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Plenarprotokoll 12/19

D eutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

19. Sitzung

Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 1203 A Wolfgang Roth SPD 1216D, 1217D


Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD . . . 1218B
Nachträgliche Überweisung des Achten Ju-
gendberichts an den Ausschuß für Familie Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE . . . 1218 C
und Senioren 1203A Andrea Lederer PDS/Linke Liste 1219 A
Tagesordnungspunkt 10: Konrad Weiß (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 1220B
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Horst Eylmann CDU/CSU 1220D
eines Gesetzes zur Änderung des Außen-
Otto Schily SPD 1221D
wirtschaftsgesetzes und der Strafprozeß-
ordnung (Drucksachen 12/104, 12/209, Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste .. 1223 D
12/218, 12/289) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 1224 A
Zweite und dritte Beratung des von der
Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs Birgit Homburger FDP 1224 C
eines Gesetzes zur Einschränkung von Dr. Burkhard Hirsch FDP (Erklärung nach
Rüstungsexporten (Drucksachen 12/120, § 31 GO) 1225A
12/289)
zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Tagesordnungspunkt 11:
Maßnahmen zur Einschränkung von Beratung ohne Aussprache
Rüstungsexporten Beratung der Beschlußempfehlung und
zu dem Antrag der Abgeordneten Frau des Berichts des Haushaltsausschusses zu
Lederer und der Abgeordneten der PDS/ dem Antrag des Bundesministers für
Linke Liste: Rüstungsexportverbot ins Wirtschaft: Rechnungslegung über das
Grundgesetz — Stopp der Rüstungspro- Sondervermögen des Bundes „Aus-
duktion (Drucksachen 12/119, 12/116, gleichsfonds zur Sicherung des Stein-
12/289) kohleneinsatzes" — Wirtschaftsjahr
Dr. Rudolf Sprung CDU/CSU . . 1203D, 1224 D 1989 — (Drucksachen 11/7759, 12/210
Nr. 90, 12/245) 1226C
Hermann Bachmaier SPD 1205 B
Zusatztagesordnungspunkte 4 bis 6:
Dr. Heinrich Kolb FDP 1208 B
Beratung der Beschlußempfehlungen des
Albrecht Müller (Pleisweiler) SPD . . 1209A Petitionsausschusses: Sammelübersich-
Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 1210D ten 8, 9 und 10 (Drucksachen 12/260, 12/
261, 12/291) 1226D
Otto Schily SPD 1212A, 1224 C
Dr. Willfried Penner SPD 1213D Tagesordnungspunkt 12:
Zweite und dritte Beratung des von der
Dr. Walter Hitschler FDP 1213D
Bundesregierung eingebrachten Ent-
Jürgen W. Möllemann, Bundesminister wurfs eines Gesetzes über die Anpassung
BMWi 1214D der Renten der gesetzlichen Rentenver-
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sicherung und der Geldleistungen der Hannelore Rönsch, Bundesminister BMFuS 1235A
gesetzlichen Unfallversicherung im Dr. Ulri ch Böhme (Unna) SPD 1237 C
Jahre 1991 (Drucksachen 12/197, 12/286,
12/287) Christina Schenk Bündnis 90/GRÜNE . 1239 C
Beschlußempfehlung und Bericht des Dr. Walter Hitschler FDP 1241A
Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 1241B
nung zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung zu dem Heinz Hübner FDP 1242 A
Bericht der Bundesregierung über die Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 1244 A
gesetzlichen Rentenversicherungen, ins- Eva-Maria Kors CDU/CSU 1245 B
besondere über deren Finanzlage in den
künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß Dr. Rose Götte SPD 1246C, 1251 C
§§ 1273 und 579 der Reichsversiche- Dr. Walter Hitschler FDP 1248 A
rungsordnung, § 50 des Angestelltenver- Dr. Ma ri a Böhmer CDU/CSU 1248D
sicherungsgesetzes und § 71 des Reichs-
knappschaftsgesetzes (Rentenanpas- Dr. Rose Götte SPD 1250 C
sungsbericht 1990) und dem Stefan Schwarz CDU/CSU 1251A
Gutachten des Sozialbeirats zur Anpas- Nächste Sitzung 1252 C
sung der Renten der gesetzlichen Ren-
tenversicherung und zu den Vorausbe-
Anlage 1
rechnungen der Bundesregierung über
die Entwicklung der Finanzlage der ge- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1253* A
setzlichen Rentenversicherung (Druck-
sachen 11/8504, 12/286) Anlage 2
Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 1227 C Redaktionelle Berichtigungen zur Beschluß-
Barbara Weiler SPD 1228 D empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/289 —, zu Protokoll gege-
Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 1229 D ben von dem Berichterstatter zu Drucksache
12/104 Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung
Petra Bläss PDS/Linke Liste 1230 C (CDU/CSU) 1254* A
Dr. Eva Pohl FDP 1231 B
Anlage 3
Christina Schenk Bündnis 90/GRÜNE . 1232 B
Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Alfons Müller (Wesseling) CDU/CSU . . 1233 A
Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU) zur Ab-
Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 1233 C stimmung über den Tagesordnungspunkt 10
(Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafpro-
Tagesordnungspunkt 13: zeßordnung, Entwurf eines Gesetzes zur Ein-
Beratung der Unterrichtung durch die schränkung von Rüstungsexporten, Antrag
Bundesregierung Bericht über die in der Fraktion der SPD: Maßnahmen zur Ein-
den Jahren 1986 bis 1988 gemachten schränkung von Rüstungsexporten) . . 1254*C
Erfahrungen mit dem Gesetz über die
Gewährung von Erziehungsgeld und Anlage 4
Erziehungsurlaub (Drucksache 11/
8517) Amtliche Mitteilung 1254*C
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19. Sitzung

Bonn, den 22. März 1991

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- Rüstungsexportverbot ins Grundgesetz —
ren, die Sitzung ist eröffnet. Stopp der Rüstungsproduktion
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die — Drucksachen 12/119, 12/116, 12/289 —
verbundene Tagesordnung um die Sammelüber- Berichterstatter:
sicht 10 zu Petitionen — Drucksache 12/291 — erwei- Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung
tert werden.
Darüber hinaus besteht Einvernehmen, den in der Zu dem genannten Gesetzentwurf liegen zwei Ent-
gestrigen Plenarsitzung bereits überwiesenen Achten schließungsanträge der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
Jugendbericht nachträglich auch dem Ausschuß für vor.
Familie und Senioren zur Mitberatung zu überwei- Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung
sen. 90 Minuten vereinbart worden. — Ich sehe auch dazu
Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen keinen Wiederspruch. Dann ist das ebenfalls be-
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. schlossen.
Der Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses,
Herr Kollege Dr. Rudolf Sprung, hat darum gebeten,
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: daß einige Berichtigungen zur Beschlußempfehlung
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines des Ausschusses zu Protokoll genommen werden.
Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschafts- Sind Sie damit einverstanden? — Kein Widerspruch.
gesetzes und der Strafprozeßordnung Dann können wir so verfahren.
— Drucksachen 12/104, 12/209, 12/218 — Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge-
ordnete Dr. Rudolf Sprung.
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)
Dr. Rudolf Sprung (CDU/CSU): Herr Präsident!
— Drucksache 12/289 —
Meine Damen und Herren! Die heute anstehende
Berichterstatter: zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Geset-
Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung zes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und
der Strafprozeßordnung steht im Blick einer beson-
Zweite und dritte Beratung des von der Frak- ders kritischen und sensiblen Öffentlichkeit, die zwi-
tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
schen zwei Erwartungshaltungen schwankt: Auf der
setzes zur Einschränkung von Rüstungsexpor- einen Seite haben die illegalen Rüstungsexporte eini-
ten
ger weniger deutscher Unternehmen in den Irak im
— Drucksache 12/120 — In- und Ausland für Aufregung, ja Entsetzen gesorgt.
Mit Recht! Die Vorstellung, daß ausgerechnet Israel
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
nach einem provozierten Hineinziehen in den Golf-
schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)
krieg indirekt Opfer von kriminellen Deutschen und
— Drucksache 12/289 — deren illegal exportierten Waffen werden könnte, er-
Berichterstatter: füllte uns alle mit Sorge und Scham, die ausländischen
Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung Nachbarn und Verbündeten mit Argwohn. Daß hier
— wie sich am Ende herausgestellt hat — auch Unauf-
(Erste Beratung 9. Sitzung) richtigkeit mit im Spiel war, um von einigen Verfeh-
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- lungen im befreundeten Ausland abzulenken, soll
schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem hier nicht debattiert werden.
Antrag der Fraktion der SPD Maßnahmen zur Auf jeden Fall war zügiges Handeln gefordert. Das
Einschränkung von Rüstungsexporten zu dem Hinwegsetzen über den Grundsatz der Nichtgeneh-
Antrag der Abgeordneten Frau Lederer und migung von Rüstungsexporten in Nicht NATO Län-
- -

der Abgeordneten der PDS/Linke Liste der dokumentierte diesen Zugzwang, dem sich alle
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Dr. Rudolf Sprung


politischen Kräfte ausgesetzt und verpflichtet fühl- Post- und Fernmeldegeheimnis nicht nur vertretbar,
ten. sondern auch unvermeidbar. Einem Mißbrauch durch
das Zollkriminalinstitut wird durch die klare Formu-
Zugleich wurde in den Wochen des Krieges überaus lierung des § 39 vorgebeugt.
deutlich, daß das Außenwirtschaftsgesetz und die
Strafprozeßordnung verschärft werden müssen, ob- Doch, meine Damen und Herren, bei aller Ent-
-gleich das im Juni 1990 verschärfte Außenwirtschafts schlossenheit, dem kriminellen Export von Kriegswaf-
und Kriegswaffenkontrollrecht im internationalen fen und Rüstungstechnologie ein Ende zu bereiten,
Vergleich schon auf einem extrem hohen Niveau und bei allem Bemühen der Bundesregierung, hier
stand. Tatsächlich waren sich alle in unserem Land besonders restriktiv vorzubeugen, bleibt eines un-
einig, daß hier entschlossenenes Handeln politisch übersehbar: Wirklich erfolgreich werden diese Bemü-
notwendig und moralisch erforderlich sei. hungen nur dann sein, wenn zu den nationalen Bemü-
hungen, Rüstungsexporte zu unterbinden, solche im
Die Bundesregierung hat sich mit dem Entwurf und
größeren europäischen und internationalen Rahmen
der ersten Lesung des Gesetzes zur Änderung des
hinzutreten, wenn es zu einer internationalen Koope-
Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßord-
ration und Koordinierung bei Rüstungsexportbe-
nung am 21. Februar dieses Jahres im Bundestag die-
schränkungen kommt.
ser Herausforderung gestellt und ist das Problem aktiv
angegangen. Die Wirtschaft ist, wie wir alle wissen, heute welt-
Auf der anderen Seite beginnen sich nun jedoch in weit tätig und über alle Grenzen hinweg miteinander
einer Reihe von Medien, aber auch im politischen verflochten. Doch die Politik der Rüstungsexport-
Raum Widerstände gegen die vorgesehenen Kon- beschränkung macht bislang an den Grenzen noch
trollverschärfungen zu formieren. Grund ist die ge- halt. Solange dies so ist, werden unsere Bemühungen
plante Einsetzung des Zollkriminalinstituts mit erwei- nicht die Erfolge haben, die wir uns wünschen. Das
terten Befugnissen zur Überwachung des Brief-, Post- Problem wird dort noch verschärft, wo es sich um
und Fernmeldeverkehrs, wenn Tatsachen die An- Kooperationsabkommen oder Dual-use-Produkte
nahme rechtfertigen, daß Außenwirtschaftsstraftaten handelt.
begangen werden sollen. De facto werden damit die- Wenn Ende 1992 der europäische Binnenmarkt
jenigen, die besonders vehement und durchaus mit Wirklichkeit wird, müssen Regelungen im EG-Rah-
Recht ein restriktives Vorgehen gegen illegalen Waf- men vereinbart worden sein, die greifen und die auch
fenexport verlangten, nun zum Hemmschuh. Das In- unter Wettbewerbsgesichtspunkten akzeptabel sind.
strumentarium im präventiven Bereich muß ausge- Allein nationale Regelungen sind in diesem Bereich
schöpft werden. Ein Eingriff in das Post- und Fernmel- blanker Anachronismus.
degeheimnis scheint darum von erheblicher Bedeu-
tung zu sein, nicht zuletzt wegen seines Abschrek- Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich
kungscharakters. dazu auf, Herr Minister, in Brüssel entsprechend tätig
zu werden. Dabei sollte sie alles daran setzen, daß die
Prävention ist nötig, um es gar nicht erst zu strafbaren inzwischen sehr restriktiven, strikten und weitrei-
Verstößen gegen das Außenwirtschaftsrecht kommen chenden deutschen Exportkontrollen auch auf euro-
zu lassen, zu Verstößen, die die Sicherheit der Bun- päischer Ebene durchgesetzt werden.
desrepublik beeinträchtigen und das friedliche Zu-
sammenleben der Völker und die auswärtigen Bezie- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Und weltweit,
hungen der Bundesrepublik erheblich stören. bitte! — Marschewski [CDU/CSU]: Sehr
richtig!)
Kriminelles Handeln im Außenwirtschaftsverkehr
zu verhindern und nicht nur zu bestrafen muß ein Mit Genugtuung war in der letzten Woche zu lesen,
wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik sein. Beschrän- daß der luxemburgische Ratspräsident für die EG um-
kungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses gehend eine gemeinsame Politik im Bereich des Ex-
— hier ist mit einer präzisen Formulierung Klarheit ports von Rüstungsgütern forderte. Ähnliches war aus
geschaffen worden — sind nur bei bestimmten Straf- der EG-Kommission zu hören. Diesen Worten, meine
taten von erheblicher Bedeutung vorgesehen. Damen und Herren, müssen jetzt Taten folgen.
(Marschewski [CDU/CSU]: Und notwen Die deutschen Bemühungen sollten sich aber nicht
dig!) nur auf die EG erstrecken; andere regional weitergrei-
fende internationale Gremien wie die KSZE bis hin
Das heißt, die Erheblichkeit der geplanten Straftaten
zur UNO sollten in die Bemühungen mit einbezogen
ist Voraussetzung für die Beschränkung. werden. Für die Mitglieder des Weltwirtschaftsgipfels
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir wis- ergibt sich die Chance, das Thema „Rüstungsexport-
sen, daß Eingriffe in Grundrechte nach allen Seiten kontrolle" zu einem wichtigen Beratungspunkt auf
hin gründlich überlegt und Folgewirkungen bedacht der Tagung Mitte Juli in London zu machen. Was
werden müssen. Im Rahmen des illegalen Waffenex- internationale Bemühungen betrifft, so gibt es ja be-
ports und der Schwere dieses Vergehens geht es aber reits wirksame Aktionen, nämlich die COCOM-Liste.
nicht nur darum, vollzogene kriminelle Aktivitäten im Was im Ost-West-Verhältnis möglich war, sollte auch
Außenwirtschaftsverkehr zu bestrafen. Wir alle wis- in Nord-Süd-Richtung funktionieren können, um im
sen: allein schon die Möglichkeit, das Delikt zu bege- Rahmen der UNO eine Ächtung aller biologischen,
hen, muß verhindert werden, um diesem furchtbaren chemischen und atomaren Waffenexporte zu errei- -
Geschäft das Handwerk zu legen. Darum, meine Da- chen.
men und Herren, scheint uns der Eingriff in das Brief-, (Zustimmung bei der CDU/CSU)
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Dr. Rudolf Sprung


Wir hoffen darun, daß unsere Verschärfungen der Ex- mer wieder weismachen will, zu Exporteuren des To-
portkontrollen initiativ wirken. Klare restrikte Richtli- des geworden sind, sondern daß sich eine immer län-
nien für den Export sensibler Technologien und von ger werdende Reihe von Unternehmen an diesen Ge-
Rüstungsgütern bedürfen dringend einer internatio- schäften eine goldene Nase verdient hat und wohl
nalen Harmonisierung. noch immer verdient.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, vor dem Dies gilt für die sogenannten legalen Exporte, die
Hintergrund der massiven und zeitweilig pauschalen mit dem Wohlwollen der Bundesregierung durchge-
Kritik an der deutschen Wirtschaft erlauben Sie mir führt werden und wurden ebenso wie für die unter
eine abschließende Bemerkung. Die deutsche Wirt- den Augen der Behörden getätigten illegalen Exporte.
schaft ist nach den harten Attacken in den letzten Die beiden von der SPD initiierten Untersuchungsaus-
Wochen sehr daran interessiert, ihren guten Ruf wie- schüsse des Deutschen Bundestages, die sich in der
derzuerlangen. vergangenen Legislaturperiode mit den legalen und
(Zustimmung bei der CDU/CSU und der illegalen Waffen- und Rüstungsexporten befaßt ha-
FDP) ben, haben schon längst das erschreckende Ausmaß
der tiefen Verstrickung deutscher Unternehmen und
Die globalen, oft nicht nachweisbaren Vorwürfe wa-
deutscher Politik in die immer umfangreicher werden-
ren überzogen und sind daher scharf zu mißbilligen.
den Waffen- und Rüstungsexporte zutage gefördert.
Diese Vorwürfe kommen aus der gleichen Ecke, die
jetzt sehr lautstark ihre Bedenken gegen die präven- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/
tiven Maßnahmen äußert. Hier stimmen Anspruch CSU: Einiger weniger!)
und Wirklichkeit nicht überein. Aber noch nicht einmal die Tatsache, daß ein deut-
Meine Damen und Herren, weil einige wenige Un- scher Unternehmer eine vollständige Giftgasfabrik
ternehmen kriminelle Handlungen begingen, die nach Libyen liefern konnte, führte zum Aufbau eines
ohne Wenn und Aber zu verurteilen sind, kann man wirksamen und weitgehend lückenlosen Kontrollsy-
die deutsche Wirtschaft insgesamt nicht an den Pran- stems. Auch die Lieferungen von Rüstungsgütern und
ger stellen, eine Wirtschaft, die sich in ihrer überwäl- Massenvernichtungstechnologien in den Irak stan-
tigenden Mehrheit streng an Recht und Gesetz hält. den in den vergangenen Jahren immer wieder im Mit-
Die deutsche Wirtschaft begrüßt daher fast ausnahms- telpunkt gut recherchierter Presseberichte, ohne daß
los die weiteren Verschärfungen im Außenwirt- die Regierung daraus die dringend notwendigen Kon-
schaftsrecht und dokumentiert damit ihre Unterstüt- sequenzen gezogen hätte.
zung der politischen Ziele der Rüstungsexportbe-
Seit es — um nur ein Beispiel zu nennen — Ende der
schränkung.
70er, Anfang der 80er Jahre einem Freiburger Unter-
Diese Haltung erlaubt es, auch auf die Selbstkon- nehmen gelang, einen wichtigen Baustein zum paki-
trolle der Wirtschaft zu bauen, die die deutsche Wirt- stanischen Atombombenprogramm, eine komplette
schaft bereits seit Ende 1989 mit Erfolg praktiziert. Als Uranhexafluorid-Anlage, im Wert von 15 Millionen
beispielhaft muß hier die Selbstkontrolle der chemi- DM in 62 Teillieferungen an bundesdeutschen Behör-
schen Industrie genannt werden. Wenn Unternehmen den und Grenzkontrollen vorbei illegal nach Pakistan
von vornherein keine Endverbleibserklärung erhal- zu exportieren, war vor allem auch den damit befaßten
ten, wird nicht geliefert. Durch die Selbstkontrolle Politikern und Beamten des Bundeswirtschaftsmini-
werden auch rechtzeitig die Ermittlungsbehörden in- steriums und des Bundesamtes für Wirtschaft klar, daß
formiert. unsere Grenzen für illegale Rüstungsexporte weit ge-
Auch nach der heutigen Verabschiedung des vor- öffnet sind und skrupellose Geschäftemacher leichtes
liegenden Gesetzentwurfs wird es noch lange dauern, Spiel haben.
bis der außenpolitische Schaden behoben ist, den kri- Dem Rüstungsexporteur im übrigen wurde damals
minelle Aktivitäten verursacht haben. kaum ein Haar gekrümmt. Er erhielt Mitte der 80er
(Roth [SPD]: Das ist wahr!) Jahre für dieses verbrecherische Geschäft lediglich
Begreifen wir unsere Bemühungen zur Rüstungskon- acht Monate Freiheitsstrafe, selbstverständlich zur
trolle als entschlossenes und initiatives Engagement Bewährung ausgesetzt, und hatte eine Bewährungs-
für eine Internationalisierung der Waffenexportkon- auflage von lediglich 30 000 DM zu zahlen.
trollen und als Dokumentation einer überzeugten (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört! — Marschewski
Ächtung krimineller Verhaltensweisen. [CDU/CSU]: Ist das Urteil denn von der Bun-
Ich danke Ihnen. desregierung? — Weiterer Zuruf von der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) CDU/CSU: Das war ein Gesetz aus Ihrer Zeit!
— Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
— Mitte der 80er Jahre fiel das Urteil. Warten Sie ab,
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- das kommt ja noch.
ordnete Hermann Bachmaier.
Dies ist ein Betrag, der in Anbetracht der Gewinne,
die bei diesen Geschäften gemacht werden, buchstäb-
Hermann Bachmaier (SPD): Herr Präsident! Meine lich aus der Portokasse bezahlt wird.
Damen und Herren! Die jüngere Geschichte der bun-
Das Urteil des Freiburger Schöffengerichts
desdeutschen Rüstungsexportkontrolle ist eine Ge-
schichte des Versagens der politisch verantwortlichen (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht der Bundes--
Bundesregierung. Schon lange wissen wir, daß nicht regierung! — Weitere Zurufe von der CDU/
nur einige wenige schwarze Schafe, wie man uns im CSU)
1206 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Hermann Bachmaier
ließ im übrigen keinen Zweifel daran, wieso es sich ger zu schauen und ihnen schon im Vorfeld das Hand-
gezwungen sah, den Rüstungsexporteur — hören Sie werk zu legen.
doch einmal genau hin; ich versuche nicht, hier Meine Damen und Herren, diese Zitate belegen mit
schwarz-weiß zu malen, wie Sie schnell merken wer- aller Deutlichkeit aber auch, daß eine dem Bundes-
den — wirtschaftsministerium zugeordnete Exportkontroll-
(Roth [SPD]: Das ist die Wahrheit!) institution schon strukturell nicht in der Lage sein
strafrechtlich auch noch so komfortabel zu behandeln. kann, wirksame Kontrolle auszuüben.
Zugunsten des Angeklagten, hieß es da, sei zu be- Unter der erdrückenden Fülle immer neuer Berichte
rücksichtigen, daß ihm die staatlichen Stellen die Tat über die tiefe Verstrickung deutscher Unternehmen in
leicht gemacht haben. Zur Durchführung der Exporte die Aufrüstung des Irak bis hin zur Lieferung von
habe es keiner Nacht-und-Nebel-Aktion bedurft. Massenvernichtungstechnologien war die Bundesre-
(Dr. Vogel [SPD]: Aha!) gierung genötigt, Initiativen gegen den Rüstungs-
export zu ergreifen. Wer allerdings geglaubt hatte,
Der Exporteur habe, so wörtlich, keinesfalls besonders
daß die Regierung nach diesen schlimmen Erfahrun-
raffiniert vorgehen müssen, um sein Ziel zu errei-
gen ihre bisherige expansive und extensive Rüstungs-
chen.
exportpolitik einschränken und einen Prozeß des Um-
(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)
denkens einleiten würde, wurde enttäuscht. Mit dem
Jetzt kommt es: Obwohl dem Wirtschaftsministe- Segen der Bundesregierung sollen Tornados und U-
rium und auch dem damaligen Wirtschaftsminister Boote nach Südkorea ebenso exportiert werden wie
Panzerabwehrraketen nach Indien und U-Boote nach
(Dr. Vogel [SPD]: Straußbriefe!)
Israel.
dieses Urteil zur Kenntnis gebracht wurde und im
Nachdem die sogenannten legalen Rüstungs-
Wirtschaftsministerium sogar noch Verbesserungs-
exporte in den vergangenen Jahren drastisch ange-
vorschläge erarbeitet wurden, geschah gar nichts.
stiegen sind, soll offensichtlich auch in Zukunft kräftig
Erst nach dem Rabta-Skandal fing man unter dem genehmigt und exportiert werden. Von Lehren aus
öffentlichen Druck so ganz langsam an, die einschlä- den bitteren Erfahrungen des Golfkrieges kann bis-
gigen Strafvorschriften zu verschärfen. lang keine Rede sein.
(Dr. Vogel [SPD]: So war es!) Während die Bundesregierung nicht im Traum
daran denkt, ihre Genehmigungspraxis einzuschrän-
Kein Wunder also — jetzt kommt die bittere Konse-
ken, verlangen wir heute eine verbindliche gesetzli-
quenz —, daß der Giftgasexporteur aus Lahr noch im
che Festlegung darauf, daß im Vorgriff auf eine spä-
vergangenen Jahr so behandelt wurde, als hätte er
tere Verfassungsnorm bereits jetzt Waffenexporte in
lediglich ein verzeihliches Kavaliersdelikt began-
gen.
Staaten außerhalb der NATO gesetzlich untersagt
werden. Dem können Sie heute zustimmen; das wäre
Vieles konnte unter den Augen der Behörden ganz doch ein deutliches Zeichen.
legal exportiert werden,
(Beifall bei der SPD)
(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)
Mit einer rechtsstaatlich äußerst gefährlichen Mini-
weil die Maschen des Außenwirtschaftsrechtes nach mallösung versucht die Bundesregierung, von ihrer,
wie vor zu weit geknüpft sind und weil die Ideologie wie gesagt, extensiven Genehmigungspraxis abzu-
der Exportförderung immer den Vorrang vor wirksa- lenken und den Eindruck zu erwecken, sie würde
men Kontrollen hatte. nunmehr unnachsichtig Rüstungsexporteure verfol-
gen und dingfest machen.
(Dr. Vogel [SPD]: Ja!)
Einem jahrelangen grenzenlosen Schlendrian, Herr
Da sprachen leitende Beamte im Atomskandal-Unter-
Marschewski, bei der Konotrolle illegaler Rüstungs-
suchungsausschuß davon, daß es nicht die Aufgabe
der Exportkontrolleure sei, so wörtlich, der deutschen
exporte soll nunmehr durch hektisch zusammenge-
zimmerte Strafrechtsnormen und darauf aufbauende
Industrie Knüppel in den Weg zu legen. Da war davon
Telefonabhörermächtigungen zu Leibe gerückt wer-
die Rede, daß im Zweifel für den Exporteur entschie-
den, die in bedenklicher Weise in das verfassungs-
den worden sei, weil nach der Rechtslage die Export-
rechtlich geschützte Post- und Fernmeldegeheimnis
freiheit Vorrang habe.
auch einer Vielzahl Unbeteiligter eingreifen.
Wen wundert es da noch, daß Geheimdiensthin-
weise auf illegale Exporte als lästige Arbeitsbeschaf- (Marschewski [CDU/CSU]: Wie wollen Sie
fungsmaßnahmen abgelehnt wurden und daß ein frü- es denn machen? Es geht gar nicht an
herer Kontrollbeamter aus dem Bundesamt für Wirt- ders!)
schaft gar meinte, anonyme Papiere, also Geheim- Andere wirksame Instrumente zur Aufdeckung und
diensthinweise, dieser Art landen bei mir normaler- Verhinderung illegaler Rüstungsexporte werden
weise im Papierkorb. Die Zitate ließen sich beliebig nicht einmal in Betracht gezogen.
fortsetzen.
Wie Sie wissen, haben wir die uns bekannten Rü-
Wer seine Aufgabe vorwiegend darin sah, für die stungsexportverstöße in den Untersuchungsausschüs-
Wirtschaft dazusein, Exporte grundsätzlich zu fördern sen gründlich unter die Lupe genommen. Deshalb
und nicht gleichrangig zu kontrollieren, der ist schon wissen wir, daß verfassungsrechtlich einwandfreie -
aus seinem Selbstverständnis heraus nicht in der Methoden, wie wir sie in unserem Gesetzentwurf und
Lage, skrupellosen Rüstungsexporteuren auf die Fin Entschließungsantrag vorschlagen, dann, wenn sie
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Hermann Bachmaier
kompetent durchgeführt werden, nicht nur geeignet, Post- und Fernmeldegeheimnisses in Mitleidenschaft
sondern auch ausreichend sind, illegale Rüstungs- gezogen werden können und wohl auch werden.
exporteure nicht nur nach der Tat zu fassen, sondern
Wir brauchen keinen grenzenlosen Überwachungs-
auch die geplanten Rüstungsexporte zu verhindern.
staat, um den illegalen Rüstungsexporteuren das
(Zuruf von der CDU/CSU: Wie wollen Sie das Handwerk zu legen.
machen?)
(Beifall bei der SPD)
Dies gilt für rechtzeitig, und, wie gesagt, kompetent
Der Rechtsstaat ist stark genug, um diese Aufgabe mit
durchgeführte Außenwirtschaftsprüfungen ebenso
rechtsstaatlich einwandfreien Mitteln zu lösen.
wie für strafbewehrte Anzeigen und Anzeigepflichten
sowie für eine strafprozessual geregelte legale Abhör- (Marschewski [CDU/CSU]: Das ist doch ein
berechtigung dann, wenn ein konkreter Verdacht be- wandfrei!)
steht.
Daß Sie ganz genau wissen, welch gefährliche Ope-
(Marschewski [CDU/CSU]: Was haben wir ration Sie an unserer verfassungsrechtlichen Grund-
denn geregelt?) ordnung vornehmen wollen, das zeigt auch die Tatsa-
che, daß Sie immer wieder neue Formulierungen vor-
— Hören Sie nur zu! Sie hätten bei dem bleiben kön-
genommen und Ergänzungen hinzugefügt haben und
nen, was wir vorgeschlagen haben.
nunmehr diese unerträglich extensive Abhörermäch-
Wir fordern deshalb eine verbindliche gesetzliche tigung lediglich bis zum 31. Dezember 1994 befristen
Regelung, daß gründliche Außenwirtschaftsprüfun- wollen. Was soll das eigentlich? Was soll denn danach
gen in allen Fällen bereits dann durchgeführt werden kommen, wenn Sie uns bisher andere Instrumente
müssen — nicht nur durchgeführt werden können —, weder zur Entscheidung noch zur Beratung vorgelegt
wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht haben?
auftauchen, daß ein illegaler Rüstungsexport bevor-
Meine Damen und Herren, wenn außerdem ein Rü-
steht.
stungsexporteur befürchten muß, daß er im Falle einer
Vor nicht allzu langer Zeit haben Sie es in Fällen, in Entdeckung nicht nur mit hohen Freiheitsstrafen zu
denen Sie jetzt abhören wollen, sogar noch abgelehnt, rechnen hat, sondern auch seine berufliche Existenz
Außenwirtschaftsprüfungen durchzuführen. auf dem Spiel steht und ihm durch Gesetz zwingend
sein gesamter Bruttoerlös abgenommen wird, dann
(Dr. Vogel [SPD]: Aha! Schau, Schau, Schau!)
wird er sich sehr wohl überlegen, ob er sich auf der-
Wer sich so verhalten hat, ist meines Erachtens nicht artige Risiken einläßt.
legitimiert, sich über Instrumente, die rechtsstaatlich
Völlig unzureichend geregelt ist bis heute auch der
einwandfrei sind, so gelassen hinwegzusetzen, wie
gesamte Bereich der Ausfuhr der sogenannten Dual-
das hier der Fall ist.
use-Produkte und -Technologien, also die Ausfuhr
(Beifall bei der SPD) von Gegenständen und Techniken, die sowohl friedli-
chen Zwecken dienen als auch sehr schnell einer ge-
Neben den mit der Außenwirtschaftskontrolle be- fährlichen kriegerischen Verwendung zugeführt wer-
faßten Beamten soll nach unseren Vorschlägen jede den können.
Person verpflichtet werden, drohende Rüstungs-
exporte unverzüglich zur Anzeige zu bringen, wenn Wirksame Rüstungsexportkontrolle kann letztlich
sie davon Kenntnis erlangt. Durch die Aufnahme der nur dann funktionieren, wenn die noch immer zer-
Rüstungsexportverstöße in die anzeigepflichtigen De- splitterten Zuständigkeiten für Exportgenehmigung
likte nach § 138 des Strafgesetzbuches riskieren die- und -kontrolle endlich zusammengefaßt werden und
jenigen, die dieser Anzeigepflicht nicht nachkommen, bei einem dafür zuständigen Exportkontrollamt hin-
selber eine empfindliche Strafe. Wir wollen auch, daß reichender Sachverstand für die Kontrolle besteht.
Arbeitnehmer, die von solchen Verstößen in ihren Be- Auch von derartigen, zwingend notwendigen admini-
trieben erfahren und diese Informationen weiterge- strativen Maßnahmen haben wir bislang kaum etwas
ben, arbeitsrechtlich in vollem Umfange geschützt gesehen. Wir haben allenfalls einige unverbindliche
werden. Andeutungen vernommen, daß die Exportgenehmi-
(Beifall bei der SPD) gungszuständigkeit irgendwann aus dem Eschborner
Bundesamt für Wirtschaft ausgegliedert werden soll.
Wir halten es auch für richtig, daß eine Telefonüber- Geschehen ist in dieser Richtung nach meiner Kennt-
wachung von Verdächtigen nach den Regeln der nis bis heute allerdings noch nichts.
StPO dann durchgeführt wird, wenn, wie gesagt, ein
konkreter Verdacht besteht. Eine Telefonüberwa- Auch muß seitens der Bundesregierung endlich mit
chung, die durchgeführt werden kann, ohne daß kon- der unerträglichen Geheimniskrämerei bei Rüstungs-
krete Umstände den Verdacht auf einen schweren exporten Schluß gemacht werden.
Rüstungsexportverstoß rechtfertigen, lehnen wir aus (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
rechtsstaatlichen Gründen ab. GRÜNE)
Uns ist völlig unverständlich, daß die Regierung nun Das Parlament und die Öffentlichkeit müssen unauf-
mit Brachialgewalt diese unnötigen neuen und in die- gefordert, umfassend und lückenlos
ser Weise bisher nirgendwo bestehenden Telefonab-
hörbefugnisse schaffen will, durch die eine unabseh- (Dr. Vogel [SPD]: Wahrheitsgemäß! — Zuruf -
bare Vielzahl von Menschen in ihrem verfassungs- von der CDU/CSU: Wenn möglich, täg
rechtlich geschützten Anspruch auf Bewahrung des lich!)
1208 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Hermann Bachmaier
— und wahrheitsgemäß — über Rüstungsexporte und dann vorgelegten Gesetzentwürfe weit zurück-
die der Regierung bekannten Rüstungsexportverstöße bleiben, und im Gesetzgebungsverfahren gegen
unterrichtet werden — nicht nur über die illegalen die Aufweichungen und Verwässerungen wei-
Rüstungsexporte, sondern über alle. ter.
Im Gegensatz zu unserem Gesetzentwurf und unse- Herr Kollege Bachmaier, gestatten Sie mir, daß ich
rem Entschließungsantrag, dem Sie heute zustimmen Ihnen von dieser Stelle aus sage: Sie haben sich geirrt!
können, wenn Sie es mit der Rüstungsexportkon- Der jetzt in der zweiten Lesung vorliegende Entwurf
trolle, auch für legale Exporte, ernst meinen, wird bleibt in keinem Falle hinter dem ursprünglichen Ent-
sich durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung wurf und hinter unseren Ankündigungen zurück.
an den Rüstungsexporten, wie gesagt, wenig bis gar
nichts ändern. Es bleibt bei der extensiven Praxis im- Gestatten Sir mir auch noch die folgende Anmer-
mer weiterer legaler Exporte in Staaten außerhalb des kung. Mir scheint doch ein bißchen das von Ihnen
NATO-Bereiches und einer immer tieferen Verstrik- damals Gesagte aus heutiger Sicht auf die SPD zuzu-
kung in gegenwärtige und zukünftige Konflikte auf treffen: Erst große Ankündigungen, jetzt aber wirk-
dieser Erde. Auch bei der Bekämpfung der illegalen lich dafür sorgen zu wollen, daß illegale Waffenex-
Rüstungsexporte wird der Regierungsentwurf wenig porte aufhören; dann bekommen Sie kalte Füße und
ändern. machen einen Rückzieher.
Im legalen Bereich ändert sich bekanntlich gar (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
nichts. Davon soll dieser Entwurf entscheidend ablen- Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr! Sehr
ken. Das ist die Strategie, die hier angewendet richtig! — Widerspruch bei der SPD)
wird.
Herr Kollege Schily,
(Beifall bei der SPD — Marschewski [CDU/
CSU]: Schwachsinn!) (Geis [CDU/CSU]: Den Schily kannst du ver
Wer eine so großzügige Rüstungsexportgenehmi- gessen!)
gungspraxis betreibt, meine Damen und Herren, wie im Wirtschaftsausschuß konnte man den Eindruck ge-
dies bei der Bundesregierung der Fall ist — jetzt hören winnen, daß die SPD gar nicht so schnell an einer
Sie einmal genau zu — , braucht sich nicht zu wun- wirksamen Regelung dieser Frage interessiert ist.
dern, wenn gewissenlose Krämerseelen skrupellose
Geschäfte mit dem Tod betreiben. Das hat Ausstrah- (Schily [SPD]: Wie bitte? Das ist unglaublich,
lungswirkung, meine Damen und Herren. Auch der was Sie hier bieten! Das ist die Unwahrheit!
illegale Rüstungsexport wird am wirksamsten da- — Weitere Zurufe von der SPD)
durch bekämpft, daß wir den sogenannten legalen
Ich räume allerdings ein: Es ist für Sie angenehmer,
Export endlich einschränken, um in einer hoffentlich
die Regierung wegen angeblicher Untätigkeit regel-
nicht zu allzu fernen Zukunft, ebenso wie Japan, das
mäßig zu kritisieren, als heute zuzugeben, daß mit
wir uns sonst immer zum Vorbild nehmen sollen, ganz
einem wirksamen Gesetzentwurf Abhilfe geschaffen
auf die Ausfuhr von Rüstungsgütern zu verzichten.
wird.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
Geis [CDU/CSU]: Der Schily wollte nicht!)
GRÜNE)
Zurück zur Sache: Der heute vorliegende Entwurf
ist in der Tat von dem Bemühen getragen, das Pro-
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Abgeord-
blem nachhaltig in den Griff zu bekommen. Dabei
neten Heinrich Kolb das Wort.
steht die Möglichkeit des Abhörens im Vorfeld nach
(Zuruf von der CDU/CSU: Endlich einmal den §§ 39, 40 des Außenwirtschaftsgesetzes, das be-
etwas Solides!) schlossen werden soll, zwar im Mittelpunkt der Dis-
kussion. Wir dürfen aber dennoch nicht übersehen,
Dr. Heinrich Kolb (FDP) : Herr Präsident! Meine Da- daß wir es mit einem ganzen Bündel von Vorschriften
men und Herren! Die „Stuttgarter Nachrichten" hat- zu tun haben, die neu oder in dieser Ausgestaltung
ten die erste Lesung des heute zur Beratung anstehen- erst seit kurzem in unsere Rechtssystematik einge-
den Gesetzes mit der Schlagzeile kommentiert: „Der führt sind.
Empörung folgt ein verwässerter Gesetzentwurf". Ich nenne die wichtigsten Stichworte: der beson-
Schon das war falsch. dere Straftatbestand für Embargoverstöße, die erheb-
Ich stelle heute fest: Mit dem hier zur Abstimmung liche Verschärfung der Strafbestimmungen, die dazu
stehenden Gesetzentwurf, der eben kein verwässerter führt, daß bei Mindeststrafen von zwei Jahren eine
Entwurf ist, sollte diese Kritik endgültig verstum- Bewährung in aller Regel ausscheidet, die Bestrafung
men. von Technologiesöldnern, die Ermächtigung des Bun-
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten desministers für Wirtschaft im Einzelfall bei bestehen-
der Gefahr, die Änderung des Gesetzes zu Art. 10 des
der CDU/CSU)
Grundgesetzes, wonach jetzt auch Erkenntnisse aus
Mehr noch, der Kollege Bachmaier fühlte sich da- der Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes in
mals bemüßigt, zu kritisieren — ich zitiere jetzt: Fällen illegaler Exporte verwendet werden können,
Dieses Verfahren hat bei der Koalition schon Me und schließlich — ganz wichtig — die Strafgesetzän- -
thode. Dem Ausdruck großen Entsetzens folgen derung, wonach eine Abschöpfung der Erlöse nach
vollmundige Ankündigungen, hinter denen die dem Bruttoprinzip erfolgen kann, d. h. es werden
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1209

Dr. Heinrich Kolb


sämtliche Erlöse ohne Schmälerung durch irgendwel- Dr. Heinrich Kolb (FDP): Ich möchte jetzt gerne fort-
che Aufwendungen eingezogen. fahren und den Fluß der Rede nicht zu sehr unterbre-
Der Gesetzentwurf entspricht dem Bekenntnis zu chen.
einer neuen Qualität der Verantwortung, die mit dem (Geis [CDU/CSU]: Der Schily bringt nichts
gestiegenen außenpolitischen Gewicht der Bundesre- Neues!)
publik Deutschland korrespondiert.
Das Gesetzgebungsverfahren war in der Schluß-
(Geis [CDU/CSU]: Aber die anderen Länder phase stark von juristischen Grundsatz- und Einzel-
müssen sich anschließen!) fragen, insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung
— So ist es. der Möglichkeiten zum Abhören von Telefongesprä-
Mit dem Ende des Golfkrieges ist unsere Empörung chen sowie der Überwachung des Postverkehrs, ge-
eben nicht zu Ende. Wir nehmen das Ende des Krieges prägt.
nicht zum Anlaß, zur Tagesordnung überzugehen, In der Tat handelt es sich bei dem jetzt vorliegenden
sondern wir bekennen uns auch jetzt noch zu unserer Entwurf um eine neue Variante der Beschränkung
Verantwortung, die zwingend zum liberalen Rechts- von Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Zukünftig
staat und damit auch zu einer freiheitlichen Verfas- kann eine Einschränkung unter Umständen schon
sung unseres Außenhandels gehört. dann angeordnet werden, wenn noch keine Straftat
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vorliegt; denn die reine Planung von Straftaten ist
bekanntlich noch nicht strafbar; strafbar ist erst der
Versuch.
Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- Ich darf Ihnen versichern: Gerade dieser Punkt ist
schenfrage des Kollegen Müller? es, der auch in unserer Fraktion zu erheblichen Be-
denken und Diskussionen geführt hat. Gerade wir
Liberalen tragen schwer an dieser Entscheidung, die
Dr. Heinrich Kolb (FDP): Wenn es, wie der Kollege Möglichkeiten der Post- und Fernmeldeüberwachung
Bachmaier zu sagen pflegt, der Wahrheitsfindung auszuweiten.
dient, gerne.
(Beifall bei der FDP)
Kein Mitglied der FDP-Fraktion stimmt heute jubeln-
Albrecht Müller (Pleisweiler) (SPD): Vielleicht, Herr den Herzens dieser Vorschrift zu. Aber wir dürfen
Kollege. auch nicht die besondere Qualität der Gefahren über-
Da Sie den Eindruck erwecken, daß Ihre Vorschläge sehen, die wir mit diesem Gesetz bekämpfen wollen,
das Problem gerade der Waffenlieferungen in den meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten,
Irak lösen, möchte ich Sie fragen, wie Sie mit den jetzt die Sie hier den Eindruck erwecken wollen, als ob Sie
vorgeschlagenen Mitteln verhindern wollen, daß sich hier und heute die Aufgabe hätten, den Rechtsstaat zu
wiederholt, was gerade geschehen ist, daß nämlich verteidigen.
der Irak aus deutsch-französischer Gemeinschaftspro- (Hämmerle [SPD]: Diese Aufgabe hat man
duktion mit mindestens 11 000 Raketen beliefert wor- immer, nicht nur hier und heute!)
den ist?
Den erfolgreichen Export etwa einer Chemiewaffen-
fabrik zu verhindern ist uns die ernsthafte Beschäfti-
Dr. Heinrich Kolb (FDP): Damit ist das Problem der
gung mit dem Thema Abhören im Vorfeld von Straf-
Rüstungskooperation angesprochen. Das können wir taten wert.
durch nationale Alleingänge sicher nicht lösen. Wir (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
erledigen hier unsere Hausaufgaben und machen das, CDU/CSU)
was getan werden muß. Daß dann auf europäischer Wir antworten mit einem außergewöhnlichen Gesetz
Ebene gehandelt werden muß, ist selbstverständ- auf eine außergewöhnliche Gefährdung. Dabei waren
lich. bei der Abwägung für uns unter anderem folgende
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Überlegungen von Bedeutung.
Geis [CDU/CSU]: Darum geht es! — Müller Zwischen der Planung und der Ausführung eines
[Pleisweiler] [SPD]: Damit haben Sie zugege- Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz liegt
ben, daß es nicht gelöst ist! häufig nur eine geringe zeitliche Spanne. Es kommt
Ich fahre fort. Auch die starke Exportorientierung darauf an, bereits Vorbereitungshandlungen zu er-
unseres Landes selbst ist ein Grund zu besonderer kennen. Durch die strafbare Handlung wird das Tat-
Verantwortung. Wir Liberalen halten das Argument objekt in aller Regel dem Zugriff unserer Behörden
für falsch, daß im Hinblick auf die Exporte nicht zu entzogen. Wir sind zur Schadensverhütung und Scha-
strenge Gesetze geschaffen werden dürften. Im Ge- densbegrenzung also darauf angewiesen, die Straftat
genteil: Gerade weil wir auch zukünftig hohe Exporte möglichst noch auf dem Gebiet der Bundesrepublik
wollen, brauchen wir eine strenge Gesetzgebung, ein Deutschland zu stoppen.
strenges Außenwirtschaftsgesetz, daß die Spreu vom
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
Weizen trennt.
CDU/CSU)
Es muß eine möglichst starke Präventionswirkung
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Kolb, da erreicht werden. Wir haben es mit international und
meldet sich Herr Schily zu einer Zwischenfrage. arbeitsteilig operierenden Tätern bzw. Tätergruppen
1210 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Dr. Heinrich Kolb


zu tun. Dabei begegnet uns ein neues Phänomen von außenpolitischen Gründen hochaktuell auf der Tages-
Kriminalität, gegen das nur extrem schwierig zu er- ordnung.
mitteln ist. Ich denke, daß Telefongespräche und der Um es am Beispiel des Irak, der hier zitiert wurde, in
Postverkehr der illegalen Exporteure im Vorfeld von dem ein Diktator — das können Sie sich vorstellen —
Straftaten mit Partnern und Zulieferern eine gute An- jetzt ganz aktuell um den Wiederaufbau seiner Macht
satzmöglichkeit bieten. kämpft, zu sagen: Wenn wir schon nicht verhindern
Schließlich gibt es noch das Problem der Dual-use- konnten, daß deutsche Firmen illegal im Vorfeld des
Güter. Es ist hier schon angesprochen worden. Hier Golfkriegs tätig waren, so sollten wir doch jetzt ver-
kann dem konspirativen Täter, der Güter ordert, oft hindern, daß sie erneut auf dem Markt für Rüstungs-
nur durch Post- und Fernmeldeüberwachung das güter auftreten können. Hier, denke ich, ist durchaus
Handwerk gelegt werden. Eile geboten. Wenn jemand glaubt, dies tun zu müs-
sen, so soll er wissen, daß die politische Mehrheit die-
Ganz zuletzt ist für uns auch die internationale Auf- ses Landes dieses Tun mit wirksamen Mitteln und in
merksamkeit und die internationale Beachtung von aller Schärfe zu bekämpfen bereit ist.
Bedeutung, die diese Frage findet.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an die- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir
ser Stelle noch folgendes sagen. Die Ausweitung der deutlich: Illegale Rüstungsexporte sind Verbrechen,
Post- und Fernmeldekontrolle in diesem besonders sind keine Ordnungswidrigkeiten, sind Verbrechen.
sensiblen Bereich bedeutet für uns Freie Demokraten
(Dr. Vogel [SPD]: Das haben wir gelernt!)
auf keinen Fall, daß nun auch in anderen Fällen
— hier war schon das Stichwort Drogen/Rauschgift zu Es gibt dafür keine Schonung. Der Gesetzentwurf si-
hören — das Tor geöffnet werden könnte. Die Wah- gnalisiert allen: Illegale Rüstungsexporte sind mit der
rung des Post- und Fernmeldegeheimnisses ist und Annahme dieses Gesetzes endgültig kein Kavaliers-
bleibt auch weiterhin ein zentrales Anliegen liberaler delikt mehr.
Politik. Danke schön.
(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ein Weiteres dazu: Die Zustimmung wird für uns
durch die Befristung der Maßnahmen etwas erleich- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge-
tert. Sie wurde im Gesetzgebungsverfahren auf vier ordnete Gerd Poppe.
Jahre reduziert. Auch die Unterrichtung der Betroffe-
nen zum frühestmöglichen Zeitpunkt ist für uns in die-
sem besonderen Verfahren der Ausdruck von Rechts- Gerd Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident!
staatlichkeit. Die Mitwirkung von Richtern an den Meine Damen und Herren! Der Vorstandsvorsitzende
Überwachungsverfahren, die zur Verbesserung der von Daimler-Benz, Reuter, beschwerte sich im Fe-
Erkenntnismöglichkeiten führen soll, ist für uns we- bruar 1991 über die Bonner Rüstungsexportpolitik.
sentlich. Ein Verfahren analog G 10 ohne Mitwirkung Zitat:
der Judikative hätte unsere Zustimmung nicht gefun- Nirgendwo in der Bundesrepublik gibt es ein
den. wirtschaftliches Thema, das mit mehr Heuchelei,
Die Liberalen haben sich nachhaltig dafür einge- Feigheit und Opportunismus durchsetzt ist als
setzt, ein Richtergremium mit der Prüfung des Antrags das des Waffenexports. Die Politik ist massiv
zu befassen. Die Einschaltung einer Kammer des daran beteiligt.
Landgerichts bietet hier die Möglichkeit präjudiziel- Herr Reuter hat recht. Bündnis 90/DIE GRÜNEN
ler Rechtsbildung, bietet die Garantie für einen ein- könnten dieser Bemerkung voll zustimmen, wenn-
heitlichen Maßstab. gleich Herr Reuter sie aus völlig anderen Gründen
Auch die Frage der klaren politischen Verantwor- machte, als wir es täten, wenngleich er sicherlich auch
tung, die durch die Beteiligung des Bundesministers andere Schlußfolgerungen aus dem beklagten Um-
der Finanzen aufkommt, möchte ich als einen für uns stand zieht, als wir dies tun. Was war geschehen?
wesentlichen Aspekt herausstellen. Das Modell eines Tornado-Kampfbombers war auf
Betreiben des Wirtschaftsministeriums aus der größ-
Ein ernsthaftes Problem möchte ich nicht ver-
ten deutschen Technologieausstellung in Südkorea
schweigen. Es ist die Überwachung juristischer Per-
entfernt worden, obgleich hinter den Ausstellungsku-
sonen, die aus fernmeldetechnischen Gründen nur
lissen die Verhandlungen des deutschen Unterneh-
schwer auf den Kreis der unmittelbar Agierenden zu
mers mit südkoreanischen Regierungsstellen über die
begrenzen ist. Auch deshalb ist für unsere Fraktion
Lieferung von 50 Tornados weitergingen, wofür die
die Zustimmung zu diesem Gesetz gleichzeitig die
Bundesregierung schon vorsorglich die Erteilung ei-
Aufforderung, die Erfahrungen mit dieser Vorschrift
ner Ausfuhrgenehmigung signalisiert hatte.
sehr aufmerksam zu beobachten.
Ein weiteres Zitat aus berufenem Munde.
Herr Bachmaier, warum drängte das Verfahren? Ich
gebe zu, das Gesetzgebungsverfahren stand unter ei- (Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Was
nem zeitlichen Druck wie selten. Dabei hat insbeson- hat das mit dem Gesetz zu tun?)
dere die SPD zuletzt den Eindruck erweckt, so drin- Der Sprecher des Verbandes der chemischen Indu-
gend sei das Ganze doch nicht, als daß es nicht noch strie stellte fest, wenn man tatsächlich verhindern
bis nach Ostern liegen bleiben könne. Ich sage Ihnen, wolle, daß Rüstungsgüter in die falschen Hände gera-
Herr Bachmaier: Das Thema steht aus innen- und aus ten, dann müsse man den Waffenhandel konsequent
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1211

Gerd Poppe
verbieten bzw. auf die Mitglieder der NATO be- ports von Waffen, Munition und Rüstungsgütern hin,
schränken. 1989 genehmigte Exporte im Wert von 13 Milliarden
DM gegenüber 7 Milliarden DM im Vorjahr. Das war
Der Sinn dieser und ähnlicher Äußerungen seitens
eine Steigerung um 86 %. Zu den 13 Milliarden DM
der Industrie ist leicht zu verstehen. Sie will nicht als kommen dann noch 2 Milliarden DM nach dem
alleiniger Sündenbock für die Rüstungsexportskan-
Kriegswaffenkontrollgesetz genehmigte Exporte.
dale dastehen. Sie erwartet von den Politikern, daß sie
sich zu ihrer Mitverantwortung bekennen, ihre Ver- Die Bundesregierung behauptet gerne, das eigent-
wicklung in Waffengeschäfte bzw. deren Billigung liche Problem seien die illegalen Exporte; die Zahlen
eingestehen. Sie erwartet weiterhin, daß sich die Re- beweisen das Gegenteil. Der von der Regierungs-
gierung nicht hinter Sprechblasen versteckt, sondern koalition unterstützte Gesetzentwurf — das ist unser
sich offensiv zur angeblichen Notwendigkeit weiterer Hauptkritikpunkt — befaßt sich nur mit den illegalen
Rüstungsexporte bekennt. Exporten. Überdies ist das selbst für diesen einge-
schränkten Bereich unzureichend. Restriktive Aus-
Wir ziehen — ich sagte es schon — andere Schlüsse.
fuhrgesetze und verschärfte Sanktionen sind die eine,
Auch wir wollen, daß die Politiker Farbe bekennen.
sicher notwendige Sache, sie im erforderlichen Um-
Wir wollen, daß sie nach der kriegsfördernden Rolle
fang durchzusetzen, eine andere. Es reicht nicht, die
der deutschen Exporte in den Irak mit dieser Praxis
Strafen nur im Ausnahmefall, bei Embargoverstößen
brechen und das Geschäft mit dem Tod generell äch-
gegen UNO-Beschlüsse drastisch zu verschärfen, sie
ten. bei anderen Straftaten aber erheblich niedriger zu
(Geis [CDU/CSU]: Was ist das für ein Unsinn, halten und nicht genehmigte Exporte im gesamten
was Sie da sagen? — Dr. Altherr [CDU/CSU]: Bereich der Dual-use-Güter weiterhin als Ordnungs-
Abtreibung ist auch ein Geschäft mit dem widrigkeit zu behandeln, es sei denn, sie wären geeig-
Tod!) net, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepu-
blik erheblich zu stören, letzteres trotz der bekannter-
Was aber geschieht tatsächlich? Da genehmigt die
maßen problematischen Beweisführung vor Gericht.
Bundesregierung den Export von 12 000 Panzerab-
wehrraketen nach Indien, als gäbe es die politischen Fragwürdig im rechtsstaatlichen Sinne ist auch die
Spannungen in dieser Region nicht, die sich schon Erweiterung des Überwachungssystems auf den
zweimal in kriegerischen Auseinandersetzungen zwi- Brief- und Telefonverkehr.
schen Indien und Pakistan entluden. (Marschewski [CDU/CSU]: Das ist notwen
(Beifall bei der SPD — Roth [SPD]: Unglaub dig!)
lich!) Davon wurde ausgiebig gesprochen. Statt geheim-
Da sollen Tornados und U-Boote an Südkorea gelie- dienstlicher Überwachung wäre die Veröffentli-
fert werden, obwohl jeder weiß, daß die koreanische chungs- und Rechenschaftspflicht der Bundesregie-
Halbinsel zum Brennpunkt eines künftigen Krieges rung gegenüber dem Bundestag ein dem Rechtsstaat
werden könnte, und obwohl jeder weiß, daß in Süd- angemesseneres und zudem effektiveres Prinzip. Wir
korea die Menschenrechte massiv verletzt werden. legen Ihnen heute auch hierzu einen Entschließungs-
antrag vor und bitten um Ihre Zustimmung.
(Zuruf von der CDU/CSU: Nordkorea liegt
nicht nur dort! — Geis [CDU/CSU]: Nehmen (Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das
Sie doch endlich das Brett vor Ihrem Kopf machen wir nicht!)
weg!) Wären denn nun Antrag und Gesetzentwurf der
Amnesty international hat vor wenigen Tagen ein- SPD eine befriedigende Alternative zum Entwurf der
dringlich dazu aufgefordert, Rüstungsexporte in Län- Bundesregierung? Wir meinen nein,
der zu unterlassen, in denen die Menschenrechte
(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch!)
nicht garantiert sind. Die Evangelische Kirche in
Deutschland hat festgestellt, daß im Dezember 1990 denn die Annahme ist unrealistisch, es könne genü-
1 300 politische Gefangene in südkoreanischen Ge- gen, daß die Bundesregierung „darauf hinwirkt", daß
fängnissen saßen. Amnesty international rechnet vor, Kooperationsverträge revidiert werden. Die Ver-
daß von 1988 bis 1990 unter dem angeblich liberalen tragspartner werden auf solch subtile Weise schwer-
Präsidenten 4 100 Menschen aus politischen Gründen lich so zu beeindrucken sein, daß sie mit der gebote-
inhaftiert waren, fast genauso viele wie unter seinem nen Geschwindigkeit ihre nationalen Gesetze ändern.
Vorgänger in allerdings sieben Jahren. Auch werden auf diese Weise die Zweifel am Endver-
bleib in anderen NATO-Staaten nicht ausräumbar
Wenn Sie heute einen Schritt in die richtige Rich-
sein. Mit solchen Formulierungen hätten wir nichts
tung tun wollen, meine Damen und Herren, dann
anderes als eine permanente Absichtserklärung der
stimmen Sie dem Antrag von Bündnis 90/GRÜNE zu,
Bundesregierung ohne Folgen.
die Herstellungs- und Exportgenehmigungen für die
Südkorea-Tornados und U-Boote nicht zu erteilen Der einzig sichere Weg wäre — da bin ich wieder
bzw. unverzüglich zurückzuziehen. bei jenem zutreffenden wenn auch anders gemeinten
Unternehmerzitat — das vollständige Verbot von Rü-
(Beifall bei dem Bündnis 90/GRÜNE und der stungsexporten. Übrigens, werte Kollegen von der
SPD) PDS, Sie hätten uns diese unsere ureigene Forderung
Die erwähnten Beispiele zeigen das Hauptproblem nach all den Geschäften Ihrer Vorgängerin mit Dritte -
mit dem Antrag der Koalition an. Ich wies bereits vor Welt-Diktaturen getrost weiter überlassen sollen. Das
einer Woche auf die unglaubliche Steigerung des Ex- vollständige Verbot von Rüstungsexporten — ein-
1212 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Gerd Poppe
schließlich seiner Festschreibung im Grundgesetz so- Verschärfungen des Strafrechts zur Bekämpfung
wie der regelmäßigen Offenlegung aller relevanten illegaler Rüstungsexporte sind zu begrüßen. Aber sie
Exportdaten — wäre der Weg. nutzen nicht allzuviel, wenn das Rüstungsexportge-
Mit zwei abschließenden Fragen möchte ich zum schäft blüht, weil die Regierung dem legalen Rü-
wiederholten Male die Bundesregierung an ein abge- stungsexport alle Türen und Tore öffnet.
gebenes Versprechen erinnern: Erstens. Wo bleibt der (Roth [SPD]: So ist es!)
bereits für den 10. März 1991 angekündigte Bericht
über Rüstungsexporte in den Irak? Sie nützen vor allen Dingen dann kaum etwas, wenn
in der Rüstungsindustrie der Eindruck vorherrscht,
Zweitens. Wird hier Verzögerungstaktik betrieben, der Bundesregierung sei an der Eindämmung von Rü-
oder dauert es so lange, weil dieser Bericht so umfang- stungsexporten nichts gelegen und es fehle ihr an der
reich und vollständig wird, wie wir das erwartet ha- Entschlossenheit, die entsprechenden Vorschriften
ben. zur Beschränkung von Rüstungsexporten strikt anzu-
Vielen Dank. wenden und durchzusetzen.
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei Das weitgehende Wohlwollen, das die Bundesre-
der SPD) gierung bei der Genehmigung von Rüstungsexporten
hat walten lassen, das augenzwinkernde Einverständ-
nis bei der Umgehung von Rüstungsexportgeschäften
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Herr oder das schiere Wegsehen
Abgeordnete Otto Schily.
(Marschewski [CDU/CSU]: Unverschämt ist
(Roth [SPD]: Warum redet denn der Minister das! „Wegsehen" ! „Einverständnis" !)
zum Schluß? Das ist doch keine Dramaturgie!
haben in hohem Maß dazu beigetragen, die Bundes-
Das finde ich nicht gut, Herr Präsident. Er ist
republik in Verruf zu bringen und den Schluß zu
feige! Das ist keine Kritik an Ihnen, Herr Prä
rechtfertigen, daß die Exporteure des Todes bei uns
sident; Sie können nichts dafür!)
sich nahezu alles leisten können.
(Beifall bei der SPD — Dr. Freiherr von Stet
O tt o Schily (SPD): Herr Präsident! Meine Damen ten [CDU/CSU]: Aber, Herr Schily, das glau
und Herren! Herr Kollege Kolb, ich empfand es als ben Sie doch selber nicht!)
nicht fair, daß Sie hier versucht haben, den Eindruck Die Tatsache, daß im Jahr 1989, wie schon erwähnt
zu erwecken, als hätten wir das Gesetzgebungsver- wurde, Rüstungsexporte im Wert von ca. 13 Milliar-
fahren verzögern wollen. Sie werden sich erinnern, den DM genehmigt wurden und daß sich die Rü-
Herr Kollege Wissmann hat sich in der Ausschußsit- stungsexporte in der Regierungszeit Kohl fast verdop-
zung ganz anders verhalten. Ich möchte ausdrücklich pelt haben, beweist, daß die Bundesregierung Rü-
anerkennen, daß er bestätigt hat, daß wir hier unge- stungsexporte nicht zurückführen will, sondern sie
achtet vieler Schwierigkeiten — ich will mich mal vor- eher fördert.
sichtig ausdrücken — und einem ziemlich chaotischen
Verfahren äußerste Geduld bewiesen und uns auch in (Roth [SPD]: Leider!)
der letzten Sitzung bereitgefunden haben, das Ab- Dazu gehört auch, daß die Bundesregierung bisher
stimmungsverfahren durchzuführen. Sie sollten das, alles darangesetzt hat, die öffentliche Kontrolle und
was Sie gesagt haben, hier vielleicht korrigieren. Aufklärung von Rüstungsexporten zu unterlaufen und
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD zu erschweren. „Betrug im Bundestag"
kann es als einen nicht unbedeutenden Erfolg verbu- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na!)
chen, wenn es heute zu einem Gesetz zur Verschär-
fung der Vorschriften im Bereich illegaler Rüstungs- überschrieb die „Zeit" einen Bericht am 15. März
exporte kommt. Denn es ist dem beharrlichen Drän- 1991, in dem minuziös dargestellt wird,
gen der SPD-Bundestagsfraktion, allen voran Norbert (Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da hat
Gansel, Hermann Bachmaier und Albrecht Müller — sie sich wahrscheinlich vertan!)
um nur einige Namen zu nennen — , zu verdanken,
daß die Bundesregierung und die Koalitionsfraktio- daß die Auskünfte und Stellungnahmen der Bonner
nen sich überhaupt bewegt haben. Regierung zum Rüstungsexport in den Irak nichts an-
deres waren als eine Chronik der Unwahrheiten.
(Beifall bei der SPD — Marschewski [CDU/
CSU]: Na, na, Herr Kollege!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD —
Dr. Sprung [CDU/CSU]: Unrichtig!)
Leider haben Sie sich nicht dazu durchringen kön-
nen, dem besseren Gesetzesvorschlag der SPD und Ausweichende, irreführende und falsche Antworten,
den in dem Antrag der SPD enthaltenen Maßnahmen
(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig!
zuzustimmen. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzent-
Das ist nicht richtig!)
wurf ab, zumal dieser eine rechtsstaatlich äußerst be-
denkliche Abhörregelung enthält. Die von Ihnen vor- Ausflüchte, Verrenkungen und Mogeleien, das ist es,
gesehenen Abhörbefugnisse stellen praktisch die ge- was Sie auf zahllose Fragen und Anfragen des Parla-
samte deutsche Industrie unter einen Generalver- ments in den zurückliegenden Jahren geboten ha-
dacht. Das halten wir nicht für angemessen. ben.
-
(Beifall bei der SPD — Zurufe von der FDP: (Roth [SPD]: Das ist man bei denen so ge
Aha!) wohnt!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1213

Otto Schily
Sie haben sich gewunden, Sie haben geschummelt gierung. Wenig später kommt heraus, daß der Bund
und geschwindelt, eine Bürgschaft über 405 Millionen DM für Lieferun-
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber, gen nach Südkorea bewilligt hat, und zwar für ein
Herr Schily!) „Materialpaket für den Umbau von drei U-Booten des
Typs HDW 209/1200 einschließlich Dokumentation
und Sie haben sich nicht eines Besseren besonnen, und Training".
obwohl Sie häufig beim Schwindeln ertappt wur-
den. Der Regierungssprecher Dieter Vogel, ein ehren-
werter Mann, steht belämmert da.
(Marschewski [CDU/CSU]: Jetzt setzen Sie
doch mal die grüne Mütze ab!) (Marschewski [CDU/CSU]: Wer ist beläm-
mert?)
Wenn Lügen eine olympische Sportart wäre, hätte die
Bundesregierung Goldmedaillen im Abonnement ge- Die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung ist wie-
wonnen. derum geschädigt — eine schier unendliche Ge-
schichte.
(Beifall bei der SPD — Unruhe bei der CDU/
Tornado-Kampfflugzeuge sollen ebenfalls nach
CSU und der FDP — Geis [CDU/CSU]: Das
Südkorea geliefert werden, ein hübsches Geschäft
ist eine Beleidigung! Sie wissen nicht, was
mit einem Volumen von 5 Milliarden DM, das den
Sie sagen!)
Appetit anregt. Rüstungslieferungen nach Indien in
allerjüngster Zeit und wer weiß wohin — die nächste
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schily, darf Nachricht kommt bestimmt. Die Bundesregierung ist
ich Sie einen Moment unterbrechen. immer dabei.
(Anhaltende Unruhe bei der CDU/CSU und Der neue Entwicklungshilfeminister Spranger hatte
der FDP) eine löbliche Idee. Er wollte Entwicklungshilfe nur an
die Länder leisten, die ihre knappen Finanzmittel
— Darf ich einen Moment um Ruhe bitten.
nicht in Rüstung investieren.
Herr Kollege Schily, Sie sind natürlich des Wortes
mächtig,
Vizepräsident Hans Klein: Herr Abgeordneter
(Schily [SPD]: Danke schön! — Dr. Altherr Schily, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
[CDU/CSU]: Aber des Geistes nicht mehr Penner?
mächtig!)
und Sie wissen auch, daß man bis ganz in die Nähe
des Ordnungsrufs formulieren kann. Gleichwohl finde O tt o Schily (SPD): Selbstverständlich, lieber Kol-
ich, daß es dem Haus und dem Verlauf der Debatte lege Penner.
über dieses Thema guttäte, wenn diese Aneinander- (Zuruf von der CDU/CSU: Die Frage ist be-
reihung von Verbalinjurien unterlassen würde. stimmt sehr hilfreich!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Willfried Penner (SPD): Herr Schily, Sie haben
eben gesagt, daß die Bundesregierung bei Waffenex-
O tt o Schily (SPD): Herr Präsident! Wir sind hier eine
porten immer dabeigewesen sei. Fällt Ihnen bei der
Volksvertretung. Ich spreche die Sprache des Vol- heutigen Debatte auf, daß von den Mitgliedern des
kes. Bundessicherheitsrats des Bundeskabinetts nur recht
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber wenige vertreten sind?
welches Volkes?) (Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Die le-
Die ist am besten verständlich. sen das in der Zeitung!)
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Das Benehmen der Bundesregierung ist ohnehin O tt o Schily (SPD): Ich habe eine nicht so gute Beob-
demokratieunverträglich und demokratieschädlich. achtungsgabe wie der Kollege Penner.
(Geis [CDU/CSU]: Er hat noch nichts von (Dr. Altherr [CDU/CSU]: Und Ihre Auffas-
parlamentarischen Spielregeln gehört!) sungsgabe fehlt auch!)
Aber schlimmer ist: Dieses Verhalten animiert und Aber ich danke ihm trotzdem für diesen Hinweis. Es
begünstigt den Rüstungsexport auch in den Grauzo- scheint in der Tat so zu sein.
nen. So wird denn bis in die jüngste Zeit so manches
gefingert und gedeichselt. Der Eindruck verstärkt
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schily, ge-
sich, daß die Bundesregierung ungeachtet aller schö-
statten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen
nen Beteuerungen nichts unternimmt, um Rüstungs-
Hitschler?
exporte zu stoppen oder wenigstens einzuschrän-
ken.
(Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämt!) Otto Schily (SPD): Bitte schön.
Nach einem Bericht der „Allgemeinen Zeitung"
— auch das wurde hier bereits erwähnt — von Anfang Dr. Walter Hitschler (FDP): Herr Kollege Schily,
März dieses Jahres werden U-Boote mit deutscher sprechen Sie mit Ihren Einlassungen eigentlich nur -
Hilfe in Südkorea gebaut. Einen entsprechenden Hin- die jetzt amtierende Bundesregierung an oder auch
weis von Norbert Gansel dementierte die Bundesre die Bundesregierung, die dieses Geschäft unter so-
1214 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Dr. Walter Hitschler


zialdemokratischer Führung betrieben hat, und zwar herausgekommen ist, die Behauptung widerlegt ha-
in einem höheren Umfang betrieben hat? ben, Abrüstung und Rüstungskonversion seien der
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie bei Wirtschaft abträglich. Aus den Veröffentlichungen
der CDU/CSU) der Deutschen Bank und des RWI geht hervor, daß
Abrüstung und Rüstungskonversion im Gegenteil
große Chancen für die Wirtschaft eröffnen.
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: In Teil-
O tt o Schily (SPD): Ich glaube, Sie dürften aus mei-
bereichen!)
nen Ausführungen entnommen haben, daß ich Mit-
glied einer Oppositionsfraktion bin Schließlich müssen wir — fünftens — Rüstungskon-
trolle internationalisieren — da stimme ich Herrn Kol-
(Dr. Altherr [CDU/CSU]: Neuerdings) legen Sprung ausdrücklich zu —,
und die amtierende Bundesregierung meine. (Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da
Ich muß es wiederholen: Der neue Entwicklungs- sind wir einig!)
hilfeminister Spranger hatte eine löbliche Idee: vor allen Dingen im europäischen Rahmen. Es ist in
(Abg. Albrecht Müller [Pleisweiler] [SPD] diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen,
meldet sich zu einer Zwischenfrage) daß sich Herr Poos um eine solche gemeinsame euro-
päische Kontrolle bemüht.
— Lieber Kollege Müller, ich möchte im Moment zu-
mindest diesen Passus gerne einmal zu Ende bringen. In diesem Zusammenhang wäre es schon ein Fort-
— Er wollte Entwicklungshilfe nur an die Länder lei- schritt, wenn die Bundesregierung die Forderung des
sten, die ihre knappen Finanzmittel nicht in Rüstung Internationalen Währungsfonds, Exportkredite für
investieren. Die Tinte im Poesiealbum von Herrn Waffenverkäufe in den Nahen Osten zu verbieten,
Spranger war noch nicht trocken, da schrieb die Bun- akzeptiert und dahin gehend ausweitet, daß Kredite
desregierung einen Scheck über 100 Millionen DM und Bürgschaften für Rüstungsgeschäfte von der öf-
aus und übergab ihn dem syrischen Diktator Assad, fentlichen Hand generell — weder unmittelbar noch
einem bekannten Pazifisten der Nahostregion. mittelbar — nicht mehr zur Verfügung gestellt wer-
den.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie des
Abg. Poppe [Bündnis 90/GRÜNE]) (Dr. Sprung [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Es ist zu beklagen, daß die Vereinigten Staaten,
Ich bin sicher, die Kolleginnen und Kollegen aus
unsere Verbündeten, jetzt leider darangehen, eine
den Koalitionsfraktionen, die jetzt an dem vorliegen-
sehr massive Exportförderung von Rüstungsverkäu-
den Gesetzentwurf mitgearbeitet haben, meinen es
fen in den Nahen Osten aufzulegen. Das steht im
ernst mit der Verschärfung der Rüstungsexportkon-
Gegensatz zu all dem, was wir uns hier gemeinsam
trolle. Wir werden aber — jedenfalls was den straf-
erarbeiten wollen, nämlich Rüstungsexporte, gerade
rechtlichen Bereich angeht — gemeinsam nur Erfolg
solche in Krisen- und Spannungsgebiete, zurückzu-
haben, wenn wir die Politik nicht auf den strafrechtli-
führen. Vielleicht kann die Bundesregierung, sofern
chen Bereich verengen.
der Einfluß vorhanden ist, in Washington darauf hin-
Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate soll- wirken,
ten uns mahnen, uns auf ein Gesamtkonzept zu ver-
(Roth [SPD]: Waigel! — Zuruf von der CDU/
ständigen,
CSU: Herr Voigt kann das machen, der hat
(Marschewski [CDU/CSU]: Das war das erste gute Beziehungen!)
Richtige!) daß eine solche Förderung wieder zurückgeführt
das erstens Rüstungsexporte drastisch beschränkt wird.
— wir schlagen vor, in einem ersten Schritt Rüstungs- Falls es nur die pure Hilflosigkeit ist, die die Bun-
exporte nur noch in NATO-Länder zuzulassen —, desregierung daran hindert, Rüstungsexporte restrik-
zweitens durch eine Berichtspflicht der Bundesregie- tiv zu handhaben, Rüstungsexportkontrolle durchzu-
rung eine wirksame öffentliche Kontrolle der Rü- setzen, habe ich abschließend noch einen zusätzli-
stungsexporte zu ermöglichen. Wir müssen drittens chen Vorschlag: Wählen wir gemeinsam Norbert
die Rüstungsexportpolitik mit einem Abrüstungskon- Gansel zum Beauftragten des Bundestages für die
zept verbinden, Rüstungsexportkontrolle, und statten wir ihn mit or-
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ dentlichen Befugnissen aus. Vielleicht wird sich dann
GRÜNE) in Zukunft etwas bessern.
weil Rüstungsexporte häufig die üble Nebenwirkung Ich bedanke mich.
einer Hochrüstungspolitik sind. Das heißt zugleich, (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/
daß viertens ein Konzept zu Konversionsmaßnahmen GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/
im Bereich der Rüstungsindustrie entwickelt werden Linke Liste)
muß.
(Sehr richtig! bei der SPD)
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem
Die SPD-Fraktion hat ihre Vorstellungen dazu bereits
Bundesminister für Wirtschaft.
im vergangenen Jahr präzisiert und bekanntgege-
ben.
Es ist sehr zu begrüßen, daß die Deutsche Bank und Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
das RWI in einer Publikation, die vor wenigen Tagen schaft: Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kolle-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe ri ode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1215

Bundesminister Jürgen W. Möllemann


gen! Lassen Sie mich im Namen der Bundesregierung schließt in den schweren Fällen Bewährungsstrafen
zunächst allen danken, die es ermöglicht haben, daß aus.
wir das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschafts-
Bis zur Sommerpause wird die Bundesregierung ei-
gesetzes und der Strafprozeßordnung heute verab-
nen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem die Strafbestim-
schieden können. Ich bin mir bewußt, daß die Bera-
mungen in das allgemeine Strafrecht überführt wer-
tung des Gesetzentwurfs mit erheblicher Beschleuni-
den.
gung durchgeführt worden ist, daß manches im Ver-
fahren — ausgehend von einem normalen Parla- Wichtig in der Novellierung ist auch die Befugnis
mentsverständnis — ein bißchen eine Zumutung des Wirtschaftsministers zur Anordnung von Außen-
war. wirtschaftsbeschränkungen im Einzelfall, um bei dro-
henden Ausfuhren, auch ohne daß eine Rechtsverord-
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr nung vorliegt, rasch handeln zu können. Damit schlie-
richtig!) ßen wir eine Lücke bei der effektiven Durchsetzung
Ich will Ihnen gerne zusagen, daß wir in künftigen des Außenwirtschaftsrechts.
Fällen versuchen wollen, alles zu tun, damit nicht un- Wesentlich ist in der Neuregelung auch die Vor-
ter einem solchen Zeitdruck gearbeitet werden schrift, nach der alle Einnahmen aus illegalen Expor-
muß. ten abgeschöpft werden können, ohne daß der Expor-
(Geis [CDU/CSU]: Darum bitten wir sehr, teur seine Kosten abziehen kann. Damit wird das so-
Herr Minister!) genannte Bruttoprinzip eingeführt. Illegale Expor-
teure müssen jetzt auch mit der Vernichtung ihres
Die zusätzliche Arbeitsbelastung, vor allem des Unternehmens, ihrer wirtschaftlichen Existenz rech-
Rechts-, Innen- und Wirtschaftsausschusses dieses nen.
Hauses, war erheblich. Mein ganz besonderer Dank
deswegen an die Mitglieder dieser Ausschüsse. Als vierten wesentlichen Punkt der Novellierung
möchte ich auf die Vorschriften hinweisen, die dem
Ich möchte auch all denen danken, die durch kon- Zollkriminalinstitut die Möglichkeit geben, Eingriffe
struktive Mitarbeit und Änderungsvorschläge dazu in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis schon
beigetragen haben, daß der Entwurf gegenüber der bei tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht
ersten Fassung, die die Bundesregierung vorgelegt der Planung einer Straftat vorzunehmen, also bereits
hat, noch erheblich verbessert worden ist. im Vorfeld von Außenwirtschaftsverstößen. Diese Re-
Für mich ist ganz wesentlich, daß der Deutsche Bun- gelung war umstritten. Ich bin mir als liberaler Wirt-
destag mit der heutigen Verabschiedung des Geset- schaftsminister selbstverständlich der Sensitivität die-
zes innen- und außenpolitisch demonstriert, daß die ses Themas bewußt. Ich habe diese Regelung aber
Bundesrepublik Deutschland in dieser sensiblen gleichwohl vorgeschlagen.
Frage zu einem raschen und entschlossenen Handeln Zum Schutz höchster Verfassungsgüter wie des
in der Lage ist. Friedens und des menschlichen Lebens sind aus mei-
ner Sicht die vorgeschlagenen Eingriffe in das Brief-,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Post- und Fernmeldegeheimnis notwendig. Ohne
der CDU/CSU)
deutliche Effektivitätssteigerung der Kontrollen im
Das ist auch ganz besonders notwendig, weil unser Bereich des Außenwirtschaftsrechts nehmen sowohl
Land durch die Ihnen allen bekannten Vorgänge der internationale Friede wie die Außenhandelsfrei-
außenpolitisch in erhebliche Bedrängnis geraten ist heit irreparablen Schaden. Oder anders gesagt: Wür-
und weil wir mit weiteren illegalen Beschaffungsver- den wir uns diese Bestimmung nicht geben, befürchte
suchen rechnen müssen. ich, daß wir weiterhin in solchen Fällen, wie es sie in
der Vergangenheit gab, nachkarten würden, immer
Der Gesetzentwurf bringt eine weitere erhebliche erst reagieren könnten, wenn wir feststellten, daß die
Verbesserung der Vorschriften zur Exportkontrolle. entsprechenden Güter bereits an ihrem Bestim-
Damit verfügt die Bundesrepublik Deutschland im in-
mungsort angekommen sind. So war es in der Vergan-
ternationalen Vergleich über außerordentlich strenge genheit sehr häufig.
Vorschriften, die mit denen der Vereinigten Staaten
von Amerika vergleichbar sind, ja in einigen Punkten (Dr. de With [SPD]: Das hätten Sie aber auch
noch über die amerikanischen Vorschriften hinausge- rechtsstaatlicher haben können!)
hen.
Die nicht nachlassenden Bemühungen einiger
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)
fremder Staaten, sich Rüstungsgüter oder Komponen-
Ich möchte dazu ein paar Bemerkungen machen. ten dazu aus dem Bundesgebiet illegal zu beschaffen,
Die Strafvorschriften im Außenwirtschaftsrecht sind erfordern eine Verbesserung der Vorfeldaufklärung.
jetzt drastisch verschärft worden. Illegale Ausfuhren Die Erfahrungen mit raffinierten illegalen Beschaf-
von Rüstungsgütern, Nuklearwaren sowie Chemie- fungsbemühungen des Irak selbst während des Em-
und Biologieanlagen, die zur Herstellung chemischer bargos — z. B. auch unter Verwendung von Umweg-
und biologischer Kampfstoffe verwendet werden kön- adressen — zeigen klar die Notwendigkeit einer sol-
nen, werden jetzt mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jah- chen Vorschrift. Schon der Abschreckungscharakter
ren, in schweren Fällen bis zu 15 Jahren bestraft. dieser Möglichkeit auf potentielle Straftäter sollte
nicht gering veranschlagt werden.
Es wird ein besonderer Straftatbestand für Embar-
goverstöße eingeführt. Die Höchststrafe beträgt hier Den verschiedenen Bedenken, die im parlamentari-
ebenfalls 15 Jahre. Die Mindeststrafe von zwei Jahren schen Raum geäußert worden waren, hat die Bundes-
1216 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Bundesminister Jürgen W. Möllemann


regierung Rechnung getragen und dabei auch im — Das darf doch jetzt nicht wahr sein. Es kann doch
vollen Einvernehmen mit dem Bundesbeauftragten nicht wahr sein, daß der Kollege Penner anmahnt, daß
für den Datenschutz gehandelt. Der Schutz der Privat- mehr Mitglieder der Bundesregierung zur Erörterung
sphäre des Bürgers bleibt weiterhin Verfassungsge- dieses Themas kommen mögen, und er selbst nicht
bot. Es gilt, die Barrieren im Bereiche dieses Schutzes mehr da ist.
zu respektieren. Keinesfalls dürfen die vorgeschlage- (Dr. Vogel [SPD]: Sie gehen ja auch einmal
nen Eingriffe zum Schutz des Friedens und des einen Moment hinaus!)
menschlichen Lebens zum Anlaß genommen werden,
den bisher bestehenden Katalog für Telefonkontrol- Genausowenig finde ich es überzeugend, daß Sie,
len ins uferlose auszuweiten. Herr Kollege Schily, für die Wahrnehmung dieser
wichtigen Aufgabe jemanden vorschlagen, der bei
Um Erfahrungen mit der neuen Regelung zu gewin- der Beratung des Themas nicht da ist. Das halte ich für
nen, ist ihre Geltungsdauer zunächst auf vier Jahre nicht ganz überzeugend.
begrenzt. Bereits nach zwei Jahren werden wir dem Ich wollte zum Schluß zwei Bemerkungen ma-
Wirtschaftsausschuß und den übrigen Ausschüssen chen.
einen Erfahrungsbericht vorlegen.
(Müller [Pleisweiler] [SPD]: Was tun Sie denn
Meine Damen und Herren, diese Novellierung in Sachen Kooperation?)
bringt uns ein wesentliches Stück bei der effektiven — Ich habe doch bereits erklärt, daß ich dies als einen
Verfolgung von illegalen Exporteuren voran. Wie ich Punkt auf die Tagesordnung der nächsten Ministerbe-
schon am 21. Februar 1991 an dieser Stelle ausgeführt ratung der EG gesetzt habe und daß ich dieses Thema
haben, müssen diese Vorschriften noch durch admini- mit einigen Kollegen bei den deutsch-französischen
strative Maßnahmen ergänzt werden. Das Bundes- und den deutsch-britischen Konsultationen bereits
wirtschaftsministerium bereitet im Augenblick die angesprochen habe. Wir behandeln das so, wie dies
Ausgliederung der Ausfuhrkontrollabteilung aus dem von Ihnen angeregt wurde.
Bundesamt für Wirtschaft vor. Diese Kontrollabteilung
wird zu einem selbständigen Ausfuhramt ausgebaut.
Sobald die technischen Fragen geklärt sind, werde ich Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, ge-
dem Parlament noch einen Gesetzentwurf zur Neuor- statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Roth?
ganisation des Bundesamtes vorlegen.
Es kommt jetzt darauf an, die neuen Vorschrifen Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
energisch in der Praxis umzusetzen. Wir werden alles schaft: Ja, bitte!
daransetzen, den relativ wenigen, dafür aber gefähr-
lichen illegalen Lieferanten, die die Möglichkeiten Wolfgang Roth (SPD): Im Sinne einer Debatte, bei
des freien Außenwirtschaftsverkehrs in verbrecheri- der Argumente ausgetauscht werden, wäre es mir
scher Weise mißbraucht haben, ihr Handwerk zu le- sehr recht, wenn Sie doch zu dem Punkt Stellung näh-
gen. Wir werden uns gleichzeitig jetzt um so mehr men, den Herr Schily und auch Herr Poppe angespro-
darum bemühen, eine bessere internationale Harmo- chen haben, nämlich zu den erneuten großen Auswei-
nisierung und Kooperation zu erreichen. tungen von Waffenlieferungen, die legalisiert sind,
Ich habe dieses Thema, meine Kolleginnen und Kol- z. B. in das Spannungsgebiet Indien/Pakistan und in
legen, in den letzten Wochen mit mehreren Außenmi- das Spannungsgebiet Südkorea. In diesem Zusam-
nistern und Wirtschaftsministern aus EG-Staaten menhang habe ich die Frage: Teilen Sie die Auffas-
— die Zuständigkeiten sind an unterschiedlicher sung der Bundesregierung, die sich darin ausdrückt,
Stelle angesiedelt — angesprochen. Ich habe es auf daß derartige Waffenexporte jetzt ausgeweitet wer-
die Tagesordnung der EG gesetzt, aber die Begeiste- den sollten?
rung hält sich in überschaubaren Grenzen. Dies gilt
übrigens auch bei solchen Staaten, deren Regierun- Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
gen nicht konservativ oder liberal — um es einmal so schaft: Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Roth, daß
auszudrücken — sind. Ich sehe dort einen großen Sie das angesprochen haben, weil Sie damit auf den
Handlungsspielraum für Überzeugung im Rahmen Punkt überführen, den ich ohnehin jetzt ansprechen
der internationalen Parteiorganisationen. Sie werden wollte. Man kann in der Tat Zweifel haben, ob die
erlauben, daß wir gelegentlich darauf zurückkom- 1981 von der Regierung Schmidt erteilte Genehmi-
men, nachzufragen, in welcher internationalen Par- gung der Ausfuhren nach Indien, von denen Sie ja
teiorganisation sich die größten Probleme stellen. reden, damals zu Recht erteilt worden ist.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
Marschewski [CDU/CSU]: Gansel als Ver CDU/CSU — Dr. de With [SPD]: 10 Jahre
bindungsmann! — Weiterer Zuruf von der her!)
CDU/CSU: Das wäre interessant!) — Aber es handelt sich um eine Genehmigung, die im
Jahre 1981 von der damaligen Regierung erteilt wor-
— Der hier apostrophierte Kollege Gansel hätte da den ist.
auch ein interessantes Betätigungsfeld, wobei ich
Herrn Kollegen Penner — — Wo ist er? — (Marschewski [CDU/CSU]: Wer war denn
damals Justizminister? — Dr. Vogel [SPD]: -
(Geis [CDU/CSU]: Der wollte nur ins Proto Seitdem hat sich nichts verändert? — Weitere
koll!) Zurufe von der SPD)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1217
Bundesminister Jürgen W. Möllemann
— Herr Präsident, ich nehme an, daß diese Phase der — Es ist klar: auf allen Wegen immer nur „wegen".
Lebhaftigkeit, deren Grund ja offenkundig ist, mir (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
zeitlich nicht angerechnet wird.
Ich habe mir die Mühe gemacht, die Protokolle des
Deswegen will ich noch einmal sagen: Diese kleine Bundessicherheitsrates nachzulesen, und zwar von
Passage in dieser Debatte zeigt, daß es sinnvoll ist, solchen Sitzungen des Bundessicherheitsrates, an de-
nun wirklich bestimmte — vorhin schon jemand ande- nen der Justizminister Vogel teilgenommen hat und
rem in den Mund geschobene, weil von dort zitierte — auf denen Begründungen für die Genehmigung von
Heucheleien bleibenzulassen. Exporten in Gebiete außerhalb von NATO-Staaten
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. gegeben wurden. Dort stand auch immer: wegen, we-
Vogel [SPD]: Aus dem Mund geholte!) gen, wegen. Es wurde immer mit „wegen" begrün-
Gelegentlich gibt man ja Fehler zu. Das ist ja auch det.
mir schon möglich gewesen. Sie können ja sagen: Nein, Herr Kollege Vogel, so geht das nicht. Es ist
Diese Entscheidung der Regierung Schmidt war nicht seriös, wie Sie die Debatte führen.
falsch. Aber Sie stellen sich hier hin und sagen: Die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Regierung liefert sogar an Indien. — Dabei ist die Ent- Ich habe auf die Frage hin klarstellen wollen: Wir
scheidung von der SPD und der FDP in einer Koalition werden die Grundsatzdebatte führen müssen. Wenn
getroffen worden. wir die Rüstungsexporte begrenzen wollen, wogegen
(Marschewski [CDU/CSU]: Leider wahr!) ich nichts einzuwenden habe, dann müssen wir uns
Deswegen ist es nicht fair, die Debatte so zu führen. auf Kriterien verständigen, die wir dann aber auch
(Beifall bei der FDP und CDU/CSU) gemeinsam einzuhalten bereit sind.
Ich habe vor zwei Tagen von amnesty international
eine große Sammlung von Unterschriftenlisten über-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, es reicht bekommen. Amnesty international hat ange-
liegen zwei weitere Begehren nach Zwischenfragen regt, künftig bei Exportgenehmigungen die Men-
vor. schenrechtssituation in den exportbegehrenden Län-
dern mit zur Entscheidungsgrundlage zu machen. Das
Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- war ja auch Gegenstand des Beitrags eines Vorred-
schaft: Ich möchte erst die Frage beantworten; sonst ners. Ich finde das nicht unvernünftig; ich habe Sym-
wäre das nicht in Ordnung. pathie für diesen Vorschlag. Ich will aber darauf hin-
Es ist angeregt worden, man möge dem Vorschlag weisen, daß dieser Vorschlag von amnesty internatio-
der Sozialdemokraten folgen und künftig nur noch nal offenbar nicht im Einklang steht mit dem Hinweis,
Rüstungsexporte in NATO-Mitgliedstaaten geneh- diese Exporte nur auf NATO-Staaten zu begrenzen, es
migen, um so die Menge zu begrenzen. Ich habe bei sei denn, man wollte behaupten, die Menschenrechte
der ersten Lesung gefragt, wie Sie mir denn erklären, würden nur in den NATO-Staaten eingehalten. Das
daß Sie in ein und derselben Woche auf der einen wird man aber wohl nicht allen Ernstes meinen.
Seite vorgeschlagen haben, dies so zu machen, und Die Sache ist, wenn sie seriös behandelt wird, kom-
auf der anderen Seite dem Export von Rüstungsgütern plizierter, als sie hier in einigen Schwarzweißmale-
nach Israel zugestimmt haben. reien dargestellt worden ist.
(Dr. Vogel [SPD]: Reden Sie von Patriot-Ra (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
keten? — Bachmaier [SPD]: Nicht Äpfel und
Birnen in einen Topf! — Weitere Zurufe von Vizepräsident Hans Klein: Sind Sie, Herr Bundesmi-
der SPD) nister, zur Beantwortung weiterer Zwischenfragen
bereit?
Vizepräsident Hans Klein: Es wäre gut, meine Da-
men und Herren, wenn Sie dem Redner Gelegenheit Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
gäben, die Frage zu beantworten. Er kommt ja gar schaft: Ja, bitte.
nicht dazu.
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Roth.
Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
schaft: Dann werde ich es präzisieren, Herr Kollege Wolfgang Roth (SPD): Herr Bundesminister, ich will
Vogel. Ich sprach davon, daß Ihre Fraktion den Antrag meine Frage wiederholen. Ich möchte keine histori-
gestellt hat, die Genehmigung von Waffenexporten schen Erläuterungen hören, sondern meine Frage be-
künftig auf NATO-Mitgliedstaaten zu begrenzen. antwortet haben.
(Dr. Vogel [SPD]: Richtig!) (Marschewski [CDU/CSU]: Das glaube ich!
— Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Ich sprach davon, daß Ihre Fraktion in derselben
Woche zugestimmt hat, daß eine spezifische Waffen- Meine Frage lautet schlicht und einfach: Haben Sie
art — — seit 1981 nicht dazugelernt? Können Sie hier nicht
klipp und klar sagen: Ich bin gegen die Lieferung
(Dr. Vogel [SPD]: Patriot-Raketen!) nach Indien, und ich bin gegen die Lieferung nach
— Patriot-Raketen sind doch auch Waffen oder Südkorea, weil das Spannungsgebiete sind?
nicht?
-
(Dr. Vogel [SPD]: Wegen der Gasverstrik Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
kung, die Sie nicht verhindert haben!) schaft: Ich habe Ihnen gerade gesagt, Herr Kollege
1218 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Bundesminister Jürgen W. Möllemann


Roth, wie — ich glaube, dieser 1981 genehmigte Lie- zusetzen. Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregie-
feranteil war zu 95 % abgewickelt — der Hintergrund rung, dem Parlament da Vorschriften zu machen. Ma-
war. Man kann darüber streiten, ob man die Zusage chen Sie es bitte so, wie Sie es für richtig halten.
einer Regierung aufkündigt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Roth [SPD]: Ich rede beispielsweise von
Südkorea! Reden Sie sich nicht heraus!) Vizepräsident Hans Klein: Herr Minister, jetzt
— Ich sprach jetzt von Indien. Sie haben mich soeben möchte der Kollege Poppe noch eine Zwischenfrage
nach Indien und Südkorea gefragt. Ich versuche ge- stellen, und hier steht auch noch Herr Kollege Mos-
rade, die Frage zu beantworten, und nun sagen Sie, dorf zu einer Zwischenfrage bereit.
weil Ihnen die Antwort nicht gefällt, Sie hätten mich (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt ist doch
danach nicht gefragt. keine Fragestunde!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich kann das nicht ändern; das ist eben so. Gerd Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Minister,
Ich rege an, meine lieben Kolleginnen und Kolle- ist Ihnen der Unterschied zwischen der Aussage von
gen, daß wir Ihren Antrag zum Gegenstand einer amnesty international, man dürfe unter keinen Um-
wirklich intensiven Diskussion machen. Denn auch ständen Waffen in Länder liefern, die die Menschen-
ich habe das Bedürfnis, die Praxis des Rüstungs- rechte verletzten, und Ihrer Verdrehung dieser Aus-
exports und die ihm zugrunde liegenden Grundsätze sage, man könne in alle Länder, die die Menschen-
und Richtlinien kritisch zu überprüfen und zu modifi- rechte nicht verletzten, Waffen liefern, klar?
zieren. Aber ich möchte es nicht in einer solch pole- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch eine
mischen Auseinandersetzung mit vordergründigen Unterstellung!)
Argumenten tun, weil es dazu zu kompliziert ist.
(Roth [SPD]: Das stimmt!) Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
schaft: Ich habe die Aussage von amnesty internatio-
Ich möchte zwei abschließende Bemerkungen ma-
nal nicht verdrehen wollen, sondern ich habe sie hier
chen. korrekt zitiert. Da ich mich mit dem Generalsekretär
(Zuruf von der SPD: Zu Südkorea wollten Sie und seinen Leuten, die bei mir waren, unterhalten
ebenfalls noch etwas sagen!) habe, habe ich, glaube ich, das Anliegen schon ver-
standen. Ich finde, es ist auch nicht Ihre Aufgabe, die
Vizepräsident Hans Klein: Herr Minister, gestatten Aussagen dieser Organisation zu interpretieren. Ver-
Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller treter von amnesty international waren ja bei mir, um
(Pleisweiler)? mit mir zu reden. Wenn auch Sie mit mir reden wollen,
kommen Sie doch bitte vorbei.
Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU —
schaft: Ja, bitte. Zuruf von der FDP: Herr Minister, tun Sie
sich das nicht an!)

Albrecht Müller (Pleisweiler) (SPD): Herr Minister, Vizepräsident Hans Klein: Wollen Sie jetzt auch
ist Ihnen entfallen, daß dieses Parlament am 25. Ja- noch die Frage des Kollegen Mosdorf beantworten?
nuar 1989 anläßlich einer Debatte wegen der Liefe-
rung von Tornado-Kampfflugzeugen an Jordanien am
Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt-
Ende der Debatte hier einvernehmlich beschlossen
schaft: Nein, ich möchte jetzt gerne zum Schluß kom-
hat, daß es eine interfraktionelle Arbeitsgruppe ge-
men, weil sich die Debattenzeit allmählich dem Ende
ben soll, die sich diesem zugegebenermaßen schwie-
nähert.
rigen Problem der Kooperation bei Rüstungsexporten
widmen soll, daß diese Arbeitsgruppe in der Tat zwei- Ich möchte gerne zu zwei Petita, die hier vorhin
oder dreimal zusammengetreten ist und daß dann die angemeldet wurden, eine Klarstellung geben und
Koalitionsseite die Tätigkeit in dieser Arbeitsgruppe eine weitere Bemerkung machen.
nicht mehr fortsetzen wollte, weil, Herr Kollege Bohl Es wurde der von mir zugesagte Bericht in Sachen
und der Vertreter der FDP, eine Antwort auf konkrete Exporte in den Irak angemahnt. Er ist versandt; er
Vorschläge von meinem Kollegen Gansel und von mir müßte entweder heute auf Ihren Tischen liegen oder
innerhalb der Koalition eben nicht zu erreichen war? kommt heute dort an. Es gibt also keinen Zeitver-
Wir hatten in jener ernsten Debatte ganz einvernehm- zug.
lich die Absicht, dieses schwierige Problem anzuge- Ferner gibt es, ebenfalls von amnesty international,
hen, und sind heute weit hinter das zurückgefallen, aber auch von Kolleginnen und Kollegen hier ange-
was damals besprochen worden ist. regt, das Petitum, die Bundesregierung möge die In-
(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist doch ein formationen über genehmigte Exporte ganz generell
Debattenbeitrag! — Das ist doch keine verstärken. Ich finde, auch darüber kann man ver-
Frage!) nünftig reden.
(Roth [SPD]: Dann kann man ja zustim-
Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- men!)
schaft: Das ist mir nicht entfallen; der Prozeß, den Sie — Ja, man muß nur einen vernünftigen Mechanismus -
beschrieben haben, war mir schlicht nicht geläufig. finden. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, daß
Aber das Parlament ist völlig frei, Arbeitsgruppen ein Bundeskanzler Helmut Schmidt, als ich noch ziemlich
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1219
Bundesminister Jürgen W. Möllemann
neu hier im Parlament war und schon einmal auf eine Die Diskussionen in den Ausschüssen haben ge-
Initiative des Kollegen Hirsch eine Debatte zu diesem zeigt: Die Änderungsvorschläge des Wirtschaftsmini-
Thema in Gang kam, mit eindrucksvollen Worten er- sters Möllemann gehen am Kern des Problems vorbei
klärt hat, warum das nicht so ganz einfach sei und und sind daher ein untaugliches Mittel, um das Ge-
warum man dem auf Grund internationaler Rücksicht schäft mit dem Tod auch nur einzudämmen, ge-
und ähnlichem nicht so weit entgegenkommen schweige denn abzuschaffen, was hier schon mehr-
könne. Ich biete also ausdrücklich an, bei den jetzt fach als Ziel formuliert wurde, dem wir uns auch an-
ohnehin fälligen Beratungen über dieses Thema dar- schließen.
über zu sprechen, wie man einen Mechanismus fin-
den kann, nach dem die Regierung das Parlament Uns liegt ein Entwurf vor, der den deutschen Todes-
noch mehr, noch präziser und noch schneller — wie krämern keineswegs das Handwerk legt, sondern im
immer man das definieren will — informiert, als es Rahmen des Nebenstrafrechts etwas Kosmetik be-
bisher geschehen ist. treibt. Ich finde, die Tatsache, daß diese Regelungen
im Bereich des Nebenstrafrechts getroffen werden,
Vielen Dank. besagt schon einiges.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Erhöhung des Strafrahmens soll eine so ab-
schreckende Wirkung haben, daß jedenfalls illegal
nichts mehr über die Grenzen geht. Sie wissen ge-
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Frau
nauso wie wir: Diejenigen, die schon immer den Weg
Abgeordente Andrea Lederer. gefunden haben, um Milliardengeschäfte mit Waffen
und Waffenanlagen zu betreiben, wird auch die Erhö-
hung des Strafrahmens nicht abhalten, die entspre-
chenden Lücken weiterhin zu nutzen. Das Strafrecht
Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! kann nur ein unzulängliches Instrument sein, um ein
Meine Damen und Herren! Zwei Vorbemerkungen zu offenkundig politisches und ökonomisches Problem
der vorhergehenden Debatte. zu lösen.
Erste Vorbemerkung. Ich denke, die Debatte hat Ganz entschieden wenden wir uns gegen den Aus-
gezeigt: Wer immer wieder Gründe für Rüstungsex- bau des Zollkriminalamts zu einem vierten Geheim-
porte in einzelnen Fällen zu finden versucht, den holt dienst. Diese Regelung wird nach allen bisherigen
auch immer wieder die Realität ein, wie sie in den Erfahrungen nur Einfallstor für eine weitere Ausufe-
letzten Wochen diskutiert wurde. rung von Überwachungspraktiken sein, bei denen
elementare demokratische Kontrollmöglichkeiten
Zweite Vorbemerkung. Herr Minister Möllemann,
nicht gegeben sind. Da wird wohl eher der Deckman-
Sie haben die 100 000 Unterschriften erwähnt, die Ih-
tel der Geheimhaltung die Rüstungsgeschäfte beglei-
nen gestern vom Generalsekretär von amnesty inter-
ten, nicht aber parlamentarisch und öffentlich kontrol-
national übergeben wurden.
lierbare Ermittlungen gegen Kriegswaffenexpor-
Tatsache ist aber, daß eine Regelung — die ich übri- teure.
gens nicht nur nicht für unvernünftig, sondern für
absolut erforderlich halte —, wonach Rüstungsex- Wir behaupten: Wenn das bestehende Instrumenta-
porte dann unzulässig sind, wenn die Gefahr droht, rium genutzt worden wäre, hätte bereits viel gesche-
daß mit diesen Waffen Menschenrechtsverletzungen hen können. Das ist eine Frage des politischen Wil-
begangen werden, in dem vorgelegten Gesetzentwurf lens.
fehlt. Ich frage mich, woran es liegt, wenn auch Sie mit Das Hauptproblem — es wurde auch schon mehr-
einer solchen Forderung sympathisieren. fach angesprochen — des Regierungsentwurfs und
Meiner Auffassung nach hat das folgende Gründe: — so muß ich sagen — leider auch der Initiative der
Unter dem Druck der internationalen öffentlichen Kri- SPD ist jedoch folgendes: Lediglich 3 bis 5 % der Rü-
tik an der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung stungsexporte, nämlich die illegalen Rüstungsex-
wurde ein Gesetzentwurf zur Änderung des Außen- porte, werden überhaupt erfaßt. Die restlichen 95 bis
wirtschaftsgesetzes mit heißer Nadel gestrickt. 97 %, die genehmigten Rüstungsexporte, bleiben un-
angetastet. Schon dieses Verhältnis ist deutlicher Aus-
(Würfel [FDP]: Mit heißer Nadel kann man druck des Willens der Bundesregierung, diesen profit-
gar nicht stricken, höchstens sticken!) trächtigen Wirtschaftszweig künftig weiter florieren
Die heute beabsichtigte hastige Verabschiedung die- zu lassen.
ses Gesetzes soll nun offensichtlich international Ruhe
schaffen, was aber nicht zugelassen werden darf. An diesen Punkt knüpft auch der Antrag der PDS/
Linke Liste an. Er geht an die Wurzel des Übels, an die
Nachdem der Krieg am Golf vorbei ist, geht es um Rüstungsproduktion und den damit folgerichtig zu-
Schadensbegrenzung. Nicht im Ansatz ist eine Kehrt- sammenhängenden legalen Rüstungsexport.
wende im Bereich der Rüstungsexporte erkennbar. In
den Medien wird seit Tagen nur noch über BRD- (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
Rüstungsexporte berichtet, wenn es das Flaggschiff Wir fordern keine bessere Regelung von Rüstungs-
der deutschen Industrie trifft, den Daimler-Benz-Kon- exporten, sondern wir fordern deren Abschaffung.
zern. Ansonsten ist viel von US-Rüstungsexporten zu Das muß im Grundgesetz durch eine Änderung des
lesen und zu hören. Der Versuch, die eigene Praxis Art. 26 des Grundgesetzes verankert werden.
hinter einer anderen — nicht besseren — zu verstek-
ken, ist augenfällig. (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
1220 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Andrea Lederer
In diesem Kontext noch eine Anmerkung zum Ent- gehört — : Ich teile natürlich die Kritik an dem, was an
wurf der SPD-Fraktion. Wir wundern uns, wie schnell Rüstungsexporten und Rüstungsgeschäften aus der
die SPD ihren ursprünglichen, von Norbert Gansel in ehemaligen DDR gelaufen ist, auf das entschieden-
diesem Haus vorgetragenen Vorschlag, ein Verbot ste.
von Rüstungsexporten außerhalb der NATO Länder - (Zuruf von der CDU/CSU: Das ehrt Sie!)
im Grundgesetz zu verankern, fallengelassen hat. Das ist überhaupt keine Frage. Wer sich mit diesem
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das Thema prinzipiell auseinandersetzt, kann hier natür-
kommt wieder!) lich nicht mit zweierlei Ellen messen.
Jetzt soll es zwar nach dem SPD-Entwurf im Kriegs- (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Zurufe
waffenkontrollgesetz diese Regelung geben, aber die von der CDU/CSU)
Möglichkeit einer Verankerung im Grundgesetz soll — Wissen Sie: Es ist immer relativ.
der innerhalb der nächsten zwei Jahre zu führenden
(Zuruf von der FDP: Eben! Es kommt immer
Verfassungsdebatte vorbehalten bleiben.
darauf an! — Bohl [CDU/CSU]: Warum sind
Wenn die SPD auf der anderen Seite offensichtlich Sie denn in der PDS?)
darauf hinarbeitet, einer vorgezogenen Grundgesetz-
Ich stelle fest: Vier Jahre lang werden wir uns hier
änderung zuzustimmen, die Blauhelm-Missionen der
wohl mit relativ stereotypen Zwischenrufen und ähn-
Bundeswehr zuläßt, stellen wir fest: Das Engagement
lichem zu beschäftigen haben. Ich wünsche mir, Ihnen
der SPD für eine Erweiterung des militärischen Hand-
fällt bald irgend etwas anderes ein.
lungsspielraums im Grundgesetz ist offensichtlich
größer als das Engagement, eine drastische Beschrän- (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
kung des Rüstungsexports im Grundgesetz festzu-
schreiben. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, ich darf
Hierbei möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, Sie einen Moment unterbrechen. Meine Damen und
daß der Antrag der PDS/Linke Liste auch den Rü- Herren, eine gewisse Lebendigkeit mit Zwischenfra-
stungsexport in NATO-Staaten ausschließen will. An- gen und Zurufen ehrt den Redner, weil seine Ausfüh-
gesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen der Kon- rungen zur Kenntnis genommen werden.
zerne und Handelsstrukturen dürfte eine Absiche-
(Marschewski [CDU/CSU]: Rednerin, Herr
rung des Endverbleibs nicht möglich sein. Im übrigen
Präsident!)
sind wir der Meinung, daß Rüstungsexporte an
NATO-Staaten, die ohnehin bis zu den Zähnen mit Aber er muß immer noch in der Lage sein zu reden.
High-Tech-Waffen hochgerüstet sind, uns dem Frie- (Marschewski [CDU/CSU]: Sie!)
den auf der Welt keinen Schritt näherbringen. Frau Kollegin, es gibt zwei weitere Begehren nach
einer Zwischenfrage des Kollegen Singer und des Kol-
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, gestatten legen Roth. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?
Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Präsident,
Andrea Lederer (PDS/Linke Liste) : Gerne. ich bin jetzt nicht bereit, sie zu beantworten. Ich
komme zum Schluß meiner Rede.
Konrad Weiß (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE) : Frau (Bohl [CDU/CSU]: Warum sind Sie in der
Kollegin, in Anbetracht Ihrer Ausführungen interes- PDS?)
siert mich, inwieweit Sie darauf Einfluß genommen
haben, daß der Ihrer Partei nahestehende Herr — Darüber können wir uns gerne einmal unterhalten,
Schalck-Golodkowski, der an Rüstungsgeschäften il- Herr Bohl.
legaler und legaler Art in gigantischem Ausmaße be- Unsere Forderung kann daher nur lauten: vollstän-
teiligt gewesen ist, dazu beiträgt, diese aufzuklären, diger Stopp des Rüstungsexports, verankert im
und sich endlich den deutschen Behörden stellt, um Grundgesetz, Konversion der Rüstungsproduktion,
die Wahrheit über das, was an Rüstungsexporten von Streichung sämtlicher Titel im Haushalt zur weiteren
Ihrer Partei oder Ihrer Vorläuferpartei verantwortet Rüstungsbeschaffung. Zur Aufarbeitung — hören Sie
war, ans Tageslicht zu bringen. zur Abwechslung einmal zu — der Geschichte bun-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der desdeutschen Rüstungsexports muß eine komplette,
FDP) detaillierte Veröffentlichung sämtlicher erteilter Aus-
fuhrgenehmigungen und der eingeleiteten Ermittlun-
gen wegen illegaler Exporte auf den Tisch dieses
Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Kollege Hauses.
Weiß, erstens, denke ich, ist Ihnen bekannt, wo sich
Herr Schalck-Golodkowski zur Zeit aufhält. Ich danke.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber er hielt sich (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
früher einmal in Ihrer Nähe auf! — Dr. Vogel
[SPD]: Wo er sich früher aufgehalten hat, ist Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Herr
Ihnen aber bekannt!) Abgeordnete Horst Eylmann.
— Mir ist das natürlich bekannt.
(Hämmerle [SPD]: Das ist aber erfreulich!) Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Im übrigen will ich Ihnen mitteilen — ich habe ge- sehr verehrten Damen und Herren! Die Heftigkeit, mit
stern beispielsweise die Rede des SPD-Kollegen Duve der im In- und Ausland deutsche Waffenexporte, le-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1221

Horst Eylmann
gale wie illegale, diskutiert werden, hat ihre Ursache samt in ihrer Höhe an der Grenze des rechtsstaatlich
nicht in dem Umfang dieser Exporte. Der Umfang der Vertretbaren.
genehmigten Ausfuhr von Rüstungsgütern ist, gemes- Ich habe schon früher mehrfach darauf hingewie-
sen am Gesamtexport, geringfügig. Für den Umfang sen, daß mit einer Strafverschärfung allein wenig er-
illegaler Ausfuhren gilt dank unseres schon bisher reicht wird. Die generalpräventive Wirkung ist be-
sehr ausgefeilten Außenhandelsrechts das gleiche. Es grenzt. Die Nürnberger hängen bekanntlich keinen,
ist bedauerlich, daß dies immer wieder geleugnet, ja, es sei denn, sie hätten ihn. Man muß den illegal han-
das Gegenteil behauptet wird. delnden Waffenexporteur erst einmal aufspüren und
Die Emotionen, die deutsche Waffenexporte drin- ihm die Tat beweisen können, um ihn bestrafen zu
nen wie draußen wecken, haben ihren wahren Grund können.
in der jüngeren deutschen Geschichte. Der Golfkrieg Das Gesetz will die Aufklärungsquote sowohl im
hat das jedermann vor Augen geführt. Angesichts der repressiven als auch im präventiven Bereich durch die
Lautstärke der Anklagen mußte ein unbefangener Be- Schaffung erweiterter gesetzlicher Möglichkeiten zur
obachter den Eindruck gewinnen, die Bundesrepu- Post- und Fernmeldekontrolle erhöhen. Die Opposi-
blik wäre der wichtigste Waffenlieferant Saddam tion lehnt dies ab, was verwundert, da sie doch sonst in
Husseins gewesen. der Öffentlichkeit fortlaufend mit der Forderung her-
vortritt, unser Waffenexportrecht müsse wasserdicht,
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU) also lückenlos, gemacht werden.
Wie die Verhältnisse wirklich waren, ist inzwischen (Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
bekannt; Sie konnten das vorgestern, z. B. im „Han- Sie treiben ein Doppelspiel.
delsblatt", nachlesen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich erwähne das, meine Damen und Herren — das Auf der einen Seite werfen Sie der Bundesregierung
möchte ich betonen — , nicht, um das Problem zu ba- und den Strafverfolgungsbehörden eine zu geringe
gatellisieren. Unsere Geschichte legt uns in der Tat Erfolgsquote vor, auf der anderen Seite verweigern
besondere Verpflichtungen auf. Wer nach Auschwitz Sie denselben Behörden das notwendige Instrumen-
von Deutschland aus mit Giftgas handelt, beweist eine tarium für eine erfolgreiche Aufklärungs- und Ermitt-
erschreckende Skrupellosigkeit. lungstätigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und beim Bündnis 90/GRÜNE) Herr Kollege Schily, ich will mich jetzt nicht auf das
Niveau, auf das Sie heute hinabgestiegen sind, bege-
Selbst für denjenigen, der meint, darum bitten zu
ben.
dürfen, uns auf Dauer nicht mit anderen Maßstäben
(Zuruf des Abg. Schily [SPD])
als andere Staaten und Völker zu messen, sollte es ein
Gebot der politischen Klugheit sein, die psychologi- Sonst würde ich sagen, Sie könnten froh sein, daß es
schen Mechanismen ernst zu nehmen, die sich z. B. keine Goldmedaillen für Heuchelei gibt.
bei der Kombination „Deutschland — Giftgas" ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
stellen. Wenn Sie auf § 100a der Strafprozeßordnung ver-
Aus all diesen Gründen — ich glaube, daß wir uns weisen, so berücksichtigen Sie bitte, daß diese Vor-
darüber einig sind — wollen wir ein Gesetz verab- schrift nur dann eingreift, wenn jemand in Verdacht
schieden, das dem Bundesminister für Wirtschaft die gerät, eine Straftat begangen zu haben.
Befugnis gibt, im Einzelfall Beschränkungen des Au- (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Schily, haben
ßenwirtschaftsverkehrs im Verwaltungswege anzu- Sie ein persönliches Trauma damit? — Duve
ordnen, das die Strafbestimmungen des Außenwirt- [SPD]: Das war ja ein gewaltiger Zwischen-
schaftsgesetzes drastisch verschärft, das die Abschöp- ruf, Herr Kollege! — Abg. Schily [SPD] mel-
fung des Gewinns aus illegalen Waffenexportge- det sich zu einer Zwischenfrage)
schäften erleichtert und die gesetzliche Möglichkeit
schafft, sowohl bei der Strafverfolgung als auch im
Vorfeld, im präventiven Bereich, das Post- und Fern- Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie?
meldegeheimnis einzuschränken.
Für die Strafverschärfung will ich ein Beispiel nen- Horst Eylmann (CDU/CSU): Ja, natürlich.
nen: Wir haben noch im Zuge des Gesetzgebungsver-
fahrens die in § 34 Abs. 4 des Außenwirtschaftsgeset-
zes vorgesehene Freiheitsstrafe erhöht. Nunmehr be- Otto Schily (SPD): Herr Kollege Eylmann, da Sie
trägt die Mindeststrafe zwei Jahre, so daß eine Straf- doch meinen, die Vorfeldbeobachtung sei besonders
aussetzung zur Bewährung nicht mehr möglich ist. wichtig, frage ich Sie, ob Sie auch der Ansicht sind,
Eine so hohe Mindeststrafe ist auf der anderen Seite daß der U-Boot-Skandal im Zusammenhang mit Süd-
nur vertretbar, weil das Gesetz die Möglichkeit vor- afrika besser aufgeklärt worden wäre, wenn das ZKI
sieht, in minder schweren Fällen eine Freiheitsstrafe die Überwachung des Telefonverkehrs des Bundes-
von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu verhängen. — kanzleramts und der Bayerischen Staatskanzlei ange-
Berücksichtigen Sie bitte, daß Sanktionsmaßnahmen ordnet hätte.
— um die geht es in diesem Zusammenhang — natür- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste -
lich auch das Verbot von Lebensmittellieferungen — Oh-Rufe bei der CDU/CSU — Bachmaier
beinhalten können. — Die Strafandrohung liegt insge [SPD]: Und zwar im Vorfeld!)
1222 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Kollege Schily, Zustimmung des Bundersministers der Finanzen be-
Sie üben sich im vorliegenden Fall in einer Polemik, darf. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist dies
die diesem ernsten Thema nicht angemessen ist. noch nicht so angepaßt; das läßt sich aber leicht be-
richtigen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —
Geis [CDU/CSU]: Er kann nichts anderes! — Schließlich hat der Bundesminister der Finanzen in
Bachmaier [SPD]: Mehr fällt Ihnen dazu Abständen von höchstens sechs Monaten ein Gre-
nicht ein?) mium, das aus fünf vom Bundestag bestimmten Abge-
Ich will nicht ausschließen, daß bei früheren illega- ordneten besteht, über die Durchführung der gesetz-
len Rüstungsexporten, die stattgefunden haben — ich lichen Regelungen zur Brief- und Telefonkontrolle zu
nehme einmal die Fälle, wo bloß Verdächtigungen berichten. Es erscheint zweckmäßig, dem ohnehin be-
bestehen, heraus — , bessere Erfolge in der Aufklä- stehenden G-10- Gremium diese Aufgabe zu übertra-
rung erzielt worden wären, wenn wir das Instrumen- gen.
tarium, das wir heute schaffen, schon zur Verfügung Es läßt sich also, meine Damen und Herren, feststel-
gehabt hätten. Denn, meine Damen und Herren, es ist len, daß in den Entscheidungsprozeß, der zu einer
uns schon mehrfach passiert, daß das beanstandete Einschränkung des Brief- und Fernmeldegeheimnis-
Exportgut bereits im Ausland gelandet war und sich ses führen soll, die Regierung, das Parlament und die
erst dann der Tatverdacht verdichtete und die Straf- Justiz verantwortlich eingebunden sind. Nirgendwo
verfolgung begann. Hinweise auf straflose Vorberei- im Bereich staatlicher Eingriffstätigkeit haben wir ein
tungshandlungen können noch nicht zur Einleitung so umfassendes System rechtsstaatlicher Sicherungs-
eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens führen. mechanismen. Ich betone dies insbesondere gegen-
Gerade im Zusammenhang mit der wahrscheinli- über unserer exportierenden Wirtschaft. Wir schaffen
chen Hilfe einiger deutscher Unternehmen bei der mit diesem Gesetz ein sehr scharfes Instrument zur
Giftgasproduktion des Irak ist immer wieder verlangt Verhinderung illegaler Waffenexporte, mit dessen
worden, daß die Planung und die Anbahnung illegaler Hilfe sich in besonderen Fällen sogar der Sammelan-
Exportgeschäfte bereits im Vorfeld beobachtet, ent- schluß eines ganzen Unternehmens überwachen
deckt und unterbunden werden müssen. Sie kennen läßt.
die Forderung, in diesem Bereich weitergehende Zu- Gleichzeitig aber sichern wir durch ein ausgefeiltes
ständigkeiten des Bundesnachrichtendiestes und des System rechtsstaatlicher Kontrolle, daß von diesem
Verfassungsschutzes zu schaffen. scharfen Instrument nur in verantwortungsbewußter
Wir wollen mit dem heute zur Verabschiedung an- und der Verfassung entsprechender Weise Gebrauch
stehenden Gesetz einen Weg gehen, der es uns er- gemacht wird.
möglicht, weiter in das Vorfeld dieser kriminellen
Obwohl wir mit diesem Gesetz sowohl bei der not-
Exportgeschäfte zurückzugreifen. In das Post- und
wendigen Bestimmtheit der Straftatbestände und bei
Fernmeldegeheimnis soll nicht nur zu repressiven,
der Höhe der Strafandrohung als auch bei der Ein-
sondern auch zu präventiven Zwecken eingegriffen
schränkung des Art. 10 an die Grenze dessen gegan-
werden können, und zwar dann, wenn sich Straftaten
gen sind, was rechtsstaatlich vertretbar und verfas-
von erheblicher Bedeutung aus dem Bereich des Au-
sungsrechtlich zulässig ist,
ßenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkon-
trollgesetzes noch im Stadium der straflosen Vorberei- (Geis [CDU/CSU]: Wir haben sie nicht über
tung und Planung befinden. schritten!)
Meine Damen und Herren, natürlich ist uns klar, warne ich vor der Annahme, damit sei unsere Außen-
daß wir uns hier auf juristisches Neuland vorwagen. wirtschaftskontrolle wasserdicht in dem Sinne, daß
Die richterliche Zuständigkeit, die unverzichtbar ist, keine zur Waffenproduktion verwendete Ware oder
wird sich bewähren müssen. Wir haben deshalb die Unterlage illegal unsere Grenze überschreiten wird.
Geltung dieser Vorschriften auf vier Jahre beschränkt Ein solches wasserdichtes System ließe sich, wenn
und werden ihre Praktizierung sorgfältig beobachten. überhaupt, nur um den Preis polizeistaatlicher Metho-
Im Zuge der Beratungen im Rechtsausschuß haben den, riesiger Kontrollbürokratien und einer unsere
wir es für sinnvoll angesehen, die Zuständigkeit nicht Exportwirtschaft strangulierenden Reglementierung
beim Amtsgericht, sondern bei einer Kammer des des Außenhandelsverkehrs durchsetzen. Das wollen
Landgerichts anzusiedeln. Um den Richtern die Mög- wir nicht.
lichkeit zu geben, Erfahrungen zu sammeln und eine
einheitliche Rechtsprechung zu entwickeln, haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wir ein bestimmtes Landgericht, nämlich das Landge- der FDP)
richt in Köln, für zuständig erklärt.
(Geis [CDU/CSU]: Wo das Zollkriminalinsti
tut seinen Sitz hat!)
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Eylmann,
Besonders hervorheben möchte ich, daß wir uns
ich darf Sie einen Augenblick unterbrechen.
nicht nur auf den unabhängigen Richter verlassen
wollen. Weil es sich bei der Brief- und Telefonkon- Meine Damen und Herren, auf den Redner zu rea-
trolle um ein besonders einschneidendes Instrument gieren — dabei kann es auch einmal laut werden —,
handelt, trifft die beantragende Behörde eine beson- ist eine Sache, auf eine Abstimmung zu warten ist eine
dere Verantwortung. Wir haben vorgesehen, daß nur zweite. Aber — ich muß dies leider sagen; dies gilt für -
der Leiter der Behörde oder der Vertreter des ZKI den die rechte Seite — regelrechte Diskussionsgruppen
Antrag stellen darf und daß er dazu der vorherigen während des Wartens auf die Abstimmung zu bilden,
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1223
Vizepräsident Hans Klein
ist unfair gegenüber dem Redner und widerspricht stungsgüter verschaffen können, notfalls aus der Drit-
den Regeln. ten Welt und den Schwellenländern, wo es schon eine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten entsprechende Industrie gibt.
der CDU/CSU und der FDP) Jede Nachfrage zieht ein Angebot mit sich. Wir soll-
Ich bitte also, in den wenigen Minuten, in denen ten uns darauf konzentrieren, mit politischen Mitteln
hier jetzt noch geredet wird, Aufmerksamkeit dem auch die Nachfrage nach Rüstungsgütern auf der Welt
Redner zu widmen. — Herr Kollege dahinten, zu verringern.
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Der heißt nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
„Dahinten" ! — Weitere Zurufe von der CDU/ bei Abgeordneten der SPD)
CSU und der SPD)
— ich will niemanden vorführen —, es ist nicht fair, Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her-
wenn wir nicht ein Minimum an Respekt gegenüber ren, jetzt sind noch zwei Kurzinterventionen angemel-
dem Redner aufbringen. Etwas ganz anderes ist es, det. Dazu muß ich etwas sagen: Die eine Kurzinter-
auf den Redner und seine Aussagen zu reagieren. vention, die von seiten der PDS kommt, gilt einer
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Äußerung des Kollegen Weiß, ist eine Reaktion auf
SPD) eine Äußerung. Die andere Kurzintervention wurde
Bitte, Herr Kollege Eylmann fahren Sie fort. vor fast einer halben Stunde als Reaktion auf das an-
gemeldet, was der Kollege Eylmann sagen würde,
Horst Eylmann (CDU/CSU) : Meine Damen und ohne daß der Kollege wissen konnte, was dieser sagen
Herren, hinzu kommt, daß wir uns im Bereich der würde.
Dual use Waren einer Entwicklung gegenübersehen
- - (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
— das läßt sich auch nicht leugnen — , die sich mit Ich werde beide Kurzinterventionen zulassen. Aber
auch noch so umfangreichen und ausgefeilten Listen ich möchte im Interesse des Hauses und des Instru-
genehmigungspflichtiger Güter nicht mehr steuern ments der Kurzinterventionen noch einmal erklären:
läßt. Diese Intervention soll eine Reaktion auf bestimmte
Der Umfang derjenigen Güter, die sowohl zu fried- Aussagen sein, nicht eine geplante Redezeitverlänge-
lichen Zwecken als auch zur Waffenproduktion ver- rung für eine bestimmte Fraktion.
wendet werden können, steigt ständig. Die Patriot- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Rakete besteht z. B. zum allergrößten Teil aus nicht
speziell konstruierten Dual-use-Teilen. Die zivile Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem
Zugmaschine zieht ebenso schwere Baugeräte wie Kollegen Dr. Dietmar Keller.
Panzertransporter. Mit einer Fließdruckmaschine
können Sie ebenso Kochtöpfe wie Raketenteile pro- Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Herr Präsi-
duzieren. dent! Herr Weiß, Sie haben die Frage nach Herrn
Wir müssen uns deshalb in zunehmendem Maße Schalck-Golodkowski mit dem Blick auf die Gruppe
darauf konzentrieren, diejenigen Exporte zu kontrol- der PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag gestellt
lieren, bei denen der Exporteur positive Kenntnis von und haben bezeichnenderweise Beifall der Parteien
der Verwendung seiner Ware in der Rüstungsproduk- der Regierungskoalition bekommen.
tion oder als Teil einer Waffe hat. So wird mit § 5 c der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
am 14. März dieses Jahres in Kraft getretenen Ände-
rung der Außenwirtschaftsverordnung die Kenntnis Deshalb möchte ich hier noch einmal betonen: Die
von der Verwendung in Rüstungsprojekten Auslöse- Partei des Demokratischen Sozialismus und die
kriterium für die Genehmigungspflicht, auch wenn es Gruppe, die in diesem Parlament arbeitet, sind für
sich um völlig harmlose Waren handelt. alle richterlichen Maßnahmen, die dazu beitragen,
die verbrecherischen Machenschaften von Herrn
Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol- Schalck-Golodkowski, des Ministeriums für Staatssi-
lege Eylmann, Ihre Redezeit ist weit überschritten. cherheit und des Bereichs Kommerzielle Koordinie-
rung aufzudecken.
Horst Eylmann (CDU/CSU): Aber das nur deshalb, (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die Milliarden
weil ich längere Zeit unterbrochen worden bin. zurück! — Bohl [CDU/CSU]: Du mußt das
Geld abgeben!)
Vizepräsident Hans Klein: Die Zwischenfragen wur- Zweitens. Als ehemaliges Mitglied der Volkskam-
den Ihnen alle angerechnet. mer darf ich Sie daran erinnern, daß während der Zeit
der Regierung von Hans Modrow durch die General-
staatsanwaltschaft ein Auslieferungsantrag gestellt
Horst Eylmann (CDU/CSU): Gestatten Sie mir noch
wurde, der nicht bearbeitet wurde, und daß auf An-
drei Sätze: Mit unserer Zurückhaltung allein werden
trag der PDS in der Volkskammer die Volkskammer
wir den Krieg auf der Welt nicht zurückdrängen. Wir
geschlossen dafür gestimmt hat, daß Herr Schalck-
müssen international ein größeres Maß an Kontrolle
Golodkowski auszuliefern ist.
erreichen.
Aber wir sollten uns — lassen Sie mich das zum Drittens. Die PDS ist am 18. März 1990 zu Recht in
Schluß sagen — auch dort keinen Illusionen hinge- die Opposition gegangen.
-
ben: Ein Diktator, der sein Land aufrüsten will, wird (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —
sich noch auf Jahre hinaus die notwendigen Rü Marschewski [CDU/CSU]: Das ist wahr! Das
1224 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Dr. Dietmar Keller


ist gut! — Dr. Freiherr von Stetten [CDU/ Danke schön.
CSU]: Das lag wohl am Wahlergebnis!) (Beifall bei der SPD — Geis [CDU/CSU]: Da-
— Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, mit hat es bis jetzt nichts zu tun gehabt! Das
wir haben noch die Fähigkeit zur Selbstkritik. kommt erst! — Duve [SPD]: Jetzt haben Sie
(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) das Verfassungsrisiko! — Abg. Schily [SPD]
meldet sich zu einer Kurzintervention)
Wenn also heute die Frage nach Herrn Schalck-
Golodkowski gestellt wird, dann ist sie an den Frei-
staat Bayern und an die gegenwärtige Regierungs- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schily,
koalition zu stellen. wenn es wirklich nur ein Satz ist.
(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Geis
[CDU/CSU]: Berlin ist zuständig!) Schily (SPD): Herr Kollege Eylmann, damit bei Ih-
nen keine Mißverständnisse entstehen: Unser Beifall
galt nur Ihrem letzten Satz, nicht dem gesamten Bei-
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort zu einer weite- trag.
ren Kurzintervention hat der Kollege Professor Jürgen (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Geis
Meyer. [CDU/CSU]: Wie im Kindergarten! — Dr.
Altherr [CDU/CSU]: Welch eine substan-
tielle Leistung!)
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Nach den mehrfachen
Hinweisen nicht nur des Kollegen Eylmann auf den Birgit Homburger (FDP): Herr Präsident, Sie haben
Zeitdruck der Gesetzesberatungen und auf die vielfa- uns allen gerade den Sinn und Zweck einer Kurzin-
chen Nachbesserungen seitens der Regierung möchte tervention erklärt. Ich stelle fest, daß das, was der Kol-
ich erstens festhalten: Das Endprodukt ist eine juri- lege Meyer abgeliefert hat, ein Redebeitrag war.
stisch konfuse Mischung aus Strafrecht und Polizei- Wenn er den hätte abliefern wollen, dann hätte er für
recht, aus Strafprozeßordnung, G-10-Gesetz und frei- die SPD reden sollen.
williger Gerichtsbarkeit, eine Mischung, die hohe ver-
fassungsrechtliche Risiken beinhaltet. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, bevor Sie
(Beifall des Abg. Wiefelspütz [SPD]) weiterreden: Nach dem Regelwerk kann man nicht
mit einer Kurzintervention auf eine andere antwor-
Ich gönne den Waffenhändlern derartige Chancen ten.
nicht und werbe deshalb für die Annahme des in sich
geschlossenen SPD-Entwurfs. (Duve [SPD]: Man kann sich auch nicht sel-
ber das Wort nehmen!)
Zweitens. Das gilt auch für die große Ankündigung
der Einführung der Vermögensstrafe durch die Bun-
desregierung, Birgit Homburger (FDP): Herr Präsident, ich möchte
Sie lediglich bitten, festzustellen, daß es keine Kurzin-
(Zuruf von der FDP: Herr Präsident, das gibt tervention war,
es doch nicht! Das ist ein weiterer Redebei
trag!) (Dr. Vogel [SPD]: „Ich weiß was, Herr Leh-
rer! ")
eine Ankündigung, die später zurückgezogen wurde.
Sie wurde durch eine Maßnahme ersetzt, die in der und nach diesen Regeln zu verfahren.
Strafrechtswissenschaft als verfassungsrechtlich be (Beifall bei der FDP)
-denklich,wuvrätsmßigl.Auchde
Risiko könnte man vermeiden, wenn man die von uns Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her-
vorgeschlagene Nebenstrafe der Erlösabschöpfung ren, zu einer ergänzenden Textkorrektur hat das Wort
vorsieht. der Abgeordnete Sprung.
(Bohl [CDU/CSU]: Das ist ein klassischer De-
battenbeitrag!) Dr. Rudolf Sprung (CDU/CSU): Herr Präsident! Als
Drittens und letztens. Es ist bisher nicht behandelt Berichterstatter möchte ich darum bitten, daß im Be-
worden, richt eine weitere Berichtigung vorgenommen
(Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist wird. *) In der Begründung zu § 40 Abs. 1 ist der
ein Debattenbeitrag!) zweite Satz zu streichen. Begründung: Der Bundesmi-
nister der Finanzen ist nicht mehr der Antragsteller.
daß durch die von Ihnen vorgeschlagenen Vorfelder-
mittlungen in das Gebiet des Polizeirechts fallen, also
dem Opportunitätsprinzip unterliegen. Das Opportu- Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her-
nitätsermessen bei Abhörmaßnahmen soll vom Bun- ren, der Kollege Dietmar Kansy hat eine Erklärung zur
desminister der Finanzen ausgeübt werden. Wir mei- Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu
nen, daß nach den schlechten Erfahrungen mit dem Protokoll gegeben. **)
Eifer des Bundesministers der Finanzen gegenüber Der Kollege Burkhard Hirsch hat um das Wort zu
den illegalen Waffenexporten nach Südafrika einer Erklärung nach § 31 gebeten. Sie haben das
Wort.
(Geis [CDU/CSU]: Damit hat es nichts zu tun
-
gehabt!)
*) Redaktionelle Berichtigungen, Anlage 2
hier der Bock zum Gärtner gemacht werden soll. **) Anlage 3
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1225

Dr. Burkhard Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 8 in der Ausschußfassung mit
Damen und Herren! Gleichzeitig im Namen der Kol- dem vom Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Be-
legen Baum und Lüder möchte ich folgende persönli- richtigungen auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt
che Erklärung zur Abstimmung abgeben. dagegen? — Enthaltungen? — Bei einigen Gegen-
Wir unterstützen das Ziel des Gesetzentwurfs, ille- stimmen von FDP und PDS/Linke Liste sowie Enthal-
gale Waffenexporte hoch zu bestrafen und zu verhin- tungen der FDP, des Bündnisses 90/GRÜNE sind die
dern, und die wichtigen Bemühungen des Wirt- Vorschriften so angenommen.
schaftsministers, das auch zu erreichen. Wir würdigen Ich rufe Art. I Nr. 9 in der Ausschußfassung mit den
auch die Bemühungen derjenigen Kollegen, die an vom Berichterstatter zu Protokoll gegebenen Berichti-
dem Gesetzentwurf mit diesem Ziel gearbeitet haben. gungen auf. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dage-
Trotzdem können wir dem Gesetzentwurf aus folgen- gen? —
den Gründen nicht zustimmen:
(Pfeffermann [CDU/CSU]: Ja, wer hat denn
Erstens. Die Tatbestände, deren Verwirklichung ein das Gesetz eigentlich beantragt? Ist das ein
Verbrechen darstellen werden, sind so umfassend for- Möllemann-Gesetz, oder ist das ein CDU-
muliert, daß der einzelne nicht mehr eindeutig erken- Gesetz? — Marschewski [CDU/CSU]: Eine
nen kann, wann er sich strafbar macht. Es sind Blan- billige politische Schau ist das! — Pfeffer-
kettnormen. mann [CDU/CSU]: Möllemann fordert, wir
Zweitens. Der Entwurf ermöglicht das Abhören von haben es durchzusetzen!)
Telefongesprächen einzelner Personen und ganzer Enthaltungen? — Die Vorschrift ist bei Gegenstimmen
Unternehmen zu einem Zeitpunkt, in dem nicht ein- von der FDP, SPD, PDS/Linke Liste, Bündnis 90/
mal der mindeste Verdacht auf eine strafbare Hand- GRÜNE und einer Enthaltung von der FDP angenom-
lung vorliegt, also einem Zeitpunkt, zu dem diese Per- men.
sonen sich völlig rechtmäßig verhalten haben. Diese
Regelung ist im deutschen Recht einzigartig. Ich rufe Art. 1 Nr. 10, Einleitung und Überschrift in
der Ausschußfassung mit der vom Berichterstatter zu
Drittens. Der Entwurf läßt offen, ob und wann das Protokoll gegebenen Berichtigung auf. Wer stimmt
überwachende Zollkriminalinstitut seine Erkenntisse dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
wenigstens an die Staatsanwaltschaft zur Einleitung
eines normalen Strafverfahrens weitergeben muß. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wirklich eine är-
gerliche Situation! — Dr. Vogel [SPD]: Die
(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) Zurufe sind gut! Bitte alle ins Protokoll!)
Viertens. Das gesetzgeberische Verfahren, daß wir Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen der PDS
hier gewählt haben, hat es dem Parlament völlig un- und einigen Enthaltungen bei der FDP und bei der
möglich gemacht, selbst zu prüfen, ob die bisherigen SPD angenommen.
Erfahrungen mit dem geltenden Recht so weitge-
hende Eingriffe in unser Rechtssystem und in Grund- (Dr. Vogel [SPD]: Der Zwischenruf ist nicht
rechte begründen können und ob die neu eingeführ- verstanden worden! Kann er wiederholt wer-
ten Regelungen überhaupt praktikabel sind. Wir ha- den? — Zuruf von der SPD: Pfeffermann, da
ben nicht den mindesten Versuch unternehmen kön- capo!)
nen, festzustellen, ob das bisherige Recht lückenhaft Damit ist Art. 1 — Änderung des Außenwirtschafts-
war oder ob es nicht sachgerecht angewendet worden gesetzes — in der Ausschußfassung mit den entspre-
ist. chenden Berichtigungen angenommen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie bei Ich rufe Art. 2 — Änderung des Gesetzes zu Art. 10
der SPD) des Grundgesetzes — in der Ausschußfassung auf.
Auf dieser Grundlage ist die weitere Einschränkung Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Wer
eines Grundrechts nicht vertretbar. enthält sich? — Bei einigen FDP-Enthaltungen, weni-
gen SPD-Enthaltungen, Enthaltungen beim Bünd-
Wir können daher dem Gesetzentwurf nicht zustim- nis 90/GRÜNE und einer Gegenstimme von der PDS
men. ist die Vorschrift angenommen.
(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Ich rufe Art. 3 — Änderung des Strafgesetzbuches
GRÜNE sowie bei Abgeordneten der FDP — — in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt für Art. 3?
Dr. Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 3 ist bei Ent-
hätten Sie Ihrem Minister sagen müssen! — haltungen in der FDP-Fraktion und in der PDS/Linke
Bohl [CDU/CSU]: Wird das eigentlich in der Liste
FDP-Fraktionssitzung behandelt? Was sagt
die FDP dazu?) (Marschewski [CDU/CSU]: Das ist eine sehr
gute Verbindung!)
bei Gegenstimmen aus der PDS-Gruppe angenom-
Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- men.
ren! Ich schließe die Aussprache. Ich rufe Art. 4 — Änderung der Strafprozeßordnung
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung — in der Ausschußfassung auf. Wer stimmt dafür? —
über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthal-
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung tungen von Bündnis 90/GRÜNE und einigen Gegen-
des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeß- stimmen der PDS ist diese Vorschrift ebenfalls ange-
ordnung — Drucksachen 12/104 und 12/289. nommen.
1226 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Vizepräsident Hans Klein


Ich rufe Art. 5 — Änderung des Gesetzes über Ord- Der Ausschuß empfiehlt weiter unter V, den Antrag
nungswidrigkeiten — in der Ausschußfassung auf. der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/116
Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthal- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh-
tungen? — Bei Enthaltungen von PDS und Bünd- lung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Ableh-
nis 90/GRÜNE ist die Vorschrift angenommen. nung durch PDS/Linke Liste und Enthaltung von
Ich rufe Art. 6 in der Ausschußfassung auf. Wer Bündnis 90/GRÜNE ist die Beschlußempfehlung an-
stimmt für Art. 6? — Wer stimmt dagegen? — Wer ent- genommen.
hält sich? — Bei Enthaltungen von SPD und Bünd- Wir stimmen jetzt noch über die Entschließungsan-
nis 90/GRÜNE und Gegenstimmen der PDS ist Art. 6 träge der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE ab.
angenommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
Ich rufe Art. 7, Einleitung und Überschrift in der Drucksache 12/280? — Wer stimmt dagegen? — Wer
Ausschußfassung mit den vom Berichterstatter zu Pro- enthält sich? — Der Entschließungsantrag ist bei Zu-
tokoll gegebenen Berichtigungen auf. Wer stimmt da- stimmung von SPD, PDS/Linke Liste und Bündnis 90/
GRÜNE abgelehnt.
für? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthal-
tungen von SPD und Bündnis 90/GRÜNE und Gegen- Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf
stimmen der PDS sind die aufgerufenen Vorschriften Drucksache 12/281? — Wer stimmt dagegen? —
angenommen. Damit ist die zweite Beratung abge- (Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP
schlossen. stimmen gegen den Antrag. — Bachmaier
Wir treten in die [SPD]: Im Ausschuß habt ihr doch zuge-
stimmt! — Roth [SPD]: Jetzt habt ihr abge-
dritte Beratung lehnt, was der Möllemann versprochen hat!
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Aus lauter Eifer!)
Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu Wer enthält sich? — Der Entschließungsantrag ist bei
erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält Zustimmung von SPD, PDS/Linke Liste und Bünd-
sich? — nis 90/GRÜNE abgelehnt.
(V o r sitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth)
(Pfeffermann [CDU/CSU]: Insgesamt
10 Mann von der FDP! Möllemann für die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich rufe Punkt 11
Überschrift — und dann das!) sowie die Zusatzpunkte 4 bis 6 der Tagesordnung
Der Gesetzentwurf ist angenommen. auf:
Der Wirtschaftsausschuß empfiehlt unter II seiner 11. Beratung ohne Aussprache
Beschlußempfehlung, den inhaltsgleichen Gesetzent- Beratung der Beschlußempfehlung und des Be-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 12/209 für richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluß- zu dem Antrag des Bundesministers für Wirt-
empfehlung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die schaft
Beschlußempfehlung ist angenommen. Rechnungslegung über das Sondervermögen
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung des Bundes
über den von der Fraktion der SPD eingebrachten „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkoh
Entwurf eines Gesetzes zur Einschränkung von Rü- leneinsatzes" — Wirtschaftsjahr 1989 —
stungsexporten, Drucksachen 12/120 und 12/289. Der — Drucksachen 11/7759, 12/210 Nr. 90,
Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzuleh- 12/245 —
nen.
Berichterstatter:
Ich rufe die Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift Abgeordnete Kurt Rossmanith
auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Dr. Bertram Wieczorek (Duisburg)
(Dr. Vogel [SPD]: Mal lassen Sie über die ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung des Peti-
Ausschußempfehlung abstimmen, mal über tionsausschusses (2. Ausschuß)
das Gesetz!) Sammelübersicht 8 zu Petitionen
Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Bei Ent- — Drucksache 12/260 —
haltungen von PDS/Linke Liste und Bündnis 90/ ZP5 Beratung der Beschlußempfehlung des Peti-
GRÜNE ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung tionsausschusses (2. Ausschuß)
abgelehnt.
Sammelübersicht 9 zu Petitionen
Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Ge- — Drucksache 12/261 —
schäftsordnung die weitere Beratung.
ZP6 Beratung der Beschlußempfehlung des Peti-
Der Ausschuß empfiehlt unter IV, den Antrag der tionsausschusses (2. Ausschuß)
Fraktion der SPD auf Drucksache 12/119 abzulehnen. Sammelübersicht 10 zu Petitionen
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? —
— Drucksache 12/291 —
(Dr. Vogel [SPD]: Mal so, mal so!)
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wer der Be-
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen schlußempfehlung unter Tagesordnungspunkt 11 zu- -
von PDS/Linke Liste und Bündnis 90/GRÜNE ist die zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei-
Beschlußempfehlung angenommen. chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Be-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1227

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth


schlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenom- ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
men. sen.
Wir kommen jetzt zu den Zusatzpunkten und stim- Das Wort hat der Bundesminister Norbert Blüm.
men über die Beschlußempfehlungen des Petitions-
ausschusses auf den Drucksachen 12/260, 12/261 und
12/291 ab. Das sind die Sammelübersichten 8 bis 10. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und
Wer für diese Beschlußempfehlungen stimmt, den Sozialordnung: Frau Präsidentin! Meine Damen und
bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ent- Herren! Das ist das letzte Mal, daß wir uns hier mit
haltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind bei einem Rentenanpassungsgesetz beschäftigen; denn
zwei Enthaltungen angenommen. Rentenanpassungen werden in Zukunft — so war es
der Wille des Gesetzgebers im Rentenreformgesetz —
auf dem Verordnungswege erfolgen. Das zeigt die
ganze Normalität der Rentenanpassung. Sie folgt mit
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Automatik der Lohnentwicklung und ist deshalb be-
rechen- und kalkulierbar. Das ist ein wesentlicher
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Unterschied zum Rentensystem, das in der ehemali-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines gen DDR galt. Dort war die Rentenanhebung von poli-
Gesetzes über die Anpassung der Renten der tischer Opportunität und von der Kassenlage be-
gesetzlichen Rentenversicherung und der stimmt.
Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversi-
Renten in allen Teilen Deutschlands folgen nun den
cherung im Jahre 1991
Löhnen. Das beweist den Zusammenhang zwischen
— Drucksache 12/197 — jung und alt. Die Renten steigen so wie die Löhne. Das
ist auch der wichtigste Fortschritt für die Rentner in
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Aus-
den neuen Bundesländern.
schusses für Arbeit und Sozialordnung
(11. Ausschuß) Heute haben wir die Rentenanpassung-West zu be-
schließen. Zum 1. Juli 1991 sollen die Renten nach
— Drucksache 12/286 —
dem Gesetzentwurf um 4,8 % angehoben werden.
Berichterstatter: Diese Zahl ist nach neueren Berechnungen des Stati-
Abgeordnete Barbara Weiler stischen Bundesamtes auf 4,7 % zu korrigieren. Um
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- diesen Prozentsatz sind die Bruttolöhne und -gehälter
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung je abhängig Beschäftigten im Jahre 1990 gegenüber
dem Vorjahr gestiegen. Das ist der Maßstab für die
— Drucksache 12/287 — gesetzliche Rentenanpassung.
Berichterstatter: Doch ist, meine Damen und Herren, die Höhe der
Abgeordnete Karl Diller Rentenanpassung nicht nur vom Lohn abhängig, son-
Hans-Gerd Strube dern auch von den Abgaben, von den Beiträgen, die
Ina Albowitz auch Rentner zahlen müssen, also auch vom Beitrag
zur Krankenversicherung. Da die Beiträge in der
(Erste Beratung 13. Sitzung) Krankenversicherung dank des Gesundheits-Re-
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- formgesetzes sinken,
schusses für Arbeit und Sozialordnung (Zuruf von der SPD: Das ist schon wieder zu
(11. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Ende!)
Bundesregierung
ist die Rentenanpassung höher. Wir wollen einmal
Bericht der Bundesregierung festhalten, daß die Rentner mit dem heutigen Be-
über die gesetzlichen Rentenversicherungen, schluß an der Entwicklung sinkender Beiträge der
insbesondere über deren Finanzlage in den Krankenversicherung partizipieren.
künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei
und 579 der Reichsversicherungsordnung, der SPD)
§ 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes
Entgegen allen Voraussagen haben sie es heute
und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes
schwarz auf weiß. Und Sie von der Opposition be-
(Rentenanpassungsbericht 1990)
schließen das mit. Die positiven Folgen der Gesund-
Gutachten des Sozialbeirats heitsreform beschließen Sie heute — hoffentlich —
zur Anpassung der Renten der gesetzlichen mit.
Rentenversicherung und zu den Vorausbe- (Beifall bei der CDU/CSU)
rechnungen der Bundesregierung über die An den Früchten partizipieren die Rentner. Diese
Entwicklung der Finanzlage der gesetzlichen Früchte werden auch von der Opposition — da bin ich
Rentenversicherung sicher; sie kann gar nicht so hartherzig sein, daß sie
— Drucksachen 11/8504, 12/286 — dem nicht zustimmt — heute bestätigt. Sie werden
heute bestätigen, daß die Gesundheitsreform ein Er-
Berichterstatter: folg war.
Abgeordnete Barbara Weiler
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für Zuruf von der SPD: Nein, das beschließen wir
die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Dazu sehe eben nicht!)
1228 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung, Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Bundesminister Dr. Norbert Blüm


— Sie werden den Rentnern diese Anhebung doch Es wird erkennbar werden, daß das allen zugute
nicht vorenthalten wollen! kommt.
(Weiler [SPD]: Ist doch Unsinn! Warten Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
einmal ab, was wir machen! — Matthäus- Im übrigen wird die Rentenanpassung in den neuen
Maier [SPD]: Warum sind Sie so laut?) Ländern wesentlich höher sein. Niemand sollte sich
darüber beschweren; denn unsere Mitbürger in den
— Die Wahrheit muß man manchmal laut sagen — neuen Bundesländern müssen aufholen, sie liegen
gegen das ganze Geräusch der Widersprüche. weit zurück. Sie beziehen immer noch nur die Hälfte
(Zurufe von der SPD: Das ist doch nicht die der vergleichbaren Rente im Westen. So kann es nicht
Wahrheit! — Das ist doch nur ein Teil!) bleiben. Schritt für Schritt muß Rentengleichheit her-
gestellt werden. Deshalb bin ich für eine kraftvolle
Wenn wir uns darauf verständigen können, daß Sie Erhöhung der Renten in den neuen Ländern.
mir andächtig zuhören, dann werde ich hier einen lei- Ich schlage da 15 % vor; das ist ganz handfest.
sen Ton bevorzugen.
(Zuruf von der SPD: Und wer bezahlt?)
(Zuruf von der SPD: Was wir beschließen, — Wer das bezahlt? Eine Rentenpolitik, wie wir sie
werden wir doch besser wissen als Sie!) machen, ist nicht an der Kassenlage ausgerichtet, son-
Die Rentenanpassung wird also auf Grund des sinken- dern unsere Rentenpolitik orientiert sich verläßlich an
den Krankenversicherungsbeitrags höher ausfallen der Lohnpolitik.
und 5,03 % betragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Rentenanpassung führt zu einer spürbaren — Das ist auch wieder ein Unterschied zu Ihnen. Sie
über der Preisentwicklung liegenden — Anhebung bringen mich heute morgen — ich war so friedlich
für rund 15 Millionen Rentner aus der Rentenversi- gestimmt — immer auf Unterschiede. Sie haben ein-
cherung, 900 000 aus der gesetzlichen Unfallversiche- mal Rentenanhebungen nach Kassenlage gemacht;
rung und 600 000 Bezieher von Altersgeldern und wir machen sie nach der Lohnentwicklung. Die Rent-
Landabgaberenten aus der Altershilfe für Land- ner können sich darauf verlassen. Trotz sinkender
wirte. Beiträge zur Rentenversicherung sinken die Renten
nicht. Die Renten bleiben verläßlich! Das ist die gute
Es ist ganz wichtig — auch das ist anders als vor Nachricht dieser Rentenanpassung.
mehr als zehn Jahren — , daß die Rente höher steigt,
als die Preise gestiegen sind. Das war 1982 anders: Da (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
war die Inflation höher als die Rentenanhebung. Also
hatten die Rentner weniger. Denn bekanntlich kommt
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat die
es nicht allein darauf an, wieviel Geld du im Geldbeu-
Abgeordnete Frau Barbara Weiler das Wort.
tel hast, sondern darauf, was du damit kaufen kannst.
Die Rentner können sich dank dieser Rentenanhe-
bung wieder mehr kaufen als in früheren Zeiten.
Barbara Weiler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) leginnen und Kollegen!

Ich will auch erwähnen, daß die Rücklagen in der (Louven [CDU/CSU]: Jetzt wird sie die guten
Rentenversicherung dank der gemeinsamen, ver- Leistungen der Bundesregierung anerken-
nünftigen Rentenpolitik steigen. Ende des vergange- nen!)
nen Jahres hatten wir 34,8 Milliarden DM; das ent- Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf, wie
spricht 2,6 Monatsausgaben. Dieses Ergebnis liegt um schon angekündigt, zustimmen. Die Erhöhung um
9 Milliarden DM über dem Vorjahresstand. Wir hatten 4,7 % entspricht der bislang geltenden Rentenanpas-
in unserem Anpassungsbericht des vergangenen Jah- sungsformel und orientiert sich an der Steigerung der
res noch mit einer Steigerung von lediglich 7,5 Milli- Bruttolöhne im Jahr 1990. Es handelt sich also nicht
arden DM gerechnet. Sie sehen, die Wirklichkeit um eine Wohltat der Bundesregierung, sondern nur
überholt uns immer positiv. um ihre gesetzlich vorgeschriebene Pflicht.
(Zuruf von der FDP: So ist es!) (Beifall bei der SPD)
Sicher ist, daß wir hier im Bundestag eine solche
Das war früher auch anders; da waren die Prognosen Rentenanpassung zum letzten Mal vornehmen, weil
besser als die Realität. sie in Zukunft — entsprechend dem Reformgesetz
Nun, ich will hinzufügen, daß die gestiegene Rück- vom März 1989 — durch Verordnung der Bundesre-
lage in der Rentenkasse auch ein Ergebnis der deut- gierung mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen
schen Einheit ist. Denn daß die westdeutsche Renten- wird.
kasse so gefüllt ist, verdanken wir auch der Tatsache, Lassen Sie mich vorweg noch einige Zahlen nen-
daß viele Übersiedler zu uns gekommen sind und Bei- nen: Nachdem nun die endgültigen Zahlen des Stati-
träge gezahlt haben. Der Finanzverbund, den wir stischen Bundesamtes vorliegen, wonach die Brutto-
Ende des Jahres herstellen, wird deutlich machen, daß löhne und -gehälter 1990 gegenüber dem Vorjahr um
wir solidarisch das zurückgewähren, was uns durch 4,7 % gestiegen sind, gilt es, auch die Renten mit die-
die deutsche Einheit im Westen zugute gekommen sem Prozentsatz anzupassen. Das ist akzeptabel. Da-
ist. her werden wir dem Entwurf selbstverständlich zu-
(Zuruf von der SPD: Abenteuerlich!) stimmen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1229

Barbara Weiler
Aber, Herr Minister Blüm, diese Zustimmung zur klärt sich daraus, daß Frauen auch heute noch vielfach
heutigen Rentenanpassung beinhaltet selbstver- geringer entlohnt werden als ihre männlichen Ar-
ständlich keine Zustimmung zu der Begründung, die beitskollegen.
Sie gegeben haben und die auch im Gesetzentwurf zu (Louven [CDU/CSU]: Da sollten Sie einmal
lesen ist. Wir sind es ja gewöhnt, daß sich die Bundes- mit den Tarifpartnern Kontakt aufnehmen!)
regierung an allen Stellen selbst mit Lob überschüttet,
auch dort, wo die öffentliche Meinung, wo die Medien Frauen haben angesichts der Doppelbelastung durch
das ganz anders sehen. Familie und Beruf oft eben keine andere Wahl, als
eine Teilzeitarbeit anzunehmen und auf die Aus-
(Louven [CDU/CSU]: Das Lob hat die Regie übung gut bezahlter Berufe und damit auch auf eine
rung doch auch verdient!) Karriere zu verzichten. Hier muß noch eine Menge
Wir werden — ich komme jetzt zur Gesundheitsre- getan werden.
form, die Herr Blüm als sogenannte positive Errun- Die Kindererziehungszeiten sind ein Schritt in die
genschaft angeführt hat — dieser Legendenbildung richtige Richtung. Wir haben die Anerkennung unter-
vorbeugen. Wir stehen da auf seiten der Bürgerinnen stützt; wir haben sie immer gefordert.
und Bürger, die im letzten Jahr erkannt haben, daß (Louven [CDU/CSU]: Aber nie durchge-
diese Gesundheitsreform für sie persönlich eben nicht setzt!)
positiv war.
Aber sie reichen nicht aus.
(Beifall bei der SPD — Scharrenbroich [CDU/
Ich möchte darüber hinaus noch einmal an die For-
CSU]: Meinen Sie die Beitragszahler?)
derung der Sozialdemokraten erinnern, daß alle Müt-
— Dazu komme ich noch. ter Kindererziehungszeiten in der Rente angerechnet
Die Bürger kennen die negativen Effekte und wis- bekommen sollten, alle, d. h. durchgängig Erwerbstä-
sen auch, wer für die wenigen positiven Effekte zu tige, Deutsche im Ausland und auch die anderen, die
zahlen hat. Die im letzten Jahr in der Tat leicht rück- von der Anrechnung der Kindererziehungszeiten
läufigen Beitragssätze der Krankenkassen noch ausgesperrt sind.

(Louven [CDU/CSU]: Aha! — Weiterer Zuruf (Beifall bei der SPD)


des Abg. Scharrenbroich [CDU/CSU]) Noch einige kritische Anmerkungen zu den jüng-
sten Entscheidungen der Regierung: Sie wissen, wir
ergeben sich nämlich zum einen als Folge der kon-
haben dem Rentenreformgesetz trotz vieler Bauch-
junkturbedingten Einkommenssteigerungen. Zum
schmerzen zugestimmt, d. h. auch dem damit verbun-
anderen, Herr Scharrenbroich, sind sie eine Folge der
denen automatischen Regelmechanismus. Wir haben
massiven Leistungskürzungen.
auch deshalb zugestimmt, damit endlich wieder Ver-
(Reimann [SPD]: Der Selbstbeteiligung!) läßlichkeit in die Rentenpolitik kommt.
Im Klartext bedeutet das, daß die Rentner und Rent- (Louven [CDU/CSU]: Die haben wir schon
nerinnen die Senkung ihres Krankenversicherungs- seit 1983! — Scharrenbroich [CDU/CSU]: Die
beitrages durch die höhere Selbstbeteiligung an Arz- haben wir seit der Bundestagswahl 1982!)
neimitteln, Zahnersatz, medizinischen Hilfsmitteln, Darum bedauern wir, daß die Bundesregierung dabei
durch die Streichung von Fahrtkosten usw. im Grunde ist, gerade dieses Vertrauen wieder zu verspielen.
vorfinanziert haben.
(Zuruf von der SPD: Leider wahr!)
(Beifall bei der SPD — Louven [CDU/CSU]: Ich werde Ihnen einige Beispiele nennen.
Wir haben Mißbrauch abgebaut, Frau Kolle-
gin! — Gegenrufe von der SPD: Das war kein Das erste — ganz aktuell — ist die Manipulation
Mißbrauch! — Das Gegenteil ist der Fall!) des Beitragssatzes, die Verschiebung — —
Zurück zur Rente: Der Rentenanpassungsbericht (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Was ist denn Mani-
1990 hat wieder einmal gezeigt, daß Frauen auch in pulation? — Abg. Dr. Blüm [CDU/CSU] mel-
der Rente noch weiter benachteiligt sind. Während 30 det sich zu einer Zwischenfrage)
und mehr Versicherungsjahre für Männer in der ge- — Bitte, Herr Blüm.
setzlichen Rentenversicherung durchaus typisch sind
— das gilt nämlich für 77,2 0/0 der versicherten Män-
ner — , erreichen Frauen derartige Versicherungsbio- Dr. Norbe rt Blüm (CDU/CSU): Frau Kollegin, kön-
graphien eben viel seltener. Lediglich ein Drittel nen Sie bestätigen, daß die Senkung des Beitragssat-
— genau 33,1 To — der weiblichen versicherten Rent- zes in der Rentenversicherung im vergangenen Jahr
ner fallen in die Gruppe mit 30 und mehr Versiche- von Ihrer eigenen Fraktion vorgeschlagen wurde?
rungsjahren. (Schreiner [SPD]: Aber in einem völlig ande-
Aber auch die Höhe der durchschnittlichen Versi- ren Zusammenhang!)
cherungsrenten liegt bei Frauen beträchtlich unter
der von männlichen Rentnern.
Barbara Weiler (SPD): Zum einen ist das in einem
(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Erzählen Sie anderen Zusammenhang geschehen. Zum anderen
einmal etwas von der Anerkennung der Er haben Sie diese Beitragssenkung ja vorgenommen,
um eine Finanzierung zu erreichen, die ganz einseitig -ziehungszite!)
-
Dieses Ergebnis liegt sogar dann vor, wenn die glei ist. Alle Fachleute in der Anhörung haben gesagt: Wir
chen Versicherungsjahre anzurechnen sind. Das er müssen und wir wollen die Situation in den neuen
1230 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Barbara Weiler
Bundesländern verbessern, aber nicht durch die ein- zunehmen, damit dieses neue Gesetz den Belangen
seitige Belastung der Beitragszahler. der Rentnerinnen und Rentner gerecht wird.
(Beifall bei der SPD — Reimann [SPD]: Das (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Wir sind immer offen
ist der Punkt! — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Seit für gute Vorschläge!)
wann sind Beitragssenkungen eine Bela Wie schon erwähnt, liebe Kolleginnen und Kolle-
stung?) gen: Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.
— Nein, Sie wissen das ganz genau, es war eine Ver- Aber ich habe den Eindruck: Angesichts Ihrer völlig
schiebung durch die Anhebung der Beiträge zur Ar- absurden und unsozialen Lösungsmodelle für die ehe-
beitslosenversicherung. malige DDR wird diese Einstimmigkeit nächste Wo-
che ein Ende haben.
Sie haben sich eben hier hingestellt und Kritik an
(Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Li
der ehemaligen DDR geübt. Ich denke, bei Betrach-
ste)
tung der Gesetze der ehemaligen DDR zur Rente ist
diese Kritik nicht ganz unberechtigt.
Aber, Herr Blüm, das, was Sie jetzt mit Ihrem neuen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat die
sogenannten Überleitungsgesetz vorhaben, wird Abgeordnete Frau Petra Bläss das Wort.
ganz sicher für die Menschen, für die Frauen und
Männer in den fünf neuen Bundesländern,
Petra Bläss (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin!
(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Die Situation verbes Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf,
sern!) dem die PDS/Linke Liste zustimmen wird, betrifft nur
die Situation eben nicht verbessern. die Rentenanpassung in den westlichen Bundeslän-
dern an das Lohnniveau um 4,8 % zum 1. Juli 1991.
(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das Rentenniveau Wie es nach der Ankündigung der Rentenerhöhung
wird angeboten! Das ist doch eine Verbesse um 15 % in den östlichen Bundesländern mit der näch-
rung!) sten Rentenanpassung konkret weitergeht, bleibt also
— Lassen Sie mich einmal einige Punkte nennen. noch offen.

Die Kosten der Rentenangleichung zwischen den Ich möchte die Gelegenheit nutzen, seitens der
neuen und den alten Bundesländern, Herr Blüm, sol- PDS/Linke Liste zum wiederholten Male eine gene-
len zum größten Teil von den Beitragszahlen statt aus relle Kritik am bundesdeutschen Rentenrecht anzu-
Steuermitteln getragen werden. So sieht es jedenfalls bringen. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern der ehe-
der uns jetzt bekannte Entwurf vor. Konsequenz wird maligen DDR übt dieses Rentenrecht zunächst eine
sein, daß der Beitragssatz zur Rentenversicherung gewisse Faszination aus, die ich durchaus verstehe,
wahrscheinlich 1993 wieder steigen wird. weil sie meist aus der Kenntnis der Standardrenten
herrührt. Doch interessant ist nicht der relative An-
(Reimann [SPD]: Natürlich!) stieg der Renten, sondern interessant sind die absolu-
Ein weiterer Punkt ist, daß auch die Entwicklung bei ten Zahlen. Interessant ist nicht die durchschnittliche
der Knappschaftsversicherung noch nicht so sicher Rente, sondern die Streubreite.
ist. Sie haben sich zwar hingestellt und dies behaup- Die Schwachstellen des hiesigen Rentenrechts wer-
tet, aber Sie wissen, daß in diesen Fragen noch einiges den vielen Bürgerinnen und Bürgern erst tröpfchen-
gefordert wird. weise bewußt. Erste Stellungnahmen zur anstehen-
den Rentenüberführung lassen auch nichts Gutes ah-
Wir haben den Eindruck, daß in diesem Fall, beim
nen. Es wird wieder die Frauen, die Rentnerinnen,
Rentenüberleitungsgesetz, wieder die Frauen die treffen. Das ist übliche Praxis in der Bundesrepublik,
Leidtragenden sein werden; denn ihre Rentenanwart-
denn zwei Drittel der Frauen, die Renten aus der Ar-
schaften werden gekürzt, die der Männer voraussicht- beiterrentenversicherung erhalten, bekommen eine
lich erhöht. Rente, die unter 500 DM liegt, und über die Hälfte
(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Die Hinterbliebenen- derer, die Renten aus der Angestelltenversicherung
renten steigen um 4 Milliarden DM!) erhalten, bekommen eine Rente, die unter 800 DM
liegt. An diesem Grundübel ändert auch die heute zu
Der letzte Punkt: Mit Rücksicht auf die ewiggestri-
diskutierende 4,8 %-Erhöhung nichts; denn sie ver-
gen Vertriebenenverbände werden im Verhältnis größert nur die Schere. Die Rentnerin mit 500 DM
zwischen Deutschen aus den neuen Bundesländern erhält 24 DM mehr, während der Rentner mit einer
und Aussiedlern grobe soziale Ungerechtigkeiten ge- Rente in Höhe von 2 100 DM über 100 DM mehr
schaffen. Soweit uns bekannt ist — ich will Ihnen ein bekommt. Während die einen im Alter also über kein
Beispiel nennen — , ist vorgesehen: Wer von Cottbus eigenes existenzsicherndes Einkommen verfügen und
nach Köln übersiedelt, der bekommt eine Rente auf auf die entwürdigenden Prozeduren der Sozialhilfe-
ostdeutschem Niveau. Wer aber von Kasachstan nach antragstellung angewiesen sind,
Köln kommt, soll dagegen eine Fremdrente auf west-
deutschem Niveau erhalten. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Also, so ein
Quatsch!)
Die Liste der geplanten Ungerechtigkeiten ließe
sich beliebig fortsetzen. Wir fordern die Regierung können andere einen gediegenen Lebensstandard
auf, bereits jetzt das vorgesehene Überleitungsgesetz halten. -
angesichts der angeführten Mängel noch einmal zu (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist nicht nur
überarbeiten und auch unsere Vorschläge offen auf Quatsch, das ist Quatsch hoch drei!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1231

Petra Bläss
Solche Unterschiede werden von dem Gerede über ger nicht von der wirtschaftlichen Entwicklung abge-
durchschnittliche Rentenerhöhungen und prozen- koppelt werden, sondern — anders als in der früheren
tuale Erhöhungen vertuscht. DDR — daran teilhaben;
Das Fehlen einer Mindestrentenregelung — die es (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
in der DDR übrigens auch für Menschen mit Behin- denn ein tragendes Prinzip des gesamtdeutschen Ren-
derungen gab — , die Berechnungsweise der Renten
tenrechts ist die Dynamisierung der Renten.
für Frauen — das sind alles Ursachen dafür, daß viele
Rentnerinnen in die Sozialhilfe getrieben werden und Vor dem Hintergrund des rasanten und notwendi-
unter Altersarmut leiden. gen Anpassungsprozesses der Löhne und Gehälter
halte ich es auch für richtig, in den neuen Bundeslän-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Ihr habt die Leute
dern die Renten nicht nur einmal im Jahr, sondern
ausgebeutet und spuckt hier große Töne!)
mehrfach anzupassen.
Auch und besonders im Alter gilt: Armut ist weib-
lich. (Dr. Blüm [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
In Kenntnis und im Vergleich beider Rentensysteme Ich bin zuversichtlich, daß die Rentenanpassung in
fordern wir erneut die Erarbeitung eines neuen Ren- den neuen Bundesländern zum 1. Juli 1991 mit 10
tengesetzes, das ein menschenwürdiges und selbstbe- oder 15 % wieder kräftig ausfallen wird.
stimmtes Leben für alle Rentnerinnen und Rentner (Dr. Blüm [CDU/CSU]: 15 %!)
gewährleistet. Das bisherige System geht an der ur-
sprünglichen Idee einer Existenzsicherung im Alter Denn nur so können wir die vorgegebene Zielgröße —
für alle vorbei und bedarf einer grundsätzlichen Re- ein vergleichbares Nettorentenniveau im gesamten
form. Kurzfristig erwarten wir, daß die konkreten Bundesgebiet — erreichen.
Festlegungen zu der am 1. Juli 1991 notwendigen hö- Ich halte es auch für richtig, daß wir möglichst rasch
heren Anpassung für Renten in den neuen Bundeslän- zu einer einheitlichen Rentenversicherung für Ge-
dern rasch vorgelegt werden. samtdeutschland sowohl in finanzieller als auch in
Diese Regelung darf nicht mehr lange auf sich war- rechtlicher Hinsicht kommen. Dabei sollte man, dabei
ten lassen, nicht zuletzt deshalb, damit der verwal- muß man, so meine ich, die im Einigungsvertrag ge-
tungstechnische Wirrwarr nicht noch verstärkt wird. troffenen Regelungen weitgehend berücksichtigen,
denn dies entspricht den Erwartungen der Menschen
Ich danke Ihnen.
in den neuen Bundesländern.
(Beifall bei der PDS/Linke Liste)
Bedenken sollte man auch die Mahnung des Sozial-
beirats, dem „Sozialzuschlag" keinen Dauercharak-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat die ter zu gewähren und sich bewußt zu sein, daß nicht
Abgeordnete Frau Dr. Eva Pohl. alle sozialpolitischen Problemlagen — auch solche,
die für Altersrentner auftreten — durch Maßnahmen
der oder in der Rentenversicherung bewältigt werden
Dr. Eva Pohl (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue
mich, heute hier aus drei Gründen reden zu können: Bei dem nach dem Einigungsvertrag bald zu bera-
zum ersten, weil es meine erste Rede in diesem Hohen tenden Rentenüberleitungsgesetz wird es darauf an-
Hause ist; kommen, die im Rahmen der Rentenreform getroffe-
(Beifall) nen Entscheidungen möglichst rasch auf das gesamte
Bundesgebiet auszudehnen. Dies wird von der Bevöl-
zum zweiten betrachte ich es als ein kleines Zeichen
kerung auch erwartet.
der Normalität, des Zusammenwachsens, daß ich als
Abgeordnete aus dem neuen Bundesland Thüringen Lassen Sie mich dies an zwei Beispielen verdeutli-
zu der letzten Rentenerhöhung per Gesetz im bisheri- chen. Es ist meines Erachtens sicherlich sinnvoll und
gen Bundesgebiet sprechen kann. Zum dritten: Zum notwendig, daß die im bisherigen Bundesgebiet be-
1. Juli dieses Jahres werden die Renten im bisherigen stehenden vorgezogenen Altersgrenzen rasch auch
Bundesgebiet exakt um 5,04 % erhöht. für die Bürger in den neuen Bundesländern gelten.
Damit profitieren die Rentner hier von der positiven (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
wirtschaftlichen Entwicklung und der deutschen Ein- Gleiches gilt, meine ich, für die Hinterbliebenenren-
heit, für die die Koalition die entscheidenden Weichen ten,
gestellt hat.
(Dr. Blüm [CDU/CSU]: Das ist ganz wich
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
tig!)
Positiv zugunsten der Rentner schlägt sich auch der
Rückgang der Ausgaben in der gesetzlichen Kranken- von denen auf Grund der scharfen Kumulationsrege-
lung in der früheren DDR nur sehr wenig übrig blieb.
versicherung nieder.
Eine solche Änderung wird über 1 Million Frauen in
Diese Anpassung zum 1. Juli 1991 kostet Mehrauf- den neuen Bundesländern zugute kommen.
wendungen von über 9 Milliarden DM — ein erhebli-
cher Betrag, was niemand vergessen sollte. Darüber hinaus gibt es sicherlich eine Vielzahl von
Punkten, die der Diskussion bedürfen.
(Reimann [SPD]: Das zahlen die Versicher
ten!) (Andres [SPD]: Das stimmt!) -
Die Anpassung der Renten an die Steigerung der Ent Bei der erforderlichen Anpassung, den notwendi-
gelte der Aktiven macht deutlich, daß ältere Mitbür gen Übergangsregelungen müssen wir jedoch auch
1232 Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe ri ode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Dr. Eva Pohl


darauf achten, daß das gemeinsame Rentensystem, geht es diesmal an die Substanz? Wird also der in der
dessen Ausgaben sich 1991 voraussichtlich auf ehemaligen DDR gewährte Sozialzuschlag, der der-
260 Milliarden DM belaufen werden, auch auf Dauer zeit eine Mindestrente von ca. 544 DM gewährleistet,
finanzierbar bleibt. in voller Höhe beibehalten oder nicht? Sollte dies nicht
Bei der vor uns liegenden großen Aufgabe der An- der Fall sein, so würde auch in diesem Bereich die von
gleichung und Integration gilt es — so der Sozialbei- der Bundesregierung schon so oft praktizierte Umver-
rat — , ein Alterssicherungssystem zu bewahren, das teilung von unten nach oben, statt umgekehrt, wirk-
auf klaren konzeptionellen Grundlagen basiert und sam werden. Es wird dann ein Geheimnis dieser Bun-
außerdem den Versicherten und Rentnern deutliche desregierung bleiben, wie das mit sozialstaatlichen
Perspektiven und ein Gefühl der Sicherheit vermit- Grundprinzipien in Einklang zu bringen ist.
telt. Nun zur Frage der Berechnungsgrundlagen für
Die Alterssicherungspolitik in der gegebenen Situa- Renten. Die heutige Anpassungsdebatte kann nicht
tion muß darauf abzielen, Regelungen zu finden, die losgelöst von dem noch in diesem Jahr zu beschlie-
von der Bevölkerung im ganzen Bundesgebiet akzep- ßenden Rentenüberleitungsgesetz gesehen werden,
tiert werden und bei denen nicht das Gefühl aufkom- daß die Geltung des westdeutschen Rentenrechts im
men darf, die einen seien privilegiert oder die anderen Gebiet der ehemaligen DDR ab 1. Januar 1992 in
seien zu kurz gekommen. Form von Übergangsregelungen festschreiben wird.
So wie die Wirtschaftspolitik mit den Schwierigkei- Damit steht für die Rentnerinnen und Rentner in der
ten des Übergangs von der Kommando- zur Markt- ehemaligen DDR eine Neubewertung von Leben und
wirtschaft ringt, so haben wir eine schwierige Phase Arbeit an. Rückblickend werden Lebensverläufe neu
der Systemtransformation ohne Vorbild vor uns und bewertet und gelebte Leitbilder in Frage gestellt wer-
setzen darauf, daß eine solche Umstellungsphase so- den. Mit dieser im Grunde genommen einmaligen
zial verträglich bewältigt werden kann. Daran ge- Situation sind gravierende Unsicherheiten verbun-
meinsam mitzuwirken, lade ich alle ein. den, deren Auswirkungen im einzelnen überhaupt
noch nicht überschaubar sind.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
Abg. Dr. Menzel [FDP] überreicht der Abg. Mit absoluter Sicherheit ist allerdings schon abseh-
Dr. Pohl einen Blumenstrauß) bar, daß Frauen — wen wundert es inzwischen ei-
gentlich noch? — dabei die Verliererinnen sein wer-
den. Das Rentenrecht der DDR basierte auf dem Nor-
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Auch meinen
malfall der durchgängig ökonomisch eigenständigen
Glückwunsch zur Jungfernrede.
Existenz von Frauen auf der Grundlage ihrer Erwerbs-
Als nächste hat die Abgeordnete Frau Christina tätigkeit, honorierte aber auch die Kinderbetreuung.
Schenk das Wort.
Die negativen Folgen der Überstülpung des west-
deutschen Rentenrechts für Frauen sind kurzgefaßt
Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Frau Präsi- folgende:
dentin! Meine Damen und Herren! Zur Debatte steht
heute die Rentenanpassung. In Westdeutschland ist Zukünftig werden die Kindererziehungszeiten
die Ankopplung der materiellen Lebensverhältnisse nach westdeutschem Muster berücksichtigt. Das be-
im Alter an die Entwicklung der Einkommenssituation deutet, daß Frauen, die in dieser Zeit berufstätig blei-
der Erwerbstätigengeneration zwar durchaus nicht ben, weitgehend leer ausgehen. Im DDR-Rentenrecht
immer unstrittig und problemlos verlaufen; dennoch hingegen wurde Kinderbetreuung über die volle Ren-
handelt es sich im Grunde genommen um eine Routi- tenwirksamkeit des Babyjahres hinaus durch eine
neangelegenheit. Verkürzung der Anwartschaftszeiten um ein Jahr pro
Kind anerkannt. Wenigstens wurde ein Mindestren-
Ich meine aber, in diesem Jahr erhält die Anpas-
tenbezug garantiert, der im übrigen existenzsichernd
sungsdebatte eine neue Dimension, und zwar ange-
war, auch wenn das hier zum Teil bestritten wird.
sichts des Auseinanderklaffens der Lebensverhält-
nisse in Ost und West. Frauen in der DDR konnten bereits mit 60 Jahren in
Die Herausforderungen bestehen zum einen darin, Rente gehen. Nach westdeutschem Rentenrecht ist
die Höhe der Renten in der ehemaligen DDR an die das nur möglich, wenn Rentenabschläge in Kauf ge-
rapide und in enormem Ausmaß gestiegenen Lebens- nommen werden. In der DDR erhielten Frauen bei
haltungskosten anzupassen, und sie bestehen zum langjähriger Berufstätigkeit Zurechnungszeiten bis
anderen darin, daß die Berechnungsgrundlage einen zu fünf Jahren angerechnet. Im westdeutschen Ren-
Bezug zur DDR-Normalbiographie haben muß. In die- tenrecht entfallen diese Zurechnungszeiten.
sem Punkt ist für Frauen Schlimmes zu erwarten. Ich komme zum Schluß. Besonders schmerzlich
Zunächst zur Frage der Höhe der Renten. Die ge- wird Frauen das Wegbröckeln der Mindestrente tref-
plante Höhe des Rentenzuwachses im westlichen Teil fen. Insgesamt ein Drittel der Rentnerinnen und Rent-
der BRD ist dem vorliegenden Gesetzentwurf zu ent- ner in der ehemaligen DDR bezieht derzeit eine Min-
nehmen. Bezüglich der zu erwartenden Anpassung destrente, die zu einem guten Teil aus einem Sozial-
der Renten in der ehemaligen DDR hingegen sind wir zuschlag besteht. 95 % dieser Menschen sind Frauen.
zur Zeit noch auf Presseverlautbarungen angewie- Anstatt weiter Gedanken daran zu verschwenden,
sen. Da scheint die entscheidende Frage noch offen zu wie die Unterhaltsverpflichtung des Ehemanns noch
sein: Werden auch die niedrigeren Renten von der in weiter ausgestaltet werden sollte, z. B. in Gestalt der
Aussicht gestellten und von Herrn Blüm hier noch ein- Witwen- und Witwerrenten, sollte darüber nachge-
mal betonten 15%igen Anhebung profitieren, oder dacht werden, wie mit einem Rechtsanspruch auf exi-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1233

Christina Schenk
stenzsichernde Mindestrente die Altersarmut besei- — Nein, nein, Kollege Reimann. Sie übersehen die
tigt und ein Leben in Würde auch im Alter garantiert Härteklausel, Sie übersehen viele andere Dinge. Sie
werden kann. übersehen, daß eine Überforderung überhaupt nicht
möglich ist. Ich meine, das sollte man berücksichti-
Das vorgesehene Überleitungsgesetz, meine ich,
sollte die DDR-Realität berücksichtigen und sie nicht, gen.
wie leider zu erwarten ist, ignorieren. (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Kurz gesagt,
sie sind blind!)
Danke.
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei
der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter
der SPD — Dr. Geißler [CDU/CSU]: Warten Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
Sie mal unsere Vorschläge ab!) ordneten Büttner?

Alfons Müller (Wesseling) (CDU/CSU): Bitte.


Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als letzter Redner in
dieser Runde hat der Abgeordnete Alfons Müller das
Wort. Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Kollege Mül-
ler, stimmen Sie mir zu, daß die Feststellung der Sach-
verständigen, die sagen, daß ältere Menschen, Rent-
ner, mehr Gesundheitsleistungen und häufiger in An-
Alfons Müller (Wesseling) (CDU/CSU): Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! spruch nehmen müssen als die übrigen Beitragszah-
Kernstück christlich-sozialer und christdemokrati- ler, zutrifft?
scher Sozialpolitik ist von jeher die Rentenpolitik. Auf (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Dazu brauche ich
der Grundlage lohnbezogener Beitragsleistungen und keine Sachverständigen!
— zusätzlich seit 1986 — durch die Anerkennung von
Kindererziehungszeiten soll den Menschen nach ei-
Alfons Müller (Wesseling) (CDU/CSU): Da stimme
nem arbeitsreichen Leben auch eine ausreichende
ich Ihnen zu. Das hat allerdings mit meiner Feststel-
Rente gewährleistet werden, eine Rente, die im Alter
lung überhaupt nichts zu tun.
ein Leben in Würde ermöglicht. Mit dem heute zu
verabschiedenden Gesetzentwurf kommen wir dieser
Zielsetzung ein gutes Stück näher. Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Wenn Sie dem zu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stimmen, würden Sie dann auch konzedieren, daß
diejenigen, die mehr Gesundheitsleistungen in An-
Mit dem 1. Juli 1991 werden fast 15 Millionen Ren-
spruch nehmen müssen, mehr Selbstbeteiligung lei-
ten aus der Rentenversicherung, 900 000 Renten aus
sten müssen und daß das auch unter den Rentnern ein
der gesetzlichen Unfallversicherung und 600 000 Al-
erheblicher Teil ist?
tersgelder für Landwirte um 4,7 % erhöht. Verehrte
Frau Weiler — wenn ich Sie einmal stören darf —,
wenn Sie soeben sagten, dies sei ja Pflicht der Bun- Alfons Müller (Wesseling) (CDU/CSU): Nein, dem
desregierung, dann muß ich fragen: Wie war das denn stimme ich nicht zu; denn die Erfahrungen sind sehr
in den 70er Jahren? Da haben Sie diese Pflicht aber differenziert.
ein paarmal auf Kosten der Rentner sehr sträflich ver- (Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Die Erfahrungen
nachlässigt, denn Sie haben einige Male die Renten ja haben sich genau bestätigt, auch in den Zah
überhaupt nicht erhöht. len!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren.
ordneten der FDP) Das Nettorentenniveau steigt 1991 gegenüber 1990
Ich möchte sagen: Dank der Erfolge des Gesund- um 1 % und liegt, wenn ein Rentner 45 Versiche-
heits-Reformgesetzes sinkt der allgemeine Beitrags- rungsjahre erreicht hat, jetzt bei 70 %.
satz zur Krankenversicherung der Rentner ab 1. Juli Die Steigerung von 5,04 % bedeutet für die Rentner
1991 von 12,8 % auf 12,2 %. Der Beitragsanteil der eine echte Erhöhung der Kaufkraft, da sie über dem
Rentner beträgt dann 6,1 %, so daß der effektive An- prognostizierten Preisanstieg von 3,5 % liegt. Auch da
stieg des Rentenzahlbetrages 5,04 % beträgt. Auch unterscheiden wir uns von der SPD. Zu Ihrer Zeit
hierzu, Frau Weiler, möchte ich folgendes sagen: Sie waren die Rentenerhöhungen noch nicht einmal so
scheinen die Philosophie des Gesundheits-Reformge- bemessen, daß sie die Inflation ausgleichen konn-
setzes überhaupt nicht verstanden zu haben, denn das ten.
ist doch die entscheidende Frage: Sollen alle immer
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Jämmerlich! Jäm
mehr bezahlen, sollen alle immer höhere Beiträge
merlich war das!)
zahlen, oder sollten wir das nicht reduzieren mit der
Folge, daß der einzelne dann, wenn es darauf an- Bei uns gibt es eine echte Kaufkraftsteigerung.
kommt, eine zumutbare Eigenleistung erbringt? Das Meine Damen und Herren, diese Tatsachen machen
ist doch so geregelt worden. deutlich, daß die Renten bei uns in guten Händen
(Weiler [SPD]: Und die chronisch Kranken sind.
zahlen ständig! — Wir haben das System ver (Lachen bei der SPD)
-
standen, nur finden wir es unsozial! — Rei Ich danke dem Bundesarbeitsminister für seine um
mann [SPD]: Ihr kassiert ab!) fassende Konsolidierungspolitik, die unsere Renten-
1234 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Alfons Müller (Wesseling)


versicherung wieder auf eine solide Basis gestellt unter dem untergegangenen SED-System erheblich
hat. haben leiden müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ordneten der FDP) Ich darf sagen, daß meine Fraktion dazu in Kürze ent-
Dank der guten und anhaltenden Konjunktur mit sprechende Vorschläge unterbreiten wird, die ein sol-
einer hervorragend guten Wirtschafts- und Beschäfti- ches Unrecht dann, so hoffe ich, aus der Welt schaf-
gungsentwicklung ist die Rücklage auf fast 35 Milliar- fen.
den DM angestiegen. (Zustimmung des Abg. Dr. Geißler [CDU/
(Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!) CSU])
Ich denke, wir haben die Pflicht und die Schuldig-
Diese hohen Reserven lassen es zu, den Beitragssatz
keit, gerade den Menschen in besonderer Weise zu
ab 1. April 1991 um einen Prozentpunkt zu senken.
helfen — sie sind eben vom Minister genannt worden:
Diese 33. Rentenanpassung per Gesetz geschieht besonders die Kleinrentner, die Hinterbliebenen, die
heute zum letzten Mal. Auf Grund des Rentenreform- Witwen— , die aus dem Erwerbsleben bereits ausge-
gesetzes wird die jährlich vorzunehmende Anpassung schieden sind. Gerade ihnen, meine ich, müssen wir
an die Einkommensentwicklung ab 1992 durch Ver- eine Perspektive im wiedervereinten Deutschland
ordnung des zuständigen Ministers bei Zustimmung bieten.
durch den Bundesrat erfolgen. Dieses Verfahren gilt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
bereits jetzt für die Renten in den neuen Bundeslän-
dern. Auch dort folgen die Renten den Lohnsteigerun- Wir werden alles tun, damit wir im vereinten
gen. Deutschland die Rentenpolitik weiter zum Kernstück
der Sozialpolitik machen. Sie können sich da auf uns
Zum 1. Januar 1991 ist bereits eine Erhöhung um verlassen.
15 % erfolgt. Da die Löhne in den neuen Ländern seit-
Vielen Dank, daß wir alle zustimmen.
her weiter gestiegen sind — ich füge hinzu: Gott sei
Dank —, ist eine weitere Erhöhung zum 1. Juli 1991 (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
notwendig. Ich denke, das sollten wiederum 15 % der Abg. Hämmerle [SPD])
sein.
Meine Damen und Herren, durch das Rentenanglei- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und
chungsgesetz sollen die Renten im beigetretenen Teil Herren, ich schließe die Aussprache.
Deutschlands für den Durchschnittsverdiener unter
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstim-
Einbeziehung der Renten der freiwilligen Zusatzren-
mung über den Entwurf eines Gesetzes über die An-
tenversicherung bei 45 Arbeitsjahren ebenfalls 70
passung der Renten der gesetzlichen Rentenversiche-
des dortigen Nettoeinkommens betragen. Derzeit lie-
rung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfall-
gen die Renten bei 46% des westlichen Rentenni-
versicherung, Drucksachen 12/197 und 12/286. Der
veaus. Ich freue mich, feststellen zu können, daß es
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt
gelungen ist, in kurzer Zeit 2,8 Millionen Renten in
nach Kenntnisnahme des Berichts der Bundesregie-
den neuen Ländern umzustellen. Das war ein gewal-
rung über die gesetzlichen Rentenversicherungen,
tiger Kraftakt, der Lob und Anerkennung verdient.
den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung anzuneh-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und men.
der FDP) Ich rufe die Art. 1 bis 9, Einleitung und Überschrift
Ich sage das an die Adresse des Bundesarbeitsmini- in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen
steriums ebenso wie an die Adresse der BfA und der Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
übrigen Rentenversicherungsträger. das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Die aufgerufenen Vorschriften sind bei zwei Ent-
Eine gewaltige und schwierige Aufgabe steht uns haltungen beim Bündnis 90/GRÜNE angenommen.
jedoch noch bevor; denn es gilt, die geplante Überfüh- Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
rung von Rentenansprüchen und Anwartschaften aus
den 63 Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen Wir treten in die
DDR in die bundesdeutsche Rentenversicherung vor- dritte Beratung
zunehmen. Dabei kann und darf es nicht sein, daß die ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
vom sozialistischen Unrechtssystem für besonders pri- Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich,
vilegierte Personen der wissenschaftlichen, künstleri- sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthal-
schen, pädagogischen und medizinischen Intelligenz tungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
sowie für hauptamtliche Mitarbeiter des untergegan- nommen.
genen SED-Staates, der Parteien und gesellschaftli-
chen Organisationen gewährten Sonderrenten alle (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der
ungekürzt von uns weitergezahlt werden. SPD)

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —


Scharrenbroich [CDU/CSU]: Auf keinen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Fall! — Weiler [SPD]: Bei uns gibt es doch Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
auch Privilegien!) regierung -
Das verbietet doch die Gleichbehandlung der Men Bericht über die in den Jahren 1986 bis 1988
schen dort, die viele Jahre hart gearbeitet haben und gemachten Erfahrungen mit dem Gesetz über
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1235

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth


die Gewährung von Erziehungsgeld und Er- hätte mir gewünscht, die Familienpolitiker hätten
ziehungsurlaub schon damals, vor 1983, Erziehungsgeld und Erzie-
- Drucksache 11/8517 - hungsurlaub eingeführt. Heiner Geißler war der Vor-
gänger in meinem Amt als Familienminister, der es
Überweisungsvorschlag:
umgehend durchgesetzt hat. Dafür, Heiner Geißler,
Ausschuß für Familie und Senioren (federführend)
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
herzlichen Dank.
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Frauen und Jugend
(Beifall bei der CDU/CSU — Scharrenbroich
[CDU/CSU]: Mutterschaftsurlaub!)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Beratung anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Ich meine, daß die Ergebnisse aus dem Familienbe-
dazu Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. richt für sich sprechen. 95 bis 97 % aller Eltern haben
Dann eröffne ich die Aussprache. Als erste hat die in den ersten Jahren Erziehungsgeld in Anspruch ge-
Frau Bundesministerin Rönsch das Wort. nommen. Bis heute sind es rund 3 Millionen Eltern.
Diese kaum zu steigernde Akzeptanz hat sich seitdem
weiter verbessert.
Hannelore Rönsch, Bundesminister für Familie und Eines Besseren mußten wir auch Sie, Frau Dr. Götte
Senioren: Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- von der Opposition, belehren; denn 1985 haben Sie
ren! Ehe und Familie sind heute so populär wie seit nicht einmal diesem Gesetz zugestimmt.
dem Beginn der 70er Jahre nicht mehr. Nach fast
20 Jahren hat 1990 in der alten Bundesrepublik die (Dr. Geißler [CDU/CSU]: So ist es!)
Zahl der Geburten eine Rekordzahl erreicht. Am ver- Wir hätten uns gewünscht, daß die Sozialdemokraten
gangenen Dienstag meldete das Statistische Bundes- seinerzeit mit zugestimmt hätten. Die damals von ih-
amt, daß die Zahl der geborenen Kinder gegenüber rer Seite aus geäußerten Befürchtungen, nicht alle
dem Vorjahr um 6,8 % auf jetzt 724 000 Kinder gestie- Eltern könnten das Erziehungsgeld bekommen, die
gen ist. Ich meine, das ist ein entscheidender Hinweis; Alleinerziehenden würden benachteiligt und viele
denn seit 1986 haben wir Erziehungsgeld und Erzie- müßten auf den Erziehungsurlaub verzichten, haben
hungsurlaub. Jungen Menschen wird jetzt die Chance wir Ihnen eindeutig widerlegen können. Der Bericht
geboten, das zu sein, was sie sein wollen, nämlich weist es aus.
Eltern, Familien mit Kindern.
Wir hatten frühzeitig Vorkehrungen getroffen, da-
Das Erziehungsgeld hilft, die wirtschaftliche Lage mit alleinerziehende Elternteile die gleiche Chance
zu sichern und den Erziehungsurlaub mit Beschäfti- haben wie Verheiratete. Nachher stellte sich sogar
gungsgaranti e wahrzunehmen. Das verschafft einen heraus, daß die Alleinerziehenden das Angebot noch
zeitlichen Spielraum, um den Kindern in den ersten wesentlich stärker wahrgenommen haben als verhei-
Jahren die notwendige Nestwärme zu geben. ratete Paare.
Die Zahlen des Bundesamtes und auch der jetzige
Bericht der Bundesregierung belegen: Erziehungs- Wir wissen zudem: Das Erziehungsgeld greift über
geld und Erziehungsurlaub sind gemeinsam mit der die volle Dauer, inzwischen über 18 Monate; denn
Anerkennung der Kindererziehungszeiten im Renten- über 80 % der Berechtigten erhalten das volle Erzie-
recht familienpolitische Meilensteine, mit denen wir hungsgeld im gesamten Bezugszeitraum; lediglich
den Wandel in der Familienpolitik herbeiführen konn- 11 % beziehen später ein gemindertes Erziehungs-
ten. geld.
Es galt, aus der Talsohle der minderen Beachtung Auch beim Kündigungsschutz haben sich die Be-
der Familie durch die Politik während der 70er Jahren fürchtungen, die von den Sozialdemokraten seinerzeit
herauszukommen und hinzukommen zu der Aner- geäußert wurden, an keiner Stelle bewahrheitet. Nur
kennung der Leistungen, die die Familien für die Ge- 0,1 % der Eltern waren 1988 im Erziehungsurlaub von
sellschaft erbringen. einer Kündigung bedroht. Zumeist handelte es sich
dann dabei nicht um echte Kündigungen, sondern um
(Dr. Götte [SPD]: Es galt, herauszukommen Betriebsstillegungen. Ich ziehe daraus den Schluß,
aus Ihrem Tief!) daß kein Anlaß zur Sorge besteht und daß der Kündi-
— Frau Kollegin Götte, die 70er Jahre wurden nicht gungsschutz gerade für die Paare, die den Erzie-
von unserer Bundesregierung geführt, sondern von hungsurlaub in Anspruch nehmen, absolut wirksam
einer sozial-liberalen Koalition. Sie hätten seinerzeit ist.
die Chance gehabt, Erziehungsgeld und Erziehungs- (Dr. Geißler [CDU/CSU]: So ist es!)
urlaub einzuführen.
Seit 1986 haben wir das Erziehungsgeld kontinuier-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge lich verbessert. Ich will noch einmal an die wichtigsten
ordneten der FDP) Punkte erinnern, weil offensichtlich doch sehr viel
An dieser Stelle will ich sagen, wer der Mentor die- sehr schnell in Vergessenheit gerät. Die Bezugsdauer
ses Bundeserziehungsgeldes gewesen ist: Ich sehe des Erziehungsgeldes konnten wir in drei Stufen von
hier Heiner Geißler sitzen, bei dem ich mich auf das zunächst 10 auf dann 18 Monate verlängern. Ab 1993
herzlichste dafür bedanken darf, daß er umgehend werden dann 24 Monate aus der Bundeskasse ge-
das wahrgemacht hat, was die Sozialdemokraten zwar zahlt. Auch da muß ich mich wieder an die Opposition
immer versprochen haben; sie konnten sich aber fi- wenden: Ich würde mich außerordentlich freuen, -
nanztechnisch nicht durchsetzen. Es mag sein, daß die wenn die sozialdemokratischen Länder den Ländern
Familienpolitiker diesen großen Wunsch hatten. Ich Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Rheinland-
1236 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Bundesminister Hannelore Rönsch


Pfalz nachzögen und ein Landeserziehungsgeld zahl- Das Bundeserziehungsgeldgesetz bildet heute ne-
ten. ben dem Kindergeld das Rückgrat im Familienlasten-
ausgleich. Das ist eine Leistung, auf die wir ausge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sprochen stolz sind und die noch ergänzt werden
Auch da ist die Opposition wieder gefragt. kann; aber dafür haben wir auch noch in den kom-
menden Jahren Zeit.
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Landesstiftun
Weniger zufrieden bin ich allerdings mit der Inan-
gen!) spruchnahme des Erziehungsurlaubs durch die Vä-
Kommen Sie doch Ihrer Familienpolitik nach! Machen ter. Denn eines der Ziele war ja, daß sich die Väter
Sie dies in Landesstiftungen! Die Opposition hat an mehr als früher an der Erziehung der Kinder beteili-
dieser Stelle die Gelegenheit, ihrer Aufgabe nachzu- gen. Deshalb erhielten sie auch einen Anspruch auf
kommen. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Doch der An-
teil der Männer, die diese Leistung in Anspruch neh-
Anfangs gab es auch bei mehreren Kindern höch-
men, ist nach wie vor ausgesprochen gering: Er liegt
stens 600 DM. Das war ein Umstand, der uns betrübt
leider nur bei 1,5 %. Ich hoffe aber sehr, daß sich dies
hat; wir haben es aber inzwischen bereinigt. Jetzt hat
in der Zukunft ändert; denn ich meine, daß es auch
jedes Kind einen eigenen Anspruch. Auch bei Mehr-
einem Vater sehr gut bekommt, wenn er sich zumin-
lingsgeburten oder der Geburt eines weiteren Kindes
dest für ein paar Monate der Erziehung seines Kindes
während des Erziehungsurlaubs wird das Erziehungs-
oder seiner Kinder widmet und wenn er sich in der
geld gezahlt. Ich halte diese Korrektur für richtig und
Familienphase um Haushalt und Familie kümmert.
notwendig. Wir haben dies, unmittelbar nachdem es
möglich war, durchgeführt. Ganz sicher fördert es auch die Lebensbeziehung zu
dem Kind und läßt den Ehemann für die Leistungen,
Gleiches gilt für Adoptivkinder. Mit der Rahmen- bei denen es sehr oft für selbstverständlich gehalten
frist bis zum Ende des dritten Lebensjahres ist ge- wird, daß sie die Frau im Haushalt und in der Familie
währleistet, daß Eltern auch dann Erziehungsgeld in erbringt, in der Zukunft aufgeschlossener sein, wenn
Anspruch nehmen können, wenn sie das Kind nicht er selber die Familienphase einmal erlebt hat.
unmittelbar nach der Geburt adoptieren konnten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Für Auszubildende besteht heute nicht mehr das
Dilemma, das am Anfang bestand, daß sie sich zwi- Von besonderer Bedeutung ist das Erziehungsgeld
schen der Weiterführung der Ausbildung und dem in den neuen Bundesländern. Bekanntlich haben wir
Bezug von Erziehungsgeld entscheiden mußten. es dort in voller Höhe eingeführt. Es scheint mir aber
Heute können sie das Erziehungsgeld auch dann in der Hinweis richtig, daß fast alle Eltern die volle Lei-
Anspruch nehmen, wenn sie die Ausbildung fortset- stung auch in ihrer einkommensabhängigen Phase
zen. Damit besteht dann auch die Gewähr, daß die erhalten werden. Dies verbessert die wirtschaftliche
berufliche Qualifikation der meist jungen Frauen Situation der Familien mit kleinen Kindern wesent-
nicht hinter dem Wunsch nach einem Kind zurück- lich, die in diesen Wochen und Monaten in den neuen
steht. Bundesländern mit Sicherheit vor großen Schwierig-
keiten stehen.
Die Einführung von Erziehungsgeld und Erzie-
Ich weiß aber auch, daß die Auszahlung des Erzie-
hungsurlaub setzte ein Signal auch für andere Berei-
hungsgeldes in den neuen Bundesländern noch nicht
che. Ich nannte bereits die vorbildlich mit eigenen Lei- so richtig funktioniert. Das Ministerium für Familie
stungsgesetzen vorgehenden Länder und kann an der
und Senioren unternimmt in Zusammenarbeit mit den
Stelle noch einmal sagen: Sagen Sie Ihren sozialde-
Bundesländern und den Kommunen alles — wir wer-
mokratischen Ministerpräsidenten, daß sie den CDU-
den in den nächsten Wochen noch einmal eine geson-
geführten Ländern nachfolgen sollen. Man kann ja
derte Werbekampagne starten — , damit dieser Miß-
mit dem halben Jahr anfangen; das wäre doch immer-
stand so schnell wie möglich beseitigt wird, damit der
hin schon etwas.
Anspruch auf Erziehungsgeld den Familien bewußt
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wird.
Mehrere Tarifverträge, aber auch viele große Unter- (Zustimmung des Abg. Müller [Wesseling]
nehmen gestatten heute die Freistellung von Eltern [CDU/CSU])
über die Zeit des Erziehungsurlaubs hinaus. Ich Die bevorstehende Verbesserung der Erziehungs-
meine, daß dies eindeutig Anerkennung verdient. Es geldleistungen auf zwei Jahre ab 1993 und die Aus-
unterstreicht auch die gewachsene Sensibilität, mit dehnung des Erziehungsurlaubs mit Beschäftigungs-
der die Tarifpartner der Familienleistung jetzt gegen- garantie auf drei Jahre schon ab 1992 sind gewaltige
überstehen. Anstrengungen. Sie setzen natürlich auch neue Maß-
Bereits im Berichtszeitraum bis 1988 nutzten die stäbe.
Unternehmen zudem die Zeit des Erziehungsurlaubs Je länger wir diese Leistungen anbieten, desto nä-
ihrer Mitarbeiter zu 49 % , um die Stelle befristet neu her kommen wir aber dem Ziel der kinder- und fami-
zu vergeben. Dadurch hatten natürlich viele jüngere lienfreundlichen Lebenswelt. Eltern, die um das
Leute die Gelegenheit, die Chance zum Berufsein- Erziehungsgeld wissen, können viel überzeugter ja
stieg. Die Bereitschaft, zukünftig auch bis zu drei Jah- zum Leben sagen. Erziehungsgeld und Erziehungsur-
ren bef ri stete Zeitverträge abzuschließen, könnte, laub sind zusammen mit dem Kindergeld und den -
wie ich mir vorstelle, den Effekt auf den Arbeitsmarkt Kinderfreibeträgen, mit dem Wohngeld oder den Mit-
noch weiter verstärken. teln aus der Bundesstiftung „Mutter und Kind" —
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1237

Bundesminister Hannelore Rönsch


auch da, Heiner Geißler, herzlichen Dank — wichtige den richtigen Weg beschritten haben. Es motiviert uns
Hilfen zum Schutze des ungeborenen Lebens. natürlich, diese Leistungen in den nächsten Jahren
auszubauen. Wir rechnen bei dem Ausbau der fami-
Wenn wir die Tötung des ungeborenen Lebens
lienpolitischen Leistungen dann auch mit den Stim-
nicht hinnehmen wollen, müssen wir konsequent die
men der Opposition.
Lebenshilfe für Mütter und Väter, für die Familien, die
mit Kindern leben wollen, ausbauen. Für dieses Ziel (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
werde ich mich auch in der Zukunft einsetzen. neten der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —
Dr. Geißler [CDU/CSU]: Das ist wichtiger als Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat das
Strafrecht!) Wort der Abgeordnete Herr Dr. Ulrich Böhme.
Allerdings appelliere ich an Ihrer Stelle erneut an
die Länder; denn ein Hilfspaket an junge Familien ist Dr. Ulrich Böhme (Unna) (SPD): Verehrte Frau Prä-
dann unzureichend geschnürt, wenn nach Ablauf der sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Da-
dreijährigen Erziehungsphase und des Erziehungsur- men und Herren! Ehe und Familie, Frau Ministerin,
laubs kein Kindergartenplatz bereitsteht. Auch da werden nicht erst heute besonders akzeptiert. Das war
muß man an die sozialdemokratisch geführten Länder auch schon früher so. Ich erinnere mich noch sehr gut:
appellieren. Wir sind hier in Nordrhein-Westfalen. Die Vor 25 Jahren kam unser erstes Kind, unsere Tochter,
Presseerklärungen, Pressemeldungen und Verlautba- auf die Welt. Damals hätte ich mir nicht träumen las-
rungen aus den letzten Tagen waren ausgesprochen sen, daß ich heute über Erziehungsgeld und Erzie-
erschreckend. hungsurlaub sprechen würde. Ich war zu dieser Zeit
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Man kann nicht ap noch Student. Meine Frau war schon berufstätig und
pellieren! Von der SPD ist niemand da! — ernährte unsere Familie. Nachdem für meine Ehefrau
Hämmerle [SPD]: Sind wir denn niemand?) der gesetzliche Mutterschutz verstrichen war — das
waren damals sechs Wochen nach der Geburt —,
— Die SPD ist noch mit drei Kolleginnen und Kollegen standen wir vor der Alternative: Entweder gibt meine
vertreten. Frau ihre Arbeit auf, was wir uns finanziell kaum lei-
(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Aber eine sten konnten, oder sie arbeitet weiter, während ich
spricht mit CDU-Kollegen! — Frau Häm mich um die gerade geborene Tochter kümmere. Ge-
merle [SPD]: Aber das sind ganz bedeutende nau das haben wir gemacht. Wir wählten also diesen
Kollegen!) Weg. Damit hatte ich das unvergeßliche Erlebnis, tag-
täglich das Heranwachsen meines Kindes mitzuerle-
— Mit Sicherheit. — Ich hoffe, daß die Präsenz nicht
ben und auch mitzugestalten. Ich übertreibe nicht,
Ihr Interesse an der Familienpolitik widerspiegelt. Ich
wenn ich sage, daß dieser enge Kontakt mit meinem
erwarte mir offenere Ohren für Familienpolitik und
Kind in den ersten Lebensjahren unsere auch heute
nehme an, daß die anderen Kollegen vielleicht an
noch großartige Beziehung nachhaltig geprägt hat.
ihrem Schreibtisch darüber nachdenken, wie man f a-
milienpolitische Leistungen noch verbessern kann. Ich möchte mit diesem Beispiel die Väter in unserem
Land ermutigen, das Angebot des Erziehungsurlaubs
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Die sind jetzt im wahrzunehmen.
Osterurlaub!)
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
Der Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz GRÜNE sowie bei der CDU/CSU und der
nach dem dritten Lebensjahr müßte auch — — Viel- FDP)
leicht könnten die Kolleginnen, die jetzt da sind, zuhö-
Aus dem heute vorliegenden Bericht der Bundesre-
ren; es ist ein bißchen schwierig, Frau Dr. Götte. —
gierung über die Erfahrungen mit dem Gesetz zur
Frau Dr. Götte, ich habe Sie gerade direkt angespro-
Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsur-
chen und wäre ganz dankbar gewesen — weil die
laub in den Jahren 1986 bis 1988 geht hervor, daß nur
Sozialdemokraten nur noch mit drei Personen hier
ganz wenige Väter den Erziehungsurlaub in An-
vertreten sind — , wenn Sie vielleicht zuhören könn-
spruch nehmen. Das liegt natürlich vor allem an der
ten, weil es um Familienpolitik geht und wir deshalb
wirtschaftlichen Situation unserer Familien, vor allem
in der Auseinandersetzung sind.
der jungen Familien. Die Einkommenssituation er-
Ich möchte am Schluß zusammenfassen und möchte laubt es zumeist einfach nicht, daß die Väter die Be-
die familienpolitischen Leistungen und die Ergeb- treuung der Neugeborenen übernehmen.
nisse aus dem Familienbericht noch einmal darstellen, Um Vätern einen Anreiz zu geben, den Erziehungs-
damit das diesmal vielleicht etwas länger im Gedächt- urlaub zu nutzen, haben wir Sozialdemokraten — ein
nis bleibt. Die Ergebnisse des Berichts über die Erzie- bißchen haben Sie versucht, uns schlecht zu machen,
hungsgeldleistungen und den Erziehungsurlaub aus obwohl das Freitagmittag so eine Sache ist —
den Jahren 1986 bis 1988 sind für uns und auch für die
anderen — wenn sie ihn richtig lesen — absolut über- (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist schon eine
zeugend. Unsere damaligen Kritiker, die momentan Sache, aber wahr!)
wieder reden, sind allesamt widerlegt. Die Leistung bereits 1985 in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen,
wird von fast allen Familien akzeptiert und in An- daß bei einer Aufteilung des Erziehungsurlaubs zwi-
spruch genommen. Für die Familien in den fünf neuen schen den Ehepartnern ein erhöhtes Erziehungsgeld
Bundesländern bedeutet das Erziehungsgeld einen bei einer längeren Bezugsdauer gezahlt werden -
wesentlichen Teil des Familieneinkommens. Das alles sollte. Das ist nach wie vor richtig und notwendiger
bestärkt uns in der Überzeugung, daß wir seinerzeit denn je.
1238 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Dr. Ulrich Böhme (Unna)


Die Mittel, die zur Zeit für die Familienpolitik auf- dergartenplatz bekommen können. Noch schwieriger
gewendet werden, reichen also bei weitem noch nicht gestaltet sich die Suche nach einem Platz in einem
aus. Wir wollen bitte nicht aufrechnen, was auf die Kinderhort für Kinder in der Grundschule. Oder sollte
Familien zukommt. Sie haben über die Länder gespro- hier etwa — und das ist, wie gesagt, nur eine Frage,
chen. Ich könnte vom Schüler-BAföG sprechen. Füh- keine Unterstellung — doch die Überlegung eine
ren Sie das doch wieder ein. Rolle gespielt haben, daß der Arbeitsmarkt durch die
Frauen, die dann zu Hause bleiben, entlastet wird?
(Beifall bei der SPD)
Das wäre schädlich und schändlich.
Aber diese Dinge bringen uns nicht weiter. Lassen Sie
Ein weiteres Hindernis, weshalb viele Frauen nicht
uns die Sache gemeinsam voranbringen.
mehr in das Arbeitsleben zurückkehren können, ist
Hinzu kommen die finanziellen Belastungen der Mangel an sozialrechtlich abgesicherten und ar-
— auch das muß ich hier sagen, wenn Sie schon so ein beitsrechtlich geschützten Teilzeitarbeitsplätzen, wie
klein bißchen aggressiv waren — , die sich durch die es auch in diesem Bericht nachzulesen ist.
unsozialen Steuererhöhungen der Bundesregierung
Verschärft wird die Problematik durch das nicht
direkt auf das Familieneinkommen auswirken. Das
ausreichende Weiterbildungsangebot. So heißt es im
trifft junge Familien natürlich ganz besonders hart.
vorliegenden Bericht auf Seite 17 — ich zitiere:
(Beifall bei der SPD — Dr. Babel [FDP]: Wol
Weiterbildungsangeboten und Wiedereinarbei-
len Sie nun Senkung oder Erhöhung?)
tungshilfen für die Rückkehrerinnen aus dem Er-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kritik ziehungsurlaub maßen die Betriebe keine allzu
aus Ihren eigenen Reihen ist doch fast so groß wie große Bedeutung bei.
unsere Kritik.
Das heißt doch, daß hier eklatante strukturelle Defi-
Es ist schon seit langem unser Bestreben, die Ver- zite bestehen und so die Rückkehrchancen der Frauen
einbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen und zu einer gleichwertigen Arbeit stark gemindert wer-
zu fördern. Wie wichtig das ist, zeigt ja gerade die den.
hohe Akzeptanz der Institution Erziehungsurlaub.
Für die mit Recht geforderten Verbesserungsmaß-
Laut dem heute vorliegenden Bericht haben über
nahmen müssen daher größere Anreize geschaffen
90 % der jungen Eltern Erziehungsurlaub genommen.
werden, nämlich — ich zitiere wieder aus dem heute
Die hohe Akzeptanz also beweist, wie wichtig es ist,
vorliegenden Bericht —:
diese Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu för-
dern. Erstens. „Besondere Schulung oder Wiedereinar-
beitungshilfen", zweitens „Gelegenheit zur Teil-
Vom Wort her heißt Urlaub jedoch, daß man ihn
nahme an Weiterbildungsmaßnahmen während des
nach einer gewissen Zeit auch wieder beenden will,
Erziehungsurlaubs" , drittens für „Einführungsschu-
daß man also wieder arbeiten will.
lung bei Wiederaufnahme der Tätigkeit" . Das ist auch
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Natürlich!) aus dem Bericht auf Drucksache 11/8517.
Die zentrale Frage ist deshalb: Warum kehrt nur etwa Wir Sozialdemokraten haben auf unserem Berliner
die Hälfte der Frauen wieder in das Berufsleben zu- Parteitag im Dezember 1989 den Rechtsanspruch auf
rück — nur die Hälfte? Der Bericht der Bundesregie- weitere Qualifikation und Förderung nach Eignung
rung gibt darauf sogar eine Antwort. Es heißt auf und Neigung in unserem Programm festgeschrieben;
Seite 2 wörtlich — Sie können das nachschlagen; ich dafür werden wir uns einsetzen, und dafür werden wir
zitiere —: kämpfen.
Als Gründe für die Nichtwiederaufnahme der Er- Der Bericht geht überwiegend von der herkömmli-
werbstätigkeit werden die ausschließliche Be- chen Familie aus, und das ist auch in Ordnung so, aber
treuung des Kindes in den ersten Lebensjahren er hinkt gewaltig unserer gesellschaftlichen Entwick-
und unzureichende Rahmenbedingungen wie lung hinterher. Dies zeigt sich daran, daß er auf Kon-
fehlende Betreuungsmöglichkeit für das Kind stellationen, die inzwischen gar keine Sonderfälle
oder ein mangelndes Angebot an Teilzeitarbeits- mehr sind, nicht eingeht. Ich meine die nichteheli-
plätzen aufgeführt. chen Lebensgemeinschaften und die vielen Alleiner-
ziehenden. Ich verstehe nicht, weshalb noch immer
Es fehlen also eindeutig Betreuungsmöglichkeiten
nichteheliche Väter von dem Recht auf Erziehungs-
wie Kinderkrippen, zumal der Erziehungsurlaub nicht
geld und Erziehungsurlaub ausgenommen sind.
bis zum Eintritt in den Kindergarten gewährt wird. Sie
haben dazu vorhin etwas gesagt. Das haben wir mit (Beifall bei der SPD)
spitzen Ohren gehört. Wir werden Ihre Taten an Ihren
Frau Ministerin, das müßte geändert werden, denke
Worten messen. Wir fordern dies schon seit langem.
ich.
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Kinderkrippen sind Alleinerziehende sind nicht nur mehr belastet, bei
Länderaufgabe!) Ihnen wirkt sich auch der Mangel an geeigneten Teil-
Die Verlängerung auf drei Jahre hat der damals zu- zeitarbeitsplätzen und an Kinderbetreuungsmöglich-
ständige Staatssekretär Pfeifer am 24. Oktober 1990 keiten besonders schlimm aus.
angekündigt. Wir werden sehen, was daraus wird. Ich halte auch deshalb eine Erhöhung des Erzie-
Obwohl den Frauen rechtlich die Möglichkeit zur hungsgeldes auf mindestens 1 000 DM für notwendig. -
Rückkehr in den Beruf eingeräumt ist, können viele Vor allem vor dem Hintergrund, meine sehr verehrten
dies doch nicht tun, weil sie für ihr Kind keinen Kin Kolleginnen und Kollegen, der Diskussion um den
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1239
Dr. Ulrich Böhme (Unna)
§ 218 ist eine Erhöhung der monatlichen Zuwendung Es gibt also noch viel zu tun. Wir nehmen diesen
notwendig, um die soziale Indikation als Ursache für Bericht heute zur Kenntnis. Das Gute loben wir, und
Abtreibungen möglichst zu verhindern. das Viele, das noch zu tun sein wird, werden wir in
Auch eine bessere Unterstützung von Adoptivel- unserer parlamentarischen Arbeit einfordern.
tern ist dringend notwendig. Sie sind darauf einge- Herzlichen Dank.
gangen; die bisherige Förderung reicht nicht aus, da (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste
die Adoptivkinder meist später in die Familien kom- — Dr. Geißler [CDU/CSU]: Die Rede hätten
men und auch die Situation des Zusammenlebens Sie im Landtag von Nordrhein-Westfalen
eine andere ist als in den normalen Familien. halten müssen!)
Wir sollten also nicht zu selbstzufrieden und zu
selbstgerecht darüber sein, daß die Inanspruchnahme
von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in den Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat die
Jahren 1986 bis 1988 erfreulich hoch war, denn die Abgeordnete Frau Christina Schenk das Wort.
Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kindererzie-
hung ist noch längst nicht zufriedenstellend geregelt.
Dies wird auch immer stärker den Frauen aus den Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Frau Präsi-
neuen Bundesländern bewußt, soweit sie nicht dentin! Meine Damen und Herren! Meine Berufsehre
schlimmerweise sowieso schon arbeitslos geworden bringt mich dazu, mit einer grundsätzlichen Bemer
sind. -kungzbei.FraRösch,Sebnirv-
Damit die zahlreichen Kindertageseinrichtungen in sucht, eine monokausale Erklärung für den derzeit in
den neuen Bundesländern nicht verlorengehen, ha- Westdeutschland erfolgenden Geburtenanstieg zu
ben wir Sozialdemokraten 3 Milliarden DM zu deren geben. In Ostdeutschland findet etwas ganz anderes
Erhaltung zusätzlich gefordert; im Ausschuß für statt, nämlich ein drastischer Geburtenrückgang; von
Frauen und Jugend haben Sie diesen Antrag abge- mehr als einem Drittel ist die Rede. Ich möchte Sie nur
lehnt. Überlegen Sie sich das bitte noch einmal. darauf hinweisen, daß Korrelationen grundsätzlich
nicht geeignet sind, Kausalitäten zu beweisen. Die
Der jetzt bekannt gewordene aktuelle Geburten- Gesetze der Statistik geben das leider nicht her.
rückgang in den neuen Bundesländern ist auch ein
Man mag das bedauern. Aber es ist so.
Anzeichen dafür, daß dort die Situation der jungen
Eltern alles andere als von Zuversicht geprägt ist. Ich beginne mit meinen geplanten Ausführungen.
Die Leistungen für Frauen nach der Geburt eines Kin-
Sie haben mit dieser Ablehnung der Erhaltung die- des waren in der ehemaligen DDR wesentlich besser
ser Kindertageseinrichtungen den jungen Menschen, als hier. Das heißt, sie waren wesentlich besser als das,
den jungen Familien dort nicht viel Mut gemacht. was Frauen in der ehemaligen DDR heute geboten
Denken Sie an den Grundgesetzauftrag, vergleich- wird.
bare Lebensverhältnisse in allen Bundesländern zu
schaffen. DDR-Frauen bekamen nach der Geburt eines Kin-
des einen Schwangerschaftsurlaub von fünf Monaten
Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den bei voller Lohnfortzahlung. Ab 1. Januar 1991 müssen
alten wie in den neuen Bundesländern, also in unserer sie sich mit zwei Monaten begnügen. Das heißt: Drei
gemeinsamen Republik, ist nötig: Monate bezahlte Zeit fürs Kind werden den Frauen in
Erstens die Ausweitung des Elternurlaubs und eine der DDR durch die Vereinigung schlicht und ergrei-
deutliche Erhöhung des Erziehungsgeldes. fend weggenommen.
Zweitens ist nötig der Ausbau von Kindertagesstät- (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Zwei Jahre bei
ten für die bis zu Dreijährigen, vor allem für diejeni- uns!)
gen, die den Elternurlaub und das Erziehungsgeld Auch die Leistungen nach dem Schwangerschafts-
nicht in Anspruch nehmen wollen. urlaub waren in der ehemaligen DDR besser geregelt
Drittens ist der Ausbau der Kindergartenplätze für als hier: Es gab eine bezahlte Freistellung bis zum
Kinder vom dritten Lebensjahr an nötig sowie die Ein- Ende des 12. Lebensmonats des Kindes bei einer Fort-
führung des Rechtsanspruchs für Kinder auf einen zahlung des Lohnes in Höhe des Krankengeldes. Das
Kindergartenplatz. ist mit dem Erziehungsgeld von 600 DM ganz grund-
sätzlich überhaupt nicht vergleichbar.
Viertens ist der Ausbau von Kinderhorten für Kinder
im schulpflichtigen Alter bis zu zwölf Jahren nötig. (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Wie hoch war denn
das Krankengeld in der alten DDR?)
Fünftens ist ein verstärkter Ausbau von Ganztags- — Wir können uns gern darüber unterhalten.
schulen nötig.
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Würden Sie mir
Und es sind — sechstens — Veränderungen im Ar- bitte sagen, wie hoch es war?)
beitsleben von Eltern, die den Ablauf des Familienall-
tags für ihre Kinder und sich humaner und partner- — In den ersten sechs Wochen 90 %, danach 70 %.
schaftlicher gestalten wollen, sowie grundsätzlich die Die Frauen in der DDR haben ihre ökonomische
Verbesserung der Bedingungen des Aufwachsens für Unabhängigkeit während der Freistellung behalten,
Kinder einschließlich einer positiven, umweltfreundli- und nach der Freistellung konnten sie ganz selbstver-
chen, lebens- und liebenswerten Gestaltung des ständlich an ihren Erwerbsarbeitsplatz zurückkehren,
Wohnumfeldes und ihres unmittelbaren Lebensbe- weil es genügend Tagesstätten für Kinder gab. Soge-
reichs. nannte Wiedereingliederungsprogramme bzw. ent-
1240 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Christina Schenk
sprechende Modellversuche brauchte es da also nicht den Lücke wird dann als arbeitsmarktpolitischer Er-
zu geben; das hatten die DDR-Frauen nicht nötig. folg verkauft.

(Lühr [FDP]: Richtig toll war es in der (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Die Frauen ma
DDR!) chen, was sie wollen!)

Das ist ein gravierender Unterschied zur Situation Wer jetzt hier die Meinung vertritt, die Betreuung in
hier, ein gravierender Unterschied zum sogenannten Tagesstätten sei gar nicht gut für Kinder, sie würden
„Erziehungsgeld", das mit der Bezeichnung „ Ge- viel besser von ihren Müttern zu Hause betreut — eine
bährprämie " wohl besser zu beschreiben wäre. Position die hier erst kürzlich von Frau Nolte vertreten
worden ist — , der oder die muß uns heute erklären,
Anläßlich des heutigen Berichts der Bundesregie- warum dieser Gesellschaft, warum diesem Staat die
rung erheben wir folgende Kritik: hockqualifizierte, angeblich allseits geschätzte pri-
vate Betreuungsarbeit von Frauen nicht mehr wert ist
Der Erziehungsurlaub ist mit 600 DM im Monat als 600 DM im Monat.
auch nicht annähernd finanziell ausreichend abgesi-
chert. Kein Mensch kann von diesen 600 DM leben, (Dr. Geißler [CDU/CSU]: Aber das Erzie
und kaum ein Mann, der einen auch nur einigerma- hungsgeld muß es nun einmal geben! Es be
ßen gut bezahlten Erwerbsarbeitsplatz hat, wird die- steht Wahlfreiheit!)
sen zugunsten eines mit 600 DM dotierten Erzie-
Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, in der
hungsurlaubs von 18 oder 24 Monaten freiwillig auf-
die Wertschätzung, die eine Arbeit genießt, durch fi-
geben. Das können Sie schon daran sehen, daß von
nanzielle Leistungen ausgedrückt wird. Der Hoch-
den 1,4 % Männern, die den Erziehungsurlaub 1988 in
schulprofessor verdient mehr als die Lehrerin; die
Anspruch genommen haben, drei Viertel sowieso
Lehrerin verdient mehr als die Putzfrau. Das, was die
schon erwerbslos waren.
Bundesregierung „Erziehungsgeld" nennt, ist weit
Im Westen gilt es als normal, daß Familien im we- unterhalb des Lohnes einer Putzfrau.
sentlichen vom Gehalt des Mannes leben. Bei uns war Durch die geringe Höhe des Erziehungsgeldes
das anders. Aber eine Familie im Westen — und in kommt die Geringschätzung der Arbeit von Frauen an
Zukunft wird es im Osten nicht anders sein — kann es Kindern anschaulich zum Ausdruck. Diese Arbeit ist
sich gar nicht leisten, das Gehalt des Mannes 18 bzw. dem Staat nicht mehr wert als 600 DM im Monat.
24 Monate lang gegen das 600 DM hohe Erziehungs- Schöne Sonntagsreden und die Blumen zum Mutter-
geld einzutauschen, weswegen natürlich die Frau auf tag korrigieren diesen Eindruck nicht. Im Gegenteil:
ihre ohnehin schlechter bezahlte Erwerbstätigkeit Sie bestätigen nur das schlechte Gewissen, das die
verzichten muß. Herren dieses Landes Frauen mit Kindern gegenüber
— wie ich meine: zu Recht — haben. Aber es ist für
Das Erziehungsgeld ist nichts anderes als ein Köder,
den Staat schließlich billiger, mit diesem schlechten
mit dessen Hilfe die Geburtenrate erhöht und Frauen
Gewissen zu leben, als die Arbeit von Frauen anstän-
der Schritt in die Hausfrauenfalle, der in dieser Gesell-
dig zu bezahlen oder Tagesstätten für Kinder aufzu-
schaft für Frauen mit Kindern ohnehin fast unver-
bauen oder auch nur zu erhalten.
meidbar ist, kurzfristig versüßt werden soll.
Meine Damen und Herren, wir brauchen beides.
Nach 18 bzw. 24 Monaten ist der Köder weg bzw. Wir brauchen ein Erziehungsgeld, von dem Men-
erhält er keinen Nachschub mehr ; die Falle allerdings schen, die Kinder betreuen, in ökonomischer Unab-
bleibt noch lange Zeit zu. Denn es gibt in der Bundes- hängigkeit und in Würde leben können. Und wir
republik kaum Tagesstätten für zweijährige Kinder. In brauchen Kinderbetreuungseinrichtungen, in die die
den Kindergarten kommen sie frühestens mit drei Kinder gerne gehen. Ein Abrutschen in die ökonomi-
Jahren, falls überhaupt. sche Abhängikeit vom Ehegatten oder vom Sozialamt
haben mit einem Leben in Freiheit und Selbstbestim-
Die Öffnungszeiten der meisten Kindergärten in
mung gar nichts zu tun. Vätern wird so ein Leben fast
der BRD sind — und zwar, wie ich meine, absicht-
nie zugemutet; Frauen wollen es sich nicht länger
lich — so gestaltet, daß Frauen ihre Erwerbstätigkeit
zumuten lassen.
nicht wieder aufnehmen können. Das geht ja auch aus
dem Bericht hervor: 53 % aller zuvor erwerbstätigen Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der hierzulande
Frauen können ihre Erwerbstätigkeit nach Ablauf des gerne verschwiegen wird, kommt hinzu, auch bei aus-
Erziehungsurlaubs nicht wieder aufnehmen, weil sie reichender Bezahlung. Eine jahrelange ausschließli-
keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder haben bzw. che Beschäftigung mit Kind und Haushalt gefällt nur
bekommen. Von denen, die wieder erwerbstätig wer- sehr wenigen Frauen. Die Beschränkung auf Teilzeit-
den, gehen die meisten in nichtexistenzsichernde, un- arbeit verhindert jegliches Fortkommen im Beruf. Das
geschützte Teilzeitarbeitsverhältnisse. ist trivial. Wenn das Hausfrauendasein so vergnüglich
und chancenreich wäre, dann würden sich dafür
Wenn die Regierung in ihrem Bericht nun stolz be- schließlich auch mehr Männer bewerben. Den aller-
hauptet, der Erziehungsurlaub habe positive Beschäf- meisten Männern ist das allerdings viel zu trist.
tigungseffekte, dann ist das Ausdruck für ein ganz
bestimmtes Frauenbild. Offensichtlich gefallen der Ganz grundsätzlich gilt: Was für die Bezugsperson
Regierung Frauen als auswechselbare, nur vorüber- schlecht ist, ist auch schlecht für das Kind. Damit -
gehend Erwerbstätige. Nur 47 % der Frauen gelingt schließt sich dann der Kreis. Kinder brauchen Tages-
die Berufsrückkehr. Das Auffüllen der so entstehen- stätten, wo sie anderen Kindern begegnen und wo sie
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1241

Christina Schenk
sich von der ausschließlichen emotionalen Abhängig- Weiter kommt die volle Erstattung der Mietkosten
keit von ihren Eltern emanzipieren können. hinzu.
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Das heißt: Eine alleinstehende Mutter hat nach un-
Kindertagesstätten sind unabdingbar für die Soziali- serem geltenden Recht einen Rechtsanspruch auf ein
sation von Kindern. Einkommen in Höhe von 1 700/1 800 DM. Das ist eine
Summe, von der sich die Frauen in der alten DDR,
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Schenk, ge- damals von der SED betreut, nur im Traum haben
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten etwas vorstellen können.
Herrn Dr. Hitschler? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Walter Hitschler (FDP): Frau Kollegin, sind Sie Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Möchten Sie unmit-
innerlich wirklich davon überzeugt, daß die Kinderer- telbar antworten, Frau Schenk?
ziehung eine triste Angelegenheit ist?

Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Ich habe Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Geiß-
gesagt, die ausschließliche Beschränkung darauf sei ler, ich habe das, was Sie hier soeben ausgeführt ha-
trist. Und ich habe auch nicht gesagt, das gelte gene- ben, nicht in Abrede gestellt.
rell. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Dann stimmt aber
(Dr. Hitschler [FDP]: Das ist für Sie eine triste die Argumentation nicht mehr!)
Beschäftigung?) Ich meine nur, daß das vor dem Hintergrund der in der
— Ich bin nicht bereit, Ihnen in dieser Globalität und DDR vorhanden gewesenen Realität praktisch kein
Pauschalität zu folgen. Ich habe nur gesagt: Es gibt Ausgleich ist. Frauen in der DDR hatten ein Durch-
sehr wenige Frauen, die die ausschließliche Beschäf- schnittseinkommen von ca. 1 200 DM.
tigung damit als Erfüllung ihres Lebens ansehen. (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Es gibt viele und der FDP)
Frauen, die das ganz anders sehen!) —Dann gucken Sie doch einmal nach. Das ist die Zahl
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. von 1988.
Das heutige Thema — wir haben es schon gehört — ist (Zuruf von der CDU/CSU)
wieder sehr gut für schöne Worte und andachtsvolle — Haben Sie dort gelebt oder ich?
Reden von der Liebe zum Ungeborenen geeignet. Wer
allerdings nicht einmal dazu bereit ist, die Kinderta- (Zuruf von der CDU/CSU: Verwechseln Sie
gesstätten in der ehemaligen DDR zu erhalten — und nicht brutto mit netto?)
dazu ist die Regierung nicht bereit, das ist offenkun- So gesehen ist das, was Sie hier gesagt haben, prak-
dig — , dem ist auch in dieser Hinsicht kein Wort zu tisch keine Antwort bzw. keine Gegendarstellung zu
glauben. dem, was ich in bezug auf die Frauen in der DDR
Frauen haben in dieser Regierung und bei den eta- gesagt habe.
blierten Parteien bisher keine Lobby, weder im We- (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)
sten noch im Osten. Ich denke, es wird sinnvoll und — Ich habe Schwierigkeiten, mich hier verständlich
notwendig sein, am Aufbau so einer Lobby zu arbei- zu machen.
ten.
Danke. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Also, es dauert nur
(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie der länger, sage ich allen Beteiligten, wenn wir uns nicht
Abg. Dr. Götte [SPD]) verständigen können.
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Aber so einen Un
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer
sinn kann man doch nicht stehenlassen, Frau
Zwischenintervention hat der Abgeordnete Herr
Präsidentin! — Weitere Zurufe von der CDU/
Dr. Heiner Geißler.
CSU)
Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Frau Schenk, ich
will etwas zu der Putzfrau sagen, die Sie hier einge- Christina Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Für die
führt haben. Ferner will ich Sie auf den Sinn des Erzie- Frauen in Westdeutschland bleibt nach wie vor
hungsgeldes aufmerksam machen. das festgeschriebene Abhängigkeitsverhältnis vom
Für den Fall, daß es sich um eine verheiratete Frau Mann. Das ist eine Sache, die mit dem Emanzipations-
oder einen verheirateten Vater handelt, kommen für verständnis von Frauen, von feministischen Frauen
sie — gleich, ob Frau oder Mann — zu dem Familien- nicht in Einklang zu bringen ist. Ich meine, daß auch
einkommen, das der Ehepartner erzielt, die 600 DM ein Leben mit Kindern ökonomisch eigenständig,
dazu. Handelt es sich um eine alleinstehende Frau, selbständig möglich sein sollte. Doch das ist bei den
dann bekommt diese Mutter 600 DM Erziehungsgeld Preisen hier auch mit 1 200 oder 1 300 DM schwer
und hat einen Anspruch auf Sozialrente in Höhe von möglich.
420 DM für sich und in Höhe von 200 DM für ihr Kind. (Dr. Geißler [CDU/CSU]: 1 700! —Weiterer
Hinzu kommt ein Mehrbedarfszuschlag von 20 %, den Zuruf von der CDU/CSU: 1 700 netto! —
die Christlich Demokratische Union in das BSHG ein- Dr. Rüttgers [CDU/CSU] : Ich schlage vor, zu -
geführt hat. Das sind zusammen rund 1320/ erst einmal einen Grundkurs in Rechnen zu
1 340 DM. machen!)
1242 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat der gungen während des Erziehungsurlaubs sowie Unter-
Abgeordnete Heinz Hübner das Wort. suchungen des Instituts für Entwicklungsplanung und
Strukturforschung an der Universität Hannover und
Berichte der Bundesländer, die ein Landeserzie-
hungsgeld oder Familiengeld eingeführt haben, zu-
grunde.
Heinz Hübner (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Ich hatte mir eigentlich Ich habe hier einen negativen, einen durchaus zu
vorgenommen, hier auf bestimmte Aussagen meiner kritisierenden Punkt aufgeführt, um damit auch zu
Vorredner nicht einzugehen. zeigen, daß wir uns in den Fraktionen ernsthafte Ge-
danken darüber machen — das zeigt ja auch die Un-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Lassen Sie es sein, terrichtung, die auch auf Mängel hinweist — , wie wir
es lohnt sich nicht!) Mängel verhindern und in welcher Form wir Lösun-
Ich sollte es lassen. gen anbieten können. Da gebe ich Ihnen durchaus
allen recht.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Geißler,
daß Sie vieles von dem, was ich eigentlich sagen Mit dem Inkrafttreten des Bundeserziehungsgeld-
wollte, schon vorweggenommen haben. gesetzes am 1. Januar 1986 sind für von diesem Zeit-
punkt an geborene Kinder Erziehungsgeld und Erzie-
Was die soeben von Ihnen gemachte Feststellung, hungsurlaub eingeführt worden. Seitdem erhalten
Frau Schenk, betrifft, Kindererziehung sei eine triste Mütter oder Väter von der Geburt ihres Kindes an ein
Angelegenheit, so kann ich Ihnen nun wahrlich nicht Erziehungsgeld in Höhe von 600 DM. Der Anspruch
zustimmen. auf Erziehungsgeld ist, wie Sie wissen, nicht von einer
(Dr. Götte [SPD]: Haben Sie es gemacht?) Erwerbstätigkeit abhängig, in seiner Höhe jedoch
vom Einkommen der Eltern.
— Ja.
Des weiteren gibt das vorliegende Papier Auskunft
(Dr. Götte [SPD]: Dann ist es gut!) über die Inanspruchnahme von Erziehungsgeld;
Ich möchte nun, Herr Dr. Böhme, auf Sie eingehen ebenso über die Auswirkung der Einkommensgren-
und sagen: Ich gebe Ihnen recht, es sollten viel mehr zen, über Erwerbstätigkeit vor der Geburt und wäh-
Väter versuchen, an der Erziehung ihrer Kinder un- rend des Erziehungsgeldbezuges. Auskunft wird er-
mittelbar teilzuhaben; ich habe es praktiziert. teilt über die Beschaffung von Ersatzkräften für Erzie-
hungsurlauberinnen, die nicht nur über Neueinstel-
(Hämmerle [SPD]: Bravo, vorbildlicher lungen, sondern vielfach auch mit Hilfe betriebsinter-
Mann!) ner Maßnahmen erfolgen. Wir müssen aber dennoch
Ich weiß, wie das ist. davon ausgehen, daß der Ausfall von Arbeitskräften
bei der Gewährung von Erziehungsurlaub den Betrie-
Im Zusammenhang mit der vorhergehenden Bera- ben, besonders den kleinen und mittelständischen,
tung betreffend die Rentner möchte ich folgendes be- durchaus Probleme bereitet.
tonen: Gerade Rentner und Kinder bedürfen in einer
demokratischen Gesellschaft unserer besonderen Was die Rückkehr in den Betrieb im Anschluß an
Aufmerksamkeit. Denn sie können ihre Befindlichkei- den Erziehungsurlaub betrifft, können wir sagen, daß
ten und Rechte mit Transparenten auf der Straße am die Arbeitnehmerin nach dem Urlaub in der Regel auf
wenigsten einklagen. Und was insbesondere Kinder ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren kann. Ob das
betrifft, bin ich persönlich Anwalt in eigener Sache. der Fall ist oder ob eine Umsetzung zulässig ist, hängt
Ich habe selbst vier — nicht Anwälte, sondern Kin- von dem Inhalt des vorher abgeschlossenen Arbeits-
der. vertrags ab. Das heißt auch, daß eine Umsetzung ohne
besondere arbeitsvertragliche Regelung nur auf einen
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der gleichwertigen Arbeitsplatz erfolgen kann.
CDU/CSU)
Die Rückkehrquote in die berufliche Tätigkeit be-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist trug in den Jahren 1986 und 1987 46,9 %. Das bedeu-
vielleicht etwas ungewöhnlich, wenn ein neuer Abge- tet, daß der überwiegende Teil der Arbeitnehmerin-
ordneter über etwas berichtet, was sich in der Vergan- nen auf die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit
genheit seiner Mitwirkung aus objektiven Gründen nach dem Erziehungsurlaub verzichtet hat. Hier weist
entzogen hat. Trotzdem — oder gerade deshalb — die Unterrichtung wiederum auch auf Mängel hin
sind wir der Meinung, daß Positives, wie es aus der — ich betone das noch einmal — , die abzustellen sind.
Unterrichtung über die Gewährung von Erziehungs- In diesem Fall lagen im wesentlichen zwei Gründe
geld und Erziehungsurlaub hervorgeht, durchaus vor: einmal der Wunsch nach intensiver Betreuung
auch von einem Kollegen verdeutlicht werden kann, des Kindes in den ersten Lebensjahren — das kommt
der sich in der Vergangenheit mit sozialen Maßnah- auch vor ; nicht jede Frau oder jeder Mann sieht darin
men der Bundesrepublik Deutschland nicht maßgeb- eine triste Angelegenheit —,
lich beschäftigen konnte.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Zur vorliegenden Unterrichtung durch die Bundes-
regierung möchte ich folgendes ausführen: Der Be- also über den Erziehungsurlaub hinaus, und zum an-
richt bezieht sich auf die — wie eingangs erwähnt — deren die unzureichenden Rahmenbedingungen wie -
drei Jahre zwischen 1986 und 1988. Ihm liegen Stati- fehlende Betreuungsmöglichkeit für das Kind sowie
stiken zur Gewährung von Erziehungsgeld, zu Kündi mangelndes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen. So le-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1243

Heinz Hübner
I sen wir es ja in der Unterrichtung durch die Bundes- denn hier wird künstlich eine Lücke geschaffen, die
regierung nach. dazu führen könnte, daß Mütter, die zum geringen
Familieneinkommen in den neuen Bundesländern
Hier berühren wir einen Punkt — was die fehlende
durchaus noch beitragen müssen, damit keine Mög-
Betreuungsmöglichkeit für das Kind betrifft —, der lichkeit erhalten, ein Arbeitsverhältnis einzugehen
durchaus kritisch anzumerken ist. Ich spreche hier
oder an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen.
auch in eigener Sache; ich sagte es schon. Der Koal-
tion ist dieser Umstand wichtig. Hier besteht Hand- (Beifall bei der FDP)
lungsbedarf. Das dürfen wir bitte schön auch auf der
Hier gilt es also durchaus, positive Erfahrungen aus
linken Seite des Hauses nicht vergessen.
den neuen Bundesländern auf unser gesamtes
Gemeinsam mit den Ländern soll ein Rechtsan- Deutschland zu übertragen.
spruch auf einen Kindergartenplatz geschaffen wer-
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und
den. Auch für die Kinder, die das dritte Lebensjahr
Herren, es ist deshalb notwendig, daß wir gemeinsam
noch nicht erreicht haben, müssen geeignete Einrich-
Überlegungen anstellen, wie der Bund z. B. Länder
tungen in ausreichendem Maß zur Verfügung ste-
und Kommunen beim Erhalt, beim Ausbau und bei
hen.
der Verbesserung der Bedingungen der Kinderein-
(Zuruf der Abg. Dr. Höll [PDS/Linke Liste]) richtungen vom Rhein bis an die Oder unterstützen
könnte.
— Warten Sie doch bitte ab.
Diese Forderungen unterlaufen nicht — ich betone
Daß die Bestreuungsmöglichkeiten erweitert wer- dies ausdrücklich — die Ziele, die mit dem Erzie-
den müssen, ist auch im Hinblick auf die Wiederein- hungsgeld und mit dem Erziehungsurlaub verbunden
arbeitung der Erziehungsurlauberinnen notwendig. werden. Sie garantieren lediglich die freie Entschei-
Auch hier sollten für die Teilnahme an Weiterbil- dung der Eltern und ein gesundes Verhältnis von In-
dungsmaßnahmen während des Erziehungsurlaubs dividual- und Kollektiverziehung. Ich betone: gesun-
oder auch für kurzfristige Tätigkeiten im Betrieb wäh- des Verhältnis; denn was Kollektiverziehung anrich-
rend des Erziehungsurlaubs Rahmenbedingungen ten kann, weiß ich als geschlagener Lehrer aus der
weiter ausgebaut werden, die in den neuen Bundes- Ex-DDR besonders.
ländern als Voraussetzung — ich komme darauf noch
zu sprechen — zum Teil schon vorhanden sind, wenn Zum Abschluß noch eine Einschätzung zur Praxis in
ich nur an das Angebot von Kinderkrippen und Kin- einigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland:
dergärten denke. Denn das kann man wohl als flan- Länder wie Baden-Württemberg und Bayern, die ein
kierende Maßnahme für die Entscheidung der Eltern, Landeserziehungsgeld zur Verfügung stellen, oder
der Mütter und Väter, im Hinblick auf die Erwerbstä- Länder wie Berlin und Rheinland-Pfalz, die Familien-
tigkeit betrachten, die sie mit der häuslichen Betreu- geld zahlen, erweitern natürlich den Spielraum für
ung ihrer Kinder durchaus erfolgreich verbinden kön- Mütter und Väter, was einmal die häusliche Betreu-
nen. ung und zum anderen auch die Möglichkeit einer
beruflichen Betätigung und damit auch der notwendi-
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen. gen Betreuung der Kinder betrifft. Alles in allem kann
Eine Reihe von Müttern, die nach dem Erziehungsur- man feststellen, daß diese zusätzlichen Maßnahmen
laub eine volle Berufstätigkeit oder Teilzeitbeschäfti- zum Bundeserziehungsgeldgesetz in diesen Ländern
gung aufnehmen könnten, ist das verwehrt, weil die erfolgreich praktiziert wurden.
Kindertagesstättenplätze zum Teil fehlen. In meiner
Heimatstadt Sonneberg ist es z. B. so, daß Mütter aus Diese positiven Erfahrungen wurden für die Koali-
dem Raum Coburg, also aus Oberfranken, ihre Kinder tionsvereinbarung aufgegriffen. Hier werden alle
in Kinderkrippen der Stadt Sonneberg bringen, um Länder aufgefordert, Landeserziehungsgeld zu ge-
einer Erwerbstätigkeit in Oberfranken nachgehen zu währen. Es sind natürlich Überlegungen notwendig,
können. Das zeigt deutlich, daß der Ausbau dieser wie die ostdeutschen Bundesländer in die Lage ver-
Maßnahmen im alten Bundesgebiet sehr notwendig setzt werden, ähnliche, zusätzliche Unterstützungen
ist und daß der notwendige Abbau von Kinderkrippen leisten zu können; denn wir müssen ja davon ausge-
— ich betone dies — in den neuen Bundesländern hen, daß das Staatssäckel dieser Länder nicht beson-
sehr vorsichtig und gerichtet auf die Bedürfnisse der ders prall gefüllt ist.
Mütter und Väter vorgenommen werden muß. Die vorliegende Unterrichtung der Bundesregie-
(Beifall bei der FDP) rung zeigt, daß der Weg, der mit dem Erziehungsgeld
und dem Erziehungsurlaub 1986 begonnen wurde,
Ich kann auch nicht zustimmen, wenn von Ländern ein erfolgreicher ist, der es wert ist, fortgesetzt zu wer-
und Kommunen Versuche gestartet werden, die einen den.
rigorosen Abbau dieser Kinderbetreuungsplätze zum (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ziel haben. Das gibt es, und das sind Ex-DDR-Bürger,
die das dort vollziehen wollen. Richtig ist, daß z. B. auf Eine entsprechende Erweiterung ist durch die Bun-
Grund der baulichen Substanz und anderer fehlender desregierung vorgesehen. Wir haben dem in der Ko-
Voraussetzungen ein Teil der Kinderkrippenplätze, alitionsvereinbarung und in unserem Entwurf zu
also der, wo Kinder bis zum dritten Lebensjahr betreut § 218 Rechnung getragen.
werden können, wohl verschwinden muß. Aber ange- (Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD:
sichts des objektiv vorhandenen Bedarfs darf dies Na! Na!)
nicht in jedem Fall so erfolgen, wie sich das manche
Kommunen in den neuen Bundesländern vorstellen; — Ich spreche für die Freien Demokraten
1244 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Heinz Hübner
Es ist unser Ziel — und ich möchte noch einmal in nimmt, noch immer durch den ca. 30 % geringeren
diesem Zusammenhang darauf verweisen — , auch Verdienst von Frauen aus materiellen Erwägungen
ein verbessertes Angebot an Plätzen in Kindertages- heraus in den Familien vorherbestimmt ist. Diese Un-
stätten aufzubauen und zu garantieren, einschließlich gleichheit der Geschlechter unterstreicht Emanzipa-
der oft gescholtenen ostdeutschen Kinderkrippen. Ich tionsdefizite, jedoch nicht nur für Frauen, sondern
bitte alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses um hinsichtlich ihrer Vaterpflichten auch für Männer.
die Unterstützung bei dieser gemeinsamen Arbeit für Verantwortung für ihre Kinder haben beide und auch
den Auf- und Ausbau einer wirklich kinderfreundli- den Anspruch darauf, diese Verantwortung wahrneh-
chen Gesellschaft in Deutschland. men zu können. Hier ist Änderung geboten: Väter
Recht vielen Dank. und Mütter müssen real die Chance erhalten, nach
ihrem Entscheid auch wechselweise oder halbtags ge-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) splittet die Betreuung ihrer Kinder während des Erzie-
hungsurlaubs zu übernehmen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat das
Wort die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll. Ich möchte keiner Mutter und keinem Vater das
Recht absprechen, ihr bzw. sein Kind über den gesetz-
lich garantierten Erziehungsurlaub hinaus selbst zu
Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Verehrte Frau betreuen, aber ich will unseren Blick darauf lenken,
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von der daß zumeist nicht der eigene Wunsch, sondern hier im
Bundesregierung vorgelegte Bericht verdeutlicht eine Westen der Mangel an Kinderbetreuungseinrichtun-
Reihe bislang ungelöster Probleme und zeigt, wo poli- gen die Ursache für eine Nichtrückkehr in die Berufs-
tischer Handlungsbedarf besteht. Allerdings ist es tätigkeit war und ist. Mütter und Väter haben hier ja
notwendig, ad hoc die hier analysierten Zusammen- kaum die Möglichkeit, eventuell auch die häusliche
hänge und Positionen auch in den sechs ostdeutschen Betreuung ihrer Kinder durch eine qualifizierte Be-
Ländern zu untersuchen. treuung in Einrichtungen wie Kinderkrippen ergän-
Deshalb hält es die PDS/Linke Liste für dringend zen zu können. Ganz offensichtlich wird hier die Not-
notwendig, Problemlösungen zu suchen und diese wendigkeit, in den Altbundesländern bedarfsdek-
der in der Regierungserklärung konzipierten Weiter- kend Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen
führung des Bundeserziehungsgeldgesetzes zu- und in der ehemaligen DDR die bestehenden durch
grunde zu legen. Erstens bestätigt der Bericht, daß die Bundesförderung zu erhalten.
formale Anspruchsberechtigung für Mütter oder Vä-
Die geplante Verlängerung des Erziehungsurlaubs
ter auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub letzt-
auf zwei Jahre und mehr darf jedoch nicht zu einer
endlich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
ausschließlichen Option auf diese Form der Klein-
festschreibt und in dieser Frage die reale Gleichstel-
kindbetreuung zu Hause mißbraucht werden. Es freut
lung der Geschlechter nicht voranbringt.
mich natürlich, wenn der Kollege von der FDP den
Das hat sich übrigens auch an den sozialpolitischen Handlungsbedarf erkannt hat.
Maßnahmen der ehemaligen DDR-Regierung, der so-
genannten Mutti-Politik, gezeigt. Wenn nur 1,4 % der (Hübner [FDP]: Aber nicht für alle!)
Väter Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in An-
spruch nehmen — in der DDR war der Prozentsatz Ich würde mir wünschen, daß von der Regierungsko-
ähnlich niedrig — , so ist das kein Zufall und auch alition die Bundesförderung endlich festgeschrieben
nicht durch moralische Appelle zu verändern, sondern wird.
heißt nichts anderes, als daß Frauen in patriarchalisch
dominierten Gesellschaften immer wieder in das alte Drittens erweisen sich die im Bericht vorgerechne-
Rollenverständnis zurückverwiesen werden. ten „positiven Beschäftigungseffekte" als politische
In der ehemaligen BRD und heute in ganz Deutsch- Augenauswischerei, denn Ersatzkräfte für Erzie-
land werden in dieser Weise die Möglichkeiten von hungsurlauberinnen sind befristet beschäftigt. Neu-
Frauen zur eigenständigen ökonomischen Existenz- beschäftigte im Austausch für jene, die wegen Man-
sicherung gravierend beschnitten. Das in der Regel gels an Kinderbetreuungsplätzen nicht zurückkehren
der Mutter gezahlte Erziehungsgeld von 600 DM liegt können, als eine Entlastung des Arbeitsmarkts zu
weit unter ihrem bisherigen monatlichen Durch- preisen, halte ich für eine politische Verhöhnung der
schnittsnettoverdienst. Betroffenen, kurzweg für einen politischen Skandal.
Notwendig wäre es, korrekt zu analysieren, wie viele
Eben auch deshalb, weil Erziehungszeiten Karriere-
Nichtrückkehrerinnen mit welchem Motiv zu Hause
verläufe unterbrechen, werden gemäß dem über
bleiben.
2 000 Jahre alten patriarchalischen Funktionsmuster
Männern in der öffentlichen Meinung Eignung und Des weiteren sollten materielle Bedingungen für die
Fähigkeit für Erziehung und Betreuung abgespro- Gleichstellung auch in dieser Frage geschaffen wer-
chen, und Frauen werden dazu für prädestiniert er- den. Damit würde der Wiedereinstieg in den Beruf
klärt. Auf dieser Grundlage werden junge Frauen in kein frauentypisches Problem bleiben, sondern mit
einer leistungsfähigen Lebensphase von der Berufstä- männlicher und weiblicher Dimension einen höheren
tigkeit, von Qualifizierung und Aufstiegschancen aus- gesetzgeberischen Stellenwert erreichen.
geschlossen.
Zweitens wird deutlich, daß die im Bundeserzie- Viertens muß unbedingt gesehen werden, daß bei
hungsgeldgesetz eingeräumte Wahlfreiheit der El- der jetzigen Regelung mit 600 DM Erziehungsgeld
tern, wer von ihnen die Leistungen in Anspruch das Existenzminimum weder der Mutter noch des
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1245

Dr. Barbara Höll


Kindes gesichert ist, geschweige denn das von Allein- und Männern nach wie vor einen hohen Stellenwert
erziehenden mit mehreren Kindern. einnimmt. Darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen,
(Dr. Schockenhoff [CDU/CSU]: Haben Sie sollten wir uns eigentlich alle freuen.
vorhin nicht zugehört? — Rind [FDP]: Das ist Dieser Lebensplanung, also einer praktikablen Ver-
doch schon widerlegt! Haben Sie nicht zuge einbarkeit von Familie und Beruf, kommen Erzie-
hört!) hungsgeld und Erziehungsurlaub entgegen.
Um in unserem hochzivilisierten Land das Hinein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
geborenwerden in die Abhängigkeit von Sozialhilfe
zu beenden — schon heute leben 8 % aller Kinder von So haben seit Einführung im Jahre 1986 bis Mitte 1990
der Sozialhilfe —, besteht auch hier politischer Hand- über 2,7 Millionen Mütter und Väter Erziehungsgeld
lungsbedarf. erhalten und 1,2 Millionen Erziehungsurlaub in An-
spruch genommen.
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Sozialhilfe ist keine
Fürsorge, verehrte Dame!) Der Erziehungsurlaub ist familienfördernd gestal-
Einen Ansatz zur Lösung sieht die PDS/Linke Liste tet. Er kann aufgeteilt werden. Ehepartner können
in einer bundesweit wirksamen, in der Regel netto sich beim Erziehungsurlaub einmal abwechseln.
lohnorientierten Bemessung von Erziehungsgeld bei (Zuruf von der SPD: Das tun sie aber
gleichzeitiger Sicherung eines bedarfsdeckenden nicht!)
Mindestsatzes von 1 200 DM für all jene Leistungs-
Während des Erziehungsurlaubs gilt der gleiche Kün-
empfängerinnen und Leistungsempfänger, die über
digungsschutz wie für Mütter während der Schwan-
kein oder ein sehr geringes Einkommen aus bisher
gerschaft und der Mutterschutzfrist. Im übrigen kann
eigener Erwerbstätigkeit verfügen. Das setzt jedoch
während des Erziehungsurlaubs, wenn es die persön-
als Bemessungsgrundlage angeglichene Einkommen
liche Situation erlaubt, eine berufliche Tätigkeit bis zu
entsprechend vergleichbarer Tätigkeiten in allen
19 Wochenstunden ausgeübt werden.
Bundesländern voraus.
(Rind [FDP]: 1 700 DM hatte Herr Geißler (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
vorgerechnet!) Das erleichtert einerseits Müttern und Vätern den
Wir wenden uns dagegen, daß das derzeit im wie- späteren vollen beruflichen Wiedereinstieg, der uns
dervereinigten Deutschland politisch unhaltbare im Augenblick noch etwas Schwierigkeiten macht,
Zweiklassen-Entlohnungsprinzip auf diese Weise ge- und bringt andererseits natürlich auch den Arbeitge-
gen die Interessen von Neugeborenen ausschlägt. bern — das kann nicht nur negativ sein — den Vorteil,
Ich bin mir dessen bewußt, daß die Realisierung die- daß sie nicht völlig auf eine qualifizierte Arbeitskraft
ses Vorschlags Geld kostet. In Übereinstimmung mit verzichten müssen.
unseren Wählerinnen und Wählern vertreten wir die Die Rahmenbedingungen für das Erziehungsgeld
Ansicht, daß eine Regierung, die Kostenanstieg und und den Erziehungsurlaub sind in anderen Rechtsge-
Steuererhöhungen zur Mitfinanzierung des Golfkrie- bieten abgesichert. Wer Erziehungsgeld erhält, ist
ges nicht scheut, vielmehr verpflichtet wäre, diese beitragsfrei weiterversichert, wenn er vorher in der
Mittel für die Zukunft unserer Kinder zu investie- gesetzlichen Krankenversicherung war. Das Erzie-
ren. hungsgeld wird zusätzlich zu anderen Sozialleistun-
Ich danke Ihnen. gen wie Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe oder Wohngeld
gewährt. Herr Dr. Geißler hat soeben noch nähere
(Beifall bei der PDS/Linke Liste)
Ausführungen dazu gemacht.
Für Mütter und Väter wird ein Erziehungsjahr in der
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat die gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt, das sich
Abgeordnete Frau Eva-Maria Kors das Wort. bei der späteren Rente rentenbegründend und ren-
tensteigernd auswirkt.
Eva Maria Kors (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsi-
-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dentin! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Be-
merkung. Frau Kollegin Dr. Höll, Herr Dr. Geißler hat Meine Damen und Herren, der Anspruch auf Erzie-
doch die Zahlen, die Sie wiederholt haben, eindeutig hungsgeld ist außerdem von einer Erwerbstätigkeit
klargestellt. Durch eine nochmalige Wiederholung Ih- unabhängig, so daß eben auch gerade jene Frauen
rerseits werden sie nicht wahrer. und Männer Erziehungsgeld erhalten, die sich aus-
schließlich für die Erziehung der Kinder entschieden
Meine Damen und Herren, ein Kernstück der Fami- haben. Eine solche Entscheidung ist für uns genauso
lienpolitik der Bundesregierung sind das Erziehungs- wichtig und genauso positiv zu bewerten wie die Ent-
geld und der Erziehungsurlaub. Sie nehmen unter scheidung für Familie und Beruf.
den vielfältigen Familienförderungsmaßnahmen, die
diese Bundesregierung eingeführt hat, einen heraus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ragenden Platz ein. Die hohe Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs
Junge Frauen haben, wie wir alle wissen, heute den zeigt eindrucksvoll, daß es Wunsch und Wille vieler
berechtigten Wunsch, nach einer qualifizierten Aus- Mütter und einzelner Väter — es ist zuzugeben, daß
bildung dann auch ihre dort erworbenen Fähigkeiten die Väter hier noch einen enormen Aufholbedarf ha-
in eine berufliche Tätigkeit einbringen zu können. ben — ist, in der entscheidenden Entwicklungs- und -
Gleichzeitig zeigen Umfragen und Untersuchungen, Erziehungsphase im Leben eines Kindes dieses Kind
daß die Gründung einer Familile bei jungen Frauen selbst betreuen zu können. Bei der Entscheidung, ob
1246 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Eva-Maria Kors
nach dem Erziehungsurlaub wieder eine Erwerbstä- Sie, sehr verehrte Frau Ministerin, dürfen sicher
tigkeit aufgenommen wird oder nicht, ist dieser sein, daß wir — hier meine ich insbesondere die
Wunsch bei den Betroffenen ebenso ausschlaggebend Frauen in der CDU/CSU-Fraktion — Sie nachdrück-
und gewichtig, wie sich natürlich die fehlenden Kin- lich unterstützen werden, wenn es darum geht, fami-
derbetreuungsmöglichkeiten und der Mangel vor al- lienstärkende und familienfördernde Maßnahmen
len Dingen an qualifizierten Teilzeitarbeitsplätzen ab- durchzusetzen. Wir sagen ja zum Kind, ja zur Familie,
solut negativ auf die Entscheidung auswirken. Hier aber auch ja zur Vereinbarkeit von Familie und Be-
besteht in der Tat — ich denke, darüber sind wir uns ruf.
alle einig — Handlungsbedarf. Ich bedanke mich.
Die Verlängerung der Bezugsdauer des Erzie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
hungsgeldes um weitere 6 auf 24 Monate zum 1. Ja-
nuar 1993, verbunden mit Erziehungsurlaub und Be-
schäftigungsgarantie, ist deshalb ebenso nachdrück- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat die
lich zu begrüßen wie die Ausweitung des Erziehungs- Abgeordnete Frau Dr. Rose Götte das Wort.
urlaubs mit Beschäftigungsgarantie auf 3 Jahre zum
1. Januar 1992. Dr. Rose Götte (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Da-
(Beifall bei der CDU/CSU) men und Herren! Wir von der Opposition leugnen
doch überhaupt nicht, daß es mit dem Erziehungsgeld
Neben Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ist es eine feine Sache ist.
aber auch dringend erforderlich, einen Anspruch auf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
einen Kindergartenplatz gesetzlich zu verankern und
ein plurales bedarfsorientiertes Angebot an Kinder- Ich weiß, wie viele bei Ihnen nach der Wende dafür
betreuungseinrichtungen — dann auch für Kinder un- gekämpft haben und wie lange es gedauert hat, bis
ter 3 Jahren — zu schaffen. Sowohl bei der Auswei- Sie 1986 dieses Erziehungsgeld durchgesetzt haben.
tung des Erziehungsurlaubs als auch beim Rechtsan- Ich habe großes Verständnis dafür, daß die, die es
spruch auf einen Kindergartenplatz ist vor allen Din- durchgesetzt haben, stolz darauf sind. Darauf können
gen die Mitwirkung der Länder gefordert. Ich richte sie ja auch stolz sein.
deshalb — genau wie Sie, verehrte Frau Ministerin — (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: So ist es! Sehr
von dieser Stelle aus einen besonders eindringlichen gut!)
Appell an die SPD-geführten Bundesländer, endlich Nur, wenn Sie die Sache so hinstellen, als hätte es
ihren Beitrag zu leisten und die Blockade gegen ein Familienpolitik vorher nicht gegeben, dann ist das an
Landeserziehungsgeld zu beenden, damit auch in die- der Wahrheit natürlich haarscharf vorbeigedacht;
sen Ländern jungen Familien die Entscheidung für die denn es gab vorher immerhin ein Mutterschaftsur-
Erziehung und die Betreuung ihrer Kinder in den er- laubsgeld.
sten 3 Jahren erleichtert wird.
(Dr. Schockenhoff [CDU/CSU]: Nur für Ar
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) beitende!)
— Nur für Arbeitende, ja. Das ist der Unterschied
Lieber Herr Kollege Dr. Böhme, vielleicht können
gewesen.
Sie ja Ihrem Ministerpräsidenten Ihre Rede zuschik-
ken; das wäre sehr schön. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Ein feiner Unter
schied!)
(Dr. Böhme [Unna] [SPD]: Die Finanzpolitik
Aber es gab dieses Mutterschaftsurlaubsgeld, das
wird in Bonn gemacht!)
1981 immerhin eine Milliarde DM betragen hat. Die-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Erzie- ses Mutterschaftsurlaubsgeld, das heute übrigens,
hungsurlaub und Erziehungsgeld machen es möglich, Herr Romer, nicht weiter fortbesteht, wie Sie vorhin
daß sich entweder die Mutter oder der Vater in der gemeint haben, ist ersatzlos gestrichen worden.
ersten Zeit vordringlich um das Kind kümmern, es (Dr. Schockenhoff [CDU/CSU]: Erziehungs
betreuen und erziehen. Das Erziehungsgeld ist des- geld gibt es doch dafür!)
halb auch eine Anerkennung der Erziehungsarbeit
— Zunächst haben Sie dieses Mutterschaftsurlaubs-
der Mütter und Väter, obwohl natürlich jedem von uns
geld von 1 Milliarde DM bis auf 0,3 Milliarden DM
klar sein muß, daß diese Erziehungsleistung der El-
gekürzt. Die Frauen, die das Pech hatten, ihr Baby
tern letztlich — ich betone ausdrücklich: letztlich —
1984 oder 1985 zu bekommen, standen dann im Re-
nicht mit Geld aufgewogen werden kann.
gen; denn sie haben gar nichts bekommen. Das Erzie-
Beide Maßnahmen — Erziehungsgeld und Erzie- hungsgeld gab es noch nicht. Das Mutterschaftsur-
hungsurlaub — helfen gezielt unseren Familien, be- laubsgeld haben Sie zusammengestrichen, und die
handeln Mütter und Väter als gleichberechtigt und Mütter standen im Regen.
sind von daher auch ein Meilenstein in der weiteren Das war der Grund, warum es Klagen beim Bundes-
Verwirklichung von mehr Partnerschaft in der Fami- verfassungsgericht gab, weil die Menschen nicht da-
lie. Die Ausgaben des Bundes für diese Leistungen mit einverstanden waren, daß die Familien plötzlich
von 1,7 Milliarden DM im Jahre 1986 bis über 5 Milli- so in den Regen gestellt wurden. Denn es war nicht
arden DM des laufenden Jahres stellen somit eine nur die Tatsache, daß das Mutterschaftsurlaubsgeld
Investition in unser aller Zukunft dar, und, meine Da- wegfiel. Es fiel ja auch das Schüler-BAföG weg, was -
men und Herren, sie sollten von daher von uns allen den größten Batzen ausgemacht hat. Das waren mehr
getragen werden. als 3 Milliarden DM.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1247

Dr. Rose Götte


Damit wir mit der Legendenbildung aufhören und — Aber Herr Hitschler hat doch gerade erst betont,
anfangen, uns auf Grund der Zahlen, die das Ministe- das wäre eine Freude. Dann verstehe ich nicht, warum
rium nie bestritten hat, wirklich einmal sachlich aus- nur 1,4 % der Männer an dieser Freude teilhaben wol-
einanderzusetzen, möchte ich daran erinnern, daß len.
zum Zeitpunkt der Wende 1981 Wie viele Kongresse zum Thema der partnerschaft-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das war eine lichen Ehe, wie viele Foren und Tagungen zum
schöne Zeit! — Gegenruf der Abg. Häm Thema Väter und Kinder und wie viele Selbsterfah-
merle [SPD]: Das war ein furchtbares Datum rungstreffen von Männern haben inzwischen stattge-
für euch! Da mußtet ihr plötzlich alles ma funden, wie viele Bücher über die Emanzipation von
chen, was ihr versprochen hattet!) Mann und Frau sind dazu geschrieben worden! Und
das Ergebnis: 98,6 % der Väter halten am alten Rol-
die Ausgaben für die Familie insgesamt — also die lenverständnis fest. Ich nehme an, alle Väter — mit
Steuerfreibeträge, das Kindergeld, der Kinderfreibe- der einen Ausnahme — , die hier sitzen, gehören zu
trag, das Mutterschaftsurlaubsgeld, Stiftung „Mutter diesen 98,6 %.
und Kind" und alles, was an familienpolitischen Aus-
gaben überhaupt denkbar ist — 29,11 Milliarden DM (Dr. Hitschler [FDP]: Das muß doch nichts
betragen haben. Nach der Wende gab es zunächst ein Schlechtes sein!)
tiefes Loch in den Ausgaben für die Familie. Klar, die 600-DM-Grenze spielt sicher eine wesent-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Da mußten wir liche Rolle dabei. Nur eine Minderheit der Mütter ver-
eure Schulden bezahlen! — Gegenruf der fügt über ein existenzsicherndes Einkommen. Würde
Abg. Hämmerle [SPD]: Jetzt kommen mir aber der Erziehungsurlaub mit 90 % des Einkommens
aber gleich die Tränen!) von Mutter oder Vater fianziert — wie in Schweden,
was natürlich wünschenswert wäre —, würde die Be-
Erst im Jahre 1987 war die alte Ausgabenhöhe wieder teiligung der Väter zwar steigen — so zeigt das Bei-
erreicht. Was man da als Grund angeben kann, dar- spiel Schweden — , aber von der 50-%-Marke blieben
über können wir uns ja streiten. Nur sollten Sie mit der die Väter auch dann noch himmelweit entfernt. Es
Legende aufhören, daß die Familienpolitik erst mit der muß also noch andere Gründe geben, und denen soll-
CDU angefangen hat. ten wir nachgehen.
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist keine Le Ein Grund ist sicher, daß die Inanspruchnahme des
gende! Das ist die Wahrheit!) Erziehungsurlaubs nicht nur die Versorgung des Kin-
Das war ein sehr, sehr schwerer Anlauf. Alle die, die des, sondern in der Regel auch die Übernahme des
bei der CDU/CSU damals familienpolitisch tätig wa- Haushalts einschließt. Herr Hitschler, nach einer Um-
ren, wissen davon ein Lied zu singen, wie schwer es frage der Zeitschrift „Brigitte" sind nur 18 % der Män-
sie getroffen hat, daß bei der Familie so rigoros gespart ner überhaupt bereit, die Arbeiten im Haushalt mit zu
wurde. übernehmen.

Um so mehr freuen wir uns, daß es dieses Erzie- (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: 18 %?)
hungsgeld jetzt gibt. Auch die Tatsache, daß Sie bereit — 18%!
sind, den Kündigungsschutz hinsichtlich des Erzie-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist ja unglaub
hungsurlaubs auszudehnen, freut mich natürlich.
lich!)
Denn es ist erst wenige Monate her, daß wir von der
SPD und auch ich hier gestanden und für eine Aus- Die anderen sträuben sich zwar nicht, einmal einkau-
dehnung des Erziehungsurlaubs heftig gekämpft ha- fen zu gehen oder den Staubsauger zu benutzen, aber
ben, weil wir meinten, der Kündigungsschutz muß den Umgang mit nassen Lappen — das ist interes-
drei Jahre umfassen. sant — und die Hauptverantwortung in der Haus- und
Familienarbeit überlassen sie dann doch lieber ihrer
(Dr. Schockenhoff [CDU/CSU]: Haben Sie Frau.
auch gekämpft, als Sie an der Regierung wa
ren?) (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Die sind doch
nicht alle wasserscheu?)
Damals waren Sie noch nicht soweit und haben das
abgelehnt. Heute wollen Sie das machen, und darüber — Doch, offensichtlich; so besagt es die „Brigitte"-
freuen wir uns. Umfrage. Wann haben Sie zuletzt naß geputzt, Herr
Kollege?
Ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, der in
der Debatte bisher nur am Rande eine Rolle gespielt (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
hat, und zwar auf die Frage der Beteiligung von Vä- Angenommen, ein Mann würde die Familienarbeit
tern an diesem Erziehungsurlaub. Uns alle, die wir so der Erwerbstätigkeit vorziehen — solche Männer gibt
gern vom Wandel der Familie, von der partnerschaft- es ja — , so bleibt immer noch das Problem, daß seine
lichen Ehe und vom neuen Mann reden, muß es wie Karriere unter der Unterbrechung leiden könnte, daß
einen Schlag ins Gesicht treffen, wenn wir in diesem seine angebliche Unentbehrlichkeit im Betrieb hinter-
Bericht lesen: 1,4 % der Väter nehmen den Erzie- fragt werden könnte und daß die Kollegen über den
hungsurlaub in Anspruch, und auch das nur teil- Hausmann die Nase rümpfen könnten.
weise.
Sicher, es gibt ein paar Künstler, Schriftsteller oder
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Besser als gar Alleinerziehende, die — so sagt Mann — von einer -
nichts! Wollen Sie das denn zwangsweise verantwortungslosen Ehefrau sitzengelassen wurden
einführen?) und nun eine gewisse wohlwollende Betrachtung und
1248 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Dr. Rose Götte


Beachtung als mutiger Vorkämpfer für neue Väterrol- freie Entscheidung der Eltern dabei zu sehr einge-
len finden. schränkt würde.
Der Arbeiter bei Opel aber, der Bankbeamte, ja (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
sogar der Lehrer, der seinen Erziehungsurlaub nimmt, der FDP)
ist immer noch Gegenstand verächtlicher Witze im Besser wäre es, zu versuchen, ob wir nicht eine Art
Kollegium und im Betrieb. Das wollen die Frauen nun Belohnungssystem einführen könnten: Ein geteilter
auch nicht: einen Mann, über den andere lachen. Also Erziehungsurlaub würde gleichzeitig einen längeren
nehmen sie selber den Erziehungsurlaub, wie es zum Erziehungsurlaub bedeuten. Man hätte also einen be-
traditionellen Rollenverhalten der Frau paßt. sonderen Vorteil, wenn man sich den Erziehungsur-
laub aufteilt.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Abgeordnete Warum halte ich dies für so wichtig? Ich meine, daß
Götte, gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeord- den Vätern unheimlich viel entgeht, wenn sie gerade
neten Hitschler? in den ersten Lebensjahren ihres Kindes nicht vollver-
antwortlich für das Baby da sind. Ich behaupte — es
gibt genügend Untersuchungen auch in der Wissen-
Dr. Rose Götte (SPD): Ja, ich gestatte es. schaft, die es zu bestätigen scheinen — , daß sich eine
andere Grundeinstellung zwischen Vater und Kind
ergibt, wenn er mit ihm schon als Baby Umgang hatte
Dr. Walter Hitschler (FDP): Frau Kollegin Götte, und nicht nur eine Onkelrolle spielte, wie es in vielen
denken Sie etwa auch daran, in diesem Zusammen- Familien der Fall ist.
hang eine Quote einzuführen?
Was bleibt uns also? Nur Ratlosigkeit und Resigna-
tion, nachdem ich erklärt habe, weshalb die staatli-
Dr. Rose Götte (SPD) : Nein; aber so etwas wird öfter chen Regelungen wohl nicht der richtige Weg sind?
gefordert. Zum Beispiel wurde das in Schweden ernst- Ich meine, nicht. Was bleibt, ist geduldig zähes Wer-
haft diskutiert — ich komme darauf gleich noch zu ben um ein verändertes weil partnerschaftliches Mit-
sprechen —; ich glaube aber nicht, daß das der rich- einander. Die Frauen haben durch ihre Teilnahme an
tige Weg wäre. Bildung und Ausbildung ihren Platz im Erwerbsleben
erobert, ohne dabei ihre Rolle als Hausfrau und Mut-
(Dr. Hitschler [FDP]: Vielen Dank! — Frau
ter aufzugeben. Jetzt wäre es an den Männern, ihren
Hämmerle [SPD]: Fragen Sie doch etwas In
Lebensraum als Väter und Hausmänner zu erobern,
telligenteres, wenn Sie schon fragen müs
ohne das Erwerbsleben aufzugeben.
sen!)
Wir sollten im Ausschuß überlegen, ob die Politik
Kann Politik, können wir etwas daran ändern? Daß
nicht auch dazu einen Beitrag leisten kann — sei es
wir etwas ändern wollen — Herr Kollege, Sie haben
durch neue Forschungsaufträge, die die Hindernisse,
vorhin gefragt, ob das denn so schlimm sei — , darüber
die Männer von der Inanspruchnahme des Erzie-
besteht doch wohl Einigkeit. Mindestens alle Frauen
hungsurlaubes abhalten, beleuchten, sei es durch die
aller Fraktionen sind sich darüber einig, daß in diesem
Verbreitung von Positivbeispielen, die eine öffentli-
Bereich etwas geändert werden muß. — Oder? — Sie
che Diskussion in Gang setzen könnten.
könnten jetzt einmal klatschen, auch wenn Sie von
der CDU sind. Ich kündige jedenfalls für die SPD-Fraktion an, daß
wir die Rolle der Väter in der Familie zu einem beson-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ deren Thema im familienpolitischen Ausschuß ma-
CSU und der FDP) chen werden.
Welche Möglichkeiten in der Politik gibt es also, (Beifall bei der SPD)
hier etwas zu ändern? Wir könnten die partnerschaft-
liche Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit
steuerlich fördern, wie es die Schweden tun. Dort wer- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als letzte hat die
den die Familien steuerlich dann am meisten begün- Abgeordnete Frau Dr. Maria Böhmer das Wort.
stigt, wenn Mann und Frau je teilzeitbeschäftigt sind.
Es lohnt sich also, wenn Vater und Mutter eine Teil-
zeitarbeit annehmen. Bei uns ist es genau umgekehrt: Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Es wird derjenige steuerlich am meisten entlastet, der Meine Damen und Herren! Ich habe mich sehr ge-
einen Beruf voll ausübt, während der Partner — in der freut, daß Frau Dr. Götte gesagt hat, Erziehungsgeld
Regel eben die Frau — nicht erwerbstätig ist. und Erziehungsurlaub seien eine feine Sache; denn
Die jetzige Bundesregierung will aber an diesem da zeigt sich, daß das, was CDU und CSU eingeleitet
Steuersystem nichts ändern. Sie will noch nicht einmal haben und was in der Tat eine Idee war, die aus Rhein-
den übertrieben hohen Ehegattensplittingvorteil zu- land-Pfalz stammt — Frau Dr. Götte, Sie wissen das —,
gunsten eines höheren Kindergeldes beschneiden. über weite Kreise hinaus Achtung erfährt. Wir können
Wir von der SPD haben dies oft genug kritisiert. sagen: Dies findet mehr als Resonanz; der Bericht hat
das in eindrucksvoller Weise belegt.
Eine zweite Möglichkeit wäre — das hat Herr Hit-
schler vorhin angesprochen — : Man könnte den Er- (Beifall bei der CDU/CSU)
ziehungsurlaub so regeln, daß die eine Hälfte nur von Ich nehme an, daß Heiner Geißler diesen Bericht mit
der Frau, die andere Hälfte nur vom Mann in An- besonderer Freude gelesen hat; denn die Idee von -
spruch genommen werden kann. Auch das wird ernst- Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub hat im we-
haft diskutiert. Ich lehne dies allerdings ab, weil die sentlichen er vorangetrieben. Wir haben sie als Kern-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1249

Dr. Maria Böhmer


element auf dem Essener Parteitag der CDU, dem ben wir bereits in dem Maße. Aber hier müssen wir
Frauenparteitag, verankert. Wir haben sie dann 1986 darauf dringen, daß sich vieles noch ändert.
in Gesetzesform gegossen. Das sind die zentralen Ein dritter Punkt, der mir, und zwar gerade aus
Schritte, in denen sich die CDU von der SPD unter- frauenpolitischer Sicht, wesentlich ist: Wir haben bei
scheidet. dieser gesetzlichen Regelung die Beschäftigungsga-
(Dr. Götte [SPD]: Jetzt fangen Sie wieder da rantie durchgesetzt. Sie war damals hart umkämpft.
mit an! — Gegenruf des Abg. Dr. Rüttgers Ich erinnere mich noch sehr gut an so manches, was an
[CDU/CSU]: Wir reden nicht nur, wir han Argumenten dagegen über den Tisch gegangen ist.
deln! — Gegenruf der Abg. Dr. Götte [SPD]: Ich weiß, wir haben gemeinsam dafür gekämpft. Das
Mit Ihnen kann man gar nicht reden!) war ein Punkt, von dem wir heute sagen können: Er ist
in der Tat eingelöst worden; die Beschäftigungsga-
— Frau Götte, ich setze das Gespräch über die Legen- rantie greift.
denbildung, die Sie eingebracht haben, an einer an-
Wir brauchen aber nicht mehr zu fürchten, und zwar
deren Stelle fort. Mir kommt es sehr wohl auf einen
Unterschied an: Sie sagten, Familienpolitik hätte es auch für die Zukunft nicht, daß die Frauen vor der
auch schon vor der CDU gegeben. Natürlich haben Alternative: Kind oder Arbeitsplatz stehen. Denn die
Sie in der Familienpolitik Ansätze. Aber 2 Millionen meisten Frauen können auf den angestammten Ar-
Mütter, 2 Millionen Frauen, die in der Familie tätig beitsplatz zurückkehren. Das ist mehr als Beschäfti-
sind, hätten keine Leistungen bekommen, wenn wir gungsgarantie. Das ist im Grunde genommen Arbeits-
nicht Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld einge- platzgarantie.
führt hätten. (Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Das ist in 80 % der Fälle gegeben. Weitere 14 %, so
SPD: Nach der Kürzung! — Fuhrmann [SPD]: kann man sagen, bekommen einen gleichwertigen
Erst in den Keller und dann die Treppe lang Arbeitsplatz angeboten. Ich muß sagen, für diese ge-
sam rauf!) zeigte Bereitschaft bin ich den Unternehmen zu herz-
lichem Dank verpflichtet.
Denn mit dem, was Sie an Mutterschaftsgeld gezahlt
haben, haben Sie sich an die Frauen gewandt, die in Ich will einen weiteren Punkt in den Blick rücken,
der Fabrik waren, an die Frauen, die im Büro tätig bei dem wir Unterschiede zwischen SPD und CDU
waren. Sie haben die selbständigen Frauen und die haben, und zwar — Frau Kors hat es schon angespro-
Winzerinnen vergessen, und Sie haben die Familien- chen — auf der Länderebene. Die CDU-regierten
frauen schlichtweg unter den Tisch fallenlassen. Länder sorgen dafür, daß wir durch ein Landeserzie-
hungsgeld —etwa in Baden-Württemberg oder in
(Beifall bei der CDU/CSU) Berlin — die Fortsetzung haben und daß wir in Rhein-
land-Pfalz und in Bayern Familiengeld haben.
Wir haben einen anderen Punkt, wo dieses Gesetz
in einem unserer ganz zentralen Anliegen rechtliche Ich will in Mark und Pfennig nennen, was das für
Grundlagen geschaffen hat, nämlich in der Frage der das Beispiel Rheinland Pfalz bedeutet: Wir haben
-

Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Ich gebe zu: zwischen 1986 und 1991 einen Mittelbedarf von
Da ist die gesetzliche Regelung weiter als die gesell- 10 Millionen DM gehabt, der auf 19,8 Millionen DM
schaftliche Realität. Wir haben hier noch einen deut- gestiegen ist. Wir werden in den kommenden Jahren
lichen Nachholbedarf. Sie haben Gründe genannt, in Rheinland-Pfalz bei 27 Millionen DM für die Lei-
denen ich zum Teil zustimmen kann. stungen des Familiengeldes liegen. Das ist eine be-
achtliche Sache.
Ich kann Ihnen aber nicht in der Hoffnung beipflich-
ten, allein über materielle Anreize — siehe Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Schweden — , die wir geben könnten, zu einer part- Aber ich kann nur in die Frage einstimmen: Wo
nerschaftlichen Aufgabenteilung zu kommen. Ich bleiben entsprechende Regelungen in den SPD-re-
sehe nur die Möglichkeit, daß wir hier zu einem strik- gierten Ländern? Denn das ist doch keine Sache der
ten Umdenken in vielen Bereichen kommen müssen. Finanzen des Bundes, wie Sie, Herr Dr. Böhme, vorhin
Dabei spielen auch die Einkommensunterschiede eingeworfen haben. Das ist offensichtlich eine Frage
zwischen Männern und Frauen eine Rolle. 30 % — das der Regelung der Finanzen der Länder.
stimmt in der Tat — beträgt der Einkommensunter-
schied auch bei gleicher Qualifikation von Männern Ich bin sehr erstaunt, daß bisher kein SPD-regiertes
und Frauen. Land in dieser Sache gehandelt hat.

Ich habe sehr bedauert, daß typische klassische (Dr. Götte [SPD]: Erklären Sie einmal, was
Frauenberufe — die Erzieherin, die Krankenschwe- Rheinland-Pfalz macht, weil Sie darauf so
stern — in der Vergangenheit so sträflich von den stolz sind!)
Tarifpartnern vernachlässigt wurden und daß sich die — Liebe Frau Götte, wenn Sie eben zugehört hätten,
Gewerkschaften dieser Bereiche so wenig angenom- hätten Sie die Angaben bekommen. Sie können das
men haben. aber sicherlich nachlesen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir setzen den begonnenen Weg fort. Das tun wir
Da sind zum Glück Verbesserungen eingetreten. zu Recht. Wir gehen auf einen Erziehungsurlaub im
Diese Verbesserungen müssen sich fortsetzen; denn Umfang von drei Jahren zu. Wir werden dazu das -
dann haben wir in der Tat Grundlagen für partner- Erziehungsgeld auf zwei Jahre verlängern. Damit ha-
schaftliches Handeln. Den gesetzlichen Rahmen ha ben wir das getan, was dem Wunsch der meisten
1250 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Dr. Maria Böhmer


Frauen entspricht — leider nicht dem Wunsch der Ich möchte noch ein Wort zu der anderen Frage
meisten Väter —, nämlich die Voraussetzung dafür sagen, die in dem Bericht als kritisch herausgestellt
geschaffen, daß man sich innerhalb der ersten Jahre worden ist: Wie regelt sich die Kinderbetreuungs-
mehr der Familie und mehr der Kindererziehung wid- möglichkeit ab dem dritten Lebensjahr des Kindes?
men kann. Wir alle sind der Meinung, wir brauchen einen
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz.
Dafür ist eines typisch: Bei uns geistert immer die
(Dr. Böhme [Unna] [SPD]: Warum haben Sie
Vorstellung des Dreiphasenmodells durch die Welt.
es nicht gesetzlich gemacht?)
Das Dreiphasenmodell in der althergebrachten Form
ist nicht mehr gültig. Frühere lange Unterbrechungs- So ist es in den Koalitionsvereinbarungen festge-
zeiten bis zu 15 Jahre praktizieren junge Frauen heute schrieben. — In Rheinland-Pfalz haben wir das gerade
nicht mehr. Die Verkürzung liegt bei etwa drei bis fünf getan. Aber in Nordrhein-Westfalen ist der Sozialmi-
Jahren. Somit liegen wir mit unserem Ansatz, Erzie- nister Hermann Heinemann an die Öffentlichkeit ge-
hungsurlaub für drei Jahre zu ermöglichen, genau treten und hat ganz klar erklärt, daß es in Nordrhein-
richtig. Westfalen einen solchen Rechtsanspruch nicht geben
wird. Das nenne ich Doppelzüngigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist mir so ein
Heinemann! — Dr. Götte [SPD]: Dazu muß
Ich möchte gern noch einen anderen Punkt anspre- ich etwas sagen!)
chen, nämlich die Sache nicht allein aus der Sicht der
Familie zu betrachten, sondern auch die Reaktionen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Böhmer, ge-
von Unternehmern auf unsere Initiative hineinbrin- statten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
gen. Hier gab es eine deutliche Bestätigung. Bei der Götte?
Einführung und der Diskussion über Erziehungsur-
laub und Erziehungsgeld gab es so manchen Unken- Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Ja, bitte.
ruf von betrieblicher Seite, daß die Arbeitsmarktchan-
cen der Frauen sinken und daß die Wirtschaft diese Dr. Rose Götte (SPD): Frau Dr. Böhmer, Sie kennen
Regelung nicht verkraften würde. Der Bericht wider- die Problematik, die mit diesem Rechtsanspruch ver-
legt das deutlich. Frauen haben sehr wohl Arbeits- bunden ist, ganz genau. Natürlich wäre nichts einfa-
marktchancen, und die Wirtschaft hat es verkraftet. Es cher für Nordrhein-Westfalen, als es so zu machen wie
geht noch einen Schritt weiter. Unternehmen folgen Rheinland-Pfalz: einen Rechtsanspruch ins Gesetz zu
diesem Beispiel. Sie setzen sogar noch einen Baustein schreiben und sich dann nicht um die Finanzierung zu
darauf. Ich darf an das Modell „Eltern und Kind" der kümmern.
BASF erinnern, wo es die Möglichkeit der Beurlau-
bung bis zu sechs Jahren gibt, mit Rückkehrmöglich- (Zuruf von der CDU/CSU: Frage! — Dr. Rütt
keit, mit Qualifizierungsmöglichkeit, und zwar für gers [CDU/CSU]: Die sind doch pleite!)
Mütter und Väter. Viele andere Unternehmen sind Können Sie uns vielleicht mal berichten, wie der Pro-
diesem Beispiel gefolgt. Hier liegen wir also richtig. test der Kommunen aussieht, die sich gegen einen
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der
Es kommt noch ein Weiteres hinzu. Die Wirtschaft ohne finanzielle Hilfe diktiert wird, zur Wehr set-
hat inzwischen klar erkannt, daß man heute nicht zen?
allein durch entsprechende gehaltsmäßige Anreize (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Die Kommunen in
qualifizierte Arbeitskräfte gewinnt. Darüber hinaus NRW wollen das!)
muß es zu Regelungen kommen, die es gerade quali-
fizierten Frauen ermöglichen, Kontakt zum Beruf zu Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Frau Götte, die
halten, ihren Arbeitsplatz zu sichern und nachher wie- Frage ist ja nicht das erste mal gestellt worden. Damit
der einzusteigen. zieht die SPD ja derzeit durch den Wahlkampf in
Rheinland-Pfalz. Aber Sie verschweigen stets, daß wir
Der Bericht hat allerdings einen wunden Punkt ge-
im Landeshaushalt 40 Millionen DM für den Kinder-
zeigt: Was einem Großunternehmen möglich ist, ist gartenbereich haben
für Klein- und Mittelbetriebe durchaus noch mit
Schwierigkeiten behaftet. Hier sehe ich erhöhten (Dr. Götte [SPD]: Bisher!)
Handlungsbedarf. Von unserer Seite her müssen wir und daß wir uns in einem hohen Maße, mit 30 %, an
das Augenmerk darauf richten, wie wir die Situation den Personalkosten beteiligen. Sie übersehen auch
mittlerer und kleiner Betriebe verbessern können, mit geflissentlich, daß es einen Investitionsstock von
Blick darauf, maßgeschneiderte Frauenförderkon- 110 Millionen DM gibt, durch den auch Kosten für den
zepte zu unterstützen. Sie, Frau Präsidentin, haben in Bau zusätzlicher Räume in Kindergärten gedeckt wer-
Ihrer Eigenschaft als Frauenministerin Anregungen den können. Wenn das nicht Finanzierung von seiten
für betriebliche Frauenförderungsmaßnahmen gege- des Landes ist, dann weiß ich nicht, was Sie mei-
ben. Ich denke, daß etliche Unternehmen das auch nen.
aufgegriffen haben. Diesen Weg sollten wir fortsetzen (Beifall bei der CDU/CSU)
und ganz klar sagen: Gemeinsam mit den Betrieben
müssen solche Lösungsmöglichkeiten entwickelt wer- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Dr. Böhme, ge-
den. Dann, schätze ich, werden wir in der Tat eine statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeord-
bessere Ausgangsposition für Männer und Frauen ha- neten Schwarz? -
hen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Ja, bitte.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1251

Stefan Schwarz (CDU/CSU): Frau Kollegin Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Noch ein Glück-
Dr. Böhmer, sind Ihnen wie mir Beispiele gerade in wunsch! Wir hatten ja zwei Jungfernreden, von Frau
dem Bundesland, aus dem wir kommen, Rheinland Kors und Frau Böhmer.
Pfalz, bekannt, daß eine Reihe von Initiativen der Lan- Frau Dr. Götte hat ihre Redezeit vorhin nicht ausge-
desregierung zum Ausbau der familienbegleitenden schöpft. Sie hat noch fünf Minuten und bittet, diese
Maßnahmen gerade für Kinder, Haus des Kindes, be- jetzt wahrnehmen zu können.
treuende Grundschule, auch Kindergarteneinrichtun-
gen und -erweiterungen, gerade lokal von sozialde- (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Uns bleibt aber
mokratischen Ratsfraktionen und -mehrheiten blok- auch nichts erspart! — Weiterer Zuruf von
kiert werden? der CDU/CSU: Ist ihr wieder etwas eingefal
len?)
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Dr. Rose Götte (SPD): Manchmal ist es eben nötig,


Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, noch ein-
Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Was mir aufällt, ist, mal auf das einzugehen, was gerade gesagt wurde. Da
daß wir gerade die finanzstärkeren Kommunen, die wir im Landtagswahlkampf sind, ist die Legendenbil-
SPD-regiert sind, in diesem Bereich finden. Sie sträu- dung um das sagenhafte Land Rheinland-Pfalz eben
ben sich vehement — da kann ich Ihnen nur zustim- besonders wild ausgebrochen.
men — , beispielsweise der „Initiative betreuende Wir haben eine Menge von Dingen, mit denen sich
Grundschule" entsprechende Unterstützung zu ge- ganz gut Reklame machen läßt, hinter denen aber,
ben. Wir haben immer wieder gehört, wie wichtig die wenn man näher hinguckt, eben nichts steckt;
Fortsetzung über den Kindergartenbereich hinaus ist, (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Sie sprechen von
wie wichtig es ist, Unterstützung im Grundschulalter Ihrem Wahlprogramm?)
zu geben. Ich habe mehrfach erlebt, daß im kommu-
nalen Bereich derartige Anträge, die von CDU-Frak- denn diese Art von Kindergartenplatzgarantie, die
tionen gestellt wurden, durch SPD-Mehrheiten abge- wir haben, könnte man natürlich mit einem Feder-
lehnt wurden. Da kann ich nur sagen: Bei dem, der es strich überall einführen, denn eine Garantie, die nicht
ernst meint mit der Familie, dürfen solche Entschei- mit entsprechenden finanziellen Maßnahmen beglei-
dungen nicht vorkommen. tet ist, ist nichts wert.
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Jetzt sprechen Sie
(Beifall bei der CDU/CSU)
von Nordrhein-Westfalen?)
Wir haben die rechtlichen Grundlagen. Wir wollen Denn die Mittel, die Frau Dr. Böhmer vorhin genannt
sie weiter ausbauen. Wir wollen vor allen Dingen, daß hat, werden schon für die laufenden Ausgaben drin-
dieses Gesetz noch weitere Resonanz findet. gend gebraucht. Da ist also kein Pfennig übrig, um
Ich schließe mich auch all denjenigen an, die gesagt damit noch zusätzliche Ausgaben zu bestreiten. Das
haben, wir müssen mehr die Väter in diesem Bereich werden wir dann auch erleben.
gewinnen. Dazu ist es wichtig, daß wir allgemein zu
einem Umdenken kommen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Dr. Götte, ge-
Ich möchte mir zum Abschluß noch eine Bemerkung statten Sie eine Zwischenfrage?
gestatten, was die Verankerung der heutigen Debatte
über den Bericht in der Tagesordnung anbetrifft. Ich
kann nicht umhin, zu sagen: Es ist schade, daß wir Dr. Rose Götte (SPD): Nein, danke.
gerade einen Bericht von dieser Bedeutung am Schluß Auch was die betreuende Grundschule betrifft, mit
des Plenums diskutieren. Ich hätte mir gewünscht, der im Moment soviel Reklame gemacht wird, ist ei-
daß viele Kollegen und Kolleginnen daran teilneh- nige Aufklärung nötig. Das Land hat richtig erkannt,
men daß es nötig wäre, daß die Kinder den ganzen Vormit-
(Hämmerle [SPD]: Das werden Sie noch oft tag über in der Grundschule betreut werden können.
erleben!) Insoweit stimmen wir überein. Aber die Lösung, die
nun angeboten wurde, ist der Versuch, einen Hand-
— vielleicht können wir mal gemeinsam zu Änderun- lungsbedarf anzuerkennen, ohne handeln zu müs-
gen kommen, wie wäre es damit? — sen.
(Hämmerle [SPD]: Die Geschäftsführer Ihrer Es sieht nämlich so aus, daß der Grundschulunter-
Fraktion machen so etwas!) richt nach wie vor eben nur einige Stunden am Vor-
und daß wir Familienpolitik und Frauenpolitik auch mittag dauert und daß Mütter aufgefordert werden,
hier mit einem Stellenwert behandeln, der ihnen ge- davor und danach für 10 DM in der Stunde bis zu
mäß ist. 20 Kinder in der Schule zu betreuen. Das ist das Mo-
dell „betreuende Grundschule". Daß wir von den So-
Ich danke Ihnen. zialdemokraten das nicht gut finden, sondern ein an-
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der deres und besseres Modell fordern, bei dem die Kin-
Abg. Hämmerle [SPD] — Hämmerle [SPD]: der den ganzen Vormittag über von Fachpädagogen
Dann müssen Sie mit dem Herrn Bohl reden! betreut werden, versteht sich von selber.
— Abg. Schwarz [CDU/CSU] überreicht (Beifall bei der SPD — Dr. Rüttgers [CDU/ -
Abg. Dr. Böhmer [CDU/CSU] einen Blumen CSU]: Verzogen werden! Das war nun wirk
strauß) lich das letzte!)
1252 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und (Hämmerle [SPD]: Ebenfalls, Frau Präsiden
Herren, ich schließe die Aussprache. tin!)
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf — Danke. — Gleichzeitig gebe ich bekannt: Die
Drucksache 11/8517 an die in der Tagesordnung aufge- nächste Sitzung des Deutschen Bundestages wird
führten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? auf Mittwoch, den 17. April 1991, 13 Uhr ein-
— Dann ist die Überweisung so beschlossen. berufen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Die Sitzung ist geschlossen.
Ich wünsche den hier noch anwesenden Kolleginnen
und Kollegen eine gute Osterpause. (Schluß der Sitzung: 13.32 Uhr)

-
Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991 1253*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis


Abgeordnete(r)
Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich
Dr. Mildner, Klaus CDU/CSU 22. 03. 91
entschuldigt bis Gerhard
Abgeordnete(r)
einschließlich Dr. Müller, Günther CDU/CSU 22. 03. 91
Berger, Johann Anton SPD 22. 03. 91 Müller (Düsseldorf), SPD 22. 03. 91
Beucher, Friedhelm Michael
SPD 22. 03. 91
Julius Müntefering, Franz SPD 22. 03. 91
Braband, Jutta PDS 22. 03. 91 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 22. 03. 91
Büchler (Hof), Hans SPD 22. 03. 91 Niggemeier, Horst SPD 22. 03. 91
Conradi, Peter SPD 22. 03. 91 Paintner, Johann FDP 22. 03. 91
Cronenberg (Arnsberg), FDP 22. 03. 91 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 22. 03. 91
Dieter-Julius Dr. Pinger, Winfried CDU/CSU 22. 03. 91
Dr. Diederich (Berlin), SPD 22. 03. 91 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 22. 03. 91
Nils Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 22. 03. 91
Eimer (Fürth), Norbert FDP 22. 03. 91 Susanne
Formanski, Norbert SPD 22. 03. 91 Rappe (Hildesheim), SPD 22. 03. 91
Francke (Hamburg), CDU/CSU 22. 03. 91 Hermann
Klaus Rauen, Peter Harald CDU/CSU 22. 03. 91
Friedhoff, Paul FDP 22. 03. 91 Reschke, Otto SPD 22. 03. 91
Fuchs (Köln), Anke SPD 22. 03. 91 Reuschenbach, Peter W. SPD 22. 03. 91
Gattermann, Hans H. FDP 22. 03. 91 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 22. 03. 91
Dr. Gautier, Fritz SPD 22. 03. 91 Rother, Heinz CDU/CSU 22. 03. 91
Geiger, Michaela CDU/CSU 22. 03. 91 Rühe, Volker CDU/CSU 22. 03. 91
Dr. von Geldern, CDU/CSU 22. 03. 91 Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 22. 03. 91
Wolfgang Schartz (Trier), Günther CDU/CSU 22. 03. 91
Dr. Glotz, Peter SPD 22. 03. 91 Dr. Scheer, Hermann SPD 22. 03. 91
Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 22. 03. 91 Schmidt (Spiesen), Trudi CDU/CSU 22. 03. 91
Grünbeck, Josef FDP 22. 03. 91 Dr. Schmude, Jürgen SPD 22. 03. 91
Henn, Bernd PDS 22. 03. 91 Dr. Schreiber, Harald CDU/CSU 22. 03. 91**
Dr. Heuer, Uwe-Jens PDS 22. 03. 91 Schulte (Hameln), SPD 22. 03. 91**
Hilsberg, Stephan SPD 22. 03. 91 Brigitte
Hörster, Joachim CDU/CSU 22. 03. 91 Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 22. 03. 91
Dr. Holtz, Uwe Gmünd), Dieter
SPD 22. 03. 91
Horn, Erwin Schulz (Leipzig), Gerhard CDU/CSU 22. 03. 91
SPD 22. 03. 91**
Seiler-Albring, Ursula FDP 22. 03. 91
Jung (Düsseldorf), Volker SPD 22. 03. 91
Dr. Solms, Hermann Otto FDP 22. 03. 91
Jungmann (Wittmoldt), SPD 22. 03. 91
Horst Dr. von Teichman und FDP 22. 03. 91
Logischen, Cornelia
Kittelmann, Peter CDU/CSU 22. 03. 91
Dr. Ullmann, Wolfgang Bündnis 22. 03. 91
Klappert, Marianne SPD 22. 03. 91
90/GRÜNE
Kleinert (Hannover), FDP 22. 03. 91
Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 22. 03. 91
Detlef
Vosen, Josef SPD 22. 03. 91
Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 22. 03. 91
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 22. 03. 91
Kohn, Roland FDP 22. 03. 91
Walz, Ingrid FDP 22. 03. 91
Kolbe, Manfred CDU/CSU 22. 03. 91
Welt, Hans-Joachim SPD 22. 03. 91
Koppelin, Jürgen FDP 22. 03. 91
Dr. Wieczorek CDU/CSU 22. 03. 91
Kossendey, Thomas CDU/CSU 22. 03. 91 (Auerbach), Bertram
Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 22. 03. 91 Wieczorek-Zeul, SPD 22.03.91
Günther
Heidemarie
Dr.-Ing. Laermann, FDP 22. 03. 91 Wolf, Hanna SPD 22. 03. 91
Karl-Hans
Wollenberger, Vera Bündnis 22. 03. 91
Dr. Graf Lambsdorff, Otto FDP 22. 03. 91 90/GRÜNE
Dr. Leonhard-Schmid, SPD 22. 03. 91 Zapf, Uta SPD 22. 03. 91
Elke
Zierer, Benno CDU/CSU 22. 03. 91*
Lohmann (Lüdenscheid), CDU/CSU 22. 03. 91
Wolfgang
Marten, Günter CDU/CSU 22. 03. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
Dr. Mertens (Bottrop), SPD 22. 03. 91 ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm-
Franz-Josef lung
1254* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. März 1991

Anlage 2 etc.), deren Korrektur der Präsident im Benehmen mit


dem federführenden Ausschuß veranlassen wird.
Redaktionelle Berichtigungen
zur Beschlußempfehlung
des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 12/289 —, Anlage 3
zu Protokoll gegeben von dem Berichterstatter
zu Drucksache 12/104 Erklärung nach § 31 GO
Abgeordneter Dr. Rudolf Sprung (CDU/CSU) des Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy
(CDU/CSU)
zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 10
(Entwurf eines Gesetzes
(1) Zu Seite 7 (paginiert) zur Änderung des
Artikel i Nr. 4 § 34 Abs. 4: Hier sind die Sätze 3, 4 Außenwirtschaftsgesetzes
und 5 zu streichen. Diese Sätze sind mit den vom und der Strafprozeßordnung,
mitberatenden Rechtsausschuß beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Einschränkung von
und vom federführenden Ausschuß für Wirtschaft Rüstungsexporten, Antrag der Fraktion der SPD:
übernommenen Sätzen 1 und 2 des § 34 Abs, 4 Maßnahmen zur Einschränkung
materiell deckungsgleich. Die Sätze 3, 4 und 5 von Rüstungsexporten)
sind daher gegenstandslos; sie sind zu streichen,
um eine Wiederholung zu vermeiden. Als Befürworter der Landesverteidigung, des Bünd-
(2) Zu Seite 9 (paginiert) nisses und auch erweiterter deutscher Verantwortung
Im Artikel 1 § 41 Abs. 5 Zeile 1 ist zu streichen in der Welt ist für mich eine Begrenzung der deut-
„nach § 49 Abs. 1 antragsberechtigte". Nach schen Waffenexporte über das Bündnis hinaus, insbe-
„Bundesminister" muß es um der Klarheit willen sondere in Entwicklungsländer, Voraussetzung für
„der Finanzen" heißen. eine breite Akzeptanz dieser Verteidigungspolitik.
Die Streichung ist notwendig, weil nach § 40 Der Gesetzentwurf der Koalition ist dazu ein wichti-
Abs. 1 nicht der Bundesminister der Finanzen, ger, insbesondere schneller Schritt in die richtige
sondern der Behördenleiter des Zollkriminalinsti- Richtung. Ich stimme ihm deswegen zu.
tutes das Antragsrecht hat. Der SPD-Gesetzentwurf und SPD-Antrag erfordert
(3) Zu Seite 5 (paginiert) wesentlich mehr Zeit für eine realistische Verwirkli-
chung und enthält zudem auch falsche Ansätze. Ich
In der rechten Spalte ist in den Satz „Der Bundes- lehne ihn deswegen ab.
tag hat das folgende Gesetz beschlossen" nach
dem Wort „hat" einzufügen: „mit Zustimmung Da die Rüstungskooperation im Bündnis unver-
des Bundesrates". zichtbar ist, ist eine gemeinsame Rüstungsexportpoli-
Diese Einführung ist erforderlich, weil der Aus- tik des Bündnisses — möglichst aber auch darüber
schuß bei seinen Beratungen dieses Gesetzent- hinaus — Voraussetzung dafür, vor allem den Rü-
wurfes davon ausgegangen war, daß es sich um stungsexport in die Dritte Welt drastisch zu reduzie-
ein zustimmungsbedürftiges Gesetz handelt. ren. Hieran über die heutigen Beschlüsse hinaus wei-
terzuarbeiten, bleibt mein wesentliches politisches
(4) Der Titel des zu beschließenden Gesetzes — Ziel.
Drucksache 12/104 — sollte lauten:
„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Au-
ßenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches
und anderer Gesetze"
Anlage 4
Nach den im federführenden Ausschuß gefaßten
Beschlüssen beschreibt diese Bezeichnung präzi- Amtliche Mitteilung
ser die dadurch erfolgte Erweiterung des Gesetz-
entwurfes gegenüber dem ursprünglichen Ent- Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten hat mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-
wurf — Drucksache 12/104 — . Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgese-
Außerdem sind in der Eile einige offensichtliche tech hen hat:
nische Unrichtigkeiten aufgetreten (Numerierung Drucksache 12/152 Nr. 23-30, 33-37, 39-41, 43-45, 48, 49

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