die die Klientelpolitik der Bundesre-
beten werden und sie den Nachweis selbst liefern gierung laut Bundesrechnungshofbericht so über-
sollen. Hier hat der Bund die Verpflichtung, einen reich gefüllt hat.
konkreten, objektbezogenen Nachweis und gegebe-
nenfalls Wertberichtigungen vorzulegen. Das ist bis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
jetzt nicht geschehen. ten der PDS)
Wie ruinös die Durchsetzung der Altschuldenfor- Die Kommunen können in ihrer Haltung ange-
derungen des Bundes für die Betroffenen ist, soll das sichts der Forderungen des BMF nicht nachgeben.
Beispiel der Hansestadt Rostock zeigen. Diese Stadt Der angedrohte Rechtsstreit kann jedoch nicht der
müßte bei der jetzt bestehenden Altschuldenforde- richtige Weg sein; denn er würde auf Jahre hinaus
rung von 270 Millionen DM, davon 90 Millionen DM Kräfte binden, die wir dringend benötigen.
Zinsen, ungefähr 10 % ihres Haushaltes für Altschul-
(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll-
den binden. Allein der Kapitaldienst würde das, was
mer)
die Stadt aus eigener Kraft - einschließlich Kreditauf-
nahme - aufbringen könnte, verschlingen. Zitat des Daher das Fazit: Es ist die politische und morali-
Stadtkämmerers: Dann bewegen sich in der Stadt sche Pflicht der Bundesregierung, sich endlich zu be-
keine Kelle und kein Kran mehr. wegen und ein verhandlungsfähiges Konzept für
eine einvernehmliche Lösung vorzulegen.
Im Klartext: Die Stadt muß lebensnotwendige Inve-
stitionen zurückstellen, vor dem Hintergrund eines Ich danke Ihnen.
allgemeinen kommunalen Finanzdefizits durch die
anhaltend schlechte Arbeitsmarktsituation, wach- (Beifall bei der SPD und der PDS)
sende Sozialleistungen und einen gewaltigen Infra-
strukturnachholbedarf. Hier ist dem Berliner Gutach- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat-
ter Harms zuzustimmen, der die Auferlegung einer jetzt der Abgeordnete Dietrich Austermann.
ruinösen Geldleistungspflicht durch den Bund fest-
stellt.
Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Präsiden-
So wie der Stadt Rostock geht es 16 % der ostdeut- tin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist
schen Kommunen, in Zahlen: 1 400 Städten und Ge- auch bei der Kürze einer Aktuellen Stunde wichtig,
meinden. Die übrigen 84 % wurden so willkürlich, daß man sich wieder einmal deutlich macht: Was ver-
wie sie belastet wurden, auch wieder entschuldet, birgt sich eigentlich hinter dem Gedanken der Alt-
was von der Bundesregierung in einer Fragestunde schulden der DDR-Gemeinden? Dies scheint mir
dieses Jahres salopp mit „irgendwann in den 80er auch deshalb nötig zu sein, weil die Nostalgie in
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5625
Dietrich Austermann
manchen Bereichen, insbesondere bei den immer Drittens. Die Kredite sind in der Regel auch trag-
dreister werdenden SED-Nachfolgern, so manches bar. Ich sage, es gibt Ausnahmefälle. Die Stadt Ro-
mit verklärtem Blick darstellt, und zwar nach dem stock ist mit Blick auf die Größe und die Finanzkraft
Motto: Seht mal, wie schön dieses und jenes in der der Gemeinden ein denkbar ungünstiges Beispiel.
DDR gelaufen ist, was heute nicht mehr läuft.
Viertens. Finanzierung kommunaler Aufgaben ist
Wir sollen jetzt - das ist die Erwartung der SPD, keine Bundesaufgabe.
der Kollegin Lucyga - die Schulden bezahlen, die ge-
macht worden sind, weil Kindertagesstätten, Kinder- Fünftens. Der notwendige Ausgleich kann bei den
gärten, Turnhallen, Schulen und Rathäuser gebaut Gemeinden selber vorgenommen werden.
worden sind. Dies ist eine Aufgabe, die natürlich in
(Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier
erster Linie die Gemeinden haben, denen diese Ein-
[SPD])
richtungen zugute kommen.
(Beifall bei der CDU/CSU) - Ich glaube, daß sich unsere Positionen da nicht un-
terscheiden, Frau Kollegin. Sie bzw. Frau Lucyga
Ich sage noch einmal: Es würde kein Mensch auf den hätte ja die Frage beantworten können, wo die
Gedanken kommen, wenn sich die Gemeinde XY - 7,5 Milliarden DM zusätzlich herkommen sollen. Sich
vorhin wurde Buxtehude genannt; ich weiß nicht, in dieser Woche über angeblich nicht zu stopfende
warum - ein neues Schwimmbad baut, zu sagen: Haushaltslöcher zu beklagen, die Haushaltsberatun-
Jetzt muß der Bund die Kosten dafür übernehmen. Es gen zu verweigern, hier ein neues Faß aufzumachen
besteht kein Zweifel daran, daß die Schulden, die da- und zu sagen, das muß der Bund übernehmen - das
mals zu 80 % bei der Staatsbank der DDR oder - in ist politisch und argumentativ nicht redlich, Frau
den 70er Jahren - bei den Sparkassen gemacht wur- Matthäus-Maier.
den, gemacht worden sind, um Projekte zu finanzie-
ren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat über-
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das sind doch gar haupt keiner gesagt!)
keine Schulden!)
Wir als Bund wollen den Gemeinden ein Angebot
Es gibt einen Punkt, der in der Tat streitig ist, über machen, indem wir sagen: Wir wollen dabei helfen,
den man sich unterhalten kann, bei dem man die diese Kredite in zinsgünstige Kredite der Kreditan-
Frage stellen muß, wer für die Regulierung eigentlich stalt für Wiederaufbau umzuschulden. Dieses Ange-
zuständig ist. Das ist der Fall, daß eine sehr kleine bot steht.
Gemeinde - wie es vielfach vorkommt - ein Projekt
finanzieren mußte, das zugleich vielen anderen Ge- Was haben denn die neuen Bundesländer mit dem
meinden zugute kam. Man fragt sich ja, warum 16 % Geld gemacht, das sie seit dem 1. Januar nach dem
unter dieser Belastung stöhnen müssen, wenn an an- Föderalen Konsolidierungskonzept bekommen? Das
derer Stelle 84 % angeblich entlastet worden sind. Es sind 35 Milliarden DM zusätzlich. Wieviel haben die
war ja falsch, was die Kollegin gesagt hat. Die 84 % neuen Bundesländer davon eingesetzt, um in einzel-
sind ja nicht entschuldet worden. Man fragt sich nen Fällen in Bedrängnis gekommenen Gemeinden
dann: Ist es in der Tat eine Aufgabe, diesen kleinen tatsächlich zu helfen? Nach einer pauschalen Über-
Gemeinden zu helfen? Bloß, wer hat diese Aufgabe sicht der Schuldensituation der Gemeinden entsteht
zu leisten? Nach unserem Verständnis, nach der Fi- durch Übernahme dieser Verpflichtungen aus der
nanzregelung, nach dem Einigungsvertrag ist es Auf- Vergangenheit, für die ja Vermögenswerte geschaf-
gabe der Bundesländer für uns ganz klar eine Auf-
- fen worden sind, nach unserer Einschätzung in der
gabe der neuen Bundesländer -, den Finanzaus- Regel kein höherer Schuldenstand für einzelne Ge-
gleich in der Weise vorzunehmen, daß den Gemein- meinden. Wir sagen deshalb: Wir machen das Ange-
den in ihrer sicher sehr schwierigen Situation gehol- bot der Umschuldung. Eine Übernahme durch den
fen wird. Bund ist weder rechtlich noch politisch noch finan-
ziell vertretbar.
Es kann - ich möchte dies wegen der vorgerückten
Zeit kurz zusammenfassen - keinen Zweifel an dem Herzlichen Dank.
rechtlichen Bestand der Altkredite geben. Der Rech-
nungshof sagt nicht, daß die Forderung unberechtigt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
ist, er sagt, es wäre möglicherweise günstiger gewe-
sen. Noch einmal: Es gibt keinen Zweifel an dem Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
rechtlichen Bestand der Altkredite. jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.
Zweitens muß die Frage gestellt werden: Wer hat
eigentlich davon profitiert? Wie ist es denn: Wenn Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der Bund jetzt die Schulden zahlt, kriegt er dann NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
auch das Eigentum, ist er dann auch gleichzeitig Ei- Mein Vorredner hat ein beredtes Beispiel geliefert,
gentümer? Wer verfügt künftig über das Vermögen? das deutlich macht, daß Sie selbst nach fünf Jahren
Wer hat die Vorteile, wenn alte Rathäuser möglicher- deutscher Einheit immer noch nicht die Verhältnisse
weise nicht mehr als solche genutzt werden und von in der DDR durchschauen.
den Gemeinden verkauft werden? Es ist, glaube ich,
unbestreitbar, daß der wi rtschaftliche Zuwachs den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Gemeinden zufließt. bei der SPD und der PDS)
5626 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Werner Schulz (Berlin)


Darin liegt die eigentliche Ursache dafür, daß Sie die- zu stopfen. Man möchte die Postbank AG möglichst
ses verschleppte Problem heute immer noch vor sich lukrativ veräußern,
herschieben, warum Sie das Problem der Altschul-
den heute noch nicht verstehen, warum Sie an dieser (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hat
Stelle solche entscheidenden Fehler machen, obwohl mit dem Bundeshaushalt nichts zu tun!)
Sie an anderer Stelle, z. B. in der Präambel des Eini- obwohl gerade bei der Veräußerung der DDR-Staats-
gungsvertrages, von einer friedlichen Revolution bank, der Deutschen Kreditbank, deutlich geworden
sprechen, auf die Sie immerzu Bezug nehmen. ist, daß man sich dabei keineswegs mit Ruhm beklek-
kert, sondern - im Geenteil - ein Milliardenverlust-
Nach dieser Revolution, in der es zu einer Umwäl- geschäft für diesen Staat gemacht und auf die Steu-
zung der Verhältnisse gekommen ist, bei der nicht erbürger abgewälzt hat. Ich glaube, das ist ein Kapi-
ein Stein auf dem anderen geblieben ist, nicht ein tel, über das wir uns hier noch etwas intensiver un-
Aktenordner mehr neben dem anderen steht, über- terhalten müssen; denn das, was hier passiert ist, ist
nehmen Sie ausgerechnet die Altschulden in den
ein Finanzskandal, gegenüber dem die Affären Graf
Rechtsstaat. Sie haben somit dazu beigetragen, daß und Zwick - und wie sie alle heißen mögen - fast
aus diesen fragwürdigen Verrechnungseinheiten - Peanuts sind.
denn nichts anderes ist das -
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Zuruf von der SPD: Spielgeld!) bei der SPD und der PDS)
regelrechte Altschulden geworden sind, die heutzu- Ich meine, wer die Sache richtig versteht, der wird
tage die Kommunen, aber auch landwirtschaftliche begreifen: Hier liegen, wenn überhaupt, Schulden
Betriebe und, wie wir das bei der Privatisierung der des Bundes vor, zu denen man stehen sollte. Ein
Treuhand erlebt haben, Gewerbebetriebe in den wirkliches Zeichen des guten Willens wäre zunächst
Ruin treiben. der Verzicht der Bundesregierung auf die verlangten
Zinsen, wäre auch der definitive Verzicht auf die an-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - gedrohten Mahnbescheide. Der beste Weg wird mei-
Zuruf von der SPD: Wem nützt das?)
ner Meinung nach der sein, daß sich Bund, Länder
Heute haben wir die absurde Situation - meine und Kommunen zusammensetzen und hier eine poli-
Vorrednerin hat das bereits gesagt -, daß 16 % der tische Lösung finden. Alles spricht meines Erachtens
ostdeutschen Kommunen exorbitant verschuldet dafür, daß es zu einer völligen Entschuldung der
sind. In einer Situation, in der sie das kommunale Kommunen kommen muß.
Selbstbestimmungsrecht eigentlich als einen Segen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
dieser Demokratie erleben könnten, weil es ihnen bei der SPD und der PDS sowie des Abg.
die Möglichkeit der freien Gestaltung gibt, wird ih- Jürgen Türk [F.D.P.])
nen diese Garrotte aus der Vergangenheit zum Ver-
hängnis.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
Nun ist es nicht etwa so, daß die anderen Städte der Abgeordnete Jürgen Türk.
gut gewirtschaftet hätten; die haben nur Glück ge-
habt. Die sind in die Vorgaben, Auflagen, die von der Jürgen Türk (F.D.P.): Sehr geehrte Frau Präsiden-
Staatlichen Plankommission bei von dieser verord- tin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute soll es
neten Bauvorhaben gemacht worden sind, nicht ein- nicht nur um die Haltung der Bundesregierung zur
bezogen worden. Manche haben sogar doppelt Altschuldenregelung der Kommunen gehen. Das
Glück gehabt: Denen ist nämlich sogar etwas gebaut Problem ist vielmehr so ernst, daß sich auch Länder
worden, was sie gar nicht bezahlen mußten. Wenn und Kommunen umgehend mit einer fairen Lösung
Sie sich z. B. die ehemalige Hauptstadt Ost-Berlin an- befassen sollten, bevor sich wieder das Verfassungs-
schauen, dann stellen Sie fest, daß die schuldenfrei
gericht damit beschäftigen muß.
ist.
(Zuruf von der SPD) Grundlage für die Lösung sollten meines Erachtens
folgende Fakten sein: Nach der bis 1986 gültigen
Andere Städte haben darunter gelitten, daß ihnen DDR-Gesetzgebung wurden Gemeinschaftseinrich-
materiell-technische Kapazitäten, Baukapazitäten tungen wie Schulen, Kindergärten und Turnhallen zu
entzogen worden sind, die dann - durch Plan und 90 % über aufgezwungene Staatskredite und zu 10 %
Gegenplan, Jugendinitiativen und dergleichen mehr; aus dem kommunalen Haushalt finanziert. Ab 1987
vielleicht haben Sie mal etwas davon gehört, Herr wurden die Kredite dann zu 100 % aus dem Staats-
Austermann - für Bauten in Ost-Berlin genutzt wor- haushalt bezahlt. Das heißt, es waren willkürliche
den sind. Auflagen der DDR-Regierung.
Ich befürchte - darüber sollten wir uns einmal ganz Das wird auch dadurch belegt - Herr Schulz hat
offen und ehrlich verständigen -, daß der Bundesfi- das schon gesagt -, daß Ost-Berlin als Hauptstadt der
nanzminister im Moment äußerst angeschlagen und DDR zu 100 % von Schulden befreit wurde und somit
bereit ist, zum äußersten Mittel zu greifen. Er befin- keine Altschulden aufweist. Städte wie Dresden oder
det sich in einer Situation, in der offenbar jeder Gro- Chemnitz - früher Karl-Marx-Stadt - wurden eben-
schen benötigt wird. Offenbar möchte man über falls auf 100 DM pro Einwohner entlastet. Der Partei-
Mahnbescheide selbst die Zinsen auf die Altschul- spitze in Berlin und Karl Marx sollte eben keine
den eintreiben, um die Milliardenlöcher im Haushalt Schuld zugeschoben werden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5627
Jürgen Türk
Dagegen hat ein Teil der mit Altschulden belaste- Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Sehr geehrte Frau Prä-
ten Gemeinden Schuldenlasten von bis zu 1 000 DM sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 1 400
pro Kopf, teilweise auch darüber. Das ist untragbar; ostdeutschen Kommunen müssen unverzüglich - ich
das müssen wir hier klar feststellen. Die 16 % Kom- betone: unverzüglich - von den unberechtigten, von
munen, die mit Altschulden belastet sind, müssen da- den rechtswidrigen Altschuldenforderungen befreit
von befreit werden. Denn Verursacher der unsoliden werden. Daher hat die Gruppe der PDS am
Finanzierung war die DDR-Regierung. Es darf nicht 28. September dieses Jahres als erste der im Bundes-
sein, gerade die Kommunen mit dieser Hypothek zu tag vertretenen Parteien einen Antrag zur Lösung
belasten, da Kommunen sowieso den schwierigsten der kommunalfeindlichen Altschuldenforderung ein-
Neuanfang haben. Außerdem waren die Kommunen gebracht.
zu DDR-Zeiten sehr vernachlässigte Körperschaften.
Sie würden mit den Altschulden ein zweites Mal Unser Antrag hat zwei Eckpunkte: Erstens. Die so-
bestraft werden. genannten Altschulden auf gesellschaftliche Einrich-
tungen ostdeutscher Kommunen, die auf Grund von
Wie könnte also die Lösung - wir brauchen sie - in der DDR getätigten Investitionen entstanden sind,
aussehen? werden nicht den Kommunen übertragen.

Erstens. Die Kommunen sollten einer Bereinigung Zweitens. Die aus Investitionen für den Bau gesell-
zustimmen. Das würde bedeuten: Stehen die Ob- schaftlicher Einrichtungen resultierenden sogenann-
jekte in der langfristigen Planung zum Verkauf, so ist ten Verbindlichkeiten ostdeutscher Kommunen ge-
dieser Betrag gegenzurechnen - so sehe ich das je- genüber der Gesellschaft für kommunale Altkredite
denfalls -, und Objekte, die den Kommunen nicht ge- und Sonderaufgaben der Währungsumstellung -
hören bzw. bei denen eine Zuordnung der Schulden GAW - sind Staatsschulden der DDR. Sie sind voll-
nicht möglich ist, sind zugunsten der Kommunen zu ständig als Schulden des Bundes im Rahmen des
bereinigen. Erblastentilgungsfonds zu übernehmen.

Zweitens. Die Länder müssen die im Rahmen des Das ist unsere klare Position, ohne Wenn und Aber.
Länderfinanzausgleichs zur Verfügung gestellten Bestandteil unseres Antrages ist selbstverständlich
Mittel endlich den Kommunen ungekürzt und in vol- eine detaillierte Begründung, die auf der Kenntnis
ler Höhe weitergeben. Denn zur ganzen Wahrheit der Situation in Ostdeutschland, in der früheren
gehört auch, daß die Länder ihren Verpflichtungen DDR, basiert. Sie belegt u. a.: Die sogenannten Alt-
nicht nachgekommen sind, den Kommunen Til- schulden - hier möchte ich ausdrücklich Wider-
gungshilfe zu leisten. Ich darf Ihnen sagen: Wenn wir spruch zu der Position von Herrn Austermann anmel-
noch in den Landtagen und in den Landesregierun- den - sind keine Schulden im Sinne des bürgerlichen
gen wären, wäre das, glaube ich, so nicht passiert, Rechts und damit auch keine Schulden der Kommu-
jedenfalls nicht in diesem Umfang. nen gegenüber dem Bund.

(Zuruf von der SPD: Wird die F.D.P. wieder Zweitens. Die Kommunen in der DDR verfügten
gesund?) kaum über nennenswerte eigene Einnahmen. Sie
waren bis 1990 lediglich - ich zitiere aus der Verfas-
Drittens. Sind die durch Länderfinanzausgleich sung - „Gemeinschaften im Rahmen der zentralen
und Zuweisungsverzicht westdeutscher Kommunen Leitung und Planung". Kommunale Selbstverwal-
bereitzustellenden Mittel nicht ausreichend, muß der tung stand in der DDR bekanntlich nur in den Ster-
Bund als Rechtsnachfolger der DDR die restlichen nen; das ist sicherlich aus heutiger und auch aus da-
Altschulden der Kommunen decken. Ich glaube, der maliger Sicht sehr kritisch zu sehen. Es war leider so.
Wille zu dieser politischen Lösung muß da sein. Es
darf keinesfalls zugelassen werden, daß eine Reihe Ausgaben der Städte, Gemeinden und Kreise von
von Kommunen zahlungsunfähig wird und nach Belang und damit auch die Investitionen für gesell-
Haushaltssperre - das wäre dann die Folge - und schaftliche Einrichtungen wurden in der DDR dem-
Einsatz eines Staatskommissars nur noch gesetz- zufolge fast vollständig durch Zuschüsse und Zuwei-
lichen Verpflichtungen nachkommen kann, aber sungen aus dem Republikhaushalt an die Kreishaus-
keine freiwilligen Leistungen mehr möglich sind. halte bestritten und eben nicht durch eigene Einnah-
men der Städte, Gemeinden und Kreise.
Ich fordere also Bund, Länder und Kommunen auf,
sich sofort an einen Tisch zu setzen und unter Beach- Die Entscheidungen über den Bau und die Finan-
tung der aufgeführten Fakten einen vernünftigen zierung von Schulen und Kindergärten sowie Alten-
Kompromiß zu finden. Der Umweg über das Verfas- heimen und ähnlichem lagen eben nicht im Ermes-
sungsgericht ist zu lang und zu teuer. sen der Kommunen. Sie wurden von der Volkskam-
mer mit den jährlichen Gesetzen zum Volkswirt-
Vielen Dank. schaftsplan und zum Staatshaushaltsplan festgelegt.
Diese Positionen - ich habe es verkürzt dargestellt -
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei hat auch das Rechtsgutachten von Professor Harms
Abgeordneten der CDU/CSU) von der Freien Universität Berlin vor kurzem bekräf-
tigt. Es ist Zeit, daß die Bundesregierung endlich
diese Realitäten zur Kenntnis nimmt und sich von ih-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt rem kommunalfeindlichen Wunschdenken verab-
der Kollege Uwe-Jens Rössel. schiedet.
5628 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Uwe-Jens Rössel


Die unmittelbar von Altschuldenforderungen des nicht durch irgendwelches Aussitzen oder irgend-
Bundes betroffenen 1 400 ostdeutschen Städte und eine Moralität sind Schulen, Kindergärten, Turnhal-
Gemeinden, die ohnehin arge Finanznöte haben, len oder Rathäuser, also die sogenannten gesell-
brauchen eine befreiende Entscheidung. Unser An- schaftlichen Einrichtungen, denjenigen Körperschaf-
trag würde die Kommunen aus der Altlastenschul- ten übertragen worden, die sie für ihre Aufgaben
denfalle herausführen. Ein Verfahren vor dem Bun- nutzen. Das sind zum Teil beachtliche Vermögens-
desverfassungsgericht hingegen, wie es die kommu- werte. Mit diesen Vermögenswerten sind aber auch
nalen Spitzenverbände anregen, könnte Jahre dau- die darauf ruhenden Verbindlichkeiten, d. h. die
ern. Eile tut aber not. Die Gemeinden in Ostdeutsch- Kredite, die zum Bau dieser Einrichtungen aufge-
land brauchen dringend Planungssicherheit für ihre nommen wurden, auf die Kommunen übergegangen.
Finanzen, hier und heute. Deshalb muß der Bundes- Durch die mittlerweile aufgelaufenen Zinsen sind
tag schnell handeln und entsprechende Anträge be- dies knapp 8 Milliarden DM. Der Schuldenstand war
fördern. am 1. Juli 1990 rund 5 Milliarden DM. Per saldo ha-
ben die Gemeinden von der Übertragung der Ein-
Es tickt nämlich die Zinsuhr. Das jahrelange richtungen profitiert; denn die Vermögenswerte
Tauziehen der Bundesregierung hat die bei der übersteigen in den meisten Fällen die auf ihnen ru-
Währungsumstellung bestandene Altschuld von
henden Schulden. Die Kommunen erkennen die
4,9 Milliarden DM inzwischen dank satter Zinsforde- Rechtmäßigkeit der Altkredite aber leider nicht an -
rungen auf nahezu 8 Milliarden DM vermehrt, also das haben wir eben schon gehört -, obwohl sie auf
fast verdoppelt. Mit der vom Kanzler geliebten Me- Grund einer Reihe von Gerichtsurteilen wissen, daß
thode des Aussitzens kommt man hier nicht weiter. zu dem nach dem Einigungsvertrag übergegange-
Müßten eines Tages die Kommunen zahlen - die nen Vermögen auch die darauf lastenden Verbind-
Mahnbescheide flattern ja in die Rathäuser -, wären lichkeiten gehören. Aber für die Rechtsprechung ist
die meisten von ihnen bankrott. Die Leidtragenden Finanzminister Waigel nicht verantwortlich zu ma-
sind die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland;
chen.
das darf auf keinen Fall zugelassen werden.
Daran kann auch das Bundeskabinett wohl nicht Auch wirtschaftlich sind die Kredite für die mei-
ernsthaft interessiert sein. Für Theo Waigel zählt sten Kommunen tragbar. Nur 16 % der Gemeinden
wohl ganz offensichtlich nur der Bundeshaushalt. sind mit Altschulden belastet; 4 % mit mehr als 1 000
Die dramatisch hohe Bundesverschuldung, die off e- DM pro Einwohner. Auch sind die Gemeinden mit
nen Positionen im Haushaltsentwurf 1996, Steuer- gesellschaftlichen Einrichtungen bessergestellt ge-
mindereinnahmen zwingen dazu, Kehraus zu ma- genüber anderen Gemeinden, die diese Einrichtun-
chen, die Finanzlöcher zu stopfen. Nun gibt es offen- gen - ich sage noch einmal: Schulen, Rathäuser,
bar in der Bundesrepublik nichts Schwächeres als Turnhallen - erst schaffen und zu Marktpreisen fi-
die Kommunen, wie jüngst Geras Oberbürgermeister nanzieren müssen.
erklärte. Den Letzten beißen die Hunde, und wer Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht zu be-
hier von den Hunden gebissen wird, sind die finanz- streiten, daß es insbesondere in kleinen Gemeinden
schwachen ostdeutschen Kommunen. Gehen Kom- Härtefälle gibt, wenn der Schuldendienst für ein grö-
munen pleite - es gibt ja bereits Zwangsverwaltun- ßeres, überregional genutztes Objekt die finanzielle
gen in einigen Bundesländern -, spüren das gerade Leistungsfähigkeit einer Kommune überfordert. Zu
Handwerker und Gewerbe, die von öffentlichen Auf- einer ungleichen Verteilung von Vermögenswerten
trägen leben. Bleiben deren Auftragsbücher leer, fällt und Belastungen haben aber auch Entscheidungen
die Gewerbesteuer noch kläglicher aus. Sie ist im in der ehemaligen DDR über Sondertilgungen Mitte
Osten ohnehin verkümmert und lag 1994 bei gerade der 80er Jahre beigetragen.
einmal 26 % des Westniveaus.
Eine Regelung des Altschuldenproblems muß in
Die heutige Aktuelle Stunde ist, so meinen wir, ein
erster Linie - das ist schon gesagt worden - auf Län-
Schritt in die richtige Richtung. Die Kommunen er-
derebene erfolgen. Nur die Länder verfügen mit dem
warten aber nicht nur Reden und Debatten. Der gor-
kommunalen Finanzausgleich über ein Instrument,
dische Knoten muß endlich zerschlagen, die Kommu-
das geeignet ist, unterschiedliche Belastungen der
nen müssen von den sogenannten Altschulden be-
Gemeinden durch die Altschulden auszugleichen.
freit werden. Im Interesse von Millionen Bürgerinnen
und Bürgern in den neuen Bundesländern verlange Der Bund ist seit längerem bereit, seinen Beitrag
ich hierzu eine schnelle Entscheidung. zu einer Lösung zu leisten. Er hat dazu ein zinsgün-
Vielen Dank. stiges KfW-Programm zur Umschuldung der Altver-
(Beifall bei der PDS) bindlichkeiten angeboten, das die Zinslast der Ge-
meinden deutlich verringern würde. Zusätzliche Lei-
stungen des Bundes wären angesichts der ange-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat spannten Haushaltslage nicht vertretbar. Und es
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Kar- kann keinen Zweifel geben: Wenn dem Bund wei-
watzki. tere Lasten aufgebürdet werden, müßten dafür an
anderer Stelle kompensatorische Kürzungen vorge-
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim nommen werden. Das wäre im Ergebnis kontrapro-
Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! duktiv; denn es macht keinen Sinn, die begrenzten
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch den Eini- Bundesmittel für die neuen Länder noch stärker auf
gungsvertrag - darauf mache ich aufmerksam - und den Konsum zu konzentrieren. Nein, Priorität müs-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5629
Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki
sen wir beim Ausbau der Infrastrukturinvestitionen Das ist die Regierungspolitik in Sachen Altschulden:
setzen. Konsumtive Mittelverwendungen sollten Die einen wollen verhandeln, die anderen wollen ab-
nicht weiter verstärkt, sondern zugunsten der Inve- kassieren. Da weiß doch die eine linke Hand nicht,
stitionen zurückgeführt werden. was die andere linke Hand tut. Eine Bundesregie-
rung mit linken Händen und dann auch nur Daumen
Ich möchte abschließend betonen, daß gerichtliche - das ist schon schlimm genug.
Auseinandersetzungen nicht der Weg sind, den wir
uns wünschen, um eine angemessene Lösung zu er-
Die Situation ist aber noch viel verfahrener. Nach
reichen. Die Bundesregierung führt deshalb seit län-
dem Gutachten von Professor Harms steht endgültig
gerem Gespräche mit den Ländern und Gemeinde-
folgendes fest: Juristisch gesehen sind die sogenann-
vertretern. Bei den derzeitigen Beratungen sind Fo rt
ten Altschulden keine kommunalen Kredite, sondern
-schriteknba.Elgjdocheirm
buchungstechnische staatliche Maßnahmen des
noch keine Ergebnisse vor. Die Bundesregierung ist
bereit, die Versendung von Mahnbescheiden an die DDR-Zentralstaats. Herr Schulz hat vorhin eindrück-
lich darauf hingewiesen. Nehmen Sie also zur Kennt-
Kommunen für einen begrenzten Zeitraum zu ver-
nis, daß die sogenannte DDR diese sogenannten Ver-
schieben, solange in den Gesprächen zielgerichtet
schuldungen als Instrument zur Disziplinierung von
an einer Lösung des Altschuldenproblems gearbeitet
unbotmäßigen Kommunen ausgespielt hat. Die Un-
wird. Sie kommt damit den Kommunen weiter entge-
terstellungen „Hier gilt bürgerliches Recht; hier gilt
gen.
Verwaltungsrecht" sind nicht exakt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, Länder
und Gemeinden nehmen dieses Angebot der Bun- Jeder sollte mittlerweile wissen, daß allein die Ban-
desregierung auf und leisten ihren Beitrag zu einer ken ein Riesengeschäft mit diesen sogenannten Alt-
gemeinsamen Lösung des Altschuldenproblems. schulden machen - unabhängig, wer sie zahlt: Null
Risiko für die Banken. Das können Sie entweder im
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) „Spiegel" oder- besser noch - in dem Sonderbericht
des Bundesrechnungshofs zu diesem Thema genauer
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Staatssekre- nachlesen. In diesem Be ri cht wird dem Bundesfi-
tärin hat sich vorbildlicher Kürze befleißigt. nanzminister die Verschleuderung von Steuergel
dern in Milliardenhöhe nachgewiesen; denn durch
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Küster. die Zwischenschaltung privater Banken zur Abwick-
lung der Altschulden wurden die Zinsen „erheblich
Dr. Uwe Küster (SPD): Sehr geehrte Frau Präsiden- verteuert" . Es ist mehrfach darauf hingewiesen wor-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Auster- den. Das sind katastrophale Versäumnisse der Bun-
mann, Frau Staatssekretärin Karwatzki, wie schön desregierung. Dafür können und dürfen die Kommu-
wäre es gewesen, wenn wir in der DDR bürgerliches nen in Ostdeutschland nicht in Haftung genommen
Recht gehabt hätten, wenn wir ein Verwaltungsrecht werden.
gehabt hätten. Das unterstellen Sie immer wieder.
Also: Alles das, was Sie auf diese Hypothese bauen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ist falsch. Das halten wir erst einmal fest. ten der PDS)
(Beifall bei der SPD)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bei den
Zur Sache: Diese 60 Minuten der Aktuellen Stunde sogenannten Altschulden handelt es sich um Luftbu-
kosten exakt 60 000 DM. chungen. Insofern wundert es kaum, daß Herr Wai-
gel als einziger etwas mit Luftbuchungen anfangen
(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Dann fas kann. Schließlich ist er der Schöpfer dieses Haus-
sen Sie sich kürzer!) haltsinstruments. Das ist das tägliche Geschäft unse-
Das ist die stündlich fällige Rate für die 8 000 Millio- res „Luftbuchungsministers" .
nen DM Altschulden der Kommunen in Ostdeutsch-
land. Die Höhe der sogenannten Altkredite auf kom- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Also bitte!)
munale Einrichtungen steigt also täglich um
1,3 Millionen DM. Man muß sich vor Augen halten, - Es ist leider richtig, ich muß das so sagen. Luftbu-
welches Risiko sich dahinter versteckt. Angesichts chungen sind sein tägliches Geschäft geworden.
dieser Tatsache kann ich nur sagen: Die Verweige- Während der Haushaltsberatungen hat der Finanz-
rungshaltung der Bundesregierung ist grob fahrläs- minister wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt,
sig und muß aufgegeben werden. wie man Milliarden kurzerhand hin und her -
schiebt, um damit den Haushalt scheinbar zu sanie-
(Beifall bei der SPD) ren.
Die gesamte Diskussion hat in den letzten Wochen
eine ganz groteske Form angenommen. Am 4. Ok- Aber kommen wir zum eigentlichen Thema zu-
tober waren die Vertreter der Landesregierungen im rück. Ich zitiere aus dem Gutachten von Professor
Kanzleramt bei Minister Bohl zu Gast. Nach dem Harms. Erstens.
Kanzlermotto „Chefsache" sollte do rt eine einver-
nehmliche Lösung gefunden werden. Aber: Nur drei Aus den geltend gemachten „Altkrediten" sind -
Tage später droht die GAW wieder mit Mahnbeschei- selbst nach DDR-Recht - keine Rückzahlungs-
den für die Kommunen, die nicht bezahlen wollen. pflichten entstanden.
5630 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Uwe Küster


Wie wollen Sie das also bitte rückwirkend geltend glaube, das ist auch einer der wesentlichen Gründe
machen? dafür, warum die DDR 1989 dort war, wo sie war: Sie
war intern pleite. Dann kam Gott sei Dank der Eini-
Zinsen und Rückzahlungen waren aus dem zen- gungsprozeß. In diesem Einigungsprozeß wurde
tralen Staatshaushalt zu erbringen. überlegt, wie wir die Vereinigung letztendlich gestal-
Machen Sie das mal, wenn der Staat nicht mehr da ten können, wie wir mit dem vorgefundenen Zustand
ist! der DDR umgehen können und wie für die Men-
schen eine erträgliche Situation erreicht werden
Zweitens. kann.
Eine Auferlegung von Rückzahlungsverpflich- Begonnen hat das mit der Währungs-, Wirtschafts-
tungen wäre verfassungswidrig. und Sozialunion. Ich bin dankbar für das, was mit ihr
Das sind zwei zentrale Feststellungen, mit denen wir . geregelt worden ist; denn das war eine sehr soziale
uns in der Zukunft auseinandersetzen müssen. Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion für die
Menschen. In diesem Zusammenhang - das muß ich
Angesichts dieser Tatsache enttäuscht es mich deutlich sagen, auch wenn wir uns heute über die
ganz besonders, daß 65 ostdeutsche Kollegen der Form und die Merkwürdigkeiten der Altschulden un-
CDU ganz lapidar von einem „Konstruktionsfehler terhalten müssen - sind diese Schulden tatsächliche
im Einigungsvertrag reden. Keiner spricht davon, Schulden geworden. Diese - das bestreitet niemand -
wie man den Konstruktionsfehler belieben kann, wie müssen beglichen werden.
man versuchen sollte, das zu sanieren und damit um-
zugehen. Um auf das Argument einzugehen, diese Schulden
seien nur durch den Staatshaushalt der DDR verur-
Wenn der Bund diese Altschulden tatsächlich über sacht und nur durch den Staatshaushalt getilgt wor-
den Cerichtsvollzieher eintreiben läßt, wird der ge- den: Im Rahmen des Einigungsvertrags wurde es als
samte West-Ost-Transfer ad absurdum geführt. Ein eine wesentliche und wichtige Aufgabe angesehen,
paar Milliarden hin - ein paar Milliarden her: Der das Volksvermögen der DDR auf die föderale Struk-
Aufbau Ost wird zu einem finanzpolitischen Ver- tur der Bundesrepublik Deutschland aufzuteilen. Es
schiebebahnhof. Und nicht nur das: Die jüngsten wurde zwischen den Kommunen, den Ländern und
Pläne des Finanzministers offenbaren, daß der Ab- dem Bund aufgeteilt. Das war eine Aufgabe des Eini-
schwung in den neuen Ländern weitergehen soll. gungsvertrages.
22 Milliarden - das sind 22 000 Millionen; damit man
sich einigermaßen vorstellen kann, worum es geht - Die Überlegung, die an dieser Stelle immer wieder
will Herr Waigel beim Aufbau Ost zukünftig einspa- unterstellt wird, nämlich daß die Aufteilung so erfol-
ren. Dabei werden Haushaltslöcher vor allem auf Ko- gen sollte, daß die Kommunen mit Grundvermögen
sten Ostdeutschlands gestopft. Man müßte schlicht ausgestattet werden, während der Bund die andere
weg mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn Seite, die Passiva, übernehmen möge, ist natürlich
man das nicht erkennt. aberwitzig. Diese Form der Aufgabenteilung geht
nicht. Deswegen halte ich es auch grundsätzlich
Herr Waigel hat 1990 fahrlässig die sogenannten nicht für richtig, sich heute hinzustellen und aus dem
Altschulden als Forderungen übernommen. Jetzt Problem, das uns die DDR durch ihr Finanzgebaren
muß er zur Kenntnis nehmen, daß er ein Haushaltsri- hinterlassen hat, den Schluß zu ziehen, daß der Bund
siko von 8 000 Millionen DM hat. alle Schulden übernehmen und die Probleme lösen
Vielen Dank. möge. Ich denke, das ist genau der falsche Weg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir haben diesen Weg auch in vielen anderen Fäl-
ten der PDS) len nicht beschritten, sondern sind einen anderen
Weg gegangen. Dazu gehört - das war in der letzten
Legislaturpe ri ode ein wichtiges Thema - der Ge-
Vizepräsidentin Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt danke des Solidarpaktes. Beim Solidarpakt wurde
der Abgeordnete Luther. nicht danach gefragt, wem man welche Schulden zu-
ordnen müsse. Ich denke hierbei an die große Dis-
Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau kussion um die Schulden der Wohnungsbaugesell-
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben schaften. Statt dessen wurde überlegt: Wie kann ich
heute eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Haltung mit dem, was an Schulden tatsächlich vorhanden ist,
der Bundesregierung zur Altschuldenregelung für umgehen? Wie kann ich sie im Sinne eines Solidar-
ostdeutsche Kommunen angesichts erster Bewer- paktes zwischen den verschiedenen Gebietskörper-
tungsergebnisse eines Rechtsgutachtens zur Auferle- schaften aufteilen? Wie kann ich die neuen Bundes- -
gung von Rückzahlungsverpflichtungen" . Herr Kü- länder in die Lage versetzen, daß sie ihre Finanzauf-
ster, Sie haben freundlicherweise aus dem Gutachten gaben lösen können?
zitiert. Leider konnte ich mir dieses Gutachten nicht Zu den kommunalen Altschulden sagt der Solidar-
beschaffen und deswegen auch nicht lesen. Deshalb pakt nichts. Vielleicht ist das nur vergessen worden;
kann ich nur auf die Zitate eingehen, die Sie heute
aber auf jeden Fall wurde darin nichts erwähnt. Man
hier gebracht haben. könnte natürlich auf den Gedanken kommen, zu sa-
Es ist natürlich wahr, was das Gutachten an vielen gen, das sei so gewollt gewesen, und zwar von allen
Stellen ausweist, nämlich daß die DDR-Finanzwirt- Beteiligten. Das müßte dann im Rahmen der Mög-
schaft ein sehr merkwürdiges Gebaren hatte. Ich
. lichkeiten, die die neuen Bundesländer durch ihre
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5631
Dr. Michael Luther
Finanzausstattung haben, geregelt werden. Die der Belastung der Kommunen im Westen in etwa ent-
Kommunen werden das nicht alleine regeln können; spricht. Wir haben dazu aber nur fünf Jahre ge-
denn die Ungleichbehandlung, die ungleiche Vertei- braucht. 40 Jahre sind aufzuholen. Dazu wollen wir
lung der Schulden auf die Kommunen gebietet eine keine weiteren 40 Jahre brauchen, aber wir müssen
andere Denkweise. Hier sind ganz besonders die doch sehen, wo wir uns jetzt schon befinden. Wir ha-
Bundesländer gefordert, mit einzusteigen. ben noch viel aufzuholen. Wer soll denn diese Ver-
schuldung abbauen? Kann sich das jemand vorstel-
(Zustimmung bei der CDU/CSU)
len?
Trotzdem glaube ich, daß man die Länder und die
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Kommunen hier nicht alleine lassen sollte, sondern
daß auch der Bund mit einsteigen sollte. Die Ange- GRÜNEN und der PDS)
bote liegen auf dem Tisch. Sicherlich kann man sich Uns Sozialdemokraten wird immer Erfindungs-
in dieser Richtung auch Weiteres vorstellen. Aber ich reichtum bei den Steuern und Abgaben vorgewor-
bin traurig, daß ich von den Kommunen und von den fen. Was hier passiert, ist nichts anderes als eine Son-
Ländern bisher keine Signale bekommen habe, daß derabgabe der ostdeutschen Kommunen. Das ist ein
man bereit ist, sich an diesem Schuldenausgleich zu Abkassierungsmodell, bei dem Finanzen in die Bun-
beteiligen. deskasse zurückgegeben werden.
Ich hoffe und wünsche, daß sich alle an den Tisch Dabei ist es doch so einfach: Es handelt sich um
setzen und über diesen Ausgleich miteinander Phantomzahlen. Hier sind Bilanzen von den Banken
reden. aufgebläht worden. Lassen wir doch die Luft wieder
raus! Das muß doch gehen. Die Banken müssen doch
Recht herzlichen Dank.
auch ein Interesse an realistischen Zahlen haben. In
(Beifall bei der CDU/CSU) dem Fall muß der Bund nichts übernehmen, und die
Kommunen hätten nichts zu bezahlen; denn es han-
delt sich nur um Phantomzahlen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
der Abgeordnete Gunter Weißgerber. Mir ist natürlich klar, daß der Finanzminister rie-
sige Haushaltslöcher stopfen muß. In dieser Woche
Gunter Weißgerber (SPD): Frau Präsidentin! Liebe war viel davon die Rede. Aber daß er dafür realsozia-
Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, es hat etwas listische Staats- und Kommunalfinanzierung in Kre-
von einer Gespensterdebatte, die wir führen. Wir re- dite bürgerlichen Rechts ummünzt, kann es doch
den über Dinge, die so nicht existierten, wie sie von wohl nicht gewesen sein.
seiten der Bundesregierung und der Koalitionspar- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
teien gesehen werden. GRÜNEN und der PDS)
In den letzten Jahren ist einiges Verwunderliches Meinem Oberbürgermeister, Hinrich Lehmann-
geschehen: Dinge, die 30, 40 Jahre eindeutig fest- Grube, kann ich nur raten, bei seinem Standpunkt zu
standen und einer Diskussion standhielten, werden bleiben und nichts zu bezahlen. Recht so, Hinrich!
heute generell entgegengesetzt bewe rtet. Dazu ge- Ich kann der Bundesregierung nur sagen: Wer den
hören die Mauergrundstücke. Das Unrechtsregime Aufbau Ost wirklich ernst meint, kann nicht auf so-
wurde verteufelt - natürlich zu Recht -, die Wirt- genannten Altschulden bestehen.
schaftsbeziehungen waren total unlogisch und wur-
den auch als solche bezeichnet. Heute ist es so, daß Frau Karwatzki, an Sie habe ich eine Frage, die Sie
die Mauergrundstücke plötzlich rechtens enteignet natürlich jetzt auf Grund der Geschäftsordnung nicht
worden sind, der Fiskus und nicht die Leute, denen beantworten können. Was geschieht mit den Ge-
das gehört hat, darauf Anspruch hat, und die Wirt- meinden, die Altschulden haben und deren Objekte
schaftsbeziehungen sind plötzlich auch in Ordnung nicht aufzufinden sind? Die Antwort darauf interes-
gewesen. siert mich.

Herr Schulz hat das bereits deutlich angesprochen Danke schön.


- ich brauche das nicht zu wiederholen -: Das, was (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
als Altschulden bezeichnet wird, waren keine. Aber GRÜNEN und der PDS)
uns wird vorgemacht, es soll so sein. Das waren und
sind keine Altschulden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
Ich nenne als Beispiel die Stadt Leipzig. Die Stadt die Abgeordnete Susanne Jaffke.
Leipzig gilt als größter Schuldner der neuen Bundes-
länder. 420 Millionen DM sogenannte Altschulden
Susanne Jaffke (CDU/CSU): Tau Präsidentin!
beinhalten 280 Millionen DM direkte Schulden und
140 Millionen DM an Zinsen. Das Gewandhaus steht Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe dem Kol-
mit 72 Millionen DM und das Affenhaus im Zoo mit legen Weißgerber recht: Es ist schon ein wenig ge-
1,4 Millionen DM angeblich in der Kreide. spenstisch. Über dieses Thema am Freitag nachmit-
tag zu reden ist auch nicht gerade schön.
Welche Folgen hat das für Leipzig? Leipzig hat
jetzt eine Pro-Kopf-Verschuldung von knapp 1 350 (Zuruf von der SPD: Richtig!)
DM. Wenn ungefähr 1 000 DM pro Kopf Altschulden Ich hoffe, daß wir die Kollegin Matthäus-Maier in
hinzukommen, erreichen wir eine Verschuldung, die ausreichendem Maße zufriedenstellen konnten;
5632 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Susanne Jaffke
denn überwiegend stehen hier Kollegen aus den die Bundesregierung mit den Ländern auf einem gu-
neuen Bundesländern am Rednerpult, d. h. solche, ten Wege. Sie unterhalten sich. Das Angebot der
die in der DDR gelebt haben. Das finde ich alles in Umschuldung, das die Bundesregierung an die Kom-
Ordnung. munen und Länder gemacht hat, ist, finde ich, ein
sehr gutes Angebot.
Ich finde es weniger in Ordnung, daß viele Leute
jetzt nicht mehr da sind. Wir aus den neuen Bundes- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Für die Bundesre-
ländern haben aber einen unendlich längeren Heim- gierung!)
weg. Die Verkehrsverhältnisse sind noch nicht so - Nein, es ist auch für die Kommunen ein sehr gutes
gut, daß wir nur ein Stückchen länger brauchen, um Angebot.
nach Hause zu kommen und die Heimat Freitag
abends noch zu erreichen, was mir jetzt nicht mehr Ich kann Ihnen dazu sagen: Ich bin nebenbei Ab-
vergönnt ist. Ich kann erst morgen früh fahren. Ich geordnete eines Kreistages in den neuen Bundeslän-
komme heute nicht mehr nach Hause. Aber ich dern. Wir haben ein Objekt, das mit Altschulden be-
nehme das trotzdem gerne auf mich. lastet ist und irgendwo in unserem Kreishaushalt zu
Buche schlägt. Aber auch wir in unserem Kreis müs-
Ich möchte zwei Bemerkungen machen: Es ist sen uns an eine gewisse Haushaltsdisziplin halten.
heute aus einem Gutachten von Herrn Harms, das
ich nicht kenne, sehr viel zitiert worden. Mir liegt Die Kreiskämmerin und alle anderen, die dort in
aber der Rechnungshofbericht vor. In dem Gutachten Verantwortung stehen, können bei der Veräußerung
werden all die Dinge, die im Rechnungshofbericht dieser Immobilie, die mit den Altschulden belastet
sehr sachlich beschrieben wurden, nicht gewürdigt. ist, den Gesamterlös nicht zur Sanierung der Kreis-
Der Rechnungshof hat in seinem nichtöffentlichen finanzen in den Kreishaushalt einstellen. Das wird
Gutachten - es enthält vertrauliche Daten; man kann natürlich auch versucht. Das muß man auch anspre-
es nur unter Einhaltung besonderer Vorschriften ein- chen dürfen.
sehen - sehr sachlich und nüchtern festgestellt, daß
Ich denke, das, was die Kollegin Karwatzki bezüg-
die Schulden doch echte Schulden sind. lich des Pokers gesagt hat, der immer veranstaltet
Es ist alles richtig gesagt worden: Das Finanzgeba- wird - sind es echte Schulden, oder sind sie es
ren in der ehemaligen DDR war schon ein bißchen nicht? -, ist vollends richtig: Mit der Übertragung der
merkwürdig. Aber eines hat es nicht gegeben. Es Liegenschaften an die Kommunen ist auch ein großes
gab eine ordentliche Buchung, das muß man den Ge- Stück Vermögen an diese übertragen worden.
nossen lassen. Sie haben alle Sparguthaben der Be- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wollte der Bund das
völkerung für das Geld, das sie gedruckt haben, ge- auch noch haben?)
gengerechnet, in welchem Wertverhältnis es auch
immer stand. Es gab eine ordentliche Kostenstellen- - Nein, das wollte er nicht.
rechnung. Die war gegeben und ist natürlich im
Danke.
Zuge des Einigungsprozesses zur Grundlage genom-
men worden, um das vorhandene Geld in stabiles (Beifall bei der CDU/CSU)
Geld umzuwandeln.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
Die Grundlagen dazu - das ist im Rechnungshof jetzt Kollege Mathias Schubert.
bericht auch gesagt worden - sind nicht unbedingt
im Zuge der Währungsunion gelegt worden. Sie sind
schon unter der Modrow-gegierung ausgearbeitet Dr. Mathias Schube rt (SPD): Frau Präsidentin!
worden. Die Modrow-Regierung hat die Beschlüsse Meine Damen und Herren! Ich möchte vor allem ein
gefaßt, daß das Bankensystem der ehemaligen DDR paar kommunalpolitische Anmerkungen machen.
umgestellt wird, und zwar nach rechtsstaatlichen - In meiner Heimat Brandenburg gibt es einen 200
Prinzipien, wie sie hier im bürgerlichen Recht vor- Einwohner-Ort namens Bernsdorf. Weil diesem Ort
handen waren. Das geschah vor der Volkskammer- zu DDR-Zeiten von oben der Bau eines Kulturhauses
wahl im März 1990. Das haben wir heute ein Stück- verordnet worden war, und zwar ohne die Gemeinde
chen nachzuvollziehen. zu fragen, sind die Einwohner jetzt mit 12 000 DM
Ich denke, in der insgesamt öffentlichen Diskus- pro Kopf verschuldet. Wenn es nach dem Bundesfi-
sion hat es bereits einen Erkenntniswandel gegeben. nanzministerium geht, soll die Gemeinde - jedenfalls
Es gab zuerst eine emotionale Darstellung des Ge- nach dem jetzigen Stand der Dinge - die auch bezah-
samtverhaltes, daß die Schulden überhaupt keine len.
echten Schulden sein können. Heutzutage wird das An diesem zugegebenermaßen extremen Beispiel-
seitens des Gemeindebundes und des Städtetages wird die ganze Brisanz der Auseinandersetzung um
schon ein bißchen moderater gesehen und aner- die kommunalen Altschulden klar. Es handelt sich
kannt, daß die Schulden echte Schulden sind. hierbei natürlich auch um ein juristisches und ein fi-
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das hat keiner ge nanztechnisches Problem, vor allem aber um ein poli-
sagt!) tisches.
Die politische Behandlung der Altschulden wird
- Doch, das können Sie im Protokoll nachlesen.
wieder einmal erweisen, ob es der Bundesregierung
Die Frage ist zu klären: Wie wollen wir diese mit ihrer so inbrünstig beschworenen Gestaltung der
Schulden behandeln? In dem Punkt, denke ich, ist Einheit ernst ist oder ob sie bereit ist, die schwäch-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5633
Dr. Mathias Schubert
sten Glieder in der Kette politischer Gestaltungsmög- lungnahme zu diesem Thema wahrscheinlich etwas
lichkeiten mit einem Schuldenberg allein zu lassen, anders ausgefallen als die des Kollegen Waigel, der
der für die Betroffenen die kommunale Selbstverwal- zur Zeit Finanzminister ist.
tung bis zur Unfähigkeit verstümmelt.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie hätte den Fehler,
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE den Herr Waigel gemacht hat, schon 1990
GRÜNEN und der PDS) nicht gemacht!)
Das Elend dieser Dramatik besteht nicht in ihrer - Da war er noch nicht Finanzminister, wie Sie alle
oppositionellen Polemik, sondern in ihrer tatsächli- wissen.
chen Wahrheit. Denn in der Regel haben ostdeutsche
Kommunen weit weniger als 20 % ihrer ohnehin (Dr. Uwe Küster [SPD]: Natürlich! - Ingrid
schwindsüchtigen Finanzvolumina als Gestaltungs- Matthäus-Maier [SPD]: Er war doch damals
potential ihres öffentlichen Lebens zur Verfügung. Finanzminister!)
Würde der Bund also den betroffenen Gemeinden
die Schulden überhelfen, wären die Auswirkungen - Als der Einigungsvertrag geschlossen wurde, war
verheerend. Investitionsmöglichkeiten würden viel- es meines Erachtens Herr - -
fach auf Null sinken. Finanzielle Unterstützungen für
Sport, Kultur, Bildung, soziale Aufgaben, Wirtschaft (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Selbstver-
und Arbeitsmarkt stünden auf dem Spiel. ständlich! Er hat doch den Romberg rausge-
worfen!)
Nun gibt es im Bundesfinanzministerium folgende
smarte Überlegung: Da die Pro-Kopf-Verschuldung - Es ist ja auch egal. Es sind beides gute Leute, auch
ostdeutscher Gemeinden in der Regel unter der west- der andere war gut.
deutscher liege, sei noch Verschuldungsmasse frei
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie müssen
und die Übernahme der Altschulden kein besonde-
sich nur entscheiden, ob er es gewesen ist
res Problem. Wer so - Entschuldigung - daher-
oder ob er schlecht war!)
schwätzt, weiß nichts über unsere Situation.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - Nun lassen Sie mich einmal ausreden. Sonst über-
DIE GRÜNEN) ziehe ich, wenn Sie dauernd Zwischenrufe machen,
meine fünf Minuten Redezeit ganz brutal.
Im Unterschied zu dem finanz- und haushaltspoliti-
schen Trauerspiel, das der Finanzminister in dieser (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein, das ist
Woche hier geboten hat, wissen die ostdeutschen nicht zulässig!)
Kommunen außerdem sehr wohl, was Haushalts-
wahrheit und Haushaltsklarheit bedeutet. Genau die - Doch, denn von uns redet sonst keiner mehr. Inso-
kommunalen Haushaltsprinzipien verbieten weitere fern habe ich noch ein bißchen Zeit.
Verschuldung. Ich will folgendes sagen: Es ist doch unstrittig,
Der Schuldenkonflikt darf also weder ganz noch meine Damen und Herren von der SPD, daß auch Sie
teilweise auf dem Rücken der Kommunen oder der dem Einigungsvertrag, so, wie er ausgehandelt wor-
Länder ausgetragen werden. Diese Verbindlichkei- den ist, zugestimmt haben.
ten sind wie alle ehemaligen DDR-Verbindlichkeiten
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sollten wir
zu behandeln. In diesem Zusammenhang gilt es zu
deswegen nein sagen?)
überlegen, ob die Schulden samt anfallender Zinsen
nicht in den Erblastentilgungsfonds aufgenommen - Nein. Ich habe ja im Sinne meiner Partei gesagt:
werden können. Gott sei Dank.
Vielen Dank.
Sie tun so - das kommt immer wieder durch -, als
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ob alle Kommunen betroffen wären. Ich stelle erst
GRÜNEN und der PDS) einmal fest, daß 86 % der Kommunen nicht betroffen
sind, sondern nur 14 %. In meinem Wahlkreis sind
auch von diesen 14 % nicht alle betroffen. Es gibt
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
nämlich einige, die mir unter der Hand sagen: Etwas
jetzt der Abgeordnete Arnulf Kriedner.
Besseres ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht
passiert, als diese Altschulden zu übernehmen, weil
Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! die Vermögenswerte, die teilweise schon versilbert
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich worden sind, die Schulden bei weitem übersteigen.
möchte, zumal ich lange Kommunalpolitiker war, bei Auch solche dürfen wir aus der Berechnung heraus-
einem kommunalpolitischen Thema ein bißchen da- nehmen,
von Abstand nehmen, eine Haushaltsrede zu halten,
wie wir es, Herr Küster, in Teilen hier schon gehört Wir können auch bei aller Verbalakrobatik nicht so
haben. Vielmehr möchte ich zum eigentlichen tun, als ob es keine neuen Bundesländer gäbe. Sie
Thema kommen. sind in der Verpflichtung, weil sie die kommunale
Lenkungsbehörde sind.
Man kann hier jede Akrobatik dieser Welt vorfüh-
ren. Aber wenn - das wollen wir nicht - Frau Mat- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Was meint Bernhard
thäus-Maier Finanzministerin wäre, wäre ihre Stel- Vogel dazu?)
5634 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Arnulf Kriedner
- Er ist durchaus meiner Meinung. Menge Kollegen müssen nach Passau, nach Klingen-
thal in Sachsen, nach Plön oder nach Rostock. Sie ha-
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Aha! Das habe ich ben dort heute abend Veranstaltungen. Sie mußten
noch nicht gehört!) weg, um rechtzeitig dort zu sein. Das betrifft alle
- Man muß nicht alles, was man verhandelt, auf dem Fraktionen.
freien Markt verkaufen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
Lieber Herr Kollege Küster, machen Sie mich bitte F.D.P.)
nicht nervös, sonst erzähle ich Ihnen einmal, wie Ihr Meine Damen und Herren, das Thema „Altschul-
Antrag lautet. In Ihrem Antrag wird die Bundesregie- den ostdeutscher Städte und Gemeinden" ist wirk-
rung aufgefordert, mit den ostdeutschen Ländern lich ein langes Trauerspiel. Es ist ja nicht neu. Seit
und Gemeinden Verhandlungen aufzunehmen; mehr als fünf Jahren ist doch bekannt, daß nach der
Schwanitz und Genossen. Wieso sollte, wenn Ihre Ar- Währungsumstellung Forderungen an eine Vielzahl
gumentation, die Sie soeben vorgetragen haben, von Gemeinden und Städten in Höhe von über
stimmen würde, der Bund mit den Ländern eigent- 5 Milliarden DM bestehen. Seit übrigens mehr als
lich reden? Dann hat der Bund zu blechen, und die fünf Jahren ist umstritten, ob es sich dabei um Kre-
Gemeinden kassieren. So, wie Sie das hier darstellen dite im klassischen Sinne handelt. Das ist sicher nicht
möchten, kann es ja wohl nicht sein. der Fall.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns einmal Frau Jaffke, als ich nach der Rede von Herrn Au-
einen Versuch machen; dann kommen wir schnell stermann gesagt habe, daß Ihre ostdeutschen Abge-
auf eine Linie. Ich bin mit Ihnen - das wird Sie jetzt ordneten das genauso sehen, habe ich das nicht ge-
vielleicht verblüffen - der Meinung: Der Bund muß macht, um Sie zu spalten. Wer sich mit diesem
ein bißchen mehr tun, als nur, was die Kreditfinanzie- Thema beschäftigt - ich bin gerade zu diesem Thema
rung angeht, freundlich zu sein. Ich bin der Meinung sehr viel durch Ostdeutschland gefahren -, der weiß:
- da haben wir einen kleinen Dissens, Frau Kollegin Solch eine schneidige Rede wie die von Herrn Au-
Karwatzki -: Der Bund muß auch bei den Schulden, stermann wird den Problemen, wie sie damals exi-
die nicht ohne Schuld des Bundes so hoch sind, et- stierten, überhaupt nicht gerecht.
was tun.
(Beifall bei der SPD)
Aber das bedingt doch geradezu, daß die Länder
nun endlich einmal das Schwarzer-Peter-Spiel sein Natürlich kann man theoretisch sagen: Die Ge-
lassen und sagen: Auch wir haben eine Mitverant- meinde bekam eine Einrichtung, und folglich hängt
wortung. Wenn sie das sagen, dann gibt es nämlich an der Einrichtung eine Schuld. Das ist eigentlich
überhaupt erst einmal eine Verhandlungsposition ganz logisch. Aber es war so: Die Städte haben die
zwischen beiden. Einrichtungen bekommen. Aber da zu DDR-Zeiten
völlig willkürlich der einen Kommune die Schulden
Ich will nicht, daß die Gemeinden als in der Tat das erlassen wurden, der anderen Kommune aber nicht,
schwächste Glied in der Kette, die betroffenen 14 % hat die eine Kommune heute aus reiner politischer
unserer Gemeinden, die Hunde beißen oder daß sie Willkür eine Altschuld und die andere nicht. Das
sich durchklagen müssen. Das will ich mit Ihnen können wir doch nicht einfach so akzeptieren. Das
gemeinsam nicht. Ich will Bund und Länder ge- wissen ostdeutsche Abgeordnete besser als Herr Au-
meinsam am Tisch haben. Dann sollen sie einen fai- stermann.
ren Kompromiß aushandeln. Dazu sollten wir un- (Beifall bei der SPD)
sere Unterstützung, wo wir können, geben. Das ist
die Linie, die ich gerne hätte. Darauf können wir Deswegen kann man auch nicht einfach sagen,
uns sicher sehr schnell verständigen, damit wir an im Einigungsvertrag - dem wir zugestimmt haben;
einem so freundlichen Freitagnachmittag nicht zu das ist völlig richtig - sei das so vereinbart worden.
viele Nebelkerzen werfen, an dem alle im Grunde Ich darf Sie daran erinnern - ich nenne ein anderes
genommen wissen, wann ihr Zug fährt oder ihr Altschuldenproblem -, daß das Thema Altschulden
Flugzeug fliegt. der Betriebe eines war, bei dem die SPD angesichts
der Lösungen, die Sie vorgeschlagen haben, Sturm
Herzlichen Dank. gelaufen ist. Ich darf Sie daran erinnern: Wenn sie
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Altschulden der Betriebe mit der Umstellung
2:1 nicht bei den Betrieben belassen hätten, son-
dern gleich übernommen hätten, was faktisch so-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat wieso der Fall ist - fast 100 Milliarden DM werden
jetzt die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier. sowieso von Waigels Kasse übernommen -, wäre
damals ein großes Investitionshindernis wegge-
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrte Frau räumt gewesen.
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als erstes (Beifall bei der SPD)
möchte ich für diejenigen, die nicht mehr hier sind,
eine Lanze brechen. Denn es ist der klassische Fall, Deswegen ist es auch nicht in Ordnung gewesen,
daß wahrscheinlich viele Zuschauer oder andere, die daß sich die Bundesregierung das so lange anschaut.
die Debatte verfolgen, sich fragen: Was machen die Sie hat zugelassen, daß die angeblichen Kredite von
Abgeordneten schon wieder? Sind sie beim Kaffee- der Deutschen Kreditbank „banküblich" bewirt-
trinken, oder liegen sie auf der faulen Haut? Eine schaftet wurden. Im Klartext: Wurde zu DDR-Zeiten
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5635
Ingrid Matthäus-Maier
nur ein symbolischer Zins verlangt - von dem keiner ewerberleistungsgesetzes und anderer Ge-
weiß, ob er überhaupt jemals hätte bezahlt werden setze
müssen schlugen die Zinsen im Jahre 1991 plötz- - Drucksache 13/2746 -
lich mit über 10 % zu Buche. Weil die Städte und Ge- Überweisungsvorschlag:
meinden nicht zahlen konnten oder wegen der un-
Ausschuß für Gesundheit (federführend)
geklärten Rechtslage nicht zahlen wollten - überwie- Innenausschuß
gend war das erste der Fall -, sind aus den 5 Milliar- Finanzausschuß
den DM mittlerweile 8 Milliarden DM geworden. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Uwe Küster hat eindrucksvoll gezeigt: Jeder Tag, Haushaltsausschuß
den wir weiter warten, löst das Problem nicht, son- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
dern erhöht die Schulden und erschwert eine Lö- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich
sung. sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
(Beifall bei der SPD)
Ich eröffne die Aussprache. Als erstes hat der Ab-
Weil Sie noch gefragt haben, was ich, wenn ich da- geordnete Ulf Fink das Wort.
für zuständig gewesen wäre, gemacht hätte: Eines
hätte ich sicher nicht gemacht: das Ganze schönzure- Ulf Fink (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr
den. Noch in der Haushaltswoche im September verehrten Damen und Herren! Die Fraktionen der
1995 habe ich gesagt: Herr Waigel, Ihre Zahlen sind Regierungskoalition bringen heute den Entwurf zur
wieder einmal alle falsch, Sie haben große Risiken Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes ein.
nicht beachtet. In dieser Rede habe ich ausdrücklich Zugleich werden in diesem Gesetzentwurf der Weg-
darauf hingewiesen, daß die ungeklärte Altschulden- fall der originären Arbeitslosenhilfe geregelt und die
frage ein entscheidendes finanzielles Risiko ist. Des- Konsequenzen aus der Übertragung der Zuständig-
wegen darf Herr Waigel heute nicht so tun, als habe keit des öffentlichen Nahverkehrs bezüglich der Be-
er damit nichts zu tun. förderung von Schwerbehinderten gezogen.
Wir fordern die Bundesregierung auf: Erstens. Ver- Es sind natürlich höchst unterschiedliche Berei-
zichten Sie auf Ihren Rechtsanspruch! Wir haben che, die hier geregelt werden. Der Zusammenhang
doch alle nichts davon, wenn die Sache in vier Jah- ist im Finanziellen zu sehen. Anläßlich der Beratun-
ren in Karlsruhe entschieden wird. Wir schieben so- gen der Sozialhilfereform haben der zuständige
wieso zuviel nach Karlsruhe. Bundesminister und ich namens der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion erklärt, daß wir sehr genau dar-
Zweitens. Verzichten Sie auf Mahnbescheide! Die
auf achten wollen, daß die Gemeinden finanziell
Vorstellung, der Bund geht jetzt gegen Städte und
entlastet werden. Der Wegfall der originären Ar-
Gemeinden in Ostdeutschland mit Mahnbescheiden
beitslosenhilfe ist aber eine Belastung der Gemein-
vor, ist doch aberwitzig.
den. Wir haben damals erklärt, daß wir dafür Sorge
(Arnulf Kriedner (CDU/CSU]: Aber dazu tragen wollen, daß diese zusätzliche Belastung voll
hat die Frau Staatssekretärin schon etwas kompensiert wird.
gesagt!) Durch die Änderung des Asylbewerberleistungs-
Drittens. Verzichten Sie darauf, über diesen Weg gesetzes werden die Belastungen durch Wegfall der
die Gemeinden in den Ruin zu treiben! Arbeitslosenhilfe mehr als ausgeglichen. Das heißt
also, den Gemeinden entsteht dadurch keine einzige
Viertens. Lassen Sie uns gemeinsam nach einer zusätzliche Mark an Belastung. Ich freue mich, hier
Lösung suchen! Sie haben einen Antrag von uns zi- sagen zu können: Wir haben Wort gehalten.
tiert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jedenfalls müssen Sie sich bewegen. Nach den
Die Änderungen beim Asylbewerberleistungsge-
Worten von Herrn Kriedner habe ich das Gefühl, das setz sind sachlich vertretbar. Den Betroffenen waren
wäre möglich. Nach den Worten von Frau Karwatzki
die bisherigen höchst unterschiedlichen Regelungen
habe ich allerdings noch nicht den Eindruck, daß der
nur sehr schwer verständlich zu machen. Mit den
Bund verstanden hat, um was es geht.
jetzt vorgesehenen Änderungen wird erreicht, daß
Danke schön. mit Ausnahme der Kriegs- und Bürgerkriegsflücht-
linge alle Asylbewerber und Ausländer, die sich nur
(Beifall bei der SPD - Parl. Staatssekretärin vorübergehend in Deutschland aufhalten, gleiche
Irmgard Karwatzki: Dann haben Sie nicht Leistungen erhalten.
zugehört, Frau Kollegin!) -b
Die Regelung sieht im Kern vor, daß die Ausländer,
die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhal-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Aktuelle ten und sich nicht aus eigener Kraft unterhalten kön-
Stunde ist damit beendet. nen, Sachleistungen erhalten. Die Sachleistungen
decken den Bedarf an Nahrung, Unterkunft, Hei-
Ich rufe Zusatzpunkt 16 auf: zung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege so-
wie an den Verbrauchsgütern des Haushalts ab. Zur
Erste Beratung des von den Fraktionen der Sachleistung kommt ein monatlicher Geldbetrag von
CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs 80 DM für Erwachsene und von 40 DM für Kinder
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asyl hinzu. Dies dient der Deckung der persönlichen Be-
5636 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Ulf Fink
dürfnisse des täglichen Lebens. Hinzu kommt die drohten Menschen bei uns ein menschenwürdiges
ärztliche und zahnärztliche Versorgung bei akuten Leben bieten.
Erkrankungen und Schmerzzuständen. Nur dann,
wenn Sachleistungen nicht möglich sind, wird ein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
um die Integrationskosten abgesenkter Regelsatz ge-
zahlt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
die Kollegin Brigitte Lange.
Das bedeutet: Menschen, die ihr Heimatland aus
religiösen, politischen oder ethnischen Gründen ver-
lassen müssen, können auch in Zukunft in Deutsch- Brigi tt e Lange (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da-
land menschenwürdig leben. men und Herren! Gäbe es einen Preis für Schönfär-
berei bei der Begründung von Gesetzestexten und
Nun zur Arbeitslosenhilfe: Die Arbeitslosenhilfe einen für Rücksichtslosigkeit gegenüber sozial be-
ist eine besondere staatliche Fürsorgeleistung für Ar- nachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft, die
beitnehmer. Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben Bundesregierung bekäme beide.
gegenwärtig aber auch solche Arbeitslosen, die vor
der Arbeitslosenmeldung nicht oder nur kurze Zeit (Beifall bei der SPD und der PDS — Wider-
Arbeitnehmer waren. Sie sollen künftig nicht mehr spruch bei der CDU/CSU)
die besondere staatliche Fürsorgeleistung für Arbeit- Dieser Gesetzentwurf heute ist dafür wieder ein
nehmer erhalten, sondern in dem System gesichert schönes Beispiel. So sprechen Sie in Ihrer Zielset-
werden, dem sie vor der Arbeitslosigkeit angehört zung für die Änderung von drei Gesetzen von einer
haben. „Weiterentwicklung" des Asylbewerberleistungsge-
Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe setzes und verbergen hinter dieser Beg rifflichkeit die
wird zu erheblichen Minderausgaben des Bundes dreifach verlängerte zeitliche Ausgrenzung von mehr
führen und damit einen wichtigen Beitrag zur Haus- Flüchtlingen als bisher aus dem untersten sozialen
haltskonsolidierung leisten. Netz, dem BSHG. Sie äußern sich besorgt um die
„Funktion" der Arbeitslosenhilfe als einer besonde-
Nun zum dritten Komplex: Durch das Gesetz zur ren staatlichen Fürsorgeleistung für Arbeitnehmer
Regionalisierung des öffentlichen Personennahver- und kaschieren damit schlicht die Streichung der
kehrs geht zum 1. Januar 1996 die Verantwortung originären Arbeitslosenhilfe, die Verschiebung von
für den öffentlichen Personennahverkehr auf die arbeitslosen Menschen in die Sozialhilfe und die er-
Länder über. Sie erhalten zur Finanzierung dieser neute zusätzliche Belastung kommunaler Haushalte.
Aufgabe finanzielle Zuweisungen aus dem Mineral-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da haben Sie
ölsteueraufkommen. Zu diesen finanziellen Lasten
nicht zugehört, was vorher gesagt wurde!)
gehören natürlich auch die Kosten, die im Zusam-
menhang mit der unentgeltlichen Beförderung Sie weisen zur Änderung des Schwerbehinderten-
Schwerbehinderter entstehen. Die ausschließliche gesetzes auf die „Aufgabe der Daseinsvorsorge" der
Verantwortung der Länder muß auch im Schwerbe- Länder hin und meinen nichts anderes als die Ko-
hindertengesetz nachvollzogen werden. stenverlagerung vom Bund auf die Kommunen. Die
Zielsetzung dieses Gesetzentwurfes läßt sich aber
Ich denke, es ist gut, daß diese drei Komplexe in
mit einem einfachen Satz zusammenfassen: Der
einem Gesetzentwurf behandelt werden; denn das
Bund will eine Milliarde DM sparen, und zwar zu La-
zeigt, daß der Bund sich der finanziellen Zusammen-
sten von Arbeitslosen und Flüchtlingen, womit er
hänge sehr wohl bewußt ist. Verantwortungsbe-
sich wieder einmal besonders „privilegierte" Grup-
wußte Politik heißt, die Verantwortung gerecht zu
pen heraussucht, und zu Lasten der Kommunen und
verteilen, aber auch dafür zu sorgen, daß diese La-
Länder. Das Schicksal von Menschen machen Sie zur
sten auch getragen werden können.
Verhandlungsmasse: Flüchtlinge gegen Arbeitslose.
Es wird mit Sicherheit eine Debatte darüber ge- Der skandalöse Deal lautet: Wir, der Bund, kürzen
ben, ob die Neuregelung für Asylbewerber und an- die Ausgaben für Flüchtlinge um den Betrag, den die
dere Ausländer gerechtfertigt ist. Kommunen und die Länder für die Mehrausgaben
(Zuruf von der SPD: Ja, allerdings!) für Arbeitslose und für die Übernahme der Erstat-
tung von Fahrgeldausfällen für Schwerbehinderte im
Zu dieser Debatte gehört dann aber auch der Hin- Nahverkehr brauchen. Diese Art Kompensationsge-
weis, daß diese Neuregelung von der Mehrzahl der schäft war es also, die Minister Seehofer einen „an-
Bundesländer und den Flüchtlingsverwaltungen gemessenen Ausgleich" für die Kommunen nannte,
selbst gefordert worden ist. als wir in der ersten Lesung zur Änderung des BSHG
vor weiteren Verschärfungen und Kürzungen im
Der Grundsatz, daß alle Menschen, die zu uns AFG warnten. Die Streichung der originären Arbeits-
kommen, eine gesicherte Existenz haben sollen, losethilfe betrifft ca. 38 000 Arbeitslose, vor allem
wenn sie in ihren Heimatländern aus politischen, re- junge Leute, die nach ihrer Schul-, Hochschul- und
ligiösen und ethnischen Gründen verfolgt werden, Berufsausbildung keine Stelle finden. Auf sie wartet
bleibt für uns unantastbar. Dies ist nicht überall in als deprimierender Sta rt ins Berufsleben eine steile
der Welt selbstverständlich. In vielen Ländern leben Rutschbahn in die Sozialhilfe.
Flüchtlinge in einem unbeschreiblichen Elend. Trotz
der notwendigen Veränderungen werden wir auch in Sozialpolitisch völlig unverantwortlich ist die Strei-
Zukunft in Deutschland sagen können, daß wir be- chung der originären Arbeitslosenhilfe für diejeni-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5637
Brigitte Lange
gen, die fünf Monate und mehr, aber noch keine In sehr zähen Verhandlungen mit Ihnen konnten
zwölf Monate Beiträge gezahlt haben. wir durchsetzen, daß ausschließlich Asylbewerber
und abgelehnte Asylsuchende, deren Ausreise sich
(Beifall bei der SPD) aus eigenem Verschulden verzögerte, unter dieses
Leistungsgesetz fielen. Die Befristung auf zwölf Mo-
Gerade angesichts der zunehmenden Zahl befristeter nate „abgesenkten Leistungsbezugs" war für uns
und ungesicherter Arbeitsverhältnisse dürfen diese schon ein harter Kompromiß, verbunden mit der
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht vom Be- Hoffnung, daß zügigere Verfahren diese F rist unter-
zug von Lohnersatzleistungen ausgeschlossen wer- schreiten würden. Diese Unterschreitung trifft für
den. viele offensichtlich unbegründete Asylbegehren zu,
Mit dieser Salamitaktik - erst die Begrenzung der für alle anderen, d. h. in der Regel für diejenigen, die
originären Arbeitslosenhilfe auf ein Jahr, jetzt die schließlich nach einem Verfahren anerkannt werden,
völlige Streichung - entzieht sich die Bundesregie- nicht.
rung der Verantwortung für ihre eigene Politik und Die hohe Belastung der Verwaltungsgerichte mit
schiebt sie an die Kommunen weiter. Das bedeutet unbearbeiteten Rechtsschutzbegehren aus vergan-
für die kommunalen Haushalte 600 Millionen DM genen Jahren verzögert noch immer eine zügige Be-
Mehrausgaben und für die Betroffenen schlechtere arbeitung neu eingehender Rechtsschutzanträge.
Konditionen als im AFG: zum Teil bei der Höhe der Das ist aber nicht den Asylbewerbern anzulasten.
Leistungen, weil die Bemessungsgrundlage eine un-
terschiedliche ist - einmal der Bedarf, einmal das Den Bezieherkreis zu erweitern und den einge-
letzte Nettoentgelt -, aber immer bei der Anrech- schränkten Leistungsbezug zu verlängern ist der
nung von Vermögen, bevor Anspruch auf Sozialhilfe schlechteste Weg, um Kosten zu mindern. Er schadet
besteht. Das bedeutet auch immer im Vergleich zum extrem den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen,
AFG verschärfte Zumutbarkeitsanforderungen bei und gefährdet den gerade in dieser Frage sehr
Beschäftigungen, die weder tarifgerecht entlohnt brüchigen Frieden.
noch sozialversicherungspflichtig sein müssen, ver-
knüpft mit Leistungskürzungen bei Ablehnung. Es Wenn es Ihnen ausschließlich um die Senkung der
bedeutet für die Betroffenen weniger Fördermöglich- Ausgaben geht, die noch immer Länder und Kommu-
keiten nach dem AFG, als wenn sie Arbeitslosenhilfe nen allein zu tragen haben, dann überlegen Sie mit
bekämen. uns, ob das Beharren auf Sachleistungen fast um je-
den Preis vernünftig ist. Wie jeder Kundige weiß, ist
Diesen massiven Angriff auf das Selbstwertgefühl die Gewährung von Sachleistungen um etliches teu-
der Menschen, die arbeiten wollen, aber auch auf die rer als Geldleistungen.
kommunale Selbstverwaltung mit der „fehlenden Be-
zugsnähe zum Arbeitsmarkt" zu rechtfertigen ist (Beifall bei der SPD)
eine unredliche Zumutung für uns und für die Betrof-
Hier könnte die Stärkung der Autonomie der Men-
fenen ein Hohn.
schen, die zur Menschenwürde gehört, mit Einspa-
(Beifall bei der SPD und der PDS) rungen verbunden werden.

Der Vorschlag, die originäre Arbeitslosenhilfe zu Wenn es Ihnen tatsächlich nur um die Kosten
streichen, ist nicht akzeptabel. geht, dann stimmen Sie unserem Antrag zur Altfall-
regelung zu, der Gerichte entlastet, die Verfahrens-
Mit der Ausweitung des Personenkreises um die dauer neuer Anträge verkürzt, Kosten spart und für
Gruppe der geduldeten Ausländer und die Ausdeh- die auf Entscheidung harrenden Menschen huma-
nung der Befristung auf 36 Monate abgesenkten Lei- ner ist.
stungsbezugs aus dem Asylbewerberleistungsgesetz
Wenn es Ihnen um die Entlastung der Kommunen
verletzen und gefährden Sie den mühsam gefunde-
und Länder geht, dann regeln Sie endlich den bisher
nen und für uns bis an die Schmerzgrenze gehenden
nicht umgesetzten Teil des Asylkompromisses, der
Asylkompromiß. Sie revidieren mit Ihrem Gesetz ge-
Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge betrifft. Ermög-
nau die Verhandlungsergebnisse, die für uns unver-
lichen Sie die Anwendung des § 32 a des Ausländer-
zichtbare Bedingungen waren und sind.
gesetzes,
(Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier
GRÜNEN]: Das kommt davon, wenn man
[SPD])
sich mit denen einläßt!)
der diesen Menschen einen besonderen Aufenthalts-
- Ja, das merken wir langsam. status zusichert! Übernehmen Sie wenigstens einen
Sie setzten sich damals mit dem Argument der Ab- Teil der Kosten! Darauf warten Länder und Kommu-
schreckung und des Mißbrauches durch. Wir schei- nen bis heute vergebens.
terten an Ihnen mit dem Argument der ungeteilten (Beifall bei der SPD)
Menschenwürde, die wir durch A rt und Höhe der
Leistung gefährdet sahen und sehen. Praktische Er- Art. 1 unseres Grundgesetzes ist Verpflichtung und
fahrungen mit diesem Gesetz - eine zum Teil sehr Auftrag. In allem, was wir von hier aus beschließen,
problematische Handhabung - haben diese Beden- muß er für alle Menschen in unserem Land real er-
ken eher bestätigt. fahrbar sein. Die vielzitierte Standortfrage kann nicht
5638 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Brigitte Lange
an diesem Artikel vorbei beantwortet werden. Das Ausmaß zu Bedürftigen. Dann sprechen Sie einem
gilt auch für den Umgang mit Flüchtlingen. Teil dieser Flüchtlinge die Bedürftigkeit ab und ge-
ben ihnen nur gekürzte Leistungen. Zwei Jahre spä-
Danke. ter reden Sie euphemistisch davon, daß doch alle
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Flüchtlinge gleich behandelt werden müßten, ja, Sie
ten der PDS) führen sogar „die Betroffenen" ins Feld, die angeb-
lich kein Verständnis für Ungleichbehandlung hät-
ten. Auf so etwas muß man erst einmal kommen: die
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat die Betroffenen dafür in Anspruch zu nehmen, daß alle
Kollegin Andrea Fischer das Wort. gleich schlecht behandelt werden wollen. „Gleich-
behandlung" ist nicht zwangsläufig ein positiver Be-
Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- griff. Sie machen das hier sehr deutlich, wenn Sie
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! eine Gleichbehandlung in Unrecht schaffen wollen.
Nach 13 Jahren CDU-F.D.P.-Regierung glaubt man
sich gegen Ihre Maßnahmen doch schon ziemlich ab- Mit Ihren Maßnahmen treffen Sie Menschen, die
gehärtet. Dieses Vorhaben hat mich aber wirklich er- nicht aus eigenem Verschulden jahrelang auf eine
schüttert; das muß ich schon sagen. Entscheidung ihres Asylverfahrens warten müssen.
Es sind nämlich gerade die offensichtlich begründe-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind ja ten Anträge, die über Jahre hinweg nicht entschie-
noch nicht so lange dabei!) den werden. Sie können doch nicht die Flüchtlinge
dafür bestrafen, daß die Behörden und Gerichte säu-
Sie wollen die originäre Arbeitslosenhilfe abschaf-
mig sind.
fen und sich aus der Finanzierung der Fahrtkosten
für Schwerstbehinderte zurückziehen. Damit die Aber Ihr Vorhaben ist ja nicht nur moralisch ver-
ohnehin gebeutelten Kommunen dagegen nicht zu werflich. Es ist darüber hinaus auch noch ökonomi-
laut protestieren, wollen Sie kompensieren, indem scher Unfug, wie Sie sicherlich wissen. In der Be-
Sie bei den Flüchtlingen sparen. Das, so finde ich, ist gründung Ihres Gesetzentwurfes kalkulieren Sie mit
schon ausgeklügelte Perfidie: eine Umverteilung 250 Millionen DM Verwaltungskosten, die die aus-
zwischen Arbeitslosen, Behinderten und Flüchtlin-
geweitete Sachleistungsgewährung zusätzlich ver-
gen. Erzählen Sie uns bitte nie wieder, Sie wollten schlingt. Das heißt, Sie nehmen in Kauf, daß ein
den Sozialstaat zugunsten der wirklich Bedürftigen Fünftel des von Ihnen vorgesehenen Einsparpoten-
umbauen! tials für sinnlosen Verwaltungsaufwand draufgeht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Seehofer, wenn Ihnen ein Wohlfahrtsverband
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten einen so hohen Verwaltungskostenanteil präsen-
der PDS) tierte, wären Sie doch der erste, der die Zusammen-
arbeit kündigen würde.
SPD, CDU und F.D.P. haben 1993 ein Leistungssy-
stem unterhalb der Sozialhilfe eingeführt. Das ist in Angesichts der spiralförmigen Ausweitung der ver-
meinen Augen noch immer ein Sündenfall wider das minderten Leistungsgewährung auf immer mehr
Sozialstaatsgebot; denn wenn Menschen auf der Flüchtlinge wird sich der vermeintliche Erfolg, den
Flucht zu uns kommen, dann müssen sie von uns die F.D.P. hier vorweisen will, bald als Strohfeuer er-
auch anständig behandelt werden. weisen. Spätestens in einem Jahr wird die Schamfrist
vorbei sein, und weitere Menschen werden in die ab-
Begründet wurde diese Schlechterstellung von
solute Armut getrieben.
Flüchtlingen damals damit, daß sie ja nur kurzzeitig
hier seien. Abgesehen davon, daß dies schon damals
Ihrem weinerlichen Protest, meine Kolleginnen
kein akzeptables Argument war, definieren Sie jetzt
und Kollegen von der SPD, trauen wir nicht für fünf
in Ihrem neuen Gesetzentwurf einen kurzzeitigen
Pfennig.
Aufenthalt als „bis zu drei Jahren" . Drei Jahre lang
also sollen 260 000 Menschen nicht frei über ihre Er-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vorsicht!)
nährung entscheiden können, drei Jahre lang sollen
sie keine angemessene medizinische Betreuung er-
Sie haben sich am Asylbewerberleistungsgesetz be-
fahren.
teiligt. Sie waren dabei, als der sozialstaatliche Kon-
Ich denke, mit dieser beispiellosen Diskriminie- sens auf Kosten der Flüchtlinge aufgekündigt wurde.
rung einer Bevölkerungsgruppe verspielen Sie jede Also werden Sie auch hier wieder einknicken und
Legitimation als Sozialpolitiker. schließlich mit Herrn Seehofer gemeinsam gemeine -
Sache machen. Immerhin hat der niedersächsische
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innenminister Glogowski - meiner Kenntnis nach ein
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Parteifreund von Ihnen - Herrn Seehofer bereits
PDS) schriftlich aufgefordert, doch endlich einmal mit dem
Es ist doch gerade der Sinn der Sozialpolitik, die Inte- Gesetz in die Puschen zu kommen, das auf Kosten
gration aller in die Gesellschaft zu leisten, gerade der Flüchtlinge sparen soll.
auch der Schwachen.
Wir Bündnisgrüne werden uns an dieser Koalition
Sie aber machen die Flüchtlinge durch Arbeits- der Ausländerfeindschaft nicht beteiligen und wei-
verbote überhaupt erst in dem von Ihnen beklagten terhin dafür kämpfen, daß Flüchtlinge genauso wie
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5639
Andrea Fischer (Berlin)
alle anderen Menschen in Deutschland behandelt und das halte ich wirklich für wichtig, denn erinnern
werden. wir uns doch: Wir wollten für sie einen Sonderstatus
haben, der nicht ausgefüllt worden ist, und das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liegt doch nicht allein beim Bund, Frau Kollegin
und bei der PDS) Matthäus-Maier.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
jetzt die Kollegin Schmalz-Jacobsen. ten der CDU/CSU)
Das liegt an der mangelnden Verhandlungsbereit-
Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Frau Präsi- schaft und Starrheit beider Seiten, aber da kann man
dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir disku- nicht die Bürgerkriegsflüchtlinge sozusagen bestra-
tieren hier vor dem Hintergrund großer finanzieller fen und sagen: Ihr bekommt keinen Sonderstatus,
Engpässe bei Bund, Ländern und Gemeinden. Die der ausgefüllt ist, aber dafür geringere Leistungen. -
Sparzwänge machen es notwendig, alle sozialen Lei- Außerdem war die „Philosophie" eine ganz andere.
stungen auf den Prüfstand zu stellen. Auch wenn Sie Meine Redezeit reicht nicht aus, das zu erklären.
es vielleicht mühsam finden, mir dies abzunehmen:
Es sind die Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis
Es fällt besonders schwer, dies am unteren Ende der
nicht betroffen - das sind auch Menschen, die vor-
Leiter zu tun, denn wir können nicht nur von Zahlen
übergehend hier sind -, und eine weitere Kumulie-
reden, wir reden auch von Menschen. Mit Verlaub,
rung mit abgesenkten Leistungen ist ausgeschlossen
es sind Menschen, denen ich öfter begegne als man-
worden.
che andere, die hier im Hause sitzen. Dennoch muß
man abwägen, und man muß schließlich einen Kom- Ich will eines sagen. Bei der Frage der Sachleistun-
promiß finden, denn es sind sehr unterschiedliche In- gen, wo ja „im Regelfall" steht, werden die Länder
teressen zu wahren. Es sind die Interessen der ver- und Gemeinden, die das heute schon tun, interes-
schiedenen politischen Ebenen zu wahren. Es sind sante und kreative Lösungen weiter verfolgen kön-
die Interessen der verschiedenen Menschen, die in nen. Ich möchte das nicht vertiefen. Wer Interesse
diesem Land leben, zu berücksichtigen. hat, der weiß, wie das geht.
Bitte erlauben Sie mir, daß ich eine Bemerkung in Ich möchte Sie aber bitten, eines zur Kenntnis zu
eigener Sache mache. Ich persönlich werde sehr nehmen. Das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen.
stark angegangen von christlichen und anderen Ver- Wir verfahren künftig ganz ähnlich und zum Teil
bänden und Vereinigungen. Das war nicht anders zu sogar immer noch großzügiger, als unsere euro-
erwarten. Aber ich will Ihnen hier sagen: Ich habe päischen Nachbarländer das tun. Selbstverständlich
mir sehr gründlich überlegt, ob ich mich aus diesem orientiert sich die Hilfe für Bedürftige an der Wirt-
schwierigen Thema heraushalten soll, ob ich abwar- schaftskraft eines Landes, und ich habe zu Beginn
ten soll, um mich hinterher enttäuscht zu zeigen und von den Sparzwängen gesprochen.
meine Hände in Unschuld zu waschen. Das wäre me-
dienwirksam und bequem; ehrlich wäre es nicht. Es muß doch auch noch einmal gesagt werden, daß
die Bundesrepublik einfach die weitaus größte Zahl
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) von Flüchtlingen und Asylbewerbern aufgenommen
Ich habe den etwas unbequemeren Weg gewählt hat und aufnimmt. Ich will Ihnen das nur sagen: Im
und meinen Standpunkt sehr deutlich in die Ver- März 1995 waren es bei uns 350 000 Flüchtlinge; bei
handlungen eingebracht. den Asylbewerbern haben wir im vergangenen Jahr
- und das waren weniger als vorher - 127 000 aufge-
Mir ging es darum, den Kreis derjenigen, die abge- nommen, in den letzten fünf Jahren 1 337 000. Die
senkte Leistungen erhalten, so klein wie irgend mög- nächsten in dieser Reihenfolge sind dann die Schwe-
lich zu halten. Das ist mir und meiner Fraktion gelun- den, deren Land natürlich viel kleiner ist, aber sie ha-
gen, übrigens auch gegen die Signale, die im Vorfeld ben nicht einmal 200 000 Asylbewerber aufgenom-
gerade auch SPD-regierte Länder und Städte ein- men. Ich denke, es ist schon wichtig, diese Zahlen
stimmig, wie ich gehört habe, ins Feld geführt haben. zur Kenntnis zu nehmen.
(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Aha! Das ist interes (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
sant zu hören!) ten der CDU/CSU)
Darum, wenn Sie, meine Kolleginnen und Kollegen Meine Kolleginnen und Kollegen, es wird auch in
von der SPD, die Hände über dem Kopf zusammen- Zukunft kein Ausländerleistungsgesetz geben, das
schlagen, dann tun Sie das bitte nur mit ganz leisem für alle, die hier nur vorübergehend leben, Gültigkeit -
Geklapper, denn es ist nicht ganz ehrlich. hat, und dies, mit Verlaub, weiß auch Herr Minister
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und Seehofer sehr genau.
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
Das ist doch alles nicht leicht, und zwar für nieman- ten der CDU/CSU - Andrea Fischer [Berlin]
den. Das braucht doch keiner zu denken. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen
wir hoffen!)
Am Ende haben wir einen Kompromiß erzielt, der
die Bürgerkriegsflüchtlinge nicht einbezieht,
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
(Beifall bei der F.D.P.) jetzt die Abgeordnete Heidi Knake-Werner.
5640 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Frau Präsidentin! Asylbewerber im ersten Aufenthaltsjahr bleiben
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fink hat würde.
sich ja zu Beginn seiner Rede darüber gefreut, daß er
mit dieser Gesetzesvorlage den Kommunen gegen- Es mußte Ihnen klar sein, daß die seinerzeitige For-
über sein Sparversprechen einhalten konnte. Ich mulierung des Familienausschusses, daß bei einem
frage mich manchmal, lieber Kollege, ob Sie eigent- längeren Aufenthalt „nicht mehr auf einen geringe-
lich auch im Blick haben, daß es dabei um Menschen ren Bedarf abgestellt werden kann", bei dieser Re-
geht, um Menschen mit Schwerstbehinderungen, um gierung nicht Bestand haben würde. Auch Ihre Lan-
Flüchtlinge, um Arbeitslose. Hoffentlich gerät Ihnen desminister haben da keine besonders rühmliche
das nicht immer aus Ihren Zusammenhängen. Rolle gespielt.

Ich jedenfalls kann für die PDS erklären, daß für Ich hoffe, daß wir gemeinsam zu dem Grundsatz
uns der vorgelegte Gesetzentwurf absolut unakzep- zurückkehren können, daß die Menschenwürde in
tabel ist. Wir wissen uns mit vielen Menschen einig, diesem Lande unteilbar ist. Ich finde, Sie sollten sich
die sich über die permanente Aushöhlung des So- nicht länger an dem Spiel der Regierung beteiligen,
zialstaates Sorgen machen und tief empört sind. die Integrationskosten - wie sich der Minister aus-
drückt - für die eine Gruppe gegen die der anderen
In dankenswerter Offenheit bietet die Koalition aufzurechnen. Dieses Politikkonzept spielt eine
den Ländern und Gemeinden einen, wie ich finde, schwache Bevölkerungsgruppe gegen die andere
ziemlich unappetitlichen Deal an. Laßt uns bei den aus. Es handelt sich - das sage ich mit allem Nach-
ungelittenen Flüchtlingen, Migranten und Migran- druck - um einen bürokratisch durchgestylten staat-
tinnen noch mehr streichen, dann könnt ihr auch un- lichen Rassismus, der Neid, Haß und Gewalt in die
sere Abschiebung von Arbeitslosen in die Sozialhilfe Gesellschaft trägt und schürt.
finanziell verkraften.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Na, na, na!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie was
gegen Flüchtlinge? Frechheit!) Die Bundesregierung kürzt nicht nur, sie meißelt
an den Fundamenten dieser Gesellschaft. An dieser
Scheinbar werden hier nur finanzielle Größen hin- Politik will sich die PDS nicht beteiligen.
und hergeschoben, doch tatsächlich findet ein Scha-
cher mit dem Schicksal und den Lebensmöglichkei- (Beifall bei der PDS - Zuruf von der SPD:
ten von Hunderttausenden von Menschen in diesem Das ist auch besser so!)
Lande statt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wagen von Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da-
Schacher zu sprechen, ausgerechnet Sie!) mit die Aussprache.
Allein schon die Ausführungen in der Begründung Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
des Gesetzentwurfes sind ein sozial- und gesell- entwurfes auf Drucksache 13/2746 an die in der
schaftspolitischer Skandal. Aber ich sage auch: Diese Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
Entwicklung war vorauszusehen. Jeder, der die Poli- gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
tik dieser Regierung über längere Zeit beobachtet, nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos-
weiß, daß eines ihrer zentralen Politikkonzepte lau- sen.
tet: die soziale Spaltung vertiefen, schon dadurch,
daß die sozial Schwächsten allein die Misere der Wir sind damit - sehr spät - am Schluß unserer
Staatsfinanzen ausbaden sollen. Tagesordnung.

Als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
SPD - auch ich möchte Ihnen das nicht ersparen -, destages auf Dienstag, 7. November 1995, 14 Uhr
sich 1993 im Rahmen des großen Asylkompromisses ein.
auf das Asylbewerberleistungsgesetz einließen, hät- Die Sitzung ist geschlossen.
ten Sie eigentlich wissen können, daß es nicht bei
den Leistungskürzungen und Sachleistungen für (Schluß der Sitzung: 16.27 Uhr)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5641*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1
entschuldigt bis
Abgeordnete(r)
einschließlich
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 27. 10. 95
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) SPD 27. 10. 95
einschließlich Thieser, Dietmar
Tippach, Steffen PDS 27. 10. 95
Antretter, Robe rt SPD 27. 10.95
Titze-Stecher, Uta SPD 27. 10. 95
Barthel, Klaus SPD 27. 10. 95
Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 27. 10. 95
Blunck, Lilo SPD 27. 10. 95
Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 27. 10. 95
Conradi, Peter SPD 27. 10. 95
Zierer, Benno CDU/CSU 27. 10. 95 *
Dietert-Scheuer, Amke BÜNDNIS 27. 10. 95
90/DIE
GRÜNEN *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Dr. Dobberthien, SPD 27. 10. 95
Marliese **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen
Union
Günther (Plauen), F.D.P. 27. 10. 95
Joachim
Dr. Hartenstein, Liesel SPD 27. 10. 95
Hempelmann, Rolf SPD 27. 10. 95
Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 27. 10. 95 Anlage 2
Dr. Jacob, Willibald PDS 27. 10. 95 Amtliche Mitteilungen
Jüttemann, Gerhard PDS 27. 10. 95 Der Bundesrat hat in seiner 689. Sitzung am 13. Oktober 1995
beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw.
Kuhn, Werner CDU/CSU 27. 10. 95 einen Antrag gemäß § 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen:
Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 27. 10. 95 - Achtzehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengeset-
90/DIE zes und Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Europaabge-
ordnetengesetzes
GRÜNEN
- Gesetz zu dem Vertrag vom 26. Mai 1993 zwischen der Bun-
Marten, Günter CDU/CSU 27. 10. 95 ** desrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand
über die Überstellung von Straftätern und über die Zusam-
Meißner, Herbe rt SPD 27. 10. 95 menarbeit bei der Vollstreckung von Strafurteilen
Neumann (Berlin), Kurt SPD 27. 10. 95 - Gesetz zu den Protokollen vom 19. Dezember 1988 betref-
fend die Auslegung des Übereinkommens vom 19. Juni 1980
Dr. Pinger, Winfried CDU/CSU 27. 10. 95 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwenden-
de Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemein-
Dr. Reinartz, Bertold CDU/CSU 27. 10.95 schaften sowie zur Übertragung bestimmter Zuständigkei-
ten für die Auslegung dieses Übereinkommens auf den
Schaich-Walch, Gudrun SPD 27. 10. 95 Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

Scheel, Christine BÜNDNIS 27. 10. 95 Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Schreiben
vom 25. Oktober 1995 folgende Vorlagen zurückgezogen:
90/DIE
GRÜNEN - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetzes (Wahl der Richter und Richterinnen)
Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 27. 10. 95 - Drucksache 13/1626 -
90/DIE - Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Schutz des
GRÜNEN Menschen und der Umwelt - Wege zu einem dauerhaft
umweltverträglichen Umgang mit Stoffen und Energien"
Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 27. 10. 95 - Drucksache 13/98 -
Andreas - Antrag: Das Meer ist keine Müllhalde
- Drucksache 13/1727 -
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 27. 10. 95
Hans Peter Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß
der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung
Schultz (Everswinkel), SPD 27. 10. 95 von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen
absieht:
Reinhard
Ausschuß für Wirtschaft
Schumann, Ilse SPD 27. 10. 95
Drucksachen 13/1376, 13/1787 Nr. 1.1
Steindor, Marina BÜNDNIS 27. 10. 95
90/DIE Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
GRÜNEN Drucksachen 12/6960, 13/725 Nr. 132
5642* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ausschuß für Wirtschaft


und Entwicklung Drucksache 13/1338 Nr. 2.2
Drucksachen 12/7063, 13/725, Nr. 174 Drucksache 13/1442 Nr. 1.4
Drucksache 13/1799 Nr. 2.4
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitge- Drucksache 13/2306 Nr. 2.27
teilt, daß der Ausschuß nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Un-
terrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
genommen oder von einer Beratung abgesehen haben. Drucksache 13/725 Nr. 137
Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/725 Nr. 139
Drucksache 13/269 Nr. 1.4
Drucksache 13/2306 Nr. 2.67
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und
Innenausschuß Reaktorsicherheit
Drucksache 13/765 Nr. 1.20 Drucksache 13/218 Nr. 98
Drucksache 13/765 Nr. 1.21
Ausschuß für die Angelegenheiten der
Finanzausschuß Europäischen Union
Drucksache 13/478 Nr. 1.2
Drucksache 13/1614 Nr. 2.10
Drucksache 13/1038 Nr. 15
Drucksache 13/1614 Nr. 2.11 Drucksache 13/1338 Nr. 1.6
Drucksache 13/2306 Nr. 2.13 Drucksache 13/1614 Nr. 1.9
Drucksache 13/2306 Nr. 2.61 Drucksache 13/1799 Nr. 1.1

Berichtigung
Im Anhang zum stenographischen Protokoll der 53. Sitzung des
Deutschen Bundestages vom 8. September 1995 zu EU-Vor-
lagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament
ist unter dem Titel Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten die Drucksachennummer 13/725, Nr. 107, Nr. 108,
Nr. 112 und Nr. 124 ersatzlos zu streichen.

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