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Plenarprotokoll 13/63

Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

63. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tages Zusatztagesordnungspunkt 2:


ordnung 5347 A
Antrag der Abgeordneten Gert Weiss-
kirchen (Wiesloch), Dr. Eberhard
Absetzung von Punkten von der Tagesord Brecht, weiterer Abgeordneter und der
nung 5347 C Fraktion der SPD: 50 Jahre Vereinte
Nationen (Drucksache 13/2751)
Tagesordnungspunkt 1:
Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 5348 B
a) Abgabe einer Erklärung der Bundes- Dr. Eberhard Brecht SPD 5353 A
regierung
Erich G. Fritz CDU/CSU 5353 C
50. Jahrestag der Vereinten Nationen
Dr. Chris tian Ruck CDU/CSU 5355 B
b) Antrag der Abgeordneten Dr. Chris tian
Freimut Duve SPD 5356 A
Ruck, Karl Lamers und der Fraktion
der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/
Ulrich Irmer und der Fraktion der CSU 5356 C
F.D.P.: 50 Jahre Vereinte Nationen - Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE
eine große Vision schrittweise ver- GRÜNEN 5358 D
wirklichen (Drucksache 13/2744)
Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 5360 C
c) Antrag der Abgeordneten Andrea Le- Ulrich Irmer F.D.P 5361 C
derer, Heinrich Graf von Einsiedel, wei-
terer Abgeordneter und der Gruppe der Ingrid Matthäus-Maier SPD 5361 D
PDS: VN-Politik der Bundesregierung Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE
(Drucksache 13/2632) GRÜNEN 5363 B, 5375 A
Dr. R. Werner Schuster SPD 5364 B
in Verbindung mit
Andrea Lederer PDS 5365 C
Zusatztagesordnungspunkt 1: Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler 5367 A
Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Günter Verheugen SPD 5370 B
Lippelt, Dr. Angelika Köster-Loßack, Armin Laschet CDU/CSU 5372 A
weiterer Abgeordneter und der Frak- Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: DIE GRÜNEN 5372 C
50 Jahre Vereinte Nationen - die
Vision einer demokratischen Weltor- Dr. Eberhard Brecht SPD 5373 A
ganisation schrittweise verwirklichen Otto Schily SPD 5373 B
und nationalstaatlichen Egoismus über-
Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD 5373 D
winden (Drucksache 13/2739)
Andreas Krautscheid CDU/CSU 5375 C
in Verbindung mit Rudolf Bindig SPD 5376 C
II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Tagesordnungspunkt 2: brachten Entwurfs eines Gesetzes über


die erleichterte Zuweisung der Ehe- -
Erste Beratung des von der Bundesre-
wohnung (Drucksache 13/2500)
gierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Sechsten Wolfgang Bosbach CDU/CSU 5392 A
Buches Sozialgesetzbuch und anderer Margot von Renesse SPD 5393 C
Gesetze (Drucksache 13/2590) Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE
Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA 5378 C GRÜNEN 5395 A
Ulrike Mascher SPD 5379 B Heinz Lanfermann F.D.P 5396 A
Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . . . 5396 C
GRÜNEN 5380 B Christina Schenk PDS 5397 B
Dr. Gisela Babel F.D.P 5381 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun-
Petra Bläss PDS 5382 A desministerin BMJ 5398 A
Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU 5383 A Margot von Renesse SPD 5398 D

Tagesordnungspunkt 3: Tagesordnungspunkt 4:
a) Antrag des Abgeordneten Ch ristian Erste Beratung des vom Bundesrat ein-
SterzingudFakoBÜND- gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes
NIS 90/DIE GRÜNEN: Einleitung eines zur Änderung des Strafgesetzbuches
Vertragsverletzungsverfahrens gegen (Drucksache 13/2203)
Frankreich wegen Mißachtung des Ar- Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, Senator
tikels 34 Abs. 2 des Euratom-Vertrags (Hamburg) 5399 B
(Drucksache 13/2270)
Horst Eylmann CDU/CSU 5400 B
b) Antrag der Abgeordneten Dr. Willibald Erika Simm SPD 5401 A
Jacob, Rolf Kähne, Dr. Gregor Gysi und
der Gruppe der PDS: EURATOM-Ver- Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE
trag im Zusammenhang mit den ge- GRÜNEN 5402 D
planten Atomtests im Mururoa-Atoll Heinz Lanfermann F.D.P 5403 C
(Drucksache 13/2200) Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 5404 A
in Verbindung mit
Christina Schenk PDS 5404 C
Zusatztagesordnungspunkt 3: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun-
desministerin BMJ 5405 A
Antrag der Abgeordneten Heidemarie
Wieczorek-Zeul, Dr. Jürgen Meyer Tagesordnungspunkt 5:
(Ulm), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD: Vertragsverletzung a) Unterrichtung durch die Bundesregie-
des EURATOM-Vertrags durch Frank- rung: Bericht der Bundesregierung zur
reich (Drucksache 13/2749) Umsetzung des Übereinkommens über
die biologische Vielfalt in der Bun-
Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU 5384 B
desrepublik Deutschland (Drucksache
Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ 13/2707)
NEN 5385 A
b) Antrag der Abgeordneten Marina
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 5385 D Steindor, Marieluise Beck (Bremen),
Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜ weiterer Abgeordneter und der Frak-
NEN 5388 A tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ober-
einkommen über die biologische Viel-
Dr. Olaf Feldmann F.D.P 5389 B
falt und Notwendigkeit internationa-
Rolf Köhne PDS 5390 A ler Regelungen zum Umgang mit
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister AA 5390 C Gen- und Biotechnologie (Drucksache
13/2667)
Tagesordnungspunkt 12:
in Verbindung mit
a) Zweite und dritte Beratung des vom
Bundesrat eingebrachten Entwurfs Zusatztagesordnungspunkt 4:
eines Gesetzes über die erleichterte
Zuweisung der Ehewohnung (Druck- Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
sachen 13/196, 13/1251) und F.D.P.: Verbesserungen des Natur-
schutzes in Deutschland (Drucksache
b) Erste Beratung des von den Abgeord- 13/2743)
neten Margot von Renesse, Dr. Herta
Däubler-Gmelin, weiteren Abgeordne- Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 5406 B
ten und der Fraktion der SPD einge Ulrike Mehl SPD 5407 B
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 III

Ulrich Heinrich F D P. 5408 A ZusFr Matthias Berninger BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN 5425 C -
Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
NEN 5409 D ZusFr Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 5425 D
Birgit Homburger F.D.P. 5411 AZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 5428 A
Wolfgang Bierstedt PDS 5412 A ZusFr Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE
5413 A GRÜNEN 5428 C
Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU
5414 B ZusFr Steffen Kampeter CDU/CSU 5429 A
Christoph Matschie SPD
ZusFr Dr. Dagmar Enkelmann PDS 5430 B
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin
BMU 5415 D ZusFr Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 5430 C
Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 5417 D, 5419 A ZusFr Rolf Köhne PDS 5430 D
ZusFr Horst Kubatschka SPD 5431 A
Tagesordnungspunkt 6:
Fragestunde Zur Geschäftsordnung
- Drucksache 13/2708 vom 20. Oktober Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE
1995 - GRÜNEN 5431 D
Dr. Peter Struck SPD 5432 B
Reaktion der Bundesregierung auf die Dr. Barbara Höll PDS 5432 D
weitere Steigerung der Steuerausfälle für
1995 und 1996; Eingriffe in Leistungsge- Tagesordnungspunkt 6:
setze zur Schließung der Deckungslücken
Fortsetzung der Fragestunde
DringlAnfr 1
Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE
Nachträgliche Arbeitserlaubnis für 40 ille-
GRÜNEN
gale indische Arbeiter
DringlAnfr 2
MdlAnfr 5
Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE
Hans Büttner (Ingolstadt) SPD
GRÜNEN
5433 B
Antw PStSekr'in Irmgard Karwatzki BMF 5420 A Antw PStSekr Horst Günther BMA
SPD 5434 A
Antw PStSekr Horst Günther BMA 5424 A, 5427 C ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt)
5434 B
Antw PStSekr Dr. Norbert Lammert BMWi 5428 B ZusFr Klaus Hasenfratz SPD
Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 5429 D Genehmigung zur Einlagerung hochex-
ZusFr Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ plosiver Munition in die Bunker des ehe-
DIE GRÜNEN 5420 B, 5426 B maligen Militärflugplatzes in Allstedt
ZusFr Margareta Wolf (Frankfurt) BÜND (Land Sachsen-Anhalt)
NIS 90/DIE GRÜNEN 5420 D MdlAnfr 6
ZusFr Ingrid Matthäus-Maier SPD 5420 D, 5426 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ZusFr Eckart Kuhlwein SPD 5421 B, 5427 A Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 5434 D
ZusFr Dr. Winfried Wolf PDS 5421 C, 5429 D ZusFr Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 5434 D
ZusFr Marieluise Beck (Bremen) BÜND
NIS 90/DIE GRÜNEN 5421 D
Beteiligung von Gutachtern des Deutschen
ZusFr Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE Bundesjugendrings oder der Jugendver-
GRÜNEN 5422 A, 5429 B bände an der Erarbeitung des 10. Jugend-
ZusFr Dr. Uwe Küster SPD 5422 C, 5430 A berichts
ZusFr Hans Georg Wagner SPD 5422 D, 5427 B MdlAnfr 7
Klaus Hagemann SPD
ZusFr Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN 5423 B, 5431 A Antw PStSekr'in Gertrud Dempwolf
BMFSFJ 5435 C
ZusFr Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜND
NIS 90/DIE GRÜNEN 5423 B, 5430 B
Priorität und Finanzierung der Schienen
ZusFr Dr. Barbara Höll PDS 5423 D, 5427 D -wegprojktN.27,ABSHamburg-
ZusFr Wolfgang Bierstedt PDS 5424 B Harburg-Hamburg-Rothenburgsort, und
ZusFr Volker Kröning SPD 5424 C Nr. 32, ABS Pinneberg-Elmshorn
ZusFr Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE MdlAnfr 32, 33
GRÜNEN 5424 D, 5429 C Annette Faße SPD
ZusFr Siegmar Mosdorf SPD 5425 A Antw PStSekr Johannes Nitsch BMV . . 5436 B
ZusFr Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/ ZusFr Annette Faße SPD 5436 C, 5439 B
DIE GRÜNEN 5425 B, 5431 C ZusFr Elke Ferner SPD 5437 A
IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

ZusFr Dr. Uwe Küster SPD 5437 AKarl Diller SPD 5451 B
-
ZusFr Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 5437 BDietrich Austermann CDU/CSU 5452 A
ZusFr Renate Blank CDU/CSU 5437 C Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5453 C
ZusFr Claus-Peter Grotz CDU/CSU 5437 D Elke Ferner SPD 5454 D
ZusFr Rainder Steenblock BÜNDNIS 90/ Dankward Buwitt CDU/CSU 5456 A
DIE GRÜNEN 5438 A
Hans Georg Wagner SPD 5456 C
ZusFr Horst Friedrich F.D.P. 5438 B
Hans Michelbach CDU/CSU 5458 A
ZusFr Monika Ganseforth SPD 5438 C
Friedrich Merz CDU/CSU 5459 A
ZusFr Dr. Winfried Wolf PDS 5438 D
Nächste Sitzung 5460 C
Priorität und Finanzierung der Schienen
Knoten Hannover,-wegprojktN.5,
und Nr. 4, VDE 4 ABS/NBS Hannover- Anlage 1
Berlin Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5461* A
MdlAnfr 34, 35
Monika Ganseforth SPD
Anlage 2
Antw PStSekr Johannes Nitsch BMV 5439 D
Diskriminierung von Frauen bei der Ver-
ZusFr Monika Ganseforth SPD 5439 Dgabe von
Mietwohnungen
ZusFr Elke Ferner SPD 5440 C
MdlAnfr 1, 2 - Drs 13/2708
ZusFr Reinhard Weis (Stendal) SPD 5440 D SPD -Dr. ietrchSperling
Priorität und Finanzierung des Schienen SchrAntw PStSekr Rainer Funke BMJ 5461* C
-wegprojktsN.28,ABSFulda-rnkft
MdlAnfr 36 Anlage 3
Berthold Wittich SPD Verbesserung der Einkommenssituation
Antw PStSekr Johannes Nitsch BMV 5441 A der deutschen Tabakbaue rn
ZusFr Berthold Wittich SPD 5441 BMdlAnfr 3, 4 - Drs 13/2708 -
Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) CDU/
Priorität und Finanzierung der Schienen CSU
Harzburg -wegprojktN.38,ABSad SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML 5462* A
Stapelburg, und Nr. 26, ABS D/F Gr.-Saar-
brücken-Ludwigshafen, Kehl-Appenweier
MdlAnfr 37, 38 Anlage 4
Elke Ferner SPD Gewährung eines Kindergeldzuschlags für
Antw PStSekr Johannes Nitsch BMV 5441 C im Nachtdienst arbeitende alleinerziehen-
de Elternteile, z. B. Hebammen
ZusFr Elke Ferner SPD 5442 A
MdlAnfr 8 - Drs 13/2708 -
ZusFr Hans Georg Wagner SPD 5442 C Gabriele Iwersen SPD
ZusFr Jutta Müller (Völklingen) SPD 5442 DSchrAntw PStSekr'in
Gertrud Dempwolf
BMFSFJ 5462* C
Priorität und Finanzierung des Schienen
wegprojekts Nr. 13, NBS Köln-Rhein/Main
MdlAnfr 48 Anlage 5
Günter Oesinghaus SPD Novellierung der Sportanlagenlärmschutz-
Antw PStSekr Johannes Nitsch BMV 5443 B verordnung
ZusFr Günter Oesinghaus SPD 5443 BMdlAnfr 9, 10 - Drs 13/2708 -
Dietmar Thieser SPD
Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- SchrAntw PStSekr Ulrich Klinkert BMU . 5463* A
desregierung zur Auswirkung des Mil-
liardendefizits auf den anstehenden Bun-
deshaushalt Anlage 6
Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Wirkung städtebaulicher Entwicklungs-
NEN 5443 Dmaßnahmen gem. Baugesetzbuch; Wert-
Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 5445 Babschöpfung bei Bodenpreissteigerungen
durch die Kommunen
Ingrid Matthäus-Maier SPD 5446 B
MdlAnfr 11, 12 - Drs 13/2708 -
Jürgen Koppelin F.D.P. 5447 CWolfgang Spanier SPD
Dr. Barbara Höll PDS 5448 C SchrAntw PStSekr Joachim Günther
Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 5449 DBMBau 5463* C
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 V

Anlage 7 Anlage 13
-
Ursachen des Absturzes des BGS-Hub- Einkommen der ehemaligen Präsidentin
schraubers „Alouette II" am 9. September der Treuhandanstalt, Birgit Breuel, als Ge-
1995 bei Berlin neralkommissarin der EXPO-Weltausstel-
MdlAnfr 13, 14 - Drs 13/2708 lung (einschließlich eventueller Versor-
SPD -ThomasKrüger gungsbezüge)
SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI 5464* B MdlAnfr 23, 24 - Drs 13/2708 -

Manfred Kolbe CDU/CSU


Anlage 8 SchrAntw PStSekr Dr. Norbert Lammert
Zahlung von Abfindungen an die im Zuge BMWi 5466* C
der Privatisierung und Liquidierung der
Rostocker Bagger-, Bugsier- und Ber- Anlage 14
gungsreederei (BBB) entlassenen Arbeit-
nehmer Untersuchung der amerikanischen Regie-
MdlAnfr 15, 16 - Drs 13/2708 -
rung über illegale Exportförderung im
Dr. Christine Lucyga SPD Zuge des Großauftrags Chinas an ein
deutsches Konsortium; Genehmigung von
SchrAntw PStSekr'in Irmgard Karwatzki Rüstungsexporten an einzelne ASEAN
BMF 5464* DStaaten
MdlAnfr 27, 28 - Drs 13/2708 -

Anlage 9 Norbert Gansel SPD


Erfüllung der Konvergenzkriterien für die SchrAntw PStSekr Dr. Norbert Lammert
3. Stufe der Währungsunion durch ein- BMWi 5467* B
zelne Staaten
MdlAnfr 17 - Drs 13/2708 -

Jürgen Augustinowitz CDU/CSU Anlage 15


SchrAntw PStS,ekr'in Irmgard Karwatzki Verstöße gegen das Asylbewerberlei-
BMF 5465* Astungsgesetz durch die Kommunen
MdlAnfr 29 - Drs 13/2708 -

Anlage 10 Jürgen Augustinowitz CDU/CSU


Angebote der Russischen Föderation zur SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg-
Lieferung weiterer MIG-29-Jagdflugzeuge mann-Pohl BMG 5467* D
auf der Basis der Verrechnung mit deut-
schen Schuldforderungen
Anlage 16
MdlAnfr 18, 19 - Drs 13/2708 -

Gernot Erler SPD Auswirkungen des Risikostrukturaus-


SchrAntw PStSekr'in Irmgard Karwatzki gleichs auf einzelne Krankenkassen
BMF 5465* CMdlAnfr 30, 31 - Drs 13/2708 -

Benno Zierer CDU/CSU


Anlage 11 SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg-
Reform der Verwaltung im BMF und ande- mann-Pohl BMG 5468* A
ren Resso rts
MdlAnfr 20 - Drs 13/2708 -
Anlage 17
Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN Priorität und Finanzierung des Schienen-
wegprojekts Nr. 50, Knoten Berlin: Baum-
SchrAntw PStSekr'in Irmgard Karwatzki schulweg
BMF 5465* D
MdlAnfr 39 - Drs 13/2708 -

Renate Rennebach SPD


Anlage 12
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV . 5468* C
Benachteiligung der Vertriebenen mit
neuem Wohnsitz in den alten Bundeslän-
dern vor dem 3. Oktober 1990 bei der Ge- Anlage 18
währung von Lastenausgleich bzw. einer
einmaligen Zuwendung nach § 3 Abs. 1 Priorität und Finanzierung des Schienen-
Vertriebenenzuwendungsgesetz wegprojekts Nr. 48, Knoten Berlin: Umbau
Ostkreuz
MdlAnfr 21, 22 - Drs 13/2708
-MichaelWonebrg
CDU/CSU MdlAnfr 40 - Drs 13/2708 -

Wolfgang Behrendt SPD


SchrAntw PStSekr'in Irmgard Karwatzki
BMF 54 66* ASchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5468* D
VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Anlage 19 Anlage 26
-
Priorität und Finanzierung des Schienen Priorität und Finanzierung des Schienen
Knoten Berlin: Berlin--wegprojktsNr.45, Knoten Berlin: Nord--wegprojktsNr.49,
Südkreuz-Blankenfelde kreuz Karow
MdlAnfr 41 - Drs 13/2708 - MdlAnfr 49 - Drs 13/2708 -
Gabriele Iwersen SPD Siegrun Klemmer SPD
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5469* A SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5470* B

Anlage 20 Anlage 27
Priorität und Finanzierung des Schienen Priorität und Finanzierung der Schienen
Knoten Berlin: Berlin--wegprojktsNr.46, Zweigleisiger Ausbau-wegprojkteNr.37,
Südkreuz-Ludwigsfelde Abzweig Warnowbrücke/Ost bei Rostock,
MdlAnfr 42 - Drs 13/2708 - und Nr. 31, ABS Frankfurt-Mannheim
Ingrid Holzhüter SPD MdlAnfr 50, 51 - Drs 13/2708 -
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5469* A Konrad Kunick SPD
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5470* C
Anlage 21
Priorität und Finanzierung des Schienen Anlage 28
-wegprojktsN.40,ABSelin-Frakfut/ Priorität und Finanzierung der Schienen
Oder-Gr. D/PL Paderbo rn--wegprojktN.35,ABS
MdlAnfr 43 - Drs 13/2708 - Bebra - Erfurt - Weimar-Jena - Glauchau -
Walter Schöler SPD Chemnitz, und Nr. 29, ABS Mainz-Mann-
heim
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5469* B
MdlAnfr 52, 53 - Drs 13/2708 -
Lothar Ibrügger SPD
Anlage 22 SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5470* D
Priorität und Finanzierung des Schienen
Knoten Berlin: Staa--wegprojktsNr.43,
Anlage 29
ken-Friedrichstraße
Priorität und Finanzierung der Schienen
MdlAnfr 44 - Drs 13/2708
Knoten Erfurt, und-wegprojkteNr.53,
SPD -Herb tMeißner
Nr. 8, ABS/NBS Nürnberg-Erfu rt
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5469* C
MdlAnfr 54, 55 - Drs 13/2708 -
Heide Mattischeck SPD
Anlage 23 SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5471* A
Priorität und Finanzierung des Schienen
Knoten Berlin: Fried--wegprojktsNr.4,
Anlage 30
richstraße-Hbf
Priorität und Finanzierung der Schienen
MdlAnfr 45 - Drs 13/2708 -
-wegprojktN.39,ABSMünche-Ki
Doris Odendahl SPD
fersfelden, und Nr. 21, ABS München
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5469* D -Mühldorf-Feilas ng
MdlAnfr 56, 57 - Drs 13/2708 -
Anlage 24 Angelika Graf (Rosenheim) SPD
Priorität und Finanzierung des Schienen SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5471* B
Knoten Berlin: Nord--wegprojktsNr.41,
Süd-Verbindung Anlage 31
MdlAnfr 46 - Drs 13/2708 - Priorität und Finanzierung der Schienen
Rolf Schwanitz SPD -wegprojktN.24,ABSHchsad-
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5470* A Marktzeuln-Camburg, und Nr. 33, ABS
Iphofen-Nürnberg
Anlage 25 MdlAnfr 58, 59 - Drs 13/2708 -
Heidi Wri ght SPD
Priorität und Finanzierung des Schienen
Knoten Berlin: Berli--wegprojktsNr.42, SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5471* C
ner Innenring
MdlAnfr 47 - Drs 13/2708 - Anlage 32
Gerhard Neumann (Gotha) SPD Priorität und Finanzierung der Schienen
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5470* A wegprojekte Nr. 18, ABS Karlsruhe-Stutt-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 VII

gart-Nürnberg-Leipzig/Dresden, und Nr. 15, Anlage 39


ABS/NBS Stuttgart-Augsburg -
Priorität und Finanzierung der Schienen
MdlAnfr 60, 61- Drs 13/2708 - Knoten Halle/Leipzig,-wegprojkteNr.51,
Karin Rehbock-Zureich SPD und Nr. 52, Knoten Magdeburg
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5471* D MdlAnfr 68, 69 - Drs 13/2708 -
Sabine Kaspereit SPD
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5473* B
Anlage 33
Priorität und Finanzierung des Schienen Anlage 40
Nürnberg -wegprojktsN.17,ABS/
-Ingolstad-Münche Priorität und Finanzierung der Schienen
-wegprojktN.2,ABSHamburg-üchen
MdlAnfr 62 - Drs 13/2708 - Berlin, und Nr. 3, ABS Uelzen-Stendal
Hans Büttner (Ingolstadt) SPD
MdlAnfr 70, 71 - Drs 13/2708 -
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5472* A Reinhard Weis SPD
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5473* C
Anlage 34
Priorität und Finanzierung des Schienen Anlage 41
Knoten Berlin: Nauen -wegprojktsNr.47, Priorität und Finanzierung des Schienen
Spandau wegprojekts Nr. 22, ABS Dortmund-Kassel
MdlAnfr 63 - Drs 13/2708 - MdlAnfr 72 - Drs 13/2708
Siegfried Scheffler SPD Hasenfratz SPD -Klaus
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5472* B SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5473* D

Anlage 35 Anlage 42
Priorität und Finanzierung des Schienen Priorität und Finanzierung des Schienen
Lübeck Hagenow-wegprojktsN.1,ABS -wegprojktsN.36,ABSHf-Plauen
Land-Rostock-S tralsund MdlAnfr 73 - Drs 13/2708 -
MdlAnfr 64 - Drs 13/2708 - Uwe Hiksch SPD
Reinhold Hiller (Lübeck) SPD SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5474* A
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5472* C
Anlage 43
Anlage 36 Priorität und Finanzierung der Schienen
-wegprojktN.14,ABS/Karlsuhe-
Priorität und Finanzierung des Schienen Offenburg-Freiburg-Basel, und Nr. 16,
-wegprojktsN.5,ABSHlmed-Mag NBS Mannheim-Stuttgart
burg-Berlin
MdlAnfr 74, 75 - Drs 13/2708 -
MdlAnfr 65 - Drs 13/2708 - Nicolette Kressl SPD
Dr. Uwe Küster SPD SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5474* B
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5472* C
Anlage 44
Anlage 37 Priorität und Finanzierung der Schienen
Priorität und Finanzierung des Schienen -wegprojktN.10,ABSerlin-Ha/
-wegprojktsN.19,ABSelin-Drsd Leipzig, und Nr. 9, NBS/ABS Erfurt-Leip-
zig/Halle
MdlAnfr 66 - Drs 13/2708 -
Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD MdlAnfr 76, 77 - Drs 13/2708 -
Wieland Sorge SPD
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5472* D
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5474* C

Anlage 38 Anlage 45
Priorität und Finanzierung des Schienen Priorität und Finanzierung der Schienen
-wegprojktsN.34,ABSUelzn-Lag und-wegprojktN.1,Liz-Dresdn
wedel/Oldenburg-Wilhelmshaven Nr. 54, Knoten Dresden
MdlAnfr 67 - Drs 13/2708 - MdlAnfr 78, 79 - Drs 13/2708 -
Arne Fuhrmann SPD Christine Kurzhals SPD
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5473* A SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5474* D
VIII Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Anlage 46 MdlAnfr 88, 89 - Drs 13/2708 -


Beauftragung von Gutachte rn , insbeson- Horst Kubatschka SPD
dere von Professor Nestmann, mit ergän- SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5476* B
zenden Untersuchungen zum geplanten
Donauausbau zwischen Straubing und
Vilshofen Anlage 51
MdlAnfr 80, 81 - Drs 13/2708 - Fernverkehr mit Neigetechnik auf der
Susanne Kastner SPD Franken-Sachsen-Magis trale ab dem Jahr
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5475* A 1998
MdlAnfr 90, 91- Drs 13/2708 -
Anlage 47 Dr. Jürgen Warnke CDU/CSU
Ziele für den Ausbau der Donau zwischen SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5476* C
Straubing und Vilshofen
MdlAnfr 82, 83 - Drs 13/2708 -
Jella Teuchner SPD Anlage 52
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5475* B Bau der A 20 durch das als Schutzgebiet
ausgewiesene Peenetal
Anlage 48 MdlAnfr 92, 93 - Drs 13/2708 -
Kosten des Ausbaus der Donau zwischen Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE
Straubing und Vilshofen; Auswirkungen GRÜNEN
des Donauausbaus auf die regionale Wirt SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5477* A
-schaft
MdlAnfr 84, 85 - Drs 13/2708 -
Brunhilde Irber SPD Anlage 53
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5475* C Menschenrechtsverletzungen im Iran
MdlAnfr 94, 95 - Drs 13/2708 -
Anlage 49 Joachim Tappe SPD
Untersuchungen über die Möglichkeiten SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA 5477* B
und Grenzen flußbaulicher Maßnahmen
beim Ausbau der Donau
MdlAnfr 86, 87 - Drs 13/2708 - Anlage 54
Robert Leidinger SPD Verhandlungen mit der tschechischen Re-
SchrAntw BM Matthias Wissmann BMV 5476* A gierung; Bemühungen um ein deutsch-
tschechisches Jugendwerk
Anlage 50 MdlAnfr 96, 97 - Drs 13/2708 -
Dr. Egon Jüttner CDU/CSU
Ziele für den geplanten Donauausbau zwi-
schen Straubing und Vilshofen SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA 5477* C
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5347

63. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, Des weiteren sollen die in Verbindung mit der Be-
liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff- ratung zur Einsetzung einer Enquete-Kommission
net. „Zukunft der Medien" aufgeführten Vorlagen unter
Ich komme zunächst zu den amtlichen Mitteilun- Tagesordnungspunkt 8 b und c, der Tagesordnungs-
gen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll punkt 14a und b „Gewässerverunreinigungen und
die heutige Tagesordnung um die in der Zusatz- Düngeverordnung" , der Tagesordnungspunkt 15
punktliste aufgeführten Punkte erweitert werden: „Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Neu-
1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt,
gestaltung der Arbeit" sowie der Tagesordnungs-
Dr. Angelika Köster-Loßack, Gerd Poppe, weiterer Abgeord- punkt 17n „Zweite Zwangsvollstreckungsnovelle"
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 50 Jahre abgesetzt werden.
Vereinte Nationen - die Vision einer demokratischen Welt-
organisation schrittweise verwirklichen und nationalstaat- Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
lichen Egoismus überwinden - Drucksache 13/2739- Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gert Weisskirchen
(Wiesloch), Dr. Eberhard Brecht, Dr. Herta Däubler-Gmelin,
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 a bis c sowie
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: 50 Jahre die Zusatzpunkte 1 und 2 auf:
Vereinte Nationen - Drucksache 13/2751 -
1. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregie-
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Wiec-
zorek-Zeul, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Michael Müller (Düs- rung
seldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: 50. Jahrestag der Vereinten Nationen
Vertragsverletzung des EURATOM-Vertrags durch Frank-
reich - Drucksache 13/2749 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
4. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und Dr. Christian Ruck, Karl Lamers und der
F.D.P.: Verbesserungen des Naturschutzes in Deutschland
- Drucksache 13/2743 - Fraktion der CDU/CSU sowie des Abge-
ordneten Ulrich Irmer und der Fraktion der
Darüber hinaus sind interfraktionell folgende Än- F.D.P.
derungen der verbundenen Tagesordnung dieser
50 Jahre Vereinte Nationen - eine große
Woche vereinbart worden:
Vision schrittweise verwirklichen
Die für Donnerstag vorgesehene zweite und dritte
- Drucksache 13/2744 -
Beratung des Gesetzentwurfs über die erleichterte
Zuweisung der Ehewohnung soll bereits heute im Überweisungsvorschlag:
Anschluß an die Beratung zum Euratom-Vertrag er- Auswärtiger Ausschuß (federführend)
Verteidigungsausschuß
folgen. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und
Für Donnerstag ist eine vereinbarte Debatte zum Reaktorsicherheit
Thema „Frauenförderung in der Europäischen Union" Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
vorgesehen. Der Tagesordnungspunkt wird gegen
12 Uhr aufgerufen und fällt damit in die Kernzeit. Die zu c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
diesem Thema von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Andrea Lederer, Hein rich Graf von Ein-
GRÜNEN verlangte Aktuelle Stunde entfällt somit. siedel, Dr. Willibald Jacob, weiterer Abge-
Die von der Fraktion der SPD verlangte Aktuelle ordneter und der Gruppe der PDS
Stunde zur Altschuldenregelung für ostdeutsche VN-Politik der Bundesregierung
Kommunen soll am Freitag nach der Regierungser-
klärung „40 Jahre Bundeswehr" und der zweiten - Drucksache 13/2632 -
und dritten Beratung zum Wehrrechtsänderungsge- Überweisungsvorschlag:
setz aufgerufen werden. Auswärtiger Ausschuß (federführend)
Rechtsausschuß
Über den Tagesordnungspunkt 11 „Umstellung Verteidigungsausschuß
der Steinkohleverstromung ab 1996" soll ohne Aus- Ausschuß für wi rtschaftliche Zusammenarbeit
sprache abgestimmt werden. und Entwicklung
5348 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth


ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Europapolitik ein zentrales Thema unserer Verant-
Dr. Helmut Lippelt, Dr. Angelika Köster- wortungspolitik.
Loßack, Gerd Poppe, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
GRÜNEN Die UNO ist das, was die 185 Mitgliedstaaten aus
50 Jahre Vereinte Nationen - die Vision ihr machen. Die UNO kann nur so stark sein, wie es
einer demokratischen Weltorganisation ihre Mitgliedsländer wollen und zulassen. Verant-
schrittweise verwirklichen und national- wortungsbewußtsein zeigen, sich den Herausforde-
staatlichen Egoismus überwinden rungen unserer Zeit stellen, das verlangt, die Verein-
ten Nationen in ihrer jetzigen schwierigen Lage zu
- Drucksache 13/2739 —
stärken, vor allem aber sie zu reformieren.
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Der Zwang zu noch engerer Zusammenarbeit in
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Staatengemeinschaft wird immer stärker. In wel-
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und chem Rahmen sollte diese Zusammenarbeit stattfin-
Reaktorsicherheit
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
den, wenn nicht im Rahmen der UNO? Oder kennt
und Entwicklung jemand eine andere internationale Organisation, die
das besser könnte? Noch nie war so deutlich wie
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten jetzt, an der Schwelle des neuen Jahrtausends, daß
Gert Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Eberhard die Menschheit nur noch die Wahl hat, gemeinsam
Brecht, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer zu gewinnen oder gemeinsam zu verlieren. Deshalb
Abgeordneten und der Fraktion der SPD gibt es zu einer Politik für die Vereinten Nationen,
50 Jahre Vereinte Nationen für eine Reform und Stärkung der Weltorganisation
keine Alternative.
- Drucksache 13/2751 -
Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der
Auswärtiger Ausschuß (federführend) SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Die UNO ist das unersetzliche Forum der Mensch-
Reaktorsicherheit heit. Wo sonst könnten 185 Staaten dieser Erde ihre
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Probleme miteinander zur Sprache bringen, Mei-
und Entwicklung nungsverschiedenheiten austragen und nach ge-
meinsamen Lösungen bei der Bekämpfung der Ar-
Ich weise darauf hin, daß der unter Tagesord- mut, der Bevölkerungsexplosion oder der Umwelt-
nungspunkt 1 b aufgeführte Antrag von den Frak- zerstörung suchen? Wer sonst als die UNO tritt über-
tionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebracht all auf der Welt für die Schwachen und für die Ver-
wurde. folgten ein, für die Hungernden und für die Flücht-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind linge? Wer setzt sich so wie die UNO für das Völker-
für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die recht und den Schutz der Menschenrechte ein?
Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgese- Die UNO-Charta ist so aktuell wie vor fünfzig Jah-
hen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Dann ver- ren. Zwei neue Entwicklungen gilt es allerdings zu
fahren wir entsprechend. beachten:
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung Erstens. Die Charta wurde zur Verhinderung von
hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kriegen zwischen den Staaten geschaffen. Heute ste-
Kinkel. hen innerstaatliche ethnische, religiöse und soziale
Konflikte im Vordergrund. Wir sind auf dem Weg zu
Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: einer Weltinnenpolitik. Das zeigt die Entwicklung
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die von der Menschenrechtskonferenz in Wien über die
Vereinten Nationen befinden sich in ihrem Jubi- Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de
läumsjahr in einer schweren Bewährungsprobe. Janeiro und dem Sozialgipfel in Kopenhagen bis zur
Deutschland steht in dieser kritischen Phase hinter Weltfrauenkonferenz in Peking.
der Weltorganisation. Das habe ich vor zwei Tagen Zweitens. Auch die Akteure haben sich gewandelt.
auf der Sondersitzung der 50. Generalversammlung Die vielen engagierten Mitarbeiter in den Nichtre-
in New York mit einem klaren deutschen Bekenntnis gierungsorganisationen sind mit ihrem Engagement
zu einer starken UNO und einem verantwortungsbe- und mit ihrem Sachverstand zu einem wichtigen Fak-
wußten und solidarischen deutschen Beitrag zur Lö- tor der Weltinnenpolitik geworden. Wir sollten ihnen
sung der globalen Friedensaufgaben in unserer Zeit für ihr Engagement und ihre Arbeit herzlich danken.
bekräftigt. .
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der
Die Bundesregierung begrüßt, daß dieses deutsche SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
UN-Engagement von einem breiten, parteiübergrei-
fenden Konsens getragen wird. Dieser Konsens ent- Die Bundesregierung sieht in diesem Bürgerengage-
spricht der Verpflichtung aus unserer Verfassung, in ment eine wichtige und willkommene Ergänzung ih-
einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu rer eigenen multilateralen Politik und legt Wert auf
dienen. Deshalb bleibt auch für die Bundesregierung eine enge, vor allem aber konstruktive Zusammenar-
das Eintreten für die Vereinten Nationen neben der beit mit diesen Nichtregierungsorganisationen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5349
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Meine Damen und Herren! zum Einsatz kommen, Wehrdienstleistende nur bei
freiwilliger Meldung. -
Wir sind gekommen, um - auf der Grundlage un-
serer Überzeugungen und im Rahmen unserer Vor der endgültigen Entsendung des deutschen
Möglichkeiten - weltpolitische Mitverantwor- Kontingents werden ein weiterer Beschluß des Bun-
tung zu übernehmen. deskabinetts und eine konstitutive Entscheidung des
Deutschen Bundestages notwendig sein. Vor allem
Das waren die Worte von Willy Brandt bei der Auf- wird es zur Entsendung der internationalen Friedens-
nahme der Bundesrepublik Deutschland in die Ver- truppe eines neuen Mandats des Sicherheitsrats der
einten Nationen im Jahre 1973. Vereinten Nationen bedürfen.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Meine Damen und Herren, der Beschluß des Bun-
SPD) deskabinetts unterstreicht erneut, daß die Bundesre-
gierung zur Übernahme weltpolitischer Mitverant-
Ich glaube, sagen zu können, daß wir Wort gehalten wortung bereit ist, wie es inzwischen ganz selbstver-
haben. Das deutsche Engagement im UNO-Rahmen
ständlich von uns erwartet wird. Dabei werden die
kann sich sehen lassen. Das gilt für die Friedenssi-
von unserer Geschichte gezogenen Grenzen beach-
cherung wie vor allem auch für unsere Beiträge zur
tet. Bei der Verantwortung für Frieden und Men-
globalen wirtschaftlichen und ökologischen Stabili-
schenrechte darf eben niemand abseits stehen, auch
tät.
wir Deutsche nicht.
Wir waren an den meisten erfolgreichen Friedens- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
operationen der UNO beteiligt, so z. B. in Namibia
und Kambodscha. Heute unterstützt die Bundeswehr Ich versichere nochmals für die Bundesregierung,
die Arbeit der Abrüstungskommission im Irak mit daß wir an unserer bewährten Kultur der Zurückhal-
Lufttransportkapazität und Personal. In Georgien tung festhalten werden. Das kann und darf aber
sind Ärzte und Sanitäter der Bundeswehr als Militär- nicht heißen, daß das Wort von der gewachsenen
beobachter tätig. In Ruanda und in der Westsahara Verantwortung bloßes Lippenbekenntnis bleibt. Die-
stellt der Bundesgrenzschutz Polizeikontingente. In ser vernünftige Kurs bekommt immer mehr Unter-
Angola arbeiten deutsche Minensuchexperten. stützung, je weiter die Diskussion über Friedensmis-
sionen unserer Bundeswehr voranschreitet. Dieser
Wir haben uns am Schutz des schnellen Einsatz- wachsende Konsens ist wichtig. Er ist außerordent-
verbandes in Bosnien beteiligt, und wir werden auch lich wichtig für unsere Soldaten, aber auch für unser
zur NATO-Friedenstruppe einen angemessenen Bei- Ansehen und unsere Glaubwürdigkeit im Ausland.
trag leisten. Das hat das Kabinett gestern beschlos-
sen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

In einer Woche sollen in Ohio die Friedensgesprä- Vergessen wir nicht: Gegenwärtig sind in
che über Bosnien-Herzegowina beginnen. Eine inter- 14 Krisengebieten unserer Erde fast 63 000 Blau-
nationale Friedenstruppe unter Führung der NATO helme aus über 84 Staaten dieser Welt im Einsatz.
soll den Rückzug und die Entflechtung der Streit- Sie leisten ganz wichtige Arbeit für den Frieden und
kräfte der Konfliktparteien überwachen. Es ist vorge- damit für die Menschen. Im Jubiläumsjahr der Ver-
sehen, daß sich auch Nicht-NATO-Staaten, insbeson- einten Nationen sollten wir an sie alle ganz beson-
dere Rußland und die islamischen Länder, daran be- ders denken. Sie verdienen unseren Dank und un-
teiligen. Wir Deutsche waren es, die darauf ganz be- sere Anerkennung.
sonders gedrängt haben und auch weiterhin drängen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
werden.
In diesem Zusammenhang denke ich natürlich
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auch ganz besonders an unsere Bundeswehrsolda-
ten, die oft unter Gefahr für Leib und Leben in Kam-
Das deutsche Kontingent soll bis zu 4 000 Mann
bodscha, in Somalia, über der Adria oder auch über
stark sein. Über die deutschen Soldaten hinaus, die
dem ehemaligen Jugoslawien im Einsatz waren, um
bereits jetzt zur Unterstützung des schnellen Ein-
Menschen zu helfen. Wir sind stolz auf sie. Ihnen
greifverbandes in Bosnien im Einsatz sind, geht es
danken wir ganz besonders.
um zusätzliche Lufttransportkräfte, Personal und Un-
terstützungskräfte für die internationalen Haupt- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
quartiere, logistische Unterstützung und Pionier- wie bei Abgeordneten der SPD)
-kräfte. Die bereits in Kroatien eingesetzte Sanitäts
und Sicherheitskomponente soll auf 100 Betten ver- Sie sind überall auf der Welt - das sage ich als Au-
stärkt werden und zusätzlich mobile Sanitätskräfte ßenminister mit einem gewissen Stolz - sehr gute
erhalten. Für eventuell notwendig werdende mari- Botschafter für uns.
time Operationen sind eine Fregatte, ein Zerstörer (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr! -
sowie drei Seefernaufklärer vorgesehen. Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das gilt für
deutsche Entwicklungshelfer auch!)
Diese Kräfte sollen, abgesehen von unserem Bei-
trag für die Hauptquartiere, nicht in Bosnien-Herze- Unser Dank und unsere Anerkennung gelten
gowina stationiert werden. Sie stehen jedoch für den ebenso - ich sage das noch einmal - den zahllosen
zeitlich begrenzten Einsatz dort zur Verfügung. Es freiwilligen Helfern und Mitgliedern von Nichtregie-
werden grundsätzlich nur Berufs- und Zeitsoldaten rungsorganisationen.
5350 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel


Meine Damen und Herren, unsere wachsende Wenn aber Schutz zugesagt ist, dann muß er auch
Rolle in der UNO wurde und wird in New York ge- gewährt werden. Žepa und Srebrenica dürfen sich-
würdigt. Im Oktober 1994 sind wir zum dritten Mal nicht wiederholen.
mit immerhin 164 von 170 möglichen Stimmen zum
nichtständigen Mitglied des Sicherheitsrates ge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
wählt worden. Ein ständiger Sitz Deutschlands in wie bei Abgeordneten der SPD und des
diesem Gremium, den wir wollen, ist auch ein deut- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sches Angebot zur Übernahme größerer Verantwor-
tung. Dies stößt inte rn ational und bei den Bürgern in Zweitens. Die UNO muß sich mehr dem Vorfeld
unserem Land auf Zustimmung. Wir setzen uns vor von Konflikten, also der Konfliktvorbeugung, zu-
allem aber dafür ein, daß die Reform des Sicherheits- wenden - Stichwort: Burundi.
rates auch zu einer besseren Vertretung der großen
Länder der Dritten Welt - Asiens, Afrikas, Latein- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und
amerikas und der Karibik - führt. der SPD sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
Die Ernennung des früheren Personalchefs des PDS)
Auswärtigen Amtes, Paschke, zum UNO-Sparkom-
missar im Range eines Untergeneralsekretärs war Ich habe vor zwei Tagen in New York erneut ein
ebenfalls ein Zeichen der Anerkennung unserer langes Gespräch mit dem Präsidenten von Burundi
wachsenden Rolle. Er hat im übrigen in diesen Ta- gehabt, und ich sage hier vor dem Deutschen Bun-
gen, nach einem Jahr, seinen ersten bemerkenswer- destag, daß wir uns um die Entwicklung in diesem
ten Bericht über seine Vorschläge und seine Maß- Land große Sorgen machen sollten.
nahmen zur Reform der Vereinten Nationen vorge-
legt. Was die Anerkennung anbelangt, gilt dasselbe (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
für die Übertragung der Koordinierung der Blau- NEN]: Das sagen wir seit Ap ril!)
helm-Einsätze auf den deutschen General Eisele.
Ich fürchte sehr - wir haben als Bundesregierung
Die Ansiedlung des Internationalen Seegerichtsho- versucht, alles zu tun, was wir nur können -, daß wir
fes in Deutschland, des UN-Freiwilligenprogramms vor einer Entwicklung stehen könnten, die mit der in
in Bonn, des UN-Informationszentrums und des Se- Ruanda vergleichbar wäre. Das würde der Weltöf-
kretariats der Klimarahmenkonferenz muß für uns fentlichkeit, vor allem dem Ansehen der Vereinten
Verpflichtung sein, weiter mitzuhelfen, daß wir unse- Nationen, sehr schlecht bekommen.
ren Kindern und Enkeln eine bewohnbare Erde hin-
terlassen, eine Welt, in der Haß, Gewalt und Vertrei- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
bung entgegengetreten wird, eine Welt, in der derje- DIE GRÜNEN]: Was schlägt der Bundesau
nige, der foltert und die Menschenrechte mit Füßen ßenminister vor?)
tritt, nicht ruhig schlafen kann und von der Weltöf-
fentlichkeit an den Pranger gestellt wird. Drittens: Bessere Abstimmung zwischen der UNO
und anderen mitbeteiligten Organisationen, wie
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so etwa der NATO, Effizienz der Kommandostruktur.
wie bei Abgeordneten der SPD)
Viertens: Entlastung durch Regionalorganisatio-
Meine Damen und Herren, das Jubiläumsjahr der
nen. Nicht jeder Konflikt muß sofort bei der UNO
Vereinten Nationen ist natürlich auch ein Jahr großer landen. Den Bemühungen der Bundesregierung
Probleme. Die UNO wird ihre Rolle verspielen - das
war es vor allem zuzuschreiben, daß sich die OSZE
war in den zurückliegenden Tagen ein zentrales
ausdrücklich zu ihrer Erstverantwortung bekannte.
Thema -, wenn ihre Finanzkrise nicht gelöst und ihr Die OSZE muß ihrer Rolle bei der regionalen Frie-
Wirtschafts- und Sozialbereich nicht rationalisiert
denssicherung auch im Rahmen der UNO gerecht
wird. Zudem müssen die Möglichkeiten und - das
werden. Unser weiteres Ziel, daß sich die OSZE
füge ich hinzu - auch die Grenzen der Friedenssiche- notfalls auch ohne Zustimmung der Konfliktpar-
rung überdacht werden. Deshalb verlangt ein Enga- teien um Konfliktlösung bemühen kann, haben wir
gement für die Vereinten Nationen heute auch und
bisher leider noch nicht erreicht. Wir werden wei-
vor allem ein Engagement für die Reform. Aus den in
ter dranbleiben.
Somalia, Ruanda und Bosnien gemachten Erfahrun-
gen gilt es, Lehren zu ziehen: Meine Damen und Herren, der Schutz der Men-
Erstens. Die Kräfte der Vereinten Nationen sind schenrechte bleibt ein zentrales Ziel der Bundesre-
gegenwärtig eindeutig überfordert. Die UNO muß gierung und unserer Politik. Die Einsetzung eines
sich in ihren Einsätzen wieder auf das Machbare Hochkommissars für Menschenrechte - im vergange-
konzentrieren. Wenn ein Friedenswille der Konflikt- nen Jahr - ist von uns nachdrücklich gefordert wor-
parteien nicht erkennbar ist - und so war es leider den. Auch nach dem Waffenstillstand in Bosnien dür-
Gottes relativ lange im früheren Jugoslawien -, be- fen massive Verletzungen der Menschen- und Min-
darf es für ein Engagement - ich sage es so deutlich - derheitenrechte nicht unter den Teppich gekehrt
ganz besonderer Umstände, weil man natürlich nicht werden.
in der Lage ist, gegen einen erklärten Willen von
Konfliktparteien von außen Frieden zu schaffen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
wie bei Abgeordneten der SPD, des BÜND
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5351
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Wer sich schuldig gemacht hat, muß zur Verantwor- der Aufnahme von über 400 000 Bürgerkriegsflücht-
tung gezogen werden. lingen aus dem ehemaligen Jugoslawien zur Linde- -
rung des Flüchtlingselends in Europa einen wichti-
(Günter Verheugen [SPD]: Auch in Tehe gen Beitrag geleistet.
ran!)
In rund 88 Ländern, die Hälfte davon in Afrika süd-
Friedenssicherung heißt auch, den Rückfall in das lich der Sahara, sind Hunger und Unterernährung
Wettrüsten zu verhindern und die Menschheit von immer noch weit verbreitet. 1994 wurden durch Nah-
Massenvernichtungswaffen zu befreien. Ich will rungsmittelhilfen des Welternährungsprogramms
zwei Aufgaben herausgreifen: 57 Millionen arme und hungrige Menschen erreicht.
Spätestens 1996 muß es in Genf zum Abschluß ei- Das Gesamtprojektvolumen dieser Unterstützung be-
nes umfassenden Atomteststoppvertrages kommen. trägt 2,6 Milliarden Dollar.
Die Tür dafür steht jetzt offen wie nie zuvor. Präsi- UNICEF hat für die Kinder, wahrhaft die schwäch-
dent Chirac hat vorgestern vor der Generalversamm- sten Glieder in unserer und in allen Gesellschaften,
lung noch einmal bekräftigt, daß Frankreich dieses viel erreicht. 1994 führte UNICEF in 149 Ländern
Ziel unterstützt. Programme durch - Gesamtausgaben: 800 Millionen
Personenminen sind eine besonders scheußliche Dollar.
Massenvernichtungswaffe. Die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren ist
(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE in den letzten drei Jahrzehnten mehr als halbiert
GRÜNEN]: Nicht nur die!) worden. Aber es bleibt noch unendlich viel zu tun:
Mehr als 100 Millionen Kinder auf der Welt können
Sie töten und verstümmeln jedes Jahr mehr als nicht in die Schule gehen. 800 Millionen Menschen,
20 000 Menschen, zu oft Frauen und vor allem Kin- davon 200 Millionen Kinder, sind chronisch unterer-
der, und das noch Jahre nach dem Ende von Konflik- nährt, haben von der ersten Sekunde ihres Lebens an
ten. Die Produktion einer solchen Mine kostet zum nicht die geringste Chance, ein einigermaßen men-
Teil ganze 4 DM, ihre Räumung heute im Durch- schenwürdiges Leben zu führen. Das darf uns nicht
schnitt 1 500 DM. Auf Betreiben der Europäischen ruhig und ruhen lassen.
Union ist bei der UNO ein Minenräumfonds einge-
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der
richtet worden. Hunderttausend Minen sollen und
SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
können in diesem Jahr geräumt werden; gleichzeitig
aber werden schätzungsweise 2 Millionen neue Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik ist
Landminen auf der Erde gelegt. Das kann und darf Friedenssicherung. Die Agenda für Entwicklung
auf Dauer so nicht bleiben. muß zu einer neuen Entwicklungspartnerschaft füh-
ren. Diese setzt aber die längst überfällige Reform
(Beifall bei der F.D.P und der CDU/CSU so
des Wirtschafts- und Sozialbereichs der UNO vor-
wie bei Abgeordneten der SPD, des BÜND
aus. Die Staats- und Regierungschefs der G 7 haben
NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)
in Halifax konkrete Vorschläge für eine „ Schlank-
Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin ener- heitskur" gemacht.
gisch für ein weltweites Verbot und die Ächtung von (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Personenminen einsetzen. Deutschland exportiert DIE GRÜNEN]: Beim Wo rt „Schlankheits
keine Personenminen, und es produziert auch keine. kur" guckt er als erstes auf den Kanzler! -
Noch ist die Landminenkonferenz in Wien nur Gegenruf von der CDU/CSU: Der Fischer
suspendiert; noch besteht die Chance für einen gro- soll sich einmal selber angucken!)
ßen Schritt in Richtung Menschlichkeit.
Wir sind uns einig über die Ziele: schärfere Definition
Es kann nicht deutlich genug gesagt werden: Die der Entwicklungsziele, klare Prioritäten; Beschnei-
UNO ist natürlich weit mehr als Blauhelmmissionen. dung des Wildwuchses von 150 Sonderorganisa-
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: tionen, Programmen und Unterorganisationen; An-
Eben!) passung der Mandate der einzelnen Organisationen,
keine Überlappung und Doppelarbeit sowie vor al-
Was die UNO und ihre Sonderorganisationen welt- lem Sicherstellung von Koordinierung und Rechen-
weit tun, damit die Schwachen und Armen dieser schaftspflicht.
Welt eine Lebensperspektive bekommen, steht leider
selten in den Schlagzeilen. Dennoch ist dies der Be- Die Konferenz von Rio hat der Weltöffentlichkeit
reich, wo sie mit weitem Abstand am erfolgreichsten vor Augen geführt, daß die Kräfte der Erde begrenzt
und wohl auch am wichtigsten ist. sind. Der Mensch muß die Entwicklung in diesen
Grenzen halten, wenn er überleben will. Konventio-
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: nen zum Klimaschutz, zum Erhalt der biologischen
Richtig!) Vielfalt und zur Bekämpfung der Wüstenbildung
konnten abgeschlossen werden. Die Bundesregie-
Pro Jahr unterstützen die UNO und ihre Sonderorga-
rung drängt weiter; der Rio-Prozeß darf sich nicht
nisationen die Entwicklungsländer mit ca. 5 Milliar-
festfahren. Wir haben im Ap ril mit der Klimakonfe-
den Dollar. Die UN-Hochkommissarin für Flücht-
renz in Berlin dafür ein gutes Zeichen gesetzt.
linge, Ogata, hilft gegenwärtig etwa 27 Millionen
Menschen. Über 14 Millionen von ihnen müssen sich (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
in fremden Ländern aufhalten. Deutschland hat mit DIE GRÜNEN): Ha, ha, ha!)
5352 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel


Die Ansiedelung des Sekretariats der Klimarahmen- pflichtungen in vollem Umfang und pünktlich nach-
konvention in Bonn ist auch Ausdruck der hohen Er- zukommen. -
wartungen an Deutschland. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) der SPD sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
Meine Damen und Herren, Generalsekretär Bou- PDS)
tros-Ghali hat seine Organisation mit einer Feuer-
wehr verglichen, die gleichzeitig eine Vielzahl von Ich habe das auch in beiden Reden vor den Verein-
Großbränden löschen soll, während noch für ihre ten Nationen in New York in den letzten drei Wochen
Ausrüstung gesammelt wird. Bis heute haben erst 67 so deutlich gesagt.
der 185 Mitglieder ihre Beiträge zum Haushalt 1995 Präsident Clinton hat in seiner Rede vor der Son-
entrichtet. Die ausstehenden Zahlungen erreichen dergeneralversammlung vor zwei Tagen ein Be-
inzwischen die Summe von 3,2 Milliarden Dollar. kenntnis zur UNO und zu den finanziellen Verpflich-
Und da beklagt man sich über die mangelnde Lei- tungen der USA abgegeben. Als Freunde und Part-
stungsfähigkeit der UNO! ner der USA hoffen wir, daß sich auch der amerikani-
sche Kongreß endlich zu dieser Verantwortung be-
Die fünf größten Beitragszahler der UNO sind:
kennt.
USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Rußland.
Wir Deutsche bezahlen 8,94 % des UNO-Haushalts (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
und liegen damit an dritter Stelle. Zum Stichtag wie bei Abgeordneten der SPD - Bundes
15. Oktober waren die USA mit ihren Zahlungen kanzler Dr. Helmut Kohl: Sehr gut!)
zum regulären Haushalt mit 527,2 Millionen Dollar
Die Vision der UNO-Charta wurde nicht durch Zu-
im Rückstand. Bei den Zahlungen für Blauhelmmis-
fall in den Vereinigten Staaten geboren. Die USA ha-
sionen sind von den fünf größten Beitragszahlern mit
ben sich immer zu Recht als Vorkämpfer der Freiheit
Ausnahme Deutschlands alle im Rückstand.
und der Menschenrechte betrachtet. Deshalb müs-
In den Beitragsstatistiken der UNO werden aller- sen die USA ihre Führungsrolle auch in den und für
dings auch wir - ich sage das ganz bewußt - mit die Vereinten Nationen wahrnehmen.
13,7 Millionen Dollar als Schuldner geführt. Dabei (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
handelt es sich um einen rückständigen Beitrag der wie bei Abgeordneten der SPD)
ehemaligen DDR zu der Blauhelmmission im Liba-
non. Die Fortschritte - auch das sollte nicht vergessen
werden -, die Boutros-Ghali in puncto Rationalisie-
(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Soll rung und Einsparung schon erreicht hat, sind be-
der Gysi bezahlen! - Dr. Helmut Lippelt achtlich. Seit 1992 wurde die Zahl der stellvertreten-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir den Generalsekretäre von 17 auf 10 reduziert, die
übernehmen doch die Geschichte des gan Abteilungen wurden neu gegliedert und gestrafft,
zen Deutschland! - Joseph Fischer [Frank überflüssige Stellen gestrichen, neue Schwerpunkt-
furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alt bereiche ausgebaut. Regionale, internationale Ent-
schulden!) wicklungszusammenarbeit, Drogenkontrolle, Bevöl-
kerungsfragen, Menschenrechte, humanitäre Hilfe
Die Bundesregierung hat sich ohne Anerkennung ei-
und interne Kontrolle wurden verstärkt. Der Haus-
ner Rechtspflicht
halt für die kommenden zwei Jahre weist einen
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Rückgang von 4,2 % oder 105 Millionen Dollar aus.
DIE GRÜNEN]: Altschuldenproblematik Die UNO verfügt weltweit über rund 51 500 Be-
auch in New York!) dienstete. Das entspricht dem Personal von Polizei
- hören Sie doch bitte zu! - freiwillig bereit erklärt, und Feuerwehr der Stadt New York. Der reguläre
diesen Rückstand zu tilgen. UN-Haushalt ist mit rund 1,3 Milliarden Dollar ge-
nauso hoch wie der Haushalt von Bonn oder Biele-
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ feld. Fazit: Vom bürokratischen Moloch kann wohl
DIE GRÜNEN]: Das war der Herr Schäuble nicht die Rede sein.
mit seinem Vertrag!)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
Wir haben bereits Zahlungen in Höhe von wie bei Abgeordneten der SPD und des
2,1 Millionen Dollar vorgenommen und sind über die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Art und Weise der restlichen Tilgung im Gespräch Meine Damen und Herren, in der Beschlußvorlage
mit der UNO. des Bundestages vom September 1993 zur Reform
(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Der der UN heißt es lakonisch, aber völlig richtig: Alter-
Gysi ist nicht da, weil er sammelt! Der ist in nativen: keine. Daran hat sich bis heute nichts geän-
der Schweiz und löst ein paar Konten auf! - dert. Das wird den Kurs unserer UN-Politik auch in
Unruhe - Glocke der Präsidentin) Zukunft bestimmen.

- Geld scheint sehr aufregend zu sein. Im übrigen: Deutschlands Verhältnis zu den Ver-
einten Nationen war immer auch ein Spiegel unserer
Als pünktlicher Beitragszahler appellieren wir an Geschichte. Vergessen wir nicht: 1933 sind wir aus
alle säumigen Mitgliedstaaten, ihren Beitragsver dem Völkerbund ausgetreten. Die Gründung der
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5353
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Vereinten Nationen war ein Hoffnungszeichen am Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Brecht, ge-
Ende des von uns entfesselten Zweiten Weltkriegs. statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fritz? -
Die Aufnahme zweier deutscher Staaten in die UNO
am 18. September 1973 war der Anfang vom Ende
des Ost-West-Konflikts. Dr. Eberhard Brecht (SPD): Aber bitte schön.

Deutschland hat seine Politik seit dem Zweiten


Weltkrieg in den Dienst des Friedens und der Men- Erich G. Fritz (CDU/CSU): Herr Kollege Brecht,
schenrechte gestellt. Wir haben unser Schicksal mit sind Sie nicht auch der Meinung, daß mancher von
dem vereinten Europa verknüpft und uns an dem denen, die sich in New York für ein Foto plaziert ha-
weltweiten Kampf gegen Armut und Unterentwick- ben, besser daran getan hätte, zu Hause zu bleiben
lung solidarisch beteiligt. und die Beiträge rechtzeitig an die UNO zu überwei-
sen?
Heute ist unsere engagierte Unterstützung der
Vereinten Nationen ein Spiegel unseres Neuanfangs (Beifall bei der CDU/CSU - Freimut Duve
seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir Deutsche werden [SPD]: Keine Bösartigkeiten!)
uns auch in Zukunft für eine starke UNO einsetzen -
im Interesse Deutschlands und der einen Welt, in der
wir leben. Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Kollege Fritz, Sie
wissen doch genau, daß dieser deutsche Bundes-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) kanzler einen ungeheuer großen Wert auf symboli-
sche Akte legt. Daß er es gerade im Zusammenhang
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster mit den UN-Feierlichkeiten versäumt hat, ein solches
spricht der Kollege Dr. Eberhard Brecht. Zeichen zu setzen, finde ich für die deutsche Außen-
politik beschämend.

Dr. Eberhard Brecht (SPD): Frau Präsidentin! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bun- ten der PDS)
desaußenminister, Sie haben in Ihrer Rede eben den
Anspruch von Willy Brandt zitiert, dem nach Willy Brandt und Walter Scheel haben die Bundesre-
Deutschland weltpolitische Mitverantwortung über- publik Deutschland doch nicht aus Prestigegründen
nehmen solle. Sie haben für sich in Anspruch genom- in die Vereinten Nationen geführt. Nein, unsere bela-
men, die Bundesregierung habe Wort gehalten. Aber stete Geschichte, unsere geographische Lage, aber
was, Herr Bundesaußenminister, hätte Willy Brandt auch unsere weltwirtschaftliche und politische Ver-
wohl dazu gesagt, daß sein Kanzlerenkel Kohl nicht zahnung zwingen unsere Außenpolitik geradezu in
zur Jubiläumsfeier in New York erschienen ist? eine multilaterale Option. Deutschland hat ein star-
kes Interesse, mit Hilfe der UNO die globalen Bedro-
(Beifall bei der SPD) hungen abzuschwächen oder, wenn möglich, sogar
zu beseitigen.
Hätte er dafür Verständnis aufgebracht, daß sich
zwar Clinton, Jelzin, Major, Chirac und Murayama Noch bevor das internationale Parkett im UN-
mit dem mehr symbolischen Fünf-Minuten-Redebei- Hauptquartier am East River für das festliche Treffen
trag abgefunden haben, der deutsche Bundeskanzler auf Hochglanz gebracht wurde - auf dem der deut-
dies aber ablehnte? Er, der deutsche Bundeskanzler, sche Kanzler ohnehin durch Abwesenheit glänzte -,
werde bei nächster Gelegenheit - so war zu lesen - schlüpfte in diesem Monat sein Finanzminister auf
in einer angemessenen Länge vor einer entsprechen- der IWF-Konferenz in die Rolle des Außenministers.
den Kulisse reden. Ich frage mich: Wer ist dieser Er erklärte nämlich kurzerhand, daß Deutschland die
deutsche Bundeskanzler, daß er diesen arroganten Einrichtung eines Hilfsfonds für die LDC-Länder,
Anspruch erhebt? also für die Ärmsten der Armen, rundweg ablehne.
Es kann doch wohl nicht angehen, daß Herr Waigel
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
in Amerika verkündet, was Deutschland in der UNO
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
bezahlt und was nicht. Wer macht in diesem Land ei-
und der PDS - Widerspruch bei der CDU/
gentlich UN-Politik?
CSU)
Einen schlechteren Dienst hätte er dem Außen- (Beifall bei der SPD - Bundeskanzler
minister und dem Auswärtigen Amt, das um interna- Dr. Helmut Kohl: Die Bundesregierung!)
tionale Reputation am East River bemüht ist, nicht er- Diese Frage habe ich mir schon des öfteren stellen
weisen können. Zudem bemerkt man natürlich in müssen. Als Mitglieder des Unterausschusses Ver-
New York hämisch, daß außer Helmut Kohl nur noch einte Nationen 1993 die deutsche UN-Vertretung be-
Männer wie Saddam Hussein und Muammar Gad- suchten, war dort der im Bundestag gerade verab-
dafi fehlten. schiedete Antrag der Koalition - nicht der der SPD -
(Zurufe von der CDU/CSU: Was soll das? - zur Reform der Vereinten Nationen noch immer nicht
Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?) bekannt. Wie soll denn eine Reformpolitik in New
York umgesetzt werden, wenn sie do rt nicht einmal
Ist es nun Arroganz? Ist es Ungeschicklichkeit? Oder bekannt ist? Als Grund für die Zurückhaltung dieses
ist es Desinteresse des deutschen Bundeskanzlers an Antrages wurde mir erklärt, daß das BMF gegenüber
dieser Weltorganisation? diesem Beschluß noch Vorbehalte habe. Nun frage
5354 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Eberhard Brecht


ich mich erneut: Wo liegt bei dieser Bundesregierung solche vorwärtsweisende Rolle kann ich bei der Re-
die Federführung in der UN-Politik? form eines besonders kranken, aber auch besonders
wichtigen Organs des Systems der Vereinten Natio-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
nen, des ECOSOC, des Wirtschafts- und Sozialrats,
Zudem bleibt natürlich auch zu fragen, welches De- nicht erkennen. Sie, Herr Bundesaußenminister, ha-
mokratieverständnis hier vorherrscht, wenn die Exe- ben zwar gerade auf Halifax abgehoben und mysti-
kutive die Beschlüsse der Legislative nach Gutdün- sche Reformvorstellungen wie „klare Ziele", „klare
ken umsetzt - oder auch nicht. Prioritäten" und „keine Doppelarbeit" angespro-
chen. Aber es gibt keinen substantiellen Beitrag
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschlands, der sagt, wie diese Reform durchzu-
Ein weiteres Beispiel für die mangelnde Abstim- führen ist. Man kann nicht nur ständig referieren,
mung der UNO-Politik der Bundesregierung bietet wie die Vorschläge anderer aussehen, z. B. der Bei-
die Auseinandersetzung zwischen dem Auswärtigen trag von Mau ri ce Be rt rand oder der Beitrag der nor-
Amt und dem Bundesminister der Verteidigung über dischen Staaten, sondern irgendwann muß man in
die sogenannten Stand-by Arrangements. Botschaf- den Gesprächen auch eine eigene Position beziehen.
ter Henze, der bemerkte, daß Deutschland zum da-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
maligen Zeitpunkt bei Friedensoperationen der Ver-
einten Nationen ein nicht sehr beeindruckendes Bild Um so nachdrücklicher macht sich die Bundesre-
abgebe, kündigte - offensichtlich in Ihrem Auftrag, gierung für eine Reform des Sicherheitsrates stark.
Herr Bundesaußenminister - in New York eine deut- Es wäre jedoch sehr kurzsichtig, wenn der deutsche
sche Beteiligung an; eine Zusage, die dann anschlie- Reformeifer nur aus purem Eigeninteresse angetrie-
ßend vom Kanzleramt wieder gecancelt wurde. Als ben würde.
Generalsekretär Boutros-Ghali im Januar 1995 in
Bonn weilte, mußte er sich dann noch einmal das ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
nerelle Nein der Hardthöhe anhören. Welche Gründe
Jeder, der sich in der UNO auskennt, weiß, daß es
gab es eigentlich für die Hardthöhe, hier generell
den sogenannten quick f ix nicht geben wird. Ent-
nein zu sagen? Hier geht es doch nicht um Kampf-
scheidend ist vielmehr eine angemessene Repräsen-
truppen, sondern um die prinzipielle Bereitstellung
tanz von Vertretern der Regionen Südamerika,
von Logistik und hochtechnologischen Ausrüstungs-
Afrika und Asien.
teilen für die Friedensarbeit der Vereinten Nationen.
Stand-by Arrangements wurden inzwischen mit ei- Zwar teilen wir Sozialdemokraten prinzipiell die
ner ganzen Reihe von Staaten abgeschlossen. Ich Auffassung der Koalition, daß ein ständiger Sitz
nenne Jordanien, Ägypten und Dänemark. So kleine Deutschlands im Sicherheitsrat ein legitimes Ziel ist,
Staaten können das, aber Deutschland offensichtlich solange ein gemeinsamer EU-Sitz nicht möglich ist.
nicht. Ich frage mich, ob hier der politische Wille Der Eifer, mit dem die Regierung jedoch in dieser An-
fehlt. gelegenheit agiert, ist problematisch. Die Bundesre-
publik Deutschland in der Rolle des Demandeurs -
(Zuruf von der CDU/CSU: Wo bleibt der
Beifall Ihrer Fraktion?) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Können Sie
das auf deutsch sagen?)
Meine Damen und Herren, die Geschäftsordnung
der Bundesregierung, die die Regeln zur Ressortab- - ja, Nachhilfe können wir nachher geben - ver-
sprache enthält, nützt überhaupt nichts, wenn die schreckt nicht nur den einen oder anderen euro-
Resso rt s ihre eigene Politik vertreten. päischen Pa rtner - siehe Italien -, sondern ein auf
einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat drängendes
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschland wird möglicherweise auch größere Zu-
Dem Buchstaben nach hat der Kanzler die Richtli- geständnisse machen müssen, als das überhaupt
nienkompetenz. Doch wer koordiniert die deutsche nötig wäre. Es gibt überhaupt keinen Grund, den po-
UN-Politik? Gibt es eine Staatssekretärsrunde, die litischen Preis für das Eintrittsbillett so hoch zu ge-
UN-Politik aus einem Guß gestaltet? Wäre es nicht stalten. Da sich nicht wenige Länder im Westen und
sinnvoll, UN-Weltkonferenzen grundsätzlich im in der südlichen Hemisphäre von einem multilateral
Kanzleramt oder im Auswärtigen Amt zu koordinie- orientierten Deutschland eine konstruktive Rolle in
ren? Dann wären die Reibungsverluste, die ich im der Weltorganisation versprechen, sollten wir in die-
einzelnen nicht nennen möchte, vermieden worden. ser Frage, meine Damen und Herren von der Koali-
Ich denke, daß die Bundesregierung gerade an die- tion, sehr viel mehr Gelassenheit zeigen.
ser Stelle ihre Hausaufgaben noch zu machen hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Günter Verheugen [SPD]: Richtig! Nicht
Der Bundesaußenminister hat hier eine flammende
nur do rt !)
Rede zur Beitragszahlung der USA gehalten. Das ge-
Es ist unumstritten, daß der grundlegende Wandel schieht zu Recht, aber ich frage mich, wo dieser Mut
der internationalen Beziehungen seit 1989 und die und dieser Eifer waren, als er sein Fünf-Minuten-Sta-
damit verbundenen neuen Aufgaben für die Verein- tement in New York abgegeben hat. Jacques Chirac
ten Nationen eine grundlegende Reform der UNO hat wesentlich deutlichere Worte gefunden. Ich
nötig machen. Die Bundesregierung, die Bundesre- glaube, daß wir Deutsche in einer ganz besonderen
publik verfügt über entsprechende Möglichkeiten, Verantwortung stehen, auf den amerikanischen
um einen substantiellen Beitrag dazu zu leisten. Eine Bündnispartner Einfluß zu nehmen. Die amerikani-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5355
Dr. Eberhard Brecht
schen Beitragsrückstände gefährden die UN in ihrer Sie gefragt: Wo ist denn der Kanzler heute angesichts
Existenz. der Probleme im eigenen Land? -

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Widerspruch bei der SPD - Abg.
Dr. Eberhard Brecht [SPD] meldet sich zu
Wenn wir der Ernsthaftigkeit dieses Problems nicht einer Zwischenfrage)
gerecht werden und uns nicht stärker - auch mit
Blick auf den Kongreß - einsetzen, werden wir keine Aber jetzt einmal im Ernst: Herr Brecht, Sie sind
Erfolge erzielen. Ich meine, Herr Bundeskanzler, Sie doch ein alter, erfahrener UN-Hase.
sollten als Bundeskanzler dieses Landes mit Bill Clin-
(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sein Name
ton Kontakt aufnehmen. Dazu war in New York eine
ist Hase, er weiß von nichts!)
Gelegenheit, die Sie leider verpaßt haben.
Auch Sie wissen doch, wo in Wirklichkeit UN-Politik
Meine Damen und Herren, auf der Jubiläums- angeschoben wird. Der Kanzler war immer da, wo es
veranstaltung „50 Jahre UNO" der SPD-Bundestags- galt, UN-Politik zu machen.
fraktion vor zwei Wochen hat der schwedische
Ministerpräsident Ingvar Carlsson ein engagiertes (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Plädoyer für ein Mehr an politischem Willen zur Stär-
kung und Reform der Vereinten Nationen gehalten.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Ruck, gestat-
Er zitierte eingangs jene klassische Passage von Olof
ten Sie eine Zwischenfrage?
Palme aus dem Jahr 1985, die angesichts der Kassan-
drarufe über die Zukunft der UNO heute besonders
aktuell ist. Ich zitiere: Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Gleich; diesen Ge-
danken möchte ich noch zu Ende führen.
Lassen Sie uns die Vereinten Nationen nicht zum
Sündenbock für jene Probleme machen, die unse- (Otto Schily [SPD]: Wo war denn der Ge
re eigenen Schwächen widerspiegeln. Es ist nicht danke? - Heiterkeit bei der SPD)
so, daß die Vereinten Nationen nicht an unsere Die SPD hat vor dem Rio-Gipfel, vor dem Klimagip-
hohen Erwartungen heranreichen. Wir sind es, fel in Berlin und vor dem Gipfel in Halifax gejam-
die die Ideale der Vereinten Nationen noch nicht mert, sie hat in der Zeit dazwischen gejammert, und
erreicht haben. Nur indem wir uns selbst und un- sie hat nachher gejammert, während der Kanzler
sere Politik verbessern, können wir auch die Ver- diese für die UNO so wichtigen Gipfel ganz entschei-
einten Nationen verbessern. dend mitgeprägt, angeschoben und dafür gesorgt
Meine Damen und Herren, diese Maxime sollte hat, daß diese Gipfel für die UNO zum Erfolg gewor-
auch für den Deutschen Bundestag, aber noch mehr den sind.
für die deutsche Bundesregierung gelten, die nun (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
endlich eine einheitliche Sprache in der UN-Politik Zuruf von der SPD)
finden sollte.
- Ich glaube schon, daß der Kanzler weiß, wo im Zu-
Ich bedanke mich. sammenhang mit der UNO die Musik spielt. - Bitte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Freimut Duve [SPD]: Aber ein bißchen
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN peinlich ist es schon!)
und der PDS)
- Für wen denn, Herr Duve?
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich gebe jetzt das
Wo rt an den Kollegen Dr. Ch ristian Ruck. Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Kollege Ruck,
können Sie mir irgend jemanden aus dem Inland
oder dem Ausland nennen, der Ihrer Interpretation
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! folgen würde, daß der Bundeskanzler zu diesem Zeit-
Meine Damen und Herren! Ich kann in der Kürze der punkt hier mehr gebraucht wurde?
Zeit nicht alles richtigstellen, was mein Vorredner
ausgeführt hat. Aber lassen Sie mich zwei Dinge sa- (Michael Glos [CDU/CSU]: Jawohl, in Mün
gen: chen beim CSU-Jubiläum! - Heiterkeit bei
der CDU/CSU und der F.D.P.)
Herr Brecht, Ihre Kritik am Bundeskanzler hat
denselben wahrscheinlich im Mark getroffen.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Es steht mir nicht
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der an, das Privatleben des Bundeskanzlers zu kommen-
F.D.P.) tieren. Ich kann nur nochmals sagen: Aus Ihren Wor-
ten, Herr Brecht, ging zweifellos hervor, daß der
Insbesondere war Ihr Ratschlag, endlich mit Bill Clin- Kanzler auch für die SPD überall gebraucht wird, so-
ton Kontakt aufzunehmen, sehr we rt voll. wohl in New York als auch im eigenen Land.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der war
und der F.D.P.) doch auf dem CSU-Parteitag!)
Man sieht, auch die SPD braucht den Kanzler über Im übrigen Herr Brecht: Ich habe von Ihnen auch
all. Denn wenn er in New York gewesen wäre, hätten schon intelligentere Fragen gehört.
5356 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Ruck, gestat- heblich schwieriger ist, als die meisten von uns dach-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve? ten. Zwischen den Anforderungen an die UNO und -
den Möglichkeiten der Organisation, die ihr die Staa-
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Herr Duve, bitte. tengemeinschaft bislang einräumt, klafft eine gewal-
tige Lücke. Meine Vorredner haben die wesentlichen
Faktoren bereits angesprochen. Die organisatori-
Freimut Duve (SPD): Herr Kollege, wie bewerten schen, administrativen und finanziellen Strukturen
Sie in diesem Zusammenhang die Reise des Herrn stammen großenteils noch aus einer anderen weltpo-
Bundeskanzlers zu einem Fußballspiel in die Verei- litischen Zeit, als es eben nicht darum ging, daß die
nigten Staaten, als hier der 17. Juni zu begehen war Vereinten Nationen rasch, effizient und umfassend
und er hier gebraucht worden wäre, handeln sollten.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Damals hat Die Sanktionsmittel gegenüber den von der UNO
Deutschland gewonnen! - Eduard Oswald geächteten Verbrechen sind zu schwach. Die politi-
[CDU/CSU]: Es gab einen 1:0-Sieg für sche Struktur der Entscheidungsmechanismen ist ei-
Deutschland!) nerseits demokratisch, aber ineffizient - wie in der
er aber meinte, bei dem Fußballspiel sein zu müssen? Generalversammlung -, andererseits - wie im Sicher-
heitsrat - effizient, aber undemokratisch und damit
immer weniger akzeptiert.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Als Mitglied der
Bundestagsfußballmannschaft bewe rt e ich das aus-
gesprochen positiv. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Ruck, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Stet-
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU ten?
und der F.D.P.)
Meine Damen und Herren, bei aller Freude am frü- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Bitte schön.
hen Morgen ist für die meisten von uns - um zum
Ernst der Sache zurückzukommen - die Freude über
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
das 50jährige Jubiläum der Vereinten Nationen trotz
Herr Kollege Ruck, es wurde viel über Organisation
aller Feierlichkeiten eher gedämpft. Zu tief sitzen
und über den finanziellen Beitrag der Bundesrepu-
Schrecken und Enttäuschung über die Fehlschläge
blik Deutschland gesprochen. Finden Sie nicht, daß
der internationalen Staatengemeinschaft in der jüng-
wir zumindest darauf hinarbeiten müßten, daß der
sten Vergangenheit, z. B. in Afrika und im ehemali-
Art. 107 der UN-Charta, die sogenannte Feindstaa-
gen Jugoslawien. Die Finanzsorgen der UNO sind
tenklausel, die insbesondere für Japan und Deutsch-
erdrückend, die Reformen überfällig. Manche auf-
land gegolten hat, aufgehoben, außer Kraft gesetzt
keimende Hoffnung war verfrüht.
wird? Ich frage Sie, ob der Auswärtige Ausschuß hier
Vor einigen Jahren wäre der Jubel sicher größer bereits Initiativen ergriffen hat oder ob Initiativen er-
gewesen als in diesen Tagen. Nach dem Ende des griffen werden. Denn es kann nicht sein, daß Japan
Ost-West-Konflikts schien ein neues Zeitalter für die und Deutschland zu den größten Zahlern und zu den
UNO angebrochen zu sein. Die Weltorganisation Entsendern von Ordnungskräften gehören, aber im-
hatte plötzlich neuen Schwung und einen erheb- mer noch unter die Feindstaatenklausel fallen, die
lichen Bewegungsspielraum, die zu bis dahin in Art anderen Staaten, wenn auch nur formell, diesen bei-
und Umfang einmaligen Operationen wie in Kambo- den Staaten gegenüber alles mögliche erlaubt. Ist es
dscha führten oder zu einer Konferenz für Umwelt nicht sinnvoll, hier eine Initiative zu ergreifen?
und Entwicklung in Rio de Janeiro, bei der die UNO
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Regierungshäupter und Fachleute aus Nord und
Süd, Ost und West zu einem konstruktiven Dialog
über drängende Zukunftsfragen der Erde an einen Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Ich glaube, daß es
Tisch brachte. diese Initiative im Auswärtigen Ausschuß schon
lange gibt, auch im UN-Unterausschuß und in unse-
Die UNO wurde plötzlich von Hoffnungen, Erwar- rer Arbeitsgruppe. Aber sie spielt selbst im politi-
tungen und Anträgen geradezu gejagt. Sie war mit schen Leben keine Rolle mehr. Ich bin dafür, daß wir
einemmal gleichzeitig in mehr Konflikte verwickelt im Zuge der UNO-Reform die Feindstaatenklausel
als in all den vorhergehenden Jahrzehnten zusam- abschaffen, und zwar auch deshalb, weil sie - um mit
men. Sie sollte plötzlich wieder das tun, wozu sie vor dem ehemaligen polnischen Außenminister zu spre-
50 Jahren gegründet wurde, nämlich die Welt zivili- chen - auf dem Müllhaufen der Geschichte landen
sieren, die Umwelt retten und die Armut abschaffen. sollte. Ich glaube, da gibt es auch in der Staatenge-
Mit anderen Worten: Die UNO sollte sich in kürzester meinschaft keinen Widerspruch.
Zeit von einem zahnlosen Papiertiger in einen richti-
gen Tiger zurückverwandeln, den die Gründerväter (Beifall bei der CDU/CSU - Ulrich Irmer
vor Augen hatten und den der Ost-West-Konflikt nie- [F.D.P.]: Das ist wie mit der Todesstrafe in
derstreckte. der bayerischen Verfassung!)
Ich kann mich noch gut an unsere optimistische Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vor all
Grundstimmung bei der letzten UNO-Reformdebatte den Schwierigkeiten, die die Vereinten Nationen ha-
im Bundestag 1993 erinnern. Aber nun sehen wir, ben, zu resignieren und sich von der UNO zurückzu-
daß das Wiedererstarken der Vereinten Nationen er ziehen, wäre jedoch sowohl eine grobe Ungerechtig-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5357
Dr. Christian Ruck
keit gegenüber der Organisation als auch eine ver- trag - Sie haben ihn wahrscheinlich nicht gelesen -
fehlte Politik für die Zukunft. Trotz aller Schwächen niederschlägt und von dem ich auch hoffe, daß ihn-
und Kritikpunkte hat die UNO in den 50 Jahren ihres der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit verab-
Bestehens Großartiges geleistet. Im Gedächtnis fest- schieden wird.
gehalten sind zwar oft nur die schlagzeilenträchtigen
Katastrophen; wir sollten uns aber auch an die un- (Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Hauptsache, er
zähligen oft stillen Erfolge der Vereinten Nationen wird umgesetzt!)
erinnern: im Bereich der Entwicklungs-, Flüchtlings- (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)
und Katastrophenhilfe, der Weltgesundheit, der Hilfe
für die Dritte Welt auf dem Weg in die Unabhängig- Folgende Punkte der Reform und folgende Vorstel-
keit und die erfolgreichen Friedensbemühungen in lungen möchte ich noch einmal herausstellen:
Zypern und auf dem Golan, in Namibia und in El Sal- Erstens. Wir anerkennen die wichtigen Reform-
vador. schritte, die bereits in den letzten Jahren durchge-
führt oder eingeleitet wurden, etwa die Straffung des
Wir sollten an die vielen tausend engagierten Män-
UN-Sekretariats, die Errichtung internationaler Straf-
ner und Frauen denken, die hinter der UNO stehen,
gerichtshöfe, die Reorganisation der Peace-keeping-
und auch an diejenigen, die bis in die jüngste Zeit
Abteilung der UNO. Man muß sich vorstellen, daß
hinein für die Idee der Vereinten Nationen gestorben
diese Abteilung mehr Soldaten in Bewegung hält als
sind.
das Pentagon, aber nur mit einem Siebtel der Mitar-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beiter.
Zweitens. Die administrative und politische Struk-
Meine Damen und Herren, ich glaube auch, es turreform muß konsequent weiterbetrieben werden.
wäre eine törichte Politik, die Bemühungen um eine Sie beginnt bei zeitgemäßen Methoden von Einstel-
Stärkung der Vereinten Nationen aufzugeben. Die lung und Management des Personals sowie der Ent-
Welt braucht die Vereinten Nationen mehr denn je. schlackung der quälenden Tagesordnungen - z. B. in
Die Völker und Nationen rücken immer enger zu- der Generalversammlung -, führt weiter zu zeitge-
sammen, so daß auch einstmals lokale oder nationale mäßer Interpretation der Frage, wann Friede und Si-
Probleme immer häufiger zu internationalen Proble- cherheit - für ein Eingreifen des Sicherheitsrates -
men werden. Viele international gewordene Heraus- bedroht sind, und endet bei der Frage der zukünfti-
forderungen werden zudem immer komplizierter und gen Zusammensetzung des Sicherheitsrates.
bedürfen einer verstärkten grenzüberschreitenden
oder weltweiten Zusammenarbeit, etwa auf dem Ge- Unseren Wunsch nach einer gemeinsamen Vertre-
biet der Proliferation von Massenvernichtungswaf- tung der Europäischen Union halten wir dabei auf-
fen, der Drogenkriminalität oder der Umweltzerstö- recht - nicht in der Absicht, den Einfluß unserer briti-
rung. Dies hat Vizekanzler und Bundesaußenmi- schen und französischen Freunde in der UNO zu
nister Kinkel in New York noch einmal ausführlich schmälern, sondern in dem aufrichtigen Bestreben,
gewürdigt. einen Grundstein für eine spätere gemeinsame Au-
ßen- und Sicherheitspolitik im gemeinsamen europä-
Die Devise gerade auch für unsere deutsche UN- ischen Interesse zu legen. Erst wenn ein solcher Vor-
Politik muß sein, unbeirrt und mit neuer Kraft an eine schlag endgültig abgelehnt werden sollte, streben
Aufarbeitung der Defizite der UN heranzugehen. wir als Bundesrepublik Deutschland genauso wie Ja-
Dabei müssen wir eines klar im Auge behalten: pan einen ständigen Sitz an.
Schuld an den Defiziten haben nicht in erster Linie
der Generalsekretär bzw. die Untergeneralsekretäre Wichtig ist aber, daß wir auch aus dem Kreis der
der UNO und ihre Mitarbeiter; Stärke und Entwicklungsländer Asiens, Afrikas und Lateiname-
Schwäche, Wohl und Wehe der Vereinten Nationen rikas eine stärkere Präsenz im Sicherheitsrat für un-
hängen vielmehr vom Willen und der Politik der ein- umgänglich halten.
zelnen Mitgliedstaaten ab, von denen natürlich ei- Drittens. Die finanziellen Grundlagen der Verein-
nige einflußreicher sind als andere. Nur bei den ein- ten Nationen müssen gesichert werden. Wir haben
zelnen Mitgliedstaaten zusammen liegt der Schlüssel dazu eine Reihe von Vorschlägen formuliert. Ent-
für eine Reform der Vereinten Nationen. scheidend ist zum einen die Feststellung, daß das
derzeitige Beitragssystem nicht mehr die objektive
Es erfüllt daher schon mit Zuversicht, daß zum
wirtschaftliche Leistungskraft der Mitglieder wieder-
50. Geburtstag der Vereinten Nationen zwar nicht
gibt. Viele aufstrebende Schwellenländer sind mit
viel gejubelt werden kann, daß aber nach allen Er-
Recht stolz auf ihre gestiegene wi rt schaftliche und
fahrungen der letzten Jahre alle Mitgliedstaaten in
politische Kraft, möchten aber bei der Bemessung ih-
einer bisher nicht gekannten Weise über eine grund-
rer Mitgliedsbeiträge immer noch als besonders arme
legende Reform der UNO diskutieren, die UNO für
Entwicklungsländer eingestuft werden.
reformbedürftig und auch für reformfähig halten.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Das paßt nicht
(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Davon spürt zusammen!)
man aber nichts!)
Die Beitragsrückstände, vor allem des mit Abstand
Diese Stimmung in New York gibt auch den Reform wichtigsten Beitragszahlers, der Vereinigten Staaten,
bemühungen von CDU/CSU und F.D.P. neuen Elan, haben sich inzwischen lebensbedrohlich aufsum-
der sich, wie ich hoffe, in unserem vorliegenden An miert. Es steht mir nicht zu, unseren amerikanischen
5358 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Christian Ruck


Partnern gute Ratschläge zu geben, aber ich erlaube Aber nach wie vor sind die Aktivitäten der Völker-
mir, an unsere Kollegen von Kongreß und Senat in gemeinschaft bei allem individuellen Engagement -
Washington zu appellieren, ganz nüchtern abzuwä- heillos zersplittert und unkoordiniert. Um die ohne-
gen, wer letztlich von einer dauerhaften und deutli- hin knapp bemessenen Finanztöpfe raufen sich mitt-
chen Schwächung der UNO am meisten betroffen lerweile über 150 Unter-, Neben- und Sonderorgani-
sein wird. sationen. Von einer Abgestimmtheit untereinander
oder gar mit anderen Gebernationen kann nach wie
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU vor keine Rede sein.
und der SPD)
So ist es für den dringend notwendigen Erfolg der
Was die vorbeugende, mäßigende und zusammen- globalen Umwelt- und Entwicklungszusammenar-
führende Politik der Vereinten Nationen nicht mehr beit auch unabdingbar, stärkere Ordnung in das UN-
hat verhindern können, muß mit hoher Wahrschein- System zu bringen und eine bessere Koordination
lichkeit irgendwann, aber mit wesentlich höherem mit anderen Entwicklungshilfesystemen herzustel-
Einsatz, von der verbliebenen Weltmacht USA gelöst len.
werden.
Natürlich haben wir auch im eigenen Haus noch
Viertens. Die UNO braucht mehr Biß bei der Ver- das eine oder andere zu verbessern. So beklagen wir
teidigung ihrer eigenen Grundwerte, bei der Abwehr zu Recht, daß wir bei der UNO und bei anderen inter-
von Völkermord, Aggression und Völkerrechtsbruch, nationalen Organisationen personell unterrepräsen-
das heißt u. a. auch mehr Glaubwürdigkeit und mehr tiert sind. Das ist bei genauem Hinsehen auch nicht
Befähigung bei der Durchsetzung friedenserhalten- verwunderlich. Für einen französischen oder briti-
der und friedenserzwingender Maßnahmen. schen Beamten bedeutet ein Auslandseinsatz einen
Karrieresprung, bei unseren Beamten allzuoft eine
(Michael Glos [CDU/CSU]: Nicht so viel Sackgasse. Das müssen wir ändern.
Langatmigkeit!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Wir haben alle z. B. in Somalia und Ruanda und
Insgesamt aber, glaube ich, sind wir mit unserer
vor allem im ehemaligen Jugoslawien gesehen, wel-
UNO-Politik auf einem guten Weg. Das jahrzehnte-
che Fehler dabei in Zukunft zu vermeiden sind und
was zu verbessern ist: in der Klarheit des Mandats lange deutsche Engagement hat uns bei den Verein-
ten Nationen hohes Ansehen verschafft. Unsere Re-
und der Zielfestlegung, sowohl militärisch als auch
formvorschläge fallen auf fruchtbaren Boden. Wir
politisch, in der Flexibilität des Mandats, bei Ausrü-
sollten hier mutig weitergehen und auch Rück-
stung und Ausbildung der Friedenstruppen, bei der
schläge einkalkulieren.
Eindeutigkeit der Kommandostruktur.
Meine Damen und Herren, wir sollten die große
Eines, Herr Kollege Verheugen, müssen wir alle Vision, wie sie in der Charta zum Ausdruck kommt,
aus den Entsetzlichkeiten im ehemaligen Jugosla- immer vor Augen haben, aber dabei nie den Bezug
wien jedoch mindestens gelernt haben: Die NATO zur Realpolitik verlieren.
beiseite zu schieben und das Gewaltmonopol aus-
schließlich der UNO-Administration an die Hand zu Ich danke Ihnen.
geben hätte das Sterben und Leiden in Bosnien um
viele weitere Jahre verlängert. Die UNO hat zur Zeit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
kein Gewaltmonopol, z. B. schon gar nicht über die
Serben. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat
Kollege Dr. Lippelt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
(Günter Verheugen [SPD]: Sie hat es!)
Dies zu wünschen ist natürlich ein Traum, aber ich Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
glaube nicht, daß wir auf diesen Traum jahrelang Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine
vergeblich warten sollten, bevor wir handeln. Vorredner haben die Erfolge der UNO in den
50 Jahren ihres Bestehens gewürdigt, haben von den
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Herausforderungen und Notwendigkeiten gespro-
ordneten der F.D.P. - Gert Weisskirchen chen, denen die UN heute gegenüberstehen. Ich
[Wiesloch] [SPD]: Darauf hinarbeiten!) möchte das Thema etwas enger fassen, zugleich aber
auch etwas weiter zurückblicken. Ich möchte im en-
Fünftens. Eine der allerwichtigsten Aufgaben der geren Sinne von der deutschen Politik des Anspruchs
Vereinten Nationen ist die Bekämpfung von Armut auf einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat spre-
und Elend, politischer Unterdrückung, Ausbeutung
chen, dann allerdings in dem Sinne, daß wir seit der
und Umweltzerstörung. Zu Recht erwartet der Süden Wiedervereinigung die gesamte deutsche Ge-
vom reichen Norden mehr Engagement, d. h. insbe- schichte reflektieren, auch über die von 1926 bis
sondere mehr finanzielles und technisches Engage- 1933 währende kurze Mitgliedschaft in der Vorgän-
ment in der Entwicklungs- und Umweltzusammenar-
gerorganisation, im Völkerbund, sprechen müssen.
beit,
(Günter Verheugen [SPD]: 0,7 %!) Denn beide Versuche der Organisation einer recht-
lich verfaßten Weltgemeinschaft hatten den gleichen
übrigens auch als Gegenleistung für eigene natio- Grund ihres Entstehens - deshalb, Herr von Stetten,
nale oder internationale Reformen. kommen Sie mit Ihrem Wunsch auch schwer voran -,
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5359
Dr. Helmut Lippelt
nämlich die von Deutschland verursachten Weltkata- Dabei war ein solcher Anspruch Deutschlands
strophen, als deren Folge dann die Versuche der Er- 1926 weit eher zu verstehen als heute; denn damals-
richtung einer Weltfriedensordnung zunächst gegen gab es noch kein verfaßtes Europa. Heute dagegen
Deutschland entstanden; Sie wissen, daß die Völker- leben wir in einem vereinten Westeuropa mit zwei
bundsatzung vorn in den Versailler Vertrag geschrie- ständigen Sitzen im Sicherheitsrat. Und wir sind Mit-
ben wurde. Deutschland wurde aus genau diesem glied einer Organisation, die ganz anders als der Völ-
Grunde eben nicht in den Völkerbund aufgenom- kerbund mit ECOSOC und den vielen Sonderorgani-
men. Es war zunächst eine Organisation gegen eine sationen ein Instrumentarium präventiver Politik ent-
deutsche Großmachtpolitik. wickelt hat und die sich, so sehr manche Kritik an ih-
rer Bürokratisierung und Ineffizienz auch berechtigt
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ sein mag, doch den globalen Problemen von Armut,
CSU]: Das muß sich jetzt ändern!) Unterentwicklung, Umweltzerstörung, den Men-
schenrechten - nicht nur den individuellen, auch de-
- Dann müssen Sie aber vielleicht etwas klüger mit nen der zweiten und dritten Generation -, den Rech-
Ihren Ansprüchen umgehen. ten auf Erziehung, Gesundheit, Wohnung und Ent-
Dann erfolgte der nächste Akt, als Deutschland wicklung zugewandt hat.
wieder in internationale Verbindlichkeiten eintrat - Die Aufgabe, die sich für Deutschland gerade aus
Locarno 1925, der Abschluß der Ostverträge 1971/ der Mitarbeit in diesen Organisationen ergibt, ist ja
72 -, der Augenblick von Deutschlands Wiederauf- von Anfang an richtig beschrieben worden, so z. B.
nahme in die Völkergemeinschaft. als Deutschlands erster ständiger Vertreter 1974 er-
klärte:
1926 hat Briand Stresemann sein Vertrauen be-
kundet: Das Ergebnis der Mitwirkung in den UN hängt .. .
davon ab, wo und wie ein Land bei einer besseren
Es ist ein ergreifendes Schauspiel, daß einige Gestaltung der allgemeinen Lebensbedingun-
Jahre nach dem grauenvollsten Krieg, der jemals gen, der sozialen und wirtschaftlichen Verhält-
die Welt durchrast hat, während die Schlachtfel- nisse in aller Welt und im friedlichen Zusammen-
der noch feucht sind vom Blut der Völker, die glei- wirken der Völker am tatkräftigsten mitarbeiten
chen Völker in dieser friedlichen Versammlung kann. Die bestmögliche Mitwirkung bei der Er-
die Beteuerung ihres gemeinsamen Willens aus- füllung dieser Aufgaben wird dem Profil der Bun-
tauschen, miteinander am Werk des Weltfriedens desrepublik in der Weltorganisation auf die Dau-
zu arbeiten. er weit mehr dienlich sein können, als es durch
1973 hat Willy Brandt bei der Aufnahme der noch die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat denkbar wä-
zwei deutschen Staaten in New York mit den Worten re.
geendet: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der
Die Fähigkeit des Menschen zur Vernunft hat die
PDS)
Vereinten Nationen möglich gemacht. Der Hang
des Menschen zur Unvernunft macht sie notwen- Auch Altbundespräsident von Weizsäcker wird ja
dig. Der Sieg der Vernunft wird es sein, wenn ei- nicht müde, die falsche Prioritätensetzung deutscher
nes Tages alle Staaten und Regionen in einer UN-Politik zu beklagen:
Weltnachbarschaft nach den Prinzipien der Ver-
einten Nationen zusammen leben und zusammen Deutsche UN-Politik darf sich nicht im Streben
arbeiten. nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat er-
schöpfen. Zunächst geht es neben mehr Rechten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Mitverantwortung vor allem auch um eine
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten sachliche Beteiligung an der Lösung globaler Pro-
der CDU/CSU und der F.D.P.) bleme.

Um so ernüchternder ist es dann, wenn unter sol- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist
chem Festespathos die Politik nationaler Interessen schmerzensgeldpflichtig, was Sie hier sa
zum Vorschein kommt. So stellt Karl Dietrich Erd- gen!)
mann, der Nestor der Geschichtsschreibung der Zwi- Dabei muß sich die Bundesregierung fragen las-
schenkriegszeit, der konservative Historiker, ganz sen, ob sie der immer wieder bekundeten Bereit-
knapp fest: schaft zur Übernahme globaler Verantwortung in
Der Eintritt in den Völkerbund verzögerte sich der politischen Praxis auch Taten folgen läßt.
Aber gerade dieser falschen Prioritätensetzung
- um fast ein Jahr -.
folgt die Bundesregierung. In jeder UN-Rede unseres
Es waren Schwierigkeiten entstanden, die sich Außenministers und auch heute wieder finden wir
aus dem deutschen Anspruch an einen ständigen den Hinweis auf Deutschlands Bereitschaft, mehr
Sitz im Völkerbundsrat ergaben. Verantwortung zu übernehmen, und jedesmal ist der
Anspruch auf den permanenten Sitz im Sicherheits-
Damals verließ wegen solcher Schwierigkeiten Brasi- rat gemeint. Dabei weiß jeder, der sich eingehend
lien den Völkerbund, denn es konnte diesen An- mit dem Problem befaßt, daß es so bald nicht zu lösen
spruch so nicht verstehen. ist. Zwar wissen die meisten UN-Mitgliedstaaten,
5360 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Helmut Lippelt


daß man den zweit- und den drittgrößten Beitrags- EU-Partner ihren inzwischen zum selbstverständli-
zahler nicht vor den Kopf stoßen sollte, und signali- chen Att ribut ihrer nationalen Rolle gewordenen Sitz -
sieren ihre Unterstützung für Deutschland und Ja- nicht so ohne weiteres auf. Dazu führen außenpoliti-
pan. Aber die meisten Länder der Gruppe der 77 ver- sche Doktrinen in den jeweiligen Außenministerien
binden diese Unterstützung auch mit der Forderung ein viel zu zähes, oft Jahrhunderte überdauerndes
nach einer stärkeren Demokratisierung des Gremi- Leben.
ums
Warum - das ist meine Frage - erklären wir nicht,
(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND wir würden die Politik, die wir im Sicherheitsrat gern
NIS 90/DIE GRÜNEN] - Karsten D. Voigt verfolgt sähen, mit unseren europäischen Pa rtnern
[Frankfurt] [SPD]: Beides gehört zusam abstimmen und im Vertrauen auf die Entwicklung ei-
men!) ner gemeinsamen EU-Politik den Anspruch auf einen
durch Sitze für die Repräsentanten von Lateiname- nationalen Sitz im Sicherheitsrat nicht weiterverfol-
rika, Asien und Afrika. Da dies zum Streit dieser Kon- gen?
tinente führt, welches denn das repräsentativste
Land sei,
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Dr. Lippelt,
(Günter Verheugen [SPD]: Der wird nie ge gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
löst!) Voigt?
wird ihnen das Problem mit der Bitte zurückgege-
ben, sie möchten es lösen. Wir wissen aber alle, daß Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
sich diese Frage so schnell nicht beantworten lassen Ja.
wird.
(Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das hat Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Herr Kollege
aber nichts miteinander zu tun!) Lippelt, ich habe eine Frage, weil ich Ihre Bemer-
- Doch, Herr Minister; denn Sie versäumen andere, kung für sehr interessant halte, wir sollten unsere
ganz wichtige Prioritätensetzungen. Wir sind viel zu UN-Politik mit den Briten und den Franzosen abstim-
sehr mit dieser Frage beschäftigt. men, es aber bekannt ist, daß Briten und Franzosen
z. B. in der Frage militärischer Intervention eine be-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie viel stimmte Tradition haben. Heißt das, daß Sie eine ge-
leicht!) meinsame Außen- und Sicherheitspolitik auf europäi-
So vertieft sich denn bei den inzwischen scher Ebene wollen, in der Deutsche, Franzosen und
130 Ländern der Gruppe der 77 und damit der Mehr- Briten sozusagen gesamteuropäisch Mehrheitsent-
heit der UNO-Mitglieder die Abneigung gegen die scheidungen fällen, und würden Sie sich dann die-
Dominanz der G-7-Staaten im Sicherheitsrat, gegen sen Mehrheitsentscheidungen unterwerfen wollen?
die Dominanz des Nordens gegenüber dem Süden. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sehr interessante
So wird es auch in den Jubiläumsreden hinreichend Frage! Hervorragend!)
ausgedrückt.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie es nicht hören woll-
ten, hätten Sie zumindest nachlesen können, daß Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
etwa der Staatspräsident vom Sambia mahnt, „die Herr Kollege Voigt, abstimmen heißt doch nicht nach
ständigen Ratsmitglieder dürfen nicht zu Hoheprie- so einem primitiven Rechnungsmodell - zwei zu eins -
stern werden, die für den Rest der Welt alle wichti- verfahren. Das ist ja nicht einmal ein verfaßtes Gre-
gen Entscheidungen treffen" . mium.

Der Kanzler allerdings entzieht sich solch schmerz- (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wollen
licher Einsicht - da es sich um eine Stilfrage handelt, Sie eine gemeinsame Außen- und Sicher
denke ich, ich sollte es noch einmal erwähnen -, in- heitspolitik?)
dem er die Fünf-Minuten-Rede nicht der Reise wert
findet. Ein bemerkenswertes Auseinanderklaffen - Natürlich will ich sie, aber doch nicht auf einer
von Anspruch und Wirklichkeit deutscher UN-Poli- solch primitiven Grundlage, wie Sie sie hier vorschla-
tik. gen, wie Sie sie immer vertreten und wie Sie sie mir
am liebsten jetzt aufzwingen möchten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
der PDS) Lachen bei der SPD und der F.D.P.)
Ich habe Kollegen der CDU/CSU und SPD gele- Damit komme ich zu der Frage zurück, ob es nicht
gentlich mit der Frage behelligt, warum sie nicht möglich wäre, daß man alt eingewurzelte außenpoli-
statt einem eigenen permanenten Sitz im Sicherheits- tische Doktrinen einmal hinter sich läßt, und weise
rat die Europäisierung der englischen und französi- darauf hin, daß schließlich selbst ein so europaskepti-
schen Sitze fordern. Die Antwort lautet: Das haben scher Politiker wie der englische Premier bei der Ge-
wir doch alles längst vorgeschlagen, aber die wollen denkfeier am 8. Mai 1995 in Berlin erklärt hat, Eng-
ja nicht. Dazu sage ich: Was für eine kurzatmige Vor- land bedürfe der Politik der „balance of power" nicht
stellung von Außenpolitik! Natürlich geben unsere mehr, es sei in Europa angekommen. Wie wir zu
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5361
Dr. Helmut Lippelt
solch einem Ausspruch stehen mögen: Was für ein Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat
Satz, wenn man die Tradition dieses Begriffs über jetzt der Kollege Irmer, F.D.P. -
mehrere Jahrhunderte als oberste Doktrin englischer
Außenpolitik kennt! (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sag mal
was Neues! - Dr. Eberhard Brecht [SPD]:
Ich würde deshalb nicht so kleinmütig sein und sa- Nicht die Rede vom letzten Jahr!)
gen, wir haben gefragt, die wollen ja nicht. Nein, es
geht darum, eine klare politische Linie durchzuhal-
ten und zu sagen: Liebe Freunde, wir haben diesen Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen
Anspruch nicht; wir haben einen Anspruch an euch und Herren! Ich habe immer gewußt, daß die Politik
auf einen gemeinsamen Sitz. Das hält man dann der Bundesregierung und der Koalition in und ge-
eben zehn Jahre durch. Das verstehe ich unter einer genüber den Vereinten Nationen wirklich gut ist.
Politik, die wirklich Verhältnisse ändern will. Aber wie hervorragend, makellos und eigentlich ge-
nial diese Politik der Bundesregierung und der Koali-
(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND tion wirklich ist, das hat sich mir heute erst erschlos-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) sen,

Sonst landen Sie immer wieder in kurzfristigen Inter- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
essenpolitiken. Das Interesse wird abgeklärt, man DIE GRÜNEN]: Und am Sonntag!)
bekommt gesagt, nein, so läuft es nicht, und dann
geht man zur Tagesordnung über. So geht es nicht. als ich nämlich hörte, was die geballte Opposition,
sowohl SPD als auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an
Nehmen wir also Major beim Wort! Üben wir uns dieser Politik zu kritisieren hatten.
im neuen außenpolitischen Denken! Denn wohin al-
tes Denken führt, zeigt das Beispiel eines italieni- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
schen Diplomaten in New York - Herr Lamers, das ist Das waren nämlich einige messerscharf gesehene,
vielleicht auch für Sie sehr interessant -, brillant formulierte Dinge, die es weiß Gott wert sind,
daß sich dieses Hohe Haus stundenlang damit be-
(Karl Lamers [CDU/CSU]: Ja!)
schäftigt. Es ging nämlich um die Tatsache, daß der
von dem berichtet wird, daß er herumlaufe und alle Bundeskanzler nicht zu diesem Ereignis nach New
Welt frage, warum denn ausgerechnet Italien als York gereist ist.
letzte der ehemaligen Achsenmächte nicht in den Si-
(Günter Verheugen [SPD]: Die Begründung
cherheitsrat aufgenommen werde. Ich hoffe, nicht
ist der Punkt!)
nur die Mitglieder meiner Fraktion erschrecken ob
solch grotesker Argumentation. Vielmehr sollten wir Wenn sich die Kritik der Opposition an unserer Po-
alle darin übereinstimmen, daß die dringend notwen- litik in den Vereinten Nationen nur darauf bezieht,
dige UN-Reform nicht in der Öffnung des Sicher- können wir unglaublich zufrieden sein. Im übrigen
heitsrats für die Besiegten von 1945 bestehen darf, werfen Sie dem Bundeskanzler immer vor, er reiße
sondern nur in umfassender Demokratisierung und die gesamte Politik des Bundesaußenministers an
Regionalisierung ihrer nach 50 Jahren und ange- sich. Die Tatsache, daß Herr Kinkel in New York war,
sichts der Verdreifachung ihrer Mitgliederzahl nicht und zwar im Auftrage des Bundeskanzlers, ist das
mehr repräsentativen Struktur. beste Beispiel dafür, daß der Bundeskanzler vernünf-
tig delegieren kann und weiß, auf welche richtigen
Leute er im richtigen Augenblick Aufgaben über-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Dr. Lippelt,
trägt.
Ihre Redezeit.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
DIE GRÜNEN]: Welch ein Tor! Herr Kohl
Schließlich - damit ende ich, Herr Präsident - findet
hat es nicht verdient, von ihm verteidigt zu
sich in der Rede unseres Außenministers in der Son-
werden!)
dersitzung des Sicherheitsrats vom 26. September
1995 außer dem falschen Anspruch auf den deut-
schen permanenten Sitz auch die beherzigenswerte Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Ir-
Mahnung: mer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Matthäus-Maier?
Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit des
Sicherheitsrates hängen entscheidend davon ab,
daß er von der gesamten Staatengemeinschaft als Ulrich Irmer (F.D.P.): Bitte sehr.
legitime Vertretung ihrer Sicherheitsinteressen
anerkannt wird.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Das wird wohl nur ein umstrukturierter Sicherheits-
rat sein können, in den wir weniger drängen, als wir
es im Moment tun. Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege Irmer,
da ich Sie seit langem kenne und als ehrlichen Kolle-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen schätze, frage ich Sie auf Ehr und Gewissen: Ist
sowie bei Abgeordneten der SPD) es nicht doch zutreffend - was nicht nur die Opposi-
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Ingrid Matthäus-Maier
tion sagt, sondern gestern und heute in den Kom- Daß sich darauf aber unsere ganzen Bemühungen
mentaren vieler Zeitungen geschrieben wurde -, konzentrieren, ist ebenso Unsinn wie das von Ihnen -
ständig verbreitete Märchen von der angeblichen
(Zuruf von der SPD: „Bonner Rundschau" Militarisierung deutscher Außenpolitik. Darauf
z. B.!) komme ich später noch einmal zurück.
daß es ein Ausdruck von Arroganz ist, wenn der Bun-
deskanzler sein Nichterscheinen - es geht nicht Meine Damen und Herren, zu den Reformvorschlä-
darum, daß er nicht dorthin gereist ist; dafür könnte gen, die wir in unserem Antrag noch einmal nieder-
es Gründe geben - damit begründet, mit fünf Minu- gelegt haben, hat insbesondere der Kollege Ruck
ten Redezeit nicht auskommen zu können, während ausgiebig Stellung genommen. Ich möchte das nicht
Herr Jelzin, Herr Clinton und Herr Major bereit sind, wiederholen. Statt dessen möchte ich jetzt einige Ge-
mit fünf Minuten auszukommen? danken darüber anstellen, was denn eigentlich die
Bedeutung der Vereinten Nationen speziell für uns
(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND als Deutsche im vereinigten Deutschland ist und wel-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) che Rolle wir in den Vereinten Nationen spielen soll-
ten.
Ulrich Irmer (F.D.P.): Wissen Sie, Frau Kollegin, ich
Ich glaube, anläßlich des Jubiläums 50 Jahre Ver-
traue dem Bundeskanzler sogar zu, daß er in fünf Mi-
einte Nationen sollte man sich noch einmal das Ziel
nuten mehr sagt als mancher Redner in zwei Stun- vor Augen halten, unter dem diese Organisation da-
den.
mals ins Leben gerufen worden ist. Das eigentliche
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dann hätte Ziel nach den entsetzlichen Schrecken des Zweiten
er es ja tun können!) Weltkriegs war nämlich die Parole „Nie wieder
Krieg!". Wenn wir heute, 50 Jahre später, die Welt-
Insofern kann das eigentlich nicht das Problem sein. lage betrachten, dann muß das erste und vornehmste
Ziel der Vereinten Nationen unverände rt die Parole
(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und „Nie wieder Krieg!" sein.
der CDU/CSU)
Sie haben recht. Ich habe die Kritik, die man Natürlich haben wir heute eine andere Lage. Die
durchaus vertreten kann, zur Kenntnis genommen. Blockkonfrontation ist weggefallen. Gleichwohl gibt
Man kann auch anderer Meinung sein wie ich und es weltweit täglich kriegerische Ereignisse. Wir müs-
einige andere. Wenn Sie aber Ihre Kritik an der Poli- sen leider gar nicht in die Ferne schauen; das ehema-
tik der Bundesregierung in und gegenüber den Ver- lige Jugoslawien war eine fürchterliche Lehre. Des-
einten Nationen auf diesen Punkt konzentrieren, halb stellt sich die Frage: Was können wir in der
dann spricht das für die Qualität der Politik der Bun- Weltgemeinschaft tun, um das Entstehen und Sich
desregierung austoben solcher Kriege zu verhindern? Was kann
insbesondere Deutschland dazu beitragen?
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Als 1973 - es ist vorhin erwähnt worden - die Bun-
und gegen Ihre Rolle als Opposition. Sie haben näm- desrepublik Deutschland Mitglied der Vereinten Na-
lich offensichtlich nichts anderes zu bieten. tionen wurde, gab es den zweiten deutschen Staat,
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ der zugleich aufgenommen wurde: die DDR. Es ist
DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zur F.D.P.! seither die beharrliche Politik aller Bundesregierun-
Die F.D.P. hat viel zu bieten!) gen gewesen, die zum Überwinden der Ost-West
Konfrontation beigetragen hat. Es ist die Ostpolitik
Herr Lippelt hat noch einen anderen Punkt heraus-
gegriffen. Er hat kritisiert, wir seien wie der Teufel (Freimut Duve [SPD]: Willy Brandts!)
hinter der armen Seele hinter einem Sitz im Sicher-
heitsrat her. von Willy Brandt, Walter Scheel und Hans-Dietrich
Genscher gewesen. Es ist später die entschlossene
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Politik der Bundesregierung Kohl/Genscher gewe-
DIE GRÜNEN]: Man sollte Herrn Kinkel nie sen, den NATO-Doppelbeschluß auch umzusetzen
mit dem Teufel verwechseln!) und damit der sowjetischen Herrschaft die faktische
Herr Lippelt, hier bauen Sie doch wieder einen Po- Grundlage zu entziehen. All dieses hat dazu beige-
panz auf. Natürlich ist das erwünscht. Wir alle haben tragen, daß heute das vereinte Deutschland einen
gesagt - das steht auch in unserem Antrag -, daß wir einzigen Sitz in den Vereinten Nationen wahrnimmt.
einen europäischen Sitz, d. h. einen Sitz im Sinne der
europäischen gemeinsamen Außen- und Sicherheits- Für uns ist die Bedeutung der Vereinten Nationen
politik vorzögen. Wenn dies aber nicht erreichbar ist gar nicht hoch genug einzuschätzen; denn wir sind
- wir wollen realistisch sein: das ist so schnell nicht ein Land, das mehr als viele andere, mehr als die
erreichbar -, dann legen wir allerdings auf einen ei- meisten anderen darauf angewiesen ist, daß wir in
genen Sitz Wert. internationale Organisationen fest und unwider-
bringlich eingebettet sind.
(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Genau über den Punkt habe ich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
gesprochen!) wie des Abg. Freimut Duve [SPD])
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5363
Ulrich Irmer
Wir haben die Lehre aus übersteigertem Nationa- Ich will zu dem Beispiel der Märkte und der Ex-
lismus gezogen. Es gilt nach wie vor der Satz: Natio- portperspektive noch ein anderes Problem anfügen. -
nalismus ist die größte Gefahr für die Nation, und Wenn es der Staatengemeinschaft nicht gelingt,
zwar für jede Nation. Die Deutschen haben ihre Na- schwache Regionen, Krisenregionen, so zu unterstüt-
tion durch den Nationalsozialismus kaputtgemacht. zen, daß sie sich stabilisieren können, dann setzen
sich doch Flüchtlingsströme in Bewegung, dann bre-
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der chen doch Katastrophen aus, wo wir nicht sagen kön-
SPD) nen, was interessiert uns das, wenn fern in der Türkei
Im ehemaligen Jugoslawien ist der Nationalismus die Völker aufeinanderschlagen. Nein, das würde
Ursache dafür gewesen, daß do rt Blut geflossen ist, uns unmittelbar berühren. Deshalb lege ich Wert dar-
daß dort alles in Trümmer gefallen ist. Nationalismus auf, daß man sich mit der Vertretung eigener Interes-
ist nach wie vor eine riesengroße Gefahr. Deshalb sen nicht versteckt, sondern daß man deutlich sagt,
müssen wir dabei bleiben, daß wir uns international daß wir anderen helfen. Das ist für mich eine morali-
ausrichten und in die Organisationen einbetten. sche Verpflichtung. Ich kann nicht von jemand ande-
rem verlangen, daß er in diesem Punkt meine Welt-
Dies, meine Damen und Herren, hat durchaus et- sicht und mein Menschenbild teilt. Aber wir müssen
was mit Interessenvertretung zu tun. Ich sehe gar uns doch darüber klar sein: Wenn wir anderen hel-
nicht diesen Gegensatz. Herr Lippelt, Sie haben vor- fen, nützen wir uns selbst; es liegt in unserem eige-
hin gesagt, die Vertretung nationaler Interessen sei nen Interesse. Das ist in meinen Augen keine
etwas ganz Schreckliches. Ich kann das nicht sehen. Schande.
Wer seine eigenen Interessen vertritt, erfüllt nur
seine Pflicht und Schuldigkeit gegenüber dem eige- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
nen Volk. Er muß dies nur in einer Weise tun, mit der ten der CDU/CSU)
er nicht die Interessen anderer rücksichtslos über-
fährt. Wir Deutsche haben wohl eine gewisse Tendenz
zu Extremen. Früher war es so, daß wir stärker als
Auch hier ist richtig: Was dem anderen nützt, nützt alle anderen sein wollten. Ich habe die Befürchtung,
letzten Endes mir selbst am meisten. Dies gilt insbe- daß es jetzt bei uns viele gibt, die unbedingt besser,
sondere für die Deutschen. Wo kämen wir denn mit moralischer, edler als alle anderen sein wollen und
unserem Handel, mit unseren Exportmöglichkeiten daß daraus die falschen Schlüsse gezogen werden.
hin, wenn wir keine Märkte hätten, wenn wir nicht Ich rege mich immer über das Wort „Betroffenheit"
auch zusätzlich Märkte schaffen würden dadurch, auf. Ich finde, es ist eines der schrecklichsten Wörter,
daß wir durch Entwicklungsbemühungen neue Kauf- und es sollte aus dem politischen Wortschatz gestri-
kraft, neue Märkte herstellen, die dann unsere Pro- chen werden. Wenn jemand sagt: „Ich bin betrof-
dukte aufnehmen können? fen", dann bringt er damit eigentlich zum Ausdruck,
daß er gerade nicht betroffen ist. Wenn irgendwo ein
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Ir-
Krieg tobt oder sich ein Erdbeben ereignet, dann
mer, gestatten Sie eine Zwischenfrage? sind die Betroffenen die Toten, die Obdachlosen, die
Flüchtlinge, die Vertriebenen, die Angehörigen. Wir
setzen uns hin und sagen: Wir sind so entsetzlich be-
Ulrich Irmer (F.D.P.): Ja. troffen. Das ist die falsche Einstellung. Man sollte
sich vielmehr überlegen - Herr Lippelt, damit
komme ich auf Ihre Frage -: Wie können wir die Or-
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Dr. Lippelt. ganisationen, die wir mit geschaffen haben, denen
wir angehören, dazu bringen, daß sie effektiv und
Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dauerhaft zur Lösung dieser Probleme, die vor unse-
Herr Irmer, meinen Sie nicht, daß man in einem Mo- rer Haustür liegen, beitragen? Deshalb ist es natür-
ment, wo sich eine Weltgemeinschaft verfaßt, viel- lich gänzlich falsch, die Diskussion etwa auf die Mili-
leicht nationale Politik in internationaler Absicht ma- täreinsätze der Vereinten Nationen zu verengen.
chen sollte und damit seine nationalen Interessen
nicht primär in den internationalen Organisationen, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS
sondern das Interesse dieser Organisationen zu- SES 90/DIE GRÜNEN - Joseph Fischer
nächst zu Hause durchsetzen sollte? [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Da klatscht gar keiner!)

Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Kollege Lippelt, das ist Es ist von einigen ja immer versucht worden zu sa-
überhaupt kein Widerspruch. Ich habe ja gesagt, es gen: Hier wird die Außenpolitik militarisiert. Nein,
kommt darauf an, daß wir uns in die internationalen das ist - wir haben es immer wieder betont - das al-
Organisationen, in die abgestimmte internationale lerletzte Mittel, wenn alles andere nichts gebracht
Politik eingliedern, daß wir keine nationalen Allein- hat. Selbst dann ist es immer noch mit großen Frage-
gänge versuchen, und zwar Alleingänge weder im zeichen zu versehen, ob man militärisch eingreifen
Tun noch im Unterlassen. Dies, meine Damen und soll, darf und kann. Im Vordergrund steht doch ganz
Herren, ist dann letzten Endes für unsere eigene In- eindeutig das Bemühen,
teressenlage das Beste, das wir tun können. In dem
wir anderen helfen, helfen wir letzten Endes uns (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Sollte, sollte ste
selbst. hen!)
5364 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Ulrich Irmer
Krisen, die bevorstehen könnten oder die schon exi- funktioniert, sollten wir nicht die Augen verschließen
stent sind, zu erkennen. vor weiteren Aufgaben, auch in der Entwicklung des-
Rechtes.
(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard
Hirsch) Natürlich muß heute das getan werden, was getan
werden kann. Aber wir müssen sehen, wie wir für
Herr Kinkel hat das am Beispiel Burundi deutlich ge- die Zukunft stärker zur vorbeugenden Krisenbewäl-
macht. Es gibt viele andere Fälle. Hier muß sich auch tigung beitragen können, damit etwaige Einsätze
das Völkerrecht weiterentwickeln, weil es auf die
von Militär nicht mehr notwendig werden, damit
veränderte Weltlage noch nicht ausreichend einge- man einen Zustand erreicht, in dem die vorbeugen-
stellt ist. Herr Kinkel hat erwähnt, daß sich die heuti- den Maßnahmen, die wirtschaftlichen, politischen,
gen Kriege nicht so sehr zwischen Staaten abspielen, diplomatischen Mittel, zum Erfolg führen und wir un-
sondern mehr innerhalb von Staaten. Wir erleben das sere Soldaten zu Hause lassen können. Denn es
fast täglich, leider. Hier sind auch die Vereinten Na- macht ja nun niemandem Spaß, Soldaten in ein Risi-
tionen gefordert, das Völkerrecht so weiterzuentwik- kogebiet zu schicken und sie der Gefahr für Leib und
keln, daß für diese innerstaatlichen Krisen verbindli- Leben auszusetzen.
che Regeln bestehen, die auch durchgesetzt werden
können und deren Anwendung nicht mit dem Hin- Meine Damen und Herren, es ist hier mit Recht ge-
weis auf einen anderen völkerrechtlichen Grundsatz, sagt worden: Die Vereinten Nationen können nur das
nämlich die Nichteinmischung in die inneren Ange- leisten, wozu sie von ihren Mitgliedstaaten ausge-
legenheiten, abgewehrt werden kann. Die Vereinten stattet werden. Es ist üblich geworden - gerade beim
Nationen sind hier einen guten Schritt vorangegan- Krieg im ehemaligen Jugoslawien -, mit Fingern auf
gen; man hat nämlich gesagt: Wenn im Inneren eines die Organisationen zu deuten und ihnen Versagen
Landes Menschenrechtsverletzungen in einem sol- vorzuwerfen: Die Vereinten Nationen haben versagt,
chen Ausmaß stattfinden, daß sie, auch wenn sich die NATO hat versagt, die WEU hat versagt, die Eu-
das auf das Innere eines Landes beschränkt, zu einer ropäische Union sowieso - alle haben versagt.
Gefährdung des Friedens werden, dann gilt der
Ich warne vor solchen pauschalen Vorwürfen.
Grundsatz der Nichteinmischung nicht mehr, son-
Denn eines ist doch ganz klar: Was die Mitgliedstaa-
dern dann ist die Staatengemeinschaft gefordert, Par-
ten nicht zu tun bereit sind, das kann auch eine inter-
tei zu ergreifen zugunsten der Geschundenen, zu-
nationale Organisation nicht leisten.
gunsten der Menschen, deren Rechte mit Füßen ge-
treten werden. Wir stehen hier aber erst am Anfang (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wies
einer völkerrechtlichen Entwicklung; wir müssen sie loch] [SPD] - Zustimmung bei der F.D.P.)
weiterbetreiben.
Im übrigen ist die Situation genauso wie in unserem
eigenen Staat. Es tauchen doch in unserem Staat im-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, mer wieder irgendwelche Probleme auf, die nicht
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten über Nacht gelöst werden können. Dann neigt der
Schuster? Bürger dazu zu sagen: Der Staat soll das einmal ma-
chen. - Wenn das nicht über Nacht geschieht, dann
Ulrich Irmer (F.D.P.): Bitte, ja. heißt es, der Staat habe versagt. Meine Damen und
Herren, auch der Staat ist nur so stark, wie ihn die
Bürger machen, die ihm selber angehören.
Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Kollege, ist Ih-
nen bewußt, daß vordringlicher, als neues Völkerrecht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
zu schaffen, ist, vorhandenes Völkerrecht auch zu nut- Was die Bürger nicht zu tun bereit sind, das kann
zen? Ich erinnere an einen Fall, den wir beide kennen, auch der Staat nicht leisten.
Ruanda. Dort ist 1993 von beiden Seiten gebeten wor-
den, man solle UN-Polizei schicken. Damals hatten Deshalb plädiere ich dafür - nach innen wie nach
wir kein Geld. In bezug auf Angola ist 1992 von Frau außen, an unsere Organisationen -, wieder zu lernen,
Angsted gebeten worden, man möge ihr mehr UN- mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, mehr ei-
Personal geben, um die Entwaffnung vornehmen zu gene Beiträge zu leisten, uns nicht immer zu fragen,
können. Auch damals hatten wir kein Geld. was können, was müssen die eigentlich machen, son-
dern zu überlegen, was wir selbst dazu beitragen
können.
Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Kollege Schuster, ich
kenne diese Fälle; ich finde sie ebenso bedauerlich Unser Beitrag zu den Vereinten Nationen erschöpft
wie Sie. Nur, sie sind kein Widerspruch zu dem, was sich nicht in der Leistung des finanziellen Beitrags,
ich gesagt habe. Hier ist ja schon mehrfach betont erschöpft sich auch nicht darin, daß wir praktische
worden, daß die Vereinten Nationen in ihren Mög- Reformvorschläge machen. Und er erschöpft sich
lichkeiten und ihrer Organisation gestrafft werden auch nicht darin - ich habe das bereits gesagt -,
müssen, daß sie mit mehr Geldmitteln ausgestattet tärkontingente bereitzustellen. Unsere gesamte Au-
werden müssen und daß endlich die säumigen ßenpolitik ist gefragt. Zur Krisenvorbeugung gehört
Schuldner ihre Beiträge zahlen, so wie wir und an- auch, daß man stabile Sicherheitsstrukturen schafft.
dere das tun. Dann können die Vereinten Nationen Wir sind ja dabei. Unser Hauptziel ist die Festigung
mehr tun, als das in der Vergangenheit der Fall war. und der Ausbau der Europäischen Union, darüber
Aber auch angesichts der Tatsache, daß heute bei hinaus das Erreichen einer Sicherheitsarchitektur in
weitem noch nicht alles perfekt ist oder auch nur gut Gesamteuropa, unter Berücksichtigung der russi-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5365
Ulrich Irmer
schen Interessen. Unsere unmittelbaren östlichen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
Nachbarn, die neuen Demokratien Mittel- und Ost- Wort der Abgeordneten Andrea Lederer. -
europas erwarten, daß wir sie in unsere Organisation
aufnehmen, daß wir zu ihrer politischen und wirt-
schaftlichen Stabilisierung beitragen. Hier ist unsere Andrea Lederer (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolle-
Politik gefragt. Wir müssen unsere Hausaufgaben ginnen und Kollegen! Herr Kollege Irmer, ich bin
machen; dann erleichtern wir auch den Vereinten ganz dankbar, daß Sie immer vor mir an der Reihe
Nationen langfristig ihre Arbeit. Vielleicht gibt es sind, da Sie wirklich ausgezeichnete Vorlagen lie-
dann weniger Krisen, weniger Streitpunkte. fern. Das muß ich einmal sagen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen Aspekt Wenn Sie wiederum den Satz bemühen - er trifft ja
hinweisen, der leider zu selten gesehen wird, näm- zu - „Die UN sind nur so gut, wie ihre Mitglieder es
lich die kulturelle Dimension. Die Welt besteht aus sind" und wenn Sie davon sprechen, daß es be-
Ländern mit den unterschiedlichsten politischen stimmte Ansätze gebe, daß, wenn Bürger nicht zu-
Strukturen, insbesondere aber aus Völkern mit dem frieden seien, sie den Staat beschimpften und ihn
unterschiedlichsten kulturellen Hintergrund, mit un- verantwortlich machten, muß ich Ihnen sagen: Las-
terschiedlichen Religionen, Gebräuchen, allgemein sen Sie die Bürger in diesem Land ein bißchen mehr
akzeptierten Vorstellungen von Ethos, Sittlichkeit entscheiden, und setzen Sie sich in den UN dafür ein,
usw. daß die Staaten, die immer wieder gerade durch die
UN-Politik der Industrienationen benachteiligt wer-
Die Welt ist heute zum Teil geprägt von der Aus- den und nicht zum Zuge kommen, mehr Entschei-
einandersetzung mit dem Islam. In einigen Weltge- dungen treffen können. Sie haben sich mit Ihrer Ar-
genden ist der Islam ja leider aggressiv geworden. gumentation ins eigene Fleisch geschnitten.
Wir sollten uns aber sehr davor hüten, diese Religion
als solche zu verdammen. Ich begrüße es außeror- (Beifall bei der PDS)
dentlich, daß Herr Kinkel für Mitte November zu ei-
ner großen Konferenz hier nach Bonn eingeladen Ich möchte auf etwas eingehen, was Ihr gesamter
hat, die sich mit dem Islam beschäftigt. Wenn wir Beitrag meiner Meinung nach ganz stark vermissen
nicht die kulturelle Andersartigkeit anderer kennen- läßt; das gilt auch für den Beitrag des Bundesaußen-
lernen und uns mit ihr beschäftigen, werden wir sie ministers, auf den ich noch zurückkommen will.
nicht verstehen können. Dann werden wir auch nicht Selbstverständlich unterstelle ich der Bundesregie-
wissen, wie wir mit diesen Menschen, mit diesen rung nicht, daß sie Alleingänge plant
Völkern, mit diesen Ländern umzugehen haben.
Deshalb ist auch dies ein unmittelbarer Beitrag zur (Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.] verläßt seinen
weltweiten Friedenssicherung. Platz)

50 Jahre Vereinte Nationen - wir wollen herzlich - ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie weiter zuhörten -,
Glück wünschen; aber wir sollten das Unsere dazu auch nicht in militärischer Hinsicht. Das Problem
beitragen. liegt ganz woanders. Das nationale Interesse dieses
Landes läßt sich derzeit durchaus besser durchset-
Ich habe gerade von der kulturellen Dimension zen, wenn es sehr massiv in internationale Organisa-
und vom internationalen Verständnis gesprochen. tionen eingebracht und dort geltend gemacht wird.
Ich muß betonen: Fangen wir auch da bei uns zu Das ist das Problem; das ist die Gefahr, die in der
Hause an. Politik der Bundesregierung liegt. Das bezeichnen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir übrigens auch als Militarisierung der deutschen
Außenpolitik.
Die Glaubwürdigkeit unserer Politik gegenüber an-
deren Ländern und in den Vereinten Nationen wird (Beifall bei der PDS)
auch daran gemessen, wie wir im eigenen Lande mit
Fremden, mit Ausländern umgehen, Wenn Sie anführen, daß man etwas Gutes damit
täte, z. B. bei der Schaffung neuer Märkte in der so-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) genannten Dritten Welt auch nationales Interesse zu
befriedigen, weil dadurch die Exportmöglichkeiten
die, wenn sie in Deutschland geboren sind, keine der deutschen Industrie gesteigert würden, dann ver-
Fremden mehr sind, sondern eigentlich zu uns gehö- misse ich eine gewisse Art von Altruismus in der in-
ren. ternationalen Politik, wie Sie sie formulieren.
Deshalb meine ich, daß wir uns bei diesem Jubi-
(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das
läumstag, an dem wir 50 Jahre Vereinte Nationen fei-
ist eine klassische kommunistische Charak
ern, alle aufgerufen fühlen sollten, auf unsere Mit-
tereigenschaft!)
bürger fremder Herkunft in Deutschland zuzugehen,
um dadurch einen Beitrag zur Verständigung und Das heißt, daß Sie nicht immer nur im Auge haben
zum Frieden zu leisten. Diese Aufgabe ist nicht auf sollten: Wie nützt es diesem Land? Vielmehr sollten
die Politiker begrenzt, sondern an ihr kann jeder Bür- Sie, wenn Sie konstatieren, daß die Welt von über-
ger mitwirken. greifenden, internationalen, globalisierten Proble-
Ich danke Ihnen. men bedroht ist, die überhaupt nicht in irgendeinem
nationalen Rahmen zu lösen sind, diese Frage einmal
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) außen vor lassen und überlegen: Was dient den Inter-
5366 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Andrea Lederer
essen der Menschen, die an der untersten sozialen mit allen Konfliktparteien auszuhandeln, diese aus-
Skala in der Welt stehen? Das muß der Ansatzpunkt einanderzuhalten, um eine weitere politische und -
sein und nicht die Frage, wie deutsche Exportchan- friedliche Entwicklung zu ermöglichen, nicht von ih-
cen in der Welt irgendwo verbessert werden können. nen übernommen werden kann, sondern auf die
NATO delegiert werden: Es fehlt an Geld. Das um
In diesem Sinne will ich mich der Kritik an dem den Preis, daß man schwierigste Verhandlungen mit
Boykott des Bundeskanzlers gegenüber den Ge- Rußland führt, das ohnehin ununterbrochen wegen
burtstagsfeierlichkeiten anschließen. Es ist Aus- der ganzen Diskussion um die NATO-Ostausdeh-
druck der bundesdeutschen UN-Politik; es ist wirk- nung vor den Kopf gestoßen wird, daß man versu-
lich die Arroganz der Macht, die da zum Ausdruck chen muß, eine Regelung zu finden, wie sich Ruß-
kommt. Sie hätten gut die Gelegenheit haben und land unter ein NATO-Kommando sozusagen fügt,
nützen können, beispielsweise mit Herrn Arafat dar- was eigentlich angesichts der gesamten Konstella-
über zu reden, wie die Bundesrepublik den Friedens-
tion unzumutbar ist. Das sind Auswirkungen dieser
prozeß im Nahen Osten besser unterstützen kann, sogenannten Finanzkrise. Das heißt, diese Finanz-
oder etwa mit Herrn Castro darüber zu reden, wie krise hat nicht nur existenzgefährdende, sondern
die Bevölkerung in Kuba unterstützt werden kann, auch tatsächlich friedensgefährdende Ausmaße an-
wie Milchpulver an Kuba geliefert werden kann. genommen.
(Beifall bei der PDS)
Es gäbe eine Menge Themen, die bei bilateralen Ge- Ein zweites Beispiel. Heute lesen wir in der „TAZ" :
sprächen angesprochen werden könnten und die „Internationaler Strafgerichtshof zu Jugoslawien
das, was Herr Bundesaußenminister Kinkel in seiner scheitert fast an Finanznot." Wieso weigert sich nach
Rede gesagt hat, daß die Wiedervereinigung ein wie vor die Bundesregierung zusätzlich und freiwil-
Jahrhundertgeschenk sei und deshalb eine beson- lig Beiträge zu leisten, damit dieser Strafgerichtshof
dere Verpflichtung gegenüber den UN bestünde, un- arbeiten kann? Wieso verweisen Sie darauf, daß es
terstrichen. Das haben Sie, Herr Bundeskanzler, mit damit getan sei, die Beiträge zu leisten, zu denen Sie
Ihrem Verhalten konterkariert. sich verpflichtet haben? Wenn man das politisch
ernst nimmt, was man in schönen Worten bei solchen
Ich will noch zu zwei Punkten Stellung nehmen. Es Feierstunden verkündet, dann meine ich, sollten
ist immer wieder die Rede von der Finanz- und auch Taten folgen. Dann reicht es nicht, nur darauf
Strukturkrise der Vereinten Nationen. Ich würde zu verweisen, daß andere nicht pünktlich und nicht
schon ganz gerne einen kleinen Gegenpunkt zu den genug zahlen, sondern man muß sich an die eigene
Lobeshymnen zum deutschen Finanzverhalten set- Nase fassen.
zen wollen. Absolut gesehen steht die Bundesrepu-
blik an dritter Stelle. Erstens finde ich, muß man sich
nicht in Lobeshymnen darüber ergehen, daß man (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne
Beiträge pünktlich zahlt. „Pacta sunt servanda" habe ten der SPD)
ich im ersten Semester Jura gelernt. Es ist eine
Selbstverständlichkeit, Beiträge, zu denen man sich Wenn Sie von Reformen der Vereinten Nationen
verpflichtet hat, pünktlich zu zahlen. sprechen, dann werden wir mißtrauisch. Aus unserer
(Beifall bei der PDS) Sicht ist es dringend nötig, sich wirklich grundsätz-
lich mit den Dingen auseinanderzusetzen, die bei-
Zweitens. Wenn Sie die Beitragszahlung der Bun- spielsweise auch die Weizsäcker-Kommission vorge-
desrepublik mit dem Bruttosozialprodukt verglei- schlagen hat. Es liegen eine ganze Reihe von Anträ-
chen, was in diesem Land erwirtschaftet wird, sieht gen auf dem Tisch, die eine Reform des Sicherheits-
es überhaupt nicht mehr so rosig aus. Das wäre mit rates, eine Stärkung der Generalversammlung und
ein Punkt zum Thema Finanzreform in der UN, sozu- vor allem eine Stärkung der zivilen, nichtmilitäri-
sagen auch die Beitragsverpflichtungen anzupassen. schen, der sozialpolitischen Aufgaben der Vereinten
(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Nationen bedeuten würden, wenn sie umgesetzt
Wenn man keine sozialistischen Altschul würden, wenn hierfür der politische Wille vorhanden
den bezahlen müßte, sähe es anders aus!) wäre.

Drittens will ich Ihnen sagen, daß es nicht nur um


Deshalb ist es fatal, wenn der Bundesaußenmi-
Fragen der Zahlungsmoral geht, sondern daß die Fi-
nister im Grunde genommen zu zwei Punkten ge-
nanzkrise der UN ganz gravierende Auswirkungen
sprochen hat: Erstens: Wie kann dieses Land einen
im Hinblick auf Demokratiefragen und auf politische
ständigen Sitz im Sicherheitsrat erhalten? Ich kann
Entscheidungen hat, die beispielsweise auch im Si-
mich dabei der Argumentation des Kollegen Lippelt
cherheitsrat behandelt werden.
nur vollständig anschließen, der dies kritisiert hat.
Nehmen wir das Beispiel, über das wir in der näch- Zweitens: Um dieses Ziel zu erreichen, wird erneut
sten Zeit noch zu debattieren haben: die sogenannte dafür plädiert, per militärischem Engagement auch
NATO-Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina. Es in Bosnien-Herzegowina „Verantwortung" zu über-
gibt einen Brief vom Generalsekretär der Vereinten nehmen. Übernehmen Sie die weltpolitische Verant-
Nationen. Aus dem geht hervor, daß ein zentraler wortung, die Sie hier deklarieren, endlich in ziviler,
Grund, warum diese eigentlich klassische Aufgabe in nichtmilitärischer Hinsicht. Greifen Sie endlich die
der Vereinten Nationen, nach einem vereinbarten Vorschläge, die von allen möglichen Seiten unter-
Waffenstillstand einen Friedensschluß im Konsens breitet werden, auf, anstatt in dieser ganzen Diskus-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5367
Andrea Lederer
sion immer wieder alles auf das Militärische zu redu- Ich hätte es sehr gut gefunden, wenn ich etwas von
zieren, anstatt immer nur Machtansprüche geltend den Rednern zu dem ganz vorzüglichen Antrag - so -
zu machen, erneut Machtpolitik zum Ausdruck zu sehe ich das -, den die Kollegen aus der CDU/CSU-
bringen. und F.D.P.-Fraktion vorgelegt haben, gehört hätte.
Ich kann ihn Wort für Wo rt unterstreichen und unter-
(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: So stützen. Das ist die Darlegung unserer gemeinsamen
ein Schmarren!) Politik, der Koalition und der Bundesregierung.
Ich würde vorschlagen, daß Sie endlich den Vor-
In diesem Sinne handeln wir. Das gilt in besonde-
schlag, der auch aus Ihren eigenen Reihen kommt,
rem Maße für den Bundesaußenminister, dem ich
beispielsweise die Entwicklungshilfe hierzu auf
ausdrücklich für seine Arbeit in diesem Zusammen-
0,7 % des Bruttosozialprodukts aufzustocken, umset-
hang danken will, und selbstverständlich auch für
zen. Das ist Ausdruck Ihrer Politik gegenüber dem
mich.
Rest der Welt. Insofern war das Beispiel, das der
Kanzler mit seinem Boykott gegeben hat, nicht nur (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
symbolisch, sondern alarmierend. Ich hoffe, daß ordneten der F.D.P. - Joseph Fischer
hierzu auch international kritische Anmerkungen ge- [Frankfurt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
funden werden. Weihrauch!)
Ich danke Ihnen.
- Führen Sie keine Gespensterschau auf! Sie wird
(Beifall bei der PDS) auch nicht besser, wenn der Abgeordnete von den
Grünen mit seiner Statur erscheint; deswegen wird
es nicht überzeugender, auch dann nicht, wenn Sie
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem diese Zwischenrufe machen.
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl das Wort.
Die Bundesregierung läßt sich von überhaupt nie-
mandem in Europa oder anderswo in ihrer Unterstüt-
Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Vielleicht fünf zungsbereitschaft für die Vereinten Nationen über-
Minuten. Angesichts der Debatte und angesichts treffen. Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist doch für
dessen, was hier zum Teil gesagt wird, können fünf Sie ganz einfach zu erfragen. Sprechen Sie doch ein-
Minuten sogar ausreichen. mal mit den UN-Generalsekretären aus der bisheri-
Frau Lederer, ich weiß nicht, ob Sie keine Zei- gen Amtszeit dieser Bundesregierung. Sie werden
tungen lesen. Glauben Sie wirklich, ich muß, nach- von Pérez de Cuéllar und Boutrous Ghali hören, daß
dem ich im Sommer dieses Jahres einen ganzen Tag die Deutschen, wo immer die Generalsekretäre Wün-
bei Arafat war, extra nach New York reisen, um mit sche vorgetragen haben, die in einem erfüllbaren
ihm sprechen zu können? Rahmen waren, die Vereinten Nationen unterstützt
haben.
(Andrea Lederer [PDS]: Das hätten Sie fort
setzen können!) Wir haben das bei wichtigen Konferenzen getan,
aber auch in vielen Details. Wir haben es auch in ei-
Was reden Sie denn für Sachen? Sagen Sie doch die nem Bereich getan, in dem ich mich schwertue.
Wahrheit. Wer hat den Friedensprozeß in der Europä- Wenn ich die Personalstruktur der Vereinten Nation
ischen Union mehr unterstützt als die Bundesrepu- und unseren Anteil an den Kosten betrachte, den wir
blik Deutschland, als der Außenminister Klaus Kin- dort tragen, dann waren wir doch zurückhaltend. Es
kel, als ich? gibt keine Spur von einer impe rialen deutschen Poli-
tik. Lassen Sie also solche Gespenstergeschichten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Sie wissen das doch, also verbreiten Sie keine Sa- Abg. Rudolf Bindig [SPD] meldet sich zu ei
chen, die hinten und vorn nicht stimmen. ner Zwischenfrage)

Im übrigen finde ich es bemerkenswert, daß Sie


ans Pult gehen und darüber reden, daß geschlossene Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Bundes-
Verträge eingehalten werden müssen. Sie vertreten kanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
doch die Ideologie eines untergegangenen Staatswe-
sens, die die Teilung Deutschlands mit herbeigeführt
hat. Sie haben Ihre Schulden bei den Vereinten Na- Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Nein.
tionen nicht bezahlt.
Ich brauche auf die Charta der Vereinten Nationen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht weiter einzugehen. Wir sind der Meinung, daß
gerade an der Schwelle zum 21. Jahrhundert in einer
Die deutschen Steuerzahler im Westen, die Sie jahre- Welt, die nicht friedlicher geworden ist, die Arbeit
lang verunglimpft haben, müssen jetzt Ihre Schulden der Vereinten Nationen wichtig, entscheidend und
bezahlen. Hören Sie also auf, das Parlament mit sol- förderungswürdig ist, daß wir sie, wo immer wir es
chen Mätzchen zu behelligen. Das ist wirklich uner- können, unterstützen. Wir wissen aber auch - das
träglich. wurde in der Debatte bereits gesagt -, daß man die
(Beifall bei der CDU/CSU) Vereinten Nationen für alles verantwortlich macht,
5368 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl


auch in kleinen Teilen der deutschen Öffentlichkeit, Beträge - nicht bezahlen können. Aber ich bleibe bei
obwohl die Vereinten Nationen Dinge nicht positiv meiner These, daß es ein Skandal ist, daß die große
erledigen können, wenn ihnen Mittel und Möglich- Mehrheit der Nichtzahlenden solche Beträge sehr
keiten nicht gegeben sind. wohl zahlen kann.
Angesichts der schwierigen internationalen Situa- Wie wollen wir eigentlich in Deutschland bei de-
tion, die wir haben - denken Sie an den Nahen nen, die hier Steuern zahlen, Sympathie für eine In-
Osten, denken Sie an bestimmte Entwicklungen in stitution erwecken, wenn wir klaglos darüber hin-
Asien, denken Sie bei uns in Europa an Jugoslawien -, weggehen, daß nicht bezahlt wird? Deswegen habe
kann ich doch nicht sagen, der UNO-Generalsekre- ich das hier noch einmal deutlich gesagt.
tär müsse solche Probleme über Nacht lösen, wenn
nahezu alle unmittelbar vor Ort Verantwortlichen
Wir haben im übrigen in bezug auf das Geld nie
nicht den notwendigen Willen aufbringen, zu ver-
eine Verbindung zur Frage des ständigen Sitzes im
nünftigen Lösungen zu kommen.
Weltsicherheitsrat geknüpft; dazu haben Sie er-
Gerade das Beispiel Jugoslawien zeigt, daß man staunliche Dinge hier vorgetragen.
leider den Faktor Zeit einrechnen muß, der für die
betroffenen Menschen unendliche Schwierigkeiten Zunächst erstaunt mich schon, daß ein Redner der
mit sich bringt. SPD dieses Thema so aufzieht. Wenn ich mich nicht
täusche - ein bißchen kenne ich doch Ihre Parteige-
Ich will auch noch ein Wort zum Thema der Finan- schichte -, haben Sie dazu sogar einen Parteitagsbe-
zen sagen. Meine Damen und Herren, ich habe die- schluß. Ist das so?
ses Thema bei jeder Gelegenheit angesprochen. Auf
der letzten G-7-Konferenz in Halifax in Kanada im (Zurufe von der CDU/CSU: Die kennen die
Sommer habe ich die amerikanischen Kollegen und nicht! - Woher sollen die das denn wissen?
andere sehr direkt darauf angesprochen. - Heiterkeit bei der CDU/CSU und der
Ich will hier ausdrücklich den Präsidenten der Ver- F.D.P.)
einigten Staaten in Schutz nehmen. Er hat wirklich
das Menschenmögliche getan. Wenn sein Parlament Jetzt bin ich einmal bereit - auch Klaus Kinkel, die
- es ist ein frei gewähltes Parlament - ihm bisher die Bundesregierung und die Koalition -, einen SPD-Par-
Mittel verweigert hat, ist das bedauerlich. Wir kön- teitagsbeschluß zu realisieren, und jetzt sind Sie
nen zwar unsere Möglichkeiten wahrnehmen, auch auch dagegen.
dem Parlament dort etwas zu sagen, aber ich lehne
es ab, den amerikanischen Präsidenten anzugreifen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
und der F.D.P.)
Ich weiß, daß er sehr stark empfindet, wie schlecht
und schwierig die Position der Amerikaner ist, wenn Ich kann nur sagen: Wenn das kein Parteitagsbe-
man die Vereinten Nationen in New York im eigenen schluß ist, ist es jedenfalls ein Beschluß Ihrer hoch-
Land hat und selber seinen Finanzverpflichtungen rangigen Gremien. Nach meiner Erinnerung hat die
nicht nachkommt. SPD früher als alle anderen das Thema des Sitzes im
Wenn Ende Oktober/Anfang November 1995 von Weltsicherheitsrat angesprochen. Ich bin auch über-
185 Mitgliedern der Vereinten Nationen - Klaus Kin- haupt nicht dagegen, daß Sie das ansprechen, ich
kel hat ja die Zahlen genannt - erst 67 ihren Beitrag bin nur dagegen, wie Sie das hier darstellen.
gezahlt haben, dann kann ich nur sagen: Ich emp-
finde das als skandalös, und ich bin nicht bereit, das Zunächst einmal will ich hier feststellen: Die Bun-
zu akzeptieren. desregierung hat in dieser Frage nie gedrängt. Es
gibt Dutzende von öffentlichen Erklärungen von mir,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in Deutschland wie auch international - Klaus Kinkel
hat genau das gleiche gesagt -, wo ich immer darauf
Ich spreche jetzt von dem normalen Organisations- hingewiesen habe: Dies ist eine Frage, die wir mit
beitrag; ich rede nicht von den Sonderbeiträgen, die großer Delikatesse behandeln, weil wir wissen, wie
im Zusammenhang mit bestimmten Aktivitäten in die Lage in Europa ist, nämlich daß zwei enge
der Welt erhoben werden. Freunde von uns in der Europäischen Union als stän-
Wenn wir, die Deutschen, 120 Millionen Dollar dige Mitglieder bei den Vereinten Nationen sind:
zahlen - und wir zahlen sie -, dann ist das völlig be- Großbritannien und Frankreich. Der Prozeß in Paris
rechtigt. Ich halte diesen Betrag im übrigen auch für und London war psychologisch sehr schwierig. Sie
angemessen. Die Rechnung, die hier eben aufge- können das auf Grund von Indiskretionen von Mitar-
macht wurde, halte ich für ziemlich abwegig; denn beitern in den Tageszeitungen nachlesen. Nach dem,
wenn Sie eine solche Rechnung aufmachen, kom- was von 1990 bis 1995 geschehen ist, habe ich Ver-
men Sie bei vielen kleineren Ländern zu ganz ande- ständnis, daß es angesichts des bisherigen Vorrechts
ren Beträgen. für Großbritannien und Frankreich nicht ganz leicht
ist zu sagen: Wir wollen, daß auch die Deutschen und
Ich habe auch volles Verständnis, daß unter den die Japaner dabei sind. Sie sagen es trotzdem. Alle
185 Mitgliedern der Vereinten Nationen Länder sind, Mitglieder des Weltsicherheitsrats haben in der Zwi-
die, weil sie zu den ganz armen Ländern gehören, schenzeit erklärt, sie wollen den Beitritt der Deut-
selbst ein paar Millionen Dollar - so sind zum Teil die schen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5369
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Auch die Gruppe der 77 ist angesprochen worden. werde in deutschen Zeitungen kritisiert: Was wird
Das erstaunt mich noch mehr. Länder aus der nicht alles kritisiert? Lesen Sie nicht, was die Zei- -
Gruppe der 77 waren die allerersten, die mir gegen- tungen über die SPD schreiben? Sie müssen doch da-
über ganz offiziell bei jeder Gelegenheit erklärt ha- mit leben.
ben, daß die Deutschen und auch die Japaner - in
dieser Reihenfolge - Mitglied werden sollen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.
- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum lacht ihr von der
DIE GRÜNEN]: Dann gibt es demnächst F.D.P. denn dabei? Wenn die CDU/CSU
den Kinkel-Sitz!) lacht, verstehe ich das! Aber euch müßten
die Haare ausfallen! Ihr habt keinen Grund
Natürlich habe ich niemals etwas anderes gesagt, als zum Lachen!)
daß es nicht denkbar ist - jedenfalls nicht für mich -,
den heutigen Weltsicherheitsrat zu nehmen und ihm Gestern haben Sie einen neuen Fraktionsvorsitzen-
einfach zwei weitere Mitglieder hinzuzufügen. Viel- den gewählt, mit respektablem Ergebnis, wie ich
mehr ist nach 50 Jahren eine Umgestaltung zwin- finde. Trotzdem werden Sie kritisiert. Das gehört zur
gend erforderlich. Natürlich gibt es aus der Gruppe Demokratie. So etwas regt mich gar nicht auf.
der 77 eine Menge Vorschläge - das wissen Sie auch -,
etwa von Brasilien, Indonesien, Indien und Nigeria. Meine Position ist und bleibt: Ich habe zu einem
Es gibt einen erheblichen Streit innerhalb der sehr frühen Zeitpunkt auch gegenüber den Verant-
Gruppe der 77, wer Lateinamerika vertreten soll oder wortlichen in den Vereinten Nationen zu der geplan-
ob die demokratische Struktur eines bestimmten ten Festveranstaltung erhebliche Anmerkungen ge-
Landes in Afrika jetzt so ist, daß dieses Land das Ver- macht. Kritik kann man es nicht nennen, weil noch
trauen der anderen genießen sollte. Das gleiche wird nichts feststand. Ich bleibe bei meiner These: Es
von Ländern in Asien gesagt. macht keinen überzeugenden Eindruck auf die Bür-
ger der Welt, wenn in einer solchen Weise Gruß-
Wir haben das Thema nicht aufgebracht. Aber Sie adressen abgegeben werden. Nach meiner Überzeu-
können doch nicht erwarten, daß eine Bundesregie- gung war das nicht der richtige Weg.
rung - die immerhin den Amtseid geleistet hat, die
Interessen des Landes zu vertreten -, wenn die ande- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
ren uns fragen: Seid ihr bereit, Verantwortung zu DIE GRÜNEN]: Deswegen durfte der Kin
übernehmen?, nicht entgegnet: Ja, wir sind bereit, kel das machen!)
Verantwortung zu übernehmen.
Die Bundesregierung hat sich zu Recht beteiligt. Von
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ uns ging kein Affront aus. Meine Entscheidung ist
DIE GRÜNEN]: Das ist eine sehr milde Ge die, die ich getroffen habe.
schichtsschreibung, die er jetzt macht!)
Sie haben gefragt, wann ich dort hinginge. Das
Ich verstehe gar nicht, daß Sie dieses Thema über- wird in sehr absehbarer Zeit der Fall sein, und zwar
haupt so hochspielen. wegen des für mich sehr wichtigen Themas, inwie-
weit wir im Blick auf die weltweit stagnierenden Ent-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wicklungen bei der globalen Herausforderung im
Umweltschutz neue Schritte einleiten. Ich bin dar-
Es müßte so sein, daß Sie bei aller Kritik - heute gibt über mit einer Reihe von Kollegen in Afrika wie auch
es noch einen Punkt, bei dem Sie aus vollem Herzen in Lateinamerika im Gespräch. Das scheint mir der
Ihre Kritik abladen können; ich komme gleich darauf richtige Zeitpunkt zu sein, um einen speziellen Bei-
zu sprechen - sagen: Ungeachtet dieser Sache die trag des Bundeskanzlers und der Bundesregierung in
Bundesregierung macht die UN-Politik sehr gut. einer solchen Debatte zu bringen.
Denn das wird weltweit so gesehen:
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Aber die Reformen bleiben stek Letzter Punkt. Ich verstehe nun wirklich, daß es Ih-
ken, weil Sie einen falschen Reformansatz nen angesichts der internationalen Position der
haben!) Bundesrepublik Deutschland zum Ende des Jahres
1995 und auch angesichts des Regierungschefs - er
Für Ihre These gibt es in keinem Land der Welt auch gehört ja irgendwie schon dazu - schwerfällt zu sa-
nur einen Anhaltspunkt. gen: Die sind gut. - Daß Sie das nicht sagen, weiß
ich. Aber die meisten in der Welt sagen es eben.
Mein vorletzter Punkt. Sie können meine Entschei-
dung kritisieren, daß ich nicht nach New York ge- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
gangen bin. Das ist selbstverständlich. Ich habe DIE GRÜNEN]: Sie sind ein Goldschatz!)
meine Entscheidung getroffen und habe sie zu ver-
treten. Ihre Kritik haben Sie zu vertreten. Wenn ich - Gemessen an Ihnen bin ich das ganz gewiß nicht.
nun höre, das werde weltweit kritisiert, möchte ich
wissen, wer in der Welt das denn kritisiert. Ich kann (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
niemanden entdecken. Wenn Sie jetzt sagen, es und der F.D.P.)
5370 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl


Zu Ihrer Selbstgefälligkeit fehlt mir jede Vorausset- Bundeskanzler, sehr wohl bewußt ist, daß Sie einen
zung. schweren Fehler gemacht haben. -

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Günther Fried rich Nolting [F.D.P.]: Hätte er
und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] sich in New York beteiligt, hätten Sie das
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie auch gesagt!)
ein stetes Vorbild, was die Selbstgefälligkeit Sie haben hier den Versuch einer Schadensbegren-
betrifft!) zung gemacht, der Ihnen leider nur teilweise gelun-
gen ist.
Herr Abgeordneter Fischer, vielleicht noch ein Rat an (Beifall bei der SPD)
Sie: Mit meiner eben gemachten Bemerkung bin ich
in Ihrer Fraktion mehrheitsfähig. Gerade weil in diesem Hause über die Jahre hin-
weg in der Frage der Politik gegenüber den Verein-
(Erneute Heiterkeit und Beifall bei der ten Nationen eine große Gemeinsamkeit bestanden
CDU/CSU und der F.D.P. - Ingrid Matthäus hat - wenn Sie sich die Reden genau angehört ha-
Maier [SPD]: Wenn Sie beide über Selbstge ben, haben Sie festgestellt, daß dies auch heute sicht-
fälligkeit reden!) bar geworden ist -, gerade weil wir alle darin über-
einstimmen, daß unsere Außenpolitik in die interna-
Wenn die jeweilige Opposition, was sich ja ändert, tionalen Strukturen eingebunden sein muß, wäre es
denn die Regierung von heute ist die Opposition von wichtig gewesen, Herr Bundeskanzler, daß Sie die
morgen - - Prioritäten richtig setzen und 50 Jahre Vereinte Na-
tionen doch für wichtiger halten als 50 Jahre CSU.
(Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD])
(Beifall bei der SPD)
- Die Tatsache, daß Sie schon bei demokratischen
Ich will Ihnen nur ein paar kleine Zitate aus den
Selbstverständlichkeiten klatschen, zeigt nur, daß
letzten Tagen vortragen. Die uns wahrlich nicht na-
Sie ziemlich weit aus der Spur gelaufen sind.
hestehende „Bonner Rundschau" - ein Leib- und
Die Regierung von heute kann - das ist der Grund- Magenblatt Ihrer eigenen Leute - schreibt:
satz der Demokratie - die Opposition von morgen Daß Helmut Kohl die Reise schlicht als überflüs-
sein und auch umgekehrt. Ich wünsche der Bundes- sig ansah und dies auch noch damit begründete,
republik Deutschland - das sage ich jetzt so, wie ich daß ihm die für alle festgelegte Redezeit zu kurz
es empfinde -, daß zu allen Zeiten die jeweilige Bun- sei, muß schlicht als Instinktlosigkeit gewertet
desregierung international das Ansehen genießen werden.
möge, das die jetzige Bundesregierung genießt, und (Beifall bei der SPD)
zwar auf Grund der Leistungen nicht der Regierung
allein, sondern der Deutschen, weil wir verläßliche, Dann sagt die „Bonner Rundschau":
zuverlässige, vertrauenswürdige Partner geworden Auf die eine oder andere Weise wird Bonn für den
sind, weil wir keine imperiale Politik, wie hier wieder überflüssigen Affront früher oder später die Quit-
angedeutet wurde, im Sinn haben, weil wir versucht tung erhalten.
haben, am Ende dieses Jahrhunderts, in dem in deut-
schem Namen soviel Schreckliches über Deutsch- Zu Herrn Kinkel wird gesagt, daß seine Bemühun-
land, Europa und die Welt gebracht wurde, aus der gen vom eigenen Bundeskanzler völlig ad absurdum
Geschichte zu lernen. geführt wurden.
Die „Stuttgarter Zeitung" schreibt:
Deswegen bleiben wir bei unserer Politik der Un-
terstützung der Vereinten Nationen. Wir tun das mit Nichts gegen Kinkel, aber Kohls Verhalten wirkt
Augenmaß, aber nicht, indem wir uns das Recht ver- überheblich, großmächtig.
sagen lassen, Kritik zu üben, wo wir Kritik für not-
wendig halten. Die „Süddeutsche Zeitung" berichtet von einem
übernächtigten und übermächtigten Klaus Kinkel,
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der für die Arroganz seines Chefs büßen muß. Es
der F.D.P.) lohnt sich, einmal zu lesen, was Herrn Kinkel in New
York widerfahren ist.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sagen Sie
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das doch mal was eigenes!)
Wort dem Abgeordneten Günter Verheugen.
Die „Frankfurter Rundschau":
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Seinem Land aber hat der Kanzler durch Sitzen-
CSU]: Der wird doch gejagt von seinen In bleiben in Bonn keinen Dienst erwiesen.
triganten!)
(Günther F riedrich Nolting [F.D.P.]: Was
meint denn die SPD?)
Günter Verheugen (SPD): Herr Präsident! Meine Erneut die „Süddeutsche Zeitung":
sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache,
daß der Bundeskanzler in diese Debatte eingegriffen Kohl sagt, er wolle nicht nur eine „fünfminütige
hat, kann nur so gewertet werden, daß Ihnen, Herr Rede" bei der UN halten. Das ist die klassische
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5371
Günter Verheugen
Arroganz des Kanzlers und Besserwisserei ge- Ich muß Ihnen noch eines sagen: Es ist hier mit
genüber Chirac, Major, Murayama etc. Recht auf die regionalen Probleme hingewiesen wor--
den - Lateinamerika, Asien, Afrika -, und es wird
(Armin Laschet [CDU/CSU]: Sind Sie Nach lange dauern, ehe sie sich einigen können. Es ist
richtensprecher?) ebenfalls mit Recht auf das völlig ungelöste Problem
Das ist eine so eindeutige und übereinstimmende des Vetorechts hingewiesen worden.
Auffassung der deutschen Presse, daß Sie nicht
daran vorbeikommen. Wenn Sie sich mit Ihren Pa rt nern unterhalten - das
tun Sie ja -, dann wissen Sie doch, daß diese nicht
Selbst die „Bild"-Zeitung schreibt ja - - daran denken, ihren eigenen Status in den Vereinten
Nationen zu schmälern. So eindeutig ist es noch
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Lesen Sie
nicht, daß neue ständige Mitglieder ein Vetorecht
die auch noch?)
bekommen. Das ist alles noch völlig unklar. Die ame-
Nein, das ist ja etwas ganz anderes. Die „Bild"-Zei- rikanische Regierung hat unlängst auch wieder öf-
tung schreibt, daß Sie Herrn Kinkel entlassen wollen. fentlich erklärt, daß ihre Position in dieser Frage
Das hat man mir falsch dazugelegt; es tut mir leid. nicht festgelegt ist - im Gegensatz zu dem, was uns
hier erzählt wurde. Die Position ist nicht festgelegt.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]:
Was hat man Ihnen denn sonst noch aufge (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Und was will die SPD
schrieben?) damit sagen?)
Aber wenn ich es schon dabeihabe, kann ich es ja
zitieren. Da werden Sie im Zusammenhang mit Spe- - Das ist doch nicht mein Problem. Ich bin doch nicht
kulationen über die Entlassung von Herrn Kinkel dazu da, die Mitgliedschaft der Bundesrepublik
wörtlich zitiert, Herr Bundeskanzler, von Ihrem Lieb- Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Natio-
lingskolumnisten Graf Nayhauß. Jedenfalls behaup- nen zu puschen. Dafür ist Herr Kinkel da. Das macht
tet er immer, er sei das. Ich weiß, er war einmal in er ja. Ich weise nur auf die Schwierigkeiten hin und
Ungnade gefallen, aber inzwischen darf er wieder. darauf, daß es realistisch ist anzunehmen, daß diese
Sache nicht so schnell zustande kommt und daß es
Da steht: deshalb kein prioritäres Ziel der deutschen Außen-
politik ist und daß es keinen Sinn macht, die ganze
Nachdem er diplomatische Maschinerie der Bundesrepublik
- Kinkel - Deutschland jahrelang mit der Frage zu beschäfti-
gen, wie man in den Sicherheitsrat kommt.
schon den Parteivorsitz verlor, nun auch noch das
Außenministerium abgeben? Wer soll ihm denn (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
das beibringen?
Wir werden nicht allein hineinkommen. Wir wollen
Dann schreibt Graf Nayhauß:
es auch nicht allein. Wir wollen es auch nicht mit Ja-
Wer sonst, wenn nicht der Kanzler? pan allein, sondern es kann nur im Kontext einer re-
gionalen Reform des Sicherheitsrats geschehen, und
Na, wir sind gespannt. Wir werden es ja erleben. es sollte auch im Kontext einer inhaltlichen Reform
(Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ist geschehen. Hier fehlen allerdings die deutschen Bei-
also Ihr Beitrag zur UN-Debatte!) träge auch noch.

Ich sagte, ich hatte die „Bild"-Zeitung zufällig mit (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Überhaupt
dabei. Aber Sie haben für internationale Debatten ja nicht wahr!)
intellektuelles Niveau verlangt. Ich dachte, wenn Sie
intellektuelles Niveau verlangen, ist die ,,Bild"-Zei- Die Finanzen sind ein uraltes Thema. Darüber ha-
tung vielleicht doch das Richtige. ben wir hier x-mal diskutiert. Es ist wunderbar, daß
die Bundesrepublik Deutschland zahlt. Es reicht aber
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch nicht aus, andere anzuklagen, daß sie nicht zahlen,
zwei Bemerkungen zur Sache machen. Was den Si- und darauf zu verweisen, daß man selber zahle. Man
cherheitsrat angeht, Herr Bundeskanzler, haben Sie müßte sich vielleicht einmal überlegen, was man ma-
vollkommen recht. Ich bin der erste gewesen, der als chen kann, um die Zahlungsmoral in den Vereinten
deutscher Außenpolitiker die Mitgliedschaft der Nationen zu erhöhen. Da wäre ein deutscher Beitrag
Bundesrepublik Deutschland im Sicherheitsrat für durchaus angemessen, denn Deutschland als das
richtig erklärt hat. Land, das seine Beiträge leistet, hat die moralische
(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Waren Sie Legitimation, hier einen Vorschlag zu machen. Der
da schon bei der SPD?) Vorschlag könnte z. B. lauten, daß die Mitwirkungs-
rechte in den Vereinten Nationen suspendiert sind,
Da gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen solange jemand seine Beiträge nicht bezahlt hat. Das
uns, weil wir wollen, daß unser Land in diese interna- wäre etwas, was über Lippenbekenntnisse hinaus
tionalen Strukturen eingebunden wird und seiner dazu führen könnte, daß die extreme Finanzenge der
Verantwortung gemäß handelt. Die Frage ist: Wie be- Vereinten Nationen überwunden wird. Daß sie über-
treibt man das? Die Frage ist auch: Wie groß sind die wunden werden muß, darin stimmen wir vollkom-
Schwierigkeiten, und wie geht man mit denen um? men überein, denn wir alle wissen, daß ohne starke,
5372 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Günter Verheugen
leistungsfähige und handlungsfähige Vereinte Natio- folg hat, darf man Helmut Kohl loben. Auch Ihnen
nen das, was wir alle wollen, eine vorbeugende Be- stände es heute gut an, den Bundeskanzler für die -
kämpfung der Konflikte in der Welt, nicht möglich Dinge zu loben, die er in der UNO vorangebracht
sein wird. hat, und sich nicht kleinkariert über seinen Termin-
kalender zu ergehen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ludger ordneten der F.D.P. - Abg. Joseph Fischer
Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]
und Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD] mel
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das den sich zu Zwischenfragen)
Wo rt dem Abgeordneten Armin Laschet.
- Herr Fischer steht ganz hinten und möchte eine
Frage stellen, Herr Präsident, Herr Brecht ebenso.
Armin Laschet (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die Debatte wurde durch den
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Fischer,
letzten Beitrag des Kollegen Verheugen von den In-
ich habe Sie nicht gesehen. Herr Kollege, gestatten
halten weggeführt, die wir mit den Anträgen einzu-
Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fischer?
bringen versucht haben. Herr Verheugen, ich be-
greife Ihre Schärfe gar nicht. Sie lesen seitenlang Ar-
tikel der Morgenpresse vor, als seien Sie ein Nach- Armin Laschet (CDU/CSU): Ja.
richtensprecher, der die Presseschau vorliest. Was ist
Ihre politische Botschaft? 90 % unseres Antrags hat Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte, Herr Fi-
die SPD übernommen und mitgetragen. Warum sa- scher.
gen Sie dies hier nicht, anstatt sich mit solchen klein-
karierten Dingen aufzuhalten?
Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) GRÜNEN): Herr Abgeordneter, nachdem Sie sich so
darüber freuen, daß die „taz" die Frage „Darf man
Lieber Herr Verheugen, die UNO lebt davon, wie Helmut Kohl loben?" gestellt hat und die „taz" dies
man sie kritisiert und in welcher Art man über sie re- mit Ja beantwortet hat, und Sie dies gewissermaßen
det. Sie haben sich nicht nur heute, sondern auch bei als eine autoritative Äußerung nehmen: Wären Sie
anderen Gelegenheiten durch eine besonders auch bereit, die in der Regel häufigen Nein-Ant-
scharfe und besonders unsensible Sprache ausge- worten der „taz" ebenfalls zustimmend von Ihrer
zeichnet. Sie haben in Ihrer letzten Rede, als es um
Seite zu unterstützen?
Somalia ging und wir über die UNO gesprochen ha-
ben, vor einem „afrikanischen Vietnam" gewarnt. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der
F.D.P.)
(Günter Verheugen [SPD]: Mit Recht!)
Sie haben in Fernsehinterviews gesagt, das sei der Armin Laschet (CDU/CSU): Wenn ich in den Rei-
größte Flop der Weltgeschichte. Mit solchen Sprü- hen rechts von der Grünen-Fraktion sitze, habe ich
chen, Herr Verheugen, dienen sie nicht der UNO mich manchmal über Ihre Originalität gewundert
und machen Sie nicht erkennbar, daß die Mitglied- und mich daran gefreut. Diese Frage war jetzt nicht
staaten und nicht die UNO selbst die Schuldigen ganz so originell wie Ihre sonstigen Zwischenrufe.
sind. Sie nähren damit alle Vorurteile der UNO-Kriti-
ker. Das sollten Sie unterlassen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie doch eine
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Antwort darauf!)
Unser Ziel ist es, am weltweiten Bewußtsein und Ich lese die „taz", es gibt dort auch manche interes-
an einer Bekämpfung der Gefahren unserer Zeit mit- santen Bemerkungen.
zuwirken. Es war gerade der deutsche Bundeskanz-
ler - auch das könnten Sie bei einer solchen Gele- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
genheit einmal erwähnen -, der sich in Rio für die DIE GRÜNEN]: Aha!)
Ziele der Konferenz eingesetzt hat. In dieser Woche Aber es geht hier darum, ob in diesem Parlament
wurde die Studie von BUND und Misereor vorge- von seiten der Opposition nur billig kritisiert wird
stellt, in der Überlegungen über ein zukunftsfähiges und ob Sie in den substantiellen Fragen der UNO, in
Deutschland angestellt werden. Es ist gerade der denen dieser Bundeskanzler etwas vorangebracht
UNO zu verdanken, daß solche Dinge auch bei uns hat, weiterhin einäugig bleiben und selbst der „taz"
eine Öffentlichkeit finden. Die Rio-Konferenz war da- nicht glauben, die dies ab und an schon bestätigt hat.
bei ein ganz wesentlicher Bestandteil.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb brauchen wir die UNO. Der Bundeskanz-
ler hat bei der Klimaschutzkonferenz in Berlin die-
sen UNO-Prozeß noch einmal vorangebracht. Herr Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
Fischer ist jetzt nicht da. Er ist sicher ein Leser der gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
„taz". Sie hat damals kritisch gefragt: „Darf man Hel- Dr. Brecht?
mut Kohl loben?" Der Beitrag endete dann damit: So-
lange der Prozeß des Klimaschutzes Aussicht auf Er Armin Laschet (CDU/CSU): Ja.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5373

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Brecht, Armin Laschet (CDU/CSU): Sie wissen genau, daß
Sie haben das Wort, bitte. es eine umfangreiche Politik dieser Bundesregierung -
gibt, die darin besteht, national das umzusetzen, was
Dr. Eberhard Brecht (SPD): Herr Kollege Laschet,
in Rio erreicht worden ist. Sie wissen auch, daß es in
Sie klagen hier ein, daß die Opposition doch die Ar- Rio darauf ankam, diese Ziele erst einmal ins Be-
beit der Bundesregierung etwas würdigen soll. Ich wußtsein der Weltöffentlichkeit zu tragen.
darf Sie daran erinnern, daß wir eine Feierstunde des (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Deutschen Bundestages haben wollten, die am Wi- Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Also doch Be
derstand Ihrer Fraktion gescheitert ist. Deswegen troffenheit!)
frage ich Sie, ob nicht bei einer solchen Debatte na-
türlich auch einmal über solche Dinge gesprochen Lieber Herr Schily, es war doch keine Selbstverständ-
werden muß, die bei der deutschen UN-Politik ver- lichkeit, daß auf den G-7-Gipfeln über diese Fragen
besserungswürdig sind, ob das das 0,7-%-Ziel ist, geredet wurde. Das ist gelungen, und das ist wesent-
das die nordischen Staaten bereits erreichen, ob es lich dem deutschen Beitrag zu verdanken.
die Frage der Koordination zwischen den einzelnen (Beifall bei der CDU/CSU)
Ressorts ist oder ob es die Frage der Reformvorstel-
lungen des ECOSOC ist. Wir diskutieren doch diese Der frühere Bundespräsident Richard von Weiz-
Fragen. Auch Sie kennen die Defizite dabei genau. säcker, der als Ko-Vorsitzender einer vom UNO-Ge-
Ich fände es intellektuell redlich, wenn Sie dies eben- neralsekretär einberufenen unabhängigen Arbeits-
falls erwähnten. gruppe über die Zukunft der Vereinten Nationen
nachgedacht hat, hat formuliert:
Armin Laschet (CDU/CSU): Herr Kollege Brecht, In der internationalen Politik hört man auf uns
ich habe gar nichts gegen die Kritik. Aber intellektu- Deutsche, sei es, daß wir schweigen oder daß wir
ell redlich wäre es gewesen, wenn Sie in Ihrem aller- reden.
ersten Beitrag für die SPD-Fraktion über diese Fra-
gen gesprochen hätten. Aber Ihr Hauptproblem ist Herr Schily, das mag uns gefallen oder auch nicht.
der Terminkalender des Bundeskanzlers, und es sind Wir sollten über die Visionen und Perspektiven für
eben nicht diese Fragen, die wir in den Ausschüssen die Reform der Vereinten Nationen reden. Das soll-
hoffentlich gemeinsam erörtern werden. Vielleicht ten wir hier im Plenum tun, und das sollten wir in
kehren Sie denn zur Sachpolitik zurück, anstatt über den Ausschüssen tun. Wir sollten mit unseren Kolle-
solche Dinge hier so großartig zu diskutieren. gen im amerikanischen Kongreß reden und sie er-
muntern, mit uns gemeinsam an der Reform und an
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Stärkung der Vereinten Nationen mitzuarbeiten.
Im übrigen haben wir, Herr Kollege Brecht, keine Ferner sollten wir Überzeugungsarbeit in unsere Öf-
Feierstunde verhindert. Unsere Position war viel- fentlichkeit hinein leisten, damit nicht der Virus des
mehr, daß eine Debatte im Plenum angemessen ist, nationalstaatlichen Denkens und der Virus des Rück-
um ein solches Jubiläum zu begehen, und daß man zugs aus der internationalen Verantwortung viel-
nicht den Bundestag mit Feierstunden oder mit aus- leicht auch einmal unsere öffentliche Diskussion er-
ländischen Referenten, die vor dem Plenum spre- reichen - davor sind wir nicht gefeit - und damit wir
chen, in eine Zuhörergalerie verwandeln soll. Die nicht, ähnlich wie es in Amerika geschieht, einen
Ideen über die UNO auszutragen, das muß unser Ziel Rückfall erleiden,
sein. Es darf nicht das Ziel sein, hier ständig Gäste zu (Beifall des Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD])
empfangen.
Das können wir aber nur schaffen, wenn wir nicht
das parteipolitische Hickhack betreiben, das wir
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
heute morgen erlebt haben, sondern wenn wir die
Laschet, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
Gemeinsamkeiten in die Öffentlichkeit hineinbrin-
gen Schily?
gen. Dazu möchte ich uns heute morgen noch einmal
aufrufen. Im Ausschuß geht das sicher dann einver-
Armin Laschet (CDU/CSU): Ja. nehmlicher als hier im Plenum.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte, Herr
Schily. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Otto Schily (SPD): Herr Kollege, manchmal erfährt Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem
man im Bundestag auch etwas Neues. Ich habe jetzt Abgeordneten Gert Weisskirchen das Wo rt .
von Ihnen gehört, daß die Bundesregierung die Kon-
ferenz in Rio zustande gebracht hat. Das ist für mich
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Herr Präsi-
eine Neuigkeit; das nehme ich zur Kenntnis.
dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr
Auf diesem Hintergrund will ich Sie fragen: Mit Laschet, es wäre alles viel einfacher, wenn es nicht
der Erfüllung welcher Versprechen, die der Bundes- nur schöne Reden gäbe, die in Rio oder anderswo ge-
kanzler in Rio de Janeiro abgegeben hat, ist in der halten werden, sondern wenn man, wenn es darauf
Zwischenzeit auch nur ansatzweise begonnen wor- ankommt, die Politik in den Nationalstaaten so ver-
den? änderte, daß man wenigstens schrittweise die Ziele,
5374 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Gert Weisskirchen (Wiesloch)


auf die man sich international verständigt hat, errei- uns in den großen Städten auf. Gehen Sie doch ein-
chen könnte. Das ist der zentrale Unterschied. mal in die USA. Schauen Sie sich doch die großen -
Städte an,. Das, was dort stattfindet, ist eine Migra-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
tion aus Angst, aus Hunger, aus Not.
DIE GRÜNEN sowie der Abg. Andrea Lede
rer [PDS]) Vor dieser Migration werden wir uns durch über-
Ich möchte auf drei Trendverschiebungen auf- haupt nichts, durch keine nationalen Instrumente
merksam machen, die mit der gesamten Debatte zu- schützen können. Vielmehr können wir nur versu-
sammenhängen und die es nach meiner Meinung um chen, das ungeheure Gefälle, das es gerade wegen
so dringlicher und notwendiger machen, daß die dieser sozialen Ungleichheit und Ungerechtigkeit
UNO gestärkt wird. gibt, zu mildern. Das ist der entscheidende Punkt.
Die UNO muß schon allein aus diesem Grunde ge-
Das erste ist, daß 1950 - das muß man erinnern -, stärkt werden, damit der Bewußtseinsstand, daß wir
in jenem Zeitraum vor 45 Jahren also, nach einer lan- in einer gemeinsamen Welt leben, von uns allen er-
gen Pe riode des Wachstums - über ein Jahrhundert reicht wird und damit wir dann endlich auch han-
lang - fast ein Drittel aller Menschen in entwickelten deln, lieber Kollege Laschet.
Ländern gelebt hat. Seit diesem Zeitpunkt ist der An-
teil der Menschen, der in entwickelten Ländern lebt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
um fast die Hälfte abgesunken: hier reiche Regionen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -
auf der Erde, dort arme Regionen auf der Erde; hier Dr. Chri stian Ruck [CDU/CSU]: Das steht
reiche Regionen, deren Wohlstand immer noch doch in unserem Antrag!)
wächst, wenn auch langsamer, do rt arme Regionen, - Lieber Kollege Ruck, ich bin sehr damit einverstan-
die in soziales Elend abzustürzen drohen. den, daß in Ihrem Antrag auch Vernünftiges steht.
Willy Brandt - er wurde heute schon einige Male Wie Sie auch selber wissen, Kollege Laschet: Wir ha-
erwähnt - hat das 1973 vor der Generalversammlung ben wesentliche Teile Ihres Antrags auch in unserem
folgendermaßen ausgedrückt: Antrag formuliert. In zwei zentralen Punkten gibt es
aber deutliche Differenzen, die ich hier noch anspre-
Not ist Konflikt. Wo Hunger herrscht, ist auf die chen will.
Dauer kein Friede. Wo bittere Armut herrscht, ist
kein Recht. Wo die Existenz in ihren einfachsten Der erste Punkt ist, daß Sie es nicht akzeptiert ha-
Bedürfnissen täglich bedroht bleibt, ist es nicht ben, daß die UNO Schritt für Schritt zu der wirkli-
erlaubt, von Sicherheit zu reden. chen Macht auf dieser Erde ausgebaut werden soll,
was dazu führen kann und soll, daß sie wirklich über
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die nordi- die Machtmittel verfügen kann, um in entscheiden-
schen Staaten es schaffen können, das Ziel zu errei- den Punkten auf dieser Erde ordnend eingreifen zu
chen, auf das wir uns gemeinsam international ver- können. Das ist der zentrale Punkt, wo wir uns unter-
ständigt haben, nämlich 0,7 % des Bruttosozialpro- schiedlich verhalten.
dukts in die Entwicklungshilfe zu geben, lieber Herr
Kollege Finanzminister, dann kommt es darauf an, Sie glauben, daß NATO, WEU und andere Instru-
daß wir selbst diesem Schritt nachfolgen, gegenüber mente dem vorgezogen und in einen bestimmten Zu-
der Armut in der Welt, gegenüber denen, die Elend sammenhang gebracht werden könnten. Wir aber
leiden. Der Bundeskanzler, der vorhin hier geredet wollen, daß das Machtmonopol, das innerhalb des
hat, hat das ja zitiert. Wo aber bleibt denn unser Bei- Staates demokratisch kontrolliert und auch zentrali-
trag, um die Lücke, die wir füllen müssen, endlich siert werden soll - das ist der große Fortschritt, den
wenigstens etwas kleiner zu machen? wir in der Zivilisation in langen gesellschaftlichen
Kämpfen durchgesetzt haben -, an die UNO dele-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ giert wird. Das ist unser Ziel. Deswegen haben wir
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der das sehr präzise so formuliert. Dem aber sind Sie
PDS) nicht gefolgt. Das bedaure ich.
Herr Kollege Laschet, darauf kommt es an: nicht nur (Beifall bei der SPD - Zuruf des Abg.
großspurige Reden zu halten, sondern dem auch Ta- Dr. Christian Ruck [CDU/CSU])
ten folgen zu lassen.
- Sie können sich ja zu einer Zwischenfrage melden.
(Beifall bei der SPD sowei bei Abgeordne
ten der PDS und des Abg. Matthias Bernin Ich möchte noch einen zweiten Punkt ansprechen.
ger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
(Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE
Es ist richtig, was vom Kollegen Irmer gesagt wor- GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen
den ist: Sorge um das tägliche Brot ist das, was die frage)
überwiegende Mehrheit der Menschen auf dieser
Erde in der Tat bedrückt. - Bitte schön.
Massenwanderung von den armen in die reichen
Regionen ist die eine Antwort. Übrigens, wenn wir Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie gestatten
glauben, wir könnten unsere Grenzen deswegen ein- eine Zwischenfrage des Kollegen Lippelt. Ich habe
fach zumachen: Das wird uns nicht gelingen. Die die Wortmeldung nicht gesehen; ich bitte um Nach-
Minderheiten tauchen doch schon längst auch bei sicht. - Bitte schön.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5375

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte am Schluß Nelson Mandela zitieren -
Inhaltlich stimme ich mit allem, was Sie sagen, über- da es der Bundeskanzler leider nicht hat hören kön- -
ein. Ich habe allerdings ein Verständnisproblem. Ich nen, muß es hier gesagt werden; er kann es dann ja
lese hier: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und anderswo nachlesen -, der gesagt hat: Wir müssen
F.D.P. Gibt es diesen Antrag nicht mehr? Ist er zu- einen neuen Führungsanspruch und eine neue Füh-
rückgezogen worden? rungsfähigkeit für eine neue Zeit durchsetzen und
installieren. Das ist das Entscheidende, worauf es
(Zuruf des Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD]) heute ankommt.
- Aha. Vielen Dank. - Der Kollege hat meine Frage In der UNO kristallisiert sich der Versuch heraus,
schon beantwortet. auf die Konflikte dieser Erde mit anderen Mitteln als
Gewalt zu antworten. Es kommt darauf an, die zivi-
(Heiterkeit) len Kräfte unserer Gesellschaften so zusammenzu-
führen, daß am Ende eine globale zivile Gesellschaft
herauskommen kann. In Peking haben wir schon er-
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Ich möchte lebt, daß die Frauen und die NGOs, die Nichtregie-
noch auf einen zweiten Punkt aufmerksam machen; rungsorganisationen, die Vorboten dieser neuen, glo-
das zeigt sich schon in den großen Debatten darüber, balen zivilen Gesellschaft sind. Darauf kommt es an.
wie auf die unterschiedliche Gemengelage auf der Da es ein neues Bündnis geben wird, müssen wir
Erde reagiert werden soll. Samuel P. Huntington hat zwischen den zivilen Gesellschaften in den National-
dazu in seinem Aufsatz „The clash of civilisations?" staaten und gemeinsam mit der UNO dafür sorgen,
gesagt, es komme darauf an, eine neue Trennlinie daß sich der Friede schließlich durchsetzt.
zwischen den großen kulturellen Regionen auf die-
ser Erde zu schaffen. Ich kann nur sagen: Wer sol- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
chen Gedanken folgt, der geht in die Falle, die er GRÜNEN und der PDS)
aufstellt, der folgt nämlich der Überlegung, daß die
wirklichen Trennlinien die Kulturen auf dieser Erde Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem
sind, die miteinander im Streite liegen. Wer so denkt, Abgeordneten Andreas Krautscheid das Wo rt .
bereitet intellektuell Kriege vor, die in der Realität
tatsächlich eintreten könnten.
Andreas Krautscheid (CDU/CSU): Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muß Samuel Meine Damen und Herren! Ich möchte in der kurzen
P. Huntington auffordern, anders zu denken. Es geht noch verbleibenden Redezeit auf drei Punkte einge-
nicht darum, daß die Zivilisationen aufeinanderpral- hen. Zunächst ein freundlich gemeinter Beitrag zur
len. Es muß darum gehen, den Dialog der Zivilisa- Erleichterung der Binnenorientierung bei den SPD-
tionen voranzutreiben; denn nur das ist eine Chance, Kollegen. Sie haben heute morgen mehrmals bean-
aus den Kämpfen, die uns bevorstehen könnten, die standet, wir sollten nicht so häufig und so deutlich
richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen. über einen Sitz im Sicherheitsrat sprechen. Das sei
schon fast unanständig. Nur zur Erinnerung: Ich
Ich möchte noch einen weiteren Trend nennen, der habe hier den Beschluß des SPD-Parteitages von
sich in der UNO widerspiegelt und do rt reflektiert 1993 in Wiesbaden - Zitat -:
wird. Die UNO wurde nach einem Krieg gegründet,
dessen Aggressoren ausgezogen waren, die Souverä- In diesem Zusammenhang befürwortet die SPD
nität anderer Staaten zu zerstören. Die Vereinten Na- einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat für die
tionen richteten daher ihr Hauptaugenmerk darauf, Bundesrepublik Deutschland.
die Staatsbildung von Nationen zu unterstützen und Das stelle ich Ihnen gerne zur Verfügung. Vielleicht
zu fördern, so daß kein Mitgliedstaat der VN mehr sehen Sie dort einmal hinein, Herr Verheugen.
eine Bedrohung seiner Unabhängigkeit oder gar ei-
nen kriegerischen Eingriff von außen in die staatliche (Zurufe von der SPD: Haben wir ja! - Gün
Integrität erleiden muß. ter Verheugen [SPD]: Wir sind doch dafür!)

Wir erleben aber durch die Globalisierung der - Sie können sich nicht daran erinnern, was Sie
Ökonomie, daß der Begriff und das Konzept des Na- selbst beschlossen haben. Ich kann das bei dem
tionalstaates selbst prekär geworden sind. Aber nicht Durcheinander bei Ihnen sehr gut verstehen. Viel-
nur das: Wir erleben auch, daß die internen Konflikte leicht sehen Sie gelegentlich einmal in Ihre eigenen
in diesen Staaten - ethnisch, religiös usf. - nicht Parteitagsbeschlüsse.
mehr beherrscht werden können, wenn die Kohäsi- (Günter Verheugen [SPD]: Kümmern Sie
onskräfte in diesen Staaten so schwach werden, daß sich um Ihren eigenen Saftladen!)
sie auseinanderfallen. In Jugoslawien oder anderswo
kann man das nachvollziehen. Zum zweiten. Herr Weisskirchen hat gerade sehr
impulsiv und sehr kräftig vorgetragen, man müsse
Es kommt darauf an, daß wir künftig nicht mehr den Ankündigungen Taten folgen lassen, man dürfe
nur die Integrität, die Souveränität von Nationalstaa- die UNO nicht im Stich lassen, wenn es an das Agie-
ten als das wichtigste Augenmerk unserer Politik be- ren gehe. Damit bin ich völlig einverstanden,
trachten. Es kommt vielmehr darauf an, daß die Le- d'accord. Zum Detail komme ich gleich. Nur, Herr
bensbedingungen von Menschen in den Mittelpunkt Weisskirchen, ich erinnere mich daran, wer in die-
der Politik gerückt werden. sem Hause riskiert hat, die UNO im Stich zu lassen,
5376 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Andreas Krautscheid
als es wirklich einmal zur Sache ging, als es darum auf Dauer jedenfalls in diesem Ausmaß nicht zu er-
ging, ob wir zur Verfügung stehen. Da war doch in füllen sein. Wir sollten hier keine höheren Forderun- -
dieser Hälfte des Hauses Ebbe. Das ist noch gar nicht gen an die UN richten, als wir selber zu erfüllen be-
so lange her. reit wären.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vergessen wir eines nicht: daß die Defizite der Ver-
einten Nationen sehr oft in unseren eigenen Unzu-
Man kann also nicht auf der einen Seite hohe An-
länglichkeiten wurzeln. Diese wollen wir gemeinsam
sprüche an die Vereinten Nationen stellen und auf
beseitigen. Deswegen wünsche ich mir, daß diese
der anderen Seite, wenn wir etwa durch einen deut-
kleine Abweichung im SPD-Antrag zukünftig viel-
schen Beitrag gefordert sind, kneifen. Ich denke,
durch die Entscheidung des Bundesverfassungsge- leicht auch noch aufgearbeitet werden wird, wenn
Sie von der SPD in Ihrer eigenen Fraktion eine Mehr-
richts ist klar, wo unsere Position liegen kann. Die
wollen wir ausfüllen. Jedenfalls ist meine Fraktion heit dafür bekommen. Ich meine, wir sollten gerade
in diesem Bereich der UN-Politik versuchen, die Un-
bereit dazu.
zulänglichkeiten, die es hier bei uns noch gibt, ge-
meinsam zu beseitigen, und in Deutschland die UN
Ich möchte aber auch eines sagen. Wir sind uns si- mit einer möglichst breiten Mehrheit unterstützen.
cherlich einig, daß eine verstärkte Arbeit im Bereich
der Prävention von Krisen liegen muß. Nicht um- Vielen Dank.
sonst spricht die UN-Charta davon, die Menschen
vor der Geißel des Krieges bewahren zu wollen. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ist ein präventiver Ansatz. Nur eines möchte ich sa- ordneten der F.D.P.)
gen - und das richtet sich an uns alle -: Wir beanstan-
den, daß die Instrumente fehlen. Vielfach sind die In- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
strumente zwar vorhanden, aber wir nutzen sie nicht Wo rt dem Abgeordneten Rudolf Bindig.
oft genug. Das richtet sich an uns alle.

Ich erinnere an eines: Die humanitäre Katastrophe Rudolf Bindig (SPD): Herr Präsident! Verehrte Da-
in Ruanda und Burundi mit Millionen von Flüchtlin- men und Herren! Ohne Zweifel sind die Vereinten
gen, mit großem Elend war keine wirkliche Überra- Nationen das Forum der globalen Politik. Wir stellen
schung. Wir hätten es besser wissen können. fest, daß sich die Politikbereiche weiter ausdifferen-
zieren und daß wir für sie handlungsfähige Träger
brauchen. Da ist einmal die Weltwirtschafts- und So-
Ich erinnere an ein zweites. Der Sonderberichter-
zialpolitik, also die Weltentwicklungspolitik. Dane-
statter der Vereinten Nationen für Jugoslawien, Ta-
ben gibt es die Weltrechtspolitik, die Menschen-
deusz Mazowiecki, hat 18 Berichte verfaßt, in denen
rechte und die Normsetzung im UN-System, und
er immer wieder vor der sich ständig ausweitenden
schließlich die Weltinnenpolitik, das, was wir als
Katastrophe gewarnt hat. Auch hier hätten wir vieles
Blauhelm-Fragen diskutieren.
eher und besser wissen können. Wir müssen also in
Zukunft in unserer Politik die Berichte und Instru- Ich finde, die heutige Debatte hat auch wieder ge-
mente der Vereinten Nationen ernster nehmen. Dies zeigt, daß in bezug auf die Wahrnehmungsfähigkeit
richtet sich an uns alle. der Bundesregierung genau das gilt, was auch im
UN-System stattfindet, daß nämlich dem einen Sek-
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, der tor eine ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet
sich auf den Menschenrechtsbereich bezieht. Wir ha- wird - 25 Minuten der Regierungserklärung hat der
ben im Moment sehr harte Einflüsse aus dem Bereich Außenminister für die Rolle der Blauhelme verwandt -,
der Finanzmisere der UN, die wir alle beklagen und daß aber für die anderen Bereiche, für die Frage, wie
die wir beenden wollen. Wir merken: Auch hier gib' die Weltwirtschafts- und Sozialpolitik, wie die Ent-
es massive Einschränkungen. Es ist aus meiner Sicht wicklungspolitik zu gestalten sind, nur am Rande et-
schlicht nicht hinnehmbar, daß zur Zeit keine Son- was bemerkt worden ist und daß auch die fundamen-
derbeobachter des Menschenrechtszentrums in Genf talen Themen der Weiterentwicklung des Weltmen-
zu Inspektionen ins Ausland reisen können, weil in schenrechtsinstrumentariums nur nachrangig behan-
New York der Reiseetat gesperrt worden ist. Das delt worden sind. In bezug auf die nationale Politik
kann nicht richtig sein. behandeln wir ja nicht nur oder hauptsächlich innen-
politische Fragen, sondern wir sagen da: Wir wollen
(Beifall bei der CDU/CSU) auch Rechtspolitik und Sozialpolitik zusammen dis-
kutieren. In bezug auf Fragen der UN ist die Gewich-
Ich fordere die Bundesregierung auf, mit dafür zu tung unproportional; bestimmte Fragen werden ein-
sorgen, daß diese Gelder entsperrt werden. Insge- seitig vorgezogen. Das muß sich ändern.
samt sind wir im Menschenrechtsbereich sehr froh, (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
daß sich seit 1993, seit der Konferenz in Wien, mit
dem Hohen Kommissar für Menschenrechte einiges Ich habe ebenfalls erwartet, daß uns nicht nur die
verbessert hat. Aber auch hier gilt das, was heute Zustände beschrieben würden, die ja evident sind,
morgen mehrfach gesagt worden ist: Die hohen Er- die globalen Umweltprobleme, das Weltbevölke-
wartungen, die an die UN gerichtet werden - wir alle rungswachstum, die große Armut in vielen Ländern.
kennen das Schlagwort vom Weltpolizisten -, werden Vielmehr habe ich erwartet, daß uns die Bundesre-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5377
Rudolf Bindig
gierung in bezug auf die Vereinten Nationen jetzt sa- Der Hohe Flüchtlingskommissar bittet uns immer
gen würde, wo sie ganz speziell die Akzente ihrer wieder, wir mögen endlich aus dem Mittelfeld her--
UN-Politik setzen will, und daß man uns nicht nur austreten - wir liegen bei der Beitragsleistung allen-
die Welt erklären würde. Wir hätten es gern gesehen, falls im Mittelfeld - und mehr geben. Das gilt auch
wenn Sie uns in Ihrer Regierungserklärung Ihre Poli- für andere Organisationen, die für Spezialgebiete
tik erklärt hätten, nämlich wo genau Sie einen Ak- eingerichtet worden sind.
zent setzen wollen.
Ganz besonders am Herzen muß uns die Weiter-
entwicklung des internationalen Instrumentariums
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zur Durchsetzung der Menschenrechte liegen. Zum
einen geht es um die Ausarbeitung eines Statuts für
Was wollen Sie tun im Bereich der Weiterentwick- einen ständigen internationalen Strafgerichtshof. Ein
lung der Instrumente der Entwicklungspolitik? Wer solches Instrument wäre erforderlich, um die schwe-
soll der Träger eines „sustainable development", ren Menschenrechtsverletzungen, die es auf der Welt
gibt, institutionell behandeln zu können.
auch in bezug auf die Umweltprobleme, werden?
Wer soll das Thema „good governments" behandeln? Zum anderen geht es um die Ausarbeitung eines
Kann das weiterhin und in der bisherigen Form die Kodexes der Verbrechen gegen den Frieden und die
UNDP machen? Welche Rolle soll die Weltbank in Sicherheit der Menschheit. Diese Projekte sind im
diesem Geschehen haben? Insbesondere: Soll die UN-System seit langem in der Diskussion. Sie sind
IDA, die Finanzierungseinrichtung, die sich um die teilweise bereits in erster oder zweiter Lesung abge-
ärmsten Entwicklungsländer bemüht, neu gestärkt wickelt. Es geht jetzt darum, neue Impulse zu setzen,
werden? Wie sieht es mit einem Schuldenerlaß aus, damit sie auch wirklich in Kraft treten können. Ich
den es bisher im System der weltweit tätigen Ent- hätte erwartet, daß Sie hier sagen, welchen neuen
wicklungsinstitutionen nicht gegeben hat? Welchen Impuls Sie setzen wollen.
Akzent will da die Bundesregierung setzen, und ist
sie bereit, einen bestimmten Impuls zu geben, daß es (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
zu einer solchen Entschuldung kommt? Mit wie vielen Leuten und mit welchen Ideen wollen
Sie dort tätig werden, damit dieser wichtige Bereich
Die nordischen Staaten haben vorgeschlagen, die weiterentwickelt wird? Auch dazu haben wir von Ih-
Finanzierungsmechanismen zu verändern und einen nen nichts gehört.
Weltentwicklungsrat zu gründen. Ich hatte erwartet,
daß uns die Bundesregierung sagen würde, ob sie es Die schwache Finanzausstattung der Vereinten
für sinnvoll hält, einen Weltentwicklungsrat zu grün- Nationen ist bereits vielfältig beklagt worden. Ich.
den, und welchen Impuls sie geben will, damit er ein- möchte noch einmal gezielt auf die schwache Finanz-
gerichtet wird. ausstattung der Menschenrechtsinstitutionen hin-
weisen. In Reden wird diesem Bereich allgemein ein
Zu alldem ist nichts gesagt worden. Darüber, die Schwerpunkt beigemessen. Aber nur 1,4 % der Aus-
Probleme der Welt in allgemeiner Form zu beschrei- gaben der Vereinten Nationen werden für die Einhal-
ben, müßten wir eigentlich hinaus sein. Die Analyse tung der Menschenrechte und für humanitäre Aufga-
der Weltprobleme ist x-mal in Reden und Festreden ben ausgegeben, für Blauhelm-Einsätze übrigens
gemacht worden. Die Vertreter dieser Bundesregie- 69,6 %. Das sollte uns ganz klarmachen, daß sich im
rung müßten uns sagen, was sie konkret im UN-Sy- UN-System noch vieles auf einem Standard befindet,
stem verändern wollen. Dazu haben Sie nichts gelie- auf dem die Umweltpolitik vor zehn Jahren gewesen
fert; für mich war das keine Regierungserklärung, ist.
(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Sie vergleichen
(Beifall bei der SPD) da doch Äpfel mit Birnen, Herr Kollege!)
das war eine Weltbeschreibung. Es war nichts, in Man beschränkt sich darauf, die Probleme erst
dem politisch dargelegt worden wäre, was aus dann, wenn sie eingetreten sind, also hinterher, zu
Deutschland heraus geschehen soll. reparieren. Bei den Umweltproblemen hat man das
eingesehen und versucht jetzt, Vorsorge zu treffen.
Ich komme zu der Frage des weltweiten Katastro- Aber im Bereich der Menschenrechte wird immer
phenschutzes. Es gibt Überlegungen, ob es sinnvoll noch fast nichts oder werden nur Minimalbeträge für
ist, zur Bekämpfung von Naturkatastrophen, Um- die Vorbeugung ausgegeben. Aber wenn der Kon-
weltgefährdungen und Seuchen ein neues Instru- flikt hinterher da ist, ist man bereit, Hunderte, ja,
ment zu schaffen. Wir wissen, daß der UNHCR, der Tausende von Millionen auszugeben. Dieses Problem
Weltflüchtlingskommissar, einiges tut. Welcher Ak- herauszuarbeiten und dann deutlich zu machen, wel-
zent kann da gesetzt werden? Vorhin ist voller Selbst- che neuen Akzente wir setzen wollen, um das zu ver-
gefälligkeit vom Kanzler gesagt worden: Wir lassen ändern, wäre notwendig gewesen.
uns von niemandem überbieten. Ich wollte ihm eine
Es ist erforderlich, die Menschenrechtsinstitutio-
Zwischenfrage stellen. Natürlich werden wir gerade
nen mit mehr Mitteln auszustatten.
in diesen Sonderorganisationen von vielen Ländern
überboten. Ich habe noch nie gehört, daß eine Mission militä-
risch gescheitert ist, weil kein Geld da war, einen Of-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne fizier irgendwo hinzufliegen. Aber stellen Sie sich
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vor: Da wird wochenlang, jahrelang darum geran-
5378 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Rudolf Bindig
gelt, einen Sonderberichterstatter der Vereinten Na- Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
tionen zu bekommen, der sich um Maßnahmen ge- nister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident! -
gen Menschenrechtsverletzungen, Folter und Rassis- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem
mus oder um einzelne Länder kümmern soll, in de- Rentenreformgesetz 1992 haben wir die Rentenversi-
nen Menschen gefoltert werden oder verschwinden. cherung auf sichere Füße gestellt und gegen die de-
Dann wird diese Institution eingesetzt, aber finanziell mographische Herausforderung wetterfest gemacht.
so knapp gehalten, daß der Sonderberichterstatter Unsere Rentenversicherung ist bis weit in das näch-
noch nicht einmal in das Land fahren kann, in dem er ste Jahrtausend hinein abgesichert und tragfähig.
die Menschenrechtsverletzungen eigentlich untersu- Das bestätigten jüngst wieder Prognos-Gutachten
chen sollte. und Sachverständigenrat. Wir müssen aber auch in
der Zukunft dafür sorgen, daß neu auftauchende Pro-
Die Mittel für diesen Bereich müssen nicht nur um bleme rasch in den Griff zu bekommen sind.
das Zehnfache oder das Hundertfache, sie müssen
teilweise um das Tausendfache vermehrt werden. Deshalb gilt es, die Aufgabenabgrenzung zwi-
Nichts davon hat uns die Bundesregierung gesagt. schen den Systemen der sozialen Sicherheit zu ver-
Ich glaube doch, daß man eine ganze Reihe von Ak- bessern, eine Auszehrung der Solidargemeinschaft
zenten pointierter setzen könnte, wo auch Deutsch- der Rentenversicherten zu verhindern, die Lohn- und
land markanter in die UN-Politik eingreifen kann. Beitragsbezogenheit der Rentenversicherung weiter
Ich habe hier einige von diesen Beispielen genannt. zu stärken und mögliche Entlastungspotentiale zur
Sie sind uns konkrete Aussagen in dieser Regie- Verbesserung der Beitragsperspektive zu nutzen.
rungserklärung schuldig geblieben. Diesen Zielen dient der Änderungsentwurf der Bun-
desregierung zum Sechsten Sozialgesetzbuch.
Danke schön.
Schwerpunkte des Gesetzentwurfs sind zwei Än-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne derungen des Rentenrechts, die Entwicklungen vor-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) beugen sollen, die die Rentenversicherung in der Zu-
kunft finanziell belasten könnten. Zum einen soll die
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir sind damit Friedensgrenze zwischen gesetzlicher Rentenversi-
am Ende dieser Aussprache. Ich bitte die Redner, es cherung und berufsständischer Versorgung gefe-
nicht als eine Kritik zu verstehen, wenn ich am Ende stigt werden. Die Koalitionspartner haben das in ih-
rer Koalitionsvereinbarung beschlossen. Das setzen
einer Aussprache über 50 Jahre Vereinte Nationen
wir jetzt um.
an den Generalsekretär Dag Hammarskjöld erin-
nern möchte, der im Dienste der Vereinten Nationen Die jüngste Ausdehnung der berufsständischen
sein Leben gelassen hat und der für viele Menschen Versorgung auf neue Berufsgruppen, z. B. auf die
ein Symbol für die Vereinten Nationen und ihren Bauingenieure, und die erweiterte Einbeziehung von
Friedenswillen geworden war. Personengruppen in die berufsständische Versor-
gung, die als abhängig Beschäftigte traditionell der
(Beifall im ganzen Hause)
Solidargemeinschaft der Rentenversicherten angehö-
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird ren, haben die Abgrenzung zwischen den beiden Sy-
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/ stemen grundsätzlich in Frage gestellt. Diese Ent-
2744, 13/2632, 13/2739 und 13/2751 an die in der Ta- wicklung gefährdet auf lange Sicht die Funktionsfä-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- higkeit der gesetzlichen Rentenversicherung.
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und
Wenn wir dieser Entwicklung keinen Einhalt ge-
höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überwei-
bieten, besteht die Gefahr, daß sich durch eine Aus-
sungen so beschlossen.
dehnung der so ausgestalteten berufsständischen
Versorgung ein Erosionsprozeß zu Lasten der gesetz-
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: lichen Rentenversicherung ergibt. Das heißt: gewal-
tige Einnahmeverluste.
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Deshalb sieht unser Gesetzentwurf vor, daß das
Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetz- Recht der Befreiung von der Versicherungspflicht im
buch und anderer Gesetze Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung we-
- Drucksache 13/2590 —
gen Zugehörigkeit zu einem berufsständischen Ver-
sorgungswerk neu geregelt wird. Die langjährige
Überweisungsvorschlag: Abgrenzung zwischen gesetzlicher Rentenversiche-
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) rung und berufsständischer Versorgung wird beibe-
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend halten und gefestigt. Gleichzeitig wird aber verhin-
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau dert, daß sich diejenigen Berufsgruppen, denen eine
berufsständische Sicherung künftig vorteilhafter er-
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die scheint, zu Lasten der verbleibenden Mitglieder aus
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich der Solidargemeinschaft verabschieden können.
sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist allerdings
auch dem Anliegen der Berufsgruppe der Ingenieure
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parla- so weit entgegengekommen worden, wie dies bei
mentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus das Wort. gleichzeitiger Berücksichtigung der Interessen der
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5379
Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus
gesetzlichen Rentenversicherung noch vertretbar tigte, die bisher an der solidarischen Finanzierung
war. Denn alle bis zum 31. Dezember 1995 beantrag- der gesetzlichen Rentenversicherung beteiligt wa- -
ten und spätestens ab diesem Zeitpunkt wirksam ge- ren, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
wordenen Befreiungen von der Versicherungspflicht Rentenversicherung befreit werden und Zugang zu
in der gesetzlichen Rentenversicherung bleiben voll den jeweiligen berufsständischen Versorgungswer-
wirksam, und zwar auch dann, wenn die Vorausset- ken erhalten.
zungen für das Befreiungsrecht nach neuem Recht
nicht mehr erfüllt werden. Ein weitergehender Ver- Wenn ich die Zahlen des Arbeitsministeriums lese,
trauensschutz läßt sich dagegen weder rechtlich be- mögliche Mindereinnahmen zwischen 1 Milliarde
gründen, noch wäre er mit den berechtigten Interes- DM und 10 Milliarden DM jährlich bei der Berufs-
sen der gesetzlichen Rentenversicherung überhaupt gruppe der Bauingenieure bzw. bei allen Ingenieu-
zu vereinbaren. ren mit der daraus folgenden Notwendigkeit der Bei-
tragssatzsteigerung um 0,2 % bzw. 0,7 %, dann wird
Zum anderen sieht der Gesetzentwurf kurzfristig deutlich, daß es sich bei Schaffung von immer neuen
notwendige Änderungen im Bereich der Renten we- berufsständischen Versorgungswerken und bei einer
gen verminderter Erwerbsfähigkeit vor. Bis zur Ver- weiten Öffnung für freiwillige Mitgliedschaften bei
wirklichung der grundsätzlichen Neuordnung der gleichzeitiger Befreiung von der gesetzlichen Versi-
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird cherungspflicht in der Tat um eine drohende Erosion
klargestellt, daß leistungsgeminderte, aber noch voll- in der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten
schichtig einsatzfähige Versicherte weiterhin nicht handelt.
erwerbs- oder berufsunfähig sind, wenn sie noch in
einer zumutbaren Beschäftigung tätig sein können. Ich finde es allerdings bedauerlich, daß die aus
Mit dieser Festschreibung wird der für diesen Per- Sicht der SPD notwendige gesetzliche Regelung zur
sonenkreis bestehende Status quo aufrechterhalten. Festschreibung der Abgrenzung zwischen berufs-
Sie bewirkt, daß Mehraufwendungen von ca. 5 Mil- ständischer Versorgung und gesetzlicher Rentenver-
liarden DM vermieden werden, die eine Änderung sicherung erst jetzt von der Bundesregierung vorge-
der Rechtsprechung hätten nach sich ziehen können. legt wird. Denn die bereits gebildeten Versorgungs-
werke in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schles-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wig-Holstein berufen sich nun auf einen Bestands-
schutz, beklagen eine Ungleichbehandlung und eine
Außerdem sollen Hinzuverdienstgrenzen für die
Benachteiligung.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einge-
führt werden, um die Lohnersatzfunktion dieser Ren-
Ich will den Ausschußberatungen nicht vorgreifen,
ten dort wieder herzustellen, wo sie heute durch un-
aber angesichts einer sich verstärkenden Tendenz
begrenzte Hinzuverdienstmöglichkeiten im Ergebnis
zur Neugründung eigener Versorgungswerke hält
aufgehoben ist.
die SPD die Festschreibung der bisher praktizierten
Mit diesen beiden Änderungen des Sechsten Abgrenzung zwischen berufsständischer Versorgung
Sozialgesetzbuchs wird unser Rentensystem gefe- und gesetzlicher Rentenversicherung für erforder-
stigt und modernisiert. Das ist Umbau des Sozialstaa- lich.
tes, wie ihn die Bundesregierung versteht: nicht
Tabula rasa, sondern gezielte kleine Maßnahmen; Angesichts der ständigen Zunahme von Frühver-
nicht Sense, sondern Sensibilität. rentungen, auch auf Grund der Entscheidungen des
Bundessozialgerichts von 1969 und 1976, will die
Ich bedanke mich. Bundesregierung in dem heute vorgelegten Ände-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rungspaket auch eine Regelung zur Befestigung des
Status quo bei den Renten wegen verminderter Er-
werbstätigkeit erreichen. Für immer mehr Versi-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der cherte, die gesundheitsbedingt nur noch halbtags ar-
Abgeordneten Ulrike Mascher das Wo rt . beiten können, gilt schon heute, daß sie als berufsun-
fähig bzw. erwerbsunfähig eingestuft werden, wenn
Ulrike Mascher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- ihnen das Arbeitsamt innerhalb eines Jahres keinen
ginnen! Liebe Kollegen! Angesichts der breiten öf- konkreten Teilzeitarbeitsplatz anbieten kann.
fentlichen Debatte über die demographisch beding-
ten Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Ren- Angesichts der Arbeitsmarktlage führt diese soge-
tenversicherung - einer abnehmenden Zahl von Bei- nannte konkrete Betrachtungsweise fast zwangs-
tragszahlern steht eine steigende Zahl von Renten- weise zur Frühverrentung. Eine ähnliche Entwick-
empfängern gegenüber - ist der Versuch der Bundes- lung zeichnet sich auch für Personen ab, die zwar
regierung, einer weiteren Erosion der gesetzlichen noch vollzeitig arbeiten können, aus Gesundheits-
Rentenversicherung durch die Bildung neuer berufs- gründen aber nicht mehr in ihrem alten Beruf. Einer
ständischer Versorgungswerke gesetzlich entgegen- Entwicklung, der auch diese Menschen wegen der
zuwirken, zu begrüßen. minimalen Vermittlungschancen, beim Arbeitsamt
vorzeitig zu verrenten, ausgesetzt sind, will die Bun-
Immer neue Berufsgruppen, Wirtschaftsprüfer, desregierung mit der heute vorgelegten Regelung
Bauingenieure streben solche eigenen Versorgungs- erstmal eine Schranke entgegensetzen, bevor eine
werke an. Um eine möglichst breite Finanzierungs- -grundsätzliche Reform des Erwerbsunfähigkeits
basis zu erreichen, sollen auch abhängig Beschäf und Berufsunfähigkeitsrechtes ansteht.
5380 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Ulrike Mascher
Die SPD sieht auch, daß hier eine Verlagerung der ständischen Versorgungswerke. Ich halte eine Ant-
Probleme des Arbeitsmarktes, eine Verlagerung wort auf diese neuen Entwicklungen für notwendig,-
auch der Kosten von Arbeitslosigkeit auf die Renten- bin aber bei einigen der vorgeschlagenen Regelun-
versicherung stattfindet. Aber gerade wenn wir diese gen sehr im Zweifel, ob der Weg, der hier gegangen
Verschiebung von Lasten und Risiken erkennen - wird, der richtige ist.
das findet sich auch in der Begründung des Gesetzes
seitens der Bundesregierung -, dann halte ich die Ich fange mit dem Einfachen an, nämlich mit dem
bloße Festigung des Status quo für eine sehr kurzat- Teil, dem wir zustimmen können. Die Erwerbs und -

mige Politik, die nicht an den Ursachen, dem Fehlen Berufsunfähigkeitsrenten haben - das stellt der Ge-
von ca. 5 Millionen Arbeitsplätzen in der Bundesre- setzentwurf völlig richtig fest - eine Lohnersatzfunk-
publik, ansetzt. Wir werden in den Ausschußberatun- tion und nicht die Funktion, den sozialen Ansehens-
gen dieses Problem sorgfältig prüfen. Wir sind noch verlust zu kompensieren, der bei einem Berufswech-
offen, welche Entscheidung wir - auch im Interesse sel entsteht. Das heißt, wenn ein Erwerbs- oder Be-
der betroffenen Menschen, die keinen Arbeitsplatz rufsunfähigkeitsrentner Einkommen erzielt, dann ist
mehr finden und dann als Dauerarbeitslose in einer die Rente nicht mehr in der ursprünglichen Höhe
schwierigen Situation sind - treffen. Das ist eine notwendig.
schwierige Gratwanderung zwischen der Finanz- Deswegen halten wir die Anrechnung von zusätz-
situation der Rentenversicherung und den Interessen lichem Einkommen auf die Erwerbs- und Berufsun-
der Betroffenen. fähigkeitsrenten nur für recht und billig gegenüber
der Versichertengemeinschaft; denn sonst würden
Auf einen dritten Punkt, der sich im dem Paket von
das die Beitragszahler - in unseren Augen völlig zu
Gesetzesänderungen befindet, möchte ich noch hin-
recht - als ungerecht betrachten. Wir werden in den
weisen, weil er unter dem Titel „Änderung des Sech-
Ausschußberatungen zu klären haben, ob die abge-
sten Buches Sozialgesetzbuch" nicht unbedingt zu
stufte BU-Rente flexibel genug ist, aber im Grund-
vermuten ist. Es geht um eine Änderung des Arbeits-
satz sind wir damit einverstanden.
förderungsgesetzes, die die Förderung von Arbeits-
beschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundeslän- Mehr Schwierigkeiten habe ich mit den Dämmen,
dern betrifft. die mit den beiden anderen Regelungen errichtet
werden sollen. Der erste Damm richtet sich gegen
Hier sollen die Möglichkeiten der hundertprozenti- die Verlagerung des Arbeitsmarktrisikos auf die
gen Förderung bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Rentenversicherungen. Meine Frage: Warum ein
die bis zum 31. Dezember 1995 befristet waren, um Schnellschuß? Wir wissen doch alle, daß die Reform
ein Jahr verlängert werden. Ebenfalls um ein Jahr der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten längst
verlängert wird die gesonderte Berechnung der Ar- überfällig ist.
beitslosenquote für die neuen Bundesländer als Vor-
aussetzung für die Förderung von Arbeitsbeschaf- Zweitens. Wenn man das Tor zur Rentenversiche-
fungsmaßnahmen. rung so abdichtet, wie Sie das machen wollen, dann
nehmen Sie billigend in Kauf, daß andere Tore unter
Wir begrüßen diese Verlängerung von Sonderrege- größeren Druck geraten. Im Klartext: Das werden die
lungen für die neuen Bundesländer, auch wenn da- Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe sein. Denn das
bei wieder deutlich wird, daß all die hochgestimmten Problem, das dahintersteht und zu diesem Rege-
Reden zum 5. Jahrestag der deutschen Einheit dem lungsbedarf führt, ist doch die Tatsache, daß durch
Alltag, der Realität z. B. auf dem Arbeitsmarkt nicht die Umstrukturierung der Betriebe in den vergange-
standhalten. nen Jahren - lean production, Kostendämpfung
Außerdem machen diese neuen Flicken beim Ar- usw. - immer weniger Arbeitsplätze für ältere er-
beitsförderungsgesetz deutlich, daß der Weg, den die werbsgeminderte Rentner zur Verfügung stehen. Die
SPD beschritten hat, nämlich ein neues Arbeits- und Folgen sehen Sie. Deswegen schlagen Sie die EU-
Strukturförderungsgesetz vorzulegen, der richtige Reform vor. Ich frage Sie aber: Ist der Verweis auf Ar-
Weg ist. Ich hoffe, daß wir wenigstens im neuen Jahr beitslosen- und Sozialhilfe die richtige Lösung?
hier auch über die Vorschläge der Bundesregierung (Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
zu einer Reform des Arbeitsförderungsgesetzes bera- NEN)
ten können.
Sie wollen einen weiteren Damm bauen, der die
Danke. Flucht der Gutverdienenden aus der gesetzlichen
Rentenversicherung stoppen soll. Herr Professor Ru-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
land vom VDR hat diese Tendenz ganz richtig als die
ten der PDS)
Flucht der Rosinen aus dem Kuchen bezeichnet.
Trotzdem bleibt die Frage, wie man das verhindern
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der kann.
Abgeordneten Andrea Fischer das Wort.
Ich bin der Auffassung, Sie sollten hier mit Zwang
reagieren und einfach sagen: Ihr sollt darin bleiben,
Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alles andere finden wir unsolidarisch. - Das finde ich
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! in der Tat auch, aber man muß sich doch die Frage
Die Novellierung, über die wir heute reden, ist eine stellen: Warum wollen die Menschen aus der gesetz-
Reaktion auf Veränderungen in der Rechtsprechung, lichen Rentenversicherung heraus? Warum finden sie
auf dem Arbeitsmarkt und in der Politik der berufs die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr at-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Boni, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5381
Andrea Fischer (Berlin)
traktiv? Gerade da ergibt sich ein Problem, wenn Sie Das Gesetz, das die künftige Errichtung von be-
deren Angebot einschränken. Wenn wir die Erwerbs- rufsständischen Versorgungswerken erschwert, si- -
und Berufsunfähigkeits-Rentenleistungen kürzen - chert auf alle Fälle auch für die Zukunft bestehende
und genau bei diesen Renten liegt ja ein besonde- Versorgungswerke. Auf unser Be treiben hin sichert
rer Vorteil der gesetzlichen Rentenversicherung im das Gesetz auch, daß überall do rt , wo auf Grund der
Wettbewerb der verschiedenen Versorgungsträger -, landespolitischen Konstellationen noch keine Versor-
kommen wir in Schwierigkeiten. gungswerke der klassischen Berufsgruppen errichtet
werden konnten, dies weiterhin möglich bleibt.
Schließlich, finde ich, gehört an uns alle die Frage
gerichtet: Mit welchem Recht, mit welcher politi- Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen: 40 Jahre
schen Legi timation wollen wir Abgeordnete die SPD-Herrschaft in Hessen hat verhindert, daß do rt
Leute dazu zwingen, in der gesetzlichen Rentenver- dieRchtsanwäl geVrounswk
sicherung zu bleiben, wenn wir sie für uns selber gründen konnten. Erst in der kurzen Zeit der CDU-
nicht gut genug finden? F.D.P.-Regierung kam es zu einer landespolitischen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Änderung, die ein solches berufsständisches Versor-
gungswerk ermöglicht hat.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Das heißt, diese politischen Grundvoraussetzun-
Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel. gen sollen auch für die Zukunft die Chancen offen-
halten, daß in den klassischen Bereichen berufsstän-
dische Versorgungswerke gegründet werden kön-
Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- nen.
men und Herren! Mit dem zweiten SGB-VI-Ände-
rungsgesetz wird ein Damm zwischen der gesetzli- (Beifall bei der F.D.P.)
chen Rentenversicherung und den berufsständischen
Versorgungswerken errichtet. Warum ist das Gesetz Ausgeschlossen werden sollen aber Neugründun-
notwendig? gen, deren Angehörige keine Pflichtmitglieder in ei-
ner berufsständischen Kammer sind oder deren
Berufsständische Versorgungswerke sind Alterssi- Pflichtmitgliedschaft erst am bzw. nach dem 1. Januar
cherungen für Angehörige bestimmter Berufsgrup- 1995 begründet worden ist. - Dadurch sind die Bay-
pen: Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten und andere. ern mit draußen, wenn ich das so sagen darf.
Sie beruhen auf dem Kapitaldeckungsverfahren. Die
Kapitalerträge garantieren die Stabilität auch in der Über einen geeigneten Bestandsschutz schon län-
Zukunft. Diese Sicherungssysteme weisen wenig ger bestehender freiwilliger Mitgliedschaften - das
Umverteilungselemente auf, z. B. keine Kindererzie- ist der Sonderfall in Niedersachsen und in Hamburg,
hungszeiten. Ihre Mitglieder beziehen ihre Rente im wo die Architekten eine freiwillige Mitgliedschaft
Durchschnitt erst im Alter von 65 Jahren, im Gegen- hatten - wird im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens
satz zu 59 Jahren in der gesetzlichen Rentenversiche- noch zu reden sein.
rung.
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: So ist es!) Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die
Dies alles führt dazu, daß in berufsständischen Ver- jetzt gefundene Regelung den Bestandsschutz der
sorgungswerken eine Mark Beitrag einen deutlich berufsständischen Versorgungswerke für die Zu-
höheren Rentenertrag abwirft. kunft sichert und auch einen kleinen Beitrag für den
Erhalt der Vielfalt unserer Alterssicherungssysteme
Berufsständische Versorgungswerke sind also von darstellt.
daher attraktiv. Das begründet den deutlichen Trend,
daß immer neue Berufsgruppen aus der gesetzlichen (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist das wenig
Rentenversicherung fliehen und eigenständige Ver- ste, was man braucht!)
sorgungswerke gründen wollen; letztes Beispiel: die
Bauingenieure in Bayern. - Da sind wir übrigens Das Gesetz enthält zwei weitere die gesetzliche
doch der Meinung, daß wir die mit dem Gesetz jetzt Rentenversicherung betreffende Punkte: die Begren-
wieder einfangen, Frau Mascher. Ein Versorgungs- zung des Hinzuverdienstes bei Erwerbs- und Berufs-
werk, das am 1. Januar 1995 in Kenntnis dieses Ge- unfähigkeitsrenten und den Ausschluß eines An-
setzes errichtet wurde, verdient meiner Ansicht nach spruchs bei Erwerbsunfähigkeitsrente, wenn die In-
keinen Bestandsschutz in dieser Weise. tegra ti on in den Arbeitsmarkt nicht wegen der einge-
schränkten Arbeitsfähigkeit, sondern wegen der
Dieses alles führt also zum Aderlaß der gesetzli- fehlenden Arbeitsplätze mißlingt.
chen Rentenversicherung und ruft den Gesetzgeber
auf den Plan. Noch eine kurze Bemerkung zu Frau Fischer: Es ist
Wir als F.D.P. haben uns immer zu einem geglie- richtig, daß wir dann die Lasten in die Arbeitslosen-
derten Alterssicherungssystem bekannt und haben versicherung verlagern; aber dahin gehören sie
die berufsständischen Versorgungswerke als ein kri- auch. Es ist nicht sinnvoll, daß wir die Systeme sozu-
senunanfälliges und sehr erhaltenswertes Alterssi- sagen in Querverbindung die Lasten tragen lassen.
cherungsmodell aufgefaßt und verteidigt. Vielmehr hat die Arbeitslosenversicherung als
Hauptverantwortlicher für das Risiko Arbeitslosigkeit
(Ulrich Heinri ch [F.D.P.]: Sehr richtig!) geradezustehen.
5382 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Gisela Babel


Wir glauben, daß beide Regelungen, die die Res- nicht nur untätig, sondern nehmen den Betroffenen
sourcen der Rentenversicherungen schonen und noch das kleine Stück relativer sozialer Sicherheit,-
Barrieren gegen eine ausufernde und belastende die die Frühberentung gegenüber der Arbeitslosen-
Rechtsprechung errichten sollen, richtig sind. Sie fin- und der Sozialhilfe bietet.
den die Unterstützung der F.D.P.
Wenn Sie als zweiten Vorschlag die Zuverdienst
Vielen Dank. grenzen bei Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten
denen von vorgezogenen Altersrenten anpassen wol-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) len, stehen dahinter nur Einsparungen bei der Ren-
tenzahlung. Wir befürchten vor allem für Menschen
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der mit Behinderungen Einkommenseinbußen.
Abgeordneten Petra Bläss das Wo rt .
Für Beschäftigungen in geschützten Einrichtun-
gen wollen Sie regeln, daß bei Überschreiten der Ge-
Petra Bläss (PDS): Herr Präsident! Meine Damen ringfügigkeitsgrenze die BU- in eine EU-Rente um-
und Herren! Mit diesem Entwurf eines Gesetzes zur gewandelt, also um ein Drittel gekürzt wird. Unange-
Änderung der gesetzlichen Rentenversicherung und sprochen bleibt das Schicksal von Blinden und Quer-
anderer Gesetze legen Sie ein Sammelsurium an Re- schnittsgelähmten, die grundsätzlich Berufs- und er-
gelungen vor, das in seiner Hauptsubstanz an Symp- werbsunfähig sind, auch wenn sie voll berufstätig
tomen schwerwiegender Probleme laboriert, und sein können.
dies zum größten Teil zu Lasten der Betroffenen.
Mit welcher Ignoranz der konkreten Situation Herr
Das Bestreben der berufsständischen Versor- Blüm bereits die nächsten Schritte ankündigt, ist
gungsträger, immer weitere Personengruppen, die schon erstaunlich. Sie wollen Berentungen vor dem
bisher in der gesetzlichen Rentenversicherung Regelalter 65, also mit 60 bzw. 63 Jahren, bereits
pflichtversichert waren, in berufsständische Versor- heute mit den prozentualen Abschlägen belegen und
gungswerke aufzunehmen, ist eigentlich ein logi- nennen das auch noch „neue Vorruhestandsrege-
scher Schritt der Politik der Bundesregierung. Perma- lung". In Wahrheit wollen Sie schon heute das durch-
nent wird die Zukunft der gesetzlichen Rentenversi- ziehen, was mit der Rentenreform 1992 ab dem Jahre
cherung in Frage gestellt, aber Herr Blüm beschwört 2001 vorgesehen ist. Ältere Menschen sollen dreimal
nur deren Stabilität. Administrativ wollen Sie jetzt bestraft werden. Erstens gibt es für sie keine Chance,
festlegen, daß es keine Ausweitung der berufsständi- beruflich tätig zu sein. Damit können sie - zweitens -
schen Versorgung geben darf. Das ist angesichts der ihr Rentenkonto nicht weiter füllen. Bei der erzwun-
sich sonst verabschiedenden überwiegend besser genen vorzeitigen Berentung werden - drittens - Ab-
verdienenden Beitragszahlerinnen und -zahler im In- züge vorgenommen, die lebenslang gelten.
teresse der Solidargemeinschaft zu begrüßen.
Lassen Sie mich noch zu zwei Punkten kommen,
Aber das eigentliche Problem, das dahintersteckt, die scheinbar nebenher geregelt werden.
wird nicht ins Visier genommen. Sie denken nicht
darüber nach, wie angesichts der anhaltenden Ver-
änderungen in der Arbeitswelt und der demographi- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das ist leider
schen Entwicklung die Rentenversicherung tatsäch- nicht möglich, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist. Sie
lich weiterentwickelt und die Rentenkassen anders müssen zum Schluß kommen.
gefüllt werden könnten. Ich nenne nur die Stich-
worte: allgemeine Versicherungspflicht für alle und
für jede Arbeitsstunde oder die Koppelung der Ar- Petra Bläss (PDS): Dann erinnere ich nur daran,
beitgeberanteile der Sozialbeiträge nicht an die daß Sie für Sonderversorgte in der DDR Übergangs-
Lohnsumme, sondern an den Ertrag der Unterneh- renten, Invalidenrenten und die erweiterte befristete
men. Versorgung als rentenrechtliche Zeiten bewe rten
wollen. Hier stellt sich die Frage, warum Sie das
Die Finanzprobleme der Rentenkassen lassen Sie nicht im Rahmen einer grundlegenden Korrektur
die rigiden Sparschritte nun von den Arbeitslosen des Renten-Überleitungsgesetzes tun.
und Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern
auf die Rentnerinnen und Rentner ausdehnen. Zwei Zum zweiten legen Sie per Gesetz fest - -
solche Schritte finden sich in diesem Gesetzentwurf,
und die Medien überraschen fast täglich mit weite-
ren. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin,
Sie müssen zum Schluß kommen. Ich kann Ihnen das
Wenn Sie vielen leistungsgeminderten Älteren die nicht weiter gestatten. Ich bitte um Nachsicht.
sogenannte Arbeitsmarktrente versagen wollen, of-
fenbaren Sie das gesamte Dilemma, in dem die Ar-
beitsmarkt- und Sozialpolitik steht. Leistungsgemin- Petra Bläss (PDS): Zumindest das Abschmelzen
derte, aber noch arbeitsfähige und arbeitswillige der Auffüllbeträge möchte ich noch erwähnen.
Frauen und Männer würden weder Rente noch an-
dere Sozialleistungen brauchen, wenn spezielle Be- (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das gehört nicht
schäftigungsprogramme und -möglichkeiten ge- dazu! Das hat mit dem Thema nichts zu
schaffen würden. Sie aber sind in dieser Hinsicht tun!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5383
Petra Blass
Es ist interessant, daß Sie hier eine andere Mittei- diesen Personenkreis den konkreten Nachweis einer
lungsform - statt Bescheid nur die Mitteilung des Stelle verlangen sollte, würde dies für eine Vielzahl -
Postrentendienstes - suchen. Aber Sie können gewiß von Versicherten zu entsprechenden Rentenansprü-
sein, daß sich die Be troffenen trotzdem zur Wehr set- chen führen.
zen werden.
Die Folgen sind klar: Unter dem Druck der Arbeits-
(Beifall bei der PDS) marktlage würden noch mehr ältere erwerbsgemin-
derte Arbeitnehmer in die Frührente ausweichen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Das Risiko der Arbeitslosigkeit würde noch mehr auf
die Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram. die Rentenversicherung übertragen. Die Rentenver-
sicherung würde mit Mehrkosten von 5 Milliarden
DM belastet. Sie können selbst die Frage beantwor-
Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU): Herr Präsi-
ten, ob wir uns das erlauben können oder nicht.
dent! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! In
meiner Heimatstadt Hamburg würde man ange-
Es gibt also drei wichtige Gründe, warum eine Ge-
-sichts des wirklich nicht vielsagenden Titels SGB
setzesänderung dringend erforderlich ist, die fest-
VI-Änderungsgesetz nicht nur sagen: Isch ja man
schreibt, daß für vollschichtig einsatzfähige Versi-
bannig drög, sondern man würde sich auch die
cherte kein konkreter Nachweis einer Stelle nötig ist.
Frage stellen: Wovon schnackt de denn dor eigent-
lich? Außerdem sieht der Gesetzentwurf die Einführung
Hinter der Bezeichnung SGB VI, die sicher keine einer Hinzuverdienstgrenze für die Renten wegen
Kommunikationsexperten erfunden haben, verbirgt Erwerbsunfähigkeit in Höhe der Geringfügigkeits-
sich in Wirklichkeit ein Thema, das in der Tat alle grenze vor. Dies ist ein völlig unstrittiger Punkt. Auf
Mitbürger betrifft. Es geht um die Altersversorgung, ihn ist mehrfach eingegangen worden; ich wi ll das
und es geht auch ein bißchen um die Zukunft des nicht wiederholen.
Sozialstaates.
Neben dieser notwendigen und unaufschiebbaren
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig!) Neuordnung des Rentenrechts möchte ich auf eine
Ich wi ll hier gern die wichtigsten Punkte dieses weitere Änderung beim Abrechnungsverfahren für
Änderungsantrags hervorheben, und zwar erstens das Konkursausfallgeld hinweisen, die wir in den
die Friedensgrenze. Die sogenannte Friedensgrenze Gesetzentwurf einbringen werden. Damit die Ab-
zwischen gesetzlicher Rentenversicherung und be- rechnung der diesbezüglichen Verwaltungskosten
rufsständischen Versorgungswerken ist in der Tat künftig zielgenau erfolgt und Über- oder Unterzah-
ein aktuelles Problem. Darauf ist hier schon mehr- lungen vermieden werden, sollen die Berufsgenos-
fach hingewiesen worden. Ich möchte das an dem senschaften ab dem Jahre 1995 statt einer Pauschale
Beispiel Bayerns kurz verdeutlichen. Dort können die die tatsächlichen Verwaltungskosten an die Bundes-
Versicherten bei gleichen Beiträgen mit einer dop- anstalt erstatten.
pelt so hohen Altersrente rechnen. Das gibt allen An-
laß, auch über die Systeme nachzudenken, Frau Fi- Das sind die wesentlichen Neuregelungen zu die-
scher. sem Thema. Ich hoffe, daß dieses Änderungsgesetz
auch jene eines Besseren belehrt, die die Sicherheit
Ich muß in der Tat fragen: Was will ich denn? Da ist der Renten immer und immer wieder öffentlich in
unser Bekenntnis ganz eindeutig: Wir wollen dieses Frage stellen und damit auch zu einer, wie ich finde,
Rentensystem, so wie wir es haben, erhalten. Wir unverantwortlichen Verunsicherung der Menschen
wollen keine Grundrente. Wenn Ihnen bessere Wege beitragen.
dazu einfallen, dann sagen Sie es hier laut und deut-
lich. In Hamburg würde man in Kenntnis dieser Dinge
zum Schluß sagen: Dascha'n Ding. Hier handelt es
Ich möchte kurz die zahlenmäßigen Auswirkungen sich in der Tat um eine gute Leistung und eine sau-
darstellen. In die staatlichen Rentenkassen würden bere Arbeit dieser Bundesregierung. Herzlichen
rund 15 Milliarden DM weniger pro Jahr fließen, Dank dafür.
wenn wir dieses Gesetz, das Dämme errichtet - das
gebe ich zu -, nicht machten. Der Rentenbeitrag (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so
müßte für die verbleibenden Einzahler um 1,6 % stei- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
gen. Auch Sie wissen, daß wir uns das nicht erlauben DIE GRÜNEN)
können.
Ich möchte auf einen zweiten Aspekt hinweisen.
Im Rahmen der Diskussion über die Frühverrentung Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir sind damit
sind auch die vorgesehenen Änderungen im Bereich am Ende der Debatte, und ich schließe die Ausspra-
der Renten wegen geminderter Erwerbsfähigkeit che.
notwendig und ein erster Schritt. Nach der bisheri-
gen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erhal- Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Ge-
ten leistungsgeminderte, aber noch einsatzfähige un- setzentwurfs auf Drucksache 13/2590 an die in der
gelernte und angelernte Versicherte keine Rente we- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es
gen verminderter Erwerbsfähigkeit. Wenn jedoch, andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
was zu befürchten ist, das Bundessozialgericht für so beschlossen.
5384 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b und ser Tage als reine Luftblase ohne jegliche Substanz
Zusatzpunkt 3 auf: erwiesen hat? -

3. a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Die Lage ist doch einfach: Es ist Greenpeace trotz all
Christian Sterzing und der Fraktion BÜND- derer, die mit ihnen im Boot saßen oder im Begleitboot
NIS 90/DIE GRÜNEN in der Südsee dümpelten, nicht gelungen, die Atom-
Einleitung eines Vertragsverletzungsver- waffentests auf Mururoa politisch zu verhindern.
fahrens gegen Frankreich wegen Mißach- (Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
tung des Artikels 34 Abs. 2 des Euratom NEN]: Leider!)
Vertrags (EAGV)
- Drucksache 13/2270 — In Frankreich ist auch nicht der Sturm der Entrü-
Überweisungsvorschlag:
stung ausgebrochen, wie das die Greenpeace-Strate-
gen erhofft hatten. Und nun wird versucht, das Recht
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (federführend) heranzuziehen, auch wenn Verstöße gegen das
Auswärtiger Ausschuß Recht für die Philosophie von Greenpeace sonst nicht
Rechtsausschuß unbedingt etwas Fremdes sind.
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr
Dr. Willibald Jacob, Rolf Köhne, Dr. Gregor richtig!)
Gysi und der Gruppe der PDS
PDS, Grüne und im letzten Moment auch die SPD
EURATOM-Vertrag im Zusammenhang mit haben jetzt das Gutachten des Öko-Instituts zum An-
den geplanten Atomtests im Mururoa-Atoll laß genommen,
- Drucksache
- 13/2200 (Zuruf des Abg. Rolf Köhne [PDS])
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
die Bundesregierung aufzufordern, wegen eines an
Union (federführend) Art. 34 des-geblichnVrstoßdFazeng
Auswärtiger Ausschuß Euratom-Vertrages den Europäischen Gerichtshof
anzurufen. Angesichts der öffentlichen Stimmungs-
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hei- mache ist es ja nicht uninteressant, im Geleitzug von
demarie Wieczorek-Zeul, Dr. Jürgen Meyer Greenpeace mitzufahren; und wenn die Enkel von
(Ulm), Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Ulbri cht und Honecker gegen die französische Rü-
Abgeordneter und der Fraktion der SPD stung polemisieren, dann handeln sie in bester Konti-
Vertragsverletzung des EURATOM-Vertrags nuität ihrer politischen Vorväter.
durch Frankreich
Auch die Haltung der Grünen kommt nicht uner-
- Drucksache 13/2749 - wartet. Dort ist man zwar inzwischen vom Pazifismus
Überweisungsvorschlag: zum Pazifismus light übergegangen - Herrn Fischer
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union sei es gedankt -, aber an der Ablehnung der nuklea-
(federführend) ren Abschreckung werden weiterhin keine Abstriche
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß gemacht.
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bemerkenswert am Antrag von BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN ist jedoch die Begründung. Die gleichen,
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die die die überseeischen Gebiete der ehemaligen euro-
gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- päischen Kolonialnationen bei den verschiedensten
hen, wobei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gelegenheiten als Relikte des Imperialismus geißeln,
zehn Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre kei- nutzen gerade diese Gebiete - im speziellen Fall die
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. zu Großbritannien gehörenden Pitcairn-Inseln -, um
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- damit die Auswirkungen auf das Hoheitsgebiet eines
geordnete Dr. Andreas Schockenhoff. anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union zu
dokumentieren. Scheinheiliger geht es kaum.
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Präsi- Die SPD ist mit Frau Wieczorek-Zeul wieder ein-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit wissen- mal auf dem falschen Dampfer. Ich sage Ihnen: Sie
schaftlichen Gutachten zu aktuellen politischen Fra- wird auch hier wieder Schiffbruch erleiden.
gen ist es so eine Sache. Wissenschaft, die sich ei- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Aha!)
gentlich den objektiven Erkenntnisfortschritt auf die
Fahnen geschrieben hat, wird häufig als Hilfsmotor Die EU-Kommission und ihr Präsident haben ge-
eines politischen Vehikels mißbraucht: „Sag mir, wel- stern in einer sehr eindeutigen Weise zu dem Vor-
ches Ergebnis du haben willst, dann sage ich dir, wurf Stellung genommen, die französischen Ke rn
welches Institut du dazu brauchst. " So kann man die -wafenvrsuchtißgenAr.34dsEua-
Vergabe des Gutachtens durch Greenpeace an das tom-Vertrages. Alle Mitglieder der Kommission - das
Freiburger Öko-Institut treffend beschreiben. An sind nicht alles Christdemokraten oder Liberale; Frau
diesem Gutachten hat mich rein gar nichts über- Wulf-Mathies ist Mitglied Ihrer Partei, meine Damen
rascht, am wenigsten das Ergebnis. Warum sollte die- und Herren von der SPD -, alle Kommissare sind zu
ses Gutachten besser sein als das über die angebli- dem Ergebnis gekommen, daß die Versuche nicht
che Giftfracht der „Brent Spar", das sich gerade die- gegen den Euratom-Vertrag verstoßen. Selbst wenn
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5385
Dr. Andreas Schockenhoff
entgegen allen Erwartungen radioaktiv verseuchtes EU-Kommission und beim französischen Präsidenten
Wasser aus den Testräumen in die Lagune austreten entschuldigen. -
sollte, was wir alle nicht hoffen, würden die gelten-
den Grenzwerte nicht überschritten. (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Aller
dings!)
(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Beruhi
gend! - Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Wer so unverantwortlich daherredet, kann nicht
Das ist jetzt CDU light!) mehr erwarten, daß er als seriöser Gesprächspartner
ernst genommen wird.
Dies wurde von den Experten des Kernforschungs-
zentrums Karlsruhe bestätigt. Die nach den ersten Was mich an dieser ganzen Debatte um die franzö-
beiden Kernwaffenversuchen gemessene Radioakti- sischen Kernwaffenversuche im Südpazifik am mei-
vität liegt bei einem Fünfhundertstel des zulässigen sten entsetzt hat, war die fehlende Rücksicht man-
Werts. cher Kampagnenreiterinnen und Kampagnenreiter
auf das gute und wich tige deutschfranzösische Ver-
hältnis. Da wird frei nach dem Motto „Am deutschen
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie Wesen soll die Welt genesen" mit erhobenem Zeige-
eine Frage? finger ein Zeug dahergeredet, daß es einem nur
grausen kann. Ich finde, diese moralische Überheb-
lichkeit steht uns nicht zu. Diese Überheblichkeit ist
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Gern. Ausdruck eines völligen Un- und Mißverständnisses
gegenüber unserem Partner Frankreich. Die letzten
sechs französischen Kernwaffenversuche auf Muru-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Volmer. roa sind für uns nun wirklich nicht die entscheidende
Zukunftsfrage.
Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Natürlich kann man zu diesen Tests unterschiedli-
Kollege, Sie verteidigen diese Atomtests mit einer che Meinungen haben. Ich bin nicht der Meinung,
solchen Vehemenz, daß ich Sie gerne fragen würde, daß sie hätten stattfinden sollen. Natürlich sind wir
ob Sie persönlich diese Tests gut finden. uns in diesem Haus einig, daß es zu einer massiven
Reduzierung der Nuklearwaffen kommen muß. Na-
türlich wollen wir alle - übrigens auch Präsident Chi-
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Ich habe
rac - das Teststopp-Abkommen. Natürlich wünschen
mit keinem Wort diese Atomtests verteidigt, sondern
wir uns alle eine Welt, auf der ewiger Friede
ich habe zu der Begründung Ihrer Anträge Stellung
herrscht. Aber wir wollen auch das gute, wenn auch
genommen, die sehr lächerlich erscheinen.
nicht immer widerspruchsfreie deutsch-französische
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Wie ist Verhältnis erhalten und ausbauen, im Interesse unse-
denn jetzt Ihre Auffassung?) rer beiden Länder und im Interesse Europas. Wir wol-
len offene Fragen, die im deutsch-französischen Ver-
- Ich komme dazu, Frau Kollegin. hältnis bestehen, zum Teil auch militärische Fragen,
mit den Franzosen klären. Wir sind Politiker und
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Aber keine Advokaten.
am besten noch vor dem Ende! - Dr. Jürgen
Meyer [Ulm] [SPD]: Sie kritisieren nur die Meine Fraktion wird den Anträgen von PDS, SPD
Kritiker!) und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darum nicht zustim-
men.
Die Kommission hat aber auch - das wird in den
hysterischen Reaktionen unterschlagen - von der Weil der französische Präsident heute hier in Bonn
französischen Regierung zusätzliche Informationen beim Bundeskanzler zu Gast ist, darf ich für die
über mögliche geologische Risiken für die Atolle ge- CDU/CSU-Fraktion sagen: Herr Chirac, Sie sind uns
fordert. Auch soll eine Langzeitstudie über die radio- als unser Freund und wich tigster Partner herzlich
aktive Belastung vorgenommen werden. willkommen.
Völlig unakzeptabel war die Reaktion der selbster- Vielen Dank.
nannten Retter der Menschheit, die sich den Namen
Greenpeace gegeben haben und mit professionellen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Mitteln den deutschen Spendenmarkt abgrasen. Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Die F.D.P.
Nachdem die Entscheidung der Kommission gegen schließt sich dem an!)
die Position von Greenpeace gefallen war, bezeich-
nete ein Sprecher der Organisation die 20 Kom-
missare als „Schoßhunde des französischen Präsi- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
denten Chirac". Greenpeace hat in Grönland die Exi- Wort dem Abgeordneten Professor Jürgen Meyer.
stenzgrundlage mehrerer Eskimodörfer zerstört und
sich hinterher entschuldigt. Greenpeace hat sich
nach einer wahrheitswidrigen Kampagne bei Shell Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Präsident!
entschuldigt. Und Greenpeace muß sich nach dieser Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kol-
unglaublichen Entgleisung bei den Mitgliedern der lege Schockenhoff hat eben ein unverhü lltes Plä-
5386 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


doyer für die französischen Atombombentests gehal- den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Ein
ten. ähnliches Schicksal hatte ein SPD-Antrag, der An--
fang September im Europa-Ausschuß mit 19 zu
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das 17 Stimmen abgelehnt worden ist.
ist nicht wahr! - Weiterer Zuruf von der
CDU/CSU: Für das deutschfranzösische (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr
Verhältnis!) gut!)
Und am 29. September haben CDU/CSU und
Das klärt die Debattenlage ebenso wie die Polemik
F.D.P. unseren Antrag „Keine Atomwaffentests durch
gegen Greenpeace, die ich für ebenso dürftig wie un-
China und Frankreich" nicht zur Sachabstimmung
erträglich gehalten habe.
kommen lassen, sondern nach einer Geschäftsord-
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE nungsdebatte an die Ausschüsse überwiesen, ob-
GRÜNEN und der PDS) wohl der zweite französische Atombombentest un-
mittelbar bevorstand.
Vor fünf Wochen, am 20. September dieses Jahres, Meine sehr geehrten Damen und Herren von der
hat das Europäische Parlament in namentlicher Ab- Koalition, sehen Sie denn nicht, daß Sie durch derar-
stimmung mit deutlicher Mehrheit und mit den Stim- tige Prozeduren das Parlament und dadurch auch
men der französischen Sozialisten den Beginn der sich selbst mit Ihren Beteuerungen gegen Atombom-
französischen Atombombentests verurteilt. Es hat bentests letztlich entmündigen? Erkennen Sie nicht,
eindringlich an Präsident Chirac appelliert, auf wei- daß Ihre verbale Ablehnung der Tests mit jedem
tere Tests zu verzichten. Das Europaparlament hat neuen Versuch immer unglaubwürdiger wird? Wie
festgestellt, daß die Kernwaffenversuche als beson- können Sie noch auf einen Erfolg der diplomatischen
ders gefährliche Versuche im Sinne von A rt . 34 des Bemühungen der Bundesregierung hoffen, obwohl
Euratom-Vertrages anzusehen sind. Die Abgeordne- der dritte Nukleartest unmittelbar bevorsteht? Das
ten haben deshalb die Kommission aufgefordert, in- sollten Sie der Bevölkerung einmal klarzumachen
nerhalb kürzester Frist eine mit Gründen versehene versuchen.
Stellungnahme zur Nichteinhaltung des Euratom
Vertrages durch die französische Regierung abzuge- Das Argument, Art. 34 des Euratom-Vertrages be-
ben und den Europäischen Gerichtshof anzurufen, ziehe sich nur auf Versuche im Rahmen der zivilen
falls sich Frankreich nicht an diese Stellungnahme Nutzung der Atomenergie, ist nicht nur juristisch un-
hält. Herr Kollege Schockenhoff, Ihre Polemik rich- haltbar, sondern widersp richt auch dem gesunden
tete sich also auch gegen das Europäische Parla- Menschenverstand. Die Norm dient ausdrücklich
ment. dem Schutz der Gesundheit von Menschen. Wenn
die Kommission unbes treitbar aber schon bei zivilen
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Atomtests einzuschalten ist, um wieviel mehr muß
GRÜNEN und der PDS) das dann bei militärischen Versuchen gelten, deren
Ziel die poten ti elle Vernichtung menschlichen Le-
Wir Sozialdemokraten sind enttäuscht und empört, bens durch Atombomben ist?
daß der Präsident der Europäischen Kommission ge-
stern auf dürftigster Informationsgrundlage - da hät- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
ten Sie etwas zur Qualität von Gutachten sagen kön- GRÜNEN und der PDS)
nen - dieser Aufforderung des Parlaments eine Ab- Frankreich selbst hat sich noch 1959 um die Ge-
sage erteilt hat. Der Druck einzelner Mitgliedstaaten nehmigung der Europäischen Kommission für die
wiegt anscheinend mehr als der Beschluß des Parla- Durchführung von Tests in der Sahara bemüht und
ments. damit die Zuständigkeit der Kommission anerkannt.
Dennoch gilt: Die Haltung des Europäischen Parla- Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach al-
ments zu den Atombombentests ist klar und eindeu- lem, was wir bisher wissen, handelt es sich trotz der
tig. Das gilt leider nicht in gleichem Maße für die des gestrigen Mitteilung des Kommissionspräsidenten
Deutschen Bundestages, wie wir eben noch einmal bei den Atombombentests um besonders gefährliche
hören konnten. Versuche im Sinne des Euratom-Vertrages. Das Vul-
kangestein des Mururoa-Atolls ist durch die bisheri-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen Versuche in hohem Maße instabil geworden. Je-
DIE GRÜNEN) der neue Versuch ist mit einer größeren Gefahr radio-
aktiver Emissionen verbunden. Es kann auch kaum
Dies ist heute bereits der vierte Versuch, die Fraktio- zweifelhaft sein, daß die Tests das Hoheitsgebiet ei-
nen von CDU/CSU und F.D.P. zu einem eindeutigen nes anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union
Beschluß statt mehrdeutiger Beteuerungen zu veran- berühren; denn mögliche Auswirkungen auf die un-
lassen. ter der Hoheit Großbritanniens stehenden Pitcairn
Inseln liegen auf der H and.
Unmittelbar nach der Ankündigung der Atombom-
bentests durch Präsident Chirac am 13. Juni hat die Viele Fragen sind noch ungeklärt: Welches ist die
SPD-Fraktion in der Europa-Debatte am 22. Juni ei- aktuelle Konzentration von Radioaktivität unter dem
nen Entschließungsantrag vorgelegt, der sich ebenso Mururoa-Atoll? Wie groß ist die Gefahr der Freiset-
gegen die chinesischen wie gegen die französischen zung durch neue Tests? Welche neuen Strukturbe-
Atombombentests richtete. Der Antrag wurde mit schädigungen des Atolls drohen bei weiteren Tests?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5387
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)
Wie sind die regionalen Gesundheitsbelastungen Zwar kann im Rahmen eines Vertragsverletzungs-
durch vergangene und künftige Versuche einzu- verfahrens eine einstweilige Anordnung ergehen;-
schätzen? Die Überprüfung französischer Berech- diese würde aber wegen der einzuhaltenden Fristen
nungen durch Karlsruher Wissenschaftler, auf die mit Sicherheit nicht mehr in diesem Jahr zu erwarten
sich eben der Kollege von der CDU/CSU-Fraktion sein,
anscheinend berufen hat, kann ja wohl nicht das
letzte Wort sein. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist Realis
mus!)
(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Aber die Karls Um so wichtiger ist es, daß sich die Bundesregierung
ruher sind gut!) endlich klar äußert
- Richtig, aber sie sollten dann eigene Untersuchun- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Hat sie doch!)
gen anstellen dürfen
und der Einsicht folgt, daß es ein Gebot der deutsch-
(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das wäre bes französischen Freundschaft ist, einander klar und
ser gewesen!) ohne diplomatische Winkelzüge die Wahrheit zu sa-
gen.
und nicht französische Untersuchungen lediglich
nachprüfen können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das sollte dieses Parlament als oberster Souverän
(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Herr Meyer, da
endlich einfordern und durchsetzen.
für wäre auch ich!)
(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das hat die
Wie unsicher Frankreich selbst hinsichtlich der be- Bundesregierung doch schon längst getan!)
sonderen Gefährlichkeit der Versuche ist, ist dadurch
belegt, daß die Informationspflichten gegenüber der Was die rechtsstaatlichen Instrumente angeht, set-
Kommission trotz ausdrücklicher Zusicherung der zen wir unsere größte Hoffnung auf das bereits am
französischen Regierung bisher nicht erfüllt worden 7. August, also vor fast drei Monaten, eingeleitete Be-
sind. Französische Behörden haben den von der schwerdeverfahren zum Europäischen Gerichtshof
Kommission entsandten Kontrolleuren den Zugang für Menschenrechte in Straßburg. Dort klagen 19
zum Testgebiet verwehrt. Die Kontrolleure konnten französische Staatsangehörige aus Polynesien mit
deshalb ihre durch Art. 35 garantierten Rechte nicht Unterstützung der SPD gegen die französische Re-
ausüben. Das allein ist bereits eine nicht hinnehm- gierung, weil sie sich in ihren Menschenrechten auf
bare Verletzung des Euratom-Vertrages. Leben und Gesundheit gefährdet fühlen. Dieses Ver-
fahren ist weit fortgeschritten. Die Europäische Kom-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mission für Menschenrechte wird am 27. November
DIE GRÜNEN) darüber entscheiden, ob Frankreich entsprechend
dem von den Beschwerdeführern gestellten Antrag
Sie kann auch nicht durch die vor wenigen Tagen durch eine einstweilige Maßnahme dazu aufgefor-
nachgereichten schriftlichen Informationen geheilt dert wird, nicht durch weitere Versuche vollendete
werden. Tatsachen zu schaffen, sondern die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ab-
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie zuwarten.
überzeugend sind eigentlich alle Forderungen, die
Rechte des Europäischen Parlaments im Rahmen der So wichtig uns die Verletzung der heute diskutier-
Revisionskonferenz zu stärken, wenn wir jetzt nicht ten Rechte des Europäischen Parlaments und der
einmal bereit sind, das Parlament bei der Durchset- Kommission auch ist, sollten wir uns doch alle vor al-
zung der vertraglich längst garantierten Rechte ge- lem aufgefordert fühlen, die unmittelbar von den
genüber der Kommission zu unterstützen? Atombombentests be troffenen Menschen in ihrem
verzweifelten Kampf zu unterstützen. Es geht im be-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ reits anhängigen Straßburger Verfahren um diese
DIE GRÜNEN) Rechte, die durch die Europäische Menschenrechts-
konvention garantiert sind. Der Schutz dieser Men-
Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, daß schenrechte sollte uns allen mindestens so wichtig
sie entsprechend der eingangs genannten Entschlie- sein wie die Vertragsverletzung, die Gegenstand der
ßung des Europäischen Parlaments auf die Kommis- heutigen Debatte ist.
sion einwirkt. Das ist der politische Ke rn des heuti-
gen Antrags meiner Fraktion. Die Bundesregierung Das ist die Überzeugung der SPD. Wir hoffen dafür
sollte endlich klar und unmißverständlich auftreten. auf die Zustimmung auch der anderen Fraktionen
dieses Parlaments.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir ma-
chen uns keine Illusionen hinsichtlich der Chancen, Ich danke Ihnen.
die französische Regierung durch Einschaltung des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg zu einem DIE GRÜNEN)
Einlenken zu veranlassen.

(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist sehr rea Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat
listisch!) der Abgeordnete Chris tian Sterzing.
5388 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): aufkommen, daß wir Zeugen eines abgekarteten
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Spiels geworden sind: Zunächst läßt eine unschlüs--
Kollegen! Im heutigen Blätterwald wird die Entschei- sige Kommission mutig die Muskeln spielen, indem
dung der Europäischen Kommission zu den franzö- sie Informationen anfordert, diese immer wieder an-
sischen Atomtests wie ein Freispruch entweder ge- mahnt, aber offensichtlich doch nur mit dem Ziel, Ar-
feiert oder kritisiert. Es stellt sich die Frage, ob wir gumentationshilfen für einen Freispruch zu erhalten.
heute die Akten schließen können und ob die An- Dieses Schauspiel der letzten Monate war zu plump,
träge auf Einleitung eines Vertragsverletzungsver- um uns in dieser Frage von der Unabhängigkeit der
fahrens damit erledigt sind. Wir müssen hier ganz Europäischen Kommission zu überzeugen.
klar sagen: Das hat sich keineswegs erledigt. Durch
das Votum der Europäischen Kommission ist die Bun- Es kommt noch etwas hinzu: Indem die Kommis-
desregierung nämlich in keiner Weise gebunden. sion dieses juristische Schlupfloch „besondere Ge-
Der Weg zum EuGH in Luxemburg steht weiterhin fährlichkeit" nutzt, begibt sie sich auf dünnes Eis. Sie
offen. hat nämlich gar nicht den Ermessensspielraum zur
Beurteilung dieses Kriteriums. Die „besondere Ge-
Es geht um zweierlei: Es geht zum einen um die fährlichkeit" dieser Atomversuche wird im Euratom-
juristische Beurteilung der französischen Atomtests Vertrag festgesetzt. Es ist also nicht eine von der
im Südpazifik, und es geht zum anderen um die poli- Kommission zu prüfende Voraussetzung für eine
tischen Folgen der deutschen Untätigkeit. Stellungnahme oder Zustimmung. Der Euratom-Ver-
Zur juristischen Beurteilung: Es ist ja traurige Zwi- trag geht vielmehr a p riori von der besonderen Ge-
schenbilanz der Auseinandersetzung um die franzö- fährlichkeit der Atomtests aus und knüpft daran -
sische Atomtestserie, daß Frankreich immer wieder wegen der zu treffenden „zusätzlichen Vorkehrun-
an grundlegende Rechtsvorschriften aus den Europa- gen für den Gesundheitsschutz" - die Notwendigkeit
verträgen erinnert werden mußte und erst nach mo- der Stellungnahme oder gar der Zustimmung der
natelangem Zögern und Sträuben scheibchenweise Kommission. - Die Kommission hat damit also nicht
das zugestand, was für Europarechtler außer Frage nur fehlerhaft geprüft. Sie hat etwas geprüft, was sie
steht, nämlich daß der Euratom-Vertrag grundsätz- gar nicht prüfen durfte. Sie hat schlichtweg ihre
lich auch auf die Atomversuche im Südpazifik An- Kompetenzen überschritten.
wendung findet. Diese „Hüterin der europäischen Verträge", wie
Jedes Argument war recht, um sich der internatio- sie sich gerne nennt und genannt wird, hat im übri-
nalen Verantwortung zu entziehen und sich interna- gen auch über weitere Verstöße hinweggesehen -
tionalen Rechtsnormen nicht unterwerfen zu müssen. darauf wurde bereits hingewiesen -: Natürlich ist die
Nur unter dem öffentlichen Druck der Antiatomtest Kommission vor Durchführung der Versuche zu infor-
Kampagne ist es dazu gekommen, daß sich bei der mieren. Dies ist nicht geschehen. Natürlich ist die
französischen Regierung, bei der Kommission und Kommission in die Lage zu versetzen, die Überwa-
der deutschen Regierung zumindest teilweise die chungseinrichtungen selber zu überprüfen. Auch
Einsicht in europa- und völkerrechtliche Normen dies ist nicht geschehen.
durchgesetzt hat. Wer mit Atombomben zündelt, der
Kommen wir aber zur politischen Beurteilung des
gefährdet Menschen und Umwelt auch über natio-
Verhaltens. Es geht um mehr als nur um die Recht-
nale Grenzen hinweg
mäßigkeit dieser Atomtests im Südpazifik. Es geht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) um die europapolitische und auch um die abrü-
stungspolitische Glaubwürdigkeit dieser Regierung.
und muß sich deshalb auch internationalen Rechts Wir müssen nämlich fragen, wie es um die Glaub-
normen unterwerfen. Hier endet na tionale Souverä würdigkeit der Europäischen Union und auch des
nität. Das ist auch Grundlage des Euratom-Vertrages. Mitgliedstaates Deutschland bestellt ist, wenn es ei-
Das juristische Schlupfloch, das die Europäische nem Mitgliedsland möglich ist, die Bestimmungen ei-
Kommission jetzt gefunden zu haben glaubt, ist die nes der Grundlagenverträge der Europäischen Union
Frage der besonderen Gefährlichkeit dieser Atom- zu mißachten. Wie ist es um die Glaubwürdigkeit ei-
tests. Sie wird schlichtweg hinwegdefiniert. Beurtei- ner gemeinsamen europäischen Politik bestellt,
lungsgrundlage - darauf wurde schon verwiesen - wenn Kommission, Ministerrat und Mitgliedstaaten
sind im wesentlichen Informationen der französi- die zur Verfügung stehenden Mittel zur Unterbin-
schen Regierung. Wir Juristen nennen so etwas ein dung solcher Rechtsverstöße nicht nutzen? Wie ist es
Parteigutachten. Keine rechtsstaatliche Instanz um die Glaubwürdigkeit einer Europäischen Union
würde ein solches Parteigutachten als ausreichende bestellt, die in Europa jeden Schornstein s trengeren
Beurteilungsgrundlage anerkennen. Auch der Hin- Sicherheitsbestimmungen unterwirft als das Zünden
weis auf die Expertenkommission verfängt keines- von Atombomben im Südpazifik?
wegs; sie durfte zwar nach langem Zögern und
Sträuben der Franzosen endlich in die Region reisen, Die Europäische Union und auch die Mitgliedstaa-
durfte aber nicht das untersuchen, was sie untersu- ten können eine am Umwelt- und Gesundheitsschutz
chen sollte. Es waren nicht alle Einrichtungen zu- orientierte europäische Politik kaum glaubhaft ver-
gänglich. Zum Fangataufa-Atoll durfte die Kommis- treten, wenn trotz aller wissenschaftlicher Hinweise
sion überhaupt nicht reisen. auf die Risiken dieser Atomtests im Südpazifik deren
Gefährlichkeit allein nach politischen Glaubens-
All das, was uns die Europäische Kommission in grundsätzen beurteilt wird. Es fragt sich auch, wel-
den letzten Monaten geboten hat, läßt den Verdacht chen Wert französische Beteuerungen und Bekennt-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5389
Christi an Sterzing
nisse zu den europäischen Verträgen haben. Und teilung der Nuklearversuche ist weltweit und einhel-
welchen Wert haben die deutschen Bekenntnisse lig. Frankreich hat weder die Stellungnahme noch -
dazu, wenn unter Hinweis auf das freundschaftliche die Zustimmung der EU-Kommission vor der Testse-
Verhältnis zu einem Mitgliedsland solche Rechtsver- rie eingeholt. Auch dies war ein politischer Fehler.
stöße nicht verfolgt werden? Käme denn die Bundes- 1960/61 hat Frankreich seine Versuche bei der EG-
regierung zu einer anderen rechtlichen Beurteilung Kommission sogar notifiziert. Warum diesmal nicht?
dieser Atomtests, wenn z. B. Portugal diese Versuche
durchführen würde? Mit dieser kurzsichtigen und an Die EU-Kommission sieht sich als „Hüterin der eu-
politischer Opportunität orientierten Argumenta tion ropäischen Verträge" und ist damit auch für die Ein-
untergräbt die Bundesregierung die Glaubwürdig- haltung des Euratom-Vertrages zuständig. Die Kom-
keit einer europäischen Integra tionspolitik und nährt mission hat festgestellt, daß keine Gesundheitsge-
damit auch das Mißtrauen vieler Menschen in den fahr für die Bevölkerung besteht. Sie sieht daher
europäischen Integrationsprozeß. keine Grundlage für ein rechtliches Vorgehen gegen
Frankreich. Ich bedauere, daß sich die Kommission
Aber auch abrüstungspolitisch sollte sich die Bun- dabei ausschließlich auf französische Daten stützt.
desregierung über die Gefahren ihrer Untätigkeit Besser wäre es natürlich gewesen, sie hätte eigene
klar werden. Da versprach doch im Frühsommer die Daten erheben oder zumindest die französische Da-
Europäische Union in New York bei den Verhandlun- tenerhebung kontrollieren können. Trotz all dieser
gen über den Nichtverbreitungsvertrag noch ernst- Mängel lehnt die F.D.P. es ab, die Bundesregierung
hafte Abrüstungsbemühungen und auch Zurückhal- aufzufordern, ein Vertragsverletzungsverfahren ge-
tung bei Atomversuchen. Aber sind denn diese gen Frankreich einzuleiten oder gar eine einstwei-
atomaren Tests in der Südsee für die atomare Abrü- lige Verfügung zu beantragen.
stung notwendig? - Wer testet, will weiterentwik-
keln. Jeder Test ist ein Beweis für die Absicht nuklea- (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Warum?)
rer Aufrüstung, nuklearer Weiterentwicklung. Inso-
fern wird Europa eine glaubhafte Abrüstungspolitik - Sie, Herr Meyer, haben doch gesagt, es sei viel zu
in Zukunft nur dann be treiben können, wenn es spät. Wir halten es auch politisch für falsch. Denn der
wirklich alles unternimmt, um das Mitgliedsland dadurch entstehende politische Schaden verbietet
Frankreich von der Durchführung dieser Tests abzu- ein solches Vorgehen. Sie machen es sich als Opposi-
halten. tion hier zu leicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir wollen mit dem deutsch-französischen Ver-
und bei der SPD) hältnis behutsam umgehen. Wir wollen uns aber
Natürlich müssen wir auch befürchten, daß dieses auch nicht hinter der deutsch-französischen Freund-
schlechte Beispiel Schule macht. Denn welchen schaft verschanzen. Wir sind durchaus bereit, uns
Grund sollten atomare Schwellenländer haben, die kritisch zur Sache zu äußern. Frankreich muß diese
Weiterentwicklung von atomaren Potentialen zu Kritik ertragen können. Der Bundestag und die Bun-
stoppen, wenn eine Atommacht selber ungestraft desregierung haben sich wiederholt kritisch zu den
ihre Arsenale weiterentwickelt und modernisiert? französischen Atomtests geäußert. Wir lehnen Atom-
waffentests kategorisch ab.
Nicht nur Frankreich mit seiner Atomtestserie, son-
dern auch die Bundesregierung mit ihrer Untätigkeit (Beifall bei der F.D.P.)
in dieser Frage gefährden alle abrüstungspolitischen
Bemühungen. Der Schaden, den wir damit langfri- Chiracs nationaler Alleingang verstößt gegen den
stig in Kauf nehmen müssen, überschreitet gewiß die Geist der europäischen Partnerschaft, und er schä-
kurzfristigen Vorteile eines ungetrübten deutsch- digt auch das Bemühen um eine gemeinsame Au-
französischen Verhältnisses. Wir fordern deshalb die ßen- und Sicherheitspolitik Europas. - Darin stimme
Bundesregierung auf, endlich auch durch den Gang ich einigen Vorrednern durchaus zu. - Während sich
nach Luxemburg auf der Einhaltung des Euratom die Mehrheit in Europa um die Fortentwicklung ei-
Vertrages zu bestehen und entsprechende Schritte ner gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik be-
einzuleiten. Noch kann ein Teil des ökologischen müht, scheint Frankreich in Richtung auf eine Rena-
und des politischen Schadens abgewendet werden. tionalisierung der Sicherheitspolitik abzudriften. Das
ist bedauerlich. Das französische Vorgehen insge-
Vielen Dank. samt ist ein falsches Signal für Maast richt II.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) Die französischen Atomtests gefährden auch die
weltweiten Bemühungen, die nukleare Prolifera tion
zu begrenzen. Das ohnehin begrenzte Vertrauen der
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Nichtnuklearmächte in die Abrüstungsbereitschaft
Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann das Wort. der Nuklearmächte wird nachhaltig geschädigt. Da
stimme ich dem Vorredner zu. Es geht doch nicht an ,
Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe daß die Mehrheit der Staaten aufgefordert wird, auf
Kolleginnen und Kollegen! Die Wiederaufnahme der Atomwaffen zu verzichten, während gleichzeitig ei-
Atomwaffentests durch Frankreich ist ein schwerer nige ihre Nuklearwaffen perfektionieren. Heutzu-
politischer Fehler. - Herr Meyer, in der Beurteilung tage darf es nicht um die Perfektionierung von Atom-
unterscheiden wir uns nicht. - Frankreich hat das waffen gehen, vielmehr ist Verschrottung dieser Waf-
schon schmerzlich zu spüren bekommen. Die Verur fen das Gebot der Stunde.
5390 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Olaf Feldmann


Wir begrüßen, daß der französische Präsident an- militärpolitische Gründe sind. Ganz gleich, ob diese
gekündigt hat, die bisher vorgesehene Zahl der Tests weiter stattfinden oder ob sie gestoppt werden: -
Atomwaffentests zu reduzieren. Besser wäre es, er Solange britische und französische Atomwaffen exi-
würde auf alle Tests sofort verzichten. stieren, wird mit ihnen in Europa Politik gemacht.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Die Perspektive einer gemeinsamen Außen- und
ten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE Sicherheitspolitik, gekoppelt mit den Interessen
GRÜNEN und der PDS) Kerneuropas, ist die Hinwendung deutscher Außen-
politik zu diesen atomaren Angriffs- und Drohpoten-
Mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen tialen. Eine solche Sicherheitspolitik ist nicht europä-
Frankreich vor dem Europäischen Gerichtshof wer- isch; sie ist imperialistisch. Ihr muß entschieden Wi-
den wir nichts erreichen. Ich glaube, das ist auch Ih- derstand entgegengesetzt werden. Ich will, daß diese
nen klar. Wir lehnen daher die Anträge von BÜND- und zukünftige Bundesregierungen den Atomwaf-
NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS und auch den fensperrvertrag einhalten. Dieser untersagt der Bun-
heute von der SPD nachgeschobenen Antrag ab. desrepublik auch eine mittelbare Verfügung über
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Atomwaffen.

(Beifall bei der F.D.P.) Ich danke.


(Beifall bei der PDS)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat
der Abgeordnete Rolf Köhne. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Für die Bun-
desregierung erteile ich Staatsminister Dr. Werner
Hoyer das Wort.
Rolf Köhne (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich freue mich, daß die F.D.P.
langsam in die Opposition wechselt. Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Amt: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wir haben im gen! Die Bundesregierung hält nichts von Atomwaf-
mer schon, x-mal, hier dazu geredet!) fentests, ganz gleich, wer sie durchführt und wo sie
- Ja. stattfinden.

Ich möchte dem Kollegen Schockenhoff einiges sa- (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.] -
gen. - Wo ist er denn überhaupt geblieben? Kommen Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Aber von
Sie einmal wieder her! - Ihre Argumente waren allzu Parlamentsbeschlüssen haltet ihr auch
dürftig. Was haben Sie gesagt? - Das Öko-Institut lie- nichts!)
fert ein Gefälligkeitsgutachten; die PDS, das sind die Dies ist bekannt, es soll aber noch einmal unterstri-
Enkel Honeckers, wobei Sie die Nichten vergessen chen werden. Daß wir hier nicht mit Frankreich über-
haben; Greenpeace, das sind die selbsternannten einstimmen, haben Bundeskanzler Kohl und Außen-
Retter der Menschheit. Dann haben Sie sich auch minister Kinkel am 6. September vor dem Deutschen
noch eine Verdrehung der Geschichte geleistet. Also: Bundestag klar angesprochen.
Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Das war
Begründung für deutsche Kanonenpolitik. Den An- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: „Ange
tragstellern geht es aber um das genaue Gegenteil, sprochen"!)
um Frieden. Da gibt es übrigens, Herr Kollege Meyer, keine „di-
(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Uns auch!) plomatischen Winkelzüge", sondern Klarheit unter
Freunden.
Es gibt durchaus Gründe, Frankreich Vertragsver-
letzung vorzuwerfen und den Europäischen Ge- (Beifall des Abg. Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]
richtshof anzurufen. - Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Mit durch
schlagenden Mißerfolgen!)
Meßwerte zur aktuellen Strahlenbelastung liegen
Beide haben wiederholt klargemacht, daß durch un-
nicht vor. Es hat aber Messungen gegeben; ihre Er-
terschiedliche Auffassungen in dieser wichtigen
gebnisse hätten stutzig machen müssen. Wenn nach
Frage das partnerschaft liche und freundschaftliche
der Zündung der Sprengsätze in 1 000 m Tiefe über-
Verhältnis zu Frankreich nicht gestört werden darf
haupt eine Erhöhung der Dosis gemessen wird, dann
und nicht gestört wird.
spricht das dafür, daß es Wege gibt, durch die die Ra-
dioaktivität schnell nach oben kommt. Ich zitiere in Die vorliegenden Anträge bedürfen einer sorgfälti-
diesem Zusammenhang die Europaabgeordnete der gen rechtlichen und europapolitischen Prüfung. Wir
CDU, Frau Quisthoudt-Rowohl: Laut einer Presse- werden hierüber in den Ausschüssen zu beraten ha-
meldung räumte sie selbst ein, daß langfristige Aus- ben. Unser besonderes Verhältnis zu Frankreich muß
wirkungen nicht abzusehen seien. als wichtiger Faktor in die politische Bewertung ein-
gehen.
Der Entscheidung der Bundesregierung, von ihrem
Klagerecht nicht Gebrauch zu machen, haben keine Lassen Sie mich als Ergebnis der Prüfung der
wissenschaftlichen Be trachtungen zugrunde gele- Kommission zu den rechtlichen Aspekten folgendes
gen. Vielmehr müssen politische Gründe angenom- festhalten: Erstens. Kapitel III des Euratom-Vertra
men werden. Es drängt sich der Verdacht auf, daß es ges, das den Gesundheitsschutz der Bevölkerung
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5391
Staatsminister Dr. Werner Hoyer
und der Arbeitskräfte gegen Gefahren ionisierender Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab-
Strahlungen abdeckt, ist prinzipiell räumlich und schließend klarstellen: Vordringliches Ziel der Bun--
sachlich auf Atomwaffenversuche anwendbar. Eine desregierung ist und bleibt die Unterzeichnung und
Zustimmung der Kommission nach A rt . 34 Abs. 2 Eu- Umsetzung des umfassenden Teststoppvertrages
ratom-Vertrag ist in Fällen besonders gefährlicher durch alle Staaten. Es ist ein beachtlicher Erfolg der
Versuche erforderlich, wenn die Möglichkeit besteht, europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und
daß sich die Auswirkungen der Versuche auf die Ho- nicht zuletzt der konstruktiven und beharrlichen Be-
heitsgebiete anderer Mitgliedstaaten erstrecken. Die mühungen der deutschen Außenpolitik, daß dem Ab-
im Vertrag niedergelegte etwaige Zustimmung der schluß dieses Abkommens inzwischen nichts mehr
Kommission bezieht sich auf die „zusätzlichen Vor- im Wege zu stehen scheint.
kehrungen für den Gesundheitsschutz". Es ist keine
Zustimmung zu den Versuchen selbst vorgesehen. (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

Zweitens. Zu der in den Anträgen geforderten Ein- Ich freue mich, daß sich auch Frankreich ohne
leitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Wenn und Aber zu diesem Ziel bekennt. Ich finde es
Frankreich durch Deutschland möchte ich folgendes auch gut, daß sich die Volksrepublik China den Ent-
sagen: Es obliegt in erster Linie der Kommission als wicklungen hin zu einer nuklearwaffentestfreien
Hüterin der Verträge, über die Einhaltung der Ver- Welt nicht länger in den Weg stellen will. Um den
pflichtungen der Verträge zu wachen. Abschluß eines umfassenden Teststoppabkommens
bis zum Herbst 1996 tatsächlich zu erreichen, wird es
(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Genauso ist es!) aber noch ganz intensiver Arbeit und Überzeugungs-
Die Bundesregierung respektiert und bekräftigt - ge- kraft aller beteiligten Staaten bedürfen.
rade auch angesichts der aktuellen Diskussion im
Vorfeld der Regierungskonferenz - die eigenstän- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
dige, unabhängige Posi tion der Kommission im Rah- ten der CDU/CSU - Dr. Olaf Feldmann
men der Römischen Verträge. Die Kommission hat im [F.D.P.]: Dann hätten wir doch etwas er
Rahmen dieser Verantwortung Frankreich zur Über- reicht!)
mittlung von Unterlagen und Informationen veran-
laßt. Frankreich hat diesem Ersuchen Folge geleistet. Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus-
Die Kommission hat sich am 23. Oktober mit die- sprache.
ser Frage befaßt. Präsident Santer hat gestern das
Europäische Parlament vom Ergebnis wie folgt unter- Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor-
richtet: a) Die Grundnormen für den Gesundheits- lagen auf den Drucksachen 13/2270 und 13/2200 so-
schutz gemäß Art. 30 f Euratom-Vertrag seien einge- wie 13/2749 an die in der Tagesordnung aufgeführ-
halten. b) Die Einrichtungen zur Kontrolle der Radio- ten Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstan-
aktivität würden für wirksam gehalten, d. h. A rt . 35 den? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die
des Vertrages sei erfüllt. c) Die nach A rt . 36 übermit- Überweisungen so beschlossen.
telten Informationen über den Grad der Radioaktivi-
tät seien ausreichend. d) Die Kommission habe auf Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12a und 12 b
der Basis der übermittelten Daten die Feststellung auf:
ge tr offen, daß die Bestimmungen des A rt . 34 Eura-
tom-Vertrag in diesem Fall nicht anzuwenden seien. a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
Die Kommission ist daher zu dem Ergebnis gekom- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
men, daß Frankreich nicht gegen den Euratom-Ver- die erleichterte Zuweisung der Ehewohnung
trag verstoßen hat. - Drucksache 13/196 -
(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Halten Sie (Erste Beratung 22. Sitzung)
das für richtig?)
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts-
Drittens. Gemäß A rt . 142 Euratom-Vertrag kann ausschusses (6. Ausschuß)
nach Befassung der Kommission auch jeder Mitglied-
staat den Gerichtshof anrufen, wenn er der Meinung - Drucksache 13/1251 -
ist, daß ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Ver- Berichterstattung:
pflichtung aus dem Vertrag verstoßen hat. Die Bun- Abgeordnete Wolfgang Bosbach
desregierung ist jedoch der Auffassung, daß die Margot von Renesse
Kommission die gemäß Euratom-Vertrag möglichen
und erforderlichen Schritte unternommen hat und b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
weiter unternimmt. Daher sieht sie keine Veranlas- Margot von Renesse, Dr. Herta Däubler-Gme-
sung, ihrerseits rechtliche Schritte zu unternehmen. lin, Harmann Bachmaier, weiteren Abgeord-
Sie will nicht Politik durch gerichtliche Auseinander- neten und der Fraktion der SPD eingebrach-
setzung ersetzen und wird deshalb den konstrukti- ten Entwurfs eines Gesetzes über die erleich-
ven Dialog mit unseren französischen Freunden auch terte Zuweisung der Ehewohnung
zu einer Frage fortsetzen, in der unsere Meinungen
nicht übereinstimmen. - Drucksache 13/2500 -
(Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist immer Zum Gesetzentwurf des Bundesrates liegt ein Än-
der bessere Weg!) derungsantrag der Gruppe der PDS vor.
5392 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Vizepräsident Hans Klein


Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Die - im übrigen von mir wegen ihres Engage-
gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- ments und Sachverstandes geschätzte - Kollegin von
hen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Das Renesse
ist dann so beschlossen.
(Zurufe von der SPD: Sehr gut!)
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wo rt
demKolgnWfaBsbch. - Ehre, wem Ehre gebührt - hat bei der ersten Bera-
tung in diesem Zusammenhang ausgeführt:

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! ... die Frauenhausbewegung hat ... ein grelles
Licht auf die geschundenen Gesichter von Frau-
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir bera-
en und Kindern gerichtet, von Frauen, die mit
ten heute in zweiter und dritter Lesung über den
vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Geset- Veilchen, mit Schrammen, mitunter noch im
zes über die erleichterte Zuweisung der Ehewoh- Nachthemd, die Kinder heulend an der Seite, zur
nung, der vom Deutschen Bundestag am 17. Fe- Nachbarin, zur Freundin oder zur Mutter eilen,
fli ehen, flüchten, wie m an es sich schlimmer nicht
bruar 1995 in erster Lesung behandelt und dem
Rechtsausschuß zur federführenden Beratung sowie vorstellen kann ... Das Opfer muß gehen, und
dem Ausschuß für Fami lie, Senioren, Frauen und der Gewalttäter bleibt.
Jugend zur Mitberatung überwiesen wurde. Beide Sehr geehrte Kollegin, ich stimme Ihnen ausdrück-
Ausschüsse haben nach ihren Beratungen den vor- lich darin zu, daß es bei dem von Ihnen vorgetrage-
liegenden Gesetzentwurf des Bundesrates mit nen Sachverhalt eine Schande wäre, wenn die Opfer
Mehrheit abgelehnt. gehen müßten, die Gewalttäter bleiben könnten und
wenn dies dem Willen des Gesetzgebers entspräche.
In den Beratungen der Ausschüsse ist kein neues
Das ist jedoch nicht der Fall. Ich bedauere es, daß öf-
erhebliches Argument dafür vorgebracht worden,
fentlich der Eindruck erweckt wird, als wenn die kör-
daß der jetzige Rechtszustand nicht länger tragbar perliche Mißhandlung der Ehefrau oder gar der
sei und daher zwingend geändert werden müsse. Die
sexuelle Mißbrauch von Kindern kein Grund wäre,
Koalitionsfraktionen lehnen den Gesetzentwurf des den Täter aus der Wohnung zu verweisen.
Bundesrates nach wie vor ab, weil sie mit der Bun-
desministerin der Justiz die Auffassung vertreten, Bei dieser Argumentation wird die Auslegung der
daß für eine Änderung des § 1361b BGB ein gesetz- hier in Rede stehenden Vorschrift durch die Literatur
geberischer H an dlungsbedarf nicht zwingend gebo- und die Rechtsprechung übersehen, die bereits
ten ist. heute nicht erst bei einer unmittelbaren Gefahr für
Leib und Leben, sondern schon bei schweren Stö-
In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich darauf rungen des familiären Zusammenlebens § 1361 b
hingewiesen, daß diese Auffassung von der überwie- BGB anwenden. Das ist auch richtig so, weil es dem
genden Zahl der Bundesländer geteilt wird. Mit Aus- Willen des Gesetzgebers entspricht. Schon die gel-
nahme der Bundesländer Hessen und Niedersachsen tende Rechtslage schützt den Ehegatten durch Zu-
verneinen alle anderen Justizministerien der Länder weisung der Ehewohnung an ihn vor unzumutbaren
einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Übergriffen in seine persönliche, körperliche und
Zur Vermeidung von Mißverständnissen möchte seelische Integ ri tät. Eine unmittelbare Gefahr für
ich noch einmal darauf hinweisen, daß die vorliegen- Leib und Leben ist nicht zwingende Voraussetzung
den Gesetzentwürfe sicherlich mit guten Absichten für die Zuweisung der Ehewohnung.
eingebracht wurden. Der jetzige Gesetzestext verwendet den Beg ri ff der
schweren Härte. Zur schweren Härte zählt - das
Mit § 1361 b wollen wir dazu beitragen, die persön-
lichen Spannungen zwischen den Ehegatten abzu- dürfte unstreitig sein - auch oder schon ein schwer-
bauen und diejenigen, die von ihrem Ehepartner in wiegendes, die Gesundheit oder die Ehre stark be-
der eigenen Wohnung körperlich mißhandelt, be- einträchtigendes Fehlverhalten, namentlich auch die
droht oder auf andere Art und Weise schwerwiegend Verletzung eines geordneten und störungsfreien Zu-
beeinträchtigt werden, vor weiteren Übergriffen zu sammenlebens mit Kindern.
schützen. Namentlich Frauen und Kinder brauchen In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf
diesen Schutz, weil gerade sie es sind, die unter Ge- eine Entscheidung des OLG Bamberg, nach der die
walt in der Familie und in der häuslichen Umgebung Anforderungen an den Beg ri ff der schweren Härte
besonders leiden. bei zunehmender Dauer der Trennung abnehmen
würden. Auch sind die Anforderungen an die
Bei seiner Begründung geht der Bundesrat jedoch
schwere Härte dann geringer, wenn ein Ehegatte zu-
offensichtlich von einer Rechtslage und einer Recht-
nächst freiwillig ausgezogen ist, eine andere Woh-
sprechung aus, wie sie tatsächlich nicht besteht. Wer
nung unterhält und die Mitbewohnung der Ehewoh-
Frau und Kind körperlich und seelisch mißhandelt,
nung nicht mit dem Ziel der Wiederherstellung der
muß schon heute, nach geltendem Recht, die Woh-
ehelichen Lebensgemeinschaft begehrt.
nung verlassen. Auch mögliche Zuflucht in einem
Frauenhaus ist für die Justiz kein Grund, von einer Nicht nur die einschlägige juristische Literatur,
Zuweisung der Ehewohnung an die mißhandelte sondern auch die gerichtliche Praxis - das geht aus
Ehefrau abzusehen. Hierauf hat die Bundesministe- den Stellungnahmen der Länder hervor -, widerlegt
rin der Justiz bereits bei der ersten Beratung aus- den erhobenen Vorwurf, der drohenden Wohnungs-
drücklich und zu Recht hingewiesen. not des brutalen Ehemannes werde eine größere Be-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5393
Wolfgang Bosbach
deutung beigemessen als dem Wohl der mißhandel- Entscheidung nur einen vorläufigen Charakter hat,
ten Frauen und Kinder. Dieser Vorwurf ist nicht ge- so daß es hinnehmbar erscheint, daß nur die vorläu-
rechtfertigt. Wir sollten uns davor hüten, ihn öffent- fige Zuweisung beschwerdefähig gestellt wird.
lich zu wiederholen, zumal dies gerade nicht im In-
Ich stimme aber ausdrücklich zu, daß die ableh-
teresse der be troffenen Frauen und Kinder sein
nende Entscheidung für den Antragsteller genauso
kann.
belastend sein kann wie die stattgebende Entschei-
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir bera- dung für denjenigen Ehegatten, der weichen muß, so
ten heute nicht nur in zweiter und dritter Lesung den daß wir diesen Punkt im Zuge der parlamentarischen
Gesetzentwurf des Bundesrates, sondern auch in er- Beratung über den Antrag der SPD noch einmal in
ster Lesung den Gesetzentwurf der SPD über die er- aller Ruhe diskutieren sollten.
leichterte Zuweisung der Ehewohnung. Der Bundes- Ich danke für die Aufmerksamkeit.
rat wollte den jetzigen Begriff der schweren Härte"
durch die Formulierung „Schutz des Ehegatten oder (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
aus Gründen des Kindeswohls oder aus sonstigen
schwerwiegenden Gründen auch unter Berücksichti-
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin von Re-
gung der Belange des anderen Ehegatten" ersetzen,
während nunmehr die SPD-Fraktion den Beg riff der nesse, Sie haben das Wo rt .
„schweren Härte" durch den der „unbilligen Härte"
ersetzen möchte, der der Formulierung des § 3 der Margot von Renesse (SPD): Herr Präsident! Meine
Hausratsverordnung entnommen ist. Damen und Herren! Nach dem Beschluß des Rechts-
ausschusses ist klar, daß der Entwurf des Bundesra-
Daß die Verwendung dieses Beg riffes aus dieser tes von Ihnen abgelehnt werden wird. Es fällt Ihnen
Vorschrift in § 1361 b BGB notwendig und sinnvoll leicht, dafür gute Argumente zu finden; denn tech-
ist, kann bezweifelt werden; denn die beiden Vor- nisch ausgereift ist dieser Entwurf nicht. Er enthält
schriften haben einen unterschiedlichen Regelungs- einige technische Mängel, das ist vollkommen klar.
gehalt. Die Hausratsverordnung soll denjenigen Fall
regeln, in dem sich die Ehegatten anläßlich der Nur, wir sind es gewohnt, daß in den Rechtsaus-
Scheidung nicht darüber einigen können, wer von schuß Rohmaterial kommt. Selten kommt es vor, daß
ihnen die Ehewohnung zukünftig bewohnen und ein Gesetzentwurf den Ausschuß so verläßt, wie er
wer die Wohnungseinrichtung und den sonstigen hereingekommen ist. Es wäre angesichts des Ge-
Hausrat erhalten soll. wichtes dieses Antrages schon ein wenig Mühe wert
gewesen, sich mit dem Antrag inhaltlich auseinan-
Die andere Vorschrift soll nur eine vorläufige Woh- derzusetzen und ihn dort zu verbessern, wo er ver-
nungszuweisung regeln, wobei der Gesetzgeber von besserungsbedürftig ist.
der Hoffnung ausgeht - zumindest damals von der
Hoffnung ausging -, durch die Einführung dieses Pa- Das haben Sie nicht getan, weil sie von vornherein
ragraphen ließen sich die persönlichen Spannungen davon ausgehen, daß es nicht nötig ist. In dem Be-
zwischen den Eheleuten abbauen und eine mögliche richt des Rechtsausschusses steht das zu lesen, was
Versöhnung erreichen. auch die Bundesregierung dazu sagt: Nach der fo-
rensischen Erfahrung sei ein Bedürfnis für eine Er-
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der SPD- leichterung der Zuweisung der Ehewohnung nicht
Fraktion ist zu fragen, ob es tatsächlich einen erheb- gegeben.
lichen Wertungsunterschied zwischen den Beg riffen
Meine Damen und Herren, wenn man die Richter
„unbilli ge Härte" und „schwere Härte" gibt. Zweifel
fragt, die nicht in der Ehewohnung, deren Zuwei-
sind angebracht; beispielhaft erwähne ich hier die
sung bei Ihnen beantragt wird, leben, dann wird man
Kommentierung von Diederichsen im Palandt, wo er
verständlicherweise zu hören bekommen, daß sie
sinngemäß ausgeführt hat, er vermöge einen rechts-
sehr zufrieden sind, daß es gegen gewisse Entschei-
erheblichen Unterschied zwischen den beiden Be-
dungen keine Rechtsmittel gibt und daß alles so
griffen „unbillige Härte" und „schwere Härte" nicht
geht, wie es geht.
zu erkennen.
Aber fragen Sie - das habe ich bereits bei der er-
Im Hinblick auf die ebenfalls angestrebte Neufas- sten Lesung gesagt - die be troffenen Frauen! Neuer-
sung des § 620c ZPO darf ich abschließend darauf dings kann ich auch sagen: Fragen Sie die Rechtsan-
hinweisen, daß beide Gesetzentwürfe das Rechtsmit- wälte, die den Parteien in aller Regel etwas näherste-
tel der sofortigen Beschwerde gegen jede nach hen als die Richter! Jüngst auf dem Treffen der An-
mündlicher Verhandlung ergangene Entscheidung waltschaft ist die Erleichterung der Zuweisung der
über den Antrag auf Wohnungszuweisung eröffnet. Ehewohnung von der Anwaltschaft als ein Wunsch
an den Gesetzgeber beschlossen worden.
Der Gesetzgeber sollte sich jedoch, ohne rechts-
staatliche Grundsätze aufzugeben, darum bemühen, (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr
streitige Zivilverfahren zu straffen und zu beschleu- wahr!)
nigen. Die beabsichtigte Neufassung der Vorschrift
läuft diesen Bestrebungen zuwider. Daß man dann immer noch sagen kann, das Inter-
esse sei sozusagen unbeachtlich, da seien vielleicht
Zu Recht weist die Bundesregierung in ihrer Stel- ein paar hyste rische Frauen, die ein Rausschmeiß-
lungnahme darauf hin, daß die hier in Rede stehende recht gegen Ehemänner haben wollten - ich über-
5394 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Margot von Renesse


treibe ein wenig, das gebe ich zu -, läßt sich doch Lassen Sie mich noch einen zweiten Fall bringen.
wohl unter diesen Umständen bestreiten; denn die Er handelt von einer Frau, die tabletten- und alkohol-
Anwälte vertreten sowohl Frauen als auch Männer. abhängig ist. Nach langem Martyrium der ganzen
Ich nehme an, sie tun das sauber quotiert fifty-fifty. Familie entschließt sich der Mann um seiner Kinder
und seiner selbst willen, sich von seiner Frau zu tren-
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker nen. Morgens geht sie mit glasigen Augen durch die
Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wohnung. Die Kinder haben Angst, was sie als näch-
Ich gehe davon aus, daß wir uns mit dieser Materie stes tut. Manche Polstermöbel riechen irreversibel
befassen müssen. Wenn Sie erlauben, will ich Ihnen nach Erbrochenem - obgleich sie sich bemüht; nach
dazu zwei Fälle aus der jüngsten Vergangenheit aus außen hin ist ihre Contenance durchaus unauffällig.
der Praxis meiner Kollegen am Familiengericht in Bo- Glauben Sie, daß ein OLG in so einem Fall einen
chum darstellen. Do rt gibt es einen Mann, der ein- Zuweisungsbeschluß rechtfertigen würde? Aber hier
fach nicht begreifen kann - was nicht selten vor- wird eine Ehewohnung zur psychischen Folterkam-
kommt -, daß sich seine Frau endgültig von ihm tren- mer. Es ist unausweichlich, was dort geschieht. Sie
nen will. Er weigert sich einfach, zur Kenntnis zu können dort nicht die Tür hinter sich zumachen und
nehmen, daß sie eine Trennungsabsicht hat und die haben damit nichts mehr zu tun, insbesondere die
Trennung durchführen will. Kinder nicht.
Das macht er sehr konkret. Er bedient sich nicht Dieses Instrument sollte daher schärfer werden.
nur einfach aus dem Eisschrank, der in der Regel aus Denn wir alle wollen, daß Familie ein Ort ist, wo
Sicherheitsgründen nicht abschließbar ist, sondern er Menschen starten können, wo Menschen nicht ge-
setzt sich auch zu den Mahlzeiten an den Tisch, die drückt werden und in Depressionen geraten. Die Fa-
sie für sich und die Kinder bereitet hat. Dabei hat sie milie sollte diesem Bild in der Öffentlichkeit und im
vom Anwalt gehört, sie soll nicht kochen und nicht privaten Leben der Menschen entsprechen.
waschen. Trennung ist Trennung, muß Trennung
sein. Lassen Sie mich noch einen Hinweis zu unserem
Entwurf machen: Sie haben mit Recht gesagt, daß
In der Wohnung türmt sich die schmutzige Wä- die Verhältnismäßigkeit und die Zuweisungsbegrün-
sche, und es bleibt ihr, damit sie überhaupt leben detheit eher bejaht wird, wenn ein Problem über län-
kann, nichts anderes übrig, als für ihn Service zu lei- gere Zeit andauert. Aber es fehlt oft an der Substan-
sten, wohl wissend, daß sie das angesichts der Ma- tiierung.
thematik der Trennungsfristen nicht darf, und im Deswegen hat der Bundesrat in seinem Entwurf zu
übrigen auch zutiefst angewidert durch dieses Ver- Recht vorgesehen, hier nicht etwa eine Beweis-
halten. lastumkehr, aber Beweiserleichterungen zu schaf-
Die Kinder sind dabei. Sicher, sie brauchen noch fen. Denn in der Regel wird über solche Vorfälle
keine Psychotherapie, aber sie machen sich die nicht Buch geführt. M an registriert sie, und man
Spannungen ihrer Eltern zum Vorwurf gegen sich nimmt sie über eine lange Zeit hin, aber man weiß
selbst. Das ist sehr häufig bei Kindern unter zehn nicht mehr, wenn der Richter danach fragt, wie oft
Jahren zu beobachten. das passiert ist: am 26. Oktober, am 27. März, wobei
er auch noch das Zeugnis der Kinder verlangt.
Vielleicht kommen noch Drohungen oder Andeu-
Ich denke, daß die Beweiserleichterung in diesem
tungen von Selbstmord und dergleichen dazu.
Zusammenhang durchaus eine Rolle spielt, wenn wir
Das alles spielt für den Richter der zweiten In- Familie als das nehmen, was sie ist: ein Alltagsge-
stanz keine Rolle; für den Richter der ersten Instanz schehen, das ebenso wunderbar wie auch bedroh-
vielleicht. Wissen Sie, wie man sich als Richter hilft - lich, schmerzhaft und für alle, die es miterleben,
das zum Thema Straffung der Verfahren; ich habe nicht gerade von großer Attraktivität und nicht sehr
das selber gemacht, viele Kollegen handeln so -: einladend sein kann.
Man macht eine Zuweisung innerhalb der Ehewoh- Ein Allerletztes will ich noch sagen, was Sie eigent-
nung und weiß ganz genau, entweder zieht einer lich dazu veranlassen müßte, den Entwurf, den die
aus, oder der Topf kocht über. Dann kommt es zu SPD eingebracht hat, sehr ernst zu nehmen - das be-
den Szenen, die im Ergebnis den Zuweisungsan- trifft die letzte Vorschrift, die wir vorschlagen; davon
trag rechtfertigen. Das ist ein Zweistufenverfahren haben Sie nicht gesprochen -: Die Gerichte haben
und ist in aller Regel nicht billiger als ein korrektes große Schwierigkeiten, in den Fällen, wo wir es mit
Rechtsmittel. rein ausländischen Ehen zu tun haben, das Instru-
ment der Hausratsverordnung ebenso wie den
Sie haben gegen den Entwurf des Bundesrates ein-
gewandt, daß neue unbes timmte Rechtsbegriffe ge- § 1361b BGB, um den es hier geht, anwendbar zu
machen.
schaffen würden. Ich teile diese Sorge. Darum haben
wir einen Begri ff aus § 3 der Hausratsverordnung ge- Gucken Sie sich einmal an, welche Krücken die
nommen, der sozusagen schon 50 Jahre über den Rechtsprechung benutzt, wenn sie helfen möchte!
Schleifstein der juristischen Auslegungsmathematik Schauen Sie sich in der Rechtsprechung auch einmal
gegangen ist. Niemand muß sich darüber im unkla- an, welche Gerichte einfach sagen: Es ist Angelegen-
ren sein, was damit gemeint ist, auch wenn es sich heit des Gesetzgebers und nicht der Gerichte, hier
um einen wertausfüllungsbedürftigen unbestimmten rechtschöpferisch tätig zu sein. Ihnen müßte es wie
Rechtsbegriff handelt. uns vor diesem Hintergrund ein Anliegen sein, daß
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5395
Margot von Renesse
diejenigen, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit in häuser, die mit der Gewaltproblematik Tag für Tag
der Bundesrepublik Deutschland nicht nur vorüber- befaßt sind, sehen das ganz anders. Das kann ich -
gehend wohnen, in ihren familiären Bezügen ebenso Ihnen versichern.
geschützt werden, wie das bei deutschen Staatsan-
gehörigen der Fall ist. Hier wäre eine Klarstellung im BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halten an dem vorlie-
Internationalen Privatrecht dringend geboten. genden Gesetzentwurf des Bundesrates fest und hal-
ten ihn für ein geeignetes Instrument, den beschrie-
Ich hoffe - Sie haben es ja auch angedeutet -, daß benen Mißständen zu Leibe zu rücken. Der Entwurf
wir über den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion bietet die Gelegenheit zu einer ausdrücklichen ge-
sehr sorgfältig, eingehend und nicht nach dem setzgeberischen Wertentscheidung, die unserer An-
Hoppiahopp-Verfahren verhandeln werden. Ich sicht nach lauten sollte: Wir halten den Schutz von
denke, wir werden gemeinsam ein gutes Ergebnis Frauen und Kindern für einen höheren Wert als das
finden. Ziel der Aufrechterhaltung einer zerrütteten Bezie-
hung.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS) (Beifall der Abg. Christina Schenk [PDS])
Zugleich könnte ein Beitrag zur Vereinheitlichung
der Rechtsprechung geleistet werden. Durch eine
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
Beweiserleichterung sollte es den schutzsuchenden
lege Volker Beck. Ehegatten erleichtert werden, ihre Ansprüche durch-
zusetzen, statt vor Mißhandlungen zu weichen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hervorzuheben ist auch das Anliegen, nichteheli-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Re- che Lebensgemeinschaften in den Regelungsbereich
gierungskoalition wird den Entwurf eines Gesetzes einzubeziehen. Möglicherweise hätte man hierfür ei-
des Bundesrates über eine erleichterte Zuweisung nen systematisch besser geeigneten Ort finden kön-
der Ehewohnung ablehnen. Für alle be troffenen nen, um diesem Anliegen gerecht zu werden. Aber
Frauen, für alle Frauenorganisationen, die sich um die Regierungskoalition hat auch nicht die geringste
Gewaltopfer kümmern, ist das ein Schlag ins Ge- Anstrengung unternommen, sich an der Suche nach
sicht. Dabei wäre die Zustimmung zu diesem Gesetz- einer konstruktiven Lösung dieses Problems zu betei-
entwurf ein kleiner, aber dennoch sehr wich tiger ligen. Ihre ideologischen Scheuklappen in der Ehe-
Schritt, der grassierenden Gewalt in Partnerschaften politik verhindern eine sachliche Diskussion.
zu begegnen. Die Neuregelung könnte Signalwir-
kung entfalten und deutlich machen: Der Staat Für überfällig halten wir auch die Ausweitung der
schaut bei Gewalttätigkeit gegen Frauen und Kinder Beschwerdemöglichkeit. Gegenwärtig kann ledig-
in der Familie nicht untätig weg und wartet nicht, bis lich die Entscheidung über die Zuweisung der Ehe-
die Gewalt so eskaliert, daß sie vor den Strafrichter wohnung mit der Beschwerde angegriffen werden,
kommt. nicht aber die Ablehnung eines auf Zuweisung ge-
richteten Antrags. Das ist eine Ungleichgewichtung,
Wir alle wissen über das Ausmaß der alltäglichen die durch nichts zu rechtfertigen ist. Hier mit Rechts-
Gewalt in vielen Beziehungen Bescheid, einer Ge- pflegeentlastung zu argumentieren ist zynisch. Mit
walt, der insbesondere Frauen ausgesetzt sind. Uns genau dem gleichen Argument könnten Sie schließ-
allen sollte mittlerweile bewußt sein, daß Frauenhäu- lich jedes beliebige Rechtsmittel in diesem Bereich
ser notgedrungen immer häufiger zu Frauenwohn- abschaffen.
heimen werden. Die Frauenhäuser sind überfüllt mit
Frauen, die die Spannung zu Hause nicht mehr aus- Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß die Be-
halten, die Mißhandlungen in der Beziehung oder in ratung des SPD-Entwurfs mit mehr Engagement für
der Ehe entkommen wollen, die in der Flucht aus der die betroffenen Frauen und unter Einbeziehung de-
mit ihrem Ehemann oder Partner gemeinsam genutz- ren Sichtweise geführt wird, als das bei der Beratung
ten Wohnung den einzigen Ausweg sehen. Es ist ein des Entwurfs des Bundesrates jetzt der Fall war. Wir
Skandal, daß häufig das Opfer an Stelle des Täters werden auch diesen Entwurf, der viele unserer For-
die Wohnung verlassen muß. Nicht alle von Gewalt derungen aufgreift, unterstützen.
bedrohten Frauen können den Weg ins Frauenhaus
Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, daß die
finden. Viele sehen sich gezwungen, mit dem ge-
weitergehende Zielsetzung des Bundesrates noch
walttätigen Partner in der gemeinsamen Wohnung
zum Tragen kommt. Hierzu werden wir einen Ände-
auszuharren und auf das Scheidungsurteil zu warten.
rungsantrag vorlegen, Frau von Renesse. Vielleicht
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungs- können wir uns darauf verständigen.
koalition, nehmen mit Ihrer Verweigerungsstrategie Vielen Dank.
in Kauf, daß sich an diesem Zustand nichts ändert.
Sie sagen, es gebe keinen Handlungsbedarf. Diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung finde ich schlicht ignorant. sowie bei Abgeordneten der SPD und der
PDS)
Sie haben bei der Richterschaft nachgefragt, und
diese - so war zu hören - sei mit der bisherigen Rege-
lung zufrieden und gelange in der Regel zu zutreffen- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Heinz Lan-
den Ergebnissen. Die Mitarbeiterinnen der Frauen fermann, Sie haben das Wort.
5396 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Heinz Lanfermann (F.D.P.): Herr Präsident! Meine zügen Ihrer Politik, daß Sie zunächst einmal etwas
Damen und Herren! Wenn ich Sie richtig verstanden behaupten, aber keine Fakten vorbringen können.-
habe, Frau Kollegin von Renesse, wird die SPD dem Anschließend sagen Sie: Wir kümmern uns um die
Bundesratsentwurf nicht zustimmen können, weil Sie Betroffenen, die anderen sind die Bösen und Ha rt
selbst die technischen Mängel schon eingestanden -herzign,dsPoblmeichtnag.
haben.
Sie müssen bedenken, daß es sich um schwierige
Ich möchte zur Beweiserleichterung folgendes sa- Entscheidungen handelt.
gen. Es ist schon interessant, wie man dann, wenn es
einem gerade paßt und wenn es sich für die Betroffe-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lanfer-
nen gut anhört, schnell dabei ist, in unserem doch
mann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
sehr ausgewogenen System von Beweislast etwas zu
Däubler-Gmelin?
ändern. Es gibt ja nicht nur die Beweislast, sondern
es gibt auch die Beweiswürdigung. Es ist selbstver-
ständlich, daß die Richter in solchen Alltagssituatio- Heinz Lanfermann (F.D.P.): Ich möchte nur noch
nen, in Dauersituationen ihre Erkenntnisse nicht nur folgenden Satz sagen: Alles das, was Sie in einem
dann gewinnen, wenn z. B. eine be troffene Ehefrau Gerichtsverfahren für den einen tun, tun Sie gleich-
mit einer genauen, möglichst beglaubigten Liste von zeitig gegen den anderen. Die Entscheidungen ge-
Daten und Vorfällen kommt. hen ja immer zugunsten des einen und zu Lasten des
anderen. Das müssen Sie in der Abwägung berück-
Wir sollten doch Wert darauf legen, daß die Praxis sichtigen.
etwas von der Sache versteht. Das hätte ich von Ih-
nen, Frau von Renesse, am meisten erwartet, da Sie Entschuldigung, Frau Kollegin.
ja wie ich das Vergnügen hatten, als Richter tätig ge-
wesen zu sein, bevor wir hier Abgeordnete wurden. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Herr Kollege Lan-
Wir haben also gar keinen, Anlaß zu der Vermutung, fermann, mir ist folgendes nicht ganz klar. Die Ein-
do rt werde in der Regel nicht richtig gearbeitet. Das zelheiten mögen schwierig sein. Ich glaube, es ist
hatte ich von Ihnen so gar nicht erwartet. auch klar, daß wir uns gemeinsam um Gerechtigkeit
Offensichtlich wird aber schon der Beg riff der Dar- bemühen. Was haben Sie gegen den Grundsatz „Wer
legungslast verkannt. Herr Kollege Beck, wenn je- schlägt, muß gehen, und das Opfer bleibt" und des-
mand einen Gesetzentwurf vorlegt, dann obliegt es sen Verwirklichung?
ihm schon, auch die entsprechenden Daten und Fak-
ten zu liefern, damit man diesem Gesetzentwurf eine Heinz Lanfermann (F.D.P.): Ihre Frage unterstellt
Notwendigkeit zuspricht und ihm zustimmen kann. mir etwas, was so nicht richtig ist. Natürlich habe ich
nichts gegen den Grundsatz, und ich habe gerade
Das Problem besteht da rin, daß wir aus den Län-
dargelegt, daß aus den Erfahrungsberichten der Pra-
dern den Wunsch vorliegen haben, ein Gesetz zu än-
xis das Gesetz, das dies so sieht, von den Gerichten,
dern, daß aber die Länder, die sehen, was in der Pra-
die das genauso sehen, in den entsprechenden Fäl-
xis, bei den Gerichten läuft, zu der Erkenntnis kom- len genauso angewandt wird.
men, daß gar keine Änderung notwendig ist, weil die
bisherige Gesetzesformulierung zu genau dem richti- Es ist doch selbstverständlich, und es muß doch
gen Ergebnis führt, wenn die Gerichte richtig damit nicht immer gleich an den Beginn jeder Rede gesetzt
umgehen. Wenn wir hier Gesetze machen, müssen werden, daß wir alle bemüht sind, die Opfer von Ge-
wir natürlich immer voraussetzen, daß diese in der walt zu schützen - das gilt natürlich insbesondere
Praxis richtig umgesetzt werden. auch für die Kinder, die dadurch be troffen sind -, und
daß wir selbstverständlich dafür sind, daß der Rechts-
Ich weiß, daß Juristen und insbesondere Richter zustand in dieser Republik so ist, daß Leute, die sich so
immer dazu neigen, irgendwelche Fälle zu erzählen, verhalten, wie Sie das geschildert haben, natürlich
möglichst eigene; aber es ist schwierig, wenn man aus einer Wohnung ausgewiesen werden, daß wir die-
mit Einzelfällen kommt, bei denen selektiv be- ses Gefahrenpotential dann zugunsten der Opfer ver-
stimmte Punkte herausgestellt werden, und man ringern. Da sind wir uns vollkommen einig.
gleich sagt: Deswegen hat das Gericht in diesem Fall
falsch geurteilt. Dann sagt man vielleicht auch noch:
Das geschah auf Grund der Gesetzeslage, deswegen Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zu-
müssen wir das Gesetz ändern. Ich glaube, so ein- satzfrage?
fach kann man es sich nicht machen.
Wenn es bei der bestehenden Gesetzesnorm tat- Heinz Lanfermann (F.D.P.): Aber gerne.
sächlich Lücken geben sollte, müßte man dem nach-
gehen, damit man sichere Fakten hat. Diese haben Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Das Problem, das
Sie nicht geliefert. Aber ein jeder, der hier eine Ge- ich mit Ihrer Antwort habe, liegt nicht im Grundsätz-
setzesänderung verlangt, hat diese Darlegungslast. lichen, Herr Kollege Lanfermann, sondern einfach in
Es geht nicht an, eine Behauptung in die Welt zu set- der Tatsache, daß die Frauenhäuser mit geschlage-
zen, keine Fakten zu bringen, aber die anderen, die nen Frauen und ihren Kindern voll sind und eine
einer Gesetzesänderung nicht zustimmen, sozusagen Menge von Männern in Ehewohnungen sitzen, weil
vorführen zu wollen. Das ist ein bißchen im Kreis ge- die Gerichte mit dieser Problematik nicht zu Rande
dacht, Herr Kollege Beck. Es entspricht den Grund kommen. Sind Sie nicht deswegen doch der Mei-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5397
Dr. Herta Däubler-Gmelin
nung, daß die Argumenta tion mit dem Nachweis der schen, indem man auf die Landesjustizminister oder
Notwendigkeit vielleicht von Ihnen überdacht wer- auf die Gerichte verweist. Was Sie eben hier geleistet -
den sollte? haben, zeugte von einer unerträglichen Ignoranz
und Arroganz gegenüber der Situa tion von Frauen in
Heinz Lanfermann (F.D.P.): Daß Sie mit meiner Ant- den Frauenhäusern.
wo rt im Grundsätzlichen kein Problem haben, ist (Beifall bei der PDS und der SPD)
schon ein Fortschritt. Aber ich fürchte, daß Sie mir
einfach nicht geglaubt haben, obwohl ich etwas Es muß klar festgestellt werden, daß die heute zur
Richtiges gesagt habe. Diskussion stehenden Gesetzentwürfe zur Zuwei-
sung der Ehewohnung ganz unzweifelhaft eine Ver-
(Christina Schenk [PDS]: Das sagen Sie!) besserung der geltenden Rechtslage darstellen.
Aber ich will noch mal genau darauf eingehen. Sie Aber sie sind aus unserer Sicht unzureichend, und
vermischen jetzt zwei Probleme. Wenn es zuwenig deswegen haben wir einen Änderungsantrag einge-
Plätze in Frauenhäusern gibt, was wegen der Zahl reicht.
der Opfer bedauerlich genug wäre, Die Zuweisung der Ehewohnung ist notwendig,
(Ch ri stina Schenk [PDS]: Das ist nicht das wenn es zu Gewalttaten in der Ehe gekommen ist.
Problem, Herr Kollege! Darum geht es über Gewalt von Männern gegen Frauen, gerade in Bezie-
haupt nicht!) hungen, ist keine Ausnahme. Das wissen wir, und
täglich und überall findet sie statt. Frauen sind ge-
dann bitte ich Sie herzlich, an die Landesregierun- zwungen, in Frauenhäusern Schutz zu suchen. Wenn
gen, die Ihnen zum größten Teil sehr nahe stehen, Frauen dann zurück in die Wohnung wollen, in die
und an die Kommunen heranzutreten, daß mehr Umgebung also, die ihnen und ihren Kindern ver-
Plätze eingerichtet werden. traut ist, können sie bei Gericht auch nach gelten-
(Zurufe von der SPD - Margot von Renesse dem Recht schon einen Antrag auf Zuweisung der
[SPD]: Aha! Die Frauen müssen gehen!) Ehewohnung stellen. Sie müssen dann, habe ich mir
sagen lassen, ein medizinisches Gutachten vorlegen,
Aber das hat nichts damit zu tun, wie man in einem das praktisch beweist, daß sie dieser Gewalt ausge-
Einzelfall eine richtige Entscheidung trifft, was mit setzt gewesen sind.
der Belegung einer Wohnung geschieht. Das sind
doch zwei völlig verschiedene Dinge. Das können Eine Frauenhausmitarbeiterin in Frankfurt/Oder
Sie nicht einfach vermischen und sagen, es be- hat zu mir gesagt, die Frau sollte den Kopf schon un-
stünde, weil in der Politik vielleicht hier und da ter dem Arm tragen, damit die Härtefallklausel aner-
falsch oder schlecht gehandelt wird, an einer ande- kannt wird. Das muß anders werden. Es kann nicht
ren Stelle Gesetzgebungsbedarf, damit man da entla- angehen, daß die Frauen die Beweislast tragen und
stet wird. Das ist das Problem der Verwechslung tat- damit rechnen müssen, daß ihre Glaubwürdigkeit
sächlicher Politik, die in Ordnung sein muß, mit Ge- angezweifelt wird und daß es so ist, wie es ist, daß
setzgebungsverfahren, die natürlich das tun müssen, eben statt der Täter die Opfer sich rechtfertigen müs-
was richtig ist. sen.
Ich wiederhole noch einmal: Sie glauben offen- Diese Gesetzeslage und die Praxis - das müssen
sichtlich den eigenen Landesregierungen nicht. Sie auch Sie zur Kenntnis nehmen - begüns ti gt gewalttä-
glauben offensichtlich den Richtern nicht, die aus ih- tige Männer. Sie bleiben in der gemeinsamen Woh-
rer täglichen Arbeit, aus ihrer Praxis - nicht, weil es nung, während die Frauen mit ihren Kindern in die
ihnen gefällt oder weil sie zufrieden sind - berichtet überfüllten Frauenhäuser flüchten müssen. Der Woh-
haben, daß sie das bestehende Gesetz in den Fällen, nungsmarkt und häufig auch die schwierige finan-
die Sie meinen, genauso auslegen, wie Sie es wollen. zielle Situation machen es Frauen oft unmöglich, sich
Man fragt sich wirklich, wo da noch der Bedarf ist. eine eigenständige Existenz aufzubauen.
Gleichwohl werden wir selbstverständlich Ihren In den Gesetzentwürfen des Bundesrates und auch
Antrag, der heute in den Ausschuß überwiesen wird, der SPD ist davon die Rede, daß die Belange des an-
mit aller Gründlichkeit und mit allem E rn st beraten. deren Ehegatten berücksichtigt werden müssen. Ich
denke, das darf keine Rolle spielen. Ich möchte es
Vielen Dank. ganz deutlich sagen: Dem Täter kann eine auf Grund
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der Wohnungszuweisung an die Ehefrau eventuell
ten der CDU/CSU - Dr. Herta Däubler notwendig werdende Unterbringung in einer Ob-
Gmelin [SPD]: Das ist doch wenigstens et dachlosenunterkunft eher zugemutet werden als der
was!) mißhandelten Frau der Notaufenthalt in einem Frau-
enhaus. Das heißt, die Mißhandler müssen aus der
Wohnung ausgewiesen werden können, damit
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- Frauen und Kindern ihr gewohntes Umfeld erhalten
gin Christina Schenk. bleibt, wenn sie es wollen. Das Recht auf Nutzung
der Wohnung darf nicht erschwert werden, z. B.
Christina Schenk (PDS): Herr Präsident! Meine Da- durch Auflauern vor der Wohnung oder in der nähe-
men und Herren! Herr Lanfermann, was Sie eben ge- ren Umgebung oder durch die Androhung von Ge-
sagt haben, hat sich genau nicht an der Realität walt und ähnlichem. Das heißt, es muß möglich sein,
orientiert, und das kann man auch nicht wegwi eine Bannmeile zu verhängen. In diesem Zusammen-
5398 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Christina Schenk
hang sind noch weitere Maßnahmen notwendig, auf Deshalb tun wir uns überhaupt nicht schwer damit,
die ich hier nicht eingehen kann. Ich denke, wir soll- die Beschlußempfehlung dieses Ausschusses aufzu--
ten uns in dieser Hinsicht durchaus an der Ban-and- greifen. Ich habe schon entsprechende Gespräche,
go-Order in Kalifornien orientieren, die dafür sehr auch mit meiner Kollegin Frau Nolte, geführt. Wir
weit reichende Maßnahmen vorsieht. Gewalttätigen werden in Kürze einen Auftrag vergeben, um zu
Ehemännern wird dort bei Androhung einer hohen noch klareren Erkenntnissen und zu noch konkrete-
Geldstrafe die Kontaktaufnahme verboten, und sie ren Angaben zu kommen, was die Rechtstatsachen
müssen die gemeinsame Wohnung verlassen. für dieses Gesetzgebungsvorhaben angeht. Dann
werden wir uns - dies kann ich berechtigt in Aus-
Ich komme zum Ende. Gewalt gegen Frauen muß sicht stellen - in großer Ruhe und sehr sachlich mit
öffentlich geächtet und auch eindeutig sanktionie rt
den gemachten Vorschlägen beschäftigen.
werdn.DiGstzgbumßenidtsS-
gnal an die Polizei, die Staatsanwälte und die Richter Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen. Der
geben. Es müssen gesetzliche Regelungen gefunden SPD-Antrag greift einen Vorschlag aus dem Bundes-
werden - das ist unsere Aufgabe -, die den Schutz ratsentwurf nicht auf, nämlich diese Regelung auf
von Frauen gerade in der hier diskutierten Situation nichteheliche Lebensgemeinschaften auszudehnen.
gewährleisten können. Ich glaube, dies geschieht aus sehr guten Gründen.
Vielen Dank. Bei der Entscheidung der Zuweisung der Wohnung
ist es ein wesentlicher Unterschied, ob es sich um
(Beifall bei der PDS) eine Familie, also ein Ehepaar, eventue ll auch mit
Kindern, handelt oder ob zwei Menschen zusammen-
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wo rt der leben, die nicht verheiratet sind. Deshalb muß man
Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser diesen Unterschied, der gerade bei der Zuweisung
Schnarrenberger. der Wohnung besteht - die Zuweisung bei Nichtver-
heirateten bedeutet nämlich Trennung, Auseinan-
dergehen, und danach gibt es nichts mehr -, sehr
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- wohl bei diesen Beratungen berücksichtigen.
nisterin der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Uns beschäftigt ein gemeinsames Ziel. Es ist nicht richtig, wenn Sie, Herr Beck, sagen, da-
Es gibt zwei Entwürfe und, wenn ich die Beschluß- durch, daß dieser Vorschlag gar nicht ernsthaft auf-
empfehlung des Rechtsausschusses hinzunehme, genommen werde, werde deutlich, daß man nicht
eigentlich drei Meinungen. A ll es, was über hand- sehe, daß es eventuell in bestimmten Bereichen Not-
werkliche und technische Mängel des Bundesrats- wendigkeiten gibt, Nachteile, die nichteheliche Le-
entwurfes gesagt werden muß, ist meiner Meinung bensgemeinschaften be treffen, zu beseitigen. Man
nach von den Vorrednern schon ausgeführt worden. sollte sich dann aber wirklich die richtigen Gelegen-
Deshalb sind die Regierung und die Koalitionsfrak- heiten aussuchen und nicht hier versuchen, das an
tionen der Auffassung, diesen Gesetzentwurf, so wie ein solches Gesetzgebungsverfahren anzuhängen.
es der Rechtsausschuß empfiehlt, abzulehnen.
Die SPD hat einen neuen Entwurf vorgelegt. Die Vizepräsident Hans Klein: Frau Bundesministerin,
Vorredner haben deutlich gemacht, daß der Wille, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin von
sich mit diesem Gesetzentwurf sehr ernsthaft und Renesse?
sehr intensiv auseinanderzusetzen, eindeutig vor-
handen ist. Das heißt nicht, daß man dann einfach
zur Tagesordnung übergeht und bekannte Argu- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi-
mente, die zu einem anderen Entwurf vorgetragen nisterin der Justiz: Ja.
worden sind, nur wiederholt.
Aber wir können die Augen auch nicht davor ver- Margot von Renesse (SPD): Wollen Sie, Frau Mini-
schließen, daß auch die Praxis ein Votum abgibt. sterin, mir erlauben, zur Klarstellung darauf hinzu-
Wenn wir die Praxis und damit gerade auch die Rich- weisen, daß die Nichtaufnahme der nichtehelichen
ter nicht befragen würden, würde man uns zu Recht Lebensgemeinschaft in diese Regelung nicht so sehr,
Unterlassen vorwerfen. Da haben wir - auch das ist wenn auch ein wenig, auf systematischen Bedenken
in der Debatte heute schon gesagt worden - größte beruht, die Sie gerade vorgetragen haben, sondern
Zurückhaltung gegenüber Änderungen des gelten- einfach auf dem praktischen Hintergrund, daß der
den Rechtes zu hören bekommen. Das können wir § 1361 b eine vorläufige Regelung für Ehegatten dar-
nicht einfach beiseite wischen. Aber damit ist für stellt und seine Übertragung auf Nichtverheiratete
mich noch nicht das Ende der Diskussion erreicht, zwangsläufig eine endgültige mit sich führen müßte,
und damit gebe ich mich nicht zufrieden. wofür er nicht gemacht ist?
Deshalb habe ich den Vorschlag aufgegriffen, den
der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Ju- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi-
gend des Bundestages gemacht hat, durch Prüfen nisterin der Justiz: Ich kann das nur bestätigen, Frau
von seiten des Justizministeriums noch mehr Klarheit von Renesse. Auch ich hatte gerade eben gesagt, daß
über die notwendigen Rechtstatsachen zu bekom- das Getrenntleben bei Nichtverheirateten gleichbe-
men. Das ist für jede vernünftige und seriöse Gesetz- deutend mit dem endgültigen Auseinandergehen ist.
gebung richtig und notwendig. Wenn wir dies nicht Von daher haben wir hier wirklich eine unterschiedli-
täten, würde uns die Opposi ti on zu Recht kritisieren. che Situa tion.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5399
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Deshalb ist es wichtig, daß wir uns mit den wesent- unter perfider Ausnutzung therapeutischer Macht -
lichen Punkten des Anliegens und des gemeinsamen darum geht es - ist leider kein Einzelfall, sondern -
Ziels, das wir verfolgen, beschäftigen. Ich hoffe, daß kommt jährlich viele Hunderte Male vor. Sexueller
uns das auf der Grundlage von weiteren Erkenntnis- Mißbrauch in der Therapie ist eine subtile Form
sen gemeinsam in der gebotenen Sachlichkeit mög- schleichender Vergewaltigung, bei der sich die Ge-
lich sein wird. walt als Hilfe tarnt und der Vergewaltiger als Arzt
oder Therapeut. Das ist mehr als therapeu ti sches
Vielen Dank. Versagen. Das ist ein heimtückischer Überfall, der
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne schwer verletzt, anstatt zu heilen.
ten der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- Die Folgen sind massive Traumatisierungen, die zu
sprache. unheilbaren Depressionen, emotionaler Erstarrung,
psychosomatischen Schmerzzuständen, Drogen- und
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Alkoholabhängigkeit oder Suizidgefahren führen
wurf des Bundesrates über die erleichterte Zuwei- können.
sung der Ehewohnung auf Drucksache 13/196.
Natürlich ist all das, wenn es in der Therapie er-
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der folgt, standeswidrig. Es kann auch zivilrechtliche
PDS auf Drucksache 13/2738 vor, über den wir zuerst
Schmerzensgeldforderungen auslösen. Strafrechtlich
abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? -
fällt es unter Beleidigung und häufig auch unter Kör-
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsan- perverletzung. Solche Folgen aber treffen nicht den
trag ist abgelehnt.
wirkli chen Unrechtsgehalt, der durch die sexuelle
Wir kommen zum Gesetzentwurf des Bundesrates. Ausnutzung einer besonderen Abhängigkeit geprägt
Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ ist. Die allgemeinen Straftatbestände sind nur eine
1251, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über kriminalpolitische Krücke, kein wirksamer Schutz-
den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache schild.
13/196 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Der kriminalpolitische Handlungsbedarf ist so gut
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der wie unbestritten. Die auf Anregung Hamburgs ent-
Stimme? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung standene Initiative des Bundesrates wi ll einen Schutz
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord- in allen Behandlungsverhältnissen, die der Erken-
nung die weitere Beratung. nung, Heilung und Linderung körperlicher oder see-
lischer Leiden dienen. Die Bundesregierung will zag-
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Ge- hafter vorgehen. Sie will den Schutz nur in einem
setzentwurfs der Fraktion der SPD auf Drucksache Teilbereich von therapeutischen Behandlungsver-
13/2500 an die in der Tagesordnung aufgeführten hältnissen gewähren.
Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vor-
schläge? - Dies ist nicht der Fall. Darm ist die Über- Sicherlich ist sexueller Mißbrauch im Bereich der
weisung so beschlossen. Psychotherapie und Psychiatrie eine besonders
schwere und verwerfliche Form. Für diesen Bereich
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: liegen auch Forschungsergebnisse vor, die eine
schreckliche Sprache sprechen. Wenn es für andere
Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Bereiche noch keine zuverlässigen Daten gibt, so
brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Än- liegt es daran, daß noch keine angemessene For-
derung des Strafgesetzbuches (... StrAndG) schung durchgeführt worden ist. Das aber heißt
- Drucksache 13/2203 - nicht, daß es dort keine gravierenden Mißbrauchsri-
Überweisungsvorschlag : siken gibt und aktuell kein Handlungsbedarf be-
Rechtsausschuß (federführend)
steht.
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit Im Gegenteil: Körperliche und seelische Leiden
sind eng miteinander verzahnt; Psychosomatiker wis-
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die sen dies. Nur körperliche oder nur seelische Leiden
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dage- gibt es fast nie. Jedes starke Leiden kann zu einer
gen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so be- Abhängigkeit von Arzt oder Heilpraktiker führen.
schlossen. Eine seelische Erkrankung mit körperlichen Sympto-
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Sena- men kann auch dann die Grundlage für sexuellen
tor der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Mißbrauch bieten, wenn der Therapeut nur das kör-
Hamburg, Professor Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem, perliche Symptom kurieren soll. Wer zusätzlich die
das Wort. Spannbreite zwischen Allgemeinmedizin, Psychothe-
rapie und Verhaltenstherapie, von den Außenseiter-
behandlungsmethoden bis hin zur Scharlatanerie,
Senator Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem (Hamburg): einkalkuliert, der muß, so meine ich, einen weiten
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spre- Schutzbedarf erkennen.
che als Mann zu Ihnen, um Schutz vor einem Delikt
einzufordern, bei dem 80 % der Täter männlich und Gerade bei den unkonven ti onellen Behandlungs-
die Opfer meist Frauen sind. Sexueller Mißbrauch methoden können die Patienten besonders schwer
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5401
Horst Eylmann
Nun will ich gerne einräumen, daß zuweilen die nen Interesses der Therapeuten, ihre Praktiken öf-
Behandlung körperlicher oder seelischer Leiden fentlich zu machen, und zum anderen wegen des-
nicht streng voneinander getrennt werden kann. Ob Verdrängungs- und Verleugnungsprozesses bei den
wir auf der anderen Seite, um ein Beispiel zu wählen, betroffenen Frauen, die schweigen und ihre
eine Strafvorschrift brauchen, wenn eine Patientin schmerzhaften Enttäuschungen und beschämenden
dem stahlblauen Blick ihres Zahnarztes nicht wider- Erfahrungen für sich behalten. Erst in den letzten
stehen kann, das ist zumindest fraglich und sollte in Jahren ist der sexuelle Mißbrauch in der Therapie
den Beratungen im Rechtsausschuß näher behandelt durch Einzelfallberichte stärker in das Bewußtsein
und thematisiert werden. der Öffentlichkeit gerückt. Inzwischen haben sich
auch die meisten Berufsverbände dieses Themas an-
Wir stehen - dies als Abschlußbemerkung - vor ei-
genommen.
ner Neuregelung der Vergewaltigung und der sexu-
ellen Nötigung, also vor einer Neuregelung in den Mit der seit August 1995 vorliegenden Studie des
§§ 177 und 178 StGB. Eigentlich wäre es sehr schön, Freiburger Ins ti tuts für Psychotraumatologie
wenn wir in diesem Zusammenhang auch eine neue
Vorschrift für den sexuellen Mißbrauch im Rahmen (Norbe rt Geis [CDU/CSU]: Was ist denn
von Therapieverhältnissen mit erledigen könnten. das?)
Ob das zeitlich noch möglich ist, vermag ich nicht si- - sie ist hier schon angesprochen worden - liegt jetzt
cher zu beurteilen, aber der innere Zusammenhang auch für unseren Bereich erstmals ein umfassender
ist sicherlich gegeben. Wir könnten dann diese bei- Forschungsbericht vor, der für die weitere Diskus-
den Themenkreise gemeinsam abschließen. sion, denke ich, sehr hilfreich sein kann. Diese Stu-
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. die beweist, daß wir es, zumindest für den Bereich
der Psychotherapie, nicht nur mit einigen wenigen
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) spektakulären Einzelfällen zu tun haben. Unter Ein-
beziehung aller Therapieformen geht die Studie auf
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin E rika Grund einer vorsichtigen Schätzung von mindestens
Simm, Sie haben das Wo rt . 600 Be troffenen pro Jahr aus; es sind vorwiegend
Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe in einer The-
rapie werden.
Erika Simm (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Was bedeutet das für die Frauen? Sie, die in einer
Kollegen! Der Gesetzentwurf des Bundesrates, der Therapie Hilfe suchen, überantworten sich in einer
uns heute in erster Lesung beschäftigt, greift ein seelischen Notlage einem Psychotherapeuten, also
Thema auf, das in Deutschland eigentlich erst in jün- einem professionellen Helfer. Sie begeben sich damit
gerer Zeit nennenswerte Beachtung gefunden hat. in ein besonderes Abhängigkeits- und Vertrauens-
Bis vor kurzem gehörte der sexuelle Mißbrauch in verhältnis, das notwendig ist, damit psychotherapeu-
der Therapie, jedenfalls bei uns - in den USA disku- tische Behandlung überhaupt stattfinden kann. Die
tiert man darüber schon länger -, zu den sogenann- Ausnutzung dieses Vertrauensverhältnisses zur Auf-
ten Tabuthemen. nahme sexueller Kontakte hat für die Patientinnen
schwerwiegende Folgen in Form gravierender Per-
Daß dies so war, hat viele Gründe. Der wohl wich-
sönlichkeitsstörungen wie Ängsten, depressiven
tigste liegt darin, daß bis in die jüngste Vergangen-
Verstimmungen bis hin zu Selbstmordabsichten,
heit weder in der Öffentlichkeit noch in der Fachwelt
Schuld- und Schamgefühlen und der massiven Er-
ein ernsthaftes Problembewußtsein für dieses Thema
schütterung ihres Selbstwertgefühles. Die Gefahr, in
vorhanden war. Es herrschte die Vorstellung von der
den Alkoholismus abzugleiten, nenne ich da noch
Patientin vor, die entweder den Therapeuten verführt
zuletzt.
oder sich ihm in naiver, schwärmerischer Hingabe so-
zusagen anbietet. Es wurde dabei übersehen, daß al- Angesichts dieser erheblichen Störungen bei den
lein der Therapeut die Verantwortung für die Grenz- Opfern stellt die Freiburger Studie fest, daß sexuelle
verletzungen in der Therapie trägt und Patientinnen Beziehungen in Psychotherapie und Psychiatrie eine
in keinem Fall für sexuelle Übergriffe des Therapeu- tiefgreifende traumatische Erfahrung darstellen. Alle
ten mitverantwortlich zu machen sind. verquasten Phantasien von einer „Liebestherapie",
Sexuelle Beziehungen gehören zu keiner Art von die den Patientinnen durch „gesunden Gebrauch der
Behandlung. Nicht von ungefähr stellen denn auch Sexualität" angeblich zur „vollen Liebesfähigkeit"
eine Reihe von Berufsverbänden der Psychothera- verhelfen soll, sind damit ad absurdum geführt. Es
peuten und der Psychologen in einem gemeinsamen geht schlicht und einfach um die sexuelle Ausbeu-
Positionspapier sehr deutlich fest: tung des besonderen Vertrauensverhältnisses zwi-
schen Therapeut und Patientin.
Jede Aufnahme einer sexuellen Beziehung im
Rahmen einer Psychotherapie ist ein gravieren- Die Frage, ob wir eine neue Strafbestimmung
der Kunstfehler mit nicht absehbaren, oft kata- brauchen, die den sexuellen Mißbrauch in Therapie-
strophalen Konsequenzen für die Behandelten. verhältnissen zum Gegenstand hat, haben wir bereits
in der letzten Legislaturpe riode begonnen zu disku-
Ein weiterer Grund für die Tabuisierung dieses tieren. Durch die geltenden Regelungen werden je-
Problems war und ist immer noch die Sprachlosig- denfalls nicht alle Sachverhalte abgedeckt, um die es
keit auf beiden Seiten der Beteiligten, zum einen we- hier geht. Die §§ 177 und 178 StGB, Vergewaltigung
gen des aus naheliegenden Gründen nicht vorhande und sexuelle Nötigung, setzen Gewaltanwendung
5400 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Senator Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem (Hamburg)


erkennen, wo die Zone des Therapeu tischen endet nicht für ausgeschlossen, daß sogar die Gefahr be-
und die der sexuellen Perfidie beginnt. steht, daß es eine Zunahme dieser Fälle gibt. Wir wis-
sen, daß bei psychischen Störungen und Belastungen
Natürlich ist das Anliegen der Bundesregierung le- immer häufiger ärztliche Hilfe, die Hilfe von Psycho-
gitim, für eine hinreichend bestimmte Umschreibung
therapeuten in Anspruch genommen wird. Hier
des Tatbestandes zu sorgen. Möglicherweise kann
steigt also die Zahl der Behandlungen. Wir wissen
man da noch etwas nachbessern. Dafür aber ist es auch, daß häufig bei Personen Hilfe gesucht wird,
nicht notwendig, den Tatbestand auf Übergriffe bei die eher den Scharlatanen zuzurechnen sind als den
der Behandlung seelischer Leiden zu beschränken. Ä rzten. Wir glauben zu wissen - ich will das sehr vor-
Andere und weitere Mißbrauchsfälle werden ganz sichtig formulieren -, daß die Hemmschwellen für se-
bestimmt schon sehr schnell ruchbar werden. Man
xuelle Übergriffe allgemein wohl niedriger geworden
denke nur an die Behandlungsmethoden des Scien- sind.
tology-Imperiums.
Soll nicht schon bald eine weitere Novellierung Von der Zahl kann man nicht als von einer Baga-
notwendig werden - dabei unterstelle ich, daß die telle reden, und man kann es natürlich erst recht
eng gefaßte Novellierung auf jeden Fall verabschie- nicht von der Schwere des Delikts und von den
det wird -, muß das Gesetz von vornherein das ge- schlimmen Folgen für die betroffenen Opfer, meist
samte Mißbrauchspotential umfassen. Es geht um ein Frauen. Ich will nicht das wiederholen, was der ham-
Signal, das allen potentiellen Opfern Mut macht und burgische Justizsenator eben ausgeführt hat.
das laut genug ist, um in alle sozialen Räume der In einem Teil der Fälle greifen andere Strafvor-
Heilbehandlung zu dringen, in denen das besondere schriften. Wird Gewalt angewendet oder wird mit
Vertrauen, die Überlegenheit ausgenutzt wird, in de- Drohungen gearbeitet - das ist zuweilen auch der
nen die Hoffnung auf Heilung zu sexuellem Miß- Fall -, dann ist der Tatbestand der Vergewaltigung
brauch pervertiert wird. erfüllt. Es spricht einiges dafür, daß dieser Tatbe-
Auch und gerade wir Männer schulden den Op- stand demnächst ergänzt wird um eine weitere Vari-
fern wirkungsvollen Schutz. Seien Sie, Männer und ante, das Ausnutzen einer hilflosen Lage. Liegt eine
Frauen, mit den Tätern im Verborgenen bitte nicht Widerstandsunfähigkeit vor - zuweilen wird mit dem
zimperlich. Unterstützen Sie die Ini tiative des Bun- Hilfsmittel der Narkotisierung gearbeitet -, dann
desrates! greift § 179 StGB.
Vielen Dank. Aber es bleiben ganz ohne Zweifel Fälle, in denen
keine anderen Strafvorschriften erfüllt sind. Für
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
diese Fälle brauchen wir in der Tat - darüber be-
DIE GRÜNEN)
steht im Grundsatz Übereinstimmung zwischen Bun-
destag und Bundesrat - eine ergänzende Strafvor-
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- schrift. Dafür spricht im übrigen auch, daß wir für
lege Horst Eylmann. andere Abhängigkeitsverhältnisse Strafnormen ha-
ben, die diejenigen, die sich in diesem Abhängig-
Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine keitsverhältnis in untergeordneter Stellung befin-
sehr verehrten Damen und Herren! Da ich Ihnen den, besonders schützen. Wir haben im § 174 StGB
meine Stimme in der gegenwärtigen Verfassung den sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen ge-
nicht so lange zumuten möchte und ich auch nicht regelt. Ich nenne nur das Verhältnis zwischen Leh-
weiß, wie lange sie noch hält, will ich mich auf einige rern und Schülerinnen, Ausbildern und Lehrlingen.
wenige Anmerkungen beschränken. Zuweilen ist Wir haben im § 174 a eine Schutzvorschrift gegen
der Zwang zur Kürze auch ganz nützlich. den sexuellen Mißbrauch von Gefangenen, behörd-
lich Verwahrten und Kranken in Anstalten. Und wir
Wenn man mit einem Gesetzentwurf zu tun hat, ist haben in § 174b eine Schutzvorschrift gegen den se-
die erste Frage, ob es denn notwendig sei, neue Vor- xuellen Mißbrauch unter Ausnutzung einer Amts-
schriften zu schaffen. Auf Neuhochdeutsch heißt es: stellung.
Besteht ein Handlungsbedarf? Wir lesen von Zeit zu
Zeit in der Boulevardpresse, entsprechend aufberei- Es liegt nun durchaus nahe, die Erfahrungen, die
tet für den Voyeurismus in der Gesellschaft, von Fäl- wir mit diesen Vorschriften gesammelt haben, insbe-
len, in denen meist Frauen von Ärzten sexuell belä- sondere mit der Begriffsbestimmung, mit der auch in
stigt worden sind, sogar vergewaltigt worden sind. diesen Vorschriften gearbeitet wird, hier zu verwen-
Es handelt sich um Patientinnen, die diese Ärzte auf- den. Mir scheint überlegenswert zu sein, auch in der
gesucht haben. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Be- neu zu schaffenden Vorschrift den Beg riff des Miß-
handlungen handelt es sich natürlich um Einzelfälle, brauchs einzuführen, der in allen anderen Vorschrif-
die sich auch summieren können. ten enthalten ist.
Nun braucht man sich nicht auf die Boulevard- Es ist schon die Rede davon gewesen, daß die Bun-
presse zu verlassen. Es gibt seriösere Zahlen. Es gibt desregierung dazu neigt, den Kreis der erfaßten Be-
auch eine Untersuchung des Instituts für Psycho- handlungsverhältnisse etwas enger zu fassen als der
traumatologie, die vom Bundesrat zitiert wird. Es ist Bundesrat. Do rt sind alle Behandlungsverhältnisse
dort von schätzungsweise 600 Fällen im Jahr die erfaßt, die sich auf das Erkennen, die Heilung oder
Rede. Das ist eine Schätzung. Es können natürlich die Linderung körperlicher oder seelischer Leiden er-
weniger, es können auch mehr sein. Ich halte es strecken.
5402 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Erika Simm
oder Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben voraus, haben - die Verjährung bei einem solchen neu zu
deren es beim sexuellen Mißbrauch in Therapiever- schaffenden Tatbestand diskutieren müssen. Gerade
hältnissen auf Grund des zwischen Therapeuten und das besondere Abhängigkeits- und Vertrauensver-
Patientin bestehenden besonderen Vertrauens- und hältnis zwischen Therapeuten und Patientinnen bzw.
Abhängigkeitsverhältnisses gerade typischerweise Patienten begründet meiner Meinung nach Überle-
nicht bedarf, um das Opfer zur Aufnahme oder zur gungen, ob nicht auch in diesen Fällen eine erhebli-
Duldung sexueller Handlungen zu veranlassen. che Hemmschwelle besteht, alsbald nach der Tat An-
zeige zu erstatten, und ob dadurch nicht Veranlas-
Die Voraussetzungen des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB, sung gegeben ist, im Gesetz ein Ruhen der Verjäh-
sexueller Mißbrauch Widerstandsunfähiger, der in rung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, der sicher
diesem Zusammenhang auch immer genannt wird, nicht einfach zu definieren sein wird, vorzusehen.
werden in aller Regel gleichfalls nicht erfüllt sein,
weil das Krankheitsbild der Patientinnen, um die es Ich könnte mir auch vorstellen, daß wir diesen
hier geht, in der Regel den hier genannten Tatbe- Komplex gemeinsam mit der nun offenbar möglichen
standsmerkmalen nicht entspricht. Unterstrafestellung der Vergewaltigung in der Ehe
Der § 174 StGB, sexueller Mißbrauch von Schutz- diskutieren. Ich wünsche mir allerdings, daß das
nicht zu einer Verzögerung der neuen Strafbestim-
befohlenen, schließt nur den Mißbrauch von Perso-
mung zur Vergewaltigung führt. Wenn das der Fall
nen unter 16 bzw. 18 Jahren ein. § 174a StGB, der
sich u. a. auf den sexuellen Mißbrauch von Kranken sein sollte, weil wir bei der jetzt zu behandelnden
Materie einen sehr hohen Beratungsbedarf haben
in Anstalten bezieht, erfaßt nichtambulante Behand-
bzw. die Meinungen so weit auseinandergehen, daß
lungsverhältnisse.
wir nicht alsbald zu einer gemeinsamen Regelung
Somit besteht eine Strafbarkeitslücke für ambu- kommen können, plädiere ich dafür, daß wir beide
lante Therapieverhältnisse und für erwachsene Op- Komplexe getrennt beraten.
fer. Mehrheitlich wird heute das Bedürfnis nach einer
altersunabhängigen Strafnorm, zumindest für den Ich bedanke mich.
Bereich der Psychotherapie, bejaht.
(Beifall bei der SPD)
Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates,
über den wir heute reden, der die Schaffung einer
neuen, selbständigen Strafnorm, eines § 174 c StGB, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Volker
vorsieht, ist insofern verdienstvoll, als er den Anstoß Beck, Sie haben das Wort.
gibt, alsbald zu einer gesetzlichen Regelung zu kom-
men. Allerdings - jedenfalls ist das meine Einschät- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
zung - wirft dieser Vorschlag auch eine Reihe von Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bun-
Problemen auf, die wir im weiteren Verfahren inten- desratsentwurf, den wir heute beraten, nimmt sich ei-
siv werden diskutieren müssen. ner Problematik an , vor der der Gesetzgeber die Au-
Das beginnt mit der Fassung des Tatbestandes - gen bislang verschlossen hat. Die Initia tive geht auf
dies ist schon angesprochen worden -, wonach der eine Diskussion in Bundestag und Bundesrat aus der
sexuelle Mißbrauch in jedem Behandlungsverhältnis, letzten Wahlperiode zurück. Anlaß war damals die
das der Erkennung, Heilung oder Linderung körper- Rechtsangleichung im Jugendsexualstrafrecht.
licher oder seelischer Leiden dient, unter S trafe ge-
stellt wird. Darunter fallen auch alle organmedizini- Im Gegensatz zu dem überflüssigen § 182 StGB
schen Behandlungen, ohne Bewe rtung der Intensität geht es hier um eine massive Verletzung des sexuel-
des mit ihnen verbundenen Vertrauensverhältnisses. len Selbstbestimmungsrechtes. Das Anliegen des
Ich denke, wir müssen jedenfalls darüber reden, ob vorliegenden Entwurfes verdient unsere volle Unter-
es sachgerecht ist, diese Regelung so zu fassen. Denn stützung. Diejenigen, die sich mit der Bitte um Hilfe
gerade die Ausbeutung des Vertrauensverhältnisses in bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse begeben
durch den Therapeuten macht in diesem Zusammen- haben, müssen auch strafrechtlich vor der Ausnut-
hang den eigentlichen Strafbedarf aus. Wir müssen zung dieser Verhältnisse zu sexuellen Handlungen
deswegen prüfen, ob wir auf die tatbestandliche geschützt werden.
Anknüpfung an das Vorliegen eines besonderen Opfer des sexuellen Mißbrauchs in therapeuti-
Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnisses ver- schen Beratungsverhältnissen sind in allererster Li-
zichten können. Es gibt ja auch die Tendenz - so nie Frauen, deren männliche Therapeuten die beson-
habe ich die Stellungnahme der Bundesregierung dere Situa tion des Therapieverhältnisses zur Vor-
verstanden -, nur psychotherapeutische Behand- nahme sexueller Kontakte ausnutzen.
lungsverhältnisse zu erfassen.
In den letzten Jahren gab es aber auch Hinweise
Ich meine, wir müssen darüber reden - das sagt
auf Übergriffe auf Männer in der Therapie. Auch aus
auch die Studie -, wie lange der strafrechtliche
dem seelsorgerischen Bereich werden vermehrt
Schutz in bezug auf die Behandlungsdauer gelten
Übergriffe bekannt. Dabei fehlt es zudem oftmals am
soll. Es ist vorgeschlagen: ein Jahr darüber hinaus,
nötigen Unrechtsbewußtsein, so z. B. bei denjenigen
allerdings mit einer Beschränkung für die Behand-
Dienstherren, die aus Scheu vor der Öffentlichkeit
lungsverhältnisse.
die Taten lieber zudecken und verschleiern, als sie
Wir werden auch noch über - anknüpfend an das, anzuzeigen. So werden die Opfer ein zweites Mal
was wir in der letzten Legislaturpe riode diskutiert viktimisiert.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5403
Volker Beck (Köln)
Die besondere Verwerflichkeit sexueller Kontakte Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
während therapeu tischer Verhältnisse und seelsorge- lege Heinz Lanfermann. -
rischer Gespräche liegt in der krassen Ausnutzung
des Vertrauens, welches die Rat-. und Hilfesuchen-
den, die Patientinnen und Pa tienten, denjenigen ent- Heinz Lanfermann (F.D.P.): Herr Präsident! Meine
gegenbringen, die professionelle Hilfe anbieten. Die sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren
Hilflosigkeit und psychische Abhängigkeit der Men- heute einen Gesetzentwurf des Bundesrates zur
schen, die ihre persönlichen Probleme als Gläubige, Schließung einer - dies ist zu Recht so gesagt wor-
Patientinnen und Patienten offenbaren, wird aus ei- den - Strafbarkeitslücke im Sexualstrafrecht. Die vor-
gennützigen Motiven mißbraucht. geschlagene neue Strafnorm des § 174 c des Strafge-
setzbuches, sexueller Mißbrauch in der Therapie, ist
Die tiefgreifenden seelischen Schäden, die den eine Spezialnorm zur Pönalisierung des Mißbrauchs
Betr offenen durch diese Art von Übergriffen erwach- von Behandlungsverhältnissen.
sen, hat das Ins titut für Psychotraumatologie in sei-
nem Bericht eindringlich verdeutlicht, der im Auf- Der Kollege Eylmann hat hier schon sehr umfas-
trag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, send dargestellt, wo der Reformbedarf liegt. Er hat
Frauen und Jugend erstellt wurde. Die Tatsache, auch dargestellt, daß wir gerade in der Diskussion
daß es sich hierbei keineswegs um Einzelfälle han- um eine umfassende Neuregelung, ja Reform des Se-
delt, muß heutzutage als wissenschaftlich gesichert xualstrafrechts sind, in der sicherlich auch einige
gelten. Das Ins titut geht von einer Minimalschät- Überschneidungspunkte gegeben sind. Auch ich
zung von 600 Fällen pro Jahr aus. Andere Untersu- fände es sehr gut, wenn wir das vielleicht im Zusam-
chungen weisen noch weitaus höhere Fallzahlen menhang diskutieren könnten. Es wäre schön, wenn
auf. Angesichts dieser Zustände kann gesetzgeberi- man dies einheitlich zum Abschluß bringen könnte.
scher Handlungsbedarf nicht in Abrede gestellt wer- Es besteht ja nicht nur bei dieser Norm - das hat die
den. Debatte schon ergeben -, sondern auch insgesamt -
bis auf die eine oder andere hochinteressante und
Die geltenden Strafnormen sind nicht in der Lage,
noch strittige Frage - eine große Einigkeit in diesem
auf die besondere Verwerflichkeit dieser Taten ange-
Hause, auf diesem Gebiete jetzt etwas Neues zu
messen zu reagieren. Hier besteht vielmehr eine
schaffen.
echte Strafbarkeitslücke. Wegen Vergewaltigung
können die Täter in der Regel nicht bestraft werden, Die spannende und auch sehr schwierige Diskus-
weil es an der entsprechenden Gewaltanwendung sion, inwieweit der Begriff der hilflosen Lage - bei
fehlt. Eine Körperverletzung scheidet in der Regel dem wir noch einen Wettbewerb haben, wie man
deswegen aus, weil der erforderliche Kausalitäts- dies in dem neuen Vorschlag der Koalition am besten
nachweis nicht erbracht werden kann. Eine Strafbar- ausdrücken kann - dieses Feld mit umfaßt, können
keit nach § 174 Abs. 2 StGB setzt eine stationäre The- wir uns natürlich ersparen, wenn wir hier eine Spe-
rapie voraus; die ambulanten Therapieverhältnisse zialnorm schaffen und - auch das ist für mich ein in-
scheiden somit aus. § 179, der den sexuellen Miß- teressanter Gesichtspunkt - die besonderen Verhält-
brauch von Widerstandsunfähigen regelt, greift nisse der Therapie berücksichtigen.
ebenfalls nicht, und zwar auf Grund der Gesetzes-
lage und nicht allein wegen der restriktiven Recht- Die Notwendigkeit einer Regelung ist unbestritten.
sprechung zu dieser Vorschrift. Das ergibt sich aus den vorliegenden Fallzahlen. Es
gibt Hunderte von Fä llen, und es gibt offensichtlich
Wir werden in den anstehenden Beratungen genau
auch eine enorme Dunkelziffer. Wir wissen z. B. von
zu überlegen haben, welche Abhängigkeitsverhält-
den behandelnden Psychologen, daß sehr viele Op-
nisse wir erfassen wollen. Die Lösung, die der Bun-
fer keine Anzeige erstatten. Dies ist auch verständ-
desrat gewählt hat, ist nur zum Teil überzeugend. Al-
lich und nachvollziehbar.
lerdings wird eine Beschränkung allein auf den
psychiatrischen und psychotherapeutischen Bereich, Es gibt einen Punkt - Frau Simm hat das angespro-
wie sie der Bundesjustizministerin und der Regie- chen -, bei dem wir in der Tat eine etwas andere Auf-
rungskoalition vorzuschweben scheint, der Sachlage fassung haben, als sie im Entwurf des Bundesrats
nicht gerecht. Es geht ebenfalls nicht an, daß der vertreten wird, und sicherlich auch eine ganz andere
seelsorgerische Bereich ausgeklammert bleibt. Hier Auffassung, als sie Herr Beck für die Fraktion der
darf es keine Tabuzonen geben. Grünen hier dargestellt hat. Der Eifer, mit Strafrecht
Zuzustimmen ist dem vorliegenden Entwurf, wenn alle möglichen Lebensbereiche doppelt und dreifach
er den Täterkreis nicht auf bestimmte Berufsgruppen zu überziehen, scheint ungebrochen zu sein. Ich
beschränkt. Es muß entscheidend auf die vom Täter denke, die Diskussion führt hier nicht weiter, wenn
ausgeübte Funktion ankommen. wir jetzt alle möglichen Lebensverhältnisse - Sie ha-
ben die Seelsorger angesprochen; m an könnte fast
Meine Damen und Herren von der Regierungsko- schon denken, daß die Rechtsanwälte bei Ihnen als
alition, ich hoffe, die Beratungen zu dem vorliegen- nächste an die Reihe kommen - mit hineinnehmen.
den Gesetzentwurf werden einen konstruktiven Ver-
lauf nehmen. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Jetzt (Zustimmung der Abg. E rika Simm [SPD])
ist Handeln angesagt.
- Ich sehe schon zustimmendes Nicken. Das hätte ich
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gar nicht sagen sollen. Ich bringe Sie nur auf be
sowie der Abg. Ch ristina Schenk [PDS]) stimmte Gedanken, Frau Kollegin Simm.
5404 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Christina
schenfrage? Schenk, Sie haben das Wo rt . -

Heinz Lanfermann (F.D.P.): Ja, selbstverständlich. Christina Schenk (PDS): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Sexuelle Übergriffe in der Thera-
pie sind keine Einzelfälle. Meist sind Frauen die Op-
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fer. Für sie ist das Risiko, Opfer sexueller Übergriffe
Ist Ihnen bekannt, daß das von allen Seiten zustim- eines Therapeuten oder Arztes zu werden - das gilt
mend zitierte Gutachten des Ins tituts für Psychotrau- auch für andere Berufsgruppen, Herr Beck, da gebe
matologie genau das fordert, was ich in meiner Rede ich Ihnen recht -, wie auch bei anderen sexuellen
ausgeführt habe, nämlich die beiden Fallgruppen - Gewaltdelikten erheblich höher als für Männer.
therapeutische Verhältnisse und seelsorgerische Be-
ratung - in die neue Regelung des § 174c StGB ein- Auf Grund der Psychodynamik einer therapeuti-
zubeziehen? schen Beziehung sind zudem oft Frauen be troffen,
die bereits als Kind sexuelle Gewalt erfahren haben.
Welche Gründe haben Sie, daß Sie nur bei einem Die Folgen sexueller Übergriffe in der Therapie sind
Teil der Verhältnisse, bei denen es zum Mißbrauch immens; psychische Störungen und psychosomati-
kommt, eine Strafwürdigkeit sehen und diese bei sche Erkrankungen sind sehr häufig.
den Seelsorgern prinzipiell verneinen?
Heutzutage gibt es so gut wie keine Möglichkeit,
die Täter zu belangen. Das ist bereits in aller Aus-
Heinz Lanfermann (F.D.P.): Herr Kollege Beck, es führlichkeit dargestellt worden. Die Bestimmungen
gibt schon einige Vorschriften - der Kollege Eylmann im jetzt geltenden Strafgesetzbuch erfassen die hier
hat sie schon aufgezählt -, bei denen wir besondere diskutierten Fälle in der Regel nicht. Es gibt ganz
Verhältnisse - Vertrauensverhältnisse und Abhän- eindeutig eine Lücke. Ich meine, es ist daher notwen-
gigkeitsverhältnisse - herausgegriffen haben. Sie dig, einen zusätzlichen Straftatbestand einzuführen,
können sich aber noch viele Fallgruppen vorstellen, wie es der Gesetzentwurf des Bundesrates vorsieht.
die anders als die, die hier zu Recht geschildert wor-
den sind, aussehen. Sie selber haben aufgeführt, Allerdings meine ich, es ist ebenso notwendig,
warum es gerade bei den Therapeuten diese spe- eine der Spezifik des Tatbestandes angemessene
zielle Lücke gibt, jedenfalls nach der herrschenden Verjährungsfrist vorzusehen. Für die Be troffenen ist
Rechtslage. es oft unmöglich, unmittelbar nach der Tat rechtliche
Schritte zu unternehmen. Der Berufsverband Deut-
Die Frage, ob diese Lücke gegeben ist, sehe ich an scher Psychologen fordert eine Frist von 15 Jahren.
-dersalSi.IhcußfogernstdiIh,c Der Vorschlag des Bundesrates würde hingegen
sehe das anders. Ich bin aber gern bereit - das kön- nach § 78 StGB nur eine Verjährungsfrist von 5 Jah-
nen wir hier nicht in extenso fortführen -, über die- ren mit sich bringen. Das muß noch verändert wer-
sen Bereich noch einmal gesondert zu diskutieren. den.
Ich sehe bei der seelsorge rischen Beratung aber
nicht den Bedarf, wie er für diesen Bereich hier un- Vielfach handelt es sich bei den Mißhandelnden
streitig gesehen wird. um Wiederholungstäter. Patientinnen müssen daher,
meine ich, ermutigt werden, rechtlich gegen die Ta
Meine Damen und Herren, wir wollen uns - das ter vorzugehen. Sie müssen auch die Ch ance dazu
wurde vorhin bereits angesprochen - in der Tat nach erhalten. Eine angemessene Verjährungsfrist ist da-
den Daten, die uns vorliegen, auf den Bereich der her von sehr großer Bedeutung.
Therapeuten beschränken. Das spezifische Abhän-
gigkeitsverhältnis ist der Grund, das System, das wir Ich meine, es gibt überhaupt keinen Grund, den
in den §§ 174a und 174b haben, an dieser Stelle zu Straftatbestand des sexuellen Übergriffs in der The-
ergänzen. Ich denke, das ist einsichtig, weil die rapie auf die Behandlung psychischer Störungen zu
Schutzmechanismen entfallen, weil es Teil dieser beschränken, wie das die Bundesregierung in ihrer
Therapie ist, daß sich der Pa tient völlig in die Hände Stellungnahme angedeutet hat.
- das ist fast bildlich gesprochen - des Therapeuten Auch bei der Behandlung körperlicher Leiden
begibt. Deshalb stehen wir diesem Vorschlag grund- wird eine spezifische Beziehung zwischen Therapeu-
sätzlich sehr aufgeschlossen gegenüber. Ich denke, ten und Patientinnen aufgebaut, entsteht zwangsläu-
die Beratungen im Rechtsausschuß werden zeigen, fig ein Vertrauensverhältnis, wird Kompetenz an ei-
daß wir zu einer guten Übereinstimmung kommen. nen anderen abgegeben. Sexuelle Übergriffe sind
Im übrigen hat Herr Parlamentarischer Staats- daher auch bei der Behandlung körperlicher Leiden
sekretär Funke im Bundesrat bereits angekündigt, nicht selten.
daß auch das Bundesministerium der Justiz in Kürze Ich denke, daß es sogar sinnvoll wäre, noch einen
einen Formulierungsvorschlag vorlegen wird, so daß Schritt weiterzugehen. Ich meine, daß die Alters-
wir im Rechtsausschuß umfassend eine gute Bera- grenze bei sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohle-
tung darüber führen können. nen in § 174 StGB aufgehoben werden sollte. Die
Vielen Dank. Studentin und die Auszubildende über 18 Jahre ste-
hen genauso in einem Abhängigkeitsverhältnis zu
(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Nor ihrem Professor bzw. Ausbilder wie diejenigen unter
bert Geis [CDU/CSU]) 18 Jahren. Ich meine, die Zeit ist überfällig, das sexu-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5405
Christina Schenk
elle Selbstbestimmungsrecht gerade in hierarchisch für die Einführung einer neuen Strafvorschrift zur
strukturierten Beziehungen - auf die Hierarchie in Ahndung von sexuellem Mißbrauch in Therapiever-
der Beziehung kommt es an, Herr Lanfermann - un- hältnissen ausgesprochen hat.
abhängig von Altersgrenzen und, wie ich meine,
auch unabhängig vom Tätigkeitsfeld zu gewährlei- Das Bundesministerium der Justiz hat auf der
sten. Grundlage der vorhandenen Erkenntnisse einen Ge-
setzesvorschlag erarbeitet, der jetzt bei passender
Wir sollten im Rechtsausschuß eine Anhörung Gelegenheit so schnell wie möglich im Parlament
durchführen, die diese aufgeworfenen Fragen in al- eingebracht werden soll.
ler Ausführlichkeit erörtert.
Dieser Vorschlag greift das grundsätzliche Anlie-
Danke schön. gen des Bundesratsentwurfes auf, hat aber - wie
(Beifall bei der PDS) auch hier schon in einigen Reden anklang - andere
Vorstellungen vor allem über die Reichweite eines
neuen Straftatbestandes.
Vizepräsident Hans Klein: Frau Bundesministerin
der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sie So halte ich auf der Grundlage der derzeit vorlie-
haben das Wo rt . genden Erkenntnisse eine Ausdehnung des Schutzes
generell auf Behandlungsverhältnisse für nicht gebo-
ten. Auch die Begründung des vorliegenden Entwur-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi-
fes trägt hierfür nichts vor. Zwar bestehen sicher
nisterin der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen
auch in diesen Behandlungsverhältnissen Vertrau-
und Herren! Die Bundesregierung ist durch spekta-
ensbeziehungen, doch werden sie selten diese Inten-
kuläre Einzelfälle im Jahr 1991 auf das Problem der
sität erreichen, wie sie für eine therapeutische Be-
sexuellen Übergriffe in Behandlungsverhältnissen
handlung prägend ist.
aufmerksam geworden. Über diese Einzelfälle hin-
aus gab es damals praktisch keine Erkenntnisse, ob Behandlungsverhältnisse außerhalb des Therapie-
therapeutische oder auch medizinische Behandlun- bereichs führen nicht zu einer vergleichbar weitge-
gen in größerem Umfang zu sexuellen Handlungen henden Einschränkung der freien Selbstbestimmung
ausgenutzt werden. der behandelten Person.
Aus diesem Grund wurde von seiten der Bundes-
Aus diesem Grunde läßt sich eine grundsätzliche
regierung schon im Mai 1992 eine Sachverständigen-
Gleichbehandlung aller Behandlungsverhältnisse
anhörung zu sexuellen Übergriffen in der Therapie
kaum rechtfertigen. Ich glaube, daß es gute Gründe
durchgeführt. Sie ergab deutliche Hinweise, daß sol-
gibt, in diesem engeren Umfang einer Strafbestim-
che Übergriffe bei der Psychotherapie in einem be-
mung näherzutreten. Ich denke, daß wir diese Straf-
stimmten Umfang auftreten.
barkeitslücke in unserem Strafgesetzbuch möglichst
Um aber Mißverständnissen vorzubeugen: Die al- schließen sollten.
lermeisten Therapien und Behandlungen verlaufen
nach anerkannten wissenschaftlichen Prinzipien und Vielen Dank.
Regeln. Es geht hier um eine Minderheit inkompe-
(Beifall bei der F.D.P.)
tenter und verantwortungsloser Therapeuten, die ih-
ren beruflich bedingten Einfluß in verwerflicher
Weise ausnutzen. Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus-
Zur Konkretisierung eines gesetzgeberischen sprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung
Handlungsbedarfes hat die Bundesregierung im des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/2203 an die
Herbst 1993 eine Untersuchung zu Ausmaß, Folgen in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor.
und Hintergründen sexueller Übergriffe in der The- Gibt es weitergehende Vorschläge? - Das ist nicht
rapie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sind hier der Fall. D ann ist die Überweisung so beschlossen.
schon mehrmals erwähnt worden. Wir müssen von
geschätzten mindestens 600 sexuellen Übergriffen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5a und 5 b so-
pro Jahr in Behandlungsverhältnissen ausgehen. wie den Zusatzpunkt 4 auf:
Diese 600 Fälle, in denen regelmäßig keine Gewalt
5. a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
angewendet wird, lassen sich strafrechtlich nur
desregierung
schwer ahnden, weil der Nachweis der erforderli-
chen Widerstandsunfähigkeit nach geltendem Recht Bericht der Bundesregierung zur Umset-
nur schwer zu führen ist. Wer aber ein auf Hilfe, auf zung des Übereinkommens über die biolo-
Heilung oder Linderung von seelischen Störungen gische Vielfalt in der Bundesrepublik
gerichtetes Vertrauensverhältnis ausnutzt, um seine Deutschland
sexuellen Wünsche zu bef riedigen, verursacht
schwerste Schäden bei den Patientinnen und Patien- - Drucksache 13/2707 —

ten und ist deshalb in höchstem Maße strafwürdig. Überweisungsvorschlag:


Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und
Zu diesem Ergebnis gelangt auch die vom Bundes- Reaktorsicherheit (federführend)
justizministerium im März dieses Jahres ergänzend Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
durchgeführte Sachverständigenanhörung, die sich Ausschuß für Gesundheit
5406 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Vizepräsident Hans Klein


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten wir auch in Zukunft so tun - die einzelnen Politikfel-
Marina Steindor, Marieluise Beck (Bremen), der viel ausführlicher diskutiert haben als das eigent-
Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter liche Ziel.
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN Wenn ich mir die einzelnen Politikfelder ansehe,
dann stelle ich fest: Wir haben in den vergangenen
Übereinkommen über die biologische Jahren ganz beachtliche Erfolge erzielt. So kann nie-
Vielfalt und Notwendigkeit internationaler mand mehr die Fortschritte etwa im Gewässerschutz
Regelungen zum Umgang mit Gen- und oder bei der Luftreinhaltung, in der Zurückdrängung
Biotechnologie von toxischen und ökotoxikologisch wirkenden Stof-
- Drucksache 13/2667 — fen oder auch in der Erfassung und Sanierung von
Überweisungsvorschlag: Altlasten in den Böden abstreiten. Wir haben diese
Ausschuß für Gesundheit Erfolge in ganz beachtlichem Maße.
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß far Umwelt, Naturschutz und Niemand wird aber auch übersehen können, daß
Reaktorsicherheit (federführend) wir trotz aller Erfolge im einzelnen in vielen Berei-
ZP4 Beratung des Antrags der Fraktionen der chen noch einen weiten Weg vor uns haben. Eines
CDU/CSU und F.D.P. der Handlungsfelder, in denen wir ohne Zweifel
noch viel leisten müssen, ist der klassische Natur-
Verbesserungen des Naturschutzes in Deutsch- schutz. Zwar sind in den letzten Jahren und Jahr-
land zehnten viele neue Schutzgebiete entstanden, zwar
- Drucksache 13/2743 werden diese Gebiete von immer mehr Menschen
—Überwisungvorschlag: angenommen, die dadurch zeigen, welches Interesse
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sie am Naturschutz haben, zwar haben Bund und
(fede rf ührend) Länder beachtliche Geldmittel in Ankauf und Ent-
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Gesundheit
wicklung dieser Gebiete investiert; dennoch muß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau man zugeben, daß die angestrebte Vernetzung der
einzelnen Biotope bisher nur ansatzweise erfolgt ist.
Zum Bericht der Bundesregierung liegt ein Ent- Wir werden deshalb mit Nachdruck darauf dringen
schließungsantrag der Fraktion der SPD vor. müssen, daß die Bundesregierung alle ihre Möglich-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für keiten ausschöpft, zusammen mit den Ländern den
die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen integrierenden Naturschutz weiterzu treiben.
erhebt sich keinerlei Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen. Wir, die CDU/CSU, sind aber auch der Ansicht,
daß das Parlament die Bundesregierung darin bestär-
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- ken muß, daß sie die Roten Listen der bedrohten
gen Dr. Norbe rt Rieder das Wort . Tiere und Pflanzen auch in Zukunft als Leitfaden be-
nutzt, um bedrohten Arten nicht nur die rest lichen
Dr. Norbe rt Rieder (CDU/CSU): Herr Präsident! Lebensräume zu sichern, sondern auch zur Wieder-
Meine Damen und Herren! Ich finde es sehr gut, daß ausbreitung dieser Arten beizutragen.
wir heute über den eigentlichen oder zentralen Be-
Und: Trotz aller noch erkennbaren Mängel ist es
reich des Umweltschutzes diskutieren: über die bio-
doch erfreulich, daß in den letzten Jahren immer
logische Vielfalt. Das ist übrigens ein Beg riff, für den
mehr Artenschutzprogramme des Bundes und der
man genausogut „Bewahrung der Schöpfung" neh-
Länder Erfolg gehabt haben und Arten, die noch vor
men könnte. Denn letztlich kann Bewahrung der
Schöpfung nur bedeuten, daß man das Leben in sei- wenigen Jahren als gefährdet angesehen werden
ner ganzen Vielfalt erhalten möchte. mußten, heute durchaus wieder in wachsenden Po-
pulationen vorhanden sind, einige davon sogar in
Damit sind die einzelnen Felder des Umweltschut- solchen Zahlen, daß es regional gar zu Problemen
zes, über die wir in diesem Hause schon sehr aus- kommt.
führlich diskutiert haben, diesem großen Ziel unter-
geordnet. Denn wozu diskutieren wir über die Klima- Ich sage ganz offen, daß ich viel lieber mit Jägern
problematik, über die Verbesserung der Wasserqua- und Anglern darüber diskutiere, ob es nicht viel-
lität, über die Probleme der Waljagd usw. - alles The- leicht wieder notwendig wäre, Kormorane oder
men der letzten Zeit -, wenn nicht genau das Ziel der Fischreiher zu bejagen, die nun Gott sei Dank wieder
Bewahrung der Schöpfung dahinterstecken würde? in beachtlichen Zahlen vorhanden sind, als daß ich
Vielleicht ist das übrigens auch der Grund, warum darüber diskutiere, wie es noch vor 20 Jahren der
die Konvention über die biologische Vielfalt seit Rio Fall gewesen ist, daß wir uns Gedanken darüber ma-
schon von derart vielen Staaten unterzeichnet wor- chen müssen, wie das endgültige Aussterben dieser
den ist, wie ich es mir persönlich vor wenigen Jahren Arten verhindert werden kann. Ich wünsche mir, daß
noch nicht hätte vorstellen können. wir solche Diskussionen, wie wir sie jetzt über Kor-
morane oder Reiher führen, in Zukunft bei noch viel
Aber - das zeigt der Bericht der Bundesregierung mehr Arten werden führen dürfen.
in aller Deutlichkeit - wenn man das Ziel, die biologi-
sche Vielfalt zu erhalten, erreichen will, müssen die Meine Damen und Herren, der Bericht der Bundes-
notwendigen Handlungen in einer Vielzahl von Poli- regierung über die biologische Vielfalt gibt mir Hoff-
tikfeldern erfolgen. Deshalb ist es sicherlich richtig nung, und zwar in zweifacher Hinsicht: einmal weil
gewesen, daß wir in der Vergangenheit - das werden er in aller Deutlichkeit das bereits Geleistete gegen
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5407
Dr. Norbe rt Rieder
das noch zu Leistende abwägt; Hoffnung aber auch, In dem Bericht kann man eine Menge über Instru-
weil wir Deutschen, wenn wir unsere Hausaufgaben mentarien und gesetzliche Vorgaben lesen, so daß-
richtig machen, unsere Vorbildfunktion, die wir als man meinen müßte, der Schutz der biologischen
nicht ganz arme Industrienation ohne Zweifel haben, Vielfalt sei in Ordnung, als sei alles in Butter. Tatsa-
noch besser erfüllen können als in der Vergangen- che ist jedoch, daß weder im Lebensraumschutz, dem
heit. In-situ-Schutz, noch im Bereich des Ex-situ-Schutzes,
also außerhalb von Lebensräumen, Fortschritte er-
Wir dürfen dabei aber nicht in den Fehler verfal- reicht wurden, ganz zu schweigen von den Konse-
len, in den wir Deutsche leider Gottes zu oft verfal- quenzen, die sich aus der Verpflichtung zur nachhal-
len, nämlich daß wir sofort alles haben wollen und tigen Nutzung der biologischen Vielfalt, der notwen-
deshalb übersehen, daß man auch beim schnellen digen Regelung von Zugangs- und Patentrechten
Laufen nur einen Schritt nach dem anderen tun oder der gerechten Gewinnaufteilung aus der Nut-
kann. zung der biologischen Vielfalt ergeben.
In diesem Sinne bringen wir als Koalitionsparteien Außerdem würde das Kapitel Sicherheit beim Um-
in die Beratungen des Bundestages einen Antrag ein, gang mit gentechnisch veränderten Organismen be-
in dem zwar nicht alles Wünschenswerte enthalten reits eine eigene Debatte erfordern. Ich beschränke
ist und auch nicht alles, was in Zukunft noch notwen- mich also heute auf den Bereich Lebensraumschutz,
dig sein wird, bei dessen Aufarbeitung wir aber in als Querschnittsaufgabe.
den nächsten Jahren ganz schön ins Schnaufen kom-
men werden. Ich würde mich freuen, wenn wir dabei Naturschutz wird seit einigen Jahren Schritt für
eine breite Unterstützung finden würden, denn je Schritt ins Abseits gedrängt. Bei steigenden verbalen
schnelrwida, esmAntragfod, und auf Papier gedruckten Beteuerungen dieser
abgearbeitet haben, desto eher können wir weitere Bundesregierung, wie wich tig doch Naturerhaltung
Schritte unternehmen. sei, läßt diese Bundesregierung an anderer Stelle kei-
nen Zweifel daran, daß Naturschutz als lästiger
Herzlichen Dank. Bremsklotz angesehen wird und beseitigt werden
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) muß.
Die Tatsache, daß die Bundesregierung in Gestalt
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Ulrike des BMU in 29 internationalen Organisationen oder
Mehl, Sie haben das Wo rt. Abkommen in Sachen Umwelt und Naturschutz ver-
treten bzw. beteiligt ist - davon betreffen allein 18
Natur- und Artenschutz -, hat nichts daran geändert,
Ulrike Mehl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! daß die Bundesressorts, die mit ihren Maßnahmen
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich auf einer und ihrem Geld am stärksten in den Naturhaushalt
schönen Südseeinsel lebte und Ihren Bericht zur bio- eingreifen, von der Existenz dieser Abkommen offen-
logischen Vielfalt läse, würde ich spontan sagen: bar nichts wissen; jedenfalls verhalten sie sich so.
Donnerwetter, die nehmen den Naturschutz im eige-
nen Land richtig ernst! Allerdings habe ich den Ein- Ich nenne Ihnen drei Beispiele. Auf Seite 28 des
druck, daß die Dimension der Konvention noch nicht Berichts widmen Sie sich der Landwirtschaft. Einmal
in vollem Umfang beg riffen worden ist, denn in die- abgesehen davon, daß die Landwirtschaft für den
ser Konvention geht es um sehr viel mehr als um den Naturschutz ein zentrales Thema ist und deshalb
reinen Naturschutz. Sie behandelt eine themen- mehr als zweieinhalb Spalten Zuwendung angemes-
übergreifende Mate rie. Ich habe darüber schon zwei- sen gewesen wären, tun Sie im Abschnitt „Fortent-
mal gesprochen. Deshalb werde ich mich heute auf wicklung" so, als hätten Sie alles im Griff. Tatsache
den Bericht, um den es geht, konzentrieren. ist aber doch, daß gerade hier seit Jahren ein Macht-
kampf stattfindet, der bisher zugunsten der Land-
Bei näherem Hinsehen fällt auf, daß ca. 90 % des wirtschaft ausgegangen ist. Oder warum geht die
Berichts lediglich eine Darstellung dessen sind, was Ankündigung der Novellierung des Bundesnatur-
wir schon vor der Konvention hatten. Der Teil, der schutzgesetzes nun in das neunte Jahr?
sich mit der direkten Umsetzung der Konvention be-
schäftigt, ist dagegen verschwindend klein. Sie stellen völlig zu Recht fest, daß die flächendek-
kende Verminderung der stofflichen Einträge herbei-
Sie stellen im Bericht eingangs sehr richtig fest, geführt werden muß, und wollen bei der Anwen-
daß der Verlust und die Beeinträchtigung von Arten dung von Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln
und deren Lebensräumen zu einer nicht reparablen ansetzen. Aber wie sieht es denn in der Realität aus?
Beeinträchtigung der Natur führe und damit auch Ihre Düngeverordnung wurde letzte Sitzungswoche
die Lebensgrundlagen der Menschheit gefährde. Im in einer Sachverständigenanhörung von Agrarwis-
nächsten Satz steht, daß mit dem Übereinkommen senschaftlerr in der Luft zerrissen. Hier hätten Sie
zur biologischen Vielfalt nun eine Trendwende ein- doch wirklich die Möglichkeit gehabt, etwas für Na-
geleitet werden soll. Davon kann ich allerdings auf tur-, Boden- und Grundwasserschutz zu tun. Aber
den dann folgenden 44 Seiten nur recht wenig fin- genau das Gegenteil geschieht.
den.
Es geht noch weiter: Obwohl die Landwirtschaft
(Beifall bei der SPD, der PDS sowie bei Ab ca. 60 % des EU-Haushalts in Anspruch nimmt, sol-
geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ len nun auch noch die kärglichen Geldmittel des Na-
NEN) turschutzes für die trotzdem entstandenen ökonomi-
5408 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Ulrike Mehl
schen Engpässe herhalten. Das kann doch wohl nicht Ulrike Mehl (SPD): Ich wollte hier zwar keine
im Ernst so gemeint sein. Wenn die Landwirtschafts- Agrardebatte führen, aber gern. -
politik nicht in der Lage ist, ihrer Klientel, nämlich
den Landwirten, die Rahmenbedingungen zu setzen, (Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/
die wir auch von anderen Wirtschaftsbereichen er- CSU]: Erst anzetteln, und dann?)
warten, nämlich nachhaltiges umweltfreundliches
Wirtschaften zu erreichen, kann doch wohl keiner Ulrich Heinrich (F.D.P.): Wenn zwischen Landwirt-
ernsthaft den Naturschutz als Retter einer maroden schaft, die Sie angesprochen haben, und Umwelt
Landwirtschaft heranziehen.
eine Verbindung besteht, was auch ich so sehe, dann
Eben darum haben Sie meine volle Unterstützung wird wohl auch diese Zwischenfrage noch am rech-
in der Feststellung in Ihrem Bericht, daß die L and- ten Platz sein.
wirtschaftspolitik sich selbst ökologisch ausrichten Sie haben keine neueren Zahlen als von 1985. Wis-
muß, statt nach anderen Geldtöpfen zu schielen. Wir sen Sie, da Sie den Einsatz von Düngemitteln und
werden Sie sicher unterstützen, wenn Sie das ernst- den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erwähnen, in
haft weite rverfolgen, und Sie haben sogar die Unter- welcher dramatischen A rt und Weise ein Rückgang
stützung des Sachverständigenrats für Umweltfragen des Einsatzes dieser chemischen Stoffe erfolgt ist?
in seinem neuen Sondergutachten, in dem er sich
nach allem, was ich gehört habe, äußerst kritisch,
aber auch konstruktiv mit dem Thema Landwirt- Ulrike Mehl (SPD): Ja, es ist richtig, daß der Dünge-
schaft auseinandersetzt. Ich fordere Sie auf, Frau mittel und Pflanzenschutzmitteleinsatz zurückge-
-

Merkel: Nutzen Sie diese Unterstützung des Sach- gangen ist, aus welchen Gründen auch immer; dar-
verständigenrates! über ließe sich lange diskutieren. Trotzdem muß
noch darüber geredet werden, wie denn die Lebens-
räume zu erhalten sind und wie dort keine weiteren
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, gestatten Beeinträchtigungen geschehen. Was Sie ansprechen,
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hein rich? geht in erster Linie in Richtung Bodenschutz und
Grundwasserschutz. Aber wie erhalten Sie die Le-
bensräume bei dieser Art der Bewirtschaftung, und
Ulrike Mehl (SPD): Ja, bitte. wie berücksichtigen Sie, daß insgesamt - darüber
gibt es neuere Zahlen - die biologische Landwirt-
schaft z. B. in bezug auf den Klimaschutz sehr viel
Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Kollegin Mehl, könn- umweltfreundlicher ist als die herkömmliche Land-
ten Sie uns Beispiele nennen, bei denen die L and- wirtschaft? Wenn sich die Landwirtschaft selbst nicht
wirtschaft das Ziel der Nachhaltigkeit nicht erreicht ständig dagegen wehren würde, diese Sachverhalte
hat? als wahr anzunehmen, dann würden wir auch ge-
(Zuruf von der SPD: Oje!) meinsame Wege finden, genau das abzustellen. Da
müssen wir aber, glaube ich, noch sehr viel Überzeu-
gungsarbeit leisten. Vielleicht ist das heute ein Bei-
Ulrike Mehl (SPD): Das ist schwierig. Man könnte trag dazu.
jetzt eine lange Debatte darüber führen. Ich verweise
Sie schlicht und ergreifend auf ein Gutachten des (Beifall bei der SPD)
Sachverständigenrats für Umweltfragen von 1985. In
diesem Gutachten ist klar festgestellt worden, daß Zweites Beispiel: Verkehr. Sie haben in dem Be-
die Landwirtschaft der Hauptverursacher für Arten- richt sehr richtig festgestellt, daß vom Verkehr beson-
rückgang und Rückgang von Lebensräumen ist. dere Gefährdungen durch Lärm und Schadstoff-
-

emissionen ausgehen. Dann behaupten Sie aber, daß


Ich betone hier ausdrücklich, weil das immer in die die Bundesregierung ihre Verkehrswegeplanung
falschen Töpfe geworfen wird: Hier sitzen nicht die u. a. an folgenden Prinzipien ausrichtet: „Vorrang für
Landwirte selbst auf der Anklagebank, sondern hier den Verkehrsweg mit den jeweils geringsten Auswir-
sitzt die Agrarpolitik auf der Anklagebank. kungen auf die biologische Vielfalt", „Vorrang für
die umweltverträglicheren Verkehrsträger Eisen-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne bahn und Schiffahrt" . Am Schluß heißt es: „Natur-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nahe Flußsysteme dürfen nicht zerstört werden."
Wenn ich das jetzt im Sinne des Naturschutzes und
Wenn die Geldsummen, die im EU-Topf vorhanden des Schutzes der biologischen Vielfalt auslege, dann
sind, eingesetzt würden, um eine umweltverträgliche müßten Sie den ganzen Bundesverkehrswegeplan
Landwirtschaft zu erreichen - Grundwasserschutz, einstampfen. Daß darin die Bahn Vorrang vor der
Bodenschutz, Biotopschutz -, dann wären wir ein Straße hat, käme der Behauptung gleich, die Bundes-
ganzes Stück weiter. Nicht umsonst gibt es biologi- republik läge im Zentrum Asiens. Das Beispiel der
sche Landwirtschaft. Damit setzen sich, nebenbei be- A 20 im Bereich der Peenemündung ist wohl keines
merkt, im Moment jede Menge Verbände in vielen einer umweltverträglichen Autobahnplanung. Das
öffentlichen Veranstaltungen auseinander. gleiche gilt für die milliardenschweren Ausbauvorha-
ben für Fließgewässer.
Vizepräsident Hans Klein: Sind Sie auch bereit, Vielleicht sollten Sie Herrn Wissmann, Ihrem Kolle-
eine weitere Zusatzfrage zu beantworten? gen, die Konvention und Ihren Bericht dazu einmal
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5409
Ulrike Mehl
als Bettlektüre empfehlen, damit er wenigstens weiß, In demselben Antrag wird nach dem Einleitungs-
daß es so etwas gibt. satz „Die Bundesregierung wird gebeten" - man ist-
ja höflich - festgehalten, sie möge doch einen Ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) setzentwurf zur Novellierung des Bundesnatur-
Drittes Beispiel: Siedlung. Wunschdenken und tat- schutzgesetzes vorlegen. Das klingt so, als würden
sächliches Handeln klaffen auch hier meilenweit die Regierungsfraktionen selbst nicht mehr daran
auseinander. Sie fordern bei der Ausweisung von glauben, daß so etwas kommt.
Wohn-, Gewerbe- und Industrieflächen weitgehende Wenn ich mir einmal den Stellenwert des Natur-
Berücksichtigung des Naturschutzes. Sie waren es schutzes bei der Bundesregierung ansehe, dann
aber doch selbst, die mit der Änderung des § 8a des kommt mir der Gedanke, daß es vielleicht besser ist,
Bundesnaturschutzgesetzes diese Berücksichtigung wenn das Bundesnaturschutzgesetz unter dieser
ausgehebelt bzw. abgeschwächt haben. Daß diese Bundesregierung nicht mehr geändert wird, weil
Anti-Naturschutz-Entscheidung nicht in dem Maße nämlich zu befürchten ist, daß das vorhandene defizi-
durchgeschlagen ist, wie Sie das dachten, haben Sie täre Gesetz dann am Ende noch schlechter ist als vor-
dem maßvollen Umgang der Länder mit diesem her.
Thema zu verdanken.
Meine Damen und Herren, bevor Sie mir vorhalten
Besonders hübsch finde ich, daß Sie die L an d- - es kam eben schon das Stichwort -, für all dies
schaftsplanung endlich als das richtige Instrument seien doch die Länder zuständig, sage ich Ihnen:
für die ökologischen Belange in der Bauleitplanung Kehren Sie doch bitte erst einmal vor der Tür, für die
erkannt haben. Das halte ich schon einmal für einen Sie zuständig sind!
Fortschritt. Vielleicht können Sie uns aber noch ver-
raten, wie Sie sicherstellen wollen, daß dieses Instru- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
ment auch flächendeckend und in hoher Qualität tat- DIE GRÜNEN)
sächlich vorhanden ist. Schlagen Sie in der Landwirtschaftspolitik, in der
(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ Verkehrspolitik, in der Raumordnungs- und Baupoli-
CSU]: Das müßt ihr einmal euren Bundes tik, in der Wirtschaftspolitik und in allen anderen Be-
ländern sagen!) reichen, die das betrifft, sichtbare Pflöcke für den Na-
turschutz ein! Damit haben Sie sicherlich genug zu
- Dazu gibt es ein Gesetz, das hier nicht rüber- tun. Danach können wir darüber reden, wo andere
kommt. zu kritisieren sind.
Auch wenn für Siedlungsplanung in erster Linie Schönen D ank.
Länder und Kommunen zuständig sind, so hat doch
die Bundesregierung die Möglichkeit, über die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Raumordnungspolitik die richtigen ökologischen GRÜNEN und der PDS)
Ansätze vorzugeben. Statt die Raumordnungspla-
nung im Zusammenspiel mit der Landschaftsplanung Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle-
als wirklich koordinierendes Instrument unterschied- gin Marina Steindor.
licher Interessen zu nutzen, gibt es auch hier nur
hohle Worte ohne Konsequenzen.
Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nun zum Schutz in Schutzgebieten. Daß Sie zu Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die De-
einem zentralen Gesetzesinstrument im Naturschutz, batte über die na tionale Implemen tierung der Biodi-
nämlich dem Bundesnaturschutzgesetz, in einem be- versity Conven tion muß geführt werden. Wir meinen
scheidenen Satz festhalten, daß Sie die entstandenen aber, daß heute im Parlament darüber gesprochen
Defizite des vorhandenen Gesetzes durch eine um- werden muß, was auf der Vertragsstaatenkonferenz
fassende Novellierung abändern wollen, finde ich in Jakarta im November das Hauptthema sein wird:
wirklich witzig. Das Mindeste, was man hätte erwar- das Biosafety Protocol, ein Protokoll zur biologischen
ten können, wäre, daß Sie wenigstens das Jahr oder Sicherheit.
das Jahrhundert angeben, in dem das stattfinden
soll. Dieses Protokoll ist seit Jahren umstritten. Feh-
lende Regelungen der Gentechnologie in den Ent-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne wicklungsländern führen zu Freisetzungstourismus.
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Freisetzungen gentechnisch veränderter Nutzpflan-
zen durch transnationale Konzerne nehmen do rt seit
Daß aber die Fraktionen der CDU/CSU und der Jahren dramatisch zu, ohne jede Sicherheitsrege-
F.D.P. in ihrem Antrag fordern, daß die Bundesregie- lung. Die bestehenden Regelungslücken sind eine
rung auf die Länder dahin gehend einwirken möge, Gefahr für die menschliche Gesundheit und die Um-
daß sie die Gebiete zur Umsetzung der Flora-Fauna- welt weltweit.
Habitat-Richtlinie der EU zu melden haben, finde ich
wirklich ein starkes Stück. Die Bundesregierung ist Mit der „grünen Revolu tion" erfolgte die Moderni-
der internationale Vertragspartner, und sie war ver- sierung der Landwirtschaft des Südens nach westli-
pflichtet, diese EU-Richtlinie bis Juni 1994 in natio- chem Vorbild. Damit begannen auch in den Ländern
nales Recht umzusetzen. Genau das hat sie nicht ge- des Südens, den Zentren gene tischer Vielfalt, Gen-
tan. Es steht auch nicht in Sicht, wann und wie sie es erosion, Bodenerosion und Pestizidbelastung, die wir
tun wird. auch hier beklagen. Lokal angepaßte Anbausysteme
5410 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Marina Steindor
wurden dabei zerstört und traditionelle Landsorten mische Dinge im Vordergrund. Keine einzige Studie
verdrängt. Die Entwicklungsländer sind von dieser beschäftigte sich mit der Fähigkeit zur Auswilderung -
Erfahrung geprägt. der Pflanzen. Keine Studie beschäftigte sich mit dem
Gentransfer, obwohl in der unmittelbaren Nachbar-
Wenn bei uns aus Akzeptanzgründen behauptet
schaft Kreuzungspartner vorhanden waren. Die Stu-
wird, man wolle dem Hunger in den Entwicklungs-
dien werden nach dem Motto erstellt: Wenn man
ländern mit genmanipulierten Pflanzen begegnen,
nicht hinschaut, dann findet man auch nichts.
wird das dort nicht begeistert aufgenommen. Pro-
jekte mit insektizidresistenten Reispflanzen des In- Nicht zuletzt auf Grund der Interventionen der
terna tional Rice Research Institute auf den Philippi- Non-Governmental Organizations haben die Ver-
nen beispielsweise sind im Lande selbst umstritten. tragsstaaten in Mad rid festgeschrieben, daß von gen-
Das Center for Alterna tive Development Ini tiatives technisch veränderten Organismen ein Risiko für
setzt sich für ökologische Landwirtschaft unter Ver- Mensch und Umwelt ausgeht, daß es enorme Wis-
zicht auf Gentechnologie ein. sens- und Erfahrungslücken gibt und daß die Risiken
Meine Damen und Herren, die Entwicklungslän- geographisch und klimatisch variieren.
der haben überhaupt kein Verständnis dafür, wenn Die sogenannten Sicherheitsstämme finden in den
europäische Länder, die selbst ein Rechtssystem mit Tropen ganz andere Lebensbedingungen vor. Trans-
Minimal- und Maximalstandards haben, dies der gene Pflanzen haben dort mehr Kreuzungspartner
Völkergemeinschaft verweigern wollen. Ohne weit- als in unserer ausgeräumten Kulturlandschaft. Frei-
reichende Mindeststandards wird es unausweichlich setzungen sind grundsätzlich unkontrollierbar.
zu einer Erosion der bestehenden Regulierungen
kommen, zu einem Wettbewerb um die niedrigsten Die Bundesregierung spricht von drohender Büro-
Standards. kratisierung und davon, daß die Länder selbst eine
Risikoabschätzung vornehmen sollten. Mit dem Ver-
Die Bundesregierung, Aus tralien und die USA be- weis auf ihre nationalen Souveränitätsrechte der ein-
fördern diesen Prozeß der Gesetzeserosion, weil sie deutigen Forderung der Entwicklungsländer nach
weiter deregulieren wollen. Mit dem von ihnen pro- einem Biosafety Protocol zu widersprechen ist blanke
pagierten Ziel der Standortsicherung kommen sie Bevormundung.
dort nicht weiter. Denn sie machen erst mit dieser Po-
litik den transnationalen Konzernen weltweit den Die Bundesregierung be treibt unter dem Deck-
Weg frei. mantel von Selbstbestimmung die Fremdbestim-
mung der Entwicklungsländer.
(Beifall des Abg. Wolfgang Bierstedt [PDS])
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist skandalös, welche Märchen über die angeb-
liche Risikofreiheit der Gentechnologie den Entwick- Greenpeace spricht hier von gene tischem Neoimpe-
lungsländern in den Konferenzen aufgetischt worden rialismus.
sind. Der Verweis der Bundesregierung auf freiwil-
lige Leitlinien und Transferregelungen ist ökologisch Wir haben einen Antrag ausgearbeitet, in dem wir
verantwortungslos. ein hohes Sicherheitsniveau, eine sozioökonomische
Bewertung, Haftungsregelungen und ein Freiset-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zungsmoratorium bis zum Inkrafttreten des Biosafety
Weder die US-amerikanischen Bestimmungen noch Protocol fordern.
die UNEP-Richtlinien noch das jetzt deregulierte Meine Damen und Herren, Österreich, Schweden,
bundesdeutsche Gentechnikgesetz hätte die umwelt- Norwegen und Dänemark unterstützen ein Biosafety
schädigende Wirkung des genmanipulierten Bakter- Protocol. Innerhalb der Europäischen Union kann
iums Klebsiella planticola erfaßt. Dieses angeblich man sich deshalb auch immer nur auf den kleinsten
harmlose Bakterium, das in den 80er Jahren in gemeinsamen Nenner einigen. Spanien ist der Auf-
Deutschland manipuliert worden ist, sollte Alkohol fassung, daß das Biosafety Protocol von dem Großteil
aus Pflanzenresten herstellen. Die Fermenta tions der internationalen Völkergemeinschaft gefordert
reste, Abfall - Sicherheitsstufe I, sollten danach als wird, der die meisten biologischen Ressourcen unse-
Dünger ausgebracht werden. res Planeten hat, und daß es den Industrieländern
Nach der geplanten Freisetzung in den Vereinig- nicht ansteht, hier nein zu sagen.
ten Staaten wären die Ackerböden auf Jahre un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
brauchbar geworden. Nur eine außerhalb des Ge- sowie bei Abgeordneten der SPD)
nehmigungsverfahrens in den USA zufällig durchge-
führte Risikostudie hat die katastrophalen Folgen Für uns ist ein völkerrechtlich verbindliches Proto-
dieses Bakteriums ans Licht gebracht: Das Bakterium koll zur biologischen Sicherheit unabdingbar. Die
beeinträchtigte alle Bodenlebewesen, die den Bo- biologische Sicherheit muß international auf höch-
denstickstoff für das Pflanzenwachstum erst verfüg- stem Niveau festgeschrieben werden, um die Um-
bar machen. welt und die Menschen vor den Risiken der Gentech-
nologie zu schützen. Der Verzicht auf Gentechnolo-
In einer renommierten Fachzeitschrift wurde eine gie muß in der internationalen Völkergemeinschaft
Studie veröffentlicht, in der 85 Berichte über Freiset- legitim und politisch möglich bleiben.
zungsexperimente mit gentechnisch veränderten
Nutzpflanzen auf ihre Prüfkriterien hin untersucht (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS
worden sind. Hauptsächlich standen dabei agrono SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5411
Marina Steindor
Die Entwicklungsländer dürfen nicht zum geneti- Eklatant deutlich - das möchte ich auch ganz klar
schen Testgelände werden. Die Welt braucht ein Bio- sagen, und auch da habe ich eine unterschiedliche
safety Protocol. Auffassung zur Rednerin der SPD - wird das Versa-
gen der Länder bei der Umsetzung der Flora-Fauna-
Wir fordern die Bundesregierung auf, Frau Merkel, Habitat-Richtlinie der EG. Es soll ein europäisches
diesen Prozeß end lich zu unterstützen. Biotopverbundsystem „Natura 2000" geschaffen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden. Was die Länder, die für den Vollzug verant-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der wortlich sind, tun, ist, daß sie entweder gar keine
PDS) oder nur die bereits bestehenden Schutzgebiete an-
melden. So wird Naturschutz nicht fortentwickelt,
sondern blockiert.
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle-
gin Birgit Homburger. (Beifall bei der F.D.P.)
Die SPD sollte einmal mit dem Bundesrat, wo sie ja
Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe die Mehrheit hat, reden. Wir wissen ja alle, wie gut
Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zum die Zusammenarbeit zwischen der Bundestagsfrak-
Bericht der Bundesregierung sollte sich nicht auf das tion und den SPD-Ländern ist.
beschränken, was in Jaka rta auf uns zukommt - dazu Natürlich ist auch die Novellierung des Bundesna-
werde ich noch etwas sagen -, sondern zu einer Dis- turschutzgesetzes nötig. Das haben wir nie abgestrit-
kussion über Naturschutz in Deutschland führen. ten, aber man muß die Verantwortlichkeiten klar zu-
Darüber hinaus geht es vor allen Dingen darum, in weisen. Die F.D.P. forde rt die Novellierung des Bun-
der Bundesrepublik - da sind wir uns, so meine ich, desnaturschutzgesetzes und unterstützt dieses Vor-
einig - den Naturschutz weiter zu verbessern. haben. Die FFH-Richtlinie muß bundesgesetzlich
Wir sollten uns dabei vor Augen halten, daß die Ar- umgesetzt werden, und wir werden dies auch tun.
tenvielfalt in Deutschland trotz vieler Anstrengungen Die F.D.P. hält es auch für wichtig, die Möglichkei-
noch immer nicht dauerhaft gesichert ist. Wenn man ten des Vertragsnaturschutzes mit der Landwirt-
sich die „Roten Listen" anschaut, muß m an feststel- schaft zu verbessern; denn damit können die natur-
len, daß etwa die Hälfte aller Wirbeltierarten in ihrem und landschaftspflegerischen Leistungen der Land-
Fortbestand gefährdet sind. Bei den Farn- und Blü- und Forstwirte entlohnt werden. Dazu muß sich die
tenpflanzen werden etwa ein Drittel als gefährdet an- Bundesregierung in der EU einsetzen, daß die be-
gesehen. Dies resultiert vor allen Dingen aus der Zer- stehenden Agrarumweltprogramme der Länder zur
störung, Zersplitterung und Verkleinerung oder aber Förderung einer umweltverträglichen Landwirtschaft
Entwertung der Lebensräume wildlebender Tiere fortentwickelt und dauerhaft von der EU kofinanziert
und Pflanzen. Dadurch wird ein solcher Artenrück- werden.
gang ausgelöst.
Im November dieses Jahres findet in Jarkata die
Die natürlichen und naturnahen Flächen in der zweite Konferenz der Vertragsstaaten des Überein-
Bundesrepublik - im Bericht steht es; wir haben es kommens über die biologische Vielfalt statt.
im Antrag noch einmal aufgenommen - werden nur Deutschland war maßgeblich am Zustandekommen
unzureichend geschützt. Nur 2 % der Fläche des dieses Übereinkommens beteiligt. Wir müssen jetzt
Bundesgebietes sind als Naturschutzgebiet ausge- dieses Übereinkommen wirksam und zielstrebig in
wiesen. Auch hier sind die Schutzziele bedroht. Die Deutschland umsetzen. Dies gilt für den Bund in sei-
Schutzgebiete sind oft zu klein. Es gibt zu viele Aus- nem Verantwortungsbereich, wo sich viele Teile
nahmeregelungen, und vor allen Dingen läßt der schon in der Umsetzung befinden, aber das gilt vor
Vollzug der Schutzverordnungen zu wünschen üb- allem auch für die Länder.
rig.
Nur in internationaler Zusammenarbeit - auch das
Es geht an der Sache vorbei, wenn die Länder - sollte man nicht ganz vergessen, insbesondere sehe
das möchte ich ganz klar sagen - immer noch die ich hier Europa - ist effektiver Naturschutz möglich.
ausstehende Novellierung des Bundesnaturschutz- Deshalb müssen wir unsere Aktivitäten auch im in-
gesetzes für diese Defizite im Naturschutz verant- ternationalen Bereich verstärkt fortsetzen.
wortlich machen.
(Vor sitz : Vizepräsident Dr. Burkhard
Die Bundesregierung hat im Naturschutzbereich Hirsch)
nur eine Rahmengesetzgebungskompetenz. Die Län-
Gerade auch den Entwicklungsländern müssen zur
der sind im wesentlichen für den Vollzug, die Finan-
Erhaltung der biologischen Vielfalt verstärkt Hilfen
zierung und eigene Landesgesetze des Naturschut-
gewährt werden. So sollten vor allem solche Projekte
zes zuständig. Es ist Aufgabe des Ländervollzugs,
gefördert werden, die gezielt der Erhaltung der biolo-
Naturschutzgebiete groß genug zu gestalten, sie
gischen Vielfalt dienen. Dazu zählt z. B. die Schaf-
sinnvoll zu vernetzen und vor allem auch wirksam zu
fung von Biosphärenreservaten oder von Schutzge-
schützen. In den Ländern müssen die Nutzungskon-
bieten im Rahmen des Übereinkommens über
flikte ausgestanden werden und nicht hier. Do rt
Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung.
komtesauchfdiSntgkerUmwl-
minister an. Die Landesplanung ist in der Verantwor- Wir haben als Koalition einen Antrag vorgelegt, in
tung, um der Zersiedelung und Zerstückelung unse- dem wir aufzeigen, wie der Naturschutz verbessert
rer Landschaften Einhalt zu gebieten. werden kann. Wir sollten uns, finde ich, als Umwelt-
5412 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Birgit Homburger
politiker gemeinsam für diesen oft unpopulären Be- „Biosafety " -Protokoll zu unterzeichnen, zeigt, wie
reich der Umweltpolitik stark machen und für eine sehr ihr an denjenigen Passagen des Übereinkom-
weitere Verbesserung des Naturschutzes bei uns, mens gelegen ist, aus denen die Länder des Südens
aber auch weltweit kämpfen. einen Vorteil ziehen könnten. Schauen Sie sich doch
im Bericht der Bundesregierung den Abschnitt über
Danke.
„wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Entwicklungsländern" an, dessen Überschrift eigent-
lich fast schon länger als der Text ist. Sie wissen
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem dann, woran der Bundesregierung jedenfalls nicht
Abgeordneten Wolfgang Bierstedt das Wo rt . gelegen ist: an einer für den Süden gerechten Nut-
zung der biologischen Vielfalt.
Wolfgang Bierstedt (PDS): Sehr geehrter Herr Prä- Aus meiner Sicht völlig zu Recht greift der Antrag
sident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ver- der Grünen die Praxis von Unternehmen an, Freiset-
ehrte weitere Anwesende! Man könnte beim Lesen zungen in Ländern durchzuführen, die über keinerlei
des Berichtes der Bundesregierung zur Umsetzung rechtliches Reglement für solche Experimente verfü-
des Übereinkommens über die biologische Vielfalt in gen. Diese Unternehmen fliehen vor der Öffentlich-
der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich meinen, keit und der berechtigten Kritik an Freisetzungen,
in diesem Land würde eine aktive Umweltpolitik be- deren Folgen keineswegs vorhersehbar sind. Wenn
trieben. Zumindest versucht der Bericht verzweifelt, die Bundesregierung einerseits vollmundig auf die
diesen Eindruck zu erwecken, wiewohl wir eigent- eigenen Sicherheitsvorschriften verweist, anderer-
lich alle wissen: Diese Annahme ist in großem Um- seits jedoch nicht einmal für verbindliche Mindest-
fange unangebracht. standards auf der internationalen Ebene eintritt, ent-
larvt sie ihre Sonntagsreden über den verantwortli-
Wortreich wird in der Regel das Abholzen des Re- chen Umgang mit genetisch manipulierten Organis-
genwaldes in Brasilien beklagt oder gar eine soge- men. Dem Antrag der Grünen werde jedenfalls ich
nannte Überbevölkerung in den Ländern des Sü- die Zustimmung geben.
dens dafür verantwortlich gemacht, daß die Natur-
nutzung auf diesem Planeten ein mehr als bedrohli- Geradezu dreist ist der kleine Absatz im Bericht,
ches Ausmaß erreicht hat. Dabei ist es nicht nur das der sich mit Patenten auf sogenannte gene tische Res-
Ausmaß des Naturverbrauches, sondern die A rt und sourcen befaßt. Seit Jahren bemüht sich die Bundes-
Weise der Naturnutzung - oder besser: der Natur- regierung in Brüssel um eine Patentierungsrichtli-
vernichtung -, die die biologische Vielfalt und damit nie, die nun gerade nicht zum Ziel hat, den gleichbe-
auf Dauer den Bestand des Ökosystems Erde ge- rechtigten Zugang zu gene tischen Ressourcen zu er-
fährdet. möglichen. Deutsche Forscherinnen und Forscher
werden doch öffentlich aufgefordert, sich am Gold-
Dieses Modell der Naturvernichtung stammt aus rausch der Patente auf Gene zu beteiligen. Vor weni-
den nördlichen Industrieländern und wird von ihnen gen Wochen erst meldeten sich Umweltschützer aus
in den Süden exportiert. Wer hat denn den hohen Ar- Sri Lanka, die darüber berichteten, daß westliche
tenverlust in den Ländern des Südens im starken Wissenschaftler die dortige Natur ausplündern. S ri
Maß mit zu verantworten, wenn nicht die Industrie- LankistdbeEzlfa;Ähniceswrdu
länder und ihre Konzerne, die mit der „Grünen Revo- zahlreichen Ländern der sogenannten Dritten Welt
lution" den zweifelhaften Segen einer industrialisier- gemeldet. Das Patent auf den Neem-Baum in Indien
ten Landwirtschaft dorthin brachten? Die damalige hat ja auch mittlerweile traurige Berühmtheit erlangt.
Einführung von empfindlichen Hochertragssorten Es ist eine moderne Form des Kolonialismus, daß sich
wurde mit großen Schäden an der Umwelt und ei- Wissenschaft und Industrie Pflanzen, Tiere und sogar
nem enormen Verlust der genetischen Vielfalt er- Menschen des Südens patentieren lassen.
kauft. Noch 1945 bauten indische Bäuerinnen und
Bauern ca. 30 000 verschiedene Reissorten an ; heute Außer warmen Worten bietet der Bericht der Bun-
sind es in vielen Gebieten Indiens weniger als desregierung nichts, was dem Ziel der Erhaltung der
20 Sorten, die kultiviert werden. biologischen Vielfalt entscheidend dienen würde.
Ernsthafte Konsequenzen werden aus dem diagnosti-
Daran schließt sich doch gleich die Frage an, wes- zierten Rückgang der Arten überhaupt nicht gezo-
halb denn nun auf einmal das Interesse an biologi- gen. Diese Konsequenzen müßten heißen: Abkehr
scher Vielfalt gewachsen sein soll. Es liegt der Ver- von einer naturvernichtenden Wirtschaftsweise im
dacht nahe, daß es weniger um die tatsächliche Er- Norden, Reform der Landwirtschaft hin zu einer öko-
haltung bzw. Förderung der biologischen Vielfalt logischen Anbauweise, Einschränkung des Autover-
geht als um den Zugang zu genetischen Ressourcen. kehrs und eine andere Siedlungspolitik. Kosmetische
Denn der übergroße Teil der gene tischen Ressourcen Veränderungen wie das Ausweisen von Naturschutz-
befindet sich, wie wir wissen, in den Ländern des Sü- flächen, während nebenan weiter verfahren wird wie
dens. bisher, oder der Aufbau von Genbanken für eine spä-
Von daher hat das Übereinkommen zur biologi- ter biotechnologische Nutzung der Gensequenzen
schen Vielfalt von vornherein einen sehr zwiespälti- werden dem Ziel nicht gerecht werden.
gen Charakter, sichert es den Konzernen des Nor- Danke schön.
dens doch den Zugriff auf die gene tischen Ressour-
cen des Südens. Daß die Bundesregierung darüber (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/
hinaus nicht bereit ist, ein notwendiges, greifendes DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5413

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das zumindest wesentlich mit berücksichtigen. Dies muß
Wort dem Abgeordneten Simon Wittmann. vor allem in folgenden Bereichen sichergestellt sein:
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Bei einer Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes
DIE GRÜNEN]: Der grüne Flügel der CSU!) - sie wird in dieser Legislaturpe riode kommen; da
bin ich mir sehr sicher - müssen bundeseinheitlich
gestaffelte Ausgleichszahlungen eingeführt werden,
Simon Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Herr wenn die Landwirtschaft im Interesse des Natur-
Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht schutzes bei der Bewirtschaftung von Flächen einge-
der Bundesregierung zur Umsetzung des Überein- schränkt wird. A ll es andere würde als schleichende
kommens über die biologische Vielfalt ist eine gute Enteignung empfunden und würde dies auch bedeu-
Grundlage, um gerade dieses Thema sehr intensiv zu ten. Dies würde auf Dauer weniger Naturschutz brin-
debattieren. Ich freue mich auch, daß die Diskussion gen, weil die Menschen weniger bereit wären, sich
eigentlich bisher relativ sachlich gelaufen ist; denn für den Naturschutz zu engagieren.
ich glaube, daß wir dieses Thema sachlich angehen
müssen, Wir müssen den Vertragsnaturschutz im Bundes-
recht verankern, um noch mehr Landwirte und
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Grundstücksbesitzer für ein naturverträgliches Han-
sowie bei der F.D.P.) deln zu gewinnen. Das Beispiel Bayerns hat gezeigt,
auch wenn, liebe Frau Mehl, Ihre Aussage, daß ein daß zur Erhaltung von Lebensräumen und Arten die
Machtkampf zwischen dem Naturschutz und der Honorierung freiwilliger Leistungen ein äußerst
Landwirtschaft zugunsten der Landwirtschaft ausge- effektives Instrument ist und zu einer vorbildlichen
fallen ist, mit Sicherheit nicht stimmt. Kooperation zwischen Landwirtschaft und Natur-
schutz dort führt, wo dies schon entsprechend ange-
(Ulrike Mehl [SPD]: Oha, oha!) wandt wird.
Die Landwirtschaft ist nicht Hauptverursacher des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Artenschwunds. Sie hat sicher auf Grund der - zum
Zur Schaffung einer Vertrauensbasis müssen wir
Teil natürlich erzwungenen - Produktionsweise ei-
aber sicherstellen, daß die Landwirte die ursprüng-
nen Beitrag dazu geleistet. Ich meine aber, daß in-
liche Nutzung auch dann wieder aufnehmen dürfen,
zwischen eine ganze Menge passiert ist, was den
wenn sich während der extensiven Bewirtschaftung
Weg in eine andere Richtung weist.
Biotope gebildet haben. Es gibt sicher Ausnahme-
Ich möchte deshalb in meinem ersten Punkt auch möglichkeiten in besonders gelagerten Fällen; aber
auf dieses Problem eingehen. Angesichts der Tatsa- das muß der Grundsatz sein, um dieses Vertrauen
che, daß 55 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik aufzubauen.
Deutschl an d landwirtschaftlich genutzt wird, heißt
Bei aller notwendigen Vereinheitlichung des Bun-
das: Wer Lebensräume schaffen will, wer Artenviel- desrechts muß auch darauf hingewiesen werden, daß
falt garantieren wi ll , der muß das mit der Landwirt-
die Verantwortung zum Schutz der Arten und ihrer
schaft tun. Die Landwirtschaft ist also Ausgangsbasis Lebensräume verfassungsrechtlich vor allem eine
für eine erfolgreiche Weiterentwicklung von Natur-
Verpflichtung der Bundesländer ist. Das Beispiel
und Biotopschutz. Bayern zeigt deutlich, daß bereits mit dem heutigen
Die Landwirtschaft hat an sich ein ureigenstes Naturschutzrecht entscheidende Fortschritte auf dem
Interesse am Schutz der natürlichen Lebensgrund- Wege zu einem Biotopverbundsystem möglich sind.
lagen. Vieles von dem, was der Naturschutz heute Es gibt 17 bayerische Naturparke, in denen in Grö-
für schützenswert hält, ist durch jahrhundertelange ßenordnungen von Landkreisen und darüber hinaus
bäuerliche Landschaftspflege entstanden. mehr als 50 % der Fläche in den jeweiligen Gebieten
unter Naturparkrecht gestellt wurde. Damit wird in
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weiten Bereichen bereits heute die Entwicklung ei-
nes Biotopverbundsystems unterstützt und vorange-
Die Landwirtschaft verfügt über das beste Know-how
trieben.
zur Pflege der Natur und ist daher in besonderer
Weise in alle Bemühungen einzuschließen. Wir brau- Weil immer gesagt wurde, es werde nichts getan -
chen daher in erster Linie - und deshalb habe ich ich habe jetzt bloß die Zahlen von Baye rn vorliegen;
mich über den Ton Ihres Beitrages, Frau Mehl, ge- wir könnten das aber auch bundesweit ausrechnen -:
freut - eine Versöhnung zwischen Landwirtschaft Allein in den letzten fünf Jahren wurden in Baye rn
und Naturschutz, knap10Nturschzgebinaws.
Damit hat sich die Zahl dieser Gebiete in Baye rn auf
(Ulrike Mehl [SPD]: Richtig!) über 500 erhöht.
nicht die Betonung der Gegensätze. Bayern hat das Europäische Naturschutzjahr dazu
(Beifall bei der CDU/CSU) genutzt, die Erweiterung des Nationalparks Baye-
rischer Wald, den Sie hoffentlich alle kennen, in
In unserer freien Gesellschaft hat die Garantie des Angri ff zu nehmen. Damit besteht die einmalige
Eigentums eine entscheidende verfassungs- und ge- Chance, ein in Mitteleuropa in Ursprünglichkeit und
sellschaftspolitische Bedeutung. Daher muß die Wei- Größe einzigartiges geschlossenes Waldgebiet weit-
terentwicklung des Naturschutzes den Schutz des Ei- gehend unberührt und nachhaltig zu sichern. Zusam-
gentums der Bauern in den Vordergrund stellen oder men mit dem angrenzenden tschechischen National-
5414 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Simon Wittmann (Tännesberg)


park Sumava kann damit eine europaweit vorbild- Bei allen Bemühungen um den Schutz der Natur -
liche Region länderübergreifenden Natur- und Um- ich will das hier überhaupt nicht kleinreden - geht-
weltschutz aufbauen. genau dieser Prozeß der Zerstörung weiter. Ich
bringe ein Beispiel, ohne das im einzelnen zu bewer-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten. In Thüringen, dem sogenannten „grünen Herz
Bayern hat auch - um das als Anregung für SPD- Deutschlands", werden nach den Planungen der
regierte Länder zu nennen - eine flächendeckende Bundesregierung in den nächsten Jahren einige hun-
Biotopkartierung. Das ist eine der wichtigsten Vor- dert Kilometer Autobahn neugebaut. Es wird also
aussetzungen, um wirk lich Arten-, Biotop- und Le- Landschaft zerschnitten; Lebensräume werden ver-
bensraumschutz zu gewährleisten. kleinert und zerstört.

Wir stehen in den nächsten Monaten sicher auch Ich will hier nicht das Für und Wider diskutieren.
vor Zielkonflikten. Sie wissen, zum jetzigen Zeit- Aber offensichtlich zwingt uns unsere Wirtschafts-
punkt wird die Privilegierung erneuerbarer Ener- und Lebensweise, weiterhin Naturräume zu zerstö-
gien und der Windkraft debattiert. Das ist natürlich ren. Da hat es überhaupt keinen Zweck, die Verant-
ein großes Problem, weil wir einerseits eigentlich wortung zwischen Bund und Ländern hin und her zu
eine emissionsfreie Energie fördern wollen, anderer- schieben, wie das hier getan wurde. Vielmehr müs-
seits aber nicht Landschaft zupflastern und Vögel be- sen wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie
einträchtigen wollen. Wir müssen einen Mittelweg diese Verantwortung wahrgenommen werden kann.
finden und die Interessen der typischen Umweltbe- Im Moment sind wir in einer Situation - ich will es
reiche, also die Zielkonflikte, gegeneinander abwä- einmal ganz überspitzt sagen - -
gen, um zu sinnvollen Regelungen zu kommen. Das
gilt sicher auch noch für andere Bereiche. (Simon Wittmann [Tännesberg] [CDU/CSU]:
Man kann die Länder nicht aus der Verant
Ich glaube, wir brauchen in Zukunft eine Politik wortung entlassen!)
des Augenmaßes, die die be troffenen Menschen für
konkrete Maßnahmen gewinnt und damit ein posi ti - Ich will die Länder nicht aus der Verantwortung
-vesKlimafürhAtn-udNsczüberalin entlassen. Es macht aber überhaupt keinen Sinn,
Deutschl an d schafft. Wenn wir das gemeinsam errei- die Verantwortung hin und her zu schieben. Wir re-
chen, dann werden wir sicher auch erfolgreich aus den heute über den Bericht der Bundesregierung
dieser Diskussion herausgehen. und vor allem darüber, was die Bundesregierung
tun kann, um da eine bessere Entwicklung zu errei-
Danke schön. chen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ich will überspitzt deutlich machen, in welcher
Situation wir eigentlich sind. Ich sage es einmal so:
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Früher fuhr die Planierraupe mit viel Krach und viel
Wort dem Abgeordneten Christoph Matschie. Qualm durch die Landschaft. Heute ist die Planier-
raupe lärmgemindert, hat Kat, ist 10 cm schmaler,
und der Raupenfahrer hat bei seiner Fahrt durch die
Christoph Matschie (SPD): Herr Präsident! Ver-
Landschaft Gewissensbisse.
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, bevor
ich zu einzelnen Fragen des vorliegenden Berichts Das bedeutet aber: Die Raupe fährt nach wie vor.
komme, daran erinnern, warum dieses Übereinkom- Wir kurieren Symptome. Es ist notwendig, sich mit
men über biologische Vielfalt zustande gekommen Symptomen auseinanderzusetzen. Aber wir müssen
ist. Der Hintergrund war: Die Erkenntnis hat sich etwas grundlegender nachdenken, auch über unser
durchgesetzt, daß die immer weitere Zerstörung der Entwicklungsmodell; denn das hat auch interna tio-
biologischen Vielfalt nicht nur eine Beeinträchtigung nal Bedeutung. Im Moment - machen wir uns doch
von Lebensräumen darstellt, sondern am Ende auch nichts vor - fördern wir in den Ländern des Südens
eine Bedrohung für die Existenz der Menschheit be- eine nachholende Entwicklung, die auch viele Feh-
deutet. ler, die hier in der Vergangenheit gemacht worden
Dieses Übereinkommen sollte - so wurde es ge- sind, nachholt und so zur weiteren Zerstörung bei-
sagt - eine Trendwende einleiten. Trendwende be- trägt.
deutet in diesem Zusammenhang, daß wir uns auf
den Weg machen müssen, neue Entwicklungsmo- Ich möchte zu einzelnen Fragen der internationa-
delle zu finden, um den bisher vorhandenen Trend len Zusammenarbeit etwas sagen. Es gibt zwei Ent-
wicklungen, die mir Sorge bereiten. Meine erste
wirklich zu wenden. Da beginnt die Schwierigkeit,
die wir uns zunächst einmal eingestehen müßten. Sorge ist, daß es in diesen Umweltverhandlungen -
Dieser neue Entwicklungsweg ist noch nicht greif- wie wir das schon bei anderen Umweltverhandlun-
gen erlebt haben - zu einem neuen Nord-Süd-Kon-
bar.
flikt kommt, weil die Interessen der Industriestaaten
In Deutschland stehen ein Viertel aller Tierarten mit denen der Entwicklungsländer kollidieren.
und ein Drittel aller Pflanzenarten auf der Roten Li- Meine zweite Sorge ist, daß zunehmend Aspekte der
ste. Die Ursachen, die der Bericht dafür nennt, sind Nutzung der biologischen Ressourcen und weniger
Zerstörung, Zersplitterung, Verkleinerung und Ent- Schutzaspekte in den Vordergrund der Verhandlun-
wertung von Lebensräumen als Folge des Wi rt gen rücken. Zu beiden Problemen nimmt übrigens
der letzten 50 Jahre. -schaftwchsum der Bericht überhaupt nicht Stellung.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5415
Christoph Matschie
Streit gibt es auch in der Frage der Finanzierung Dann muß man sich noch deutlich machen, wo das
-
der Maßnahmen. Das kann auch gar nicht anders Ganze stattfindet, nämlich drei Kilometer von einem
sein. Die Konvention sieht eigentlich vor, daß die Nationalpark entfernt, einem der wenigen verbliebe-
Industriestaaten zusätzliche Finanzmittel zur Verfü- nen intakten Regenwaldreserven Ostafrikas, in einer
gung stellen, und zwar zur vollen Deckung der Schlucht, von der Umweltexperten sagen, daß dies
Mehrkosten, die den Entwicklungsländern aus der ein Lebensraum mit vielen endemischen Arten ist,
Umsetzung der Konvention entstehen. Nun sind in die nur in dieser Gegend vorkommen und die durch
dem dafür vorgesehenen Fonds, der Globalen Um- den Bau dieses Wasserkraftwerkes gravierend beein-
weltfacilität, Mittel in Höhe von 700 Millionen US- trächtigt werden. Weder in der Planung des Projekts
Dollar für drei Jahre, nämlich für 1995 bis 1997, be- noch in der Prüfung der Umweltverträglichkeit wur-
reitgestellt worden. Selbst der GEF-Chef El Ashry den die Naturschutzbehörden Tansanias überhaupt
hat auf der ersten Vertragsstaatenkonferenz deutlich nur konsultiert.
gemacht, daß die vorhandenen Mittel keineswegs
ausreichen können, um die Umsetzung der Konven- Solange das zur Pra xis deutscher Entwicklungszu-
tion zu finanzieren. sammenarbeit zählt, muß ich sagen, sind die Worte in
diesem Bericht doch Süßholzgeraspel, dem m an
Ich möchte einmal eine Vergleichszahl bringen: keinbsodrButgeimsnka.
Das Umweltprogramm der UNO hat eine Summe von (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
etwa 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt, die GRÜNEN und der PDS)
für die Umsetzung der Konvention in den Entwick-
lungsländern nötig wären. Wir haben aber lediglich Auch zum Schutz der indigenen Bevölkerung hat
einen Beschluß über 700 Millionen Dollar. die Bundesregierung bisher wichtige konkrete
Schritte verweigert. Ich denke nur daran, daß die
Ich glaube, wir sollten uns immer deutlich machen, Bundesregierung eine Ratifizierung der ILO-Konven-
wie klein die Schritte eigentlich nur sein können, die tion 169, die sich mit dem Schutz der indigenen Be-
wir hier gehen, und sollten uns nicht vormachen, daß völkerung befaßt, die gerade für den Schutz und Er-
wir mit diesen kleinen Schritten schon Entscheiden- halt solcher Lebensräume wie Regenwälder wich tig
des vollbracht hätten. Das Argument der knappen sind, nicht vollziehen will.
Kassen ist da natürlich immer schnell zur Hand. Aber
man muß auf der anderen Seite auch sehen, in wel- Einige andere Dinge kann ich nur kurz anreißen,
cher Form die Industriestaaten bisher von der biologi- z. B. den Technologietransfer. Dazu finden sich in
schen Vielfalt der Entwicklungsländer profitieren. Ich dem Bericht nur Allgemeinplätze. Neue Ideen von
nenne nur ein Beispiel: Keimplasma aus der Dritten seiten der Nichtregierungsorganisationen wie z. B.
Welt ist mit über 2 Milliarden US-Dollar jährlich an die Einrichtung nationaler Umweltfonds werden in
den Erlösen der US-amerikanischen Weizen-, Reis- diesem Bericht weder aufgegriffen noch diskutiert.
und Maisproduzenten beteiligt. Wir haben also durch Überhaupt stellt der Ausschluß der Nichtregierungs-
die biologischen Ressourcen der Entwicklungsländer organisationen auf der ersten Vertragsstaatenkonfe-
auch enorme finanzielle Vorteile, sind aber auf der an- renz von den beiden wich tigsten Arbeitsgruppen
deren Seite nicht bereit, finanziell mehr für die Situa- eigentlich einen Rückschritt in der Zusammenarbeit
tion in den Entwicklungsländern zu tun. mit den Nichtregierungsorganisationen dar. Die Bun-
desregierung selbst hat immer wieder betont, wie
Der Bericht spricht auch von den Konsequenzen, wichtig diese Zusammenarbeit ist. Aber der Bericht
die die Bundesregierung aus den Anforderungen der greift diese Dinge nicht auf.
Konvention für die deutsche Entwicklungszusam-
menarbeit gezogen hat, und nennt als Schwerpunkt Alles in allem muß ich sagen: Der inte rnationale
Umweltschutz und Integra tion des Schutzes der bio- Teil des vorliegenden Berichts ist äußerst dürftig.
logischen Vielfalt in alle relevanten Bereiche der Ent- Wenn man sich noch den diesbezüglichen Abschnitt
wicklungszusammenarbeit. Das klingt zunächst alles anschaut, der im Koalitionsantrag zu den internatio-
sehr schön. Aber bisher hat keine grundlegende Be- nalen Entwicklungen Stellung nimmt, dann fällt mir
standsaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit nur eines ein: Mit Einfalt wird die biologische Vielfalt
unter diesem Gesichtspunkt stattgefunden, durch die nicht zu retten sein.
man wirklich zu einer neuen Bewertung und zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
neuen Richtlinien hätte kommen können. Beispiele ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
machen das deutlich. und der PDS)
Ich greife wieder nur einen Sachverhalt heraus:
Unter Beteiligung Deutschlands soll in Tansania das Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Für die Bun-
Wasserkraftwerk Kihansi gebaut werden. Die Um- desregierung erteile ich der Bundesministerin An-
weltverträglichkeitsprüfung für dieses Wasserkraft- gela Merkel das Wort.
werk war so mangelhaft, daß die Norweger - nicht
etwa die deutsche Seite - auf der Durchführung Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt,
einer neuen Untersuchung bestanden. Inzwischen Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident!
wurde am Projekt weitergestrickt. Die neue Studie Meine Damen und Herren! Auf der Rio-Konferenz
konnte deshalb am Ende nur zu dem Schluß kom- im Juni 1992 wurden zwei wichtige Übereinkommen
men, daß das Projekt so weit fortgeschritten ist, daß gezeichnet, zum einen die Klimakonvention, zum an
auf der Umweltstudie basierende Verbesserungen -dernasÜbikomüerdlgischV-
dieses Projekts gar nicht mehr möglich sind. falt. Manchmal habe ich den Eindruck, das zweite
5416 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Bundesministerin Dr. Angela Merkel


Übereinkommen steht im Vergleich mit der Klima- lösen und sie nicht allein zu beklagen, um a lles in
Armut und Askese versinken zu lassen. -
konvention auch bei unserer nationalen Diskussion
ein wenig im Schatten. Aber ich denke, diese zweite
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Konvention ist genauso wich tig wie die Klimakon-
vention. Deshalb finde ich es gut, daß wir heute in Wir sollten in diesem Kontext die besondere Be-
sachlicher Atmosphäre darüber debattieren. deutung des Übereinkommens über die biologische
Beide Konventionen bauen auf dem Grundsatz der Vielfalt sehen. Das Übereinkommen geht von einem
nachhaltigen Nutzung auf. Nachhaltige Nutzung - gesamtökologischen Ansatz der biologischen Vielfalt
das wissen wir inzwischen alle - ist nicht etwa ein aus und verlangt von uns Leitbilder einer Entwick-
Schlagwort, sondern ein ganz wei treichendes politi- lung. Das reicht weit über den klassischen Natur-
sches Programm, ein Programm, das uns im Norden schutz hinaus, der sich vielleicht in dem Washingto-
der Weltkugel genauso angeht wie die Staaten im ner Artenschutzübereinkommen ausgedrückt hat,
Süden. Dieses Programm bedarf einer sehr detaillier- wo es um Aspekte des internationalen Handels mit
ten Umsetzung. gefährdeten Pflanzen- und Tierarten geht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt geht es aber darum, biologische Vielfalt als
Eigenwert zu sehen - als Eigenwert im Spannungs-
Nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen verhältnis zu dem in dieser Vielfalt lebenden Men-
ist im Grunde ganz einfach: Es bedeutet die Erhal- schen. Dieses Spannungsverhältnis schlägt sich auch
tung unserer biologischen Vielfalt. Diese Erhaltung in all unseren Diskussionen nieder, die wir zu führen
ist ein Riesenproblem, von dessen Lösung wir bis- haben.
lang weit entfernt sind. Die Erhaltung kann man auf
unser Wirtschaften und unser Verhalten herunter Natürlich, Frau Mehl, haben Sie mit den von Ihnen
deklinieren: Wir müssen emissions- und abfallarm genannten Beispielen recht. Kein Mensch bestreitet,
wirt schaften und weniger Rohstoffe und Energie ver- daß es Spannungsverhältnisse zwischen der Land-
brauchen. Nur das gibt letztendlich der Natur die wirtschaft, so wie sie sich historisch entwickelt hat,
Chance zum Überleben und zur Fortentwicklung. und der Erhaltung der biologischen Vielfalt gibt. Na-
türlich gibt es Spannungsverhältnisse zwischen dem
Die dauerhafte Leistungsfähigkeit des gesamten Lebensraum, den die Menschen brauchen, z. B. dem
natürlichen Systems wird eben durch die Vielfalt von Verkehr, und der Erhaltung der biologischen Vielfalt.
Pflanzen und Tieren ausgedrückt. Die kann man Natürlich gibt es Sp annungen, wenn es um die Frage
ganz genau nachzählen. Jede ausgestorbene Art ist geht: Wie weit darf der Mensch in die Natur eingrei-
das Ende eines irreversiblen Prozesses. Dieser wie- fen, und wie weit wollen wir Schutzgebiete auswei-
derum bedeutet die Vernichtung von Lebensqualität sen?
und von wirt schaftlichen Chancen für unsere Kinder
und Enkel. Das bedarf einer breiten gesellschaft- Ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir
lichen Diskussion, denn es wird an vielen Stellen ver- alles, was bis jetzt gemacht wurde, sozusagen nieder
drängt. reden. Ich glaube, daß es bei der Landwirtschafts-
politik in den letzten 15 Jahren erhebliche Änderun-
Die Gefährdung unserer biologischen Vielfalt ist gen gegeben hat.
besorgniserregend. Wir müssen uns - das wird oft
außer acht gelassen und hat auch heute in dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Debatte nicht die notwendige Rolle gespielt - einen Ulrike Mehl [SPD]: Aber nicht zugunsten
Blick auf die Bevölkerungsentwicklung gönnen. Der des Naturschutzes!)
„World Bank Development Repo rt " von 1992 sagt, Das heißt aber nicht, daß ich zufrieden wäre. Ich
daß wir im Jahre 2030 neun Milliarden Menschen auf denke z. B., die Richtlinie 2078/92 ist ein erster, aller-
dieser Erde haben werden, im Jahre 2050 zehn bis dings viel zu kleiner Ansatz in der Politik der Europä-
12,5 Milliarden Menschen. ischen Union, um Landwirtschaftsmittel auch für den
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Naturschutz verfügbar zu machen.
DIE GRÜNEN]: Was sagt der Vatikan
Ich unterstütze die Idee der Italiener, die die Präsi-
dazu?)
dentschaft übernehmen werden, sehr, die sagen:
Das müssen wir uns einmal vor Augen führen. Laßt uns einmal eine gemeinsame Sitzung von euro-
Diese Menschen brauchen Land und Energie. Hu- päischen Landwirtschafts- und Umweltministern ab-
bert Markl hat auf einer Tagung zum Thema „Welt halten, und laßt uns mit dem Landwirtschaftskom-
im Wandel „ drastisch die ökologischen Grenzen für missar darüber reden, wie man im Sinne der Land-
diese Menschen aufgezeigt. Diese Menschen wollen wirte die Mittel, die heute in der europäischen Agrar-
sich ernähren, sie brauchen Tiere und Pflanzen, von politik sozusagen als Subventionen - und nicht ein-
denen sie sich ernähren können. Das hat ein giganti- mal auf Wunsch der Landwirte - ausgegeben wer-
sches Landnahmeprogramm zur Folge. den, besser einsetzen kann. Dies könnte viel besser
sein.
Markt kommt zu dem Schluß - das halte ich für un-
sere Debatte für grundsätzlich wichtig -: Nicht Ar- Frau Mehl, es ist auch nicht richtig, daß es in der
mut und Askese sind die Lösungen dieses Problems, Verkehrspolitik nicht viele Änderungen gegeben
sondern vernunftgeleitete Lebenskunst und Verhal- hätte. In diesem Jahr, 1995, investiert der Bund im
tensgeschicklichkeit. Das ist eine Aufforderung an Bereich von Schiene und Wasserstraßen 9,9 plus
dieMnsch,utlbedisPromzu 1,5 Milliarden DM. Er gibt für Investitionen im Stra-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5417
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
ßenbau 8,6 Milliarden DM aus. Das war früher an- einfachen und ganz preiswerten Patentrezepte. Aber
ders, das war früher umgekehrt. was wir heute vorfinden - das ist schon gesagt wor- -
den -, ist eine Zerstörung, Zersplitterung, Verklei-
(Ulrike Mehl [SPD]: Gewässerausbau ist
nerung und Entwertung von Lebensräumen.
doch kein Naturschutz!)
Das hat Auswirkungen; hier sind die Roten Listen
- Ich habe nicht gesagt, daß das Naturschutz ist.
genannt worden. Manchmal, wenn ich auf einem
Aber wir sagen, daß das umweltfreundlichere Ver-
Fischereitag oder beim Bauernverband bin, wird mir
kehrswege sind. Das wollen Sie doch wohl nicht be-
ein bißchen vorgeworfen, ich wäre sozusagen ein
streiten! - Jedenfalls habe ich dann wohl wieder alles Feti schist von Roten Listen, und wir würden uns
falsch gehört.
freuen, wenn wir wieder eine neue herausgeben
(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ können. Das muß wirklich bestritten werden. Jeder,
DIE GRÜNEN]: In so einem Fall empfiehlt der Naturschutz ernst meint, kann sich nicht über
sich der Ohrenarzt!) eine Rote Liste freuen. Ich will das hier noch einmal
ausdrücklich sagen.
Ich habe immer den Eindruck gehabt, daß Sie den
Vorwurf machen, die ökologisch sinnvolleren Ver- Aber die Befunde sind, wie sie sind. Es ist so, daß
kehrswege, nämlich Schiene und Wasserstraße, wür- der Laubfrosch zurückgedrängt wird, die Fledermaus
den von dieser Bundesregierung nicht genügend ge- ebenso und daß das Auerhuhn fast ausgestorben ist -
fördert. Hier gibt es eine Trendwende. Wir können um nur ein paar Beispiele zu nennen, die jedem be-
zwar darüber diskutieren, ob die Mittel dafür ausrei- kannt sind. Es gibt Hunderte und Tausende anderer.
chen, aber das ist eine Trendwende; das war früher
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
anders.
DIE GRÜNEN]: Hier wächst und gedeiht
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - der regierende Ochse!)
Joseph Fischer [Fran kfurt] [BÜNDNIS 90/
Die Wirklichkeit in unserem Land ist so, daß jeden
DIE GRÜNEN]: Sancta simplicitas!)
Tag ein Rückgang an Arten zu beobachten ist. Das ist
Liebe Frau Mehl, auch Sie wissen, daß wir uns in traurig, und das muß von uns gestoppt werden. Des-
den Haushaltsberatungen zu aller Freude eindeutig halb glaube ich, die Erhaltung der Vielfalt der Arten
dafür eingesetzt haben, daß die finanziellen Mittel ist ein richtiges und wich tiges Umweltziel, dem wir
für das Bundesprogramm für die Großschutzprojekte uns verschreiben sollten.
mit 40 Millionen DM wieder auf den ursprünglichen
Wir haben jedoch Fortschritte gemacht. Ich nenne
Bedarf zurückgeführt werden. Ich bedanke mich bei nur das Beispiel des Rheins. Das Programm Lachs
allen, die sich dafür eingesetzt haben. Dies ist ein
2000 im Rhein ist keine Utopie, sondern hat eine
Zeichen dafür, daß diese Bundesregierung den Na- reale Grundlage.
turschutz ernst nimmt und da, wo sie etwas tun kann,
auch handelt. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Wann schwimmt die Frau
(Ulrike Mehl [SPD]: Warten wir einmal das Ministerin im Rhein? Das ist die entschei
Jahr 1997 ab!)
dende Frage!)
- Wir können auch schon die Horrorszenarien für die Die Konzentration von Quecksilber und Kadmium
nächsten 15 Jahre an die Wand malen. Aber, liebe
hat um 90 % abgenommen, die biologisch abbauba-
Leute, das ist doch heute nicht einmal mehr die Poli- ren Stoffe sind um 60 % zurückgegangen, und der
tik der Umweltschutzverbände. Man muß doch den Sauerstoffgehalt hat sich um 50 % erhöht.
Menschen Mut machen, die vorhandenen Ansätze
aufnehmen und sagen: Daraus machen wir mehr für (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
den Naturschutz. Man darf doch nicht heute schon DIE GRÜNEN]: Die Bundesregierung
das negative Szenarium von morgen malen. schwimmt im Rhein!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Was unser Problem ist, sage ich auch ganz deut-
lich. Wir haben es zwar geschafft, den Energiever-
Ich schließe mich dem an, was Herr Rieder gesagt brauch vom Wirtschaftswachstum abzukoppeln, aber
hat: wir haben es nicht geschafft, den Flächenverbrauch
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ vom Wirtschaftswachstum abzukoppeln. Das wird
DIE GRÜNEN]: Das sollte dem Rieder aber eine der ganz wichtigen Aufgaben der nächsten
zu denken geben, wenn sie sich dem an Jahre sein.
schließt!)
Über 170 Staaten haben die Konvention über die bio- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Minister,
logische Vielfalt unterzeichnet; von über 120 Staaten gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
ist sie ratifizert worden. Das ist ein guter Schritt. Steindor?

Wir haben in der Nachkriegszeit auch in der Bun-


Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
desrepublik einen wirtschaftlichen Aufschwung ge-
Frau Ministerin, ich höre Ihnen schon einige Minu-
habt, der erhebliche Schädigungen in der Natur hin-
ten sehr aufmerksam zu.
terlassen hat. Ich glaube, es geht heute nicht um
Schuldzuweisungen, es geht auch nicht um die ganz (Beifall bei der CDU/CSU)
5418 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Marina Steindor
Ich möchte mich für meine Ungeduld entschuldigen, leisten. Wir werden anstreben, daß inte rnationale
wenn ich schon jetzt nach dem frage, was mich bei Übereinkommen, z. B. das Washingtoner Arten-
der Vertragsstaatenkonferenz am meisten interes- schutzübereinkommen, das den speziellen Aspekt
siert; denn ich weiß nicht, ob Sie auf diesen Punkt des internationalen Handels mit gefährdeten Tier-
noch eingehen werden. Wie werden Sie sich bei den und Pflanzenarten regelt, mit den umfassenden Ver-
Konsensgesprächen, die do rt stattfinden, verhalten, pflichtungen dieses Übereinkommens zum Erhalt der
wenn es um die Einsetzung eines Intergovernmental biologischen Vielfalt koordiniert werden. Das ist
Panel zur Erarbeitung eines Biosafety Protocol mit ganz wichti g. Wir werden uns darüber hinaus für ein
Mindeststandards geht? völkerrechtlich verbindliches Protokoll zur biologi-
schen Sicherheit einsetzen, das sich auf den grenz-
überschreitenden Transfer veränderter Organismen
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt,
beziehen wird.
Naturschutz und Reaktorsicherheit: Darf ich auf die
Antwort jetzt verzichten, wenn ich Ihnen verspreche, Jetzt will ich hier ganz deutlich sagen: Die Angst-
daß ich gleich darauf zu sprechen komme, oder soll kampagne gegen die Gentechnik und die Gentech-
ich diesen Punkt vorziehen? Ich müßte dann meine nologie teile ich nicht.
Rede auseinanderreißen. Vertrauen Sie mir?
(Beifall bei der CDU/CSU)
Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich Sie haben das wieder in einer kämpferischen Spra-
mache jetzt ein Expe riment. Ich vertraue Ihnen, dann che vorgebracht - wir haben heute im allgemeinen
werde ich sehen, was dabei herauskommt. sachlich debattiert -, die mir die Angst verdeutlicht
hat. Sie haben an einer Stelle auch gesagt, eigentlich
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - wollten Sie mit der gesamten Gentechnologie gar
Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ nichts zu tun haben. Das schönste wäre, wir würden
DIE GRÜNEN]: Das ist eine klare Abkehr
sie vergessen. Ich sage Ihnen: Das wollen wir nicht.
vom leninistischen Prinzip!)
Vielmehr wollen wir einen verantwortungsvollen
Umgang mit dieser Technologie.
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit: Vertrauen war (Beifall bei der CDU/CSU)
schon das Motto der Kirchentage in der DDR. Das hat So wie andere Techniken und Technologien hat auch
sich über die deutsche Einheit gerettet. diese ihre Gefährdungen. Ich bin da überhaupt nicht
Ich wollte kurz noch etwas zum nationalen Aspekt blind und fortschrittsgläubig, sondern ich glaube, sie
sagen. Der Bericht, über den wir heute diskutieren, hat ihre Gefährdungen wie auch ihre Chancen.
ist ein nationaler Bericht. Die FFH-Richtlinie wird in Diese Chancen werden im Bereich der Medizin
der Novell e des Bundesnaturschutzgesetzes umge- schon heute deutlich sichtbar. Sie werden in anderen
setzt. Ich bin optimistisch wie andere auch - ich Bereichen deutlicher sichtbar werden.
hoffe, ich erhalte viel Unterstützung aus dem Parla- Deshalb geht es um die Frage: Wie schaffen wir es
ment -, daß die Novellierung stattfindet. Aber was weltweit, daß verantwortlich mit diesem neuen Wis-
hindert die Länder daran, schon heute FFH-Gebiete sen und mit diesem neuen Können umgegangen
auszuweisen? Das können die mit oder ohne Richtli- wird? Da sagt Art. 19 (3) des Übereinkommens über
nienumsetzung. die biologische Vielfalt, daß die Vertragsstaaten prü-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - fen sollen, ob die Notwendigkeit eines solchen Proto-
Zurufe von der SPD) kolls zur biologischen Sicherheit besteht, also eines
verbindlichen Zusatzübereinkommens, das Verfah-
- Liebe Fau Mehl, der Bundesrepublik Deutschland ren im Bereich der sicheren Weitergabe, der Handha-
entgehen zur Zeit Life-Mittel aus den europäischen bung und der Verwendung von durch Biotechnologie
Fonds, weil sich kein Bundesland entschließen kann, veränderten Organismen regelt.
solche Gebiete auszuweisen. Ich halte das für außer-
ordentlich bedauerlich. Denn dafür gibt es über- Wir haben in der Europäischen Union beschlossen
haupt keine Notwendigkeit. - das ist auch die Haltung der Bundesregierung -,
daß ein völkerrechtlich verbindliches Protokoll zur
Wir werden gesamtstaatlich repräsentative Schutz- biologischen Sicherheit zweckmäßig ist, sofern es
gebiete weiter ausbauen. Wir werden das Na tional- sich auf den grenzüberschreitenden Transfer derjeni-
parkprogramm weiter umsetzen. Wir werden uns für gen Technologien beschränkt, die auf veränderte
eine nachhaltige und vor allen Dingen auch mit dem biologische Organismen ausgerichtet sind. Das heißt,
Naturschutz verträgliche Landwirtschaft einsetzen - wir wollen nicht - und das unterscheidet uns wahr-
aber mit den Bauern und nicht gegen die Bauern. scheinlich - jeden vorstellbaren Umgang mit diesen
Das will ich hier ganz deutlich sagen. Organismen sozusagen erfassen und kontrollieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich sage Ihnen auch: Dies wird nicht vollziehbar
Meine Damen und Herren, wir werden bei der sein, sondern es geht hier wirklich um die faire Infor-
zweiten Vertragsstaatenkonferenz über unseren na- mati on beim grenzüberschreitenden Verkehr. Da
tionalen Bericht diskutieren. Sie haben insofern sage ich Ihnen - das geht auch etwas in die Richtung
recht, als die Debatte weit über den normalen Natur- von Herrn Matschie -: Dies ist wich tig und auch ein
schutz hinausgeht. Deshalb werden wir einen beson- Signal dafür, daß wir nicht andere Länder bedin-
deren deutschen Beitrag zum Informationstransfer gungslos ausbeuten und von ihrem Reichtum profi-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5419
Bundesministerin Dr. Angela Merkel
tieren wollen, sondern daß für uns der Schutz ge- Ich will in Djakarta erreichen, daß die Globale Um-
nauso wie die Nutzung als zwei Teile einer nachhalti- weltfazilität als endgültiger Finanzierungsmechanis-
gen Entwicklung im Zentrum stehen. mus endlich im Abkommen etabliert wird. Das ist
dringend notwendig. Genauso notwendig ist es, daß
Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie noch eine die zweite Konvention über die biologische Vielfalt
Zwischenfrage von Frau Steindor? endlich ein Ständiges Sekretariat bekommt, das wir
für die Klimakonvention immerhin schon geschaffen
haben.
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wenn sie immer Meine Damen und Herren, ich möchte mich zum
noch nicht zufrieden ist und das Expe riment noch Schluß bei all denen herzlich bedanken, die an der
nicht abgeschlossen ist, dann würde ich das zulas- Vorbereitung dieser Debatte mitgemacht haben: bei
sen. meiner Fraktion, bei der F.D.P.-Fraktion und insbe-
sondere bei der „Jungen Gruppe", die einen wesent-
lichen Impuls zu dem Antrag, den wir heute vorlegen
Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie
konnten, gegeben hat.
verhalten Sie sich gegenüber den Wünschen der Staa-
ten der G 77, die Haftungsfrage zu regeln, eine sozio- Herzlichen Dank.
ökonomische Bewertung der Technologie vorzuneh-
men, eventuell Ausgleichszahlungen für Schäden ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
zustellen und einen Mindeststandard für die Gentech-
nologie analog den europäischen Richtlinien festzu- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe die
schreiben, die über Ihr Modell, nur den Transfer zu re- Aussprache.
geln, hinausgehen? Mit welcher Begründung wollen
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen
Sie der Mehrheit der Vertragsstaaten der Diversity
auf den Drucksachen 13/2707, 13/2667 und 13/2743
Convention diesen Wunsch abschlagen?
zu überweisen, und zwar federführend an den Aus-
schuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, heit und zur Mitberatung an den Ausschuß für Er-
Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir haben uns in nährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an den
der Europäischen Union als Verhandlungslinie über Ausschuß für Gesundheit.
ein Protokoll für den grenzüberschreitenden Transfer
geeinigt. Wir werden das in Djakarta sicher noch nicht Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
vollenden. Die Richtlinien, die wir im europäischen F.D.P. auf Drucksache 13/2743 soll außerdem an den
Maßstab haben - natürlich kann man prüfen, ob sie zu Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städte-
restriktiv sind -, weisen im Grundsatz einen hohen bau überwiesen werden.
Standard auf. Ich habe nichts dagegen, sondern ich Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
unterstütze es sogar, daß in anderen Ländern ähnliche Dann ist das so beschlossen.
Standards gelten und daß man über solche Standards
auch international diskutieren kann. Das sage ich Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag
ganz ausdrücklich. Das darf aber nicht dem Ziel die- der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/2750 feder-
nen - da liegt der Unterschied zwischen uns beiden -, führend an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
dies alles nach Möglichkeit zur Unmöglichkeit zu ver- und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den
dammen. Ich glaube, das geht nicht, denn dann gibt Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
es nur Hintertreibungstatbestände und Umgehungs- sowie an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusam-
tatbestände. Genau das darf nicht sein! menarbeit und Entwicklung zu überweisen.
Natürlich könnte es im internationalen Maßstab Sind Sie auch damit einverstanden? - Dann ist
Haftungsgrundsätze für entstandene Schäden ge- auch diese Überweisung so beschlossen.
ben. Das ist ein Prinzip, über das wir als marktwirt-
schaftliches Instrument in der Umweltpolitik disku- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6:
tieren. Es gibt keinen Grund, dies in den Technolo-
Fragestunde (2 Stunden)
gien nicht anzuwenden. Die Tatsache, daß wir solche
Haftungsregelungen nicht haben, statt dessen aber - Drucksache 13/2708 -
viel zu restriktive ordnungsrechtliche Maßnahmen,
liegt weniger in dieser Bundesregierung begründet, Ich beginne mit den Dringlichen Fragen aus dem
sondern liegt daran, daß sich heute keiner mit der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finan-
Frage auseinandersetzt, welche Schäden vorhanden zen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
und kalkulierbar sind. Dazu dient beispielsweise die Staatssekretärin Irmgard Karwatzki zur Verfügung.
Technikfolgenabschätzung. Genau das kann und Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Schulz auf:
muß man tun. Ich werde mich nicht dagegen
Wie reagie rt die Bundesregierung auf die in dem Berichter-
wehren, daß man so etwas tut. Aber von vornherein statter-Gespräch zum Einzelplan 60 am 24. Oktober 1995 be-
alle potentiellen Schäden in einen Topf zu werfen ist kanntgewordene weitere Steigerung der haushaltswirksamen
aus meiner Sicht eine Forderung der G-77-Staaten, Steuerausfälle für das Jahr 1995 um 4,2 Milliarden DM auf
die man kritisch betrachten muß. Da bin ich nicht 14 Milliarden DM und für das Jahr 1996 um 1,6 Milliarden DM
auf 13 Milliarden DM, wobei sich diese Steigerungen jeweils im
ganz so offen, wie Sie das vielleicht von mir erwar- Verhältnis zu den in der Vorwoche bekanntgegebenen, ge-
ten. Ist damit die Frage beantwortet? - Dann kann schätzten Steuerausfällen ergeben, mit Blick auf den Haushalts-
ich fortfahren. vollzug 1995 und den Haushaltsplanentwurf 1996?
5420 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim len Sie in diesem Zusammenhang die Feststellung
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Schulz, der Steuerschätzer, die davon ausgehen, daß nur ein -
bei den weiteren Steuerausfällen, wie Sie es nennen, Drittel auf konjunkturelle Einflüsse zurückzuführen
handelt es sich um bereits länger bekannte Größen- ist und mindestens zwei Drittel dieser Steuerminder-
ordnungen. einnahmen auf durch die Politik verursachte Tatbe-
stände zurückzuführen sind?
Für den Haushalt 1995: 1,5 Milliarden DM sind
Steuermindereinnahmen, die bereits in der Steuer-
schätzung im Mai dieses Jahres veröffentlicht wur- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
den. Rund 2,6 Milliarden DM werden in 1995 nicht Bundesminister der Finanzen: Dieser Meinung
mehr vereinnahmt, da die ursprünglich für dieses schließe ich mich nicht an, sondern ich möchte an-
Jahr vorgesehene Fristverkürzung der Mineralöl- merken, daß die steuerlichen Sonderfaktoren hier zu
steuer 1996 umfassend neu geregelt wird. berücksichtigen sind: hohe Erstattungen bei der Ein-
kommen- und Körperschaftsteuer in bezug auf das
Im übrigen hat die Bundesregierung durch den Rezessionsjahr 1993. Diese führen ebenso zu Steuer-
Bundesfinanzminister bereits reagiert und in diesem ausfällen wie die verstärkte Inanspruchnahme der
Jahr eine Haushaltssperre nach § 41 BHO angeord- steuerlichen Fördermaßnahmen in Ostdeutschland.
net,
Im übrigen können die Schätzabweichungen nicht
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ dem Bundesministerium der Finanzen angelastet
DIE GRÜNEN]: Einen Tag nachdem er hier werden. Die künftigen Steuereinnahmen werden
geredet hat, es sei alles ganz harmlos!) durch Experten geschätzt. Sie wissen, daß zum ge-
wie mittlerweile auch einige Länder. genwärtigen Zeitpunkt die entsprechende Kommis-
sion diese Fragen erörtert. Hier sind u. a. die For-
Für den Haushalt 1996: Der Bundesfinanzminister schungsinstitute, die Bundesbank, der Bundesmi-
ist im Augenblick im Haushaltsausschuß und infor- nister für Wirtschaft und - das scheint mir wichtig zu
miert do rt die Kollegen im Rahmen der Abschlußbe- sein - die Länder vertreten.
ratungen des Haushaltsentwurfs 1996. Hier wird er
entsprechende Deckungsvorschläge unterbreiten, die (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr rich
die Einhaltung der bisherigen Eckwerte des 1996er tig!)
Haushalts, also Kreditobergrenze von 60 Milliarden
DM und Ausgabenrückgang gegenüber dem Vor- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Zusatz-
jahr, sicherstellen. frage, Frau Wolf.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Schulz, Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
Ihre erste Zusatzfrage. GRÜNEN): Frau Staatssekretärin Karwatzki, können
Sie bestätigen, daß die Bundesrepublik Deutschland
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei der Erfüllung der Maastricht-Kriterien von 3 %
NEN): Frau Staatssekretärin, Sie sind doch eine lang- beim Staatsdefizit und von 60 % beim Schuldenstand
jährige Parlamentarierin, seit 1976 im Deutschen in den nächsten beiden Jahren ihre bisherige Mu-
Bundestag, und können auf die lange Ara der Regie- sterschülerrolle zu verlieren droht?
rung Kohl zurückblicken. Sagen Sie mir bitte: Wann
gab es jemals einen Haushaltsentwurf, der sich zwi- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
schen erster Lesung und Abschlußberatung in einer Bundesminister der Finanzen: Das glaube ich nicht.
solch dramatischen Art und Weise defizitär entwik-
kelt hat? Er weist jetzt ein Defizit von etwa 20 Mil (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
harden DM auf. Nennen Sie mir einen Haushalt, der DIE GRÜNEN]: „Glauben"!)
sich in der Geschichte der Regierung Kohl ähnlich - Das weiß ich, soweit ich das heute sagen kann,
entwickelt hat! Herr Kollege Fischer.
(Eckart Kuhlwein [SPD]: Vom Glauben al
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim lein können wir nicht mehr leben!)
Bundesminister der Finanzen: Dies kann ich Ihnen
nicht sagen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nächste Zu-
(Zuruf von der SPD: Es gibt auch keinen!) satzfrage, Frau Matthäus-Maier.
Ich glaube, es ist erstmalig.
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Wie erklären Sie
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Extraordinäre Situa sich, Frau Staatssekretärin, daß in der letzten Sit-
tion!) zungswoche eine eigenständige Aktuelle Stunde,
wie von der SPD gefordert, mit der Begründung ab-
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gelehnt wurde, es sei alles in Ordnung und alles pa-
NEN): Danke schön. - Meine zweite Zusatzfrage: letti, und zwei Tage später der Bundesfinanzminister
Wenn Sie diese Steuermindereinnahmen bereits im an einem Samstag auf einmal eine Haushaltssperre
voraus gesehen haben, dann wissen Sie sicherlich für 1995 verkündet, weil offensichtlich nicht alles in
auch die Ursachen und Gründe, warum es zu diesen Ordnung ist? Wie erklären Sie sich, daß Sie für das
Steuermindereinnahmen gekommen ist. Wie beurtei Jahr 1996 mittlerweile ein Haushaltsloch von
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5421

Ingrid Matthäus-Maier
19 Milliarden DM haben? Wollen Sie die Haushalts- dabei handelt und wie dies - alle neune in einem
beratungen schlicht und einfach so fortsetzen, als sei Jahr - so umgesetzt werden soll, daß die für den -
nichts geschehen, auch wenn Sie zwischen Vormit- Bund erforderlichen höchstmöglichen Einnahmen er-
tag und Nachmittag anscheinend 19 Milliarden DM zielt werden?
verloren haben, und wollen Sie dem Parlament zu-
muten, weiterzuberaten, als sei nichts geschehen?
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Kuhl-
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim wein, ich habe das gerade ausgeführt. Ich gehe da-
Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Matt- von aus, daß Sie - vielleicht länger als ich - eben
häus-Maier, ob alles paletti war, das weiß ich nicht. noch im Haushaltsausschuß gewesen sind und daß
Ich kann mich auch nicht daran erinnern, daß das der Minister das dort noch einmal dargelegt hat.
hier so vorgetragen worden ist.
(Zuruf des Abg. Eckart Kuhlwein [SPD])
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir waren
aber hier! Ich war hier!) - Doch, das hat er ganz bestimmt.
- Ich auch. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Das hat er leider
genausowenig zureichend getan, wie Sie
Ich möchte Ihnen zu den Löchern im Haushalt '95 das hier tun!)
etwas sagen -- ich habe eben schon versucht, das aus-
zuführen -: Steuerausfälle von rund 10 Milliarden - Ich habe Ihnen im Rahmen meiner Möglichkeiten
DM können durch deutliche Entlastungen auf der die Auskünfte gegeben.
Ausgaben- und Verbesserungen auf der Einnahmen-
seite ausgeglichen werden. Im einzelnen sind dies: (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND
geringere Zinsaufwendungen von ca. 3 Milliarden NIS 90/DIE GRÜNEN)
DM, Minderbedarf bei der Treuhandnachfolge in
Höhe von etwa 4 Milliarden DM, geringerer Zuschuß Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die nächste
zur Bundesanstalt für Arbeit und Verwaltungsmehr- Zusatzfrage hat der Kollege Dr. Wolf.
einnahmen im Bereich von Liegenschaften und Ge-
währleistungen. Außerdem wirkt die Haushalts-
sperre nach § 41 BHO stabilisierend. Ich kann daher Dr. Winfried Wolf (PDS): Frau Kollegin Staatssekre-
eigentlich von keiner signifikanten Überschreitung tärin, wenn Sie sagen, daß diese Ausfälle seit länge-
der Nettokreditaufnahme 1995 von 49 Milliarden DM rem bekannt • seien, und wenn ich daran erinnern
ausgehen. So weit zu 1995. darf, daß das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor-
schung schon vor der Sommerpause ähnliche Aus-
Sie haben mich aber sofort auch zu 1996 gefragt: fälle vorhergesagt hat, wie erklären Sie sich dann,
Die Zusatzbelastungen 1996 in Höhe von gut daß diese Bekanntgabe erst so spät erfolgte? Könnte
19 Milliarden DM resultieren zum einen aus Steuer- es sein, daß hier nach dem Hauruck-Verfahren vor-
ausfällen von rund 13 Milliarden DM, davon gegangen werden soll, um neue, massive Sozialkür-
11,4 Milliarden DM auf Grund der Steuerschätzung zungen durchzudrücken?
und 1,6 Milliarden DM aus dem Kompromiß über das
Jahressteuergesetz. Zum anderen fallen höhere Ar-
beitsmarktabgaben von ca. 6,5 Milliarden DM an. Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Wir arbeiten nicht
Diese Belastungen können unseres Erachtens vor nach dem Hauruck-Verfahren. Vielmehr informieren
allem durch eine Fortsetzung der ohnehin intensiven wir ordnungsgemäß die dafür zuständigen Gremien.
Privatisierungsbemühungen eingefangen werden.
Hier sind etwa 9 Milliarden DM zu erzielen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die nächste
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Habe ich Sie Zusatzfrage hat Frau Beck.
richtig verstanden? 9 Milliarden?)
- Ja. - Ich nenne z. B. den Verkauf der Postbank, der Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wohnungsbaugesellschaften. Ferner wird der Haus- NEN): Frau Staatssekretärin, Sie haben bei dem
halt 1996, wie ich eben schon ausführte, durch die Haushalt für die Bundesanstalt für Arbeit unter
Fristverkürzung bei der Mineralölsteuer um „Bundeszuschuß" für 1996 eine Null eingesetzt, und
2,6 Milliarden DM und, was meines Erachtens außer- zwar zu einem Zeitpunkt, als in den Beratungen in
ordentlich wichtig ist, durch geringere Zinsaufwen- dem zuständigen Fachausschuß bereits klar war, daß
dungen in Höhe von ca. 2,2 Milliarden DM entlastet. die im Frühjahr zugrunde gelegten Erwerbslosen
ahlen nicht mehr stimmten, sondern sich zum-z
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die nächste Schlechteren entwickelt hatten.
Zusatzfrage hat Kollege Kuhlwein.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Eckart Kuhlwein (SPD): Frau Staatssekretärin, Sie
sprachen davon, Sie wollten 9 Milliarden DM zusätz- Entspricht das, wenn Sie zu dieser Zeit bereits wuß-
liche Einnahmen des Bundes durch Privatisierung im ten, daß die zugrunde gelegten Daten sich verändert
Jahr 1996 erzielen. Können Sie uns denn einmal sa- hatten und ein Zuschuß notwendig sein würde, noch
gen, um welche Objekte im Bundeseigentum es sich der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit?
5422 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim ich kenne Vorlagen, bei denen man 13 Seiten erhält,
Bundesminister der Finanzen: Ja. Die Fakten waren -
auf denen nichts steht.
zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.
(Lachen und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE
(Lachen des Abg. Joseph Fischer [Frank GRÜNEN).
furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir haben Ihnen eine Seite geliefert.
Außerdem könnten Sie in Absprache mit dem zu- (Zuruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann
ständigen Ressortminister hier Auskünfte erhalten. [PDS])
Ich kann Ihnen nur wahrheitsgemäß sagen, daß die
Dinge, die ich Ihnen vorgetragen habe, so sind und - Entschuldigung, ich unterhalte mich gerade mit der
nicht schon zu irgendeinem Zeitpunkt für uns vor- Kollegin Heyne, wenn es recht ist.
aussehbar waren.
Frau Kollegin Heyne, ich bin der Meinung, daß die
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Zahlen, die auf diesem „Wisch" - wie Sie meinen -
DIE GRÜNEN]: Gibt es eine Tageszeitung stehen, nachprüfbar sind, und insofern finde ich sie
in der Bundesregierung?) gut. Ich teile im übrigen nicht Ihre Meinung, daß die
Haushaltsberatungen unterbrochen werden müßten.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die nächste Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die nächste
Frage hat Frau Heyne. Wortmeldung hat der Kollege Küster.

Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Dr. Uwe Küster (SPD): Frau Staatssekretärin, kön-
Staatssekretärin, ich komme gerade aus der Haus- nen Sie bestätigen, daß der Bundesminister der
haltsausschußsitzung, in der der Minister uns Mit- Finanzen versucht, seinen Haushalt durch Rückfüh-
glieder des Haushaltsausschusses unterrichten rung des Mitteltransfers in den Osten um 22 Mil-
wollte. Es hat sich abgespielt, daß der Sprecher einer liarden DM zu sanieren, und ist geplant, diese Ten-
anderen Oppositionsfraktion nach der Vorlage denz in den nächsten Haushaltsberatungen fortzu-
fragte, die der Minister gemacht hatte. Man sagte setzen?
ihm: Das ist doch die Nr. 1302. Er hat sie nicht gefun-
den, weil es - entschuldigen Sie den unparlamentari- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
schen Ausdruck - ein Wisch wie dieser war. Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, die Zahl,
(Die Fragestellerin hält ein einzelnes Blatt die Sie genannt haben, stimmt nicht.
Papier hoch) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das sind Ihre eige
nen Angaben!)
Mit diesem kleinen Zettel sollen gegenüber dem
Haushaltsausschuß 20 Milliarden DM belegt werden. Es trifft zu, daß für dieses Jahr schon im Vorfeld im
Finanzplan prognostiziert war, daß die Unterstützung
(Albe rt Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ hier zurückgefahren wird. Insofern kann ich das, was
DIE GRÜNEN]: Beispiellos!) Sie sagen, nicht bestätigen.
Wir haben seit Mitte August bis jetzt intensiv und Im Finanzplan sind ebenfalls die zukünftigen Vor-
lange - teilweise bis tief in die Nacht - gearbeitet. gaben festgelegt.
Wir haben viele Kilogramm Papier bewegt, diskutiert
und bearbeitet. Dabei haben wir über etwa
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort zur
700 Millionen DM Einsparungen entschieden, die
nächsten Frage hat der Kollege Wagner.
zum größten Teil von Ihrer Fraktion vorgeschlagen
worden waren. Jetzt soll über ein Loch von 20 Mil-
liarden DM auf der Basis von diesem kleinen Zettel Hans Georg Wagner (SPD): Frau Staatssekretärin,
entschieden werden. wenn man sehr viel privatisieren wi ll - Sie haben ge-
rade einen Betrag von 9 Milliarden DM genannt -,
Ich frage Sie, Frau Staatssekretärin: Sind Sie mit gibt es auch Betroffene. Eine Privatisierung geht
mir einer Meinung, daß es notwendig ist, die gegen- nicht von heute auf morgen; das sehen Sie z. B. an
wärtig laufenden Haushaltsberatungen im Ausschuß derLufthans.
zu unterbrechen, daß es notwendig ist, daß das Fi-
nanzministerium eine belastbare, aussagekräftige Ich frage Sie: Hat die Regierung mit den Betroffe-
Unterlage zur Verfügung stellt, so daß wir mit Glück nen, mit Mitgesellschaftern gesprochen? Die Frank-
diesen Haushalt im Dezember weiter beraten kön- furter Siedlungsgesellschaft z. B. gehört dem Bund
nen? zu 70 %; mit 30 % sind die Stadt Frankfurt und das
Land Hessen beteiligt. Ist mit ihnen darüber gespro-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, chen worden, ob sie bereit sind, bei einer Privatisie-
bei der SPD und der PDS) rung mitzumachen? Ist mit den Eisenbahnern ge-
sprochen worden? Die Eisenbahnerwohnungen ge-
hören interessanterweise auch dazu, obwohl noch
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim vor vier Wochen behauptet worden ist, ein Verkauf
Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Heyne, sei gar nicht beabsichtigt.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5423
Hans Georg Wagner
Es ist auch die Frage zu stellen, ob Sie die Verkür- Bund in diesem Jahr eingeht, das aber kurioserweise
zung der Fristen zur Abgabe der Mineralölsteuer tat- nicht im Haushalt enthalten ist, sondern im Haus-
sächlich als eine längerfristige Entlastung des Haus- haltsgesetz, und zwar in § 28 Abs. 2. Es handelt sich
halts ansehen. Das kann doch nur ein einmaliges Er- um die ICE-Neubautrasse München-Ingolstadt-
eignis sein, das zudem natürlich den Schwankungen Nürnberg.
am Mineralölsteuermarkt unterworfen ist. Eine Ver-
kürzung der Fristen kann vielleicht einmal zur Entla- Hier steht, daß sich der Bund verpflichtet, dieses
stung führen. Ob sie tatsächlich eintritt, wissen Sie Projekt nach Fertigstellung und Vorfinanzierung
nicht. Das wird man am Ende des Jahres feststellen durch private Investoren über einen Zeitraum von
können. 25 Jahren in 25 Jahresraten à 622 Millionen DM zu-
rückzukaufen. Das macht per saldo 15,6 Milliarden
Meine konkrete Frage lautet also: Ist mit den Be- DM. Wenn man diese Verpflichtung, die der Bund
troffenen gesprochen worden? Das ist schließlich nach Ihrer Vorlage eingehen soll, zu den Verpflich-
eine Sache, die nicht von heute auf morgen gemacht tungsermächtigungen addiert, die im Haushalt für
werden kann. die Bundesfernstraßen ausgewiesen sind - das sind,
abweichend von den schriftlich fixierten Haushalts-
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim zahlen, inzwischen 6 Milliarden DM - -
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Wagner,
privatisieren kann man nicht von heute auf morgen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
Sie dürfen aber sicher sein, daß wir gerade in bezug ich muß Sie unterbrechen.
auf die Wohnungsbaugenossenschaften mit den Be-
troffenen reden. Es ist selbstverständlich auch unser Ich habe Zweifel, ob Ihre Frage in einem Sachzu-
Ziel, daß den Mietern Angebote gemacht werden - sammenhang steht. Die Frage, die wir hier behan-
so wird immer verfahren -, Eigentum zu erwerben. deln, bezieht sich auf den Steuerausfall und die Fol-
Ich kann Ihnen aber heute noch nicht sagen, auf wel- gerungen, die sich aus dem Steuerausfall ergeben.
che Art vorgegangen wird. Sie können darunter nicht jedes einzelne Haushalts-
detail fassen. Ich muß Sie bitten, zu der Frage eine
Zum Verfahren der Mineralölsteuerabgabe: Natür- Zusatzfrage zu stellen.
lich kann das nur eine einmalige Angelegenheit sein.
Das ist selbstverständlich. Man braucht nicht darum
herumzureden. Albe rt Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ich komme sofort zu der Zusatzfrage.
Wenn man beide Beträge zusammennimmt, nämlich
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Steen- 22 Milliarden DM, frage ich: Wie gedenken Sie in der
block, Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatz- Gesamtschuldenbilanz dieser Bundesregierung, die
frage. mit den Haushaltslöchern, die wir heute hier verhan-
deln, korrespondiert, diese zusätzlichen neuen Ver-
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bindlichkeiten in Höhe von 22 Milliarden DM in den
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade davon ge- Unterlagen auszuweisen, die vom Parlament letztlich
sprochen, daß sich die Nettokreditaufnahme trotz der beschlossen werden sollen?
immer deutlicher werdenden Katastrophe bei den
Einnahmen dieser Republik nicht ändern wird. Ich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Staatsse-
frage Sie deshalb: Wie beurteilen Sie den Bericht im kretärin, ich zweifle an dem Sachzusammenhang
„Handelsblatt" vom 23. Oktober, demzufolge das und stelle Ihnen anheim, ob Sie die Frage beantwor-
BMF bezüglich des Anteils der Nettokreditauf- ten wollen.
nahme am Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr von
einer Erhöhung von 2,5 % auf 2,9 % ausgeht und für
1996 sogar eine Erhöhung von 2 % auf 2,5 % erwar- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
tet? Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident, ich be-
danke mich. Ich möchte nicht antworten.
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Was das „Handels- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dann stellt die
blatt" vom 23. Oktober geschrieben hat, entzieht sich Kollegin Höll eine Zusatzfrage.
meiner Kenntnis.
Ich kann Ihnen nur sagen, daß es unser Ziel ist, die Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Staatssekretärin, auf
Nettokreditaufnahme so, wie sie prognostiziert ist, den beiden Zetteln - Wisch, wie Frau Heyne gerade
beizubehalten. zutreffend sagte -, die wir soeben im Haushaltsaus-
schuß erhalten haben, spielt die Zuweisung von Mit-
teln an die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort zur in einem Nachtrag eine besondere Rolle. Inwieweit
nächsten Frage erteile ich dem Abgeordneten können Sie mir sagen, daß im Haushaltsausschuß tat-
Schmidt. sächlich seriöse Beratungen über den Haushalt 1995
erfolgt sind bzw. über den Haushalt 1996 erfolgen
Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE können, wenn Sie diese Zuweisungen als Spielball
GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, meine Frage be- betrachten und bekannt ist, daß zehn Minuten vor
zieht sich auf das größte Investivprojekt, das der Abschluß der Bereinigungssitzung diese Zuweisung
5424 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Barbara Höll


für 1995 um 3 Milliarden DM gekürzt wurde, aber, einmal gesagt: Nein. Wir operieren mit Zahlen, die
wie sich jetzt herausstellt, 4,3 Milliarden DM für 1995 verantwortungsvoll sind. Deswegen bin ich dafür,
benötigt werden? Wie können Sie angesichts dieser daß die Haushaltsberatungen zu Ende geführt wer-
Erfahrungen sagen, daß wir tatsächlich über reale den.
Zahlen im Haushalt 1996 diskutieren?
Vizepräsident Hans Klein: Kollege Kröning.
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident, darf Volker Kröning (SPD): Frau Staatssekretärin,
ich diese Frage an meinen Kollegen weitergeben? meine Frage bezieht sich auf die Antwort, die Sie ein-
gangs gegeben haben, als Sie von den Korrekturen
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön, sie der Steuerschätzung sprachen. Sie haben dabei eine
ist ja an die Bundesregierung gerichtet. Anspielung gemacht, daß dafür Ihr Haus nicht ver-
antwortlich sei. Ich frage Sie deshalb: Ist das Bundes-
Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- finanzministerium im Arbeitskreis ,,Gesamtwirt-
minister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Kollegin, schaftliche Vorausschätzungen" gleichberech tigt
es ist unstrittig, daß die Gelder, die scheinbar zu ei- vertreten? Hat Ihr Vertreter in diesem Arbeitskreis
nem Minus führen, 1995 nicht gebraucht werden. Es den Konjunkturprognosen für die beiden Steuer-
ist mit der Selbstverwaltung und dem Vorstand der schätzungen dieses Jahres zugestimmt? Wenn nein,
Bundesanstalt für Arbeit abgestimmt. Wir brauchen welche abweichende Einschätzung hat er do rt vertre-
diese Mittel in diesem Umfang, wie Sie sie genannt ten?
haben, nicht.
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Auf Grund der neuen Schätzungen, die mit der
Steuerschätzung nichts zu tun haben - es gibt einen Bundesminister der Finanzen: Das letztere kann ich
eigenen Schätzerkreis für die gesamtwirtschaftliche Ihnen nicht beantworten. Ich habe auch nicht gesagt,
Entwicklung, einschließlich der Arbeitsmarktdaten - daß wir nicht zuständig sind, vielmehr habe ich ge-
werden wir die Beträge, die Sie genannt haben, in sagt, daß wir im Verbund mit anderen verantwortlich
sind.
diesem Umfang für 1996 brauchen. Die Gesamtent-
wicklung des Jahres 1996 können weder Sie noch ich (Eckart Kuhlwein [SPD]: Ob er zugestimmt
heute voraussagen. Das hat es immer gegeben, sonst hat oder nicht, war die Frage!)
hätten wir im Haushalt 1995 auch nicht mehr einge-
stellt, als wir gebraucht haben. Möglicherweise brau- - Ich habe Ihnen gerade zu Beginn gesagt: Das kann
chen wir 1996 auch etwas weniger, vielleicht etwas ich nicht sagen. Entschuldigung, Sie, verehrte Kolle-
mehr. So ist nun einmal die Lage, wenn man schät- ginnen und Kollegen, die die Erfahrenen sind, wis-
zen muß. sen ja auch nicht, was ihr Mitarbeiter namens Meier,
Müller oder Schulze gesagt hat.
(Zustimmung bei der CDU/CSU)
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Nichts gegen Schulz!)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Zusatz-
frage des Abgeordneten Bierstedt. Ich bin gerne bereit, diesem Einzelfall nachzugehen.
Aber ich möchte sagen: So können wir doch nicht
Wolfgang Bierstedt (PDS): Frau Staatssekretärin, miteinander umgehen.
ich habe zugegebenermaßen eine etwas polemische (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Frage. Ihre Aussagen, die Sie getä tigt haben, waren DIE GRÜNEN]: Arme Frau Karwatzki!)
allerdings auch etwas polemisch. Sie verweisen
gerne auf die Erfahrungen der ehemaligen DDR. Ich - Ich bin nicht arm, lieber Kollege Fischer, überhaupt
möchte auch einmal auf eine Erfahrung aus der ehe- nicht.
maligen DDR verweisen.
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Scheel.
(Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)
Bei uns gab es ein Sprichwort: Der Plan ist die Ergän- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
zung des Zufalls durch den Irrtum. Wäre es Ihnen un- Vorab eine Bemerkung: Diese Panne - so kann man
ter Umständen hilfreich, wenn Sie ganz einfach zu- es ja nur bezeichnen - der Steuerschätzer ist die di-
geben, daß sich die Bundesregierung geirrt hat, und rekte Folge einer verworrenen Finanzpolitik. Das
darum bitten, die Haushaltsberatungen zu unterbre- war in den letzten Wochen in verschiedenen Zei-
chen und sie im Dezember fortzuführen? tungen nachzulesen.

Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim Wenn ich auf dem Zettel mit der Überschrift „We-
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, Sie ha- sentliche Veränderungen Haushalt 1996", den Sie
ben sehr wahrscheinlich nicht mich persönlich ge- jetzt vorgelegt haben, sehe, daß bei den Entlastun-
meint, als Sie sagten, daß ich gerne auf die Erfahrun- gen im Bereich der Privatisierung 9 Milliarden DM
gen der DDR verwiese. Dann hätten Sie sich vertan. angegeben werden, und wenn ich berücksichtige,
daß vom Herrn Bundesfinanzminister gesagt wurde,
Zu der Frage, ob die Haushaltsberatungen unter- daß man die Privatisierung der Postbank mit einem
brochen werden sollten, habe ich Ihnen eben schon Betrag zwischen 3 und 6 Milliarden DM veranschlagt
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5425
Chris tine Scheel
habe, muß ich doch feststellen, daß hier eine giganti- Ich möchte von Ihnen ganz konkret wissen: Wie
sche Spanne liegt, nämlich eine von 3 Milliarden wollen Sie eigentlich die Kriterien für die Währungs--
DM. Wenn Sie in anderen Bereichen auch mit sol- union einhalten, die ja Obergrenzen für die Ver-
chen Spannen operieren, wie können Sie dann sa- schuldung vorsehen, und das bei diesen 3 Milliarden
gen, daß die neue Berechnung aussagekräftig sein DM, die ja letztendlich im Raum stehen? Das bedeu-
soll? tet ja nichts anderes, als daß sie fehlen könnten. Sie
sind doch jetzt schon haarscharf an der Obergrenze
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim angekommen. Wie wollen Sie diese Kriterien ange-
Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, wir le- sichts dieses Spielraumes einhalten?
ben in einer Wettbewerbsgesellschaft, und da versu-
chen wir natürlich in unserem Interesse, das meiste Irmgard Karwatzki, Pari. Staatssekretärin beim
herauszuholen. Darum muß man mit solchen Diffe- Bundesminister der Finanzen: Entschuldigung, mei-
renzen rechnen. Man muß schauen, daß man auf nen Sie die Kriterien von Maastricht? - Ja. Ich bin
dem Markt das Beste herausholen kann. sehr zuversichtlich, daß wir diese Kriterien einhalten
werden.
(Eckart Kuhlwein [SPD]: Und was ist, wenn
Sie nur die Hälfte kriegen?) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Dann werden wir neu darüber reden, Herr Kollege
Kuhlwein. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Berninger.

(Eckart Kuhlwein [SPD]: Dann ist das Loch


Matt hias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
noch größer!)
Frau Staatssekretärin, offensichtlich wollen Sie die
Einnahmeausfälle im Haushalt 1996 dadurch kom-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Mosdorf. pensieren, daß Sie das Tafelsilber oder das, was da-
von übriggeblieben ist, bereits in diesen Haushalt
Siegmar Mosdorf (SPD): Frau Staatssekretärin, wie einstellen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie
beurteilen Sie vor dem Hintergrund der Erfahrun- wollen Sie für den Haushalt 1997 eine seriöse Haus-
gen, die Sie jetzt mit der Steuerschätzung machen, haltspolitik sicherstellen, wenn das Tafelsilber ein-
den merkwürdigen Tatbestand, daß die Bundesbank mal weg ist?
Aufschätzungen bei der Berechnung des Bruttoso- Daran schließt sich die Frage an: Wäre es nicht ein
zialprodukts im Frühjahr dieses Jahres vorgenom- wesentlich seriöserer Umgang mit den Einnahme-
men hat, die dazu geführt haben, daß man bis in den ausfällen, wenn man, statt einen solchen Wisch, den
Herbst hinein an der 3-Prozent-Prognose festgehal- meine Kollegin Heyne schon angesprochen hat, zu
ten hat, obwohl wich ti ge führende Wirtschaftsfor- verteilen, einschneidende Maßnahmen des Haus-
schungsinstitute schon früher vorausgesagt haben, halts im Haushaltsausschuß - und bei Bedarf in den
daß wir in diesem Jahr wahrscheinlich nicht über einzelnen Fachausschüssen - beraten würde, d. h.
2,25 % Bruttosozialproduktwachstum hinauskommen jetzt nicht voreilig Dinge verkauft, die später fehlen
werden? werden und was einem später leid tun wird?
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja auch (Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
noch viel!) NEN)

Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
desminister der Finanzen: Sie haben ja eine Frage da- Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, ich habe
hin gehend gestellt, wie ich es bewerte, daß die Bun- in unserem Haus - und darüber hinaus auch sonst in
desbank eine solche Schätzung abgegeben hat. der öffentlichen Verwaltung - noch kein Tafelsilber
(Siegmar Mosdorf [SPD]: Das habe ich nicht gesehen. Wohl ist es so, daß wir alle über den soge-
gefragt!) nannten schlanken Staat reden. Deshalb müssen wir
uns von einigen Dingen trennen, sprich: privatisie-
Dazu kann ich nur sagen: Die Bundesbank ist ein au- ren. So verfahren wir hier.
tonomes Gremium. Welche Schätzungen sie abgibt,
muß die Bank verantworten.
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Skarpelis
Sperk.
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Altmann.
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Frau Staatssekre-
Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tärin, Sie haben in der Antwort auf die Frage des Kol-
NEN): Ich möchte gern auf die Antwort zurückkom- legen Mosdorf darauf hingewiesen, daß die Deutsche
men, die Sie meiner Kollegin Scheel gegeben haben, Bundesb an k - das ist unstreitig - eine autonome In-
und zwar sprachen Sie vom Wettbewerb. Ich würde s ti tu ti on ist. Sind Sie dennoch bereit, im Zentralbank-
Sie gern einmal etwas polemisch fragen - das als rat, in dem die Bundesregierung ja vertreten ist, dar-
Vorbemerkung -, ob man nicht eine solche Kalkula- auf hinzuwirken, daß die Deutsche Bundesbank Ein-
tion, wenn man das betriebswi rt schaftlich sehen flußnahmen auf das Statistische Bundesamt unter-
würde, doch als unse ri ös bezeichnen müßte. Das nur läßt, die darauf zielen, daß Grundlagen statistischer
einmal vorweg. Daten verändert werden? Die Frage bezog sich ja
5426 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk


darauf, daß ein Datum höher geschätzt wurde, als Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dies dem tatsächlichen Dateneingang entsprochen NEN): Welche Erfahrungen haben Sie denn bisher -
hat. mit der Privatisierung von Banken gemacht?
Ist die Bundesregierung also bereit, darauf hinzu-
wirken, daß die Zahlen der deutschen Öffentlichkeit Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
ungeschminkt dargeboten werden? Wird sie im Zen- Bundesminister der Finanzen: Soweit zufriedenstel-
tralbankrat darauf hinwirken, daß dies zukünftig so lende.
erfolgt? (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Eckart Kuhlwein [SPD]: Da ging es um
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim Parkbänke!)
Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, ich
weiß nicht, ob das, was Sie hier ausgeführt haben, so Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Matthäus
zutrifft. Ich sage Ihnen zu, ich prüfe das und werde Maier.
Sie dann in Kenntnis setzen.
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Staatssekretä-
Vizepräsident Hans Klein: Werden zur Dringlich- rin, in § 32 der Bundeshaushaltsordnung wird be-
keitsfrage 1 weitere Zusatzfragen gestellt? - Dies ist schrieben, wie ein Ergänzungshaushalt aussehen
nicht der Fall. muß, der dann nötig ist, wenn sich die Daten so
enorm verändern wie im vorliegenden Fall. Er muß
Dann rufe ich die Dringlichkeitsfrage 2, die eben-
nämlich so aussehen wie ein normaler Haushaltsent-
falls der Kollege Werner Schulz gestellt hat, auf:
wurf. Sind Sie nicht der Ansicht, daß dieser Wasch-
Plant die Bundesregierung angesichts dieser Haushaltsent- zettel, den Frau Heyne eben hochgehalten hat, die-
wicklung zusätzliche Eingriffe in Leistungsgesetze, und, wenn ser Anforderung nicht entspricht? Auf ihm werden
nein, wie sollen die Deckungslücken geschlossen werden?
19 Milliarden DM in sieben Einzelpositionen - völlig
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, ich bitte unspezifiziert - zusammengefaßt. Unter anderem
Sie um Ihre Antwort. steht da: Sonstige Entlastungen 3 Milliarden DM.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim DIE GRÜNEN]: Zirka 3 Milliarden!)
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Schulz,
- Ja, ca. 3 Milliarden DM. - Man stelle sich vor, einer
ein Haushaltssicherungsgesetz ist nach Auffassung
von uns hätte in seiner Rede den Kürzungsvorschlag
der Bundesregierung nicht nötig. Den Steuerausfäl-
gemacht: Sonstige Kürzungen ca. 3 Milliarden DM.
len im 95er Haushalt von rund 10 Milliarden DM ste-
Sie wären aus dem Fenster gesprungen.
hen deutliche Entlastungen auf Ausgaben- und Ein-
nahmenseite gegenüber, die zusammen mit der Empfinden Sie einen solchen Waschzettel dann
Haushaltssperre zu keiner signifikanten Erhöhung nicht als Zumutung? Müßten wir die Haushaltsbera-
der Nettokreditaufnahme von 49,8 Milliarden DM tung nicht gemeinsam unterbrechen - so unsere Mei-
führen. nung -, damit Sie die Gelegenheit haben, einen or-
dentlichen Ergänzungshaushalt vorzulegen?
Die Zusatzbelastungen 1996 von gut 19 Milliarden
DM werden, wie ich eben schon einmal ausführte, in (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
voller Höhe durch zusätzliche Privatisierungserlöse, GRÜNEN und der PDS)
durch die Fristverkürzung im Zusammenhang mit
der Mineralölsteuer und durch absehbare Minder-
Vizepräsident Hans Klein: Ich darf zwischendurch
ausgaben im Bereich der Zinslasten, des Erblastentil-
wieder einmal auf unsere Geschäftsordnung verwei-
gungsfonds sowie weiterer Schätzansätze ausgegli- sen, die vorsieht, daß in der Fragestunde Fragen ge-
chen.
stellt und keine längeren Debattenbeiträge geleistet
werden.
Vizepräsident Hans Klein: Eine erste Zusatzfrage,
(Otto Schily [SPD]: Das war eine sehr gute
Herr Kollege Schulz.
Frage! - Dr. Uwe Küster [SPD]: Der Hinweis
auf die Bundeshaushaltsordnung war sehr
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gut!)
NEN): Frau Staatssekretärin, liegen der Privatisie-
- Was Sie gut finden oder nicht gut finden, ist eine
rung der Postbank AG andere Überlegungen zu-
andere Frage. Wichtig ist, was in der Geschäftsord-
grunde, als möglichst schnell möglichst hohe Erlöse
nung steht.
zu erzielen? Meinen Sie, daß auf Grund der entstan-
denen Haushaltslage die Verhandlungsposition des Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Bundes dabei besonders günstig ist?
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Mat-
Bundesminister der Finanzen: Es gibt sehr viele Be- thäus-Maier, natürlich werden wir entsprechend den
werber, so daß sich Ihre implizierte Schlußfolgerung Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung die Gremien
nicht bewahrheiten wird. rechtzeitig informieren. Ich bin im Gegensatz zu
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5427

Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki


Ihnen nicht der Meinung, daß es in diesem Fall - das Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
haben Sie nicht gesagt - eines Nachtragshaushaltes Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Wagner, -
bedarf. ich bin gerne bereit, im Haushaltsausschuß mit Ihnen
darüber zu diskutieren. Hier ist meine Fragestellung
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ergänzungs eine andere.
haushalt! )
Vielleicht, wenn der Kollege Günther - -
- Richtig: Ergänzungshaushalt, Entschuldigung.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Er hat Sie gerade
Wir haben diese Frage mit den zuständigen Be- verlassen!)
richterstattern erörtert. Ich bin der Meinung - wie ich
schon einige Male ausführte -, daß wir mit dem Zah- - Entschuldigung, dann kann ich es nicht weiterge-
lenmaterial, das wir den entsprechenden Gremien ben.
vorgelegt haben, die Haushaltsberatungen miteinan- (Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/
der fortsetzen können. DIE GRÜNEN]: Er eilt herbei! Die Bundes
regierung stürmt!)
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Kuhlwein.
Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Eckart Kuhlwein (SPD): Frau Staatssekretärin, trifft minister für Arbeit und Sozialordnung: Entschuldi-
es zu, daß die SPD-Fraktion im Haushaltsausschuß gung, darf ich die Frage noch einmal hören?
bereits vor vierzehn Tagen nach einer Vorlage zum
Stopfen der Löcher in den Haushalten 1995 und 1996 Hans Georg Wagner (SPD): Es ist so, daß die Zah-
durch den Bundesfinanzminister gefragt hat? len, die uns vorgelegt worden sind, in ihrer pauscha-
Trifft es zu, daß heute nachmittag in der Sitzung len Form sicherlich eine seriöse Grundlage haben. Es
des Haushaltsausschusses diese beiden Blätter - das muß ja nachgerechnet werden, wenn m an etwas ein-
eine betrifft 1995, das andere 1996 -, die sehr pau- sparen oder entlasten will. Nennen Sie doch ein paar
schale Zahlen enthalten - Milliardenbeträge -, vor- Einzelheiten der von Ihnen geplanten Schnitte in das
gelegt wurden? soziale Netz, die aus diesen Zahlen hervorgehen!

Können Sie sich vorstellen, daß der Haushalt mor-


gen in der Bereinigungssitzung für 1996 an Hand sol- Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
cher Zahlen seriös und solide, wie es nach dem Haus- minister für Arbeit und Sozialordnung: Die Zahlen,
haltsgesetz erforderlich ist, beraten werden kann? soweit sie sich auf die Bundesanstalt für Arbeit bezie-
hen, beinhalten nicht, daß zusätzlich Einschnitte bei
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja!) der Bundesanstalt für Arbeit vorgenommen werden.
(Ecka rt Kuhlwein [SPD]: Das hat Herr
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim Waigel eben ganz anders erzählt!)
Bundesminister der Finanzen: Das letzte möchte ich
mit Ja beantworten. - Herr Kuhlwein, ich beziehe mich auf den Stand,
der mir heute bekannt ist. Was in fünf Monaten sein
Zu Ihrer ersten Frage, ob Sie bereits vor vierzehn wird, wissen Sie nicht, weiß auch ich nicht.
Tagen nach dieser Vorlage gefragt haben, möchte ich
sagen: Da Sie mir die Frage stellen, gehe ich davon (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
aus, daß das so ist. Ich weiß es nicht mehr. DIE GRÜNEN]: Sollen wir die Uhrzeit noch
dazu sagen? 16.19 Uhr!)
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist eine Mißach
tung des Parlaments!) Weitere Einsparungen - das wissen Sie - wollen
wir durch Maßnahmen im Bereich der Sozialhilfe
- Das können Sie aber nicht sagen, Herr Küster. und im Bereich der Arbeitslosenhilfe vornehmen.
Das sind die bekannten Pläne. Weitere Einsparungen
(Dr. Winfried Wolf [PDS] meldet sich zu sind nicht vorgesehen.
einer Zusatzfrage)
(Dr. Uwe Küster meldet sich zu einer Zu
satzfrage)
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wolf, Sie
können sich ruhig noch hinsetzen. Ich habe noch
eine riesige Liste mit Fragen, die vorab beantwortet Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Küster,
werden müssen. nehmen Sie doch bitte noch einmal Platz. Ich habe
eine ziemlich lange Liste durchzugehen, bevor Sie
Kollege Wagner. dran sind.
Die nächste Frage kommt von der Kollegin Barbara
Hans Georg Wagner (SPD): Frau Staatssekretärin,
Höll.
ich gehe davon aus, daß die Zahlen, die Sie hier vor-
gelegt haben - wenn auch nur in pauschaler Form -,
eine seriöse Grundlage haben. Nennen Sie bitte ein Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Staatssekretärin, der
paar Einzelheiten der von Ihnen geplanten Ein- Haushaltsentwurf der Regierung, der uns im Septem-
schnitte in das soziale Netz und der Reduzierungen, ber vorgelegt wurde, ist ja sicher das Ergebnis inten-
die vorgenommen werden! siver Beratungen und der Abstimmung mit den Mini-
5428 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Barbara Höll


sterien. Wie ist es möglich, daß Sie jetzt auf einmal behalt zu Protokoll gegeben hat, von dem auch nach
ein Einsparpotential in Höhe von fast 20 Milliarden Abschluß der Entwicklung dann Beschaffungsent--
DM sehen? Hat Ihr Ministe rium nicht richtig gearbei- scheidungen abhängig sind.
tet? Haben Sie riesige Luftbuchungen extra im Haus-
halt gehabt? Oder haben Sie uns bewußt verschwie-
Vizepräsident Hans Klein: Danke.
gen, wo Sie im nächsten Jahr noch zusätzliche Ein-
nahmequellen sehen? Herr Kollege Metzger.

Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Höll, ich Frau Staatssekretärin Karwatzki, als Haushälter
kann das ja noch ein paarmal singen, vielleicht auch möchte ich noch einmal auf eines hinweisen, nämlich
aufnehmen lassen: Es sind keine Luftbuchungen daß die Tischvorlagen von heute nachmittag zur
darin. Ich habe erklärt, wie es zu den Steuerausfällen Deckung unseriös sind.
gekommen ist. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sa-
gen. (Zuruf von der CDU/CSU: Frage stellen!)
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Ich habe etwas an Können Sie beispielsweise bestätigen, daß der Bun-
deres gefragt!) desfinanzminister auf Grund einer Rechnung, die er
vor einer Stunde dem Haushaltsausschuß bezüglich
des Abschlusses 1995 offeriert hat, davon ausgeht,
Vizepräsident Hans Klein: Kollege Hans Büttner. daß er mit der Haushaltssperre im Haushaltsjahr
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ 1995 nicht weniger als 6 Milliarden DM einsparen
DIE GRÜNEN]: Es ist schon interessant, muß, damit die Rechnung stimmt? Stimmen Sie wei-
wieso die 9 Milliarden DM nicht angegeben ter zu, daß die Verkürzung der Mineralölsteuer von
worden sind!) 2,6 Milliarden DM in dieser Aufstellung überhaupt
nicht als Belastung für den Haushalt 1995 berück-
- Wollen Sie sich auch melden, Herr Kollege Fischer? sichtigt ist? Deshalb kann von Seriosität in diesem
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Zusammenhang überhaupt nicht die Rede sein, weil
DIE GRÜNEN]: Nein, danke!) danach 8 Milliarden DM im Haushalt 1995 zu erset-
zen wären.
Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Frau Staatssekre- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
tärin, trifft angesichts der gegenwärtigen prekären DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Haushaltslage die Aussage des bayerischen Mini-
sterpräsidenten Dr. Edmund Stoiber zu - die er am Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
20. Oktober 1995 anläßlich einer Festveranstaltung Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Metzger,
des „Kurier" -Druckhauses in Ingolstadt gemacht ich habe eben schon einmal ausgeführt, daß es ur-
hat -, daß er zusammen mit den Standortländern der sprünglich so war, daß man die Fristverkürzung bei
Luft- und Raumfahrtindustrie erreicht habe, daß der der Mineralölsteuer 1995 berücksichtigen wollte, das
Bund durch positive Beschaffungsentscheidungen aber aus aktuellem Anlaß nicht getan hat und sie für
der Industri e die erforderliche Planungssicherheit ge- das nächste Jahr berücksichtigen wird.
geben habe, daß bis zum Jahre 2009 von der Bundes-
regierung 4,3 Milliarden DM für die Entwicklung des Was die Zahlen hinsichtlich der Haushaltsrech-
Nachfolgers der Transall - Future Large Aircraft - be- nung, die Sie genannt haben, angeht, so habe ich
reitgestellt werden, bis zum Jahre 2001 der Hub- das nicht verstanden. Ich kenne die Zahlen auch
schrauber Tiger, bis zum Jahre 2002 der Kampfhub- nicht, weil ich nicht mehr da war.
schrauber NH 90 bereitstehen sollen, und daß die
Bundesregierung außerdem daran festhalte, daß bis Vizepräsident Hans Klein: Bitte.
zum Jahre 2010 140 Jagdflugzeuge vom Typ Euro-
fighter bestellt werden? Sind solche Zusagen in der
Finanzplanung des Bundes bereits enthalten? Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Aus Verständnisgründen: Die Auflistung des Mini-
steriums beinhaltet 12 Milliarden DM Einsparungen
Dr. Norbe rt Lammert, Parl. Staatssekretär beim
und 4 Milliarden DM Belastungen. Das sind 8 Mil-
Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, der
liarden DM im Saldo. Dann steht dort der schlichte
Bundesverteidigungsminister hat in der von Ihnen zi-
Satz - die Steuerausfälle 1995 betragen 14 Milliarden
tierten Sitzung mit den Ministerpräsidenten der Län-
DM -: Der Restbetrag wird voraussichtlich durch die
der über die Materialbeschaffungsplanung der Bun-
Haushaltssperre gedeckt.
deswehr berichtet und in diesem Zusammenhang zu
den Projekten Stellung genommen, die Sie gerade Deshalb meine Frage: Glauben Sie wirklich, daß
aufgelistet haben. Er hat ausdrücklich darauf hinge- der Finanzminister über die Haushaltssperre, die am
wiesen, daß für keine einzige dieser aufgelisteten 13. Oktober verfügt wurde, 6 Milliarden DM im
Maßnahmen Beschaffungsentscheidungen vorlie- Haushalt 1995 einspart, vor allem wenn man berück-
gen, zumal im übrigen - was in dieser Sitzung eben- sichtigt, daß die Mineralölsteuer, die Sie in Ihrer Ant-
falls ausdrücklich angemerkt wurde - für eine Reihe wort angesprochen haben, dieses Jahr als Einnahme
dieser Fragen, beispielsweise für den Eurofighter das wegfällt, weil die Buchung auf das nächste Jahr ver-
Parlament einen ausdrücklichen Entscheidungsvor lagert wurde? Man müßte die 2,6 Milliarden DM also
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5429
Oswald Metzger
zu den 6 Milliarden DM rechnen. Nach meiner Rech- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
nung fehlen im Haushalt 1995 8,6 Milliarden DM. Frau Staatssekretärin, wie Sie wissen, haben wir öf--
ter einmal recht. Der Kollege Oswald Metzger hat am
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim 12. Oktober eine Haushaltssperre beantragt. Theo
Bundesminister der Finanzen: Zu der Mineralöl- Waigel hat sie weit von sich gewiesen; die Begrün-
steuer habe ich bereits etwas gesagt. Ich antworte dung ist im Protokoll nachzulesen. Am 14. Oktober
deshalb auf Ihre zweite Frage. hat Theo Waigel die Haushaltssperre verkündet.

Herr Kollege Metzger, Sie wissen genauso wie ich, Jetzt haben wir die Situation, daß immer mehr Mil-
daß das Dezemberfieber diesmal etwas eher ausge- liardenlöcher auftauchen. Herr Metzger hat bereits
brochen ist. Ich hoffe zuversichtlich, daß wir die Zah- einige Punkte angesprochen. Ich kann daher nur
len, die wir durch die Haushaltssperre erreichen wol- noch ergänzend sagen: Die Milliarde, die der Land-
len, auch erreichen werden. wirtschaft als Verlustausgleich versprochen wurde,
ist in der aktuellen Berechnung nicht vorhanden.
Sind Sie nicht mit uns der Meinung, daß der Finanz-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Kampeter,
minister, weil die Opposition heute, am 25. Oktober,
bitte.
die Aussetzung der Verhandlungen im Haushalts-
ausschuß beantragt, spätestens am 27. Oktober, also
Steffen Kampeter (CDU/CSU): Angesichts der wieder zwei Tage später, die Aussetzung verkünden
Haushaltsentwicklung richtet sich meine Frage an sollte?
die Bundesregierung darauf, daß in diesen Tagen un-
zählig viele gute Ratschläge gegeben wurden. Ein
Vorschlag war, die Nettokreditaufnahme in erheb- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
lichem Maße zu erweitern. Meine Frage an die Bun- Bundesminister der Finanzen: Ich würde keiner
desregierung: Wie bewerten Sie die Realisierung des Fraktion das Recht absprechen, recht zu haben. Ich
Vorschlages, die Nettokreditaufnahme erheblich zu spreche es also auch Ihnen nicht ab.
erweitern, gesamtwirtschaftlich? Welche Auswirkun-
gen würden für den Wirtschaftsstandort Deutschland Ich prüfe gleich nach, ob der Verlustausgleich für
aus dem Befolgen solcher Ratschläge erwachsen? die Landwirtschaft berücksichtigt worden ist. Unab-
hängig davon - ich habe das bereits zehnmal gesagt -
bin ich nicht der Meinung, daß wir die Haushaltsbe-
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim ratungen unterbrechen sollten. Wir sollten vielmehr
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Kampe- gemeinsam versuchen, den bestmöglichen Weg zu
ter, ich hatte eingangs bereits ausgeführt - Sie konn- gehen, um das Ziel gemeinsam zu erreichen.
ten nicht dabeisein, weil Sie im Haushaltsausschuß
waren -, daß die Bundesregierung auf gar keinen
Fall die Nettokreditaufnahme ausweiten wird; denn Vizepräsident Hans Klein: Kollege Dr. Wolf.
die Folgerungen, die Sie mit Ihrer Frage angespro-
chen haben, kann sich jeder selbst ausrechnen.
Dr. Winfried Wolf (PDS): Frau Staatssekretärin, wie
erklären Sie sich, daß zwar die Bundesregierung er-
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Heyne. hebliche Kürzungen u. a. im sozialen Bereich - wenn
auch unspezifiziert - vornehmen wird, daß aber zu-
Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau sätzliche Mittel und Gelder für neue, zusätzliche Rü-
Staatssekretärin, Sie sind langjähriges Mitglied im stungs- und Weltraumprojekte spätestens ab 1996 in
Haushaltsausschuß gewesen, und Sie sind Mitglied den Haushalt eingestellt werden müssen, und könnte
dieses Hauses. Sind Sie mit mir einer Meinung, daß es unter diesen Bedingungen nicht sein, daß diese
man die Gefahr sehen muß, daß es im Haushaltsaus- Art von Haushaltsplanung von dem Kollegen Waigel
schuß eine gewisse Betriebsblindheit gibt, nachdem nach dem Prinzip erfolgt, das der bayerische Schrift-
man so viel Arbeit in diesen Haushalt gesteckt hat, steller Bertolt Brecht genannt hat: „Ja, mach nur ei-
und daß es Aufgabe des Parlaments wäre, zu sagen: nen Plan", und dann gefolgert hat: „Denn für dieses
Stop, so kann es nicht weitergehen, ihr müßt eine Leben ist der Mensch nicht schlau genug; niemals
Pause einlegen? Stimmen Sie mit mir überein, daß es merkt er eben allen Lug und Trug"?
deswegen sinnvoll wäre, die parlamentarischen
Möglichkeiten zu nutzen und das Thema hier in ei-
ner Aktuellen Stunde zu besprechen, um dem Haus- Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
haltsausschuß klarzumachen, wie es weitergehen desminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter,
kann? wenn Sie gestatten: Der Verteidigungshaushalt wird
nur um Personalverstärkungsmittel aufgestockt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sonst gibt es in diesem Haushalt keine weiteren Auf-
und der PDS) stockungen in der Summe.

Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin Heyne, DIE GRÜNEN]: Ich denke, die Personalver
verständlicherweise bin ich nicht Ihrer Meinung. stärkungsmittel werden gestrichen!)

Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Scheel. Vizepräsident Hans Klein: Kollege Dr. Uwe Küster.
5430 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dr. Uwe Küster (SPD): Frau Staatssekretärin Kar- letzte Position unter „Sonstiges": Einsparungen von
watzki, es gibt bei einem Ihrer Koalitionspartner - ich ca. 3 Milliarden DM. Können Sie mir auch nur andeu--
will den Namen nennen: F.D.P. - die Vorstellung, daß tungsweise zu verstehen geben, was sich hinter die-
ein Haushaltsstrukturgesetz nötig ist. Wie ist nun die sen Einsparungen unter „Sonstiges" in der Größen-
Entscheidung in der Koalition, Haushaltsplan oder ordnung von 3 Milliarden DM verbirgt? Was habe ich
Haushaltsstrukturgesetz? mir darunter vorzustellen?

Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Ich kann Ihnen sagen, Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, ich
daß die Bundesregierung gegen ein Haushaltsstruk- möchte Ihnen, da wir das noch miteinander erörtern,
turgesetz ist. Wenn ich die Überlegungen innerhalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, was sich dahin-
der F.D.P. richtig gesehen habe, ist das do rt ein ein- ter im einzelnen verbirgt. Das ist eine Fülle aus ver-
zelner Rufer. Insofern kann man nicht sagen: „die schiedenen Haushaltsansätzen.
F.D.P. " oder „der Koalitionspartner" .
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wäre sehr interessant!)
DIE GRÜNEN]: Wie heißt denn der Rufer?)
- Herr Fischer, ich glaube, Sie sind da genausogut in- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Lemke.
formiert wie ich.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau
DIE GRÜNEN]: Der einzelne Rufer in der Staatssekretärin, sind Sie angesichts der desolaten
Wüste namens F.D.P.! - Heiterkeit beim Haushaltslage nicht mit mir der Meinung, daß es
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der sinnvoll wäre, Projekte, die an sich schon umstritten
SPD) sind - nicht bloß in ökologischer Hinsicht, sondern
auch in finanzpolitischer und ökonomischer Hinsicht -,
- So möchte ich das nicht sehen, Herr Kollege Fi- z. B. die Saale-Staustufe, aus den Haushaltsplanun-
scher. Der Name ist bekannt: Graf Lambsdorff. gen herauszunehmen, was konkret für das Haus-
haltsjahr 1996 6 Millionen DM und für das darauffol-
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin gende Jahr 213 Millionen DM nach Ihren bisherigen
Dr. Dagmar Enkelmann. Planungen bedeuten würde, um eine Haushaltsent-
lastung zu schaffen?
Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Frau Staatssekretä-
rin, welche Folgen ergeben sich aus Ihrer chaoti- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
schen Haushaltspolitik für Länder und Kommunen? Bundesminister der Finanzen: Entschuldigung, ich
habe das Projekt nicht verstanden.
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Wir haben eine sehr Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist
Mare, strukturierte Haushaltspolitik. der Einzelplan 12, die Saale-Staustufe in Sachsen
Anhalt.
(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Sie ist nicht chaotisch. Bundesminister der Finanzen: Im einzelnen kann ich
dazu nicht Stellung nehmen. Zum Prinzipiellen
Wenn Sie mich im einzelnen fragen, welche Aus- möchte ich sagen, daß gerade solche Dinge inner-
wirkungen das auf Länder und Gemeinden hat, will halb der parlamentarischen Beratungen berücksich-
ich Ihnen darauf gern eine Antwort geben, aber so tigt und auch dort entschieden werden.
im allgemeinen nicht.
(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Geben Sie Vizepräsident Hans Klein: Ich möchte die Kollegin-
doch die Antwort!) nen und Kollegen, die noch Fragen stellen wollen,
vorsorglich auf etwas hinweisen: erstens auf das, was
- Nein.
ich vorhin mit Blick auf die Geschäftsordnung gesagt
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ habe. Zweitens muß sich die Zusatzfrage auf die Ur-
DIE GRÜNEN]: Seitdem die Chaostheorie sprungsfrage beziehen. Ihre Frage, Frau Kollegin,
erfunden wurde, ist Ihre Aussage richtig!) hatte mit der Ursprungsfrage, die beantwortet wor-
den ist, überhaupt nichts mehr zu tun. Ich bitte also,
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Albe rt darauf Rücksicht zu nehmen, daß sich die Zusatzfra-
Schmidt. gen auf die jeweilige Frage bzw. die Antwort darauf
beziehen.

Albe rt Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE Die nächste Frage stellt der Kollege Köhne.
GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, die Ausarbeitung
des Bundesfinanzministeriums, die heute mit der Rolf Köhne (PDS): Frau Staatssekretärin, mir ist
Drucksachennummer 1302 im Haushaltsausschuß noch nicht ganz klar: Warum haben Sie die Einspar-
vorgelegt wurde, jener ominöse Wisch, enthält als möglichkeiten von 20 Milliarden DM, die Sie jetzt
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5431
Rolf Köhne
vorgelegt haben, nicht bereits im September oder Sonstiges auch Einschnitte in Leistungsgesetze ge-
Oktober in die Haushaltsberatungen eingebracht? meint, oder ist das auf jeden Fa ll ausgeschlossen?

Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Weil die Steuerschätz- Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, das
zahlen erst später vorlagen. kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Wir werden von Fall zu Fall entscheiden. Insofern
Vizepräsident Hans Klein: Kollege Kubatschka. vermag ich heute Ihre Frage nicht zu bejahen.

Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Altmann.


Horst Kubatschka (SPD): Frau Kollegin, die vorge-
legten Zahlen belegen Mindereinnahmen in Milliar-
denhöhe. Waren diese vorher nicht bekannt, oder Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
wurde von Ihrem Haus oberflächlich gearbeitet? - NEN): Frau Staatssekretärin, die F.D.P. hat Ein-
Ich will ganz vorsichtig sein. schnitte in Leistungsgesetze vorgeschlagen. Wie ste-
hen Sie dazu, daß statt dessen alle anderen Haus-
halte noch einmal durchforstet werden sollten, z. B.
Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
auch, um sich von Großprojekten zu verabschieden,
Bundesminister der Finanzen: Wir haben sehr gute
die gerade in den nächsten Haushalten Belastungen
Mitarbeiter, die nicht ober flächlich arbeiten, sondern
bedeuten? Auch die Preissteigerungen kommen
die im Rahmen ihrer Möglichkeiten das Beste für uns
noch zum Tragen. Ich denke z. B. an den Transrapid.
alle auf den Weg geben.
Gibt es konkrete Überlegungen, hier mit Kürzungen
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Soweit sie die Bun- anzusetzen?
desregierung läßt! Es wäre ja noch schöner,
wenn auf die Mitarbeiter abgeladen wird!) Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Ich habe gerade dem
Vizepräsident Hans Klein: Werden weitere Zusatz- vorherigen Frager gesagt, daß die Sache im Einzel-
fragen zu der Dringlichkeitsfrage 2 gewünscht? - fall, wenn sie erforderlich ist, entschieden wird.
Herr Steenblock.
(Gila Altmann [Aurich] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Von wem? Wer entscheidet
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das?)
Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie auf die Posi tion
„Sonstiges" ansprechen. Dabei geht es immerhin um - Die Bundesregierung.
3 Milliarden DM. Das sind nicht Peanuts, das ist
keine Summe, die im Haushalt zu vernachlässigen Vizepräsident Hans Klein: Gibt es weitere Zusatz-
wäre. Ich kann mir nicht vorstellen, daß in Ihrem fragen? - Das ist nicht der Fall.
Hause keine Überlegungen dazu angestellt worden
sind, was diese 3 Milliarden DM beinhalten sollen. Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Justiz auf. Die Fragen 1 und 2, die der
Es kann nicht der Wahrheit entsprechen, wenn Sie
Kollege Dr. Sperling gestellt hat, sollen schriftlich be-
sagen, Sie hätten überhaupt keine Informationen
antwortet werden. Die Antworten werden als Anla-
darüber, was sich hinter diesen 3 Milliarden DM tat-
sächlich verbirgt. Deshalb frage ich Sie: Sind damit gen abgedruckt.
eventuell Einzelhaushalte gemeint, wie z. B. der Ver- Zur Geschäftsordnung, Kollege Werner Schulz.
kehrshaushalt, der dabei Relevanz hat, sind dabei
globale Haushaltskürzungen gemeint? Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Ihre Frage Die Fülle der Fragen und auch die Brisanz der Fra-
hat nichts mit der Dringlichkeitsfrage 2 oder der Ant- gen der letzten Stunde haben deutlich gemacht, daß
wort darauf zu tun. der Bundeshaushaltsentwurf 1996 eine einzigartige
Frage ist oder zumindest in Frage steht. Die Staatsse-
(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE
kretärin Karwatzki hat uns hier deutlich unter Be-
GRÜNEN]: Doch! Wie die Deckungslücken
weis stellen können, daß sie es noch nie erlebt hat,
geschlossen werden sollen!)
daß in der kurzen Zeit zwischen der ersten Beratung
- Hier steht: und der Schlußberatung eines Haushalts ein Defizit
von 20 Milliarden DM entstanden ist.
Plant die Bundesregierung ... Eingriffe in Lei-
stungsgesetze . . .? Ich beantrage deswegen im Namen meiner Frak-
tion gemäß § 106 der Geschäftsordnung des Deut-
(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ schen Bundestages eine akzessorische Aktuelle
DIE GRÜNEN]: ,,... und ... wie sollen die Stunde, eine Aktuelle Stunde, die sich aus dieser Fra-
Deckungslücken geschlossen werden?" Das gestunde heraus ergibt, um die Haltung der Bundes-
steht auch noch da!) regierung zur Auswirkung des Milliardendefizits
auf den anstehenden Bundeshaushalt zu diskutieren.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist doch eine unglaubliche Tatsache, daß neben
Dann präzisiere ich: Sind mit den 3 Milliarden DM der Nettokreditaufnahme von 60 Milliarden DM, die
5432 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Werner Schulz (Berlin)


bereits jetzt eingeplant ist, ein zusätzliches Defizit im Grunde ad absurdum zu führen und zu sagen: Wir
-
von über 20 Milliarden DM aufgetreten ist, obwohl unterhalten uns an Hand dieses dämlichen Zettels
die Bundesregierung hier beteuert, daß die eine oder über Kürzungsvorschläge in der Größenordnung von
andere Erwägung, das eine oder andere Risiko be- fast 20 Milliarden DM. Das ist unzumutbar.
reits im Vorfeld bekanntgewesen sei und man dies
gesehen habe. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Wir sind der Meinung, daß der Bundesfinanzmi-
nister hier im Plenum darüber Rechenschaft ablegen Ich habe noch nie, auch in meiner langjährigen Ar-
sollte. beit im Haushaltsausschuß nicht, eine schlampigere
Haushaltsvorbereitung erlebt als in diesem Jahr. Der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesfinanzminister hat auf allen Ebenen und in
sowie bei Abgeordneten der SPD) voller Linie versagt. Das werden wir hier in dieser
Der finanzpolitische Offenbarungseid sollte hier Aktuellen Stunde, die ich unterstütze, mit vorführen.
stattfinden und nicht hinter den verschlossenen Tü- Wir erwarten, daß der Bundesfinanzminister dann
ren des Haushaltsausschusses, wo man sich ange- schon etwas Konkreteres zu dem sagt, wie er sich das
wöhnt hat, die eine oder andere Korrektur und Kos- vorstellt, als Sie, Frau Karwatzki, es hier vermutlich
metik in der laufenden Haushaltsberatung unterzu- sagen konnten.
bringen, wo es mittlerweile Usus geworden ist, daß
Ich sage Ihnen hier: Die SPD-Bundestagsfraktion
die Bundesregierung einen schlecht vorbereiteten
wird nicht bereit sein, auf Grund eines solchen Zet-
Haushaltsentwurf einbringt, der dort regelmäßig zur
tels Haushaltsplanberatungen für das Jahr 1996
Makulatur gemacht wird und dann in einer qualifi-
durchzuführen.
zierten Form als Haushalt für- das nächste Jahr diesen
Ausschuß verläßt. Ich glaube, von dieser Pra xis müs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
sen wir abweichen. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen hier wohl eher die Frage klären, ob Wenn Sie das dann ohne uns machen wollen, tragen
nicht eine Ergänzungsvorlage zum Haushaltsent- Sie auch ganz allein die Verantwortung dafür.
wurf 1996 erforderlich geworden ist; denn es ist doch
atemberaubend, wie seit der deutschen Einheit Mil- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)
lionen- und Milliardenbeträge durch die Luft gewir-
belt werden, so daß es allen Zuschauern und Zuhö- Wir werden den Menschen in Deutschland klarma-
rern regelrecht schwindelig wird, wie der Zahlen-Ra- chen, daß das solide Finanzpolitik - in Anführungs-
stelli Waigel nicht nur die Nullen in der Schwebe zeichen - ist. Sie werden dafür dann die Folgen zu
hält, sondern selbst einige Nullnummern produziert. tragen haben.
Wir möchten unmittelbar hier und heute, von die- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
ser Stelle aus, im Rahmen einer Aktuellen Stunde GRÜNEN und der PDS)
Auskunft vom Bundesfinanzminister haben. Es ist
vom Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU zu-
gesichert worden, daß der Bundesfinanzminister zur Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin
Verfügung steht und daß er sofort hier erscheinen Dr. Barbara Höll.
wird. Ich denke, daß wir in diesem Sinne eine Aktu-
elle Stunde durchführen sollten. Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men und Herren! Die PDS unterstützt eindeutig das
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Anliegen der Aktuellen Stunde und die notwendige
PDS) Klärung, wie sich die Bundesregierung dazu verhält,
auf dieser Grundlage den Haushalt für 1996 weiter
beraten zu wollen. Wir meinen, nach den jetzt vorlie-
Vizepräsident Hans Klein: Ebenfalls zur Geschäfts- genden Dingen ist es notwendig, auch über den
ordnung Dr. Peter Struck. Haushalt 1995 noch ausführlich zu diskutieren, um
dann auf dieser Grundlage realistisch und sachkun-
Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine Da- dig über den Haushalt 1996 sprechen zu können.
men und Herren! Eine derart peinliche Vorstellung,
wie Sie sie hier gegeben haben, Frau Staatssekretä- Wir meinen, dies nicht zu leisten, indem man nur
rin Karwatzki, habe ich in langer Parlamentszeit noch morgen in der Bereinigungssitzung im Haus-
nicht erlebt. haltsausschuß etwas entscheiden will. Denn das
heißt auch, daß man letztendlich allen Fachministe-
(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ rien und den Kolleginnen Parlamentarierinnen und
DIE GRÜNEN) Kollegen Parlamentariern, die bisher schon über den
Das liegt auch an dem sehr peinlichen Vorgang, für Entwurf beraten haben, nicht mehr die Möglichkeit
den Sie persönlich sicherlich nicht die Verantwor- gibt, sich mit den neu aufgekommenen Zahlen, mit
tung tragen. denen wir jetzt konfrontiert werden, auseinanderzu-
setzen und sie sach- und fachkundig in die entspre-
Es ist ein unglaubliches Verhalten der Bundesre- chenden Einzelhaushalte tatsächlich einzuarbeiten.
gierung, mit einem solchen Wisch eine Haushalts- Wir denken, daß das alles andere als solide Haus-
planberatung, die seit Monaten durchgeführt wird, haltspolitik ist.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5433
Dr. Barbara Höll
Ich bin persönlich baß erstaunt darüber, wie nun Die 40 indischen Arbeitnehmer haben für ihren in-
auch Peanuts in die offizielle Politik scheinbar Ein- dischen Arbeitgeber die von diesem von der Firma -
zug halten sollen, wenn unter „Sonstiges" z. B. Schubert & Salzer gekaufte Gießereianlage in Ingol-
3 Milliarden DM fallen. stadt abgebaut, in ca. 150 Container verpackt und
dabei das erforderliche Know-how gewonnen, um
Aus diesem Grunde unterstützt die PDS die Bean- die Anlage in Indien fachgerecht wieder aufbauen zu
tragung der Aktuellen Stunde. Wir werden auch den können.
Abbruch der Haushaltsberatungen zum momenta-
nen Zeitpunkt unterstützen und denken, daß es so Ohne den Einsatz der indischen Arbeitnehmer bei
nicht möglich ist. der Demontage und die dabei erworbenen Kennt-
nisse wäre eine Wiedererrichtung der Gießereian-
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne lage in Indien durch die Arbeitnehmer des indischen
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unternehmens nicht möglich gewesen. Ich kann Ih-
nen ergänzend sagen, daß in meinem Wahlkreis ein-
Vizepräsident Hans Klein: Gibt es weitere Wort- mal eine Walzstahlanlage abgebaut wurde, bei der
meldungen zur Geschäftsordnung? - Das ist nicht auch die Genehmigung für chinesische Arbeitneh-
der Fall. mer gegeben wurde, damit sie das ebenso lernen,
um diese Walzstahlanlage in China wieder aufbauen
Die Geschäftsordnung sieht eigentlich vor, daß sol- zu können.
che, sich aus der Fragestunde entwickelnden Aktuel-
len Stunden am Schluß der Fragestunde beantragt Der Einsatz deutscher Kräfte, gerade auch im Hin-
werden. Da man sich aber jederzeit zur Geschäfts- blick auf einen Wiederaufbau in Indien, hätte für die
ordnung melden kann und der Kollege Schulz und indische Firma zu nicht tragbaren Kosten geführt. In
die anderen Kollegen das jetzt getan haben, teile ich der Konsequenz wäre der Verkauf der Anlage ge-
mit, daß wir die verbleibende Zeit für die Frage- scheitert, aber die Anlage hätte verschrottet werden
stunde feststellen, damit ich sagen kann, wann die müssen. Ich gehe davon aus, daß Sie als Ingolstädter
Aktuelle Stunde beginnen wird. Ich werde das, so- der Auffassung sind, daß man sie hätte retten kön-
bald die nächsten Fragen aufgerufen sind, tun. nen. Dies ist nicht der Fall. Sie wäre verschrottet wor-
den. Durch den Erhalt der Gießereianlagen konnten
In Fortsetzung der Fragestunde rufe ich den Ge- - auch entwicklungspolitisch begrüßenswert - Ar-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Ernäh- beitsplätze in Indien geschaffen werden. Die Firma
rung, Landwirtschaft und Forsten auf. Schubert & Salzer hat nach Schließung und Verkauf
des Werks in Ingolstadt ca. 200 neue Arbeitsplätze in
Die von dem Kollegen Klaus Dieter Reichardt ein- Erla - das ist eine besonders strukturschwache Re-
gereichten Fragen 3 und 4 mögen bitte schriftlich be- gion im Erzgebirge - zusätzlich geschaffen.
antwortet werden. Die Antworten werden als Anla-
gen abgedruckt. Zusammenfassend läßt sich deshalb feststellen,
daß durch den an die Beschäftigung der indischen
Ich habe nach meiner Uhr noch 60 Minuten für die
Arbeitnehmer geknüpften Verkauf der Gießerei nach
Fragestunde. Das heißt, daß die Aktuelle Stunde
Indien sowohl dort entwicklungspolitisch erwünschte
kurz vor 18 Uhr beginnen wird.
Effekte erzielt worden sind als auch in einem neuen
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Bundesland zusätzliche Arbeitsplätze im industriel-
nisteriums für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beant- len Bereich geschaffen werden konnten. Die Bundes-
wortung der Fragen steht uns der Parlamentarische regierung hält es deshalb für richtig, daß die Bundes-
Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung. anstalt für Arbeit die Arbeitserlaubnisse für die indi-
schen Arbeitnehmer erteilt hat, nachdem die indi-
Wir kommen zur Frage 5 des Abgeordneten Bütt- sche Firma zugesichert hat, für die Beschäftigung der
ner: indischen Arbeitnehmer diejenigen Arbeitsbedin-
Wo liegt nach Ansicht der Bundesregierung das deutsche In-
gungen zugrunde zu legen, die für vergleichbare
teresse, aufgrund dessen die zuständigen Arbeitsverwaltungen deutsche Arbeitnehmer Anwendung finden.
einer indischen Firma aus Nagpur nachträglich eine Arbeitser-
laubnis für ca. 40 indische Arbeiter erteilt haben, obwohl diese Nach dem Bericht des Landesarbeitsamtes Süd-
Firma die indischen Arbeiter zunächst unter Vorspiegelung fal- bayern wurde mit den indischen Arbeitnehmern ein
scher Tatsachen hatte mit einem Ausbildungsvisum einreisen
lassen und die Arbeiter an ihrem deutschen Einsatzort ohne
befristeter Arbeitsvertrag für die Zeit vom 25. Juli bis
deutsches Geld straflagerähnlich kaserniert und erst nach Ein- 22. Oktober 1995 abgeschlossen, der eine Vergütung
schaltung der Öffentlichkeit die allergrößten Mißstände besei- im Zeitlohn nach der deutschen Lohngruppe II des
tigt worden sind, eine menschenwürdige Unterbringung aber einschlägigen deutschen Tarifvertrages zum Stun-
bis heute nicht gewährleistet ist?
densatz von 15,06 DM vorsah. Zusätzlich zu den Ver-
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. gütungen wurden den Arbeitnehmern Unterkunft
und Verpflegung gewährt. Die Unterkünfte der indi-
schen Arbeitnehmer wurden vom Gewerbeaufsichts-
Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- amt geprüft. Alle festgestellten Mängel wurden nach
minister für Arbeit und Sozialordnung: Danke, Herr der Auskunft, die wir bekommen haben, besei tigt.
Präsident. - Herr Kollege Büttner, für die Anerken-
nung eines deutschen Interesses an der Beschäfti-
gung 40 indischer Arbeitnehmer waren folgende Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol-
Umstände maßgebend: lege Büttner.
5434 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Erste Zusatz- daß die Arbeitsverwaltung bis zum 15. September
frage. Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung 1995 nicht überprüft hat, ob die seit Mitte August-
die Erteilung der Ausnahmegenehmigungen in die- in dem Betrieb in Ingolstadt tätigen 40 indischen
sem Fall auch dann für gerechtfertigt, wenn den Arbeitnehmer im Besitz einer rechtsgültigen Ar-
Behörden nach mir vorliegenden Unterlagen be- beitserlaubnis sind, und erst auf Grund massiver In-
kannt war, daß lediglich 17 Arbeitnehmer direkt tervention des Abgeordneten Büttner tätig gewor-
von der indischen Käuferfirma stammten, die weite- den ist?
ren über 20 Arbeiter aber von einem Subunterneh-
mer dieser indischen Firma kamen, die selbst nur
einen befristeten Arbeitsvertrag mit der ausdrückli- Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
chen Klausel hatten, daß sich ihr Vertrag auf den minister für Arbeit und Sozialordnung: Kollege Ha-
Einsatz in Deutschland beschränkt und eine Weiter- senfratz, es mag möglich sein, daß die Arbeitsverwal-
beschäftigung für die Käuferfirma in Indien ausge- tung von vornherein nicht gründlich genug geprüft
schlossen ist, und damit auch keine Begründung hat. Ich will dies aber nicht sagen, sondern werde es
dafür vorliegt, diese Arbeiter würden das für den prüfen und kann Ihnen die Antwort dann geben. Es
Wiederaufbau der Anlage in Indien nötige Know- muß festgestellt werden, ob man diese Prüfung, die
how benötigen? normalerweise vor der Erteilung der Arbeitserlaubnis
hätte vorgenommen werden müssen, wirklich zu
spät vorgenommen hat.
Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Arbeit und Sozialordnung: Kollege Bütt-
ner, m an kann dieser Sachlage selbstverständlich Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen
nachgehen. Wir gehen von 40 indischen Arbeitneh- dazu? - Werden nicht gestellt. Vielen Dank, Herr Par-
mern aus, die in Indien die Anlage wieder aufbauen. lamentarischer Staatssekretär.
Wenn Sie mir Ihre Unterlagen freundlicherweise zur
Verfügung stellen, werde ich selbstverständlich bei Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
der Bundesanstalt für Arbeit prüfen, ob Ihre Anga- riums der Verteidigung auf. Die Fragen wird die Par-
ben richtig sind. lamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger be-
antworten.
Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Zweite Zusatz- Ich rufe die Frage 6, gestellt von der Kollegin Steffi
frage. Lemke, auf:
Wurde seitens der Bundesregierung eine Genehmigung zur
Vizepräsident Hans Klein: Bitte. Einlagerung hochexplosiver Munition in die Bunker des ehema-
ligen Militärflugplatzes in Allstedt (Land Sachsen-Anhalt) nach
dem Kriegswaffenkontrollgesetz erteilt?
Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Haben sich das
Bundesarbeitsministerium, andere Ministe rien oder Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Dienststellen des Bundes oder der Länder einge-
schaltet, damit für die 40 mit falschen Arbeitser-
laubnissen eingereisten indischen Arbeiter erst Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
nachträglich eine Ausnahmegenehmigung durch desminister der Verteidigung: Herr Präsident! Frau
das Landesarbeitsamt Südbayern erteilt wurde, ob- Kollegin, die Bundesregierung hat keine Genehmi-
wohl die vorliegenden Arbeitsverträge dem deut- gung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz zur La-
schen Arbeits- und Sozialrecht nicht entsprochen gerung von Munition in Bunkern des ehemaligen
haben und erst am 5. Oktober, mehr als zwei Mo- Militärflugplatzes in Allstedt erteilt.
nate nach Einreise und Arbeitsaufnahme, formal
angepaßt worden sind? Die Genehmigungen nach dem Kriegswaffenkon-
trollgesetz beziehen sich ausschließlich auf die Her-
stellung sowie auf den Erwerb, die Überlassung und
Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- den Transpo rt von Kriegswaffen. Das Kriegswaffen-
minister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, Sie sa- kontrollgesetz sieht kein Antrags- und Genehmi-
gen es. Nachdem interveniert wurde - ich weiß gungsverfahren bezüglich der Lagerung von Muni-
nicht, von welcher Seite; ich vermute, auch von Ih- tion vor. Die Erlaubnis zur Einlagerung von Muni tion
nen persönlich -, ist nachträglich eine ordnungsge- an einem den Sicherheitserfordernissen entsprechen-
mäße Installierung von Verträgen vorgenommen den Lagerort wird nach dem Sprengstoffgesetz und
worden. Das bezieht sich auch darauf, daß man von dem Bundes-Immissionsschutzgesetz durch den je-
indischer Seite vorab davon ausgegangen ist, daß weiligen Regierungspräsidenten bzw. die zuständige
man hier etwas lernen kann und Ausbildungs- oder Kreisverwaltung erteilt.
Bildungsverträge vorliegen. Da dies nicht der Fall
war, ist a ll es korrigiert worden, und das wissen
auch Sie. Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle
gin.
Vizepräsident Hans Klein: Kollege Hasenfratz.
Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kann
Klaus Hasenfratz (SPD): Herr Staatssekretär, wie ich Ihre Aussage so interpretieren, daß die Aussage
begründet die Bundesregierung den Sachverhalt, der Landesregierung von Sachsen-Anhalt in der
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5435

Steffi Lemke
Drucksache 2/1293 vom August 1995 falsch ist? Ich Warum hat die Bundesregierung in die Kommission zur Erar-
beitung des 10. Jugendberichts, der die Lage der Kinder in un-
zitiere: serem Lande untersuchen soll, keine Gutachter aus dem Kreise
des Deutschen Bundesjugendringes oder der Jugendverbände
In die Bunker des ehemaligen Militärflugplatzes berufen, die bekanntlich im Bereich der Kinderarbeit besondere
Allstedt wurde Muni tion, die für Kriegswaffen praktische Erfahrungen haben?
bestimmt ist, eingelagert. Für die o. g. Munition
Ich darf vorab sagen: Die Frage 8 von der Kollegin
sind die Bestimmungen des Gesetzes über die
Gabriele Iwersen soll schriftlich beantwortet und die
Kontrolle von Kriegswaffen ... maßgebend.
Antwort als Anlage abgedruckt werden.
Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
desminister der Verteidigung: Frau Abgeordnete, ich
kann hier natürlich nur für die Bundesregierung Gertrud Dempwolf, Parl. Staatssekretärin bei der
sprechen. Die Zuständigkeit für Fragen der Lage- Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und
rung der Munition liegt nicht bei der Bundesregie- Jugend: Herr Kollege Hagemann, Ihre Frage beant-
rung, wie ich schon ausgeführt habe, sondern bei der worte ich wie folgt: Es ist gesetzlich festgelegt, daß
jeweiligen Landesregierung. Das Kriegswaffenkon- der Kommission für den Jugendbericht bis zu sieben
trollgesetz macht Aussagen zum Nachweis des Be- Sachverständige angehören. Die Bundesregierung
standes der Munition. Es hat nichts mit der sicher- hat nach einer Vielzahl von Vorschlägen sieben
heitsgerechten Lagerung von Muni tion zu tun. Inso- Sachverständige ausgewählt. Die von Ihnen präfe-
fern kann ich Ihnen in dieser Frage leider nicht wei- rierte Gruppe ist leider diesmal nicht dabei. Es ist
terhelfen. aber möglich, daß die Kommission in Form von Gut-
achten weitere Aufträge zu Spezialthemen an andere
Sachverständige vergibt.
Vizepräsident Hans Klein: Wollen Sie eine zweite
Zusatzfrage stellen? Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage? - Nein.
Werden aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen
Zusatzfragen gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja,
bitte. - Können Sie mir des weiteren bestätigen, daß Danke, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, für
die Aussagen in der "Volksstimme" vom 25. Juli die- die Beantwortung der Frage.
ses Jahres ebenfa lls falsch sind? Ich zitiere:
Die Fragen, die im Geschäftsbereich des Bundes-
Denn die im Auftrag des Bundes arbeitende De- ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
pyfag hatte zusätzlich an höherer Stelle eine Ge- cherheit von dem Kollegen Dietmar Thieser gestellt
nehmigung beantragt - beim Bundesinnenmi- wurden - die Fragen 9 und 10 -, sollen bitte schrift-
nisterium.... Das Innenministerium hatte bereits lich beantwortet werden. Die Antworten werden als
am 21. April gestattet, unter anderem Anlagen abgedruckt.
100 Millionen Gewehrpatronen" einzulagern .. . Das gleiche gilt für die beiden Fragen des Kollegen
Wolfgang Spanier im Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städ-
Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
desminister der Verteidigung: Ich kann Ihnen natür- tebau - das sind die Fragen 11 und 12 - sowie für die
lich hier keine Berichte von Zeitungen bestätigen, Fragen 13 und 14, beide gestellt vom Kollegen Tho-
weil ich gar nichts überprüfen kann. Wenn es aber mas Krüger, im Geschäftsbereich des Bundesministe-
um eine Lagerungsgenehmigung als Voraussetzung riums des Innern.
für die Erwerbs- und Transportgenehmigung geht: Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
Eine Erwerbs- und Transportgenehmigung nach dem ministeriums der Finanzen. Einige Fragen sind als
Kriegswaffenkontrollgesetz setzt keinen Nachweis Dringlichkeitsfragen vorgezogen worden. Die ande-
der Lagerung voraus. ren Fragen sollen schriftlich beantwortet werden. Es
handelt sich dabei um die Fragen 15 und 16 der
Insgesamt kann ich Ihnen nur das sagen, wofür die Kollegin Chri stine Lucyga, die Frage 17 des Kollegen
Bundesregierung zuständig ist. In diesem Fall sind Jürgen Augustinowitz, die Fragen 18 und 19 des
nicht wir, sondern die Landesregierung, der Regie- Kollegen Gernot Erler, die Frage 20 der Kollegin
rungspräsident, die Kreisbehörden zuständig. Sie Dr. Antje Vollmer und die Fragen 21 und 22 des Kol-
müßten also diese Fragen dort stellen. legen Michael Wonneberger. Die Antworten werden
als Anlagen abgedruckt.
Vizepräsident Hans Klein: Werden dazu weitere Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
Zusatzfragen gestellt? - Das ist nicht der Fall. Danke, riums für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht uns
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, für die Be- der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert
antwortung. Lammert zur Verfügung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- Die beiden ersten Fragen in diesem Bereich, die
riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Fragen 23 und 24, die vom Kollegen Manfred Kolbe
Parlamentarische Staatssekretärin Gertrud Demp- gestellt wurden, sollen schriftlich beantwortet wer-
wolf wird die Frage 7 beantworten, die der Kollege den, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Die Ant-
Klaus Hagemann gestellt hat: worten werden als Anlagen abgedruckt.
5436 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Vizepräsident Hans Klein


Bezüglich der Fragen 25 und 26 wird verfahren, halten abgedeckt. Das ist die Antwort auf den ersten
wie es die Geschäftsordnung vorsieht. Teil Ihrer Frage. -

Die Fragen 27 und 28 des Kollegen Norbert Gansel Was den zweiten Teil Ihrer Frage bet ri fft, der sich
sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten über diesen Dreijahresplan hinausgehend in den Be-
werden als Anlagen abgedruckt. reich der mittelfristigen Finanzplanung hinein er-
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Ihre Auf- streckt, so wird die Bundesregierung Ende 1996, An-
gabe ist damit erfüllt. Ich bedanke mich. fang 1997 entsprechend dem Schienenwegeausbau-
gesetz - dort ist es so vorgesehen - einen Fünfjahres-
(Heiterkeit) plan vorlegen und damit die Investitionsplanungen
für die Schiene fortschreiben.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Gesundheit auf. Die Frage 29, die vom Kol-
legen Jürgen Augustinowitz gestellt worden ist, so- Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle-
wie die Fragen 30 und 31 des Kollegen Benno Zierer gin.
sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten
werden als Anlagen abgedruckt. Annett e Faße (SPD): Herr Staatssekretär, ich habe
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für große Bedenken bei Ihren Vorschlägen, wie Sie die
Verkehr steht uns der Parlamentarische Staatssekre- Lücken, die offensichtlich vorhanden sind, zu schlie-
tär Johannes Nitsch zur Beantwortung der Fragen ßen gedenken. Ich möchte Sie einmal ganz deutlich
zur Verfügung. fragen, wann Sie den Dreijahresplan so überarbei-
ten, daß Sie es den Abgeordneten der Koalition nicht
Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Annette Faße mehr ermöglichen, daß sie in ihren Wahlkreisen auf-
auf: tauchen, um darzustellen, wann genau welche
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Strecke erstellt wird.
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 27, ABS
Hamburg-Harburg-Hamburg-Rothenburgsort, heute für die
Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die je- Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
weiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis desminister für Verkehr: Sehr geehrte Frau Faße, wir
1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Finanzplanung dafür bereitgestellt? sehen keine Veranlassung, den Dreijahresplan nicht
mehr als gültig anzusehen. Er ist die weitere Grund-
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie lage für den Schienenwegeausbau. Ich habe Ihnen
haben das Wo rt . das in der Antwort gesagt. Es werden sich für ein-
zelne Projekte zeitliche Streckungen ergeben, so daß
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- wir den Dreijahresplan zwar vielleicht nicht in
desminister für Verkehr: Sehr geehrte Frau Faße, das 36 Monaten, aber in 40 Monaten realisieren können.
in der Frage genannte Projekt ist im Dreijahresplan Die Finanzsituation - ich habe Ihnen die Elemente
für den Ausbau des Schienenwegenetzes des Bun- geschildert - ist doch so, daß es keine Veranlassung
des für den Zeitraum von 1995 bis 1997 enthalten. gibt, diesen Dreijahresplan beiseite zu legen, so daß
Dieser Ausbauplan ist gemeinsam mit der Deutschen die Abgeordneten, die in den Wahlkreisen mit diesen
Bahn AG aufgestellt und mit den Ländern abge- Terminen und mit diesem Dreijahresplan arbeiten,
stimmt worden. Im Juni 1995 ist er auch dem Ver- durchaus auf der richtigen Strecke sind.
kehrsausschuß des Deutschen Bundestages als
Grundlage für die Schienenwegeausbauplanung Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage,
übersandt worden. Frau Kollegin.
Die Bundesregierung steht nach wie vor zu diesem
Dreijahresplan. Seine Umsetzung ist im wesentlichen Annette Faße (SPD): Ich nehme das Wort Strecke
sichergestellt. noch einmal auf. Ich frage noch einmal, ob die Maß-
(Lachen bei der SPD) nahme, die in meiner Frage benannt ist, zu denen ge-
Für einzelne Vorhaben können sich zeitliche Strek- hört, die gestreckt werden sollen.
kungen ergeben.
(Zuruf von der SPD: Das ist ja beruhigend!) Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr: Nach den Zahlen, die Sie im
Die Finanzierung erfolgt durch Haushaltsmittel Dreijahresplan für Ihre Strecke finden, stehen insge-
und durch Erlöse aus dem Verkauf nicht bahnnot- samt 949 Millionen DM zur Verfügung. Für den Zeit-
wendiger Immobilien sowie eventuell aus Verkaufs- raum vor 1995 sind bereits 722 Millionen DM aus-
erlösen und Einsparungen im Bereich Bahn-Tele- gegeben worden. Im Zeitraum bis 1997 werden
kom. Zudem versprechen wir uns auch durch die Op- 154 Millionen DM ausgegeben. Nach dem Ende des
timierung der Projekte eine Einsparung, so daß der Dreijahresplanes stehen weitere 73 Millionen DM an.
Bedarf nicht die vorgesehene Höhe erreicht. Allein angesichts dieser Aufzählung der Zahlen-
Mehrjährige größere Eisenbahnvorhaben, insbe- blöcke kann davon ausgegangen werden, daß es
sondere die Strecke Köln-Rhein/Main und die Ver- keine wesentlichen Veränderungen geben wird.
kehrsprojekte Deutsche Einheit 8.1 und 8.2 sowie die
Maßnahme im zentralen Bereich von Berlin, sind Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Elke
durch Verpflichtungsermächtigungen in den Haus Ferner.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5437

Elke Ferner (SPD): Sie haben gerade gesagt, es verhält sich in der Tat so, daß die DB AG im Be-
154 Millionen DM werden in dem Zeitraum von 1995 reich der Investitionen erhebliche Anstrengungen-
bis 1997 ausgegeben. Sie haben weiterhin gesagt, machen muß,
welche Maßnahmen nicht disponibel sind. Ich frage
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Mühe allein genügt
Sie: Gibt es darüber hinaus noch andere Maßnah-
nicht!)
men, die nicht disponibel sind, z. B. Maßnahmen, bei
denen Verträge mit anderen Staaten bestehen, bzw. um die in den Haushalten vorgesehenen Investitio-
Maßnahmen, die die Bundesregierung selbst für die nen so zu realisieren, daß die Mittel planmäßig ab-
transeuropäischen Netze angemeldet hat? fließen. Für 1994 hat es noch Probleme gegeben. In
bezug auf 1995 denke ich, daß die DB AG in den Be-
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- reich hineinkommt, den wir für die nächsten Jahre
desminister für Verkehr: Sofern diese Maßnahmen bereitstellen werden. Ich bin der Meinung, daß das
im Dreijahresplan Schiene enthalten sind, werden sie das Op timum ist, was die DB AG in diesem kompli-
in der vorgesehenen Weise realisie rt worden. zierten Bereich der Investitionsdurchführung reali-
sieren kann. Insofern entsprechen die Investitionen
für den Schienenwegeausbau den Zielen und Mög-
Vizepräsident Hans Klein: Kollege Dr. Uwe Küster. lichkeiten sowohl des Dreijahresplanes als auch den
Kapazitäten, die die DB AG in ihren Vorbereitungen
Dr. Uwe Küster (SPD): Herr Staatssekretär Nitsch, vorhält.
uns verbindet eine gemeinsame Erfahrung, an die
ich gerne anknüpfen möchte. Wir haben Dreijahres- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Renate
pläne gehabt. Heißt das, daß wir auf dem Weg zu Blank.
Fünfjahresplänen sind? Damit haben wir doch gute
Erfahrungen. Aus den Fünfjahresplänen wurden
dann langfristig immer Zehnjahrespläne. Renate Blank (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Sie
sprachen in Ihrer Antwort vom Finanzplan. Meine
(Heiterkeit bei der SPD) Frage: Welche Verkaufserlöse und Einsparungen in
den Bereichen Bahn-Telekom und Bahnstrom könn-
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- ten Ihrer Auffassung nach erzielt werden?
desminister für Verkehr: Sehr geehrter Herr Küster,
wir haben gewiß gemeinsame Erfahrungen. Ich Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
möchte aber sagen: Nicht ich habe den Dreijahres- desminister für Verkehr: Ich habe davon gesprochen,
pl an oder den Fünfjahresplan erfunden, vielmehr ist daß wir außer den Haushaltsmitteln auch Mittel aus
er Bestandteil der Vorschriften aus dem Schienenwe- Erlösen und Investitionsreduzierungen vorgesehen
geausbaugesetz. Do rt steht, daß wir zunächst einen haben. Wir gehen davon aus, daß entsprechend den
Dreijahresplan vorzulegen haben. Ihn haben wir vor- Vorstellungen bei der Immobilienverwertung in den
gelegt und setzen ihn um. Nach Ablauf des Dreijah- nächsten Jahren insgesamt 3 Milliarden DM abgeru-
resplanes haben wir einen Fünfjahresplan vorzule- fen werden können und daß bereits im Jahre 1996
gen. So steht es im Gesetz. Wenn es dann nicht ge- zwischen 600 und 800 Millionen DM für die Investi-
macht werden sollte, müßte dazu das Gesetz geän- tionen bereitgestellt werden könnten.
dert werden.
Eine ähnliche Entwicklung - wobei die Zahlen in
ähnlicher Größenordnung liegen könnten, sofern die
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Dr. Dionys
Gelder gebraucht werden - werden wir aus dem Be-
Jobst. reich der gegründeten DB-Kom erwarten, so daß wir
dort aus dem Verkauf von Anteilen und auch - das
Dr. Dionys Jobst (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, sagte ich bereits - wegen der dann nicht mehr not-
wenn wir davon ausgehen, daß der Dreijahresplan wendigen Bereitstellung von Investitionsmitteln für
ein Bedarfsplan ist: Können Sie mir bestätigen, daß Informationssysteme aus dem Bundeshaushalt Ein-
der Bahn AG für die erforderlichen Investitionen sparungen erwarten. Wir sind sicher, daß wir aus die-
1996 und dann auch im Rahmen der mittelfristigen sem Komplex, der in jedem Jahr neu konkretisiert
Finanzplanung die erforderlichen Investitionsmittel werden muß, insgesamt auf eine Größenordnung von
zur Verfügung stehen, und können Sie bestätigen, 9 Milliarden DM bei den Investitionen kommen. Das
daß man sich seitens der Bundesregierung bemüht, entspricht genau jenem Be tr ag, den ich gerade in der
Antwort auf die Frage von Herrn Dr. Jobst genannt
(Zuruf von der SPD: Bemüht!)
habe.
das Investitionsniveau dem Wert anzunähern, der in
der alten mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen Vizepräsident Hans Klein: Kollege Claus-Peter
war? Grotz.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Der Kanzler hat im
mer gesagt: Entscheidend ist, was hinten Claus-Peter Grotz (CDU/CSU): Herr Staatssekre-
rauskommt!) tär, nachdem im Zusammenhang mit den transeuro-
päischen Netzen in einer vorherigen Frage der nicht
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- disponible Bedarf angesprochen wurde, möchte ich
desminister für Verkehr: Sehr geehrter Herr Dr. Jobst, nun nach einem anderen nicht disponiblen Bedarf
5438 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Klaus-Peter Grotz
fragen: Wann geht das letzte Verkehrsprojekt Deut- Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
sche Einheit in Bau? desminister für Verkehr: Herr Abgeordneter F ried- -
rich, das ist eine sehr aktuelle Frage. Wir stellen tat-
sächlich fest, daß die Vergaben im Moment unter
Johannes Nitsch, Pari. Staatssekretär beim Bun- den dafür vorgesehenen Planwerten liegen. Wir sind
desminister für Verkehr: Von den 17 Verkehrspro- sehr zuversichtlich, daß diese Preisentwicklung an-
jekten Deutsche Einheit sind einige schon fertigge- hält und auch dies zu einer Entlastung des Investi-
stellt; ein weiteres - die Verbindung Magdeburg tionsbereichs des Bundeshaushalts beiträgt.
Berlin - wird am 17. Dezember fertiggestellt werden.
Die Vorbereitungsarbeiten für die VDE-Projekte 8.1
und 8.2 laufen auf Hochtouren. Im Frühjahr 1996 Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Ganse-
werden mit dem Projekt 8.1 und etwas später mit forth.
dem Projekt 8.2 die letzten Verkehrsprojekte Deut-
sche Einheit begonnen. Monika Ganseforth (SPD): Herr Staatssekretär, Sie
haben gesagt, Sie könnten nicht ausschließen, daß
einzelne Projekte verschoben oder kleinere eventuell
Vizepräsident Hans Klein: Ich stelle wieder einmal
ganz wegfallen werden; Sie könnten das noch nicht
fest, daß die Zusatzfrage mit der Frage nichts mehr sagen. Sie sagten aber, wir sollten das gemeinsam -
zu tun hatte. Die Frage bezieht sich auf ein ganz be- wiederum wurde die Gemeinsamkeit angesprochen -
stimmtes Projekt.
entscheiden. Wann können Sie dazu präzise oder
Zusatzfrage, Kollege Steenblock. präzisere Angaben machen?

Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-


Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): desminister für Verkehr: Frau Abgeordnete, ich habe
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort ge- gesagt, daß wir bereits Ende nächsten Jahres, also in
sagt, es könne sein, daß die Mittel für einzelne Pro- einem Jahr, mit der Aufstellung des Fünfjahrespla-
jekte, auch für das hier in Rede stehende Projekt, ge- nes beginnen werden. In dem Bereich, in dem sich
streckt werden. Kann es sein, daß dieses Projekt oder der Dreijahresplan und der Fünfjahresplan decken,
eines der folgenden Projekte nicht nur gestreckt werden sich durch Konkretisierungen solche Verän-
wird, sondern aus dem Schienenverkehrsplan her- derungen eventuell in kleinem Umfang ergeben.
ausgenommen wird, es also bei diesem Dreijahres-
plan zurückgestellt und später wieder aufgegriffen
wird? Können Sie ausschließen, daß dieses oder Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, wenn Sie
eines der folgenden Projekte - Sie haben sich ja im sich die Fragen anschauen, können Sie feststellen,
Grunde auf alle Projekte des Dreijahresplans bezo- daß sie alle präzise auf jeweils ein Projekt bezogen
gen - nicht nur gestreckt, sondern zurückgestellt sind. Es macht also keinen Sinn, sich zunächst auf
wird? das konkrete Projekt zu beziehen, um dann zu fra-
gen: Wie ist das im allgemeinen?

Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- (Elke Ferner [SPD]: Das wurde auch sehr
desminister für Verkehr: Herr Steenblock, ich kann allgemein beantwortet!)
Ihnen im Moment nicht hundertprozentig versichern,
daß kein einziges Projekt davon be troffen wird. Ich Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
wiederhole, was ich gesagt habe: Alle Vorhaben, die desminister für Verkehr: Nein, ich habe ganz konkret
im Dreijahresplan für den Schienenwegeausbau ent- geantwortet. Ich habe sogar Zahlen genannt.
halten sind, werden entsprechend den vorgesehenen
Mittelansätzen realisiert. Die Zeit bis zur Fertigstel- Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, ich habe
lung könnte sich aber eventuell um einiges verlän- Einwirkungsmöglichkeiten auf das Haus und auf die
gern. Ob einkleines Vorhaben dabei ist, bei dem wir Fragen.
am Ende nicht mehr in dem vorgesehenen Zeitraum
beginnen, sondern das wir in den Fünfjahresplan Frau Kollegin Ganseforth, Sie haben selber ein
übernehmen, muß unserer gemeinsamen weiteren paar sehr konkrete Fragen gestellt.
Arbeit vorbehalten bleiben.
Ich bitte Sie alle, bei der Frage, zu der Sie eine Zu-
satzfrage stellen wollen, zu bleiben und keine allge-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege F ri ed ri ch. meinen Be trachtungen daran zu knüpfen.
Bitte, Herr Kollege.
Horst Friedrich (F.D.P.): Herr Staatssekretär, sehen
Sie nicht auch die Möglichkeit, die jetzige konjunk- Dr. Winfried Wolf (PDS): Ich möchte mich konkret
turelle Lage zur Optimierung dieses ganz konkreten auf das Projekt Nr. 27 beziehen und die Frage stel-
Projektes und der folgenden Projekte auszunutzen, len, ob Sie bei dem Projekt Nr. 27 - und natürlich
d. h. durch verbesserte Ausschreibungsbedingungen auch bei folgenden - nicht den Eindruck haben, daß
bessere Einheitspreise zu erzielen, und durch das Zu- die im Sommer dieses Jahres vorgelegte Rechnung
lassen größeren Wettbewerbs mit europäischen Pa rt des Bundesrechnungshofs - die Personalkosten der
-neriUmstzugdkoplenPasit- Deutschen Bahn AG sind vom Bund zu übernehmen -
sprechender realis tischer Zeitachse sicherzustellen? weit höher ausfällt und direkten Einfluß auf die bis-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5439

Dr. Winfried Wolf


her geplanten investiven Ausgaben bei der Deut- benutzt habe. Mir fällt das jedenfalls nicht auf. Ich
schen Bahn AG haben muß. habe ganz konkret zu Ihrer Frage gesagt, wie die-
Mitteleinstellung in den einzelnen Jahren ist und wie
wir über den Zeitraum des Dreijahresplanes hinaus
Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, die Frage
lautet: Welche Priorität hat dieses Projekt? - und verfahren werden.
nicht anders. Auch wenn Sie das Projekt mit seiner
Nummer anführen, dann aber doch eine allgemeine Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage.
Frage stellen, ist das nicht korrekt. Wir haben eine
Geschäftsordnung. Die Fragestunde läuft nach die- Annett e Faße (SPD): Können Sie mir heute zusa-
ser Geschäftsordnung ab. gen, daß dieses Projekt überhaupt noch im Dreijah-
resplan begonnen wird?
Dr. Winfried Wolf (PDS): Dann wird aber auf die ge-
änderte mittelfristige Finanzplanung Bezug genom-
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
men. desminister für Verkehr: Es sind in diesem Zeitraum
23 Millionen DM vorgesehen. Wahrscheinlich ist das
Vizepräsident Hans Klein: Das gilt für dieses Pro- nur der Vorbereitungsteil; 23 Millionen DM dürften
jekt. keinen Bauteil umfassen.
Gibt es dazu weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht (Zuruf von der SPD: Also Planungsteil?)
der Fall.
- Ja, Planungsteil.
Dann rufe ich Frage 33 auf, die ebenfalls die Kolle-
gin Annette Faße gestellt hat:
Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen zu
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des der Frage nach diesem Projekt werden nicht gestellt.
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 32, ABS
Pinneberg-Elmshorn, heute für die Bundesregierung, und wel- Dann rufe ich die Frage 34 auf, gestellt von der
cher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des
Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingun-
Kollegin Monika Ganseforth:
gen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereit- Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
gestellt? Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 55,
Knoten Hannover, heute für die Bundesregierung, und welcher
Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Mittelanteil - bezogen auf die jewe il igen Gesamtkosten des Pro-
um Beantwortung. jekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen
der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge-
stellt?
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr: Die Frage Nr. 33 bezieht Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär,
sich auf das Projekt Nr. 32 des Dreijahresplanes für um Beantwortung.
den Ausbau des Schienenwegenetzes, auf den Aus-
bau der Strecke Pinneberg-Elmshorn. Sehr geehrte Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Frau Faße, auch zu dieser Frage muß ich Ihnen sa- desminister für Verkehr: Frau Abgeordnete Ganse-
gen, daß der Dreijahresplan hinsichtlich der We rt forth, Ihre Frage bezieht sich auf das Projekt Nr. 55
-stelungochüi.DabetsumdiG- des Dreijahresplanes Schiene und betrifft den Kno-
samtsumme von 383 Millionen DM: vor 1995 kein ten Hannover. Dieses Projekt umfaßt insgesamt
Mitteleinsatz, im Zeitraum 1995 bis 1997 sind es 125 Millionen DM. Vor 1995 sind keinerlei Leistun-
23 Millionen DM, und nach 1997 werden es gen erbracht worden. Im Dreijahresplan sind
360 Millionen DM sein. 37 Millionen DM eingestellt, und im Zeitraum nach
Die Fortschreibung für 1998 und 1999 - wie Sie das dem Dreijahresplan, also ab 1998, werden 98 Mil-
im zweiten Teil Ihrer Frage wissen wollen - wird im lionen DM eingesetzt werden. Im übrigen gilt das,
Fünfjahresplan dargestellt werden. Dabei geht es um was ich zum Dreijahresplan und zum Fünfjahresplan
die Aufteilung der 360 Millionen DM auf die Jahre gesagt habe, auch für diese Frage.
1998 und 1999 und vielleicht die folgenden Jahre.
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Ganse-
Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle forth, Zusatzfrage.
gin.
Monika Ganseforth (SPD): Herr Staatssekretär, ist
Anne tt e Faße (SPD): Halten Sie es bei Ihren vielen auszuschließen, daß während der Expo 2000 in Han-
Wenn und Aber nicht für erforderlich, diesen Drei- nover sich noch eine Baustelle in diesem Knoten be-
jahresplan zu unterbrechen und zu sagen: Wir legen findet, daß also das ganze Projekt noch nicht zu Ende
schon nach einem Jahr den Fünfjahresplan auf? geführt worden ist?
Dann hätten wir für diesen konkreten Fall sehr kon-
krete Aussagen. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr: Frau Ganseforth, wenn Sie
Johannes Nitsch, Pari. Staatssekretär beim Bun- die Expo ansprechen, dann haben Sie auch schon
desminister für Verkehr: Frau Faße, ich werde im den vordringlichen Bedarf für das Projekt genannt.
Protokoll nachzählen, wie viele Wenn und Aber ich Bei dem Umfang der insgesamt zur Verfügung zu
5440 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Parl. Staatssekretär Johannes Nitsch


stellenden Mittel, 125 Millionen DM, sehe ich keiner- sollen. Kann es sein, daß es in den Rahmen der Inve-
lei Gefahr, daß dort noch eine Baustelle sein wird. stitionsstreckung, von der Sie gesprochen haben,
Vielmehr wird das Projekt vor dem Jahre 2000 reali- oder der Erweiterung der Investitionsspielräume
siert werden. fällt, daß diese hohe Summe nicht in die Kreuzungs-
baumaßnahmen übernommen werden soll?
Vizepräsident Hans Klein: Keine weitere Zusatz-
frage; aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
auch nicht. desminister für Verkehr: Die Kreuzungsproblematik
Dann rufe ich die Frage 35 auf, die ebenfalls die ist rechtlich sehr kompliziert. Wir müßten uns dazu
Kollegin Monika Ganseforth gestellt hat: das Eisenbahnkreuzungsgesetz ansehen. Ich bin
jetzt nicht in der Lage, genau auseinanderzunehmen,
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des ob es mit dem Streit, den wir in dieser Frage haben,
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 4,
VDE 4 ABS/NBS Hannover-Berlin, heute für die Bundesregie- zusammenhängt oder ob das eine auf das Projekt
rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge- konkret bezogene Frage ist. Ich verspreche Ihnen,
samtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter daß ich zu dieser Kreuzung bei Lehrte Ihnen eine
den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung schriftliche Antwort gebe.
dafür bereitgestellt?

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um


Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Ferner.
Beantwortung.

Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- Elke Ferner (SPD): Im Dreijahresplan Schiene ste-
desminister für Verkehr: Frau Ganseforth, in dieser hen bei dem Projekt für die Jahre 1995 bis 1997
Frage geht es um das Projekt Nr. 4 der Verkehrspro- 2,333 Milliarden DM zur Verfügung. Ich frage Sie:
jekte Deutsche Einheit - Hannover-Berlin. Das ist Wird die Bundesregierung in den genannten Jahren
ein Projekt mit einem sehr großen Wertumfang, ins- in der Summe diesen Be trag zur Verfügung stellen
gesamt fast 5,3 Milliarden DM. Für dieses Verkehrs- können, wird es weniger oder mehr?
projekt sind entsprechend der Prioritätensetzung der
Bundesregierung bereits vor 1995 1,956 Milliarden Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
DM abgearbeitet und realisie rt, und es sind im Drei- desminister für Verkehr: Auch für diese Summe gilt
jahresplan - also 1995, 1996, 1997 - 2,333 Milliarden natürlich das, was ich hinsichtlich der Investitionsre-
DM vorgesehen. Für die Zeit nach dem Dreijahres- duzierung im Bereich der Informationstechnik gesagt
plan - also ab 1998 - bleibt bei diesem großen Vorha- habe, eventuell wird das auch für den Bereich der
ben ein relativ „kleiner" Rest von 996 Millionen DM. Energieversorgung zutreffen. Wenn sich dort Redu-
Ansonsten gilt für die Einordnung das, was ich zum zierungen einstellen lassen, wird die Summe sicher-
Dreijahresplan und zum Fünfjahresplan gesagt hatte, lich nicht ausgeschöpft werden müssen. Es gilt auch
auch für dieses Vorhaben. Aber Sie können aus den das, was in der Zusatzfrage hinsichtlich der Optimie-
bereits realisie rten Leistungen ersehen, für wie wich- rung der Kostenreduzierung angesprochen wurde.
tig und vordringlich wir die Abarbeitung halten.
Wenn diese Elemente hier zur Wirkung kommen,
könnte es sein, daß diese Mittel nicht ausgeschöpft
Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle- werden. Aber vom Grundsatz her gilt das, was ich
gin. gesagt habe: Sie werden bereitgestellt.

Monika Ganseforth (SPD): Danke schön. Sie haben


Vizepräsident Hans Klein: Kollege Weis.
mir eben eigentlich den Sachstand von vor einem
halben Jahr genannt, also was vorgesehen war. Wird
diese Planung auch zeitgerecht umgesetzt? Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Herr Staatssekretär
Nitsch, Sie wissen, daß ich durch meinen Wahlkreis
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- an diesem Projekt genauso wie an dem Fortgang der
desminister für Verkehr: Es bleibt auf jeden Fall bei Arbeiten dort besonders interessiert bin. Ich erfahre
dieser Planung. Ich kann Ihnen im Moment noch nun aus dem Bereich der Deutschen Bahn AG, daß
nicht genau den Mittelabfluß für dieses Jahr sagen, der ICE zwischen Hannover und Berlin nicht, wie ur-
aber ich gehe davon aus, daß er in der eingestellten sprünglich geplant, 1997, sondern erst 1998 fahren
Höhe erfolgen wird. soll bzw. wird. Können Sie das bestätigen, oder
schließen Sie das aus?
Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage.
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr: Herr Abgeordneter Weis, zu
Monika Ganseforth (SPD): Ich habe noch eine
Inbetriebnahmeterminen kann ich im Moment keine
ganz konkrete Zusatzfrage zu dem Projekt. Am
verbindliche Auskunft geben. Ich werde Ihnen das
28. September 1995 hat die Deutsche Bahn AG der schriftlich geben.
Stadt Lehrte mitgeteilt, daß bei einem Kreuzungsvor-
haben im Rahmen dieses Projekts in Arbke, also in Ich habe mich bei der Vielzahl der Fragen insbe-
der Stadt Lehrte, 862 000 DM nicht als kreuzungsbe- sondere auf die haushaltstechnischen Probleme kon-
dingt in die Vereinbarungen aufgenommen werden zentriert. Ich werde Ihre Frage, ob sich die Inbetrieb-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5441
Parl. Staatssekretär Johannes Nitsch
nahme der Strecke auf nach 1997 verschiebt, gerne Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wittich,
beantworten. Sie haben eine zweite Zusatzfrage. -

Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen Berthold Wittich (SPD): Herr Staatssekretär, ist es
liegen aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen richtig - damit hebe ich auf das ab, was Sie eben aus-
zu dieser Frage nicht vor. geführt haben -, daß vom Haltepunkt Fulda aus der
Verkehr über die traditionelle Strecke Hünfeld-Bad
Ich rufe die Frage 36, die der Kollege Berthold Wit- Hersfeld durch die Berliner Kurve an Bebra vorbei
tich gestellt hat, auf: nach Thüringen geführt werden soll?
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 28, ABS Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Fulda-Frankfurt, heute für die Bundesregierung, und welcher
Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Pro-
desminister für Verkehr: Wir fahren bereits auf dieser
jekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen Strecke. Die Berliner Kurve ist am 28. Mai in Betrieb
der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge- genommen worden.
stellt?

Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen


dazu? - Das ist nicht der Fall.
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- Dann rufe ich die Frage 37 auf, gestellt von der
desminister für Verkehr: Sehr geehrter Abgeordneter Kollegin Elke Ferner:
Wittich, Sie haben Ihre Frage zum Projekt Nr. 28 des Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Dreijahresplans, Ausbaustrecke Fulda-Frankfu rt, Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 38, ABS
gestellt. Die Situa tion dort ist so, daß für die Gesamt- Bad Harzburg-Stapelburg, heute für die Bundesregierung, und
maßnahme 796 Millionen DM vorgesehen sind. Da- welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten
des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedin-
von sind bereits im Zeitraum vor 1995 468 Millionen gungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür
DM investiert worden; wir haben vor, im Zeitraum bereitgestellt?
des Dreijahresplans weitere 82 Millionen DM zu in-
vestieren und im Zeitraum danach 242 Millionen Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
DM.
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Sie wissen, daß wir auf der Strecke Frankfurt-Er-
desminister für Verkehr: Sehr geehrte Frau Ferner,
furt -Dresden am 28. Mai eine wesentliche Inbetrieb- Sie haben Ihre Frage zum Projekt Nr. 38 des Dreijah-
nahme hatten, die die Gesamtfahrzeit auf der resplans gestellt, Bad Harzburg-Stapelburg. Für
Strecke zwischen Frankfurt und Dresden um über diese Strecke sind insgesamt 53 Millionen DM vorge-
60 Minuten verkürzt hat. sehen. Davon sind vor 1995 4 Millionen DM realisiert
- sicherlich in der Vorbereitung -, und 49 Millionen
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wittich, DM werden im Zeitraum des Dreijahresplans reali-
bevor ich Ihnen das Wo rt zur ersten Zusatzfrage siert werden. Danach gibt es dieses Vorhaben im
gebe, möchte ich gern für die Kolleginnen und Kolle- neuen Plan nicht mehr. Es wird abgearbeitet.
gen, die außerhalb des Saales sind, die Mitteilung (Elke Ferner [SPD]: Ich habe keine Nachfra
machen, daß wir mit der Aktuellen Stunde in unge- gen zu dieser Frage!)
fähr 14 Minuten beginnen werden.
Herr Wittich, bitte Ihre erste Zusatzfrage. Vizepräsident Hans Klein: Keine Nachfrage. Dann
darf ich fragen, ob aus dem Kollegenkreis eine Nach-
frage gestellt wird. - Auch dies ist nicht der Fall.
Berthold Wittich (SPD): Herr Staatssekretär, ist es
zutreffend, daß Sie mit Ihrer Aussage nicht ausschlie- Dann rufe ich die Frage 38 auf, ebenfalls gestellt
ßen, daß die Umsetzung dieser Maßnahme eine zeit- von der Kollegin Elke Ferner:
liche Streckung erfahren kann?
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 26, ABS
D/F Gr.-Saarbrücken-Ludwigshafen, Kehl-Appenweier, heute
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- für die Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen
desminister für Verkehr: Herr Abgeordneter Wittich, auf die jeweiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr
Ihre Frage bringt mich dazu, die Zahlen noch einmal von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen der geänderten mit-
anzusehen: Der Löwenanteil ist bereits realisiert. Im telfristigen Finanzplanung dafür bereitgestellt?
Dreijahresplan haben wir einen relativ kleinen Anteil Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär,
und danach wieder einen wesentlich größeren An- um Beantwortung.
teil.
Nun könnte es sein, daß man auf Grund von Bau- Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
ablaufoptimierung etwas in den anderen Zeitraum desminister für Verkehr: Frau Abgeordnete Ferner,
hinübernimmt, aber nur, wenn das Sinn macht und die Frage 38 bezieht sich auf das Projekt Nr. 26 des
Kosten spart. Ansonsten werden wir die Investitionen Dreijahresplans: Saarbrücken-Ludwigshafen, Kehl-
so, wie sie im Dreijahresplan festgelegt sind, einset- Appenweier. Für dieses Vorhaben sind insgesamt
zen. 905 Millionen DM vorgesehen. Davon wurden in
5442 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Pari. Staatssekretär Johannes Nitsch


dem Zeitraum vor 1995 19 Millionen DM eingesetzt, Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
im Dreijahresplan sind 185 Millionen DM an Investi- desminister für Verkehr: Ich kann Ihnen nicht sagen,
tionen für das Verbauen vorgesehen, im Zeitraum da- daß es genau 185 Millionen DM sein werden. Ich
nach, also ab 1998, 701 Millionen DM. habe in meiner Antwort gesagt, daß wir in bestimm-
ten Bereichen strecken werden, wie es von der Reali-
Ansonsten gilt im Zusammenhang damit, wie wir
sierung des Ablaufs der DB AG her vernünftig er-
die Mittel zusammenbekommen, das, was ich zum
scheint. Wir werden in jedem Jahr einen Betrag von
Dreijahresplan als Antwort auf die erste Frage von
9 Milliarden DM zur Verfügung haben.
Frau Faße sagte.

Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, Zusatz- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hans Ge-
frage? org Wagner, bitte.

Elke Ferner (SPD): Sehr geehrter Herr Kollege


Nitsch, Sie haben gerade gesagt, es werden Hans Georg Wagner (SPD): Herr Staatssekretär,
185 Millionen DM für die Jahre 1993 bis 1997 ver- am Montag gab es eine Veranstaltung der Industrie-
baut werden. Mir liegen Zahlen vor, die auch der und andelskammer
H des Saarlandes in Saarbrücken,
saarländische Verkehrsminister von dem Vorstands- wo der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG,
vorsitzenden der Bahn, Heinz Dürr, genannt bekom- Herr Dürr, und als einer der Hauptreferenten sein
men hat und die im übrigen auch ein anderer Kol- französisches Pendant anwesend waren. Do rt hat
lege schon schriftlich vorliegen hat. Ich frage Sie jetzt Herr Dürr gesagt, alles, was der Bundeskanzler in La
ganz konkret, ob die Zahlen, auf die Jahre gesehen, Rochelle zu dieser Strecke gesagt habe, sei unwich-
stimmen oder nicht: Für 1996 sind 12 Millionen DM tig. Was der Verkehrsminister dazu sage, sei völlig
und für 1997 sind 50 Millionen DM vorgesehen. - Die unwichtig. Der wichtigste Mann sei nicht dabeige-
anderen Zahlen lasse ich weg; denn es geht jetzt um wesen, nämlich der Finanzminister. Deshalb komme
den Dreijahresplan. der Ausbau als Höchstgeschwindigkeitsstrecke nicht
mehr in Frage. Man könne auch mit einem Neigezug
Vielleicht könnten Sie noch die Zusatzinformation von Mannheim nach Saarbrücken fahren und sich
geben, wieviel im laufenden Haushaltsjahr 1995 da- dann der Mühe unterziehen, in den TGV nach Pa ri s
für schon verbaut worden ist. umzusteigen. Geben Sie mir zu, daß das Projekt ka-
putt ist, wenn die Realisierung so vorgenommen
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- würde, wie Herr Dürr das vorgeschlagen hat, oder
desminister für Verkehr: Frau Fe rner, ich weiß, daß halten Sie es mehr mit dem Herrn Bundeskanzler -
es bei der DB AG von uns abweichende Vorstellun- wie ich es tue -, daß man das Saarland mit dieser
gen gibt. Ich denke aber, daß wir in diesem Bereich, Strecke ausstatten sollte?
wo wir Mittel aus dem Haushalt des Bundes zur Ver-
fügung stellen, unsere Vorstellungen mit der DB AG
ausstreiten müssen. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr: Herr Wagner, zunächst zum
Der Dreijahresplan Schiene ist mit den Ländern finanziellen Teil Ihrer Frage. Die Zahlen, die ich hier
abgestimmt und liegt dem Verkehrsausschuß vor. Er vortrage, sind mit dem Finanzminister abgestimmt
hat Priorität. Wenn ich mir die Zahlen genau an- und werden von ihm voll mitgetragen. Wenn Herr
schaue, erscheint es mir möglich -- der Baubeginn ist Dürr ganz andere Vorstellungen hat, die er vielleicht
sehr wahrscheinlich erst im Jahre 1997, und der grö- mit den Regionen dort abstimmt, dann wäre das ein
ßere Brocken steht ab 1998 an -, durch eine Optimie- Punkt, der von der technischen Seite her in unseren
rung des Bauablaufs den Betrag im Jahre 1998 anzu- Dreijahresplan hineinkommt. Wir sind für die Be-
heben. Aber das ist eine Spekulation. Dazu müßte triebsführung nicht zuständig, sondern für den Be-
ich Ihnen den genauen Bauablaufplan, sofern er da darfsplan und seine Einordnung in die finanziellen
ist, geben. Zur Zeit haben wir ihn nicht. Möglichkeiten des Bundes. Wenn Herr Dürr betriebs-
Es gilt, daß für den Dreijahresplan dieser Wert be- mäßig etwas anderes machen wi ll , hat er entspre-
reitgestellt wird. Ob er umgesetzt wird, ob er in den chende Vorlagen einzureichen.
optimalen Bauablauf hineinpaßt, das werden wir un-
ter Kontrolle halten.
Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Frau Kollegin.
Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage.
Jutta Müller (Völklingen) (SPD): Herr Staatssekre-
Elke Ferner (SPD): Meines Wissens werden kon- tär, zu dieser Strecke gibt es die Vereinbarung von
krete Be träge nicht mit einem Ausbauplan oder mit La Rochelle, die mit der Französischen Republik ge-
einem Dreijahresplan Schiene, sondern mit dem Bun- troffen wurde. Diese Strecke gehört zum transeuro-
deshaushalt zur Verfügung gestellt. Ich frage Sie päischen Netz. Wenn Sie nun sagen, es geht uns alle
jetzt nochmals: Ist sichergestellt, daß für die Jahre nichts an, wie das ausgebaut wird, kann ich dann
1995 bis 1997 der genannte Betrag von 185 Millionen daraus schließen, daß Sie unter Hochgeschwindig-
DM für die Strecke Saarbrücken-Mannheim und den keitsstrecken im Rahmen des transeuropäischen Net-
anderen Zweig zur Verfügung gestellt wird, und wie zes verstehen, daß man abwechselnd ein Stück TGV,
verteilt sich das auf die beiden Aste der Strecke? ein Stück Pendolino, ein Stück IC fährt?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5443

Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- glaube, zu zeitlichen Streckungen wird es bei diesem
desminister für Verkehr: Ich sagte schon, daß für den Vorhaben nicht kommen. Es ist ein sehr wich tiges
Betriebszustand dieser Strecke die DB AG zuständig Vorhaben, das einen hohen wi rtschaftlichen Effekt,
ist und nicht wir. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine hohe Effizienz aufweist, so daß wir die Bau-
die DB AG ein Stückchen diese Va ri ante oder ein durchführung mit aller Energie vorantreiben werden.
Stückchen jene Va ri ante nimmt, sondern ein für sie Hier dürfte die zeitliche Streckung nicht gelten. Es
hinsichtlich des Betriebes vernünftiges System be- gelten aber die anderen Punkte, die ich genannt
reitstellt. Wir haben gemäß dem Bedarfsplan im Drei- habe oder die teilweise durch Zusatzfragen erfragt
jahresplan Schiene die Mittel eingestellt. wurden: die Optimierung und Investitionsabsenkung
durch Ausgliederung der Informationssysteme und
der Stromversorgungssysteme. Das gilt auch für
Vizepräsident Hans Klein: Werden zu dieser Frage
diese Strecke. Ich hoffe, daß wir am Ende die
noch Zusatzfragen gestellt? - Das ist nicht der Fall.
8,3 Milliarden DM nicht benötigen werden.
Die Frage 39 von der Kollegin Renate Rennebach,
Frage 40 von Wolfgang Behrendt, Frage 41 von Ga-
briele Iwersen, Frage 42 von Ingrid Holzhüter, Frage 43 Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Oesinghaus.
von Walter Schöler, Frage 44 von Herbert Meißner,
Frage 45 von Do ri s Odendahl, Frage 46 von Rolf Günter Oesinghaus (SPD): Herr Staatssekretär, ist
Schwanitz und Frage 47 von Gerhard Neumann es denn richtig, daß auch im Jahre 1995 Bauleistun-
(Gotha) mögen bitte alle schriftlich beantwortet wer- gen in Höhe von 2 Milliarden DM erfolgen könnten,
den. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. und, wenn das so ist, warum sind die Ausschreibun-
Ich rufe jetzt die Frage 48 auf, die der Kollege Gün- gen noch nicht raus?
ter Oesinghaus gestellt hat:
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 13, NBS desminister für Verkehr: Von Bauleistungen in Höhe
Köln-Rhein/Main, heute für die Bundesregierung, und welcher von 2 Milliarden DM in 1995 ist mir nichts bekannt.
Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Pro-
jekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen Ich weiß, daß wir in diesem Jahr entsprechend der
der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge- Kabinettsentscheidung vom 5. Juli Grundstückser-
stellt? werb durchführen und noch Ausschreibungen ma-
Ich bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, chen werden.
um Beantwortung.
Vizepräsident Hans Klein: Meine verehrten Kol-
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- leginnen und Kollegen, ich schließe die Fragestunde.
desminister für Verkehr: Die Frage 48 bezieht sich
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat zur
auf das Projekt Nr. 13 des Dreijahresplans Schiene,
Antwort der Bundesregierung auf die Dringlichen
Neubaustrecke Köln-Rhein/Main. Das Vorhaben hat
Fragen 1 und 2 eine Aktuelle Stunde verlangt. Die-
einen Gesamtumfang von 8,525 Milliarden DM. Vor
sem Begehren haben sich die Fraktion der SPD und
1995 wurden 231 Millionen DM aufgewendet. Im
die Gruppe der PDS angeschlossen. Es entspricht
Zeitraum bis 1997 werden 3,5 Milliarden DM aufge-
Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde, daß
wendet werden und im Zeitraum des Fünfjahrespla-
die Aussprache unmittelbar nach Schluß der Frage-
nes 4,790 Milliarden DM.
stunde stattfinden muß.
Ich hatte bereits in meiner Eingangsantwort ge-
sagt, daß für dieses große Vorhaben sowohl die Mit- Ich rufe daher jetzt die Aktuelle Stunde zu dem
tel, die jetzt für den Dreijahresplan bereitstehen, als Thema auf:
auch die Verpflichtungsermächtigungen für die dar- Haltung der Bundesregierung zur Auswir-
über hinausgehenden Jahre vom Finanzminister be- kung des Milliardendefizits auf den anste-
reits genehmigt worden sind. henden Bundeshaushalt
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Oesing-
gen Oswald Metzger das Wort.
haus.

Günter Oesinghaus (SPD): Herr Staatssekretär, Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die ur- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ha-
sprüngliche Planung von Ihnen zügig umgesetzt ben heute eine ungewöhnliche Situa ti on. Der Bun-
wird? Oder könnte es, wie Sie schon in Ihrer Ein- desfinanzminister hat heute nachmittag den Haus-
gangsantwort gesagt haben, nicht durchaus sein, daß haltsausschuß auf zwei Blatt Papier über die größte
auf Grund veränderter Haushaltsbedingungen Un- Veränderung eines Bundeshaushalts in dieser Koali-
wägbarkeiten bzw. Streckungen erfolgen könnten? tionsregierung zwischen erster Lesung und abschlie-
ßender Beratung im Haushaltsausschuß informiert.
Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bun- (Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren doch
desminister für Verkehr: Ich bin Ihnen sehr dankbar, gar nicht anwesend! - Steffen Kampeter
daß Sie diese Frage zu dem Vorhaben stellen. Ich [CDU/CSU]: Du warst doch gar nicht da!)
5444 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Metzger, gen um 100 Millionen DM erhöht - zur kompletten
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Roth? Überraschung der versammelten B ank des Finanzmi--
nisteriums in dieser Sitzung. In diesem Schweins-
Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): galopp wird bei Ihnen im Haus zur Zeit Politik ge-
Aber selbstverständlich. macht.

(Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ Die F.D.P. hängt sich am Wochenende aus dem
DIE GRÜNEN]: Was sind Sie getroffen! Er Fenster, verlangt ein Haushaltsstrukturgesetz und
sagt einen Satz, da kommt schon die Zwi knickt zwei Tage später in die Koalitionsdisziplin ein,
schenfrage! - Zuruf von der SPD: In einer aus lauter Angst, die Koalitionskrise würde aufbre-
Aktuellen Stunde gibt es doch gar keine chen, wenn sie ihren eigenen Worten - Kollegin Al-
Zwischenfragen!) bowitz, Kollege Weng; Sie sind anwesend; Graf
Lambsdorff ist derzeit für die Fraktion offensichtlich
Die Aufgeregtheit der Haushälter der Koalitionsfrak- nicht satisfaktionsfähig, sonst hätten Sie ihn nicht im
tionen erkennt man am Obmann Adolf Roth, der die Regen stehen lassen können - Taten folgen ließe.
Geschäftsordnung nicht kennt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tatsache ist: Wir haben eine Situa tion, in der der
und bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng Bundesfinanzminister und diese Regierung dem Par-
[Gerlingen] [F.D.P.]: Niemand ist gelassener lament eine Ergänzungsvorlage zuleiten müßten.
als wir!) Jetzt ist die Stunde des Bundestags, den Haushalt in
die Hand zu nehmen und die Last nicht mehr auf die
Hier sitzt ein Bundesfinanzminister, der am Schultern des Haushaltsausschusses zu legen. Nach
12. Oktober in diesem Parlament Auffassung unserer Fraktion ist eine Beratung heute
und morgen in der Bereinigungssitzung nicht mög-
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wo waren Sie bei
lich.
den Beratungen?)
auf entsprechende Nachfragen nicht einmal in der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Deswe
Lage war, zu erklären, daß er eine Haushaltssperre gen kommt er nicht mehr zur Sitzung!)
plant, die er zwei Tage später dann verfügt hat.
Mit einer solchen Vorlage solche gigantischen Ände
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und rungen durchsetzen zu wollen ist schlicht unmöglich.
der F.D.P.)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Sie können das Protokoll nachlesen. Das ist ein Un-
bei der SPD und der PDS)
ding.
Der gleiche Finanzminister, der sich in der ersten Jeden, der für sich selber praktisch einen Rest an
Lesung des Parlaments in der ersten September- Seriosität beansprucht,
woche hier hingestellt und sich den Weihrauch des
internationalen Musterschülers verpaßt hat, der be- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Den haben
stritten hat, daß die Bundesanstalt für Arbeit 1996 zu- Sie aber nicht mehr, Herr Metzger!)
sätzliche Mittel braucht, der bestritten hat, daß die
Arbeitslosenhilfeaufwendungen nicht ausreichen, frage ich wirklich, was beispielsweise das Papier des
der gleiche Finanzminister kommt heute in den BMF zum Haushalt 1995 heute soll.
Haushaltsausschuß
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie hätten zuhö
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Sie waren doch ren müssen!)
gar nicht dabei! - Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie
waren doch gar nicht da! - Joseph Fischer Die Auflösung dessen, was hier steht - insgesamt
[Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 12 Milliarden DM Einnahmeverbesserungen und
Das ändert aber an der Sache nichts!) 4 Milliarden DM Einnahmeverschlechterungen -,
macht im Saldo 8 Milliarden DM für 1995 aus. Der
und bringt mit Billigung Ihrer Seite Mehrausgaben Finanzminister sagt, er komme 1995 ohne Nettoneu-
von 6,6 Milliarden DM ein, die zu dem dazukommen, verschuldung aus. Glaubt er allen Ernstes, den Diffe-
was die Steuerschätzung an Mindereinnahmen für renzbetrag von 6 Milliarden DM zum Steuerausfall
1996 vorsieht. von 14 Milliarden DM 1995 - die Steuerschätzung im
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und März war Basis des beschlossenen und gültigen
der F.D.P.) Haushalts 1995 - mit der Haushaltssperre zu erwirt-
schaften?
- Die Lautstärke der Koalitionsfraktionen zeugt von
der gleichen Aufgeregtheit, wie sie beispielsweise Dazu kommt noch, daß Sie die Bilanzverkürzung
beim Berichterstattergespräch zum Einzelplan 08 am um 2,6 Milliarden DM auf Grund der Änderungen
Montag nachmittag bestand, als der zuständige Ab- bei der Mineralölsteuer auch nicht verrechnet haben.
teilungsleiter Ihres Hauses erklären mußte, daß die Nach unserer Rechnung gibt es im Haushalt 1995 im
Koalition auf den Anruf des Staatssekretärs Over- Augenblick ein ungedecktes Loch von 8,6 Milliarden
haus am Wochenende, man brauche zur Deckung DM. Was das in bezug auf eine „nicht signifikante"
des Haushalts mehr Geld, mir nichts, dir nichts den Erhöhung der Verschuldung 1995 heißt, können Sie
Titelansatz für die Erlöse aus Vermögensveräußerun sich selber ausrechnen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5445
Oswald Metzger
Dieser Finanzminister steht heute mit herunterge- die Sache mutwillig schwänzen wollte, hat schlechte
lassenen Hosen vor dem Parlament. Karten. -
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Bundesminister Dr. Theodor Waigel erhebt Weniger schlechte Karten hatte Finanzminister Theo
sich und öffnet sein Jackett - Heiterkeit und Waigel.
Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/
- Der Beweis des Gegenteils ist ganz erstaunlich. - DIE GRÜNEN und der PDS)
Unsere Aufforderung an die Regierung und die Koa-
lition ist, eine seriöse Haushaltsberatung zuzulassen Er war da. Er stand nicht mit leeren Händen da, son-
und das Ganze nicht im Schweinsgalopp durch den dern hatte ein klares haushaltspolitisches Konzept
Haushaltsausschuß zu jagen, der hinter verschlosse- vorzuweisen. Er war sich seiner Sache sicher. Es gibt
nen Türen tagt, eine korrekte Ergänzungsvorlage keinen besseren Beweis dafür, daß hier eine in sich
vorzulegen, die Haushaltsberatungen vorläufig aus- geschlossene und auch souveräne Präsentation statt-
zusetzen und dann in drei bis vier Wochen den Haus- gefunden hat, als die ausgebliebenen Fragen der
halt 1996 in einem geordneten Verfahren abzuschlie- Grünen und der SPD in dieser Sitzung des Haus-
ßen. haltsausschusses. Das hätten Sie sich wirk lich einmal
gönnen sollen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der PDS) Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt
1996 steht. Wir haben von Anfang an gesagt, es
bleibt bei den beschlossenen Eckwerten. Wir haben
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Metzger, unerwartete Einnahmeausfälle. Das war für uns
gestatten Sie mir zwei kleine Bemerkungen. Die überraschend. Aber das ist doch kein Anlaß für eine
erste ist, daß ich im Anschluß an eine diesmal andert- Katastrophenstimmung. Die Steuerzahler in Deutsch-
halbstündige Fragestunde aus Versehen eine Zwi- land sind froh, daß wir Stabilität haben, sie sind froh,
schenfrage in der Aktuellen Stunde zulassen wollte. daß am heutigen Tage verkündet wurde, daß die
Das ist mein Fehler und nicht der Fehler des Kolle- Preissteigerung im Monat Oktober gegenüber dem
gen Roth gewesen. Vorjahr 1,6 % beträgt, sie sind froh darüber, daß es
Die zweite ist, wenn Sie das erlauben, der kleine keine inflationär aufgeblähten Steuereinnahmen
kollegiale Rat, bei der Wahl von Sprachbildern doch gibt, und sie sind froh darüber, daß eine Bundesre-
solche zu nehmen, die nicht leicht widerlegt werden gierung im Amt ist, die im nächsten Jahr nicht mehr,
können. sondern weniger ausgeben wird, die nicht mehr
(Heiterkeit) Schulden machen wird, sondern allenfalls die Schul-
den, die beschlossen worden sind. Von daher haben
Ich erteile das Wo rt dem Kollegen Adolf Roth. Sie eine ausgesprochen schlechte Situa tion erwischt.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
DIE GRÜNEN]: Das ist die Illusion einer ordneten der F.D.P. - Joseph Fischer
Hose, die Sie hier vorgeführt haben! - Hei [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
terkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir reden hier über schwarze Löcher!)
und bei der SPD)
Herr Kollege Metzger, alle Posi tionen, die sich auf
der Einnahmenseite verändert haben - das hätten
Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Sie mitbekommen können -, werden auf der Einnah-
Meine Damen und Herren! Ich danke für die Nach- menseite sauber ausgeglichen. Es wird keine Mehr-
sicht wegen der Zwischenfrage. Ich glaube, die Hei- ausgaben geben. Auf der Ausgabenseite wird das,
terkeit im Protokoll kann nicht verdecken, daß die was durch die schleppende Entwicklung am Arbeits-
elende dürftige Strategie, die hinter dieser mutwillig markt auf uns zukommt, voll durch Einsparungen im
angezettelten Veranstaltung steht, in sich zusam- Bundeshaushalt 1996 beim Verwaltungsaufwand,
mengebrochen ist, bevor die Debatte überhaupt be- beim Personal und in allen übrigen Feldern ausgegli-
gonnen hat. chen. Wir haben durch die verbesserte Zinssituation
am Markt auch echte Konsolidierungseffekte im
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Bundeshaushalt.
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das mutwillig Ich sage Ihnen: Ihre Strategie ist gescheitert.
veranstaltet?)
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Lieber Kollege Metzger, ein bißchen mehr Reputa- DIE GRÜNEN]: Wer ist hier gescheitert?)
tion hätten Sie sich, auch für die weitere Arbeit im
Ausschuß, bewahren können. Sie wollten einen großen Tanz veranstalten, und her-
ausgekommen ist eine klägliche Pirouette. Sie haben
(Vorsitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) sich im Kreise gedreht mit Ihren abgedroschenen Be-
schwörungsformeln. Das ist aber kein Ersatz für eine
Derjenige, der diese Debatte anzettelt und Behaup solide Haushaltspolitik.
tungen zu dem, was vorhin beraten wurde, aufstellt,
ohne überhaupt selbst dabeigewesen zu sein, weil er (Beifall bei der CDU/CSU)
5446 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Adolf Roth (Gießen)


Deshalb kommen Sie hier ans Pult und präsentieren nen oder täuscht die Öffentlichkeit. Ich fürchte, bei
Sie bitte die Alternative der Opposition! Ihnen ist beides der Fall. -

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gibt es (Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜND
nicht!) NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS -
Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Tätä,
Denn das ist Ihre Pflicht. tätä!)
Wir haben im Haushaltsausschuß in den letzten Wir hatten im September Haushaltsberatungen.
Wochen saubere Arbeit geleistet. Wir haben Sie auf die schlechtere Konjunkturlage,
auf die Risiken hingewiesen. Sie haben alles mit der
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Behauptung zurückgewiesen, Sie hätten alles im
DIE GRÜNEN - Dr. Uwe Küster [SPD]: Sau
Griff, es sei alles in Ordnung.
ber hingekriegt!)
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]:
Morgen abend wird der Haushalt mit unserer klaren Nichts von dem hat gestimmt, was Sie ge
Mehrheit verabschiedet. Es wird ein solider Haushalt sagt haben!)
sein.
Wir hatten vorige Sitzungswoche eine Aktuelle
(Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/ Stunde. Dort haben Sie nichts darüber gesagt, was
DIE GRÜNEN und der PDS: Oh!) Sie vorhaben. Obwohl wir Ihnen gesagt haben: Sie
Es wird keine Steuererhöhungen geben. kriegen den Haushalt nicht in den G riff, tun Sie was
zum Sparen, haben Sie gesagt: alles paletti! Zwei
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Tage später, natürlich am Wochenende, damit wir
DIE GRÜNEN]: Roths Märchen! - Gegenruf das hier nicht diskutieren konnten, haben Sie dann
der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.]: Seit wann gesagt: Haushaltssperre. Dann kamen die fast
versteht Fischer etwas von Geld?) 20 Milliarden DM, die im kommenden Haushalt feh-
len.
Die Preise bleiben stabil. Die Konjunktur, die sich in
einem durchaus stabilen Zustand weiter positiv ent- Ich sage Ihnen: Es gibt dafür ein geordnetes Ver-
wickelt, wird durch diese Politik gefestigt. fahren. Man kann Prognosen nicht immer auf eine,
zwei oder auch drei Milliarden DM genau machen.
Die Finanzmärkte haben heute in Frankfurt klar
reagiert: Der Rentenmarkt ist stabil. Auf dem Parkett, (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Aha! Was
in der Börse, hat man gesagt: Waigel hat die Dinge heißt denn bei Ihnen „nur"? Sie haben doch
im Griff. Das ist für uns sehr viel wich tiger, als wenn keine richtige Prognose gemacht!)
Sie hier Zeter und Mordio schreien, ohne daß Sie Nur: Wenn Sie im ganzen Jahr unsere milliarden-
irgendeine Alterna tive zu bieten hätten. schweren Einsparvorschläge mit der Behauptung ab-
Herzlichen Dank. lehnen, Ihnen fehle kein Geld, und Ihnen dann am
Ende des Jahres 10 Milliarden DM da und 20 Mil-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. liarden DM dort fehlen, dann ist das unse riös, meine
Ina Albowitz [F.D.P.] - Widerspruch bei der Damen und Herren.
SPD)
(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜND
NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Wider
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste die spruch bei der CDU/CSU)
Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
Sie haben nach § 32 der Bundeshaushaltsordnung
eine Möglichkeit. Dort ist vorgesehen, daß man bei
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrte Frau solchen Änderungen einen sogenannten Ergän-
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- zungshaushalt vorlegt.
ren! Was wir bei diesen Haushaltsberatungen gebo-
ten bekommen, ist ein Trauerspiel. (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE - Was Sie heute vorgelegt haben, das ist doch kein
GRÜNEN und der PDS - Widerspruch bei Ergänzungshaushalt.
der CDU/CSU) (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Sie waren
doch überhaupt nicht da!)
Binnen weniger Tage fehlen für 1995 fast 10 Mil
arden DM, für 1996 fast 20 Milliarden DM. Das ist doch ein Waschzettel, meine Damen und Her--li
ren.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das Gejammere
kennen wir schon!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Das ist eine Steuererklä
Sie, Herr Waigel, setzen eine Politik fort, die wir aus rung, wie sie in Baden-Württemberg kriti
den letzten Jahren kennen. Fast immer waren Ihre siert wird!)
Zahlen falsch. Wenn wir Sie darauf aufmerksam ge-
macht haben, dann haben Sie gesagt, Sie hätten sich Da stehen in sieben Posi tionen mal eben 19 Mil
geirrt. Ich sage Ihnen: Ein Minister, der so oft mit sei- liarden DM, z. B. Privatisierungen: 9 Milliarden DM.
nen Zahlen danebenliegt, kann entweder nicht rech Wissen Sie, was da als letzte Posi tion steht - das ist
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5447
Ingrid Matthäus-Maier
doch das Tollste -: Sonstiges: ca. 3 Milliarden DM. Da Jürgen Koppelin (F.D.P.): Darauf werde ich dem
wundere ich mich, daß Sie nicht darunter schreiben: Kollegen Fischer gleich antworten. -
vom Weihnachtsmann noch 2 Milliarden DM und
vom Osterhasen auch noch 3 Milliarden DM. Das ist Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ak-
doch das Niveau. tuelle Stunden müssen in einer parlamentarischen
Debatte sicher hin und wieder stattfinden. Diese Ak-
(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der tuelle Stunde aber ist so überflüssig wie nur irgend
SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und etwas.
der PDS - Dietrich Austermann [CDU/
CSU]: Tätä, tätä!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
Widerspruch bei der SPD und dem BÜND
Ganz abgesehen davon, daß Sie mit den Privatisie- NIS 90/DIE GRÜNEN)
rungen nur eine Einmalwirkung erzielen. Ihre Pro-
bleme für die Folgejahre ab 1997 sind überhaupt Ich habe für diese Aktuelle Stunde überhaupt kein
nicht gelöst. Obwohl es sich um strukturelle Pro- Verständnis.
bleme handelt, haben Sie doch offensichtlich vor, Im übrigen zeigt das, daß Sie selbst in Schwierig-
zigtausende Wohnungen von kleinen Postlern und keiten sind; denn Sie von den Oppositionsparteien
Eisenbahnern zu privatisieren. schicken heute Redner nach vorne, die an der Haus-
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Endlich Eigentum haltsberatung heute überhaupt nicht teilgenommen
für die Leute!) haben. Das ist doch auch für die Haushälter das
Ärgerliche. Das muß man hier einmal sagen.
Kommen Sie hierhin und sagen Sie, was Sie hier zu
Lasten der Meinen Leute machen wollen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Während Sie, Herr Kollege Metzger, eine Frage-
stunde abgehalten haben - das ist Ihr gutes Recht -,
Unsere Forderungen sind klar: erstens Aussetzung haben wir im Haushaltsausschuß unsere Arbeit gelei-
der Beratungen des Haushaltsausschusses, stet. Wir haben mit dem Minister gesprochen; er ist
da gewesen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS) Ich will ausdrücklich anerkennen, daß die Sozial-
demokraten in dieser Zeit im Haushaltsausschuß wa-
zweitens Vorlage eines Ergänzungshaushaltes ren und ebenfalls mit dem Minister diskutiert haben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Warum sprechen Wir kommen vielleicht in der Endbewertung zu an
Ihre Haushälter denn nicht?) -dernEgbis.Ichfader,ßiSo-
zialdemokraten an dem Gespräch mit dem Minister
mit detaillierten Aufschlüsselungen, an welcher teilgenommen haben.
Stelle Sie sparen wollen und was Sie mit welchen Pri-
vatisierungen erreichen wollen, und drittens Ver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hingegen haben
schiebung der Bereinigungssitzung, bis Sie diesen durch Abwesenheit geglänzt. Ich danke ausdrück-
Ergänzungshaushalt vorgelegt haben. Sie wollen lich der Kollegin Hermenau, die als einzige im Haus-
doch wohl nicht ernsthaft behaupten, daß Sie mit die- haltsausschuß vertreten war.
sen Pi-mal-Daumen-Rechnungen morgen eine Berei- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
nigungssitzung durchführen wollen. DIE GRÜNEN]: Na also!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ansonsten haben Sie doch durch Abwesenheit ge-
DIE GRÜNEN) glänzt. Der Kollege Metzger hätte in der Fragestunde
Auf eine Aussetzung und Verschiebung der Bera- gar nicht solche Fragen gestellt, wenn er an der heu-
tung, bis ein Ergänzungshaushalt vorliegt, haben so- tigen Sitzung teilgenommen hätte. Das ist doch das
wohl die Öffentlichkeit als auch das Parlament ein Problem.
Recht. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn ten der CDU/CSU)
Sie als Parlamentarier noch ein bißchen auf sich und
Sicher, die Schätzungen bezüglich der Steuern ha-
Ihre parlamentarische Tätigkeit hielten, dann wür-
ben sich so nicht bestätigt. Liebe Kolleginnen und
den Sie das endlich mit uns gemeinsam beschließen.
Kollegen von der Opposition, was mich aber bei dem
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Thema Steuerschätzung wundert, ist folgendes: Es
GRÜNEN und der PDS) ist nicht der Bund allein, der diese Steuerschätzung
vornimmt. Auch die Länder und die Ins titute sind
daran beteiligt. Sprechen wir doch einmal über die
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Länder, die natürlich dasselbe Problem haben. Ha-
spricht der Kollege Jürgen Koppelin. ben sich die Länder genauso geirrt wie der Bund?
(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Ich finde, Sie führen hier eine Diskussion, die un-
DIE GRÜNEN]: Ich sage: Lambsdorff! ehrlich ist und in Polemik abgleitet, wie wir dies jetzt
Lambsdorff! Lambsdorff! - Heiterkeit bei auch sehen.
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei
der SPD) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
5448 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Jürgen Koppelin
Wir haben Einnahmeausfälle zu verzeichnen; das scheinen. Das ist doch das Problem. Hier stellen Sie
steht außer Frage. Wir müssen in unseren Haushalts- sich hin, aber morgen werden Sie nicht erscheinen. -
beratungen dafür sorgen, daß diese Ausfälle gedeckt
werden. Ich kann nur sagen: Die Zielsetzung in der Haus-
haltsberatung wird für uns Freie Demokraten in
(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ erster Linie sein, daß es keine weitere Neuverschul-
DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal den B rief vor, dung gibt. Das wird das Hauptziel unserer Arbeit
Herr Wang, den Sie am Wochenende ge sein. Lassen Sie uns lieber an die Arbeit gehen, an-
schrieben haben!) statt hier im Parlament solche Aktuelle Stunden
durchzuführen.
Es ist aber völlig falsch, davon zu sprechen, wie es in
der Fragestunde geschehen ist, daß hier das Tafelsil- Vielen Dank für Ihre Geduld.
ber verscherbelt wird. Davon kann überhaupt nicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
die Rede sein.
Ich sage für die F.D.P.: Bei knappen öffentlichen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste Frau
Kassen kommt es endlich dazu, daß wir ordnungspo- Höll.
litisch die Maßnahmen ergreifen, die wir schon lange
durchsetzen wollten, z. B. die Privatisierung von (Dr. Peter Struck [SPD]: Warum hat der
Wohnungen. Briefeschreiber Weng nicht geredet?
Schreibt einen B rief an Waigel und läßt den
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger Koppelin reden! - Weitere Zurufe von der
lingen] [F.D.P.] und des Abg. Adolf Roth SPD)
[Gießen] [CDU/CSU])
- Herr Struck, das Wo rt hat Frau Höll.
Der Kollege Metzger weiß ganz genau, daß ich ge-
meinsam mit dem Kollegen Pützhofen in den Bera-
Dr. Barbara Hall (PDS): Frau Präsidentin! Meine
tungen zum Bauhaushalt verlangt habe, an die Pri-
Damen und Herren! Die Situa tion, in der wir sind, ist
vatisierung heranzugehen. Wir haben auch entspre-
die bittere Realität, vor der die PDS schon vor Jahren
chende Vermerke anfertigen lassen.
gewarnt hat.
Es kann auch nicht davon die Rede sein - das muß (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
ich jetzt der Kollegin Heyne sagen, die dies in der
Fragestunde geäußert hat -, daß die Haushälter be- Doch, ganz genau! Wir waren nicht die einzigen, die
triebsblind sind. Nein, bet riebsblind sind diejenigen, gewarnt haben, aber wir haben gewarnt. Der Bun-
die Millionen-Anträge gestellt haben, die den Haus- deshaushalt ist ein finanzpolitischer Torso. Sie haben
halt aufstocken, die noch mehr ausgeben wollen, ob- Steuerausfälle und Mehrausgaben in Milliarden-
wohl sie die Situa tion des Haushaltes kennen. Sie höhe. Es ist jetzt allerdings die Situa tion eingetreten,
sind betriebsblind, kein anderer. daß Sie ihre chaotische Haushaltspolitik nicht weiter
verdecken können.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Bei den Steuerausfällen tun Sie so, als ob das über-
Für die Freien Demokraten kann ich sagen - Herr raschend kommt. Das ist natürlich auch Blödsinn.
Kollege Fischer, jetzt komme ich zu Ihnen und Herrn Wer aufmerksam z. B. die Berichte von Wirtschaftsin-
Lambsdorff -: Von uns wird nicht die Forderung nach stituten gelesen hat, wußte ganz genau, daß das so
einem Haushaltsbegleitgesetz gestellt werden. Na- eintreten wird. Von den Steuerausfällen in Höhe von
türlich hat Graf Lambsdorff in vielen Punkten dieser rund 55 Milliarden DM sind nur zwischen 7 und
Frage recht. Auf der anderen Seite aber hören wir, 8 Milliarden DM konjunkturell erklärbar. Die rest-
daß die Sozialdemokraten dies im Bundesrat nicht lichen Milliarden sind Ergebnis Ihrer Finanzpolitik.
mitmachen werden. Was soll das also?
Wie reagiert Herr Waigel darauf? - Mit einem
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Waschzettel, auf dem er uns schnell Deckungsvor-
DIE GRÜNEN: Oh! - Ingrid Matthäus schläge anbietet, die den Realitätsgehalt von Fieber-
Maier [SPD]: Vermittlungsausschuß!) phantasien haben. Sie wollen wieder nur Löcher
stopfen. Einmalige Mehreinnahmen, die man eigent-
- Es ist doch so. Frau Kollegin Matthäus-Maier, dann lich 1995 bräuchte, wie bei der Mineralölsteuer,
sagen Sie doch, daß Sie das mitmachen wollen. schiebt man nun auf 1996, ohne uns zu sagen, wie
Die Eckdaten für den Haushalt werden jedenfalls das 1995 eingeplante Geld neu abgedeckt werden
in der vorgegebenen Form eingehalten. soll. Die Deckungsvorschläge sind nicht solide be-
gründet, denn ich möchte wissen, woher Herr Waigel
(Erneuter Zuruf der Abg. Ing rid Matthäus weiß, daß im nächsten Jahr die Zinsen sinken wer-
Maier [SPD]) den. Diese Aussagen beruhen nur auf Vermutungen,
Annahmen. Es sind haushaltstechnische Kunstgriffe.
- Da Sie gerade einen Zuruf machen, möchte ich Es ist unseriös und eine absolute Mißachtung des
Ihnen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, sagen: Sie ha- Parlamentes, das nicht einmal 24 Stunden vor der Be-
ben gerade gesagt, wir würden die Bereinigungssit- reinigungssitzung auf den Tisch zu legen.
zung morgen wohl nicht hinkriegen. Ich lade Sie ein,
zu dieser Sitzung zu kommen, nehmen Sie an der Was dabei jedoch das Allerschlimmste ist, ist nicht
Diskussion teil. Sie werden aber wieder nicht er Ihre Unverfrorenheit in diesem Punkt, sondern daß
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5449
Dr. Barbara Höll
Herr Waigel und die Bundesregierung offensichtlich sitzen, daß Sie sich nicht auf irgendwelche Anwesen-
so weitermachen wollen wie bisher. Es werden wie- heiten im Haushaltsausschuß hinausreden. Ich muß-
der nur Löcher gestopft. Die strukturellen Defizite im dazu sagen: Alle, die hier im Plenum waren, haben
Bundeshaushalt werden überhaupt nicht be trachtet. nämlich mit der Parlamentarischen Staatssekretärin
Herr Waigel hat vorhin im Finanzausschuß gesagt, diskutiert, nicht mit Herrn Minister Waigel.
daß arbeitsmarktpolitische Leistungen kein Tabu
sein dürfen. Herr Waigel, Transrapid, Autobahn, Ver- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie wollten den Mini
teidigungshaushalt sollten kein Tabu sein. Wozu ster im Ausschuß haben! - Jürgen Koppelin
müssen wir jetzt neue Minen entwickeln? Wozu muß [F.D.P.]: Der Minister war im Ausschuß! -
sich die Bundesrepublik ein Luxusprojekt wie den Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die Zeit
Transrapid leisten? ist abgelaufen!)

(Beifall bei der PDS) Ich muß sagen: Wir haben ja wohl auch Parlamentari-
sche Staatssekretäre, -
Wenn Sie sich die Steuern ansehen, wissen Sie
ganz genau, daß es natürlich möglich wäre, völlig Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ihre Redezeit ist zu
neue Steuerquellen zu erschließen. Nur: Sie sind Ende.
nicht gewillt. Im Gegenteil, selbst bei Ihren Annah-
men für das nächste Jahr bleiben Sie unter dem, was
notwendig ist. Inzwischen haben Sie eingesehen, Dr. Barbara Höll (PDS): - damit wir auch ihr Fach-
daß die Bundesanstalt für Arbeit im nächsten Jahr wissen hier zur Verfügung haben. Ich würde mir sehr
Geld benötigt, aber Sie bleiben wieder unter dem wünschen, -
Ansatz, der von der Bundesanstalt vorgegeben ist.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Höll, die Re-
Solange Sie nicht in eine aktive Arbeitsmarktpolitk
dezeit ist zu Ende.
einsteigen, solange Sie nicht bereit sind, tatsächlich
zur Schaffung von Arbeit z. B. den zweiten Arbeits-
markt endlich in einen öffentlich geförderten Be- Dr. Barbara Hall (PDS): - daß Sie auch hier den
schäftigungssektor umzuwandeln, solange werden Mut aufbringen - -
Sie weiter nur zuschustern müssen und eine reine
(Beifall bei der PDS)
Flickschusterei be treiben. Das, was Sie versuchen,
ist, dem durch einen absoluten Sozialabbau auszu-
weichen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der
Bundesminister der Finanzen, Theodor Waigel.
Herr Blüm als Minister für Massenarbeitslosigkeit
und Sozialabbau, wie er sich doch besser nennen
sollte, hat die katastrophale Finanzsituation von Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen:
heute gleich im vorauseilenden Gehorsam sekun- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
diert durch neue Vorschläge des Sozialabbaus. Der das gute Recht der Opposition, eine Aktuelle Stunde
Bund versucht so, sich seiner grundgesetzlichen So- zu verlangen. Aber es ist in höchstem Grade unfair,
zialstaatsverpflichtung zu entziehen. Das ist wirklich zu einem Zeitpunkt meine Anwesenheit im Haus-
ein schleichender Verfassungsbruch. haltsausschuß zu verlangen, obwohl man sehr gut
weiß, daß gleichzeiti g eine Sitzung des Finanzpla-
Wie sieht es denn mit den Auswirkungen auf die nungsrates stattfindet, und hier auch noch eine sol-
Länderhaushalte aus? Bereits drei Länder - Hessen, che Show zu veranstalten.
Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg - ha-
ben Haushaltssperren einführen müssen, haben sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
sofort ausgesprochen. 24 Milliarden DM müssen Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
1995/96 verkraftet werden. Ein Teil dessen wird in DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die Haus
die Kommunen durchgereicht. Kommunale Selbst- haltssperre am Wochenende ausgespro
verwaltung ist bald nicht mehr das Papier wert, auf chen?)
dem sie geschrieben steht, weil sie eine blanke Illu- Sie wollten ganz bewußt keine subst antielle Auf-
sion in dieser Bundesrepublik ist. Sie haben sie dazu klärung im Haushaltsausschuß; darum sind Sie auch
verkommen lassen. Das ist die Realität. gar nicht hingegangen. Vielmehr wollten Sie hier be-
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne wußt Ihre Unwissenheit nutzen, um sich aufzublähen
ten der SPD) und diese Show abzuziehen. Das ist der ganze Hin-
tergrund dieser Debatte.
Wir verlangen, daß das, was die SPD gesagt hat,
(Beifall bei der CDU/CSU)
was ich nicht wiederholen möchte, nämlich der Ab-
bruch der Haushaltsberatungen, realisiert wird. Auf Es ist auch - lassen Sie mich das einmal sagen -
dieser Grundlage kann es sich das Parlament dieser eine bewußte Desavouierung des Finanzplanungs-
Bundesrepublik nicht leisten, sich als Spielball der rates, in dem die Mehrheit der Finanzminister, auch
schrecklich chaotischen Finanzpolitik des Bundes- der SPD-Finanzminister, sitzt
finanzministers mißbrauchen zu lassen.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Aus diesem Grund unterstützen wir die drei Forde- DIE GRÜNEN]: Der Minister erklärt das
rungen, die Frau Matthäus-Maier gestellt hat, und Parlament als Show! Das Plenum ist für den
hoffen, daß Sie wenigstens noch so viel Anstand be Herrn Minister eine Show!)
5450 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Bundesminister Dr. Theodor Waigel


und erwartet hätte, daß man mit ihnen über die haus- Noch ein Wort zu Ihnen, Kollege Struck: Was Sie
haltspolitischen, finanzpolitischen und steuerpoliti- vorhin gegenüber der Frau Kollegin Karwatzki be- -
schen Fragen der Schätzung diskutiert und daraus trieben haben, das war unfair. Das hätte ich eigent-
die entsprechenden Schlußfolgerungen zieht. lich von Ihnen nicht erwartet.
Kollege Struck, ich habe mitbekommen, wie Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
das vorhin begründet haben. Ich kann Ihnen nur sa- Dr. Peter Struck [SPD]: Ich habe ihr mein
gen: Diese Haushaltsberatung ist ganz normal und Mitleid ausgesprochen!)
korrekt. Es ist ein billiges Manöver, das Sie hier vor- Es ist auch nicht in Ordnung, im Haushaltsaus-
führen, um von den Schwierigkeiten in Ihrer eigenen schuß die Anwesenheit aller Mitglieder der Koali-
Fraktion und ihrer eigenen Partei abzulenken. Das tionsfraktionen zu verlangen - das ist notwendig -,
ist doch der einzige Grund. hierherzugehen und dann die Frau Kollegin mit Fra-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - gen zu konfrontieren, die dort gerade diskutiert wur-
Joseph Fischer [Fr ankfurt] [BÜNDNIS 90/ den und über die sie gar nicht Bescheid wissen
DIE GRÜNEN]: Das war doch gar nicht die konnte. Das paßt gut zu der Unfairneß, die Sie, Herr
SPD, die das „billige Manöver" gemacht Kollege Struck, neulich bewiesen haben, als Sie auf
hat!) Grund einer Äußerung von mir im Finanzausschuß
mit der billigen Polemik kamen, man müsse mich ab-
Haben Sie sich vielleicht im letzten Jahr aufgeplu- mahnen und dann entlassen.
stert, als wir bis zur Bundestagswahl für die alten
Bundesländer ein Wachstum von 0,9 % vorausgesagt (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
haben DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)
Ihre eigenen Kollegen waren dabei und haben jeder
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Äußerung von mir expressis verbis zugestimmt, auch
DIE GRÜNEN]: Zur Sache!)
hier noch. Hier zeigt sich doch wieder einmal deut-
und wenige Monate später insgesamt ein reales lich, daß Sie überhaupt nicht wissen, was stattfindet
Wachstum von 2,9 % herausgekommen ist? Da war und was vorgeht.
Schweigen im Walde; dazu haben Sie nichts gesagt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Diesen Vorwurf brauchen wir uns nicht machen zu
lassen. Es gibt keinen neuen Sachverhalt. Wir werden die
Dinge im Haushaltsverfahren einbringen. Wir haben
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) uns an die Steuerschätzungen gehalten, sowohl im
Herr Metzger, normalerweise sind Sie unter den Mai als auch jetzt. Wir passen sie rechtzeitig an. Es
Grünen jemand, dessen Äußerungen man ernst neh- wird in 1995 keine signifikante Überschreitung der
men sollte. Aber heute waren Sie gerade mit Ihren Nettokreditaufnahme geben.
Bemerkungen das personifizierte Beispiel für eine Wir sind auch in der Lage, die Zusatzbelastungen
„leere Hose", wie man in Bayern zu sagen pflegt. für 1996 so auszugleichen, daß wir bei dem Ziel einer
Nettokreditaufnahme von 60 Milliarden DM bleiben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Das ist eine gewaltige Leistung. Das Haushaltsvolu-
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
men geht gegenüber dem Haushaltsansatz des Vor-
DIE GRÜNEN]: Besser leere Hose als tote
jahres zurück. Dies ist ein posi tives Signal für die
Hose! Theo, die tote Hose! - Jürgen Koppe
Märkte. Wir nehmen den Rat der Forschungsinstitute
lin [F.D.P.]: Tolle Hose!)
- deren Ausführungen ich sonst zu schätzen weiß -,
Was nun Frau Kollegin Matthäus-Maier anbelangt: die Nettokreditaufnahme zu erhöhen, nicht an. Denn
Wenn Sie sich nur einmal in einem Ausschuß näher gerade im Zeichen einer gutgehenden Konjunktur -
erkundigt hätten, dann hätten Sie auch mitbekom- das ist auch weiter der Fall - muß man die Konsoli-
men, was unter „Sonstiges" z. B. steht: Gewährlei- dierung voranbringen, um das richtige Zeichen für
stungen, Altersübergangsgeld, Kriegsopfer, Erzie- die Märkte, für die Zinsen zu setzen.
hungsgeld; Schätzansätze, die Sie dann sehr leicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
unter einem Sammelansatz hätten subsumieren kön- Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
nen. NEN]: Die Wachstumsprognosen sind nach
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dann ma unten korrigiert!)
chen Sie einen Ergänzungshaushalt!) Wir werden noch stärker privatisieren als bisher.
- Darauf komme ich gleich. Das ist notwendig, das ist richtig. Das machen auch
SPD-regierte Länder, das machen alle Länder in Eu-
Übrigens, 1981 und 1982 - ich nehme an, Sie ha- ropa,
ben schon damals diesem Hohen Hause angehört -
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
hat die SPD selbst eine Ergänzungsvorlage mit dem
Argument abgelehnt, der Haushaltsausschuß sei das und zwar aus Gründen des Haushalts, aber auch aus
richtige Gremium, auch über Veränderungen zu be- Gründen der Struktur, um damit eine stärkere Effizi-
raten und zu entscheiden. Wir tun genau das, was enz, eine höhere Produktivität zu erreichen.
Sie 1981 und 1982 gesagt haben.
Wir werden die Eckwerte einhalten. Das Entla-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stungskonzept sichert die Einhaltung der bisherigen
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5451
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Eckwerte. Die Ausgaben bleiben rückläufig, die Kre- desanstalt für Arbeit ein Risiko von mindestens
ditobergrenze von 60 Milliarden DM wird nicht über- 5 Milliarden DM enthält. Sie haben das in der ersten-
schritten. Anstatt zu boykottieren, anstatt die Einspa- Lesung des Haushaltes Anfang September alles be-
rungen, die in den Gesetzesvorschlägen enthalten stritten, haben alles schöngeredet. Sie werden dem
sind, zu torpedieren, sollten sie end lich einen kon- Erfordernis der Haushaltswahrheit und der Haus-
struktiven Beitrag leisten, haltsklarheit nicht gerecht. Sie versagen als Finanz-
minister.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Den haben Sie auch nötig! (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
- Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Haben Sie GRÜNEN und der PDS)
doch alle abgelehnt!)
Meine Damen und Herren, dieser erbärmliche
um Bund, Länder und Kommunen im nächsten Jahr Wisch, den ich hier in Händen halte, ist keine seriöse
und in den folgenden Jahren zu entlasten. Sie setzen Ergänzungsvorlage.
auf Boykott; nur wird Ihnen das die Öffentlichkeit
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
nicht zugestehen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
(Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ PDS - Dietrich Austermann [CDU/CSU]:
NEN]: Das kann doch wohl nicht wahr sein, Was heißt hier „erbärmlicher Wisch"?)
hier von Boykott zu sprechen!)
Dieser erbärmliche Wisch ist keine Grundlage für
Die Öffentlichkeit erwartet von Ihnen ein faires, ein die Fortsetzung einer seriösen Beratung im Haus-
sinnvolles, ein konstruktives Opponieren. Dazu blei- haltsausschuß.
ben Sie jeden Beitrag schuldig. Ihr Versagen hier ist
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
so schlimm wie das Versagen Ihrer Partei in den letz-
DIE GRÜNEN)
ten Monaten.
Dieser erbärmliche Wisch
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Dr. Peter Struck [SPD]: Das war aber sehr (Zuruf von der CDU/CSU: Die amerikani
schwach, Herr Minister!) sche Verfassung ist nicht länger! - Heiter
keit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt enthält Vorschläge voller Rechtsprobleme.
der Kollege Karl Diller.
Dieser erbärmliche Wisch enthält Vorschläge, die
finanzpolitisch dicke Fragezeichen haben.
Karl Diller (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren! Ich habe nach dieser Dieser erbärmliche Wisch
Rede den Eindruck, daß der Minister nicht nur mit
seinem Haushalt, sondern auch mit seinen Nerven (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Der Waigel
Wisch! - Weitere Zurufe aus dem Hause -
am Ende ist.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Laßt
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ihn weiterreden! Ich will wissen, ob er noch
DIE GRÜNEN) ein anderes Wort kennt!)
Herr Minister, Sie sind dem obersten Grundsatz al- ist voller sozialpolitischen Sprengstoffs. Der Minister
ler Haushälter verpflichtet, der lautet: Haushaltsklar- hat im Haushaltsausschuß wörtlich gesagt: „Die Be-
heit und Haushaltswahrheit. grenzung arbeitsmarktpolitischer Leistungen der
Bundesanstalt für Arbeit kann kein Tabu sein." Dies
(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Ihr kennt
ist die Kriegserklärung an die Menschen, die ohne
ja noch nicht einmal den Unterschied zwi Arbeit sind und hoffen, im nächsten Jahr wenigstens
schen brutto und netto!) in Fortbildungs-, Umschulungs- oder Arbeitsbeschaf-
Das Tempo, mit dem Sie sich mit Ihren Vorlagen der fungsmaßnahmen hineinzukommen.
Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit nähern, ist (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
das Tempo einer Schnecke. GRÜNEN und der PDS)
(Beifall bei der SPD) Sie lassen diese Millionen Menschen unter den Lö-
Seit August weist die SPD-Fraktion darauf hin, daß chern leiden, die die Vermögenden dieser Gesell-
dieser Haushaltsentwurf der Bundesregierung ein Ri- schaft durch Steuerabschreibungsmodelle im Osten
siko in zweistelliger Milliardenhöhe birgt. Ihnen in den Haushalt gerissen haben.
(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Wo sehen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Sie das denn noch? - Hans-Peter Repnik GRÜNEN und der PDS)
[CDU/CSU]: Haben wir doch nicht! - Ge
Dieser erbärmliche Wisch enthält auch hochgradi-
genruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt]
gen wohnungspolitischen Sprengstoff. Im Hauruck
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen wir
verfahren mehr als 44 000 Wohnungen - d. h. mehr
doch einmal den Herrn Weng: Gibt es kein
Wohnungen, als die größte Stadt in meinem Wahl-
Haushaltsrisiko mehr?)
kreis, Tri er, überhaupt aufweist - auf einen Schlag
Wir haben Sie darauf hingewiesen, daß die Steuer- verhökern zu wollen ist eine Bedrohung. Das müssen
einnahmen wegbrechen, daß der Haushalt der Bun- die Menschen so empfinden: die Postler, die Eisen-
5452 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Karl Diller
bahner und die anderen Zehntausende Menschen, Das gibt gewissermaßen einen grünen Zahlensalat.
die in diesen Wohnungen leben. Sie müssen es als Gerade eine Partei, die eher für Notgeld und was -
Bedrohung empfinden, daß sie demnächst die Opfer weiß ich für welche Programme steht, muß uns das
von Luxussanierungen sein werden. Das ist woh- vorwerfen!
nungspolitischer Sprengstoff ersten Ranges.
Das, was wir heute vorlegen, was der Kollege Dil-
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ler als „erbärmlichen Wisch" bezeichnet hat - in den
GRÜNEN und der PDS - Dr. Olaf Feldmann hinteren Reihen hätte man auch „Wicht" verstehen
[F.D.P.]: Die Neue Heimat habt ihr für eine können; er hat vielleicht in die Richtung geguckt -,
Mark verscherbelt!)
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Meine Damen und Herren, dieser Minister spielt DIE GRÜNEN]: Erbärmlicher Waigel!)
mit dieser Vorlage Monopoly auf dem Rücken der ist gewissermaßen der Abschluß des Haushalts, wie
Meinen Mieter. wir ihn morgen abend vorlegen werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wider Sie können davon ausgehen, daß wir Ihnen nicht
spruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) noch einmal die Zahlen vor der Debatte zur Verfü-
Diese Politik werden wir ablehnen. Deswegen for- gung stellen werden.
dern wir Sie auf, uns eine seriöse Ergänzungsvor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -
lage, vom Kabinett beraten, vorzulegen. Sonst wer- Widerspruch bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/
den wir nicht weiterberaten. DIE GRÜNEN und der PDS)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir werden an der Stelle landen, an der wir verspro-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der chen haben zu landen. Es steht fest, daß wir bei einer
PDS) Nettokreditaufnahme von 60 Milliarden DM landen.
Das steht fest. Es steht fest, daß wir die erforderlichen
Mittel für den Arbeitsmarkt ausgeben. Das steht fest.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat nun
Ich sage Ihnen, Herr Kollege Diller: Zu keiner Zeit
der Kollege Dietrich Austermann.
wurde so viel Geld für aktive Arbeitsmarktpolitik
ausgegeben wie in diesem Jahr,
Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Präsiden-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
tin! Meine Damen und Herren! Daß der Kollege Dil-
ler so redet, wie er redet, ist ganz klar. Er hat die Si- und der gleiche Be trag wird im nächsten Jahr wieder
tuation der SPD-Fraktion gewissermaßen bis in den zur Verfügung gestellt. Sie können davon ausgehen,
Gesichtsausdruck hinein verinnerlicht und glaubt, daß wir uns an die Grenzen, die wir uns selber ge-
das auf den Haushalt übertragen zu können. setzt haben, halten werden. Das ist natürlich für Sie
schockierend.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -
Widerspruch bei der SPD) (Dr. Peter Struck [SPD]: Schockierend sind
der Finanzminister und der Weng!)
Ich glaube, wenn Sie sich mit den Haushalten der
vorangegangenen Jahre befassen, werden Sie fest- Es treten nun völlig veränderte Umstände bei der
stellen, daß wir jedes Jahr einen Haushalt vorgelegt Steuerschätzung ein, die den Bund übrigens nicht
haben, der am Ende des Jahres besser abgeschlossen mit 20 Milliarden DM, sondern eigentlich mit
hat, als prognos tiziert worden war - jedes Jahr, so- 11,6 Milliarden DM be treffen, davon 1,6 Milliarden
lange wir an der Regierung sind. DM vom Vermittlungsausschuß mit der SPD-Mehr-
heit dort abgetrotzt. Es kommen also Mindereinnah-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) men von 13 Milliarden DM zusammen, und wir brin-
gen den Haushalt trotzdem hin. Das macht dann na-
Das haben Sie nicht geschafft, noch nicht einmal
türlich sauer. Da fängt man natürlich an, sich aufzu-
hinsichtlich der Aufstellung der Haushalte. Sie ha-
regen und sich zu ärgern, und wundert sich dann,
ben in der Regierungszeit der sozialliberalen Koali-
wenn einem die eigenen Leute nicht mehr folgen.
tion den Haushalt - bis auf ein einziges Mal - nicht
rechtzeitig vorgelegt. Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Das grundsätz-
liche Problem, das Sie als Partei im Moment haben,
Das Drehbuch ist interessant. Es lautet: Die Grü- ist, daß Sie, wenn die Situation da ist, daß entschie-
nen geben den Startschuß, und die SPD läuft los. So den werden muß, nicht entscheiden, sondern sagen:
haben Sie es in diesem Fall gemacht. Wir wollen erst einmal vertagen. Wir dagegen ma-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was hilft chen das genau umgekehrt:
das, wenn 20 Milliarden DM fehlen!) (Lachen und Widerspruch bei der SPD und
Sie sagen „Wir wollen eine Aktuelle Stunde", und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zwar zu Zahlen, die Ihnen längst vorliegen. Dann Wir sagen dann, wenn die Situation da ist, daß ent-
fangen Sie an, darauf einzusteigen, möchten jetzt schieden werden muß: Jetzt wird entschieden. Und
haushaltsmäßig filibustern, um den Eindruck zu er- wir werden morgen entscheiden.
wecken, wir hätten die Zahlen nicht mehr im Griff.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
(Widerspruch bei der SPD) Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.])
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5453
Dietrich Austermann
Gehen wir doch einmal vom letzten Jahr, von 1994, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Austermann,
-
aus. Da hat der Haushalt mit 20 Milliarden DM bes- Ihre Redezeit ist zu Ende.
ser abgeschlossen als in diesem Jahr. In diesem Jahr
hätten wir eine Situation, die um 10 Milliarden DM
besser gewesen wäre als vorhergesehen, wenn nicht Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ich sage: Wir
der Steuerausfall dazugekommen wäre. entscheiden, wenn entschieden werden muß. Und
wir treffen die Entscheidungen so, daß sie für die
(Lachen und Widerspruch bei der SPD und Konjunktur, für den Arbeitsmarkt und für den Ge-
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Joseph samthaushalt richtig sind.
Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
NEN]: Wenn, wenn, wenn!) Herzlichen Dank.

Aber obwohl der Steuerausfall da ist, werden wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
punktgenau landen. Herr Fischer, ich verstehe, daß Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
das jemanden, der grünen Zahlensalat gewohnt ist, DIE GRÜNEN]: Das war eine rheto rische
verzweifeln läßt. Windmühle!)
Es ist ja nicht normal, daß der Bund einen Zuschuß
an die Bundesanstalt für Arbeit gibt, die sich eigent- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat die
lich selbst finanzieren soll. Wir werden im nächsten Kollegin Kristin Heyne.
Jahr den notwendigen Zuschuß für die Bundesan-
(Zuruf von der F.D.P.: Die war auch nicht im
stalt für Arbeit bereitstellen. Das stand nicht im
Haushalt; das machen wir trotzdem. Damit können Ausschuß!)
wir Arbeitsmarktmaßnahmen finanzieren und wer-
den somit unserer Verantwortung gerecht. Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau
Wenn Sie die Frage stellen, was denn haushalts- Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle
mäßige und sozialpolitische Verantwortung sei, muß fest, daß sowohl dem Minister als auch der CDU bei
man doch auf die Grundprinzipien hinweisen. Stabi- dieser Misere wirklich nur noch die Polemik bleibt.
les Geld ist das Wichtigste. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Dr. Peter Struck [SPD]: Ist die Redezeit bei der SPD und der PDS)
noch nicht abgelaufen, Frau Präsidentin?) Sie haben gegenüber Herrn Metzger nur noch das
- Ich kann mir vorstellen, daß Sie das bedrückt, Kol- Argument finden können, er sei nicht im Ausschuß
lege Struck. Das ist fast wie eine Fraktionssitzung bei gewesen.
Ihnen, nicht? - Das Wichtigste ist also, daß wir stabi-
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie waren auch fast
les Geld haben, daß die Zinsen niedrig sind und sin-
nie da!)
ken - das freut die Meinen Leute viel mehr als die
Show, die Sie hier veranstalten. Ich denke, das ist eigentlich mehr ein Ausdruck Ihrer
(Beifall bei der CDU/CSU) Arroganz. Es hat sich erwiesen, daß wir eine völlig
neue Lage haben - eine Lage, die der Ausschuß
Genau dies bewirkt die von uns initiierte Haushalts- selbst nicht mehr bewältigen kann.
politik.
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Wieso das denn?)
Wenn Sie glauben, Sie könnten die notwendigen
Entscheidungen, die unter dem Strich bedeuten, daß Das hat der Ausschuß nicht bemerkt. Er hat nicht den
die Investitionsquote nicht abgesenkt wird - was für Zeitpunkt gefunden, zu dem es wirklich notwendig
den Arbeitsmarkt ja auch wichtig ist -, dadurch ver- war, das Plenum wieder einzubeziehen. Es hat leider
zögern, daß Sie Showanträge stellen, haben Sie sich keine Mehrheit im Haushaltsausschuß gegeben, hier
getäuscht. in die Fragestunde zu gehen; die SPD hat sich da
„Hälfte-Hälfte" verhalten. Ich glaube, daß da wirk-
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: lich eine gewisse Betriebsblindheit vorliegt.
Das sind keine Showanträge!)
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Bei Ihnen vielleicht!)
Das Thema FuU und ABM habe ich bereits angespro-
chen. Wir haben - das will ich gerne bestätigen - sehr
sorgfältig beraten. Es hat viele Kilogramm Papier ge-
Die Frage wäre doch: Was schlagen Sie denn in geben, die wir bearbeitet haben. Es ist viele Stunden
dieser Situa tion außer Vertagen noch vor? Sie haben hin und her gesprochen worden. Dabei haben wir -
eine Fülle von Anträgen vorgelegt; wenn man die im wesentlichen die Union - etwa 700 Millionen DM
darin enthaltenen Summen addiert, kommt ein ge- eingespart. Jetzt haben wir die Situation, daß
waltiger Be trag heraus. Aber was schlagen Sie vor?
20 Milliarden DM zusätzlich aufzubringen sind. Für
(Dr. Peter Struck [SPD]: Der Finanzminister 20 Milliarden DM reichen Ihnen eine Stunde Fragen
muß weg!) an Herrn Waigel und dieses Zettelchen. Das kann
doch wohl keine Solidität sein, damit können Sie nie-
Sollen wir jetzt noch ein Vierteljahr warten und dann mals zufrieden sein!
Entscheidungen treffen, so wie das einzelne Bundes-
länder, z. B. Hessen oder andere Länder, in denen Sie (Beifall. beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Verantwortung tragen, gemacht haben? bei der SPD und der PDS)
5454 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Kris ti n Heyne
Wer in die Sitzung gekommen ist und den kleinen Es hat sicher auch viele im Haushaltsausschuß ver-
Zettel gesehen hat, der konnte wissen: Hier läuft wundert - und wir haben dafür einige Anerkennung -
heute nichts mehr ab. Ich kann meinem Kollegen bekommen - daß sich unsere Fraktion bemüht, einen
Oswald Metzger nur bestätigen: Du hast absolut konsolidierten Haushalt zu verabschieden. Wir ha-
nichts verpaßt. Ich habe mir die Rede von Herrn ben durchaus Einsparvorschläge gemacht.
Waigel angehört.
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Laß uns
Die substantiellen Äußerungen, die wir gehört ha- nach oben gehen und weitermachen!)
ben, waren z. B.: Die Privatisierung der Postbank
kann zwischen 3 und 6 Milliarden DM erbringen. - Schuldenpolitik ist ja keine abstrakte Frage von Fi-
Na ja, so eine kleine Lücke von 3 Milliarden DM ma- nanzen, die sich nur in den Köpfen abspielt. Schul-
chen wir mit links. Für 700 Millionen aber brauchen denpolitik beinhaltet die Frage, was wir unseren Kin-
wir zwei Monate Beratung. dern klauen, was die später für uns zu zahlen haben.
Das ist eine sehr konkrete und wichtige Frage.
Die Solidität Ihrer Planung sehen wir z. B. da ri n,
Wir sind bereit mitzudenken. Es gibt sehr wichtige
daß Ihnen jetzt, im Oktober, einfällt: Die Bundesan-
Themen, über die leider auch die SPD nicht genü-
stalt für Arbeit braucht doch etwas Geld. - Na ja,
gend spricht - und Sie schon gar nicht. Sie haben en
nochmal eben 6 Milliarden; hauen wir auch drauf, ist
passant in ihrem Haushalt weitere 22 Milliarden DM
nicht so schlimm, konnten wir im September über-
Schulden gemacht, und zwar über Ihr Hobby Privat-
haupt noch nicht wissen.
finanzierung. Die 15,6 Milliarden DM für den ICE
Dann gibt es da den wunderbaren Posten: 3 Mil- haben Sie nur ins Haushaltsgesetz „gehängt".
liarden „Sonstiges". Dazu haben wir eine glasklare (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Sie haben die
Antwort bekommen: Das werden wir zu gegebener Zahlen nicht gelesen!)
Zeit entscheiden - wir, die Regierung. Das Parlament
hat damit nichts zu tun. Wir - und niemand anders - Auch das möchte ich noch einmal in Ruhe mit Ihnen
entscheiden das. besprechen. Ich wi ll Ihnen klarmachen, was es für
meine Kinder bedeutet, wenn sie für Ihre Straßen
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das stimmt doch zahler müssen, die Sie jetzt geplant haben, die wir
alles gar nicht!) aber nie brauchen werden.
- Moment, da waren Sie leider nicht da. Da ist hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
etwas Spannendes gelaufen, da hat sich die Regie- sowie bei Abgeordneten der SPD und der
rung hier zu unseren Fragen geäußert. Da wollten PDS)
wir gern wissen: Was sind 3 Milliarden „Sonstiges"?
Ich komme zum Schluß: Ich nehme Sie und uns als
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das wurde im Haushälter bei der Ehre. Wir brauchen einen Ergän-
Ausschuß erläutert, als Sie nicht da waren!) zungshaushalt, wir können dann in Ruhe nochmal
beraten. Wenn wir gut sind, schaffen wir es im De-
Da hieß es schlicht und einfach: Das werden wir ent- zember, den Haushalt tatsächlich solide zu beschlie-
scheiden, wenn es an der Zeit ist. ßen.
(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten
- Ich habe die Ausführungen gehört, sie waren äu- der PDS - Dietrich Austermann [CDU/
ßerst vage. CSU]: Nein, das wird es nicht geben!)
Ich finde, es ist eine ungeheure Dreistigkeit von Ih-
nen, Herr Waigel, daß Sie es noch einmal wagen, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht
sich vor den Ausschuß zu stellen und wiederum von die Kollegin Elke Ferner.
einer 10-Milliarden-Lücke im Haushalt 1995 zu spre-
chen. Sie wissen genau, daß die zwischen März und
Mai dieses Jahres erfolgte Korrektur darin nicht ent- Elke Ferner (SPD): Liebe Kollegen und liebe Kolle-
halten ist, daß die Lücke in Wirklichkeit bei ginnen von der Koalition! Das Parlamentsverständ-
14 Milliarden DM liegt. Sie haben uns da nur ein nis, das hier zum Teil vorherrscht - Kollege Auster-
paar Pauschalzahlen vorgelegt. Selbst wenn wir die mann hat eben gesagt, wir werden Ihnen die Infor-
akzeptieren, bleibt immer noch eine Lücke von mationen nicht geben -, ist dieses Parlamentes wirk-
8 Milliarden. Wo Sie die noch herholen wollen, ha- lich nicht würdig. Es wundert mich überhaupt nicht,
ben Sie verschwiegen. wenn Sie bei einem solchen Parlamentsverständnis
auch im Haushaltsausschuß die Karten erst spät auf
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Tisch legen und dann in aller Eile einen Haus-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der halt durchpeitschen wollen, der überhaupt nicht ver-
PDS - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND abschiedungsfähig ist.
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sollte der Mini
ster nicht abwinken, sondern reden!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
- Es wäre sehr schön, wenn wir dazu noch ein paar PDS - Zuruf des Abg. Jürgen Koppelin
Erläuterungen bekämen. [F.D.P.])
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5455
Elke Ferner
- Werter Kollege, lassen Sie mich doch einmal ausre- stücksveräußerungen nicht hereinbekommen? Die
den, wir werden schon noch dazu kommen. werden auf den Kreditmarkt gehen müssen, um das-
Geld für den Bundeshaushalt herbeizuschaffen. Das
Bei Ihnen herrscht ein totales Finanzchaos. Dieses ist ein neuer Schattenhaushalt.
Finanzchaos bewirkt Erklärungschaos, und hinzu
kommt das Forderungschaos. Da werden z. B. im (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Verkehrsausschuß von der Koalition zum Haushalt GRÜNEN und der PDS)
Anträge ohne Deckungsvorschläge gestellt. Ich Das hat mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahr-
kann mich nicht erinnern, daß ich in den letzten fünf heit überhaupt nichts zu tun. Das ist im besten Fall
Jahren in irgendeiner Haushaltsberatung einen An- ein Programm, um der Deutschen Bank zu helfen,
trag von der Koalition gesehen habe, zu dem es ei- ihre Verluste mit den Schneider-Peanuts etwas aus-
nen Deckungsvorschlag gab. So weit sind Sie in Ihrer zugleichen.
Finanzplanung schon heruntergekommen.
Es gibt noch andere Investitionsschwerpunkte bei
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE diesem Haushalt. Ich nenne einmal den Transrapid.
GRÜNEN und der PDS) Sie haben hier Löcher über Löcher, die Sie überhaupt
nicht mehr überblicken. Dann wollen Sie einen
Sie kürzen die dringend notwendigen Schienen- Transrapid bauen mit 5,6 Milliarden DM allein für
investitionen. Das macht der Finanzminister; der den Fahrweg.
Verkehrsminister hat in dieser Frage nichts mehr zu
melden. Gleichzeitig erzählen die Kollegen: Alles ist (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Die hessische
wichtig. Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit sind Landesregierung!)
indisponibel - so haben wir eben gehört -, die Trans Sie machen ein Bedarfsgesetz, in dem steht: Wir wer-
europäischen Netze sind indisponibel, Köln/Rhein- den irgendwann einmal mit irgendeinem Betreiber
Main ist indisponibel, die Expo ist ganz wich tig. Da irgendeine Finanzierungsvereinbarung schließen.
frage ich mich, was soll das alles? Trotz einer Kür- Ich frage mich, wo wir hier sind: Sie stellen hier un-
zung von 2,3 Milliarden DM allein im Schienenbe- gedeckte Wechsel auf die Zukunft aus. Das hat mit
reich wollen Sie das alles realisieren. vernünftiger Haushalts- und Finanzpolitik überhaupt
nichts mehr zu tun.
(Zurufe von der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
- Natürlich, gucken Sie sich Ihre Zahlen doch einmal GRÜNEN und der PDS)
an! Sie kennen noch nicht einmal Ihren eigenen
Haushaltsentwurf. Im übrigen sind Sie auch dafür verantwortlich, daß
knapp 60 % dieser Mittel aus dem Verkehrshaushalt
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE aufgebracht werden sollen. Über 40 % sollen über
GRÜNEN und der PDS) Kürzungen im Hochschulbau, beim Wohnungsbau
und bei anderen Investitionsmaßnahmen aufge-
Dann gibt es eine Vereinbarung zwischen Frank- bracht werden.
reich und der Bundesrepublik. Da rennt der Kanzler Ich glaube, die meisten Kolleginnen und Kollegen
durch die Gegend und sagt: Das ist alles ganz furcht- in der Koalition wissen nicht, was in den nächsten
bar wichtig. Dann stellt sich am Montag der Bahn- Jahren auf sie zukommt. Sie werden dann wieder
chef in Saarbrücken hin und sagt: Ätsch, das alles durch die Wahlkreise laufen und verkünden: Es wird
kommt überhaupt nicht; wir verstehen nämlich bei der Hochschule etwas gemacht, es gibt ein neues
Transeuropäische Netze im Hochgeschwindigkeits- Wohnungsbauprogramm, es kommt die Ortsumge-
bereich folgendermaßen: Wir fahren mit dem TGV hung von XY, wir wollen auch eine schöne Schienen-
von Pa ri s nach Saarbrücken, steigen in den Pendo- verbindung. Sie versprechen alles, aber Sie tun über-
lino um, dann fahren wir bis Mannheim und steigen haupt nichts.
anschließend wieder in den ICE. - Eine solche Ver-
kehrspolitik ist bescheuert, muß ich einmal sagen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
(Beifall hei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS) Das hat auch etwas mit Ehrlichkeit zu tun.

Das verärgert auch die Leute vor Ort, weil Sie näm- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Ferner, Ihre
lich hier etwas anderes sagen, als Sie vor Ort tun. Redezeit ist zu Ende.
Jetzt wollen Sie die Mindereinnahmen im Schie-
nenbereich mit einem ganz grandiosen Haushalts- Elke Ferner (SPD): Damit befördert man Politikver-
trick ausgleichen: Sie übertragen die Grundstücke drossenheit.
des Bundeseisenbahnvermögens an eine Gesell- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
schaft - mit der Bahn, mit einem p rivaten Investor, GRÜNEN und der PDS)
einem Bankenkonsortium -, die dann jährlich das,
was das Bundeseisenbahnvermögen braucht, abfüh-
ren soll. Jetzt frage ich Sie einmal: Was bedeutet es Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster
denn, wenn die in einem Jahr das Geld über Grund spricht der Kollege Dankward Buwitt.
5456 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Dankward Buwitt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Deshalb, denke ich, sollte man mit diesen Dingen et-
Meine Damen und Herren! Ich denke, diese Aktuelle was vorsichtiger umgehen.
Stunde könnte man eher mit „allgemeine Mecker-
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Sie! Sie!)
stunde" überschreiben: Die gesamte Fragestunde
wird wiederholt, es werden noch einmal alle Ver- Wer glaubt, Frau Höll, daß die Gesundung der
kehrsprojekte hochgezogen - Fragen, die gerade in Wirtschaft durch den zweiten Arbeitsmarkt und
der Fragestunde behandelt worden sind -, hier wird durch Programme erfolgen kann, dem ist zu sagen:
ein Horrorszenario aufgebaut. Das ist ein großer Irrtum. Beschäftigungsprogramme
bringen zwar Linderung für die Arbeitslosen; aber
Meine Damen und Herren, die Abweichung der
die Wirtschaft ist nur durch Arbeitsplätze aufzu-
Steuerschätzung betrug 1991 plus 14 Milliarden DM, bauen, die im ersten Arbeitsmarkt entstehen.
1993 minus 11 Milliarden DM und 1995 zur Haus-
haltsberatung plus 13 Milliarden DM. Diese Abwei- Deshalb sage ich Ihnen eines: Wir werden die
chungen liegen also gar nicht so weit aus der Norm, Mätzchen, die Sie bereits am 12. Oktober hier begon-
die wir zur Zeit zu verzeichnen haben. Sie malen hier nen haben, nicht mitmachen. Damals wollten Sie an-
eine hoffnungslose Situa ti on aus. geblich über den IWF reden und haben über Steuer-
schätzungen gesprochen, die überhaupt noch nicht
Wir freuen uns alle, daß wir die Transferleistungen vorgelegen haben. Diese Mätzchen machen wir nicht
in die neuen Bundesländern haben. Wahrheit ist: mit! Wir machen vielmehr unsere Arbeit, weil wir das
Wenn wir diese nicht hätten, könnten wir zum jetzi- Ganze in Verantwortung gegenüber den Bürgern zu
gen Zeitpunkt die Schulden abbauen, die Sie in den sehen haben.
70er Jahren gemacht haben.
Recht herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Meine Damen und Herren, aus der Steuerschät- Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
zung ist ein niedriger Einnahmenbetrag herausge- Ihr macht nur Mätzchen!)
kommen; das ist sicher keine besonders schöne Si-
tuation. Ich weiß nicht, was Sie erwarten. Ich denke
aber, daß der Bürger von uns erwartet, daß wir die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster
Ärmel hochkrempeln, die Situa tion meistern und hier spricht der Kollege Hans Georg Wagner.
zur Stabilität beitragen. Wenn wir geringere Einnah-
men zu verzeichnen haben, müssen wir dafür sorgen, Hans Georg Wagner (SPD): Frau Präsidentin!
daß Einnahmen hinzukommen und daß Ausgaben Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum er-
reduziert werden, um den Haushalt auszugleichen. sten: Ich weise eine Aussage des Bundesfinanzmi-
nisters in aller Schärfe zurück. Herr Finanzminister,
Ich meine, die niedrigen Zahlen bei der Steuer-
eine Sitzung des Deutschen Bundestages ist keine
schätzung haben zwei Seiten: Wir haben eine ge-
Schauveranstaltung. Der Weg zu dem Ausdruck
ringe Abflachung der Konjunktur. Warum haben wir
„Quasselbude" ist sehr schnell gegangen.
die? Weil wir eine stabile D-Mark haben, um die uns
alle Leute in der Welt beneiden. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Das möchte ich Ihnen, weil ich Sie anders einschätze,
Hier wird gesagt: Ob die Zinsen im nächsten Jahr wirklich ersparen.
wirklich soviel niedriger sind, weiß man nicht. Die
Einnahmen bei der Zinsabschlagsteuer rühren daher, Zum zweiten: Wenn hier vorgetragen wird, daß der
daß wir niedrige Zinsen haben und daß wir Sparer- Kollege Metzger nicht an einer bestimmten Sitzung
freibeträge für diejenigen, die niedrige Kapitaler- des Haushaltsausschusses teilgenommen hat,
träge haben, eingeführt haben. Wenn auf der einen
(Diet ri ch Austermann [CDU/CSU]: Sie auch
Seite die Zinsabschlagsteuer geringer ausfällt, dann
nicht!)
fallen auf der anderen Seite die Zinsaufwendungen
des Staates natürlich dementsprechend niedriger dann muß ich Ihnen sagen, daß nach der Rede von
aus. Hier ist von verwerflich" die Rede gewesen. Herrn Waigel der Kollege Kuhlwein und ich sowie
Dabei ist das doch ein ganz klarer Sachverhalt, der die Kollegen Kampeter und Jacoby von der CDU im
überhaupt nicht in Frage zu stellen ist. Plenarsaal anwesend waren. Herr Kollege Kampeter
hat an Frau Karwatzki eine Frage gestellt; das ist im
Natürlich schlagen jetzt die Sonderabschreibun-
Protokoll nachzulesen. Man kann also den Kollegen
gen für Ausrüstung, Anlagen und Wohnungsbau
Metzger oder andere nicht dafür bestrafen wollen.
durch. Wenn Frau Höll von der PDS allerdings sagt:
„Wir haben immer gewarnt", dann müßten Sie das (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
gegenüber den Leuten zum Ausdruck bringen, die GRÜNEN und der PDS)
dadurch neue Arbeitsplätze und neue Wohnungen
bekommen haben. Das ist genau das, was wir ge- Ich frage mich die ganze Zeit, warum Kollege
wollt haben. Das ist das größte Investitionspro- Dr. Weng sich eigentlich nicht meldet. Er hat doch
gramm, das wir für die neuen Bundesländer über- die größten Sorgen schriftlich geäußert. Er soll ein-
haupt in Gang bringen konnten. mal sagen: Das ist das große Risiko, ich kann den
Haushalt überhaupt nicht mitberaten. - Er traut sich
(Beifall bei der CDU/CSU) nicht oder hat jetzt Angst bekommen. Ich weiß nicht,
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5457
Hans Georg Wagner
warum. Graf Lambsdorff muß wohl in der Toilette - Herr Koppelin, mit Ihnen habe ich es ja gar nicht,
eingesperrt sein, daß er hier öffentlich nicht auftreten sondern mit Herrn Waigel. Von ihm hätte ich gerne-
kann und seine Forderung nach einem Haushaltssi- gewußt, mit wem er gesprochen hat, ob er mit dem
cherungsgesetz vorträgt. Eigentümer der Wohnungsbaugesellschaft in Frank-
fu rt geredet und ihm gesagt hat, wir würden eine Pri-
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE vatisierung vornehmen. Mit wem haben Sie über-
GRÜNEN und der PDS) haupt gesprochen? Ich gehe davon aus: Das ist ein
Es wäre doch normal, hier im Deutschen Bundestag Schnellschuß, der genauso unse ri ös finanziert ist wie
zu sagen, warum er ein Haushaltssicherungsgesetz der ganze Haushalt selber.
haben will . (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
Ich sage Ihnen noch etwas, meine Damen und Her-
ren: Ich möchte in Ihrer Haut nicht stecken. Seit Mo- Wie unse ri ös das Ganze ist, sieht man auch daran,
naten verkünden Sie der Öffentlichkeit in Ihren daß heute, am 25. Oktober 1995, wahrscheinlich mor-
Wahlkreisen: ein grundsolider Haushalt. Wenn Sie gens um halb acht oder um halb neun, dem Finanz-
dann hierher kommen, merken Sie, daß eine Mil- minister einfällt: Dort sind noch Einnahmeverbesse-
liarde nach der anderen fehlt. rungen möglich. Plötzlich fällt ihm das ein. Warum
nicht bei Einbringung des Haushaltes? Vor 14 Tagen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne war das alles noch bestens in Ordnung. Zwei Tage
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN später hieß es: Haushaltssperre über den ganzen
und der PDS) Haushalt hinweg. Ich bin sicher, Sie sparen sogar
Heute morgen kam der Finanzminister zu den Koa- ein. Das gibt er sogar zu.
litionsarbeitsgruppen - das habe ich dpa entnom- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das Saarland!)
men - und sagte, heute mittag lege er ganz konkrete
Vorschläge für die Haushaltskonsolidierung vor. - Jetzt noch etwas zu dem Stichwort „Saarland".
Eine Sekunde Zeit nehme ich mir noch dafür.
(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Was ist mit dem
Saarland?) Das Saarland hat im Jahre 1985 von der F.D.P. und
der CDU einen Haushalt mit 7,8 Milliarden DM
- Darauf komme ich gleich zurück. Das ist ein gutes Schulden übernommen. Durch die Zinsentwicklung
Stichwort. Heben Sie sich das auf. sind diese Schulden bis zum Jahre 1994 auf
14,5 Milliarden DM aufgelaufen. Das sind Altschul-
Von diesen Versprechungen ist der Waigel-Wisch den der CDU im Landtag des Saarlandes. Gott sei
übrig geblieben. Das einzige, was morgen bereinigt D an k ist die F.D.P. do rt nicht mehr vertreten.
werden müßte, ist dieser Wisch; denn der Haushalt
ist nicht zu bereinigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und der PDS)
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der PDS) Das ist die Wahrheit. Sie können sie gerne viel aus-
gebreiteter hören. Dazu fehlt mir jetzt die Zeit. Ich
Wenn ich mir ansehe, was überall gemacht werden sage nur: Es ist eigentlich unzumutbar, von uns zu
soll, muß ich feststellen: Wie können Sie es eigentlich verlangen, eine seriöse Beratung des Haushaltes zu
mit sich selbst verantworten, zwei Monate vor Weih- führen angesichts der Tatsache, die heute hier publik
nachten Tausenden von Menschen - Eisenbahnern, geworden ist.
Postbeamten und anderen Menschen - zuzumuten,
Angst um ihre Wohnungen zu haben, nur weil Sie Noch eines sage ich Ihnen, Herr Finanzminister: Es
Luxussanierungen vornehmen lassen wollen? Das ist ist ja nicht so, Herr Kollege Roth, daß das Sache der
der Punkt. Koalition wäre. Auf diesem Waigel-Wisch steht ganz
schamhaft „BMF", weil er sich nicht getraut hat,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ „Bundesminister der Finanzen" darüber zu schrei-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ben.
PDS - Widerspruch bei der CDU/CSU und
der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU)

Vor zwei Monaten haben Sie hier gesagt: Gar nichts - Sie müssen eine Ergänzungsvorlage als Kabinetts
ist daran. Es werden keine Wohnungen verkauft. - beschluß zu Ihrem Haushaltsentwurf machen.
Zwei Monate später, zwei Monate vor Weihnachten, (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: So wie
sagen Sie das genaue Gegenteil. '81 und '82!)
Zur Privatisierung: Ich frage Sie: Wie wollen Sie - Das weiß ich nicht; das kann ich nicht beurteilen.
denn die Privatisierung in der Kürze der Zeit hinbe- Damais war ich noch nicht in diesem Haus. Sie ha-
kommen, wenn das im Haushalt 1996 wirksam wer- ben dies jedenfalls bisher nicht gemacht. Wenn die
den soll? Da muß doch irgend etwas gewesen sein. Koalition diesen Wisch übernimmt, übernimmt sie
Sagen Sie doch, Herr Waigel, mit wem konkret Sie auch die Unseriosität dieses Haushalts.
gesprochen haben.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
(Zurufe des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) GRÜNEN und der PDS)
5458 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster schätzung und Mindereinnahmen muß man sachlich
spricht der Kollege Hans Michelbach. analysieren, anstatt bösartig zu kritisieren. Ursache-
ist - davon sollten Sie auch einmal reden - die ge-
ringe Inflationsrate, ein Anstieg der Verbraucher-
Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau preise um lediglich 1,8 %. Das ist doch ein Vorteil für
Präsidentin! Fakt ist: Der Arbeitskreis Steuerschät- die Verbraucher, für unsere Bürger. Was würden Sie
zung mußte seine Prognose korrigieren. Schätzab- eigentlich sagen, wenn dem nicht so wäre? Was wür-
weichungen, meine Damen und Herren, hat es aber den Sie sagen, wenn wir höhere Zinsen hätten?
schon immer gegeben. Darauf hat, wie Sie wissen, Warum reden Sie nicht über die günstigen Zinsen?
der Finanzminister gar keinen Einfluß. Hieran sind Warum reden Sie nicht von der stabilen D-Mark? Das
vielmehr wir alle, auch die Länder, beteiligt. Es hat sollten Sie auch mal tun!
sich deutlich bewiesen: Der Finanzminister hat die
Hosen an, Sie sollten bei dieser Ursachenerkennung auch
(Lachen bei der SPD - Ingrid Matthäus über die hohe Inanspruchnahme der Förderung im
Maier [SPD]: Er hat die Hosen voll!) Osten reden. Die Investitionsangebote in den neuen
Bundesländern werden verstärkt genutzt. Das ist po-
er hat die Nerven im Zaum, er hat den Verstand. sitiv. Es ist einfach unmöglich, daß Sie dies hier ver-
teufeln und in den neuen Bundesländern genau das
Sie versuchen heute, Polemik zu machen, wieder Gegenteil verkünden. Wir sollten gemeinsam froh
einen Popanz gegen die finanzpolitischen Heraus- sein, daß die Einheit vorankommt, daß die Abschrei-
forderungen aufzuziehen, anstatt die Verantwortung bungssätze genutzt werden. Das ist die Wahrheit!
zu übernehmen. Sie leben doch in dauerhaftem
Selbstwiderspruch! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Zuruf von der SPD: Sie!)
Meine Damen und Herren, klar ist, daß wir in die-
Hier kommt der alte Klassenkampf. ser Situa tion natürlich auch neue Handlungserfor-
dernisse haben. Die steuerlichen Einnahmeminde-
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rungen werden sicher weitere Anstrengungen erfor-
DIE GRÜNEN: Oi!) derlich machen und die Finanzkonsolidierung nicht
- Hören Sie mir genau zu! - Was ist denn mit den in Frage stellen.
Wohnungen? Hier wird eine Wohnungsprivatisie-
rung schlechtgemacht. Ich frage Sie, meine Damen Meine Damen und Herren, statt Scheingefechte
und Herren: Wer hat denn eigentlich den Wohnungs- auf Nebenkriegsschauplätzen zu führen, sollten Sie
verkauf der Neuen Heimat für 1 DM zu verantwor- von der Opposi tion bei der Lösung der vor uns lie-
ten? genden schwierigen Aufgaben lieber Verantwortung
zeigen und keine Blockadepolitik betreiben. Haus-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge haltsblockade ist unverantwortlich.
ordneten der F.D.P.)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
Daran sollten Sie sich einmal erinnern. und der F.D.P.)
(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Genos
senprivatisierung!) Es geht um die Konsolidierung unserer Staatsfinan-
zen, es geht um eine neue Wirtschaftsdynamik, es
Ich kann Ihnen nur sagen: Was Sie hier be treiben, geht um mehr Arbeitsplätze. Da sollten Sie Verant-
ist ein Doppelspiel: auf der einen Seite im Ausschuß, wortung übernehmen und nicht herumpolemisieren.
auf der anderen Seite hier in der Fragestunde.
Wer die Wiedervereinigung nicht in einen Zusam-
(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wo menhang mit diesen finanzpolitischen Herausforde-
her wissen Sie das denn?) rungen stellt, der lügt einfach. Deswegen sollte man
Das ist eine schlechte Opposi ti on, und Sie nimmt diesen Zusammenhang deutlich machen.
überhaupt keiner mehr ernst. Das muß man Ihnen
deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir müssen erkennen, daß ein symmetrisches Kon-
zept unseres Finanzministers für Stabilität und Ent-
Meine Damen und Herren, Sie haben sich schon wicklung vorhanden ist und daß es dazu von Ihnen
öfter geirrt. Zu dem Marschzettel, den Sie hochhal- keine Alte rnative gegeben hat, auch heute nicht. Wo
ten, muß ich Ihnen deutlich sagen: Das ist eine Ober- ist die Alte rnative?
sicht von Belastungen und Entlastungen
(Anhaltende Zurufe von der SPD und dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Glocke der Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
Präsidentin) NEN]: Ein Parlament ist zum Streiten da!)

- anscheinend sind Sie so nervös, daß Sie gar nicht Meine Damen und Herren, wir brauchen einen
zuhören können -, die Sie im Haushaltsausschuß zur neuen Kraftakt, damit die Neuverschuldung wegen
Kenntnis nehmen sollten. Rückschläge bei der Steuer der erwarteten Mindereinnahmen nicht weiter steigt.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5459
Hans Michelbach
Ich rufe Sie dazu auf, daran mitzuwirken. Ich kann Ich knüpfe trotzdem an die Darstellung in der Fra-
Ihnen nur eins sagen: Denken Sie immer an Ihren gestunde an, die hier stattgefunden hat. Da hat die-
Herrn Wehner, wenn Sie sich hier in Ankündigungen Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Kar-
ergehen, denken Sie an die Ankündigung des Aus- watzki auf die Fragen, die von Ihnen gestellt worden
zugs. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer auszieht, der sind, geantwortet, und das ist ihr gutes Recht.
muß auch wieder einziehen.
(Zuruf von der SPD: Das ist ihre Pflicht! -
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Weitere Zurufe von der SPD)
Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Immer schön ablesen!) - Ich sage doch gar nichts. Ich sage, das ist ihr gutes
Recht, und wenn Sie wollen, auch ihre Pflicht. - Aber
die Art und Weise, wie Sie das gemacht haben, die
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Red- Art der Fragen, die Sie gestellt haben, die völlig aus
ner erhält der Abgeordnete F ried rich Merz das Wo rt. dem Sachzusammenhang gerissen waren, und die
Art und Weise, wie Sie die Staatssekretärin behan-
delt haben, ist einfach unanständig gewesen, meine
Friedrich Merz (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Damen und Herren.
Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Frak-
tion ist dies heute ein Tag großer Freude. (Widerspruch bei der SPD - Ing rid Mat
thäus-Maier [SPD]: Sie waren doch gar
(Beifall bei der CDU/CSU - Lachen bei der
nicht dabei!)
SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der PDS) Fällt Ihnen in der ganzen Debatte eigentlich nicht
auf, daß Sie nicht ein einziges Mal die Frage gestellt
- Sie lachen, bevor Sie überhaupt wissen, was ich sa-
haben, warum dem Staat niedrigere Steuereinnah-
gen will. - Unser Kollege Hans-Peter Repnik hat
men zur Verfügung stehen? Fällt Ihnen eigentlich
heute das Große Bundesverdienstkreuz bekommen,
und dazu gratulieren wir ihm sehr herzlich. gar nicht auf, daß Sie nur über die Höhe der Steuer
einnahmen und über die Höhe der Ausgaben gespro-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge chen haben? Nein, in diesen Zusammenhängen den-
ordneten der F.D.P. - Joseph Fischer ken Sie überhaupt nicht mehr. Aber es gibt einen Zu-
[Fr an kfu rt ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sammenhang.
Die Frage ist: Ist es gedeckt?)
Meine Damen und Herren, Sie holen hier ständig
So einfach kann man Ihnen eine Freude machen. einen Zettel hervor, offensichtlich einen Zettel, der
kopiert und hier verteilt worden ist, den Sie im Aus-
Lassen Sie uns einen Augenblick den Versuch un- schuß selber gar nicht bekommen haben, weil Sie
ternehmen, die Frage zu stellen: Was für einen Ein- gar nicht da waren. Dazu will ich Ihnen sagen: Auf
druck muß eigentlich ein Zuschauer auf der Tribüne einen solchen Zettel kann man eine Menge schrei-
und ein Zuhörer am Radio oder Fernsehen von der ben. Die Zehn Gebote haben auch nicht mehr Platz,
heutigen Debatte haben? Ich war heute nachmittag als auf so einem Zettel ist, beansprucht.
während der Fragestunde im Plenum. Da sitzen im
Plenum SPD-Abgeordnete und Kollegen der Grünen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
aus dem Haushaltsausschuß und machen hier einen Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
großen Budenzauber. GRÜNEN und der PDS)

(Widerspruch und anhaltende Zurufe von - Daß Sie darüber lachen, ist mir völlig klar. Herr Ca-
der SPD) tenhusen, Sie haben sie wahrscheinlich noch nicht
einmal gelesen.
Zum selben Zeitpunkt informiert der Bundesfinanz-
minister im Ausschuß genau über die Fragen, die Sie Wenn Sie das nicht beeindruckt, dann folgendes:
nach dem Motto „Sei klug, und stell dich dumm" Die ganze amerikanische Verfassung hat auf nur ei-
stellen. ner Seite Platz gefunden. Man kann auf einer Seite
eine ganze Menge unterbringen.
(Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer
[Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU)
Was, Budenzauber? Frau Präsidentin!)
Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen.
Ihre Aufregung wird Sie noch einholen, das sage ich
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Merz, ich un- Ihnen.
terbreche Sie, weil im Parlament kein „Budenzau-
ber" stattfindet. (Anhaltende Zurufe von der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS) Sie haben am Dienstag nachmittag in Ihrer Fraktion
jemanden wiederbelebt, der uns und Ihnen noch viel
Freude machen wird.
Friedrich Merz (CDU/CSU): Ich nehme das mit
dem Ausdruck des Bedauerns, Frau Präsidentin, zu- (Jörg Tauss [SPD]: Du sollst nicht lügen,
rück. steht in den Zehn Geboten!)
5460 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Friedrich Merz
Aber hier werden Ministerpräsidenten von Ihnen re- haltsausschuß ein vernünftiges Konzept erhalten, das
gierter Bundesländer auftauchen und große Reden wir in der ersten Novemberwoche als Bundeshaus- -
halten. Wenn allerdings das Land Niedersachsen halt für das Jahr 1996 verabschieden können. Wir
und das Land Saarland, Herr Wagner, selbständige werden es tun.
Staaten wären, wären diese Staaten weit davon ent- Vielen Dank.
fernt, die Stabilitätskriterien des Maastrichter Ver-
trages zu erfüllen, sie wären weit davon entfernt, sich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
für eine Wirtschafts- und Währungsunion zu qualifi-
zieren. Das ist der wahre Hintergrund. Sie haben in Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Die Aktuelle
diesen von Ihnen regierten Ländern eine Verschul- Stunde ist beendet.
dung erreicht, die weit über das Maß dessen hinaus-
reicht, was Sie der Bundesregierung ständig vorwer- Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages-
fen. ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
Deswegen können wir, glaube ich, in aller Ruhe sa- destages auf morgen, Donnerstag, 26. Oktober 1995,
gen: Nehmen Sie die Beratungen im Haushaltsaus- 9 Uhr ein.
schuß auch im Sinne derer, die im Finanzausschuß Die Sitzung ist geschlossen.
für die Einnahmenseite zuständig sind, wieder auf,
setzen Sie sie fo rt ! Wir sollten am Freitag vom Haus (Schluß der Sitzung: 19.05 Uhr)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5461*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort


des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Fra-
entschuldigt bis
Abgeordnete(r)
einschließlich gen des Abgeordneten Dr. • Dietrich Sperling (SPD)
(Drucksache 13/2708 Fragen 1 und 2):
Antretter, Robe rt SPD 25. 10. 95 Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Diskri-
minierung von Frauen bezüglich der Praxis der Vergabe von
Borchert, Jochen CDU/CSU 25. 10. 95 Mietwohnungen?
Conradi, Peter SPD 25. 10.95 Wie gedenkt die Bundesregierung ausreichend Wohnraum für
Dietert-Scheuer, Amke BÜNDNIS 25. 10. 95 Frauen, die ihre mietrechtliche Existenzberechtigung nicht von
einem Mann ableiten, zu gewährleisten und die rechtswidrige
90/DIE Datenabfrage von potentiellen Vermietern/Vermieterinnen und
GRÜNEN Maklern/Maklerinnen zu unterbinden?

Dr. Dobberthien, SPD 25. 10. 95


Marliese Zu Frage 1:
Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 25. 10. 95 ' Das Mietrecht der Bundesrepublik Deutschland ist
grundsätzlich privatrechtlich organisiert. Die Par-
Dr. Hauchler, Ingomar SPD 25. 10. 95
teien eines Mietvertrages bzw. der Mietinteressent
Hempelmann, Rolf SPD 25. 10. 95 und der Vermieter stehen sich gleichgeordnet gegen-
über. Es ist daher nicht zutreffend, wenn von einer
Hirche, Walter F.D.P. 25. 10. 95
„Praxis der Vergabe von Mietwohnungen" gespro-
Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 25. 10. 95 chen wird.
Horn, Erwin SPD 25. 10. 95 * Sofern ein Vermieter mehrere Interessenten für die
Dr. Jacob, Willibald PDS 25. 10. 95 von ihm angebotene Wohnung hat, wird er den Ver-
trag nur mit der Person abschließen, die ihm für ein
Kossendey, Thomas CDU/CSU 25. 10. 95 * langfristig angelegtes Schuldverhältnis, wie es ein
Kuhn, Werner CDU/CSU 25. 10. 95 Wohnungsmietverhältnis meistens ist, unter Berück-
sichtigung aller seiner Interessen am geeignetsten
Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 25. 10. 95 erscheint. Faktisch haben deshalb bestimmte Perso-
Karl-Hans nengruppen bei der Wohnungssuche bessere Chan-
cen als andere. Daß Frauen allgemein besondere
Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 25. 10. 95
Schwierigkeiten mit der Beschaffung angemessenen
90/DIE
Wohnraums auf dem freien Wohnungsmarkt haben
GRÜNEN
sollen, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Eher
Dr. Lucyga, Christine SPD 25. 10. 95 * schon lassen sich insbesondere p rivate Vermieter von
traditionellen Vorstellungen leiten und vermieten be-
Ma rt en, Günter CDU/CSU 25. 10. 95 **
vorzugt an Frauen, da sie sich eine bessere Pflege
Meißner, Herbe rt SPD 25. 10. 95 der Wohnung sowie geringere Belästigungen als bei
männlichen Mietern versprechen.
Mogg, Ursula SPD 25. 10. 95
Neumann (Berlin), Ku rt SPD 25. 10. 95 Im übrigen sind der Bundesregierung keine Diskri-
minierungen von Frauen bei der Vergabe von im so-
Dr. Probst, Albe rt CDU/CSU 25. 10. 95 * zialen Wohnungsbau geförderten Mietwohnungen
Dr. Reinartz, Bertold CDU/CSU 25. 10. 95 durch die zuständigen Stellen der Länder bekannt.
Der Bundesgesetzgeber hat vielmehr festgelegt, daß
Schumann, Ilse SPD 25. 10. 95 in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf z. B.
schwangeren Frauen ein besonderer Vorrang bei der
Siebert, Bernd CDU/CSU 25. 10. 95 *
Vergabe von Sozialwohnungen zuerkannt wird und
Tippach, Steffen PDS 25. 10. 95 auch alleinstehende Elternteile (d. h. im Regelfall
Frauen) mit Kindern zu den bevorrechtigten Perso-
Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 25. 10. 95 nen zählen (§ 5a Wohnungsbindungsgesetz, § 26
Vogt (Dünen), Wolfgang CDU/CSU 25. 10. 95 Abs. 2 Zweites Wohnungsbaugesetz).
Zierer, Benno CDU/CSU 25. 10. 95 *
Zu Frage 2:

Soweit sich bestimmte Personenkreise aus unter-


* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- schiedlichsten Gründen nicht ausreichend am freien
sammlung des Europarates Wohnungsmarkt mit Wohnraum versorgen können,
** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen werden sie durch die öffentliche Hand über den so-
Union zialen Wohnungsbau unterstützt.
5462' Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Die Förderung des sozialen Wohnungsbaues, an Anlage 4


der sich der Bund im Jahr 1995 mit 2,857 Mrd. DM
beteiligt, kommt allen Wohnungsuchenden zugute. Antwort
Darüber hinaus plant die Bundesregierung kein Pro-
gramm der Förderung des Wohnungsbaues speziell der Parl. Staatssekretärin Gertrud Dempwolf auf die
für Frauen. Frage der Abgeordneten Gabriele Iwersen (SPD)
(Drucksache 13/2708 Frage 8):
Zum Problem der Datenabfrage sind der Bundesre-
gierung aus neuerer Zeit keine Schwierigkeiten be- Wie sieht die Bundesregierung die Möglichkeiten einer allein-
kannt. Vielmehr hat die Rechtsprechung Grundsätze erziehenden Hebamme im Nachtdienst, Pflegegeld für ihr Kind
zu erhalten, und zwar sowohl für ihre Arbeitszeit nachts als auch
darüber herausgearbeitet, welche Fragen der Mieter für die Zeit tagsüber, in der sie nach der Arbeit ruht bzw. schläft,
bei Abschluß eines Mietvertrags wahrheitsgemäß be- um dem Kind durch eine Tages- bzw. Nachtmutter angemessene
antworten muß und auf welche Fragen der Mieter Entwicklungs- und Entfaltungschancen zu bieten, und kann der
unrichtige Antworten geben darf. Grundsatz, daß eine Betreuung über Nacht anscheinend vom
Gesetz ausgeschlossen ist, zumindest für Personen in regelmäßi-
ger Nachtarbeit, nach ihrer Ansicht modifiziert am Einzelfall
Unzulässig in diesem Sinne sind z. B. Fragen nach orientiert, ausgelegt werden?
Heiratsabsichten des Mieters, nach der Absicht, Kin-
der zu bekommen, nach der Glaubenszugehörig- Zunächst weise ich darauf hin, daß die Entschei-
keit und nach der Zugehörigkeit zu einer Partei oder dung von Einzelfällen im Bereich der Kinder- und Ju-
einem Mietverein. gendhilfe nach der von der Verfassung vorgegebe-
nen Aufgabenverteilung nicht Aufgabe des Bundes,
Gesetzgeberische Maßnahmen sind daher nicht er- sondern Aufgabe der Jugendbehörden in den Län-
forderlich. dern ist. Das Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend kann den Jugendbehörden
in den Ländern hinsichtlich der Ausführung des Ach-
ten Buches Sozialgesetzbuch keine Weisungen ertei-
len oder in sonstiger Weise auf ihre Entscheidungen
Anlage 3 einwirken und auch keine verbindliche Gesetzesaus-
legung vornehmen. Soweit also hinter der gestellten
Antwort Frage konkrete Erfahrungen einer alleinerziehenden
Mutter stehen, ist die Auslegung und Anwendung
des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fra- der Vorschriften des Kinder- und Jugendhilferechts
gen des Abgeordneten Klaus Dieter Reichardt eine Angelegenheit des zuständigen Jugendamtes,
(Mannheim) (CDU/CSU) (Drucksache 13/2708 Fra- ggfs. - wenn es zu einem Rechtsstreit hierüber
gen 3 und 4): kommen sollte - eine Aufgabe des angerufenen
Gerichtes.
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Verbes-
serung der Einkommenssituation der deutschen Tabakbauern,
auch durch konsequentes Eintreten auf europäischer Ebene? Zur Rechtslage im allgemeinen bemerke ich fol-
gendes: Für die in Be tracht kommende Tagespflege
Welche Maßnahmen sind seitens der Bundesregierung für die (§ 23 Absatz 1 SGB VIII) deuten die im Gesetz
Jahre 1995 und 1996 zur Verbesserung der Einkommens-
situa ti on der Tabakbauern vorgesehen? verwandten Beg riffe „Teil des Tages" und „ganz-
tags" darauf hin, daß damit ein Spektrum täg-
Die Agrarminister der Europäischen Gemeinschaf- licher Betreuungszeiten erfaßt werden soll, das wie
ten haben 1992 eine grundlegende Reform der Ge- bei Tageseinrichtungen sowohl die Vormittags- und
meinsamen Marktorganisation für Rohtabak be- Nachmittagszeit als auch die Be treuung von mor-
schlossen. Damit wurde den deutschen Anbauern gens bis abends umfassen kann. Im Hinblick auf
eine Tabakquote von 12 000 t ermöglicht, die nicht die flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten dieser Be-
ausgeschöpft wird. Der Tabakanbau wird durch ge- treuungsform kann Tagespflege nach Auffassung
meinschaftliche Erzeugungsprämien unterstützt. der Bundesregierung aber auch bei Beschäftigung
des (allein-)erziehenden Elternteils am Wochenende
Eine Verbesserung der Einkommenssituation der oder in Spät- oder Nachtdienst zum Einsatz kommen.
Tabakpflanzer kann vor allem über eine Anhebung Es sind deshalb auch Betreuungsarrangements
der Tabakqualität in der Gemeinschaft erreicht denkbar, die sich regelmäßig oder unregelmäßig
werden. EG-weit verbesserte Tabakqualitäten sind auf Wochenenden, auf den frühen Morgen, den
die Voraussetzung für höhere Erzeugerpreise und späten Abend oder die Nacht erstrecken. Insoweit
bessere Absatzmöglichkeiten im gemeinsamen Bin- ist der Begriff „Tagespflege" zweckbestimmt aus-
nenmarkt. Deshalb hat der Agrarrat die Kommis- zulegen. Wichtig ist jedoch in solchen Fällen, daß
sion bereits am 21. Juni 1995 aufgefordert, eine der kindliche Tagesrhythmus möglichst wenig ge-
bessere Qualitätsförderung zu prüfen und ihr Prü- stört wird. Die Betreuung von Kleinkindern, deren
fungsergebnis in den Bericht über die Weiterführung Mütter zu unregelmäßigen Zeiten nachts oder tags-
der Marktordnung ab dem Jahre 1998 aufzunehmen. über außer Haus arbeiten, sollte so organisiert sein,
Diesen Bericht hat die Kommission zum 1. Ap ril 1996 daß der natürliche Rhythmus von kleinen Kindern
dem Rat vorzulegen. Die Bundesregierung wird sich zwischen Wach- und Schlafzeiten möglichst unge-
dafür einsetzen, daß die qualitätsbezogene Förde- stört bleibt. Kleine Kinder brauchen für ihre Ent-
rung der EU über die Erzeugergemeinschaft ver- wicklungs- und Entfaltungschancen verläßliche Zeit-
stärkt wird. strukturen.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5463 *

Anlage 5 Zu Frage 10:


Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß
Antwort
durch die Sportanlagenlärmschutzverordnung ein
des Parl. Staatssekretärs Ulrich Klinkert auf die gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der
Fragen des Abgeordneten Dietmar Thieser (SPD) Sporttreibenden und dem berechtigten Ruhebedürf-
(Drucksache 13/2708 Fragen 9 und 10): nis der Anwohner von Sportanlagen geschaffen
wurde. Die Verordnung hat sich in der Verwaltungs-
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Einhaltung der praxis und auch im Hinblick auf die Rechtsprechung
in der Sportanlagenlärmschutzverordnung genannten Grenz-
werte für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete sowie für
der Verwaltungsgerichte gut bewährt. Die Bundesre-
allgemeine und reine Wohngebiete bei angrenzender Wohn- gierung plant daher derzeit keine Novellierung der
bebauung beim Bet ri eb von Fußball-Sportstätten praktisch un- Sportanlagenlärmschutzverordnung.
möglich ist und aufgrund von Anwohnerbeschwerden/-klagen
unter Berufung auf die Grenzwerte zahlreichen Sportanlagen
erhebliche Einschränkungen drohen?

Beabsichtigt die Bundesregierung eine Novellierung der


Sportanlagenlärmschutzverordnung mit dem Ziel, unter Wah-
rung der Anwohnerinteressen vollziehbare Regelungen für den
Anlage 6
Sportstättenbetrieb zu schaffen?
Antwort
Zu Frage 9: des Parl. Staatssekretärs Joachim Günther auf die
Fragen des Abgeordneten Wolfgang Spanier (SPD)
Nach Kenntnis der Bundesregierung hat sich die (Drucksache 13/2308 Fragen 11 und 12):
Sportanlagenlärmschutzverordnung seit Inkrafttre-
ten vor über vier Jahren im Vollzug bewäh rt. Die Wie sieht die Bundesregierung die bisherigen Auswirkungen
des Instrumentes der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme,
Verordnung konkretisiert den gesetzlichen Maßstab und in welchem Umfang wurde davon Gebrauch gemacht?
des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für die Zu-
mutbarkeit von Sportlärm. Dazu legt sie Immissions- Wie sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die
im Gesetz vorgesehene Wertabschöpfung der Bodenpreissteige-
richtwerte fest, die nach dem Gebietscharakter und rung bzw. die Möglichkeit der Enteignung durch die Kom-
der Zeit der Geräuscheinwirkung differenzieren. munen?

Für bestehende Sportanlagen gelten eine Reihe


von Erleichterungen beim Lärmschutz. Diese betref- Zu Frage 11:
fen Abzüge von den Meßwerten und die Regelung, Nach einer im Jahr 1994 vom Deutschen Städte-
daß Betriebszeit-Einschränkungen nur festgelegt und Gemeindebund und vom Deutschen Städtetag
werden sollen, wenn die Immissionsrichtwerte um gemeinsam durchgeführten bundesweiten Umfrage
fünf Dezibel oder mehr überschritten werden. Dar- hat sich die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme
über hinaus erleichtert eine Sonderregelung für so- als ein wichtiges Instrument zur Baulandbereitstel-
genannte „seltene Ereignisse" an bis zu 18 Kalender- lung bewährt. Das mit dem Maßnahmengesetz zum
tagen eines Jahres die Durchführung von Fußball- Baugesetzbuch vom 17. Mai 1990 (BGBl. I 1990, 926)
spielen mit Zuschauerbeteiligung oder von Turnie- wieder eingeführte und fortentwickelte Entwick-
ren. lungsmaßnahmenrecht findet in sehr viel größerem
Maße Anwendung als das entsprechende Instrument
Nach den Informationen über die Vollzugspraxis, des Städtebauförderungsgesetzes. Nach der vorste-
die der Bundesregierung vorliegen, haben Behörden henden Umfrage waren bereits im Frühjahr 1994,
oder Gerichte bei bestehenden Sportanlagen nur in d. h. etwa vier Jahre nach Wiedereinführung des
wenigen Einzelfällen Betriebszeit-Einschränkungen Entwicklungsmaßnahmenrechts, 42 neue Entwick-
festgelegt. In diesen Fällen befinden sich Wohnge- lungsmaßnahmen genehmigt; über 200 weitere Maß-
bäude eines reinen oder allgemeinen Wohngebietes nahmen befanden sich in Vorbereitung. Demgegen-
unmittelbar am Rand der Sportanlage, und die Sport- über wurden während der 16jährigen Gültigkeit des
anlage wird intensiv genutzt, auch in den Ruhezeiten Städtebauförderungsgesetzes nur 36 Entwicklungs-
nach 20.00 Uhr abends und während der Mittagszeit verordnungen erlassen.
an Sonn- und Feiertagen.
Die vorgenannte Einschätzung hat sich auch bei
Vielfach reichen zur Lösung dieser Lärmkonflikte einem kürzlich im Auftrag des Bundesministeriums
Maßnahmen betrieblicher und organisatorischer A rt für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau durch-
aus,mzeinrtdVougverälichn geführten Symposium bestätigt, bei dem von Exper-
Nutzung der Sportanlage zu gelangen. In Frage ten und Praktikern das Instrument der städtebauli-
kommen z. B. eine Verlagerung des Trainings wäh- chen Entwicklungsmaßnahme einhellig positiv be-
rend der abendlichen Ruhezeiten auf Einzelplätze, wertet wurde.
die von der Wohnbebauung abgewandt sind, die
Durchführung des Torschuß-Trainings ebenfalls auf Zu Frage 12:
der abgewandten Seite oder eine teilweise Verschie-
bung des Trainings auf Zeiten außerhalb der abend- Die aus der Vorbereitung und Durchführung städ-
lichen Ruhezeit. Als technische Maßnahmen haben tebaulicher Entwicklungsmaßnahmen resultierenden
sich die Errichtung lärmgeminderter Ballfangzäune Bodenwertsteigerungen der im Entwicklungsbereich
und die dezentrale Aufstellung von Lautsprechern gelegenen Grundstücke werden zur Finanzierung
für Durchsagen als wirksam erwiesen. dieser Maßnahmen in Anspruch genommen. Solche
5464* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Bodenwertsteigerungen sollen der Allgemeinheit Verfahren und Regelungen. Hinsichtlich der gesetz-
verbleiben, weil sie regelmäßig erst durch das ge- lich vorgeschriebenen Ausrüstung und Instrumentie- -
meindliche Handeln unter erheblichem Einsatz von rung von Luftfahrzeugen für Flüge nach Sichtflugre-
Verwaltungskraft und Städtebauförderungsmitteln geln bei Nacht sind § 21 Abs. 4 und § 22 Betriebsord-
herbeigeführt werden. nung für Luftfahrtgerät (LuftBO) maßgebend. In § 4
Abs. 2 Verordnung über die Flugsicherheitsausrü-
Aus diesem Grunde sind im Entwicklungsmaßnah-
stung der Luftfahrzeuge (FSAV) ist die Flugsicher-
menrecht die auch sonst bestehenden Möglichkeiten
heitsausrüstung für Flüge nach Sichtflugregeln bei
der Enteignung dahin gehend modifiziert worden,
Nacht im einzelnen festgelegt.
daß sich die Enteignungsentschädigung in Anleh-
nung an das auch sonst geltende Institut der Vorwir- Der verunglückte Hubschrauber erfüllte alle vor-
kung nach dem entwicklungsunbeeinflußten Grund- genannten Anforderungen, um auch bei Nacht nach
stückswert bemißt; d. h. es werden bei der Bemes- Sichtflugregeln eingesetzt werden zu dürfen. Der in
sung der Entschädigung die Werterhöhungen „ab- Rede stehende Flug diente der notwendigen Erhal-
geschnitten", die sich erst durch die Entwicklungs- tung der Flugfertigkeit der Hubschrauberbesatzung
maßnahme oder die Aussicht hierauf ergeben. Im zur Durchführung von Sichtflügen bei Nacht. Mit sol-
übrigen stellt auch in städtebaulichen Entwicklungs- chen Trainings-Flügen soll sichergestellt werden,
bereichen die Enteignung die ultimo ratio dar, denn daß diese Fertigkeit, die bei der Erfüllung polizei-
nach § 166 Abs. 3 Satz 1 des Baugesetzbuchs soll die licher Aufgaben von besonderer Bedeutung ist, je-
Gemeinde die im Entwicklungsbereich gelegenen derzeit vorhanden ist. Der Fortbildungsflug wurde
Grundstücke zum Zwecke der rechtlichen und tat- aus Wirtschaftlichkeitsgründen mit der Dienstreise
sächlichen Neuordnung freihändig erwerben und des Präsidenten des Grenzschutzpräsidiums Ost ver-
vom Erwerb absehen, wenn die Grundstücke nach bunden.
Art und MaB der baulichen Nutzung bei der Durch-
führung der Entwicklungsmaßnahmen nicht geän-
dert werden sollen oder der Eigentümer selbst in der Zu Frage 14:
Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist
Zur Unfallursache kann vor Abschluß der Untersu-
entsprechend den Zielen und Zwecken der Entwick-
chungen des Luftfahrtbundesamtes keine Aussage
lungsmaßnahme zu nutzen und er sich hierzu ver-
gemacht werden. Durch das Bundesministerium des
pflichtet.
Innern ist eine Bewe rt ung der Ursachen des Abstur-
zes des BGS-Hubschraubers Aloutte II erst nach Vor-
liegen des Unfalluntersuchungsberichtes des Luft-
fahrtbundesamtes möglich.
Anlage 7

Antwort
des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- Anlage 8
gen des Abgeordneten Thomas Krüger (SPD)
(Drucksache 13/2708 Fragen 13 und 14): Antwort
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß es sich bei dem
in der Nacht zum 9. September 1995 abgestürzten BGS-Hub- der Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki auf die
schrauber vom französischen Typ „Alouette II" um ein nacht- Fragen der Abgeordneten Dr. Christine Lucyga
untaugliches Fluggerät gehandelt hat, und wenn ja, sind ihr die (SPD) (Drucksache 13/2708 Fragen 15 und 16):
Gründe bekannt, aufgrund derer die Strecke von Neustrelitz
nach Berlin-Tempelhof nicht mit einem Pkw zurückgelegt Wurden von der Treuhandanstalt/Bundesanstalt für vereini-
wurde?
gungsbedingte Sonderaufgaben an die im Zuge der raschen Pri-
Wurde beim Bundesministerium des Innern eine Unter- vatisierung und späteren Liquidierung der Rostocker Bagger
suchung über die Ursachen des Absturzes des BGS-Hubschrau- Bugsier- und Bergungsreederei (BBB) entlassenen Arbeitneh-
bers „Alouette II" in der Nacht zum 9. September 1995 eingelei- mer Abfindungen gezahlt bzw. Abfindungen mit dem Käufer
tet, und zu welchen Erkenntnissen hat diese Untersuchung bis- der BBB vereinbart, und wenn ja, in welcher Höhe?
lang geführt?
Ist die Bundesregierung willens und bereit, die berechtigten
Ansprüche früherer BBB-Mitarbeiter auf Abfindungen und ggf.
Zu Frage 13: auch Schadenersatzansprüche konsequent zu vertreten und
durchsetzen zu helfen?
Bei dem in der Nacht zum 9. September 1995 ab-
gestürzten Hubschrauber vom französischen Typ
„Alouette II" hat es sich nicht um ein nachtuntaug- Zu Frage 15:
liches Fluggerät gehandelt.
Die Treuhandanstalt hat sich in dem im Privatisie-
Zur Frage der „Nachtflugtauglichkeit" ist festzu- rungsvertrag vorgesehenen Umfang - Rückführung
stellen, daß das Hubschraubermuster Alouette SA der Belegschaft auf 900 Arbeitnehmer - an den Ko-
318 C des Bundesgrenzschutzes ein Luftfahrzeug ist, sten des Sozialplans vom 7. August 1991 - dies war
das für Flüge nach Sichtflugregeln ausgestattet und der 3. Sozialplan - durch Gewährung einer Zweckzu-
zugelassen ist. Für die Durchführung von Flügen wendung in Höhe von 1 701 000 DM beteiligt. Diese
nach Sichtflugregeln bei Nacht mit dem Hubschrau- Summe wurde an das Unternehmen auf ein Sonder-
ber Alouette gelten die im § 33 Luftverkehrsordnung konto Sozialpläne zur Auszahlung an die Arbeitneh-
(LuftVO) i. V. mit §§ 28 bis 32 LuftVO festgelegten mer überwiesen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5465*

Zu Frage 16: Anlage 10

Die Bundesregierung sieht hierfür keine Ansatz- Antwort


punkte.
der Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki auf
die Fragen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD)
Die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Son-
(Drucksache 13/2708 Fragen 18 und 19):
deraufgaben hält gegen sie gerichtete Ansprüche auf
Zahlung von weiteren Abfindungen für unbegründet In welcher Form hat die Russische Föderation der Bundes-
und lehnt daher jegliche Zahlung ab. regierung Angebote zur Lieferung weiterer MIG-29-Jagdflug-
zeuge auf der Basis von Verrechnung mit deutschen Schuldfor-
derungen an die Russische Föderation gemacht, und wie sehen
Für Abfindungen an die nicht vom 3. Sozialplan diese Angebote im einzelnen aus?
betroffenen - also davor oder danach entlassenen -
Wie hat die Bundesregierung konkret auf diese Angebote rea-
Mitarbeiter lag die alleinige Verantwortung bei dem giert, und wie begründet sie ihre Ablehnung dieser Angebote?
Unternehmen und nicht bei der Treuhandanstalt. Die
Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderauf- Zu Frage 18:
gaben als Nachfolgeeinrichtung der Treuhandanstalt
sieht daher auch keine Grundlage für gegen sie ge- Der damalige russische Finanzminister Fjodorow
richtete Schadensersatzansprüche. hatte in einem am 22. Juni 1993 an Bundesminister
Dr. Waigel übermittelten Schreiben angeboten, bila-
terale Auslandsschulden Rußlands mit der Lieferung
von MIG 29-Flugzeugen zu verrechnen.

Anlage 9 Zu Frage 19:


Die Bundesregierung war und ist selbstverständ-
Antwort lich daran interessiert, alle Möglichkeiten zur Ver-
rechnung bilateraler Auslandsschulden der Russi-
der Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki auf die schen Föderation zu prüfen. Sie hat sich jedoch nach
Frage des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz eingehender Prüfung im Mai 1994 gegen die Liefe-
(CDU/CSU) (Drucksache 13/2708 Frage 17): rung von MIG 29 entschieden. Gründe für die ableh-
nende Entscheidung im Bundessicherheitsrat am
Welche Staaten werden nach Ansicht der Bundesregierung 4. Mai 1994 waren vor allem bündnis- und sicher-
1999 die Konvergenzkriterien erfüllen und an der 3. Stufe der
Währungsunion teilnehmen können?
heitspolitische Aspekte, sowie beschäftigungs-, Indu-
strie- und regionalpolitische Auswirkungen.

Der Europäische Rat entscheidet im Frühjahr 1998


auf Basis der Daten von 1997 darüber, welche Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union an der Wäh-
rungsunion teilnehmen werden. Diese beginnt ver- Anlage 11
tragsgemäß am 1. Januar 1999.
Antwort
Es würde an Prophe tie grenzen, bereits heute den
Teilnehmerkreis der WWU benennen zu wollen; da- der Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki auf
für wäre eine präzise Projektion ökonomischer Daten die Frage der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer
und Entwicklungen bei den öffentlichen Haushalten (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/2708
bis zum Jahr 1997 erforderlich, was gegenwärtig Frage 20):
nicht möglich ist. Ist es richtig, daß im Bundesministerium der Finanzen im Zu-
sammenhang mit einer Organisationsreform der Bundesverwal-
Klarheit besteht jedoch darüber, daß derzeit nur tung anläßlich des Umzugs nach Berlin eine Studie erstellt
wurde, in der empfohlen wird, zwei komplette Abteilungen der
Deutschl an d und Luxemburg alle Konvergenzkrite- Verwaltung des Bundesministeriums mit rd. 200 Mitarbeitern
rien klar erfüllen. Für Deutschland wird dies bei Fo rt einzusparen, und gibt es ähnliche Planungen auch in anderen
-setzungdfiapolcheKnsdirugk Bundesministerien?
und der stabilitätsorientierten Geldpolitik auch mit- Das Bundesministerium der Finanzen hat auf
telfristig der Fall sein. Demgegenüber ist in den mei- Grund der Beschlüsse zum Regierungsumzug eine
sten übrigen Mitgliedstaaten noch eine Intensivie- Perspektive zu den voraussichtlich wahrzunehmen-
rung insbesondere der haushaltspolitischen Konver- den Aufgaben entwickelt und dabei insbesondere
genzanstrengungen erforderlich, um alle Konver- die Organisationsstrukturen kritisch überdacht. In
genzkriterien eindeutig erfüllen zu können. diesem Zusammenhang sind konkrete Überlegun-
gen zum künftigen Aufbau des Ministe riums ange-
Ebenso steht fest, daß Deutschl an d bei der Ent- stellt worden, die aber noch nicht zu einem endgül-
scheidung des Europäischen Rates auf eine strikte tigen Abschluß gekommen sind.
Einhaltung der Konvergenzkriterien drängen wird.
Damit wird kein Mitgliedstaat von vornherein ausge- Die bisher vorliegenden Vorschläge hierzu sehen
schlossen oder diskriminiert. Jeder kann durch Ver- vor dem Hintergrund des zu erwartenden Auf gaben-
stärkung seiner Konvergenzanstrengungen das Klas- rückganges u. a. die Reduzierung von Organisa tions-
senziel erreichen. einheiten vor. Einem Aufgabenwegfall muß auch
5466* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

durch personalwirtschaftliche Maßnahmen Rech- Zu Frage 22:


nung ge tr agen werden. -
Die Bundesregierung hält aus den in der Beant-
BMF ist bekannt, daß vor dem Hintergrund von wortung der Frage 21 genannten Gründen die be-
Personaleinsparungsauflagen in der Mehrzahl der stehende Gesetzeslage mit dem Gleichheitssatz des
Ministerien vergleichbare Überlegungen angestellt Art . 3 GG für vereinbar. Die Einfügung von Stichta-
werden. Auf Artikel 65 Satz 2 GG weise ich abschlie- gen in Leistungsgesetze, um die finanziellen Auf-
ßend hin. wendungen in vertretbaren Grenzen zu halten, ist
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts zulässig, selbst wenn hierdurch in Einzelfällen
Härten auftreten sollten.

Anlage 12 Schritte zur Änderung der geltenden Rechtslage


oder zu einer Novellierung des Vertriebenenzuwen-
Antwort dungsgesetzes sind von der Bundesregierung nicht
beabsichtigt.
der Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki auf die
Fragen des Abgeordneten Michael Wonneberger
(CDU/CSU) (Drucksache 13/2708 Fragen 21 und 22):
Welche sachlichen Gründe haben die Bundesregierung ange-
sichts des Umstandes, daß das Vertriebenenzuwendungsgesetz Anlage 13
eigentlich den Personenkreis erfassen sollte, der wegen seines
Wohnsitzes in der ehemaligen DDR keine Möglichkeit hatte, für Antwort
die Vertreibungsschaden Lastenausgleich zu verlangen, und an
denobjktivzusmdenBgrifVtbenach§1
des Bundesvertriebenengesetzes anknüpft, bewogen, Personen, des Parl. Staatssekretärs Dr. Norbert Lammert auf die
die zwischen dem Fall der Grenze im November 1989 und dem Fragen des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/
Stichtag 3. Oktober 1990 ihren Wohnsitz aus dem Beitrittsgebiet CSU) (Drucksache 13/2708 Fragen 23 und 24):
in die alten Bundesländer verlegt haben, vom Kreis der An-
spruchsberechtigten nach dem Vertriebenenzuwendungsgesetz Ist es zutreffend, daß nach einem Bericht der Tageszeitung
auszunehmen, und hält die Bundesregierung an dieser Haltung „Die Welt" vom 6. September 1995 die Generalkommissarin der
auch im jetzigen Zeitpunkt ohne Abstriche und gesetzgebe- Expo, Birgit Breuel, zwischen 500 000 und 1 Mio. DM jährlich
rischen Handlungsdruck noch fest? verdient, und wenn ja, in welcher Höhe bewegt sich das Gehalt?
Hält die Bundesregierung die bestehende Gesetzeslage, daß - In welcher Höhe bezieht die ehemalige Präsidentin der Treu-
von Empfängern von Bodenreformland abgesehen - diejenigen handanstalt, Birgit Breuel, darüber hinaus noch Versorgungsbe-
Vertriebenen, die nach der Vertreibung ihren ständigen Wohn- züge?
sitz im Beitrittsgebiet vor dem 3. Oktober 1990 genommen, die-
sen aber zwischen dem Fall der Mauer im November 1989 und
dem Stichtag des § 2 Abs. 1 des Vertriebenenzuwendungsgeset- Zu Frage 23:
zes in die alten Bundesländer verlegt haben, weder Lastenaus-
gleich noch die einmalige Zuwendung in Höhe von 4 000 DM
gemäß § 3 Abs. 1 des Vertriebenenzuwendungsgesetzes erhal- Der Beantwortung der Frage nach der Honorar-
ten, für verfassungsgemäß, d. h. insbesondere im Vergleich zu höhe der Generalkommissarin Frau Birgit Breuel ste-
denjenigen Vertriebenen, die erst nach dem 3. Oktober 1990 hen rechtliche Gründe entgegen. Zwischen dem
vom Beitrittsgebiet in die alten Bundesländer gezogen sind, mit Bund und Frau Breuel besteht ein privatrechtlicher
dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Abs. 1 GG für
vereinbar, und wenn nein, welche Schritte zur Besei tigung die- Geschäftsbesorgungsvertrag, der keine Regelung
ser Ungleichbehandlung sind seitens der Bundesregierung ge- der Befugnis zur Weitergabe von personenbezoge-
plant? nen Daten enthält. Ein Einverständnis von Frau
Breuel zur Offenlegung der Honorarhöhe liegt nicht
Zu Frage 21: vor.

Maßgeblich für die Wahl des 3. Oktober 1990 statt Bei personenbezogenen Daten muß unter Berück-
des 9. November 1989 als Aufenthaltsstichtag gemäß sichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das
§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Vertriebenenzuwendungsgeset- parlamentarische Auskunftsrecht hinter dem allge-
zes war, daß sich dieser Stichtag nicht daran orien- meinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf in-
tiert, welche politischen oder wirtschaftlichen Über- formationelle Selbstbestimmung zurücktreten, da bei
legungen für einen Übersiedler entscheidend waren, der Bekanntgabe solcher Daten im Rahmen einer
seinen Wohnsitz in die alte Bundesrepublik zu verle- mündlichen Anfrage ihre Geheimhaltung nicht ge-
gen und in welchem Umfang er Lastenausgleichs- währleistet werden kann.
oder Eingliederungsleistungen erhalten konnte, son
dem daß dieser Stichtag an das rechtliche Abgren- Bei der Sitzung des Haushaltsausschusses am
zungskriterium des Inkrafttretens des Grundgesetzes 27. September 1995 zu Kapitel 0902 Titel 671 02 - Er-
am 3. Oktober 1990 in den neuen Ländern und der stattung der Kosten des Generalkommissariats für
damit verbundenen verfassungsrechtlichen Freizü- die Weltausstellung EXPO 2000 - wurde vom Vorsit-
gigkeit anknüpft. Wegen des Gleichbehandlungs- zenden des Haushaltsausschusses darauf hingewie-
grundsatzes stehen anderen Stichtagsregelungen sen, die Frage der Honorarhöhe der Generalkommis-
verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber. sarin nicht öffentlich zu diskutieren. Es wurde ein
Verfahren zugesagt, den Mitgliedern des Haushalts-
An dieser Auffassung hält die Bundesregierung ausschusses in geeigneter Weise die erforderlichen
fest. Informationen zukommen zu lassen.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5467'

Zu Frage 24: auch keinen Einfluß. Eine Reaktion in dieser Angele-


genheit ist daher nicht beabsichtigt.
Die Frage wurde in ähnlicher Form von Ihnen
schon einmal gestellt und ist seitens der Bundesre- Im übrigen ist die Schaffung fairer Wettbewerbs-
gierung in der 12. Sitzung des Deutschen Bundesta- bedingungen nach Auffassung der Bundesregierung
ges am 19. Januar 1995 vom Parlamentarischen insbesondere Aufgabe der Wirtschafts- und Handels-
Staatssekretär Prof. Dr. Kurt Faltlhauser wie folgt be- politik und nicht der Nachrichtendienste.
antwortet worden:
Bei großen und mittelgroßen Kapitalgesellschaften Zu Frage 28:
besteht nach § 285 Nr. 9 HGB die Pflicht, die Gesamt-
bezüge des Geschäftsführungsorgans im Anhang zur
Im Bereich der Kriegswaffen sind 1995 in die
jährlichen Bilanz bekanntzugeben. Einzelgehälter
ASEAN-Mitgliedsstaaten insgesamt einige wenige
sind unter Beachtung des Persönlichkeitsrechts des
Handfeuerwaffen (16), Ersatzrohre dafür, Zünder,
einzelnen Vorstandsmitglieds vertraulich; sie unter-
Flugabwehrmunition sowie Ladungen zur Vernich-
liegen dem Recht auf informationelle Selbstbestim-
tung von Seeminen genehmigt worden.
mung. Dieses Recht gilt selbstverständlich auch für
Frau Breuel. Personenbezogene Daten dürfen allen-
falls - unter Wahrung der Vertraulichkeit - bekannt- Anträge für kleinkalibrige Munition und weitere
gegeben und verwendet werden, wenn dies im öf- wenige Handfeuerwaffen (10) sowie gepanzerte
fentlichen Interesse erforderlich ist; hierbei ist der Fahrzeuge (7) werden derzeit geprüft.
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die-
ser Grundsatz ist verletzt, wenn über die Bekannt- Für sonstige Rüstungsgüter wurden 1995 Geneh-
gabe der Gesamtbezüge des Vorstandes der Treu- migungen über rd. 91 Millionen DM für alle ASEAN-
handanstalt hinaus auch Angaben zu Einzelgehäl- Mitgliedsstaaten ausgestellt. Diese Genehmigungen
tern oder Gehaltsbestandteilen, wie z. B. den Versor- bezogen sich schwerpunktmäßig auf Marine- und
gungsbezügen, gemacht würden. Solche Angaben elektronische Ausrüstungen, Navigations- und Feu-
sind deshalb auch gegenüber dem Haushaltsaus- erleitanlagen, Fahrzeuge, Schulungs-/Simulations-
schuß verweigert worden. geräte, Maschinen und Teile von Anlagen zur Her-
stellung strategischer Waren.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich Ihre
Frage heute nicht anders beantworten kann.

Anlage 15
Anlage 14 Antwort
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
des Parl. Staatssekretärs Dr. Norbert Lammert auf auf die Frage des Abgeordneten Jürgen Augustino-
die Fragen des Abgeordneten Norbert Gansel (SPD) witz (CDU/CSU) (Drucksache 13/2708 Frage 29):
(Drucksache 13/2708 Fragen 27 und 28):
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß zahl-
Wie reagiert die Bundesregierung auf die Untersuchung der reiche Kommunen entgegen den Bestimmungen des Asylbe-
amerikanischen Regierung über illegale Exportförderung, die werberleistungsgesetzes auch an Asylbewerber, die sich weni-
Handelsminister Brown jetzt dem Kongreß vorgelegt hat, dem- ger als zwölf Monate in Deutschland aufhalten, Geld statt der
zufolge ein deutsches Konsortium von der Regierung der Volks- grundsätzlich vorgeschriebenen Sachleistungen ausgeben, und
republik China einen Großauftrag für ein Transportprojekt er- was unternimmt die Bundesregierung gegen diese Verstöße
halten hat, weil ein an dem Konsortium beteiligter deutscher gegen das Asylbewerberleistungsgesetz?
Konzern der chinesischen Regierung als Gegenleistung den
Verzicht der Lieferung von U-Booten an Taiwan zugesichert hat,
und wie reagiert die Bundesregierung auf die in diesem Zusam- Das Sachleistungsprinzip ist ein wesentlicher
menhang von dem CIA-Inspekteur Hitz abgegebene Erklärung, Kernpunkt des Asylbewerberleistungsgesetzes, des-
daß der amerikanische Geheimdienst künftig eine wich tige Rol- sen Einhaltung für die mit diesem Gesetz verfolgten
le dabei spielen könne, „amerikanischen Firmen im Ausland fai-
re Wettbewerbsbedingungen zu verschaffen"?
Ziele von entscheidender Bedeutung ist. Der Bundes-
regierung liegen keine gesicherten Kenntnisse dar-
Welche Rüstungsexporte hat die Bundesregierung 1995 an über vor, wie viele Kommunen entgegen den Bestim-
einzelne ASEAN-Mitgliedstaaten genehmigt, und welche ge- mungen des Asylbewerberleistungsgesetzes auch an
nehmigungspflichtigen Rüstungsexportanträge werden zur Zeit
geprüft? Asylbewerber, die sich weniger als zwölf Monate in
der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Geld
statt der grundsätzlich vorgeschriebenen Sachlei-
Zu Frage 27:
stungen aushändigen.
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob sich ein
deutsches Unternehmen zu einem Verzicht auf Liefe- Die Durchführung des Asylbewerberleistungsge-
rungen von U-Booten an Taiwan als Gegenleistung setzes fällt in die Zuständigkeit der Länder. Demnach
für einen Großauftrag gegenüber der Regierung der ist es Sache der Länder und nicht des Bundes, gegen
VR China geäußert hat. Auf solche Äußerungen pri- eventuelle Verstöße gegen das Asylbewerberlei-
vater Unternehmer nähme die Bundesregierung stungsgesetz vorzugehen.
5468* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Anlage 16 stungen hatten die Mitglieder der HEK somit bereits


vor Einführung des Risikostrukturausgleichs zu tra-
Antwort gen.
der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
auf die Fragen des Abgeordneten Benno Zierer Zu Frage 31:
(CDU/CSU) (Drucksache 13/2708 Fragen 30 und 31): Nein. Da die Auswirkungen des Risikostrukturaus-
Hat die Bundesregierung bei Einführung des Risikostruktur- gleichs beabsichtigt sind, besteht für eine Verwah-
ausgleichs im Januar 1994 gewollt, daß Krankenkassen - wie rung der Beiträge kein Anlaß. Ebenso wie andere
z. B. die Hanseatische Ersatzkasse (HEK) Hamburg - 25 % ihrer Krankenkassen, die erhebliche Ausgleichsleistungen
gesamten Beitragseinnahmen durch Zahlung in den Risiko-
strukturausgleich Mitgliedern anderer Krankenkassen zugute zu tragen haben, ist auch die Hanseatische Ersatz-
kommen lassen müssen? kasse zur Abführung ihrer Ausgleichsleistungen ge-
setzlich verpflichtet.
Dürfen diese Krankenkassen die abzuführenden Beiträge
ihrer Mitglieder auf einem Anderkonto verwahren, bis geklärt
ist, ob die Bundesregierung diese Auswirkungen gewollt hat?

Zu Frage 30: Anlage 17

Die finanziellen Auswirkungen des Risikostruktur- Antwort


ausgleichs sind gewollt.
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Der Risikostrukturausgleich ist ein notwendiger Frage der Abgeordneten Renate Rennebach (SPD)
Bestandteil der mit dem Gesundheitsstrukturgesetz (Drucksache 13/2708 Frage 39):
eingeleiteten umfassenden Organisationsreform in
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Un-
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 50,
gleichbehandlungen der Versicherten bei der Wahl Knoten Berlin: Baumschulweg, heute für die Bundesregierung,
der Krankenkasse haben in der Vergangenheit zu und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamt-
unterschiedlichen Risikostrukturen, zum Teil auch zu kosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den
Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung da-
Risikoselektionen und zu Wettbewerbsverzerrungen für bereitgestellt?
zwischen den Krankenkassen beigetragen. Damit
wurde das für die gesetzliche Krankenversicherung
grundlegende Solidarprinzip gefährdet. Im Vorder- Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
grund der Organisationsreform steht deshalb die Ein- resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
führung umfassender Kassenwahlrechte a ll er Mit- zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
glieder ab 1996/97. Damit werden die bisherigen ver- Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
fassungsrechtlich problematischen Ungleichbehand- ausgeschlossen werden.
lungen beseitigt und der Wettbewerb zwischen den Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
Krankenkassen gefördert. setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
Voraussetzung für einen unverzerrten Wettbewerb stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
zwischen den Krankenkassen ist jedoch der Aus- für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
gleich der finanziellen Belastungen, die durch unter-
schiedlich hohe beitragspflichtige Einnahmen der
Mitglieder, ihre unterschiedliche Alters- und Ge- Anlage 18
schlechtsstruktur und die Zahl der Familienversi-
cherten entstehen. Dies ist das Ziel des ab 1994 ein-
Antwort
geführten Risikostrukturausgleichs. Zugleich wird
damit eine gerechtere Beitragsbelastung der Versi- des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
cherten erreicht. Frage des Abgeordneten Wolfg an g Behrendt (SPD)
(Drucksache 13/2708 Frage 40):
Allerdings ist die finanzielle Ausgleichsbelastung
im angesprochenen Beispiel der Hanseatischen Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Ersatzkasse (HEK) nicht erst mit der Einführung des Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 48,
Knoten Berlin: Umbau Ostkreuz, heute für die Bundesregierung,
Risikostrukturausgleichs entstanden. Bis 1994 exi- und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamt-
stierte bereits ein Finanzausgleich für die unter- kosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den
schiedlichen Ausgaben der Rentner. Der Anteil der Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung da-
pflichtversicherten Rentner an allen Mitgliedern liegt für bereitgestellt?
bei der HEK mit rund 15 v. H. deutlich unter dem
Durchschnitt aller Krankenkassen von rund 29 v. H. Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
Deshalb hatte diese Krankenkasse bereits in der Ver- resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
gangenheit erhebliche Ausgleichsleistungen im ehe- zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
maligen Finanzausgleich zu tragen. Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden.
Mit dem Risikostrukturausgleich wurde der Fi-
nanzausgleich in der Krankenversicherung der Rent- Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
ner mit Wirkung ab 1. Januar 1995 abgeschafft und setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
die Rentner in den Risikostrukturausgleich einbezo- stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
gen. Den größeren Teil der aktuellen Ausgleichsbela- für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5469*

Anlage 19 Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-


resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
Antwort zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die ausgeschlossen werden.
Frage der Abgeordneten Gabriele Iwersen (SPD)
(Drucksache 13/2708 Frage 41): Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 45, stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
Knoten Berlin: Berlin-Südkreuz-Blankenfelde, heute für die für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die je-
weiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis
1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Finanzplanung dafür bereitgestellt?

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Anlage 22


resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne Antwort
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
ausgeschlossen werden.
Frage des Abgeordneten Herbe rt Meißner (SPD)
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- (Drucksache 13/2708 Frage 44):
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 43,
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. Knoten Berlin: Staaken-Friedrichstraße, heute für die Bundes-
regierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jewei-
ligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis
1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Finanzplanung dafür bereitgestellt?
Anlage 20

Antwort Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-


resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Frage der Abgeordneten Ingrid Holzhüter (SPD) Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
(Drucksache 13/2708 Frage 42): ausgeschlossen werden.
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 46,
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
Knoten Berlin: Berlin-Südkreuz-Ludwigsfelde, heute für die
Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die je- stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
weiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Finanzplanung dafür bereitgestellt?

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-


resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset- Anlage 23
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig Antwort
ausgeschlossen werden.
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- Frage der Abgeordneten Doris Odendahl (SPD)
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- (Drucksache 13/2708 Frage 45):
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 44,
Knoten Berlin: Friedrichstraße Hbf, heute für die Bundesregie-
rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge-
samtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1998 bis 1999 unter
Anlage 21 den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung
dafür bereitgestellt?
Antwort
Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
Frage des Abgeordneten Walter Schöler (SPD)
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
(Drucksache 13/2708 Frage 43):
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des ausgeschlossen werden.
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 40, ABS
Berlin-Frankfurt/Oder-Gr. D/PL, heute für die Bundesregie- Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge- setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
samtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter
den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
dafür bereitgestellt? für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
5470* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Anlage 24 Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-


resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
Antwort zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die ausgeschlossen werden.
Frage des Abgeordneten Rolf Schwanitz (SPD)
(Drucksache 13/2708 Frage 46): Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 41,
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
Knoten Berlin: Nord-Süd-Verbindung, heute für die Bundes- für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
regierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jewei-
ligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis
1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Finanzplanung dafür bereitgestellt?

Anlage 27
Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
Antwort
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
ausgeschlossen werden. Fragen des Abgeordneten Konrad Kunick (SPD)
(Drucksache 13/2708 Fragen 50 und 51):
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 37,
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan Zweigleisiger Ausbau Abzweig Warnowbrücke/Ost, heute für
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. die Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf
die jeweiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von
1996 bis 1999 unter den Bedingungen der geänderten mittel-
fristigen Finanzplanung dafür bereitgestellt?
Anlage 25 Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 31, ABS
Antwort Frankfurt-Mannheim, heute für die Bundesregierung, und wel-
cher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingun-
gen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereit-
Frage des Abgeordneten Gerhard Neumann (Gotha) gestellt?
(SPD) (Drucksache 13/2708 Frage 47):
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 42, resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
Knoten Berlin: Berliner Innenring, heute für die Bundesregie- zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge-
samtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung ausgeschlossen werden.
dafür bereitgestellt?
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden.
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- Anlage 28
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. Antwort
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Fragen des Abgeordneten Lothar Ibrügger (SPD)
Anlage 26 (Drucksache 13/2708 Fragen 52 und 53):
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau
Antwort des Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 35,
ABS Paderborn-Bebra-Erfurt-Weimar-Jena-Glauchau-Chem-
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die nitz, heute für die Bundesregierung, und welcher Mittelanteil -
bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Projekts - wird
Frage der Abgeordneten Siegrun Klemmer (SPD) pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen der geänder-
(Drucksache 13/2708 Frage 49): ten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitgestellt?
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 49, Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 29, ABS
Knoten Berlin: Nordkreuz Karow, heute für die Bundesregie- Mainz-Mannheim, heute für die Bundesregierung, und welcher
rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge- Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Pro-
samtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter jekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen
den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge-
dafür bereitgestellt? stellt?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5471*

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset- resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden. ausgeschlossen werden.
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.

Anlage 29 Anlage 31

Antwort Antwort
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Fragen der Abgeordneten Heide Mattischeck (SPD) Fragen der Abgeordneten Heidi Wright (SPD)
(Drucksache 13/2708 Fragen 54 und 55): (Drucksache 13/2708 Fragen 58 und 59):
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 53, Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 24, ABS
Knoten Erfu rt , heute für die Bundesregierung, und welcher Mit- Hochstadt-Markzeuln-Camburg, heute für die Bundesregie-
telanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Pro- rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge-
jekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen samtkosten des Projektes - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter
der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge- den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung
stellt? dafür bereitgestellt?

Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 8, Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 33, ABS
VDE 8.1 ABS/NBS Nürnberg-Erfurt, heute für die Bundesregie- Iphofen-Nürnberg, heute für die Bundesregierung, und welcher
rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge- Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Pro-
samtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter jektes - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen
den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge-
dafür bereitgestellt? stellt?

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset- resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden. ausgeschlossen werden.
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.

Anlage 30 Anlage 32

Antwort Antwort
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Fragen der Abgeordneten Angelika Graf (Rosen- Fragen der Abgeordneten Karin Rehbock-Zureich
heim) (SPD) (Drucksache 13/2708 Fragen 56 und 57): (SPD) (Drucksache 13/2708 Fragen 60 und 61):
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 39, ABS Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 18, ABS
München-Kiefersfelden, heute für die Bundesregierung, und Karlsruhe-Stuttgart-Nürnberg-Leipzig/Dresden, heute für die
welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die
des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedin- jeweiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996
gungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür be- bis 1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
reitgestellt? Finanzplanung dafür bereitgestellt?

Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 21, ABS Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 15,
München-Mühldorf-Freilassing, heute für die Bundesregie- ABS/NBS Stuttgart-Augsburg, heute für die Bundesregierung,
rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge- und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamt-
samtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter kosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den
den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung
dafür bereitgestellt? dafür bereitgestellt?
5472* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Anlage 35


resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne Antwort
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden. des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Frage des Abgeordneten Reinhold Hiller (Lübeck)
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- (SPD) (Drucksache 13/2708 Frage 64):
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 1,
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. VDE 1, ABS Lübeck Hagenow Land-Rostock-Stralsund, heute
für die Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen
auf die jeweiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr
von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen der geänderten mit-
telfristigen Finanzplanung dafür bereitgestellt?

Anlage 33 Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-


resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
Antwort zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
Frage des Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt) ausgeschlossen werden.
(SPD) (Drucksache 13/2708 Frage 62): Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 17, stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
ABS/NBS Nürnberg-Ingolstadt-München, heute für die Bun- für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
desregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jewei-
ligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis
1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Finanzplanung dafür bereitgestellt?
Anlage 36
Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
Antwort
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig Frage des Abgeordneten Dr. Uwe Küster (SPD)
ausgeschlossen werden. (Drucksache 13/2708 Frage 65):
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 5,
VDE 5, ABS Helmstedt-Magdeburg-Berlin, heute für die Bun-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan desregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jewei-
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. ligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis
1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Finanzplanung dafür bereitgestellt?

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-


Anlage 34 resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Antwort Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden.
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Frage des Abgeordneten Siegfried Scheffler (SPD) Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
(Drucksache 13/2708 Frage 63): setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 47,
Knoten Berlin: Nauen-Spandau, heute für die Bundesregierung,
und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamt-
kosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den
Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung da- Anlage 37
für bereitgestellt?
Antwort
Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
Frage der Abgeordneten Jelena Hoffmann (Chem-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
nitz) (SPD) (Drucksache 13/2708 Frage 66):
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden. Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 19, ABS
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- Berlin-Dresden, heute für die Bundesregierung, und welcher
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Pro-
jekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge-
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. stellt?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5473*

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-


resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset- setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
ausgeschlossen werden.
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. Anlage 40

Antwort

des Bundesministers Matthias Wissmann auf die


Anlage 38 Fragen des Abgeordneten Reinhard Weis (Stendal)
(SPD) (Drucksache 13/2708 Fragen 70 und 71):
Antwort
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 2,
Frage des Abgeordneten Arne Fuhrmann (SPD) VDE 2, ABS Hamburg-Büchen-Berlin, heute für die Bundes-
(Drucksache 13/2708 Frage 67): regierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweili-
gen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des 1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 34, ABS Finanzplanung dafür bereitgestellt?
Uelzen-Langwedel/Oldenburg-Wilhelmshaven, heute für die
Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
jeweiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 3,
bis 1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
Finanzplanung dafür bereitgestellt? VDE 3, ABS Uelzen-Stendal, heute für die Bundesregierung,
und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamt-
kosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den
Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset- dafür bereitgestellt?
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
ausgeschlossen werden. resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan ausgeschlossen werden.
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-
setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
Anlage 39

Antwort
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Fragen der Abgeordneten Sabine Kaspereit (SPD) Anlage 41
(Drucksache 13/2708 Fragen 68 und 69):
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Antwort
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 51,
Knoten Halle/Leipzig, heute für die Bundesregierung, und wel- des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
cher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Frage des Abgeordneten Klaus Hasenfratz (SPD)
Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingun-
gen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereit- (Drucksache 13/2708 Frage 72):
gestellt?
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 22, ABS
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 52, Dortmund-Kassel, heute für die Bundesregierung, und welcher
Knoten Magdeburg, heute für die Bundesregierung, und wel- Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Pro-
cher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des jekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen
Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingun- der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge-
gen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereit- stellt?
gestellt?

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset- resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden. ausgeschlossen werden.
5474* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- Anlage 44


setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan Antwort
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
Fragen des Abgeordneten Wieland Sorge (SPD)
(Drucksache 13/2708 Fragen 76 und 77):

Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des


Anlage 42 Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 10,
VDE 8.3, ABS Berlin-Halle/Leipzig, heute für die Bundesregie-
Antwort rung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Ge-
samtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die den Bedingungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung
dafür bereitgestellt?
Frage des Abgeordneten Uwe Hiksch (SPD) (Druck-
sache 13/2708 Frage 73): Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 9,
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
VDE 8.2, NBS/ABS Erfurt-Leipzig/Halle, heute für die Bundes-
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 36, ABS
regierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweili-
Hof-Plauen, heute für die Bundesregierung, und welcher Mittel-
gen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis
anteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Projekts -
1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen
wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen der ge-
Finanzplanung dafür bereitgestellt?
änderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitgestellt?

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset- resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden. ausgeschlossen werden.

Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-


setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.

Anlage 45
Anlage 43
Antwort
Antwort
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Fragen der Abgeordneten Christine Kurzhals (SPD)
Fragen der Abgeordneten Nicolette Kressl (SPD) (Drucksache 13/2708 Fragen 78 und 79):
(Drucksache 13/2708 Fragen 74 und 75):
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 11,
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 14, VDE 9, Leipzig-Dresden, heute für die Bundesregierung, und
ABS/NBS Karlsruhe-Offenburg-Freiburg-Basel, heute für die welcher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten
Bundesregierung, und welcher Mittelanteil - bezogen auf die des Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedin-
jeweiligen Gesamtkosten des Projekts - wird pro Jahr von 1996 gungen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür be-
bis 1999 unter den Bedingungen der geänderten mittelfristigen reitgestellt?
Finanzplanung dafür bereitgestellt?
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des
Welche Priorität hat das im Dreijahresplan für den Ausbau des Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 54,
Schienenwegenetzes des Bundes enthaltene Projekt Nr. 16, NBS Knoten Dresden, heute für die Bundesregierung, und welcher
Mannheim-Stuttga rt, heute für die Bundesregierung, und wel- Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des Pro-
cher Mittelanteil - bezogen auf die jeweiligen Gesamtkosten des jekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingungen
Projekts - wird pro Jahr von 1996 bis 1999 unter den Bedingun- der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereitge-
gen der geänderten mittelfristigen Finanzplanung dafür bereit- stellt?
gestellt?

Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah- Die Prioritäten haben sich gegenüber dem Dreijah-
resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset- resplan vom Juni 1995 nicht geändert. Seine Umset-
zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne zung ist im wesentlichen sichergestellt. Für einzelne
Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig Vorhaben können zeitliche Streckungen nicht völlig
ausgeschlossen werden. ausgeschlossen werden.

Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge- Entsprechend § 5 Bundesschienenwegeausbauge-


setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve- setz wird die Bundesregierung Ende 1996 ihre Inve-
stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan stitionsplanung „Schiene" mit einem Fünfjahresplan
für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben. für die Jahre 1998 bis 2002 fortschreiben.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5475*

Anlage 46 Zu Frage 82:


-
Die Bundesregierung hat im Einvernehmen mit der
Antwort
Bayerischen Staatsregierung ergänzende Untersu-
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Fra- chungen zum Donauausbau Straubing-Vilshofen in
gen der Abgeordneten Susanne Kastner (SPD) Auftrag gegeben, um die Möglichkeiten und Gren-
(Drucksache 13/2708 Fragen 80 und 81): zen fluBbaulicher Ausbaualternativen unter Wah-
Wer wurde von der Bundesregierung mit den ergänzenden
rung der Substanz der Ausbauziele näher auszu-
Untersuchungen für den geplanten Donauausbau zwischen loten. Hierzu werden den Untersuchungen flexible
Straubing und Vilshofen beauftragt, und ist sie insbesondere Ausbaubreiten und eingeschränkte Begegnungs-
bereit, Prof. Nestmann, der als einziger Gutachter bei der An möglichkeiten 23 m breiter Schiffseinheiten zu-
hörung im Bayerischen Landtag im Mai 1995 zum geplanten
Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen vorgeschlagen
grunde gelegt.
hat, die Möglichkeiten und Grenzen flußbaulicher Maßnahmen
zu untersuchen, bei den ergänzenden Untersuchungen zu be- Zu Frage 83:
teiligen?
Die Bundesregierung ist bereit, den Untersuchun-
Warum wurden bei der Bundesanstalt für Wasserbau von der
Rhein-Main-Donau AG seit 1988 für den geplanten Donau- gen die zur Erzielung tragfähiger Ergebnisse not-
ausbau zwischen Straubing und Vilshofen ausschließlich Unter- wendige Zeit einzuräumen. Da die für das Untersu-
suchungen zum Ausbau mit Staustufen in Auftrag gegeben? chungsprogramm notwendigen Vorarbeiten noch
nicht abgeschlossen sind, hält die Bundesregierung
Zu Frage 80: Aussagen zur Untersuchungsdauer für verfrüht.
Die ergänzenden Untersuchungen für den geplan-
ten Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen
führt die Bundesanstalt für Wasserbau teilweise
selbst durch, teilweise vergibt sie Aufträge an Dritte,
die von ihr koordiniert werden. Zur Untersuchungs- Anlage 48
konzeption werden auch exte rne Wissenschaftler,
u. a. Prof. Dr. Nestmann, zu Rate gezogen. Die Bun- Antwort
desanstalt für Wasserbau hat mit Prof. Dr. Nestmann des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Fra-
bereits Kontakt aufgenommen, um ihn mit einem gen der Abgeordneten Brunhilde Irber (SPD)
Teilauftrag an den Untersuchungen zu beteiligen. (Drucksache 13/2708 Fragen 84 und 85):
Welche Auswirkungen hätte der Donauausbau zwischen
Zu Frage 81: Straubing und Vilshofen für die regionale Wirtschaft?
Die Bundesanstalt für Wasserbau wurde nicht nur Wie reagiert die Bundesregierung auf die Aussage von Prof.
mit Untersuchungen zum staugestützten Ausbau der Dr. Joachim Genosko (Universität Eichstätt), daß zu den bisher
Donau beauftragt, sondern auch mit Untersuchun- geschätzten Kosten für einen Ausbau der Donau nach den Plä-
nen der Rhein-Main-Donau AG in Höhe von 1,3 Mrd. DM noch
gen zur Frage der Grenzen flußbaulicher Maßnah- zusätzlich eine jährliche Verzinsung (ohne Tilgung) auf 21 Jahre
men. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen, die von 3,5 % berücksichtigt werden müßte, so daß sich die Gesamt-
sich auf die Fragestellung beziehen, ob sich die mit kosten des Donauausbaus zwischen Straubing und Vilshofen
der staugestützten Lösung erreichbaren Ausbauziele auf etwa 2,6 Mrd. DM beliefen?
uneingeschränkt auch mit flußbaulichen Methoden
erreichen lassen, sind in Abschnitt 3 des Erläute- Zu Frage 84:
rungsberichts zum Raumordnungsverfahren darge- Die Frage der Auswirkungen des Donauausbaus
stellt. auf die regionale Wirtschaft fällt in die Zuständigkeit
Unabhängig davon war eine Vertiefung der Unter- des Freistaates Bayern.
suchung flußbaulicher Methoden zur Planrechtferti- Die Bundesregierung kann deshalb auf den Erläu-
gung zur Vorbereitung von Planfeststellungsverfah-
terungsbericht zum Raumordnungsverfahren für den
ren vorbehalten.
Ausbau der Strecke Straubing-Vilshofen verweisen,
worin zu dieser Frage ausführlich Stellung genom-
men wird. Generell wird darin ausgeführt, daß das
Anlage 47 Vorhaben sich auf die überregionale und die regio-
nale Wirtschaftsstruktur und den regionalen Arbeits-
Antwort markt positiv auswirkt. Bestehende oder geplante In-
dustrie- und Gewerbegebiete erhalten durch die An-
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Fra- bindung an die Wasserstraße zusätzliche Impulse.
gen der Abgeordneten Jella Teuchner (SPD)
(Drucksache 13/2708 Fragen 82 und 83): Zu Frage 85:
Wie reagie rt die Bundesregierung auf die Tatsache, daß die
Möglichkeiten für Strombaumaßnahmen für den geplanten Die in der Frage zitierte Aussage von Prof. Dr. Ge-
Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen maßgeblich nosko ist der Bundesregierung nicht bekannt. Im
von der Wahl der Ausbauziele abhängen? übrigen ist sie in den Angaben der Fragestellung
Ist die Bundesregierung bereit, für eine laut Experten notwen- nicht nachvollziehbar.
dige tragfähige Variantenuntersuchung für den geplanten Do-
nauausbau zwischen Straubing und Vilshofen eine mindestens Basis für die Bewertung baulicher Projekte ist für
zweijährige Untersuchungszeit anzusetzen? die Bundesregierung § 7 (2) der Bundeshaushaltsord-
5476* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995

nung, wonach für Maßnahmen von erheblicher fi- Welche Ausbauziele sind den ergänzenden Untersuchungen
nanzieller Bedeutung, wie z. B. dem Donauausbau, für den geplanten Donauausbau zwischen Straubing und Vils-
hofen zugrunde gelegt worden, und ist ein Abweichen von
Nutzen/Kosten-Untersuchungen anzustellen sind. diesen Ausbauzielen möglich?
Nach der einheitlichen Methodik der Bundesver-
kehrswegeplanung werden die über die Lebens- Wird bei den ergänzenden Untersuchungen für den geplan-
ten Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen untersucht,
dauer eines Projektes entstandenen Nutzen den ent- welche Ausbaumöglichkeiten durch Strombaumaßnahmen er-
sprechenden Kosten gegenübergestellt. Der Bewer- reicht werden können?
tungszeitraum (angenommene Lebensdauer einer
Baumaßnahme) beträgt 80-100 Jahre. Der Zinssatz Zu Frage 88:
für die Diskontierung von Nutzen und Kosten beträgt
Grundlage der ergänzenden Untersuchungen bil-
in der Bundesverkehrswegeplanung einheitlich 3 %.
det ein flexibel breites Fahrrinnenband für den Ver-
kehr von bis zu 23 m breiten Schiffseinheiten bei ein-
geschränkten Begegnungsmöglichkeiten. Unter In-
Anlage 49 kaufnahme vertretbarer Wartezeiten für 23 m breite
Einheiten wird die Substanz der Ausbauziele hin-
Antwort sichtlich der Fahrrinnentiefe beibehalten.
Zu Frage 89:
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Fra-
gen des Abgeordneten Robert Leidinger (SPD) Ja; die ergänzenden Untersuchungen sollen zei-
(Drucksache 13/2708 Fragen 86 und 87): gen, welche Abladetiefen sich mit flußbaulichen Me-
thoden erzielen lassen.
Ist die Bundesregierung - angesichts der Tatsache, daß die bis-
her mit der Koordination der Untersuchungen über die Möglich-
keiten und Grenzen flußbaulicher Maßnahmen für einen Aus-
bau der Donau beauftragte Bundesanstalt für Wasserbau in
Karlsruhe gegenüber den Bundesministerien weisungsgebun- Anlage 51
den ist - bereit, einen anderweitigen unabhängigen Koordinator
für die Untersuchungen einzuschalten?
Antwort
Inwieweit unterscheiden sich die von der Bundesregierung
angekündigten ergänzenden Untersuchungen für den Bereich des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Fra-
obe rhalb der Isarmündung von denjenigen unterhalb der Isar- gen des Abgeordneten Dr. Jürgen Warnke (CDU/
mündung? CSU) (Drucksache 13/2708 Fragen 90 und 91):
Ist hinsichtlich des Gleisunterbaus, der Signalausstattung und
Zu Frage 86: der Fahrzeugentwicklung sichergestellt, daß ab dem Jahre 1998
die Franken-Sachsenmagistrale (Nürnberg-Hof-Chemnitz-
Nein, denn in der fachwissenschaftlichen Beratung Dresden) mit einer Diesel-Fernverkehrsversion der Neigetech-
der Bundesregierung arbeitet die Bundesanstalt für nik ausgerüstet wird?
Wasserbau weisungsunabhängig. Hinsichtlich der Welche Fahrzeiten sind für den Fernverkehr mit Neigetechnik
bei den Untersuchungen einzuhaltenden Randbedin- auf der Franken-Sachsenmagistrale ab dem Jahre 1998 vorgese-
gungen, wie z. B. Ausbauabmessungen, maßgebli- hen?
che Schiffsverkehre u. s. w. macht die Bundesregie-
rung allen Auftragnehmern die gleichen Vorgaben. Zu Frage 90:
Die Deutsche Bahn AG beabsichtigt, den Strecken-
Aus der Antwort zu Teil 1 der Frage ergibt sich,
abschnitt Hof-Chemnitz-Dresden bis 1998 für eine
daß es nicht notwendig ist, einen anderweitigen Ko-
Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h auszubauen,
ordinator zu bestimmen.
sogenannte investive Altlasten aus der Zeit der frü-
heren Deutschen Reichsbahn zu besei tigen, Strek-
Zu Frage 87: kenbegradigungen durchzuführen sowie den Ober-
bau und die Sicherungstechnik an den Einsatz von
Die ergänzenden Untersuchungen für den Bereich Neigetechnik-Zügen anzupassen. Im Zusammen-
oberhalb der Isarmündung unterscheiden sich von hang damit hat der Vorstand der DB AG am 12. April
denjenigen für den Bereich unterhalb der Isarmün- 1995 in Chemnitz zugesagt, auch entsprechende Die-
dung insbesondere hinsichtlich der den Untersu- sel-Neigetechnik-Züge für den Fernverkehr auf der
chungen zugrunde zu legenden Abflußmengen und Strecke Hof-Dresden bis 1998 zu beschaffen.
Gefälleverhältnissen. Hinsichtlich der Ausbauziele
und Untersuchungsmethodik unterscheiden sie sich Zu Frage 91:
nicht.
Nach Beendigung der Ausbauarbeiten auf der
Sachsen-Magis tr ale läßt sich die heutige Fahrzeit im
Fernverkehr von 3 Stunden und 36 Minuten zwi-
Anlage 50 schen Hof und Dresden durch den Einsatz von Nei-
getechnik-Zügen um rund eine Stunde verkürzen.
Antwort Davon entfallen 44 Minuten auf die Verbesserung
und Begradigung der Infrastruktur und die Erhö-
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Fra- hung der zulässigen Streckengeschwindigkeit auf
gen des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) 160 km/h sowie 20 Minuten auf die mögliche höhere
(Drucksache 13/2708 Fragen 88 und 89): Fahrgeschwindigkeit der Neigetechnik-Fahrzeuge.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 63. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 25. Oktober 1995 5477*

Anlage 52 neralversammlung der Vereinten Nationen und in


Antwort den Sitzungen der Menschenrechtskommission re-
gelmäßig gemeinsam eine kritische Bewertung der
des Bundesministers Matthias Wissmann auf die Menschenrechtslage im Iran vor.
Fragen der Abgeordneten Gila Altm ann (Aurich)
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 13/2708
Zu Frage 95:
Fragen 92 und 93):
Hat die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß es sich
Ebenso wie die Europäische Union wird die Bun-
beim Peenetal zwischen Kummerower See und Schadefähre um desregierung die Politik des „kritischen Dialogs" ge-
ein ausgewiesenes Schutzgebiet handelt, eine Stellungnahme genüber dem Iran fortsetzen. Der Dialog bezieht
gemäß Artikel 3 Abs. 1 Satz 3 der Flora-Fauna-Habitat-Richtli- Themen ein, die Anlaß zur Sorge geben. Hierzu zählt
nie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der
natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und
insbesondere die Lage der Menschenrechte.
Pflanzen (Der Rat der EG 1992) und gemäß Artikel 4 Abs. 1 der
EU-Vogelschutzrichtlinie 79/409/EWG für den Bau der Bundes-
autobahn A 20 durch das Peenetal bereits angefordert, und
wenn ja, für welches Gebiet und welche Trassenvariante? Anlage 54
Antwort
Wie ist der aktuelle Stand der Planung?
des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen
Zu Frage 92: des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU)
(Drucksache 13/2708 Fragen 96 und 97):
Ja, die Bundesregierung hat um eine Stellung-
nahme zur Peenequerung für die optimierte stadt- Inwieweit führt die Bundesregierung zur Zeit Verhandlungen
mit der tschechischen Regierung, um die das deutsch-tschechi-
nahe Trassenführung der A 20 bei Jarmen gebeten. sche Verhältnis belastenden Probleme zu lösen oder zumindest
zu reduzieren?
Zu Frage 93: Wie ist der Stand der Bemühungen der Bundesregierung, ein
deutsch-tschechisches Jugendwerk zu errichten?
Derzeit werden die Planfeststellungsunterlagen für
den Abschnitt der Umgehung Jarmen einschließlich
der Peenequerung erarbeitet. Zu Frage 96:
Es ist zutreffend, daß die Bundesregierung zur Zeit
Gespräche mit der tschechischen Regierung mit dem
Ziel der Verbesserung der bilateralen Beziehungen
Anlage 53 führt. Es wurde von beiden Seiten im Interesse der
Antwort Sache vereinbart, die Gespräche vertraulich zu füh-
des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen ren und über den Inhalt der Gespräche Stillschwei-
des Abgeordneten Joachim Tappe (SPD) (Drucksa- gen zu bewahren.
che 13/2708 Fragen 94 und 95):
Zu Frage 97:
Sind der Bundesregierung die sich häufenden schweren Men-
schenrechtsverletzungen im Iran, die auch von der Menschen- Eine Intensivierung der deutsch-tschechischen ju-
rechtsorganisation Amnesty International dokumentiert und be-
richtet worden sind, bekannt, und wenn ja, welche Maßnahmen
gendpolitischen Zusammenarbeit wird von der Bun-
gedenkt sie diesbezüglich zu ergreifen? desregierung begrüßt.
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung ihre bisherige Um die Kontakte zwischen deutschen und tsche-
Politik gegenüber dem Regime im Iran fortzusetzen? chischen Jugendlichen und Fachkräften der Jugend-
arbeit zu vertiefen, sollen zum einen die Möglichkei-
Zu Frage 94: ten des Jugendaustauschabkommens von 1990 und
des darin vorgesehenen Jugendrates (der bereits ge-
Die Bundesregierung unterrichtet sich eingehend
tagt hat) genutzt werden. Zum anderen findet in
über die Menschenrechtslage im Iran. Die Erkennt-
nächster Zeit eine Partnerbörse für deutsche und
nisse internationaler Menschenrechtsorganisationen
tschechische an der Zusammenarbeit interessierte
geben ihr dabei wich tige Hinweise. Bei deutsch-ira-
freie und öffentliche Träger der Jugendarbeit in Re-
nischen Gesprächen in Bonn, Teheran oder an drit-
gensburg statt.
tem Ort wird regelmäßig auch die Menschenrechts-
lage im Iran angesprochen und auf Verbesserungen Ferner bestehen zur Zeit Überlegungen, zunächst
gedrängt. Das gilt für Gespräche auf allen Ebenen, auf deutscher Seite, eine Koordinierungsstelle für
einschließlich der der Außenminister. Darüber hin- den deutsch-tschechischen Jugendaustausch zu
aus haben seit Oktober 1990 mit der gleichen Zielset- schaffen. Diese Koordinierungsstelle soll den Ju-
zung vier deutsch-iranische Seminare zum Thema gendrat beraten, Kontakte zwischen tschechischen
Menschenrechte abwechselnd in Deutschland und und deutschen Jugendverbänden herstellen, Kon-
Iran stattgefunden, zuletzt im November 1994 in Te- zepte für die Zusammenarbeit entwickeln und Hospi-
heran. Die Bundesregierung und die anderen Mit- tations- und Sprachkursangebote vermitteln. Auch
gliedstaaten der EU sprechen bei allen Treffen im soll das Zusammenwirken von außerschulischer Ju-
Rahmen des kritischen Dialoges mit dem Iran unter gendarbeit und Schüleraustausch sowie die Koordi-
dem Tagesordnungspunkt „Menschenrechte" die nierung zwischen Bundes- und Landesförderung ver-
Menschenrechtslage bzw. Einzelfälle an und fordern stärkt werden. Hierüber sind bereits Gespräche mit
zu Fortschritten auf. Die Regierungen der Mitglied- den an Tschechien grenzenden Bundesländern ge-
staaten der Europäischen Union nehmen in der Ge- führt worden.

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