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D eutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
19. Sitzung
Inhalt:
sicherung und der Geldleistungen der Hannelore Rönsch, Bundesminister BMFuS 1235A
gesetzlichen Unfallversicherung im Dr. Ulri ch Böhme (Unna) SPD 1237 C
Jahre 1991 (Drucksachen 12/197, 12/286,
12/287) Christina Schenk Bündnis 90/GRÜNE . 1239 C
Beschlußempfehlung und Bericht des Dr. Walter Hitschler FDP 1241A
Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 1241B
nung zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung zu dem Heinz Hübner FDP 1242 A
Bericht der Bundesregierung über die Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 1244 A
gesetzlichen Rentenversicherungen, ins- Eva-Maria Kors CDU/CSU 1245 B
besondere über deren Finanzlage in den
künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß Dr. Rose Götte SPD 1246C, 1251 C
§§ 1273 und 579 der Reichsversiche- Dr. Walter Hitschler FDP 1248 A
rungsordnung, § 50 des Angestelltenver- Dr. Ma ri a Böhmer CDU/CSU 1248D
sicherungsgesetzes und § 71 des Reichs-
knappschaftsgesetzes (Rentenanpas- Dr. Rose Götte SPD 1250 C
sungsbericht 1990) und dem Stefan Schwarz CDU/CSU 1251A
Gutachten des Sozialbeirats zur Anpas- Nächste Sitzung 1252 C
sung der Renten der gesetzlichen Ren-
tenversicherung und zu den Vorausbe-
Anlage 1
rechnungen der Bundesregierung über
die Entwicklung der Finanzlage der ge- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1253* A
setzlichen Rentenversicherung (Druck-
sachen 11/8504, 12/286) Anlage 2
Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 1227 C Redaktionelle Berichtigungen zur Beschluß-
Barbara Weiler SPD 1228 D empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/289 —, zu Protokoll gege-
Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 1229 D ben von dem Berichterstatter zu Drucksache
12/104 Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung
Petra Bläss PDS/Linke Liste 1230 C (CDU/CSU) 1254* A
Dr. Eva Pohl FDP 1231 B
Anlage 3
Christina Schenk Bündnis 90/GRÜNE . 1232 B
Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Alfons Müller (Wesseling) CDU/CSU . . 1233 A
Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU) zur Ab-
Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 1233 C stimmung über den Tagesordnungspunkt 10
(Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafpro-
Tagesordnungspunkt 13: zeßordnung, Entwurf eines Gesetzes zur Ein-
Beratung der Unterrichtung durch die schränkung von Rüstungsexporten, Antrag
Bundesregierung Bericht über die in der Fraktion der SPD: Maßnahmen zur Ein-
den Jahren 1986 bis 1988 gemachten schränkung von Rüstungsexporten) . . 1254*C
Erfahrungen mit dem Gesetz über die
Gewährung von Erziehungsgeld und Anlage 4
Erziehungsurlaub (Drucksache 11/
8517) Amtliche Mitteilung 1254*C
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1203
19. Sitzung
Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Rüstungsexportverbot ins Grundgesetz —
ren, die Sitzung ist eröffnet. Stopp der Rüstungsproduktion
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die — Drucksachen 12/119, 12/116, 12/289 —
verbundene Tagesordnung um die Sammelüber- Berichterstatter:
sicht 10 zu Petitionen — Drucksache 12/291 — erwei- Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung
tert werden.
Darüber hinaus besteht Einvernehmen, den in der Zu dem genannten Gesetzentwurf liegen zwei Ent-
gestrigen Plenarsitzung bereits überwiesenen Achten schließungsanträge der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
Jugendbericht nachträglich auch dem Ausschuß für vor.
Familie und Senioren zur Mitberatung zu überwei- Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung
sen. 90 Minuten vereinbart worden. — Ich sehe auch dazu
Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen keinen Wiederspruch. Dann ist das ebenfalls be-
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. schlossen.
Der Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses,
Herr Kollege Dr. Rudolf Sprung, hat darum gebeten,
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: daß einige Berichtigungen zur Beschlußempfehlung
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines des Ausschusses zu Protokoll genommen werden.
Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschafts- Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch.
gesetzes und der Strafprozeßordnung Dann können wir so verfahren.
— Drucksachen 12/104, 12/209, 12/218 — Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge-
ordnete Dr. Rudolf Sprung.
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)
Dr. Rudolf Sprung (CDU/CSU): Herr Präsident!
— Drucksache 12/289 —
Meine Damen und Herren! Die heute anstehende
Berichterstatter: zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Geset-
Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung zes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und
der Strafprozeßordnung steht im Blick einer beson-
Zweite und dritte Beratung des von der Frak- ders kritischen und sensiblen Öffentlichkeit, die zwi-
tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
schen zwei Erwartungshaltungen schwankt: Auf der
setzes zur Einschränkung von Rüstungsexpor- einen Seite haben die illegalen Rüstungsexporte eini-
ten
ger weniger deutscher Unternehmen in den Irak im
— Drucksache 12/120 — In- und Ausland für Aufregung, ja Entsetzen gesorgt.
Mit Recht! Die Vorstellung, daß ausgerechnet Israel
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
nach einem provozierten Hineinziehen in den Golf-
schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)
krieg indirekt Opfer von kriminellen Deutschen und
— Drucksache 12/289 — deren illegal exportierten Waffen werden könnte, er-
Berichterstatter: füllte uns alle mit Sorge und Scham, die ausländischen
Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung Nachbarn und Verbündeten mit Argwohn. Daß hier
— wie sich am Ende herausgestellt hat — auch Unauf-
(Erste Beratung 9. Sitzung) richtigkeit mit im Spiel war, um von einigen Verfeh-
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- lungen im befreundeten Ausland abzulenken, soll
schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem hier nicht debattiert werden.
Antrag der Fraktion der SPD Maßnahmen zur Auf jeden Fall war zügiges Handeln gefordert. Das
Einschränkung von Rüstungsexporten zu dem Hinwegsetzen über den Grundsatz der Nichtgeneh-
Antrag der Abgeordneten Frau Lederer und migung von Rüstungsexporten in Nicht NATO Län-
- -
der Abgeordneten der PDS/Linke Liste der dokumentierte diesen Zugzwang, dem sich alle
1204 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Hermann Bachmaier
ließ im übrigen keinen Zweifel daran, wieso es sich ger zu schauen und ihnen schon im Vorfeld das Hand-
gezwungen sah, den Rüstungsexporteur — hören Sie werk zu legen.
doch einmal genau hin; ich versuche nicht, hier Meine Damen und Herren, diese Zitate belegen mit
schwarz-weiß zu malen, wie Sie schnell merken wer- aller Deutlichkeit aber auch, daß eine dem Bundes-
den — wirtschaftsministerium zugeordnete Exportkontroll-
(Roth [SPD]: Das ist die Wahrheit!) institution schon strukturell nicht in der Lage sein
strafrechtlich auch noch so komfortabel zu behandeln. kann, wirksame Kontrolle auszuüben.
Zugunsten des Angeklagten, hieß es da, sei zu be- Unter der erdrückenden Fülle immer neuer Berichte
rücksichtigen, daß ihm die staatlichen Stellen die Tat über die tiefe Verstrickung deutscher Unternehmen in
leicht gemacht haben. Zur Durchführung der Exporte die Aufrüstung des Irak bis hin zur Lieferung von
habe es keiner Nacht-und-Nebel-Aktion bedurft. Massenvernichtungstechnologien war die Bundesre-
(Dr. Vogel [SPD]: Aha!) gierung genötigt, Initiativen gegen den Rüstungs-
export zu ergreifen. Wer allerdings geglaubt hatte,
Der Exporteur habe, so wörtlich, keinesfalls besonders
daß die Regierung nach diesen schlimmen Erfahrun-
raffiniert vorgehen müssen, um sein Ziel zu errei-
gen ihre bisherige expansive und extensive Rüstungs-
chen.
exportpolitik einschränken und einen Prozeß des Um-
(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)
denkens einleiten würde, wurde enttäuscht. Mit dem
Jetzt kommt es: Obwohl dem Wirtschaftsministe- Segen der Bundesregierung sollen Tornados und U-
rium und auch dem damaligen Wirtschaftsminister Boote nach Südkorea ebenso exportiert werden wie
Panzerabwehrraketen nach Indien und U-Boote nach
(Dr. Vogel [SPD]: Straußbriefe!)
Israel.
dieses Urteil zur Kenntnis gebracht wurde und im
Nachdem die sogenannten legalen Rüstungs-
Wirtschaftsministerium sogar noch Verbesserungs-
exporte in den vergangenen Jahren drastisch ange-
vorschläge erarbeitet wurden, geschah gar nichts.
stiegen sind, soll offensichtlich auch in Zukunft kräftig
Erst nach dem Rabta-Skandal fing man unter dem genehmigt und exportiert werden. Von Lehren aus
öffentlichen Druck so ganz langsam an, die einschlä- den bitteren Erfahrungen des Golfkrieges kann bis-
gigen Strafvorschriften zu verschärfen. lang keine Rede sein.
(Dr. Vogel [SPD]: So war es!) Während die Bundesregierung nicht im Traum
daran denkt, ihre Genehmigungspraxis einzuschrän-
Kein Wunder also — jetzt kommt die bittere Konse-
ken, verlangen wir heute eine verbindliche gesetzli-
quenz —, daß der Giftgasexporteur aus Lahr noch im
che Festlegung darauf, daß im Vorgriff auf eine spä-
vergangenen Jahr so behandelt wurde, als hätte er
tere Verfassungsnorm bereits jetzt Waffenexporte in
lediglich ein verzeihliches Kavaliersdelikt began-
gen.
Staaten außerhalb der NATO gesetzlich untersagt
werden. Dem können Sie heute zustimmen; das wäre
Vieles konnte unter den Augen der Behörden ganz doch ein deutliches Zeichen.
legal exportiert werden,
(Beifall bei der SPD)
(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)
Mit einer rechtsstaatlich äußerst gefährlichen Mini-
weil die Maschen des Außenwirtschaftsrechtes nach mallösung versucht die Bundesregierung, von ihrer,
wie vor zu weit geknüpft sind und weil die Ideologie wie gesagt, extensiven Genehmigungspraxis abzu-
der Exportförderung immer den Vorrang vor wirksa- lenken und den Eindruck zu erwecken, sie würde
men Kontrollen hatte. nunmehr unnachsichtig Rüstungsexporteure verfol-
gen und dingfest machen.
(Dr. Vogel [SPD]: Ja!)
Einem jahrelangen grenzenlosen Schlendrian, Herr
Da sprachen leitende Beamte im Atomskandal-Unter-
Marschewski, bei der Konotrolle illegaler Rüstungs-
suchungsausschuß davon, daß es nicht die Aufgabe
der Exportkontrolleure sei, so wörtlich, der deutschen
exporte soll nunmehr durch hektisch zusammenge-
zimmerte Strafrechtsnormen und darauf aufbauende
Industrie Knüppel in den Weg zu legen. Da war davon
Telefonabhörermächtigungen zu Leibe gerückt wer-
die Rede, daß im Zweifel für den Exporteur entschie-
den, die in bedenklicher Weise in das verfassungs-
den worden sei, weil nach der Rechtslage die Export-
rechtlich geschützte Post- und Fernmeldegeheimnis
freiheit Vorrang habe.
auch einer Vielzahl Unbeteiligter eingreifen.
Wen wundert es da noch, daß Geheimdiensthin-
weise auf illegale Exporte als lästige Arbeitsbeschaf- (Marschewski [CDU/CSU]: Wie wollen Sie
fungsmaßnahmen abgelehnt wurden und daß ein frü- es denn machen? Es geht gar nicht an
herer Kontrollbeamter aus dem Bundesamt für Wirt- ders!)
schaft gar meinte, anonyme Papiere, also Geheim- Andere wirksame Instrumente zur Aufdeckung und
diensthinweise, dieser Art landen bei mir normaler- Verhinderung illegaler Rüstungsexporte werden
weise im Papierkorb. Die Zitate ließen sich beliebig nicht einmal in Betracht gezogen.
fortsetzen.
Wie Sie wissen, haben wir die uns bekannten Rü-
Wer seine Aufgabe vorwiegend darin sah, für die stungsexportverstöße in den Untersuchungsausschüs-
Wirtschaft dazusein, Exporte grundsätzlich zu fördern sen gründlich unter die Lupe genommen. Deshalb
und nicht gleichrangig zu kontrollieren, der ist schon wissen wir, daß verfassungsrechtlich einwandfreie -
aus seinem Selbstverständnis heraus nicht in der Methoden, wie wir sie in unserem Gesetzentwurf und
Lage, skrupellosen Rüstungsexporteuren auf die Fin Entschließungsantrag vorschlagen, dann, wenn sie
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1207
Hermann Bachmaier
kompetent durchgeführt werden, nicht nur geeignet, Post- und Fernmeldegeheimnisses in Mitleidenschaft
sondern auch ausreichend sind, illegale Rüstungs- gezogen werden können und wohl auch werden.
exporteure nicht nur nach der Tat zu fassen, sondern
Wir brauchen keinen grenzenlosen Überwachungs-
auch die geplanten Rüstungsexporte zu verhindern.
staat, um den illegalen Rüstungsexporteuren das
(Zuruf von der CDU/CSU: Wie wollen Sie das Handwerk zu legen.
machen?)
(Beifall bei der SPD)
Dies gilt für rechtzeitig, und, wie gesagt, kompetent
Der Rechtsstaat ist stark genug, um diese Aufgabe mit
durchgeführte Außenwirtschaftsprüfungen ebenso
rechtsstaatlich einwandfreien Mitteln zu lösen.
wie für strafbewehrte Anzeigen und Anzeigepflichten
sowie für eine strafprozessual geregelte legale Abhör- (Marschewski [CDU/CSU]: Das ist doch ein
berechtigung dann, wenn ein konkreter Verdacht be- wandfrei!)
steht.
Daß Sie ganz genau wissen, welch gefährliche Ope-
(Marschewski [CDU/CSU]: Was haben wir ration Sie an unserer verfassungsrechtlichen Grund-
denn geregelt?) ordnung vornehmen wollen, das zeigt auch die Tatsa-
che, daß Sie immer wieder neue Formulierungen vor-
— Hören Sie nur zu! Sie hätten bei dem bleiben kön-
genommen und Ergänzungen hinzugefügt haben und
nen, was wir vorgeschlagen haben.
nunmehr diese unerträglich extensive Abhörermäch-
Wir fordern deshalb eine verbindliche gesetzliche tigung lediglich bis zum 31. Dezember 1994 befristen
Regelung, daß gründliche Außenwirtschaftsprüfun- wollen. Was soll das eigentlich? Was soll denn danach
gen in allen Fällen bereits dann durchgeführt werden kommen, wenn Sie uns bisher andere Instrumente
müssen — nicht nur durchgeführt werden können —, weder zur Entscheidung noch zur Beratung vorgelegt
wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht haben?
auftauchen, daß ein illegaler Rüstungsexport bevor-
Meine Damen und Herren, wenn außerdem ein Rü-
steht.
stungsexporteur befürchten muß, daß er im Falle einer
Vor nicht allzu langer Zeit haben Sie es in Fällen, in Entdeckung nicht nur mit hohen Freiheitsstrafen zu
denen Sie jetzt abhören wollen, sogar noch abgelehnt, rechnen hat, sondern auch seine berufliche Existenz
Außenwirtschaftsprüfungen durchzuführen. auf dem Spiel steht und ihm durch Gesetz zwingend
sein gesamter Bruttoerlös abgenommen wird, dann
(Dr. Vogel [SPD]: Aha! Schau, Schau, Schau!)
wird er sich sehr wohl überlegen, ob er sich auf der-
Wer sich so verhalten hat, ist meines Erachtens nicht artige Risiken einläßt.
legitimiert, sich über Instrumente, die rechtsstaatlich
Völlig unzureichend geregelt ist bis heute auch der
einwandfrei sind, so gelassen hinwegzusetzen, wie
gesamte Bereich der Ausfuhr der sogenannten Dual-
das hier der Fall ist.
use-Produkte und -Technologien, also die Ausfuhr
(Beifall bei der SPD) von Gegenständen und Techniken, die sowohl friedli-
chen Zwecken dienen als auch sehr schnell einer ge-
Neben den mit der Außenwirtschaftskontrolle be- fährlichen kriegerischen Verwendung zugeführt wer-
faßten Beamten soll nach unseren Vorschlägen jede den können.
Person verpflichtet werden, drohende Rüstungs-
exporte unverzüglich zur Anzeige zu bringen, wenn Wirksame Rüstungsexportkontrolle kann letztlich
sie davon Kenntnis erlangt. Durch die Aufnahme der nur dann funktionieren, wenn die noch immer zer-
Rüstungsexportverstöße in die anzeigepflichtigen De- splitterten Zuständigkeiten für Exportgenehmigung
likte nach § 138 des Strafgesetzbuches riskieren die- und -kontrolle endlich zusammengefaßt werden und
jenigen, die dieser Anzeigepflicht nicht nachkommen, bei einem dafür zuständigen Exportkontrollamt hin-
selber eine empfindliche Strafe. Wir wollen auch, daß reichender Sachverstand für die Kontrolle besteht.
Arbeitnehmer, die von solchen Verstößen in ihren Be- Auch von derartigen, zwingend notwendigen admini-
trieben erfahren und diese Informationen weiterge- strativen Maßnahmen haben wir bislang kaum etwas
ben, arbeitsrechtlich in vollem Umfange geschützt gesehen. Wir haben allenfalls einige unverbindliche
werden. Andeutungen vernommen, daß die Exportgenehmi-
(Beifall bei der SPD) gungszuständigkeit irgendwann aus dem Eschborner
Bundesamt für Wirtschaft ausgegliedert werden soll.
Wir halten es auch für richtig, daß eine Telefonüber- Geschehen ist in dieser Richtung nach meiner Kennt-
wachung von Verdächtigen nach den Regeln der nis bis heute allerdings noch nichts.
StPO dann durchgeführt wird, wenn, wie gesagt, ein
konkreter Verdacht besteht. Eine Telefonüberwa- Auch muß seitens der Bundesregierung endlich mit
chung, die durchgeführt werden kann, ohne daß kon- der unerträglichen Geheimniskrämerei bei Rüstungs-
krete Umstände den Verdacht auf einen schweren exporten Schluß gemacht werden.
Rüstungsexportverstoß rechtfertigen, lehnen wir aus (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
rechtsstaatlichen Gründen ab. GRÜNE)
Uns ist völlig unverständlich, daß die Regierung nun Das Parlament und die Öffentlichkeit müssen unauf-
mit Brachialgewalt diese unnötigen neuen und in die- gefordert, umfassend und lückenlos
ser Weise bisher nirgendwo bestehenden Telefonab-
hörbefugnisse schaffen will, durch die eine unabseh- (Dr. Vogel [SPD]: Wahrheitsgemäß! — Zuruf -
bare Vielzahl von Menschen in ihrem verfassungs- von der CDU/CSU: Wenn möglich, täg
rechtlich geschützten Anspruch auf Bewahrung des lich!)
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Hermann Bachmaier
— und wahrheitsgemäß — über Rüstungsexporte und dann vorgelegten Gesetzentwürfe weit zurück-
die der Regierung bekannten Rüstungsexportverstöße bleiben, und im Gesetzgebungsverfahren gegen
unterrichtet werden — nicht nur über die illegalen die Aufweichungen und Verwässerungen wei-
Rüstungsexporte, sondern über alle. ter.
Im Gegensatz zu unserem Gesetzentwurf und unse- Herr Kollege Bachmaier, gestatten Sie mir, daß ich
rem Entschließungsantrag, dem Sie heute zustimmen Ihnen von dieser Stelle aus sage: Sie haben sich geirrt!
können, wenn Sie es mit der Rüstungsexportkon- Der jetzt in der zweiten Lesung vorliegende Entwurf
trolle, auch für legale Exporte, ernst meinen, wird bleibt in keinem Falle hinter dem ursprünglichen Ent-
sich durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung wurf und hinter unseren Ankündigungen zurück.
an den Rüstungsexporten, wie gesagt, wenig bis gar
nichts ändern. Es bleibt bei der extensiven Praxis im- Gestatten Sir mir auch noch die folgende Anmer-
mer weiterer legaler Exporte in Staaten außerhalb des kung. Mir scheint doch ein bißchen das von Ihnen
NATO-Bereiches und einer immer tieferen Verstrik- damals Gesagte aus heutiger Sicht auf die SPD zuzu-
kung in gegenwärtige und zukünftige Konflikte auf treffen: Erst große Ankündigungen, jetzt aber wirk-
dieser Erde. Auch bei der Bekämpfung der illegalen lich dafür sorgen zu wollen, daß illegale Waffenex-
Rüstungsexporte wird der Regierungsentwurf wenig porte aufhören; dann bekommen Sie kalte Füße und
ändern. machen einen Rückzieher.
Im legalen Bereich ändert sich bekanntlich gar (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
nichts. Davon soll dieser Entwurf entscheidend ablen- Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr! Sehr
ken. Das ist die Strategie, die hier angewendet richtig! — Widerspruch bei der SPD)
wird.
Herr Kollege Schily,
(Beifall bei der SPD — Marschewski [CDU/
CSU]: Schwachsinn!) (Geis [CDU/CSU]: Den Schily kannst du ver
Wer eine so großzügige Rüstungsexportgenehmi- gessen!)
gungspraxis betreibt, meine Damen und Herren, wie im Wirtschaftsausschuß konnte man den Eindruck ge-
dies bei der Bundesregierung der Fall ist — jetzt hören winnen, daß die SPD gar nicht so schnell an einer
Sie einmal genau zu — , braucht sich nicht zu wun- wirksamen Regelung dieser Frage interessiert ist.
dern, wenn gewissenlose Krämerseelen skrupellose
Geschäfte mit dem Tod betreiben. Das hat Ausstrah- (Schily [SPD]: Wie bitte? Das ist unglaublich,
lungswirkung, meine Damen und Herren. Auch der was Sie hier bieten! Das ist die Unwahrheit!
illegale Rüstungsexport wird am wirksamsten da- — Weitere Zurufe von der SPD)
durch bekämpft, daß wir den sogenannten legalen
Ich räume allerdings ein: Es ist für Sie angenehmer,
Export endlich einschränken, um in einer hoffentlich
die Regierung wegen angeblicher Untätigkeit regel-
nicht zu allzu fernen Zukunft, ebenso wie Japan, das
mäßig zu kritisieren, als heute zuzugeben, daß mit
wir uns sonst immer zum Vorbild nehmen sollen, ganz
einem wirksamen Gesetzentwurf Abhilfe geschaffen
auf die Ausfuhr von Rüstungsgütern zu verzichten.
wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
Geis [CDU/CSU]: Der Schily wollte nicht!)
GRÜNE)
Zurück zur Sache: Der heute vorliegende Entwurf
ist in der Tat von dem Bemühen getragen, das Pro-
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Abgeord-
blem nachhaltig in den Griff zu bekommen. Dabei
neten Heinrich Kolb das Wort.
steht die Möglichkeit des Abhörens im Vorfeld nach
(Zuruf von der CDU/CSU: Endlich einmal den §§ 39, 40 des Außenwirtschaftsgesetzes, das be-
etwas Solides!) schlossen werden soll, zwar im Mittelpunkt der Dis-
kussion. Wir dürfen aber dennoch nicht übersehen,
Dr. Heinrich Kolb (FDP) : Herr Präsident! Meine Da- daß wir es mit einem ganzen Bündel von Vorschriften
men und Herren! Die „Stuttgarter Nachrichten" hat- zu tun haben, die neu oder in dieser Ausgestaltung
ten die erste Lesung des heute zur Beratung anstehen- erst seit kurzem in unsere Rechtssystematik einge-
den Gesetzes mit der Schlagzeile kommentiert: „Der führt sind.
Empörung folgt ein verwässerter Gesetzentwurf". Ich nenne die wichtigsten Stichworte: der beson-
Schon das war falsch. dere Straftatbestand für Embargoverstöße, die erheb-
Ich stelle heute fest: Mit dem hier zur Abstimmung liche Verschärfung der Strafbestimmungen, die dazu
stehenden Gesetzentwurf, der eben kein verwässerter führt, daß bei Mindeststrafen von zwei Jahren eine
Entwurf ist, sollte diese Kritik endgültig verstum- Bewährung in aller Regel ausscheidet, die Bestrafung
men. von Technologiesöldnern, die Ermächtigung des Bun-
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten desministers für Wirtschaft im Einzelfall bei bestehen-
der Gefahr, die Änderung des Gesetzes zu Art. 10 des
der CDU/CSU)
Grundgesetzes, wonach jetzt auch Erkenntnisse aus
Mehr noch, der Kollege Bachmaier fühlte sich da- der Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes in
mals bemüßigt, zu kritisieren — ich zitiere jetzt: Fällen illegaler Exporte verwendet werden können,
Dieses Verfahren hat bei der Koalition schon Me und schließlich — ganz wichtig — die Strafgesetzän- -
thode. Dem Ausdruck großen Entsetzens folgen derung, wonach eine Abschöpfung der Erlöse nach
vollmundige Ankündigungen, hinter denen die dem Bruttoprinzip erfolgen kann, d. h. es werden
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1209
Gerd Poppe
verbieten bzw. auf die Mitglieder der NATO be- ports von Waffen, Munition und Rüstungsgütern hin,
schränken. 1989 genehmigte Exporte im Wert von 13 Milliarden
DM gegenüber 7 Milliarden DM im Vorjahr. Das war
Der Sinn dieser und ähnlicher Äußerungen seitens
eine Steigerung um 86 %. Zu den 13 Milliarden DM
der Industrie ist leicht zu verstehen. Sie will nicht als kommen dann noch 2 Milliarden DM nach dem
alleiniger Sündenbock für die Rüstungsexportskan-
Kriegswaffenkontrollgesetz genehmigte Exporte.
dale dastehen. Sie erwartet von den Politikern, daß sie
sich zu ihrer Mitverantwortung bekennen, ihre Ver- Die Bundesregierung behauptet gerne, das eigent-
wicklung in Waffengeschäfte bzw. deren Billigung liche Problem seien die illegalen Exporte; die Zahlen
eingestehen. Sie erwartet weiterhin, daß sich die Re- beweisen das Gegenteil. Der von der Regierungs-
gierung nicht hinter Sprechblasen versteckt, sondern koalition unterstützte Gesetzentwurf — das ist unser
sich offensiv zur angeblichen Notwendigkeit weiterer Hauptkritikpunkt — befaßt sich nur mit den illegalen
Rüstungsexporte bekennt. Exporten. Überdies ist das selbst für diesen einge-
schränkten Bereich unzureichend. Restriktive Aus-
Wir ziehen — ich sagte es schon — andere Schlüsse.
fuhrgesetze und verschärfte Sanktionen sind die eine,
Auch wir wollen, daß die Politiker Farbe bekennen.
sicher notwendige Sache, sie im erforderlichen Um-
Wir wollen, daß sie nach der kriegsfördernden Rolle
fang durchzusetzen, eine andere. Es reicht nicht, die
der deutschen Exporte in den Irak mit dieser Praxis
Strafen nur im Ausnahmefall, bei Embargoverstößen
brechen und das Geschäft mit dem Tod generell äch-
gegen UNO-Beschlüsse drastisch zu verschärfen, sie
ten. bei anderen Straftaten aber erheblich niedriger zu
(Geis [CDU/CSU]: Was ist das für ein Unsinn, halten und nicht genehmigte Exporte im gesamten
was Sie da sagen? — Dr. Altherr [CDU/CSU]: Bereich der Dual-use-Güter weiterhin als Ordnungs-
Abtreibung ist auch ein Geschäft mit dem widrigkeit zu behandeln, es sei denn, sie wären geeig-
Tod!) net, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepu-
blik erheblich zu stören, letzteres trotz der bekannter-
Was aber geschieht tatsächlich? Da genehmigt die
maßen problematischen Beweisführung vor Gericht.
Bundesregierung den Export von 12 000 Panzerab-
wehrraketen nach Indien, als gäbe es die politischen Fragwürdig im rechtsstaatlichen Sinne ist auch die
Spannungen in dieser Region nicht, die sich schon Erweiterung des Überwachungssystems auf den
zweimal in kriegerischen Auseinandersetzungen zwi- Brief- und Telefonverkehr.
schen Indien und Pakistan entluden. (Marschewski [CDU/CSU]: Das ist notwen
(Beifall bei der SPD — Roth [SPD]: Unglaub dig!)
lich!) Davon wurde ausgiebig gesprochen. Statt geheim-
Da sollen Tornados und U-Boote an Südkorea gelie- dienstlicher Überwachung wäre die Veröffentli-
fert werden, obwohl jeder weiß, daß die koreanische chungs- und Rechenschaftspflicht der Bundesregie-
Halbinsel zum Brennpunkt eines künftigen Krieges rung gegenüber dem Bundestag ein dem Rechtsstaat
werden könnte, und obwohl jeder weiß, daß in Süd- angemesseneres und zudem effektiveres Prinzip. Wir
korea die Menschenrechte massiv verletzt werden. legen Ihnen heute auch hierzu einen Entschließungs-
antrag vor und bitten um Ihre Zustimmung.
(Zuruf von der CDU/CSU: Nordkorea liegt
nicht nur dort! — Geis [CDU/CSU]: Nehmen (Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das
Sie doch endlich das Brett vor Ihrem Kopf machen wir nicht!)
weg!) Wären denn nun Antrag und Gesetzentwurf der
Amnesty international hat vor wenigen Tagen ein- SPD eine befriedigende Alternative zum Entwurf der
dringlich dazu aufgefordert, Rüstungsexporte in Län- Bundesregierung? Wir meinen nein,
der zu unterlassen, in denen die Menschenrechte
(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)
nicht garantiert sind. Die Evangelische Kirche in
Deutschland hat festgestellt, daß im Dezember 1990 denn die Annahme ist unrealistisch, es könne genü-
1 300 politische Gefangene in südkoreanischen Ge- gen, daß die Bundesregierung „darauf hinwirkt", daß
fängnissen saßen. Amnesty international rechnet vor, Kooperationsverträge revidiert werden. Die Ver-
daß von 1988 bis 1990 unter dem angeblich liberalen tragspartner werden auf solch subtile Weise schwer-
Präsidenten 4 100 Menschen aus politischen Gründen lich so zu beeindrucken sein, daß sie mit der gebote-
inhaftiert waren, fast genauso viele wie unter seinem nen Geschwindigkeit ihre nationalen Gesetze ändern.
Vorgänger in allerdings sieben Jahren. Auch werden auf diese Weise die Zweifel am Endver-
bleib in anderen NATO-Staaten nicht ausräumbar
Wenn Sie heute einen Schritt in die richtige Rich-
sein. Mit solchen Formulierungen hätten wir nichts
tung tun wollen, meine Damen und Herren, dann
anderes als eine permanente Absichtserklärung der
stimmen Sie dem Antrag von Bündnis 90/GRÜNE zu,
Bundesregierung ohne Folgen.
die Herstellungs- und Exportgenehmigungen für die
Südkorea-Tornados und U-Boote nicht zu erteilen Der einzig sichere Weg wäre — da bin ich wieder
bzw. unverzüglich zurückzuziehen. bei jenem zutreffenden wenn auch anders gemeinten
Unternehmerzitat — das vollständige Verbot von Rü-
(Beifall bei dem Bündnis 90/GRÜNE und der stungsexporten. Übrigens, werte Kollegen von der
SPD) PDS, Sie hätten uns diese unsere ureigene Forderung
Die erwähnten Beispiele zeigen das Hauptproblem nach all den Geschäften Ihrer Vorgängerin mit Dritte -
mit dem Antrag der Koalition an. Ich wies bereits vor Welt-Diktaturen getrost weiter überlassen sollen. Das
einer Woche auf die unglaubliche Steigerung des Ex- vollständige Verbot von Rüstungsexporten — ein-
1212 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Gerd Poppe
schließlich seiner Festschreibung im Grundgesetz so- Verschärfungen des Strafrechts zur Bekämpfung
wie der regelmäßigen Offenlegung aller relevanten illegaler Rüstungsexporte sind zu begrüßen. Aber sie
Exportdaten — wäre der Weg. nutzen nicht allzuviel, wenn das Rüstungsexportge-
Mit zwei abschließenden Fragen möchte ich zum schäft blüht, weil die Regierung dem legalen Rü-
wiederholten Male die Bundesregierung an ein abge- stungsexport alle Türen und Tore öffnet.
gebenes Versprechen erinnern: Erstens. Wo bleibt der (Roth [SPD]: So ist es!)
bereits für den 10. März 1991 angekündigte Bericht
über Rüstungsexporte in den Irak? Sie nützen vor allen Dingen dann kaum etwas, wenn
in der Rüstungsindustrie der Eindruck vorherrscht,
Zweitens. Wird hier Verzögerungstaktik betrieben, der Bundesregierung sei an der Eindämmung von Rü-
oder dauert es so lange, weil dieser Bericht so umfang- stungsexporten nichts gelegen und es fehle ihr an der
reich und vollständig wird, wie wir das erwartet ha- Entschlossenheit, die entsprechenden Vorschriften
ben. zur Beschränkung von Rüstungsexporten strikt anzu-
Vielen Dank. wenden und durchzusetzen.
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei Das weitgehende Wohlwollen, das die Bundesre-
der SPD) gierung bei der Genehmigung von Rüstungsexporten
hat walten lassen, das augenzwinkernde Einverständ-
nis bei der Umgehung von Rüstungsexportgeschäften
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Herr oder das schiere Wegsehen
Abgeordnete Otto Schily.
(Marschewski [CDU/CSU]: Unverschämt ist
(Roth [SPD]: Warum redet denn der Minister das! „Wegsehen" ! „Einverständnis" !)
zum Schluß? Das ist doch keine Dramaturgie!
haben in hohem Maß dazu beigetragen, die Bundes-
Das finde ich nicht gut, Herr Präsident. Er ist
republik in Verruf zu bringen und den Schluß zu
feige! Das ist keine Kritik an Ihnen, Herr Prä
rechtfertigen, daß die Exporteure des Todes bei uns
sident; Sie können nichts dafür!)
sich nahezu alles leisten können.
(Beifall bei der SPD — Dr. Freiherr von Stet
O tt o Schily (SPD): Herr Präsident! Meine Damen ten [CDU/CSU]: Aber, Herr Schily, das glau
und Herren! Herr Kollege Kolb, ich empfand es als ben Sie doch selber nicht!)
nicht fair, daß Sie hier versucht haben, den Eindruck Die Tatsache, daß im Jahr 1989, wie schon erwähnt
zu erwecken, als hätten wir das Gesetzgebungsver- wurde, Rüstungsexporte im Wert von ca. 13 Milliar-
fahren verzögern wollen. Sie werden sich erinnern, den DM genehmigt wurden und daß sich die Rü-
Herr Kollege Wissmann hat sich in der Ausschußsit- stungsexporte in der Regierungszeit Kohl fast verdop-
zung ganz anders verhalten. Ich möchte ausdrücklich pelt haben, beweist, daß die Bundesregierung Rü-
anerkennen, daß er bestätigt hat, daß wir hier unge- stungsexporte nicht zurückführen will, sondern sie
achtet vieler Schwierigkeiten — ich will mich mal vor- eher fördert.
sichtig ausdrücken — und einem ziemlich chaotischen
Verfahren äußerste Geduld bewiesen und uns auch in (Roth [SPD]: Leider!)
der letzten Sitzung bereitgefunden haben, das Ab- Dazu gehört auch, daß die Bundesregierung bisher
stimmungsverfahren durchzuführen. Sie sollten das, alles darangesetzt hat, die öffentliche Kontrolle und
was Sie gesagt haben, hier vielleicht korrigieren. Aufklärung von Rüstungsexporten zu unterlaufen und
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD zu erschweren. „Betrug im Bundestag"
kann es als einen nicht unbedeutenden Erfolg verbu- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na!)
chen, wenn es heute zu einem Gesetz zur Verschär-
fung der Vorschriften im Bereich illegaler Rüstungs- überschrieb die „Zeit" einen Bericht am 15. März
exporte kommt. Denn es ist dem beharrlichen Drän- 1991, in dem minuziös dargestellt wird,
gen der SPD-Bundestagsfraktion, allen voran Norbert (Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da hat
Gansel, Hermann Bachmaier und Albrecht Müller — sie sich wahrscheinlich vertan!)
um nur einige Namen zu nennen — , zu verdanken,
daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktio- daß die Auskünfte und Stellungnahmen der Bonner
nen sich überhaupt bewegt haben. Regierung zum Rüstungsexport in den Irak nichts an-
deres waren als eine Chronik der Unwahrheiten.
(Beifall bei der SPD — Marschewski [CDU/
CSU]: Na, na, Herr Kollege!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD —
Dr. Sprung [CDU/CSU]: Unrichtig!)
Leider haben Sie sich nicht dazu durchringen kön-
nen, dem besseren Gesetzesvorschlag der SPD und Ausweichende, irreführende und falsche Antworten,
den in dem Antrag der SPD enthaltenen Maßnahmen
(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig!
zuzustimmen. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzent-
Das ist nicht richtig!)
wurf ab, zumal dieser eine rechtsstaatlich äußerst be-
denkliche Abhörregelung enthält. Die von Ihnen vor- Ausflüchte, Verrenkungen und Mogeleien, das ist es,
gesehenen Abhörbefugnisse stellen praktisch die ge- was Sie auf zahllose Fragen und Anfragen des Parla-
samte deutsche Industrie unter einen Generalver- ments in den zurückliegenden Jahren geboten ha-
dacht. Das halten wir nicht für angemessen. ben.
-
(Beifall bei der SPD — Zurufe von der FDP: (Roth [SPD]: Das ist man bei denen so ge
Aha!) wohnt!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1213
Otto Schily
Sie haben sich gewunden, Sie haben geschummelt gierung. Wenig später kommt heraus, daß der Bund
und geschwindelt, eine Bürgschaft über 405 Millionen DM für Lieferun-
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber, gen nach Südkorea bewilligt hat, und zwar für ein
Herr Schily!) „Materialpaket für den Umbau von drei U-Booten des
Typs HDW 209/1200 einschließlich Dokumentation
und Sie haben sich nicht eines Besseren besonnen, und Training".
obwohl Sie häufig beim Schwindeln ertappt wur-
den. Der Regierungssprecher Dieter Vogel, ein ehren-
werter Mann, steht belämmert da.
(Marschewski [CDU/CSU]: Jetzt setzen Sie
doch mal die grüne Mütze ab!) (Marschewski [CDU/CSU]: Wer ist beläm-
mert?)
Wenn Lügen eine olympische Sportart wäre, hätte die
Bundesregierung Goldmedaillen im Abonnement ge- Die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung ist wie-
wonnen. derum geschädigt — eine schier unendliche Ge-
schichte.
(Beifall bei der SPD — Unruhe bei der CDU/
Tornado-Kampfflugzeuge sollen ebenfalls nach
CSU und der FDP — Geis [CDU/CSU]: Das
Südkorea geliefert werden, ein hübsches Geschäft
ist eine Beleidigung! Sie wissen nicht, was
mit einem Volumen von 5 Milliarden DM, das den
Sie sagen!)
Appetit anregt. Rüstungslieferungen nach Indien in
allerjüngster Zeit und wer weiß wohin — die nächste
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schily, darf Nachricht kommt bestimmt. Die Bundesregierung ist
ich Sie einen Moment unterbrechen. immer dabei.
(Anhaltende Unruhe bei der CDU/CSU und Der neue Entwicklungshilfeminister Spranger hatte
der FDP) eine löbliche Idee. Er wollte Entwicklungshilfe nur an
die Länder leisten, die ihre knappen Finanzmittel
— Darf ich einen Moment um Ruhe bitten.
nicht in Rüstung investieren.
Herr Kollege Schily, Sie sind natürlich des Wortes
mächtig,
Vizepräsident Hans Klein: Herr Abgeordneter
(Schily [SPD]: Danke schön! — Dr. Altherr Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
[CDU/CSU]: Aber des Geistes nicht mehr Penner?
mächtig!)
und Sie wissen auch, daß man bis ganz in die Nähe
des Ordnungsrufs formulieren kann. Gleichwohl finde O tt o Schily (SPD): Selbstverständlich, lieber Kol-
ich, daß es dem Haus und dem Verlauf der Debatte lege Penner.
über dieses Thema guttäte, wenn diese Aneinander- (Zuruf von der CDU/CSU: Die Frage ist be-
reihung von Verbalinjurien unterlassen würde. stimmt sehr hilfreich!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Willfried Penner (SPD): Herr Schily, Sie haben
eben gesagt, daß die Bundesregierung bei Waffenex-
O tt o Schily (SPD): Herr Präsident! Wir sind hier eine
porten immer dabeigewesen sei. Fällt Ihnen bei der
Volksvertretung. Ich spreche die Sprache des Vol- heutigen Debatte auf, daß von den Mitgliedern des
kes. Bundessicherheitsrats des Bundeskabinetts nur recht
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber wenige vertreten sind?
welches Volkes?) (Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die le-
Die ist am besten verständlich. sen das in der Zeitung!)
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Das Benehmen der Bundesregierung ist ohnehin O tt o Schily (SPD): Ich habe eine nicht so gute Beob-
demokratieunverträglich und demokratieschädlich. achtungsgabe wie der Kollege Penner.
(Geis [CDU/CSU]: Er hat noch nichts von (Dr. Altherr [CDU/CSU]: Und Ihre Auffas-
parlamentarischen Spielregeln gehört!) sungsgabe fehlt auch!)
Aber schlimmer ist: Dieses Verhalten animiert und Aber ich danke ihm trotzdem für diesen Hinweis. Es
begünstigt den Rüstungsexport auch in den Grauzo- scheint in der Tat so zu sein.
nen. So wird denn bis in die jüngste Zeit so manches
gefingert und gedeichselt. Der Eindruck verstärkt
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schily, ge-
sich, daß die Bundesregierung ungeachtet aller schö-
statten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen
nen Beteuerungen nichts unternimmt, um Rüstungs-
Hitschler?
exporte zu stoppen oder wenigstens einzuschrän-
ken.
(Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämt!) Otto Schily (SPD): Bitte schön.
Nach einem Bericht der „Allgemeinen Zeitung"
— auch das wurde hier bereits erwähnt — von Anfang Dr. Walter Hitschler (FDP): Herr Kollege Schily,
März dieses Jahres werden U-Boote mit deutscher sprechen Sie mit Ihren Einlassungen eigentlich nur -
Hilfe in Südkorea gebaut. Einen entsprechenden Hin- die jetzt amtierende Bundesregierung an oder auch
weis von Norbert Gansel dementierte die Bundesre die Bundesregierung, die dieses Geschäft unter so-
1214 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Albrecht Müller (Pleisweiler) (SPD): Herr Minister, Vizepräsident Hans Klein: Wollen Sie jetzt auch
ist Ihnen entfallen, daß dieses Parlament am 25. Ja- noch die Frage des Kollegen Mosdorf beantworten?
nuar 1989 anläßlich einer Debatte wegen der Liefe-
rung von Tornado-Kampfflugzeugen an Jordanien am
Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
Ende der Debatte hier einvernehmlich beschlossen
schaft: Nein, ich möchte jetzt gerne zum Schluß kom-
hat, daß es eine interfraktionelle Arbeitsgruppe ge-
men, weil sich die Debattenzeit allmählich dem Ende
ben soll, die sich diesem zugegebenermaßen schwie-
nähert.
rigen Problem der Kooperation bei Rüstungsexporten
widmen soll, daß diese Arbeitsgruppe in der Tat zwei- Ich möchte gerne zu zwei Petita, die hier vorhin
oder dreimal zusammengetreten ist und daß dann die angemeldet wurden, eine Klarstellung geben und
Koalitionsseite die Tätigkeit in dieser Arbeitsgruppe eine weitere Bemerkung machen.
nicht mehr fortsetzen wollte, weil, Herr Kollege Bohl Es wurde der von mir zugesagte Bericht in Sachen
und der Vertreter der FDP, eine Antwort auf konkrete Exporte in den Irak angemahnt. Er ist versandt; er
Vorschläge von meinem Kollegen Gansel und von mir müßte entweder heute auf Ihren Tischen liegen oder
innerhalb der Koalition eben nicht zu erreichen war? kommt heute dort an. Es gibt also keinen Zeitver-
Wir hatten in jener ernsten Debatte ganz einvernehm- zug.
lich die Absicht, dieses schwierige Problem anzuge- Ferner gibt es, ebenfalls von amnesty international,
hen, und sind heute weit hinter das zurückgefallen, aber auch von Kolleginnen und Kollegen hier ange-
was damals besprochen worden ist. regt, das Petitum, die Bundesregierung möge die In-
(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist doch ein formationen über genehmigte Exporte ganz generell
Debattenbeitrag! — Das ist doch keine verstärken. Ich finde, auch darüber kann man ver-
Frage!) nünftig reden.
(Roth [SPD]: Dann kann man ja zustim-
Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- men!)
schaft: Das ist mir nicht entfallen; der Prozeß, den Sie — Ja, man muß nur einen vernünftigen Mechanismus -
beschrieben haben, war mir schlicht nicht geläufig. finden. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, daß
Aber das Parlament ist völlig frei, Arbeitsgruppen ein Bundeskanzler Helmut Schmidt, als ich noch ziemlich
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1219
Bundesminister Jürgen W. Möllemann
neu hier im Parlament war und schon einmal auf eine Die Diskussionen in den Ausschüssen haben ge-
Initiative des Kollegen Hirsch eine Debatte zu diesem zeigt: Die Änderungsvorschläge des Wirtschaftsmini-
Thema in Gang kam, mit eindrucksvollen Worten er- sters Möllemann gehen am Kern des Problems vorbei
klärt hat, warum das nicht so ganz einfach sei und und sind daher ein untaugliches Mittel, um das Ge-
warum man dem auf Grund internationaler Rücksicht schäft mit dem Tod auch nur einzudämmen, ge-
und ähnlichem nicht so weit entgegenkommen schweige denn abzuschaffen, was hier schon mehr-
könne. Ich biete also ausdrücklich an, bei den jetzt fach als Ziel formuliert wurde, dem wir uns auch an-
ohnehin fälligen Beratungen über dieses Thema dar- schließen.
über zu sprechen, wie man einen Mechanismus fin-
den kann, nach dem die Regierung das Parlament Uns liegt ein Entwurf vor, der den deutschen Todes-
noch mehr, noch präziser und noch schneller — wie krämern keineswegs das Handwerk legt, sondern im
immer man das definieren will — informiert, als es Rahmen des Nebenstrafrechts etwas Kosmetik be-
bisher geschehen ist. treibt. Ich finde, die Tatsache, daß diese Regelungen
im Bereich des Nebenstrafrechts getroffen werden,
Vielen Dank. besagt schon einiges.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Erhöhung des Strafrahmens soll eine so ab-
schreckende Wirkung haben, daß jedenfalls illegal
nichts mehr über die Grenzen geht. Sie wissen ge-
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Frau
nauso wie wir: Diejenigen, die schon immer den Weg
Abgeordente Andrea Lederer. gefunden haben, um Milliardengeschäfte mit Waffen
und Waffenanlagen zu betreiben, wird auch die Erhö-
hung des Strafrahmens nicht abhalten, die entspre-
chenden Lücken weiterhin zu nutzen. Das Strafrecht
Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! kann nur ein unzulängliches Instrument sein, um ein
Meine Damen und Herren! Zwei Vorbemerkungen zu offenkundig politisches und ökonomisches Problem
der vorhergehenden Debatte. zu lösen.
Erste Vorbemerkung. Ich denke, die Debatte hat Ganz entschieden wenden wir uns gegen den Aus-
gezeigt: Wer immer wieder Gründe für Rüstungsex- bau des Zollkriminalamts zu einem vierten Geheim-
porte in einzelnen Fällen zu finden versucht, den holt dienst. Diese Regelung wird nach allen bisherigen
auch immer wieder die Realität ein, wie sie in den Erfahrungen nur Einfallstor für eine weitere Ausufe-
letzten Wochen diskutiert wurde. rung von Überwachungspraktiken sein, bei denen
elementare demokratische Kontrollmöglichkeiten
Zweite Vorbemerkung. Herr Minister Möllemann,
nicht gegeben sind. Da wird wohl eher der Deckman-
Sie haben die 100 000 Unterschriften erwähnt, die Ih-
tel der Geheimhaltung die Rüstungsgeschäfte beglei-
nen gestern vom Generalsekretär von amnesty inter-
ten, nicht aber parlamentarisch und öffentlich kontrol-
national übergeben wurden.
lierbare Ermittlungen gegen Kriegswaffenexpor-
Tatsache ist aber, daß eine Regelung — die ich übri- teure.
gens nicht nur nicht für unvernünftig, sondern für
absolut erforderlich halte —, wonach Rüstungsex- Wir behaupten: Wenn das bestehende Instrumenta-
porte dann unzulässig sind, wenn die Gefahr droht, rium genutzt worden wäre, hätte bereits viel gesche-
daß mit diesen Waffen Menschenrechtsverletzungen hen können. Das ist eine Frage des politischen Wil-
begangen werden, in dem vorgelegten Gesetzentwurf lens.
fehlt. Ich frage mich, woran es liegt, wenn auch Sie mit Das Hauptproblem — es wurde auch schon mehr-
einer solchen Forderung sympathisieren. fach angesprochen — des Regierungsentwurfs und
Meiner Auffassung nach hat das folgende Gründe: — so muß ich sagen — leider auch der Initiative der
Unter dem Druck der internationalen öffentlichen Kri- SPD ist jedoch folgendes: Lediglich 3 bis 5 % der Rü-
tik an der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung stungsexporte, nämlich die illegalen Rüstungsex-
wurde ein Gesetzentwurf zur Änderung des Außen- porte, werden überhaupt erfaßt. Die restlichen 95 bis
wirtschaftsgesetzes mit heißer Nadel gestrickt. 97 %, die genehmigten Rüstungsexporte, bleiben un-
angetastet. Schon dieses Verhältnis ist deutlicher Aus-
(Würfel [FDP]: Mit heißer Nadel kann man druck des Willens der Bundesregierung, diesen profit-
gar nicht stricken, höchstens sticken!) trächtigen Wirtschaftszweig künftig weiter florieren
Die heute beabsichtigte hastige Verabschiedung die- zu lassen.
ses Gesetzes soll nun offensichtlich international Ruhe
schaffen, was aber nicht zugelassen werden darf. An diesen Punkt knüpft auch der Antrag der PDS/
Linke Liste an. Er geht an die Wurzel des Übels, an die
Nachdem der Krieg am Golf vorbei ist, geht es um Rüstungsproduktion und den damit folgerichtig zu-
Schadensbegrenzung. Nicht im Ansatz ist eine Kehrt- sammenhängenden legalen Rüstungsexport.
wende im Bereich der Rüstungsexporte erkennbar. In
den Medien wird seit Tagen nur noch über BRD- (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
Rüstungsexporte berichtet, wenn es das Flaggschiff Wir fordern keine bessere Regelung von Rüstungs-
der deutschen Industrie trifft, den Daimler-Benz-Kon- exporten, sondern wir fordern deren Abschaffung.
zern. Ansonsten ist viel von US-Rüstungsexporten zu Das muß im Grundgesetz durch eine Änderung des
lesen und zu hören. Der Versuch, die eigene Praxis Art. 26 des Grundgesetzes verankert werden.
hinter einer anderen — nicht besseren — zu verstek-
ken, ist augenfällig. (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
1220 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Andrea Lederer
In diesem Kontext noch eine Anmerkung zum Ent- gehört — : Ich teile natürlich die Kritik an dem, was an
wurf der SPD-Fraktion. Wir wundern uns, wie schnell Rüstungsexporten und Rüstungsgeschäften aus der
die SPD ihren ursprünglichen, von Norbert Gansel in ehemaligen DDR gelaufen ist, auf das entschieden-
diesem Haus vorgetragenen Vorschlag, ein Verbot ste.
von Rüstungsexporten außerhalb der NATO Länder - (Zuruf von der CDU/CSU: Das ehrt Sie!)
im Grundgesetz zu verankern, fallengelassen hat. Das ist überhaupt keine Frage. Wer sich mit diesem
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das Thema prinzipiell auseinandersetzt, kann hier natür-
kommt wieder!) lich nicht mit zweierlei Ellen messen.
Jetzt soll es zwar nach dem SPD-Entwurf im Kriegs- (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Zurufe
waffenkontrollgesetz diese Regelung geben, aber die von der CDU/CSU)
Möglichkeit einer Verankerung im Grundgesetz soll — Wissen Sie: Es ist immer relativ.
der innerhalb der nächsten zwei Jahre zu führenden
(Zuruf von der FDP: Eben! Es kommt immer
Verfassungsdebatte vorbehalten bleiben.
darauf an! — Bohl [CDU/CSU]: Warum sind
Wenn die SPD auf der anderen Seite offensichtlich Sie denn in der PDS?)
darauf hinarbeitet, einer vorgezogenen Grundgesetz-
Ich stelle fest: Vier Jahre lang werden wir uns hier
änderung zuzustimmen, die Blauhelm-Missionen der
wohl mit relativ stereotypen Zwischenrufen und ähn-
Bundeswehr zuläßt, stellen wir fest: Das Engagement
lichem zu beschäftigen haben. Ich wünsche mir, Ihnen
der SPD für eine Erweiterung des militärischen Hand-
fällt bald irgend etwas anderes ein.
lungsspielraums im Grundgesetz ist offensichtlich
größer als das Engagement, eine drastische Beschrän- (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
kung des Rüstungsexports im Grundgesetz festzu-
schreiben. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, ich darf
Hierbei möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, Sie einen Moment unterbrechen. Meine Damen und
daß der Antrag der PDS/Linke Liste auch den Rü- Herren, eine gewisse Lebendigkeit mit Zwischenfra-
stungsexport in NATO-Staaten ausschließen will. An- gen und Zurufen ehrt den Redner, weil seine Ausfüh-
gesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen der Kon- rungen zur Kenntnis genommen werden.
zerne und Handelsstrukturen dürfte eine Absiche-
(Marschewski [CDU/CSU]: Rednerin, Herr
rung des Endverbleibs nicht möglich sein. Im übrigen
Präsident!)
sind wir der Meinung, daß Rüstungsexporte an
NATO-Staaten, die ohnehin bis zu den Zähnen mit Aber er muß immer noch in der Lage sein zu reden.
High-Tech-Waffen hochgerüstet sind, uns dem Frie- (Marschewski [CDU/CSU]: Sie!)
den auf der Welt keinen Schritt näherbringen. Frau Kollegin, es gibt zwei weitere Begehren nach
einer Zwischenfrage des Kollegen Singer und des Kol-
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, gestatten legen Roth. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?
Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Präsident,
Andrea Lederer (PDS/Linke Liste) : Gerne. ich bin jetzt nicht bereit, sie zu beantworten. Ich
komme zum Schluß meiner Rede.
Konrad Weiß (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE) : Frau (Bohl [CDU/CSU]: Warum sind Sie in der
Kollegin, in Anbetracht Ihrer Ausführungen interes- PDS?)
siert mich, inwieweit Sie darauf Einfluß genommen
haben, daß der Ihrer Partei nahestehende Herr — Darüber können wir uns gerne einmal unterhalten,
Schalck-Golodkowski, der an Rüstungsgeschäften il- Herr Bohl.
legaler und legaler Art in gigantischem Ausmaße be- Unsere Forderung kann daher nur lauten: vollstän-
teiligt gewesen ist, dazu beiträgt, diese aufzuklären, diger Stopp des Rüstungsexports, verankert im
und sich endlich den deutschen Behörden stellt, um Grundgesetz, Konversion der Rüstungsproduktion,
die Wahrheit über das, was an Rüstungsexporten von Streichung sämtlicher Titel im Haushalt zur weiteren
Ihrer Partei oder Ihrer Vorläuferpartei verantwortet Rüstungsbeschaffung. Zur Aufarbeitung — hören Sie
war, ans Tageslicht zu bringen. zur Abwechslung einmal zu — der Geschichte bun-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der desdeutschen Rüstungsexports muß eine komplette,
FDP) detaillierte Veröffentlichung sämtlicher erteilter Aus-
fuhrgenehmigungen und der eingeleiteten Ermittlun-
gen wegen illegaler Exporte auf den Tisch dieses
Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Kollege Hauses.
Weiß, erstens, denke ich, ist Ihnen bekannt, wo sich
Herr Schalck-Golodkowski zur Zeit aufhält. Ich danke.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber er hielt sich (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
früher einmal in Ihrer Nähe auf! — Dr. Vogel
[SPD]: Wo er sich früher aufgehalten hat, ist Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Herr
Ihnen aber bekannt!) Abgeordnete Horst Eylmann.
— Mir ist das natürlich bekannt.
(Hämmerle [SPD]: Das ist aber erfreulich!) Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Im übrigen will ich Ihnen mitteilen — ich habe ge- sehr verehrten Damen und Herren! Die Heftigkeit, mit
stern beispielsweise die Rede des SPD-Kollegen Duve der im In- und Ausland deutsche Waffenexporte, le-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1221
Horst Eylmann
gale wie illegale, diskutiert werden, hat ihre Ursache samt in ihrer Höhe an der Grenze des rechtsstaatlich
nicht in dem Umfang dieser Exporte. Der Umfang der Vertretbaren.
genehmigten Ausfuhr von Rüstungsgütern ist, gemes- Ich habe schon früher mehrfach darauf hingewie-
sen am Gesamtexport, geringfügig. Für den Umfang sen, daß mit einer Strafverschärfung allein wenig er-
illegaler Ausfuhren gilt dank unseres schon bisher reicht wird. Die generalpräventive Wirkung ist be-
sehr ausgefeilten Außenhandelsrechts das gleiche. Es grenzt. Die Nürnberger hängen bekanntlich keinen,
ist bedauerlich, daß dies immer wieder geleugnet, ja, es sei denn, sie hätten ihn. Man muß den illegal han-
das Gegenteil behauptet wird. delnden Waffenexporteur erst einmal aufspüren und
Die Emotionen, die deutsche Waffenexporte drin- ihm die Tat beweisen können, um ihn bestrafen zu
nen wie draußen wecken, haben ihren wahren Grund können.
in der jüngeren deutschen Geschichte. Der Golfkrieg Das Gesetz will die Aufklärungsquote sowohl im
hat das jedermann vor Augen geführt. Angesichts der repressiven als auch im präventiven Bereich durch die
Lautstärke der Anklagen mußte ein unbefangener Be- Schaffung erweiterter gesetzlicher Möglichkeiten zur
obachter den Eindruck gewinnen, die Bundesrepu- Post- und Fernmeldekontrolle erhöhen. Die Opposi-
blik wäre der wichtigste Waffenlieferant Saddam tion lehnt dies ab, was verwundert, da sie doch sonst in
Husseins gewesen. der Öffentlichkeit fortlaufend mit der Forderung her-
vortritt, unser Waffenexportrecht müsse wasserdicht,
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU) also lückenlos, gemacht werden.
Wie die Verhältnisse wirklich waren, ist inzwischen (Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
bekannt; Sie konnten das vorgestern, z. B. im „Han- Sie treiben ein Doppelspiel.
delsblatt", nachlesen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich erwähne das, meine Damen und Herren — das Auf der einen Seite werfen Sie der Bundesregierung
möchte ich betonen — , nicht, um das Problem zu ba- und den Strafverfolgungsbehörden eine zu geringe
gatellisieren. Unsere Geschichte legt uns in der Tat Erfolgsquote vor, auf der anderen Seite verweigern
besondere Verpflichtungen auf. Wer nach Auschwitz Sie denselben Behörden das notwendige Instrumen-
von Deutschland aus mit Giftgas handelt, beweist eine tarium für eine erfolgreiche Aufklärungs- und Ermitt-
erschreckende Skrupellosigkeit. lungstätigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und beim Bündnis 90/GRÜNE) Herr Kollege Schily, ich will mich jetzt nicht auf das
Niveau, auf das Sie heute hinabgestiegen sind, bege-
Selbst für denjenigen, der meint, darum bitten zu
ben.
dürfen, uns auf Dauer nicht mit anderen Maßstäben
(Zuruf des Abg. Schily [SPD])
als andere Staaten und Völker zu messen, sollte es ein
Gebot der politischen Klugheit sein, die psychologi- Sonst würde ich sagen, Sie könnten froh sein, daß es
schen Mechanismen ernst zu nehmen, die sich z. B. keine Goldmedaillen für Heuchelei gibt.
bei der Kombination „Deutschland — Giftgas" ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
stellen. Wenn Sie auf § 100a der Strafprozeßordnung ver-
Aus all diesen Gründen — ich glaube, daß wir uns weisen, so berücksichtigen Sie bitte, daß diese Vor-
darüber einig sind — wollen wir ein Gesetz verab- schrift nur dann eingreift, wenn jemand in Verdacht
schieden, das dem Bundesminister für Wirtschaft die gerät, eine Straftat begangen zu haben.
Befugnis gibt, im Einzelfall Beschränkungen des Au- (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Schily, haben
ßenwirtschaftsverkehrs im Verwaltungswege anzu- Sie ein persönliches Trauma damit? — Duve
ordnen, das die Strafbestimmungen des Außenwirt- [SPD]: Das war ja ein gewaltiger Zwischen-
schaftsgesetzes drastisch verschärft, das die Abschöp- ruf, Herr Kollege! — Abg. Schily [SPD] mel-
fung des Gewinns aus illegalen Waffenexportge- det sich zu einer Zwischenfrage)
schäften erleichtert und die gesetzliche Möglichkeit
schafft, sowohl bei der Strafverfolgung als auch im
Vorfeld, im präventiven Bereich, das Post- und Fern- Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie?
meldegeheimnis einzuschränken.
Für die Strafverschärfung will ich ein Beispiel nen- Horst Eylmann (CDU/CSU): Ja, natürlich.
nen: Wir haben noch im Zuge des Gesetzgebungsver-
fahrens die in § 34 Abs. 4 des Außenwirtschaftsgeset-
zes vorgesehene Freiheitsstrafe erhöht. Nunmehr be- Otto Schily (SPD): Herr Kollege Eylmann, da Sie
trägt die Mindeststrafe zwei Jahre, so daß eine Straf- doch meinen, die Vorfeldbeobachtung sei besonders
aussetzung zur Bewährung nicht mehr möglich ist. wichtig, frage ich Sie, ob Sie auch der Ansicht sind,
Eine so hohe Mindeststrafe ist auf der anderen Seite daß der U-Boot-Skandal im Zusammenhang mit Süd-
nur vertretbar, weil das Gesetz die Möglichkeit vor- afrika besser aufgeklärt worden wäre, wenn das ZKI
sieht, in minder schweren Fällen eine Freiheitsstrafe die Überwachung des Telefonverkehrs des Bundes-
von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu verhängen. — kanzleramts und der Bayerischen Staatskanzlei ange-
Berücksichtigen Sie bitte, daß Sanktionsmaßnahmen ordnet hätte.
— um die geht es in diesem Zusammenhang — natür- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste -
lich auch das Verbot von Lebensmittellieferungen — Oh-Rufe bei der CDU/CSU — Bachmaier
beinhalten können. — Die Strafandrohung liegt insge [SPD]: Und zwar im Vorfeld!)
1222 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Kollege Schily, Zustimmung des Bundersministers der Finanzen be-
Sie üben sich im vorliegenden Fall in einer Polemik, darf. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist dies
die diesem ernsten Thema nicht angemessen ist. noch nicht so angepaßt; das läßt sich aber leicht be-
richtigen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —
Geis [CDU/CSU]: Er kann nichts anderes! — Schließlich hat der Bundesminister der Finanzen in
Bachmaier [SPD]: Mehr fällt Ihnen dazu Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gre-
nicht ein?) mium, das aus fünf vom Bundestag bestimmten Abge-
Ich will nicht ausschließen, daß bei früheren illega- ordneten besteht, über die Durchführung der gesetz-
len Rüstungsexporten, die stattgefunden haben — ich lichen Regelungen zur Brief- und Telefonkontrolle zu
nehme einmal die Fälle, wo bloß Verdächtigungen berichten. Es erscheint zweckmäßig, dem ohnehin be-
bestehen, heraus — , bessere Erfolge in der Aufklä- stehenden G-10- Gremium diese Aufgabe zu übertra-
rung erzielt worden wären, wenn wir das Instrumen- gen.
tarium, das wir heute schaffen, schon zur Verfügung Es läßt sich also, meine Damen und Herren, feststel-
gehabt hätten. Denn, meine Damen und Herren, es ist len, daß in den Entscheidungsprozeß, der zu einer
uns schon mehrfach passiert, daß das beanstandete Einschränkung des Brief- und Fernmeldegeheimnis-
Exportgut bereits im Ausland gelandet war und sich ses führen soll, die Regierung, das Parlament und die
erst dann der Tatverdacht verdichtete und die Straf- Justiz verantwortlich eingebunden sind. Nirgendwo
verfolgung begann. Hinweise auf straflose Vorberei- im Bereich staatlicher Eingriffstätigkeit haben wir ein
tungshandlungen können noch nicht zur Einleitung so umfassendes System rechtsstaatlicher Sicherungs-
eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens führen. mechanismen. Ich betone dies insbesondere gegen-
Gerade im Zusammenhang mit der wahrscheinli- über unserer exportierenden Wirtschaft. Wir schaffen
chen Hilfe einiger deutscher Unternehmen bei der mit diesem Gesetz ein sehr scharfes Instrument zur
Giftgasproduktion des Irak ist immer wieder verlangt Verhinderung illegaler Waffenexporte, mit dessen
worden, daß die Planung und die Anbahnung illegaler Hilfe sich in besonderen Fällen sogar der Sammelan-
Exportgeschäfte bereits im Vorfeld beobachtet, ent- schluß eines ganzen Unternehmens überwachen
deckt und unterbunden werden müssen. Sie kennen läßt.
die Forderung, in diesem Bereich weitergehende Zu- Gleichzeitig aber sichern wir durch ein ausgefeiltes
ständigkeiten des Bundesnachrichtendiestes und des System rechtsstaatlicher Kontrolle, daß von diesem
Verfassungsschutzes zu schaffen. scharfen Instrument nur in verantwortungsbewußter
Wir wollen mit dem heute zur Verabschiedung an- und der Verfassung entsprechender Weise Gebrauch
stehenden Gesetz einen Weg gehen, der es uns er- gemacht wird.
möglicht, weiter in das Vorfeld dieser kriminellen
Obwohl wir mit diesem Gesetz sowohl bei der not-
Exportgeschäfte zurückzugreifen. In das Post- und
wendigen Bestimmtheit der Straftatbestände und bei
Fernmeldegeheimnis soll nicht nur zu repressiven,
der Höhe der Strafandrohung als auch bei der Ein-
sondern auch zu präventiven Zwecken eingegriffen
schränkung des Art. 10 an die Grenze dessen gegan-
werden können, und zwar dann, wenn sich Straftaten
gen sind, was rechtsstaatlich vertretbar und verfas-
von erheblicher Bedeutung aus dem Bereich des Au-
sungsrechtlich zulässig ist,
ßenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkon-
trollgesetzes noch im Stadium der straflosen Vorberei- (Geis [CDU/CSU]: Wir haben sie nicht über
tung und Planung befinden. schritten!)
Meine Damen und Herren, natürlich ist uns klar, warne ich vor der Annahme, damit sei unsere Außen-
daß wir uns hier auf juristisches Neuland vorwagen. wirtschaftskontrolle wasserdicht in dem Sinne, daß
Die richterliche Zuständigkeit, die unverzichtbar ist, keine zur Waffenproduktion verwendete Ware oder
wird sich bewähren müssen. Wir haben deshalb die Unterlage illegal unsere Grenze überschreiten wird.
Geltung dieser Vorschriften auf vier Jahre beschränkt Ein solches wasserdichtes System ließe sich, wenn
und werden ihre Praktizierung sorgfältig beobachten. überhaupt, nur um den Preis polizeistaatlicher Metho-
Im Zuge der Beratungen im Rechtsausschuß haben den, riesiger Kontrollbürokratien und einer unsere
wir es für sinnvoll angesehen, die Zuständigkeit nicht Exportwirtschaft strangulierenden Reglementierung
beim Amtsgericht, sondern bei einer Kammer des des Außenhandelsverkehrs durchsetzen. Das wollen
Landgerichts anzusiedeln. Um den Richtern die Mög- wir nicht.
lichkeit zu geben, Erfahrungen zu sammeln und eine
einheitliche Rechtsprechung zu entwickeln, haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wir ein bestimmtes Landgericht, nämlich das Landge- der FDP)
richt in Köln, für zuständig erklärt.
(Geis [CDU/CSU]: Wo das Zollkriminalinsti
tut seinen Sitz hat!)
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Eylmann,
Besonders hervorheben möchte ich, daß wir uns
ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen.
nicht nur auf den unabhängigen Richter verlassen
wollen. Weil es sich bei der Brief- und Telefonkon- Meine Damen und Herren, auf den Redner zu rea-
trolle um ein besonders einschneidendes Instrument gieren — dabei kann es auch einmal laut werden —,
handelt, trifft die beantragende Behörde eine beson- ist eine Sache, auf eine Abstimmung zu warten ist eine
dere Verantwortung. Wir haben vorgesehen, daß nur zweite. Aber — ich muß dies leider sagen; dies gilt für -
der Leiter der Behörde oder der Vertreter des ZKI den die rechte Seite — regelrechte Diskussionsgruppen
Antrag stellen darf und daß er dazu der vorherigen während des Wartens auf die Abstimmung zu bilden,
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1223
Vizepräsident Hans Klein
ist unfair gegenüber dem Redner und widerspricht stungsgüter verschaffen können, notfalls aus der Drit-
den Regeln. ten Welt und den Schwellenländern, wo es schon eine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten entsprechende Industrie gibt.
der CDU/CSU und der FDP) Jede Nachfrage zieht ein Angebot mit sich. Wir soll-
Ich bitte also, in den wenigen Minuten, in denen ten uns darauf konzentrieren, mit politischen Mitteln
hier jetzt noch geredet wird, Aufmerksamkeit dem auch die Nachfrage nach Rüstungsgütern auf der Welt
Redner zu widmen. — Herr Kollege dahinten, zu verringern.
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Der heißt nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
„Dahinten" ! — Weitere Zurufe von der CDU/ bei Abgeordneten der SPD)
CSU und der SPD)
— ich will niemanden vorführen —, es ist nicht fair, Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her-
wenn wir nicht ein Minimum an Respekt gegenüber ren, jetzt sind noch zwei Kurzinterventionen angemel-
dem Redner aufbringen. Etwas ganz anderes ist es, det. Dazu muß ich etwas sagen: Die eine Kurzinter-
auf den Redner und seine Aussagen zu reagieren. vention, die von seiten der PDS kommt, gilt einer
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Äußerung des Kollegen Weiß, ist eine Reaktion auf
SPD) eine Äußerung. Die andere Kurzintervention wurde
Bitte, Herr Kollege Eylmann fahren Sie fort. vor fast einer halben Stunde als Reaktion auf das an-
gemeldet, was der Kollege Eylmann sagen würde,
Horst Eylmann (CDU/CSU) : Meine Damen und ohne daß der Kollege wissen konnte, was dieser sagen
Herren, hinzu kommt, daß wir uns im Bereich der würde.
Dual use Waren einer Entwicklung gegenübersehen
- - (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
— das läßt sich auch nicht leugnen — , die sich mit Ich werde beide Kurzinterventionen zulassen. Aber
auch noch so umfangreichen und ausgefeilten Listen ich möchte im Interesse des Hauses und des Instru-
genehmigungspflichtiger Güter nicht mehr steuern ments der Kurzinterventionen noch einmal erklären:
läßt. Diese Intervention soll eine Reaktion auf bestimmte
Der Umfang derjenigen Güter, die sowohl zu fried- Aussagen sein, nicht eine geplante Redezeitverlänge-
lichen Zwecken als auch zur Waffenproduktion ver- rung für eine bestimmte Fraktion.
wendet werden können, steigt ständig. Die Patriot- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Rakete besteht z. B. zum allergrößten Teil aus nicht
speziell konstruierten Dual-use-Teilen. Die zivile Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem
Zugmaschine zieht ebenso schwere Baugeräte wie Kollegen Dr. Dietmar Keller.
Panzertransporter. Mit einer Fließdruckmaschine
können Sie ebenso Kochtöpfe wie Raketenteile pro- Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Herr Präsi-
duzieren. dent! Herr Weiß, Sie haben die Frage nach Herrn
Wir müssen uns deshalb in zunehmendem Maße Schalck-Golodkowski mit dem Blick auf die Gruppe
darauf konzentrieren, diejenigen Exporte zu kontrol- der PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag gestellt
lieren, bei denen der Exporteur positive Kenntnis von und haben bezeichnenderweise Beifall der Parteien
der Verwendung seiner Ware in der Rüstungsproduk- der Regierungskoalition bekommen.
tion oder als Teil einer Waffe hat. So wird mit § 5 c der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
am 14. März dieses Jahres in Kraft getretenen Ände-
rung der Außenwirtschaftsverordnung die Kenntnis Deshalb möchte ich hier noch einmal betonen: Die
von der Verwendung in Rüstungsprojekten Auslöse- Partei des Demokratischen Sozialismus und die
kriterium für die Genehmigungspflicht, auch wenn es Gruppe, die in diesem Parlament arbeitet, sind für
sich um völlig harmlose Waren handelt. alle richterlichen Maßnahmen, die dazu beitragen,
die verbrecherischen Machenschaften von Herrn
Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol- Schalck-Golodkowski, des Ministeriums für Staatssi-
lege Eylmann, Ihre Redezeit ist weit überschritten. cherheit und des Bereichs Kommerzielle Koordinie-
rung aufzudecken.
Horst Eylmann (CDU/CSU): Aber das nur deshalb, (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die Milliarden
weil ich längere Zeit unterbrochen worden bin. zurück! — Bohl [CDU/CSU]: Du mußt das
Geld abgeben!)
Vizepräsident Hans Klein: Die Zwischenfragen wur- Zweitens. Als ehemaliges Mitglied der Volkskam-
den Ihnen alle angerechnet. mer darf ich Sie daran erinnern, daß während der Zeit
der Regierung von Hans Modrow durch die General-
staatsanwaltschaft ein Auslieferungsantrag gestellt
Horst Eylmann (CDU/CSU): Gestatten Sie mir noch
wurde, der nicht bearbeitet wurde, und daß auf An-
drei Sätze: Mit unserer Zurückhaltung allein werden
trag der PDS in der Volkskammer die Volkskammer
wir den Krieg auf der Welt nicht zurückdrängen. Wir
geschlossen dafür gestimmt hat, daß Herr Schalck-
müssen international ein größeres Maß an Kontrolle
Golodkowski auszuliefern ist.
erreichen.
Aber wir sollten uns — lassen Sie mich das zum Drittens. Die PDS ist am 18. März 1990 zu Recht in
Schluß sagen — auch dort keinen Illusionen hinge- die Opposition gegangen.
-
ben: Ein Diktator, der sein Land aufrüsten will, wird (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —
sich noch auf Jahre hinaus die notwendigen Rü Marschewski [CDU/CSU]: Das ist wahr! Das
1224 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 8 in der Ausschußfassung mit
Damen und Herren! Gleichzeitig im Namen der Kol- dem vom Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Be-
legen Baum und Lüder möchte ich folgende persönli- richtigungen auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt
che Erklärung zur Abstimmung abgeben. dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Gegen-
Wir unterstützen das Ziel des Gesetzentwurfs, ille- stimmen von FDP und PDS/Linke Liste sowie Enthal-
gale Waffenexporte hoch zu bestrafen und zu verhin- tungen der FDP, des Bündnisses 90/GRÜNE sind die
dern, und die wichtigen Bemühungen des Wirt- Vorschriften so angenommen.
schaftsministers, das auch zu erreichen. Wir würdigen Ich rufe Art. I Nr. 9 in der Ausschußfassung mit den
auch die Bemühungen derjenigen Kollegen, die an vom Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Berichti-
dem Gesetzentwurf mit diesem Ziel gearbeitet haben. gungen auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dage-
Trotzdem können wir dem Gesetzentwurf aus folgen- gen? —
den Gründen nicht zustimmen:
(Pfeffermann [CDU/CSU]: Ja, wer hat denn
Erstens. Die Tatbestände, deren Verwirklichung ein das Gesetz eigentlich beantragt? Ist das ein
Verbrechen darstellen werden, sind so umfassend for- Möllemann-Gesetz, oder ist das ein CDU-
muliert, daß der einzelne nicht mehr eindeutig erken- Gesetz? — Marschewski [CDU/CSU]: Eine
nen kann, wann er sich strafbar macht. Es sind Blan- billige politische Schau ist das! — Pfeffer-
kettnormen. mann [CDU/CSU]: Möllemann fordert, wir
Zweitens. Der Entwurf ermöglicht das Abhören von haben es durchzusetzen!)
Telefongesprächen einzelner Personen und ganzer Enthaltungen? — Die Vorschrift ist bei Gegenstimmen
Unternehmen zu einem Zeitpunkt, in dem nicht ein- von der FDP, SPD, PDS/Linke Liste, Bündnis 90/
mal der mindeste Verdacht auf eine strafbare Hand- GRÜNE und einer Enthaltung von der FDP angenom-
lung vorliegt, also einem Zeitpunkt, zu dem diese Per- men.
sonen sich völlig rechtmäßig verhalten haben. Diese
Regelung ist im deutschen Recht einzigartig. Ich rufe Art. 1 Nr. 10, Einleitung und Überschrift in
der Ausschußfassung mit der vom Berichterstatter zu
Drittens. Der Entwurf läßt offen, ob und wann das Protokoll gegebenen Berichtigung auf. Wer stimmt
überwachende Zollkriminalinstitut seine Erkenntisse dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
wenigstens an die Staatsanwaltschaft zur Einleitung
eines normalen Strafverfahrens weitergeben muß. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wirklich eine är-
gerliche Situation! — Dr. Vogel [SPD]: Die
(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) Zurufe sind gut! Bitte alle ins Protokoll!)
Viertens. Das gesetzgeberische Verfahren, daß wir Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen der PDS
hier gewählt haben, hat es dem Parlament völlig un- und einigen Enthaltungen bei der FDP und bei der
möglich gemacht, selbst zu prüfen, ob die bisherigen SPD angenommen.
Erfahrungen mit dem geltenden Recht so weitge-
hende Eingriffe in unser Rechtssystem und in Grund- (Dr. Vogel [SPD]: Der Zwischenruf ist nicht
rechte begründen können und ob die neu eingeführ- verstanden worden! Kann er wiederholt wer-
ten Regelungen überhaupt praktikabel sind. Wir ha- den? — Zuruf von der SPD: Pfeffermann, da
ben nicht den mindesten Versuch unternehmen kön- capo!)
nen, festzustellen, ob das bisherige Recht lückenhaft Damit ist Art. 1 — Änderung des Außenwirtschafts-
war oder ob es nicht sachgerecht angewendet worden gesetzes — in der Ausschußfassung mit den entspre-
ist. chenden Berichtigungen angenommen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie bei Ich rufe Art. 2 — Änderung des Gesetzes zu Art. 10
der SPD) des Grundgesetzes — in der Ausschußfassung auf.
Auf dieser Grundlage ist die weitere Einschränkung Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Wer
eines Grundrechts nicht vertretbar. enthält sich? — Bei einigen FDP-Enthaltungen, weni-
gen SPD-Enthaltungen, Enthaltungen beim Bünd-
Wir können daher dem Gesetzentwurf nicht zustim- nis 90/GRÜNE und einer Gegenstimme von der PDS
men. ist die Vorschrift angenommen.
(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Ich rufe Art. 3 — Änderung des Strafgesetzbuches
GRÜNE sowie bei Abgeordneten der FDP — — in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für Art. 3?
Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 3 ist bei Ent-
hätten Sie Ihrem Minister sagen müssen! — haltungen in der FDP-Fraktion und in der PDS/Linke
Bohl [CDU/CSU]: Wird das eigentlich in der Liste
FDP-Fraktionssitzung behandelt? Was sagt
die FDP dazu?) (Marschewski [CDU/CSU]: Das ist eine sehr
gute Verbindung!)
bei Gegenstimmen aus der PDS-Gruppe angenom-
Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- men.
ren! Ich schließe die Aussprache. Ich rufe Art. 4 — Änderung der Strafprozeßordnung
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung — in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? —
über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthal-
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung tungen von Bündnis 90/GRÜNE und einigen Gegen-
des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeß- stimmen der PDS ist diese Vorschrift ebenfalls ange-
ordnung — Drucksachen 12/104 und 12/289. nommen.
1226 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Ich will auch erwähnen, daß die Rücklagen in der (Louven [CDU/CSU]: Jetzt wird sie die guten
Rentenversicherung dank der gemeinsamen, ver- Leistungen der Bundesregierung anerken-
nünftigen Rentenpolitik steigen. Ende des vergange- nen!)
nen Jahres hatten wir 34,8 Milliarden DM; das ent- Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf, wie
spricht 2,6 Monatsausgaben. Dieses Ergebnis liegt um schon angekündigt, zustimmen. Die Erhöhung um
9 Milliarden DM über dem Vorjahresstand. Wir hatten 4,7 % entspricht der bislang geltenden Rentenanpas-
in unserem Anpassungsbericht des vergangenen Jah- sungsformel und orientiert sich an der Steigerung der
res noch mit einer Steigerung von lediglich 7,5 Milli- Bruttolöhne im Jahr 1990. Es handelt sich also nicht
arden DM gerechnet. Sie sehen, die Wirklichkeit um eine Wohltat der Bundesregierung, sondern nur
überholt uns immer positiv. um ihre gesetzlich vorgeschriebene Pflicht.
(Zuruf von der FDP: So ist es!) (Beifall bei der SPD)
Sicher ist, daß wir hier im Bundestag eine solche
Das war früher auch anders; da waren die Prognosen Rentenanpassung zum letzten Mal vornehmen, weil
besser als die Realität. sie in Zukunft — entsprechend dem Reformgesetz
Nun, ich will hinzufügen, daß die gestiegene Rück- vom März 1989 — durch Verordnung der Bundesre-
lage in der Rentenkasse auch ein Ergebnis der deut- gierung mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen
schen Einheit ist. Denn daß die westdeutsche Renten- wird.
kasse so gefüllt ist, verdanken wir auch der Tatsache, Lassen Sie mich vorweg noch einige Zahlen nen-
daß viele Übersiedler zu uns gekommen sind und Bei- nen: Nachdem nun die endgültigen Zahlen des Stati-
träge gezahlt haben. Der Finanzverbund, den wir stischen Bundesamtes vorliegen, wonach die Brutto-
Ende des Jahres herstellen, wird deutlich machen, daß löhne und -gehälter 1990 gegenüber dem Vorjahr um
wir solidarisch das zurückgewähren, was uns durch 4,7 % gestiegen sind, gilt es, auch die Renten mit die-
die deutsche Einheit im Westen zugute gekommen sem Prozentsatz anzupassen. Das ist akzeptabel. Da-
ist. her werden wir dem Entwurf selbstverständlich zu-
(Zuruf von der SPD: Abenteuerlich!) stimmen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1229
Barbara Weiler
Aber, Herr Minister Blüm, diese Zustimmung zur klärt sich daraus, daß Frauen auch heute noch vielfach
heutigen Rentenanpassung beinhaltet selbstver- geringer entlohnt werden als ihre männlichen Ar-
ständlich keine Zustimmung zu der Begründung, die beitskollegen.
Sie gegeben haben und die auch im Gesetzentwurf zu (Louven [CDU/CSU]: Da sollten Sie einmal
lesen ist. Wir sind es ja gewöhnt, daß sich die Bundes- mit den Tarifpartnern Kontakt aufnehmen!)
regierung an allen Stellen selbst mit Lob überschüttet,
auch dort, wo die öffentliche Meinung, wo die Medien Frauen haben angesichts der Doppelbelastung durch
das ganz anders sehen. Familie und Beruf oft eben keine andere Wahl, als
eine Teilzeitarbeit anzunehmen und auf die Aus-
(Louven [CDU/CSU]: Das Lob hat die Regie übung gut bezahlter Berufe und damit auch auf eine
rung doch auch verdient!) Karriere zu verzichten. Hier muß noch eine Menge
Wir werden — ich komme jetzt zur Gesundheitsre- getan werden.
form, die Herr Blüm als sogenannte positive Errun- Die Kindererziehungszeiten sind ein Schritt in die
genschaft angeführt hat — dieser Legendenbildung richtige Richtung. Wir haben die Anerkennung unter-
vorbeugen. Wir stehen da auf seiten der Bürgerinnen stützt; wir haben sie immer gefordert.
und Bürger, die im letzten Jahr erkannt haben, daß (Louven [CDU/CSU]: Aber nie durchge-
diese Gesundheitsreform für sie persönlich eben nicht setzt!)
positiv war.
Aber sie reichen nicht aus.
(Beifall bei der SPD — Scharrenbroich [CDU/
Ich möchte darüber hinaus noch einmal an die For-
CSU]: Meinen Sie die Beitragszahler?)
derung der Sozialdemokraten erinnern, daß alle Müt-
— Dazu komme ich noch. ter Kindererziehungszeiten in der Rente angerechnet
Die Bürger kennen die negativen Effekte und wis- bekommen sollten, alle, d. h. durchgängig Erwerbstä-
sen auch, wer für die wenigen positiven Effekte zu tige, Deutsche im Ausland und auch die anderen, die
zahlen hat. Die im letzten Jahr in der Tat leicht rück- von der Anrechnung der Kindererziehungszeiten
läufigen Beitragssätze der Krankenkassen noch ausgesperrt sind.
Barbara Weiler
Bundesländern verbessern, aber nicht durch die ein- zunehmen, damit dieses neue Gesetz den Belangen
seitige Belastung der Beitragszahler. der Rentnerinnen und Rentner gerecht wird.
(Beifall bei der SPD — Reimann [SPD]: Das (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wir sind immer offen
ist der Punkt! — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Seit für gute Vorschläge!)
wann sind Beitragssenkungen eine Bela Wie schon erwähnt, liebe Kolleginnen und Kolle-
stung?) gen: Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.
— Nein, Sie wissen das ganz genau, es war eine Ver- Aber ich habe den Eindruck: Angesichts Ihrer völlig
schiebung durch die Anhebung der Beiträge zur Ar- absurden und unsozialen Lösungsmodelle für die ehe-
beitslosenversicherung. malige DDR wird diese Einstimmigkeit nächste Wo-
che ein Ende haben.
Sie haben sich eben hier hingestellt und Kritik an
(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Li
der ehemaligen DDR geübt. Ich denke, bei Betrach-
ste)
tung der Gesetze der ehemaligen DDR zur Rente ist
diese Kritik nicht ganz unberechtigt.
Aber, Herr Blüm, das, was Sie jetzt mit Ihrem neuen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat die
sogenannten Überleitungsgesetz vorhaben, wird Abgeordnete Frau Petra Bläss das Wort.
ganz sicher für die Menschen, für die Frauen und
Männer in den fünf neuen Bundesländern,
Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin!
(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Die Situation verbes Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf,
sern!) dem die PDS/Linke Liste zustimmen wird, betrifft nur
die Situation eben nicht verbessern. die Rentenanpassung in den westlichen Bundeslän-
dern an das Lohnniveau um 4,8 % zum 1. Juli 1991.
(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das Rentenniveau Wie es nach der Ankündigung der Rentenerhöhung
wird angeboten! Das ist doch eine Verbesse um 15 % in den östlichen Bundesländern mit der näch-
rung!) sten Rentenanpassung konkret weitergeht, bleibt also
— Lassen Sie mich einmal einige Punkte nennen. noch offen.
Die Kosten der Rentenangleichung zwischen den Ich möchte die Gelegenheit nutzen, seitens der
neuen und den alten Bundesländern, Herr Blüm, sol- PDS/Linke Liste zum wiederholten Male eine gene-
len zum größten Teil von den Beitragszahlen statt aus relle Kritik am bundesdeutschen Rentenrecht anzu-
Steuermitteln getragen werden. So sieht es jedenfalls bringen. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern der ehe-
der uns jetzt bekannte Entwurf vor. Konsequenz wird maligen DDR übt dieses Rentenrecht zunächst eine
sein, daß der Beitragssatz zur Rentenversicherung gewisse Faszination aus, die ich durchaus verstehe,
wahrscheinlich 1993 wieder steigen wird. weil sie meist aus der Kenntnis der Standardrenten
herrührt. Doch interessant ist nicht der relative An-
(Reimann [SPD]: Natürlich!) stieg der Renten, sondern interessant sind die absolu-
Ein weiterer Punkt ist, daß auch die Entwicklung bei ten Zahlen. Interessant ist nicht die durchschnittliche
der Knappschaftsversicherung noch nicht so sicher Rente, sondern die Streubreite.
ist. Sie haben sich zwar hingestellt und dies behaup- Die Schwachstellen des hiesigen Rentenrechts wer-
tet, aber Sie wissen, daß in diesen Fragen noch einiges den vielen Bürgerinnen und Bürgern erst tröpfchen-
gefordert wird. weise bewußt. Erste Stellungnahmen zur anstehen-
den Rentenüberführung lassen auch nichts Gutes ah-
Wir haben den Eindruck, daß in diesem Fall, beim
nen. Es wird wieder die Frauen, die Rentnerinnen,
Rentenüberleitungsgesetz, wieder die Frauen die treffen. Das ist übliche Praxis in der Bundesrepublik,
Leidtragenden sein werden; denn ihre Rentenanwart-
denn zwei Drittel der Frauen, die Renten aus der Ar-
schaften werden gekürzt, die der Männer voraussicht- beiterrentenversicherung erhalten, bekommen eine
lich erhöht. Rente, die unter 500 DM liegt, und über die Hälfte
(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Die Hinterbliebenen- derer, die Renten aus der Angestelltenversicherung
renten steigen um 4 Milliarden DM!) erhalten, bekommen eine Rente, die unter 800 DM
liegt. An diesem Grundübel ändert auch die heute zu
Der letzte Punkt: Mit Rücksicht auf die ewiggestri-
diskutierende 4,8 %-Erhöhung nichts; denn sie ver-
gen Vertriebenenverbände werden im Verhältnis größert nur die Schere. Die Rentnerin mit 500 DM
zwischen Deutschen aus den neuen Bundesländern erhält 24 DM mehr, während der Rentner mit einer
und Aussiedlern grobe soziale Ungerechtigkeiten ge- Rente in Höhe von 2 100 DM über 100 DM mehr
schaffen. Soweit uns bekannt ist — ich will Ihnen ein bekommt. Während die einen im Alter also über kein
Beispiel nennen — , ist vorgesehen: Wer von Cottbus eigenes existenzsicherndes Einkommen verfügen und
nach Köln übersiedelt, der bekommt eine Rente auf auf die entwürdigenden Prozeduren der Sozialhilfe-
ostdeutschem Niveau. Wer aber von Kasachstan nach antragstellung angewiesen sind,
Köln kommt, soll dagegen eine Fremdrente auf west-
deutschem Niveau erhalten. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Also, so ein
Quatsch!)
Die Liste der geplanten Ungerechtigkeiten ließe
sich beliebig fortsetzen. Wir fordern die Regierung können andere einen gediegenen Lebensstandard
auf, bereits jetzt das vorgesehene Überleitungsgesetz halten. -
angesichts der angeführten Mängel noch einmal zu (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist nicht nur
überarbeiten und auch unsere Vorschläge offen auf Quatsch, das ist Quatsch hoch drei!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1231
Petra Bläss
Solche Unterschiede werden von dem Gerede über ger nicht von der wirtschaftlichen Entwicklung abge-
durchschnittliche Rentenerhöhungen und prozen- koppelt werden, sondern — anders als in der früheren
tuale Erhöhungen vertuscht. DDR — daran teilhaben;
Das Fehlen einer Mindestrentenregelung — die es (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
in der DDR übrigens auch für Menschen mit Behin- denn ein tragendes Prinzip des gesamtdeutschen Ren-
derungen gab — , die Berechnungsweise der Renten
tenrechts ist die Dynamisierung der Renten.
für Frauen — das sind alles Ursachen dafür, daß viele
Rentnerinnen in die Sozialhilfe getrieben werden und Vor dem Hintergrund des rasanten und notwendi-
unter Altersarmut leiden. gen Anpassungsprozesses der Löhne und Gehälter
halte ich es auch für richtig, in den neuen Bundeslän-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Ihr habt die Leute
dern die Renten nicht nur einmal im Jahr, sondern
ausgebeutet und spuckt hier große Töne!)
mehrfach anzupassen.
Auch und besonders im Alter gilt: Armut ist weib-
lich. (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
In Kenntnis und im Vergleich beider Rentensysteme Ich bin zuversichtlich, daß die Rentenanpassung in
fordern wir erneut die Erarbeitung eines neuen Ren- den neuen Bundesländern zum 1. Juli 1991 mit 10
tengesetzes, das ein menschenwürdiges und selbstbe- oder 15 % wieder kräftig ausfallen wird.
stimmtes Leben für alle Rentnerinnen und Rentner (Dr. Blüm [CDU/CSU]: 15 %!)
gewährleistet. Das bisherige System geht an der ur-
sprünglichen Idee einer Existenzsicherung im Alter Denn nur so können wir die vorgegebene Zielgröße —
für alle vorbei und bedarf einer grundsätzlichen Re- ein vergleichbares Nettorentenniveau im gesamten
form. Kurzfristig erwarten wir, daß die konkreten Bundesgebiet — erreichen.
Festlegungen zu der am 1. Juli 1991 notwendigen hö- Ich halte es auch für richtig, daß wir möglichst rasch
heren Anpassung für Renten in den neuen Bundeslän- zu einer einheitlichen Rentenversicherung für Ge-
dern rasch vorgelegt werden. samtdeutschland sowohl in finanzieller als auch in
Diese Regelung darf nicht mehr lange auf sich war- rechtlicher Hinsicht kommen. Dabei sollte man, dabei
ten lassen, nicht zuletzt deshalb, damit der verwal- muß man, so meine ich, die im Einigungsvertrag ge-
tungstechnische Wirrwarr nicht noch verstärkt wird. troffenen Regelungen weitgehend berücksichtigen,
denn dies entspricht den Erwartungen der Menschen
Ich danke Ihnen.
in den neuen Bundesländern.
(Beifall bei der PDS/Linke Liste)
Bedenken sollte man auch die Mahnung des Sozial-
beirats, dem „Sozialzuschlag" keinen Dauercharak-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat die ter zu gewähren und sich bewußt zu sein, daß nicht
Abgeordnete Frau Dr. Eva Pohl. alle sozialpolitischen Problemlagen — auch solche,
die für Altersrentner auftreten — durch Maßnahmen
der oder in der Rentenversicherung bewältigt werden
Dr. Eva Pohl (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue
mich, heute hier aus drei Gründen reden zu können: Bei dem nach dem Einigungsvertrag bald zu bera-
zum ersten, weil es meine erste Rede in diesem Hohen tenden Rentenüberleitungsgesetz wird es darauf an-
Hause ist; kommen, die im Rahmen der Rentenreform getroffe-
(Beifall) nen Entscheidungen möglichst rasch auf das gesamte
Bundesgebiet auszudehnen. Dies wird von der Bevöl-
zum zweiten betrachte ich es als ein kleines Zeichen
kerung auch erwartet.
der Normalität, des Zusammenwachsens, daß ich als
Abgeordnete aus dem neuen Bundesland Thüringen Lassen Sie mich dies an zwei Beispielen verdeutli-
zu der letzten Rentenerhöhung per Gesetz im bisheri- chen. Es ist meines Erachtens sicherlich sinnvoll und
gen Bundesgebiet sprechen kann. Zum dritten: Zum notwendig, daß die im bisherigen Bundesgebiet be-
1. Juli dieses Jahres werden die Renten im bisherigen stehenden vorgezogenen Altersgrenzen rasch auch
Bundesgebiet exakt um 5,04 % erhöht. für die Bürger in den neuen Bundesländern gelten.
Damit profitieren die Rentner hier von der positiven (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
wirtschaftlichen Entwicklung und der deutschen Ein- Gleiches gilt, meine ich, für die Hinterbliebenenren-
heit, für die die Koalition die entscheidenden Weichen ten,
gestellt hat.
(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das ist ganz wich
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
tig!)
Positiv zugunsten der Rentner schlägt sich auch der
Rückgang der Ausgaben in der gesetzlichen Kranken- von denen auf Grund der scharfen Kumulationsrege-
lung in der früheren DDR nur sehr wenig übrig blieb.
versicherung nieder.
Eine solche Änderung wird über 1 Million Frauen in
Diese Anpassung zum 1. Juli 1991 kostet Mehrauf- den neuen Bundesländern zugute kommen.
wendungen von über 9 Milliarden DM — ein erhebli-
cher Betrag, was niemand vergessen sollte. Darüber hinaus gibt es sicherlich eine Vielzahl von
Punkten, die der Diskussion bedürfen.
(Reimann [SPD]: Das zahlen die Versicher
ten!) (Andres [SPD]: Das stimmt!) -
Die Anpassung der Renten an die Steigerung der Ent Bei der erforderlichen Anpassung, den notwendi-
gelte der Aktiven macht deutlich, daß ältere Mitbür gen Übergangsregelungen müssen wir jedoch auch
1232 Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe ri ode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Christina Schenk
stenzsichernde Mindestrente die Altersarmut besei- — Nein, nein, Kollege Reimann. Sie übersehen die
tigt und ein Leben in Würde auch im Alter garantiert Härteklausel, Sie übersehen viele andere Dinge. Sie
werden kann. übersehen, daß eine Überforderung überhaupt nicht
möglich ist. Ich meine, das sollte man berücksichti-
Das vorgesehene Überleitungsgesetz, meine ich,
sollte die DDR-Realität berücksichtigen und sie nicht, gen.
wie leider zu erwarten ist, ignorieren. (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Kurz gesagt,
sie sind blind!)
Danke.
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei
der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter
der SPD — Dr. Geißler [CDU/CSU]: Warten Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
Sie mal unsere Vorschläge ab!) ordneten Büttner?
Christina Schenk
sprechende Modellversuche brauchte es da also nicht den Lücke wird dann als arbeitsmarktpolitischer Er-
zu geben; das hatten die DDR-Frauen nicht nötig. folg verkauft.
(Lühr [FDP]: Richtig toll war es in der (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Die Frauen ma
DDR!) chen, was sie wollen!)
Das ist ein gravierender Unterschied zur Situation Wer jetzt hier die Meinung vertritt, die Betreuung in
hier, ein gravierender Unterschied zum sogenannten Tagesstätten sei gar nicht gut für Kinder, sie würden
„Erziehungsgeld", das mit der Bezeichnung „ Ge- viel besser von ihren Müttern zu Hause betreut — eine
bährprämie " wohl besser zu beschreiben wäre. Position die hier erst kürzlich von Frau Nolte vertreten
worden ist — , der oder die muß uns heute erklären,
Anläßlich des heutigen Berichts der Bundesregie- warum dieser Gesellschaft, warum diesem Staat die
rung erheben wir folgende Kritik: hockqualifizierte, angeblich allseits geschätzte pri-
vate Betreuungsarbeit von Frauen nicht mehr wert ist
Der Erziehungsurlaub ist mit 600 DM im Monat als 600 DM im Monat.
auch nicht annähernd finanziell ausreichend abgesi-
chert. Kein Mensch kann von diesen 600 DM leben, (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Aber das Erzie
und kaum ein Mann, der einen auch nur einigerma- hungsgeld muß es nun einmal geben! Es be
ßen gut bezahlten Erwerbsarbeitsplatz hat, wird die- steht Wahlfreiheit!)
sen zugunsten eines mit 600 DM dotierten Erzie-
Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der
hungsurlaubs von 18 oder 24 Monaten freiwillig auf-
die Wertschätzung, die eine Arbeit genießt, durch fi-
geben. Das können Sie schon daran sehen, daß von
nanzielle Leistungen ausgedrückt wird. Der Hoch-
den 1,4 % Männern, die den Erziehungsurlaub 1988 in
schulprofessor verdient mehr als die Lehrerin; die
Anspruch genommen haben, drei Viertel sowieso
Lehrerin verdient mehr als die Putzfrau. Das, was die
schon erwerbslos waren.
Bundesregierung „Erziehungsgeld" nennt, ist weit
Im Westen gilt es als normal, daß Familien im we- unterhalb des Lohnes einer Putzfrau.
sentlichen vom Gehalt des Mannes leben. Bei uns war Durch die geringe Höhe des Erziehungsgeldes
das anders. Aber eine Familie im Westen — und in kommt die Geringschätzung der Arbeit von Frauen an
Zukunft wird es im Osten nicht anders sein — kann es Kindern anschaulich zum Ausdruck. Diese Arbeit ist
sich gar nicht leisten, das Gehalt des Mannes 18 bzw. dem Staat nicht mehr wert als 600 DM im Monat.
24 Monate lang gegen das 600 DM hohe Erziehungs- Schöne Sonntagsreden und die Blumen zum Mutter-
geld einzutauschen, weswegen natürlich die Frau auf tag korrigieren diesen Eindruck nicht. Im Gegenteil:
ihre ohnehin schlechter bezahlte Erwerbstätigkeit Sie bestätigen nur das schlechte Gewissen, das die
verzichten muß. Herren dieses Landes Frauen mit Kindern gegenüber
— wie ich meine: zu Recht — haben. Aber es ist für
Das Erziehungsgeld ist nichts anderes als ein Köder,
den Staat schließlich billiger, mit diesem schlechten
mit dessen Hilfe die Geburtenrate erhöht und Frauen
Gewissen zu leben, als die Arbeit von Frauen anstän-
der Schritt in die Hausfrauenfalle, der in dieser Gesell-
dig zu bezahlen oder Tagesstätten für Kinder aufzu-
schaft für Frauen mit Kindern ohnehin fast unver-
bauen oder auch nur zu erhalten.
meidbar ist, kurzfristig versüßt werden soll.
Meine Damen und Herren, wir brauchen beides.
Nach 18 bzw. 24 Monaten ist der Köder weg bzw. Wir brauchen ein Erziehungsgeld, von dem Men-
erhält er keinen Nachschub mehr ; die Falle allerdings schen, die Kinder betreuen, in ökonomischer Unab-
bleibt noch lange Zeit zu. Denn es gibt in der Bundes- hängigkeit und in Würde leben können. Und wir
republik kaum Tagesstätten für zweijährige Kinder. In brauchen Kinderbetreuungseinrichtungen, in die die
den Kindergarten kommen sie frühestens mit drei Kinder gerne gehen. Ein Abrutschen in die ökonomi-
Jahren, falls überhaupt. sche Abhängikeit vom Ehegatten oder vom Sozialamt
haben mit einem Leben in Freiheit und Selbstbestim-
Die Öffnungszeiten der meisten Kindergärten in
mung gar nichts zu tun. Vätern wird so ein Leben fast
der BRD sind — und zwar, wie ich meine, absicht-
nie zugemutet; Frauen wollen es sich nicht länger
lich — so gestaltet, daß Frauen ihre Erwerbstätigkeit
zumuten lassen.
nicht wieder aufnehmen können. Das geht ja auch aus
dem Bericht hervor: 53 % aller zuvor erwerbstätigen Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der hierzulande
Frauen können ihre Erwerbstätigkeit nach Ablauf des gerne verschwiegen wird, kommt hinzu, auch bei aus-
Erziehungsurlaubs nicht wieder aufnehmen, weil sie reichender Bezahlung. Eine jahrelange ausschließli-
keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder haben bzw. che Beschäftigung mit Kind und Haushalt gefällt nur
bekommen. Von denen, die wieder erwerbstätig wer- sehr wenigen Frauen. Die Beschränkung auf Teilzeit-
den, gehen die meisten in nichtexistenzsichernde, un- arbeit verhindert jegliches Fortkommen im Beruf. Das
geschützte Teilzeitarbeitsverhältnisse. ist trivial. Wenn das Hausfrauendasein so vergnüglich
und chancenreich wäre, dann würden sich dafür
Wenn die Regierung in ihrem Bericht nun stolz be- schließlich auch mehr Männer bewerben. Den aller-
hauptet, der Erziehungsurlaub habe positive Beschäf- meisten Männern ist das allerdings viel zu trist.
tigungseffekte, dann ist das Ausdruck für ein ganz
bestimmtes Frauenbild. Offensichtlich gefallen der Ganz grundsätzlich gilt: Was für die Bezugsperson
Regierung Frauen als auswechselbare, nur vorüber- schlecht ist, ist auch schlecht für das Kind. Damit -
gehend Erwerbstätige. Nur 47 % der Frauen gelingt schließt sich dann der Kreis. Kinder brauchen Tages-
die Berufsrückkehr. Das Auffüllen der so entstehen- stätten, wo sie anderen Kindern begegnen und wo sie
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1241
Christina Schenk
sich von der ausschließlichen emotionalen Abhängig- Weiter kommt die volle Erstattung der Mietkosten
keit von ihren Eltern emanzipieren können. hinzu.
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Das heißt: Eine alleinstehende Mutter hat nach un-
Kindertagesstätten sind unabdingbar für die Soziali- serem geltenden Recht einen Rechtsanspruch auf ein
sation von Kindern. Einkommen in Höhe von 1 700/1 800 DM. Das ist eine
Summe, von der sich die Frauen in der alten DDR,
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Schenk, ge- damals von der SED betreut, nur im Traum haben
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten etwas vorstellen können.
Herrn Dr. Hitschler? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Walter Hitschler (FDP): Frau Kollegin, sind Sie Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Möchten Sie unmit-
innerlich wirklich davon überzeugt, daß die Kinderer- telbar antworten, Frau Schenk?
ziehung eine triste Angelegenheit ist?
Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Ich habe Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Geiß-
gesagt, die ausschließliche Beschränkung darauf sei ler, ich habe das, was Sie hier soeben ausgeführt ha-
trist. Und ich habe auch nicht gesagt, das gelte gene- ben, nicht in Abrede gestellt.
rell. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Dann stimmt aber
(Dr. Hitschler [FDP]: Das ist für Sie eine triste die Argumentation nicht mehr!)
Beschäftigung?) Ich meine nur, daß das vor dem Hintergrund der in der
— Ich bin nicht bereit, Ihnen in dieser Globalität und DDR vorhanden gewesenen Realität praktisch kein
Pauschalität zu folgen. Ich habe nur gesagt: Es gibt Ausgleich ist. Frauen in der DDR hatten ein Durch-
sehr wenige Frauen, die die ausschließliche Beschäf- schnittseinkommen von ca. 1 200 DM.
tigung damit als Erfüllung ihres Lebens ansehen. (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Es gibt viele und der FDP)
Frauen, die das ganz anders sehen!) —Dann gucken Sie doch einmal nach. Das ist die Zahl
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. von 1988.
Das heutige Thema — wir haben es schon gehört — ist (Zuruf von der CDU/CSU)
wieder sehr gut für schöne Worte und andachtsvolle — Haben Sie dort gelebt oder ich?
Reden von der Liebe zum Ungeborenen geeignet. Wer
allerdings nicht einmal dazu bereit ist, die Kinderta- (Zuruf von der CDU/CSU: Verwechseln Sie
gesstätten in der ehemaligen DDR zu erhalten — und nicht brutto mit netto?)
dazu ist die Regierung nicht bereit, das ist offenkun- So gesehen ist das, was Sie hier gesagt haben, prak-
dig — , dem ist auch in dieser Hinsicht kein Wort zu tisch keine Antwort bzw. keine Gegendarstellung zu
glauben. dem, was ich in bezug auf die Frauen in der DDR
Frauen haben in dieser Regierung und bei den eta- gesagt habe.
blierten Parteien bisher keine Lobby, weder im We- (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)
sten noch im Osten. Ich denke, es wird sinnvoll und — Ich habe Schwierigkeiten, mich hier verständlich
notwendig sein, am Aufbau so einer Lobby zu arbei- zu machen.
ten.
Danke. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Also, es dauert nur
(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie der länger, sage ich allen Beteiligten, wenn wir uns nicht
Abg. Dr. Götte [SPD]) verständigen können.
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Aber so einen Un
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer
sinn kann man doch nicht stehenlassen, Frau
Zwischenintervention hat der Abgeordnete Herr
Präsidentin! — Weitere Zurufe von der CDU/
Dr. Heiner Geißler.
CSU)
Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Frau Schenk, ich
will etwas zu der Putzfrau sagen, die Sie hier einge- Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Für die
führt haben. Ferner will ich Sie auf den Sinn des Erzie- Frauen in Westdeutschland bleibt nach wie vor
hungsgeldes aufmerksam machen. das festgeschriebene Abhängigkeitsverhältnis vom
Für den Fall, daß es sich um eine verheiratete Frau Mann. Das ist eine Sache, die mit dem Emanzipations-
oder einen verheirateten Vater handelt, kommen für verständnis von Frauen, von feministischen Frauen
sie — gleich, ob Frau oder Mann — zu dem Familien- nicht in Einklang zu bringen ist. Ich meine, daß auch
einkommen, das der Ehepartner erzielt, die 600 DM ein Leben mit Kindern ökonomisch eigenständig,
dazu. Handelt es sich um eine alleinstehende Frau, selbständig möglich sein sollte. Doch das ist bei den
dann bekommt diese Mutter 600 DM Erziehungsgeld Preisen hier auch mit 1 200 oder 1 300 DM schwer
und hat einen Anspruch auf Sozialrente in Höhe von möglich.
420 DM für sich und in Höhe von 200 DM für ihr Kind. (Dr. Geißler [CDU/CSU]: 1 700! —Weiterer
Hinzu kommt ein Mehrbedarfszuschlag von 20 %, den Zuruf von der CDU/CSU: 1 700 netto! —
die Christlich Demokratische Union in das BSHG ein- Dr. Rüttgers [CDU/CSU] : Ich schlage vor, zu -
geführt hat. Das sind zusammen rund 1320/ erst einmal einen Grundkurs in Rechnen zu
1 340 DM. machen!)
1242 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat der gungen während des Erziehungsurlaubs sowie Unter-
Abgeordnete Heinz Hübner das Wort. suchungen des Instituts für Entwicklungsplanung und
Strukturforschung an der Universität Hannover und
Berichte der Bundesländer, die ein Landeserzie-
hungsgeld oder Familiengeld eingeführt haben, zu-
grunde.
Heinz Hübner (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Ich hatte mir eigentlich Ich habe hier einen negativen, einen durchaus zu
vorgenommen, hier auf bestimmte Aussagen meiner kritisierenden Punkt aufgeführt, um damit auch zu
Vorredner nicht einzugehen. zeigen, daß wir uns in den Fraktionen ernsthafte Ge-
danken darüber machen — das zeigt ja auch die Un-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Lassen Sie es sein, terrichtung, die auch auf Mängel hinweist — , wie wir
es lohnt sich nicht!) Mängel verhindern und in welcher Form wir Lösun-
Ich sollte es lassen. gen anbieten können. Da gebe ich Ihnen durchaus
allen recht.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Geißler,
daß Sie vieles von dem, was ich eigentlich sagen Mit dem Inkrafttreten des Bundeserziehungsgeld-
wollte, schon vorweggenommen haben. gesetzes am 1. Januar 1986 sind für von diesem Zeit-
punkt an geborene Kinder Erziehungsgeld und Erzie-
Was die soeben von Ihnen gemachte Feststellung, hungsurlaub eingeführt worden. Seitdem erhalten
Frau Schenk, betrifft, Kindererziehung sei eine triste Mütter oder Väter von der Geburt ihres Kindes an ein
Angelegenheit, so kann ich Ihnen nun wahrlich nicht Erziehungsgeld in Höhe von 600 DM. Der Anspruch
zustimmen. auf Erziehungsgeld ist, wie Sie wissen, nicht von einer
(Dr. Götte [SPD]: Haben Sie es gemacht?) Erwerbstätigkeit abhängig, in seiner Höhe jedoch
vom Einkommen der Eltern.
— Ja.
Des weiteren gibt das vorliegende Papier Auskunft
(Dr. Götte [SPD]: Dann ist es gut!) über die Inanspruchnahme von Erziehungsgeld;
Ich möchte nun, Herr Dr. Böhme, auf Sie eingehen ebenso über die Auswirkung der Einkommensgren-
und sagen: Ich gebe Ihnen recht, es sollten viel mehr zen, über Erwerbstätigkeit vor der Geburt und wäh-
Väter versuchen, an der Erziehung ihrer Kinder un- rend des Erziehungsgeldbezuges. Auskunft wird er-
mittelbar teilzuhaben; ich habe es praktiziert. teilt über die Beschaffung von Ersatzkräften für Erzie-
hungsurlauberinnen, die nicht nur über Neueinstel-
(Hämmerle [SPD]: Bravo, vorbildlicher lungen, sondern vielfach auch mit Hilfe betriebsinter-
Mann!) ner Maßnahmen erfolgen. Wir müssen aber dennoch
Ich weiß, wie das ist. davon ausgehen, daß der Ausfall von Arbeitskräften
bei der Gewährung von Erziehungsurlaub den Betrie-
Im Zusammenhang mit der vorhergehenden Bera- ben, besonders den kleinen und mittelständischen,
tung betreffend die Rentner möchte ich folgendes be- durchaus Probleme bereitet.
tonen: Gerade Rentner und Kinder bedürfen in einer
demokratischen Gesellschaft unserer besonderen Was die Rückkehr in den Betrieb im Anschluß an
Aufmerksamkeit. Denn sie können ihre Befindlichkei- den Erziehungsurlaub betrifft, können wir sagen, daß
ten und Rechte mit Transparenten auf der Straße am die Arbeitnehmerin nach dem Urlaub in der Regel auf
wenigsten einklagen. Und was insbesondere Kinder ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren kann. Ob das
betrifft, bin ich persönlich Anwalt in eigener Sache. der Fall ist oder ob eine Umsetzung zulässig ist, hängt
Ich habe selbst vier — nicht Anwälte, sondern Kin- von dem Inhalt des vorher abgeschlossenen Arbeits-
der. vertrags ab. Das heißt auch, daß eine Umsetzung ohne
besondere arbeitsvertragliche Regelung nur auf einen
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der gleichwertigen Arbeitsplatz erfolgen kann.
CDU/CSU)
Die Rückkehrquote in die berufliche Tätigkeit be-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist trug in den Jahren 1986 und 1987 46,9 %. Das bedeu-
vielleicht etwas ungewöhnlich, wenn ein neuer Abge- tet, daß der überwiegende Teil der Arbeitnehmerin-
ordneter über etwas berichtet, was sich in der Vergan- nen auf die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit
genheit seiner Mitwirkung aus objektiven Gründen nach dem Erziehungsurlaub verzichtet hat. Hier weist
entzogen hat. Trotzdem — oder gerade deshalb — die Unterrichtung wiederum auch auf Mängel hin
sind wir der Meinung, daß Positives, wie es aus der — ich betone das noch einmal — , die abzustellen sind.
Unterrichtung über die Gewährung von Erziehungs- In diesem Fall lagen im wesentlichen zwei Gründe
geld und Erziehungsurlaub hervorgeht, durchaus vor: einmal der Wunsch nach intensiver Betreuung
auch von einem Kollegen verdeutlicht werden kann, des Kindes in den ersten Lebensjahren — das kommt
der sich in der Vergangenheit mit sozialen Maßnah- auch vor ; nicht jede Frau oder jeder Mann sieht darin
men der Bundesrepublik Deutschland nicht maßgeb- eine triste Angelegenheit —,
lich beschäftigen konnte.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Zur vorliegenden Unterrichtung durch die Bundes-
regierung möchte ich folgendes ausführen: Der Be- also über den Erziehungsurlaub hinaus, und zum an-
richt bezieht sich auf die — wie eingangs erwähnt — deren die unzureichenden Rahmenbedingungen wie -
drei Jahre zwischen 1986 und 1988. Ihm liegen Stati- fehlende Betreuungsmöglichkeit für das Kind sowie
stiken zur Gewährung von Erziehungsgeld, zu Kündi mangelndes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen. So le-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1243
Heinz Hübner
I sen wir es ja in der Unterrichtung durch die Bundes- denn hier wird künstlich eine Lücke geschaffen, die
regierung nach. dazu führen könnte, daß Mütter, die zum geringen
Familieneinkommen in den neuen Bundesländern
Hier berühren wir einen Punkt — was die fehlende
durchaus noch beitragen müssen, damit keine Mög-
Betreuungsmöglichkeit für das Kind betrifft —, der lichkeit erhalten, ein Arbeitsverhältnis einzugehen
durchaus kritisch anzumerken ist. Ich spreche hier
oder an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen.
auch in eigener Sache; ich sagte es schon. Der Koal-
tion ist dieser Umstand wichtig. Hier besteht Hand- (Beifall bei der FDP)
lungsbedarf. Das dürfen wir bitte schön auch auf der
Hier gilt es also durchaus, positive Erfahrungen aus
linken Seite des Hauses nicht vergessen.
den neuen Bundesländern auf unser gesamtes
Gemeinsam mit den Ländern soll ein Rechtsan- Deutschland zu übertragen.
spruch auf einen Kindergartenplatz geschaffen wer-
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und
den. Auch für die Kinder, die das dritte Lebensjahr
Herren, es ist deshalb notwendig, daß wir gemeinsam
noch nicht erreicht haben, müssen geeignete Einrich-
Überlegungen anstellen, wie der Bund z. B. Länder
tungen in ausreichendem Maß zur Verfügung ste-
und Kommunen beim Erhalt, beim Ausbau und bei
hen.
der Verbesserung der Bedingungen der Kinderein-
(Zuruf der Abg. Dr. Höll [PDS/Linke Liste]) richtungen vom Rhein bis an die Oder unterstützen
könnte.
— Warten Sie doch bitte ab.
Diese Forderungen unterlaufen nicht — ich betone
Daß die Bestreuungsmöglichkeiten erweitert wer- dies ausdrücklich — die Ziele, die mit dem Erzie-
den müssen, ist auch im Hinblick auf die Wiederein- hungsgeld und mit dem Erziehungsurlaub verbunden
arbeitung der Erziehungsurlauberinnen notwendig. werden. Sie garantieren lediglich die freie Entschei-
Auch hier sollten für die Teilnahme an Weiterbil- dung der Eltern und ein gesundes Verhältnis von In-
dungsmaßnahmen während des Erziehungsurlaubs dividual- und Kollektiverziehung. Ich betone: gesun-
oder auch für kurzfristige Tätigkeiten im Betrieb wäh- des Verhältnis; denn was Kollektiverziehung anrich-
rend des Erziehungsurlaubs Rahmenbedingungen ten kann, weiß ich als geschlagener Lehrer aus der
weiter ausgebaut werden, die in den neuen Bundes- Ex-DDR besonders.
ländern als Voraussetzung — ich komme darauf noch
zu sprechen — zum Teil schon vorhanden sind, wenn Zum Abschluß noch eine Einschätzung zur Praxis in
ich nur an das Angebot von Kinderkrippen und Kin- einigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland:
dergärten denke. Denn das kann man wohl als flan- Länder wie Baden-Württemberg und Bayern, die ein
kierende Maßnahme für die Entscheidung der Eltern, Landeserziehungsgeld zur Verfügung stellen, oder
der Mütter und Väter, im Hinblick auf die Erwerbstä- Länder wie Berlin und Rheinland-Pfalz, die Familien-
tigkeit betrachten, die sie mit der häuslichen Betreu- geld zahlen, erweitern natürlich den Spielraum für
ung ihrer Kinder durchaus erfolgreich verbinden kön- Mütter und Väter, was einmal die häusliche Betreu-
nen. ung und zum anderen auch die Möglichkeit einer
beruflichen Betätigung und damit auch der notwendi-
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. gen Betreuung der Kinder betrifft. Alles in allem kann
Eine Reihe von Müttern, die nach dem Erziehungsur- man feststellen, daß diese zusätzlichen Maßnahmen
laub eine volle Berufstätigkeit oder Teilzeitbeschäfti- zum Bundeserziehungsgeldgesetz in diesen Ländern
gung aufnehmen könnten, ist das verwehrt, weil die erfolgreich praktiziert wurden.
Kindertagesstättenplätze zum Teil fehlen. In meiner
Heimatstadt Sonneberg ist es z. B. so, daß Mütter aus Diese positiven Erfahrungen wurden für die Koali-
dem Raum Coburg, also aus Oberfranken, ihre Kinder tionsvereinbarung aufgegriffen. Hier werden alle
in Kinderkrippen der Stadt Sonneberg bringen, um Länder aufgefordert, Landeserziehungsgeld zu ge-
einer Erwerbstätigkeit in Oberfranken nachgehen zu währen. Es sind natürlich Überlegungen notwendig,
können. Das zeigt deutlich, daß der Ausbau dieser wie die ostdeutschen Bundesländer in die Lage ver-
Maßnahmen im alten Bundesgebiet sehr notwendig setzt werden, ähnliche, zusätzliche Unterstützungen
ist und daß der notwendige Abbau von Kinderkrippen leisten zu können; denn wir müssen ja davon ausge-
— ich betone dies — in den neuen Bundesländern hen, daß das Staatssäckel dieser Länder nicht beson-
sehr vorsichtig und gerichtet auf die Bedürfnisse der ders prall gefüllt ist.
Mütter und Väter vorgenommen werden muß. Die vorliegende Unterrichtung der Bundesregie-
(Beifall bei der FDP) rung zeigt, daß der Weg, der mit dem Erziehungsgeld
und dem Erziehungsurlaub 1986 begonnen wurde,
Ich kann auch nicht zustimmen, wenn von Ländern ein erfolgreicher ist, der es wert ist, fortgesetzt zu wer-
und Kommunen Versuche gestartet werden, die einen den.
rigorosen Abbau dieser Kinderbetreuungsplätze zum (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ziel haben. Das gibt es, und das sind Ex-DDR-Bürger,
die das dort vollziehen wollen. Richtig ist, daß z. B. auf Eine entsprechende Erweiterung ist durch die Bun-
Grund der baulichen Substanz und anderer fehlender desregierung vorgesehen. Wir haben dem in der Ko-
Voraussetzungen ein Teil der Kinderkrippenplätze, alitionsvereinbarung und in unserem Entwurf zu
also der, wo Kinder bis zum dritten Lebensjahr betreut § 218 Rechnung getragen.
werden können, wohl verschwinden muß. Aber ange- (Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD:
sichts des objektiv vorhandenen Bedarfs darf dies Na! Na!)
nicht in jedem Fall so erfolgen, wie sich das manche
Kommunen in den neuen Bundesländern vorstellen; — Ich spreche für die Freien Demokraten
1244 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991
Heinz Hübner
Es ist unser Ziel — und ich möchte noch einmal in nimmt, noch immer durch den ca. 30 % geringeren
diesem Zusammenhang darauf verweisen — , auch Verdienst von Frauen aus materiellen Erwägungen
ein verbessertes Angebot an Plätzen in Kindertages- heraus in den Familien vorherbestimmt ist. Diese Un-
stätten aufzubauen und zu garantieren, einschließlich gleichheit der Geschlechter unterstreicht Emanzipa-
der oft gescholtenen ostdeutschen Kinderkrippen. Ich tionsdefizite, jedoch nicht nur für Frauen, sondern
bitte alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses um hinsichtlich ihrer Vaterpflichten auch für Männer.
die Unterstützung bei dieser gemeinsamen Arbeit für Verantwortung für ihre Kinder haben beide und auch
den Auf- und Ausbau einer wirklich kinderfreundli- den Anspruch darauf, diese Verantwortung wahrneh-
chen Gesellschaft in Deutschland. men zu können. Hier ist Änderung geboten: Väter
Recht vielen Dank. und Mütter müssen real die Chance erhalten, nach
ihrem Entscheid auch wechselweise oder halbtags ge-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) splittet die Betreuung ihrer Kinder während des Erzie-
hungsurlaubs zu übernehmen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat das
Wort die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll. Ich möchte keiner Mutter und keinem Vater das
Recht absprechen, ihr bzw. sein Kind über den gesetz-
lich garantierten Erziehungsurlaub hinaus selbst zu
Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Verehrte Frau betreuen, aber ich will unseren Blick darauf lenken,
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von der daß zumeist nicht der eigene Wunsch, sondern hier im
Bundesregierung vorgelegte Bericht verdeutlicht eine Westen der Mangel an Kinderbetreuungseinrichtun-
Reihe bislang ungelöster Probleme und zeigt, wo poli- gen die Ursache für eine Nichtrückkehr in die Berufs-
tischer Handlungsbedarf besteht. Allerdings ist es tätigkeit war und ist. Mütter und Väter haben hier ja
notwendig, ad hoc die hier analysierten Zusammen- kaum die Möglichkeit, eventuell auch die häusliche
hänge und Positionen auch in den sechs ostdeutschen Betreuung ihrer Kinder durch eine qualifizierte Be-
Ländern zu untersuchen. treuung in Einrichtungen wie Kinderkrippen ergän-
Deshalb hält es die PDS/Linke Liste für dringend zen zu können. Ganz offensichtlich wird hier die Not-
notwendig, Problemlösungen zu suchen und diese wendigkeit, in den Altbundesländern bedarfsdek-
der in der Regierungserklärung konzipierten Weiter- kend Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen
führung des Bundeserziehungsgeldgesetzes zu- und in der ehemaligen DDR die bestehenden durch
grunde zu legen. Erstens bestätigt der Bericht, daß die Bundesförderung zu erhalten.
formale Anspruchsberechtigung für Mütter oder Vä-
Die geplante Verlängerung des Erziehungsurlaubs
ter auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub letzt-
auf zwei Jahre und mehr darf jedoch nicht zu einer
endlich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
ausschließlichen Option auf diese Form der Klein-
festschreibt und in dieser Frage die reale Gleichstel-
kindbetreuung zu Hause mißbraucht werden. Es freut
lung der Geschlechter nicht voranbringt.
mich natürlich, wenn der Kollege von der FDP den
Das hat sich übrigens auch an den sozialpolitischen Handlungsbedarf erkannt hat.
Maßnahmen der ehemaligen DDR-Regierung, der so-
genannten Mutti-Politik, gezeigt. Wenn nur 1,4 % der (Hübner [FDP]: Aber nicht für alle!)
Väter Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in An-
spruch nehmen — in der DDR war der Prozentsatz Ich würde mir wünschen, daß von der Regierungsko-
ähnlich niedrig — , so ist das kein Zufall und auch alition die Bundesförderung endlich festgeschrieben
nicht durch moralische Appelle zu verändern, sondern wird.
heißt nichts anderes, als daß Frauen in patriarchalisch
dominierten Gesellschaften immer wieder in das alte Drittens erweisen sich die im Bericht vorgerechne-
Rollenverständnis zurückverwiesen werden. ten „positiven Beschäftigungseffekte" als politische
In der ehemaligen BRD und heute in ganz Deutsch- Augenauswischerei, denn Ersatzkräfte für Erzie-
land werden in dieser Weise die Möglichkeiten von hungsurlauberinnen sind befristet beschäftigt. Neu-
Frauen zur eigenständigen ökonomischen Existenz- beschäftigte im Austausch für jene, die wegen Man-
sicherung gravierend beschnitten. Das in der Regel gels an Kinderbetreuungsplätzen nicht zurückkehren
der Mutter gezahlte Erziehungsgeld von 600 DM liegt können, als eine Entlastung des Arbeitsmarkts zu
weit unter ihrem bisherigen monatlichen Durch- preisen, halte ich für eine politische Verhöhnung der
schnittsnettoverdienst. Betroffenen, kurzweg für einen politischen Skandal.
Notwendig wäre es, korrekt zu analysieren, wie viele
Eben auch deshalb, weil Erziehungszeiten Karriere-
Nichtrückkehrerinnen mit welchem Motiv zu Hause
verläufe unterbrechen, werden gemäß dem über
bleiben.
2 000 Jahre alten patriarchalischen Funktionsmuster
Männern in der öffentlichen Meinung Eignung und Des weiteren sollten materielle Bedingungen für die
Fähigkeit für Erziehung und Betreuung abgespro- Gleichstellung auch in dieser Frage geschaffen wer-
chen, und Frauen werden dazu für prädestiniert er- den. Damit würde der Wiedereinstieg in den Beruf
klärt. Auf dieser Grundlage werden junge Frauen in kein frauentypisches Problem bleiben, sondern mit
einer leistungsfähigen Lebensphase von der Berufstä- männlicher und weiblicher Dimension einen höheren
tigkeit, von Qualifizierung und Aufstiegschancen aus- gesetzgeberischen Stellenwert erreichen.
geschlossen.
Zweitens wird deutlich, daß die im Bundeserzie- Viertens muß unbedingt gesehen werden, daß bei
hungsgeldgesetz eingeräumte Wahlfreiheit der El- der jetzigen Regelung mit 600 DM Erziehungsgeld
tern, wer von ihnen die Leistungen in Anspruch das Existenzminimum weder der Mutter noch des
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1245
Eva-Maria Kors
nach dem Erziehungsurlaub wieder eine Erwerbstä- Sie, sehr verehrte Frau Ministerin, dürfen sicher
tigkeit aufgenommen wird oder nicht, ist dieser sein, daß wir — hier meine ich insbesondere die
Wunsch bei den Betroffenen ebenso ausschlaggebend Frauen in der CDU/CSU-Fraktion — Sie nachdrück-
und gewichtig, wie sich natürlich die fehlenden Kin- lich unterstützen werden, wenn es darum geht, fami-
derbetreuungsmöglichkeiten und der Mangel vor al- lienstärkende und familienfördernde Maßnahmen
len Dingen an qualifizierten Teilzeitarbeitsplätzen ab- durchzusetzen. Wir sagen ja zum Kind, ja zur Familie,
solut negativ auf die Entscheidung auswirken. Hier aber auch ja zur Vereinbarkeit von Familie und Be-
besteht in der Tat — ich denke, darüber sind wir uns ruf.
alle einig — Handlungsbedarf. Ich bedanke mich.
Die Verlängerung der Bezugsdauer des Erzie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
hungsgeldes um weitere 6 auf 24 Monate zum 1. Ja-
nuar 1993, verbunden mit Erziehungsurlaub und Be-
schäftigungsgarantie, ist deshalb ebenso nachdrück- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat die
lich zu begrüßen wie die Ausweitung des Erziehungs- Abgeordnete Frau Dr. Rose Götte das Wort.
urlaubs mit Beschäftigungsgarantie auf 3 Jahre zum
1. Januar 1992. Dr. Rose Götte (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Da-
(Beifall bei der CDU/CSU) men und Herren! Wir von der Opposition leugnen
doch überhaupt nicht, daß es mit dem Erziehungsgeld
Neben Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ist es eine feine Sache ist.
aber auch dringend erforderlich, einen Anspruch auf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
einen Kindergartenplatz gesetzlich zu verankern und
ein plurales bedarfsorientiertes Angebot an Kinder- Ich weiß, wie viele bei Ihnen nach der Wende dafür
betreuungseinrichtungen — dann auch für Kinder un- gekämpft haben und wie lange es gedauert hat, bis
ter 3 Jahren — zu schaffen. Sowohl bei der Auswei- Sie 1986 dieses Erziehungsgeld durchgesetzt haben.
tung des Erziehungsurlaubs als auch beim Rechtsan- Ich habe großes Verständnis dafür, daß die, die es
spruch auf einen Kindergartenplatz ist vor allen Din- durchgesetzt haben, stolz darauf sind. Darauf können
gen die Mitwirkung der Länder gefordert. Ich richte sie ja auch stolz sein.
deshalb — genau wie Sie, verehrte Frau Ministerin — (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: So ist es! Sehr
von dieser Stelle aus einen besonders eindringlichen gut!)
Appell an die SPD-geführten Bundesländer, endlich Nur, wenn Sie die Sache so hinstellen, als hätte es
ihren Beitrag zu leisten und die Blockade gegen ein Familienpolitik vorher nicht gegeben, dann ist das an
Landeserziehungsgeld zu beenden, damit auch in die- der Wahrheit natürlich haarscharf vorbeigedacht;
sen Ländern jungen Familien die Entscheidung für die denn es gab vorher immerhin ein Mutterschaftsur-
Erziehung und die Betreuung ihrer Kinder in den er- laubsgeld.
sten 3 Jahren erleichtert wird.
(Dr. Schockenhoff [CDU/CSU]: Nur für Ar
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) beitende!)
— Nur für Arbeitende, ja. Das ist der Unterschied
Lieber Herr Kollege Dr. Böhme, vielleicht können
gewesen.
Sie ja Ihrem Ministerpräsidenten Ihre Rede zuschik-
ken; das wäre sehr schön. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Ein feiner Unter
schied!)
(Dr. Böhme [Unna] [SPD]: Die Finanzpolitik
Aber es gab dieses Mutterschaftsurlaubsgeld, das
wird in Bonn gemacht!)
1981 immerhin eine Milliarde DM betragen hat. Die-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Erzie- ses Mutterschaftsurlaubsgeld, das heute übrigens,
hungsurlaub und Erziehungsgeld machen es möglich, Herr Romer, nicht weiter fortbesteht, wie Sie vorhin
daß sich entweder die Mutter oder der Vater in der gemeint haben, ist ersatzlos gestrichen worden.
ersten Zeit vordringlich um das Kind kümmern, es (Dr. Schockenhoff [CDU/CSU]: Erziehungs
betreuen und erziehen. Das Erziehungsgeld ist des- geld gibt es doch dafür!)
halb auch eine Anerkennung der Erziehungsarbeit
— Zunächst haben Sie dieses Mutterschaftsurlaubs-
der Mütter und Väter, obwohl natürlich jedem von uns
geld von 1 Milliarde DM bis auf 0,3 Milliarden DM
klar sein muß, daß diese Erziehungsleistung der El-
gekürzt. Die Frauen, die das Pech hatten, ihr Baby
tern letztlich — ich betone ausdrücklich: letztlich —
1984 oder 1985 zu bekommen, standen dann im Re-
nicht mit Geld aufgewogen werden kann.
gen; denn sie haben gar nichts bekommen. Das Erzie-
Beide Maßnahmen — Erziehungsgeld und Erzie- hungsgeld gab es noch nicht. Das Mutterschaftsur-
hungsurlaub — helfen gezielt unseren Familien, be- laubsgeld haben Sie zusammengestrichen, und die
handeln Mütter und Väter als gleichberechtigt und Mütter standen im Regen.
sind von daher auch ein Meilenstein in der weiteren Das war der Grund, warum es Klagen beim Bundes-
Verwirklichung von mehr Partnerschaft in der Fami- verfassungsgericht gab, weil die Menschen nicht da-
lie. Die Ausgaben des Bundes für diese Leistungen mit einverstanden waren, daß die Familien plötzlich
von 1,7 Milliarden DM im Jahre 1986 bis über 5 Milli- so in den Regen gestellt wurden. Denn es war nicht
arden DM des laufenden Jahres stellen somit eine nur die Tatsache, daß das Mutterschaftsurlaubsgeld
Investition in unser aller Zukunft dar, und, meine Da- wegfiel. Es fiel ja auch das Schüler-BAföG weg, was -
men und Herren, sie sollten von daher von uns allen den größten Batzen ausgemacht hat. Das waren mehr
getragen werden. als 3 Milliarden DM.
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Um so mehr freuen wir uns, daß es dieses Erzie- (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: 18 %?)
hungsgeld jetzt gibt. Auch die Tatsache, daß Sie bereit — 18%!
sind, den Kündigungsschutz hinsichtlich des Erzie-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist ja unglaub
hungsurlaubs auszudehnen, freut mich natürlich.
lich!)
Denn es ist erst wenige Monate her, daß wir von der
SPD und auch ich hier gestanden und für eine Aus- Die anderen sträuben sich zwar nicht, einmal einkau-
dehnung des Erziehungsurlaubs heftig gekämpft ha- fen zu gehen oder den Staubsauger zu benutzen, aber
ben, weil wir meinten, der Kündigungsschutz muß den Umgang mit nassen Lappen — das ist interes-
drei Jahre umfassen. sant — und die Hauptverantwortung in der Haus- und
Familienarbeit überlassen sie dann doch lieber ihrer
(Dr. Schockenhoff [CDU/CSU]: Haben Sie Frau.
auch gekämpft, als Sie an der Regierung wa
ren?) (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Die sind doch
nicht alle wasserscheu?)
Damals waren Sie noch nicht soweit und haben das
abgelehnt. Heute wollen Sie das machen, und darüber — Doch, offensichtlich; so besagt es die „Brigitte"-
freuen wir uns. Umfrage. Wann haben Sie zuletzt naß geputzt, Herr
Kollege?
Ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, der in
der Debatte bisher nur am Rande eine Rolle gespielt (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
hat, und zwar auf die Frage der Beteiligung von Vä- Angenommen, ein Mann würde die Familienarbeit
tern an diesem Erziehungsurlaub. Uns alle, die wir so der Erwerbstätigkeit vorziehen — solche Männer gibt
gern vom Wandel der Familie, von der partnerschaft- es ja — , so bleibt immer noch das Problem, daß seine
lichen Ehe und vom neuen Mann reden, muß es wie Karriere unter der Unterbrechung leiden könnte, daß
einen Schlag ins Gesicht treffen, wenn wir in diesem seine angebliche Unentbehrlichkeit im Betrieb hinter-
Bericht lesen: 1,4 % der Väter nehmen den Erzie- fragt werden könnte und daß die Kollegen über den
hungsurlaub in Anspruch, und auch das nur teil- Hausmann die Nase rümpfen könnten.
weise.
Sicher, es gibt ein paar Künstler, Schriftsteller oder
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Besser als gar Alleinerziehende, die — so sagt Mann — von einer -
nichts! Wollen Sie das denn zwangsweise verantwortungslosen Ehefrau sitzengelassen wurden
einführen?) und nun eine gewisse wohlwollende Betrachtung und
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Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Ich gebe zu: zwischen 1986 und 1991 einen Mittelbedarf von
Da ist die gesetzliche Regelung weiter als die gesell- 10 Millionen DM gehabt, der auf 19,8 Millionen DM
schaftliche Realität. Wir haben hier noch einen deut- gestiegen ist. Wir werden in den kommenden Jahren
lichen Nachholbedarf. Sie haben Gründe genannt, in Rheinland-Pfalz bei 27 Millionen DM für die Lei-
denen ich zum Teil zustimmen kann. stungen des Familiengeldes liegen. Das ist eine be-
achtliche Sache.
Ich kann Ihnen aber nicht in der Hoffnung beipflich-
ten, allein über materielle Anreize — siehe Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Schweden — , die wir geben könnten, zu einer part- Aber ich kann nur in die Frage einstimmen: Wo
nerschaftlichen Aufgabenteilung zu kommen. Ich bleiben entsprechende Regelungen in den SPD-re-
sehe nur die Möglichkeit, daß wir hier zu einem strik- gierten Ländern? Denn das ist doch keine Sache der
ten Umdenken in vielen Bereichen kommen müssen. Finanzen des Bundes, wie Sie, Herr Dr. Böhme, vorhin
Dabei spielen auch die Einkommensunterschiede eingeworfen haben. Das ist offensichtlich eine Frage
zwischen Männern und Frauen eine Rolle. 30 % — das der Regelung der Finanzen der Länder.
stimmt in der Tat — beträgt der Einkommensunter-
schied auch bei gleicher Qualifikation von Männern Ich bin sehr erstaunt, daß bisher kein SPD-regiertes
und Frauen. Land in dieser Sache gehandelt hat.
Ich habe sehr bedauert, daß typische klassische (Dr. Götte [SPD]: Erklären Sie einmal, was
Frauenberufe — die Erzieherin, die Krankenschwe- Rheinland-Pfalz macht, weil Sie darauf so
stern — in der Vergangenheit so sträflich von den stolz sind!)
Tarifpartnern vernachlässigt wurden und daß sich die — Liebe Frau Götte, wenn Sie eben zugehört hätten,
Gewerkschaften dieser Bereiche so wenig angenom- hätten Sie die Angaben bekommen. Sie können das
men haben. aber sicherlich nachlesen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir setzen den begonnenen Weg fort. Das tun wir
Da sind zum Glück Verbesserungen eingetreten. zu Recht. Wir gehen auf einen Erziehungsurlaub im
Diese Verbesserungen müssen sich fortsetzen; denn Umfang von drei Jahren zu. Wir werden dazu das -
dann haben wir in der Tat Grundlagen für partner- Erziehungsgeld auf zwei Jahre verlängern. Damit ha-
schaftliches Handeln. Den gesetzlichen Rahmen ha ben wir das getan, was dem Wunsch der meisten
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Stefan Schwarz (CDU/CSU): Frau Kollegin Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Noch ein Glück-
Dr. Böhmer, sind Ihnen wie mir Beispiele gerade in wunsch! Wir hatten ja zwei Jungfernreden, von Frau
dem Bundesland, aus dem wir kommen, Rheinland Kors und Frau Böhmer.
Pfalz, bekannt, daß eine Reihe von Initiativen der Lan- Frau Dr. Götte hat ihre Redezeit vorhin nicht ausge-
desregierung zum Ausbau der familienbegleitenden schöpft. Sie hat noch fünf Minuten und bittet, diese
Maßnahmen gerade für Kinder, Haus des Kindes, be- jetzt wahrnehmen zu können.
treuende Grundschule, auch Kindergarteneinrichtun-
gen und -erweiterungen, gerade lokal von sozialde- (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Uns bleibt aber
mokratischen Ratsfraktionen und -mehrheiten blok- auch nichts erspart! — Weiterer Zuruf von
kiert werden? der CDU/CSU: Ist ihr wieder etwas eingefal
len?)
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und (Hämmerle [SPD]: Ebenfalls, Frau Präsiden
Herren, ich schließe die Aussprache. tin!)
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf — Danke. — Gleichzeitig gebe ich bekannt: Die
Drucksache 11/8517 an die in der Tagesordnung aufge- nächste Sitzung des Deutschen Bundestages wird
führten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? auf Mittwoch, den 17. April 1991, 13 Uhr ein-
— Dann ist die Überweisung so beschlossen. berufen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche den hier noch anwesenden Kolleginnen
und Kollegen eine gute Osterpause. (Schluß der Sitzung: 13.32 Uhr)
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