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Plenarprotokoll 12/9

D eutscher Bundesta g
Stenographischer Bericht

9. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Inhalt:

Verzicht der Abg. Dr. Worms und Dr. Geis de Maizière CDU/CSU 374 D
ler (Radeberg) auf die Nlitqliedschaft im
Frau Marx SPD 376 C
Deutschen Bundestag 339 A, B
Dr. Thalheim SPD (Erklärung nach § 30
Eintritt des Abg. Hüppe und der Abg. Frau GO) 377 B
Michalk in den Deutschen Bundestag . . 339 A, B
Präsidentin Dr. Süssmuth 355 D
Erweiterung und Abwicklung der Tagesord
nung 339 B Tagesordnungspunkt 4:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen
Glückwünsche zum Geburtstag des Abg der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Dr. Vogel 345 A Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung
von Hemmnissen bei der Privatisierung
Tagesordnungspunkt 2: von Unternehmen und zur Förderung
Abgabe einer Erklärung der Bundesre-- von Investitionen (Drucksache 12/103)
gierung zur Finanzpolitik im vereinten b) Erste Beratung des von den Fraktionen
Deutschland der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . , 340 A Entwurfs eines Gesetzes über die Spal-
tung der von der Treuhandanstalt ver-
Thierse SPD 345 A walteten Unternehmen (Drucksache
Borchert CDU/CSU 348 B 12/105)

Dr. Briefs PDS/Linke Liste 350 C Dr. Kinkel, Bundesminister BMJ 378 A
Dr. Graf Lambsdorff FDP 352 A Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 379 D
Reuschenbach SPD 354 C Helmrich CDU/CSU 383 D
Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE .. 356 A Dr. Heuer PDS/Linke Liste 385 C
Dr. Graf Lambsdorff FDP . . . . 358 A, 362 A Frau Leutheusser-Schnarrenberger FDP . 386 D
Wagner, Ministerpräsident des Landes Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE . . . . 388 A
Rheinland-Pfalz 358 C
Dr. Freiherr von Stetten CDU/CSU . . . 389 B
Wedemeier, Präsident des Senats der Freien
Türk FDP 391 C
Hansestadt Bremen 361 C
Nitsch CDU/CSU 392 C
Dr. Weng (Gerlingen) FDP 365 C
Dr. Schumann (Kroppenstedt) PDS/Linke Tagesordnungspunkt 7:
Liste 367 B a) Beratung der Beschlußempfehlung und
Esters SPD 368 B des Berichts des Altestenrates: Rechts-
stellung von Bündnis 90/GRÜNE im
Dr. Rose CDU/CSU 370 B
12. Deutschen Bundestag (Drucksache
Bernrath SPD 373 A 12/149)
II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

b) Beratung der Beschlußempfehlung und Einsetzung des Vertrauensgremiums ge-


des Berichts des Altestenrates: Rechts- mäß § 10a Abs. 2 der Bundeshaushalts-
stellung der PDS/Linke Liste im 12. Deut- ordnung (Drucksache 12/106)
schen Bundestag (Drucksache 12/150) c) Wahl der Mitglieder der Parlamentari-
schen Kontrollkommission gemäß §§ 4
Zusatztagesordnungspunkt 2:
und 5 Abs. 4 des Gesetzes über die
Beratung des Antrags der Abgeordneten parlamentarische Kontrolle nachrich-
der PDS/Linke Liste: Fraktionsstatus ge- tendienstlicher Tätigkeit des Bundes
mäß § 10 Abs. 1 Satz 2 der Geschäfts- (Drucksachen 12/88, 12/112, 12/137)
ordnung des Deutschen Bundestages
Ergebnis 431 A
(Drucksache 12/86)
d) Wahl der Mitglieder des Vertrauensgre-
Zusatztagesordnungspunkt 3: miums gemäß § 10a Abs. 2 der Bundes-
Beratung des Antrags der Abgeordneten haushaltsordnung (Drucksachen 12/89,
von Bündnis 90/GRÜNE 12/113, 12/138)
Erteilung eines Grundmandats für die Ergebnis 431 B
Besetzung der Gremien
e) Wahl der Mitglieder des Gremiums ge-
— Mitglieder der Parlamentarischen mäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Be-
Kontrollkommission schränkung des Brief-, Post- und Fern-
— Mitglieder des Vertrauensgremiums meldegeheimnisses (Gesetz zu Arti-
gem. § 10a Abs. 2 BHO kel 10 Grundgesetz) (Drucksachen 12/90,
— Mitglieder des Gremiums gem. § 9 12/114, 12/139)
Abs. 1 des Gesetzes zur Beschrän-
Ergebnis 407 B
kung des Brief-, Post- und Fernmel-
degeheimnisses (Gesetz zu Art. 10 f) Wahl der Wahlmänner für die vom Bun-
Grundgesetz) (Drucksache 12/109) destag zu berufenden Richter des Bun-
desverfassungsgerichts gemäß § 6 Abs. 2
Zusatztagesordnungspunkt 4: des Gesetzes über das Bundesver-
Beratung des Antrags des Abgeordneten fassungsgericht (Wahlmännerausschuß)
Dr. Gysi und der Abgeordneten von PDS/ (Drucksache 12/91 [neu])
Linke Liste: Berücksichtigung aller Ergebnis 431 B
Gruppen und Fraktionen des Bundesta-
ges bei der Besetzung der Ausschüsse g) Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Aus-
und sonstigen vom Bundestag zu be- schusses für die Wahl der Richter der
stimmenden Besetzungen (Drucksache obersten Gerichtshöfe des Bundes ge-
12/115) mäß § 5 des Richterwahlgesetzes (Rich-
terwahlausschuß) (Drucksache 12/92
Zusatztagesordnungspunkt 5: [neu])
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ergebnis 431 C
von Bündnis 90/GRÜNE: Änderung der h) Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen
Geschäftsordnung für den Ausschuß Ausschusses nach Artikel 53 a des
nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- Grundgesetzes (Drucksache 12/93)
lungsausschuß) (Drucksache 12/110)
i) Wahl der vom Bundestag zu entsenden-
Dr. Riege PDS/Linke Liste 393 D den Mitglieder des Ausschusses nach Ar-
Frau Köppe Bündnis 90/GRÜNE 394 D tikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Ver-
mittlungsausschuß) (Drucksachen 12/94,
Bohl CDU/CSU 395 C
12/111, 12/141)
Dr. Struck SPD 396 B
j) Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungs-
Dr. Gysi PDS/Linke Liste 396 D ausschusses gemäß § 3 Abs. 2 Wahl-
prüfungsgesetz (Drucksachen 12/95,
Lühr FDP 397 B
12/142)
Tagesordnungspunkt 3: k) Wahl der vom Bundestag zu entsenden-
Einsetzung von Gremien und Wahlen den Mitglieder des Schuldenausschusses
bei der Bundesschuldenverwaltung ge-
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der mäß § 6 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über
CDU/CSU, SPD und FDP die Errichtung einer Schuldenverwal-
Einsetzung der Parlamentarischen Kon- tung des Vereinigten Wirtschaftsgebie-
trollkommission gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 tes und § 2 der Verordnung über die
des Gesetzes über die parlamentarische Bundesschuldenverwaltung (Drucksa-
Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätig- chen 12/96, 12/144)
keit des Bundes (Drucksache 12/108) 1) Wahl der vom Bundestag zu bestimmen-
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der den Mitglieder des Kontrollausschusses
CDU/CSU, SPD und FDP beim Bundesausgleichsamt gemäß § 313
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 III

Abs. 1 und 2 des Lastenausgleichsgeset- Zusatztagesordnungspunkt 11:


zes (Drucksachen 12/97, 12/145) Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun-
m) Wahl der vom Deutschen Bundestag vor- desregierung zur Situation in Jugosla-
zuschlagenden Mitglieder des Infra- wien
strukturrats beim Bundesminister für Irmer FDP 404 B
Post und Telekommunikation gemäß
§ 32 des Poststrukturgesetzes (Drucksa- Dr. Glotz SPD 405 B
chen 12/98, 12/146)
Vogel (Ennepetal) SPD 405 D
n) Wahl der vom Bundestag vorzuschlagen-
Dr. Modrow PDS/Linke Liste 406 C
den Mitglieder des Programmbeirats der
Deutschen Bundespost gemäß §§ 1 und 2 Poppe Bündnis 90/GRÜNE 407 C
der Geschäftsordnung des Beirats zur
Bestimmung der Anlässe für die Aus- Frau Dr. von Teichmann und Logischen
gabe von Sonderpostwertzeichen ohne FDP 408 C
Zuschlag der Deutschen Bundespost Verheugen SPD 409 C
(Programmbeirat) (Drucksachen 12/99,
12/147) Schäfer, Staatsminister AA 410 C
o) Wahl der vom Bundestag vorzuschlagen- Dr. Stercken CDU/CSU 411 D
den Mitglieder des Kunstbeirats der
Deutschen Bundespost gemäß §§ 1 und 2 Dr. Soell SPD 412 B
der Geschäftsordnung des Beirats für die Reddemann CDU/CSU 413 B
graphische Gestaltung der Postwertzei-
chen der Deutschen Bundespost (Druck- Koschnick SPD 414 A
sachen 12/102, 12/148) 399 A
Dr. Müller CDU/CSU 415 A

Zusatztagesordnungspunkt 6: Freiherr von Schorlemer CDU/CSU . . 415 D


Wahlvorschlag für die Wahl der Schrift Vizepräsidentin Schmidt 416 B
führer gemäß § 3 der Geschäftsordnung
(Drucksache 12/87) 399 C
Tagesordnungspunkt 5:
Erste Beratung des von den Fraktionen
Zusatztagesordnungspunkt 7:
der CDU/CSU und FDP eingebrachten
Beratung des Antrags der Fraktionen der Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
CDU/CSU und FDP: Entsendung von Be- des Außenwirtschaftsgesetzes und der
obachtern in das Europäische Parlament Strafprozeßordnung (Drucksache 12/104)
(Drucksache 12/107)
- Zusatztagesordnungspunkt 12:
Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Fraktion der
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
SPD: Entsendung von Beobachtern in setzes zur Einschränkung von Rüstungs-
das Europäische Parlament (Drucksache exporten (Drucksache 12/120)
12/118)
Zusatztagesordnungspunkt 13:
Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung des Antrags der Fraktion der
Beratung des Antrags der Abgeordneten SPD: Maßnahmen zur Einschränkung
von Bündnis 90/GRÜNE: Entsendung von Rüstungsexporten (Drucksache
von Beobachtern in das Europäische Par- 12/119)
lament (Drucksache 12/134)
Zusatztagesordnungspunkt 14:
Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung des Antrags der Abgeordneten
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lederer und der Abgeordneten von PDS/
von PDS/Linke Liste: Entsendung von Linke Liste: Rüstungsexportverbot ins
Beobachtern in das Europäische Parla- Grundgesetz — Stopp der Rüstungspro-
ment (Drucksache 12/135) duktion (Drucksache 12/116)
Dr. Rüttgers CDU/CSU 401 D Kittelmann CDU/CSU 416 D
Dr. Struck SPD 402 C Bachmaier SPD 418 C
Dr. Hoyer FDP 402 D Kittelmann CDU/CSU 419 D
Dr. Riege PDS/Linke Liste 403 B Eylmann CDU/CSU 421 C

Poppe Bündnis 90/GRÜNE 403 D Dr. Gysi PDS/Linke Liste 423 A


IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Kolb FDP 424 A von Larcher SPD 451 C


Frau Wollenberger Bündnis 90/GRÜNE 425 C Eimer (Fürth) FDP 452 C
Möllemann, Bundesminister BMWi .. 426 D Frau Braband PDS/Linke Liste 452 D
Eylmann CDU/CSU 428 D Conradi SPD 453 C, 455 B
Dr. Ullmann Bündnis 90/GRÜNE . . . 429 B
Jäger CDU/CSU 454 D
Poppe Bündnis 90/GRÜNE 430 A
Hansen FDP 455 A
Tagesordnungspunkt 6: Dr. Grünewald, Parl. Staatssekretär BMF 455 D
Beratung des Antrags des Abgeordneten
Thierse, weiterer Abgeordneter und der Zusatztagesordnungspunkt 15:
Fraktion der SPD: Verlängerung der Beratung des Antrags der Fraktion der
Aussetzung der Zins- und Tilgungslei- SPD: Finanzierung der Schiffsentsor-
stungen auf Altkredite im Bereich der gung in deutschen Seehäfen nach MAR
Landwirtschaft der neuen Bundesländer POL — Anlage I und II (Drucksache
(Drucksache 12/13) 12/117) 456 C
Dr. Thalheim SPD 431 D
Dr. Krause (Bonese) CDU/CSU 434 A Nächste Sitzung 456 D

Oostergetelo SPD . . . . 436 A, 438 C, 442 A


Anlage 1
Dr. Thalheim SPD . . . . 436 B, 441 A, 442 B
Kalb CDU/CSU 436 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 457* A
Dr. Schumann (Kroppenstedt) PDS/Linke
Liste 436 D Anlage 2
Türk FDP 438 A
Liste der Abgeordneten, die an der
Dr. Feige Bündnis 90/GRÜNE 439 C
— Wahl der Mitglieder der Parlamentari-
Gallus, Parl. Staatssekretär BML 440 C schen Kontrollkommission gemäß §§ 4
Tagesordnungspunkt 8: und 5 Abs. 4 des Gesetzes über die parla-
mentarische Kontrolle nachrichtendienst-
Erste Beratung des von der Bundesregie- licher Tätigkeit des Bundes
rung eingebrachten Entwurfs eines Sech-
sten Gesetzes zur Änderung des Geset- — Wahl der Mitglieder des Vertrauensgre-
zes über die Errichtung einer Stiftung miums gemäß § 10a Abs. 2 der Bundes-
„Hilfswerk für behinderte Kinder" haushaltsordnung
(Drucksache 12/22) 443 C — Wahl der Mitglieder des Gremiums ge-
- mäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Be-
Tagesordnungspunkt 9:
schränkung des Brief-, Post- und Fern-
Erste Beratung des von der Bundesregie- meldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10
rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Grundgesetz)
setzes zu dem Übereinkommen vom
20. November 1989 über die Rechte des — Wahl der Wahlmänner für die vom Bun-
destag zu berufenden Richter des Bun-
Kindes (Drucksache 12/42)
desverfassungsgerichts gemäß § 6 Abs. 2
Dr. Kinkel, Bundesminister BMJ 443 D des Gesetzes über das Bundesverfas-
Dr. Pick SPD 445 B sungsgericht (Wahlmännerausschuß)
Seesing CDU/CSU 445 D — Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Aus-
schusses für die Wahl der Richter der
Frau Dr. Höll PDS/Linke Liste 447 A
obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß
Frau Schenk Bündnis 90/GRÜNE . . . . 448 A § 5 des Richterwahlgesetzes (Richter-
Frau Leutheusser-Schnarrenberger FDP . 448 B wahlausschuß)
Schmidt (Salzgitter) SPD 449 A teilgenommen haben 457* A

Tagesordnungspunkt 10:
Anlage 3
Erste Beratung des von den Abgeordne-
ten Frau Köppe, Dr. Feige, Poppe, Frau Gewählte Wahlmänner nach § 6 Absatz 2 des
Schenk, Schulz (Berlin), Dr. Ullmann, Gesetzes über das Bundesverfassungsge-
Weiß (Berlin) und Frau Wollenberger richt 459* C
(Bündnis 90/GRÜNE) eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Befreiung von
Militärsteuern (Drucksache 12/74) Anlage 4
Frau Köppe Bündnis 90/GRÜNE 450 B Gewählte Mitglieder des Richterwahlaus-
Rind FDP 451 A schusses nach § 5 des Richterwahlgesetzes 459* C
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 339

9. Sitzung

Bonn, den 21. Februar 1991

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Süssmuth: Meine Damen und Her- 4. Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Gysi und der
ren, ich eröffne die Sitzung. Abgeordneten von PDS/Linke Liste: Berücksichtigung aller
Gruppen und Fraktionen des Bundestages bei der Beset-
zung der Ausschüsse und sonstigen vom Bundestag zu be-
Ich möchte zunächst einige Mitteilungen bekannt- stimmenden Besetzungen — Drucksache 12/115 —
geben:
5. Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/
GRÜNE: Änderung der Geschäftsordnung für den Aus-
Ich teile mit, daß Herr Dr. Worms am 31. Januar schuß nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsaus-
1991 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundes- schuß) — Drucksache 12/110 —
tag verzichtet hat. Als sein Nachfolger hat Herr Abge-
ordneter Hüppe am 1. Februar 1991 die Mitglied- 6. Wahlvorschlag für die Wahl der Schriftführer gemäß § 3
schaft im Deutschen Bundestag erworben. Herzlich der Geschäftsordnung — Drucksache 12/87 —
willkommen. 7. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP: Entsendung von Beobachtern in das Europäische Par-
(Beifall) lament — Drucksache 12/107 —

Für Herrn Dr. Geisler (Radeberg), der am 12. Fe- E8.BneratsugdA FktionderSPD:
von Beobachtern in das Europäische Parlament — Druck-
bruar 1991 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bun- sache 12/118 —
destag verzichtet hat, hat Frau Abgeordnete Michalk
am 13. Februar 1991 die Mitgliedschaft im Deutschen 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/
Bundestag erworben. GRÜNE: Entsendung von Beobachtern in das Europäische
- Parlament — Drucksache 12/134 —

(Beifall) 10. Beratung des Antrags der Abgeordneten von PDS/Linke


Liste: Entsendung von Beobachtern in das Europäische
Wir begrüßen die beiden Kollegen und heißen sie Parlament — Drucksache 12/135 —
herzlich willkommen.
11. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur Situa-
tion in Jugoslawien
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun-
dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in 12. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten
der Ihnen vorliegenden Zusatzpunkteliste aufge- Entwurfs eines Gesetzes zur Einschränkung von Rüstungs-
führt: exporten — Drucksache 12/120 —

13. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Maßnahmen


1. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur wach- zur Einschränkung von Rüstungsexporten — Drucksache
senden Wohnungsnot und zur Lage der Wohnungswirt- 12/119 —
schaft (In der 8. Sitzung vom 20. 2. 1991 bereits erledigt.)
14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lederer und der
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten der PDS/Linke Abgeordneten von PDS/Linke Liste: Rüstungsexportverbot
Liste: Fraktionsstatus gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 der Ge- ins Grundgesetz — Stopp der Rüstungsproduktion
schäftsordnung des Deutschen Bundestages — Drucksache - Drucksache 12/116 —
12/86 —
15. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Finanzierung
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten von Bündnis 90/ der Schiffsentsorgung in deutschen Seehäfen nach MAR
GRÜNE: Erteilung eines Grundmandats für die Besetzung POL — Anlage I und II — Drucksache 12/117 —
der Gremien
— Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommis- Ferner sollen der Tagesordnungspunkt 4 bereits
sion nach der Aussprache zur Regierungserklärung und
— Mitglieder des Vertrauensgremiums gem. § 10a Abs. 2
BHO
der Tagesordnungspunkt 7 vor Tagesordnungspunkt
— Mitglieder des Gremiums gem. § 9 Abs. 1 des Gesetzes 3 aufgerufen werden.
zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldege-
heimnisses (Gesetz zu Art. 10 Grundgesetz) Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen
— Drucksache 12/109 — Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
340 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Präsidentin Dr. Süssmuth


Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: zen der Belastbarkeit. Die Finanzpolitik kann nicht
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung alles ausgleichen, was an Entwicklungen, etwa bei
zur Finanzpolitik im vereinten Deutschland der Lohn- und Einkommenssteigerung im Beitrittsge-
biet oder im internationalen Bereich, erfolgt.
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD auf Drucksache 12/121 vor. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir ha-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ben die finanzpolitischen Aufgaben der Wiederverei-
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. — Auch nigung bisher gelöst und werden es weiter tun. Im
dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so letzten Jahr wurden rund 30 Milliarden DM an Unter-
beschlossen. stützung für die neuen Bundesländer — ohne die von
der Opposition geforderte Steuererhöhung — finan-
Das Wort hat Bundesfinanzminister Dr. Waigel. ziert.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Waigel, Bundesminister der Finanzen: Frau Prä- Meine Damen und Herren, wenn wir uns im Herbst
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1989 auf das Pferd der Steuererhöhung gesetzt hät-
Das Bundeskabinett hat gestern den Entwurf für den ten
Bundeshaushalt 1991 gebilligt. Mit der Kabinettsent-
scheidung ist klar: Die Eckwertebeschlüsse, die wir (Dr. Vogel [SPD]: Dann stünden wir heute
vor der Wahl getroffen haben, werden vollständig ein- besser da!)
gehalten. was manche von uns verlangt haben, dann wären wir
(Lachen und Widerspruch bei der SPD) heute bei der vierten oder fünften Steuererhöhung
— Sie werden doch Zahlen nicht bestreiten. Die Zah- angelangt und hätten jetzt nicht die Reserven, um
lenbestimmung liegt darin, daß wir uns vorgenommen unumgängliche internationale und nationale Pro-
haben — wir werden das einhalten — , daß die Netto- bleme lösen zu können.
kreditaufnahme unter 70 Milliarden DM bleiben wird (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Matthäus
und daß ein Entlastungsvolumen von mehr als 35 Mil- Maier [SPD]: Müdes Klatschen!)
liarden DM erbracht wird. Genau das haben wir ge-
tan. Wir haben für 1991 die Eckwertebeschlüsse vom
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) letzten Herbst durch den Haushaltsentwurf verwirk-
licht. Wir haben das angekündigte Entlastungsvolu-
Mit dem Entlastungsvolumen des letzten Jahres ist men von ursprünglich 35 Milliarden DM mit 37 Mil-
das ein Konsolidierungsprogramm von 50 Milliarden liarden DM im Haushaltsentwurf noch übertroffen.
DM. Ein solches Konsolidierungsprogramm hat es seit Die Kreditaufnahme bleibt mit 69,6 Milliarden DM
1949 nicht gegeben. Insofern sind wir unserer soliden unter der selbst gesetzten Obergrenze.
Finanzpolitik treu geblieben.
(Müller [Schweinfurt] [SPD]: Glaubt er selber (Poß [SPD]: Makulatur!)
nicht! — Lachen und weitere Zurufe- von der
SPD) — Makulatur ist möglicherweise das, was Sie heute
noch einbringen.
— Ich freue mich, daß sich darüber auch der Kollege
Vogel freut. Eine gemeinsame Freude früh um 9 Uhr (Dr. Struck [SPD]: Nun aber vorsichtig! —
am Donnerstag, das ist doch eine schöne Angelegen- Weitere Zurufe von der SPD)
heit.
— Ich weiß es nicht, aber ich nehme an, der Einwurf
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) war von Herrn Gysi.
Der Regierungsentwurf zeigt auch: Durch zusätzli-
che nationale und internationale Anforderungen (Dr. Vogel [SPD]: So blamieren Sie sich!)
steht die Finanzpolitik in Deutschland vor den größ-
ten Herausforderungen in der Nachkriegsgeschichte. — Entschuldigung, Herr Kollege Vogel. Ich glaube,
Die besondere Situation der Jahre 1991/92 ergibt sich daß ich — — Er war von Ihnen; dann bitte ich um Ent-
schuldigung. Bei Ihnen werte ich es anders, als wenn
aus der gewaltigen Dimension der zu bewältigenden
Finanzierungsaufgab en, aus der Schwierigkeit ihrer es von Herrn Gysi gekommen wäre.
Planbarkeit und schließlich aus ihrer Zwangsläufig- (Dr. Vogel [SPD]: Sie sollten öfter um Ent
keit. Nicht die Finanzpolitik, nicht die Haushaltspoli- schuldigung bitten!)
tik, sondern die weltpolitische Situation und unsere
Handlungspraxis haben das Tempo der Wiederverei- Aber Makulatur ist das, was Sie in Ihrer ganzen Fi-
nigung bestimmt. nanzpolitik bis 1982 geleistet haben. Das will ich Ih-
Auch der Golfkonflikt und die Entwicklung in den nen einmal sagen.
mittel- und osteuropäischen Ländern vollziehen sich
nicht nach den Vorgaben unserer ursprünglichen (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel
Haushaltsplanung. Von der Finanzpolitik wird viel- [SPD]: Das ist ja doch ein starkes Stück!
mehr zu Recht Flankensicherung für die anstehenden „Erblast" wahrscheinlich!)
nationalen und internationalen Aufgaben erwartet. Sie müssen ja froh sein, daß wir damals die Finanzpo
Wir haben diese Flankensicherung bisher ohne Brü- litik übernommen haben. Sonst könnten Sie sich an
che und Verspannungen geleistet. Aber es gibt Gren- der Einheit Deutschlands überhaupt nicht freuen. Un-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 341
Bundesminister Dr. Waigel
ter Ihren finanzpolitischen Bedingungen hätte sie ziert werden konnte? Sollen wir uns dafür entschuldi-
überhaupt nicht durchgeführt werden können. gen, daß mit dem Überleitungsvertrag — 50 Jahre
(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel nachdem der erste sowjetische Soldat deutschen Bo-
[SPD]: Lieber Gott, so etwas Kümmerli den betreten hat — der letzte sowjetische Soldat deut-
ches!) schen Boden wieder verlassen wird? Das ist unsere
Politik gewesen und nicht die Ihre, Herr Kollege Vo-
Wir haben umfangreiche Einsparungen und Um- gel!
schichtungen — z. B. im Verteidigungsbereich —
durch eine systemgerechte Finanzierung der zusätzli- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
chen Kosten der Arbeitslosigkeit, durch den Abbau neten der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Leute ge
von Finanzhilfen und durch Umschichtungen zugun- täuscht! „Keinem geht es schlechter, keiner
sten der neuen Bundesländer beschlossen. muß ein Opfer bringen"!)
Der Ausgabenanstieg im Finanzplanungszeitraum Warum nimmt die SPD unsere gewaltigen finanziel-
1992 bis 1994 bleibt mit durchschnittlich 1,7 % weit len Leistungen für die neuen Bundesländer, die Er-
unter dem erwarteten Anstieg des Bruttosozialpro- richtung des Fonds Deutsche Einheit, die Vielzahl der
dukts. Genau das ermöglicht ja Spielräume für die Programme und Unterstützungsmaßnahmen, mit de-
Finanzpolitik, die früher, als die Steigerungsraten des nen wir den wirtschaftlichen Neubeginn in den neuen
Haushalts ständig über der Steigerungsrate des B ru t- Bundesländern ermöglichen, nicht zur Kenntnis?
tosozialprodukts lagen, nicht vorhanden waren. Und: Im April letzten Jahres habe ich bei den Finanzmi-
Die durch Art. 115 des Grundgesetzes vorgegebene
nistern auf die Frage, was die deutsche Einheit kosten
Grenze für die Kreditaufnahme wird bereits ab 1992
könnte, gesagt: Ich kann mich weder für die Unter
wieder erreicht.
noch für die Obergrenze verbürgen. Es mag sein, daß
Wir werden unsere finanzpolitischen Entscheidun- sie im Jahre 1991 40 Milliarden bis 60 Milliarden DM
gen auch in den kommenden Monaten nach dem beträgt.
sachlich Notwendigen und gesamtwirtschaftlich Ver-
tretbaren treffen. Wir werden uns nicht von Wunsch- (Dr. Vogel [SPD]: Aber Steuererhöhungen
vorstellungen leiten lassen, wir werden aber auch wird es nicht geben, haben Sie gesagt!)
nicht auf diejenigen hören, die nichts anderes als Zu- Dann, Herr Kollege Vogel, sind die Finanzminister der
sammenbruch, Katastrophen und Schreckensbilder SPD — —
kennen.
(Dr. Vogel [SPD]: Steuererhöhungen gibt es
Ich habe mich nie dazu verstiegen, das Ausmaß der
nicht, haben Sie gesagt!)
notwendigen Investitionen in die deutsche Einheit
bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma zu bezif- — Herr Kollege Vogel, wenn Sie hier stehen, dann
fern. Wir waren immer der Meinung: Es ist nicht vor- legen Sie großen Wert — —
aussehbar und von niemandem berechenbar, was dies
genau kostet. Auch heute kann dies noch niemand (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD])
berechnen. — Entschuldigung, Herr Kollege Vogel, ich darf Sie
-
(Beifall bei der CDU/CSU) doch einmal ansprechen.
Darum ist die Forderung des Kollegen Vogel — die (Dr. Vogel [SPD]: Die Entschuldigung ist ge
er in den letzten Tagen erhoben hat — nach einer Ent- währt!)
schuldigung wegen angeblich falscher Prognosen ge-
radezu absurd. Ich will Sie nur ganz höflich und freundschaftlich an-
sprechen: Wenn Sie hier stehen, dann bitten Sie
(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel darum, daß man Ihnen zuhört. Nur um dies bitte ich
[SPD]: Wählertäuschung!) Sie jetzt auch. Sie können sich anschließend gerne
Sollen wir uns vielleicht dafür entschuldigen, in der melden; Sie haben ja diese Möglichkeit. Im übrigen
historischen Sekunde, in der die Wiedervereinigung habe ich gegen Zwischenrufe nichts einzuwenden.
möglich war, durch die unverzügliche Schaffung der (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel
Wirtschafts- und Währungsunion das Tor zur deut- [SPD]: Die Präsidentin hat erlaubt, daß wir
schen Einheit weit aufgestoßen zu haben? bei Ihnen zwischenrufen können!)
(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord — Selbstverständlich, ich habe dagegen überhaupt
neten der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Mölle nichts einzuwenden; das ist nicht mein Problem. Im
mann entschuldigt sich doch schon!) Gegenteil, es ermuntert mich. Wenn es Ihnen guttut,
Wenn es jemanden in diesem Hause gibt, der darüber freut es mich. Wenn Sie aber vielleicht zuhören könn-
nachdenken sollte, wie oft er sich im letzten Jahr geirrt ten, würde es Ihnen nicht einmal schaden.
hat, dann wären das Sie und Ihre Freunde, Herr Kol-
(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel
lege Vogel.
[SPD]: Nur los! Sagen Sie einmal etwas!)
(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel
[SPD]: Mein lieber Mann, aus Ihnen spricht Herr Kollege Vogel, fair war es nicht, daß dann die-
das schlechte Gewissen!) jenigen aus Ihren Reihen, denen man mutmaßliche
Größenordnungen der Kosten der deutschen Einheit
Sollen wir uns dafür entschuldigen, daß der Eini- genannt hat, in die Landtagswahlkämpfe gegangen
gungsvertrag in kurzer Zeit zustande kam und ratifi sind und jeder Gemeinde und jeder Stadt vorgerech-
342 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Bundesminister Dr. Waigel


net haben, welcher Kindergarten dann nicht gebaut tätsengpässe in den öffentlichen Haushalten geben.
werden könne. Fehlerquellen liegen in der Verwaltung, aber nicht in
einer mangelhaften finanziellen Ausstattung. Wir ha-
(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord
ben ausreichend Mittel bereitgestellt, damit kein
neten der FDP — Dr. Rose [CDU/CSU]: Schä
Land, keine Stadt und keine Gemeinde zum Konkurs-
big war das!)
richter gehen muß. Rese rven der neuen Länder bei
Feststeht: Wir haben zu keinem Zeitpunkt die Inter- der Deutschen Bundesbank und Festgeldanlagen bei
essen der neuen Bundesländer zurückgestellt oder Banken sind kein Zeichen allgemein drohender llli-
die berechtigten Forderungen und Wünsche ignoriert. quidität. Nach Auskunft der Deutschen Bundesbank
Es wurde vielmehr das getan, was notwendig und ver- verfügten die östlichen Länder — ohne Berlin — am
nünftig ist. Rechnet man alle Finanzierungsinstru- 19. Februar 1991 über ein Guthaben von 8,7 Milliar-
mente und Programme zusammen, ergeben sich in den DM.
den nächsten vier Jahren staatliche Finanzierungs-
(Dr. Vogel [SPD]: Unfair!)
ströme mit einem Volumen von mehreren 100 Milliar-
den DM zugunsten der neuen Bundesländer. Ich Ich sage das, meine Damen und Herren, ohne jeden
nenne nur beispielhaft den Fonds Deutsche Einheit Vorwurf. Ich sage das nur als Feststellung. Das zeigt
mit 115 Milliarden DM im Zeitraum von 1990 bis 1994, doch eines ganz deutlich: Natürlich ist auch über die
die zahlreichen Investitions-, Existenzgründungs- Finanzausstattung noch einmal zu sprechen. Aber ich
und Industrieansiedlungsprogramme mit einem Ge- glaube nicht, daß das Hauptproblem im Augenblick
samtvolumen von 65 Milliarden DM, die Investitionen das Geld allein ist,
der Deutschen Bundespost mit insgesamt 55 Milliar- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)
den DM, die Kreditermächtigung der Treuhandanstalt
für Privatisierung und Sanierung mit 25 Milliarden sondern das Hauptproblem liegt in der Verwaltung, in
DM sowie die zuletzt beschlossenen steuerlichen der Effizienz,
Maßnahmen: Verzicht auf Gewerbekapital- und Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
mögenssteuer, Sonderabschreibungen und den Frei-
betrag für Lohn- und Einkommensbezieher für das im Mittelabfluß.
Gebiet oder für die Bürger in den fünf neuen Bundes- (Glos [CDU/CSU]: Soll sich doch der Herr
ländern. Möllemann um diese Dinge kümmern!)
Diese Maßnahmen können — das weiß jeder — nur Und das ist das Entscheidende, worauf wir uns meines
mit zeitlicher Verzögerung auf Investitionen und Be- Erachtens stürzen müssen, was wir angehen müssen:
schäftigung durchschlagen. Man sollte sich einmal daß wir hier Fachleute zur Verfügung stellen, daß wir
daran erinnern, wie wir geschmäht und angegriffen hier Fachleute ausbilden und alles daran setzen, um
worden sind wegen unserer Finanz- und Steuerpolitik den Menschen durch die direkte Umsetzung der Pro-
in den Jahren 1982, 1983 und 1984. Und es hat sich gramme und der Finanzierungsmöglichkeiten zu hel-
herausgestellt: Sie war richtig und hat zu dem läng- fen. Das scheint mir der entscheidende Schwerpunkt
sten Konjunkturaufschwung der deutschen Wirt- zu sein, der sich unserer Arbeit in den nächsten Ta-
schaftsgeschichte seit 1949 geführt. gen, Wochen und Monaten stellt.
-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, nach unseren Einschät-
Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit zungen — und diese Einschätzungen stimmen mit
wird — das wissen wir, das wußten wir — leider noch denjenigen der alten Bundesländer überein — sind in
zunehmen. Aber die marktwirtschaftlichen Struktu- der Haushaltsplanung einiger östlicher Bundeslän-
ren wachsen bereits. 267 000 Gewerbeanmeldungen der verschiedene Positionen enthalten, die einer
sind ein klarer Beweis für Initiative und Leistungswil- exakteren Nachprüfung nicht standhalten. Darüber
len. wurde gestern in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe
intensiv beraten. Wir werden diese Beratungen fort-
Im Mittelpunkt der marktwirtschaftlichen Erneue- setzen.
rung — und damit auch kritischer Beurteilungen —
In den Voranschlägen der neuen Bundesländer
steht die Arbeit der Treuhandanstalt. Bei der Auf-
sind umfangreiche Preisstützungsmaßnahmen ent-
gabe, rund 8 000 Unternehmen in P rivateigentum zu
halten, die nach unseren Vorstellungen rascher abge-
überführen, gibt es zwangsläufig Schwierigkeiten. Ich
baut werden sollten, als dies einige östliche Bundes-
bitte das bei a ll er Kritik an der Treuhandanstalt und
länder vorsehen. Auch sind die sächlichen und perso-
ihrer Arbeit mit in Betracht zu ziehen. Die Arbeit in der
nellen Verwaltungsausgaben im Vergleich zu westli-
Treuhandanstalt ist inzwischen organisiert und durch-
chen Bundesländern überhöht. Es bestehen auch
aus erfolgreich. Rund 700 Unternehmen mit 300 000
Zweifel, ob sich das veranschlagte Investitionsvolu-
Arbeitsplätzen sind privatisiert. Die Privatisierung von
men von der Kapazität der Verwaltung und der Bau-
Einzelhandel und Gaststätten ist fast abgeschlossen,
und alte Seilschaften in ehemals volkseigenen Betrie- wirtschaft her überhaupt realisieren läßt. Darum ja
auch unsere Forderung, daß Planungsvorhaben und
ben werden aufgebrochen. Ich bin sicher: Gerade
durch die jetzt wirksam werdende Arbeit der Treu- ähnliches mehr gerade in den neuen Bundesländern
entscheidend verkürzt werden.
handanstalt wird der wirtschaftliche Neubeginn im
Beitrittsgebiet maßgeblich gefördert. (Beifall bei der CDU/CSU)
Auch im staatlichen Bereich droht kein Zusammen- Wir können dort nicht mit den Planungs- und Geneh-
bruch wie manchmal befürchtet. Bei ordnungsgemä- migungszeiträumen rechnen und zufrieden sein, wie
ßer Weiterleitung der Mittel dürfte es keine Liquidi sie im alten Bundesgebiet üblich sind.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 343

Bundesminister Dr. Waigel


Insgesamt erscheinen die von den östlichen Bun- kommunistischen Machtbereichs. Es kann nicht in un-
desländern angesetzten Ausgaben von über 108 Mil- serem Interesse liegen, daß dort die neuen Demokra-
liarden DM und das sich daraus ergebende Defizit von tien und neue freie Volkswirtschaften angesichts der
über 50 Milliarden DM zu hoch. Nach unseren Vor- ungeheuer schwierigen Bedingungen in sich zusam-
stellungen lassen sich die Ausgaben um über 30 Mil- menbrechen und damit eine ernste Gefahr für unseren
liarden DM und das Defizit um mindestens die Hälfte Frieden und unsere Freiheit darstellen.
reduzieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der bei Abgeordneten der SPD)
Finanzausstattung des Beitrittsgebiets muß von den
westlichen Bundesländern kommen. Wir müssen die Konsequenzen einer dramatischen
Strukturkrise in der östlichen Hälfte Europas auch für
(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord die wirtschaftliche Entwicklung bei uns, nicht zuletzt
neten der FDP) für viele Bet riebe in den neuen Bundesländern, nüch-
Wir haben uns schon im letzten Jahr — damals leider tern sehen. Diesen Zusatzbedarf können wir mit der
vergeblich — entschieden für eine volle Einbezie- vorhandenen Finanzausstattung de facto nicht mehr
hung der neuen Bundesländer in die Umsatzsteuer- abdecken. Wir haben zwar haushaltstechnisch für den
verteilung eingesetzt. Ich habe mich mit Nachdruck deutschen Beitrag zur Lösung des Golfkonflikts in den
darum bemüht, aber damals nicht mehr erreicht, als ersten drei Monaten immerhin 11 Milliarden im Rah-
dann im Einigungsvertrag festgeschrieben worden ist. men unseres selbst gesetzten Kreditrahmens unterge-
Wäre man damals unserer Forderung gefolgt, würden bracht. Wir haben auch bereits erhebliche Milliarden-
sich heute viele Klagen erübrigen. Eine Finanzie- beträge in den Jahren 1990 und 1991 zugunsten unse-
rungsregelung, bei der der Bund allein in den Jahren rer östlichen Nachbarn eingeplant. Aber diese zusätz-
1990 und 1991 Leistungen von 110 Milliarden DM lichen Belastungen konnten nur durch Verzicht auf
übernommen hat, während die Länder in erster Linie notwendige nationale Maßnahmen getragen wer-
mit den noch geringen Zinskosten für ihren Anteil am den.
Fonds Deutsche Einheit belastet sind, kann keinen (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)
Bestand haben.
Die haushaltsmäßige Darstellung der zusätzlichen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Finanzierungsaufgaben ändert nichts an der Notwen-
Wir reden bei Bund und Ländern dabei nur über haus- digkeit, zum Ausgleich den Einnahmerahmen zu er-
haltswirksame Zahlen. weitern.
Ich möchte den Beitrag, den die Länder im direkten Zu den notwendigen nationalen Aufgaben gehört
Verwaltungsaustausch, in der Schulung, in der direk- das neue Gemeinschaftswerk für mehr Beschäftigung
ten konkreten Hilfe — viele Kommunen auch durch und Investitionen in den neuen Bundesländern. Die
Patenschaften — übernehmen, überhaupt nicht ge- Schwerpunkte dieses Programms konzentrieren sich
ringschätzen. Nur, meine Damen und Herren, es muß auf zusätzliche Verkehrsmaßnahmen, auf die Verbes-
noch viel mehr sein. Jeder Gemeinde, jeder Stadt, serung der kommunalen Infrastruktur, auf den Woh-
jedem Kreis und den Ländern ist noch mehr- zuzumu- nungs- und Städtebau sowie auf eine Anhebung der
ten. Man sollte aus jedem Bereich ein oder zwei Fach- Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
leute des einfachen, des mittleren, des gehobenen
und des höheren Dienstes zur Verfügung stellen, um Wir wollen den Menschen in den neuen Bundeslän-
drüben den Kommunen und Verwaltungen besser zu dern trotz aller Schwierigkeiten und Probleme eine
helfen, als das bisher der Fall gewesen ist. positive wirtschaftliche und berufliche Perspektive si-
chern. Über Einzelheiten unseres Finanzierungskon-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zepts werden wir jetzt in der Koalition beraten und
Ich begrüße die grundsätzliche Bereitschaft der al- entscheiden.
ten Bundesländer, über die Umsatzsteuer einen grö- Dabei werden wir uns an den folgenden Kriterien
ßeren Beitrag zur Finanzierung der Einheit zu leisten. orientieren: Der Finanzrahmen muß alle erkennbaren
Bei der heutigen Finanzministerkonferenz können wir Risiken abdecken. Die notwendigen Steuererhöhun-
gemeinsam unter Beweis stellen, wie lebensfähig un- gen dürfen Wachstum, Investitionen und Beschäfti-
sere föderale Ordnung unter schwierigen Bedingun- gung nicht gefährden, und die Finanzierung der un-
gen ist. Bund und Westländer gemeinsam sind in der abweisbaren Mehraufwendungen muß von allen Be-
Lage, das Notwendige für den Wiederaufbau in den völkerungsgruppen getragen werden.
neuen Bundesländern zu finanzieren.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in den (Dr. Dregger [CDU/CSU] : Sehr gut!)
letzten Tagen und Wochen dazu bekannt — der Bun- Es geht um die solidarische Bewältigung nationaler
deskanzler, die Koalitionsparteien — , daß Einnahme- Herausforderungen, die uns alle betreffen.
verbesserungen angesichts der Herausforderungen
unverzichtbar und unumgänglich sind. Entscheiden- Alternativen zu einer spürbaren Verbesserung der
der Grund für notwendige Einnahmeverbesserungen Steuereinnahmen kann ich nicht erkennen. Selbst
sind folgende Faktoren: der Golfkonflikt, der trotz des wenn der Golfkonflikt innerhalb weniger Tage been-
von uns allen herbeigesehnten, hoffentlich raschen det sein sollte, bleiben wir mit den bisher angefalle-
Endes erhebliche finanzielle Risiken birgt; des weite- nen Kosten belastet. Und die Risiken aus dem ehema-
ren unsere Mitverantwortung für Freiheit und wirt- ligen Ostblockbereich bleiben unabhängig vom Golf-
schaftlichen Aufschwung in den Ländern des ehemals konflikt bestehen.
344 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Bundesminister Dr. Waigel


Ich bin natürlich für jeden Vorschlag dankbar, wie Ich nehme Sie gerne einmal mit, Herr Duve, zur IWF-
die erheblichen zusätzlichen Belastungen ohne Konferenz,
Steuererhöhungen zu bewältigen sind.
(Dr. Rose [CDU/CSU]: Davon versteht der
(Dr. Vogel [SPD]: Das hat Herr Möllemann nichts!)
gesagt!)
damit Sie dort auch einmal etwas von Geld und Kredit
Ich bitte jedoch auch aus der theoretischen Warte mitbekommen und nicht nur mit dem lauten Wort
mancher Forschungsinstitute und unabhängiger Insti- umgehen.
tutionen, deren Rat ich sehr schätze, folgendes nicht
zu übersehen Wir sind bisher unserer Herausforderung gerecht
geworden. Jedermann muß wissen, daß wir unsere
(Dr. Vogel [SPD]: Ist das zum Beispiel Herr internationalen Verpflichtungen nur erfüllen können
Rühe, Herr Möllemann, Herr Lambsdorff? und uns damit treu bleiben, wenn wir dafür den Kapi-
Forschungsinstitut Rühe!) talmarkt nicht weiter in Anspruch nehmen. Für diesen
— nein, ich schaue auf Sie — : Wir haben innerhalb Zweck ist eine stärkere Erhöhung der Steuern unum-
eines Zwei-Jahres-Zeitraums 1990/91 beim Bund be- gänglich. Damit erbringen wir unseren bisher schon
reits Haushaltsentlastungen von rund 50 Milliarden sehr produktiven Beitrag zum internationalen Fort-
DM verwirklicht, 37 Milliarden DM im Haushaltsent- schritt, zur internationalen Stabilität und zum Wachs-
wurf für 1991, rund 13 Milliarden DM durch die tum in der Welt wie kaum eine andere Nation unter
Nachtragshaushalte für 1990 und den zurückgezoge- den Weltwirtschaftsmächten.
nen ursprünglichen Entwurf zum Haushalt 1991. (Zustimmung bei der CDU/CSU)
Wir haben bereits mit der Steuerreform 1990 13 Mil- Weil wir bisher die Investitionen in die deutsche
liarden DM an Steuervergünstigungen und Steuer- Einheit nur zu einem Teil über zusätzliche Kreditauf-
subventionen gestrichen. In den Koalitionsvereinba- nahme finanziert haben, weil in der Bundesrepublik
rungen haben wir weitere Einschnitte mit einem Volu- die Ersparnis unverändert weit über dem Durch-
men von 6,5 Milliarden DM bei den Steuervergünsti- schnitt der westlichen Industrieländer liegt und weil
gungen und Finanzhilfen vorgesehen. die Geldwertstabilität nicht in Frage gestellt ist, konn-
Zusammen mit der vorgesehenen Gegenfinanzie- ten wir in den letzten zwölf Monaten das Zinsniveau
rung der ersten Stufe der Unternehmensteuerentla- bei 9 % halten. Entgegen manchen Befürchtungen
stung, nämlich Einschränkung der Abschreibungs- nach den jüngsten zinspolitischen Beschlüssen der
spielräume, und dem Abbau der Berlin- und Zonen- Bundesbank ist jetzt der Kapitalmarktzins sogar um
randförderung kommen wir dann auf ein Subven- 0,7 Prozentpunkte zurückgegangen, und auch der
tionsabbauvolumen von rund 40 Milliarden DM. Zinsabstand zu den Vereinigten Staaten hat sich deut-
lich verringert. Das ist der beste Beweis für das Ver-
Meine Damen und Herren, das ist schon eine ganze trauen in unsere Finanzpolitik, der Beweis für die
Menge. Wer mehr will, muß dann auch sagen, wie das Konsequenz und Solidität, mit der wir die drastisch
zu bewältigen ist und welche Einschnitte das mit sich gestiegenen nationalen und internationalen Anforde-
bringt. rungen bewältigen.
(Dr. Vogel [SPD]: Weiß Herr Lambsdorff 1990 war das Jahr des Aufbruchs zu Frieden und
das?) Freiheit. Die Menschen in Ost und West konnten auf
— Nein, ich höre auch immer wieder viele Subven- eine bessere Zukunft hoffen, auf Sicherheit und Ver-
tionsabbauvorschläge aus den Reihen der SPD, die ich ständigung zwischen den Völkern.
für völlig illusionär halte. —
Manches von dem, was wir 1990 weltweit erträum-
(Dr. Vogel [SPD]: Warum machen Sie einen ten und erhofften, scheint nun in Gefahr. Die Grau-
solchen Bogen um Herrn Lambsdorff?) samkeiten des Krieges sind in unser Bewußtsein zu-
rückgekehrt. Der Prozeß der Marktwirtschaft und De-
Noch weitergehende Einschnitte und Umschichtun- mokratie ist in vielen Ländern schwieriger als zu-
gen sind problematisch. Wir müssen auch die Auswir- nächst erwartet. Niemand weiß, welchen Weg die öst-
kungen der gewaltigen Veränderungen im Umfang liche Weltmacht in den kommenden Monaten und
und in der Struktur der öffentlichen Haushalte auf die Jahren gehen wird.
Einkommen und die Absatzbedingungen der Bet riebe
in Ost und West in Rechnung stellen. Wir können an einem Kurswechsel am allerwenig-
sten interessiert sein. Unsere Aufgabe ist es, in inter-
Steuererhöhungen, meine Damen und Herren, sind
nationaler Solidarität die Weichen richtig zu stellen.
auch unter internationalen Aspekten richtig. Unsere
Wir werden materielle Beiträge zur Bewältigung
Selbstverpflichtung der Begrenzung und Rückfüh-
internationaler Aufgaben entsprechend unserer ge-
rung — —
wachsenen weltpolitischen Verantwortung leisten.
(Duve [SPD]: Jetzt haben Sie aber ein Tor
Aber nicht alles ist eine Frage von D-Mark und Dol-
aufgemacht! Das ist ein tolles Argument! —
lar. Wir können uns eine Idylle in Wohlstand und Frie-
Poß [SPD]: Der Mann ist lernfähig!)
den weder durch höhere Kredite noch durch Steuer-
— Also, wenn jemand ein Tor mit dieser voluminösen erhöhungen kaufen. Wir müssen uns vielmehr enga-
Stimme aufmacht, dann kann es sich nur um Duve gieren; wir müssen Stellung beziehen, und wir müs-
handeln. sen sagen, was wir für Recht und für Unrecht hal-
(Heiterkeit) ten.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 345

Bundesminister Dr. Waigel


Wir sind gerüstet und stark genug, um auch die aldemokratischer Warnungen, nicht zuletzt von Oskar
Doppelbelastung der nationalen und internationalen Lafontaine,
Verpflichtungen zu tragen. Wir leisten unseren Bei-
trag zur nationalen und internationalen Solidarität. (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/
CSU)
Mit dem Haushalt für das Jahr 1991 und mit den
weiteren finanzpolitischen Entscheidungen werden angesichts eindringlicher Warnungen auch von vielen
wir unserer Verantwortung und den Herausforderun- Sachverständigen und Wirtschaftsleuten heute nur
gen der Zukunft gerecht. noch zornig machen.
Ich danke Ihnen. (Zuruf von der CDU/CSU: Beleidigen Sie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Engholm nicht!)
Trotzdem: Einsicht ist der erste Schritt zur Besse-
rung. Die dramatische Situation in den neuen Län-
Präsidentin Dr. Süssmuth: Bevor ich dem nächsten dern scheint also inzwischen selbst von der Bundesre-
Redner das Wort gebe, möchte ich Herrn Dr. Vogel im gierung begriffen worden zu sein. Deshalb gestatten
Namen des Hauses nachträglich ganz herzlich zu sei- Sie mir zur Vergegenwärtigung der Situation nur ei-
nem 65. Geburtstag gratulieren, den er am 3. Februar nige ganz wenige Beispiele.
begangen hat. Herzlichen Glückwünsch und Dank für
Ihre Arbeit. Im Januar dieses Jahres betrug die Arbeitslosen-
(Beifall) quote im östlichen Deutschland 21 %; die Kurzarbei-
ter selbstverständlich eingeschlossen. In manchen Re-
Ich erteile dem Abgeordneten Herrn Thierse das gionen der neuen Länder ist bereits jeder zweite ar-
Wort. beitslos. Prognosen über 40 % Arbeitslose Mitte des
Jahres sind nicht unrealistisch.
Thierse (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und In der Stadt Potsdam werden pro Monat 10 Millio-
Herren! Herr Waigel, nachdem ich Ihnen mit Auf- nen DM benötigt, um die Wärmeversorgung zu ge-
merksamkeit und, wie Sie bemerkt haben, ohne jeden währleisten. Selbstverständlich ist der Bedarf nicht
Zwischenruf zugehört habe gedeckt, weil man nicht weiß, woher man die Mittel
nehmen soll, weil man der Zusage der Bundesregie-
(Glos [CDU/CSU]: Weil Ihnen nichts einge rung, für diesen Bedarf einzustehen, irrtümlich ver-
fallen ist!)
traut hat.
— mal sehen —, frage ich mich und frage ich Sie:
Wann waren Sie eigentlich zum letztenmal in einem In Magedeburg hat die Stadtverwaltung errechnet,
der sechs neuen Länder, daß sie über 200 Milliarden DM benötigt, um allein
die Wohnungssubstanz zu erhalten; da ist weder von
(Beifall bei der SPD) Sanierung noch von Renovierung und schon gar nicht
in einem Rathaus, in einem der Betriebe, die jetzt vor von Neubau die Rede. Aber das Geld fehlt.
der Schließung stehen, und unter Leuten, die arbeits-
los sind oder von „Kurzarbeit Null" betroffen sind, (Dr. Vogel. [SPD]: Leider wahr!)
-
also nichts zu tun haben? Ich denke, wenn Sie dort Die Werftarbeiter in Rostock hatten die Hoffnung,
gewesen wären, würden Sie über die dortige Situation durch die Wartung von Schiffen der NVA, die jetzt der
anders reden. Bundeswehr gehören, einen guten Teil ihrer Arbeits-
Wiederum — zum wievielten Male und wie lange plätze erhalten zu können. Sie stellen nun fest, daß der
noch? — muß über die Sorgen Verteidigungsminister die Schiffe in Westdeutschland
warten läßt.
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Jetzt beginnen Sie
mit einer Unverschämtheit! — Dr. Dregger (Dr. Vogel [SPD]: Warum? — Frau Dr. Däub
[CDU/CSU]: Unerhört! — Uldall [CDU/ ler-Gmelin [SPD]: Hört! Hört!)
CSU]: Wann waren Sie das letztemal im Fi
Die Treuhand läßt ohne Konzept Bet riebe in die
nanzministerium und haben sich erkundigt?
Pleite laufen — Interflug ist nur ein besonders drasti-
— Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist wirklich
sches Beispiel —, weil Entscheidungen zu lange dau-
zu billig! — Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Ganz
ern, für die Belegschaft undurchsichtige Kriterien an-
kleine Münze ist das!)
gewandt werden und nicht einmal daran gedacht
der Menschen in den östlichen Bundesländern gere- wird, welche Folgen für die von Ihnen so viel gelobten
det werden, kleinen und mittleren Betriebe eintreten, wenn Groß-
(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ betriebe wie Polygraph, Carl Zeiss, Robotron, Wart-
CSU: Seit 40 Jahren schon!) burg usw. ersatzlos geschlossen werden.
über ihre beängstigende Situation und über das Ver- Die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse ist ein
sagen der Bundesregierung. Verfassungsauftrag. Wir haben dieses Verfassungs-
(Widerspruch bei der CDU/CSU) gebot frühzeitig ernst genommen. Wir wußten, wel-
ches Erbe die SED hinterlassen hat, welche außeror-
Kleinlaute Eingeständnisse, man habe etwas dentliche politische, wirtschaftliche, soziale Aufgabe
„falsch eingeschätzt" , etwas „unterschätzt", eine „Di- vor uns steht. Wir haben das den Wählern auch vor
mension nicht erkannt" — alles Zitate von Möllemann dem 2. Dezember gesagt.
oder Rühe — können mich angesichts einer langen
Debatte zwischen den Parteien, angesichts auch sozi (Beifall bei der SPD)
346 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Thierse
Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien ha- stimmen, womit und von wem der von Ihnen grundlos
ben sich in diesem Punkt lieber eine Schonfrist von erhöhte Preis der Einheit bezahlt werden muß.
mehreren Monaten gegönnt. Sie haben es verschwie-
Herr Waigel, mir dröhnen die Ohren von Ihrem un-
gen oder wundersame Geschichten von den Selbst- überhörbaren Schweigen, einem Schweigen, das nun
heilungskräften des Marktes erzählt, eines Marktes,
schon seit Monaten anhält und immer lauter wird. Seit
dessen Zusammenbrechen sie im übrigen tatenlos zu-
Sommer vorigen Jahres haben wie Sie aufgefordert,
gesehen haben.
Zahlen über die Kosten der deutschen Einheit zu nen-
(Uldall [CDU/CSU]: Im Schwarzmalen wa nen und Vorschläge zu machen, wie diese Kosten ver-
ren Sie schon immer besonders gut, auch nünftigerweise aufzubringen sind.
heute wieder!) (Fuchtel [CDU/CSU]: Und was haben Sie ge
— Sie waren offensichtlich wirklich noch nie im ande- tan?)
ren Teil Deutschlands; sonst wüßten Sie nämlich, wie Wir haben Sie immer wieder geradezu angefleht, sol-
schwarz es dort in Wirklichkeit ist. che Vorschläge zu machen, nicht um sie abzulehnen,
(Beifall bei der SPD — Dr. Rüttgers [CDU/ nicht um uns vor der Verantwortung zu drücken,
CSU]: Wir handeln und Sie reden; das ist der (Fuchtel [CDU/CSU]: Natürlich!)
Unterschied!)
sondern um sie, wo irgend möglich, mitzutragen um
Es gibt gewiß viele Ursachen für die gegenwärtige der Qualität der deutschen Einigung willen.
katastrophale Misere im östlichen Deutschland. Zur
(Beifall bei der SPD)
Ergänzung Ihres Katalogs der Ausreden nenne ich nur
drei dieser Ursachen: erstens die investitionsfeindli- Jeder weiß, was jetzt erforderlich ist. Aber der Bun-
che Fehlentscheidung zur Eigentumsfrage im Eini- desregierung möchte ich es vorsichtshalber noch ein-
gungsvertrag, die wir nicht zuletzt Herrn Lambsdorff mal sagen: Die Menschen brauchen Arbeit.
zu verdanken haben, Woher kann sie kommen? Wir stellen heute einen
(Beifall bei der SPD) Entschließungsantrag. Ich will ihn nicht ausführlich
referieren, sondern daraus nur drei Schwerpunkte er-
zweitens den erbarmungslosen Verdrängungswett- läutern:
kampf westdeutscher Firmen und Handelsketten ge-
gen Ostprodukte, so daß der Binnenmarkt für eigene Erstens. Die öffentlichen Hände müssen investie-
Produkte der neuen Ländern zusammengebrochen ren: in das Verkehrswesen, in das Kommunikations-
ist, wesen, in Wohnungen — Erhalt, Erneuerung, Neu-
(Beifall bei der SPD) bau — , in die Wasserversorgung, in die Energiever-
sorgung und in das Energiesparen. Die öffentlichen
drittens und vor allem den vollständigen Ausfall von Hände müssen ihre Dienstleistungseinrichtungen er-
Wirtschaftspolitik aus Bonn im letzten halben Jahr. halten und ausbauen. Das gilt vor allem für das Ge-
sundheitswesen, die Kinderbetreuung, die Justiz und
(Beifall bei der SPD)
— mit Verlaub — die Kultur.
Wo blieb denn das reich entfaltete wirtschaftspoli-
- Zweitens. Die Länder und Gemeinden brauchen
tische Instrumentarium, das möglich und sinnvoll ge- dringend ausgebildetes, hockqualifiziertes Personal.
wesen wäre und immer noch ist: von der Gewährung Das heißt, sie brauchen auch die Mittel, um diese
von Mehrwertsteuerpräferenzen für das Gebiet der Menschen angemessen zu entlohnen. Es gibt im übri-
ehemaligen DDR bis zu für die neuen Länder beschäf- gen gute Leute nicht nur in westdeutschen Behörden,
tigungswirksamen Auflagen bei Staatsaufträgen an es gibt engagierte und qualifizierte Menschen auch in
Firmen in Westdeutschland oder für Aufträge in den sogenannten Warteschleifen.
neuen Bundesländern, von der Förderung p rivater In-
vestitionen durch Sofortabschreibungen oder Investi- (Beifall bei der SPD und des Abg. Schulz
tionszulagen bis zu Bürgschaften, Beteiligungsgesell- [Berlin] [Bündnis 90/GRÜNE])
schaften und bis zur Übernahme sanierungsfähiger Drittens. Wir brauchen private Investitionen. Der
Betriebe in industrielles Bundesvermögen, wie es bei Staat kann dazu etwas sehr Einfaches tun: Er kann
VW und Salzgitter in der Geschichte der Bundesrepu- diese Investitionen verbilligen. Meinetwegen können
blik so erfolgreich geschehen ist? sie ganz abgeschrieben oder ganz bezuschußt wer-
Nichts von alledem! Es gibt auch keinerlei Ansatz den. Wenn wir ein solches Angebot bef ristet unter-
zu einer Industrie- und Strukturpolitik für die neuen breiten, werden wir endlich an die Arbeit gehen kön-
Länder, sondern nur Zuwarten, Bagatellisieren, nen. Alles, was uns heute regional und sektoral weg
Schönreden, eine Politik der Selbsttäuschung und bricht, wird uns morgen fehlen und alle in Deutsch-
der Täuschung anderer. land auf Dauer belasten. Man sollte lieber jetzt bei den
investiven Ausgaben großzügig sein, als über Jahre
(Beifall bei der SPD) einen Berg von rein konsumptiven Sozialausgaben
Es ist nicht mehr die Erblast der SED allein. Es sind mit sich herumzuschleppen.
auch Ihre Versäumnisse, zu deren Wiedergutma- (Beifall bei der SPD)
chung wir als Opposition mahnen müssen.
Über das zuletzt Gesagte besteht wahrscheinlich
Aber eines bleibt dabei klar: Sie sind die Bundesre- weitgehende Einigkeit. Aber — so lautet die peini-
gierung, Sie haben die Verantwortung, und Sie haben gende Frage — : Wer soll das bezahlen? Unsere Ge-
die Mehrheit hier im Hause, mit der Sie darüber be genfrage war stets: Wieviel wird es denn kosten?
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 347
Thierse
Auch ich kann mich auf keine Summe festlegen. Ich Wir haben zur deutschen Einheit ja gesagt, und wir
bin kein Finanzminister und habe auch keinen Appa- sagen auch zur Überwindung der Teilung durch Tei-
rat. Von einem zusätzlichen Bedarf von 200 bis len ja.
230 Milliarden DM in den nächsten vier Jahren ist die
Rede. Ich vermute nach den Beobachtungen des letz- Wir werden Ihre Vorschläge, die Sie machen müs-
ten Jahres, es könnten sogar noch mehr werden. sen — Sie sind schließlich in der Regierung — , prüfen.
Wenn die Steuern sozial gerecht und ökologisch ver-
Wir stehen zu unseren Wahlkampfaussagen. Eine nünftig sind, wenn weitere Kreditaufnahmen auf das
der wichtigsten lautete, ohne Steuererhöhungen engste begrenzt bleiben — das ist ein Gebot der wirt-
werde es nicht gehen. schaftlichen Vernunft — und wenn das böse Spiel auf-
hört, arme und reiche Bundesländer, östliche und
(Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!)
westliche Bundesländer, SPD- und CDU-regierte
Das haben wir vor der Wahl gesagt. Bundesländer gegeneinander auszuspielen, dann
kann man mit der Opposition reden.
(Beifall bei der SPD)
An die Stelle von T ricks auf Kosten der Bundeslän-
Eine pauschale Zustimmung zu Steuererhöhungen,
der müssen zwei Grundsätze treten:
wie die Regierungsparteien sie uns jetzt abverlangen,
um ihren Wortbruch besser bemänteln zu können, Erstens. Alle Länder sind gleichzustellen. Aber
einen solchen vorauseilenden Gehorsam können Sie Gleichheit bedeutet, Ungleichheit zu berücksichti-
von uns nicht verlangen. gen.
(Beifall bei der SPD) (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]): Richtig!)
Ich fordere den Bundeskanzler deshalb auf: Kom- Mit dieser Maßgabe sind die neuen Länder den
men Sie auf uns zu! Gestehen Sie sich und uns ein, daß alten Ländern vergleichbar finanziell auszustatten!
Sie sich — ich will es freundlich bezeichnen — ver-
schätzt haben! Zweitens. Die öffentlichen Dienstleistungen und die
Gestaltungsspielräume der Länder dürfen dabei
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Sie machen sich nicht abgebaut werden.
lächerlich!)
Der wichtigste Grundsatz aber ist für die Sozialde-
Sie wissen, und wir wissen: Erhebliche Mehreinnah- mokraten, daß man nicht Steuern erheben kann, die
men des Staates sind notwendig. Sie sind notwendig alle treffen, wenn man zugleich Steuern für Einzelin-
für einen guten und vernünftigen Zweck, nämlich für teressenten drastisch senkt.
das friedliche Werk der deutschen Einigung.
Für die deutsche Einigung sind Ausgaben tausend- (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
mal vernünftiger verwendet als für Aufgaben im Zu- GRÜNE)
sammenhang mit einem Krieg. Die Steuersenkungspläne für Unternehmen und
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Spitzenverdiener gehören über Bord, Herr Waigel.
GRÜNE) Sonst können wir nicht mit ins Boot.
-
Herr Waigel, geben Sie sich einen Ruck! Machen (Beifall bei der SPD)
Sie seriöse, lautere und großzügige Vorschläge zur Daß Gleichbehandlung Ungleichheiten berücksich-
Finanzierung der deutschen Einigung tigen muß, gilt nicht nur für Bundesländer, sondern
(Dr. Thomae [SPD]: Das kann der nicht!) auch für die einzelnen Steuerzahler. Vom Kleinver-
diener kann nicht dasselbe erwartet werden wie vom
und zur Bewältigung der dramatischen Probleme in Millionär. Deshalb fordern wir eine Ergänzungsab-
den sechs neuen Ländern. Wir werden Ihre Vor- gabe von 10 % auf alle zu versteuernden Einkommen
schläge unvoreingenommen prüfen. Die SPD ist keine von 60 000 DM für Ledige bzw. 120 000 DM für Ver-
dumme Neinsagerpartei. heiratete.
(Zurufe von der CDU/CSU: Doppelstrategie! (Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU]: Die
— Doppelstrategie! — Glos [CDU/CSU]: Kleinverdiener zahlen überhaupt nichts! —
Man merkt, daß Sie neu sind in Bonn! — Bohl Dr. Laufs [CDU/CSU]: Nichts gelernt!)
[CDU/CSU]: Aber eine Neinsagerpartei!)
Wir fordern auch eine Arbeitsmarktabgabe, damit
Wir haben zur deutschen Einheit ja gesagt.
Beamte, Selbständige, Abgeordnete, Finanzminister
(Zurufe von der CDU/CSU: Wann? Wann?) und andere Minister sowie die inzwischen erheblich
gewachsene Anzahl von Staatssekretären ihre
— Sehr lange vor Ihnen! Chance zur Solidarität erhalten.
(Glos [CDU/CSU]: Lesen Sie einmal die Ge
(Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU]: Ein
schichte der Bundesrepublik nach!)
toller Gag!)
Ich weiß noch sehr genau, warum ich in die SPD ein-
getreten bin. Das hat etwas mit ihrem Verhältnis zur Es besteht dringender Handlungsbedarf. Dabei
deutschen Einheit zu tun, mit ihrem lange währenden muß finanziell großzügig sowie schnell und unbüro-
Verhältnis zu dieser Einheit. kratisch gehandelt werden. Das Geld, das wir heute in
einer gemeinsamen Anstrengung aufbringen, spa rt
(Beifall bei der SPD) unsmorgeichtGld.
348 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Thierse
Es geht um die Überwindung von Angst und Ver- rig der Weg ist, die Krise des Sozialismus nach 40 Jah-
zweiflung, die ganz schnell in Protest umschlagen ren Sozialismus zu überwinden.
kann,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Zuruf von der SPD: Tut sie ja schon!)
Ich glaube, in den vergangenen eineinhalb Jahren
was noch gut wäre, aber auch in Aggression; das wäre hat sich niemand für die Menschen, für ihre Probleme
- ich hoffe, wir sind da einer Meinung — sehr zu und Sorgen mehr engagiert als Bundeskanzler
bedauern. Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel, die
(Uldall [CDU/CSU]: Sie heizen das doch beide in vielen Gesprächen und Besuchen immer wie-
an!) der versucht haben, die Probleme nicht zu bagatelli-
— Entschuldigung, ich heize Arbeitslosigkeit nicht an; sieren, sondern sie sehr deutlich herauszustellen.
ich rede nur über sie, um sie zu bekämpfen. Mit einer Dramatisierung der Probleme nehmen wir
(Beifall bei der SPD) den Menschen in den neuen Bundesländern den Mut.
Was sie brauchen, ist Mut auf diesem schwierigen
Herr Waigel, wenn wir Arbeit und soziale Sicherheit Weg. Wir sollten ihnen helfen, Selbstvertrauen zu ge-
finanzieren, die den Menschen eine Perspektive bie- winnen, damit sie die Schwierigkeiten mit unserer
ten, dann schaffen wir Freiheit von Not und setzen Hilfe überwinden können.
Gestaltungskräfte frei, die am Ende allen zugute kom-
men. Wenn Sie sagen, wir hätten die Probleme unter-
schätzt, muß ich darauf hinweisen, daß auch Ihr Kanz-
Darf ich Ihnen, Herr Waigel, zum Abschluß ein er-
lerkandidat Lafontaine noch in der Mitte des vergan-
munterndes Goethe-Wort dedizieren: „Es wächst der
genen Jahres erklärt hat, die DDR sei ein blühendes
Mensch mit seinen höheren Zwecken. " Warum sollte
Industrieland. Wir haben bereits damals auf die riesi-
das nicht auch Ihnen gelingen?
gen wirtschaftlichen Probleme und den Zusammen-
Danke schön. bruch der Industriestrukturen hingewiesen. Die ein-
(Anhaltender Beifall bei der SPD sowie Bei ander widersprechenden Aussagen „Öffentliche
fall des Abg. Weiß [Berlin] [Bündnis 90/ Haushalte in den neuen Bundesländern stehen kurz
GRÜNE]) vor dem Aus" einerseits und „Die neuen Länder rufen
Milliarden-Beträge nicht ab" andererseits sind jedoch
kaum geeignet, Licht in die teilweise verworrene Si-
tuation zu bringen.
Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der Abge-
ordnete Herr Borchert. Ich möchte deswegen die heutige Debatte nutzen,
um eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Ich will dazu
drei Fragen formulieren: Erstens. Hat der Bund den
von ihm geforderten Beitrag geleistet? Zweitens. Wie
Borche rt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Da- steht es mit dem solidarischen Beitrag der alten Län-
men und Herren! Immer neue Forderungen, ganz der? Drittens. Wie können wir kurzfristig helfen, um
gleich, von welcher Seite sie formuliert werden, tra- vorhandene Investitionshemmnisse in den alten Län-
gen vielfach mehr zur Verwirrung als zur- Aufklärung dern aus dem Weg zu räumen?
bei.
Die Antwort auf die erste Frage lautet klar und ein-
(Zuruf von der SPD: Meinen Sie Möllemann
deutig: Ja. Der Bund leistet seinen Solidarbeitrag. Er
oder Lambsdorff?) erfüllt natürlich nicht alle an ihn gerichteten Forde-
Der Prozeß der Wiedervereinigung ist ein einmaliger rungen. Das hat er nie getan; denn der Bedarf, die
geschichtlicher Vorgang. Man kann auf vergleichbare Forderungen sind nahezu grenzenlos, die Möglich-
Prozesse in der Vergangenheit nicht zurückgreifen. keiten der Finanzierung aber immer wieder be-
Herr Kollege Thierse, wir haben die Schwierigkei- grenzt.
ten nicht nur theoretisch diskutiert, sondern wir ver- Hier trägt der Bund gesamtstaatliche Verantwor-
suchen, die Menschen auf ihrem schwierigen Weg zu tung. Der gestern im Kabinett verabschiedete erste
begleiten, den sie in den neuen Bundesländern zu gesamtdeutsche Haushalt 1991 ist dafür der beste Be-
gehen haben. Ich sage dies sehr persönlich, weil ich weis. Nachdem bereits 1990 Milliardenbeiträge zur
mich in den neuen Bundesländern sehr engagiere: Anschubfinanzierung im sozialen Bereich, für erste
Meine Eltern sind 1953 aus der DDR vertrieben wor- Maßnahmen im Infrastruktur- und Umweltschutzbe-
den. Ich kenne die Probleme von damals und von reich und für vieles mehr geleistet wurde, wird dieser
heute aus eigenem Erleben. Ich kenne die Sorgen aus Weg der Hilfe 1991 konsequent fortgesetzt. Entspre-
vielen Gesprächen mit Freunden und Verwandten, chend dem Haushaltsentwurf sind rund ein Fünftel
mit denen ich nicht erst seit der Öffnung der Mauer, der Gesamtausgaben, also 80 Milliarden DM von rund
sondern seit 1970 ständig im Gespräch bin. 400 Milliarden DM, einigungsbedingte Ausgaben.
(Hornung [CDU/CSU]: Das ist entschei Dazu kommen die Mittel aus dem Fonds Deutsche
dend!) Einheit, die am Kapitalmarkt aufgenommen werden.
Dazu kommen Mittel der Bundesanstalt für Arbeit, die
Wir engagieren uns hier nicht, indem wir die Situa-
größtenteils von den Beitragszahlern getragen wer-
tion dramatisieren, sondern indem wir versuchen, ei- den.
nerseits Verständnis für die Probleme aufzubringen,
andererseits bei den Menschen in den neuen Bundes- Ich sage ohne jede Einschränkung: Der Bund ist
ländern Verständnis dafür zu gewinnen, wie schwie damit an die Grenze seiner Möglichkeiten gelangt,
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 349
Borchert
und dies im wesentlichen aus zwei Gründen: Erstens. in die richtige Richtung; denn gestaltende Politik ist
Wir tragen gesamtstaatliche Verantwortung für Stabi- nur mit eigenem Geld möglich.
lität, Beschäftigung und wirtschaftliches Wachstum.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zweitens. Der Bund kann sich der im Weg der Wie-
dervereinigung auf Deutschland zukommenden hö- Die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse
heren internationalen, auch finanziellen, Verantwor- wird im wesentlichen bestimmt durch eine angemes-
tung nicht entziehen. sene Finanzausstattung der Länder untereinander.
Der Aufbau einer eigenen Verwaltung hängt auch
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: So ist es!) vom Geld ab. Die Forderung nach einer angemesse-
Die Warnungen der Deutschen Bundesbank in ih- nen Finanzausstattung habe ich in der Vergangenheit
rem jüngsten Monatsbericht vor einer Schuldenla- allzuoft aus den Landeshauptstädten der alten Länder
wine müssen ernst genommen werden. Mit knapp gehört. Sie müssen sich nun an ihren eigenen Maßstä-
70 Milliarden DM Nettokreditaufnahme für 1991 ben messen lassen.
bleibt die Bundesregierung innerhalb ihrer Eckwerte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
beschlüsse vom vergangenen November. Dies bedeu-
tet Kontinuität und Verläßlichkeit; für den Kapital- In diesem Zusammenhang stelle ich aber aus der
markt sehr wichtige Indikatoren. Damit wissen alle, Bundessicht genauso klar fest, daß der Bund die For-
welchen Teil des Sparvolumens der Bund für seine derungen der neuen Länder, die Subventionen, etwa
Aufgaben in diesem Jahr beansprucht. Das wirkt sta- im Wohnungsbau und in vielen anderen Bereichen,
bilisierend auf das Zinsniveau; die Hypothekenzinsen weiter zu finanzieren, zurückweisen muß. Im vergan-
sinken bereits. genen Jahr hat der Bund alle Verpflichtungen der
ehemaligen DDR übernommen. Die Länder waren
Lassen Sie mich zum zweiten Grund kommen. Bis erst im Aufbau, aber die Kompetenzen für diesen Be-
heute hat es die Bundesregierung geschafft, die auf- reich liegen unbestritten bei den Ländern. Deswegen
gelaufenen zusätzlichen Verpflichtungen aus der hö- müssen auch die Länder in diesem Bereich ihre Ver-
heren internationalen Verantwortung im Rahmen antwortung übernehmen.
der 70 Milliarden DM Neuverschuldung aufzufangen.
Wir wissen jedoch alle, daß die bisherigen Beträge Lassen Sie mich iur dritten Frage kommen: Wie
noch nicht die Endbeträge sind. Wir wissen auch, daß können wir kurzfristig Investitionshemmnisse in den
sich die Bundesrepublik diesen Verpflichtungen nicht neuen Ländern überwinden? Eines gleich zu Beginn:
entziehen kann und — das füge ich für unsere Frak- Neue Programme sind dazu nicht notwendig. Ich darf
tion hinzu — auch nicht entziehen will. Bei Teilen der daran erinnern, daß die Umstrukturierung der Wirt-
SPD habe ich da meine Zweifel. schaft in den neuen Bundesländern mit zahlreichen
Hilfen unterstützt worden ist, auf die der Finanzmini-
Sie sollten sich hier ein Beispiel an der Labour Party ster noch einmal hingewiesen hat. Die Schwierigkei-
Großbritanniens nehmen. Eine solche Haltung der ten liegen doch vielmehr in der Umsetzung dieser Pro-
Opposition würde auch uns die internationalen Ver- gramme. Dies liegt im wesentlichen an der bisher
handlungen erleichtern. unzureichend funktionierenden Verwaltung in den
(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel neuen Bundesländern, insbesondere auf kommunaler
[SPD]: Ach Gott, ach Gott!) - Ebene.
Die zusätzlichen Verpflichtungen beziehen sich je- (Zuruf von der SPD: Zum Beispiel im Boden
doch nicht nur auf das Gebiet des Nahen Ostens. Wir recht!)
sind vor allem in Osteuropa gefordert. Schuld tragen nicht die Menschen, die dort leben.
Ich fasse zusammen: Der Bund leistet seinen Bei- Die Deutschen dort sind unter einem durch Bevor-
trag. Mehr kann er aus gesamtwirtschaftlicher Ver- mundung und Fremdbestimmung geprägten System
antwortung und auf Grund der zunehmenden interna- aufgewachsen.
tionalen Verpflichtungen nicht übernehmen. (Dr. Vogel [SPD]: Die Verfahren sind für die
Die Antwort auf die zweite Frage, wie es mit dem neuen Bundesländer zu kompliziert!)
Solidarbeitrag der alten Länder steht, ist aus meiner Leistungsbereitschaft hängt mit Selbstvertrauen zu-
Sicht klar zu beantworten: Der Beitrag der alten Bun- sammen. In einem Staat, in welchem die Partei alles
desländer ist zu gering. regelte, wurde Selbstvertrauen systematisch unter-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) drückt. Daß heute die Menschen trotz dieser Vergan-
genheit bereit sind, sich zu engagieren, ist um so er-
Ich hoffe, daß die Finanzminister aller Länder heute zu staunlicher.
einvernehmlichen Lösungen kommen. Die Lösung
kann nur lauten: Stärkung des föderativen Staatsauf- (Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut!)
baus. Dazu gehört eine angemessene Finanzausstat- Die Menschen brauchen unsere Hilfe auf ihrem
tung. Dies betrifft in erster Linie die Finanzbeziehun- schwierigen Weg.
gen der Länder untereinander.
(Dr. Vogel [SPD]: Richtig!)
Meine Damen und Herren, Sonntagsreden allein
Sie brauchen vor allem Verständnis, und sie brauchen
helfen uns nicht weiter. Die neuen Länder müssen als
personelle Hilfe bei der Überwindung dieser Schwie-
gleichberechtigte Partner behandelt werden. Das
rigkeiten.
heißt konkret, der Länderanteil am Aufkommen der
Umsatzsteuer ist für alle Länder nach Maßgabe ihrer (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der
Einwohnerzahl zu verteilen. Das wäre der erste Schritt SPD)
350 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Borche rt
Wir müssen ihnen auf diesem schwierigen Weg Mut Bund, Länder und Gemeinden müssen gemeinsam für
machen, und Sie, meine Damen und Herren von der einen beschleunigten Aufbau einer funktionierenden
SPD, sollten aufhören, den Weg Lafontaines, die Krise Verwaltung sorgen. Gelingt dies, dann bin ich zuver-
herbeizureden, fortzusetzen. sichtlich, daß wir unserem gemeinsamen Ziel, der
(Lachen bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Was Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in
soll denn da herbeigeredet werden?) Deutschland, schon 1991 ein großes Stück näher kom-
men.
Damit helfen Sie den Menschen nicht, sondern damit
nehmen Sie ihnen den Mut für ihren schwierigen Vielen Dank.
Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel
[SPD]: Sagen Sie ihnen die Wahrheit! Ihr Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der Abge-
habt den Mut nicht! Ihr habt Illusionen ver ordnet Herr Dr. B riefs.
breitet!)
Allerdings ist planwirtschaftliches Denken nicht auf Dr. Briefs (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin!
Knopfdruck mit dem Tag der deutschen Einheit am Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt
3. Oktober 1990 verschwunden. Die Umstellung auf den ersten gesamtdeutschen Haushaltsentwurf vor. Er
das marktwirtschaftliche System ist nur durch einen ist mit 400 Milliarden DM der größte in der gesamten
Lernprozeß zu verwirklichen. Lernen kann man am Geschichte der Bundesrepublik. Aber in welcher Si-
besten in der Praxis. Es ist deshalb notwendig, in weit tuation legt sie ihn vor? Wie greift er in diese Situa tion
größerem Maße als bisher Anreize dafür zu setzen, ein?
daß geschultes Verwaltungspersonal im Gebiet der Die wirtschaftliche Situa tion im Westen ist sehr gün-
ehemaligen DDR tätig sein kann. Wir haben bei den stig, die im Osten ist — vorsichtig gesagt — düster.
Beratungen über den Nachtragshaushalt dafür befri- Die soziale Situation im Westen ist bei weitem nicht so
stet — gegen den Widerstand der Opposition — finan- günstig wie die wirtschaftliche. Auch hier gibt es mehr
zielle Hilfen zur Verfügung gestellt. Wir werden diese als 6 Millionen Menschen, die z. B. von Arbeitslosig-
finanziellen Hilfen — ich hoffe, diesmal mit der Zu- keit und Armut betroffen sind. Im Osten jedoch nähert
stimmung der Opposition — verlängern. sich die soziale Lage der Katastrophe: Arbeitslosig-
(Esters [SPD]: Ich habe nicht mitgemacht!) keit, die schneller zunimmt, als selbst die kritischsten
Analysen noch vor wenigen Monaten sagten; Ge-
— Ich weiß, der Kollege Esters hat da mitgemacht,
meinden stehen vor der Pleite — eine hat bereits ihre
aber die Mehrheit der Opposition hat im Haushalts-
Verwaltung dichtmachen müssen —; Bet riebe bre-
ausschuß dagegen gestimmt. Der Finanzminister aus
chen zusammen oder werden von der Un-Treuhand in
Brandenburg, der heute weitere Unterstützungen for-
den Konkurs manövriert wie die Interflug.
dert, hat damals im Haushaltsausschuß vehement da-
gegen plädiert, den Einsatz von fachkundigem Perso- Ein Land, die frühere DDR, das jahrzehntelang mit
nal mit finanzieller Hilfe zu unterstützen. geringerer Produktivität — das stimmt — und mit vie-
len selbstgemachten Problemen vor sich hinwirtschaf-
tete, immerhin 1988 aber noch der zehntgrößte Indu-
-
Präsidentin Dr. Süssmuth: Herr Abgeordneter Bor- striestaat der Welt war und weder Arbeitslosigkeit
chert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- noch explodierende Mieten kannte, lernt jetzt auch
neten Struck? die zweifelhaften Segnungen des kapitalistischen
Westens kennen: Massenarbeitslosigkeit — insbeson-
dere sind die Frauen betroffen — , Verarmung großer
Borchert (CDU/CSU): Nein. Schichten der Bevölkerung, Miet- und Wohnungsne-
(Dr. Struck [SPD]: Ich wollte dir helfen!) benkostensteigerungen in sehr starkem Maße, Hoff-
— Vielen Dank, Peter. nungs- und Perspektivlosigkeit bei immer mehr Men-
schen, steigende Selbstmordzahlen.
Der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung
— dies wird an diesem praktischen Beispiel des deut- Und was macht die Bundesregierung in dieser Si-
schen Einigungsprozesses deutlich — ist unendlich tuation? Sorgt sie für wirksame Abhilfe, z. B. durch
wichtig für eine funktionierende Marktwirtschaft. Be- öffentlich finanzierte Hilfsprogramme? Nein. Geklotzt
klagen sich bei uns Pa rtner, die am Wirtschaftsprozeß wird vielmehr bei der deutschen Beteiligung am Golf-
beteiligt sind, oftmals über zuviel Verwaltung, so ist krieg; über 17 Milliarden DM werden allein im ersten
das Gegenteil, eine nicht funktionierende Verwal- Quartal 1991 dafür bereitgestellt. Weitere unabseh-
tung, genauso lähmend oder noch lähmender. Die bare Milliardenforderungen kommen von den einen
CDU/CSU-Fraktion wird sich deshalb bei den Haus- Angriffskrieg führenden alliierten Mächten, an der
haltsberatungen intensiv darum bemühen, den Ver- Spitze von den Amerikanern, auf die BRD zu.
waltungsaufbau in den neuen Ländern unterstützend (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Unglaublich!)
zu begleiten. Der Golfkrieg droht zu einem Milliardengrab bisher
Ich fasse zusammen: Der Bund kommt gegenüber nicht gekannten Ausmaßes zu werden, auch für die
dem Beitrittsgebiet seinen Verpflichtungen nach. Bundesrepublik, auch für die öffentlichen Haushalte
(Zurufe von der SPD: Nein!) in der BRD. Irgendwie scheint er dennoch wie gerufen
zu kommen, nämlich sozusagen als patriotischer Vor-
Die alten Länder sind gefordert, einen höheren Soli- wand, um Steuererhöhungen durchzusetzen, Steuer-
darbeitrag zu leisten. erhöhungen für die neue Großmachtrolle Deutsch-
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: So ist es!) lands. Wir sind wieder wer, und wir sind wieder dabei.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 351
Dr. Briefs
Bezahlen sollen über Verbrauchsteuererhöhungen ein Soforthilfeprogramm, mit dem ökologisch und so-
vor allem die Normalverdiener und die sozial Schwa- zial sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden,
chen. Geschont werden sollen dagegen die Reichen
und Superreichen, die Spekulations-, die Kriegs- und (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Ihr habt doch
die Anschlußgewinnler in der deutschen Wirtschaft. 40 Jahre Zeit gehabt!)
Der Golfkrieg kommt auch wie gerufen, um die vor in der Althausmodernisierung und Wohnumfeld-
der Wahl abgegebenen Versprechen, die Steuern verbesserung, bei der Gebäudeisolierung und
nicht zu erhöhen, nunmehr schlicht und einfach zu Wärmedämmung, im Infrastrukturausbau, in der Alt-
brechen. Angesichts des stolzen Gefühls, wieder da- lastenentsorgung,
bei zu sein, meint man, würden die Bürger eine
Kriegssteuer schon hinnehmen. (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: 40 Jahre Zeit habt
ihr gehabt!)
Geklotzt wird also bei der Kriegsbeteiligung am
Golf, womit sich die BRD zugleich am Bombenterror bei der Umstellung von Produkten und Verfahren im
und an Akten des Völkermords gegenüber der iraki- Maschinenbau, in der Textilindustrie, in den Werften,
schen Zivilbevölkerung beteiligt. in der Nahrungsmittelindustrie, in der Landwirtschaft,
in den östlichen Bundesländern insgesamt; ein Sofort-
(Otto [Frankfurt] [FDP]: Eine miese Rede! — hilfeprogramm, mit dem soziale Dienstleistungen im
Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, Bildungssystem, bei der Kinder- und Kleinkinderbe-
muß man sich so etwas anhören?) treuung nicht abgebaut, sondern ausgebaut werden
Gekleckert wird dagegen im Osten. Erst hat die und mit dem zum Teil — ich denke, das sollten wir
Bundesregierung die DDR ökonomisch einfach zu- sogar auf den Westen übertragen — auch hier ähnli-
grunde gehen lassen, che Versorgungsgrade wie früher in der DDR geschaf-
fen werden — da hat, denke ich, manches Modellcha-
(Hornung [CDU/CSU]: In wessen Auftrag rakter —; ein Soforthilfeprogramm insbesondere auch
stehen Sie da vorne?) im Kulturbereich, damit nicht zum Teil einmalige
im Rahmen planmäßiger Planlosigkeit sozusagen. Potentiale kultureller Leistungsfähigkeit einfach weg-
Wer eine Volkswirtschaft mit dem Produktivitätsni- geholzt, sondern erhalten werden.
veau 100, die BRD, auf eine Volkswirtschaft mit dem
Produktivitätsniveau 60, die DDR, aufprallen läßt, ris- Es bedarf dazu der Initialzündung. Es bedarf plan-
kiert den völligen Zusammenbruch der weniger pro- mäßiger Entwicklung und Ausrichtung gezielter be-
duktiven Volkswirtschaft. Dieser Zusammenbruch schäftigungspolitischer Strukturkonzepte auf regio-
tritt jetzt in der DDR ein. naler, kommunaler und Länderbasis in den neuen
Bundesländern. Dazu muß insbesondere die Treu-
Ursache ist das Fehlen jeder Übergangsregelung, hand anders organisiert, demokratisiert werden. Pri-
jeder Sicherung eines geordneten Übergangs auf vatisierung darf nicht mehr alleiniges Ziel sein. Dazu
neue ökonomische Strukturen. Der Crashkurs, be- müssen Belegschaftsvertreter und Gewerkschaften in
gonnen mit der Währungsunion, rächt sich nun bitter. der Treuhand wirkliche Mitbestimmungsrechte erhal-
Die BRD — oder besser: die Mehrheit der Bevölke- ten.
rung — wird für das wirtschaftspolitische- Versagen
der Bundesregierung in der historischen Stunde des Die für ein solches Hilfsprogramm notwendigen
Anschlusses der DDR an die BRD schwer gestraft. Sie Mittel sind doch durchaus vorhanden. Sie müssen nur
muß jetzt in einem Maße Steuer- und Sozialabgaben- durch politischen Willensakt, z. B. hier, erschlossen
opfer bringen, wie sie bei einer planmäßigen Oberlei- werden.
tung auf die Bedingungen des einheitlichen Deutsch-
Wir, die PDS, schlagen daher vor: neben Steuerer-
lands nicht notwendig gewesen wären.
höhungen für höhere Einkommen — da sind wir mit
Nun muß die Bundesregierung aber vor allem Lö- einigen anderen Kräften hier durchaus einer Mei-
cher stopfen. Das heißt genaugenommen: Sie stopft nung — Vermögensabgaben für alle natürlichen und
sie gar nicht oder nur unzureichend. Sie läßt die Fi- juristischen Personen jenseits einer Grenze von
nanzlöcher, z. B. bei den Gemeinden- und Länderfi- 500 000 DM Nettovermögen, in die Vermögensstruk-
nanzen, in den fünf neuen Bundesländern einfach tur muß eingegriffen werden. Wir schlagen insbeson-
größer und größer werden. Die derzeitige finanzpoli- dere gezielte Solidarabgaben für den Aufbau im
tische Diskussion ist seitens der Bundesregierung Osten durch Erhebung entsprechender Abgaben vor,
durch Konfusion und Konzeptlosigkeit gekennzeich- und zwar erstens auf den weiter wachsenden Mittel-
net. Aber auch das hat Methode. zufluß der Wirtschaft — das sind derzeit jedes Jahr
Nur in einem sind sich alle Vertreter der Koalitions- nämlich bereits über 600 Milliarden DM — , zweitens
parteien einig: An den wirklichen Reichtum dieser auf die riesigen, vagabundierenden Kapitalien der
Gesellschaft, an den Reichtum insbesondere der Wirt- Wirtschaft, drittens auf versteckte Vermögenswerte
schaft soll nicht herangegangen werden. der Unternehmen, die sogenannten stillen Reserven,
viertens auf Rüstungsgewinne der deutschen Rü-
Wir, die PDS, fordern dagegen ein Soforthilfepro- stungsindustrie, fünftens auf die im Osten zum Teil
gramm für den Osten, durch völlig aufwendungslosen Erwerb angeeigneten
(Dr. Rose [CDU/CSU]: Ihr habt gar nichts zu Vermögenswerte und sechstens auf sonstige spekula-
fordern!) tive Gewinne.
mit dem dem Beschäftigungsabbau, z. B. durch Ver (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Herr B riefs, was
gabe öffentlicher Aufträge, entgegengewirkt wird; Sie hier sagen, interessiert keinen!)
352 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Briefs
Eine solche Finanzpolitik könnte zugleich ein Bei- größeren Bundesrepublik etwas vormachen. Der
trag zur Abschwächung der wachsenden Unter- Wiederaufbau wird Jahre erfordern, Geduld und
schiede zwischen Arm und Reich auch im Westen harte Arbeit dazu.
sein.
In fast allen meinen Wahlreden — ich habe gestern
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Zwischen Intelli noch einmal in meinen Redenotizen nachgesehen —
genten und Dummen!) habe ich gesagt, daß wir im Sommer 1991 mit 3 Mil-
Sie würde der Wirtschaft zugleich etwas von ihrem lionen Arbeitslosen rechnen mußten. Und das wird
aggressiven Druck auf die Gesellschaft und die natür- kommen. Die Null-Kurzarbeit ist gleich Arbeitslosig-
liche Umwelt — Beispiel: Erpressung durch die keit. Das habe ich überall gesagt. Wenn uns Herr
Pharma-Konzerne — nehmen, und sie würde auch die B ri efs erzählen will, die DDR sei noch vor wenigen
Probleme der Menschen im Osten lösen helfen. Jahren das zehntgrößte Indust ri eland der Welt gewe-
(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Dr. Rütt sen: Das ist sie deswegen gewesen, weil die Statisti-
gers [CDU/CSU]: Außer Gysi klatscht kein ken lügenhaft waren. Das war der einzige Grund da-
Mensch!) für.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der Abge-
Wie oft habe ich im Wahlkampf gesagt — nicht im-
ordnete Graf Lambsdorff.
mer zur Freude auch unseres Koalitionspartners, viel-
leicht manchmal auch nicht eigener Parteifreunde —,
Dr. Graf Lambsdorff (FDP) : Frau Präsidentin! Meine daß eine noch so wahlerfolgreiche Regierung das
sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wer der Rede Ende einer Legislaturperiode nicht erleben kann,
des Abgeordneten B riefs zugehört hat, wenn es uns nicht gelingt, Dynamik und Wachstum
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das war unmög der Marktwirtschaft im Osten zu entfalten.
lich!) (Frau Dr. Götte [SPD]: Was war mit den Steu
der muß sich wohl daran erinnern, daß er es war, der ern?)
am 17. Juni vorigen Jahres, als der jetzige Minister-
präsident Stolpe die Festrede hielt, mit einer Fahne Aber ich habe auch gesagt: Wir müssen es schaffen,
mit Ähre und Zirkel fortgesetzt umherschwenkte. Sie wir werden es schaffen. Dieser festen Überzeugung
haben die deutsche Einheit nie gewollt. Sie wollen die bin ich auch heute noch.
DDR auch heute noch, und Sie trauern darüber, daß Es ist richtig: Die finanz- und haushaltspolitische
die deutsche Einheit die DDR abgeschafft hat. Das ist Lage in der Bundesrepublik hat sich am Beginn dieses
die Wahrheit. Jahrzehnts fundamental verändert. Die Hilfen, die der
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Bund den neuen Bundesländern zur Verfügung ge-
und beim Bündnis 90/GRÜNE) stellt hat, haben tiefe Löcher gerissen. Haushaltspoli-
Ich bekenne ganz offen, daß mir diese Rede heute tische Belastungen sind entstanden, die mit außen-
schwerfällt. Wer korrigiert sich schon gerne selber? politischen Aspekten des Einigungsprozesses, mit
Aber darum geht es nicht, und darum- darf es auch dem Verhältnis zur Sowjetunion etwas zu tun haben.
nicht gehen. Es widersp richt meiner ganzen ökonomi- Eine neue große Aufgabe, die noch nicht zu beziffern
schen Grundüberzeugung, auf Strukturbrüche im ist, ergibt sich aus der Entwicklung in den Reformlän-
Osten Deutschlands mit Steuererhöhungen reagieren dern Mittel- und Osteuropas. Was muß in Jugoslawien
zu müssen. Aber ebenso hielte ich es für grundfalsch, nach den heutigen Nachrichten geschehen? Schließ-
die staatlichen Defizite noch weiter auszudehnen. lich die Golfkrise. Bisher haben wir rund 17 Milliarden
DM aufgebracht oder werden sie aufbringen. Wir wis-
Es ist — verzeihen Sie dieses Bild — die Wahl zwi- sen nicht, was noch folgt.
schen Pest und Cholera. Und es ist die traurige Er-
kenntnis, daß wir zwar viel von „teilen" gesprochen Es gibt haushaltspolitische Risiken, die wir selbst
haben, daß aber offenbar gerade die Politik — ganz produziert haben. Hier denke ich vor allem an Länder
generell: die Politik — dazu nur begrenzt oder gar und Gemeinden, die schon seit einiger Zeit vom Kurs
nicht willens ist. Es ginge doch nur darum, das Mehr der soliden Ausgabenpolitik abgewichen sind.
im Westen jetzt den Menschen im Osten unseres Lan-
des zu überlassen. Aber die Gebietskörperschaften im Im Finanzplanungsrat wurde die Notwendigkeit ei-
ner Fortsetzung der Politik der Ausgabendisziplin auf
Westen schaffen nicht einmal die notwendige Ausga-
bendisziplin. allen Ebenen immer wieder bekräftigt. Die Ausgaben
sollten danach um nicht mehr als 3 % steigen. Und wie
Es wird der Koalition, der FDP, mir persönlich vor- sieht es aus? Die Ausgaben der Länder erhöhten sich
geworfen, wir hätten uns geirrt, wir hätten die Wähler von Januar bis November vergangenen Jahres gegen-
getäuscht. über dem Vorjahr um fast 7 %, und bei den Gemein-
(Beifall bei der SPD) den waren es 8,5 %. Diese Entwicklungen sind be-
Ich bestreite Irrtum in Teilbereichen nicht, ich wehre denklich. Sie sind um so bedenklicher, als sich Länder
mich aber entschieden gegen den Vorwurf der Täu- und Kommunen bisher an der Finanzierung der deut-
schung. Dafür nur drei Beispiele: Ich habe am 4. Ok- schen Einheit wenig beteiligt haben. Sie haben viel-
tober 1990 bei unserer Debatte im Reichstag gesagt: mehr auf der Einnahmenseite noch Nutzen daraus
gezogen.
Der wirtschaftliche Tiefpunkt ist noch gar nicht
erreicht. Die Talsohle ist noch längst nicht durch (Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: So ist
schritten. Niemand sollte den Neubürgern der es!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 353
Dr. Graf Lambsdorff
Die in all diesen Entwicklungen angelegten haus die Ausgaben unter Kontrolle zu bringen, dann ist es
halts- und finanzpolitischen Risiken bergen erhebli- kaum realistisch, anzunehmen, daß in kurzer Zeit die
che ökonomische Gefahren, wenn ihnen nicht durch notwendigen Einsparungen zur Kompensation der
einen Kurs der st rikten finanzpolitischen Solidität be- Ausgabensteigerungen erzielt werden können. Damit
gegnet wird. stehen wir vor der Wahl zwischen Steuererhöhungen
(Beifall bei der FDP) und noch mehr Schulden. Beides belastet die Wirt-
schaft.
Es ist nirgendwo in der Welt bisher gutgegangen,
wenn Geld- und Finanzpolitik gegeneinander gear- Angesichts der großen Gefahren weiter steigender
beitet haben. Entweder nahm die Stabilität Schaden Defizite muß nach unserer Überzeugung und auch
oder Investitionen, Wachstum und Beschäftigung nach meiner Überzeugung — aber ich sage noch ein-
wurden abgewürgt oder sogar beides, wie wir es An- mal: zu der habe ich mich schweren Herzens durch-
fang der 70er Jahre erlebt haben. gerungen;
Die Koalitionsparteien haben im November 1990 (Dr. Struck [SPD]: Zumal wir es gesagt ha
mit dem Eckwertebeschluß die richtigen Konsequen- ben!)
zen gezogen. Zu Recht mahnt die Bundesbank in ih- ich lasse mich dafür auch kritisieren, daß ich nicht vom
rem Monatsbericht vom Februar zur Ausgabendiszip- ersten Tage an auf diese Planke gesprungen bin; es
lin, vor allem auf den Ebenen von Ländern und Ge- fällt mir verdammt schwer, weil ich es für ökonomisch
meinden. Nach dem Eckwertebeschluß ist das Defizit falsch halte —, das Urteil zugunsten von Steuererhö-
der Gebietskörperschaften 1991 auf 140 Milliarden hungen ausfallen.
DM zu begrenzen. Aber wenn Sie die Planungen von
Ländern und Gemeinden zugrunde legen, dann bezif- Sie haben in Ihrem Antrag, Herr Kollege Vogel, eine
fert die Bundesbank diesen Betrag heute schon auf verräterische Formulierung: Sie wollen auf weitere
155 Milliarden DM. Von Solidität der Finanzpolitik Kreditaufnahmen „soweit wie irgend möglich" ver-
kann unter solchen Umständen kaum noch gespro- zichten.
chen werden.
(Dr. Vogel [SPD]: Da wird er gleich wieder
Konsolidierung heißt in erster Linie strikte Sparsam- aggressiv! Wieder verräterisch!?)
keit und Ausgabendisziplin. Der Beschluß der Bun-
desregierung, 2 % Ausgabenzuwachs in den nächsten — Na gut, ich nehme das Wort „verräterisch" gerne
Jahren nicht zu überschreiten, ist richtig, ist notwen- zurück.
dig. Unterstützung sollten alle Initiativen zur Spar- (Dr. Vogel [SPD]: Irrtum sagen Sie immer!)
samkeit finden. Das gilt insbesondere für den Ansatz
des Bundeswirtschaftsministers, die Subventionen zu Es ist eine irreführende, eine zur Frage veranlassende
kürzen. Sie sind ja nicht nur unter haushaltspoliti- Formulierung.
schen, sondern auch unter ordnungspolitischen Grün- Was heißt das: „soweit wie irgend möglich"? Ist das
den so problematisch. eine klare Absage an höhere Defizite oder ist das eine
Es gibt genügend Erfahrungsgründe für die Skep- unklare Formulierung, die Ihnen das Fuchsloch offen
sis, die gegenüber diesem Vorschlag geäußert
- wird läßt, doch noch weitere Schulden aufzunehmen?
— jawohl — , und Herr Möllemann kennt sie selbst
sehr gut. Aber wann, wenn denn nicht jetzt, soll das (Zuruf von der SPD: Es ist nicht zu glau
politisch schwierige Vorhaben der Subventionskür- ben!)
zung in Ang riff genommen werden? Wie groß muß der Es ist wichtig, daß beim Thema Steuererhöhungen
Druck denn noch werden? einige Kriterien unbedingt beachtet werden. Es
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten kommt darauf an, daß solche Steuererhöhungen nicht
der CDU/CSU) die Investitionen und damit Wachstum und Beschäf-
tigung beeinträchtigen. Die soziale Politik, die wir
Ich vermisse fast jede Anstrengung von Ländern heute betreiben müssen, ist auf die Herstellung von
und Gemeinden. Ja, manche warten — so hat es mir Arbeitsplätzen gerichtet. Das ist das einzige Krite-
ein SPD-Landesminister kühl gesagt — , geradezu rium, an dem sich der Inhalt der Steuerpolitik auszu-
darauf, daß die Bundesregierung endlich die Steuern richten hat, an nichts anderem.
erhöhe, damit die Ausgaben in den alten Bundeslän-
dern — er hat seines gemeint — weiter gesteigert (Zustimmung bei der FDP und der CDU/
werden könnten. CSU)
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Der hätte auch Herr Thierse, das ist eben die Schwäche des Vor-
von jeder anderen Partei sein können!) schlages, den Sie vorgetragen haben: auf der einen
Das ist eine fatale Entwicklung. Seite massive Förderung privater Investitionen und
auf der anderen Seite der Vorschlag, diejenigen zu
Ich bin mit Ihnen, Herr Thierse, der Auffassung, daß besteuern, die diese Investitionen leisten sollen und
Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf, und leisten können.
habe auch das im Wahlkampf gerade zur Steuerpolitik
häufig genug gesagt. Sie haben damit recht. (Dr. Vogel [SPD]: Staatssekretäre leisten
doch keine Investitionen!)
Meine Damen und Herren, natürlich sind Sparsam-
keit und Ausgabendisziplin allenthalben der bessere — Wenn Herr Briefs hier sagt, die Inhaber eines Net
Weg. Aber machen wir uns doch nichts vor. Selbst tovermögens von 500 000 DM sollten herangezogen
wenn wir alle Anstrengungen schnell unternehmen, werden, dann hat der Mann keine Ahnung von den
354 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Graf Lambsdorff


Vermögensverhältnissen deutscher Arbeitnehmer; Da hilft doch nur eine Strukturpolitik und eine An-
dann ist das letzte Einfamilienhaus dabei. siedlungspolitik zugunsten neuer Indust ri en; denn
diese Industrie ist zu einem großen Teil nicht mehr
(Dr. Vogel [SPD]: Reden Sie mit uns! Lassen
wettbewerbsfähig, und sie wird auch nicht mehr wett-
Sie den weg! Was haben wir mit Herrn B riefs
bewerbsfähig werden. Wir müssen den Menschen das
zu tun?)
erklären, so schwer das auch fallen mag. Ich habe das
— Ich habe ja nicht gesagt, daß Sie etwas mit Herrn in Bremen ja einmal tun müssen.
Briefs zu tun haben.
(Dr. Vogel [SPD]: Sie!) Präsidentin Dr. Süssmuth: Graf Lambsdorff, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
— Herr Vogel, so weit gehe ich nun doch noch Reuschenbach?
nicht.
Wir müssen aufpassen, daß die Leistungsbereit- Dr. Graf Lambsdorff (FDP): Bitte sehr, Herr
schaft der Leistungsträger der Wirtschaft, die wir ge- Reuschenbach.
rade jetzt brauchen, nicht gemindert wird. Wir müssen
bei den Steuererhöhungen auch aufpassen, daß die Reuschenbach (SPD): Graf Lambsdorff, empfinden
Anstöße zur Preis- und Kostensteigerung, die vollstän- Sie es nicht auch als einen Widerspruch, daß, worauf
dig ja wohl kaum vermieden werden können, mög- Sie zuletzt hingewiesen haben, alle Prognosen schon
lichst gering gehalten werden. aus dem Sommer des vorigen Jahres auf ein solches
Die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse ökonomisches Desaster im Gebiet der ehemaligen
in ganz Deutschland ist die innenpolitische Hauptauf- DDR hingewiesen haben, während Sie und Ihre Par-
gabe dieser Legislaturperiode. Darin werden alle teifreunde, z. B. Herr Möllemann, sich erst in den letz-
Fraktionen übereinstimmen. Diese Aufgabe fordert ten Wochen zu einer neuen großen Kraftanstrengung
von uns allen ein großes Maß an Verantwortung. Ich durchgerungen haben, um diese — wie Sie selbst sag-
bin trotz all der Hiobsbotschaften, die derzeit über uns ten — schon so lange erkennbaren Folgen zu über-
hereinbrechen, nach wie vor optimistisch, daß wir dies winden und abzumildern?
gemeinsam schaffen werden. Es gibt auch gar keine
Alternative zu dem eingeschlagenen Weg. Aber ich Dr. Graf Lambsdorff (FDP): Die Frage, Herr Reu-
halte es für falsch, wenn wir — was manche tun — schenbach, schließt an das an, was Herr Thierse ge-
jetzt anfangen, Katastrophengemälde zu malen, die sagt hat, daß wir zuviel Zeit verloren haben. Darf ich
potentielle Investoren nur abschrecken würden. einmal fragen, meine Damen und Herren, welche
(Zuruf von der SPD: Lieber die Leute belü Fraktion in diesem Hause uns daran gehindert hat, im
gen!) Oktober zu wählen, und auf den 2. Dezember gewar-
tet hat?
Es geht nicht um Schönrednerei, sondern es geht
um ein abgewogenes Urteil. Die Diskussion, die der- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
zeit bei uns geführt wird, erschreckt mich schon et- Oh-Rufe und Widerspruch bei der SPD —
was. Sie kontrastiert interessanterweise zu dem Opti- Dr. Vogel [SPD]: Koalitionsstreit monate
mismus und der Zuversicht, die man bei - ausländi- lang! — Thierse [SPD]: Drei Monate Untätig
schen Investoren, die in den neuen Bundesländern keit! — Weitere Zurufe von der SPD)
aktiv werden wollen, antreffen kann und die ich ge- Meine Damen und Herren, schließlich war es auch
rade in der vorigen Woche in den USA verspürt nicht unerwartet, daß der sogenannte RGW-Handel
habe. mit der Umstellung auf konvertierbare Währung zu-
sammenbrechen würde. Auch dies läßt sich z. B. im
Die Entwicklung in den fünf neuen Bundesländern Herbstgutachten der Forschungsinstitute nachlesen.
haben wir weitgehend vorausgesehen. Ich empfehle Aber dies ist, wie ich glaube, im Gespräch mit unseren
nur, nochmals in die Gutachten der Institute oder des Landsleuten aus der früheren DDR, Herr Thierse, der
Sachverständigenrats hineinzusehen. In diesen Gut- wichtige Punkt: Es ist etwas anderes, ob man von
achten wird über die Entwicklung von Produktion und einer voraussichtlichen Entwicklung spricht oder ob
Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit genau man sie tatsächlich erlebt, wie das jetzt geschieht.
das gesagt, was bisher eingetreten ist. Niemand hat
prognostiziert, daß die Wende in diesem Winter ein- Ich habe auf vielen Marktplätzen in der früheren
tritt. Es wurde vielmehr vorausgesagt, daß sie erst im DDR gesagt: Die verdeckte Arbeitslosigkeit wird sich
Sommer 1991 oder später erreicht werden könnte. in offene Arbeitslosigkeit verwandeln. — Die Men-
schen haben zumeist mit dem Kopf genickt und ge-
Es kommt nicht unerwartet, Herr Thierse, daß Be- sagt: Er hat ja recht. — Jetzt aber werden sie selber
triebe im Zuge der schweren Strukturkrise durch die davon betroffen; das ist etwas anderes als die ratio-
Treuhand geschlossen werden müssen. Auch dies nale Einsicht.
wurde — jedenfalls von mir — immer wieder hervor-
(Thierse [SPD]: Verdeckte Arbeitslosigkeit in
gehoben. Ich habe ja meine leidvollen Erfahrungen
Höhe von 2 Millionen!)
mit der Schließung von Werften. Für all die Schiffe, die
in Rostock derzeit auf Kiel liegen, gilt: Nach meinen — Ja, Herr Thierse, es gab in der Tat eine verdeckte
Informationen bringt der Verkaufspreis zweier Schiffe Arbeitslosigkeit in Höhe von 2 Millionen. Fast alle
nicht einmal den Materialwert ein; der Verkaufspreis Betriebe in der früheren DDR waren zu 100% überbe-
aller anderen Schiffe deckt nicht einmal die Produkti- setzt.
onskosten. Die westdeutsche Werftindustrie hatte ja Unerwartet, meine Damen und Herren, kamen ganz
eine ähnliche Situation zu bewältigen. andere Dinge. Offenbar ist die psychologische Verfas-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 355
Dr. Graf Lambsdorff
sung, die den Bürgern der neuen Bundesländer in Die Initiative des Bundeswirtschaftsministers für
40 Jahren Planwirtschaft und Unterdrückung einge- eine Strategie „Aufschwung Ost" findet deshalb die
trichtert wurde — Herr Borchert hat dies angespro- volle Unterstützung meiner Fraktion. Sie sollte der
chen —, schwieriger abzuschütteln, als es erforderlich Koalition als Arbeitsgrundlage für weitere Beschlüsse
wäre. Wir hatten nicht in dieser Form mit der Funk- dienen.
tionsunfähigkeit der Verwaltungen gerechnet, auch Wir müssen sehen, daß die psychologische Situa tion
die Schwierigkeiten bei der Überwindung der Eigen- der Menschen in den neuen Bundesländern in hohem
tumsproblematik wurden falsch eingeschätzt. Maße angespannt ist. Wir müssen ihnen auch
(Dr. Vogel [SPD]: Siehe unsere Gespräche im menschlich helfen. Ganz schlicht gesagt: Wir müssen
Kanzleramt!) rüber. Wir müssen unserer Routine hier entrinnen und
jetzt auf Straßen und Plätzen Rede und Antwort ste-
— Ja, siehe unsere Gespräche. Nur, meine Damen hen. Vor allen Dingen müssen wir hören, was sie uns
und Herren, Herr Vogel, wir haben eine Verfassung, zu sagen haben — dreimal, viermal hinhören. Ich
an die wir uns zu halten hatten. Ich bleibe dabei: Wir schließe nicht aus, daß diese Anspannung Ausdruck
haben den Grundsatz privaten Eigentums, so wie er in in Emotionen, sozialen Spannungen und Unruhe fin-
unserer Verfassung geschützt ist, aufrechterhalten. det, Herr Thierse; das haben andere auch gesagt.
Wir sind es gewesen, die den Anstoß gegeben haben, Aber gerade dieses Konfliktpotential erfordert von
das Kapitel „Investitionsgesetzgebung" in den Eini- uns rasches Handeln, verlangt von uns allen, das zu
gungsvertrag einzubringen. Daß dieses Kapitel nach- tun, was den Anpassungsprozeß in den neuen Bun-
gebessert werden muß, wissen wir; dies läßt die be- desländern schnell voranbringt. Deshalb muß der Fi-
grüßenswerte Initiative des Justizministers erken- nanzausgleich zwischen den Bundesländern schnell
nen. auf eine neue Basis gestellt werden.
Sie hätten auch einen anderen Weg gehen kön- (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
nen. Die neuen Bundesländer müssen unverzüglich 100 %
(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Wir?) Anteil an der Umsatzsteuer erhalten.
— Wir alle, Frau Däubler-Gmelin. — Die ungarische (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Regierung z. B. hat gesagt: Alle kommunistischen Ei- Deshalb müssen wir, meine Damen und Herren, alle
gentumseingriffe bleiben unberührt — eine konserva- — ich sage: alle — wachstumsbedingten Steuermehr-
tiv angeführte Regierung. Dies ist nach unserer Ver- einnahmen den neuen Bundesländern zur Verfügung
fassung wohl kaum denkbar. Investitionsnotwendig- stellen.
keiten müssen vor den Schutz des privaten, indivi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
dualen Eigentumsanspruchs gestellt werden.
Um so unverständlicher ist mir manche Hartleibigkeit,
(Dr. Vogel [SPD]: Dann mal los!) ja Kaltschnäuzigkeit, mit der sich die Mehrheit der
Länder jedenfalls bisher gegen eine Neugestaltung
Das steht im Einigungsvertrag. Sie haben dem zuge- des Finanzausgleichs wehrt.
stimmt, aber er ist so, wie wir wissen, nicht genügend
(Widerspruch bei der SPD — Dr. Struck
handhabbar. Deswegen wird er jetzt nachgebessert.
[SPD]: Das ist aber ein bißchen sehr stark!)
(Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, die FDP hat früh vor der
Neidgesellschaft gewarnt, in der die Bürger im Osten
Fehleingeschätzt, meine Damen und Herren, habe darüber klagen, daß zuwenig getan wird, und im We-
auch ich die Entwicklung der Einkommen, die sich sten darüber, daß zuviel getan wird. Das zeichnet sich
von der Produktivitätsentwicklung völlig entfernt hat jetzt leider ab. Aber es kann jetzt nicht darum gehen,
und den Standortvorteil zeitweilig niedriger Arbeits- die alte und schöne Bundesrepublik immer noch schö-
kosten früh vergibt. Aber in einem wiedervereinigten ner zu machen. Oder wie die „Süddeutsche Zeitung"
Deutschland mit unbeschränkter Mobilität war es gestern schrieb: „In Thüringen wird ein Rathaus ge-
wohl eine Illusion, etwas anderes zu erwarten. Es ist schlossen, und wir bauen weitere Kongreßzentren,
um so gefährlicher, wenn jetzt Löhne gefordert wer- Schwimmhallen oder Rathäuser." Das halten wir auf
den, die insbesondere für die Bürger in den neuen Dauer nicht aus. Es geht jetzt um den Aufbau der
Bundesländern falsche Signale setzen und die ohne- neuen Bundesländer, und der muß schnell gesche-
hin sehr schwerwiegenden Probleme noch erheblich hen.
verschlimmern. Differenzierung ist nach wie vor ein
Gebot der Stunde. Deswegen appelliert die FDP an (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der
die Gewerkschaften — bitte protestieren Sie nicht SPD)
gleich, sondern hören Sie es bis zum Ende an — , sich Dieser Aufbau, meine Damen und Herren, der neuen
in diesem Sinne ihrer wirtschaftspolitischen Verant- Bundesländer ist die bessere, ist die beste Investition
wortung zu stellen. Viele Gewerkschaften tun dies für eine gemeinsame, für eine bessere deutsche Zu-
übrigens. Nur, das sieht man nicht im Fernsehen. kunft.
Alle diese Faktoren behindern den Aufschwung in Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
den neuen Bundesländern ohne Zweifel. Sie erklären (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
aber nicht oder nur zu einem geringen Teil, was bisher
eingetreten ist. Um so bedeutsamer ist, daß sie in die
Zukunft wirken. Um so dringlicher ist, daß wirt- Präsidentin Dr. Süssmuth: Meine Damen und Her-
schaftspolitisch hier angesetzt wird. ren, der Abgeordnete Dr. Briefs hat ausweislich des
356 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Präsidentin Dr. Süssmuth


stenographischen Protokolls in seiner Rede behauptet gegen den Rat der Bundesbank die Wirtschaft der
— ich zitiere —, die Bundesregierung beteilige sich an DDR einem brutalen Anpassungsschock ausgesetzt
Akten des Völkermords. Ich erteile ihm dafür einen haben, dessen vernichtende Auswirkungen absehbar
Ordnungsruf. waren. Anstatt sich in einem parteiübergreifenden
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie nationalen Verständigungsprozeß zu stellen und der
einmaligen historischen Herausforderung gerecht zu
bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der
CDU/CSU: Das ist zuwenig!) werden, sich erst ein Bild über Zustand und Aufgaben
in den neuen Bundesländern zu machen, dann die
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Herr Kosten zu ermitteln und im letzten Schritt deren Fi-
Schulz. nanzierung zu sichern, hatten sich Regierung und So-
zialdemokraten in einem wahltaktischen Steuerstreit
verzettelt. Wenn Sie jetzt die Meldungen vom Zusam-
Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Frau Präsi- menbruch in den neuen Ländern auf die Erblast des
dentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme dem Sozialismus schieben, dann lenken Sie damit von Ih-
Kollegen Thierse zu: Sicher wäre die Einschätzung rer eigenen abenteuerlichen Politik ab. Aber das las-
von Herrn Waigel anders ausgefallen, wäre er Finanz- sen wir nicht durchgehen. Es ist auch Ihre Politik, die
minister in einem der fünf neuen Bundesländer. Viel- das Chaos in den ostdeutschen Ländern mit verur-
leicht sollte er sich zeitweilig und gelegentlich mit sei- sacht hat. Jetzt müssen Milliarden und immer neue
nen Kollegen Münch, Milbradt oder meinetwegen Milliarden herbeigeschafft werden, um den völligen
auch Kühbacher abwechseln. Zusammenbruch zu verhindern. Es sind beileibe nicht
(Bundesminister Dr. Waigel: Das habe ich nur die Kosten der deutschen Einheit, die da finanziert
getan, Herr Kollege!) werden, sondern es sind auch die Kosten Ihrer Poli-
tik.
Das schärft das Problembewußtsein und die Sicht auf
die tatsächlichen Dinge. — Ich meine: vor Ort und Die ehemalige DDR-Wirtschaft befindet sich im
nicht in der Rede. freien Fall vom Plan in den Markt. Für diese historisch
Meine Damen und Herren, wer kennt die Szene einmalige Situation gibt es keine Beispiele und keine
nicht? Da liegt ein Todkranker, und um ihn herum Erfahrungen. Trotzdem gibt es Leute, die den Mut
streitet sich eine eilig herbeigerufene Schar von Wun- haben, vorherzusagen, daß und wann die Talsohle in
derdoktoren. Jeder schwört auf sein Patentrezept. In Ostdeutschland erreicht und durchschritten wird. Hut
unserem Fall ist die ehemalige DDR der Patient, der ab vor so viel Mut! Aber das Bild von der Talsohle
eine klare, dem Krankheitsverlauf angepaßte Stufen- könnte trügerisch sein. Daß nach jedem Tal wieder ein
therapie benötigt. Die Bundesregierung hat ihn statt Hoch kommt, stimmt vielleicht für den Konjunkturver-
dessen an den DM-Tropf gehängt. Doch der Patient lauf. Was aber jetzt in der ehemaligen DDR passiert,
gesundet nicht. Zusätzliche Mittel sollen nun Heilung ist kein konjunktureller Abstieg, ist auch keine Kon-
bringen. Minister Blüm fordert eine Arbeitsmarktab- junkturkrise. Es ist der Zusammenbruch der öffentli-
gabe für Beamte und Selbständige. Minister Mölle- chen Infrastruktur und der tragenden industriellen
mann ist gleich mit der ganzen Hausapotheke erschie- Struktur. Niemand darf sich einbilden, daß danach ein
nen. Minister Genscher wiederholt seine - Forderung, steiler Aufschwung kommt, der alle Probleme vom
den Länderfinanzausgleich vorzuziehen. Minister Tisch fegt. Mit jedem Tag, den die ostdeutschen Län-
Waigel weist die alten Länder auf ihre Mitverantwor- der tiefer abrutschen, wird der Aufschwung mühsa-
tung hin und bereitet sich auf Steuererhöhungen mer, komplizierter und teurer werden. „Keine Ge-
vor. walt" war die Überzeugung Tausender im Herbst
1989 auf den Straßen der DDR. Was sie jetzt erleben,
Der CSU-Generalsekretär will den Umsatzsteu- ist die nackte ökonomische Gewalt. Vermutlich wird
eranteil der neuen Länder kurzfristig auf 90 % und
sich schon bald ein neuer Proteststrom, diesmal in
mehr erhöhen. Der CDU-Generalsekretär möchte
Richtung Bonn in Bewegung setzen.
überall ein bißchen, aber nur vorübergehend die Steu-
ern anheben. Nur einer hält sich auffallend zurück: Zwei Probleme müssen jetzt gleichzeitig angefaßt
Aus dem Mantel der Geschichte, der ihn gestreift hat, werden. Länder und Gemeinden müssen schleunigst
ist ein Mantel des Schweigens geworden. Die Richtli- in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben zu erfül-
nien der Politik bestimmt der Kanzler. Bloß: Wann? len. Es ist anzuerkennen, daß ihre Lage ungleich
(Bohl [CDU/CSU]: Immer!) schwieriger als die westdeutscher Gebietskörper-
schaften ist. Zusätzlich zu den Aufgaben, die auch auf
Die Analysedaten des Patienten sind ernüchternd. Ich
westdeutsche Großstädte zukommen, müssen ost-
spare mir die Einzelheiten. Sie alle kennen die Fieber deutsche Städte zum Teil extrem defizitäre Bereiche
kurve. Ich will hier keine Schwarzmalerei betreiben.
wie Kindergärten, Krippen, Polikliniken, das Woh-
Nach und nach räumt die Regierung ein, daß sie den nungswesen und den öffentlichen Personennahver-
Aufgabenumfang der deutschen Vereinigung falsch kehr unterhalten. Sie stehen vor gewaltigen Investi-
eingeschätzt hat. Nun gut, Lernprozesse sind erfreu- tionen. Ihnen fehlen bereits die Mittel für Instandset-
lich; aber damit allein ist es nicht getan, meine Damen zung, Modernisierung und Reparatur.
und Herren von der Regierung. Sie haben nicht nur
die Probleme in ihrer Dimension sträflich unter- Die Finanznot der Länder setzt sich in den Gemein-
schätzt, Sie haben sie auch grundsätzlich falsch ange- den fort. Einige Städte stehen am Rande der Zah-
faßt. Bitte vergessen Sie nicht, daß Sie im vergange- lungsunfähigkeit. Allein die Stadt Leipzig weist ein
nen Frühjahr gegen den ausdrücklichen Rat eines Defizit von 1,6 Milliarden DM aus, ein Defizit, das
Großteils der wissenschaftlichen Forschungsinstitute, 70 % des Gesamthaushalts der Stadt ausmacht. Ande-
Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 357
Schulz (Berlin)
ren Städten wie Rostock, Frankfurt/Oder oder Chem- Was geschieht mit den Bet rieben, die nicht privatisier
nitz, um nur einige zu nennen, geht es ähnlich. Viele bar sind?
Städte sind noch gar nicht in der Lage, einen Haushalt (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Was ist denn lei
für 1991 vorzulegen. stungsfähig?)
Mit zirka 50 Milliarden DM beziffern die ostdeut- Die können doch nicht einfach dichtgemacht werden.
schen Länder und Gemeinden ihren zusätzlichen Fi- Die wird die Treuhand sanieren müssen. Aber dazu
nanzbedarf. Ob das das letzte Wort sein wird, steht fehlt es an vielem, nicht zuletzt an Geld.
dahin. Die katastrophale Finanzlage der öffentlichen
Haushalte östlich der Elbe ist eine Folge der Bonner Geschieht das nicht, dann wird das Arbeitsplatzan-
Politik, die seit Beginn des Einigungsprozesses die gebot in den ostdeutschen Ländern auf Jahre hin so
wirtschaftlichen Nöte in der nun ehemaligen DDR gering sein, daß ein Großteil der Bevölkerung ge-
systematisch unterschätzt hat. zwungen wird, in den Westen auszuwandern. Dann
werden die Steuereinnahmen der Länder anhaltend
Erinnert sei hier an den Ex-DDR-Finanzminister niedrig bleiben, und damit bleibt die Infrastruktur
Romberg, der im vergangenen Sommer die dürftige schlecht. Davon sind schließlich auch die Neuinvesti-
Finanzausstattung für die ostdeutschen Länder und tionen, auf welche die Strategen des Aufschwungs
Kommunen im Einigungsvertrag und damit seinen offenbar vorrangig setzen, ebenfalls in Frage ge-
Amtskollegen Waigel scharf kritisiert hat. stellt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ist die Abwärtsspirale erst richtig in Gang, kommt
die Stunde der Wahrheit. Wir werden nach der De-
Sie, Herr Waigel, haben ihn damals, wenn ich mich batte um die Länderfinanzen die Debatte um die
recht erinnere, einen Laiendarsteller genannt. Es Treuhandfinanzen bekommen, und die wird sicher
wäre an der Zeit, das zurückzunehmen. nicht erfreulicher werden. Dann werden wir uns auch
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) mit den 106 Milliarden DM Altschulden der Unter-
nehmen befassen müssen, die ebenfalls die Treuhand
Heute zeigt sich, daß Rombergs Befürchtungen noch belasten und zur Zeit einen Flächenbankrott bewir-
weit übertroffen werden. ken.
Doch es geht nicht nur darum, den aktuellen Fi- Wenn Sie jetzt Finanzpläne machen, Herr Waigel,
nanzbedarf zu decken. Die Realisierung des Kommu- dann planen Sie das gleich mit ein. Das bleibt Ihnen
nalvermögensgesetzes, eines wirklich wichtigen Ge- und der Bevölkerung ohnehin nicht erspart.
setzes, das den Kommunen finanzielle Perspektiven Der Haushalt 1991 muß diese beiden Problemfelder
einräumt, wird ständig unterlaufen. Hier spielt die angemessen berücksichtigen. Sonst wird er das Pa-
Treuhand eine unrühmliche Rolle. Sie enthält den pier nicht wert sein, auf das er gedruckt wird.
Kommunen Grundstücke vor, verhindert den Aufbau
kommunaler Energieversorgungseinrichtungen, die Dazu — und das sieht ja nach den Wahlen das
den Städten Einnahmen brächten, nötigt ihnen auf ganze Haus so — wird es Steuererhöhungen geben.
der anderen Seite Verlustbringer wie den öffentlichen Zusätzliche Lasten müssen und können die Leistungs-
Nahverkehr auf. Die Treuhand privatisiert an fähigen tragen und nicht diejenigen, die sich am
- den In- schlechtesten wehren können. Steuererhöhungen
teressen der Kommunen regelrecht vorbei. Das muß
ein Ende haben. Wenn die Länder nicht schleunigst müssen von ihrer Lenkungswirkung her ökologisch
handlungs- und zahlungsfähig werden, können auch zumindest verträglich sein.
die bestgemeinten Aufbauprogramme und Infrastruk- Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können
turhilfen nicht greifen. Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Unsere eige-
Das mindeste, was jetzt ansteht, ist die sofortige und nen Vorstellungen haben wir immer wieder genannt.
volle Einbeziehung Ostdeutschlands in den Länderfi- Ich nenne hier noch einmal die Ergänzungsabgabe für
nanzausgleich. Entweder sind wir ein Volk — dann Höherverdienende, eine Solidarabgabe aus nicht in-
muß auch die gemeinsame Familienkasse geteilt wer- vestierten und nicht ausgeschütteten Gewinnen der
den — , alles andere ist Geschwätz. Unternehmen, die seit langem fällige Besteuerung der
Zinserträge. Wir verlangen weiter den Verzicht auf
Die öffentliche Diskussion um die Kosten der Ein- die Abschaffung der Gewerbekapital- und der Ver-
heit hat sich in der letzten Zeit auf den Aspekt der mögensteuer, den Verzicht auf die geplante Unter-
Länderfinanzen verengt. Genauso wichtig ist aber et- nehmensteuerreform, die ein überflüssiges Steuerge-
was anderes, und damit komme ich zum zweiten schenk und in der jetzigen Situation ein Hohn ist.
Punkt. So wie sich die Entwicklung abzeichnet, kann Aber Steuererhöhungen und der Verzicht auf un-
die Treuhand die ihr zugewiesenen Aufgaben nicht sinnige Steuersenkungen können nicht alles sein. Der
erfüllen. Daß binnen überschaubarer F rist das Gros Haushalt wird daran zu messen sein, inwieweit seine
der Treuhandunternehmen privatisiert sein wird, er- Ansätze den Willen zur solidarischen Selbstbeschrän-
wartet wohl niemand mehr. Aber selbst dort, wo pri- kung erkennen lassen. Das gilt zuallererst für die Aus-
vatisiert wird, sind die Verluste an industrieller Sub- gaben, die sich Regierung und Parlament selbst ge-
stanz und an Arbeitsplätzen enorm. Das Beispiel nehmigen. Wir werden sehen.
Zeiss-Jena zeigt einmal mehr, wie schwierig es ist,
selbst leistungsfähige Unternehmen bei ihrer Privati-
sierung zu erhalten.
Präsidentin Dr. Süssmuth: Herr Abgeordneter
(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Was ist denn lei Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
stungsfähig?) ordneten Graf Lambsdorff?
358 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Graf Lambsdorff (FDP): Herr Kollege, sind wir Der bürokratische und auf immer neue finanzpoliti-
uns — ich hoffe es — wenigstens darin einig, daß der sche Wendungen bedachte Umgang der Bundesrepu-
von Ihnen vorgeschlagene Verzicht auf zukünftige blik mit den neuen Bundesländern gibt den Menschen
Steuersenkungen keine Einnahmeverbesserung zur in Westdeutschland keine Chance, die Einheit
Lösung der Probleme des Haushalts 1991 darstellt? Deutschlands auch als ihre eigene Angelegenheit zu
begreifen.
Ich habe unter Westdeutschen viel persönliches In-
Schulz (Berlin) (Bündnis 90/GRÜNE): Ich bin ge- teresse und persönliche Hilfsbereitschaft erlebt. A ll
gensätzlicher Auffassung, weil ich meine, daß die dascheitrbmwdanebürokti-
Kommunen damit natürlich enorme Einnahmen ha- schen Hindernissen, die ihnen in den Weg gelegt wer-
ben, die im anderen Falle wegfallen. den.
(Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist richtig!)
(Weiß [Berlin] [Bündnis 90/GRÜNE]: So ist
es! — Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Aber doch Wenn die Bundesregierung nicht end li ch beginnt,
nicht für 1991! Wir haben gesagt, 1994 woll die Herstellung der gesellschaftlichen Einheit
ten wir senken! — Zurufe von der SPD) Deutschlands nicht nur als finanzielle, sondern als
menschliche, soziale und geistige Herausforderung
— Das ist wohl die Diskrepanz zwischen unseren Auf- zu begreifen, wird in einigen Jahren die Spaltung
fassungen. Deutschlands tiefer sein als vor der Öffnung der
Der Bundesregierung fehlt bis heute ein schlüssiges Mauer.
Konzept für den Aufbau der fünf neuen Länder. Ihr (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, bei der
scheint noch immer nicht bewußt zu sein, daß die vor- SPD und der PDS/Linke Liste)
rangige Aufgabe dieser Legislaturperiode die Ver-
wirklichung der inneren Einheit Deutschlands ist. Präsidentin Dr. Süssmuth: Das Wort hat der
Das eigentliche Ziel, die Verwirklichung gleicher Le- Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Herr Wag-
bensverhältnisse im gesamten Deutschland, rückt in ner.
weite Ferne, wenn der Bund und die alten Länder so
weitermachen wie bisher. Aus eigener Kraft — das Ministerpräsident Dr. Wagner (Rheinland-Pfalz):
stand von Anfang an fest — kann der deutsche Osten Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der
den wirtschaft li chen Gleichstand mit dem wohlha- Debatte über die Finanzierung unserer gesamtstaatli-
benden Westen nicht schaffen. Doch die Koalition hat chen Probleme spielt selbstverständlich der Finanzbe-
die Kosten der deutschen Einheit monatelang herun- darf der neuen Länder eine entscheidende Rolle. Es
tergespielt und hat alles versucht, um den Bürgern handelt sich bei den Summen, die wir gemeinsam auf-
einzureden, es gehe schmerzarm ohne Steuererhö- zubringen haben, um die Wirtschaft und die Verwal-
hungen. tung dort in Gang zu bringen, die Infrastruktur in Ord-
Sie war bereit, für den Golfkrieg innerhalb von Ta- nung zu bringen und ganz allgemein den dringend
gen die Steuerschraube anzuziehen. Wenn das Wort notwendigen Aufschwung herbeizuführen, um eine
perv ers nicht vorhanden wäre, müßte es in diesem erhebliche, allerdings auch um eine vorübergehende
Falle erfunden werden. Da werden einerseits
- Mittel Belastung. Es ist eine Belastung, von der wir anneh-
— inzwischen etwa 17 Milliarden DM inklusive Sach- men dürfen, daß sie Jahr für Jahr allmählich degressiv
leistungen — aufgebracht, um in der Golfregion eine sein wird, weil nach aller Voraussicht die neuen Län-
Infrastruktur zu zerstören, und zwar Mittel, die ande- der mehr und mehr in der Lage sein werden, ihre Auf-
rerseits nötig wären, um im Osten eine Infrastruktur gaben durch eigene Einnahmen in einem immer hö-
aufzubauen oder zu modernisieren. Hierbei habe ich heren Anteil zu finanzieren.
noch nicht einmal die Folgekosten für den Wiederauf- Für das laufende Haushaltsjahr und für die näch-
bau der Region am Golf mit berücksichtigt. sten Jahre stehen allerdings erhebliche Belastungen
Die Bundesregierung hat mit ihrer ausschließlich an an. Diesen Belastungen stehen Mehreinnahmen ge-
Wahlerfolgen und nicht an den Interessen der Men- genüber, die sowohl der Bund als auch die Länder und
schen orientierten Politik nicht nur das soziale Desa- in einem gewissen Umfang auch die Gemeinden zu
ster in den fünf neuen Bundesländern zu verantwor- verzeichnen haben. Diese Mehreinnahmen gehen auf
ten; sie hat auch zu verantworten, daß die emotionale zwei Wirkungen zurück: einmal darauf, daß im Ge-
Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschen jeden folge des Zusammenwachsens der beiden Teile
Tag tiefer wird. Wenn ich mich hier in Westdeutsch- Deutschlands zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum
land umhöre, dann stelle ich fest, daß dem buchstäb- das Wirtschaftswachstum verstärkt worden ist. Das
lichen „Ossi" immer öfter Spott und Haß entgegen- zusätzliche Wachstum, das als Folge der Einheit anzu-
schlägt, vor dem ich erschrecke. sehen ist, dürfte im vergangenen Jahr bei 1 bis 2
gelegen haben. Es hat natürlich zu Mehreinnahmen
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
geführt.
Wir, die Leute aus der ehemaligen DDR, werden als Zum anderen sind erhebliche Umsatzsteigerungen
solche empfunden, die nur Forderungen stellen, als bei den Wirtschaftsunternehmen in der alten Bundes-
konsumwütige lästige Bittsteller, die man am liebsten republik zu verzeichnen, die auf die Nachfrage aus
so schnell wie möglich wieder los wäre. den neuen Ländern zurückgehen. Daher ist die erheb-
(Bohl [CDU/CSU]: Wie kommen Sie denn liche Steigerung des Umsatzsteueraufkommens zu ei-
dazu, so etwas zu behaupten? — Dr. Weng nem beachtlichen Teil — ganz gewiß nicht in Höhe
[Gerlingen] [FDP]: Stellen Sie sich da nicht der ganzen 12 %, um welche die Umsatzsteuereinnah-
selber in die Ecke?) men im vergangenen Jahr gewachsen sind, aber doch
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 359

Ministerpräsident Dr. Wagner (Rheinland-Pfalz)


in einer Größenordnung von vielleicht 4 bis 5 % — als Meine Damen und Herren, der Betrag des Fonds,
einheitsbedingt anzusehen. Das müssen wir also auch der in diesem Jahre 1991 zu Lasten der Länder geht,
sehen. Das sind rein wirtschaftlich und finanziell gute beträgt 15,5 Milliarden DM. Diesen Be trag hört man
Perspektiven des deutschen Zusammenschlusses für in der finanzpolitischen Diskussion hier in Bonn — auf
die kommenden Jahre. Aber selbstverständlich sind der Ebene der Finanzpolitiker — und auch in den Dis-
diese Mehreinnahmen weit davon entfernt, den Be- kussionen und Auslassungen in den Medien relativ
trag zu erreichen, den wir jetzt mobilisieren müssen, selten. Warum? Weil es üblich geworden ist, als Lei-
um den Aufbau in der früheren DDR zu bewerkstelli- stung der Länder nur die in diesem Jahr zu erbrin-
gen. gende Zins- und Tilgungslast für den Fonds anzurech-
nen.
Zu diesen großen Aufgaben kommt die Belastung
aus dem Golfkrieg hinzu. Wir beteiligen uns an den (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)
Lasten dieses Krieges. Das ist eine notwendige, ja Diese Rechnung ist aber wirtschaftlich und finanzpo-
zwingende Folge aus der Tatsache, daß wir ohne litisch nicht in Ordnung.
Wenn und Aber an der Seite der alliierten Mächte
stehen, die am Golf die Aggression abwehren. Es wäre (Dr. Vogel [SPD]: Dorthin gucken, nicht zu
eine sonderbare, seltsame Solidarität, wenn sie sich uns! — Heiterkeit bei der SPD)
nur in guten Worten äußerte und wir nicht bereit wä- Sie ist nicht in Ordnung. — To whom it may concern,
ren, auch finanziell zu den ungeheuren Lasten beizu- sage ich dies selbstverständlich.
tragen, die dieser Krieg verursacht. Deswegen stehe
ich und steht die Landesregierung von Rheinland- (Dr. Vogel [SPD]: In diesem Falle besser
Pfalz voll und ganz zu diesem finanziellen Beitrag zu bayerisch, nicht englisch! — Heiterkeit)
den Lasten des Krieges. Sie ist deswegen nicht in Ordnung, weil die Kredite,
die der Fonds aufnimmt, natürlich nicht formal in den
(Beifall bei der CDU/CSU) Haushalten des Bundes und der Länder als Kreditauf-
Dies zusammen ergibt aber eine Gesamtlast, die mit nahme und als Ausgabe erscheinen, weil aber natür-
der gegenwärtigen Finanzkraft der Bundesrepublik lich die wirtschaftliche und finanzpolitische Konse-
— und zwar der Bundesrepublik auf den drei Ebenen quenz dieser Operation genau dieselbe ist, wie wenn
Bund, Länder und Gemeinden — nicht mehr zu be- die Länder den auf sie entfallenden Betrag selbst als
wältigen ist; diese Gesamtlast hat ein Ausmaß ange- Kredit aufnähmen und in die frühere DDR transferier-
nommen, daß Steuererhöhungen unumgänglich ge- ten. Das ist doch selbstverständlich und sollte eigent-
worden sind. lich nicht einer näheren Erläuterung bedürfen. Ich
habe es hier aber gesagt, weil es offenbar nötig ist.
Was nun speziell die Finanzierung des Aufbaus in
der früheren DDR angeht, so möchte ich hier zum Also bleibt uns, wenn wir den Anteil der Länder und
Ausdruck bringen, daß dies natürlich eine Aufgabe Gemeinden korrekt beurteilen wollen, nichts anderes
des Bundes ist, aber auch eine Aufgabe der Länder übrig, als diesen Anteil des Fonds mitzurechnen. Dazu
und Gemeinden. Die Länder und Gemeinden haben kommen eine Reihe von weiteren Beträgen, so daß
ja eine gesamtstaatliche Mitverantwortung und neh- sich schon jetzt die Beiträge der Länder in einer Grö-
men sie zu erheblichen Teilen auch wahr; sie werden ßenordnung von 16, 17 vielleicht auch 18 Milliarden
sie auch weiterhin wahrnehmen. DM in diesem Jahr, 1991, bewegen.
(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)
Daß dies so ist, ergibt sich schon aus der ganz ein-
fachen Erwägung, meine Damen und Herren: dann, Ob das ausreicht, ist ein anderer Punkt, auf den ich
wenn es um nationale Aufgaben dieses Ranges mit gleich zu sprechen komme. Aber das ist zunächst ein-
finanziellen Auswirkungen dieses Umfangs geht, mal der Sachverhalt.
kann es nicht angehen, daß sich die Anforderungen Nun stellt sich heraus — wir haben darüber mehr-
nur an die eine Hälfte des Steueraufkommens im Ge- fach diskutiert — , daß die bisher geplante Finanzaus-
samtstaat richten, nämlich an die Hälfte, die dem stattung für das Beitrittsgebiet, namentlich also für
Bund zufließt, und die andere Hälfte des Gesamtsteu- die neuen Länder und im Zusammenhang damit für
eraufkommens, die nämlich grosso modo an Länder die dortigen Gemeinden, nicht ausreicht. Diese
und Gemeinden geht, nicht herangezogen wird. Finanzausstattung ist zwar schon jetzt erheblich, aber
Deswegen ist das auch von Anfang an so angegan- sie reicht nicht aus. Wir müssen uns zusätzliche Mittel
gen worden. Ich möchte dazu gern einige Worte sa- und Wege einfallen lassen.
gen, vielleicht auch mit einem etwas anderen Akzent Deswegen habe ich in diesen Tagen einen Vor-
als dem, der bisher hier angeklungen ist. schlag gemacht, der dazu geeignet ist, den neuen
Ländern und im Verbund damit ihren Gemeinden er-
Wir haben gemeinsam den Fonds Deutsche Einheit
heblich weiterzuhelfen. Hier ist heute mehrfach die
begründet. Damals herrschte die Auffassung vor, daß
Forderung erhoben worden, daß die neuen Länder
damit ein wesentlicher Teil — jedenfalls der wohl
überwiegende Teil — der Finanzierungsnotwendig- umgehend zu 100 % an der Umsatzsteuer zu beteili-
gen seien. Ich habe diesen Vorschlag gegenüber der
keiten abgedeckt sei. Ich darf noch einmal darauf hin-
Presse vor drei Tagen hier in Bonn gemacht. Ich ma-
weisen, daß nach Abzug eines kleineren Vorweg-
che diesen Vorschlag hier erneut; ich vertrete ihn.
finanzierungsbetrags des Bundes der ganz überwie-
gende Teil dieses Fonds von Ländern und Bund ge- Wir haben bislang 55 % festgeschrieben. Aber
meinsam zu gleichen Teilen finanziert wird. Dabei wenn so getan wird, als wäre das noch der Stand der
handelt es sich um erhebliche Beträge. Diskussion, dann ist auch dies ir rig. Schon bei der
360 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Ministerpräsident Dr. Wagner (Rheinland-Pfalz)


Finanzminister- und anschließenden Ministerpräsi- heutiger Erkenntnis mit dieser Ausstattung zurecht-
dentenkonferenz zusammen mit dem Bundeskanzler kommen müßten, wobei ich unterstelle, daß auch sie
und dem Bundesfinanzminister am 8./9. Januar war einen gewissen Anteil ihrer Finanzierung über eine
deutlich, daß bei einer ganzen Reihe von Ländern Kreditaufnahme zu bewältigen haben. Das kann ih-
— ich denke, jedenfalls bei allen unionsregierten Län- nen zugemutet werden. Wir alle nehmen Kredite auf.
dern — die Bereitschaft bestand, den Anteil von bis- Wir nehmen gegenwärtig sogar mehr Kredite auf, als
lang 55 % auf 85 To zu erhöhen. uns lieb ist. Die neuen Länder haben gegenwärtig
keine Schulden. Auch sie können also in vertretbarem
(Bohl [CDU/CSU]: So ist es!)
Umfang Kredit aufnehmen. Nach den Rechnungen,
Ich füge um der Korrektheit willen hinzu, daß auch die die wir angestellt haben und die sich weitgehend mit
von der SPD regierten Länder bereit waren, ihre Lei- denen des Bundesfinanzministers decken, die er
stungen für die ehemalige DDR zu erhöhen, allerdings heute morgen hier vorgetragen hat, müßte dies ge-
auf einem anderen Wege, nämlich auf dem Wege ei- hen.
ner Aufstockung des Fonds, an der sich dann nach der
gegebenen Systematik Bund und Länder zu gleichen Meine Damen und Herren, ich bin dafür, daß wir zu
Teilen hätten beteiligen sollen. diesen Entscheidungen so rasch wie möglich kom-
men; denn was mir mißfällt und was auch schädlich
Ich halte weiterhin den Weg über die Erhöhung der ist, sind das gegenwärtige Getöse und die gegenseiti-
Umsatzsteuer für den richtigen, und zwar systema- gen Schuldzuweisungen. Es besteht auch ein klein
tisch schon deswegen, weil wir damit sofort und nicht bißchen die Gefahr, daß sich eine Konfrontation zwi-
erst nach einer Übergangszeit von einigen Jahren den schen den Ländern in der früheren DDR und den Län-
von der Verfassung vorgesehenen Normalzustand der dern in der alten Bundesrepublik ergibt.
Umsatzsteuerverteilung herstellen.
Der Kollege Biedenkopf hat vor einiger Zeit gesagt,
(Zustimmung des Abg. Bohl [CDU/CSU]) es müßte bedeutend mehr für die neuen Bundesländer
Ich meine also, wir sollten uns dazu jetzt entschlie- getan werden. Er sagte weiter, daß dies aber nicht in
ßen, dies sofort ins Werk setzen und für dieses Jahr einer Polarität zwischen westlichen und östlichen
durchführen. Ländern in dem Sinne diskutiert werden sollte, daß
die einen fordern und die anderen nichts oder nur teil-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weise etwas gewähren. Herr Biedenkopf ist dagegen,
Da nun jeder Prozentpunkt bei der Verschiebung daß diese Polarität entsteht.
von den alten zu den neuen Ländern ein Volumen von Auch ich bin in diesem Punkt ganz dieser Meinung.
etwa 110 Millionen DM ausmacht, würde die Realisie- Allerdings meine ich, daß dazu — ich sage das auch
rung des Vorschlags den neuen Ländern zusätzlich an die Adresse des Kollegen Biedenkopf — natürlich
5 Milliarden DM zuführen, selbstverständlich zu La- auch die Tonart in den östlichen Ländern einen Bei-
sten der alten Länder. trag liefern muß.
Es ist allerdings meine Überzeugung — auch die
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Einen richti
gemeinsame Überzeugung der Finanzminister der al-
gen!)
ten wie der neuen Länder — , daß dies noch nicht aus-
-
reicht. Es muß eine zusätzliche Maßnahme ergriffen Ich hoffe sehr, daß wir Ende Februar zu dieser ge-
werden. Ich erblicke eine Möglichkeit, sie in einer meinsamen Lösung kommen.
weiteren Anstrengung des Bundes zu ergreifen.
Ich habe — ich darf das sagen — schon vor Weih-
Bekanntlich entnimmt der Bund dem Fonds Deut- nachten und im Januar, zwar nicht mit der Konkret-
sche Einheit, bevor er an die Länder transferiert wird, heit, wie ich es heute hier sage, aber doch sehr deut-
einen Vorwegbetrag von etwa 5 Milliarden DM. Ich lich erklärt, daß die Länder in der alten Bundesrepu-
meine — das ist der zweite Teil des Vorschlags, den blik sehr wohl bereit sein müssen, für die Länder im
ich am vergangenen Montag hier unterbreitet habe —, Beitrittsgebiet mehr zu tun. Ich darf Ihnen allerdings
daß der Bund auf diese Vorwegentnahme von 5 Mil- sagen und möchte Ihnen das nicht vorenthalten, daß
liarden DM verzichten sollte, ich dafür von der Opposition in meinem Lande sofort
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) massiv getadelt worden bin.
so daß der Betrag, der den neuen Ländern und damit (Bohl [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
auch ihren Gemeinden über den dort ebenfalls beste- Die Opposition tönte: „Skandal, der Ministerpräsident
henden Verbund zufließen würde, insgesamt etwa
verschenkt das Geld des Landes! "
10 Milliarden DM ausmacht.
Es ist die Frage erlaubt, ob dies dann ausreichen Ich sage das an den Herrn Kollegen Thierse, weil
wird. Mit letzter Sicherheit läßt sich das gegenwärtig der vorhin seriöse, lautere und großzügige Vorschläge
nicht sagen, weil beklagenswerterweise unser Zah- gefordert hat.
lenmaterial und unsere Prognosen auch jetzt noch (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)
sehr unzuverlässig sind.
Geben Sie, Herr Thierse, diese Mahnung an Ihre Ver-
Ich sage aber — ich stütze mich dabei auch sehr treter in den Ländern — auch nach Mainz — weiter.
stark auf das, was Sie, Herr Bundesfinanzminister, an
groben Berechnungen hier heute morgen vorgetragen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP —
haben — , daß auch nach meiner Einschätzung die Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Ganz miese So
Länder und ihre Gemeinden im Beitrittsgebiet nach zis!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 361
Ministerpräsident Dr. Wagner (Rheinland-Pfalz)
Lassen Sie mich noch sagen, daß aus der Sicht mei- Die anderen Länder tun das auch. Es gibt zwar gradu-
nes Landes und der Sicht einer Reihe weiterer Länder elle Unterschiede, aber sie alle leisten etwas.
bei den zusätzlichen Anstrengungen der neuen Län- Ich habe bei einer gemeinsamen Besprechung dem
der natürlich eines vor allem geboten ist: Es muß da- Kollegen Duchac, Thüringen, das Angebot gemacht,
bei gerecht zugehen. Unter gerecht verstehe ich, daß daß er sich da, wo er weitere Kräfte braucht, insbeson-
die Verteilung der Lasten gleichmäßig erfolgt und dere bei bestimmten Fachrichtungen, also Fachleute,
daß reiche wie arme Länder in der alten Bundesrepu- etwas für die Finanzämter, für die Finanzverwaltung,
blik in gleichmäßiger Weise zu diesen Lasten heran- für die Justiz oder die Grundbuchämter,
gezogen werden.
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Rechtspflege!)
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Können Sie weiter an uns wenden kann und daß wir uns bemühen
das konkretisieren?) werden, über das hinaus, was wir bisher leisten und
Modelle, die darauf hinauslaufen, daß man einmal an Kräften dorthin entsandt haben, etwas zu tun. Dies
anfängt, die Finanzierung da zu suchen, wo Interes- ist sehr wichtig, denn es kommt entscheidend darauf
sen — insbesondere der ärmeren Länder — liegen, an, daß die Verwaltungen in Gang kommen. Wir kön-
also etwa durch ein Streichen der Strukturhilfe, finden nen und wir werden diesen Problemen gemeinsam
nicht unsere Zustimmung. gerecht werden.
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Zu Recht!) Ich danke Ihnen.
Vorletzte Bemerkung, Frau Präsidentin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD:


Herr Präsident!) Vizepräsident Becker: Meine Damen und Herren!
Ich erteile das Wort nunmehr dem Präsidenten des
— Entschuldigung, Herr Präsident. Während ich Senats und Ersten Bürgermeister der Freien Hanse-
sprach, hat der Vorsitz gewechselt. stadt Bremen, Herrn Klaus Wedemeier.
Alles, was ich über die notwendige Verbesserung (Dr. Hoyer [FDP]: Den gibt es gar nicht! —
einer Finanzausstattung der neuen Länder gesagt Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der
habe, hat nichts mit einer akuten Finanznot zu tun. SPD)
Man muß unterstreichen, weil es eigenartig klingt,
wenn man von „sofortiger Pleite" und „Büros schlie-
ßen" und dergleichen hört. Dies ist bei der Lage, in der Präsident des Senats Wedemeier (Bremen) : Herr
wir uns befinden, Unfug. Auf den Konten der neuen Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht darf
Länder bei der Bundesbank befinden sich viele Milli- ich zur Aufklärung beitragen: Es gibt in Bremen na-
arden, die zinslos lagern. türlich keinen Ersten Bürgermeister, sondern einen
Bürgermeister.
(Dr. Vogel [SPD]: Stimmt nicht!)
Meine Damen und Herren, wenn über die Finanzie-
— Es stimmt, Herr Kollege Vogel! rung der deutschen Einheit geredet wird, möchte ich
Das besagt nichts über die finanziellen Bedürfnisse noch einmal zwei Sätze in Erinnerung rufen, die am
und deren Abdeckung im ganzen Haushalt. Es besagt Anfang der Debatte — die begann ja vor der Wahl —
allerdings, daß gegenwärtig und auch für die näch- gesagt worden sind. Zum einen: „Niemandem" -- ge-
sten Wochen von einer akuten Finanzklemme, von meint sind die Bewohnerinnen und Bewohner in der
einer drohenden Pleite und dergleichen nicht die ehemaligen DDR — „wird es schlechter gehen als vor-
Rede sein soll. her, vielen aber besser." Sinngemäß hieß es für die
Westdeutschen: „Niemand wird etwas abgeben müs-
(Dr. Vogel [SPD]: Der Oberbürgermeister sen." Damit sind auch Steuererhöhungen abgelehnt
von Leipzig spinnt doch nicht!) worden.
Dergleichen Dramatisierungen sollten unterbleiben. Sehr verehrter Herr Finanzminister, ich finde es
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ziemlich dreist, jetzt der SPD vorzuwerfen, wir hätten
Zurufe von der SPD) Steuererhöhungen vor der Wahl gefordert. Wir haben
darauf aufmerksam gemacht: Es wird nicht ohne ge-
— Es ist so, wie ich sage. hen.
Letzter Punkt. Die Länder sind sich bewußt — viel- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/
leicht müssen sie sich noch mehr bewußt werden —, CSU: Wo liegt der Unterschied?)
daß das, was von einigen Rednern angesprochen
—Der Unterschied liegt darin, daß es die Sozialdemo-
wurde, nämlich die bilaterale Hilfe von Land zu Land,
kraten nicht lassen können, vor der Wahl die Wahrheit
etwa von Rheinland-Pfalz hinüber nach Thüringen,
zu sagen.
insbesondere die Hilfe beim Aufbau der Verwaltung,
sehr richtig ist. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/
CSU: Das müßt ihr sagen!)
Ich darf Ihnen sagen, daß wir erhebliche Anstren-
gungen machen. Aus Rheinland-Pfalz befinden sich — Wenn Sie einen solchen Zwischenruf machen, will
gegenwärtig etwa 250 Beamte in Thüringen, wo sie ich darauf eingehen.
intensive, sehr angestrengte und auch sehr fruchtbare Wenn Herr Lambsdorff jetzt sagt, wir hätten über
Arbeit leisten. Aus Hessen und Bayern sind auch viele Steuererhöhungen eher reden können, wenn wir Sie
da. nicht gehindert hätten, am 2. Dezember zu wählen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sondern wenn wir erlaubt hätten, daß am 3. Oktober
362 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Präsident des Senats Wedemeier (Bremen)


gewählt worden wäre, dann sagt er mir damit, daß er ter werden alle dazugezählt. Das haben Sie vor der
am 4. Oktober über Steuererhöhungen geredet Wahl noch bestritten.
hätte.
(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Nein, das ist
(Dr. Vogel [SPD]: Die Logik! — Weitere Zu nicht wahr!)
rufe von der SPD)
— Das ist ein zwingender Schluß. Aber ich will da nicht nachkarten.
(Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Das Problem ist, daß die Marktwirtschaft — das
Vielleicht in der Bremer Bürgerschaft, aber spüren heute viele; wir wissen das seit langem — oft
nicht hier! — Dr. Rose [CDU/CSU]: Das ist eben auch keine Ethik kennt. Sie kann für den einzel-
ein zwingender Schuß!) nen brutal sein. Damit hat sie auch ihren Preis. Das hat
Damit, sehr geehrter Herr Lambsdorff, geben Sie zu, Detlev Rohwedder schon im letzten Jahr deutlich zu
daß Sie es eher gewußt haben. Man hätte es auch machen versucht, als er — das ist bemerkenswert —
die westdeutschen Unternehmen aufgerufen hat, sich
wissen müssen.
in den neuen Ländern nicht wie Kolonialoffiziere zu
benehmen. Er hat sie aufgerufen, Anstand zu bewah-
Vizepräsident Becker: Gestatten Sie eine Zwi- ren, der zur Sozialen Marktwirtschaft gehört.
schenfrage des Herr Lambsdorff? Diesem mangelnden Anstand sind die Menschen
drüben ausgesetzt. Der Anstand ist nicht vorhanden.
Dieser rasante Übergang ist für viele geistig und see-
Präsident des Senats Wedemeier (Bremen) : Bitte.
lisch nicht zu verkraften. Ihr Selbstwertgefühl wird
bedroht. Das müssen wir in Rechnung stellen und
Dr. Graf Lambsdorff (FDP): Herr Bürgermeister, bedenken, wenn wir über die Hilfe für die neuen Län-
würden Sie mir zustimmen, daß die von Ihnen in An- der reden.
spruch genommene Logik etwa der des Satzes „Don- Man wird im vereinten Deutschland noch lange
nerstag ist es kälter als draußen!" entspricht? „wir" und „ihr" sagen. Ich glaube auch nicht, daß wir
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der 1991 diesbezüglich einen entscheidenden Schritt vor-
CDU/CSU — Zuruf von der SPD) ankommen. Aber ich hoffe, daß wir einen Schritt vor-
ankommen.

Präsident des Senats Wedemeier (Bremen): Haben Ich spüre bei Debatten — erlauben Sie mir den Hin-
Sie noch eine Frage, Herr Lambsdorff? weis: auch hier — Überheblichkeit unsererseits ge-
genüber den Menschen in den neuen Ländern. Ich
(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Nein, nein!) denke, daß wir keinen Grund zu Überheblichkeit und
— Dann ist es gut. Hochmut haben. Wir hatten durch die Siegermächte
(Hinsken [CDU/CSU]: Wo ist die Antwort?) des Zweiten Weltkrieges die einmalige Chance, eine
demokratische Gesellschaft aufzubauen, und die
Ich war für Ihre Offenheit, die Sie hier unbewußt an Menschen im östlichen Deutschland haben die allei-
den Tag gelegt haben, jedenfalls dankbar.
- nige Last, zumindest die Hauptlast des verlorenen
Meine Damen und Herren, wir stehen heute vor Krieges tragen müssen.
dem Scherbenhaufen solcher Versprechungen. Zu-
mindest die Menschen in den neuen Ländern stehen (Beifall bei der SPD — Hinsken [CDU/CSU]:
vor dem Scherbenhaufen solcher Versprechungen. Das sagen Sie einmal Lafontaine!)
Die Menschen drüben haben es mit einer Konkur- — Das sage ich überall.
renz und Leistungsgesellschaft zu tun, die ihnen un-
-

vertraut war, die ihnen unbekannt war. Dem begei- Das Problem heute ist, daß die Massenarbeitslosig-
sterten Ruf „Einig Vaterland!" bei den Demonstratio- keit, vor der die Menschen in der ehemaligen DDR
nen, den die meisten von uns freudig aufgenommen stehen, nicht nur das soziale Sicherungssystem bela-
haben, ist in großen Teilen der Bevölkerung die Er- stet, sondern daß auch der innere Frieden bedroht ist,
nüchterung gefolgt. Es ist zwar das System zusam- wenn der soziale Frieden erst einmal belastet ist. Der
mengebrochen, aber es gibt keine Perspektive und innere Frieden ist Bedingung für den äußeren Frie-
keine Hoffnung. den.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt ja Ich war auch nach dem 3. Oktober, bis in die ver-
wohl nicht!) gangenen Tage hinein, des öfteren in den neuen Län-
Ich sage das aus eigener Anschauung: Es fehlen Zei- dern.
chen eines wirklich erfolgversprechenden Neuan- (Hinsken [CDU/CSU]: Auch wir!)
fangs.
Was mich bedrückt — vielleicht ging es auch Ihnen
Wer vor der Wahl die Aussage gewagt hat, es werde so — ist, daß viele Menschen in den neuen Ländern
in den neuen Ländern drei Millionen Arbeitslose ge- das Wort „Beitritt" nicht mehr hören können.
ben, ist als Schwarzmaler verteufelt worden.
(Dr. Vogel [SPD]: Locker!) (Hinsken [CDU/CSU]: Das haben wir nicht
erlebt!)
So war das. Heute wird hier, ohne wenigstens ein
Wort der Entschuldigung zu sagen, einfach von drei Ich habe sogar Menschen getroffen, die gesagt haben
Millionen Arbeitslosen ausgegangen. Die Kurzarbei — das muß uns nachdenklich machen, und deshalb
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 363
Präsident des Senats Wedemeier (Bremen)
dürfen wir sie nicht beschimpfen — : Unter Honecker Es ist etwas, und es ist die einzige Chance, für 250 000
ging es uns besser. etwas zu tun. Ich sage ihm für die Arbeitsminister
Westdeutschlands zu, daß wir das unterstützen, was er
(Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Ach, du
sich da vorgenommen hat.
liebe Zeit! Wer hat denn das gesagt! — Hins
ken [CDU/CSU]: Da waren Sie mit lauter Das Hauptproblem scheint mir aber die mangelnde
SEDlern zusammen!) Finanzausstattung der Gemeinden zu sein. Ich würde
Ich teile diese Auffassung nicht, sondern ich gebe nur übrigens nicht, Herr Kollege Wagner, den Ländern in
wieder, was gesagt wird. Ich denke, hinhören in den der DDR vorwerfen, sie hätten 8,6 Milliarden DM bei
neuen Ländern ist manchmal besser, als nur über sie der Bundesbank liegen. Das ist übrigens zinslos, wie
zu reden. das Gesetz ist. Das hat bestimmte Gründe; das hat
etwas mit Liquidität zu tun. Ich will darauf jetzt nicht
(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ weiter eingehen; es darf kein Vorwurf an die neuen
CSU) Länder in Deutschland sein.
Ich habe die Befürchtung: Wir alle waren stolz dar- (Zurufe von der CDU/CSU)
auf, daß es einen friedlichen 9. November, eine demo-
kratische, unblutige Revolution gegeben hat. Wir — Natürlich ist das Geld, aber es kann übermorgen
Westdeutschen waren daran nicht beteiligt und haben schon wieder weg sein. Darüber müssen wir jetzt nicht
nichts dazu beigetragen. lange reden.
(Gattermann [FDP]: Welchen Beitrag leistet Das Hauptproblem ist, daß die Kommunen zuwenig
Bremen zur Finanzierungsfrage?) Geld haben, um Arbeit zu schaffen, und ich bitte, dar-
über nachzudenken.
— Ich komme darauf noch zurück, falls Sie so lange
hierbleiben. In der Gemeinde entscheidet sich, ob Menschen
Ich fürchte, daß wir es alsbald — das fürchten auch Mut zur Zukunft finden. In der Gemeinde entscheidet
Bürgermeister der Städte dort — mit sozialen Unru- sich, ob sie sich — übrigens auch von uns — abwen-
hen und Demonstrationen zu tun haben werden, die den, und keine der großen demokratischen Parteien
nicht mehr friedlich verlaufen. Und dann frage ich hätte etwas davon, wenn sich Menschen aus -Politik-
mich, was man über uns sagen wird. verdrossenheit, aus Enttäuschung abwenden.
Was ist notwendig , meine Damen und Herren? Es ist (Beifall bei der SPD — Hinsken [CDU/CSU]:
kein gutes Zeichen, daß der Aufbruch, der in den Da haben Sie recht!)
neuen Ländern längst hätte stattfinden müssen, bis Aber sie könnten es tun, wenn die Versprechungen,
heute nicht stattgefunden hat, obwohl Zeit genug da
die wir alle zusammen bisher gemacht haben, insbe-
war. Es passiert nichts in der Stadtsanierung, es pas- sondere die Koalition, folgenlos bleiben.
siert nichts im Wohnungsbau, es passiert nichts im
Straßenbau. Die Ursachen sind uns bekannt; es sind Ich halte es für einen Konstruktionsfehler im Eini-
auch die Verwaltungsstrukturen. Dafür kann aber gungsvertrag, daß wir das Steuersystem der alten
niemand etwas; es braucht auch Zeit, solche Struktu- Bundesrepublik auf unser geeintes Deutschland über-
ren umzubauen. - tragen haben. Damit hat sich übrigens der Bund einen
Es ist eine Tatsache, daß Mittel nicht dorthin kom- Großteil der Steuereinnahmen aus den neuen Län-
men, wo sie jetzt hin müssen, um Arbeit zu schaffen, dern zunächst einmal gesichert, nämlich aus der
nämlich direkt zu den Gemeinden. Mehrwertsteuer und der Lohn- und Einkommen-
steuer. Das muß man wissen.
(Hinsken [CDU/CSU]: Wer ist da schuld? —
Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Weil die neuen Länder und in ihnen die Gemeinden
über Jahre hinaus nicht annähernd über Steuerein-
Ich weiß, daß es da ideologische Vorbehalte gibt, sich nahmen in einer Höhe wie die westdeutschen Länder
darüber zu verständigen, Beschäftigungsgesellschaf- und Gemeinden verfügen werden, ist das, was wir
ten in den neuen Ländern zu gründen, damit wir dort dort gemacht haben, falsch. Wir sollten es korrigie-
verhindern, was viele hier leidvoll haben erfahren ren.
müssen, jedenfalls in einigen Bundesländern. Graf
Lambsdorff hat Bremen und die Schiffbauindustrie Die neuen Länder sind schon heute nicht oder kaum
erwähnt; etwas ähnliches droht in Mecklenburg-Vor- in der Lage, den Kommunen jene 20 % zuzuweisen,
pommern. Wir dürfen die Menschen nicht erst in die die diesen aus den Steuereinnahmen der Länder drü-
Arbeitslosigkeit fallenlassen, um dann irgendwann ben zustehen. Die Kommunen, deren Hauptfinanzie-
eine Beschäftigungsgesellschaft zu gründen, rungsquelle der Fonds Deutsche Einheit ist — das
muß man sich einmal überlegen, daß sie keine höhe-
(Beifall bei der SPD) ren Steuereinnahmen haben, als die Zuweisung aus
sondern sie müssen sofort von ihrem Bet ri eb in eine dem Fonds Deutsche Einheit ausmacht —, verfügen
Beschäftigungsgesellschaft überführt werden kön- über Einnahmen von insgesamt 20 bis 25 Milliarden
nen, weil man sie da auch durch die Parallelität von DM im Jahr. Ich rede jetzt nicht über die Länder. Über
Aus- und Weiterbildung auf neue Aufgaben hin qua- die Länder wird viel geredet, aber das Hauptproblem
lifizieren kann. wird immer übersehen.
Er ist, glaube ich, nicht da, aber ich möchte Herrn Die Bundesregierung schätzt die Ausgaben der
Bundesminister Blüm Mut machen, sein Aufbauwerk Kommunen in den neuen Ländern auf ca. 40 Milliar-
ABM durchzusetzen, auch wenn es nur 250 000 sind. den DM. Es besteht also eine Differenz von bis zu
364 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Präsident des Senats Wedemeier (Bremen)


15 Milliarden DM. Da müssen wir den Kommunen worden, zum zweitenmal durch uns. Wir haben da
jetzt helfen. einen Fehler gemacht.
Deshalb will ich für die Kommunen in der DDR hier (Hinsken [CDU/CSU]: Da liegen Sie falsch!
fünf Forderungen aufstellen. Es gibt gewisse Zwänge!)
Erstens. Der Bund muß in die Lage versetzt werden Das muß rückgängig gemacht werden.
— über das Wie reden wir ja noch —, den Städten und
(Beifall bei der SPD)
Gemeinden in der ehemaligen DDR direkt unter Um-
gehung der Länder — alles andere würde wegen der Es gibt in Westdeutschland 700 Kommunen, die ei-
Verwaltungsstruktur, nicht wegen der Politiker dort, gene Stadtwerke haben. 150 Kommunen in den
hemmend wirken — 10 Milliarden DM jährlich zur neuen Ländern haben Entsprechendes beantragt;
Verfügung zu stellen, damit Investitionen in den Kom- entschieden ist bisher gar nichts.
munen sofort in Gang kommen. Es gibt genügend
Ich will mich vor dem Thema Finanzen nicht drük-
Möglichkeiten, in den Kommunen etwas zu tun. Ich
ken, Herr Bundesfinanzminister. Deshalb dazu noch
habe sie zum Teil aufgezählt.
ein Wort.
Wichtig ist, daß die Abrechnung dieser Investitions- Sie haben beim Fonds Deutsche Einheit, ich glaube,
gelder hinterher erfolgen kann, daß es nicht so abläuft sogar hier im Bundestag, aber mindestens im Bundes-
wie bei uns: Die Gemeinde stellt einen Antrag; der rat, mindestens im Gespräch beim Bundeskanzler, ge-
Antrag geht an das Land; das Land prüft und prüft; sagt: Das war es. Das Risiko, wenn es mehr wird, trägt
dann geht der Antrag an das zuständige Bundesmini- der Bund. Das haben Sie, Herr Waigel, wahrscheinlich
sterium; dann erhält die Gemeinde auf demselben auch hier, uns und der Öffentlichkeit gesagt.
Weg zurück die Entscheidung darüber mitgeteilt, ob
Mittel zur Verfügung gestellt werden oder nicht. (Dr. Vogel [SPD]: Das hat er auch hier ge-
sagt!)
In den Kommunen der ehemaligen DDR muß hin-
terher abgerechnet werden. Ich bitte sehr darum, dies Nun sagen Sie wenigstens: Das war es eben nicht.
zu überlegen. Das kann eine wesentliche Hilfe für die Auch da haben wir falsch gelegen. — Es kommt ja
Kommunen sein. Art. 104 a des Grundgesetzes gibt nicht mehr darauf an, daß Sie auch da falsch gelegen
die Möglichkeit dazu her. haben.

Zweite Forderung: Die Gemeinden und Städte in Ich bin dem Kollegen Wagner dankbar, daß er Ihre
den neuen Ländern müssen die Schulden beim ehe- Zahl — wenn Sie da so weitermachen, vergiften Sie
maligen volkseigenen Wohnungsvermögen loswer- Atmosphäre — der 3 Milliarden DM korrigiert hat. Wir
den. Die Gemeinden ersticken an den Schulden der Länder leisten wesentlich mehr. Lassen Sie bitte das
kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Die Ge- Zahlenspiel: Sie 80 Milliarden DM, wir 3 Milliarden
meinden in den neuen Ländern zahlen für diesen Be- DM. Bei Ihnen rechnen Sie alles hinein, was Bundes-
reich pro Kopf heute schon mehr Zinsen als manche aufgaben auch in Westdeutschland sind, und bei uns
westdeutsche Gemeinden. Da gibt es allerdings Un- rechnen Sie nur die Zinsen hinein.
terschiede. - Wir sind bereit — ich rede für die SPD-regierten
Länder — , mit Ihnen darüber nachzudenken, wie wir
Wir müssen irgendeinen Weg finden, den Gemein-
zu weiteren Einnahmen oder Ausgabenentlastungen
den in der DDR diese Schulden abzunehmen. Ich habe kommen. Ich biete Ihnen das an.
gehört, es soll dafür ein Moratorium geben.
(Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Sie haben doch
Dritte Forderung: Die Gemeinden brauchen das gesagt, daß Sie sagen wollen, wieviel Sie be
Verfügungsrecht über Grund und Boden, und zwar zahlen wollen!)
schnell. Ohne Verfügungsrecht werden keine Investi-
tionen getätigt, und ohne Investitionen gibt es keine Aber erstens. Es nicht angehen — das sage ich auch
Arbeitsplätze. für die Gemeinden in den neuen Ländern —, daß die
Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer ge-
(Hinsken [CDU/CSU]: Einverstanden!) senkt werden und Sie gleichzeitig andere Steuern
anheben wollen. Das ist mit uns nicht zu machen.
Der Grundsatz „Entschädigung vor Rückgabe" muß
endlich durchgesetzt werden, sonst wird gar nichts (Beifall bei der SPD)
passieren.
Zweitens. Es kann nicht angehen, daß das Dienst-
(Beifall bei der SPD — Zustimmung des Abg. mädchenprivileg verbessert wird, aber andere mehr
Hinsken [CDU/CSU]) zahlen sollen. Auch das ist mit uns nicht zu machen.

Vierte Forderung: Es muß ausreichend Geld für den (Beifall bei der SPD)
Verwaltungshaushalt da sein. Drittens. Ich schließe mich der Forderung der Mini-
Fünfte Forderung. — Ich mache es jetzt kurz, weil sterpräsidenten der Ost-Länder an, daß die Subven-
tionierungen, besser: Preisstützungen, fortgeführt
meine Redezeit gleich abgelaufen ist. — Es war auch
ein Fehler und kommt einer kalten Enteignung gleich, werden, weil sie jetzt nicht abrupt abgebrochen wer-
den Gemeinden die Energieversorgungsunterneh- den können.
men zum zweitenmal gestohlen zu haben. Zum er- Viertens. Herr Wagner hat es schon gesagt: Die Ein-
stenmal sind sie durch das SED-Regime enteignet nahmen des Bundes aus dem Fonds Deutsche Einheit
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 365
Präsident des Senats Wedemeier (Bremen)
in Höhe von 15 % müssen den neuen Ländern zur Ver- Dr. Weng (Gerlingen) (FDP): Herr Präsident! Meine
fügung gestellt werden. sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nach der
Rede zweier Repräsentanten von Bundesländern na-
(Hinsken [CDU/CSU]: Nun ist Schluß!)
türlich reizvoll, sich darüber Gedanken zu machen,
— Nein, es ist noch nicht Schluß. Es geht noch wei- worin der Unterschied zwischen diesen beiden Rede-
ter. beiträgen lag. Ich glaube schon, daß es nicht über-
(Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben schon vor zeichnet ist, wenn ich sage: Auf der einen Seite hatten
zehn Minuten gesagt, daß Sie Schluß ma wir den ausgewogenen und zu erwartenden Vortrag
chen wollen! — Krause [CDU/CSU]: Falsche des Ministerpräsidenten eines Bundeslandes. Auf der
Versprechungen sind das!) anderen Seite klang es so, wie man es von Parteifunk-
tionären gewöhnt ist.
Ich komme nämlich jetzt fünftens zur Ergänzungs-
abgabe, sechstens zu Einsparungen — ich mache das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
jetzt etwas schneller — Lachen bei der SPD)
(Dr. Rose [CDU/CSU]: Jetzt fließt die Weser Nun könnte man zu der Auffassung kommen, daß
schneller!) das parteipolitisch zu sehen ist. Aber ich glaube, man
darf eines nicht übersehen: In dem einen Bundesland
und siebtens zur Einführung einer Arbeitsmarktab- ist die FDP Koalitionspartner, in dem anderen sollte
gabe. Auch da möchte ich Herrn Blüm nachhaltig sie es werden.
unterstützen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Das hat Lachen bei der SPD — Dr. Rose [CDU/CSU]:
er so nicht gesagt!) Sehr gut! Daran liegt es!)
Dann sind wir auch bereit, über die Frage zu reden, ob In der augenblicklich außerordentlich bewegten Si-
die Umsatzsteuer jetzt sofort zu 100 % neu verteilt tuation der öffentlichen Finanzen stelle ich fest, daß
bzw. die Einwohnerwertung der neuen Länder auf das theoretisch Richtige und Notwendige kaum mehr
100 % angehoben werden soll. Ich weiß, daß das eine getan werden kann, sondern daß wir uns — ich hoffe,
berechtigte Forderung ist. Aber das kann nicht das dies gilt nur für eine kurze Phase des Handelns — auf
einzige sein, was wir tun. Herr Kollege, es muß mehr das Mögliche konzentrieren müssen. Kein Zweifel
passieren. kann daran bestehen, daß das dringendste Problem
(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Spät der deutschen Finanzpolitik im Augenblick die mas-
kommt er, aber er kommt!) sive Förderung der Umstrukturierung und der Ent-
wicklung der neuen Bundesländer sein muß. Hierzu
Ich darf zum Schluß noch einen Satz sagen. Ich wird die FDP-Bundestagsfraktion jeden möglichen
freue mich, daß jetzt überall, im Deutschen Bundes- Beitrag leisten.
tag, im Bundesrat und in der Öffentlichkeit, gleiche
Die Dynamik der Entwicklung in den neuen Bun-
Lebensverhältnisse für alle Deutschen verlangt wer-
den. Ich schließe mich dem ausdrücklich an. In den desländern übertrifft im negativen Sinne unsere Er-
wartung: Die Bürger dort harren eben nicht aus und
letzten 10, 15 Jahren haben wir solche Forderungen
warten nicht auf eine positive Gesamtentwicklung,
zum Teil vergeblich aufgestellt; ich weise- damit zart
sondern sie versuchen — und wer könnte das nicht gut
auf ein Problem hin, das ich in meinem Bundesland
verstehen — , ihr persönliches Leben unter den jetzi-
habe.
gen Bedingungen bestmöglichst zu gestalten. Dies
Meine Damen und Herren, welche Steuern auch führt dazu, daß weiterhin in großem Maße leistungs-
erhöht werden sollen — ich habe gesagt: wir bieten bereite Menschen in die alte Bundesrepublik auswei-
unsere Mithilfe an, auch im Bundesrat — , die Vor- chen, wo ihnen eine ausgezeichnete Konjunktur und
schläge müssen von Herrn Waigel, müssen von der ein aufnahmefähiger Arbeitsmarkt erheblich bessere
Bundesregierung kommen. Startmöglichkeiten bieten, als dies zu Hause der Fall
(Hinsken [CDU/CSU]: Sie sind nur für Sen ist. Genau diese Menschen fehlen für den Neuaufbau
kung zuständig!) ihrer Heimat. Hieraus resultiert ganz zwangsläufig
neue staatliche Verantwortung, auch neue Verant-
Wir werden uns nicht verweigern, wenn sozial ausge- wortung des Bundes. Das heißt folgendes:
wogene Vorschläge kommen. Ich bitte aber darum:
Jetzt muß die Wahrheit auf den Tisch. Erstens. Die theoretische Idee einer mittelfristigen
Anpassung der Löhne und Gehälter wird nicht stand-
(Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Was ist Ihr Bei halten. Wir sehen das heute schon an vielen Stellen.
trag?) Ich sage das auch mit Blick darauf, daß z. B. qualifi-
Die Deutschen in den neuen Ländern und unsere ge- zierte Kommunalbeamte von der Wirtschaft schnell-
meinsame Zukunft vertragen einen erneuten Wort- stens abgeworben werden und damit Lücken hinter-
bruch nicht. lassen, die sich nicht schließen lassen — mit den be-
kannten Konsequenzen für die Struktur der Verwal-
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ tung. Diese Anpassung wird schneller kommen müs-
GRÜNE sowie bei Abgeordneten der PDS/ sen, als das in der theoretischen Vorstellung vorgese-
Linke Liste) hen war.
Zum zweiten. Zum Aufbau der dortigen Verwal-
tung, aber auch zum Aufbau der dortigen Infrastruk-
Vizepräsident Becker: Meine Damen und Herren, tur muß die Unterstützung wesentlich umfangreicher
das Wort hat nun der Abgeordnete Weng (FDP). sein, als dies bisher gedacht war.
366 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Weng (Gerlingen)


Zum dritten. Im Westen müssen wir alle — auch lineare Subventionskürzungen aufgegriffen hat.
unsere Bürger, aber auch die Gebietskörperschaf- Meine Fraktion ist gespannt darauf, inwieweit in den
ten — aufhören, so zu tun, als sei in Wirklichkeit über- finanzpolitischen Spitzengesprächen der nächsten
haupt nichts geschehen. Ich sage das mit Blick auf Tage diese Überlegungen zu Ergebnissen führen.
eine Äußerung hier heute morgen zu den Werften, die
bestimmte Wartungen nicht mehr ausführten, weil Eines darf jedenfalls nicht sein: Wenn kurzfristig
diese Wartungen plötzlich von westlichen Werften der Haushaltsausgleich ohne Erhöhung der Abgaben-
vorgenommen werden. Wenn diese Behauptung — last für die Bürger nicht möglich erscheint, wenn also
ich weiß nicht mehr, welcher Kollege es hier darge- ein Thema, das für die Koalition sonst ein Tabu
stellt hat; ich glaube, es war Herr Thierse — so stimmt, Thema gewesen ist, nämlich Steuererhöhungen, doch
dann ist das wirklich ein falscher Weg. Es darf nicht offen diskutiert wird und diskutiert werden muß, dann
sein, daß der Verteidigungsminister die Schiffe der darf nicht wie bei einem Dammbruch plötzlich alles
Volksarmee jetzt aus Rostock abzieht und auf west- und jedes zur Disposition stehen. Ich will, meine Da-
deutschen Werften warten läßt und damit die Arbeits- men und Herren, hier nicht die Spekulationen weiter
plätze in Rostock noch viel stärker gefährdet. Dies ist vertiefen, aber ich meine: Wenn schon Erhöhungen
ein kleines, aber ein vielleicht typisches Beispiel, das von Steuern, dann kann es nur da sein, wo es auch
uns zu denken geben muß. bisher nicht für ordnungspolitisch völlig falsch ange-
sehen wurde. Wir sollten auch die Argumente der
(Esters [SPD]: Das ist aber passiert!) Opposition, insbesondere die aus den Wahlprogram-
men, sorgfältig prüfen.
Die Menschen in der Bundesrepublik, besonders
die Menschen in den neuen Bundesländern haben Ich komme zurück auf das Zerren um die Finanz-
natürlich wenig Verständnis für das Zerren um Finan- verteilung. In den westlichen Bundesländern boomt
zen, das im Augenblick stattfindet. Leider kann ihnen die Wirtschaft in allen Bereichen. Wer in Lokalzeitun-
aber dieses Zerren, diese in der Politik demokratischer gen über die Debatten vieler Gemeinderäte zu ihren
Staaten übliche öffentliche Auseinandersetzung nicht Haushalten liest, der sieht oft eine verbesserte, oft
erspart werden; denn die Verteilung des verfügbaren deutlich verbesserte Finanzlage. Gerade weil dies
öffentlichen Finanzaufkommens ist eine außerordent- nicht in allen Gemeinden in gleicher Weise der Fall ist,
lich schwierige und auch eine außerordentlich folgen- besteht eine besondere Verantwortung bei den wirk-
reiche Angelegenheit, die immer auch langfristig ge- lich reichen Gemeinden. Es ist leider kaum zu sehen,
dacht werden muß. Und wenn die Verteilung von daß irgendwo dieser Verantwortung — den Appellen
Zuwächsen in der Vergangenheit schon immer alleine — Folge geleistet würde. Mein Appell geht
schwer war, wie schwer ist dann Umverteilung! Um- dahin, Partnerschaften auszubauen oder schnellstens
verteilung aber, meine Damen und Herren, wird sein neu aufzubauen und sie außer mit freundlichen Wor-
müssen. ten auch mit tatsächlichen massiven Hilfeleistungen,
vor allem im personellen Bereich, zu flankieren.
Die Grundzüge der Finanzpolitik der Koalition und
damit der FDP, die sich in den Koalitionsvereinbarun- Meine Bitte an die Gemeinden: Lassen Sie Ihre
gen widerspiegeln, bleiben richtig. Die ins Auge ge- wünschenswerten Prestigeobjekte einfach ein paar
faßte Verschuldung ist gerade noch vertretbar. Warn- Jahre liegen, und helfen Sie direkt da, wo es nicht um
signale der Deutschen Bundesbank und heute- ja auch eine noch schönere und größere Stadthalle oder um
eines wissenschaftlichen Instituts dürfen nicht überse- ein weiteres Hallenwarmbad geht, sondern wo die
hen werden. Gefahr eines Zusammenbruchs der Infrastruktur be-
steht!
Also sparsames Handeln einerseits, aber massive
Notwendigkeiten in den neuen Bundesländern ande- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
rerseits. Diese Gratwanderung war schon schwierig der CDU/CSU und der SPD)
genug, als wir nur unsere eigenen Angelegenheiten
Meine Bitte und meine Aufforderung an die Bundes-
vor Augen hatten. Jetzt stehen wir zusätzlich vor der
länder: Bei den anstehenden Gesprächen um eine
bekannten weltpolitischen Situation, in der unsere
Umstrukturierung der Finanzverteilung sind Sie kurz-
Verbündeten angetreten sind, um eine nachhaltige
fristig am stärksten gefordert.
Störung, wenn nicht gar eine Zerstörung der Weltord-
nung zu verhindern, der Ordnung, die nach dem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Unsere Verbünde- der CDU/CSU)
ten haben hierfür Anspruch auf die bestmögliche Un-
terstützung durch uns. Diese Unterstützung bedeutet Der Zahlenvergleich von Aufwendungen des Bundes
zusätzliche Belastungen für unseren Haushalt. und der Länder — auch wenn hier über diesen Zah-
lenvergleich natürlich immer wieder gestritten wird
Ich sage in Kenntnis der Einschränkungen, die viele und er ganz präzise in einem laufenden Verfahren
unserer Bürger schon auf Grund der seitherigen Be- wahrscheinlich nie herzustellen sein wird — spricht
schlußlage erwarten müssen, Beschlüsse, die ja noch trotzdem eine deutliche Sprache zugunsten des Bun-
nicht umgesetzt sind und die im Haushalt 1991 umge- des und zu Lasten der Länder, die hier mehr tun wer-
setzt werden: Wir werden trotzdem im in der kom- den müssen, die auch signalisiert haben, hierzu bereit
menden Woche beginnenden Haushaltsverfahren zu sein.
noch nach weiteren Möglichkeiten der Einsparung (Sehr wahr! bei der FDP)
suchen und den Finanzminister hierin unterstützen.
Bei allem Verständnis für Eigeninteressen und bei
Es ist auch ein interessantes Signal, daß der Bundes- aller Sympathie für einen funktionierenden Föderalis-
wirtschaftsminister eine alte Forderung der FDP auf mus: In den Gesprächen der kommenden Wochen,
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 367

Dr. Weng (Gerlingen)


deren Ergebnis für die Entwicklung unseres Landes Marktwirtschaft entfernt sind, ein Crashkurs gefahren
und gerade für die Chancen unserer neuen Bürger so wird. Für den Markt und das Kapital ist es eben —
wichtig sein wird, sind sie zuallererst zu gesamtstaat- zumindest gegenwärtig — am billigsten und einfach-
licher Verantwortung und Solidarität aufgefordert. sten, sich aus der Konkursmasse zu bedienen.
Wenn mir hier eine Bemerkung erlaubt ist, meine Mit der Devise „Privatisieren vor Sanieren", nach
Damen und Herren: Die Äußerung eines Repräsen- der die Treuhand letztendlich fast alles liquidiert, wird
tanten eines Bundeslandes, daß er ein Gesamtkonzept gleichzeitig ein sozialer Kahlschlag vorgenommen,
scheitern lassen würde, wenn nicht sein Bundesland der seinesgleichen sucht. 8,6 % Arbeitslose im Januar
aus seiner Sicht angemessen Berücksichtigung fände, — 10 % bei den Frauen und 7 % bei den Männern —
d. h. stärker als das im Moment konzipiert ist, ist nach sind ja auch nur ein kleiner Teil der Wahrheit. 700 000
meinem Dafürhalten kein Signal gesamtstaatlicher befinden sich in der Warteschleife, aus der es für die
Verantwortung. meisten ja auch nur einen Ausweg gibt, und weitere
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten 1 850 000 befinden sich in Kurzarbeit. Das ist doch
der CDU/CSU) nichts anderes als verdeckte Arbeitslosigkeit. Es sind
Meine Damen und Herren, wenn der Bundestag in damit schon 3 Millionen, Graf Lambsdorff, die davon
der zweiten Märzwoche den Haushalt von 1991 in betroffen sind.
erster Lesung berät, werden Weichen gestellt sein. Sie Sie können mir glauben, daß ich weiß, wovon ich
wissen, daß Termine für die Spitzengespräche der rede. In meiner Familie habe ich auch zwei Null-
Koalition in der Frage der einzelnen Finanzbeschlüsse Kurzarbeiter. Nun kann sich das ein Bundestagsab-
festgelegt worden sind und daß wir bis zum Beginn geordneter leisten. Nur die allerwenigsten Familien in
der Haushaltsberatungen einen festeren Grund ha- der ehemaligen DDR haben ein Familienmitglied, das
ben werden als im Augenblick. finanziell so gutgestellt ist. Rund eine halbe Million
Die Bundesregierung und insbesondere der Bun- Menschen — vor allem Frauen — sind Alleinerzie-
desfinanzminister benötigen für die Fortsetzung des hende in den fünf neuen Ländern; sie sind besonders
klaren Konzepts soliden Haushaltens in dieser hart davon betroffen.
schwierigen Zeit unsere Unterstützung. Auch wenn Letztendlich geht es mir auch nicht nur um finan-
das Medienspektakel manchmal einen anderen Ein- zielle Sicherstellung. Ich finde es für ein Gesell-
druck vermitteln mag, die FDP-Bundestagsfraktion ist schaftssystem menschenunwürdig, wenn junge Leute
zu dieser Unterstützung bereit. mit 19 und 20 Jahren im Aus sind, ohne Aussicht auf
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Änderung, wenn qualifizierte Facharbeiter mit lang-
jährigen Erfahrungen, wenn Diplomierte mit Berufen,
die auch dem Weltstand nicht nachstanden, heute
Vizepräsident Becker: Meine sehr verehrten Da-
men und Herren, nach den noch vorliegenden Wort- keine Chance mehr haben.
meldungen werden wir diesen Tagesordnungspunkt Ich habe vor 14 Tagen mit Interesse in einer Fach-
noch etwa eine Stunde weiterdiskutieren. zeitschrift ein Interview mit Opel-Chef Hughes gele-
Das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter sen. Er stellte dort fest, daß die qualitativ besten Vec-
Dr. Schumann (PDS). - tra in Eisenach montiert werden. Nur, was hilft das
den Arbeitern im ehemaligen Automobilwerk Eise-
nach? Auf mich wirkt auch die große Umschulungs-
Dr. Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Liste): kampagne mehr als Verhöhnung und weniger als
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An der echte Hilfe.
gemeinsamen Freude, die Herr Bundesminister Wai-
gel heute früh hier initiieren wollte, können wir leider Ich wohne z. B. in einem Dorf mit 2 000 Einwohnern.
nicht teilhaben; ich glaube, mit uns auch viele Men- Wenn sich dort gegenwärtig fünf Mann als Steuer-
schen in den fünf neuen Ländern, weil ihnen ganz und Vermögensberater ausbilden lassen, dann frage
anders zumute ist. ich mich: Wen wollen sie denn beraten?
Es bleibt dabei, daß es der Regierung nach wie vor (Dr. Rose [CDU/CSU]: Das PDS-Vermö
an klaren Konzepten fehlt, wie sich die deutsche Ein- gen!)
heit denn nun tatsächlich vollziehen kann. Fakt ist
doch: Wir haben jetzt mit einem Staat zu tun, in dem — Als Arbeitsloser vielleicht. — Gehen Sie einmal auf
zwei Gesellschaftsordnungen zu Hause sind, nämlich Arbeitsämter in den fünf neuen Ländern! Wenn einer
die der reichen Geber und die der armen Bittsteller. Diplom-Landwirtin mit langjährigen Erfahrungen im
Pflanzenschutzmitteleinsatz — auch westlicher Pro-
Alle Warnungen, die ja nicht die deutsche Einheit duktion — dort empfohlen wird, Bäuerinnen in den
verhindern sollten, wie uns immer unterstellt wird, alten Bundesländern einmal zum F riseur oder zum
wurden mindestens als Boshaftigkeit abgetan. An die Einkaufen zu fahren, dann muß man zumindest be-
Stelle von sachlicher Analyse der Gegebenheiten und achten, daß ihr vorgeschlagen wird, Bäuerinnen zu
konzeptioneller Arbeit auf dieser Grundlage wurde fahren. Vielleicht ist das die Berufsbezogenheit, die
der Wunderglaube der Selbstregulierung der Markt- damit zum Ausdruck kommt.
wirtschaft gesetzt. Nun braucht sich niemand zu wun-
dern, daß der Markt eben regelt, daß anstatt eines Die Beschäftigungspolitik vergangener Bundesre-
vernünftigen Kurses der Überführung der zentralisti- gierungen muß angesichts hunderttausender Lang-
schen Planwirtschaft der ehemaligen DDR in die Wirt- zeitarbeitsloser in den alten Bundesländern als ge-
schaftsbedingungen der westlichen Welt, die übri- scheitert angesehen werden. Unter den Bedingungen
gens auch in vielen Teilen weit von der freien Sozialen des Übergangs von Betrieben aus einer abgeschotte-
368 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Schumann (Kroppenstedt)


ten Wirtschaft in der ehemaligen DDR zu offenen neuen Bundesländern hat mein Kollege Thierse mit
Weltmarktbedingungen versagt sie für die Arbeitneh- größerem Recht dargestellt, als ich es tun könnte. Uns
mer völlig. Abgeordneten aus den alten Bundesländern sollte in
Es gab und gibt nicht wenige sozial denkende Wirt- diesem Parlament, das im vergangenen Jahr von
schaftsexperten in den fünf neuen Ländern, die be- dröhnenden Erwartungen und feierlichen T riumphen
müht waren und sind, diesen Übergang mitzugestal- widerhallte, heute ein Gefühl gemeinsam sein: das
ten und im Interesse der Menschen zu bewältigen. Sie Gefühl der Beschämung. Ihre Freiheit haben sich die
werden kriminalisiert, demoralisiert und letztendlich Deutschen in der ehemaligen DDR weitgehend selbst
ganz einfach übergegangen. Es sind unter anderem erkämpft. Wir hier, im alten Westen, jedoch haben
die aufgeknackten Seilschaften, wie Bundesminister unseren Part bislang nicht ausreichend erbracht. Wir
Waigel sagte, die im übrigen fast ausschließlich durch werden gerühmt für unsere Wirtschaftskraft, unsere
neue, aber wirkliche Seilschaften ersetzt wurden, leistungsfähigen Unternehmen, unser technisches
wenn auch zugegebenermaßen nach anderen Krite- und organisatorisches Wissen und unsere Innova-
rien: Familienbindung und Verwandtschaft sowie ge- tionsfähigkeit. Es scheint aber so, als versagten wir auf
meinsame Vergangenheit in Aufsichtsräten großer breiter Front, wenn wir diese Fähigkeiten im neuen
Konzerne sind die neuen Maßstäbe bei der Besetzung Teil Deutschlands anwenden sollen.
von Ämtern und Stellen. Wenn dies mit Fach- und Diese Debatte hat nur dann einen Sinn, wenn wir
Sachkompetenz einhergeht, ist es vielleicht noch er- uns darin einig sind, daß es unmöglich so weitergehen
träglich. Schier unerträglich ist aber die unglaubliche kann wie bisher. Wir müssen umdenken, wir müssen
Ignoranz und Arroganz, mit der viele antreten. Besitzstände antasten, und wir müssen Rituale än-
Unserer Meinung nach wird es nur dann gelingen, dern, die der neuen Aufgabe nicht gerecht werden.
den Übergang zur Wirtschaft sozial und auch finanzi- Wir brauchen ein Ende der Verteilungskämpfe zwi-
ell verträglich zu gestalten, wenn dies zur echten Ge- schen Bund und Ländern, wenn es um den Neuaufbau
meinschaftsaufgabe aller Menschen wird. Nicht das von Mecklenburg und Thüringen geht. Was wir brau-
Hin- und Herschieben zwischen Bund und Altlän- chen, ist eine gemeinsame nationale Kraftanstren-
dern, zwischen alten und neuen Ländern hilft hier gung aller gesellschaftlichen Gruppen, der Regierun-
weiter. gen, der Parlamente, der Unternehmen ebenso wie
Für mich war die heutige Rede von Bundesminister der Gewerkschaften, um den Bürgern in den neuen
Waigel erneuter Beweis, daß am Kern vorbeigeredet Ländern die Gewißheit zu geben, angenommen zu
wird. werden und dazuzugehören.
(Hinsken [CDU/CSU]: Das haben Sie wieder Welche Forderung stellt sich nun in dieser Situation
einmal nicht verstanden oder nicht verstehen an die Finanz und Haushaltspolitik? Manchmal
-

wollen!) kommt es einem vor, als ob eine Veranstaltung nach


Ohne funktionierende Wirtschaft in den neuen fünf dem Vorbild „Jugend forscht" abliefe. Im Augenblick
Ländern wird es auf Dauer ein Faß ohne Boden geben. liefern ungeheuer viele Kollegen so etwas wie Zwi-
Genau das, was die Koalitionsparteien vor einem Jahr, schenberichte ab — natürlich öffentlich — , und am
vor der Volkskammerwahl, der damaligen DDR-Re- 28. Februar tagt dann unter dem Vorsitz des Bundes-
gierung unter Hans Modrow vorgeworfen haben, ha- kanzlers die Jury. Ich würde davor warnen, schon jetzt
ben sie jetzt selbst organisiert. Wenn dieses Faß auch andauernd mit neuen Vorschlägen in die Öffentlich-
ein Loch hatte — vielleicht sogar ein großes — , so keit zu gehen, weil sonst unter Umständen die Jury
haben Sie ihm jetzt den Boden ausgeschlagen. Mit am 28. 2. überfordert sein könnte.
wortreichen Diskussionen zur Finanzpolitik ist es (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Ist das
nicht mehr zu machen. auf den Antrag hier gemünzt?)
(Beifall bei der PDS/Linke Liste) Wichtig ist für uns, daß es in dieser Legislaturperiode
keine Steuererhöhungen geben kann mit Ausnahme
Vizepräsident Becker: Ich erteile dem Abgeordne- der Maßnahmen, die zur Ankurbelung der Wirtschaft
ten Esters (SPD) das Wort. in den neuen Ländern erforderlich sind, und der Maß-
nahmen, die uns das Verfassungsgericht zur Lösung
aufgetragen hat. Alles andere sollten wir lassen, auch
Esters (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und übrigens im mittelfristigen Interesse der Länder und
Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Graf Lambsdorff, Gemeinden in den neuen Bundesländern.
recht herzlich für Ihre Aufrichtigkeit danken, die Sie
hier an den Tag gelegt haben. Ich kann mir vorstellen, Hinzukommen muß ein Prinzip äußerster Sparsam-
daß es für jemanden schwer ist, jetzt diese Situation keit. Hier muß dann all das, von dem immer getönt
vorzufinden, wenn er in der Zeit davor von einer ande- worden ist, im Bereich des Subventionsabbaus auch
ren Situation ausgegangen ist. Ich könnte mir vorstel- wirklich angepackt werden. Während das Kabinett
len, daß dies für uns beispielgebend sein sollte; denn beschließt, die Finanzhilfen um einen geradezu lä-
wir alle kommen in Situationen, wo wir uns politisch cherlich geringen Betrag von 500 Millionen DM abzu-
irren oder Fehlprognosen abgeben. Ich habe Ihre Äu- bauen, hält die Bundesregierung mit forschen Vor-
ßerungen als sehr angenehm empfunden. schlägen für den Abbau der Preisstützungen in den
Haushalten der neuen Bundesländer nicht zurück.
(Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Ich bedanke
mich!) (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)
Die schwerwiegenden Enttäuschungen und verlo- Die Vorschläge der Bundesregierung streichen die
renen Hoffnungen vieler unserer Mitbürger in den Preisstützungen von rund 37 Milliarden DM auf
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 369

Esters
knapp 16 Milliarden DM zusammen — Kürzungen, Die Bundesregierung hat den Finanzierungsbedarf
die die Lebensverhältnisse der 16 Millionen Men- der neuen Bundesländer in ihrer mittelfristigen Pro-
schen massiv berühren. jektion bis 1994 auf eine Ausgabensteigerung von
jährlich 5 % ausgelegt. Mit einer derartigen Steige-
(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist rung, die den Normalhaushalten des Westens bei ei-
übel!) ner voll entwickelten Infrastruktur entspricht, lassen
Wenn die Bundesregierung selbst auch nur ansatz- sich gleichartige Lebensverhältnisse in Gesamt-
weise zu eigenen ähnlichen Kraftanstrengungen fä- deutschland nicht herstellen.
hig wäre, wie sie sie von anderen verlangt, würden (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)
entscheidende Finanzierungsspielräume für die erfor-
derlichen Aufbauleistungen eröffnet. Gleichzeitig sind die Leistungen aus dem Fonds Deut-
sche Einheit mit einer so starken Degression versehen
(Beifall bei der SPD) worden, daß sie von 35 Milliarden DM in 1991 auf
Sparen fängt bekanntlich vor allem zu Hause an. 0 DM in 1995 zurückgehen. Damit wird den neuen
Wenn ich den Part der Regierungsbildung nehme mit Ländern und Gemeinden die Basis ihrer Finanzaus-
all dem, was durch Zellteilung und anderes mehr da- stattung entzogen, da ihre eigene Steuerkraft auf län-
zugekommen ist, dann sehe ich, daß von Sparsamkeit gere Sicht unterentwickelt bleiben wird. Die Tatsa-
in diesem Bereich nun wirklich nicht geredet werden che, daß die Bundesregierung zur Liquiditätssiche-
kann. Wie ich höre, geht der Finanzminister da auch rung bereits in den ersten beiden Monaten dieses Jah-
nicht gerade mit gutem Beispiel voran, wenn er noch res mit 14,3 Milliarden DM rund 45 % des gesamten
einen dritten beamteten Staatssekretär haben will. Jahresbeitrags als Liquiditätshilfe ausschütten müßte,
zeigt, wie irreal diese Annahmen sind.
Die Solidarität wird auch auf dem Prüfstand stehen,
wenn es um die Umschichtungen in den einzelnen Die Bundesregierung versucht, dieser beklemmen-
Haushalten zugunsten der neuen Länder geht, Um- den Finanzperspektive dadurch auszuweichen, daß
schichtungen, die in besonderer Weise auf den Ver- sie auf die angebliche Null-Verschuldung der neuen
kehrshaushalt zielen, um die für das Anspringen des Länder und Gemeinden verweist. Wie ist denn hier
marktwirtschaftlichen Erneuerungsprozesses not- die Wirklichkeit? Das für die Gemeindeinvestitionen
wendigen Verkehrsinfrastrukturleistungen zu finan- auf drei Jahre ausgelegte Zehn-Milliarden-DM-Kre-
zieren. ditprogramm war bereits im Januar voll mit Anträgen
belegt. Es wurde auf 15 Milliarden DM aufgestockt.
Das gleiche gilt für den Bereich Bildung und Wis- Wurde dieser Kreditrahmen tatsächlich, was zu er-
senschaft mit der Deutschen Forschungsgemein- warten steht, voll ausgeschöpft, so hätten die Gemein-
schaft, für den Forschungs- und Technologieetat. Das den bereits im ersten Jahr kommunaler Selbständig-
bestehende Forschungs und Technologiepotential
- keit eine Verschuldung angehäuft, für die die west-
in den Wissenschaftseinrichtungen und den Betrieben deutschen Gemeinden bei einer vergleichbaren Be-
der früheren DDR muß zunächst finanziell, soweit es trachtung der Leistungsfähigkeit vierzig Jahre ge-
zukunftsträchtig ist, erhalten werden und neu formiert braucht haben. — Ende der Fahnenstange.
werden, denn die Wettbewerbsfähigkeit einer Region
hängt in entscheidender Weise vom Technologiever- Wie sieht es bei den Bundesländern aus? Die Fehl-
bund zwischen Forschung und Unternehmen ab. einschätzung der Bundesregierung wird in geradezu
klassischer Weise bei der Konstruktion des Kreditab-
Um einen dritten Punkt herauszugreifen: Wir wer- wicklungsfonds deutlich. Dieser Fonds übernimmt
den auch darauf achten müssen, daß die Bundesstif- nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages die
tung Umwelt ihre Aktivitäten schwergewichtig in den aus der früheren DDR herrührenden Verpflichtungen
neuen Ländern entfaltet. einschließlich der Staatsverschuldung. Dieser Fonds
hat eine Laufzeit von drei Jahren, bis 31. Dezember
Mir ist dabei auch bewußt, daß dann, wenn diese
1993. Ab 1994 werden die Schulden des Fonds jeweils
Forderungen in konkrete Politik umgesetzt werden,
zur Hälfte vom Bund und von den neuen Bundeslän-
jeder von uns in seinem Wahlkreis betroffen sein
dern übernommen, soweit sie nicht auf die Treuhand-
kann. Deshalb betone ich auch, daß es hier nur um
anstalt übertragen werden können. Dahinter stand die
eine gemeinsame große Anstrengung gehen kann.
Erwartungshaltung beim Abschluß der Staatsver-
Um den in Gang befindlichen Zerfall der öffentli- träge, daß die Treuhandanstalt aus der Vermarktung
chen Strukturen in den neuen Bundesländern aufzu- der früheren volkseigenen Betriebe ein gewaltiges
halten, brauchen wir ein finanzielles Sofortprogramm, Milliardenvermögen anhäufen würde, das es erlaubt,
das unbürokratisch und verläßlich ausreichende Fi- die Verschuldung weitgehend auf die Treuhand zu
nanzmittel für die dringend notwendigen öffentlichen übertragen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Treuhand
Investitionen zur Verfügung stellt. Vergleiche mit der selbst entwickelt sich zu einem notleidenden Dino-
Finanzausstattung der alten Bundesländer allein hel- saurier, bei dem die Erlöse in zweistelliger Milliarden-
fen nicht weiter. Denn es geht darum, dem Nachhol- höhe hinter den Aufwendungen zurückbleiben. Die
bedarf und dem Wiederaufbau dieses Teils Deutsch- hälftige Übernahme der Schuldenlast des Kreditab-
lands Rechnung zu tragen. Ein Gesamtkonzept der wicklungsfonds hängt deshalb wie ein Damokles-
Bundesregierung, das diese Notwendigkeiten mit den schwert über den neuen Ländern und droht diese
Finanzbedürfnissen der alten Bundesländer und des finanzwirtschaftlich zu erdrosseln.
Bundes in mittelfristiger Sicht zusammenfaßt, fehlt
Für uns ist ebenfalls der ganze Teil wichtig, der hier
bisher. schon von verschiedener Seite angesprochen worden
Dazu drei Beispiele. ist, nämlich die Stärkung der Verwaltungskraft. Hier
370 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Esters
muß der bisherige Umfang ganz kräftig erweitert wer- ausforderungen der deutschen Einheit annehmen und
den. Denn wir alle haben erfahren, daß die Soziale nicht nachkarten. Wir sollten deshalb auch manche
Marktwirtschaft nur dann funktionstüchtig ist, wenn Probleme, die es jetzt gibt, gemeinsam anpacken.
neben ihr auf staatlicher Seite eine leistungsfähige
(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der
Verwaltung steht. Tragfähige finanzielle Anreize für
SPD)
die Bediensteten müssen auch in Zukunft bleiben,
und es darf keine Einbahnstraße sein, nur von West Es ist deshalb, meine Damen und Herren von der
nach Ost. Verwaltungshilfe heißt auch, daß wir im Opposition, parteipolitisch leicht zu durchschauen,
Austausch die Menschen aus den neuen Bundeslän- wenn Sie jetzt mit einem neuen Programm kom-
dern und Gemeinden in ihre künftigen Aufgaben ein- men.
zuarbeiten haben. (Zurufe von der SPD — Dr. Bötsch [CDU/
Ein wichtiger Punkt für uns ist noch, daß die Ab- CSU] [zur SPD gewandt]: Hören Sie doch
wicklung eines größeren Infrastrukturprogramms, zuerst einmal zu!)
bei dem wir die Ergänzungsabgabe vorsehen, über
Dieses Programm — „Aufschwung Ost" oder wie im-
das bewährte Instrument der Kreditanstalt läuft, weil
mer Sie es nennen — ist leicht zu durchschauen.
dann die Einnahmen aus dieser Ergänzungsabgabe
Wenn Sie sich jetzt als Retter in der Not aufspielen
direkt und ohne verwaltungsmäßige Schwierigkeiten
wollen, weil Sie es angeblich immer gewußt haben,
in Investitionen umgesetzt werden können und weil
kann ich Ihnen sagen: Sie haben nur eines gewußt,
es dann auch möglich ist, bestimmte Aufträge im
nämlich zu warnen und damit die Einheit möglichst
Hoch- oder Tiefbau oder auch in Planungskapazitäten
weit hinauszuzögern. Das war Ihr Ergebnis.
zusammen mit Unternehmen aus dem Bereich der
neuen Bundesländer und der Bundesrepublik durch- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es! — Wider
zuführen. Wenn wir diese unbürokratische und solide spruch bei der SPD — Zuruf von der SPD:
Abwicklung hinkriegen, dann kommen hier Investi- Blödsinn!)
tionen zustande und haben wir — mit Ausnahme der Lafontaine hat es noch vor kurzem als Kardinalfehler
Rechtsverhältnisse — auf administrativer Seite auch des Kanzlers bezeichnet, nicht rechtzeitig vor den Op-
weniger mit Investitionshemmnissen zu tun. Dies fern wegen der deutschen Einheit gewarnt zu haben.
sollte für uns eine gemeinsame Aufgabe sein. Wenn es nach Lafontaine ginge, so würde er am lieb-
(Beifall bei der SPD — Dr. Weng [Gerlingen] sten noch heute vor der Einheit warnen.
[FDP]: Guter Vortrag!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)
Er würde am liebsten noch heute einen Staatsbesuch
Vizepräsident Becker: Meine Damen und Herren, als Ministerpräsident des Saarlandes bei seinem Kol-
nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Rose legen aus dem Saarland drüben machen.
(CDU/CSU).
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU —
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Mehr CSU, Pfui-Rufe von der SPD — Reimann [SPD]:
Herr Präsident!) Unverschämt!)
Sie haben das Wort.
- Meine Damen und Herren, kommen wir zu den
heutigen Tatsachen.
Dr. Rose (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sie haben
verehrten Damen und Herren! Nach manchem ande- doch keine Ahnung! — Kuhlwein [SPD]: Sie
ren Redner der Opposition muß ich es als nahezu an- haben mit Schalck-Golodkowski verhandelt!
genehm empfinden, daß ich nach dem Kollegen Da war doch jemand in Bayern! Eine Milli
Esters, einem ausgewiesenen Haushaltsfachmann, re- arde hat Ihr damaliger Landesvater an
den darf. Ich gestehe dem Kollegen Esters auch zu, Schalck-Golodkowski verschoben!)
daß er mit vielen Fakten und Zahlen gearbeitet hat
und deshalb auch für die Haushalts- und Finanzlage — Sie werden sich, Herr Kuhlwein, wieder beruhigen.
der Bundesrepublik Deutschland mehr Konkretes zu Sie haben eine sehr schöne kräftige Stimme.
sagen hatte. (Kuhlwein [SPD]: Nein, ich beruhige mich
Haushaltspolitiker sind es ja überhaupt gewohnt, überhaupt nicht! Gerade wenn Sie das sa
mit Fakten umzugehen und nicht wilden Spekulatio- gen!)
nen zu frönen. Wenn es um Geld geht, wird zwar Sie werden sich wieder beruhigen. — Danke sehr.
gerne spekuliert, Gewinne werden aber nur dann ge-
macht, wenn man von faktischen und nicht von fikti- Ich komme jetzt zu den Tatsachen des jetzigen
ven Zahlen ausgeht. Haushaltsverfahrens und der Finanz- und Haushalts-
lage. Wir haben nämlich nach wie vor — und das wer-
Das Szenario der Pleiten, das in den letzten Tagen den die Kollegen des Haushaltsausschusses bestäti-
zunehmend gemalt wird, ist erstens — wenn wir alles gen — ein geordnetes Haushaltsverfahren. Wir haben
anschauen — nicht von Fakten gedeckt und zweitens einen geordneten Haushalt; wir haben eine stabile
auch nicht hilfreich. Wer hat denn etwas davon, wenn Währung;
ihm der Niedergang prophezeit wird?
Insofern ist es auch müßig, im nachhinein noch die (Bernrath [SPD]: Wir haben gar keinen Haus
Frage zu stellen, ob der Kanzlerkandidat der SPD halt! Wir haben nicht mal einen Entwurf!)
recht gehabt habe. Ich bin insgesamt dankbar, daß es wir haben bisher nur positive Signale an die Finanz
zur deutschen Einheit kam, und wir sollten die Her märkte; der Zinsgipfel ist überschritten, und die Ver-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 371
Dr. Rose
schuldung ist tragbar, auch wenn immer wieder ge- Als Politiker muß man allerdings alles richtig ein-
warnt wird. Diese Warnungen sollten wir ernst neh- schätzen können. Ein Schreckensruf wie z. B. „Leip-
men; aber das, was wir jetzt haben, ist durchaus im zig ist Mitte Februar zahlungsunfähig" , der heute
Rahmen des Akzeptablen. ebenfalls erwähnt wurde, alarmiert. Aber immer nach
Bonn zu rufen, das ist nicht der richtige Weg.
(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)
(Bernrath [SPD]: Wohin denn?)
Das Jahr 1990 — das wissen Sie ebenfalls —, auch
wenn der Haushaltsabschluß für dieses Jahr erst in Der Ruf nach Bonn, nach Sofortmitteln, überhaupt der
wenigen Tagen kommen wird, hat mit 18 Milliarden Ruf nach dem Staat, der Ruf nach dem Bund darf nicht
DM weniger an Verschuldung als genehmigt abge- zur obersten Richtschnur verkommen. Wir müssen
schlossen. Dadurch ist auch der Kapitalmarkt entlastet den Bürgern vielmehr beibringen, daß in einem freien
worden. Land freie Bürger, d. h. Bürger mit Eigeninitiative,
gefragt sind. Am Beginn der alten Bundesrepublik
Für 1991 sind strenge Ausgabendisziplin und äu- stand auch nicht der Ruf nach Bonn, sondern da stand
ßerste Sparsamkeit vorgesehen. Wir wollen nämlich die Maxime, daß wir in die eigenen Hände spucken
das Markenzeichen dieser Koalition, die Solidität der müssen, um zu arbeiten und aufzubauen. Da stand die
Finanzen, nicht aus den Augen verlieren. Maxime, daß man arbeiten muß.
(Reimann [SPD]: Die größten Schuldenma (Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!)
cher aller Zeiten!)
— Herr Kollege Kuhlwein, Sie rufen „Hört! Hört! "
Wir haben bis dato auch immer noch keine Steuerer-
höhungen, auch wenn nach den vielen Äußerungen (Kuhlwein [SPD]: Eine unglaubliche Herzlo
der letzten Zeit der Eindruck von mehreren Dutzend sigkeit und Arroganz!)
Belastungsraten entstanden ist. Hören Sie mal, auch Ihre SPD-Kollegin Frau Simonis,
Finanzministerin in Schleswig-Holstein hat davon ge-
Meine Damen und Herren, wir haben mit 22,5 % die
sprochen — so lese ich es heute in der Zeitung —, daß
niedrigste Steuerlast seit 30 Jahren. Das ist Tatsache;
die neuen Länder erst in den eigenen Taschen nach-
das sind Fakten; das ist bisher nicht zu bestreiten.
sehen sollen, bevor sie Forderungen an andere stel-
(Beifall bei der CDU/CSU — Bernrath [SPD]: len.
Dann rechnen wir mal nach!) (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist so
Der im Kabinett verabschiedete Haushalt 1991 baut was von arrogant, was Sie hier machen! Das
auf diesen genannten Daten auf. Die Nettokreditauf- ist furchtbar!)
nahme wird sich bei allen Schwierigkeiten vertreten In Bonn werde geredet — so heißt es — , während im
lassen. Allerdings werden wir bei den Ausgaben nicht Osten die blanke Not herrsche. Das trifft ins Leere,
alle Wünsche befriedigen können. Von diesen — das wenn man die richtigen Vergleiche zieht.
weiß jeder von uns — gibt es viele. Große Aufgaben
liegen vor uns. Vor allem die Einheit Deutschlands, (Benrath [SPD]: Fragen Sie mal Herrn
die Zusammenführung der Menschen und die - Schaf- Biedenkopf!)
fung bestmöglicher Lebensverhältnisse im eigenen
Der Lebensstandard in den neuen Bundesländern
Land bleiben eine Herausforderung.
kann nicht von heute auf morgen verändert und ver-
Es soll natürlich niemand meinen, in den alten Bun- bessert werden,
desländern, also in der alten Bundesrepublik, seien (Dr. Küster [SPD]: Das haben Sie aber ver
alle Aufgaben gelöst. Ich nenne nur die Umwelt oder sprochen!)
die Pflegefallversicherung und viele andere The-
men. und er kann auch nicht mit dem in der alten Bundes-
republik Deutschland verglichen werden.
Aber Priorität für uns alle haben die fünf neuen
Bundesländer. Dort häufen sich die Hiobsbotschaften, (Kuhlwein [SPD]: Es wird keinem schlechter
die wir Parlamentarier alle ernst nehmen sollen. Vor gehen, hat der Kohl gesagt!)
allem Wahlkreisabgeordnete können sich gut in das
Meine Damen und Herren, ich wohne an der
hineindenken, was es heißt, Betriebsstillegungen oder
Grenze zur Tschechoslowakei. Diese Tschechoslowa-
Fördersatzveränderungen hinnehmen zu müssen. Ge-
kei bemüht sich sehr stark um neue, bessere Lebens-
rade deshalb betone ich: Niemand darf locker über
verhältnisse. Sie schreien aber nicht, daß sie von ei-
diese Hilferufe hinweggehen. Man muß auch die
nem Tag auf den anderen denselben Lebensstandard
Leute verstehen, wenn sie darüber erbost sind, daß
haben wollen wie ihr Nachbar an der anderen Seite.
plötzlich überall Milliarden zur Verfügung stehen,
Das geht nicht.
während sie zum Wiederaufbau des eigenen Landes
fehlen. (Dr. Küster [SPD]: „Keinen schlechteren Le
(Zustimmung des Abg. Esters [SPD]) bensstandard! ")
Das gilt im übrigen nicht nur für die neuen Länder. Man muß sich also auch selber anstrengen, und man
Ich könnte Ihnen viele Diskussionen aus dem eigenen muß selber einiges tun. Der Vergleich zwischen der
Bereich schildern, wo man ebenfalls das Gefühl hat: sozialistischen DDR und den freien Ländern Sachsen,
Jetzt plötzlich werden Gelder locker gemacht, die bis- Thüringen, Brandenburg oder Mecklenburg endet
her nicht da waren. mit der Frage, ob man den alten Zustand wiederhaben
372 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Rose
will. Man muß also richtig vergleichen können und er sich auf die Bedürftigen konzentrieren sollte. Das
darf nicht nur Forderungen stellen. brächte nach Meinung des Steuerzahlerbundes 8 Mil-
liarden DM und wäre wirklich sozial gerecht. Ob der
(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nun gut,
Steuerzahlerbund mit dem Bezieher von Erziehungs-
das werden wir zitieren!)
geld oder Erziehungsurlaub möglicherweise einen
Meine Damen und Herren, betrachten wir die Fi- bekanntgewordenen SPD-Oberbürgermeister meint,
nanzlage Deutschlands, dann wird uns der enger wer- das weiß ich nicht. Auf jeden Fall aber sind bestimmt
dende Finanzrahmen deutlich. Überall will man Geld noch genug Maßnahmen zu finden, bei denen gespart
haben, viel mehr Geld. Wir können aber nicht die Pro- werden kann, bevor man das schwierige Instrument
bleme der ganzen Welt lösen. Die deutschen Finanzen der Steuererhöungen zum Tragen kommen läßt.
sind weltweit hoch geschätzt. Eine Dauermelkkuh
sind wir Deutschen aber nicht. (Zuruf von der SPD: Dienstmädchenprivi
leg!)
(Zurufe von der SPD)
— Ich habe mit Dienstmädchen nichts am Hut.
— Sicher sind wir weltweit geschätzt! Die deutsche
Währung ist die härteste Währung; alle wollen von (Heiterkeit)
uns Geld. Wir müssen also aufpassen, daß uns die
Wenn die Forderungen von irgendeiner anderen
Frage, wer das alles bezahlen soll, nicht erdrückt,
Fraktion kommen, treffen sie mich überhaupt nicht.
wobei diese Frage ja im ganzen Land gestellt wird.
Das war noch nie die Forderung der CSU. Die CSU ist
(Dr. Küster [SPD]: Diese Rede wird die Ossis eine echte bayerische Volkspartei. Sie kümmert sich
erfreuen!) um die großen Schichten des Volkes. Deshalb sollten
Allzu schnell landet man bei einem Beitrag der Bür- Sie diesen Vorwurf an jemand anders richten.
ger, sprich: bei Steuererhöhungen. Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten
Ich betone daher nochmals: Bisher haben wir trotz auch eines wissen. Deshalb habe ich dies so deutlich
zahlreicher SPD-Forderungen keine Steuern erhöht. gemacht, damit nicht immer nur, weil einmal dieser
Auch der Haushaltsentwurf 1991 ging von der Beibe- Stein ins Wasser geworfen wurde, von den Ossis ge-
haltung der bisherigen Steuerquoten aus und hatte sprochen wird, die den Hilferuf an den Westen ri ch-
trotzdem 11 Milliarden DM für die Bewältigung des ten. Wir sollten wissen, daß wir auch in unserem eige-
Golfkrieges beinhaltet. Niemand kann aber erwarten, nen Bundesland, im Freistaat Bayern, noch viele Pro-
daß bei ständig neuen Forderungen an den Bundes- bleme zu lösen haben. Wir brauchen jedoch zur Lö-
haushalt gezaubert werden kann. sung dieser Probleme viel mehr Konsens. Wir brau-
chen den Konsens zwischen der Opposition und der
(Zuruf von der SPD: Das ist doch wirklich Regierung, wir brauchen den Konsens zwischen dem
lächerlich, was Sie hier vorbringen!) Bund und den Ländern — dazu ist heute schon viel
Als Haushaltspolitiker bin ich grundsätzlich der An- gesagt und von den Ministerpräsidenten, die hier an-
sicht, daß das Sparen nie aufhören darf. So stelle ich wesend waren, auch einiges versprochen worden —,
mich erneut hinter die Aussage des Bundes der Steu- und wir brauchen viel mehr Konsens zwischen den
erzahler, der vor einer Woche unter dem- Motto „Steu- alten und den neuen Bundesländern. Das Jahr 1991
ererhöhungen sind unnötig" Vorschläge für einen wird eine Nagelprobe werden.
vierjährigen Sparplan gemacht hat. Ich will jetzt nicht Wir brauchen aber auch, meine Damen und Herren,
alle darin enthaltenen Punkte aufzählen, aber wir sind etwas mehr Gelassenheit und nicht derartig viele An-
immer gefordert, erst einmal zu prüfen, was wir spa-
griffe, wie sie heute beispielsweise gegen den Bun-
ren können, desfinanzminister zu hören waren.
(Zuruf von der SPD: Sie machen das doch gar
nicht!) (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Da halten
Sie sich mal dran!)
bevor wir neue Steuererhöhungsvorschläge machen
und dem Bürger das Geld aus der Tasche ziehen. Was der Kollege Thierse von der SPD gegenüber dem
Herrn Bundesfinanzminister geäußert hat, war nicht
Ein Punkt dieses Steuererhöhungsverhinderungs- gerade das Fairste.
plans des Bundes der Steuerzahler ist die Nichtaus-
weitung von Sozialleistungen. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ihre Wider
sprüche sind das Letzte!)
(Zuruf von der SPD: Na klar!)
Wenn natürlich jedesmal jemand ruft „Wir brauchen Goethe zu zitieren und damit einen Bundesminister
noch mehr, noch mehr! ", dann klappt es nicht. Der madig zu machen
Bund der Steuerzahler schlägt z. B. vor, für ABM in (Kuhlwein [SPD]: Das ist Majestätsbeleidi
den alten Bundesländern nicht mehr so viel zu zahlen. gung?)
Sie brauchen sich ja nur anzuschauen, wieviele Leute
auf der einen Seite einen Arbeitsplatz suchen und war wirklich nicht die „große Erfindung". Dazu würde
wieviele Arbeitgeber auf der anderen Seite verzwei- ich Ihnen, Herr Thierse, am liebsten sagen: Schauen
felt Arbeitskräfte suchen. Das paßt ja insgesamt nicht Sie sich einmal den neuen Band von Rainer Kunze
zusammen. „Deckname Lyrik" an;
Meine Damen und Herren, der Steuerzahlerbund (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Den haben
sagt auch, daß z. B. der Bezug des Erziehungsgeldes Sie auch schon gelesen? Mein Gott, sind Sie
nicht unbedingt verlängert werden muß, sondern daß schnell!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 373
Dr. Rose
darin können Sie einiges finden, was zumindest Ihrem fahrlässig, zutreffender gesagt: wie vorsätzlich die
Vorgänger und auch manchem von Ihnen vorgewor- Bundesregierung aus wahltaktischen Gründen na-
fen werden könnte. hezu alles unterlassen hat, diese Katastrophe abzu-
Graf Lambsdorff hat davon gesprochen, daß es nicht wenden.
gehen kann, daß im Osten Rathäuser geschlossen, im (Beifall bei der SPD)
Westen aber neue Kongreßhallen gebaut werden. Da- Wir haben von Anfang an auf die Voraussetzungen
für gab es breite Zustimmung im Plenum; es gab auch für eine sozial funktionierende Einigung Deutsch-
Zustimmung bei der SPD. Ich habe das dankbar regi- lands hingewiesen. Nach der Überwindung der Tei-
striert. lung war die Herstellung einheitlicher Lebensbedin-
Aber ich möchte Sie zum Schluß um folgendes bit- gungen die vordringliche politische Aufgabe. Wir ha-
ten: Wenn es darum geht, draußen vor Ort diese Aus- ben gesagt, daß wir sie nur bewältigen werden, wenn
sage, nämlich keine Kongreßhalle, keine neuen Sport- wir schnell eine leistungsfähige, zuverlässige öffentli-
plätze usw. zu bauen, zu erfüllen, sollten Sie auch Ihre che Verwaltung aufbauen. Dafür wiederum würde
SPD-Kollegen ersuchen, nicht der Bundesregierung eine funktionierende kommunale Selbstverwaltung
Vorwürfe zu machen, daß aus dem Bundeshaushalt die wichtigste Grundlage sein.
nichts mehr bezahlt wird.
Dagegen hat die Bundesregierung trotz aller Ihrer
Auch diesen Konsens und dieses Zusammenarbei- Beteuerungen lediglich Illusionen und falsche Erwar-
ten brauchen wir. Dann wird die Entwicklung im tungen genährt. Sie hat, wenn überhaupt, unverant-
Jahre 1991 zum Positiven für das deutsche Volk gelin- wortlich gehandelt. Ich erinnere an Leipzig und an
gen. Rostock — viele von Ihnen werden den Bundeskanz-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ler begleitet haben; Herr de Maizière sitzt hier —, wo
Kuhlwein [SPD]: Das war das Letzte!) der Bundeskanzler den Zuhörern das Blaue vom Him-
mel herunter versprochen hat. Heute ist Leipzig
pleite. In Rostock werden die Werften geschlossen.
Vizepräsident Becker: Das Wort hat nunmehr der Die Aufträge, die dort wahrgenommen werden könn-
Abgeordnete Bernrath (SPD). ten — wir haben es eben unwidersprochen gehört —,
gehen in den westlichen Teil der Bundesrepublik
Deutschland. Die Bundespost gibt die 23 zufällig ge-
Bernrath (SPD): Herr Präsident! Meine Damen! fundenen Leitungsnetze an die Treuhand, an die Bü-
Meine Herren! Nachdem Herr Rose hier die Regierun- rokratien drüben. Sie beläßt sie bei der chemischen
gen der neuen Bundesländer für unfähig erklärt hat, Industrie, trotz deren Bedeutungslosigkeit. Sie denkt
mit ihren Problemen fertigzuwerden, nachdem er die nicht daran, die kommunalen Verwaltungen in diese
Bürger dort beschimpft hat, sie seien faul — das kam Netze einzubeziehen und sie damit zu befähigen, In-
deutlich heraus — , sie würden die Ärmel nicht selbst frastrukturleistungen zu erbringen und damit wesent-
aufkrempeln, muß ich noch einmal wiederholen, auch liche Voraussetzungen für das Funktionieren dort zu
wenn Sie es nicht gerne hören: Die Lage hat sich in schaffen.
den neuen Bundesländern dramatisch verschlechtert.
Die Zahl der Arbeitslosen nähert sich der 3-Millionen- (Beifall bei der SPD — Reimann [SPD]: Das
Grenze. Null-Kurzarbeit ist Arbeitslosigkeit. Die Le- ist die traurige Wahrheit!)
benshaltungskosten, insbesondere die Aufwendun- Ich stimme darum dem Präsidenten des DIHT zu,
gen für das Wohnen, steigen stärker als die Einkom- der in diesen Tagen gesagt hat: Eine funktionierende
men. Die Versorgung mit sozialen Einrichtungen, ob Verwaltung zu schaffen, ist zur Zeit wichtiger als ein
Kindergartenplätze oder Horte, verschlechtert sich. paar Kilometer Autobahn; denn ohne eine effiziente
Der wirtschaftliche Aufschwung kommt nicht in öffentliche Verwaltung ist eine moderne Industriege-
Gang. Insbesondere bleibt die Investitionstätigkeit sellschaft nicht denkbar. Sie ist wesentlicher Bestand-
— die p rivate wie die öffentliche — weit hinter den teil der Infrastruktur, die der Staat vorhalten muß, und
Erwartungen zurück. Ein Ende dieses dramatischen daran mangelt es zur Zeit im wesentlichen in den
Erdrutsches in den neuen Ländern ist nicht abseh- neuen Ländern.
bar.
Maßgebend dafür sind die völlig unzureichende Fi- Besonders desolat ist der Zustand bei den kommu-
nanzausstattung der neuen Länder, vor allem ihrer nalen Gebietskörperschaften, die für die Ausführung
Gemeinden, die mangelnde Leistungsfähigkeit der der neuen Landes- und Bundesgesetze vor Ort zustän-
Verwaltung, die fortdauernde Ungewißheit über die dig sind. Neben der unerläßlichen finanziellen
Eigentumsverhältnisse bei der überwiegenden Zahl Grundausstattung — es geht eben doch um Geld,
der Grundstücke und die unzulängliche Infrastruk- Herr Finanzminister — fehlt es den Kommunen insbe-
tur. sondere an qualifiziertem Personal, das die neuen
Gesetze anwenden kann.
Das alles war in vollem Umfang absehbar; nichts an
dieser Entwicklung war überraschend. Schlimmer noch: Wegen der schlechten Bezahlung
(Beifall bei der SPD) drohen die wenigen fähigen Köpfe in die besser zah-
lende Privatwirtschaft oder in den westlichen Teil
Insofern wird es doch wohl zulässig sein, Sie hier Deutschlands abzuwandern. Auch daran wird sich
daran zu erinnern, daß wir Sie von der ersten Stunde nichts ändern, solange die öffentlichen Verwaltungen
an auf diese Zwangsläufigkeit hingewiesen haben. nur etwa 35 % der Bezüge zahlen können, die im
Die Protokolle unserer Debatten im Herbst vorigen Westen üblich sind. Auch das muß bei den Tarifver-
Jahres vor dem Einigungsvertrag bestätigen, wie handlungen berücksichtigt werden.
374 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Bernrath
Eine bessere finanzielle Rahmenausstattung in den von anderen Rednern angedeutet worden ist, kann ich
fünf neuen Bundesländern reicht jedoch allein nicht darauf verzichten.
aus, die Probleme, insbesondere die Personalpro- Auch die Privatisierungsabsichten der Koalition
bleme, zu lösen. Wir brauchen Verwaltungspraktiker sind nicht gerade förderlich für die Kommunen, insbe-
aus dem Westen; denn die Bereitschaft westlicher sondere dann, wenn sie in Bereichen wahrgenommen
Fachleute, in die neuen Bundesländer zu gehen, hat in werden sollen, wo die Kommunen alleinige Zustän-
den letzten Wochen nicht gerade zugenommen. Seit- digkeit haben oder die Eigentümer der dafür erforder-
dem die Staatssekretärsposten oder andere Führungs- lichen Grundstücke und Gebäude sind. Auch hier er-
funktionen vergeben sind, sind die Schlangen westli- innere ich an das, was die kommunalen Spitzenver-
cher Bewerber, die bereit waren, in die fünf neuen bände bereits angemeldet haben.
Länder überzuwechseln, erheblich kürzer geworden,
wenn nicht ganz verschwunden. Ich verweise auf unseren Entschließungsantrag, in
dem wir zusammengefaßt haben, welche Forderun-
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. gen wir erfüllen helfen wollen, welche Forderungen
Dr. Schwörer [CDU/CSU]) wir an die Regierung richten.
Um befähigte Mitarbeiter in genügender Zahl zu ver- Ich möchte in diesem Zusammenhang vor dem Hin-
anlassen, zumindest bef ristet in den neuen Ländern tergrund dieser Forderungen abschließend vor allen
mitzuarbeiten, bedarf es einerseits finanzieller An- Dingen darauf hinweisen, daß diese Aufgabe — Herr
reize und andererseits Personalkostenzuschüsse Rose hat sie eine große Aufgabe genannt, die dann
durch Bund und Länder, die in ausreichendem Um- natürlich auch große Anstrengungen erfordert —
fang insbesondere den Kommunen nicht zur Verfü- nicht nur erfüllt werden muß, um dort funktionierende
gung stehen. Verwaltungen und damit prosperierende Länder zu
In diesem Zusammenhang ist auch rechtzeitig bekommen, sondern weil die Länder der Europäi-
daran zu denken, daß hinderliche administrative Vor- schen Gemeinschaft wie auch die Länder im Osten
schriften, wie die Befristung von Abordnungen auf Europas gespannt nach Deutschland schauen; denn
den 31. März, aufgehoben werden und daß vor allen wenn bei uns unter diesen Bedingungen eine schnelle
Dingen die Auslauffrist für Trennungsentschädigun- Umstellung von Staat, Wi rtschaft und Kommunen auf
gen, die ebenfalls auf den 31. März fixiert ist, wegfal- gesicherte rechtsstaatliche, sozial zuträgliche Rege-
len. Sonst wird niemand umwechseln. Vor allen Din- lungen nicht gelingt — es ist unsere gemeinsame For-
gen wird sonst auch niemand bereit sein, auf Dauer in derung, daß sie gelingt — , würde eine Ausdehnung
den östlichen Ländern mitzuarbeiten. der kommunalen Selbstverwaltung in Europa schei-
tern und die osteuropäischen Länder würden den Mut
Der Export westlicher Fachleute — darauf ist hinge- verlieren, diesen Weg überhaupt zu beschreiten.
wiesen worden — kann keine Dauerlösung sein. Wir
haben genügend leistungsbereite Mitarbeiter in den Vielen Dank.
neuen Bundesländern. Sie müssen lediglich ausgebil- (Beifall bei der SPD)
det werden. Dafür ist es wiederum notwendig, daß wir
frühzeitig dort wie auch hier Institute schaffen, die
personelle Leistungskapazitäten aus- und fortbilden, Vizepräsident Becker: Meine Damen und Herren,
damit die Länder langfristig auch personell auf eige- nunmehr hat das Wort der Abgeordnete de Maizière,
nen Beinen stehen können. Ohne diese Aus- und Fort- CDU/CSU.
bildung wird es nicht gelingen, eine Kontinuität im
Verwaltungshandeln zu sichern.
De Maizière (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Hierzu gehört auch der Vorschlag der ÖTV, zen-
Damen und Herren! In der Regierungserklärung vom
trale und insbesondere regionale Personalvermitt-
19. April 1990 vor der Volkskammer habe ich im Zu-
lungsstellen einzurichten. Damit könnte der Personal-
sammenhang mit dem Problem der Überwindung der
einsatz wesentlich erleichtert werden.
Teilung Deutschlands gesagt, daß die Teilung nur
Ich darf noch anmerken, daß auch die Verwaltungs- durch Teilen überwunden werden kann. Dieser Ap-
strukturen verbessert werden müssen. Ich erinnere pell ist von vielen Bürgern, insbesondere auch von
nur daran, daß wir im westlichen Teil der Bundesre- den politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik
publik bei 60 Millionen Einwohnern 3 300 hauptamt- und in den alten Ländern, gehört und auch beherzigt
liche kommunale Verwaltungen haben. In den östli- worden. Ich denke hierbei insbesondere an die erheb-
chen Ländern mit etwa 15 Millionen Einwohnern gibt lichen Mittel, die uns, der damaligen DDR-Regierung,
es 7 500 Städte und Gemeinden, von denen 700 nur im Zusammenhang mit der Realisierung der Wäh-
bis zu 3 000 Einwohner haben. rungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zugewiesen
Diese Zersplitterung kann auf Dauer nicht hinge- wurden. Dafür soll auch hier einmal ein Wort des Dan-
nommen werden. Es müssen — hierzu haben die kom- kes gesagt werden.
munalen Spitzenverbände Vorschläge gemacht — Fi- (Beifall bei der CDU/CSU)
nanzierungsanreize geschaffen werden, die das Bün- Nachdem sowohl die inneren als auch die äußeren
deln von Verwaltungen in den kleinen Gemeinden Aspekte der Einigung geklärt waren, konnten wir den
erleichtern oder begünstigen. 3. Oktober, den Tag des staatlichen Vollzuges der
Obwohl die Zeit fast abgelaufen ist, möchte ich Einigung Deutschlands, erleben. Die Freude, die ge-
gerne noch etwas zu der Notwendigkeit sagen, im legentliche Eupho rie der Tage um den 3. Oktober hat
Bereich der kommunalen Grundstücke zu schnelleren — das ist auch gut so — einer gewissen Ernüchterung,
Verfügbarkeiten zu kommen. Da das vorher schon die den Blick schärft, Platz gemacht.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 375
de Maizière
Nun gilt es, wie es der Herr Bundeskanzler in seiner kein Beispiel und erst recht nicht irgendwelche geeig-
Regierungserklärung vom 30. Januar 1991 formu- neten Lehrbücher.
lierte, die Einheit „geistig-kulturell, wirtschaftlich und
Aber — auch dies müssen wir erkennen — die Öff-
sozial" zu gestalten. Wörtlich sagte er:
nung der Mauer, der Prozeß der Einigung, hat zu
... in den kommenden Monaten und Jahren hat einem beachtlichen Aufschwung der Konjunktur in
ein Ziel hohe Priorität . . .: gleiche Lebensverhält- den alten Bundesländern geführt. So betrugen die
nisse ... in ganz Deutschland herbeizuführen. Steuermehreinnahmen des Bundes 1989/90 11, 9 Mil-
Dieses Ziel können wir nur gemeinsam errei- liarden DM und 1990/91 23,1 Milliarden DM, also
chen. zusammen rund 35 Milliarden DM. Bei den Ländern
stehen in den gleichen Zeiträumen 4,7 bzw. 24,7 Mil-
Es kommt meines Erachtens nicht darauf an, uns ge-
liarden DM Mehreinnahmen zu Buche.
genseitig vorzuhalten, wer besser die Ärmel aufkrem-
peln kann; denn das ist ja wohl bekanntlich erst der (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)
Beginn der Arbeit.
Diesen Mehreinnahmen stehen zwar Leistungen im
(Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei der Fonds Deutscher Einheit gegenüber, die aber wesent-
SPD — Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr! Der Herr lich geringer als die Mehreinnahmen sind. Die alten
Wagner und alle, wenn sie Streit haben, guk Länder sollen, verbleibt es bei der jetzigen Regelung,
ken immer mich an! Ihr streitet, und ich in den Jahren 1991 bis 1994 insgesamt nur 11,8 Mi lli-
werde angeguckt! Macht eure Sachen unter arden DM in den Fonds zahlen. Dies entspricht nicht
einander aus! — Dr. Weng [Gerlingen] einmal 50 % der im Zeitraum von 1990 bis 1991 bezo-
[FDP]: Es trifft nie den Verkehrten!) genen Mehreinnahmen in Höhe von 24,7 Milliarden
— Herr Dr. Vogel, wenn schon ein Blick einen solchen DM.
Streit hervorrufen sollte — genau das Gegenteil war (Beifall bei der CDU/CSU)
meine Absicht. Lassen Sie mich mein Eingangszitat, auch wenn es
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir Ab- drastisch ist, um einen Halbsatz ergänzen: Teilung
geordneten aus den neuen Ländern fühlen uns dieser wird durch Teilen aufgehoben, nicht durch Verdie-
Aufgabe, nämlich der Schaffung gleicher Lebensver- nen.
hältnisse, in besonderer Weise verbunden und sehen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
es als unsere Pflicht an, die Solidarität der alten Bun- ordneten der SPD)
desländer und der in ihnen wohnenden Mitbürger
immer wieder zu erbitten und auch anzumahnen. Die Die Einnahmen der neuen Länder und ihrer Ge-
Schwierigkeiten sind groß. meinden haben selbst bei der, insbesondere für die
Gemeinden zu optimistischen Steuerschätzung vom
Was sind die Gründe für die außerordentlich Dezember 1990 einschließlich der Leistungen aus
schwierige Finanzlage der Länder und der Kommu- dem Fonds Deutsche Einheit in den nächsten Jahren
nen, die der Ministerpräsident von Sachsen, Herr Bie- eine fallende Tendenz. So werden die Einnahmen in
denkopf, und der Finanzminister aus Brandenburg, Höhe von 47,3 Milliarden DM in 1991 auf rund 40,9
Herr Kühbacher, hier vor drei Wochen zutreffend Milliarden DM in 1994 sinken, d. h. daß die Pro-Kopf-
-
schilderten? Ich nenne einige der Hauptursachen. Einnahmen im Vergleich zu den alten Ländern von
Erstens. Es ist zu einem fast völligen Zusammen- gegenwärtig 60 v. H. auf etwa 45 v. H. sinken werden.
bruch der Zahlungsfähigkeit der osteuropäischen, Ursache dafür sind das Zurückgehen der Leistungen
früher im RWG verbundenen Länder gekommen. Die aus dem Fonds Deutsche Einheit bei — wie wir jetzt
Hoffnung, die notwendige Strukturanpassung der sehen müssen — gleichzeitig nur mäßigem Steueran-
Unternehmen bei Aufrechterhaltung der für den stieg.
RGW-Export bestimmten Produktion leisten zu kön- Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich weiß,
nen, kann sich so nicht erfüllen. daß Zahlen auf die Dauer ermüdend wirken. Dennoch
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) schien es mir notwendig, Ihnen das nach meiner An-
sicht relevante Zahlenmaterial vorzutragen.
Die Einnahmeverluste dürften nach vorsichtiger
Schätzung bei 40 Milliarden DM liegen. Die von den alten Ländern bezogene und aus der
Presse abzuleitende Haltung bezieht sich derzeit auf
Zweitens. Die Investitionen — sowohl deutscher als die Bereitschaft, einer Neuverteilung der Umsatz-
auch internationaler Investoren — zur Schaffung steuer zuzustimmen. Dies ist erfreulich, aber erst ein
wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze sind nicht in dem erster, leider zu kurzer Sprung. Den neuen Ländern
Maße erfolgt, wie sie notwendig und erhofft waren. würde diese Maßnahme zwar Mehreinnahmen in
Der Verlust der osteuropäischen Märkte, verbunden Höhe von etwa 5 Milliarden DM bringen, aber das zu
mit der Unsicherheit in Eigentumsfragen, hat diesen, erwartende Haushaltsdefizit in Höhe von 40 bis 50
hoffentlich vorübergehenden Attentismus bewirkt. Milliarden DM würde so nur zu etwa einem Neuntel
Drittens. Die Anpassungsschwierigkeiten sowohl in gemindert werden. Ein wirklich deutlicher Schritt auf
der Industrie als auch in der Landwirtschaft sind ins- den Länderfinanzausgleich zu ist meines Erachtens
gesamt größer, als von uns zunächst gedacht. Dies daher unverzichtbar.
müssen wir selbstkritisch erkennen. Allerdings wird
(Beifall bei der CDU/CSU)
zur Zeit einmaliges, ja erstmaliges, nämlich der Über-
gang von einer Kommandowirtschaft zu einer Sozia- Zu Recht wird man fragen müssen, was in den
len Marktwirtschaft, geleistet. Dafür gab es bisher neuen Ländern geschehen kann, um diese Situa tion
376 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

de Maizière
zu verbessern. Einer der notwendigen Schritte ist der neuen Ländern jetzt voller Hoffnung auf die bundes-
sukzessive Abbau der Subventionen auf Mieten, staatliche Struktur.
Energie, Brennstoffe und Verkehr. Den Menschen in Soll das Bekenntnis zum kooperativen Föderalis-
den neuen Ländern ist diese Notwendigkeit bewußt, mus nicht zum Schein oder zur Worthülse werden, so
sehen sie doch täglich ihre zerfallenden Städte und ist jetzt wirkliche Kooperation und wirkliche Solidari-
ihre zerstörte Umwelt. Sie fragen aber auch: Ist für die tät gefordert.
Wirtschaft in den alten Bundesländern das Wort „Sub-
vention" tatsächlich ein Fremdwort, ist der so behut- (Beifall bei der CDU/CSU)
same Abbau der Zonenrandförderung in einer er-
kennbar boomenden Region so gerechtfertigt, oder
braucht zum Erhalt des Arbeitsplatzes nur die Reede- Vizepräsident Becker: Herr Abgeordneter, darf ich
rei an der Nordsee, nicht auch die in Rostock Hilfe? Sie nochmal fragen, ob Sie jetzt eine Zwischenfrage
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zulassen?
Auf solche beliebig fortsetzbare Fragen werden wir
nur gemeinsam Antworten finden können, wenn sie
de Maizière (CDU/CSU): Ich habe gesagt, ich
allenthalben überzeugen sollen.
möchte zum Ende kommen.
Der Bundesfinanzminister hat den Haushaltsent-
wurf 1991 vorgelegt, der eine höhere Neuverschul- (Dr. Penner [SPD]: Aber Herr de Maizière,
dung als 70 Milliarden DM ausschließt. Diese Begren- tun Sie das doch mal!)
zung ist angesichts der Kapitalmarktsituation, des — Bitte.
herrschenden Zinsniveaus wohl notwendig und rich-
tig, so daß neue Einnahmequellen erschlossen werden
müssen. Frau Marx (SPD'. Eine Frage: Wie beurteilen Sie aus
Ihrer eben hier vorgetragenen heutigen Sicht Ihre sei-
nerzeitige Entscheidung, den Finanzminister Walter
Vizepräsident Becker: Herr Abgeordneter, gestat-
Romberg zu entlassen?
ten Sie eine Zwischenfrage?
(Beifall bei der SPD)

de Maizière (CDU/CSU): Nein, im Moment nicht.


In den letzen Tagen sind Steuererhöhungen der de Maizière (CDU/CSU): Ich halte die Entscheidung
unterschiedlichsten Art erörtert worden. Ich will mich nach wie vor für richtig,
an der Diskussion, welche Steuerart um wieviel Pro- (Beifall bei der CDU/CSU)
zent angehoben werden oder welche Steuersenkung
unterbleiben sollte, nicht beteiligen, sondern auf den und zwar weil das von ihm verfolgte Modell keines-
Rat kluger Experten vertrauen. Es kann nicht um pu- falls besser gewesen ist als das, was dann zur Verein-
blikumswirksame, sondern es muß um die finanzwirk- barung gekommen ist.
samste Methode gehen, die die Probleme lösen hilft. (Widerspruch bei der SPD)
-
(Dr. Vogel [SPD]: Und es muß gerecht — Da sollten Sie Richard Schröder fragen. Wir haben
sein!) lange darüber gesprochen.
— Das sicherlich, Herr Dr. Vogel. (Dr. Vogel [SPD]: Ministerpräsident war
Es ist ausgeführt worden, daß die notwendige Hilfe nicht Schröder, sondern Sie!)
Deutschlands im Golfkonflikt Steuererhöhungen Sie sollten ihn fragen, weil er bei dem Gespräch dabei
nicht ausschließe. Aber dies ist den Menschen in den war, ob es richtig ist, daß ein Minister die Richtlinien-
neuen Ländern nur dann vermittelbar, wenn wir zu- kompetenz anerkennt oder nicht anerkennt.
gleich eine Antwort für die Lösung der dort bestehen-
den Probleme finden und auch anbieten. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist
nicht fair, das werden Sie zurücknehmen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) müssen! Das wissen Sie ganz genau, Sie soll
Wohl auch, aber nicht nur der Bund, sondern insbe- ten nicht andere Leute in eine Entscheidung
sondere die alten Länder, sind in ihrer Solidarität ge- mit hineinziehen, die heute nicht mehr trag
fordert. Natürlich ist ein Bundesstaat auch immer bar ist! — Bernrath [SPD]: Sie haben doch
durch den Wettbewerb der Länder und dadurch auch Druck ausgebübt! — Zuruf von der CDU/
durch den Verteilungskampf in den Finanzen ge- CSU: Wer dumm fragt, kriegt kluge Antwor
kennzeichnet, sowohl im Verhältnis zum Bund als ten!)
auch im Verhältnis untereinander. Dennoch habe ich — Frau Kollegin, es war Dr. Romberg, der darum ge-
diesen bundesdeutschen Föderalismus immer als ein beten hatte, daß Richard Schröder an dein Gespräch
wirkliches Vorbild nicht nur für Demokratie, sondern teilnehmen sollte.
auch für Kooperation, Solidarität und wirkliche Ge-
meinschaft verstanden. So haben wir, die wir im ande- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Richard
ren Teil Deutschlands und seiner totalen Zentralstaat- Schröder hat nicht um die Entlassung von
lichkeit leben mußten, diesen Bundesstaat der alten Herrn Romberg gebeten! — Kuhlwein [SPD]:
Bundesrepublik stets verstanden. So haben wir ihn zu Keine Geschichtsklitterung!)
unserem Vorbild bei der Wiedereinführung der Län- Ich bin gern bereit, mich über diese Frage noch ein-
der gemacht, und so schauen die Menschen in den mal zu unterhalten. Ich muß allerdings auch feststel-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 377
de Maizière
len, daß es in einer Debatte sachdienliche oder weni- Wir sind also keine Bittsteller. Deshalb habe ich die
ger sachdienliche Fragen geben kann. Bitte an den Abgeordneten Rose, sich bei uns zu ent-
(Beifall bei der CDU/CSU — Kuhlwein schuldigen.
[SPD]: Es gibt auch sachdienliche Reden, (Beifall bei der SPD)
Herr Kollege!) Ich spreche weniger für mich. Ich komme aus der
Soll das Bekenntnis zum kooperativen Föderalis- Region Chemnitz, wo die Textilindustrie stark ver-
mus nicht zum Schein und zur Worthülse werden, so breitet ist. Dort sind unzählige Frauen jeden Morgen
sind jetzt wirkliche Kooperation und Solidarität gefor- losgezogen, haben ihre Kinder um 6 Uhr — Sie verste-
dert. Es genügt nicht, immer dann auf den Bund bzw. hen richtig — in die Kinderkrippe geschafft, haben
auf den Zentralstaat zu verweisen, wenn es Geld ko- neun Stunden an der Nähmaschine gestanden und
stet. Wir alle sprechen davon, daß der Umbau von der sind mit 700 DM nach Hause gegangen. Jetzt haben
sozialistischen Kommandowirtschaft in eine Soziale sie kaum eine Möglichkeit, selbst auf ihr weiteres
Marktwirtschaft eine erstmalige und für ganz Osteu- Schicksal Einfluß zu nehmen.
ropa pilothafte Bedeutung hat. Wenn viele unseren Das ist die Situation. Die Rede war für diese Situa-
bundesdeutschen Föderalismus — wie ich meine: tion einfach unangemessen.
auch mit Recht — als Modell für das künftige einige Ich bedanke mich.
Europa preisen, dann muß dieser Föderalismus jetzt
auch die Probe der Integration der fünf neuen Länder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
vorbildhaft leisten. der CDU/CSU und der PDS/Linke Liste)
Lassen Sie mich schließen mit einem Sprichwort,
das da lautet: Wer schnell hilft, hilft doppelt. Wir Ab- Vizepräsident Becker: Meine Damen und Herren,
geordneten aus den neuen Ländern blicken gespannt das war eine Erklärung zur Aussprache nach § 30
auf die Entwicklung der nächsten Woche, insbeson- unserer Geschäftsordnung. Ich will aber noch einmal
dere aber auf den 28. Februar 1991. An diesem Tag deutlich machen: Mit einer Erklärung zur Aussprache
kann parteiübergreifende Solidarität unter Beweis ge- dürfen nur Äußerungen, die sich in der Aussprache
stellt werden. auf die eigene Person bezogen haben, zurückgewie-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sen werden. Herr Abgeordneter Dr. Thalheim hat be-
tont, daß er sich persönlich betroffen fühlt.
Nun kommen wir zur Abstimmung über den Ent-
Vizepräsident Becker: Meine Damen und Herren, schließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa-
wie sind damit am Ende der Aussprache. Bevor wir che 12/121. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dage-
über einen Entschließungsantrag der Fraktion der gen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschlie-
SPD abstimmen, erteile ich dem Abgeordneten ßungsantrag mit der Mehrheit der Stimmen der CDU/
Dr. Thalheim (SPD) das Wort zu einer Erklärung ge- CSU und der FDP abgelehnt.
mäß § 30 unserer Geschäftsordnung - Erklärung zur
Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungs-
Aussprache —.
punktes.

Dr. Thalheim (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Sehr geehrte Damen und Herren! Durch die Ausfüh-
rungen des Abgeordneten Rose fühle ich mich als ehe- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der
maliger Bürger der DDR beleidigt. Die Rede war im CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs ei-
Ton arrogant, und sie gipfelte in dem Vorwurf, daß die nes Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen
Bürger der ehemaligen DDR im Prinzip zu faul sind, bei der Privatisierung von Unternehmen und
etwas zur Besserung ihrer Situation beizutragen. Das zur Förderung von Investitionen
war ganz einfach Stammtischniveau. — Drucksache 12/103 —
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß (federführend)
der PDS/Linke Liste, des Bündnisses 90/
Finanzausschuß
GRÜNE und der CDU/CSU) Ausschuß für Wirtschaft
Der Finanzminister hat heute früh in seiner Rede Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß
erwähnt, wie viele Betriebsgründungen es in der ehe- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
maligen DDR gibt. Das zeigt doch, daß die Bereit-
schaft vorhanden ist, viel zu machen. Ich gehöre zu b) Erste Beratung des von den Fraktionen der
denen, die im landwirtschaftlichen Bereich derartiges CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs ei-
vorhaben. Aber vor jedem Betriebsgründer türmen nes Gesetzes über die Spaltung der von der
sich Riesenschwierigkeiten auf. In meiner Heimatge- Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen
meinde gehen die Handwerker händeringend ins Rat- (SpTrUG)
haus, um Aufträge zu erbitten. So ist die Situation. — Drucksache 12/105 —
Ich muß auch auf folgendes aufmerksam machen: Überweisungsvorschlag :
Wir sind nicht Bürger der CSFR, sondern Bürger des Rechtsausschuß (federführend)
Ausschuß für Wirtschaft
gemeinsamen Deutschlands. Das ist ein wesentlicher Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Unterschied. Haushaltsausschuß
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich erteile dazu Herrn Bundesminister Dr. Kinkel
der CDU/CSU) das Wort.
378 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Vizepräsident Becker
Für die Aussprache sind eineinhalb Stunden vorge- der Hand des Staates; denn P ri vateigentum an Pro-
sehen. So ist es interfraktionell vereinbart. duktionsmitteln war grundsätzlich untersagt.
Herr Minister, bitte sehr. Es ist klar, daß diese gewaltige Vermögensmasse
jetzt wieder soweit wie irgend möglich in private
Hände zurückgeführt werden muß. Leider können wir
Dr. Kinkel, Bundesminister der Justiz: Herr Präsi- — ich betone das: leider! — die Enteignungen der
dent! Meine Damen und Herren! Mein Dank gilt zu- Jahre 1945 bis 1949 unter sowjetischer Oberhoheit
nächst den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP aus den bekannten Gründen nicht rückgängig ma-
dafür, daß sie die von der Bundesregierung am 6. Fe- chen. Hier muß es aber, wie im Einigungsvertrag an-
bruar 1991 beschlossenen und dem Bundesrat zuge- gesprochen, aus meiner Sicht jedenfalls zu raschen
leiteten Entwürfe übernommen und heute hier im Ausgleichsleistungen kommen.
Deutschen Bundestag eingebracht haben. Ich bitte
das Hohe Haus und den Bundesrat um Verständnis für Im Einigungsvertrag haben wir uns nach sehr lan-
dieses Vorgehen im Interesse der neuen Bundeslän- gen tatsächlichen und rechtlichen Diskussionen bei
der und der betroffenen Menschen. den Enteignungen für die Zeit nach 1949 für das Resti-
tutionsprinzip entschieden: Die enteigneten Eigentü-
Ich bitte auch um Verständnis dafür, daß ich als mer bekommen ihre Grundstücke und Bet ri ebe zu-
Regierungsmitglied aus den genannten Gründen bei rück; ist das nicht möglich, wird eine Entschädigung
einem von den Fraktionen eingebrachten Entwurf so- gezahlt. Dies war meines Erachtens nicht nur eine
zusagen protokollwidrig als erster spreche. Ich bin für rechtlich zu entscheidende Frage, sondern durchaus
das Entgegenkommen, daß man mir hier entgegenge- auch eine Frage der Moral, übrigens auch eine Sache
bracht hat, sehr dankbar. der wirtschaftlichen Vernunft.
Die beiden Ihnen vorliegenden Gesetzentwürfe Ich höre jetzt immer wieder von der SPD, der
sind eine Folge dessen, was das SED-Unrechtsregime Grundsatz „Restitution vor Entschädigung" müsse
uns an katastrophalen Verhältnissen im Bereich des umgedreht werden. Ich will einmal ganz deutlich fra-
Eigentums hinterlassen hat. Am Eigentum der Bürger gen: Sollte dies grundsätzlich gemeint sein, dann
hat sich die DDR wahrhaft schamlos vergangen. würde mich schon interessieren — insbesondere auch
Die Geschichte dieses Staates war eine einzige nach den Verhandlungen bis zum Schluß des Eini-
Kette von Unrecht und Enteignungen. 1945 bis 1949 gungsvertrages — , wie dies rechtlich und tatsächlich
wurden zahllose Landeigentümer um 3,3 Millio- gerechtfertigt werden soll. Sollte es einzelfallbezogen
nen ha land- und forstwirtschaftlichen Besitz und gemeint sein, würde ich gern darauf hinweisen, daß
rund 7 000 Unternehmer und Mittelständler um ihr wir schon durch unser Investitionsgesetz mit den vier
Eigentum gebracht. Ihnen wurde allein zum Verhäng- Paragraphen im Einigungsvertrag, vor allem aber
nis, daß sie einer Gesellschaftsschicht angehörten, der auch durch das, was in dem heute anstehenden Arti-
die kommunistische Ideologie ein Existenzrecht ab- kelgesetz steht, wahrscheinlich zu über 50 % von dem
sprach. Grundsatz „Restitution vor Entschädigung" weg sind.
1952 wurden alle diejenigen pauschal enteignet, Das heißt: Wir sind bereits jetzt bei mehr Entschädi-
die aus der DDR geflohen waren. Gleichzeitig wurde gung als Restitution.
alter Westbesitz unter staatliche Verwaltung gestellt, Ich räume ein: Die praktischen Probleme bei der
allein Zehntausende von Grundstücken. 1958 wurde Rückabwicklung sind gewaltig. Über 1 Million Rück-
für die Zukunft, aber eben auch rückwirkend, das gabeanträge liegen bei den 213 Landratsämtern und
Flüchtlingsvermögen unter treuhänderische Verwal- den 34 kreisfreien Städten in den neuen Bundeslän-
tung gestellt. 1972 schließlich wurden die letzten dern. Ca. 10 000 Anträge betreffen allein die Rück-
zehntausend mittelständischen Unternehmer ge- gabe von mittleren und kleineren Unternehmen.
zwungen, sich aus ihren Unternehmen ganz zurück-
zuziehen und sie dem Staat zu überlassen, nachdem Eine zentrale Stellung bei der Rückabwicklung
die Mehrzahl von ihnen schon früher gezwungen wor- nimmt die noch von der Volkskammer errichtete
den war, den Staat als Teilhaber aufzunehmen. Dieses Treuhandanstalt ein. Sie hat den Auftrag, das ihr
Schicksal teilten damals immerhin rund 1 700 Hand- übertragene Vermögen zu privatisieren. Mit der Ver-
werkegenossenschaften. antwortlichkeit für über 8 000 Bet ri ebe — das ist heute
morgen schon einmal angesprochen worden — han-
Ich finde, diese Zahlen allein sind erschreckend ge- delt es sich um die mit Abstand größte Industriehol-
nug, aber sie geben nicht das ganze Ausmaß des Un- ding der Welt. Daneben ist die Treuhand auch noch
rechts wieder. Wenn man „treuhänderische Verwal- eine gigantische Liegenschaftsverwaltung.
tung" hört, klingt das fast legal. Es war aber nichts
anderes als eine besonders perfide Enteignung: Die Im Interesse der Menschen und im Interesse des
Grundstücke wurden so mit Abgaben und angebli- Rechtsstaats müssen wir die Flut der Rückgabean-
chen Reparaturkosten belastet, daß die Kosten die träge und die ungeheure Privatisierungsverpflichtung
niedrig gehaltenen Mieten überstiegen und das Ei- meistern; es bleibt uns gar nichts anderes übrig.
gentum wegen Überschuldung an den Staat fiel. Häu- Das Regelungssystem für die Zeit nach 1949 sieht
fig bekamen dann noch SED-Günstlinge das ehema- wie folgt aus: Der Einigungsvertrag enthält das Ge-
lige Westeigentum zur Nutzung zugewiesen. setz zur Regelung offener Vermögensfragen. In die-
Die Folge dieser kriminellen Machenschaften — ich sem Gesetz ist, wie vorher betont, der Grundsatz „Re-
nenne es so deutlich — war, daß nach der Revolution stitution vor Entschädigung" festgeschrieben. Teil des
ca. 50 % des Grund und Bodens in der DDR sozialisti- Einigungsvertrages ist das auch erwähnte Investi-
sches Eigentum waren. Alle Unternehmen waren in tionsgesetz. Sein Ziel ist, durch eine Vorfahrtsrege-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 379

Bundesminister Dr. Kinkel


lung die investitionshemmenden Wirkungen des Re- mittelständischer Unternehmen ermöglicht, was ich
stitutionsprinzips an Grundstücken aufzufangen. für besonders wichtig halte.
Ich räume auch ein, was wir von Anfang an gewußt (Beifall des Abg. Dr. Schwörer [CDU/CSU])
haben: daß der Grundsatz „Restitution vor Entschädi- Ein neues Gesetz wird die exakte Zuordnung des
gung " zwangsläufig einen Zielkonflikt zwischen ei- ehemals volkseigenen Vermögens erlauben. Die pau-
nerseits der grundsätzlichen Rückgabeverpflichtung schale Zuweisung von ehemals volkseigenem Vermö-
und andererseits der Zielvorstellung bedeutet, ja, be- gen an Bund, Länder und Gemeinden und die Treu-
deuten muß, möglichst schnell zu möglichst viel Inve- handanstalt genügt nicht, vor allem nicht den grund-
stitionen zu kommen. Denn diese Investitionen setzen buchrechtlichen Anforderungen, wo wir sowieso die
geklärte Eigentumsverhältnisse voraus, und das ist Hauptprobleme haben. Zahlreiche Schwierigkeiten
leider Gottes, wie geschildert, nicht der Fall. sind die Folge.
Dazu kommt, daß sich die Verwaltungen in den fünf Ganz wichtig schließlich noch das Spaltungsgesetz.
Die alten Kombinate und Volkseigenen Bet riebe der
neuen Ländern erst im Aufbau befinden, daß teilweise
alte Seilschaften die Verfahrensabläufe behindern, DDR waren betriebswirtschaftlich völlig unsinnig auf-
gebaut und zusammengesetzt. Sie waren ein typi-
die unter der SED entstandene Bürokratie selbständi-
ges Handeln leider nicht gewöhnt ist und eine sches Produkt der sozialistischen Plan- und Komman-
schreckliche Angst vor Haftungsregelungen und Re- dowirtschaft, die im totalen wirtschaftlichen Ruin en-
dete. Wir können an diesen monströsen Gebilden
greßansprüchen hat.
nicht interessiert sein. Um sie zu privatisieren, müssen
Es hat sich aber auch gezeigt, daß die gesetzlichen kleinere Einheiten geschaffen werden können. Das
Regelungen nicht ausreichen. Sie müssen ausgebaut wird jetzt durch das Gesetz möglich.
und verbessert werden. Das geschieht heute durch die Dazu kommen weitere, aufgetauchte Hemmnisse
beiden Ihnen vorliegenden Entwürfe des Artikelge- beseitigende Vorschriften, auf die ich jetzt im einzel-
setzes und des Spaltungsgesetzes. nen nicht eingehen kann und will.
Wir hatten — ich habe das schon mehrfach an ande- Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß:
rer Stelle betont — eben nicht die Zeit, die Wiederver- Investitionen sind mit das zentrale Problem in den
einigung zu proben. Wir hatten auch nicht die Zeit, neuen Bundesländern. Wir müssen alles nur Men-
dies im rechtlichen Bereich zu tun. schenmögliche tun, um zu diesen Investitionen zu
kommen, um sie anzukurbeln. Nur so schaffen wir die
Ich möchte mit Nachdruck sagen, daß die vorliegen- dringend benötigten Arbeitsplätze, steigern die Steu-
den Gesetzentwürfe in engster Zusammenarbeit mit erkraft der Länder und Kommunen, verhindern ein
den neuen Bundesländern — was ich für selbstver- Ausbluten der neuen Länder, schaffen auch ein ge-
ständlich halte — , mit der Treuhandanstalt und auch wisses Klima von Hoffnung und Zuversicht, das die
den Wirtschaftsverbänden abgestimmt und erarbeitet Menschen im Lande hält und sie ihre Geschicke tat-
worden sind. Worum geht es schwerpunktmäßig? kräftig in die eigenen Hände nehmen läßt. Darauf
muß es uns ankommen, darauf kommt es in der Praxis
Die Rückgabe von Unternehmen wirft häufig hauptsächlich an.
schwierige tatsächliche und rechtliche Fragen auf. Oft
muß die endgültige Klärung der Eigentumsverhält- (Beifall des Abg. Dr. Schwörer [CDU/CSU])
nisse abgewartet werden. Um hier Abhilfe zu schaf- Hier schließt sich auch der Kreis zum Aufbau des
fen, haben wir das Instrument der vorläufigen Ein- Rechtsstaates, der mir als Justizminister so wich tig ist;
weisung erarbeitet. Künftig kann sich der Antragstel- ich durfte hier im Parlament ja auch schon dazu vor-
ler in das von ihm beanspruchte Unternehmen vorläu- tragen. Er verlangt eben eine demokratische Justiz,
fig einweisen lassen und dann sofort mit den Investi- eine funktionierende Verwaltung. Beides kostet Geld.
tionen beginnen. Faktisch kann er sich wie ein Eigen- Die Probleme mit den fehlenden Richtern, Staatsan-
tümer verhalten. Fremde Investoren erhalten die wälten, Rechtspflegern, Beamten usw. sind mir ge-
Möglichkeit, ein Unternehmen zu erwerben, wenn rade auch bei meiner Reise durch die fünf neuen Län-
der rückgabeberechtigte Eigentümer den Betrieb der mehr als deutlich vor Augen geführt worden.
selbst nicht führen kann oder will. Diese Fälle sind Mit dem vorgelegten Gesetzespaket leistet der Ge-
nicht selten: Der Eigentümer ist alt, lebt im Ausland setzgeber seinen Beitrag zur Förderung der Investi-
oder ist aus anderen Gründen nicht mehr daran inter- tionen in den neuen Bundesländern. Dieses Gesetz
essiert, sich selbst unternehmerisch zu betätigen. sollte so schnell wie möglich verabschiedet und in die
Selbstverständlich wird der Eigentümer in diesen Fäl- Wirklichkeit umgesetzt werden. Darum bitte ich Sie
len entschädigt. alle sehr herzlich. Ich möchte mit Nachdruck betonen,
Es wollen auch nicht alle neuen Investoren sofort daß besseren Lösungen im Laufe der Beratungen
ein Unternehmen kaufen. Viele sind nur daran inter- selbstverständlich nichts im Wege steht.
essiert, Unternehmen zu pachten oder Gebäude zu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
mieten. Auch ist der gegenwärtige Verfügungsbe-
rechtigte nicht selten an Eigeninvestitionen interes-
siert. Dies wird durch das neue Gesetz ermöglicht. Vizepräsident Becker: Das Wort hat nunmehr Frau
Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin, SPD.
Es werden privat vereinbarte Schiedsgerichte zur
Erledigung von Streitfällen ermöglicht, die sonst
durch die Behörden erledigt werden müßten. Es wer- Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD): Herr Präsident!
den Entflechtungen zur Wiederherstellung vor allem Meine Damen und Herren! Ich finde, es wird Zeit, daß
380 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Frau Dr. Däubler-Gmelin


sich der Deutsche Bundestag mit den wachsenden Einige Kollegen und ich waren in der letzten Woche
Problemen der Menschen in den Städten und Ge- in Wismar, in Schwerin und Rostock. Diese Städte lie-
meinden der fünf neuen Länder gründlich befaßt und gen in einer wunderschönen Gegend, Süddeutschen
nach Lösungsmöglichkeiten sucht. Heute morgen ha- wie mir einigermaßen fremd. Dort oben an der Ostsee-
ben wir viel darüber geredet, daß mehr Engagement, küste gibt es traditionell sehr wenig Indust ri e. Dort
Solidarität und Geld nötig sind, um die Lebensbedin- gibt es Ferienbetriebe, Landwirtschaft und Werften,
gungen zu verbessern und um in ganz Deutschland aber das ist auch alles. In diesen Gebieten schlagen
einheitliche Lebensbedingungen zu schaffen. die Probleme über den Köpfen der Menschen zusam-
men. Ich nenne die Umstellungsschwierigkeiten auf
Wir Sozialdemokraten haben betont — und wir blei- der einen Seite und die Strukturkrise in der Landwirt-
ben dabei — , daß die Menschen, die Gemeinden, aber schaft sowie die Strukturkrise bei den Werften auf der
auch die Länder in Ostdeutschland nicht mehr länger anderen Seite. Da bricht wirklich alles zusammen,
in die unwürdige Rolle von Bittstellern gedrängt wer- und die Arbeitslosenzahlen schnellen hoch.
den dürfen, die sich dann auch noch in möglichst
demütiger Haltung Bonn nähern. Sie alle haben näm- Dann, Herr Justizminister, lesen die Menschen in
lich den verfassungsrechtlichen Anspruch auf die der Zeitung, daß z. B. die FDGB-Heime im Ostseebad
gleichen Lebens und Entwicklungsbedingungen,
- Kühlungsborn, die sich ganz hervorragend als Hotels
d. h. auch auf die gleiche Ausstattung ihrer Städte, oder Familienheimstätten eignen würden, immer
wie wir sie hier im Westen gewohnt sind. noch geschlossen sind, obwohl die Saison mit Sicher-
heit kommt und die Arbeitslosigkeit dort 80 % über-
Das gilt nicht nur, wenn es um Geld geht oder um steigt. Meine Damen und Herren von den Regierungs-
den Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung oder fraktionen, hätten Sie denn Verständnis dafür, daß,
Justiz — Sie wissen, daß wir darin übereinstimmen, wenn Sie arbeitslos wären, unklare Gesetze, unge-
Herr Bundesjustizminister —, sondern das gilt auch klärte Verwaltungszuständigkeiten und Streitereien
für Gesetze oder gesetzliche Regelungen, die helfen mit der Treuhand dazu führen, daß ganze Landstriche
sollen, Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen, die zu veröden drohen? Ich nicht, und ich nehme an, Sie
helfen sollen, Betriebe anzusiedeln, und die ihren Teil auch nicht. Ich hätte auch kein Verständnis dafür, was
dazu beitragen sollen, die wunderschönen alten einige Kilometer weiter passiert, in Schwerin, der Lan-
Städte in den fünf neuen Ländern zu erhalten und sie deshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Sie
wieder so schön zu machen, wie sie früher einmal muß um ihr Stadtbad kämpfen, das sie zur Stadtent-
gewesen sein müssen. wicklung dringend braucht und das seit über 100 Jah-
(Zustimmung bei der SPD) ren in ihrem Besitz war. Warum? Weil es als Folge von
falschen Entscheidungen in den letzten Jahren über
Die Reparaturgesetze zur Klärung der verworrenen die Treuhand an westliche Investoren verkauft wurde.
Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden und an Es darf doch wohl nicht wahr sein, meine Damen und
Unternehmen, die Sie, Herr Justizminister, vorgelegt Herren, daß Gesetze, die wir hier machen, solche Ent-
haben, sind genau solche Gesetze. Wir alle wissen ja, wicklungen zulassen oder sogar noch vorschreiben.
wie verheerend sich die Probleme mit den ungeklär- Die Verantwortlichen in Schwe ri n haben wirklich et-
ten Eigentumsverhältnissen zur Zeit auswirken. Bei was Wichtigeres zu tun, als sich jetzt mit der Treuhand
den Behörden liegen über 1 Million Anträge auf Rück- auch noch monatelang darüber zu streiten.
gabe von Grundstücken an alte — also früher einmal
enteignete — Eigentümer. Die Treuhand muß über Nehmen wir einen kleinen anderen Ort mit 605 See-
das Schicksal von mehr als 9 000 Unternehmen und len. Dort muß der Bürgermeister, der um die Ansied-
der damit verbundenen Arbeitsplätze entscheiden. lung von Betrieben bemüht ist und dazu kommunale
Grundstücke braucht, den Interessenten sagen: Es tut
Als ich diese Zahlen gelesen haben, ging es mir mir leid, es läuft überhaupt nichts. Zuerst muß ich von
wahrscheinlich so wie Ihnen: Wir stutzen angesichts der Treuhand meine eigenen kommunalen Grund-
solcher Zahlen, weil wir ganz genau wissen, daß stücke bekommen.
1 Million Anträge über 1 Million Verwaltungsvor-
gänge bedeuten. Das hat Hunderttausende von Streit- Was muß er dafür tun? Dafür muß er, im letzten Jahr
fällen zur Folge, die zunächst von den Verwaltungs- zum dritten Mal, Formulare ausfüllen und der Treu-
behörden entschieden werden müssen und dann wo- hand übersenden. 253 Formulare allein in diesem
möglich auch noch vor Gericht gehen. Das ist schon kleinen Ort — wir haben sie uns zeigen lassen — , und
eine schwerwiegende Sache, wenn wir wissen, daß jedes Formular hat vier Seiten! Dies muß für jedes
die Verwaltungen — trotz bewunderungswürdig en- Grundstück geschehen.
gagierter und motivierter Kommunalpolitiker — in
vielen Gemeinden und Städten in den fünf neuen Län- Wissen Sie, was er da nachweisen muß? Er muß u. a.
dern überhaupt nicht darauf vorbereitet sind, damit nachweisen, daß ein Grundstück, das er jetzt wieder-
gar nicht fertigwerden können, die Gerichte im übri- haben will, schon vor 1933 in kommunalem Besitz
gen auch nicht. war. Dies gilt sogar für das Rathaus in dem er amtiert.
In offensichtlichen Fällen ist es leicht, da kann er das.
Was das bedeutet, ist klar. Das bedeutet das Ende In solchen Fällen ist das Verfahren nur unsinnig und
der Verfügbarkeit von Grund und Boden. Das bedeu- ärgerlich, weil er für die Menschen in dieser Situation
tet die totale Blockade der Investitionen. Auf deutsch eigentlich etwas anderes tun müßte. In anderen Fällen
heißt das: Nichts läuft, alles bricht zusammen. In einer aber hat er es wirklich verdammt schwer, weil, wie wir
solchen Situation befinden sich nun die Menschen in alle wissen, die Grundbücher in einem jammervollen
den fünf neuen Ländern. Zustand sind. Die Urkunden, die er jetzt bräuchte, lie-
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gen zwar irgendwo — in Barby oder an anderen Or- Rückgabe, also auf die Naturalrestitution, zu setzen.
ten —, er kommt aber nicht dorthin. Wer wirklich wirtschaftliche Dynamik wollte, wer
nicht nur nach rückwärts abwickeln wollte — was
Was soll er eigentlich machen? Soll er eidesstattli- auch ehrenwert ist, das wird gar nicht bestritten —,
che Erklärungen mit all den persönlichen Risiken ab- sondern wer für die Zukunft planen und gestalten
geben, obwohl er erst 45 Jahre alt ist? Ich sage das nur wollte, wer also die Voraussetzungen für Investitionen
deswegen, weil Sie, Herr Bundesjustizminister, ge- und Arbeitsplätze erleichtern, wenn nicht schaffen
rade davon gesprochen haben, Ihnen sei nicht ganz wollte, der mußte von Anfang an stärker, Herr Bun-
verständlich, daß man in den fünf neuen Ländern desjustizminister, auf Entschädigung — nicht allein
Sorge vor Haftungen habe. Mir ist das angesichts sol- auf Entschädigung, aber stärker auf Entschädi-
cher Zustände und solcher Anforderungen durchaus gung —, also auf Ausgleich statt Rückgabe, setzen.
nicht unverständlich. Ich verstehe jedenfalls gut, daß
er sich die Haare rauft, wenn er sich mit solch läppi- (Beifall bei der SPD)
schem Zeug herumschlagen muß und um ihn herum
Ich darf jetzt noch hinzufügen: Wir alle erinnern uns
alles verfällt.
sehr wohl an den Satz von Manfred Stolpe, den er am
Übrigens, das Zerfallen der Häuser ist mein näch- 17. Juni des letzten Jahres schon gesagt und gerade
stes Stichwort: Dieses Problem besteht in vielen der uns zugerufen hatte: Das gehe alles so schnell, wir
alten Städte, gerade im Innenbereich. Da fallen die müßten bereit sein, in verantwortlicher Reparaturar-
Häuser tatsächlich zusammen. Daß schnelle Hilfe, Sa- beit auch die Fehler, die wir gemacht hätten, zu kor-
nierung notwendig wäre, weiß jeder von uns. Übri- rigieren. Aber wir erinnern auch daran, gerade weil
gens brächte dies auch den Handwerkern Aufträge, wir diesen Satz unterstreichen, daß wir Sie gewarnt
den Arbeitnehmern Lohn und Brot, und die Menschen hatten und daß wir auch in den Verhandlungen zum
bekämen die dringend benötigten Wohnungen. Ge- Einigungsvertrag immer wieder darauf bestanden ha-
schehen tut aber viel zuwenig, nahezu nichts. Gesche- ben, man solle die Gewichte ein gutes Stück in die
hen kann auch nur viel zuwenig, nahezu nichts, weil andere — nämlich in die richtige — Richtung ver-
der Streit um das Eigentum an Immobilien oder schieben. Sie wissen das ganz gut, Herr Bundesjustiz-
Grund und Boden, der Streit auch über die Höhe der minister. Ich weiß aúf der anderen Seite auch, warum
Entschädigung alles weitere stoppt. Wenn wir nicht es nicht ging. Ich denke, es muß jetzt korrigiert wer-
schnell Wirksames tun, dann wird es in den nächsten den, damit die Menschen in den fünf neuen Ländern
Jahren so weitergehen. Daß es so nicht weitergehen nicht länger das Nachsehen haben.
darf, darüber sollten wir uns einig sein.
Wir haben Ihnen zugesagt, und dazu stehen wir,
Wir sollten uns auch noch darüber einig sein, daß daß wir die von Ihnen vorgelegten Reparaturgesetze
wir uns nicht nur über die Gründe für diese Entwick- zügig mit Ihnen beraten werden. Das wollen wir tun,
lung unterhalten. Es ist natürlich richtig, daß die Um- aber wir betonen auch — und ich bitte Sie, das jetzt
wandlung der SED-Wirtschaft in Soziale Marktwirt- genauso ernst zu nehmen, wie ich Ihr Kooperations-
schaft unglaublich schwierig ist, viel schwieriger, als angebot sehr wohl gehört habe — , daß wir möglichst
sich manche vorgestellt haben. Natürlich ist es so et- gemeinsam genau prüfen müssen, ob Ihre Vorschläge
was wie die Quadratur des Kreises, ein Unternehmen die Probleme wirklich lösen oder wenigstens erleich-
zu verkaufen, um Arbeitsplätze zu sichern, wenn tern, ob sie also die Blockade der Investitionen über-
Grund und Boden als Voraussetzung für Investitionen winden, ob sie die Verfügbarkeit von Grund und Bo-
von Volkseigentum in bürgerlich-rechtliches Eigen- den erhöhen, ob sie die Privatisierung von Unterneh-
tum zurückverwandelt werden soll und gleichzeitig men zum Zweck der Arbeitsplatzsicherung und der
Enteignungen, Besitzentziehungen, die mit Unrecht Arbeitsplatzbeschaffung tatsächlich vorantreiben
verbunden waren, korrigiert werden müssen — daran können.
zweifelt niemand — und die Grundbücher und die
Ich denke, wir sollten uns einig sein, daß wir die
Katasterämter in dem bekannt-beklagenswerten Zu-
gleichen Fehler, die gemacht wurden, nicht — auch
stand sind. Das alles wissen wir mittlerweile; es erklärt
nicht graduell — nochmals machen oder gar fest-
eine ganze Menge. Ich sage Ihnen aber: Dies wird
schreiben. Deswegen will ich jetzt einige Punkte zu
nicht mehr lange entschuldigen, daß alles so weiter-
den Gesetzentwürfen sagen. Wir kennen sie zwar erst
geht. seit einigen Tagen, aber es läßt sich beim ersten
Wir alle wissen — die von Ihnen vorgelegten Repa- Druchlesen schon manches dazu sagen und auch eini-
raturgesetze zeigen übrigens, daß auch Sie dies mitt- ges finden, was sehr vernünftig zu sein scheint.
lerweile wissen — , daß auch die Entscheidungen die- Ich hoffe z. B. — ich beziehe mich da auf den Be-
ses Hauses im letzten Jahr korrigiert werden müssen. reich Zuordnungsgesetz — , daß insbesondere Bürger-
Das gilt für die Gemeinsame Erklärung zur Regelung meister sich in Zukunft nicht mehr so lange mit der
offener Vermögensfragen, das gilt für das Vermö- Treuhand herumschlagen müssen. Voraussetzung al-
gensgesetz im Zusammenhang mit dem Einigungs- lerdings ist, daß die Entscheidungsmöglichkeiten der
vertrag. Diese Korrekturnotwendigkeit, zumindest in Treuhand wirklich nachhaltig und schnell verbessert
Form einer Interpretation, gilt natürlich auch für die werden. Wir hoffen, daß das geschieht. Die brauchen
Artikel 20 und 21 des Einigungsvertrages. Die haben neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ob diese so
ja alle den gleichen Webfehler, nämlich den, daß es schnell eingearbeitet werden können, werden wir se-
einfach falsch war, so einseitig, wie man das bei den hen.
Unternehmen getan hat, oder auch so stark — da ist es
eine Frage der Quantität und nicht der Qualität —, Ärgerlich finden wir in diesem Zusammenhang,
wie es im Grundstücksbereich geschehen ist, auf die daß hinsichtlich des Kuddelmuddels mit den zuständi-
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gen Entscheidungsstellen auch im Zuordnungsgesetz äußert werden. Meist wird ein Rest zurückbleiben, der
keine so klare Regelung getroffen worden ist, wie das am Ende liquidiert wird. Funktionieren kann das alles
hätte geschehen können. Ich finde insbesondere, daß nur, weil die Möglichkeit vorgesehen ist, die neuen,
die ersatzweise Zuständigkeit des Bundesfinanzmini- abgespaltenen Bet riebe von den Altschulden zu be-
sters zur Bestimmung der zuständigen Stelle im Zwei- freien. So weit, so gut. Aber das bedeutet zugleich,
felsfall wirklich noch nicht das Gelbe vom Ei ist. daß die Altschulden beim Restbetrieb konzentriert
werden. Was sich da aus dem Gesetz ergibt, ist nun
Wir finden es gut — um jetzt noch etwas Positives wirklich ärgerlich. Es ist ärgerlich, daß Sie den Gläu-
herauszugreifen — , daß der Kreis der Instrumente zur bigern des alten Mammutbetriebs eine durch nichts
Gewinnung von Investoren im sogenannten Vermö- gerechtfertigte Übersicherung verschaffen wollen.
gensgesetz erweitert wird. Die Möglichkeit der Ertei- Das alles geht auf Kosten der Allgemeinheit.
lung von Investitionsbescheiden auf die Bestellung
von Erbbaurechten, die Begründung von Teileigen (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch
tum, die Möglichkeit der bef risteten Vermietung und gar nicht!)
Verpachtung, die Bestellung von dinglichen Rechten
bei Eigeninvestitionen durch die Verfügungsberech- Wir halten das weder für gerecht noch für vernünftig.
tigten können sicherlich den unterschiedlichen Anfor- — Ich habe eben gehört, das stimme gar nicht. Ich
derungen besser gerecht werden, als die heutigen bitte Sie, gucken Sie in die §§ 10 und 11. Danach ist
rechtlichen Verhältnisse das zulassen. das so. Wenn wir das aber zweifelsfrei ausschließen
können, wäre ich sehr damit einverstanden. Wir ha-
Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch eine ben einige Fachleute befragt. Die sagen uns: Natür-
Menge Zweifel, eine Menge Probleme. Über diese lich ist das so. Das ist wieder eine Durchspiegelung
will ich jetzt noch reden, weil wir uns mit diesen Pro- der Ideologie, daß man die Gewinne privatisiert und
blemen in den wenigen Tagen, die wir zur Beratung die Verluste sozialisiert. Das wollen wir nicht mitma-
dieses Gesetzes Zeit haben, beschäftigen müssen, chen.
weil wir diese beraten müssen und weil wir dann
— ich nehme Sie da beim Wort — möglicherweise in Der dritte Punkt ist mir ganz besonders wichtig: Die
einigen Punkten bessere Lösungen finden müssen. Reparaturgesetze, Herr Bundesjustizminister, sind
ungemein kompliziert formuliert. Sie werden das fest-
Erstens. Ich finde es ziemlich ärgerlich, wie die Bun-
stellen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
desregierung mit den Rechten von Arbeitnehmern
und Kollegen, wenn Sie es wirklich einmal wagen,
umgegangen ist, und zwar im Vermögensgesetz und
diese Gesetze aufzuschlagen und von Anfang bis
im Spaltungsgesetz. Ich habe am 7. Februar in der
Ende durchzulesen. Wenn Sie das tun, werden Sie mir
„FAZ" Gesetzentwürfe gelesen, in denen alles in Ord-
zustimmen, wenn ich sage: Auch in Stuttgart, in Bonn,
nung zu sein schien. Man ist davon ausgegangen, daß
in Hamburg oder in München würden diese Regelun-
der Rat und die Kenntnis von Arbeitnehmern gerade
gen erst nach einer längeren Einarbeitungszeit funk-
in solchen Fragen selbstverständlich nicht nur ver-
tionieren können. Warum? Einfach deshalb, weil sie
nünftig, sondern auch sinnvoll sind. Denn wer soll
so kompliziert sind. Das wäre so, obwohl wir dort aus-
noch mehr Kenntnisse haben als die, um die es in
gefuchste Spezialisten haben, Leute, die das seit Jah-
erster Linie wirklich geht? - ren machen und die ganz genau wissen, wie sie es
Dann hat es in den letzten Tagen eine Rolle rück- machen müssen und wo sie fragen können, wenn sie
wärts gegeben, eine Kehrtwendung. Wir konnten le- etwas nicht wissen. Aber wie das in den Gemeinden,
sen, daß alles, was auch nur entfernt an Arbeitneh- in den Kreisen oder Städten der fünf neuen Länder
merrechte erinnerte, aus dem Spaltungsgesetz und gehen soll, weiß ich wirklich nicht.
aus dem Vermögensgesetz offensichtlich herausge-
strichen worden ist. Gestern wiederum haben wir ge- Mich hat hellhörig gemacht, daß die Vertreter der
hört, es hätte schon wieder eine Kehrtwendung gege- neuen Länder gestern im Rechtsausschuß des Bun-
ben, diesmal eine Rolle vorwärts. Mir ist aber nicht desrats gerade gegen diese Punkte erhebliche Ein-
klar — weil ich die entsprechenden Veränderungen wände und Zweifel erhoben haben: auf insgesamt
der Gesetze noch nicht mitgeteilt bekommen habe —, über 113 Seiten, wie uns im Rechtsausschuß des Bun-
ob das stimmt oder nicht. Ihren Worten, Herr Bundes- destages der Vertreter des Bundesjustizministeriums
justizminister, habe ich das auch nicht entnehmen gestern liebenswürdigerweise mitgeteilt hat. Ich sage
können. Deswegen sage ich — sei es, wie es wolle — : Ihnen: Wir müssen diesen Zweifeln und diesen Pro-
Wir wollen, daß die Rechte der Arbeitnehmer in ver- blemen nachgehen. Sie wissen, wir Sozialdemokraten
nünftiger und angemessener Weise berücksichtigt haben ein Anhörungsverfahren beantragt, auf das wir
werden, und zwar in allen Reparaturgesetzen, auch uns gestern im Rechtsausschuß geeinigt haben. Wir
im Spaltungsgesetz. Wir halten das für eine Selbstver- werden es am 5. März durchführen und darauf beste-
ständlichkeit. hen, daß in diesem Anhörungsverfahren Praktiker zu
(Beifall bei der SPD) Wort kommen, und zwar solche aus den fünf neuen
Ländern, die mit diesen Regelungen arbeiten müssen,
Zweitens, zum Spaltungsgesetz selbst: Ich stimme und zwar nicht unter unseren Bedingungen, sondern
Ihnen hier zu. Auch wir begrüßen dieses Gesetz, weil unter den Bedingungen, die sie in den Verwaltungen
es konkurrenzfähige Einheiten schaffen soll: durch ihrer Städte und Gemeinden heute vorfinden. Wenn
Teilung der Riesendinosaurier aus den alten planwirt- die uns sagen: Das geht so nicht, wenn die uns sagen:
schaftlichen Zeiten, die wirklich nicht bewegungsfä- Wir brauchen einfachere Regelungen, wenn die uns
hig, schon gar nicht wirtschaftlich handlungsfähig sagen: Wir brauchen andere, einfachere Verfahren,
waren. Diese Abspaltungen sollen an Investoren ver dann werden wir diese Reparaturgesetze in der gebo-
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tenen kurzen Zeit ändern müssen. Da rechne ich auf Möglichkeit, einen Verkauf an einen Dritten durch
Ihre Kooperation. seinen Antrag auf vorläufige Einweisung zu verhin-
dern. Ist das wirklich sinnvoll? Kommt man so zu einer
Ein vierter Punkt: Die Durchführung komplizierter vernünftigen Erhaltung erhaltungsfähiger Bet riebe
Regelungen ist meistens nicht nur langwierig, son- oder Teilbetriebe? Wir meinen, daß das sehr zweifel-
dern auch teuer. Zeit haben wir angesichts der täglich haft ist. Wir wollen dies in dem Anhörungsverfahren
wachsenden Probleme nicht, und über die Kosten der
in zehn Tagen genau überprüfen lassen.
Durchführung dieser Reparaturgesetze, Herr Bun-
desjustizminister, sagen die Entwürfe, die uns heute Wir fanden es jedenfalls außerordentlich interes-
vorliegen, nichts. Ich glaube, daß wir uns auch damit sant, daß gestern der Vertreter der Treuhand im
beschäftigen müssen. Rechtsausschuß genau auf diesen wunden Punkt hin-
gewiesen hat. Er hat erklärt, hier würden Probleme
Wir sagen: Die fünf neuen Länder, die Gemeinden, nicht gelöst, sondern eher vergrößert. Er hat sich mit
die Städte, die sich damit befassen müssen, dürfen aus großem Engagement dafür eingesetzt, dieses Mal
diesem Grund nicht noch zusätzlich belastet werden. endlich — Sie sind Schwabe, Herr Bundesjustizmini-
Ich weiß, daß das ein heikles Problem ist. Aber ich ster; deshalb sage ich das einmal so — „einen Knopf
meine, das ist ernst, und wir werden hier nach Wegen ans Sacktuch" zu machen, das heißt Nägel mit Köp-
suchen müssen. fen, also die Korrektur wirksam zu gestalten, eine
Fünfter Punkt: Ich habe die Sorge, daß Ihre Repara- Generalnorm zu schaffen, die das Prinzip der Restitu-
turentwürfe zwar die eine oder andere Korrektur in tion durch das Prinzip ersetzt, Unternehmen so schnell
die richtige Richtung anstreben, also durchaus nach wie möglich an kompetente investitionswillige Unter-
vorne gestalten wollen, daß aber diese Schritte, diese nehmer zu übergeben und dann — das ist wichtig —
Korrekturen und die vorgeschlagenen Entscheidun- die Eigentümer oder ihre Erben angemessen zu ent-
gen in einigen Fällen zu klein und zu zaghaft sind. Ich schädigen.
befürchte, daß sie deshalb letztlich unwirksam blei- Ich glaube nicht, daß Sie bereit sind — jedenfalls
ben müssen. erschien mir das gestern im Rechtsausschuß so — , die-
Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen. Es geht ja ser weitgehenden, . aber wahrscheinlich richtigen
— das ist der Obersatz, dem wir sicherlich alle zustim- Empfehlung zu folgen.
men —, um die Sicherung und Schaffung von (Vorsitz : Vizepräsident Klein)
Arbeitsplätzen. Da gibt es nun ein Unternehmen, wie Ich hoffe, daß wir uns nicht in einem halben Jahr in
es tausendfach vorkommt, das in den 50er Jahren ent- diesem Haus wieder treffen müssen, um über das
eignet wurde. Oder nehmen wir ein Unternehmen aus nächste Reparaturgesetz zu beraten. Es wäre tragisch,
den Enteignungswellen des Jahres 1972. Der frühere wenn die Menschen in den fünf neuen Ländern auch
Eigentümer ist alt, aber er hat Erben, die sich für den diesmal wieder die mangelnde Bereitschaft zu wirk li
Betrieb interessieren. Jetzt steht die Treuhand vor fol- -chenKorktuagmüßen.
gender Frage: Sie hat einen anderen Unternehmer als
Ganz herzlichen Dank.
Investor an der Hand. Dieser wäre als Unternehmer
sogar geeigneter, hat Erfahrung und könnte den Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
tri eb — jedenfalls zum größten Teil — erhalten und der CDU/CSU)
-
damit die Arbeitsplätze sichern. Aber da ist der Eigen-
tümer, und da sind die Erben. „Rückgabe oder Ent-
Vizepräsident Klein: Das Wort hat der Abgeordnete
schädigung" ist da genau die Frage — übrigens auch
Helmrich.
nach Ihren Reparaturentwürfen, Herr Bundesjustiz-
minister; denn da gilt ja im Prinzip der Vorrang der
Rückgabe weiter. Jedesmal, wenn man an den Neu- Heimrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr
regelungen auch nur ein bißchen kratzt, kommt das geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß wir
ganz „frisch, fröhlich und frei" wieder zum Vor- die Möglichkeit haben, so schnell nach Beginn dieser
schein. Legislaturperiode die beiden Gesetzentwürfe, den
Auch dann, wenn der Eigentümer oder die Erben Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Hemm-
als Unternehmer nicht so gut geeignet sind wie an- nissen bei der Privatisierung von Unternehmen und
dere, können sie sich durchsetzen, entweder durch zur Förderung von Investitionen und den Entwurf ei-
Zeitablauf oder durch neue Instrumente, die Sie ihnen nes Gesetzes über die Spaltung der von der Treu-
an die Hand geben. handanstalt verwalteten Unternehmen, hier vorzule-
gen. Wir haben uns die Arbeit geteilt. Zum Spaltungs-
Ich darf nur noch einmal sagen: Die Voraussetzun- gesetz wird dann nach mir von unserer Fraktion Herr
gen für einen Verkauf oder für eine langfristige Ver- von Stetten sprechen.
pachtung an dritte, besser geeignete Unternehmen
Herr Minister, wir haben gern die Reihenfolge so
sind in Ihrem Reparaturgesetz so eng gefaßt, daß sie
gewählt, damit uns, da das Gesetz bereits insgesamt
praktisch kaum hilfreich sein dürften. Immer dann,
vorgestellt worden ist, die Möglichkeit bleibt, ein paar
wenn sie wirklich vorliegen, hat der frühere Eigentü-
nachdenkliche Gedanken darüber zu äußern.
mer immer noch die Möglichkeit, den Rechtsweg zu
beschreiten. Das dauert erfahrungsgemäß meistens so (Schily [SPD]: Was sind denn das für nach
lange, bis die Arbeitsplätze kaputt und die Menschen denkliche Gedanken?)
arbeitslos sind. — Da müssen Sie abwarten; sie kommen ja.
Er hat — das ist neu, und man wird noch einmal Ich darf unmittelbar zu den Einzelheiten des ersten
überdenken müssen, ob das so geht — zusätzlich die Gesetzentwurfs, des Entwurfs des Artikelgesetzes,
384 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Heimrich
kommen und zunächst sagen, daß die Art. 5, 8 und 3, überlebensfähig ist. Gleichzeitig soll dies aber mit
also zur Gesamtvollstreckung, zum Treuhandgesetz dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz und dem Ge-
und zur Grundstücksverkehrsordnung, wahrschein- setz über Agrarstruktur und Küstenschutz überein-
lich kaum zu ändern oder zu ergänzen sein werden. stimmen. Schließlich soll dann aber doch wieder nicht
verpachtet werden, wenn der Berechtigte zur Grün-
In bezug auf den Art. 7, der die Produktionsgenos-
senschaften und die Entwicklung der Einkaufs- und dung eines eigenen Betriebes auf die Fläche angewie-
sen ist.
Liefergenossenschaften betrifft, glauben wir, daß man
in der Lage sein wird, insbesondere für die Altgenos- Dies zeigt das Dilemma auf, wenn man ein Prinzip
senschaften bürokratische Erleichterungen für die hochhalten will, dann aber eine andere Vorfahrtsre-
Neueintragungen ergänzend vorzusehen. gelung schaffen möchte. Hier ergeben sich — Sie,
Herr Minister, haben das vorhin schon erwähnt —
Darüber hinaus — Frau Däubler-Gmelin, hier sind
Zielkonflikte.
wir uns völlig einig — freuen wir uns ganz besonders
über das Zuordnungsgesetz. Wir halten es für drin- (Schily [SPD]: Stimmt das Prinzip denn dann
gend erforderlich. Ich glaube aber im Gegensatz zu noch?)
Ihnen, daß der Finanzminister hierfür den Letztent- Das gleiche gilt für die Neuregelung in § 6 Abs. 6
scheid haben sollte. Wer sollte es sonst? Denn es han- des Vermögensgesetzes. In diesem Fall kann das
delt sich ja weitgehend um Bundesvermögen. Wir Prinzip zur Fortführung des Bet ri ebs und Sicherung
müssen, soweit die Oberfinanzdirektionen jetzt für von Arbeitsplätzen sowie zur Schaffung neuer Ar-
zuständig erklärt worden sind, darauf achten, daß beitsplätze oder dann, wenn dadurch Investitionen
diese, obwohl sie noch nicht voll funktionsfähig sind ermöglicht werden, durchbrochen werden. Allerdings
und obwohl noch aus den alten Bundesländern gehol- kann der Berechtigte dem entgegenwirken, indem er
fen wird, bereit sind, diese Aufgaben jetzt schon einen Antrag auf vorläufige Einweisung stellt. Auch
wahrzunehmen. Denn sonst wäre diese Zuständigkeit hier gilt: Das Prinzip wird durchbrochen, aber mit
nur eine Scheinzuständigkeit. Bremsen versehen.
Es wird auch nötig sein, noch einmal zu überprüfen, Dies zeigt auch, daß man in jedem Moment sämtli-
ob die Abgrenzung der Zuständigkeit der Behörde che Beteiligten vor Augen haben muß. Wir haben auf
nach dem Vermögensgesetz scharf genug erfolgt ist. der einen Seite den materiell Berechtigten, der die
Hinsichtlich des D-Markbilanzgesetzes war es er- Rückgabe erreichen will, und auf der anderen Seite
forderlich, die recht kurzen Fristen zu verlängern; das den investitionsbereiten Neuerwerber. An Behörden
war ganz klar. Hier werden wir uns insbesondere noch haben wir die Behörde des Vermögensgesetzes und
einmal mit dem Bestätigungsvermerk beschäftigen den Verfügungsberechtigten, in der Regel die Treu-
müssen, der ja im Vorfeld schon zu einer intensiven handanstalt. Diese vier Beteiligten haben nicht selten
Diskussion geführt hat. — man wird wahrscheinlich in der Mehrzahl der Fälle
sagen können: meistens — unterschiedliche Interes-
Lassen Sie mich aber nach der Erwähnung einzel- sen.
ner Artikel zum Kernpunkt, zu den Art. 1 und 2, kom-
men. Es muß meines Erachtens auch im Rahmen einer Frau Däubler-Gmelin hat hier vorhin einen solchen
solchen Debatte nach draußen deutlich gemacht wer- Fall dargestellt. Diese unterschiedlichen Interessen
den, wo die Schwierigkeiten bisher gelegen haben bei der Kompliziertheit der Regelungen schaffen die
und welche Schwierigkeiten wir jetzt mit den Gesetz- Gefahr, daß sich die Beteiligten in den vorgesehenen
entwürfen beseitigen oder zumindest abschwächen Verfahren ständig gegenseitig blockieren.
wollen. (Dr. de With [SPD]: Aber das trägt doch die
Das Prinzip der sogenannten Eigentumserklärung Überschrift von CDU/CSU und FDP, Herr
vom 15. Juni des vorigen Jahres ist klar: Obenan steht Kollege!)
der Schutz des Eigentums; enteignetes Vermögen — Die Überschrift, die dies hat, Herr Kollege Dr. de
muß zurückgegeben werden. An diesem Prinzip ist With, ist doch klar. Wir versuchen, die Probleme in
festzuhalten. den Griff zu bekommen und zu bewältigen. Wir wer-
(Dr. Küster [SPD]: Was passiert denn den — und ich werde Sie beim Wort nehmen — um
dann?) die Formulierungen wetteifern; denn ich nehme an,
daß Sie im Ergebnis dem Ziel dieses Gesetzes zustim-
Wir haben allerdings — das ergibt sich aus der Na- men.
tur der Sache — bereits bei der Abfassung des Eini-
gungsvertrages gesehen, daß der Grundstücksver- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nicht nur,
kehr dadurch natürlich erschwert wird. Deshalb ist es wenn es um die Formulierungen geht, Herr
bereits damals zum Investitionsgesetz gekommen. Helmrich!)
Das Prinzip der Restitution ist für Grundstücke und — Hier wird es in erster Linie um die Formulierungen
Gebäude durchbrochen worden, und zwar für Fälle gehen. Sie haben darauf hingewiesen. Ich habe mich
des Verkaufs, wenn Investitionen im Vordergrund ste- darüber gefreut.
hen und sich als möglich erweisen.
Denn drei Ebenen haben wir zu unterscheiden.
Das Prinzip ist jetzt weiter für Fälle der Vermietung Zum einen geht es um den Zielkonflikt zwischen der
und Verpachtung auf zwölf Jahre durchbrochen. Es Rückgabe und einer möglichst schnellen Gangart, ein
kann — lassen Sie mich das so kurz sagen, um die Unternehmen wieder in den Wirtschaftsverkehr zu
Probleme darzustellen — auf zwölf Jahre verpachtet bringen. Es ist — wenn man sich die Arbeit der Treu-
und vermietet werden, wenn nur so der Pachtbetrieb handanstalt vor Augen hält — in der letzten Zeit auch
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 385

Helmrich
in den Zeitungen immer wieder deutlich geworden, Vizepräsident Klein: Das Wort hat der Abgeordnete
daß die Treuhandanstalt oft Schwierigkeiten hat, die Dr. Heuer.
Unternehmen am Markt unterzubringen.
(Schily [SPD]: Ja: „Wegen Reprivatisierung
Dr. Heuer (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine
geschlossen" !)
Damen und Herren! Der Abgeordnete Borchert von
— Reprivatisierung? — Sie dürfen nicht alles durch- der CDU hat heute früh gesagt, man dürfe eine Krise
einanderbringen; das hat überhaupt keinen Sinn. nicht herbeireden. Ich meine aber auch, daß man sie
(Schily [SPD]: Das sieht man doch!) nicht wegreden sollte.
Der krisenhafte Zustand in der ehemaligen DDR
— Ich verstehe Ihre Einwände nicht. Sie reden gegen
die Treuhand; Sie sagen etwas zur Regierung; Sie muß uns im Zusammenhang mit den beiden heute
sagen etwas zur CDU. Sie sollten sich mit den Gegen- vorgelegten Gesetzentwürfen zu der Frage veranlas-
ständen selber beschäftigen, Herr Schily; sen:
(Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Ge
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
rade euch!)
ordneten der FDP)
Welche Rolle kann und muß die Treuhandanstalt
dann kämen Sie wahrscheinlich zu etwas klareren bei der Bewältigung dieser Situation, bei der Verhin-
Aussagen. Ich möchte Ihnen noch sagen: Die Repriva- derung einer Katastrophe im Osten Deutschlands
tisierung durch die Treuhand hat sich in der letzten spielen?
Zeit erheblich beschleunigt. Es gibt inzwischen
600 Unternehmen mit 281 000 Arbeitsplätzen, die am Sie verwaltet als größte Staatsholding der Welt ge-
Markt wieder frei tätig sind. genwärtig etwa 9 000 Betriebe. Bisher sind von diesen
Betrieben 200 bis 300 verkauft. Sie verfügt über Werte
Frau Däubler-Gmelin, Sie haben vorhin über die von mehreren 100 Milliarden DM. Ihr gehören — wie
Klarheit der Rechtsvorschriften gesprochen. Ich gebe dies der Chef der Treuhandanstalt im „Spiegel"
Ihnen recht: In diesem Punkt können wir in einen Nr. 5/1991 erklärte - 40 % des Vermögens der frühe-
gemeinsamen Wettbewerb eintreten. Ich hoffe auf ren DDR. Es scheint mir ganz offensichtlich, daß der
Ihre Mitarbeit. Das ist die zweite Ebene. Weg zur Bewältigung der Krise im Osten Deutsch-
Die Verfahren — deshalb habe ich die Behörden lands ohne prinzipielle Überlegungen zur Rolle der
besonders erwähnt, übrigens Behörden, die mit Ihrer Treuhand nicht erfolgreich gegangen werden kann.
Zustimmung, mit Ihrem Votum im letzten Jahr ge- Welchen Weg ist die Treuhand bisher gegangen?
schaffen worden sind — dürfen keinen Anlaß geben, Gegründet wurde sie mit der Aufgabe der Privatisie-
sich gegenseitig ständig zu blockieren. Das ist die rung des volkseigenen Vermögens. In den damaligen
dritte Ebene, auf die wir unser Augenmerk richten Diskussionen in der Volkskammer gab es an der Ein-
sollen. seitigkeit dieser Zielstellung erhebliche Kritik, z. B.
Ich meine, wir sollten als zusätzlichen Vorschlag von den Abgeordneten Schulz und Schröder. Der Ab-
prüfen, ob wir nicht ähnlich wie im Kartellrecht für geordnete Professor Steinitz von unserer Fraktion er-
manche Probleme eine Ministergenehmigung klärte, daß damit die Weichen zur Unterordnung der
- vorse-
hen könnten. DDR-Wirtschaft gestellt seien, ja daß die Gefahr ihrer
Zerrüttung und des Untergangs ganzer Zweige und
Als letztes komme ich auf den Fahrplan zu spre- Regionen mit verheerenden Folgen vorprogrammiert
chen, damit niemand außerhalb dieses Hauses sich sei. Es wurde damals von uns vorgeschlagen, die In-
falsche Vorstellungen macht und glaubt, wir könnten teressen der juristischen und der natürlichen Perso-
uns Zeit nehmen, über dieses Gesetzesvorhaben ein nen der DDR verstärkt zu berücksichtigen und Per-
Jahr oder länger zu beraten. Wir haben — wie vorhin sönlichkeiten, die Erfahrung in der Vertretung von
schon gesagt wurde — vereinbart, am 5. März eine Arbeitnehmerinteressen haben, in den Verwaltungs-
Anhörung hierzu durchzuführen. Wir wollen die Bera- rat einzubeziehen. Beide Vorschläge wurden abge-
tungen bereits in der am 11. März beginnenden Wo- lehnt. Der Ablehnung verfiel auch die Streichung der
che im Ausschuß abschließen und haben vor, am 14. Altschulden.
oder 15. März im Plenum endgültig zu beschließen.
Trotz der damals mit großem Nachdruck hervorge-
(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Wenn es hobenen Einwände wurde der Weg der umgesteuer-
geht!) ten Privatisierung weitergegangen. Es herrschte da-
—Wenn es geht. Nach Möglichkeit soll sich der Bun- mals die Vorstellung — im Gegensatz zu der Auffas-
desrat am 22. März damit befassen. sung, die Graf Lambsdorff heute hier vorgetragen
hat — , daß die Marktwirtschaft nach der Wirtschafts-,
Ich hoffe, daß es uns dann gelingt, das gemeinsame
Währungs- und Sozialunion die Probleme der DDR in
Ziel, das wir alle hier im Hause haben, zu erreichen,
einem raschen Zeitraum lösen werde. Das westdeut-
nämlich die Investitionen zu erleichtern, die Privati-
sche Kapital werde in kurzer Zeit in die DDR einflie-
sierung zu beschleunigen und die Verfügbarkeit von
ßen und die Wirtschaft rasch weiterentwickeln.
Grund und Boden, insbesondere für Gewerbeansied-
lungen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zu ver- Die Regierung de Maizière und später die Regie-
bessern und damit für eine florierende Wirtschaft in rung Kohl gingen offensichtlich davon aus, daß die
den fünf neuen Ländern zu sorgen. Selbstheilungskräfte des Marktes genügen würden.
Während der Beitritt neuer Länder zur EG jahrelanger
Vielen Dank. Vorbereitung bedurfte, ist man offenbar davon ausge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gangen — das ist jedenfalls so gesagt worden — , daß
386 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Heuer
für die DDR eine solche Übergangsperiode mit staat- dienen. Um so mehr muß das für den größten Eigen-
licher Steuerung nicht erforderlich sei. tümer des Landes gelten, der zugleich eine staatliche
Jetzt sind die Folgen eingetreten, vor denen damals Einrichtung ist.
gewarnt wurde. Die Wirtschaft Ostdeutschlands be- Es geht also nach unserer Meinung darum, den Auf-
findet sich in einer tiefen K ri se, deren Ende noch kei- trag der Treuhandanstalt neu zu bestimmen. Ohne
neswegs abzusehen ist. eine auf langfristige Sanierung der Bet ri ebe im Ein-
klang mit den Interessen des Ter ritoriums, also unter
In dieser Situation werden uns erneut rechtliche
regionaler Sicht, unter Einbeziehung der Notwendig-
Regelungen vorgelegt, die auf nichts weiter abzielen,
keit, Arbeitsplätze zu erhalten, angelegte Konzeption
als diese Politik der Privatisierung ohne staatlichen
ist der Weg aus der Krise nicht möglich.
Rahmen und ohne eine entsprechende staatliche
Strukturpolitik in beschleunigtem Tempo fortzuset- Wir halten es also für notwendig, daß ein abge-
zen. Es wird von der Annahme ausgegangen, das stimmtes Strukturkonzept für das Gebiet der ehemali-
Scheitern der bisherigen Politik sei ausschließlich auf gen DDR vom Bundeswirtschaftsministerium, von den
Hindernisse zurückzuführen, die der raschen Privati- Wirtschaftsministerien der Länder und von der Treu-
sierung entgegenständen und das Wegräumen dieser hand verwirklicht wird.
Hindernisse, d. h. das ungestörte Wirken des Markt- Dabei halten wir eine Mitwirkung der Gewerk-
mechanismus, werde die Dinge sehr rasch zum Besse- schaften, der Bet ri ebs- und der Personalräte für erf or-
ren wenden. derlich. Wir sollten auch prüfen, wieweit es notwendig
Das Gesetz über die Spaltung der Unternehmen soll ist, die Länder ganz oder teilweise am Vermögen be-
es ermöglichen, die Unternehmen durch eigene Ent- sonders wichtiger Bet ri ebe zu beteiligen.
scheidungen aufzuteilen und dadurch eine raschere Die Fortsetzung der bisherigen Politik der Treuhand
Privatisierung zu gestatten. Dies gilt jedenfalls für ein- widersp ri cht dem Verfassungsauftrag des Art. 72 des
zelne Teile. Die übrigen werden dann allerdings um Grundgesetzes, der Forderung nach der Herstellung
so schwerer verkäuflich sein. einheitlicher Lebensverhältnisse. Diese bisherige
Bei den anderen Einzelregelungen geht es in erheb- Politik muß deshalb durch eine wirkliche Industrie-
lichem Umfang um Korrekturen, z. B. im Gesetz zur und Wirtschaftspolitik ersetzt werden, in die die Treu-
Regelung offener Vermögensfragen. Hier handelt es hand verbindlich einzubinden ist.
sich — das wurde hier schon deutlich gemacht — um Danke sehr.
einen Zielkonflikt zwischen dem Schutz früherer Ei- (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
gentümer und ihrer Restitutionsansprüche einerseits
und der Unterstützung von Investitionen anderer-
seits. Vizepräsident Klein: Das Wort hat Frau Abgeord-
Die gesetzlichen Regelungen sind kompliziert und nete Leutheusser-Schnarrenberger.
unübersichtlich. Hier wären durchaus Verbesserun-
gen erforderlich. Das Grundproblem liegt aber nach
unserer Auffassung an einer anderen Stelle. Frau Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen
Die gegenwärtige Krise ist jedenfalls zu einem Teil
in den neuen Bundesländern brauchen unsere Hilfe
auf das verfehlte Konzept der Treuhandanstalt zu-
finanzieller, personeller und rechtlicher Art und vor
rückzuführen, das jetzt in verstärkter Form fortgeführt
werden soll. Die ungesteuerte Privatisierung verwan- allen Dingen das Gefühl und das Bewußtsein, daß wir
wirklich und nicht gönnerhaft helfen wollen.
delt sich zusehends in etwas, was nur als Kahlschlag-
sanierung bezeichnet werden kann: Die Interflug Unstreitig ist, daß die Umstrukturierung von einer
wurde nicht privatisiert, sondern liquidiert. In Eise- sozialistischen Planwirtschaft in eine Soziale Markt-
nach werden die Automobilwerke geschlossen. Ge- wirtschaft auf riesige Schwierigkeiten stoßen muß.
stern demonst ri erten über 35 000 Arbeitnehmer der Die bestehenden Rahmenbedingungen machen das
Werften in Mecklenburg-Vorpommern gegen die unternehmerische Risiko für Investoren schwer kalku-
Streichung der Hälfte der Arbeitsplätze. lierbar und gefährden damit den Erhalt bzw. die
Schaffung von Arbeitsplätzen.
Der Vorsitzende der Treuhandanstalt Rohwedder
hat die Zielsetzung der Gesellschaft im „Spiegel" mit Was fehlt, sind eine notwendige Infrastruktur, eine
folgenden Worten charakterisiert: „Wir arbeiten be- funktionierende Verwaltung mit geschultem Perso-
triebswirtschaftlich und firmenbezogen; die Politik ar- nal, eindeutige Regelungen der offenen Vermögens-
beitet wi rt schaftspolitisch und regionalbezogen." und Eigentumsfragen und eine klare Zuständigkeits-
und Verfahrensregelung, insbesondere für die Zuord-
Das bedeutet, daß eine Staatsholding, die über 40 To nung des ehemaligen volkseigenen Vermögens.
eines Territoriums verfügt, nur bet ri ebswirtschaftlich
und firmenbezogen, also nicht sozial und gesell- Woran scheitern denn z. B. viele Anträge von Haus-
schaftsbezogen, denkt. Sie versteht sich offenbar als besitzern in den neuen Bundesländern auf Erwerb des
gewaltiges Immobilienmaklerbüro ohne politische Grundstücks, auf dem ihr Haus steht? Sie scheitern an
Verantwortung. der fehlenden Feststellung, wer nach den Regelungen
des Einigungsvertrages über das Grundstück verfü-
(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Die PDS?) gen kann: die Gemeinde, der Kreis, das Land, der
Nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Bund oder die Treuhandanstalt.
Deutschland verpflichtet jegliches Eigentum. Sein Über eine Million Anträge auf Rückübertragung
Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit von Vermögenswerten machen auf krasse Weise
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 387
Frau Leutheusser-Schnarrenberger
deutlich, daß dringender Handlungsbedarf besteht sächlich um die Erleichterung von Investitionen und
und wie groß das begangene Unrecht ist. damit um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht. Daß
heißt z. B., daß ein Investor einen Sanierungsplan vor-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
legen muß und der Alteigentümer den Erlös aus dem
Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen, die die Ko- Verkauf des Unternehmens erhält, wenn er selbst
alitionsfraktionen advokatorisch von der Bundesre- nicht in der Lage oder willens ist, das Unternehmen
gierung übernommen haben, wird angestrebt, das In- weiterzuführen. Wir erwarten, daß sich mit der Mög-
strumentarium zur Veräußerung, Rückübertragung lichkeit der „vorläufigen Einweisung" nach dem Ver-
und Entflechtung von Unternehmen zu verbessern. mögensgesetz bei nicht hundertprozentig eindeutiger
Es gilt, so schnell wie möglich Anreize für Investi- Eigentumslage künftig Verzögerungen vermeiden
tionen zu schaffen. Wir können nicht noch einige Mo- lassen.
nate warten und müssen es auch nicht. Die Entschei- Wir begrüßen die Ansätze zur Entlastung der Ver-
dung des Bundesverfassungsgerichts zu den Enteig- waltung wie z. B. die Tatsache, daß Vereinbarungen
nungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungs- zwischen dem Verfügungsberechtigten und dem Be-
hoheitlicher Grundlage in den Jahren 1945 bis 1949 rechtigten einem Handeln der Behörde vorgehen kön-
muß nicht abgewartet werden. Die Regelung über die nen. Von seiten der Behörden muß jederzeit auf eine
Rückgabe von Betrieben und Einzelgrundstücken ist gütliche Einigung hingewirkt werden. Mit der Eröff-
nicht abhängig von dieser Entscheidung. Außerdem nung eines Schiedsverfahrens wird ebenfalls eine ein-
wird es ein eigenes Entschädigungsgesetz geben, das vernehmliche Lösung der Beteiligten ohne die zustän-
aber noch längere Arbeiten erforderlich machen digen Behörden ermöglicht.
wird.
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr vernünf
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — tig!)
Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: So ist es!)
Alle diese Maßnahmen können jedoch nur dann zu
Jedes Hinauszögern ist unverantwortlich und zum einem Erfolg führen, wenn potentielle Investoren ihre
Nachteil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in unternehmerische Zurückhaltung gegenüber den
Ostdeutschland. Ich bin froh, daß wir in dieser Frage neuen Bundesländern aufgeben und ihrer mit der
einen Konsens haben. Vereinigung gewachsenen Verantwortung gerecht
Viele unterschiedliche Interessen sind bei einer Re- werden.
gelung der offenen Vermögensfragen im Spiel. Es (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
handelt sich um den Berechtigten, also um den Altei-
gentümer, der die Rückgängigmachung des in den Den Vorwand der ungeklärten Eigentumslage neh-
vergangenen Jahrzehnten erlittenen materiellen Un- men wir ihnen mit diesem Gesetz.
rechts durch Rückgabe bzw. Rückübertragung des Gesetze — da stimme ich meinen Vorrednern zu —
enteigneten Vermögens erwartet, um den Investor, dürfen nicht so kompliziert sein,
der nicht gleichzeitig Alteigentümer ist, der aber den
Erwerb von rechtlich unbelastetem Grund und Boden (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)
oder von Unternehmen für Investitionen und damit daß sogar Ju ri sten Schwierigkeiten haben, sie anzu-
zur Sicherung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen wenden. Noch so gute und perfekte Gesetze können
braucht, und um den Verfügungsberechtigten; in den dann nicht zum Erfolg führen, wenn ihre Umsetzung
meisten Fällen ist das zur Zeit die Treuhandanstalt, nicht konsequent und rasch erfolgt.
die möglichst schnell die Reprivatisierung von Unter-
nehmen anstrebt, um drohende Konkurse abzuwen- Wir brauchen diese Gesetze. Aber die besten Ge-
den. setze helfen nichts, wenn sie nicht konsequent ange-
wendet werden können. Damit dies möglich ist, brau-
Die mit dem Einigungsvertrag geschaffenen Rege-
chen die zuständigen Behörden in den neuen Bundes-
lungen reichen auf Grund der Erfahrungen der letzten
ländern, insbesondere die im Aufbau befindlichen
Monate nicht aus. Für die FDP gibt es bei diesen Ge-
Landesämter und die Kommunalverwaltungen, vor-
setzentwürfen zwei Eckwerte: die Erleichterung von
rangig zusätzlich schnelle personelle Unterstützung
Investitionen, um eine funktionierende Soziale Markt-
und Verstärkung.
wirtschaft überhaupt aufbauen zu können, und auf
der Grundlage dieser Zielsetzung die Wahrung und Vielen Dank. -
Achtung von Eigentumsrechten. Rückgabe von Ei-
gentum vor Entschädigung war und ist dabei die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
Grundhaltung der FDP und kann auch aus rechts- Abg. Rind [FDP] überreicht der Abg. Frau
staatlichen Gründen nicht grundsätzlich korrigiert Leutheusser-Schnarrenberger [FDP] einen
werden. Blumenstrauß)

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —


Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr richtig!)
Wird der Gesetzentwurf diesen Maßstäben, diesem Vizepräsident Klein: Meine Damen und Herren, es
Zielkonflikt gerecht, unter Abwägung aller berechtig- steht mir nicht zu, den Fraktionen und Gruppen Emp-
ten Interessen und unter Berücksichtigung der tat- fehlungen zu geben, wie sie mit ihren Neulingen —
sächlichen Situation? Ja. Wir akzeptieren, daß der die Zahl ist ja groß — umgehen sollen.
Grundsatz der Rückgabe vor Entschädigung dann
nicht strikt eingehalten werden kann, wenn es tat- (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr richtig!)
388 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Vizepräsident Klein
Aber ich möchte Sie doch auf die sympathische Geste lierung der Treuhandgesetzgebung hinauslaufen, auf
der Fraktion der Freien Demokraten nach der Jung- die ich mich hier beschränken will. Beurteilen kann
fernrede der Kollegin Leutheusser hinweisen. man sie nur angemessen, wenn sie an der von Anfang
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie an gegebenen Zweckbestimmung der Privatisierung
bei Abgeordneten der SPD — Dr. Weng des sogenannten Volkseigentums von vor dem 9. No-
[Gerlingen] [FDP]: Mir hat man damals vember 1989 gemessen werden, einer Zweckbestim-
nichts gegeben!) mung, die im Blick auf die sichere Erkenntnis getrof-
fen wurde, daß der Staat DDR früher oder später erlö-
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ullmann. schen würde und damit der verfassungsmäßige Ga-
rant des Eigentums.
Dr. Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Ich gratuliere. Zu diesem Zweck haben die Bürgerbewegungen
Auch ich möchte es so gut haben. die Errichtung der Treuhand gefordert. Daran muß
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Zu spät, Herr ihre jetzige Tätigkeit gemessen werden. Ich könnte
Ullmann! Wer zu spät kommt, den bestraft Ihnen im einzelnen noch beschreiben, welche rechtli-
das Leben!) chen Vorstellungen wir dabei gehabt haben. Ich muß
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir zie- das jetzt aus Zeitgründen übergehen und kann nur
hen Bilanz. Alle deutschen Länder tun das jetzt; ge- darauf hinweisen, daß weder das erste Gesetz vom
meinsam. Sie wollen wissen und sie müssen wissen, 1. März noch das vom 17. Juni 1990 unseren Vorstel-
wie der weitere gemeinsame Weg aussieht. lungen entsprochen hat.
Was hat die Bundesregierung in diesem entschei- Offenkundig ist die Regierung zur selben Erkennt-
denden Moment zu sagen? Sie philosophiert über die nis gekommen; denn wir sehen jetzt vor uns eine
Steuerpolitik der frühen 80er Jahre. Sie verteidigt die dritte Novellierung als Ausweg aus der Sackgasse.
Eckdaten, die wir mittlerweile alle auswendig ken- Der entscheidende Vorschlag ist die Einführung der
nen, rechtfertigt die lange absehbaren Steuererhö- Rechtsform der Unternehmensspaltung bzw. -abspal-
hungen mit der internationalen Lage — ein apologe- tung. Hier werden Vorbilder aus dem britischen und
tischer Schachzug mehr, um von dem Thema abzulen- französischen Recht, vor allem das Landwirtschaftsan-
ken, das Gegenstand der heutigen Debatte ist: die passungsgesetz der DDR vom 29. Juni 1990, aber auch
katastrophale Situation in den Ländern und Kommu- die 6. EG-Richtlinie vom 17. Dezember 1982 als
nen, für die die Etikettierung „Beitrittsgebiet" der für Grundlage des neuen Gesetzentwurfs genutzt.
die Regierung charakteristische Sprachgebrauch zu
werden scheint. Für die Einschätzung dieser Lage gibt Man muß alles begrüßen, was die Arbeit der Treu-
es einen Konsens von rechts bis links, den offenbar hand zu erleichtern geeignet ist, was der Dezentrali-
nur der Herr Finanzminister nicht teilt. sierung und Flexibilisierung der schwer handhab-
Was hat die Regierung hierzu zu sagen? — Sie hat baren Unternehmensmasse dienen kann. Aber wird
dazu zu sagen — wir haben es gehört — , daß die Ko- der Entwurf das leisten, was die Treuhand sich von
alition angesichts des offenkundig gewordenen ihm verspricht? Hierzu zwei Bemerkungen:
neuen Finanzbedarfs über weitere Maßnahmen ver-
Erstens. Nach eingezogenen Erkundigungen ist das
handeln und sie beschließen wird.
bei dem zugrunde gelegten Landwirtschaftsanpas-
Das kommt einer Bankrotterklärung gleich und sungsgesetz jedenfalls nur in ganz geringem Maße
muß als Verhöhnung derer wirken, die jetzt auf eine der Fall. Überschuldete Genossenschaften werden
Antwort gewartet haben, angefangen bei den Mini- auch durch die Möglichkeit ihrer Spaltung nicht
sterpräsidenten und den Regierungen der Länder der handlungsfähiger.
ehemaligen DDR bis hin zu den Arbeitern und Arbei-
terinnen, Rentnern und Rentnerinnen, Studenten und Zweitens. Jede Übernahme fortschrittlichen EG-
Studentinnen, die richtungweisende politische Ent- Rechts kann nur begrüßt werden. Aber das herange-
scheidungen, und nicht abermals neue bürokratische, zogene EG-Gesetz von 1982 erklärt ausdrücklich den
unanwendbare Regelungen fordern. Reparaturge- Schutz der Arbeitnehmer, Gläubiger und eine mög-
setze zu Reparaturgesetzen. lichst weitgehende Offenlegung des Spaltungsvor-
Der Bundesfinanzminister hat recht: Zahlen kann ganges als Gesetzeszweck. Diese Gesichtspunkte
man nicht leugnen. Und er hat auch darin recht, wenn sind im Regierungsentwurf bei weitem nicht in ausrei-
er für die Sisyphusarbeit der Treuhand Respekt und chendem Maße berücksichtigt. Im Gegenteil: Der hier
Dankbarkeit einfordert. Aber hat er überhaupt selbst obwaltende Minimalismus stimmt ausgesprochen be-
Kenntnis von den Zahlen der Treuhand, die seinem denklich.
Zweckoptimismus kategorisch widersprechen? Von Lassen Sie mich unbeschadet der noch fälligen De-
8 000 Objekten sind nicht einmal 600 privatisiert, von
taildebatte in den Ausschüssen zwei Gesichtspunkte
12 000 Rückerstattungsansprüchen der Enteignungen
jetzt schon als vorrangig anmelden: die auch vom
von 1972 ist erst ein Viertel bef riedigt. Mit anderen Gesetzespaket der Regierung nicht geleistete gene-
Worten: Nicht einmal ein Zehntel im einen und ge-
relle Neukonsolidierung des Eigentumsrechts. Wie
rade ein Viertel im anderen Fall können als funktions- soll es zu einer solchen kommen, wenn wir uns hier
fähige Unternehmen angesehen werden. Wo soll un-
noch über Restitution oder Entschädigung streiten?
ter solchen Bedingungen wirtschaftlicher Auf-
schwung herkommen? Im übrigen, Herr Helmrich, möchte ich sagen:
Wenigstens eine Teilantwort gibt die Regierung mit Wenn es nur so einfach wäre. Wir streiten doch auch
ihren Gesetzesvorlagen, die im Kern auf eine Novel- um das Was. Wenn Sie zugehört haben, werden Sie
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 389

Dr. Ullmann
bemerkt haben, daß fast jeder der Redner verschie- die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen nicht Schritt
dene Zahlen der Bet riebe genannt hat, die von der halten konnten.
Treuhand zu behandeln sind. Das hat Gründe: Die
Wir haben oft beklagt, daß die Treuhandanstalt, die
Treuhand selbst kennt diese Zahlen nicht genau. Da
die Aufgabe hat, das ehemalige volkseigene Vermö-
beginnen schon die Unklarheiten.
gen und dabei besonders die Betriebe zu privatisie-
Den Damen und Herren von der FDP möchte ich ren, zu langsam und zu ineffektiv gearbeitet habe. Die
sagen: Als Sie vorhin beim Restitutionsprinzip ge- Treuhand hat sich — meines Erachtens zu Recht —
klatscht haben, hatte ich den Eindruck, da wußte bei u. a. durch ein Memorandum gegen viele unberech-
Ihnen weder die Rechte noch die Linke, wozu sie ge- tigte Vorwürfe zur Wehr gesetzt und auf ungenü-
klatscht hat. gende oder fehlende gesetzliche Bestimmungen hin-
(Zustimmung bei der SPD) gewiesen, die ihre Arbeit erschweren, hemmen oder
Hier ist eine generelle Neuformulierung nötig. gar unmöglich machen.
Darum fordere ich, daß die Rechtsabteilung der Treu- Als einen Schritt hat die Regierung das Gesetz zur
hand erweitert und mit der Vorbereitung von Rege- Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung
lungen beauftragt wird, die zum Inhalt haben: erstens von Unternehmen und zur Förderung von Investitio-
eine endgültige Liquidation der noch immer wirksa- nen — kurz Enthemmungsgesetz oder Artikelgesetz
men Eigentumsgesetzgebung der NS-Zeit, zweitens oder, wie Frau Däubler-Gmelin sagt, eines der Repa-
eine Generalentscheidung über die eigentumsrechtli- raturgesetze — vorgelegt. Wir haben es vorhin bera-
chen Aspekte der Kriegsfolgen. ten.
Als zweiter Schritt folgte das nicht minder wichtige
Vizepräsident Klein: Herr Abgeordneter, Ihre Rede-
Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt
zeit ist abgelaufen.
verwalteten Unternehmen. Über den Namen bin ich
etwas unglücklich, zumal wenn es in der Abkürzung
Dr. Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Da ich vom als „Spaltungsgesetz" bezeichnet wird. Dies ist im
Herrn Präsidenten ermahnt worden bin, muß ich die Zuge der Wiedervereinigung nicht gerade glück-
zweite Forderung in einem Satz zusammenfassen. lich.
In ihrem Kommentar zu dem anderen Gesetzespa- (Beifall bei der CDU/CSU)
ket über die Beseitigung von Investitionshemmnissen
hat die Regierung das volkseigene Vermögen priva- Wir kennen den Beg riff der Spaltung zwar aus der
ten Unternehmen, dem Bund, den neuen Bundeslän- 6. Richtlinie der EG und auch aus dem Steuerrecht,
dern und den Kommunen nach bestimmten Regelun- ebenso aus dem Diskussionsentwurf zur Bereinigung
gen zugeordnet und damit — was ganz gravierend des Umwandlungsrechts. Das vielleicht schönere
ist — zum erstenmal in der Gesetzgebung den bisher Wort Entflechtung hat schon § 6 b des Vermögensge-
anerkannten Rechtsanspruch auf Entschädigung für setzes verbraucht. Vielleicht können wir das Gesetz
die bei dem Umtausch am 1. Juli 1990 entstandenen „Auf - und Abspaltungsgesetz" nennen, wenn wir uns
Verluste bei Sparguthaben gestrichen und sich nicht an dem Wort Spaltung reiben.
dazu erklärt. Sie muß sich aber dazu erklären und Übrigens, Frau Däubler-Gmelin: Das Gesetz liegt
sagen, was das bedeutet: Will sie diese Ansprüche seit gestern vor. Ich weiß nicht, ob Sie es draußen nicht
nicht mehr anerkennen? Wie soll damit umgegangen bekommen haben. Es ist also nichts, was Ihnen vor-
werden? enthalten wurde.
Das ist kein Wunsch — um den Herrn Finanzmini- (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Was ist
ster zu zitieren — , sondern es ist eine Forderung, die denn mit den Arbeitnehmerrechten? Das war
ich hiermit erhebe. ja meine Frage!)

Vizepräsident Klein: Herr Dr. Ullmann, Ihre Rede- — Soweit ich das überblicke, sind sie in dem Gesetz-
zeit ist weit überschritten. entwurf enthalten. Wir werden gleich noch darauf
kommen.
Dr. Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Ich bin damit am (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ich hole es
Ende. einmal!)
Danke. — Sie können es von mir haben. Bitte schön.
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE)
Das Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 hat das
volkseigene Vermögen quasi auf die Treuhand über-
Vizepräsident Klein: Das Wort hat der Abgeordnete tragen. Die Kombinate wurden, soweit nicht bereits in
Dr. von Stetten. Aktiengesellschaften umgewandelt, zum 1. Juli 1990
in Aktiengesellschaften im Aufbau und die Kombi-
Dr. Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Herr Präsi- natsbetriebe und andere in Gesellschaften mit be-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolle- schränkter Haftung im Aufbau per Gesetz verwan-
ginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Mona- delt. Das Vermögen aus der Fondsinhaberschaft und
ten alle mit Schrecken erkennen müssen, daß die al- der in Rechtsträgerschaft gehaltene Grund und Boden
ten Strukturen in den fünf neuen Bundesländern mit wurden zum selben Zeitpunkt in das P rivateigentum
rasanter Geschwindigkeit zerbrechen und der Erhalt der neuen Kapitalgesellschaften überführt. Dies hat
von alten Betrieben bzw. der Neuaufbau von Betrie- die großen, oft unübersichtlichen verschachtelten so-
ben und damit die Erhaltung von Arbeitsplätzen bzw. zialistischen Bet riebe erhalten, die in der Regel nicht
390 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Freiherr von Stetten


lebensfähig sind und auch aus räumlichen und be- gen übertragen, die einen Anspruch auf Rückübertra-
triebswirtschaftlichen sowie rechtlichen Gründen ge- gung wegen früherer Enteignung haben.
trennt werden müssen. Um die Entflechtung zu erleichtern und zu be-
Ich will Sie jetzt nicht mit juristischen Einzelheiten schleunigen, wird auf die Verpflichtung zur Auflö-
langweilen, aber das deutsche Recht kennt nicht die sung bzw. Aufdeckung stiller Reserven verzichtet.
Aufteilung einzelner Bet riebsteile durch einen Akt, Diese müssen erst im Falle einer späteren Realisie-
die sogenannte Gesamtrechtsnachfolge. Dies kennen rung der Einkommen- und Körperschaftsteuer unter-
wir nur im Erbfall, bei der Verschmelzung oder Um- worfen werden.
wandlung. Nach deutschem Recht müßte bei einem Entsprechend bei den Verschmelzungs- und Um-
Teilbetriebsverkauf jedes einzelne Grundstück und wandlungshandlungen gilt § 613 a BGB auch bei der
jeder einzelne Vermögensgegenstand — bis hin zum Aufspaltung und Abspaltung, da im Gegensatz zur
Bleistift — für sich übertragen werden. Übertragung von Bet rieben oder Betriebsteilen ge-
(Kleine rt [Hannover] [FDP]: Das ist schon im mäß der Bestimmung des neuen § 6 b des Vermögens-
mer falsch gewesen!) gesetzes kein Verwaltungsakt vorliegt, sondern die
Übertragung durch Rechtsgeschäft vorgenommen
— Das war falsch, aber es ist nun einmal so. So haben wird.
wir es im Gesetz. Dann müssen wir unser BGB ändern.
Sinnvoll wäre es zwar, wenn die Geltung des § 613 a
Das wäre nicht schwierig.
BGB für zwei Jahre in den neuen fünf Bundesländern
Jede einzelne Forderung müßte abgetreten werden, ausgesetzt würde, wie in der Koalitionsvereinbarung
und bei der Übernahme von Verbindlichkeiten ist in angestrebt.
der Regel die Zustimmung der Gläubiger erforderlich.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dies ist ein nicht durchzuführendes Unterfangen und
führte in der Vergangenheit zu Untätigkeit oder Be- Solange dies nicht der Fall ist, werden Problemfälle,
triebsübertragungen, die rechtlich mangelhaft wa- auf die ich jetzt nicht näher eingehen will, bleiben.
ren. Förderlich ist die Geltung der Bestimmungen des
§ 613 a BGB für den Entschluß, eine auf- oder abge-
Der vorliegende Gesetzentwurf soll mit diesen spaltene Gesellschaft zu übernehmen, nicht. Sie sind
Schwierigkeiten aufräumen, indem er der Treuhand ein Investitionshindernis in den neuen Ländern.
— Herr Kollege, diesmal nur der Treuhand — die
Möglichkeit gibt, die ihr unterstehenden Gesellschaf- Die Mitwirkung der Betriebsräte ist durch das
ten vereinfacht zu teilen, nämlich durch eine partielle Betriebsverfassungsgesetz — insbesondere durch
Universalsukzession oder Spezialsukzession. Dies § 111 — gesichert; es bedurfte keiner eigenen Fest-
sind übrigens Möglichkeiten, die im französischen stellung.
und britischen Recht schon verankert sind, im Land- In § 10 sollte noch klargestellt werden, daß es sich
wirtschaftsanpassungsgesetz vom Juni 1990 enthal- bei der Gesellschaft oder den Gesellschaften nach der
ten und durch die oben genannte EG-Richtlinie ge- Auf- und Abspaltung um neue Bet riebe gemäß § 112 a
deckt sind. Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes oder
Nach dem Gesetz gibt es nun zwei Möglichkeiten, — wenn das nicht gewünscht wird — um eine Um-
und zwar erstens die Aufspaltung. Dabei teilt die be- strukturierung handelt. Festzuhalten ist aber gleich-
stehende Kapitalgesellschaft als übertragender zeitig, daß die Vierjahresfrist für die Erzwingbarkeit
Rechtsträger unter eigener Auflösung und Abwick- eines Sozialplanes ab der Entstehung der abspalten-
lung ihr gesamtes Vermögen und überträgt es im den Gesellschaft — in der Regel gemäß § 11 des Treu-
Wege der Sonderrechtsnachfolge auf mindestens handgesetzes vom 1. Juli 1990 — läuft.
zwei andere Kapitalgesellschaften, die dadurch neu Bedenken bestehen gegen § 13 des Gesetzes in der
entstehen. Die bestehende Kapitalgesellschaft löst jetzigen Fassung, weil hier für Bet riebsräte ein Rest-
sich nach entsprechenden Eintragungen ohne neuen bzw. Übergangsmandat als Sonderrecht — warum ei-
Rechtsakt automatisch auf. gentlich? — geschaffen wird, das zu erheblichen In-
Zweitens. Bei der Abspaltung bleibt die übertra- teressenkollisionen und Investitionshemmnissen füh-
gene Kapitalgesellschaft bestehen und überträgt nur ren kann. Es geht schlichtweg nicht, daß z. B. ein ein-
Teile ihres Vermögens — Bet riebsteile — auf eine zelner Betri ebsrat bei einer Aufspaltung in zwei kon-
oder mehrere neu zu gründende Gesellschaften. Mit kurrierende Einzelunternehmen beiden als Betriebs--
den entsprechenden Eintragungen sind die neuen Ka- rat angehört.
pitalgesellschaften gegründet, die alte Kapitalgesell- Das Gesetz soll der Erleichterung der Entflechtung
schaft, die Muttergesellschaft, bleibt verkleinert er- dienen und Ansporn zu Investitionen sein und nicht
halten. Dies gilt auch, wenn die Treuhand nur mittel- durch Sonderregelungen zum Betriebsverfassungsge-
bar, gegebenenfalls über verschiedene Mütter und setz Investoren abschrecken. Wir sollten ehrlich sein
Töchter, bei einer Enkelgesellschaft beteiligt ist. und den Mut haben, § 13 ersatzlos zu streichen. Dann
gilt für die Betriebsräte das Bet riebsverfassungsgesetz
Jetzt ist wich tig zu bemerken, daß die jeweiligen
mit der ergangenen Rechtsprechung. Dadurch sind
Kapitalanteile der alten bzw. neuen Gesellschaften
die Rechte der Arbeitnehmer ausreichend geschützt.
bei der Treuhand verbleiben. Diese kann nun die
Das Betriebsverfassungsgesetz hat sich bewährt und
neuen Gesellschaften vorübergehend getrennt führen
sollte nicht geändert werden.
oder die Anteile ganz oder teilweise an einen oder
mehrere Investoren verkaufen oder im Rahmen des Sinn und Zweck des Gesetzes werden durch die
Gesetzes über offene Vermögensfragen auf diejeni Bestimmungen klar zum Ausdruck gebracht. Es ist
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 391
Dr. Freiherr von Stetten
praktikabel und führt zu schnellen, übersichtlichen Vizepräsident Klein: Herr Abgeordneter Türk, Sie
Entscheidungen. Die Eintragungsvorschriften verhin- haben das Wort.
dern Unklarheiten. Durch die notarielle Beurkun-
dungspflicht — im übrigen bereits durch das Aktien-
gesetz und GmbH-Gesetz gegeben — werden Ver- Türk (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Her-
tragsfachleute einbezogen. Zur Beschleunigung kann ren! Wir sprechen heute vor allen Dingen — so sehe
auf die umständlichen Spaltungsberichte und Prüfung ich das — über Koalitionsentwürfe zur Beseitigung
der Spaltung durch Erklärung gegenüber dem Regi- von Privatisierungs- und Investitionshemmnissen.
stergericht verzichtet werden, selbstverständlich Das ist für die neuen Bundesländer unbedingt erfor-
nicht dagegen auf den Spaltungsplan. derlich. Ich freue mich, daß der neue Bundesjustizmi-
nister kurz nach seiner Amtsübernahme diese Ent-
Die Gläubiger und Inhaber von Sonderrechten sind würfe auf den Tisch gelegt hat.
ausreichend geschützt, und zwar im Gegensatz zu der
(Beifall bei der FDP)
Meinung, die Frau Däubler-Gmelin vertritt.
Es sind in der Tat Hemmnisse für Investitionen und
Ich darf hier einfach auf den § 11 verweisen. In § 11 in der Arbeit der Treuhand zu beseitigen. Die Ent-
Abs. 1, Frau Däubler-Gmelin, in Verbindung mit § 10 würfe stehen zur Diskussion und zur kurzfristigen
steht das alles. Entscheidung. Hier sollte endlich parteiübergreifend
(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das stimmt im Interesse der neuen Bundesländer zusammengear-
nicht!) beitet werden.
Einige Anmerkungen zum Gesetzentwurf über die
— Darüber werden wir uns dann noch unterhalten. Spaltung der Treuhandunternehmen: Es ist in der Tat
(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das steht notwendig, daß in Kürze die Möglichkeit entsteht,
überhaupt nicht darin!) Kapitalgesellschaften ohne zeitaufwendige Umwege
in wirtschaftliche — das betone ich — Einheiten auf-
— Ich behaupte, daß darin steht, daß die gesamten teilen zu können. Zu prüfen ist aber, ob ein schnellerer
beteiligten Gesellschaften als Gesamtgläubiger haf- Ablauf bis zur Eintragung in das Handelsregister er-
ten. reicht werden kann.
(Dr. de With [SPD]: Das machen wir im Aus Ebenfalls wäre im Ausschuß darüber zu beraten,
schuß!) den Gesetzestext — das wurde heute schon einmal
gesagt — für Normalbürger verständlicher zu ma-
— Aber ich darf ja wohl erwidern, wenn Frau Däub- chen, einfacher zu fassen. Das gilt allerdings für alle
ler-Gmelin sagt, es stimme nicht. Dann darf ich doch Gesetzentwürfe.
aus dem Kopf einen Paragraphen zitieren, Herr Kol-
Zweitens zum Entwurf eines Artikelgesetzes zur
lege de With.
Hemmnisbeseitigung. Zunächst zu Art. 1: Die
(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Und ich Schwierigkeiten, wie bei Ansprüchen Dritter zu ver-
bleibe dabei!) fahren ist, wurden erkannt und im wesentlichen be-
seitigt.
— Gut, dann werden wir weitersehen.
Zu Art. 2 und 3: Die Regelung mit der Bestellung
Meine Damen und Herren, durch entsprechende eines Erbbaurechtes an Stelle des Kaufs eines Grund-
Strafvorschriften und Haftungsvorschriften werden stückes ist sinnvoll und förderlich. Allerdings ist ins-
die Mitglieder des Vorstandes der Aktiengesellschaft besondere die Verfahrensweise zur Beantragung und
und die Geschäftsführer der Gesellschaft mit be- Erteilung der Investitionsbescheinigung zu vereinfa-
schränkter Haftung ausreichend zu Ordnung und chen.
Recht angehalten. (Beifall bei der FDP)
Wichtig ist auch, daß Betriebsübertragungen oder Zur Beschleunigung des Verfahrens sind dort Fristen
Betriebsteilübertragungen, die vor dem 1. Januar einzubauen.
1991 in rechtlich nicht einwandfreier Weise durchge- Zu Art. 7, der sich auf Produktionsgenossenschaften
führt wurden, durch dieses Gesetz rückwirkend ge- des Handwerks bezieht: Hier ist zu überlegen, ob die
heilt werden. Wichtig ist ebenfalls — das muß ich DDR-Verordnung vom 8. März 1990 noch bis Ende
auch erwähnen — : Das „Spaltungsgesetz" ist kosten- 1992 gelten kann; denn auch hier sind selten Aus-
neutral. Es wird den Registerbehörden einige Arbeit wüchse zu beobachten.
machen; aber hierfür werden ja Gebühren erhoben. Über die genannten Gesetzesartikel hinaus sollte
Das Auf- und Abspaltungsgesetz ist ein sinnvolles überlegt werden, ob nicht ein Weiteres hinzugefügt
Gesetz zur Bewältigung der Aufgaben der Treuhand werden muß, nämlich die Ablösung alter Geschäfts-
und wird zur schnelleren Entflechtung der sozialisti- leitungen zu regeln; denn lange überfällig ist der Auf-
schen Betriebseinheiten führen. Es erleichtert eine bau fähiger, unbelasteter Geschäftsleitungen. Das
Neuordnung, fördert die Investitionsmöglichkeiten merkt keiner mehr, aber das ist so. Diese neuen, unbe-
und trägt damit zum Aufschwung in den fünf neuen lasteten Geschäftsleitungen sollten, wenn das Ganze
Bundesländern bei. klappen soll, vorzugsweise aus folgenden Kräften be-
stehen: jungen und frischen Ostdeutschen mit Ideen
Das Gesetz verdient Ihre Zustimmung. — denn die haben wir, auch wenn es manchmal be-
Danke schön. zweifelt wird — , Westdeutschen natürlich mit markt-
wirtschaftlicher Erfahrung und — die nehme ich auch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nicht aus — alten Ostdeutschen mit Standortkenntnis-
392 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Türk
sen. Bewertungsmaßstab: Kompetenz und Loyalität. Die entsprechende Änderung des Einigungsvertrages
Bezahlung — das getraue ich mich hier auch zu sa- kann und muß schnellstens erfolgen.
gen — : nach westdeutschen Maßstäben. Der Stimulus Vielen Dank.
muß halt sein. Ziel: Entfilzung alter, uneffektiver
Strukturen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Vogel
[SPD])
Ich bin auch sicher, daß diese neuen Leute eine we- Vizepräsident Klein: Meine Damen und Herren, ich
sentliche Verstärkung der Treuhand darstellen wür- erlaube mir einen kleinen Hinweis. Ich sehe, daß sich
den. viele von Ihnen schon ihre Abstimmungsunterlagen
geholt haben. Noch ist aber nicht festgelegt, wie viele
Nun zur Arbeit der Treuhandanstalt selbst: Die
Treuhand sieht ihre Aufgabe hauptsächlich — und so Kreuze auf je einer Karte gemacht werden können.
Ich warne davor, jetzt schon anzufangen, die Karten
ist sie angelegt — in der Privatisierung. Notwendig ist
vorsorglich auszufüllen. Das wollen wir doch erst tun,
aber eine regionale Gestaltung von Wirtschaftsstruk-
wenn wir soweit sind. Ich sage Ihnen das nur, damit
turen, die neben der Abschaffung uneffektiver Ar-
die Stimmkarte dann nicht ungültig ist.
beitsplätze vor allem effektive erhält und neue schafft.
Ich bin überzeugt, daß die Treuhand dieser gewalti- Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Nitsch
gen Aufgabe mit ihrer jetzigen Struktur und Beset- das Wort.
zung nicht gewachsen sein kann.
(Sehr wahr! bei der FDP)
Sie bezeichnet sich selbst als weltgrößtes Unterneh- Nitsch (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident!
men. Das ist sicherlich nicht mit 800 Beschäftigten in Meine Damen und Herren! Ich bin wohl der letzte
der Berliner Zentrale und 600 in den Niederlassungen Redner zu diesem Teil der Tagesordnung. Ich bin sehr
zu beherrschen, froh, daß die Debatte über diese beiden Gesetzent-
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: So ist es!) würfe in einer derart sachlichen und konstruktiven
Atmosphäre verlaufen ist. Das steht etwas im Gegen-
zumal bei der Notwendigkeit, schnell und trotzdem satz zu der Debatte heute früh.
gut zu sein.
Ich darf dies vielleicht auch als gutes Omen dafür
Ein weiteres großes Hemmnis für Investoren ist si- werten, daß der zeitliche Durchlauf durch das Parla-
cherlich die Nachbewertungsklausel. Hier besteht ment und durch die Ausschüsse ebenso glatt und
der Anspruch, schnell und definitiv zu bewerten. Also schnell erfolgt; denn es sind Gesetzentwürfe, die sehr
muß kurzfristig eine Vielzahl von Betriebsprüfern ge- eilbedürftig sind. Ich möchte alle daran Beteiligten
worben und eingesetzt werden. bitten, das Tempo zu forcieren und die Beratungen in
Es kann festgestellt werden, daß die schlechten Er- keiner Weise zu behindern.
gebnisse der Treuhandarbeit zum einen durch die
Zu dem Begriff Spaltungsgesetz — vielleicht darf
beschriebenen Hemmnisse bedingt waren; zum ande-
ich mich an der Diskussion über neue Titulierungen
ren — das ist für mich der Hauptgrund — ist die Treu-
beteiligen — : Möglicherweise könnte man es auch mit
hand falsch ausgerichtet, d. h. sie kann nicht nur ver-
dem Begriff Entflechtungsgesetz belegen. Das würde
mögensbildende Einrichtung sein.
diesen Umstand ja genausogut beschreiben und un-
terläge keiner negativen Vorbelastung.
Vizepräsident Klein: Herr Kollege Türk, Ihre Rede- In den Kombinaten der DDR war der größte Teil des
zeit ist abgelaufen. volkswirtschaftlichen Vermögens konzentriert. Die
Privatisierung dieses Teils des Volksvermögens ent-
spricht nicht dem Zeitempfinden, das wir alle haben.
Türk (FDP): Ich komme zum Ende. Ich möchte deshalb in den nachfolgenden Überlegun-
Wir brauchen vielmehr — und das ist umgehend gen die Bitte vortragen, den Text des § 7 des Gesetz-
entwurfs dahin gehend zu ergänzen, daß auch Ent-
notwendig — ein komplexes Wirtschaftskonzept, wel-
scheidungsträger, die bisher nicht berücksichtigt sind,
ches ebenfalls die Wohnungspolitik und die Landwirt-
schaftspolitik einschließt. Wir müssen die Abwande-
Spaltungspläne einreichen können. Bisher sind es nur
die unmittelbaren Anteilseigner, also die Treuhand-
rung stoppen. Das heißt, der Aufschwung ist zu orga-
anstalt oder die Kombinatsaktiengesellschaften, die
nisieren. Im Selbstlauf geht das nicht.
dies tun können.
Wirtschaftsminister Möllemann hat ein solches Kon-
zept mit seinem Arbeitspapier „Strategie Aufschwung Die von der Spaltung direkt Betroffenen, also die
Ost" vorgelegt. Es ist zwingend notwendig, über die- einstmals selbständigen oder jetzt geschaffenen
ses Papier schnellstens zu diskutieren und es zu ver- Tochter- oder Enkelunternehmen, kommen — ebenso
abschieden. wie ihre Mitarbeiter — in dieser Entscheidungsebene
nicht vor. Viele meiner Kollegen und ich werden mit
Wenn meine Überlegungen richtig sind, muß Anfragen und Bitten überschwemmt, gerade diesen
zwangsläufig und ab sofort die Treuhand nicht mehr Tochter- und Enkelunternehmen die Chance zur
dem Finanzministerium, sondern dem Wirtschaftsmi- einstmals erfolgreichen Selbständigkeit erneut oder
nisterium zugeordnet werden. endlich wieder zu verschaffen; wenn nötig, auch ge-
(Beifall bei der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Hört! gen den Willen der Aufsichtsräte der Kombinatsak-
Hört!) tiengesellschaften, die, wenn überhaupt, kein großes
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 393

Nitsch
Interesse haben, ihre wirtschaftlich attraktiven Toch- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des
terunternehmen aus der Bilanz zu verlieren. Berichts des Ältestenrates
Deswegen meine ich, daß wir bei der Aufstellung Rechtsstellung der PDS/Linke Liste im
von erfolgversprechenden Unternehmens-Spaltungs- 12. Deutschen Bundestag
konzeptionen unbedingt auch den Wettbewerb von
unten zulassen sollten, indem wir den Tochterunter- — Drucksache 12/150 —
nehmen das Recht geben, einen eigenen Spaltungs- ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten der
plan zu entwerfen und diesen auch gegen die Kombi- PDS/Linke Liste
natsaufsichtsräte, aber mit Zustimmung der Treuhand
durchzusetzen. Fraktionsstatus gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundesta-
(Zustimmung bei der CDU/CSU) ges
Wir könnten mit dieser Erweiterung der Entschei-
— Drucksache 12/86 —
dungsbefugnis auch erreichen, daß der unternehmeri-
sche Trieb in der Treuhandanstalt schneller in Bewe- ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten von
gung gerät und sich enger am Markt orientiert. Ferner Bündnis 90/GRÜNE
würden wir den Kombinatsaktiengesellschaften die
Möglichkeit entziehen, ihre tatsächlich wirtschaftli- Erteilung eines Grundmandats für die Beset-
che Leistungskraft mit Hilfe gefesselter Töchter zu zung der Gremien
verschleiern, und die Muttergesellschaften zwingen, — Mitglieder der Parlamentarischen Kon-
die Ineffizienz ihrer Verwaltungsstrukturen offenzu- trollkommission
legen.
— Mitglieder des Vertrauensgremiums gem.
Auch der sozialpolitisch wichtige Faktor der Mitbe- § 10a Abs. 2 BHO
stimmung könnte Bedeutung erlangen. In den
Spaltungskonzeptionen könnten die Tochter- oder — Mitglieder des Gremiums gem. § 9 Abs. 1
Enkelunternehmen Beteiligungsmodelle entwickeln des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-,
und realisieren, die das gemeinsame Interesse Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz
aller in diesen Unternehmen Beschäftigten finden zu Art. 10 Grundgesetz)
werden.
— Drucksache 12/109 —
Mir ist klar, daß wir mit dieser Erweiterung durch
Überweisungsvorschlag: Ältestenrat
den Gesetzentwurf Neuland betreten. Das Gesetz ge-
gen Wettbewerbsbeschränkung wird aus guten Grün- ZP4 Beratung des Antrags des Abgeordneten
den oft als das Grundgesetz der Sozialen Marktwirt- Dr. Gysi und der Abgeordneten von PDS/Linke
schaft bezeichnet. Vielleicht könnten wir diesem be- Liste
währten Gesetz ein ähnliches zur Seite geben, das
genauso erfolgreich und konstruktiv den wirtschaftli- Berücksichtigung aller Gruppen und Fraktio-
chen und sozialen Neuaufbau in den neuen Bundes- nen des Bundestages bei der Besetzung der
ländern unterstützt. Ausschüsse und sonstigen vom Bundestag zu
bestimmenden Besetzungen
Ich danke Ihnen.
— Drucksache 12/115 —
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
ordneten der FDP) ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten von
Bündnis 90/GRÜNE
Änderung der Geschäftsordnung für den Aus-
Vizepräsident Klein: Meine Damen und Herren, ich schuß nach Art. 77 des Grundgesetzes (Ver-
schließe die Aussprache. mittlungsausschuß)
Interfraktionell ist vereinbart, die Gesetzentwürfe — Drucksache 12/110 —
auf den Drucksachen 12/103 und 12/105 an die in der Überweisungsvorschlag: Ältestenrat
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 12/103 soll Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für
zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für die gemeinsame Beratung eine 5-Minuten-Runde ver-
Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen einbart worden. — Ich sehe auch dazu keinen Wider-
werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — spruch. Dann ist das so beschlossen.
Dies ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen
so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Professor
Riege.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b sowie
die Zusatztagesordnungspunkte 2 bis 5 auf:
7. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ältestenrates Dr. Riege (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Zu dem Problembereich, der zur
Rechtsstellung von Bündnis 90/GRÜNE im Debatte steht, möchte ich zunächst auf die Entschei-
12. Deutschen Bundestag dung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Sep-
— Drucksache 12/149 — tember 1990 verweisen. Diese Entscheidung war von
394 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Riege
der Überlegung getragen, daß die Chancengleichheit Vizepräsident Klein: Herr Professor Riege, darf ich
der Parteien, die ihren Betätigungsraum bislang in Sie eine Moment unterbrechen.
der DDR hatten, für den gesamten Wahlprozeß gege- Meine Damen und Herren, der Redner spricht im
ben sein müsse. Deshalb wurde die Fünfprozentklau- Rahmen einer 5-Minuten-Debatte. Er hat jetzt noch
sel gesplittet und in zwei Zählgebieten in Ansatz ge- ganze 20 Sekunden Redezeit. Ich wäre Ihnen sehr
bracht. verbunden, wenn Sie Ihre Gespräche, soweit sie sich
Der Sinn kann nicht nur darin gesehen werden, die nicht um die Debatte selbst drehen und nicht dem
Chancen der nominierenden Organisationen oder Redner gewidmet sind, doch woanders führen oder
Bündnisse im Wahlverfahren im engerem Sinne ein- unterlassen würden, und jetzt dem Redner ein Mini-
ander anzugleichen und die Chancengleichheit für mum an Aufmerksamkeit schenkten, damit er in die-
den Prozeß der Vorbereitung bis zum Wahltag und der ser ganz kurzen Zeit zum Ende kommen kann.
Ermittlung der Wahlergebnisse herbeizuführen, son-
dern auch und vor allem da ri n, die Vertretung der Dr. Riege (PDS/Linke Liste) : Vielleicht ist die Situa-
jeweiligen Wählerschaft, die Wahrnehmung derer In- tion im Saal auch auf die grundsätzliche Einstellung
teressen, über die gesamte Wahlperiode hinweg im zu dieser Spezifik in den fünf neuen Bundesländeern
Bundestag zu ermöglichen. Nur dann hat dies, so zurückzuführen.
scheint mir, einen überzeugenden Sinn. Dies führt (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Aber nein,
direkt zu den Fragen, die den Status der Zusammen- Herr Kollege! — Zuruf von der FDP: Das se
schlüsse der Abgeordneten im Parlament betreffen. hen Sie aber falsch!)
In der bisherigen Erörterung ist schon mehrfach das Bitte lassen Sie mich auf folgendes hinweisen. Ich
Argument bemüht worden, daß zwischen Wahlrecht komme aus Jena. Heute haben wir dort die Situation,
und Parlamentsrecht zu unterscheiden sei. Gewiß gibt daß von rund 27 000 Beschäftigten des Zeiss-Werkes
es da keine Identität. Ich bin jedoch der Überzeugung, im optimistischen Fall 5 000 Beschäftigte übrigbleiben
daß das Parlamentsrecht so gestaltet sein muß, daß es sollen, im pessimistischen 2 750. Diejenigen, die hier
dem Wählervotum Ausdruck verschafft. Dieses Wäh- in Wegfall kommen werden, sind nicht Arbeitsunwil-
lervotum hat gleichwertige Legitimationen für alle lige.
Mandate hervorgebracht, und diese Gleichwertigkeit
muß sich nicht nur als juristischer Titel zeigen, son- Vizepräsident Klein: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist
dern sich in der Praxis erweisen können. weit überschritten.
Wir haben wiederholt betont, daß Parlament und
Dr. Riege ((PDS/Linke Liste): Wir werden nach dem
Fraktionen Mittel zum Zwecke der Demokratie sind.
Um die stark unterschiedlichen Bedingungen, denen Beschlußentwurf, der unterbreitet ist, die Möglichkeit
wir uns gegenübersehen, zu kennzeichnen, möchte haben, an der Arbeit des Parlaments teilzunehmen,
ich auf folgendes hinweisen. In den fünf neuen Län- aber wir werden nicht die Möglichkeit haben, all
dern bedeuten 5 % des Stimmergebnisses 7 Abgeord- das...
-
nete. In den alten Bundesländern würden 5 % 27 Ab-
geordnete bedeuten. In den alten Bundesländern hät- Vizepräsident Klein: Ihre Redezeit ist abgelaufen.
ten etwa 6,2 % der Stimmen genügt, d. h. ein Mehr
von etwa 1,2 % über die Sperrklausel hinaus, um die Dr. Riege ((PDS/Linke Liste): ... so wahrzuneh-
Stärke einer Fraktion zu erlangen. In den fünf neuen men, wie das im Interesse unserer Wählerschaft erfor-
Ländern wären ca. 24 % der Zweitstimmen nötig ge- derlich ist. Ich bitte, das zu berücksichtigen und im
wesen, um zur Fraktionsstärke zu kommen, d. h. ein Sinne der beiden Vorlagen, die wir . . .
Mehr von etwa 19 % wäre erforderlich gewesen.
Meine Partei erzielte rund 11 % der Zweitstimmen, Vizepräsident Klein: Bitte, Herr Kollege!
mehr als der Doppelte des Sperrklauselwertes.
Ich finde, daß der Kern des Problems bei der Art Dr. Riege ((PDS/Linke Liste): ... eingebracht ha-
liegt, wie ein Teil der Wählerschaft der ehemaligen ben, zu entscheiden.
DDR behandelt wird, denn die Mandatsfragen, über (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
die wir heute unter einem bestimmten Aspekt zu be-
finden haben, betreffen immer das Verhältnis zwi- Vizepräsident Klein: Frau Köppe!
schen den Wählern und den Abgeordneten. Es geht
also um den Status jener beiden politischen Organisa-
Frau Köppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident!
tionen — man muß das so deutlich aussprechen —,
Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des Älte-
deren Besonderheit darin besteht, nahezu ausschließ-
stenrats ist das Ergebnis mühsamer und zäher Ver-
lich Bürger aus den neuen fünf Bundesländern zu ver-
handlungen. Wir können diesem Vorschlag ganz
treten. In allen anderen Fraktionen dieses Hauses sind
überwiegend zustimmen.
die Ostvertreter integriert; sie stellen in diesen Frak-
tionen eine Minderheit dar. Daß es eine spezifische (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Interessenproblematik der Ostwähler gibt und daß der FDP)
uns diese Problematik, diese Spezifik noch längere Als für uns wichtigstes Resultat möchte ich das uns
Zeit beschäftigen wird, das zeigen unsere letzten De- zugestandene Grundmandat in allen Ausschüssen
batten, die heutige eingeschlossen, und das zeigen hervorheben. Ganz und gar nicht zustimmen können
die zunehmenden öffentlichen Äußerungen, die De- wir allerdings dem Regelungsvorschlag Nr. 2 e, worin
monstrationen — — wir bezüglich der Geltendmachung bestimmter Ge-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 395
Frau Köppe
schäftsordnungsrechte, etwa Antrag auf Aktuelle Vizepräsident Klein: Das Wort hat der Abgeordnete
Stunden und vieles Wichtige mehr, weiterhin stark Bohl.
benachteiligt werden, je nach Umsetzung dieser Ver-
einbarung müssen wir uns ausdrücklich vorbehalten,
Bohl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ver-
gegebenenfalls um rechtliche Überprüfung nachzu-
ehrten Damen und Herren! Wir haben bereits in der
suchen. Wie ernsthaft Sie diesen Kompromiß einzu-
konstituierenden Sitzung in Ber li n über die grund-
halten gedenken, meine Damen und Herren aus den
sätzliche Problematik gesprochen. Somit kann ich
Fraktionen, können wir anläßlich der folgenden
mich darauf beziehen. Ich meine aber, daß wir danach
Wahlen zu den Kontrollorganen der Nachrichten-
sehr intensive Gespräche, Beratungen und Verhand-
dienste prüfen. Wir beantragen — auch dieser Punkt lungen geführt haben, die uns zu einem guten Ergeb-
wird in gemeinsamer Debatte mit behandelt — ent-
nis gebracht haben.
sprechend der Beschlußempfehlung des Altestenra-
tes, die uns ein Grundmandat in jedem Ausschuß zu- Es ist so, daß sich die Parlamentarischen Geschäfts-
spricht, ein solches Grundmandat für die Parlamenta- führer aller Fraktionen und Gruppen um einen Kom-
rische Kontrollkommission, das G-10-Gremium und promiß bemüht haben. Die Gespräche waren sehr
das Vertrauensgremium. Ich möchte Ihnen das be- sachlich, fair und offen. Es ging uns bei diesen Ver-
gründen. handlungen nicht so sehr um die Statusfragen, son-
dern um die Inhalte. Es wurden sehr detail li ert und
Wir haben in der DDR hautnahe Erfahrungen mit sorgfältig die konkreten Wünsche der Abgeordneten
einem Geheimdienst, der Staatssicherheit, gemacht. vom Bündnis 90 gewertet, um im Rahmen der Auto-
Wir sind von diesen Erfahrungen geprägt. Viele von nomie des Bundestags zu einer sachgerechten Lösung
uns, die sich seit Herbst 1989 in Bürgerbewegungen zu finden.
organisiert haben, wurden von der Staatssicherheit Ich meine auch, daß der Parlamentarische Ge-
bespitzelt, überwacht und inhaftiert. Vielleicht kön- schäftsführer von Bündnis 90 aus unseren Beratungen
nen Sie verstehen, meine Damen und Herren, daß wir den Eindruck mitgenommen haben muß, daß wir das
auf Grund dieser Erfahrungen Geheimdiensten, die Bündnis 90 nicht ausgrenzen wollen. Unsere Beratun-
überall auf der Welt mit konspirativen Mitteln arbei- gen waren vielmehr von dem Respekt geprägt, den
ten, zumindest kritisch gegenüberstehen. Ich möchte wir den Vertretern einer Gruppierung entgegenbrin-
Ihnen nicht verhehlen: Am liebsten wäre mir die so- gen, die doch sehr wesentlichen Anteil am Sturz des
fortige Abschaffung sämtlicher Geheimdienste. menschenverachtenden Unrechtsregimes in der alten
DDR gehabt hat.
(Beifall bei der PDS/Linke Liste)
Wir laden Sie ein, konstruktiv an der parlamentari-
Aber sie sind nicht abgeschafft. Und hier soll heute schen Arbeit teilzunehmen. Ich habe auch den Ein-
über die Besetzung von Gremien zur Kontrolle der druck, daß Ihre bisherigen Einlassungen uns durch-
Geheimdienste entschieden werden. Wir wollen in aus optimistisch stimmen können.
diesen Gremien mitarbeiten. Wir möchten wissen: Wir sind dem Bündnis 90 beim Verhandlungser-
Gegen wen richtet sich diese Heimlichtuerei, und wel- gebnis außerordentlich weit entgegengekommen. Ich
chen Sinn hat sie? Was haben die Geheimdienste zu nenne drei wesentliche Punkte: Erstens die Mitglied-
verbergen? Wessen Telefonate sollen weshalb abge- schaft mit vollem Rede-, Antrags- und Stimmrecht in
hört werden? Von wie vielen Bürgern und Bürgerin- allen Fachausschüssen des Deutschen Bundestages,
nen werden deshalb Daten gespeichert? Wieviel ko- zweitens das Recht, Gesetzentwürfe, Anträge, Ent-
stet uns das alles? schließungsanträge, Große und Kleine Anfragen ein-
Meine Damen und Herren, Sie können uns ruhig als zubringen und drittens — das soll hier nicht verheim-
geheimdienstgeschädigt betrachten und möglicher- licht werden — finanzielle Zuschüsse in Höhe von fast
weise auch als besonders mißtrauisch gegenüber sol- 4 Millionen DM pro Jahr.
chen Diensten. Das sind wir Abgeordneten von Bünd- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)
nis 90 und den GRÜNEN ganz sicher. Wenn nun auch
bei uns im Osten die Geheimdienste aus Westdeutsch- Vizepräsident Klein: Herr Kollege Bohl, ich darf Sie
land aktiv werden sollen, kann deren Kontrolle nicht einen Moment unterbrechen.
allein, wie in dem Wahlvorschlag der Fraktionen von
CDU/CSU, FDP und SPD vorgesehen, die Sache von Meine Damen und Herren, dies ist die übliche Si-
Politikern aus Westdeutschland sein. Bei diesen Wahl- tuation vor Abstimmungen. Es wird immer lauter und
vorschlägen taucht nämlich kein einziger Ost-Abge- für den Redner fast unmög li ch, sich noch Gehör zu
ordneter auf. verschaffen. Ich bitte Sie doch sehr herzlich! — Übri-
gens, Herr Professor Riege, das hat nichts mit dem
Deshalb fordere ich besonders Sie, liebe Kollegin- Thema zu tun; so ist das immer. Der Präsident muß
nen und Kollegen aus der alten DDR, aber auch alle sich dabei immer sehr bemühen, dem Redner in dieser
anderen auf: Beteiligen Sie uns an der Arbeit der PKK, Situa ti on Gehör zu verschaffen. Wenn Sie unbedingt
des G-10-Gremiums und des Vertrauensgremiums. Gespräche im Saal führen wollen, so führen Sie diese
Oder entspricht es etwa Ihrem Demokratieverständ- doch bitte so leise, daß der Redner noch einigermaßen
nis, daß nur eine einzige Oppositionsgruppe exklusiv vernehmbar ist.
an diesen Kontrollaufgaben beteiligt sein soll? Unse- Bitte, fahren Sie fort.
rem entspricht das nicht.
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei der Bohl (CDU/CSU): Es kann also kein Zweifel daran
PDS/Linke Liste) bestehen, daß die Mitglieder von Bündnis 90 im Deut-
396 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Bohl
schen Bundestag effektiv und angemessen mitwirken Deshalb waren wir von Anfang an entschlossen, der
können. Gruppe Bündnis 90 den Fraktionsstatus zu gewähren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben uns mit dieser Vorstellung gegenüber den
beiden Koalitionsfraktionen nicht durchsetzen kön-
Nicht eingeräumt werden können allerdings — das nen. Ich denke, daß das, was der Ältestenrat jetzt zur
will ich auch deutlich sagen — eine Reihe von ge- Beschlußfassung empfiehlt, eine sehr gute Lösung ist,
schäftsordnungsrechtlichen Positionen wie zum Bei- um gut miteinander arbeiten zu können. Das Ent-
spiel das Recht, namentliche Abstimmungen zu ver- scheidende ist nicht, welchen Status eine Gruppie-
langen, die Beschlußfähigkeit zu bezweifeln und be-
rung hat, sondern das Entscheidende ist, welche
stimmte Geschäftsordnungsanträge zu stellen. Ich Rechte eine Gruppierung hat und wie sie ihre parla-
sage Ihnen auch ganz offen, warum das unserer Über-
mentarischen Möglichkeiten wahrnehmen kann. Da,
zeugung nach nicht geschehen kann. Die Ausübung glaube ich, sind wir zu einem guten Kompromiß ge-
dieser Rechte ist ganz besonders zeitintensiv. Ich erin- kommen.
nere nur an die über 200 namentlichen Abstimmun-
gen, die die GRÜNEN in der 9. Wahlperiode begehrt Ich beziehe meine Ausführungen im wesentlichen
haben. auf die Gruppe Bündnis 90. Ich betone hier noch ein-
mal ausdrücklich — da, denke ich, spreche ich für die
(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Nur um zu stö- große Mehrheit des Hauses —, daß wir dann, wenn
ren!) wir Vereinbarungen für die Gruppierung Bündnis 90
Für uns wäre es in der Tat nicht akzeptabel, wenn eine treffen, leider — ich betone dieses Wort — natürlich
kleine Gruppe von Mitgliedern in dieser Art und auch die Abgeordneten der PDS gleich behandeln
Weise über das Zeitbudget von über 600 anderen Ab- müssen.
geordneten verfügen könnte. Das wäre eine Beein- Wir werden die Anträge der PDS hier heute sämt-
trächtigung der Funktionsfähigkeit des Parlaments. lich ablehnen. Das tun wir auch deshalb, weil es uns
(Beifall bei der CDU/CSU) nicht in den Kopf will, daß die PDS zwar eine Klage
Meine Damen und Herren, ich meine, daß wir ins- beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anstren-
gesamt ein gutes und vernünftiges Paket geschnürt gen will, aber trotzdem entschlossen ist, die Rechte,
haben, das im großen und ganzen auch von den Kol- die wir jetzt der Gruppierung Bündnis 90 gewähren
legen vom Bündnis 90 so akzeptiert wird. Dafür be- wollen, sozusagen als Mitläufer mitzunehmen. Wenn
danke ich mich auch. Sie konsequent sein wollen, dann warten Sie das Er-
gebnis Ihrer Klage ab.
Wir müssen als Demokraten akzeptieren, daß PDS/
SED davon mit profitiert. Allerdings muß ich die Mit- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
glieder der SPD-Fraktion enttäuschen, die möglicher- FDP)
weise an Abspaltungen denken. Unsere Regelung gilt und beteiligen sich nicht an der Wahrnehmung der
ausschließlich für die beiden Gruppierungen aus den Rechte, wie wir sie jetzt für das Bündnis 90 festgelegt
neuen Bundesländern und ist kein Modellfall für die haben.
Ausstattung sonstiger Abgeordnetengruppen. Darauf Ein letztes Wort an Sie, Frau Kollegin Köppe, ge-
wollte ich doch hinweisen. richtet. Ich denke, daß uns alle im Laufe der nächsten
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zeit, schon sehr bald — ich richte diesen Appell auch
Zurufe vom Bündnis 90/GRÜNE und der an die Kolleginnen und Kollegen in den Fachaus-
PDS/Linke Liste) schüssen, an die Ausschußvorsitzenden und an die
Insgesamt, meine Damen und Herren, ist das Ver- Obleute — , die Mitwirkung des Bündnisses 90 zu der
handlungsergebnis gut. Ich bedanke mich auch bei Erkenntnis kommen läßt, daß wir gut miteinander ar-
der Bundestagspräsidentin, daß sie daran mitgewirkt beiten können, auch ohne daß es den Fraktionsstatus
hat, und empfehle, dem Vorschlag zuzustimmen. haben wird.
Vielen Dank. Ich wiederhole hier für meine Fraktion das schon im
Ältestenrat abgegebene Versprechen: Wenn es Un-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) klarheiten gibt, Frau Kollegin Köppe, werden wir sie
so regeln, daß es zu einer gedeihlichen Zusammenar-
beit mit Ihnen führen kann.
Vizepräsident Klein: Herr Kollege Dr. Struck, ich
erteile Ihnen das Wort.
Vizepräsident Klein: Herr Kollege Struck, gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gysi?
Dr. Struck (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die SPD-Fraktion hat sehr ausführlich die
Frage des Status der Abgeordneten, der Kolleginnen Dr. Struck (SPD): Ja.
und Kollegen aus der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
diskutiert. Ich verweise noch einmal darauf, daß wir Gysi (PDS/Linke Liste): Meine erste Frage: Der
eine Regelung finden wollten, die dem Umstand Bundestag hat auf der konstituierenden Sitzung mit
Rechnung trägt, daß gerade die Abgeordneten von meiner und, glaube ich, auch mit Ihrer Stimme be-
Bündnis 90 zusammen mit den Sozialdemokratinnen schlossen, die Anträge zur Beratung an den Ältesten-
und Sozialdemokraten in der ehemaligen DDR diesen rat und an den Geschäftsordnungsausschuß zu über-
Wandel und die Revolution in der DDR wesentlich weisen. Mir ist bisher keine Empfehlung des Ge-
mitgetragen haben. schäftsordnungsausschusses bekannt. Wie kommt
(Beifall bei der SPD) diese Verletzung des damaligen Beschlusses des Ple-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 397

Gysi
nums zustande? Denn dieser Ausschuß hat darüber ja Wählerstimmen, allerdings nicht 5 % der Mandate
gar nicht beraten. dieses Hauses.
(Dr. Struck [SPD]: Sie sagten, Sie hätten zwei Die PDS/Linke Liste trat rechtlich unter den glei-
Fragen! Stellen Sie die zweite gleich hinter- chen Voraussetzungen an, faktisch allerdings mit hin-
her!) übergerettetem Apparat und Kapital. Auch sie er-
Die zweite Frage: Sie hatten damals selbst statt ei- reichte keine 5 % der Mandate dieses Hauses.
ner Änderung der Geschäftsordnung möglicherweise Wenn die Großzügigkeit des Wahlrechts aus den
eine Anerkennung als Fraktion nach § 10 Abs. 1 bekannten Gründen auch die Quantität der Basis des
Satz 2 der Geschäftsordnung angeregt. Dieser Antrag Mandats zugunsten der Bewerber in der ehemaligen
liegt jetzt vor. Wenn ich es richtig verstehe, würden DDR reduziert hat, die Qualität der Verantwortung ist
Sie ihm inzwischen nicht zustimmen wollen? damit nicht reduziert. Die Abgeordneten der PDS/
Linke Liste, die sich offensichtlich nicht nur als
Dr. Struck (SPD): Herr Kollege Gysi, Sie können es Rechtsnachfolger, sondern auch in der Tradition ihrer
vielleicht noch nicht wissen, weil Sie sich in Ihrer poli- Vorgängerpartei sehen, die sich über 40 Jahre hyb rid
tischen Arbeit mit anderen Dingen zu beschäftigen Privilegien auf dem Ter ritorium der DDR sicherte, tra-
hatten. Ich möchte Ihnen sagen: Der Ältestenrat ist gen daher zwar Mitverantwortung — —
federführend, und der Ältestenrat hat entschieden.
Was die zweite Frage angeht, betone ich noch ein- Vizepräsident Klein: Herr Kollege Lühr, ich bitte um
mal ganz ausdrücklich: Es kommt nicht auf den Na- Verzeihung; ich unternehme einen letzten Versuch,
men an, den eine Gruppierung hier im Deutschen für Ruhe zu sorgen.
Bundestag hat, sondern es kommt auf die Rechte an, Meine Damen und Herren, diese Art des Verhaltens
die diese Gruppierung hat. Die Empfehlung, die wir auch gegenüber einem neuen Kollegen hat auch eine
heute hier beschließen wollen, gewährt den Abgeord- menschliche Dimension.
neten vom Bündnis 90 die Rechte, die ihnen nach un-
serer Auffassung zustehen sollen. Deshalb bitte ich (Beifall im ganzen Hause)
um Zustimmung. Es ist fast unerträglich, wenn nicht einmal ich hier
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten oben mehr hören kann, was der Redner spricht. Ich
der CDU/CSU und der FDP) bitte Sie also, diese wenigen Minuten der Rede des
Herrn Abgeordneten Lühr nicht zu benutzen, um am
Rande des Saales in voller Lautstärke Gespräche zu
Vizepräsident Klein: Als letzter 5-Minuten-Beitrag führen; Sie haben doch alle Gelegenheit, miteinander
in dieser Debatte folgt der des Herrn Kollegen Lühr zu sprechen. Dies ist doch ein Parlament, und „par-
von der FDP. lare" heißt schließlich „reden".
(Beifall)
Lühr (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Die Fraktion der FDP gibt der Beschlußempfeh-
lung des Ältestenrates ihre Zustimmung. Eigentlich — Lühr (FDP): Schönen Dank, Herr Präsident! — Die
das hat die Debatte des heutigen Vormittags ge- Kollegen der PDS/Linke Liste tragen daher zwar Mit-
zeigt — hätte dieses Hohe Haus Wichtigeres zu tun, verantwortung für die sozialistische Katastrophe in
als Statusprobleme zu klären. einem deutschen Teilstaat, die wir aufzuarbeiten ha-
Die FDP hat sich in den Verhandlungen im Älte- ben; die Verantwortung des Mandats im gesamtdeut-
stenrat dafür eingesetzt, beiden Gruppen ein faires schen Bundestag reduziert sich hingegen nicht auf
Angebot zu machen, das ihnen im wesentlichen die den Teil der ehemaligen DDR. Es ist traurig, aber lei-
vollen Rechte einer Fraktion einräumt. Einzig Bünd- der wahr, daß auch die Nachfolger der Erzseparati-
nis 90/GRÜNE haben sich durch die Art und Weise sten heute Mitverantwortung für dieses Deutschland
der Verhandlung und ihren verbindlichen Stil als de- tragen.
mokratiefähig erwiesen. Der Zusammenhang des Status der Fraktionen mit
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — der auf ein Teilterritorium reduzierten Fünfprozent-
Lachen bei der PDS/Linke Liste) klausel ist aus unserer Sicht konstruiert und abwe-
Die PDS/Linke Liste profitiert unverdient von der gig.
Hochachtung der Vertreter der Fraktionen vor den Im übrigen möchte ich aber auch aus meiner per-
Mitgliedern dieser Gruppierung, die sich im Kampf sönlichen Meinung keinen Hehl machen. Dieses Par-
gegen das SED-Regime persönlich verdient gemacht lament, das sich mit allen Kräften um den wirtschaft-
haben. lichen Aufbau und gerade auch um den Aufbau von
Recht und Demokratie in der ehemaligen DDR bemü-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
hen muß, sollte sich selbst keinen Bärendienst erwei-
Die Entscheidung zugunsten der getrennten Wahl- sen und hier auf die Strategie der PDS/Linke Liste
gebiete berücksichtigt den Umstand, daß Parteien hereinfallen. Wir sollten nicht zulassen, daß die aus-
und Vereinigungen in der ehemaligen DDR nicht die gemachten Gegner des freiheitlichen Rechtsstaates
materielle Möglichkeit hatten, sich aus dem Stand in dessen Vorzüge bei der Verfolgung ihrer Ziele exten-
der gesamten Republik dem politischen Wettbewerb siv instrumentalisieren können.
zu stellen. Bündnis 90 und andere mußten bezie-
hungsweise konnten ihre Wählerstimmen daher nur (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gewinnen. Meine Damen und Herren, die Anerkennung als
Bündnis 90 erreichte dort die notwendigen 5 % der Fraktion weist schließlich auch über den Bereich des
398 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Lühr
Deutschen Bundestages hinaus, wie zum Beispiel mit Wir stimmen über den Antrag der PDS/Linke Liste
der Antragsberechtigung in einem Organstreitverfah- auf Drucksache 12/86 ab. Wer stimmt dafür? — Ge-
ren vor dem Bundesverfassungsgericht. Soweit sich genprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit den
Rechte aus dem Status des freigewählten Abgeordne- Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der FDP-Fraktion
ten herleiten, ist aus der Sicht der FDP der nach den und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS/
jüngsten Verhandlungen sogar komfortable Grup- Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE
penstatus mehr als ausreichend. abgelehnt.
Wenn der Abgeordnete Dr. Riege am 24. Oktober
Wir kommen nun zu den Anträgen, die die Einräu-
letzten Jahres von dieser Stelle aus das Recht rekla-
mung eines Grundmandats für die Gruppen in ver-
mierte, Entschließungsanträge einzubringen, Sitz und
schiedenen Gremien betreffen. Die Anträge von
Stimme in den Ausschüssen verlangte und damals
Bündnis 90/GRÜNE auf den Drucksachen 12/109 und
meinte — ich zitiere — :
12/110 sollen an den Ältestenrat überwiesen werden.
Etwas Größe des Bundestages in bezug auf unse Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre
ren Antrag würde ich für sehr günstig erachten. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
dann wird, so meine ich, der Bundestag heute mit sei-
Wir stimmen jetzt über den Antrag der PDS/Linke
nem Beschluß über die vorliegende Empfehlung über
Liste auf der Drucksache 12/115 ab. Wer stimmt für
diese geforderte Größe deutlich hinauswachsen.
diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Wer ent-
Denn ich erinnere daran: Damals waren es noch ei-
hält sich? — Der Antrag ist gegen die Stimmen der
nige Abgeordnete der PDS mehr.
PDS/Linke Liste und einige Stimmen vom Bündnis 90/
Abschließend möchte ich sagen: Ich empfinde es als GRÜNE mit dem Rest der Stimmen des Hauses abge-
fast makaber, daß die PDS ihre Gruppenrechte de lehnt.
Luxe ausgerechnet der politischen Einsicht derjeni-
gen zu verdanken hat, die ihre Vorgängerin, die SED,
hat prügeln und vertreiben lassen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 o und
den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der SPD) 3. Einsetzung von Gremien und Wahlen

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der


CDU/CSU, SPD und FDP
Vizepräsident Klein: Meine Damen und Herren, ich
schließe die Aussprache. Einsetzung der Parlamentarischen Kon-
trollkommission gemäß §§ 4 und 5 Abs.4
Wir kommen zunächst zur Beschlußempfehlung des
des Gesetzes über die parlamentarische
Ältestenrats zur Rechtsstellung von Bündnis 90/
Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätig-
GRÜNE im 12. Deutschen Bundestag, Drucksache
keit des Bundes
12/149. — Die Abgeordneten von Bündnis 90/GRÜNE
-
verlangen getrennte Abstimmung zu Nr. 2 e dieser — Drucksache 12/108 —
Beschlußempfehlung.
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der
Ich rufe deshalb zunächst die Nummern 1 und 2 a CDU/CSU, SPD und FDP
bis 2 d der Beschlußempfehlung auf. Wer den aufge-
rufenen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte Einsetzung des Vertrauensgremiums ge-
ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthal- mäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsord-
tungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei einer Ent- nung
haltung — soweit wir das hier sehen konnten — inso- — Drucksache 12/106 —
weit angenommen.
c) Wahl der Mitglieder der Parlamentari-
Wer stimmt für Nr. 2 e der Beschlußempfehlung? — schen Kontrollkommission gemäß §§4 und
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 2 e der Be- 5 Abs. 4 des Gesetzes über die parlamenta-
schlußempfehlung ist gegen die Stimmen von Bünd- rische Kontrolle nachrichtendienstlicher
nis 90/GRÜNE und PDS/Linke Liste und bei einer Tätigkeit des Bundes
Enthaltung angenommen.
— Drucksachen 12/88, 12/112, 12/137 —
Wir stimmen jetzt über die Nummern 2 f bis 2 h so-
wie über Nr. 3 ab. Wer diesen Nummern zuzustimmen d) Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremi-
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ge- ums gemäß § 10a Abs. 2 der Bundeshaus-
genprobe! — Enthaltungen? — Damit ist die Beschluß- haltsordnung
empfehlung des Ältestenrats insgesamt angenom- — Drucksachen 12/89, 12/113, 12/138 —
men.
Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des e) Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
Ältestenrats zur Rechtsstellung der PDS/Linke Liste § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung
im 12. Deutschen Bundestag auf Drucksache 12/150 des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis-
ab. — Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — ses (Gesetz zu A rtikel 10 Grundgesetz)
Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Älte- — Drucksachen 12/90, 12/114, 12/139 —
stenrats ist von der Mehrheit des Hauses bei einigen
Gegenstimmen und einigen Enthaltungen der PDS/ f) Wahl der Wahlmänner für die vom Bundes-
Linke Liste angenommen. tag zu berufenden Richter des Bundesver-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 399

Vizepräsident Klein
fassungsgerichts gemäß § 6 Abs. 2 des Ge- schen Bundespost gemäß §§ 1 und 2 der Ge-
setzes über das Bundesverfassungsgericht schäftsordnung des Beirats für die graphische
(Wahlmännerausschuß) Gestaltung der Postwertzeichen der Deut-
— Drucksache 12/91 (neu) — schen Bundespost
— Drucksache 12/102, 12/148 —
g) Wahl der Mitglieder kra ft Wahl des Aus- ZP6 Wahlvorschlag für die Wahl der Schriftführer
schusses für die Wahl der Richter der ober- gemäß § 3 der Geschäftsordnung
sten Gerichtshöfe des Bundes gemäß § 5
des Richterwahlgesetzes (Richterwahlaus- — Drucksache 12/87 —
schuß) Wir beginnen mit dem Antrag der Fraktionen von
— Drucksache 12/92 (neu) — CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 12/108: Ein-
setzung der Parlamentarischen Kontrollkommission.
h) Wahl der Mitglieder des Gemeinsamen Wer stimmt für den Antrag? — Gegenprobe! — Ent-
Ausschusses nach Artikel 53 a des Grund- haltungen? — Bei Enthaltung von PDS/Linke Liste,
gesetzes Bündnis 90/GRÜNE und einer SPD-Stimme ist der
— Drucksache 12/93 — Antrag angenommen.
Ich rufe den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU,
i) Wahl der vom Bundestag zu entsendenden SPD und FDP auf Drucksache 12/106 auf: Einsetzung
Mitglieder des Ausschusses nach Arti- des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der
kel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermitt- Bundeshaushaltsordnung. Wer stimmt für diesen An-
lungsausschuß) trag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag
— Drucksache 12/94, 12/111, 12/141 — ist bei Enthaltung der PDS/Linke Liste und des Bünd-
nisses 90/GRÜNE angenommen.
j) Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsaus- Meine Damen und Herren, wir führen jetzt die
schusses gemäß § 3 Abs. 2 Wahlprüfungs- Wahlen zu fünf Gremien mit Stimmkarten und Wahl-
gesetz ausweis durch.
— Drucksache 12/95, 12/142 — Es handelt sich um folgende Gremien: Parlamen-
tarische Kontrollkommission, Vertrauensgremium,
k) Wahl der vom Bundestag zu entsendenden G-10-Gremium, Wahlmännerausschuß und Richter-
Mitglieder des Schuldenausschusses bei wahlausschuß.
der Bundesschuldenverwaltung gemäß § 6
Abs. i und 2 des Gesetzes über die Errich- Interfraktionell ist vereinbart worden, diese Wahlen
tung einer Schuldenverwaltung des Verei- miteinander zu verbinden. Sind Sie mit diesem Ver-
nigten Wirtschaftsgebietes und § 2 der Ver- fahren einverstanden? — Ich sehe und höre keinen
ordnung über die Bundesschuldenverwal-- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
tung Ich erläutere Ihnen jetzt das Wahlverfahren. Die
— Drucksache 12/96, 12/144 — fünf Stimmkarten für die Wahlen haben Sie in der
Vorhalle erhalten. Es besteht jetzt für diejenigen, die
1) Wahl der vom Bundestag zu bestimmenden sie noch nicht haben, noch die Möglichkeit, sie zu
Mitglieder des Kontrollausschusses beim holen. Außerdem benötigen Sie Ihren gelben Wahl-
Bundesausgleichsamt gemäß § 313 Abs. i ausweis, den Sie, soweit dies noch nicht geschehen ist,
und 2 des Lastenausgleichsgesetzes Ihrem Schließfach entnehmen können.
— Drucksache 12/97, 12/145 — Die Wahlen finden offen statt. Sie können die
Stimmkarten also an Ihrem Platz ankreuzen.
m) Wahl der vom Deutschen Bundestag vorzu- Zur Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen
schlagenden Mitglieder des Infrastruktur Kontrollkommission möchte ich noch folgendes aus-
rats beim Bundesminister für Post und Te- führen: Nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die parla-
lekommunikation gemäß § 32 des Post- mentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätig-
strukturgesetzes keit ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der
— Drucksache 12/98, 12/146 — Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, d. h.
mindestens 332 Stimmen erhält. Auf der hierfür vor-
n) Wahl der vom Bundestag vorzuschlagen- gesehenen weißen Stimmkarte können Sie höchstens
den Mitglieder des Programmbeirats der acht Namensvorschläge ankreuzen, da die Parlamen-
Deutschen Bundespost gemäß §§ 1 und 2 tarische Kontrollkommission nach dem eben gefaßten
der Geschäftsordnung des Beirats zur Be- Beschluß acht Mitglieder haben soll.
stimmung der Anlässe für die Ausgabe von Zur Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums:
Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag der Auch hier ist nur gewählt, wer die Stimmen der Mehr-
Deutschen Bundespost (Programmbeirat) heit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint,
— Drucksache 12/99, 12/147 — d. h. mindestens 332 Stimmen erhält. Auf der blauen
Stimmkarte hierfür dürfen höchstens fünf Namens-
o) Wahl der vom Bundestag vorzuschlagen- vorschläge angekreuzt werden, nachdem wir eben die
den Mitglieder des Kunstbeirats der Deut- Mitgliederzahl so festgelegt haben.
400 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Vizepräsident Klein
Zur Wahl des G-10-Gremiums: Gemäß § 9 Abs. 1 Wahlvorschläge der Abgeordneten des Bündnis 90/
des Gesetzes zur Beschränkung des B rief-, Post- und GRÜNE und der Abgeordneten der PDS/Linke Liste
Fernmeldegeheimnisses besteht das Gremium aus auf den Drucksachen 12/111 und 12/141 vor.
fünf Mitgliedern. Sie können also auf Ihrer gelben Wir stimmen zunächst über die Wahlvorschläge der
Stimmkarte höchstens fünf Namen ankreuzen. Gruppen ab. Wer stimmt für den Wahlvorschlag vom
Bezüglich der Wahlen zum Wahlmännerausschuß Bündnis 90/GRÜNE? — Wer stimmt dagegen? — Wer
und zum Richterwahlausschuß möchte ich Sie darauf enthält sich? — Der Wahlvorschlag ist bei Ja-Stimmen
aufmerksam machen, daß jeweils nur ein Vorschlag des Bündnis 90/GRÜNE und einiger SPD-Kollegen
auf der grünen und der orangefarbigen Stimmkarte und bei Enthaltungen einer größeren Anzahl von
angekreuzt werden darf. SPD-Abgeordneten vom Rest des Hauses abgelehnt.
Die Wahlvorschläge mit den Namen der Kandida- Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke
ten — Drucksachen 12/91 (neu) und 12/92 (neu) — Liste? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? —
liegen in der Eingangshalle aus. Der Wahlvorschlag ist von der Mehrheit des Hauses
bei Ja-Stimmen der Abgeordneten PDS/Linke Liste
Für alle jetzt durchzuführenden Wahlen gilt folgen-
und bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abge-
des: Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als die zu- lehnt.
lässige Zahl von Ankreuzungen, andere Namen oder
Zusätze enthalten. Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvor-
schlag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich?
Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine — Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist bei Gegen-
Eintragung. stimmen von Bündnis 90/GRÜNE und einigen PDS-
Bevor Sie die fünf Stimmkarten in eine Wahlurne Abgeordneten sowie bei Enthaltung von Kollegen des
hier vorne werfen, bitte ich Sie, den Schriftführern an Bündnis 90/GRÜNE und PDS-Abgeordneten ange-
der Wahlurne Ihren Wahlausweis zu übergeben. nommen. Damit sind die vom Bundestag zu entsen-
denden Mitglieder des Vermittlungsausschusses und
Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen
deren Stellvertreter gewählt.
Plätze einzunehmen. —
Jetzt kommen wir zum Tagesordnungspunkt 3 j.
Ich eröffne die Wahlen. — Wir wählen die Mitglieder des Wahlprüfungsaus-
Meine Damen und Herren, ich werde eben darauf schusses. Hierzu liegen ein interfraktioneller Wahl-
aufmerksam gemacht, daß einige Kollegen auf den vorschlag auf Drucksache 12/95 sowie ein Wahlvor-
Wahlmänner-Stimmkarten bereits alle drei ange- schlag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache
kreuzt haben. Der sicherste Weg ist, sich eine neue 12/142 vor.
Stimmkarte geben zu lassen. — Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke
Meine Damen und Herren, haben alle Mitglieder Liste? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? —
des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimmkarten Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/
abgegeben? — Das ist der Fall. Dann schließe ich den Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE
Wahlgang und bitte die Schriftführer, mit der Auszäh- vom Rest des Hauses abgelehnt.
lung zu beginnen. Daran knüpfe ich, da ich von einer Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvor-
Fraktion weiß, daß es dort Irritationen bei der Ausfül- schlag? — Gegenprobe? — Enthaltungen? — Der in-
lung der Zettel gab, noch die besondere Bitte, daß terfraktionelle Wahlvorschlag ist bei Gegenstimmen
man möglichst den erkennbaren Willen gelten läßt. von PDS/Linke Liste und bei Enthaltung von Bünd-
Meine Damen und Herren, das Ergebnis wird später nis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die Mitglie-
bekanntgegeben. * ) der des Wahlprüfungsausschusses und deren Stellver-
treter gewählt.
Wir kommen jetzt zu den Wahlen, die ohne Stimm-
karte und ohne Wahlausweis durchgeführt werden, Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 k, zur
und zwar zunächst zur Wahl der Mitglieder des Ge- Wahl der vom Bundestag in den Schuldenausschuß zu
meinsamen Ausschusses nach Art. 53 a des Grundge- entsendenden Mitglieder. Hierzu liegen ein interfrak-
setzes. Wer dem interfraktionellen Wahlvorschlag auf tioneller Wahlvorschlag auf Drucksache 12/96 und ein
Drucksache 12/93 zuzustimmen wünscht, den bitte Wahlvorschlag der Gruppe PDS/Linke Liste auf
ich um ein Handzeichen. — Enthaltungen? — Der Drucksache 12/144 vor.
Wahlvorschlag ist damit angenommen. Somit sind die Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke
vom Bundestag zu bestimmenden Mitglieder des Ge- Liste? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Wahl-
meinsamen Ausschusses und deren Stellvertreter ge- vorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste
wählt. bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt.
Wir wählen jetzt die vom Bundestag zu entsenden- Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvor-
den Mitglieder des Vermittlungsausschusses — Ta- schlag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich?
gesordnungspunkt 3i — . Hierzu liegen ein interfrak- — Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist gegen die
tioneller Wahlvorschlag auf Drucksache 12/94 sowie Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von
Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die
*)ErgebnisdWahlMtersG-10miuSet vom Bundestag in den Schuldenausschuß zu entsen-
407 B, Ergebnis der Wahlen der Mitglieder der Parlamenta- denden Mitglieder und deren Stellvertreter gewählt.
rischen Kontrollkommission, des Vertrauensgremiums, des
Wahlmännerausschusses und des Richterwahlausschusses Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 31. Wir
Seite 431 A. wählen die vom Bundestag zu bestimmenden Mitglie-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 401

Vizepräsident Klein
der des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichs- Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke
amt. Dazu liegen ein interfraktioneller Wahlvorschlag Liste? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
auf Drucksache 12/97 und ein Wahlvorschlag der Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/
Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/145 vor. Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE
abgelehnt.
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke
Liste? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen
Der Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/ der CDU/CSU und der SPD? — Wer stimmt dagegen?
Linke Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE — Enthaltungen? — Der Wahlvorschlag der Fraktio-
abgelehnt. nen der CDU/CSU und SPD ist gegen die Stimmen
von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von FDP und
Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvor- Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die
schlag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der in- vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des
terfraktionelle Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen Kunstbeirats der Deutschen Bundespost gewählt.
von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bünd- Zusatztagesordnungspunkt 6! Abschließend wäh-
nis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die vom len wir die bisher nur vorläufig bestimmten Schrift-
Bundestag in den Kontrollausschuß beim Bundesaus- führer.
gleichsamt zu entsendenden Mitglieder gewählt.
Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvor-
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 m. Zu schlag auf Drucksache 12/87? — Gegenprobe! — Ent-
wählen sind die vom Bundestag vorzuschlagenden haltungen? — Damit ist bei Gegenstimmen von PDS/
Mitglieder des Infrastrukturrats beim Bundesmini- Linke Liste und einigen Enthaltungen von Bünd-
ster für Post und Telekommunikation. Es liegen ein nis 90/GRÜNE der interfraktionelle Wahlvorschlag
interfraktioneller Wahlvorschlag auf Drucksache angenommen.
12/98 und ein Wahlvorschlag der Gruppe PDS/Linke
Liste auf Drucksache 12/146 vor.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Zusatztages-
Wer stimmt für den Wahlvorschlag der PDS/Linke ordnungspunkte 7 bis 10 auf.
Liste? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Wahl- ZP7 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
vorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke Liste CSU und FDP
bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt.
Entsendung von Beobachtern in das Europäi-
Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvor- sche Parlament
schlag? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der in- — Drucksache 12/107 —
terfraktionelle Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen
von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Bünd- ZP8 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
nis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die vom Entsendung von Beobachtern in das Europäi-
Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Infra- sche Parlament
strukturrats und deren Stellvertreter gewählt. — Drucksache 12/118 —
Tagesordnungspunkt 3 n! Ich rufe die Wahl der vom ZP9 Beratung des Antrags der Abgeordneten von
Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Pro- Bündnis 90/GRÜNE
grammbeirats der Deutschen Bundespost auf. Hierzu Entsendung von Beobachtern in das Europäi-
liegen uns ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Frak- sche Parlament
tionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache
12/99 sowie ein Wahlvorschlag der Gruppe PDS/ — Drucksache 12/134 —
Linke Liste auf Drucksache 12/147 vor. ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten von
PDS/Linke Liste
Wer stimmt für den Wahlvorschlag PDS/Linke Li-
ste? — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich? — Der Entsendung von Beobachtern in das Europäi-
Wahlvorschlag ist gegen die Stimmen von PDS/Linke sche Parlament
Liste bei Enthaltung von Bündnis 90/GRÜNE abge- — Drucksache 12/135 —
lehnt. Ich höre von den Fraktionsgeschäftsführern, daß in-
Wer stimmt für den interfraktionellen Wahlvor- zwischen eine Vereinbarung getroffen ist, dazu eine
schlag? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? 5-Minuten-Runde durchzuführen. Es handelt sich um
— Der interfraktionelle Wahlvorschlag ist gegen die die Beratung von vier Anträgen zur Entsendung von
Stimmen von PDS/Linke Liste bei Enthaltung von Beobachtern in das Europäische Parlament.
Bündnis 90/GRÜNE angenommen. Damit sind die Ich erteile Herrn Kollegen Dr. Rüttgers das Wort.
vom Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Pro-
grammbeirats der Deutschen Bundespost sowie deren
Stellvertreter gewählt.
Dr. Rüttgers (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Der Volksmund sagt: Was
Tagesordnungspunkt 3 o! Wir wählen nun die vom lange währt, wird endlich gut. Ich meine, für die Ent-
Bundestag vorzuschlagenden Mitglieder des Kunst- sendung der Beobachter aus den fünf neuen Bundes-
beirats der Deutschen Bundespost. Es liegen ein ge- ländern in das Europaparlament gilt dies wahrlich
meinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/ nicht. Wer diesen Ablauf und zum Teil die Entschei-
CSU und der SPD auf Drucksache 12/102 sowie ein dungsfähigkeit der SPD miterlebt hat, der weiß, daß es
Wahlvorschlag der Gruppe PDS/Linke Liste auf mehr als zu bedauern ist, daß dieser Vorgang auch
Drucksache 12/148 vor. heute nur vorläufig zum Abschluß gebracht werden
402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Rüttgers
kann und weil eine Fortsetzung in Karlsruhe möglich Dr. Struck (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
erscheint. Dabei sind wir bereits seit Monaten dabei, Herren! Mit dem heutigen Beschluß findet ein langer
dieses Thema zu diskutieren. Am 8. August 1990 hat und schwieriger Weg sein Ende, insbesondere wenn
die Volkskammer zum erstenmal Beobachter für das ich an die Kolleginnen und Kollegen aus der ehema-
EG-Parlament gewählt. Wir haben eine Regelung in ligen DDR denke, die sich sehr intensiv noch in der
der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag vom damaligen Volkskammer mit dieser Frage beschäftigt
18. September 1990. Im Europaparlament hat es be- haben.
reits am 8. Oktober 1990 erstmals einen Beschluß zur Herr Kollege Rüttgers, auf Ihre Polemik einzugehen
Entsendung von Beobachtern gegeben. lohnt sich nicht. Ich möchte nur noch einmal den Un-
Mehrere Versuche im November und Dezember terschied in den Rechtsauffassungen über die Frage
letzten Jahres, diesen Punkt hier auf die Tagesord- darlegen, welches Wahlergebnis bei der Berechnung
nung zu setzen, sind leider nicht erfolgreich gewesen. der insgesamt 18 vom Deutschen Bundestag zu ent-
Der Grund lag da rin, daß die SPD nicht bereit war, die sendenden Beobachter zugrunde gelegt werden soll.
Entscheidung der frei gewählten Volkskammer der Die sozialdemokratische Fraktion ist der Meinung,
damaligen DDR und damit das Ergebnis der Volks- daß das letzte aktuelle Wahlergebnis, das das gesamte
kammerwahlen als Grundlage für diese Entsendung Gebiet Deutschlands angeht, zugrunde gelegt wer-
zu akzeptieren. den sollte. Die letzte Wahl war am 2. Dezember und
nicht am 18. März. Das heißt, wir werden ganz kon-
(Dr. Vogel [SPD]: Stimmt gar nicht! Es lag
kret — ich sage das auch für die Kolleginnen und Kol-
keine Einladung vor!)
legen, die sich nicht so intensiv mit der Frage beschäf-
Statt dessen hat man versucht, mit immer neuen Stör- tigt haben —, auch über die Abstimmungen, zu ent-
manövern, an denen sich auch die sozialistische Frak- scheiden haben, ob die Sozialdemokraten 5 — das
tion im EG-Parlament, ja sogar ein Vizepräsident, be- entspräche dem Wahlergebnis vom 2. Dezember —
teiligt hat, Beobachter nach Straßburg entsenden können oder
(Lamers [CDU/CSU]: Unerhört!) nur 4 — das entspräche dem Wahlergebnis vom
diese Entscheidung hinauszuschieben. 18. März. Wenn man der Auffassung der SPD folgt, es
müßten 5 entsandt werden, könnten bei der PDS nicht
Dabei kann es keinen Zweifel geben, daß die Bür- 3 — zugrunde gelegt das Wahlergebnis vom
ger der neuen Bundesländer einen Anspruch darauf 18. März —, sondern nur 2 entsandt werden. Wir wer-
haben, im Europaparlament vertreten zu sein. den das im Abstimmungsverhalten deutlich ma-
(Beifall bei der FDP) chen.
Ich frage mich: Wie wollen wir eigentlich die Rück- Ich möchte in meinem Beitrag nur das Abstim-
kehr nach Europa, wie Vaclav Havel das ja 1989 ge- mungsverhalten der SPD-Fraktion zu diesen vier vor-
nannt hat, umsetzen, wenn mehr als 16 Millionen liegenden Anträgen erläutern: Wir werden uns bei
Bundesbürger 1994 nicht im Europaparlament vertre- dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
ten sind? Und ich frage mich: Wer soll denn in den FDP der Stimme enthalten. Wir werden selbstver-
neuen Ländern bei den Kommunen und bei den Be- ständlich unserem eigenen Antrag zustimmen. Wir
trieben Hilfestellung leisten, wenn es darum geht, sich werden auch dem Antrag der Gruppe Bündnis 90/
etwa an europäischen Aufbau- und Finanzierungs- GRÜNE zustimmen. Wir werden den Antrag der PDS,
programmen, an Förderprogrammen zu beteiligen? wenn er so bleibt, wie er vorgelegt worden ist, nämlich
3 zu entsenden, nicht zustimmen, sondern aus den
Die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion ha-
genannten Gründen ablehnen.
ben durch die Einbringung eines Antrages die heutige
Entscheidung herbeigeführt. Die neun Beobachter Abschließend möchte ich sagen — und ich denke,
der CDU/CSU und je ein Vertreter der Liberalen und da wird der Kollege Rüttgers wieder mit mir überein-
des Bündnisses 90 können heute gewählt werden. stimmen — : Wir können alle sehr froh sein, daß wir
SPD und PDS haben sich über die ihnen zustehende diese Kuh jetzt endlich vom Eis bekommen haben. Ich
Anzahl von Beobachtern nicht einigen können. Wir wünsche den Beobachtern, den Kolleginnen und Kol-
werden uns deshalb auch bei den entsprechenden legen, die von uns nach Straßburg und Brüssel ent-
Anträgen der Stimme enthalten. sandt werden, viel Erfolg bei ihrer Arbeit auch im
Sinne des Deutschen Bundestages.
Ich meine abschließend: Vor allem die SPD hat es zu
verantworten, wenn heute wieder ein Stück Gemein- (Beifall bei der SPD)
samkeit aus der Zeit der deutschen Revolution beer-
digt wird. Vizepräsident Klein: Herr Kollege Dr. Hoyer, Sie
haben das Wort.
(Frau Hämmerle [SPD]: Sie sind aber ein un-
freundlicher Mensch! — Voigt [Frankfurt] Dr. Hoyer (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und
[SPD]: Jetzt müßte ich einen Beg riff verwen-
Herren! Die Kollegen Rüttgers und Struck haben ja
den, der immer gerügt wird! Ich verwende
die Schwierigkeit, vor der wir hier standen, sehr pla-
ihn lieber nicht!)
stisch geschildert. Ich komme im Ergebnis zu dem,
Vielen Dank. was der Kollege Rüttgers auch für die Fraktion der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) CDU/CSU vorschlägt.
Wir als Liberale haben eine große Sympathie dafür,
das Ergebnis der Volkskammerwahl vom März 1990
Vizepräsident Klein: Ich erteile das Wo rt dem Abge- zu Grunde zu legen. Aber wir haben natürlich ein gro-
ordneten Dr. Struck. ßes politisches Verständnis für das Begehren der So-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 403
Dr. Hoyer
zialdemokraten. Wir haben bei diesem Thema ein 18 Mitglieder entsendet. Das gilt für die Gesamtzahl
übergeordnetes Ziel, nämlich diese eigentlich erfreu- ebenso wie für die Struktur nach Fraktionen.
liche Einladung des Europäischen Parlaments anneh- Der Einigungsvertrag, in dem das Zitierte steht,
men zu können. Dieses Thema muß endlich vom wurde zwischen den Partnern ausgehandelt und
Tisch. Wir können das Europäische Parlament nicht durch die Parlamente mehrheitlich bestätigt. Es ent-
länger hinhalten. Wir laufen sonst Gefahr, daß der sprach dem Willen der Parteien, daß die Benennung
Eindruck entsteht, als wäre der Deutsche Bundestag der Beobachter durch die Volkskammer den Bundes-
an dieser Einladung des Europäischen Parlaments tag bindet. Das Parlament steht — ich sehe das so —
nicht interessiert. heute vor der Entscheidung: Bekennt es sich zum Be-
Ich meine, wir müssen heute zu einer Entscheidung schluß der Volkskammer oder nicht? Das ist für mich
kommen. Wir werden selbstverständlich dem Wahl- auch eine Frage, die am konkreten Fall Grundsätzli-
vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ches im Verhältnis zum ehemaligen Partner und zur
zustimmen, und wir werden dem Wahlvorschlag des selbst gefällten Entscheidung zur Bindung an den Ei-
Bündnisses 90/GRÜNE zustimmen. Obwohl Liberale nigungsvertrag aufwirft.
traditionell nicht gerade diejenigen sind, die sich Ich ziehe daraus die Schlußfolgerung: Nur durch die
gerne der Stimme enthalten, werden wir uns bei den Übernahme des am 28. September 1990 von der
Wahlvorschlägen von SPD und PDS der Stimme ent- Volkskammer erfolgten Benennungsvorgangs durch
halten, den Bundestag wird dem Willen der Vertragsparteien
(Müntefering [SPD]: Das kann doch wohl des Einigungsvertrags entsprochen. Das wurde in die-
nicht wahr sein!) sem Haus auch durch die Bundesregierung bekräftigt.
wie wir es interfraktionell auch vorbesprochen hat- In einer früheren Debatte hat die Staatsministerin im
ten. Auswärtigen Amt auf entsprechende Anfrage aus-
drücklich gesagt, es sei keine besondere Entschei-
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. dung des Bundestages nach dem Einigungsvertrag
(Zustimmung bei der FDP sowie bei Abge- und der Entscheidung der Volkskammer nötig.
ordneten der CDU/CSU) Ich darf folgendes anfügen: Natürlich bleiben wir
bei unserer Vorstellung, die ich für begründet halte,
Vizepräsident Klein: Das Wort hat der Abgeordnete würden es jedoch für möglich halten, daß im Interesse
Dr. Riege. einer differenzierten Entscheidung und Meinungsbil-
dung hier im Haus eine Einzelabstimmung über un-
sere Vorschläge erfolgt.
Dr. Riege (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine Danke.
Damen und Herren! Das Interesse der Mitwirkung an
(Beifall bei der PDS/Linke Liste)
den Prozessen der europäischen Einigung setze ich
voraus.
Die Entscheidungssituation von heute berührt Vizepräsident Klein: Herr Kollege Poppe, Sie haben
— das wurde hier schon ausgesprochen — die Abge- das Wort.
ordneten der PDS. Diesen Abgeordneten soll zugun-
sten der SPD die Möglichkeit genommen werden, drei Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident!
Vertreter in das Europäische Parlament zu entsenden. Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte
Statt drei sollen ihr zwei Vertreter zugestanden wer- zwei ganz kurze Einlassungen, nachdem ich zunächst
den. einmal prinzipiell begrüße, daß sich alle Fraktionen
Die Begründung wird — das ist hier schon ausge- bereit erklärt haben, nun dem Beobachterstatus von
sprochen worden — aus den Wahlen vom 2. Dezem- ehemaligen DDR-Bürgern im Europaparlament zuzu-
ber hergeleitet. Ich möchte deutlich sagen: Das be- stimmen. Ich muß aber darauf hinweisen, daß es aus
deutet eine Veränderung der Rechtsgrundlage für die mehreren Gründen angemessen wäre, es bei der Ent-
Entsendung der Vertreter in das Europäische Parla- scheidung der Volkskammer zu belassen.
ment überhaupt. Die Zusatzvereinbarung zum Eini- Zum einen ist im Sinne der Arbeitsfähigkeit der
gungsvertrag enthält folgende Aussage: ganzen Gruppe eine schnelle Entscheidung wirklich
Die von der Volkskammer der Deutschen Demo- nötig. Seit Monaten bereiten sich diese 18 benannten
kratischen Republik in das Europäische Parla- Abgeordneten bzw. zum Teil die Nachrücker auf ihre
ment entsandten Abgeordneten erhalten für die Aufgaben vor, haben ihre beruflichen Aufgaben zu-
laufende Legislaturperiode des Europäischen gunsten dieser Tätigkeit eingeschränkt oder zurück-
Parlaments die Rechtsstellung eines Mitglieds gestellt. Dies ist auch ein rein menschliches Problem.
des Europäischen Parlaments. Zum anderen ist die Änderung der Geschäftsordnung
Das ist eine eindeutige Aussage dieses Vertrages. Die des Europaparlaments auf der Grundlage des Volks-
Bezugsgröße ist mithin nicht der eine oder der andere kammerentschlusses zustande gekommen.
Wahltermin, sondern vor allem die Legislaturperiode Prinzipiell bin ich der Auffassung, daß die Volks-
des Europäischen Parlaments. kammer der damaligen DDR das erste frei gewählte
Nach meiner Erfahrung gab es in dieser Frage zu- Parlament der DDR und damit auch fähig war, souve-
nächst Konsens, auch dahin gehend, daß keine verfas- räne Entscheidungen zu treffen. Ich bitte Sie, dies zu
sungsrechtlichen Probleme bestehen, wenn der Bun- akzeptieren.
destag die Benennung der Vertreter für das Europäi- Schließlich würde ich auch den rechtlichen Einlas-
sche Parlament bestätigt und die vorgesehenen sungen des Kollegen Riege folgen.
404 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Poppe
Ich denke, daß es im Sinne der Arbeitsfähigkeit der verständlich, aber es sollte darüber nicht die Brisanz
Gruppe — Sie müssen bedenken, daß diese Abgeord- eines Konfliktes übersehen werden, der sich praktisch
neten zu jeder Sitzung des Parlaments nach Straßburg in unserem Vorgarten ständig zuspitzt.
fahren, dort auf den Zuschauertribünen sitzen, anson-
sten mit ihrer Arbeit aber nicht beginnen können — Seit dem Beginn der Kampfhandlungen am Golf ist
angemessen wäre, es bei der alten Entscheidung zu immer wieder behauptet worden, dies sei doch alles
belassen. vermeidbar gewesen und man hätte sich nur rechtzei-
(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Zustim- tig um politische Mittel der Konfliktlösung kümmern
mung des Abg. Dr. Rüttgers [CDU/CSU]) müssen. Ich lasse dahingestellt, ob dies zutrifft. Ich
möchte nur betonen, daß wir diese Aktuelle Stunde
deshalb beantragt haben, weil wir es vermeiden
Vizepräsident Klein: Ich rufe die Anträge in der Rei- möchten, uns zu späterer Zeit im Hinblick auf Jugo-
henfolge der Drucksachennummern auf. slawien den gleichen Vorwurf anhören zu müssen. Es
Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/ kommt darauf an, in der Situation in Jugoslawien jetzt
CSU und der FDP auf Drucksache 12/107? — Wer rechtzeitig politische Auswege zu suchen und zu fin-
stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — Der Antrag den.
ist bei jeweils einer Gegenstimme des Bündnisses 90/
GRÜNE und der SPD sowie vielen Enthaltungen an- Meine Damen und Herren, daß wir uns mit diesem
genommen. Thema überhaupt beschäftigen, bedeutet natürlich
Wer stimmt für den Antrag der Fraktion der SPD auf keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten
Drucksache 12/118? — Wer stimmt dagegen? — Wer Jugoslawiens. In dem enger zusammenwachsenden
enthält sich? — Der Antrag ist bei wenigen Gegen- Kontinent ist es selbstverständlich, daß es keinem Eu-
stimmen und einer großen Zahl von Enthaltungen an- ropäer gleichgültig sein kann, wenn es zu Menschen-
genommen. rechtsverletzungen wie in Kosovo kommt oder wenn
die akute Gefahr besteht, daß der Konflikt eskaliert
Wer stimmt für den Antrag von Bündnis 90/GRÜNE und daß das ganze Land in Gewalt, Blutvergießen und
auf Drucksache 12/134 (neu)? — Wer stimmt dage- Bürgerkrieg gestürzt wird. So ist die erste, eindring-
gen? — Wer enthält sich? — Bei einer Enthaltung aus lichste Botschaft, die von hier und von allen anderen
den Reihen der CDU/CSU ist der Antrag angenom- Europäern an die jugoslawischen Völker ausgehen
men. muß: Wie immer ihr eure Probleme behandelt, tut es
Meine Damen und Herren, ich weise darauf hin, daß f ri edlich und verzichtet auf Gewalt!
von den 18 zu entsendenden Beobachtern damit be-
reits 16 bestimmt sind. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der
Die Gruppe der PDS/Linke Liste wünscht, daß über SPD)
die von ihr vorgeschlagenen Bewerber auf Druck-
sache 12/135 getrennt abgestimmt wird. Darüber hinaus, liebe Kolleginnen und Kollegen,
gibt es politische Gründe, die hier angesprochen wer-
Als erstes ist Frau Kaufmann vorgeschlagen. Wer - den müssen. Es kann nicht im Interesse der Stabilität
stimmt für diesen Vorschlag? — Gegenprobe! — Ent- der Region Südosteuropa liegen, und es kann auch
haltungen? — Der Vorschlag ist bei Enthaltungen von
nicht im Sinne einer Annäherung dieser Regionen an
SPD, Bündnis 90/GRÜNE und einer Reihe von CDU/
Europarat und Europäische Gemeinschaft sein, daß
CSU- und FDP-Abgeordneten angenommen. der Bundesstaat Jugoslawien auseinanderbricht.
Als zweites wurde Herr Kertscher vorgeschlagen.
Wer stimmt für diesen Vorschlag? — Gegenprobe! Es ist eine im Grunde tragische Situation: Wir hier
— Enthaltungen? — Der Vorschlag ist bei einigen Ge- im Westen versuchen nationale Grenzen zu überwin-
genstimmen von CDU/CSU und FDP und bei zahlrei- den. Wir versuchen, uns durch Übertragung nationa-
chen Enthaltungen angenommen. ler Souveränitäten zu einem Bundesstaat in Europa
Damit sind die vom Bundestag in das Europäische zusammenzuschließen, und in anderen Weltgegen-
Parlament zu entsendenden 18 Beobachter gewählt. den, wo Bundesstaaten existieren, reicht die Kraft
nicht aus. Da brechen Nationalitätenkonflikte aus,
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, und es ist traurig, daß bundesstaatliche Strukturen,
nach diesem Wahlmarathon rufe ich den Zusatztages- die schon vorhanden sind, zunehmend an Akzeptanz
ordnungspunkt 11 auf: verlieren.
Aktuelle Stunde Meine Damen und Herren, kann man denn dem
Haltung der Bundesregierung zur Situation in Problem nationaler Minderheiten wie der Albaner in
Jugoslawien Serbien oder der Serben im Kosovo und in Kroatien
Die Fraktion der FDP hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 leichter beikommen, wenn man kleine nationale Ein-
unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu zelstaaten schafft, als in einem viele Völker umfassen
diesem Thema verlangt. den Bundesstaat? Doch wohl nicht. Wenn einer wie
gestern der kroatische Präsident Tudjman im „Gene-
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr ral-Anzeiger" auf die Gefahr hinweist, im Falle des
Kollege Irmer. Ausscheidens von Slowenien und Kroatien aus dem
Bund drohe die großserbische Prätention und der dar-
Irmer (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten aus resultierende Bürgerkrieg,
Damen und Herren! Die Aufmerksamkeit der Weltöf-
fentlichkeit ist zur Zeit auf den Golf gerichtet. Das ist (V o r s i t z : Vizepräsidentin Schmidt)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 405

Irmer
dann kann ich doch nur sagen: Das muß ihn erst recht auch der gesamte Verband einbezogen werden muß.
veranlassen, das Auseinanderbrechen des Staates mit Hier stimme ich Herrn Kollegen Irmer zu.
allen möglichen Mitteln zu verhindern. Am deutlichsten kann man das an der mazedoni-
Glaubt denn schließlich jemand im Ernst, der Weg schen Frage sehen. Ich denke an die dortige panma-
nach Europa werde erleichtert, wenn statt eines Bun- zedonische Bewegung. Wenn es wirklich dazu kom-
desstaates eine Menge von Kleinstaaten vor der Türe men sollte, daß wir wieder tiefe Konflikte, vielleicht
stehen und in Europa Eintritt haben wollen? Die Bal- sogar kriegerische Konflikte um Gebietsforderungen
kanisierung des Balkans, meine Damen und Herren, an Bulgarien, an Griechenland und an Jugoslawien
kann nicht die Lösung der jugoslawischen Probleme bekommen, dann wäre das in der Tat ein Rückfall in
bringen. die Zwischenkriegszeit, den wir keinesfalls begrüßen
Wir fordern die Bundesregierung auf, zusammen können.
mit unseren Partnern in der Europäischen Gemein- Dritte Bemerkung. Das bedeutet allerdings, daß wir
schaft und nach Möglichkeit im Rahmen von Europa- uns als Mitglied der EG eindeutig gegen Gewaltan-
rat und KSZE unverzüglich eine Initiative einzuleiten, wendung in jeder Richtung engagieren müssen. Das
durch die den Konfliktparteien in Jugoslawien die heißt, wenn sich die reicheren Slowenen und Kroaten
guten Dienste der übrigen Europäer angeboten wer- aus dem Staatsverband lösen wollen, kann ich durch-
den: als Berater, als Schlichter und als ehrliche Mak- aus verstehen, was das für den gesamten Verband
ler. Es sollte möglich sein, durch ruhige Verhandlun- bedeutet und warum andere dagegen sind. Aber den
gen mit allen an den Auseinandersetzungen Beteilig- Versuch, solche Probleme mit militärischen Mitteln zu
ten doch noch politische Lösungen zu finden, mit de- lösen, dürfen wir unter gar keinen Umständen unter-
nen Gewalt verhütet, die Zersplitterung des Landes stützen.
verhindert und die Anbindung der jugoslawischen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
Völker an das übrige Europa gesichert werden kann. FDP)
Noch ist es nicht zu spät.
Vierte und letzte Bemerkung: Ich denke, wir sollten
Ich danke Ihnen. mit Sympathie die Versuche des Vorsitzenden der
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Jugoslawischen Föderation, Ante Markovi ć, betrach-
SPD) ten, Jugoslawien zusammenzuhalten. Wo die Euro-
päische Gemeinschaft im ökonomischen Bereich hel-
fen kann, sollte sie helfen. Die Chance mag gering
Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Abge- sein, aber die Beteiligten und Betroffenen mögen be-
ordnete Glotz. denken, daß ein Zerfall Jugoslawiens in der Tat die
Lebensqualität von Millionen von Menschen nach un-
Dr. Glotz (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ver- ten drücken würde.
ehrten Damen und Herren! Es kann nicht unsere Auf- Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wenn es eine
gabe sein — das hat eben auch der Kollege Irmer naheliegende Folgerung für mich gibt, die man aus
gesagt — , den Jugoslawen vorzuschreiben, wie sie diesen Problemen in Jugoslawien ziehen muß, dann
sich staatlich organisieren sollen. Aber — hier stimme ist es die, dafür zu sorgen, daß wir im Rahmen der
ich absolut mit ihm überein — wir sollten zusammen KSZE einen Konfliktschlichtungsmechanismus zu-
mit unseren Partnern in der Europäischen Gemein- stande bekommen, später einmal in einer zweiten
schaft helfen, wo wir helfen könnten. Die Prinzipien, Phase vielleicht sogar mit Blauhelmen, aber in einer
an denen wir diese Hilfe ausrichten sollten, möchte ersten Phase zur Antizipierung und zur Verhütung
ich in vier Punkten beschreiben. von Konflikten, damit wir nicht zusehen müssen,
Erstens. Wir fühlen uns alle in diesem Hause st rikt meine Damen und Herren, wie in einem Europa, von
an die Grundsätze der KSZE gebunden, was Minder- dem wir gehofft haben, daß es f riedlicher wird, Min-
heitenrechte betrifft, noch einmal verdeutlicht in Ko- derheiten sozusagen gedrückt und vielleicht sogar
penhagen im Juli 1990. Aus diesem Grunde müssen ausgemordet werden. Denn das wäre schrecklich.
wir, gerichtet an die serbische sozialistische Partei (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
und an Slobodan Milošević sagen können: Die Art, FDP)
wie in Kosovo mit dem albanischen Bevölkerungsteil
umgegangen wird, ist ein nationalistisches Verbre-
chen, das man verurteilen muß und mit dem man sich Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Kollege
öffentlich auseinandersetzen muß. Vogel (Ennepetal).
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP) Vogel (Ennepetal) (CDU/CSU): Frau Präsidentin!
Zweitens. Ich denke, wir alle bekennen uns auch Meine Kolleginnen und Kollegen! Die gestrige Ent-
zum Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dieses scheidung des slowenischen Parlaments, auch das
Selbstbestimmungsrecht ist allerdings kein Patentre- schon erwähnte Interview des kroatischen Präsiden-
zept. Es verpflichtet uns z. B. keineswegs, für die Los- ten Tudjman im gestrigen „General-Anzeiger" , der
lösung des Baskenlandes von Spanien oder Frank- morgige Krisengipfel in Jugoslawien, in Sarajewo,
reich oder Nordirlands von Großbritannien einzutre- machen deutlich, daß wir es in der Tat mit einem aktu-
ten. Selbstbestimmung ist nicht automatisch Lostren- ellen Problem zu tun haben und wir deshalb zu Recht
nung, sondern Selbstbestimmung heißt Abwägung, hier eine Aktuelle Stunde abhalten.
eine Abwägung, in die nicht nur das Volk einbezogen Für die CDU/CSU möchte ich unterstreichen, was
werden kann, das sich lostrennen möchte, sondern der Bundeskanzler in seinem Brief an den jugoslawi-
406 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Vogel (Ennepetal)
schen Ministerpräsidenten Ante Markovi ć geschrie- Mit Recht mahnt der Bundeskanzler eine f riedliche
ben hat: Wir sind über die Zuspitzung der Ereignisse und einvernehmliche Lösung an, damit die im No-
in Jugoslawien zutiefst beunruhigt, und uns kann es vember des vergangenen Jahres auch von Jugosla-
nicht gleichgültig sein, ob der Vielvölkerstaat Jugo- wien unterzeichneten Grundsätze der Charta von Pa-
slawien auseinanderbricht oder in gewalttätigen in- ris für ein neues Europa, die ja auch die Unterschrift
neren Auseinandersetzungen zu einem Unruhefaktor von Herrn Jovi ć trägt, und die anderen KSZE-Doku-
auf dem Balkan wird. mente zur Geltung gelangen.
Unser deutsches wie auch unser gemeinsames eu- Die CDU/CSU hofft, daß die Verlegung des morgi-
ropäisches Interesse, das eigene jugoslawische Inter- gen jugoslawischen Krisengipfels nach Sarajewo zu
esse allemal, muß es sein, daß Jugoslawien im Kon- dem Optimismus berechtigt, daß sich alle Seiten um
sens seiner Republiken als eine freiheitliche demokra- eine friedliche und einvernehmliche Lösung bemühen
tische Gemeinschaft konstituiert wird. Eine Einheit werden.
Jugoslawiens — und da stimme ich meinen Vorred- Danke schön.
nern zu —, die darauf beruhte, daß ein serbischer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Hegemonieanspruch, womöglich mit Hilfe der jugo- bei Abgeordneten der SPD)
slawischen Armee, durchgesetzt wird, kann weder im
Interesse des friedlichen Zusammenlebens der Völker
Jugoslawiens noch im Interesse der Stabilität auf dem Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Abge-
Balkan und in Europa liegen. ordnete Modrow.
(Reddemann [CDU/CSU]: Der kennt doch
Uns macht es besorgt, daß immer noch vorhandene
die alten Methoden noch, wie man das
kommunistische Machtstrukturen in Jugoslawien die
macht!)
Verwirklichung demokratischer und rechtsstaatlicher
Verhältnisse überall in Jugoslawien behindern und
daß die Verwirklichung der Menschen- und Minder- Dr. Modrow (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin!
heitsrechte unzureichend gewährleistet ist. Die Situa- Meine Damen und Herren! Die jüngste Entwicklung
tion der albanischen Minderheit im Kosovo gehört in Jugoslawien hat vielerorts Beunruhigung ausge-
ebenso zu unseren Sorgen wie die Probleme von Min- löst. Die Besorgnis vieler Bürgerinnen und Bürger der
derheiten in anderen jugoslawischen Republiken. Bundesrepublik, die auch die Sorge unserer jugosla-
wischen Freunde ist, wird von den Abgeordneten der
Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich das Inter- PDS/Linke Liste voll geteilt, wissen wir doch um den
view gelesen, das der kroatische Präsident Tudjman Platz Jugoslawiens in Europa und in der internationa-
dem „Bonner General-Anzeiger" in seiner gestrigen len Staatengemeinschaft in Vergangenheit und Ge-
Ausgabe gewährt hat. Es ist alarmierend, wenn Präsi- genwart. Jugoslawien hat als ein führendes Land der
dent Tudjman sagt: Die geschichtliche Erkenntnis Bewegung der Nicht-Paktgebundenheit allgemeine
zeigt, daß die Gründung eines Jugoslawien als demo- Anerkennung gefunden und posi tive Tendenzen in
kratische staatliche Gemeinschaft nicht möglich ist. der internationalen Entwicklung sehr beeinflußt.
Gestern hat das slowenische Parlament die einver- Unser eigenes Land ist mit vielen Fäden gedeihli-
nehmliche Auflösung der Sozialistischen Föderativen cher zwischenstaatlicher Beziehungen, ökonomischer
Republik Jugoslawien verlangt, was ja nicht besagt, Kooperation und vor allem auch unzähliger persönli-
daß man in Slowenien nicht bereit ist, über eine an- cher Kontakte, entstanden und vertieft in umfangrei-
dere Art des Zusammenlebens im Gespräch zu blei- chem kommerziellem, kulturellem und touristischem
ben. Ich hoffe deshalb auch, daß das kein letztes Wort Austausch, mit Jugoslawien und seinen Bürgerinnen
ist und daß in der serbischen Hauptstadt wie auch in und Bürgern verbunden.
der Führung des jugoslawischen Staatspräsidiums In einem engen Wechselverhältnis stehen Deutsch-
endlich eingesehen wird, daß nicht Drohen mit dem land und Jugoslawien auch in der Geschichte. Diese
Einsatz der jugoslawischen Armee, sondern nur das war, wie wir alle wissen, gegenseitig bereichernd und
Finden von Konsens zwischen den sechs Republiken befruchtend, aber auch konfliktvoll und leidvoll. Stets
die jugoslawische Krise lösen kann. müssen wir uns auch dessen bewußt sein, daß die
Wenn die Aufteilung in selbständige Staaten ver- Erinnerung der jugoslawischen Völker an den Ober-
mieden werden so ll, dann wird eine grundsätzliche fall der deutschen Wehrmacht auch in den vergange-
Umformung des Verhältnisses der Teilrepubliken Ju- nen Jahrzehnten nicht verblaßt ist. Die Achtung vor
goslawiens zueinander unumgänglich sein. den Opfern, vor 1,7 Millionen Jugoslawen, die der
Zweite Weltkrieg forderte, verpflichtet das vereinte
Ich möchte wiederholen, was der Bundeskanzler an Deutschland, uns alle, zu größtem Respekt, zu höch-
Ministerpräsident Markovi ć geschrieben hat. Ich zi- ster Zurückhaltung bei der Bewertung der inneren
tiere: Entwicklung dieses Landes.
Die Einheit Jugoslawiens und die Entwicklung Der Deutsche Bundestag ist aufgefordert und ver-
neuer Formen des Zusammenlebens seiner Völ- pflichtet, alle Versuche, Druck auf Jugoslawien aus-
ker und Republiken können nur als Ergebnis ei- zuüben und die innere Lage des Landes zu beeinflus-
nes friedlichen politischen Dialogs auf der sen, zurückzuweisen, sich für die Verwirklichung der
Grundlage der Demokratie, der Rechtsstaatlich- Menschenrechte einzusetzen und eine Politik, die ge-
keit sowie der Achtung der Menschen- und Min- gen Minderheiten gerichtet ist, zu verurteilen.
derheitenrechte aller Beteiligten gesichert wer- Gesellschaftliche Umbrüche und nationale Ausein-
den. andersetzungen haben auch nach jugoslawischer Ein-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 407
Dr. Modrow
schätzung eine explosive Situation geschaffen. Aus- terna, Dr. de With und Baum gewählt. Von den gülti-
ländische Einmischung kann diese Situation nur zu- gen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Helm-
sätzlich belasten. Sie trägt in keiner Weise zu einer rich 532 Stimmen, den Abgeordneten Zeitlmann
friedlichen Lösung der inneren Konflikte bei. 501 Stimmen, den Abgeordneten Paterna 488 Stim-
Meine Damen und Herren, deutsche Friedenspoli- men, den Abgeordneten Dr. de With 506 Stimmen,
tik muß darauf gerichtet sein zu verhindern, daß der den Abgeordneten Baum 496 Stimmen, den Abgeord-
Balkan und Jugoslawien als sein zentraler Teil erneut neten Dr. B riefs 15 Stimmen und den Abgeordneten
zu einem Pulverfaß werden. Das würde aber gesche- Weiß (Berlin) 95 Stimmen.
hen, wenn aus kurzsichtigen machtpolitischen Erwä- Wir können jetzt mit der Aktuellen Stunde fortfah-
gungen heraus versucht würde, den drohenden Zer- ren. Ich erteile dem Abgeordneten Poppe das Wort.
fall der jugoslawischen Föderation zu beschleunigen.
Das würde den Balkan erneut in ein Gebiet gefährli-
cher Spannungen mit nicht absehbaren Folgen für die
gesamte europäische Entwicklung verwandeln. Im Poppe (Bündnis 90/GRÜNE) : Frau Präsidentin!
Gegenteil: Die europäische Entwicklung sollte sich so Meine Damen und Herren! Erfahrungsgemäß neigt
gestalten, daß nationale Probleme und Konflikte eine die Macht dazu, auf einem einmal erreichten Zustand
immer geringere Rolle spielen und daß wir über die- zu beharren, Krisen und Konfliktsituationen vorzugs-
sen Weg auch von Europa aus mithelfen, Probleme, weise durch eine Minimalreform im Inneren oder
die es auf diesem Gebiet gibt, zu lösen. durch vorsichtige diplomatische Schritte nach außen
(Dr. Geißler [CDU/CSU]: Und mithelfen, daß zu bewältigen. Oft genug aber in der jüngeren Ver-
kommunistische Vorherrschaften überall gangenheit reichten die kleinen Schritte der Regie-
verschwinden!) rungen nicht mehr aus, die Konflikte zu bewältigen.
Der Status quo der 80er Jahre beispielsweise, der zeit-
— Herr Geißler, ich kann mich noch sehr gut daran weise die Weltlage stabilisieren half, erwies sich
erinnern, wieviel Begeisterung es für die Selbstver- schließlich als Hemmnis für die Entwicklung der De-
waltungskonzeption des Sozialismus in Jugoslawien mokratie in Ost- und Ostmitteleuropa. Der Westen
nicht nur unter linken Kräften gegeben hat; weltweit befand sich mit seiner zurückhaltenden Diplomatie
war man, glaube ich, in zurückliegender Zeit darüber gegenüber spätstalinistischen Systemen nicht mehr
nicht wenig begeistert. auf der Höhe der Zeit, was er schließlich auch unter
Die PDS/Linke Liste fordert die Bundesregierung einigen Schmerzen erkannte. Wer daraus die richti-
auf, gegen die genannten Versuche, deren es zur Ge- gen Schlußfolgerungen zieht, wird feststellen, daß es
nüge gibt, entschieden aufzutreten und für solche äu- zur Bewältigung der Krise in der UdSSR und in Jugos-
ßeren Bedingungen zu wirken, die den jugoslawi- lawien nicht ausreicht, daß man die jeweilige Zentral-
schen Völkern die Wahrnehmung ihres in der UNO- macht stützt, verbal zur Einhaltung der Menschen-
Charta und in den Dokumenten des KSZE-Prozesses rechte und zur Demokratisierung ermuntert, im übri-
verankerten Selbstbestimmungsrechts ermöglichen. gen aber im Sinne der Vereinfachung eigener politi-
Es ist allein ihre Sache, in freier Entscheidung und scher und wirtschaftlicher Aktivitäten einen Zustand
ohne äußere Einmischung über ihre Zukunft, über die der Erstarrung mit Stabilität verwechselt. Nationale
gesellschaftliche und staatliche Form ihres Zusam- Selbständigkeit hat für die Völker der bisher dirigi-
menlebens zu entscheiden. Für ein Denken in den stisch verwalteten Syteme einen ganz anderen Stel-
überlebten Kategorien von Expanison und Streben lenwert als für manchen demokratiegewohnten West-
nach Einflußsphären ist ebensowenig Platz wie für europäer.
arrogante Besserwisserei und Großmannssucht. Auch
Lassen Sie sich an zwei Ereignisse des gestrigen
hier gilt es, die Lehren der Geschichte zu beherzigen;
Tages erinnern, meine Damen und Herren, die durch-
sie sind geradezu teuer vom deutschen Volk bezahlt
aus als die beiden Seiten einer Medaille betrachtet
worden.
werden könnten: Demonst rierende Albaner stürzen
(Beifall bei der PDS/Linke Liste — Zuruf von den verhaßten Enver Hodsha von seinem Denkmals-
der FDP: Welche Lehren haben Sie denn aus sockel und damit zumindest symbolisch die letzte Ba-
der Geschichte gezogen?) stion des Stalinismus in Europa. Und das slowenische
Parlament beschließt eine Verfassungsänderung, die
der Belgrader Zentralregierung die Befugnis entzieht,
Vizepräsidentin Schmidt: Liebe Kollegen! Liebe Entscheidungen über Slowenien zu treffen. Diese Er-
Kolleginnen! Ich muß die Aktuelle Stunde kurz unter- eignisse folgen in vielem der gleichen Logik wie die
brechen, weil ich Ihnen das Ergebnis der Wahl der Entwicklung in Polen, der Tschechoslowakei, der ehe-
Mitglieder des G-10-Gremiums bekanntgeben muß. maligen DDR, im Baltikum und anderswo. Trotzdem
Von den 662 stimmberechtigten Abgeordneten ha- sollten wir uns vor voreiligen Analogieschlüssen und
ben 620 ihre Stimmen abgegeben. Alle Stimmen wa- undifferenzierter Betrachtung ebenso hüten wie vor
ren gültig. Von den gültigen Stimmen entfielen auf dem Aufstellen falscher Alternativen.
die Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der Die Konflikte in Jugoslawien haben eine ganze
FDP ausreichend viele Stimmen, um diese Kandidaten Reihe von Gründen: die serbischen Hegemoniebe-
zu wählen. Die von den Gruppen der PDS/Linke Liste strebungen, die Versuche von Teilen der Armee, das
sowie dem Bündnis 90/GRÜNE vorgeschlagenen Ab- alte System zu restaurieren, die andauernden Men-
geordneten haben nicht die erforderliche Mehrheit schenrechtsverletzungen in Kosovo, aber auch die un-
erhalten. Als Mitglieder des G-10-Gremiums sind da- gleiche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und den
nach die Abgeordneten Helmrich, Zeitlmann, Pa- unterschiedlichen Grad von Demokratie.
408 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Poppe
In höchstem Maße unwahrscheinlich ist es nach al- Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Abschließend möchte
len bisherigen Erfahrungen, daß ausgerechnet der ju- ich noch sagen, daß ich es für erwähnenswert halte,
goslawische Zentralstaat fähig sein sollte, aus der daß der Kollege Lowack von der CSU, der sich sicher-
Krise herauszuführen. Er wird deshalb auf längere lich keine große Nähe zu den politischen Vorstellun-
Sicht nicht zu erhalten sein. gen von Bündnis 90 und GRÜNEN nachsagen lassen
Das hat übrigens auch der derzeitige Ministerpräsi- will,
dent der Zentralregierung, Markovic, erkannt — da (Koschnick [SPD]: Zu Recht!)
muß ich Ihre Aussage, Herr Glotz, etwas relativie- kürzlich im gleichen Zusammenhang die KSZE ins
ren — , der den Teilrepubliken ein Minimalprogramm Spiel gebracht hat. Vielleicht besteht so die große
zur Funktionserhaltung bis zur vertraglichen Neure- Chance, einen gefährlichen Krisenherd zu beseitigen,
gelung der Beziehungen untereinander vorgeschla- wenn rechtzeitig mit dem gemeinsamen Nachdenken
gen hat. und Handeln aller Demokraten begonnen wird.
Slowenische und kroatische Politiker haben auf für (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und der
viele Osteuropäer charakteristische Weise das Be- CDU/CSU)
dürfnis nach Souveränität formuliert. Das kroatische
Mitglied des Staatspräsidiums Mesi ć stellt fest: Wir
können den Weg, den Europa genommen hat, erst Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat die Kollegin
jetzt nachholen. Der slowenische Präsident Ku čan Frau Dr. von Teichman.
sagt: Eine vernünftige Trennung ist die Vorausset-
zung für die Selbständigkeit und damit für die Grün- Frau Dr. von Teichman und Logischen (FDP): Frau
dung einer neuen Gemeinschaft souveräner Staa- Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
ten. Die heutige Debatte zeigt, daß wir alle mit Besorgnis
Hier zeigt sich eine emanzipatorische Komponente und mit großem Ernst die jüngsten Entwicklungen in
des Strebens nach nationaler Unabhängigkeit, wel- Jugoslawien beobachten.
ches oft allzu vereinfacht nur als Gefahr für die Ge- Bei dieser Debatte befinden wir uns auf einer Grat-
meinschaft der Völker dargestellt wird. wanderung. Einerseits können und wollen wir uns
Gewalt droht gegenwärtig vor allem auf Grund des nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen
serbischen Hegemonialanspruchs und der darauf be- Staates einmischen. Andererseits ist Deutschland als
ruhenden Menschenrechtsverletzungen. Gewalt wird Mitglied der Völkergemeinschaft, als Unterzeichner
angedroht von der von ehemaligen Parteifunktionä- von Menschenrechtskonventionen aufgerufen, zu den
ren beherrschten jugoslawischen Armeeführung, um Menschenrechtsverletzungen und zu den Rückschrit-
den Status quo aufrechtzuerhalten. ten im Demokratisierungsprozeß in Jugoslawien
Gewalt ist andererseits aber auch nicht auszuschlie- deutlich Stellung zu nehmen.
ßen, wenn sich Teilrepubliken von Jugoslawien tren- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
nen. Bürgerkriegsähnliche Zustände in mehreren Re- der CDU/CSU)
gionen könnten die Folge sein. Eine Konföderation Der Deutsche Bundestag darf dazu einfach nicht
souveräner Staaten ist wohl der einzig sinnvolle Aus- schweigen.
weg aus dem Dilemma.
Darüber hinaus berühren die Auseinandersetzun-
Lassen Sie mich abschließend ganz kurz zwei Vor- gen in Jugoslawien unsere Interessen als Nachbarn in
schläge machen, wie von außen Einfluß auf die Ent- Europa, auch ganz direkt. Die Instabilität der Födera-
wicklung genommen werden könnte. Wir schlagen tion bedeutet nicht nur eine Gefahr für den inneren
zwei Wege vor. Zum einen ist Jugoslawien auf finan- Frieden Jugoslawiens, sondern bedroht auch die Sta-
zielle Hilfe angewiesen. Das bet ri fft besonders die bilität der ganzen Region und Europa insgesamt.
ärmeren Republiken, zu denen auch Serbien gehört.
Solche Hilfe ist nur sinnvoll, wenn sie sich mit der Wir haben ein großes Interesse, daß die Integrität
Entwicklung demokratischer Verhältnisse und der Jugoslawiens erhalten bleibt. Wer heute nur noch den
Garantie der Minderheitenrechte verbinden läßt. Kre- einen Weg heraus aus der Föderation sieht, der sei
dite der EG von solch einer Entwicklung abhängig zu daran erinnert, daß eine unbedachte Loslösung mehr
machen erhöht sowohl die Chancen der Demokrati- Schaden als Nutzen bringen kann. Emotionen, mögen
sierung wie auch die Effizienz der Mittelverwen- sie noch so verständlich sein, sind ein schlechter poli-
dung. tischer Ratgeber. Auch die Interessen Gesamteuropas
an einer berechenbaren Entwicklung sollten hier
Zum anderen sollte eine Konferenz — da möchte ich nicht unbeachtet bleiben.
Ihnen ausdrücklich zustimmen, Herr Glotz — im
KSZE-Rahmen zur Behandlung der Probleme in Ju- Aber, meine Damen und Herren, eine Integration
um jeden Preis kann auch nicht das Ziel sein. Die Inte-
goslawien angeregt werden. Die KSZE verpflichtet
grität darf nur auf demokratische Art und Weise erhal-
alle europäischen Staaten auf Demokratie und Einhal-
ten werden.
tung der Menschenrechte, ist deshalb als Konflikt-
schlichtungs- und Kontrollorgan am ehesten geeignet (Dr. Geißler [CDU/CSU]: So ist es!)
und könnte somit den internationalen Rahmen des In einer Zeit, in der Europa immer mehr zusammen-
notwendigen Demokratisierungsprozesses bilden. wächst und in der unser Kontinent auf beispielhafte
Weise vorführt, wie f ri edliche Diskussion und kon-
struktiver Interessenausgleich sogar unter einst ver-
Vizepräsidentin Schmidt: Herr Kollege, kommen feindeten Staaten und Völkern aussehen können,
Sie bitte zum Schluß. muß es möglich sein, einen Weg zu finden für einen
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 409

Frau Dr. von Teichman und Logischen


friedlichen Dialog. Alles andere wäre gefährlicher Verheugen (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
Anachronismus. Wir müssen an den jugoslawischen ehrten Kolleginnen und Kollegen! Es zeichnet sich ab,
Ministerpräsidenten und an alle beteiligten Gruppen daß dies eine Aktuelle Stunde wird, in der wir in der
appellieren, diesen friedlichen Weg zu gehen. Frage, wie das zu beurteilen ist, was sich in Jugosla-
wien vor unseren Augen abspielt, breit übereinstim-
Selbstverständlich ist es notwendig, daß alle Bevöl-
men. Es zeichnet sich aber auch ab, daß dies eine
kerungsgruppen in dem Vielvölkerstaat Jugoslawien
Debatte wird, an deren Ende das Gefühl einer gewis-
über die Form ihres Zusammenlebens selbst entschei-
sen Ohnmacht, vielleicht sogar Resignation, übrig-
den.
bleibt, weil nur sehr wenig zu sehen ist, was wir denn
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten tatsächlich tun können, um dem Zerfall eines politi-
der CDU/CSU) schen und gesellschaftlichen Systems wie Jugosla-
wien entgegenzuwirken. Man muß sich klar darüber
Diese Form des Zusammenlebens kann nur von Dauer
sein: Es handelt sich in erster Linie um einen gesell-
sein, wenn sie das Ergebnis eines demokratischen
schaftlichen und daraus folgenden staatlichen Zer-
Entscheidungsprozesses, eines friedlichen politischen
fall.
Dialoges ist.
Jugoslawien ist deshalb ein so bedrückendes Bei-
Selbstverständlich, meine Damen und Herren, müs-
spiel, weil — ein Blick in die Geschichte Europas die-
sen die Menschen und Minderheitsrechte auf allen ses Jahrhunderts zeigt dies — Jugoslawien ganz si-
-

Seiten gewahrt bleiben, muß die Rechtsstaatlichkeit


cher die schwierigste aller Staatsgründungen gewe-
gewährleistet sein. sen ist. Man muß den Jugoslawen jetzt auch einmal
Wer die Autonomie im Kosovo abschafft, der hat etwas Gerechtigkeit widerfahren lassen. Die Tatsa-
keine überzeugende Position, wenn er andererseits che, daß sie es so lange geschafft haben, unter den
für sich selbst als Minderheit in Kroatien Autonomie Bedingungen zusammenzuleben, unter denen sie zu-
fordert. sammenleben mußten, ist eine beachtliche Leistung.
(Verheugen [SPD]: Sehr richtig!)
(Beifall bei SPD)
Gewalt und Unterdrückung führen zu keiner dauer- Man mag von dem früheren Staatschef Tito in vielerlei
haften Lösung, sondern enden nur in einer ausweglo- Hinsicht denken, was man will, aber daß er dieses
sen Situation. Sie würden das Leben vieler Menschen Land zusammenhalten konnte — er konnte es — , ist
— nicht nur in Jugoslawien — gefährden und der de- unabhängig von allem anderen tatsächlich eine Lei-
mokratischen Entwicklung ein Ende setzen. Damit stung, die man jetzt vielleicht noch deutlicher sieht als
wäre aber auch die weitere Annäherung Jugosla- früher.
wiens an die Europäische Gemeinschaft gefährdet.
(Dr. Müller [München] [CDU/CSU]: Das
Einsicht und Kompromißbereitschaft sind gefragt. konnte Stalin auch! — Weiterer Zuruf von
Die Grundsätze der Charta von Paris für ein neues der CDU/CSU: Mit Verfolgung der Opposi
Europa müssen eingehalten werden. Die Mitglied- tion!)
staaten des Europarates und die KSZE-Staaten sind-
aufgerufen, sich diesem Problem intensiv zu widmen Das gesellschaftliche Modell, das Jugoslawien ein-
und zu Lösungsansätzen beizutragen. mal war, ist lange dahin. Eben hat es etwas Unruhe
gegeben. Darum möchte ich darauf hinweisen, daß
Meine Damen und Herren, es ist nicht zu überse- die gesellschaftliche Alternative, die Jugoslawien dar-
hen, daß, wie so häufig, auch dieser Konflikt in Jugos- gestellt hat, von weiten Teilen nicht nur der deut-
lawien nicht nur ethnische, religiöse und politische schen, sondern auch der europäischen Linken mit
Gründe hat, sondern auch materielle Ursachen. Das großer Sympathie betrachtet worden ist, und zwar in
soziale und wirtschaftliche Gefälle bei gleichzeitiger einer Zeit, als die europäische Linke noch bis tief in
Anwesenheit von Minderheiten der jeweils anderen die Sozialausschüsse der Union hineinreichte — ich
Republik führt zu erheblichen Spannungen. Eine An- gebe zu: das ist heute nicht mehr der Fall; aber das
gleichung der Lebensverhältnisse ist eine Vorausset- war ja mal so —;
zung für den dauerhaften Bestand einer Föderation.
Dies gilt für den Vielvölkerstaat Jugoslawien genauso (Reddemann [CDU/CSU]: Aber nicht bei den
wie für die Völker der Europäischen Gemeinschaft. Sozialausschüssen!)
Hier ist die Europäische Gemeinschaft — hier sind außerhalb der europäischen Linken ist es, Herr Kol-
auch wir als Bundesrepublik gefordert. lege, wenigstens mit Interesse als eine Alternative
Ich danke Ihnen. innerhalb des kommunistischen Systems betrachtet
worden. — Sie — das weiß ich — haben da nie Grau-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie töne gesehen. Für Sie gab es immer nur schwarz und
bei Abgeordneten der SPD — Abg. Dr. Weng weiß, wie überhaupt in der Politik. Deshalb habe ich
[Gerlingen] [FDP] überreicht der Abg. Frau Sie aus dieser Darstellung ausdrücklich ausgenom-
Dr. von Teichman und Logischen [FDP] ei men.
nen Blumenstrauß)
Der staatliche Zerfall, den wir jetzt sehen, ist die
Folge der Tatsache, daß es auch diesem jugoslawi-
schen Modell nicht gelungen ist, die sozialen Span-
nungen, speziell zwischen Nord und Süd, zu überwin-
Vizepräsidentin Schmidt: Auch vom Präsidium ei- den. Dann sind eben all die alten Probleme, die kul-
nen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Jungfernrede. turellen und die ethnischen Gegensätze, wieder auf-
Nun hat der Kollege Verheugen das Wort. gebrochen, die Gegensätze an der Nahtstelle, wenn
410 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Verheugen
ich das so sagen darf, des alten Abendlandes und des hegemonial beherrschtes System sein sollte? Das sind
alten Morgenlandes. die Fragen.
Ganz sicher ist es auch so, daß in einer solchen Ich bin im Moment — ebensowenig wie die meisten
Situation alte Ressentiments erwachen. Das Schlimm- hier — nicht in der Lage, darauf eine Antwort zu ge-
ste, was passieren konnte, ist geschehen: Der alte ben. Darum begrüße ich es, daß diese Aktuelle Stunde
Streit von Nationalitäten um die Vorherrschaft ent- stattfindet, damit zumindest einmal das Problem defi-
stand neu. Darum muß hier noch ein deutliches Wort niert werden kann.
zu Serbien gesagt werden: Ich halte nichts davon, Ser- (Beifall bei der SPD)
bien in der innerjugoslawischen Auseinandersetzung
in die Rolle des bösen Buben zu schicken. Es gibt in
Serbien auch andere als Milošvi ć und seine Partei, mit Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Staats-
denen es sich auch zu reden und zu diskutieren minister im Auswärtigen Amt, der Kollege Schäfer.
lohnt.
Was aber nicht hingenommen werden kann, ist die Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau
massive, sich fortsetzende, sich sogar noch steigernde Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundes-
Menschenrechtsverletzung in Kosovo. Hier ist den regierung verfolgt die aktuellen Entwicklungen in Ju-
Menschen die Autonomie weggenommen worden. goslawien mit großer Aufmerksamkeit und Sorge. Die
Was sich im Augenblick abspielt, ist eine Form von gestrigen Beschlüsse des slowenischen Parlaments zu
Repression, die ganz offensichtlich darauf angelegt einer einvernehmlichen Auflösung der Sozialistischen
ist, die Albaner aus Kosovo zu vertreiben. Sie sollen Föderativen Republik Jugoslawien und die heutigen
dazu gebracht werden, daß Land zu verlassen. Beschlüsse des kroatischen Parlaments, wie wir sie
gerade dem Ticker entnehmen — sind ein weiterer
(Lummer [CDU/CSU]: Es sind 90 %! Das geht Schritt in Richtung auf eine Veränderung der bisheri-
doch gar nicht!) gen Staatsordnung dieses Landes.
— Das ist wie in anderen Teilen der Welt, die wir Der Anfang des Jahres begonnene politische Dialog
beide gut kennen, Herr Kollege Lummer, ein Fall, wo des jugoslawischen Staatspräsidiums, der Republik-
die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen eines führung und der jugoslawischen Bundesregierung
Landes zu Staatsbürgern zweiter oder sogar dritter über die zukünftige staatliche Ordnung des Landes
Klasse gemacht wird. Wie wir das in dem Teil, den wir wird zwar fortgesetzt, hat jedoch bisher keine sub-
beide im Auge haben, nicht wollen, so wollen wir das stantiellen Fortschritte erbracht. Er wird von vielfälti-
auch in Kosovo nicht. Das ist vollkommen klar. gen Gegensätzen und Interessenkonflikten über-
schattet, insbesondere von einem scharfen Konflikt
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zwischen Serbien, der jugoslawischen Volksarmee
der FDP) und der kroatischen Führung.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn der Deutsche Das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten hat
Bundestag in dieser Aktuellen Stunde sehr deutlich einen neuen Tiefpunkt erreicht. Slowenien und Kro-
den Apell an Serbien richtete, den Autonomiestatus atien haben als Frist für Ergebnisse der Gespräche
von Kosovo wiederherzustellen und den Menschen den Zeitraum bis Ende Juni 1991 gesetzt und drohen
dort das Verbleiben zu ermöglichen. Denn auch das andernfalls mit dem Austritt aus Jugoslawien. Durch
wollen wir sagen: Der Auswanderungsdruck, der dort die anhaltenden und hier auch von allen Kollegen dar-
erzeugt wird, ist einer, der — das sage ich ganz ego- gestellten Menschenrechtsverletzungen im Kosovo ist
istisch — auch uns erreichen kann die Lage zusätzlich beeinträchtigt worden.
(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Und erreicht!) Die jugoslawische Bundesregierung hat größte
Schwierigkeiten — auch das ist heute deutlich gewor-
— und uns bereits erreicht — und der uns Probleme den — , das weitere Funktionieren des Staates durch
schafft. Aber er ist auch einer, der in der Region selber ein Minimalprogramm sicherzustellen, bis die Ge-
ein internationales Problem schafft. In Verbindung spräche über die zukünftige staatliche Ordnung Ju-
mit den Problemen, die wir ohnehin schon in Albanien goslawiens Ergebnisse zeigen.
haben, ist das möglicherweise außenpolitisch gesehen Der Zusammenbruch des Handels mit den Staaten
der gefährlichste Aspekt. des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, der Aus-
Lassen Sie mich zum Schluß kommen: Ich rate sehr fall des Sowjetöls und die Auswirkungen des Golfkon-
dazu, daß sich die Bundesregierung und wir uns in- fliktes haben die wirtschaftlichen Probleme Jugosla-
nerhalb des Hauses ernsthaft Gedanken darüber ma- wiens noch verschärft. Folgen sind wirtschaftliche
chen, was wir tun können, um Einfluß zu nehmen. Da Schrumpfung — allein im letzten Jahr minus 10 % —,
werden alsbald Fragen auf uns zukommen, die zu sinkende Investitionen — 1990 eine Verringerung von
beantworten sind: Wie gehen wir denn damit um, 20 % —, Inflation — im vergangenen Jahr 120 % —,
wenn sich Slowenien und Kroatien abtrennen und steigende Arbeitslosigkeit und ein rasch wachsendes
dann vielleicht in die Europäische Gemeinschaft wol- Defizit in der Handelsbilanz, das 1990 erstmals seit
len? Sagen wir Ihnen: Wir sind nicht an jugoslawi- langem zu einer negativen Leistungsbilanz geführt
schen Teilrepubliken interessiert, sondern wir wollen hat und den in den letzten Jahren erreichten Zah-
Jugoslawien unbedingt als Ganzes? Wollen wir sa- lungsbilanzüberschuß gefährdet.
gen: Wir wollen Jugoslawien um jeden Preis als Gan- Zwar ist es — das ist auch zu Recht gesagt worden —
zes, auch dann, wenn es ein nicht demokratisches, innere Angelegenheit der Jugoslawen, über die Zu-
nicht pluralistisches, ein von einer ethnischen Gruppe kunft ihres Staates selbst zu entscheiden. Es ist jedoch
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 411

Staatsminister Schäfer
zu hoffen, daß es gelingt, diese Entscheidungen überwiegend für die Finanzierung der Verkehrsinfra-
— gleichgültig, wie sie ausfallen werden — zwischen struktur verwendet werden. Dies liegt auch im Inter-
allen Beteiligten einvernehmlich zu treffen. Andern- esse der Gemeinschaft, für die Jugoslawien schließ-
falls wäre nicht nur der innere Frieden Jugoslawiens, lich Transitland ist. Ende Dezember 1990 einigte sich
sondern auch die Stabilität in ganz Südosteuropa ge- die Gemeinschaft auf die finanziellen Ansätze im Ver-
fährdet. Schon jetzt ist das Verhältnis Jugoslawiens zu handlungsmandat für das 3. Finanzprotokoll 1991 bis
einigen Nachbarstaaten belastet: zu Ungarn wegen 1996: 730 Millionen ECU Darlehen der Europäischen
ungarischer Waffenlieferungen an Kroatien, zum sich Investitionsbank und 77 Millionen ECU Zuschüsse
öffnenden Albanien wegen des Kosovo, zu Griechen- aus dem EG-Haushalt. Gleichzeitig mit dem Finanz-
land und Bulgarien wegen eines wachsenden, teils protokoll soll mit Jugoslawien ein Transitabkommen
mit Gebietsansprüchen einhergehenden mazedoni- ausgehandelt werden. Wir haben uns auch dafür ein-
schen Nationalismus. gesetzt, daß Jugoslawien Mittel aus dem sogenannten
PHARE-Programm der EG für die mittel- und osteuro-
Wir sind uns mit unseren Partnern in der Europäi- päischen Länder im Rahmen der Gruppe der 24 er-
schen Politischen Zusammenarbeit einig, daß der Er-
hält.
halt Jugoslawiens und die Entwicklung neuer Formen
des Zusammenlebens seiner Völker und Republiken Jugoslawien wünscht die Einbeziehung in das EG
nur auf der Grundlage von Demokratie, Rechtsstaat- Assoziierungskonzept mit den mittel- und osteuropäi-
lichkeit und der Ergebnisse eines f riedlichen politi- schen Ländern. Wir unterstützen diesen Wunsch und
schen Dialogs, der auch das Selbstbestimmungsrecht hoffen, daß die politischen und wi rtschaftlichen Vor-
der Völker sowie die Menschen- und Minderheits- aussetzungen für die Aufnahme erfolgversprechender
rechte berücksichtigt, möglich sein wird. Assoziierungsverhandlungen hoffentlich bald erfüllt
werden. Im Einklang mit den Zwölf wird die Bundes-
Die Anwendung von Gewalt würde dagegen mit regierung im Dialog mit der jugoslawischen Regie-
Sicherheit in eine ausweglose Situation führen. Schon rung auch weiterhin für die Prinzipien der Demokra-
die Drohung mit Gewalt widerspricht den von Jugos- tie, der Achtung der Menschen- und Minderheiten-
lawien auf der Grundlage der KSZE-Dokumente ein- rechte und des friedlichen Dialogs als Grundlagen für
gegangenen Verpflichtungen, insbesondere der die Bestimmung der Zukunft des Landes eintreten.
Charta von Paris für ein neues Europa und des Kopen-
Die Bundesregierung hält es für wichtig, daß von
hagener Dokuments, und gefährdet die weitere Annä-
deutscher Seite auch das Gespräch mit den jugoslawi-
herung des Landes an die Europäische Gemein-
schen Republiken geführt wird. Die Bundesregierung
schaft.
appelliert an alle verantwortlichen Kräfte in Jugosla-
Dieser Haltung haben die Zwölf am 5. Februar in wien, in verantwortungsbewußtem Handeln dazu bei-
einer Demarche bei der jugoslawischen Regierung, zutragen, daß eine Form gefunden werden kann, in
die anschließend den jugoslawischen Republiken zur der die Völker Jugoslawiens auf demokratischer
Kenntnis gegeben wurde, zum Ausdruck gebracht. Grundlage ihren Platz in der europäischen Familie
Der Bundeskanzler hat in einem Schreiben vom 7. Fe- finden.
bruar — der Kollege Vogel hat es zitiert — an den- Vielen Dank.
jugoslawischen Ministerpräsidenten Markovic sein
persönliches Engagement in dieser Angelegenheit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
fortgesetzt.
Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Abge-
Die Demarche der Zwölf und das Schreiben des
ordnete Dr. Stercken.
Bundeskanzlers fanden breiten Widerhall in der ju-
goslawischen Öffentlichkeit und haben ihre Wirkung
insofern nicht verfehlt, als sich die Lage seitdem etwas Dr. Stercken (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine
entspannt hat. Damen und Herren! Europa geht den Weg der Verei-
nigung, der Integration, der Demokratie und der Re-
(Zuruf von der SPD: Oh!) spektierung der Menschenrechte. Dies ist der Weg
— Ich habe auch von der Demarche der Zwölf gespro- zum Frieden, der Weg zur Sicherheit durch Zusam-
chen, Herr Kollege. Wenn Sie nur auf den Bundes- menarbeit. Die Überzeugungen und Erfahrungen, die
kanzler abheben, waren Sie vielleicht etwas voreilig. wir in der Europäischen Gemeinschaft machen, emp-
— Derzeit gibt es keine Anzeichen für eine Einmi- fehlen wir anderen, die auch ihre regionalen Pro-
schung der Armee in den innerjugoslawischen Dialog. bleme entspannen könnten, wenn sie sich dieser Prin-
Signale einer gewissen Flexibilität kommen auch aus zipien bedienen würden.
Serbien, das einer Verlegung des für den 22. Februar Die ethnischen Eigenarten sind dann kein Abgren-
angesetzten nächsten Krisengipfels nach Sarajewo zungskriterium mehr. Für die meisten ist aber die
zugestimmt hat. Wertvorstellung der Einheit nur interessant und at-
Soweit wirtschaftliche Faktoren dazu beitragen traktiv, wenn sie sich in pluraler Mannigfaltigkeit er-
können, die innerjugoslawischen Gegensätze abzu- reichen läßt. Es geht nicht nur um Wirtschaft und
bauen, sei auf folgendes verwiesen: Neben der politi- Finanzen, so wichtig das Überleben auch sein mag.
schen Unterstützung Jugoslawiens im Rahmen der Natürlich ist die damit verbundene soziale Dimension
Zwölf unterstützt die Bundesregierung aktiv die lang- Bestandteil des Europas der Bürger, aber zum Bild des
jährige erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit Menschen gehören zunächst einmal seine Rechte, der
des Landes mit der Europäischen Gemeinschaft. Das Schutz der Persönlichkeit, wie ich denke.
bereits 1980 abgeschlossene Kooperationsabkommen Der Auswärtige Ausschuß hat mit einer Delega-
wird ergänzt durch Finanzprotokolle, deren Mittel tionsreise im November des vergangenen Jahres ver-
412 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Stercken
deutlichen wollen, was wir von neuen Partnern in kein Interesse an einer weiteren Desintegration Ju-
Europa erwarten. Aber wir entdeckten in unseren Ge- goslawiens und an einer völligen Loslösung einzelner
sprächen sehr unterschiedliche Einstellungen zu Republiken vom bisherigen jugoslawischen Staats-
grundsätzlichen Fragen. Oft schien der regionale Na- verband haben.
tionalismus stärker ausgeprägt als die Bereitschaft,
Auf der anderen Seite kann dieser Staat nicht mit
sich im Sinne der Politik der Europäischen Gemein-
Gewalt und auch nicht mit dem Anspruch etwa der
schaft und des Europarates länderübergreifenden
Armee oder dominierender Parteien oder dominanter
Orientierungen und Aufgabenstellungen zuzuwen-
den. nationaler Minderheiten, Hüter der Einheit zu sein,
zusammengehalten werden.
Europa besitzt schon seine transnationalen Struk-
turen, wendet also eine andere Qualität von Außen- Dabei füge ich hinzu, Herr Kollege Vogel: Nicht die
politik an im Vergleich zum Nationalstaat des Reste ideologischer Machtstruktur allein schaffen das
19. Jahrhunderts. Jede Halbherzigkeit, jeder engstir- Problem, das trennend ist, sondern es sind ebenso
nige Nationalismus erschwert daher die Verbindung sicher die religiösen, wirtschaftlichen und ethnisch
mit Europa. Das müssen alle Republiken Jugosla- kulturellen Faktoren, die trennend wirken und dies
wiens erkennen und akzeptieren. Sonst geht die auch weiterhin tun werden.
Grenze zwischen Billigung und Ablehnung einer eu- Soweit es überhaupt noch Chancen für einen Zu-
ropäischen Option quer durch das Land. Nicht die sammenhalt gibt, können sie nur auf der Basis der
ökonomischen Ungleichgewichtigkeiten sind das Gleichberechtigung, der Freiwilligkeit und allseiti-
Trennende — die gibt es auch in anderen europäi- ger Kompromißbereitschaft genutzt werden. Gerade
schen Ländern —, das Bekenntnis zu den neuen euro- im letzten Punkt haben die Jugoslawen bisher ein
päischen Strukturen ohne jedweden nationalstaatli- erstaunliches Standvermögen an den Tag gelegt. Ich
chen Chauvinismus ist das eigentliche Entschei- hoffe, daß man darauf auch weiterhin bauen kann.
dungskriterium, um das es uns geht, wenn wir uns mit
unseren Gedanken und Empfehlungen in diesen sich Lassen Sie mich einige Bemerkungen aus der Sicht
immer mehr zuspitzenden Prozeß einschalten. Wir eines Mitglieds der Delegation des Europarats ma-
werben für ein uns allen willkommenes europaorien- chen. Jugoslawien hat vor einem Jahr, als der Desin-
tiertes Jugoslawien, in dessen Republiken insgesamt tegrationsprozeß noch nicht soweit fortgeschritten
dieses Konzept und seine Konsequenzen bejaht und war, den Antrag gestellt, Vollmitglied des Europarats
vollzogen werden müssen, nicht nur in den nördli- zu werden. Die Parlamentarische Versammlung des
chen. Europarats — Der Kollege Reddemann weiß das als
unmittelbar Beteiligter auch sehr gut — hat sich bisher
Der Auswärtige Ausschuß hofft, in Kürze seine Ge-
noch nicht in die Lage versetzt gesehen, diesem An-
spräche mit den Kollegen aus den Republiken Jugos- trag zuzustimmen. Nicht zuletzt die Vorgänge im
lawiens fortsetzen zu können. Wir haben, wie die Kol-
Kosovo spielen dabei ein erhebliche Rolle.
legen aus anderen Parlamenten, aus dem Europäi-
schen Parlament und dem Europarat in Belgrad und in Es sind im wesentlichen zwei Bedingungen, die
den Hauptstädten der Republiken keinen Zweifel - nach der Diskussion im Politischen Ausschuß des Eu-
daran gelassen, daß es kein Europa ohne freie Euro- roparats zu erfüllen sind. Die eine Voraussetzung be-
päer, keine wirtschaftlichen Vorteile ohne die Akzep- steht darin, daß freie Wahlen auf der Ebene des Bun-
tanz grenzüberschreitender Gemeinsamkeiten auf desstaats abgehalten werden, falls die künftige Ver-
der Grundlage von Marktwirtschaft, Freiheit und fassung dies überhaupt noch vorsieht.
Recht gibt. Die zweite Voraussetzung ist die Ratifizierung der
(Verheugen [SPD]: Marktwirtschaft auch?) Europäischen Menschenrechtskonvention, also auch
Wir warten jetzt auf überzeugende Zeichen der euro- des dort enthaltenen Rechts auf Individualbe-
päischen Neuorientierung aus Serbien und den ande- schwerde bei der Europäischen Kommission für Men-
ren südlichen Republiken. Dies so offen anzusprechen schenrechte und beim Europäischen Gerichtshof für
ist, so denke ich, ein Zeichen der Ehrlichkeit und nicht Menschenrechte, eine Ratifizierung ohne jeden Vor-
unerlaubte Einmischung. behalt, und sei es auch nur ein territorialer Vorbehalt.
Gemeinsamkeit kann nur zustande kommen, wenn Das schließt ausdrücklich die Möglichkeit von Indivi-
sich alle Republiken Jugoslawiens an diesen Prinzi- dualbeschwerden von Bürgerinnen und Bürgern des
pien gleichermaßen ausrichten: an der europäischen Kosovo in Straßburg ein.
Freiheit und Freizügigkeit, am Respekt vor dem Recht Damit bin ich bei einem weiteren Problem. Wir
aller Menschen. Diese Werte liegen dem europäi- brauchen — unabhängig davon, ob die Erhaltung des
schen Frieden zugrunde, um den es letzten Endes jugoslawischen Bundesstaats gelingt oder nicht —
geht. dringend eine europäische Minderheitenschutzkon-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie vention,
bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
und beim Bündnis 90/GRÜNE)
Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Abge- die auch ein Klagerecht von nationalen, kulturellen,
ordnete Dr. Soell. sprachlichen und religiösen Minderheiten und deren
frei gewählten Vertretern beim Straßburger Gerichts-
Dr. Soell (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ver- hof garantiert. Das geht weit über die Probleme Jugo-
ehrten Damen und Herren! Es ist schon in den Beiträ- slawiens hinaus und betrifft alle Minderheiten im zu-
gen der anderen Kollegen deutlich geworden, daß wir sammenwachsenden Europa, natürlich auch im zu-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 413

Dr. Soell
sammenwachsenden Deutschland, bis hin zu den Mit- vor allem sind die Menschenrechte, die jedem einzel-
bürgerinnen und Mitbürgern sorbischer Sprache und nen zustehen, in einem solchen Staat gesichert?
Kultur. Hierbei ist festzustellen, daß die Parlamentari-
sche Versammlung des Europarats in seiner sehr aus- An dieser Stelle sollten wir in aller Ruhe sagen —
führlichen Empfehlung an den Ministerrat vom hierbei hebe ich mich vielleicht ganz wenig von dem
Herbst 1990 eine wichtige Vorarbeit geleistet hat. ab, was der eine oder andere hier gesagt hat — : Es
Jetzt ist es am Ministerrat, bei uns natürlich vor allen kommt nicht nur auf die Frage an, ob wir Jugoslawien
Dingen Sache des federführenden Außenministeri- auf jeden Fall erhalten sehen möchten. Selbstver-
ums, die notwendige Feinarbeit beschleunigt voran- ständlich hätten auch wir Deutschen dies aus unserer
zutreiben. Das Warten auf etwaige Ergebnisse der generellen Sicht gerne gesehen. Aber vergessen wir
KSZE-Konferenz, die im Juli diese Jahres stattfinden bitte nicht: Es gibt in Europa auch eine Fülle kleiner
soll, bringt nach unserer Meinung eine Verzögerung Staaten, die wesentlich weniger Einwohner haben als
mit sich, die nicht zu verantworten ist. etwa ein slowenisch-kroatischer Staat oder vielleicht
auch als ein slowenischer und ein kroatischer Staat.
Die Probleme, die es in West- und Südeuropa, auch
in Ländern der Europäischen Gemeinschaft und damit Die Politiker und die Menschen in diesen Staaten
des Europarates, gibt, sind zwar nicht zu übersehen, sind durchaus nicht ohne weiteres der Auffassung,
sie sollten uns aber angesichts der ungleich größeren, daß nur große Staaten — jetzt sage ich einmal: ein
ungleich brennenderen Minderheitenproblematik im wieder größer gewordener Staat wie Deutschland —
östlichen und südöstlichen Europa — bis hin zur So- in Europa das Normale sind. Deswegen ist meine feste
wjetunion — nicht daran hindern, die Arbeit an einer Überzeugung: Es ist zwingend notwendig, daß wir
Minderheitenschutzkonvention beschleunigt voran- das Thema Selbstbestimmungsrecht in der Frage der
zubringen. Entwicklung in Jugoslawien an den Anfang stellen;
Solange diese Konvention nicht existiert, bietet der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
Europarat durch seine Versammlung seine guten ordneten der SPD)
Dienste als Berater, als Vermittler und als Dialogpart-
ner an; denn wir wollen zumindest den bisher erreich- denn dann sind wir in Einklang mit den übrigen euro-
ten Gaststatus für Jugoslawien nicht gefährden, son- päischen Staaten.
dern erhalten.
Ein zweiter Punkt ist wichtig, und er ist aus der Sicht
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre des Europarats geradezu zwingend. Wir sind zwar mit
Geduld beim Zuhören. Jugoslawien seit vielen Jahren im Gespräch, in einem
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ positiven Gespräch, wie ich als Teilnehmer vieler sol-
GRÜNE sowie bei der CDU/CSU und der cher Gespräche sagen kann. Aber wir müssen noch
FDP) immer feststellen, daß die Menschenrechte nicht nur
im Kosovo, sondern vor allem auch in den südlichen
Republiken der augenblicklichen Sozialistischen Fö-
Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Abge-- derativen Republik Jugoslawien nicht garantiert wor-
ordnete Reddemann. den sind. Wir erleben immer wieder, daß Delegatio-
nen zu uns nach Straßburg mit ganz konkreten Fällen
kommen, bei denen deutlich ist, daß dort der Polizei-
Reddemann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine staat — egal, ob er nun kommunistisch untermauert ist
Damen! Meine Herren! Dies ist zwar die erste Debatte oder nationalistisch gefüttert worden ist — noch im-
über eine neue Situation im Südosten Europas, aber es mer in dieser Form besteht.
ist sicher nicht die letzte. Denn wir wollen uns darüber
im klaren sein, daß die vielen Zündstoffe, die sich Dies bedeutet, daß für uns der zweite Punkt ent-
angesiedelt haben, nicht nur in Jugoslawien liegen, scheidend sein muß, daß wir Jugoslawien oder Teile
sondern daß die stalinistische Herrschaft über Ost- Jugoslawiens erst dann in der europäischen Völker-
und Südosteuropa nur verdeckt hat, daß in einer Fülle familie so voll begrüßen können, wie wir es möchten,
von Staaten ähnliche Probleme mit Minderheiten und wenn auch diese Fragen der Menschenrechte geklärt
ähnliche Fragen der Grenzen eine große Rolle spielen, sind und man nicht dauernd mit neuen Vorwürfen
und zwar in ständig steigendem Maße. Ich fürchte gegen Polizei, gegen die Justiz und gegen die Armee
also, wir werden über dieses Thema noch häufiger rechnen muß.
sprechen müssen.
Meine Damen, meine Herren, es wäre schön, wenn
Ich bedanke mich beim Herrn Kollegen Soell, daß er wir es schaffen würden, uns nicht jetzt noch über die
den Europarat ins Spiel gebracht hat; denn ich glaube, Frage zu streiten, wie denn das jugoslawische System,
es ist zwingend notwendig, daß wir die Situation in das jugoslawische Modell richtig wäre.
Jugoslawien und auch auf dem Balkan überhaupt
nicht nur aus dem nationalen Interesse betrachten. Es hat mich tief beeindruckt, daß der Herr Kollege
Wir müssen den Maßstab anlegen, den der Europarat Modrow darüber gesprochen hat. In den Zeiten, als
in vielen Jahren erarbeitet hat und der es erforderlich ich noch in der sogenannten DDR leben mußte, war
macht, die Situation eines Landes eben nicht nur nach Titoismus etwas, das mit Gefängnis bestraft wurde. Es
den Fragen: Wie groß ist welcher Wirtschaftsanteil? hat mich etwas amüsiert, daß der Herr Kollege Ver-
Wie interessiert sind wir an möglichen Sicherheits- heugen voll in diese Sache hineingefahren ist. Als er
maßnahmen? zu bewerten. Der Maßstab, den wir an- noch in der Partei dort drüben war, hat einer seiner
legen, lautet: Wo ist die Souveränität eines Staates, wo Parteivorsitzenden gesagt, das jugoslawische Modell
ist das Menschenrecht auf Selbstbestimmung und wo sei praktisch das Ärgernis des Kapitalismus und des
414 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Reddemann
Sozialismus zusammen. Wir wollen darüber heute wenn sich die Nationen in Europa verständigen könn-
keine Diskussion führen. ten, dieses Europa in einer größeren Gemeinschaft
(Verheugen [SPD]: Ich habe gesagt, daß die aufzubauen, wie Sie es, Herr Stercken, ja vorhin ge-
Linke das gut fand! Ich habe nicht gesagt, sagt haben.
daß ich das gut fand! Sie sind immer ein alter Von daher sage ich: Alles, was die Auflösung in
Verleumder gewesen!) Jugoslawien bewirkt, ohne eine Perspektive für Eu-
— Verehrter Herr Kollege! Reden wir nicht weiter dar- ropa zu bringen, ist für mich ein Zurück nach gestern.
über. Da Sie sich ja eben selbst als Meister der Grau- Nur: Ich bin kein jugoslawischer Staatsbürger, ich bin
töne bezeichnet haben, ist mir das Thema egal. kein Staatsbürger von Slowenien, obwohl mein Name
Ich habe nur eine abschließende Bitte: daß wir in slowenisch sein könnte.
den Punkten, in denen die Möglichkeit besteht, mit- (Zuruf von der CDU/CSU: Wer weiß!)
einander zu arbeiten und miteinander auch gegen-
über Jugoslawien oder Teilen Jugoslawiens tätig zu — Nein, nein! Ich bin Kaschube. Mein Name heißt im
sein, diese Gemeinsamkeit erhalten, damit wir auf die Kaschubischen „Korbmacher" . In Slowenien hieße
Weise in einem Teil Europas die Menschenrechte ein ich Mäher. Korbmacher ist glaubwürdiger.
Stück stabilisieren und auch ein Stück zur Gemein- (Heiterkeit)
samkeit Europas beitragen.
Ich weiß nicht genau, ob wir nicht eigentlich eine Posi-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tion einnehmen müßten zu sagen: Können wir den
Menschen nicht mit einer Perspektive in die Zukunft
Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Kollege helfen, statt zu dem Alten zurückzukehren? Das ist
Koschnick. eine Frage, mit der wir auch am Baltikum konfrontiert
sind, mit der wir konfrontiert sind in bestimmten Be-
Koschnick (SPD): Meine sehr verehrten Damen und reichen Europas, in der Sowjetunion, in der Moldawi-
Herren! Nur ganz wenige Worte! Ich spreche hier als schen Republik und in anderen Gebieten. Wo sind die
ein Mann, der in jungen Jahren am Straßenbau in Antworten? Können wir nicht — ohne daß wir sagen,
Jugoslawien mitgearbeitet hat, um einen Teil der Fol- wir wissen es besser — einen Weg finden, gemeinsam
gen des Krieges in einem Land zu beseitigen, das etwas zu bauen, das uns weiterhilft? Wenn die Men-
ungemein unter deutscher Besatzung gelitten hat. Ich schen sagen: Aber nicht mehr in dieser Konstruktion,
gehöre zu einer jungen Generation, die damals hoffte, dann, sage ich, sollen sie entscheiden, einen anderen
daß ein Modell wie Skandinavien in sozialen Fragen, Weg zu gehen. Aber werben werde ich dafür, nicht
die Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien und die auseinanderzulaufen, sondern neue Formen des Mit-
Kibbuz-Bewegung in Israel neue Perspektiven geben einanders zu finden. Das gilt für Slowenien, das gilt
könne. Ich weiß, es war falsch. Aber ich sage nichts für Kroatien, das gilt für andere Bereiche.
gegen die Hoffnung, die wir Jungen damals hatten, Gleichzeitig sage ich: Ich bin für den Europarat als
weil es neue Entwicklungen waren. eine Perspektive, zunächst einmal den großen Brük-
In diesem Parlament gibt es eine Menge Leute, die kenbau zu schaffen, die geistig-kulturellen europäi-
eine Zeitlang für Jugoslawien waren, nur weil sie anti- schen Dinge zusammenzuführen, die Menschen-
stalinistisch waren, und die manches getan haben, rechtsfragen, die kulturellen Fragen, die Rechtsfragen
weil Jugoslawien auf einer anderen Ebene gearbeitet anzugehen. Dann kann man aber kein Strafrecht
hatte. Andere waren der Meinung, es gebe eine neue mehr haben wie noch vor einem Jahr Jugoslawien, wo
Veränderung in einem sozialen Bezug, wie wir sie Gesinnung statt Taten bestraft wurde.
erhofft haben, was aber, wie wir hinterher festgestellt (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)
haben, sehr unrealistisch war.
Wir haben alle gelernt, ich jedenfalls, und ich Das hat sich inzwischen geändert.
meine, ich müßte mich deswegen nicht schämen. Ei- Ich bin der Meinung, wir haben Perspektiven in der
nes aber weiß ich: Zu einem Zeitpunkt, zu dem wir uns Menschenrechtsfrage. Ich kann sie aber nicht lösen,
gemeinsam bemühen, in Richtung auf eine politische indem ich sage: Ich weiß genau, wo die Grenze ist, ich
Union in Europa hinzuarbeiten, während wir in Rich- weiß, was weiter gemacht werden muß. Eines weiß ich
tung auf die Vereinigten Staaten von Europa arbeiten auch: Eine Dezimierung Europas in einem bestimm-
— ich greife gern auf, was Hans Stercken vorhin hier ten Haus außerhalb des EG-Rahmens in immer klei-
gesagt hat — , stellen wir zugleich fest, daß die Auflö- nere Staaten bedeutet, daß immer weniger Staaten
sung des Kalten Krieges in Europa neue Dinge zum ökonomisch lebensfähig sein werden. Wir werden die
Aufbruch bringt, von denen wir gehofft hatten, sie politische Umstrukturierung erreichen: Selbstbe-
wären überwunden. Nicht nur im jugoslawischen Be- stimmung, Freiheit, Demokratie. Und dann bricht die
reich, auch in anderen Teilen zeigen sich neue Natio- Demokratie zusammen, weil am Ende die materiellen
nalismen, die wir ernst zu nehmen haben, und zwar Voraussetzungen für die Demokraten, die entschei-
nicht weil wir Antworten zu geben haben. „Am deut- den, nicht mehr gegeben sind.
schen Wesen soll die Welt genesen" , ist nicht meine
(Zuruf von der FDP: So ist es!)
Position. Aber ich wäre sehr froh, wenn es eine Per-
spektive für den Balkan gäbe, die nicht in die Jahre Wir haben doch alle 1933 und anderes mitgemacht.
nach 1900 und zu den ersten drei Balkankriegen mit Laßt uns also gemeinsam nachdenken und nicht sa-
dem „Pulverfaß Balkan" zurückführt, die auch nicht gen: Wir wissen es besser. Laßt uns den Dialog erhal-
zur panslawistischen Position nach 1919 hinführt, son- ten und sagen: Nicht das Sprengen Europas, nicht das
dern deutlich macht: Es müßte eigentlich besser sein, Sprengen eines Verbandes ist die Antwort, sondern
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 415

Koschnick
die Antwort kann nur lauten: Soviel Freiheit wie mög- Wenn Sie sich einmal anschauen, wie Schulunter-
lich, soviel Selbstbestimmung wie möglich, Men- richt für Albaner heute abgehalten wird, wenn Sie
schenrechte nicht soviel wie möglich, sondern prinzi- berücksichtigen, daß 1 400 mittelständische Bet riebe
piell, und Wege, die dabei helfen können, daß wir geschlossen wurden, dann wissen Sie, daß der Weg zu
Europa gemeinsam zusammenhalten. Das wäre Pluralismus und Demokratie dort sicher nicht began-
meine Antwort. Lassen Sie uns da zusammenarbei- gen wird.
ten. Der Bund der Kommunistischen Partei Serbiens hat
Danke schön. sich aufgelöst. Er hat sich zusammen mit der Soziali-
stischen Allianz zur Sozialistischen Partei Serbiens
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
vereinigt. Er hat nebenbei auch über 100 Millionen
FDP)
DM an Vermögen dieser Parteien übernommen und
führt die alte Politik unter einem neuen Namen im
Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Abge- Grunde genommen weiter. An die Stelle des Kommu-
ordnete Dr. Müller. nismus ist ein Nationalismus, Sozialismus, Populismus
unter großserbischen Vorzeichen getreten.
Auch Serbien hat sich eine Verfassung gegeben,
Dr. Müller (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kol- die nationalstaatlich ist. In Art. 72 heißt es, daß das
leginnen und Kollegen! Als vor vier Jahren. die Föde- serbische Parlament über Krieg und Frieden entschei-
rative Sozialistische Volksrepublik Jugoslawien ihre det und internationale Verträge ratifiziert.
Unterschrift unter die europäische Kulturkonvention Die Lage scheint explosiv zu sein. Wir können nur
setzte, haben viele in Europa gehofft, daß zu diesem
hoffen, daß es gelingt, daß diejenigen, die in diesem
Zeitpunkt eine neue Entwicklung beginnen könnte.
Teil Europas echte Reformen wollen, auf friedlichem
Jugoslawien ist Mitglied im Rat für Kulturelle Zusam- Wege im Gespräch im Rahmen der KSZE mit Hilfe der
menarbeit geworden, als erstes jener Länder, die im Europäer noch zu einer solchen Vereinbarung kom-
Rahmen des Auflösungsprozesses des Warschauer
men können.
Paktes erst im letzten Jahr dazugekommen sind. Es
war übrigens damals neben Finnland das einzige In wenigen Stunden — kann man sagen — findet in
Land außer den Mitgliedsländern des Europarates, Sarajewo ein nächster Krisengipfel der jugoslawi-
das die Kulturkonvention unterschrieben hatte. Auch schen Führung statt, genau dort, wo durch die Ermor-
die bilaterale und transnationale Zusammenarbeit in dung des Thronfolgers Franz Ferdinand der Erste
verschiedenen Gremien wie etwa der Arbeitsgemein- Weltkrieg ausgelöst wurde. Franz Ferdinand, ein
schaft Alpen/Adria mit den Teilrepubliken Slowenien Mann, der eine vorsichtige Förderung der individuel-
und Kroatien hat gezeigt, daß Jugoslawien auf dem len und nationalen Bestrebungen der Völker der Do-
Wege zu Europa war. nau-Monarchie damals unterstützt hat, wurde von
großserbischen Verschwörern ermordet.
Im Februar 1989 hat auf einer ZK-Sitzung des Bun-
des der Kommunisten, der regierenden Partei, der Dieses Menetekel von 1914 sollten alle Europäer,
damalige Vertreter Sloweniens, Milan Kucan, folgen-- aber auch diejenigen, die in den nächsten Tagen beim
des zu Protokoll gegeben: Krisengipfel über die Zukunft Jugoslawiens verhan-
deln, immer im Hinterkopf haben.
Jugoslawien wird eine demokratische Gesell-
schaft werden oder nicht mehr existieren. Es kann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
keine Demokratie ohne politischen Pluralismus ordneten der SPD)
geben.
Ich glaube, das war eine sehr kluge Aussage auf die- Vizepräsident Schmidt: Das Wort hat der Kollege
ser ZK-Sitzung. Nur, die Entwicklung, die wir seitdem Freiherr von Schorlemer.
erlebt haben, hat offensichtlich gezeigt, daß dies in
Gesamtjugoslawien nicht möglich war. Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU): Frau Präsi-
Während in Slowenien und Kroatien der Weg zur dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
Demokratie beschritten wurde, erlebten wir in ande- glaube, diese Aktuelle Stunde hat deutlich gemacht,
ren Teilen Rückschläge. In Serbien wurde gar ein daß wir alle hier im Deutschen Bundestag die aktuelle
gegenteiliger Weg beschritten. Unter Mißachtung Entwicklung in Jugoslawien mit Sorge und mit Auf-
selbst der gültigen Bundesverfassung wurden die bei- merksamkeit verfolgen. Ich denke, daß uns nicht nur
den autonomen Provinzen Woiwodina und Kosovo ih- die Geschichte dieses Jahrhunderts lehrt: Ein Zusam-
rer Unabhängigkeit beraubt. menleben in einem Staat mit mehrern Völkern unter-
schiedlicher Religionen, Kulturen und Sprachen ist
Lassen Sie mich hier nur eine kleine Nebenbemer- letztlich nur in einer demokratischen Ordnung mit
kung zu dem Kollegen Verheugen machen: Ich gehe starken föderativen Strukturen und dem Erleben der
nicht so weit, zu sagen: Die große Leistung Titos be- eigenen kulturellen und religiösen Identität mög-
steht dari n, daß er Jugoslawien zusammengehalten lich.
hat; denn es kommt immer auch auf die Methoden an,
mit denen ein Staat zusammengehalten wurde. Ich glaube, es ist auch deutlich geworden, daß eine
Armee, die sich jetzt vornehmlich als innenpolitische
(Koschnick [SPD]: Keine Ang riffe gegen Macht darstellt, auf Dauer nicht den inneren Frieden
Strauß hier!) und den inneren Ausgleich bringen kann. Die Jugo-
Während Apartheid in Südafrika auf den Müllhaufen slawen haben — auch das hat diese Debatte deutlich
der Geschichte geworfen wird, feiert sie im Kosovo gemacht — selber erkannt, daß ihre bisherige staatli-
fröhliche Urständ. che Form, nämlich die Sozialistische Föderative Repu-
416 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Freiherr von Schorlemer


blik, überholt ist. Das System der Arbeiterselbstver- nes Gesetzes zur Änderung des Außenwirt-
waltung als Wirtschaftsordnung ist total gescheitert. schaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung
Daher steckt Jugoslawien jetzt in einer tiefen wirt- — Drucksache 12/104 —
schaftlichen und sozialen K rise. Daher wurden seit
1988 marktwirtschaftliche Reformen eingeleitet. Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wi rt schaft (federführend)
Wir Deutsche haben nach zum Teil wechselvoller Innenausschuß
Geschichte ein positives Verhältnis zu den Völkern in Rechtsausschuß
Jugoslawien. Wir sind seit jeher der größte westliche ZP12 Erste Beratung des von der Fraktion der SPD
Handelspartner Jugoslawiens. Wir haben die Rolle eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Jugoslawiens unter den Blockfreien immer als bedeu- Einschränkung von Rüstungsexporten
tend anerkannt. Wir wissen, daß jährlich millionenfa-
che persönliche Begegnungen zwischen Deutschen — Drucksache 12/120 —
und Jugoslawen im Urlaub stattfinden. Es gibt allein Überweisungsvorschlag:
22 deutsch-jugoslawische Städtepartnerschaften. Ausschuß für Wirtschaft (federführend)
Innenausschuß
Deswegen verfolgen wir mit Sorge die Entwicklung Rechtsausschuß
in diesem Land und appellieren an alle Verantwortli-
chen auf der jugoslawischen Bundesebene, besonders ZP13 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
aber an die Verantwortlichen in Slowenien, in Kro- Maßnahmen zur Einschränkung von Rü-
atien, in Bosnien-Herzegowina, in Makedonien, Mon- stungsexporten
tenegro, in der Woiwodina, im Kosovo und vor allem
im größten Teilstaat, in Serbien. — Drucksache 12/119 —
Überweisungsvorschlag:
Die nahezu einstimmige Entscheidung des sloweni-
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)
schen Parlaments am gestrigen Tage und auch die Innenausschuß
heutige Entscheidung des Parlaments von Kroatien Rechtsausschuß
über eine neue staatliche Einteilung Jugoslawiens
ZP14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lede-
bzw. die absolute Selbständigkeit von bisherigen Teil-
rer und der Abgeordneten von PDS/Linke Li-
staaten ist für mich eine Entscheidung für die morgen
ste
stattfindende Konferenz über die Zukunft Jugosla-
wiens. Ich hoffe, daß am 22. Februar alle Gesprächs- Rüstungsexportverbot ins Grundgesetz —
partner diese Entscheidung Sloweniens und Kroatiens Stopp der Rüstungsproduktion
richtig gewichten. — Drucksache 12/116 —
Ich hoffe aber besonders, daß wir darin einig sind Überweisungsvorschlag:
— diese Debatte hat das deutlich gemacht — , daß die Ausschuß für Wirtschaft (federführend)
Entwicklung neuer Formen des Zusammenlebens der Innenausschuß
Völker und Republiken Jugoslawiens nur auf einer Rechtsausschuß
Basis von Rechtsstaatlichkeit und von Demokratie Meine Herren und Damen, nach einer interfraktio-
möglich ist, daß Menschenrechte und Minderheiten- nellen Vereinbarung ist für die Beratung eine Stunde
rechte berücksichtigt werden müssen und daß auf die vorgesehen. Besteht darüber Einverständnis? — Ich
Anwendung von Gewalt verzichtet werden muß. sehe keinen Widerspruch. Dann ist dieses so beschlos-
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß es in sen.
Jugoslawien viele Verantwortliche gibt, die dies auch Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol-
so sehen. Ich glaube, daß dieser Appell der Aktuellen lege Kittelmann.
Stunde gerade von diesen als ein verantwortungsbe-
wußter Appell verstanden und aufgegriffen wird.
Ich bedanke mich.
Kittelmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Damen und Herren! Der heute zur Debatte stehende
bei Abgeordneten der SPD) Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Außenwirt-
schaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung fällt in
eine hochsensible Zeit, die gerade von uns Deutschen
Vizepräsidentin Schmidt: Meine sehr geehrten zügiges politisches Handeln erfordert. Es ist meines
Herren und Damen, die Aktuelle Stunde ist damit Erachtens nicht nur eine politische, sondern auch eine
beendet. moralische Notwendigkeit, den Gesetzentwurf in den
Ausschüssen sehr schnell zu beraten, um die Ver-
Dem Kollegen Verheugen erteile ich wegen seiner schärfung des Außenwirtschaftsgesetzes möglichst
unparlamenta rischen Äußerung „alter Verleumder", schnell auf den Weg zu bringen.
die an den Kollegen Reddemann gerichtet war, einen
Ordnungsruf. Besonders hervorzuheben sind die zukünftige Be-
handlung von Verstößen gegen Sanktionen der Ver-
(Beifall bei der CDU/CSU) einten Nationen als schwere Fälle der Strafbarkeit
und auch die Anhebung der Mindeststrafe auf ein
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 sowie die
Jahr; ebenso die regelmäßige Ahndung als Straftat bei
Zusatztagesordnungspunkte 12 bis 14 auf: Ausfuhrgenehmigungen, die durch falsche Angaben
Erste Beratung des von den Fraktionen der über die militärische Verwendung erschlichen wor-
CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs ei- den sind.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 417

Kittelmann
Über die angestrebte Aufklärung im Vorfeld und mission einen Verordnungsentwurf für den Export
die erweiterten Befugnisse des neustrukturierten Zoll- chemischer Vorprodukte vorlegen sollte. Darüber hin-
kriminalamtes müssen wir uns in den Ausschüssen aus habe ich für die CDU/CSU in der Debatte um das
noch mehr Klarheit verschaffen. Außenwirtschaftsgesetz im vergangenen Jahr klare
Das Gesetzesvorhaben muß in diesem Zusammen- Richtlinien der EG-Kommission für den Export sensib-
hang als konsequente Fortentwicklung der schon im ler Technologien gefordert. Ohne solche Regelungen
Juni des vergangenen Jahres durchgeführten Ver- werden unsere Bemühungen in bestimmten Berei-
schärfung des Außenwirtschafts- und Kriegswaff en- chen ohne Erfolg bleiben. Ich finde es gut, daß diese
kontrollgesetzes verstanden werden. Formen von Initiativen öffentlich endlich mehr Auf-
merksamkeit finden und diskutiert werden.
Die damalige Strafverschärfung war Ausdruck des
ernsten Anliegens der Bundesregierung und der sie Über die internationale Kontrolle des Rüstungsex-
tragenden Koalitionsfraktionen sowie der Opposition, ports wird in verschiedenen Bereichen diskutiert wer-
daß weder deutsche Bürgerinnen und Bürger noch den. Darüber werden wir auch mit den Sozialdemo-
deutsche Technologie zur Entwicklung, Produktion, kraten in den Ausschüssen und wahrscheinlich auch
zum Handel und zur Verbringung von chemischen, im Plenum in nächster Zeit häufiger debattieren.
biologischen und atomaren Waffen beitragen. Lassen (Wissmann [CDU/CSU]: So ist es!)
Sie mich deshalb an dieser Stelle sehr deutlich sagen:
Es ist der illegale Waffenexport, der die Bundesrepu- Es wird zu prüfen sein, ob es Möglichkeiten gibt, diese
blik und ihre Wirtschaft in Verruf gebracht hat. Es Kontrolle auch über die Westeuropäische Union oder
steht völlig außer Frage, daß es mit diesen Gesetzes- über Europa hinaus in die KSZE einzuführen. Es ist
brechern keine Gnade geben darf und ihnen drasti- auch anzuregen, daß diese Frage im NATO Rat häu-
-

sche Strafen aufzuerlegen sind. figer zur Sprache kommt, damit auch dort möglicher-
weise Initiativen entwickelt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Rüttgers
[CDU/CSU]: Sehr richtig!) Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu der
innenpolitischen Diskussion über das überaus wich-
Darüber hinaus kann überhaupt kein Zweifel daran tige Thema des Waffenexports machen.
bestehen — dies sage ich mit aller Betroffenheit —,
daß gerade wir Deutsche mit besonderem Schamge- Auch die heutige Debatte wird zeigen — vielleicht
fühl erfüllt sind. Es ist diese aus der historischen Ver- auch nicht — , daß wir offenbar das einzige Land sind,
pflichtung erwachsene Betroffenheit, die es für uns das in dieser Thematik nicht zu einem Zusammenspiel
erforderlich macht, Israel nicht nur schnell finanzielle aller nationalen Interessen findet.
Hilfe zukommen zu lassen, sondern auch mit entspre- (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist traurig!)
chenden Gütern zu unterstützen. Wir sind damit von
dem von uns eingeschlagenen Weg der Rüstungsex- Ich gebe dennoch die Hoffnung nicht auf, daß wir im
portbeschränkung abgewichen. Dies geschah in Interesse der Sache konsensfähig sein werden. Die
Übereinstimmung mit fast allen politischen Kräften in Gespaltenheit der offiziellen und inoffiziellen Linie
der Bundesrepublik und zeigt sehr deutlich, daß be- innerhalb der sozialdemokratischen Partei und die ex-
stimmte historisch gebundene Ereignisse eine Abwei- treme Emotionalisierung durch viele Sozialdemokra-
chung vom eigenen Kurs unabweisbar machen kön- ten
nen. (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich, un
Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Her- -glaublich!)
ren, eines aber hat der Golfkrieg überaus drastisch — und genau dies hat nichts mit historischer Betrof-
vor Augen geführt: Die meisten politischen Entschei- fenheit zu tun — sind der Debatte und einer zügigen
dungen bleiben wirkungslos oder zumindest ohne politischen Reaktion auf die momentane Situation ab-
weitreichende Relevanz, wenn ausschließlich in na- solut unzuträglich.
tionalen Kategorien gedacht und gehandelt wird. Eine
Reihe von multilateralen Verflechtungen und außen- Ich fordere die Opposition deshalb nachdrücklich
wirtschaftlichen Verpflichtungen verlangen die Ent- auf, ihre unzutreffende und unerträglich verzerrende
wicklung von globalen Konzepten und Strategien. Pauschalisierung gegen die deutsche Wirtschaft ein-
zustellen.
Meine Damen und Herren, vergessen wir nicht:
Ende 1992 wird der Europäische Binnenmarkt vor- (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Das wird
aussichtlich vollendet. Wer sich auf diese Entwicklung zwecklos sein!)
einstellen will, muß zumindest in europäischen Struk-
Wer hier unkritisch ungeprüfte Vorwürfe gegen die
turen denken. Bei der zunehmenden Internationali-
deutsche Wirtschaft übernimmt, macht sich einer un-
sierung der Wirtschaft bleiben allein nationale Bestre-
vertretbaren Verwischung der Tatsachen schuldig.
bungen wirkungslos. Ohne Zweifel muß, um illegalen
Exporteuren das Handwerk zu legen, die Rüstungs- Soweit bekannt, wurden von den Amerikanern und
kontrolle internationalisiert werden. Die Bundesre- Briten über verschiedene Kanäle etwa 140 Hinweise
publik muß darum ihre Möglichkeit nutzen, mit dem übermittelt, die 114 verschiedene Unternehmen oder
heutigen Gesetzentwurf, der im internationalen Ver- Sachverhalte betreffen sollen. Teilweise stammen die
gleich auf hohem Niveau liegt, in der Gemeinschaft Vorwürfe aus deutschen Medien, die dann über den
initiativ zu werden und auf eine restriktive internatio- amerikanischen Kongreß oder andere Institutionen
nale Waffenexportpolitik zu drängen. Schon 1989 wieder nach Deutschland zurückgekommen sind. Da-
habe ich, Herr Bundesminister Möllemann, für die von sollen, was ausgesprochene Embargo Umschif- -

CDU/CSU den Vorschlag gemacht, daß die EG-Kom- fungen anbelangt, etwa 40 Fälle abgeschlossen sein.
418 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Kittelmann
Soweit mir bekannt ist, Herr Bundeswirtschaftsmini- Wir werden auch nach der Verabschiedung dieses
ster, konnte der Verdacht in 29 Fällen nicht bestätigt Gesetzentwurfs noch eine lange Durststrecke vor uns
werden. In 11 Fällen soll ermittelt werden, von denen haben, um den außenpolitischen Schaden zu behe-
bisher einer das Embargo definitiv umgangen haben ben, den Kriminelle zu verantworten haben. Jede in-
soll. ternationale Konferenz muß uns in Zukunft recht
Wer diese Zahlen hört, muß im Hinblick auf die sein, um die Exportbestimmungen zu internationali-
öffentliche Diskussion nachdenklich werden, wie sieren. Ich fordere die Bundesregierung darum zum
auch die täglichen Dementis und — teilweise — Straf- wiederholten Male auf, sich in diesem Sinne zu enga-
verfahren von Firmen gegen Verdachtsmomente ei- gieren.
nen auch nachdenklich stimmen müssen; denn wir Wir können im Ost-West-Bereich auf unsere Erfah-
sind ein Rechtsstaat, und in einem Rechtsstaat sollten rungen mit der COCOM-Liste zurückblicken. Eine
gerade wir Politiker vorsichtig sein, schon bei Ver- ähnliche Instanz wäre im Nord-Süd-Kontext zu su-
dächtigungen davon auszugehen, daß es Beweise chen. Sie sollte nicht nur europaweit, sondern im Zu-
seien. sammenspiel mit der UNO eine Ächtung des Exports
von biologischen, chemischen und atomaren Waffen
Bei aller Verurteilung der illegalen Exporte aus
anstreben. Das, meine Damen und Herren, wäre ein
unserem Land ohne Wenn und Aber und der von mir
wesentlicher Schritt in eine neue Dimension von Waf-
nachdrücklich betonten besonderen Verantwortung
fenexportkontrollen.
Deutschlands seien noch folgende Hinweise gestattet.
Eine Wiederholung schadet hier nicht. Ich danke Ihnen.
Erstens. Seit 1982 gibt es keinen legalen Waffen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
export von deutscher Seite in den Irak.
Zweitens. Es ist mehr als bekannt, daß Deutschland Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Kollege
nicht an der Spitze der Exporteure steht. Bachmaier.
(Bindig [SPD]: Aber an fünfter Stelle!)
Bachmaier (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen
Wir alle wissen, daß die Exportstatistik zeigt, daß und Herren! Wir müssen uns heute erneut mit einem
wir auf der Liste der Lieferanten mit zahlreichen ande- Thema beschäftigen, das in den vergangenen Mona-
ren Ländern weit hinter der Sowjetunion und Frank- ten und Jahren mehrfach auf der Tagesordnung des
reich stehen. Bezeichnenderweise werden diese aus- Parlaments gestanden hat. Aktueller Anlaß sind die
ländischen Verstrickungen in der renommierten Ausfuhren deutscher Unternehmen in den Irak. Die
Presse unserer Nachbarn sehr viel genauer dokumen- Bundesrepublik Deutschland hat einen erheblichen
tiert als bei uns. Vor allem zeigen diese Pressestim- Beitrag zur militärischen Aufrüstung des Irak gelei-
men aber auch, daß internationale Vereinbarungen stet, insbesondere im Bereich der Massenvernich-
über strengere Exportbestimmungen unvermeidbar tungstechnologien. Das wollen wir doch zu Beginn
sind. einmal festhalten, Herr Kittelmann.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Die Hochrüstung des Irak dokumentiert in er-
selbstverständlich werden wir den von Ihnen einge- schreckender Weise, welche Auswirkungen lücken-
brachten Gesetzentwurf sehr sorgfältig prüfen und in hafte Gesetze und mangelhafte Exportkontrollen,
den Ausschüssen miteinander diskutieren. Aber die aber auch eine zu großzügige Genehmigungspraxis
überzogenen, nicht nachgewiesenen Vorwürfe, die haben. Deshalb sollten wir nicht nur von illegalen,
sich global an die deutsche Wirtschaft richten, sind sondern auch von endlich wirksameren legalen Rü-
scharf zu mißbilligen. In diesem Sinne wäre besonders stungsexportkontrollen reden.
bei der SPD im nationalen Interesse und auch im Hin-
blick auf viele Bereiche, die sie unmittelbar angehen, (Beifall bei der SPD)
mehr Fairneß zu erwarten gewesen. Niemand kann heute mehr die Augen davor ver-
schließen, daß eine ganze Reihe von deutschen Unter-
(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Und mit Rück- nehmen und nicht nur einige wenige schwarze Schafe
sicht auf die Beschäftigten! — Bachmaier zu Exporteuren des Todes geworden sind. Das be-
[SPD]: Wer schon solche Reden gehalten hat drückt mich, und das bedrückt uns. Es bedrückt mich
wie Sie, sollte etwas vorsichtiger sein!) um so mehr, weil viele der tödlichen Geschäfte unge-
Ich bedaure, daß sich die Sozialdemokraten den Vor- stört abgewickelt werden konnten, weil sich die Bun-
wurf gefallen lassen müssen, in dieser Pauschalisie- desregierung und ihr Beamtenapparat mit der Rolle
rung sehr häufig Wortführer zu sein. des Zuschauers begnügt haben — um das einmal sehr
(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Die Kumpanei vorsichtig festzustellen.
fängt schon wieder an!) (Eylmann [CDU/CSU]: Das ist falsch! —
Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist das, was ich
Nicht das Zurechtrücken der Tatsachen schadet
meine, diese Art von Vorwürfen!)
dem Ruf im Ausland, sondern die außenpolitische Li-
nie der SPD sorgt sehr häufig für Irritationen. Von den — Da schreien Sie auf, wie Sie vor einem Jahr aufge-
unsäglichen und bestürzenden Äußerungen des schrien und nichts gemacht haben. Es ist immer das
Herrn Ströbele von den GRÜNEN, die Iraks Ang riffe gleiche mit Ihnen.
auf Israel zu rechtfertigen versuchen, möchte ich gar „Wir müssen das Thema in den Griff kriegen", for-
nicht reden. Diese Äußerung halte ich für grob in- derte der Bundeskanzler bereits Ende 1988, als ihm
stinktlos, man kann sie gar nicht hart genug zurück- die Amerikaner ihre Erkenntnisse über die mit deut-
weisen. scher Hilfe in Libyen errichtete Giftgasfabrik präsen-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 419
Bachmaier
tierten. Dies ist bis heute weder ihm noch der Bundes- Sande und wurde in aller Regel die Genehmigung
regierung auch nur ansatzweise gelungen. Das ist erteilt. Nicht ein einziges Mal hat nach unseren Er-
kein Zufall. Wer über lange Jahre hinweg allein Pro- kenntnissen der Bundesaußenminister die Frage der
fitinteressen im Auge hat und sicherheits- wie frie- Erteilung einer Exportgenehmigung zum Gegenstand
denspolitische Erwägungen bei Rüstungsexporten einer Auseinandersetzung im Kabinett gemacht. Das
vernachlässigt, dem fehlt eben die nötige Sensibilität muß man auch berücksichtigen, wenn man die Ver-
für die Gefahren, die mit diesen Exporten verbunden antwortlichkeiten einmal ausmißt.
sind. (Kittelmann [CDU/CSU]: Haben Sie da Ge
(Beifall bei der SPD — Eylmann [CDU/CSU]: heimdienste? Woher wissen Sie das?)
Das sind Märchen!) — Ich kann Ihnen das belegen, Herr Kittelmann. Ich
würde bei diesem Thema diese Art des frivolen Lä-
Als die SPD in der Rabta-Debatte des Deutschen
chelns einmal kurzzeitig unterbrechen.
Bundestages im Januar 1989 verlangte, nicht nur die
Beteiligung deutscher Firmen an der Giftgasproduk- Auch in den Fällen, in denen illegale Ausfuhren
tion, sondern auch die Mitwirkung am Bau der dazu- aufgedeckt wurden — nicht etwa auf Grund von Er-
gehörenden Raketen unter Strafe zu stellen, spottete mittlungen der Bundesregierung, sondern in der Re-
Graf Lambsdorff, daß dann auch sein Schwager, der gel auf Grund von Recherchen einzelner Journalisten
den Amerikanern auf den Mond geholfen habe, be- oder auf Grund von Hinweisen ausländischer Ge-
straft und eingesperrt worden wäre. heimdienste — , sind konsequente Reaktionen ausge-
blieben. Ob es um die Lieferung von Bauplänen für
Lohnend ist es auch, sich noch einmal die Ergeb- U-Boote nach Südafrika ging — der U-Boot-Ausschuß
nisse des Atomskandal-Untersuchungsausschusses hat hier die notwendigen Erkenntnisse zutage geför-
in Erinnerung zu rufen. Der damalige Bundeswirt- dert — , um die Ausfuhr nukleartechnischer Kompo-
schaftsminister Haussmann hat vor dem Ausschuß nenten und von Know-how nach Pakistan und Indien,
nachweisbar und unumwunden eingeräumt, daß bei um die Lieferung der Chemiewaffenfabrik nach
rüstungsrelevanten Exporten das Gefahrenbewußt- Libyen oder um die Beteiligung bei der Entwicklung
sein der Genehmigungsbehörden — und jetzt hören und Produktion von Trägersystemen im Irak, in Ägyp-
Sie genau hin — nicht mit der Entwicklung der Gefah- ten oder in Argentinien, immer war die Reaktion der
ren gestiegen sei, so daß die Genehmigung zu sehr die Bundesregierung die gleiche: Wenn die Fakten nicht
Regel, die Ablehnung zu sehr die Ausnahme wurde. mehr abzustreiten waren, wurde großes Entsetzen
„Trampelpfade" nannte man das damals. Trampel- über diese kriminellen Taten geäußert. Es folgten voll-
pfade am Rande der Illegalität seien entstanden, und mundige Ankündigungen von Gesetzesverschärfun-
die lasche Behördenpraxis sei ein falsches Signal an gen. Nach einiger Zeit, wenn sich das Interesse der
die Adresse derjenigen gewesen, die es mit den Vor- Öffentlichkeit anderen Vorgängen zugewandt hatte,
schriften nicht so genau nehmen wollten. So der erst erfolgte allmählich der Rückzug. Die vorgelegten Ge-
jüngst aus dem Amt geschiedene Bundeswirtschafts- setzentwürfe wurden in den Ausschüssen und im Ple-
minister. num des Bundestages immer weiter aufgeweicht und
-
Sein Vorgänger Graf Lambsdorff, in dessen Amts- verwässert.
zeit ganz besonders großzügig im Bereich der nu- (Zuruf des Abg. Kittelmann [CDU/CSU])
klear-technologischen Kooperation verfahren wurde — Herr Kittelmann, daß gerade Sie sich nach dem
— und das mit aktiver Unterstützung durch den Mini- wesentlichen Tatbeitrag, den Sie dazu immer gelei-
ster selbst —, sieht dagegen immer noch das Ende der stet haben, künstlich erregen können, dazu gehört
deutschen Exportwirtschaft vor der Tür stehen, wenn schon ein erhebliches Maß an Vermessenheit.
scharfe Kontrollen verlangt werden.
(Beifall bei der SPD)
Das Versagen der federführend für die Exportüber-
wachung zuständigen FDP-Minister ist offenkundig.
Vizepräsident Schmidt: Herr Kollege Bachmaier,
Wer eben den Profit vor die Moral stellt, meine Damen
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kittel-
und Herren, hat den Anspruch auf die Leitung — und
mann?
das muß man in diesem Zusammenhang bei dieser
Chronologie des Versagens auch einmal sagen — des
Wirtschaftsministe riums verwirkt. Er sollte einmal in Bachmaier (SPD): Wenn es sein muß. Angerechnet
sich gehen und fragen, ob er dort am richtigen Platze wird es mir ja nicht.
ist.
(Beifall bei der SPD)
Kittelmann (CDU/CSU): Würden Sie mir zustim-
Erwähnen muß ich in diesem Zusammenhang aber men, Herr Kollege, daß sich die von Ihnen sehr hoch
auch den Bundesaußenminister, der auf so wunder- aufgebauschte Problematik lediglich auf die Frage
same Weise um eine Vernehmung vor dem Atom- der Einführung des Beg riffs der fahrlässigen Beihilfe
skandal-Untersuchungsausschuß herumgekommen und zweitens auf die Frage beschränkte, ob eine Ein-
ist, dessen Akten uns jedoch vorlagen. Regelmäßig Jahres-Frist oder eine Bewährungsstrafe möglich ist,
hat das Auswärtige Amt dann, wenn es um die Ertei- daß dieses sehr ausführlich — übrigens auch teilweise
lung kritischer Exportgenehmigungen ging, gegen- mit Ihrer Zustimmung — im Rechtsausschuß als eine
über dem federführenden Wirtschaftsministe rium Be- mögliche Va riante diskutiert wurde und Sie lediglich
denken geäußert, so daß seine Akten sauber blieben. aus innenpolitischen Gründen das Ganze aufge-
Wenn das Wirtschaftsministe rium diesen Bedenken bauscht haben und dies, wie ich feststellte, noch im-
dann aber nicht Rechnung trug, verlief die Sache im mer anhält?
420 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Bachmaier (SPD): Das will ich Ihnen überhaupt Es sind lediglich 14 Tage zwischen Ankündigung und
nicht zugeben. Sie wissen ganz genau, daß das Ge- bisheriger Nichterfüllung vergangen.
genteil der Fall ist. Wer in diesem Zusammenhang von Wir halten eine Vermögensstrafe für unerläßlich,
aufgebauschter Problematik spricht, der zeigt schon damit sich i ll egale Exporte nicht lohnen. Im Fall Im
durch seine Wortwahl, daß er bis heute nicht verstan- hausen und im Fall der Lieferung der Chemieanlage
den hat, worum es geht. nach Libyen darf der Täter den Gewinn aus dem kri-
(Beifall bei der SPD — Schäfer [Offenburg] minellen Geschäft — von weit über 70 Millionen DM
[SPD]: Nachsitzen, Kittelmann!) ist die Rede — behalten. Dies ist für uns nicht akzep-
tabel.
So ist es ganz selbstverständlich, daß wir heute wie-
der mit dem Schrecken vor den illegalen Exportakti- (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
vitäten deutsche Unternehmen in Richtung Irak kon- GRÜNE)
frontiert sind. Aber heute kann sich niemand von Ih- Die Aufnahme der Strafvorschriften gegen illegale
nen, meine Damen und Herren, mehr damit herausre- Rüstungsexporte in das Strafgesetzbuch halten wir für
den, er habe von den Mängeln bei der Exportüber- wichtig, um die herausgehobene Bedeutung und die
wachung nichts gewußt. Die Ergebnisse der entspre- besondere Verwerflichkeit dieser Taten deutlich zu
chenden Untersuchungsausschüsse sind in diesem machen. Auch hier haben Sie und die zuständigen
Hause ausführlich diskutiert worden. Eine Reihe von Abteilungen des Wirtschaftministeriums und auch des
Journalisten hat dieses Thema immer wieder aufge- Justizministeriums offensichtlich Ihre Hausaufgaben
griffen, und das auch in Zeiten, in denen es weniger nicht gemacht. Wir haben uns entschlossen, Ihnen bei
im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. diesen Themen die notwendige Nachhilfe zu geben,
Wer bereit war, die Mängel zur Kenntnis zu neh- und legen heute einen Gesetzentwurf vor, der diese
men, und wer gewillt war, etwas zu ändern, hatte Punkte umfaßt. Es ist unabdingbar, Rüstungsexporte
reichlich Gelegenheit dazu. Aber das Argument, eine aus dem für die Exporteure so komfortablen Nischen-
lückenlose Kontrolle könne es nicht geben, wurde dasein des Nebenstrafrechts endlich herauszuholen.
bereitwillig dazu genutzt, scharfe und wirklich effi- Deshalb haben wir uns gefreut, als Sie dies angekün-
ziente Maßnahmen zu unterlassen. Das gewohnte Ri- digt haben. Allerdings haben Sie es bis heute nicht
tual scheint sich bereits zu wiederholen. erfüllt.
Scharfe Maßnahmen bei der Exportüberwachung Bevor ich auf die Einzelheiten unseres Gesetzent-
hat der neue Bundeswirtschaftsminister in Pressever- wurfs eingehe, lassen Sie mich noch einen Bereich
öffentlichungen angekündigt. Den scharfen Worten ansprechen, der in der Diskussion der vergangenen
folgte aber bislang nur ein sehr zahmer Gesetzent- Wochen eine wichtige Rolle gespielt hat.
wurf, der uns heute zur ersten Lesung vorgelegt wor- Immer wieder war auch in Kreisen der Bundesregie-
den ist. „Forsch und inhaltsarm" bezeichnete ihn die rung von der Einschaltung der Geheimdienste in die
„Frankfurter Rundschau" nicht zu Unrecht. Die Auf- Aufdeckung illegaler Rüstungsexporte die Rede.
weichtendenzen haben bereits wieder angefangen. Schließlich kündigte Herr Möllemann an, die Bundes-
Auch in diesem Punkt, Herr Minister Möllemann,- sind regierung wolle dem Zollkriminalinstitut bereits im
Sie schneller als Ihr Vorgänger. Sie legen uns heute im Vorfeld eines Verdachtes das Abhören des Telefon-
wesentlichen eine Verschärfung — jetzt hören Sie ein-
verkehrs von Unternehmen ermöglichen. In Ihrer
mal genau zu, Herr Kittelmann — des § 34 des Außen- Vorlage ist von einer Telefonüberwachung über die
wirtschaftsgesetzes vor. Dies ist, wenn man die ganze von der Strafprozeßordnung vorgesehenen Fälle hin-
Dimension, vor der wir heute stehen, berücksichtigt, aus keine Rede mehr. Ich sage ausdrücklich: Ich be-
ein kleiner Schritt — zugegebenermaßen — in die dauere dies nicht.
richtige Richtung.
Rechtsstaatliche Prinzipien wie der Grundsatz, daß
Wir nehmen zur Kenntnis, daß Sie einen Ände- polizeiliche Tätigkeit und nachrichtendienstliche Vor-
rungsantrag unserer Fraktion aus der vergangenen feldermittlung zu trennen sind, dürfen auch dann
Legislaturperiode, den die Koalitionsfraktionen von nicht zur Disposition gestellt werden, wenn es um die
CDU/CSU und FDP damals noch vehement abgelehnt
Exporteure des Todes geht.
haben, fast wörtlich aufgreifen. Dennoch bleibt es
nach Ihrem Entwurf dabei, daß illegale Exporte im (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Grundtatbestand auch mit einer Geldstrafe geahndet Derartige Mittel kommen jedenfalls nicht in Betracht,
werden können. solange die verfassungsrechtlich unbedenklichen In-
Lediglich für besonders schwere Fälle sind härtere strumente zur Verhinderung illegaler Exporte bereits
Strafen vorgesehen. Der Beg ri ff des besonders schwe- im Vorfeld nicht ausgeschöpft sind. Dies ist noch lange
ren Falles ist aber besonders vage. Für mich sind ille- nicht der Fall. Ich denke beispielsweise an die Mög-
gale Rüstungsexporte immer schwere Fälle. Sie müs- lichkeit von Außenwirtschaftsprüfungen. Dazu werde
sen deshalb immer hart geahndet werden. ich gleich ein Wort sagen.
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Lassen Sie mich jetzt auf die Einzelheiten unserer
GRÜNE) Vorschläge eingehen.
Wo sind denn Ihre drastischen Verschärfungen? Wo Wir schlagen vor, Straftaten im Zusammenhang mit
sind denn die von Ihnen angekündigten Regelungen atomaren, biologischen und chemischen Waffen so-
zur Erlösabschöpfung und zur Aufnahme der Strafvor- wie strafbare illegale Rüstungsexporte als Verbre-
schriften des Außenwirtschaftsgesetzes und des chen mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem
Kriegswaffenkontrollgesetzes in das Strafgesetzbuch? Jahr in den Abschnitt über gemeingefährliche Delikte
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 421
Bachmaler
des Strafgesetzbuchs aufzunehmen. Diese Handlun- Freiheitsstrafen kann angesichts der lockenden Ge-
gen gefährden den Frieden und damit das Leben einer winne potentielle Täter abschrecken.
Vielzahl von Menschen. (Eylmann [CDU/CSU]: Das ist ein Kinder
glaube!)
Über die Strafbarkeit der Herstellung und Weiter-
gabe von ABC-Waffen haben wir bereits im letzten Ich habe darauf bereits in der Sitzung vom 1. Juni
Jahr diskutiert, als es um die Einfügung dieser Bestim- des vergangenen Jahres hingewiesen, in der wir über
mungen in das Kriegswaffenkontrollgesetz ging. Die den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesse-
SPD-geführten Bundesländer haben damals — Sie rung der Überwachung des Außenwirtschaftsver-
wissen das — im Vermittlungsausschuß verhindern kehrs beraten haben. Schon mehrfach habe ich darauf
müssen, daß die von der Bundesregierung selber vor- Bezug genommen. Ich habe damals gesagt, daß der-
gelegten Entwürfe durch ihre eigenen Koalitionsfrak- jenige, der auch für diese Fälle Bewährungsstrafen ins
tionen abgeschwächt wurden — — so geschehen am Auge faßt, entweder noch nicht beg riffen hat, worum
1. Juni des vergangenen Jahres in diesem Hause —. es geht und mit wem er es zu tun hat, oder ganz ein-
fach an den unerträglichen Verhältnissen nichts än-
Wir sprechen uns dafür aus, neben diesen Delikten dern will. Hätten Sie damals bereits die notwendigen
auch den illegalen Export von Rüstungsgütern und Konsequenzen gezogen, dann müßten wir uns heute
rüstungsnahen Gütern — ich nehme hier Bezug auf nicht über weitere Verschärfungen unterhalten.
die entsprechenden Abschnitte der Ausfuhrliste und (Beifall bei der SPD)
nenne als Beispiele Waffen und Rüstungsmaterialien, Aber auch von Nebenstrafen und Nebenfolgen
Ausrüstungen für kerntechnische Zwecke und Aus- kann eine weitere abschreckende Wirkung ausge-
gangsstoffe sowie Anlagen, die zur Erzeugung chemi- hen.
scher oder biologischer Kampfmittel geeignet sind —
als Verbrechen in das Strafgesetzbuch einzufügen. Vizepräsidentin Schmidt: Herr Kollege, gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eylmann?
Um den sogenannten Dual-use-Bereich zu erfas-
sen, also Güter, die sowohl zivilen als auch militäri-
Bachmaier (SPD): Wenn sie der Wahrheitsfindung
schen Zwecken dienen können, fordern wir auch eine
strenge Bestrafung der illegalen Ausfuhr anderer Gü- dient, gern.
ter, von denen der Täter weiß oder wissen mußte, daß
sie für militärische Zwecke bestimmt sind. Eylmann (CDU/CSU): Herr Kollege Bachmaier, er-
innern Sie sich an manche Diskussionen in diesem
Diese Regelung schließt an die Ankündigung des Hause in den letzten Jahren, in denen uns Kollegen
Wirtschaftsministers an — und wir vertrauen darauf, Ihrer Fraktion vorgehalten haben, man dürfe nicht so
daß dies noch in die Tat umgesetzt wird — , eine ei- sehr auf die Wirkung der Generalprävention setzen?
genständige Genehmigungspflicht für die Ausfuhr Ich erinnere zum Beispiel an die Geltendmachung
von Dual-use-Waren einzuführen, wenn der Expor- dieses Arguments bei der Terroristenbekämpfung
teur von einer militärischen Verwendung durch Ein- - und bei der Rauschmittelbekämpfung. Wieso glauben
satz in einem Rüstungsprojekt Kenntnis hat. Ich be- Sie, daß ausgerechnet auf diesem Gebiet die General-
grüße diesen Plan des Bundeswirtschaftsministers prävention diese ungeheure Wirkung hätte, die Sie
und hoffe, daß er zügig in die Tat umgesetzt wird, so sich davon versprechen?
daß unsere darauf aufbauende Anschlußvorschrift
diesen Tatbestand zur Wirkung bringen kann. Bachmaier (SPD): Herr Eylmann, Sie wissen eben-
sogut wie ich, daß die Androhung von Freiheitsstra-
(Beifall bei der SPD) fen, die vollzogen werden und von denen man sich
nicht freikaufen kann, gerade auf Wirtschaftskrimi-
Ich will das von uns vorgeschlagene System noch nelle — die Schlimmsten unter den Wirtschaftskrimi-
einmal verdeutlichen: schärfere Strafen für Herstel- nellen sind ja die Rüstungsexporteure — einen nach-
lung und Weitergabe atomarer, biologischer und che- haltigen Eindruck macht. Denn so etwas fürchtet
mischer Waffen, harte Strafen — nicht unter einem diese Klientel am meisten. Geldstrafen fürchten sie
Jahr Freiheitsentzug — für die illegale Ausfuhr von nicht, weil sie aus diesen verruchten Geschäften hor-
Rüstungsgütern und ähnlich gefährlichen Waren, rende Gewinne erzielen.
aber auch für den ungenehmigten Export von Dual- (Beifall bei der SPD und des Abg. Gysi [PDS/
use-Produkten, wenn sie einer militärischen Verwen- Linke Liste] — Schäfer [Offenburg] [SPD]:
dung zugeführt werden sollen. Von diesen Regelun- Das war eine überzeugende Antwort!)
gen mit hohen Freiheitsstrafen wären alle uns be-
kannten schweren Fälle von Rüstungsexportverstö- Ein weiterer Punkt: Ein Unternehmer, der weiß, daß
ßen erfaßt worden, die in diesen Monaten zur Abur- seine Existenz auf dem Spiel steht, wird sich genau
teilung bei den Ge richten angestanden haben, also überlegen, ob er sich auf derartige riskante Geschäfte
Imhausen ebenso wie NTG und andere Fälle. einläßt, auch wenn die entsprechenden Gewinne win-
ken. Leider hat sich das derzeit zur Abschöpfung von
Als Auffangtatbestand verbleibt dann immer noch Verbrechensgewinnen zur Verfügung stehende ge-
§ 34 des Außenwirtschaftsgesetzes. setzliche Instrumenta rium als weitgehend wirkungs-
los erwiesen. Sie wissen das; wir haben darüber be-
Sichergestellt wäre mit dieser Lösung, daß illegale reits in der letzten Legislaturperiode diskutiert.
Rüstungsexporte nicht mehr als Kavaliersdelikte Unser Entwurf sieht vor, den Strafgerichten zu er-
durchgehen könnten. Nur die Androhung längerer möglichen, den Täter immer dann zur Zahlung eines
422 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Bachmaier
dem Wert des Erlangten entsprechenden Geldbetrags deswirtschaftsministeriums zu belassen. Hier liegen
zu verurteilen, wenn er sich durch die Begehung einer Interessenkonflikte auf der Hand. Die Aufgabe einer
strafbaren Handlung unrechtmäßig bereichert hat. effizienten Kontrolle von Rüstungsexporten ist so
Diese Novellierung richtet sich nicht speziell gegen wichtig, daß sie von einer eigenen technisch und per-
Waffenschieber, sondern auch gegen sonstige Wirt- sonell gut ausgestatteten Behörde wahrgenommen
schaftskriminelle und gegen Drogentäter. Wir haben werden muß.
darüber diskutiert. Ich kann mir vorstellen, daß es Herrn Möllemann
Nur kurz erwähnen möchte ich im Zusammenhang sehr schwerfallen wird, auf Zuständigkeiten zu ver-
mit den sonstigen Folgen der Straftat die Möglichkeit zichten. Ich bin aber überzeugt, daß es schon von den
der Einziehung von Produktionsanlagen und der Äch- anderen Aufgaben her, die in diesem Bereich wahrzu-
tung der Tat durch eine Veröffentlichung der Verur- nehmen sind, unter der Aufsicht des Wirtschaftsmini-
teilung. steriums eine strenge und wirklich effiziente Export-
kontrolle letztlich auch strukturell nicht geben
Unser Ziel muß es sein, illegale Rüstungsexporte kann.
bereits im Vorfeld zu verhindern. Als effizientes und (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Gysi
rechtsstaatlich unbedenkliches Mittel kommen hier-
[PDS/Linke Liste])
für Außenwirtschaftsprüfungen in Frage, die in Zu-
kunft stringenter und mit dem notwendigen gesetzli- Lassen Sie mich abschließend noch einiges bemer-
chen Zwang durchzuführen sind, auch in Zeiten, in ken: Der vorliegende Gesetzentwurf enthält eine Re-
denen Rüstungsexporte möglicherweise aus den gelung für das Kriegswaffenkontrollgesetz. Wir wer-
Schlagzeilen verschwunden sind. den auf diesen Punkt in der Debatte über eine künf-
tige Verfassung zurückkommen, da wir ihn für einen
Um solches in Zukunft sicherzustellen, schlagen wir Ausfluß aus dem Friedensgebot des Art. 26 des
eine Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlage, Grundgesetzes halten. Wir meinen, daß das Waffen-
des § 44 des Außenwirtschaftsgesetzes, vor. Um si- exportverbot einer verfassungsmäßigen Absicherung
cherzustellen, daß die Behörden wirklich handeln, bedarf. Um einen Waffenexport über die NATO-Län-
werden sie verpflichtet, Außenwirtschaftsprüfungen der hinaus effizient und nachhaltig zu verhindern,
bei Unternehmen vorzunehmen, wenn tatsächliche haben wir im Vorgriff auf eine verfassungsrechtliche
Anhaltspunkte für den Verdacht eines illegalen Rü- Regelung eine entsprechende Vorschrift in das
stungsexports oder für die Vorbereitung einer solchen Kriegswaffenkontrollgesetz aufgenommen.
Straftat vorliegen. Japan ist uns in dieser Beziehung ein gutes Vorbild.
Doch die illegalen Rüstungsexporte sind nur die Wir verweisen doch auch sonst immer gern auf Ja-
eine Seite der Medaille. Vieles konnte unter den Au- pan.
gen der Behörden ganz legal exportiert werden, ent-
weder weil die Maschen des Außenwirtschaftsrechts Vizepräsidentin Schmidt: Herr Kollege, kommen
viel zu weit geknüpft sind, weil die Genehmigungsbe- Sie bitte zum Schluß!
hörden schliefen und auch in kritischen Fällen Geneh-
-
migungen erteilten oder weil sie augenzwinkernd mit
den Antragstellern zusammenarbeiteten und die Bachmaier (SPD): Ich komme zum Schluß, Frau Prä-
möglichen Folgen sensitiver Lieferungen nicht zur sidentin.
Kenntnis nehmen wollten. Es ist kein Zufall, daß unter den Waffenlieferanten
des Iraks der Name Japan fehlt. Japan hat von den
Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bun- großen Wirtschaftsnationen die umfassendsten Be-
desamt für Wirtschaft stellten immer heraus, daß sie schränkungen für Rüstungsausfuhren. Die japanische
für die Wirtschaft arbeiten, vergaßen dabei aber, sich Rüstungsindustrie beliefert praktisch ausschließlich
für die Friedenssicherung einzusetzen. die eigenen Streitkräfte. Nehmen wir uns auch in die-
Die deutsche Exportkontrolle — dies müssen wir sem Fall Japan zum Vorbild. Dann sind wir in Zukunft
heute unumwunden einräumen — hat versagt. Wie weniger in Rüstungsexportskandale verstrickt.
ein roter Faden zieht sich durch die Genehmigungs-
verfahren z. B. für Nuklearwaren die Tendenz, nicht Vizepräsidentin Schmidt: Herr Kollege, kommen
weiterverbreitungspolitische Bedenken hinter deut- Sie bitte zum Ende!
sche Exportinteressen zurückzustellen. In anderen
Bereich ist es, wie wir mittlerweile wissen, ähnlich.
Bachmaier (SPD): Ich bin sofort fertig.
Solches Verhalten hängt zum einen mit Informa- Herr Möllemann hat laut „Spiegel" vom 4. Februar
tionsdefiziten zusammen. Daher sprechen wir uns da- — dies sage ich abschließend — die Entwürfe seines
für aus, die Zuständigkeit für die Entscheidung über Hauses mit der Bemerkung kommentiert: „Jetzt sind
Ausfuhrgenehmigungen und die Zuständigkeit für wir ausverkauft; unsere Phantasie ist am Ende."
Aufdeckung und Verhinderung illegaler Exporte zu-
Herr Möllemann, ich hoffe, mit unseren Vorlagen
sammenzulegen.
werden wir Ihrer mangelnden Phantasie auf die
Die gravierenden Mängel bei der Exportkontrolle Sprünge helfen. Es kann wesentlich mehr getan wer-
sind aber auch darauf zurückzuführen, daß eine Be- den, als bislang getan wurde. Ich meine, wir sollten
hörde, deren Aufgabe es ist, Wirtschaftsinteressen zu endlich mit einer wirksamen Rüstungsexportkontrolle
fördern, zugleich eine Kontrollfunktion mit entgegen- anfangen, damit wir hier nicht alljährlich nachbessern
gesetztem Ziel ausüben soll. Ich habe Zweifel, ob es müssen und der nächste Skandal bereits ins Haus
gut ist, die Exportkontrolle unter dem Dach des Bun steht.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 423

Bachmaier
Herzlichen Dank. Auch zum Strafrecht will ich etwas sagen. Der Ent-
wurf der SPD ist hier schon ein Qualitätssprung. Das
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
muß man anerkennen.
GRÜNE — Bundesminister Möllemann: Was
lesen Sie denn überhaupt für Zeitungen?) Ich kann allerdings für meine Gruppe sagen: Wir
sind auch gegen die Exporte in den NATO-Bereich.
Das hat viele Gründe. Ich will ein Beispiel nennen:
Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Abge- Wer garantiert eigentlich, wie die Türkei mit Waffen,
ordnete Dr. Gysi. die sie aus Deutschland importiert, dann umgeht, z. B.
gegenüber dem kurdischen Teil der Bevölkerung?
Was passiert eigentlich, wenn ein NATO-Staat in
Drittländer weiterliefert? Das soll zwar ausgeschlos-
Dr. Gysi (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! Meine sen werden; aber Sie wissen selbst, daß es kaum In-
wenigen Damen und Herren! Ich finde, daß dieses strumentarien gibt, um das irgendwie wirksam zu prü-
Thema etwas mehr Aufmerksamkeit von allen Frak-
fen und zu kontrollieren. Letztlich bleibt es ein Appell;
tionen — das ist übrigens eine Kritik auch an unserer es ist nicht durchsetzbar. Damit bestehen natürlich
Gruppe — verdient hätte. Gefahren, daß deutsche Waffen auf dem einen oder
Ich will, weil ich Ihre Gedanken ahne und weil es anderen Weg doch wieder in Staaten geraten, die
mir ein Bedürfnis ist, etwas zu Rüstungsexporten aus Krieg führen.
der früheren DDR sagen.
Ein weiteres großes Problem — ich bitte, darüber
Ich glaube, man muß hier zwei Dinge feststellen: ernsthaft nachzudenken — ist die Tatsache, daß die
Erstens. Es gab, durch welche Umstände auch im- Rüstungsindustrie wohl ganz überwiegend privat-
mer, in der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik wirtschaftlich aufgebaut ist. Privatwirtschaftlich heißt
eine in der Qualität und im Umfang wesentlich gerin- nun einmal: am Gewinn, am Profit orientiert. Damit
gere Rüstungsindustrie, weil fast alle Waffen durch wird die Sache kompliziert, weil das etwas mit Nach-
die DDR aus der Sowjetunion importiert worden sind. frage und Angebot zu tun hat. Die Nachfrage ist natür-
Aber in dem Umfang, in dem es sie gab, gab es einen lich dort besonders groß, wo Kriege geführt werden
durch die Gesellschaft überhaupt nicht kontrollierten sollen. Wenn man über Exportverbote nachdenkt, ist
Export. Nach den bisherigen Feststellungen waren das ein wirkliches Problem.
das zwei oder drei Herren, die das entschieden haben. Wenn Bundesbahn und Bundespost staatlich orga-
Ich sage Herren, weil Damen wirklich nicht dabei nisiert sind, sollte das erst recht die Rüstungsindustrie
waren. Diese Herren sind entsprechende Exportver- sein, solange man sie überhaupt noch braucht. Im
pflichtungen eingegangen und haben die Exporte Bundestag wird dann auch Verständnis dafür herr-
vorgenommen. schen, daß sie nicht sehr rentabel ist, weil dann die
Das hat übrigens dazu geführt, daß man heute sa- Gewinnorientierung weg ist.
gen kann, daß sehr wohl auch seitens der DDR Rü-
Lassen Sie mich zwei Bemerkungen zum Strafrecht
stungsexporte in den Irak stattgefunden haben und
machen. Ich behaupte: Wenn die Strafrechtsnormen
auch hier eine Mitschuld und Mitverantwortung vor-
so bleiben, wie sie jetzt vorgeschlagen sind, würde
liegt. jeder gute Anwalt — da kenne ich einige — fast immer
Darunter ist einer, der offensichtlich führend betei- einen Freispruch erreichen. Die Strafbarkeit wird so
ligt war und der sich im Westteil Deutschlands offen- und in dieser Form fast nie nachweisbar sein.
bar wesentlich wohler fühlt als viele, die wesentlich
weniger Mitverantwortung tragen und die sich ge- Wenn Sie hier nicht andere Kriterien schaffen, daß
genwärtig im Ostteil Deutschlands aufhalten. Namen in einem möglichst frühen Stadium bei Verletzung
brauche ich, glaube ich, nicht zu nennen; sie sind all- dieser Rechtsnorm strafrechtlich eingegriffen werden
gemein bekannt. kann, wird das Ganze einfach eine Verdienstquelle
für gute Anwälte sein, die sich die Freisprüche sichern
Eine andere Tatsache ist natürlich, daß es in der und ihre Gebühren vom Bund zurückerhalten, abge-
Bundesrepublik immer eine sehr viel umfassendere sehen davon, daß die eigentlichen Täter nicht zur Ver-
Rüstungsindustrie gegeben hat. Meines Erachtens be- antwortung gezogen werden.
steht hier die Frage, ob nicht ein Umdenken erforder-
lich ist. Zwar stimmt es, daß die wichtigste menschli- Ich stimme auch dem zu, daß hier mit Geldstrafen
che Eigenschaft das Denken ist, aber die Untergruppe wenig zu machen ist. Freiheitsstrafen und Vermö-
des Denkens, die ich für besonders wichtig halte, ist genseinziehung sind das mindeste.
das Umdenken. Ich finde, wir müßten auf dieser Spi- Lassen Sie uns bitte — ich bin am Ende meiner
rale irgendwann einmal herauskommen. Wir müssen Redezeit — einfach darüber nachdenken, ob wir in
uns die Frage stellen: Geht es wirklich noch um die Anbetracht des Golfkrieges und in Anbetracht der
Frage der Exportbeschränkung? Oder geht es nicht Tatsache, daß auch deutsche Waffen gegen Israel ge-
vielleicht um das Exportverbot? Ist nicht überhaupt richtet sind, nicht wirklich umdenken und sagen wol-
der Weg der Abrüstung der beste Weg, um auch Rü- len: Wir nehmen als ersten Schritt in das Grundgesetz
stungsexporte und damit Aufrüstung in anderen Staa- ein wirkliches Rüstungsexportverbot auf, und zwar
ten zu verhindern? hinsichtlich aller Staaten, so daß wir nur noch die
Ich finde, daß der vorliegende Regierungsentwurf eigenen Streitkräfte beliefern, und das von Jahr zu
einem solchen Umdenkprozeß nicht entspricht. Er ist Jahr immer weniger, bis im Abrüstungsprozeß weitere
sozusagen eine etwas straffere Ordnung des bisheri- größere Fortschritte erzielt sind. Dann können deut-
gen Systems. Und das bringt nicht viel ein. sche Waffen im Ausland durch keinen anderen Staat
424 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Gysi
mehr mißbraucht werden. Dann kann es solche Skan- Wir sehen unsere Zustimmung zu dem Gesetzent-
dale wie den gegenwärtigen nicht mehr geben. wurf auch als Ausdruck unserer besonderen interna-
Um das zu erreichen, wenn Sie dem also zustimmen tionalen Verantwortung. Wir lassen keinen Zweifel
sollten, müßten allerdings Instrumentarien in der daran, daß es für die Bundesrepublik Deutschland im
Wirtschaft geschaffen werden, um dort rechtzeitig mit Zusammenhang mit Rüstungsexporten keine Ent-
der Kontrolle zu beginnen. Das Strafrecht allein schuldigung durch den Verweis auf das Verhalten
schafft es nicht: Es wird nämlich immer erst tätig, anderer Staaten geben kann und darf.
wenn die Straftaten bereits begangen worden sind, Wir nehmen unsere internationale Verantwortung
und damit eindeutig zu spät. ernst. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Doku-
Danke schön. mentation dieser besonderen Verantwortung und die
(Beifall bei der PDS/Linke Liste) umgehende Reaktion auf erneute Versuche, Freiheit
zu mißbrauchen.
Aber es muß auch der Hinweis erlaubt sein: Die
Vizepräsidentin Schmidt: Das Wort hat der Abge- Bundesrepublik hat aus ihrer besonderen Verantwor-
ordnete Dr. Kolb. tung heraus bereits gehandelt. Der Unternehmer, der
für Rabta in Libyen verantwortlich zeichnete und zu
fünf Jahren Haft verurteilt wurde, könnte für das glei-
Dr. Kolb (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und che Vergehen heute zu zehn Jahren Haft verurteilt
Herren! Mein Familienname ist Kolb; ich bin Unter- werden.
nehmer und komme aus Südhessen. Gestatten Sie mir Die Umgestaltung des § 34 AWG zu einem Gefähr-
daher zunächst in aller Sachlichkeit den Hinweis, daß dungsdelikt ist ein geeigneter Weg, die Ausfuhren
keine verwandtschaftlichen, gesellschaftrechtlichen sensitiver Güter wirksam zu kontrollieren. Künftig
oder sonstigen Beziehungen zu jenem Unternehmen werden alle Fälle des Exportes von Gütern der Li-
gegeben sind, das ein wesentlicher Auslöser für die sten A, B, D und E sowie Güter der Nr. 1711 der Li-
erneute Überarbeitung des Außenwirtschaftsgesetzes ste C, die ohne oder auf Grund erschlichener Geneh-
ist. migung exportiert werden, wirksam und erleichtert
Daß diese Erklärung erforderlich ist, macht deut- strafrechtlich — und nicht wie bisher nur als Ord-
lich: Die deutschen Unternehmer sind durch das Ver- nungswidrigkeit — verfolgt werden können. Desglei-
halten einiger schwarzer Schafe in der Defensive und chen werden Strohmannkonstruktionen abschrek-
haben sich gegen allgemeine Schuldzuweisungen zu kend bedroht.
wehren. Ich möchte zu Beginn meiner Rede bitten, zu
differenzieren und die Mehrzahl, die sich korrekt ver- Die Ermächtigung zum Erlaß von selbständig neben
hält, nicht pauschal mit einigen wenigen Straftätern der Rechtsverordnung stehenden Verwaltungsakten
gleichzusetzen. ermöglicht es der Bundesregierung überdies, im Ein-
zelfall auf Versuche, Rüstungsexporte zu erschlei-
(Beifall bei der FDP) chen, schnell und wirksam zu reagieren.
Zur Gesetzesvorlage: Es gibt bei der Gestaltung (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Sehr gut!)
außenwirtschaftlicher Regelungen immer die Alterna-
tive: Allgemeinverbot mit Erlaubnisvorbehalt oder Die FDP-Fraktion ist auch bereit, zum Zweck der
Grundsatz der Freiheit mit dem Vorbehalt von Be- wirksamen Bekämpfung illegaler Exporte einer Fern-
schränkungen. meldeüberwachung in Fällen begründeten Verdachts
Im Außenwirtschaftsrecht der Bundesrepublik hat und auf Grund richterlicher Entscheidung zuzustim-
die Entscheidung für den Grundsatz der Freiheit aus men.
guten Gründen ihren Niederschlag gefunden. Unserer weiteren aufmerksamen Beobachtung be-
Freiheit setzt allerdings Verantwortung voraus; es dürfen allerdings die Exporte von Gütern der Liste C,
gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Die FDP- mit Ausnahme der erwähnten Nr. 1711. Es sind dies in
Bundestagsfraktion betreibt daher bewußt die heute aller Regel sogenannte Dual-use-Güter, d. h. Güter,
zur Beratung stehenden erneuten Änderungen des die sowohl zur zivilen als auch zur militärischen Ver-
Außenwirtschaftsgesetzes und der Straßprozeßord- wendung geeignet sind. Hier wird auch in Zukunft,
nung, die Ausdruck der Ernsthaftigkeit sind, der mit entsprechend der bisherigen Rechtslage, die Eignung
der Freiheit einhergehenden Verantwortung gerecht zur Gefährdung der Rechtsgüter nach § 7 Abs. 1 Au-
zu werden. ßenwirtschaftsgesetz im Falle illegaler Exporte nach-
zuweisen sein.
Daß diese Änderungen heute, nur kurze Zeit nach
der Reform des Außenwirtschaftsrechtes in den Jah- Damit sind wir bei einer der zentralen Fragen der
ren 1989/90, vorgenommen werden, zeigt, daß diese Rüstungsexportkontrolle: Bei Dual-use-Produkten
Regierung und die sie tragenden Fraktionen jetzt und stößt eine auf Freiheit basierende Gesetzgebung an
künftig nicht müde werden und in der Ernsthaftigkeit ihre Grenzen. Was der Gesetzgeber nicht leisten
nicht nachlassen werden, die der Freiheit korrespon- kann, ist, fehlende Moral der in den Unternehmen
dierende Verantwortung auszuüben und denjenigen verantwortlich Handelnden zu ersetzen. Daher ist bei
den Raum für ihre illegalen Machenschaften zu neh- diesen Dual-use-Gütern in besonderem Maß die Ei-
men, die glauben, die gegebenen Freiheiten unter genverantwortung der Unternehmen und der Unter-
Gefährdung des Ansehens der Bundesrepublik nehmensverbände gefordert. Wer hier künftig als
Deutschland und ihrer Unternehmen mißbrauchen zu Verantwortlicher in einem Unternehmen Mißbrauch
können. treibt, darf keine stillschweigende Duldung durch an-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 425

Dr. Kolb
dere Unternehmer oder die Mitarbeiter in den Betrie- Meine Damen und Herren, der Auftrag zu ständiger
ben erfahren. Weiterentwicklung des AWG bleibt bestehen. Wir las-
Es darf auch nicht so sein, daß wir Selbständigen, sen keinen Zweifel daran, daß wir uns jetzt und zu-
wir Unternehmer — und ich spreche hier als Unter- künftig dieser Aufgabe stellen werden.
nehmer — immer nur die Solidarität und Hilfe der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Politik einklagen. Es muß auch eine Wirtschaftsethik,
einen Verhaltenskodex geben, der geeignet ist, das Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge-
Vertrauen der Bürger in das Rechtsempfinden der ordnete Frau Wollenberger.
gesellschaftlichen Entscheidungs- und Leistungsträ-
ger zu erneuern und dauerhaft zu bewahren.
Frau Wollenberger (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Prä-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sident! Meine Damen und Herren! Seit Wochen ste-
der CDU/CSU)
hen die Rüstungsexportpraktiken der deutschen In-
Der Anlaß zur erneuten Änderung des AWG sind dustrie im Kreuzfeuer nur allzu berechtigter Kritik;
nicht legale Exporte, sondern illegale Exporte. Die denn hemmungslose Waffenexporte haben den grau-
Bundesrepublik hat beispielsweise seit mehr als samen Krieg am Golf erst möglich gemacht. Immer
30 Jahren keine Exporte von Rüstungsgütern in den lauter wird dabei die Frage nach der Rolle der Politi-
Irak mehr genehmigt. ker, vor allen Dingen nach der der Bundesregierung
(Zuruf von der FDP: Wohl wahr!) bei diesen Rüstungsexporten gestellt.
Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Waffenex- Mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf der
portland. Der legale Export von Kriegswaffen hatte CDU/CSU und FDP soll offensichtlich die Flucht nach
1990 einen Anteil von 0,3 % am Gesamtexport. Die vorn angetreten und der Öffentlichkeit suggeriert
wirtschaftliche Bedeutung des legalen Rüstungsex- werden, das Problem der Rüstungsexporte sei vor al-
ports ist somit sehr gering. Ich brauche nicht zu wie- lem ein Problem einer Handvoll Firmen, die sich in
derholen, daß die FDP überdies auch in der Frage der kriminellen Praktiken üben.
legalen Exporte eine äußerst restriktive Linie hält, die (Eylmann [CDU/CSU]: So ist es! — Weitere
durchgängig durch eine Reihe von Parteitagsbe- Zurufe von der CDU/CSU)
schlüssen bis hin zum Wahlprogramm 1990 dokumen- — Hören Sie mir erst einmal weiter zu.
tiert wird.
Natürlich geht die deutsche Indust rie nur allzugern
(Bachmaier [SPD]: Bloß in der Praxis nicht!) auf das Ablenkungsmanöver ein. Als in der vergange-
Ich komme zum Schluß und möchte nicht versäu- nen Woche der neue Wirtschaftsminister Möllemann
men, noch auf eine wichtige Frage hinzuweisen, die die Bonner Journalisten über sein Vorhaben in Sachen
wir bei allem Bemühen, illegale Exporte zu bekämp- Exportkontrolle informierte — übrigens ohne die Na-
fen, nicht übersehen dürfen und die uns möglicher- men betreffender Firmen zu nennen — , begrüßte der
weise bereits morgen erneut beschäftigen wird. BDI seine Initiative und bot seine konstruktive Mitar-
beit an.
Freude über soviel Eilfertigkeit kann dennoch nicht
Vizepräsidentin Schmidt: Herr Kollege, gestatten aufkommen, wenn man weiß, daß selbst Herr Mölle-
Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mosdorf? mann einräumen mußte, daß die bisher bestehenden
Möglichkeiten der Strafverfolgung und Bestrafung
nicht ausgeschöpft wurden. Weder Gesetze noch in-
Dr. Kolb (FDP): Nein. Ich bin dabei, zum Ende zu ternationale Verträge und auch nicht die Verschär-
kommen. Ich bitte um Ihr Verständnis. — Wir leben fung des Außenwirtschaftsgesetzes können den Ex-
und wirtschaften in einem arbeitsteiligen Europa. Wir port von Kriegswaffen und Rüstungstechnologien ver-
nähern uns dem gemeinsamen europäischen Markt, hindern, wenn der politische Wille für ihre ernsthafte
in dem nationale Kontrollen schwieriger werden als Durchsetzung fehlt.
bisher. Wir brauchen — und hier stimme ich dem Prä- Damit sind wir beim Kernpunkt. Das eigentliche
sidenten des Deutschen Indust rie- und Handelstages, Problem sind keineswegs die illegalen, sondern die
Hans Peter Stihl, ausdrücklich zu — ein gleichgerich- offiziell genehmigten Rüstungstechnologie- und Waf-
tetes Verhalten aller europäischen Staaten. fenexporte.
Wir werden unseren eigenen hohen Anspruch nur (Eylmann [CDU/CSU]: Das ist falsch!)
dann durchhalten können, wenn wir es erreichen, daß — Das ist richtig. — Die deutsche Indust rie ist im
die Vorschriften mit denen der EG abgestimmt wer- Grunde gesetzestreu. Sie war es auch im Falle der
den und in ein Konzept zu einer europäischen Kon- Irak-Exporte.
trolle von Rüstungsexporten einfließen.
(Geis [CDU/CSU]: Da gibt es keine!)
(Beifall bei der FDP) Bundesdeutsche Rüstungsexporte scheuen zwar das
Wie sollten wir uns zukünftig an Gemeinschaftspro- Licht der Öffentlichkeit, passieren die deutschen
jekten der Rüstungskooperation beteiligen können, Grenzen jedoch in aller Regel unter st ri kter Beach-
wenn die Gefahr besteht, daß auf diesem Wege erneut tung der jeweils geltenden Ausfuhrbestimmungen.
eine deutsche Beteiligung an Waffenlieferungen in Von der C-Waffen-Fabrik im irakischen Samarra,
Drittländer möglich wird? Die Bundesregierung ist vor deren Folgen die Bundesregierung übrigens früh-
und bleibt aufgefordert, hier initiativ zu werden. zeitig gewarnt wurde, war in diesem Hohen Haus
(V o r sitz : Vizepräsident Cronenberg) schon des öfteren die Rede. Sie besteht zum großen
426 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Frau Wollenberger
Teil aus Anlagen, die seinerzeit die Bundesrepublik Deshalb habe ich gesagt, daß wir weniger novel-
mit Bonner Genehmigung verließen. Ich zitiere aus lierte Gesetze als vielmehr den politischen Willen
einer Antwort der Bundesregierung an die damalige brauchen, Rüstungsexporte nicht mehr zuzulassen.
Abgeordnete Petra Kelly vom 7. Juli 1984: Spätestens in einer Situation, da deutsches Giftgas
jüdische Menschen bedroht und irakische Menschen
Bei den von der Firma Karl Kolb Pilot Plant in den von einem Diktator in einem Krieg geopfert werden,
Irak gelieferten Anlagen handelt es sich um kata- der u. a. durch deutsche Waffen möglich wurde, soll-
logmäßig angebotene Labor- bzw. Produktions- ten wir die Lehren aus der verhängnisvollen Rolle, die
anlagen, die nicht zur Herstellung chemischer hemmungslose Rüstungsexporte spielen, ziehen.
Waffen geeignet sind.
Deshalb ist die vorliegende Novellierung der Straf-
Ebenso sprach die Bundesregierung von zivilen prozeßordnung unzureichend. Wir brauchen ein ge-
Produkten, als bekannt wurde, daß die bayerische nerelles Exportverbot für Waffen und Rüstungsgüter,
Rüstungsschmiede MBB Kampfhubschrauber in den das im Grundgesetz verankert ist. Gleichzeitig müs-
Irak geliefert hatte. Als Kampfbomber vom Typ Tor- sen die Anstrengungen für eine weltweite paritätische
nado an das Königreich Jordanien geliefert werden Abrüstung erhöht werden. Wir brauchen fl ankierende
sollten — wobei die Kreditanstalt für Wiederaufbau Maßnahmen, um die Rüstungsindustrie zu einer Um-
diesen Deal mitfinanzieren sollte —, hieß es dann lapi- stellung auf zivile Märkte zu bewegen.
dar, die Verantwortung liege bei den Briten. Der von uns eingebrachte Gesetzentwurf zur Rü-
Dies ist die ganz alltägliche Normalität, die stungskonversion, der von diesem Parlament abge-
Deutschland zu einem der führenden Rüstungsexpor- lehnt worden ist, hätte die Bundesregierung beauf-
teure der Welt gemacht hat. tragt, sich um dieses Problem zu kümmern. Da die
Notwendigkeit eines solchen Gesetzes von den aktu-
(Geis [CDU/CSU]: Das ist Quatsch! Auf wel- ellen Ereignissen unterstrichen wurde, werden wir
chem Stern leben Sie denn? — Weitere Zu- den Entwurf demnächst erneut einbringen.
rufe von der CDU/CSU) Inzwischen könnte sich die Gesellschaft aber auch
Normal ist in diesem Land, daß umfangreiche Rü- mit den ihr eigenen Mitteln gegen Rüstungsex-
stungsexportgeschäfte abgewickelt und immer dann, porteure wehren. Wir schlagen vor, daß bei öffentli-
wenn es brenzlig wird, mit einer Fülle von Argumen- chen Ausschreibungen rüstungsexportierende Fir-
ten der Regierung legitimiert werden. Dabei reichen men nicht mehr den Zuschlag erhalten. Empfindliche
die offiziellen Äußerungen von der Behauptung, es Gewinneinbußen könnten schneller als alle anderen
handele sich um zivile Geschäfte, bis hin zu wirt- Maßnahmen die Exporteure zum Umdenken bewe-
schaftlichen und geostrategischen Interessen der gen.
Bundesrepublik. Vom ursprünglichen Gelöbnis „Nie
wieder deutsche Waffen" hin zu „Kein Krieg ohne Vizepräsident Cronenberg: Frau Abgeordnete, ich
uns" — das ist die tragische Bilanz deutscher Export- wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich einigermaßen an
politik, wobei alles mit Wissen und Billigung der Bun- die Zeit hielten. Ich habe Ihnen schon deutlich mehr
desregierung geliefert wird, was nicht ausdrücklich Zeit zugestanden.
verboten ist.
(Geis [CDU/CSU]: Meine Güte, Sie haben Frau Wollenberger (Bündnis 90/GRÜNE): Ich bin
keine Ahnung!) sofort fertig; nur noch zwei Sätze.
Wie bereitwillig die Bundesregierung mit ihren Ge- Gesetze lassen sich umgehen. Dem unbedingten
nehmigungen verfährt, beweist die Tatsache, daß sie Willen der Gesellschaft zur Veränderung ist dagegen
erst kürzlich den Export von Milan-Panzerabwehrra- nicht auszuweichen. Das haben die Erfahrungen des
keten nach Indien gestattete, obwohl ihr doch die friedlichen Umsturzes in Osteuropa belegt. Nur wenn
pakistanisch-indischen Spannungen bekannt sein es keinen Handlungsspielraum mehr für die Todes-
müßten. krämer gibt, können zukünftige Kriege verhindert
werden.
Ein Blick in die globalen Angaben der Bundesregie- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
rung zeigt, daß noch im Jahre 1989 genehmigungs-
pflichtige Waren von strategischer Bedeutung im (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE sowie bei
Wert von 95 Millionen DM ganz legal in den Irak Abgeordneten der PDS/Linke Liste)
geliefert wurden.
Vizepräsident Cronenberg: Nun hat das Wort der
In einer Antwort auf Fragen der GRÜNEN im Bun-
Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen Möllemann.
destag bestätigte die Bundesregierung im November
1990, daß noch 1985, also während des Krieges zwi-
schen Irak und Iran, sogar Waffenmunition und Rü- Möllemann, Bundesminister für Wirtschaft: Herr
stungsmaterial im Wert von 65 Millionen DM mit Bon- Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Her-
ner Genehmigung in den Irak gelangten. Branchen- ren! Ich möchte zunächst im Namen der Bundesregie-
kenner wie der Geschäftsführer der Fahrzeugfirma rung den Koalitionsfraktionen dafür danken, daß sie
Blumhardt in Wuppertal, Dr. Dieter Göhnen, erklär- bereit waren, den vor wenigen Tagen dem Parlament
ten, daß es zeitweise für Belieferungen p ri vater Kun- zugeleiteten Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundes-
den im Irak keine staatlichen Hermes-Bürgschaften tages einzubringen. Das wird zu einer ganz erhebli-
gab, wohl aber für die Exporte an die irakische Ar- chen Beschleunigung bei der Beratung des Gesetz-
mee. entwurfes führen. Damit können wir auch außenpoli-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 427

Bundesminister Möllemann
tisch demonstrieren, daß wir in der Lage sind, in dieser schon bei Verstößen gegen das Kriegswaffenkontroll-
sensiblen Frage rasch und entschlossen zu handeln. gesetz möglich ist.
Der Anlaß der Vorlage ist Ihnen bekannt. Dazu ei- Dieser Gesetzentwurf ist besonders eilbedürftig. Ich
nige Stichworte. Die Bundesregierung hat gegenüber wäre deswegen dankbar, wenn die Beratungen in den
dem Irak niemals Genehmigungen zum Export von zuständigen Ausschüssen so rasch wie möglich aufge-
Kriegswaffen — etwa Panzer, Kampfflugzeuge oder nommen werden könnten.
Raketen — gegeben; nicht nach 1982, allerdings auch Lassen Sie mich an dieser Stelle ganz klar sagen,
nicht vor 1982. Es laufen jedoch, wie Sie wissen, aus daß die Bundesregierung bei den anstehenden Bera-
der Zeit vor dem Embargo mehrere Verfahren wegen tungen bereit ist, Anregungen und Vorschläge für
illegaler Exporte. Diese Fälle sind besonders bedrük- eine noch bessere Ausgestaltung der Vorschriften des
kend und gefährlich, weil sie im Bereich der Techno- Außenwirtschaftsrechts zu berücksichtigen. Ich bin zu
logie für Chemiewaffen, Nukleartechnologie und Ra- einem aufgeschlossenen Dialog hierüber bereit.
keten stattgefunden haben.
Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf soll so rasch
Ferner sind in den letzten Monaten eine Reihe von wie möglich ergänzt werden — Herr Kollege Bach-
versuchten Verstößen gegen das Wirtschaftsembargo maier, ich möchte dies gerne, weil Sie dort ein Moni-
bekanntgeworden. Hier dauern die Ermittlungen tum hatten, erläutern —, und zwar noch in dieser Wo-
noch an. che, d. h. morgen, leiten wir dem Parlament eine Än-
derung des Außenwirtschaftsgesetzes zu, in dem das
Schließlich lassen die Bemühungen ausländischer
Zollkriminalinstitut die Möglichkeit erhält, Eingriffe
Staaten nicht nach, sich sensitive Waren zum Aufbau
in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis schon
einer eigenen Rüstungsproduktion aus der Bundesre-
bei tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht
publik Deutschland zu verschaffen. Leider haben
einer Straftat, also im Vorfeld von Außenwirtschafts-
deutsche Unternehmen hierzu Hilfestellung gelei-
verstößen, vorzunehmen.
stet.
Ich würde Sie herzlich bitten, darüber nachzuden-
Ein lückenloser Bericht über die Erkenntnisse über ken, ob das angesichts der Situation nicht wirklich
illegale Rüstungsexporte in den Irak soll diesem Haus notwendig ist, daß wir auf die Fälle, über die wir
möglichst rasch vorgelegt werden, wie ich es anläßlich reden, immer erst gestoßen sind, wenn vollendete Tat-
der Debatte vor einigen Wochen zugesagt habe. sachen geschaffen worden waren.
Unter dem Eindruck von Rabta sind das Außenwirt- (Bachmaier [SPD]: Es gibt aber andere!)
schaftsrecht und das Kriegswaffenkontrollgesetz in
den letzten zwei Jahren bereits mehrfach verschärft Von daher, meine ich, ist das ein Instrumenta ri um, das
worden. Mit dem Entwurf, den die Bundesregierung man bei durchaus legitimen Bedenken, die Sie ange-
jetzt vorgelegt hat und der heute zur ersten Beratung deutet haben, unter Güterabwägung doch einbringen
ansteht, sollen die einschlägigen Vorschriften in fol- kann.
genden Punkten noch verbessert werden. Gleichzeitig soll das Gesetz zu Art. 10 des Grundge-
setzes geändert werden, damit Erkenntnisse, die im
Erstens wird ein besonderer Straftatbestand für Em-
Rahmen der sogenannten strategischen Kontrolle
bargoverstöße eingeführt. Die Mindeststrafe beträgt
— § 3 des G-10-Gesetzes — gewonnen werden, ver-
jetzt ein Jahr, die Höchststrafe 10 Jahre Freiheits-
wertbar sind.
strafe.
Das Finanzministerium wird einen Entwurf zur Än-
Zweitens werden illegale Exporte über Strohmän- derung des Finanzverwaltungsgesetzes vorlegen, mit
ner mit einer Höchststrafe von fünf Jahren bestraft. dem der Aufgabenbereich des Zollkriminalinstituts
Drittens soll eine Ausfuhr auf Grund erschlichener erweitert wird.
Angaben regelmäßig eine Straftat mit einer Höchst- Schließlich wird das Justizministerium zwei Ent-
strafe von fünf Jahren und nicht mehr ein Tatbestand würfe vorlegen — Herr Kollege Bachmaier, auch dort
des Ordnungswidrigkeitsrechts sein. gilt, daß der Kabinettsbeschluß bereits gefaßt ist; es
Viertens werden illegale Ausfuhren von Waffen, geht schlicht um die technische Konkretisierung, es
Nukleargütern, Chemie- und Biologieanlagen, die zur steht nicht zur Disposition — : zum einen eine Ände-
Herstellung von Kampfstoffen geeignet sind, regel- rung des Strafgesetzbuches, in das die verschärften
mäßig Straftaten sein. Eines Nachweises, daß eine Strafbestimmungen des Außenwirtschafts- und des
Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundes- Kriegswaffenkontrollgesetzes künftig übernommen
republik erfolgt ist, bedarf es nicht mehr. werden sollen. Zum anderen wird eine Vorschrift vor-
gelegt, mit der alle Einnahmen aus illegalen Expo rten
Fünftens schlägt die Bundesregierung die Einfüh- abgeschöpft werden können, ohne daß der Exporteur,
rung einer Befugnis für den Wirtschaftsminister zur wie bisher möglich, Kosten abziehen kann. Damit
Anordnung von Außenwirtschaftsbeschränkungen wird das sogenannte Bruttoprinzip eingeführt. Das
im Einzelfall vor, um bei drohenden Ausfuhren, auch entspricht auch Ihrer Anregung. Hierüber gibt es also
ohne daß eine Rechtsverordnung vorliegt, rasch han- keinen Dissens.
deln zu können.
Wichtig ist auch eine noch effizientere Arbeit der
Sechstens soll in der Strafprozeßordnung die Mög- Genehmigungsbehörde. Wie Ihnen bekannt ist,
lichkeit zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs in möchte ich die Ausfuhrkontrollabteilung aus dem
Fällen begründeten Verdachts von Verstößen im Au- Bundesamt für Wirtschaft ausgliedern und zu einem
ßenwirtschaftsbereich geschaffen werden, was bisher selbständigen Ausfuhramt ausbauen. Sobald die tech-
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Bundesminister Möllemann
nischen Fragen geklärt sind, werde ich Ihnen einen men a p riori mit einer amoralischen, nicht akzeptab-
Gesetzentwurf zur Neuorganisation des Bundesamtes len Tätigkeit befaßt. Das ist nicht richtig.
vorlegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Lassen Sie mich noch sagen, daß ich es ausdrücklich Dann wären die Beschlüsse, die wir hier gefaßt haben,
begrüße, wenn die Medien, die politischen Instanzen unmoralisch. Ich bitte wirklich, das auseinanderzu-
und die Wirtschaftsverbände mit eindeutigen Äuße- halten. Die Frage, wem wir welche Rüstungsgüter in
rungen die Ächtungskampagne gegen diejenigen un- welches Land zu exportieren erlauben, ist eine ganz
terstützen, die die Möglichkeiten des freien Außen- andere.
wirtschaftsverkehrs in verbrecherischer Weise miß- Wir werden ja darüber in einer anläßlich des An-
braucht haben. Die allergrößte Zahl unserer Unter- trags über die Grundgesetzänderung zu führenden
nehmen — dies hinzuzufügen halte ich für genauso Debatte zu reden haben. Ich möchte die Kollegen der
geboten und selbstverständlich — verhält sich völlig SPD-Fraktion doch noch einmal bitten, darüber nach-
legal und wird in ihrem Ansehen dennoch von den zudenken, ob es so furchtbar überzeugend ist, wenn
kriminell Handelnden mitbelastet. Deswegen ist es man in ein und derselben Woche diesen Antrag an-
gut, wenn die Unternehmensverbände hier eindeutig kündigt und gleichzeitig dem Export von Rüstungs-
Partei nehmen und beziehen. Durch eine weitere ra- gütern in einen Nicht-NATO-Staat zustimmt. Sie ha-
sche Verschärfung der Exportkontrollen, wie jetzt vor- ben das getan. Ich habe dem auch zugestimmt. Aber
gesehen, und die ebenso energischen administrativen es ist nicht konsequent zu sagen „nur NATO" und
Maßnahmen müssen wir den illegalen Lieferanten das gleichzeitig zu sagen: auch nach Israel. Israel wird
Handwerk legen. wohl auch künftig der NATO nicht angehören. Von
Erlauben Sie mir zum Schluß zu drei Punkten der daher sehen Sie, daß man in gewissen Situationen
Debatte kurze Anmerkungen. Ich glaube, es hilft nicht gehalten sein kann, aus außenpolitischen Gründen
viel, wenn wir bei der Bewertung von Rüstungsgüter von einer Regel abzuweichen. Ich bitte Sie deswegen,
produzierenden Unternehmen Kriterien verwenden, noch einmal darüber nachzudenken, ob Ihr Antrag so
wie sie vorhin im Beitrag der Kommilitonin vom Bünd- konsequent ist.
nis 90 gebracht worden sind. Eine letzte Bemerkung. Wir werden auch über das
(Heiterkeit) Thema der Abwägung des Interesses an Kooperatio-
nen zum Zwecke der Standardisierung, der Kostener-
— Der Kollegin vom Bündnis 90. sparnis nationaler Rüstungsproduktionen z. B. eines
(Zuruf von der CDU/CSU: Der Bildungspoli- Flugzeugs — das ist heute auch gar nicht mehr zu
tiker!) bezahlen — und der restriktiven Exportpolitik zu re-
den haben. Sie wissen, daß wir Partner haben, die fast
— Es ist wohl wahr: Man wird den Bildungsminister so überallhin exportieren. Die Systeme, die wir heute im
schnell nicht los. Irak sehen, kommen ja durchweg durch die Bank aus
(Nolting [FDP]: Obwohl im Hörsaal die Leute Ost und West.
nicht so friedlich waren!) - Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, daß wir zu
entscheiden haben werden, ob wir alles nur noch na-
—Es ist wahr: In den Hörsälen war mehr los. Es waren
tional auf eigene Kosten produzieren oder nur noch im
auch mehr Leute da. Übrigens: Einer der Kollegen,
Ausland kaufen wollen. Man kann das wollen. Aber
der vorhin moniert hat, daß so wenige da seien, ist
so wird diese Debatte zu führen sein. Ich glaube, es ist
jetzt schon wieder nicht mehr hier. Es ist natürlich
vernünftig, wenn wir sie neben dieser Diskussion über
auch nicht so mitreißend, wenn Herr Gysi sagt, es
illegale Exporte und getrennt davon führen, weil es
müßten mehr hier sein, redet und dann selbst nicht
wirklich um zwei verschiedene Sachverhalte geht.
mehr da ist. Ganz konsequent ist das auch nicht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Nolting [FDP]: Ist auch nicht schade! — Gal-
lus [FDP]: Er hat sich entschuldigt!)
— Also, Herr Gysi hat sich bei Herrn Gallus entschul- Vizepräsident Cronenberg: Nun hat das Wort der
digt; das entschuldigt natürlich dann alles. Abgeordnete Eylmann.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU —


Gallus [FDP]: Da muß man fair sein!) Eylmann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bach-
Wir haben eine bewußte politische Entscheidung maier, Sie haben erst die Wortwahl des Kollegen Kit-
getroffen, die von fast allen Fraktionen dieses Parla- telmann kritisiert, dann aber in bezug auf den Kolle-
ments getragen wird: daß wir eine bewaffnete Lan- gen Kittelmann selbst von seinem „Tatbeitrag" ge-
desverteidigung haben. Daß wir für die dazu geschaf- sprochen. Sie wissen, daß das ein Beg ri ff aus dem
fene Bundeswehr die eigene Bewaffnung zum Teil Strafrecht ist. Ich meine, Sie sollten das zurechtrük-
selbst herstellen, ist gewollter Entschluß dieses Parla- ken.
ments. Die Aufträge hierzu werden von diesem Parla-
In der gegenwärtigen Situation ist eine nüchterne
ment beschlossen, auch die Finanzierung abgesi- und sachbezogene Behandlung des Themas Waffen-
chert.
export nicht einfach. Daß in Israel alte Menschen, die
Von daher ist es nicht seriös, wenn man in einer der Vergasung in der Nazizeit mit Mühe entronnen
Anwandlung von Populismus so tut, als wären die sind, gegenwärtig ständig eine Gasmaske bei sich tra-
Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Rüstungsunterneh gen müssen, weil sie wieder von einem skrupellosen
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 429
Eylmann
Diktator mit Giftgas bedroht werden, an dessen Pro- nen weit größeren Unfrieden auf der Welt hervorzuru-
duktion Deutsche mitgewirkt haben, ist ein Vorgang, fen, wenn sich ihre Ziele realisieren.
den mit Fassung zu ertragen uns allen schwerfällt. Ich
(Bachmaier [SPD]: Das war ein Tatbeitrag! —
weiß, wovon ich rede; denn ich habe vor zwei Wochen
Weiterer Zuruf von der SPD: Unerhört!)
in Israel vor diesen Menschen gestanden.
Wir sind uns sicherlich alle einig, daß diejenigen, Das, Herr Kollege, können Sie ja in vielen Äußerun-
die fahrlässig oder vorsätzlich an dieser Waffenpro- gen ehemaliger Mitglieder der Friedensbewegung
duktion mitgewirkt haben, unnachsichtig verfolgt und nachlesen. Ich denke nur an Wolf Biermann.
bestraft werden müssen. Ebenso besteht kein Streit (Nolting [FDP]: Sehr wahr! — Bindig [SPD]:
darüber, daß wir alles tun müssen, um zu noch stren- Sogenannter Abgeordneter!)
geren und wirksameren Exportkontrollen zu kom-
men. Vielleicht können wir Einigkeit wenigstens darüber
erzielen, daß das schwerwiegendste Problem nicht
Allerdings, wir müssen das bei allem emotionalen der genehmigungspflichtige Export von Waffen im
Engagement mit kühlem Kopf tun. Extreme cases engeren Sinne darstellt. Von der Bundesrepublik sind
make bad laws — Herr Kollege de With hat einmal — im Gegensatz zu westlichen Nachbarstaaten — sol-
dieses englische Rechtssprichwort hier zitiert. Nach che Waffen nicht in den Irak geliefert worden. Das
Ihrer Stakkato-Rede, Herr Kollege Bachmaier, scheint Problem stellen vielmehr die Lieferungen von Gütern
diese Gefahr bei Ihnen besonders aktuell zu sein. und Technologien dar, die sowohl für zivile als auch
(Bachmaier [SPD]: Was für eine Rede?) für militärische Zwecke eingesetzt werden können.
— Hören Sie zu, dann bekommen Sie auch alles Von den etwa 18 Millionen Exportsendungen, die
mit. jährlich die Bundesrepublik verlassen, enthält ein er-
Nun wird von der Opposition und auch weithin von heblicher Teil solche sensiblen Güter. Die Palette
der sogenannten Friedensbewegung aus durchsichti- reicht vom Lkw, den Sie natürlich auch für militäri-
gen politischen Gründen der Eindruck erweckt, die sche Zwecke einsetzen können, bis zum Computer-
Bundesregierung und die sie tragenden Parteien hät- und Softwarebereich. Es geht keineswegs nur um
ten den zur Waffenproduktion genutzten Technolo- Komponenten für Waffen, sondern auch um Techno-
gietransfer in den Irak verhindern können, wenn sie logien, die andere Länder in die Lage versetzen, selbst
es nur gewollt hätten. Das ist eine völlig unbewiesene Waffen sowohl für den eigenen Gebrauch als auch
Unterstellung, die zudem noch von eigenen Fehlein- wieder für den Export in andere Länder herzustel-
stellungen im Golfkonflikt ablenken soll. len.
Von den bisher wegen der Irak-Exporte eingeleite- Es ist kein Geheimnis, daß die größten Rüstungsex-
ten Ermittlungsverfahren ist bislang keines eingestellt porteure im Ostblock saßen. So ist seit Jahren be-
worden, weil die Vorschriften des Außenwirtschafts- kannt, daß die Sowjetunion unzweifelhaft der wich-
gesetzes nicht ausgereicht hätten. Im übrigen will ich tigste Waffenlieferant des Irak war. Ich erwähne dies
in diesem Zusammenhang — ausnahmsweise einmal - nicht zur Entlastung der Bundesrepublik, sondern um
zustimmend — den Kollegen Gansel zitieren — er ist die werte Opposition daran zu erinnern, daß sie sich in
leider nicht anwesend —, der Vergangenheit nachdrücklich für eine weitge-
(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Entschuldigt!) hende Aufhebung der COCOM-Liste eingesetzt hat.
der in der Debatte am 1. Juni des Vorjahres er- Ich zitiere aus der Großen Anfrage der SPD-Fraktion
klärte: vom 12. Juli 1988:
Wir hatten — das ist wahr — auch schon bisher Wir müssen wieder weg vom Embargo- und hin
schärfere Gesetze zur Kriegswaffenkontrolle als zum Kooperationsdenken. Die COCOM-Em-
andere Staaten. bargo-Liste muß endlich gründlich revidiert wer-
den. Was nicht im engeren Sinne
— im engeren Sinne! —
Vizepräsident Cronenberg: Sind Sie bereit, eine
Zwischenfrage zu beantworten? als Waffe, Waffenbestandteil und Technik zur
Herstellung von Waffen zählt, muß von der Liste
gestrichen werden.
Eylmann (CDU/CSU): Ja.
Nun will ich ja nicht bestreiten, daß damals im Inter-
esse der wirtschaftlichen Entwicklung der Ostblock-
Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr. länder eine Durchforstung der COCOM-Liste sinnvoll
war, obwohl wir damals nicht so weit gegangen sind,
Dr. Ullmann (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Abgeord-
wie Sie es wollten. Aber daß jede Lockerung der
COCOM-Liste bei der Dual-use-Technologie die Ge-
neter, darf ich Sie bitten, das Wort „sogenannten" zu
erläutern, das Sie jetzt in Verbindung mit der Frie- fahr mit sich bringt, daß über Ostblockstaaten diese
densbewegung gebraucht haben? Technologie auch in den Nahen Osten gelangt oder
Ostblockstaaten den Nahen Osten mit Waffen versor-
(Zuruf von der FDP: Philologe! — Weiterer gen, die gerade unter Anwendung dieser Technologie
Zuruf von der FDP: Philister!) auf den modernsten Stand gebracht worden sind,
kann man ja nicht ernsthaft in Abrede stellen.
Eylmann (CDU/CSU): Das mache ich gern; denn ich Ihrer Politik fehlt eine klare Linie. Damals waren Sie
glaube, daß die Friedensbewegung in Gefahr ist, ei ungeheuer liberal, heute wollen Sie am liebsten jeden
430 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Eylmann
Exporteur von Dual-use-Gütern, ganz gleich ob er Instrumentarium für die Aufklärung und Fahndung in
fahrlässig oder vorsätzlich handelte oder vielleicht die Hand bekommen.
gutgläubig war, hinter Gitter bringen.
(Beifall des Abg. Kleinert [Hannover]
[FDP])
Vizepräsident Cronenberg: Sind Sie bereit, noch
eine Zwischenfrage zu beantworten? Wir weisen schon seit längerer Zeit darauf hin, daß
uns die organisierte grenzüberschreitende Krimina-
Eylmann (CDU/CSU): Wenn das nicht auf meine lität, wozu der Handel mit Drogen, aber auch der mit
Redezeit angerechnet wird, gerne. Waffen gehört, über den Kopf zu wachsen beginnt.
In dem heute vorgelegten Gesetzentwurf ist zu-
Vizepräsident Cronenberg: Ich rechne es Ihnen nächst nur der Katalog der Straftaten, deren Verdacht
nicht an. eine Telefonüberwachung möglich macht, um § 34
AWG erweitert worden. Darüber hinaus brauchen wir
Poppe (Bündnis 90/GRÜNE) : Können Sie mir erklä- aber dringend sowohl praktikable als auch rechts-
ren, was Sie angesichts der grundlegend veränderten staatlich abgesicherte Regelungen moderner Aufklä-
Verhältnisse in Ost- und Mitteleuropa unter dem Be- rungs- und Fahndungsmethoden.
griff Ostblock verstehen?
Ich erinnere an das vor einigen Monaten vom Bun-
desrat eingebrachte Gesetz zur Bekämpfung des ille-
Eylmann (CDU/CSU): Sie wissen auf der einen galen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungs-
Seite, daß die COCOM-Liste den Export in die UdSSR formen der organisierten Kriminalität, das ja gesetzli-
beschränkte, und Sie wissen auf der anderen Seite, che Grundlagen für den Einsatz dieser modernen
daß die Sowjetunion bis in die jüngste Zeit hinein Fahndungsmethoden schaffen wollte. Ich halte es für
— auch nach Ausbruch des Iran-Irak-Krieges — den dringend erforderlich, möglichst schnell ein Strafver-
Irak in großem Maße mit modernen Rüstungsgütern, fahrensänderungsgesetz vorzulegen, das diese Fra-
mit modernen MiG-Abfangjägern beliefert hat. Dieser gen regeln soll. Ich begrüße sehr die Ankündigung
Zusammenhang ist deutlich, und er scheint mir eine des Ministers, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
ausreichende Antwort auf das zu sein, was Sie hier zu Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis schon
rügen scheinen. zur Vorfeldaufklärung ermöglichen soll.
(Poppe [Bündnis 90/GRÜNE]: Warum sagen
Sie dann nicht gleich UdSSR?) Unseren Zoll- und Polizeibeamten ist nicht zuzumu-
ten, daß man sie mit einem völlig unzulänglichen In-
Obwohl wir noch nicht einmal Erfahrungen mit dem strumentarium in den Kampf gegen hochspezialisierte
ab 1. Juli des letzten Jahres geltenden verschärften Verbrecherorganisationen schickt. Außerdem scheint
Außenwirtschaftsrecht haben, wollen wir jetzt § 34 mir auch die Frage noch nicht ausdiskutiert zu sein, ob
des Außenwirtschaftsgesetzes weiter verschärfen. wir beim Kampf gegen den Waffenhandel im weite-
Wir werden im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens sten Sinne nicht auch andere Behörden als Zoll und
für weitere Vorschläge offen sein. Polizei zur Vorfeldaufklärung einsetzen müssen. Ich
Ich warne aber davor — ich habe das schon mit mei- denke an den Bundesnachrichtendienst, über den in
ner Zwischenfrage getan — , die generalpräventive diesem Zusammenhang ja schon nachgedacht wor-
Wirkung solcher Gesetzesänderungen zu überschät- den ist und über den wir weiter nachdenken müs-
zen. Sie selbst haben uns mehrfach darauf hingewie- sen.
sen, z. B. im Zusammenhang mit der Terrorismusbe-
kämpfung und der Bekämpfung des Rauschgifthan- Bisher haben Sie, meine Damen und Herren von der
dels. Wir sehen in der Tat bei der organisierten Krimi- Opposition, immer dann, wenn es um eine gesetzliche
nalität, daß die Androhung hoher Strafen allein wenig Regelung dieser neuartigen Fahndungs- und Aufklä-
bewirkt. Jemand, der in großem Maße mit Rauschgift rungsmethoden ging, ablehnend reagiert und ein
handelt, will genauso wenig ins Gefängnis kommen Schild hochgehalten, auf dem stand: Datenschutz.
wie derjenige, der mit Waffen handelt. Die Wirksam-
(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Rechtsstaat!)
keit der Generalprävention hängt davon ab, wie hoch
das Risiko für den Täter ist, auch erwischt zu wer- Es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie auf der einen
den. Seite vollmundig fordern, der Staat möge jeden illega-
Allein auf dem Frankfurter Flughafen werden mo- len Export von Rüstungsgütern im weitesten Sinne
natlich im Durchschnitt mehr als 200 000 Kisten für die unter Einschluß von Dual-use-Gütern unmöglich ma-
Ausfuhr abgefertigt. Nach Schätzungen der Zoll- chen, ihm auf der anderen Seite aber die dafür erf or-
dienststellen enthalten deutlich über 10 000 dieser Ki- derlichen gesetzlichen Möglichkeiten verweigern
sten sensible Ware. Aus technischen und personellen und ihm dann, wenn leider Gottes der eine oder an-
Gründen kann aber weniger als 1 % dieser Kisten tat- dere kriminelle Waffenexporteur unentdeckt bleibt,
sächlich überprüft werden. auch noch Komplizenschaft vorwerfen. Dieses Dop-
Dieses Beispiel macht doch deutlich, worum es in pelspiel werden wir nicht länger hinnehmen. Sie wer-
Wahrheit geht. Wir brauchen weniger neue Straftat- den demnächst Gelegenheit haben, unter Beweis zu
bestände und schärfere Strafandrohungen als viel- stellen, daß Sie auch zu den strafprozessualen Konse-
mehr eine höhere Aufklärungsquote. Diese läßt sich quenzen Ihrer heutigen Forderungen stehen.
nur erreichen, wenn unsere Strafverfolgungsbehör- Vielen Dank.
den effektiver arbeiten können. Dies wiederum kön-
nen sie nur, wenn sie ein verbessertes gesetzliches (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 431

Vizepräsident Cronenberg: Damit sind wir am Ende Fraktion der SPD 5 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag
der Aussprache. der Fraktion der FDP 1 Mitglied.
Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesver-
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzent- fassungsgericht sind die Mitglieder in der Reihenfolge
würfe der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP sowie gewählt, in der ihre Namen auf dem Vorschlag er-
der SPD auf den Drucksachen 12/104 und 12/120 an scheinen. Ich bitte Sie, die Namen aus der Drucksache
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu 12/91 (neu) zu entnehmen. Selbstverständlich werden
überweisen. Gibt es Wünsche, dies zu ändern, oder die Namen auch ausgehängt. * )
auch zusätzliche Wünsche? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme nunmehr zum Ergebnis der Wahl der
Die Anträge der Fraktion der SPD auf Drucksache Mitglieder des Richterwahlausschusses nach § 5 des
12/119 und der PDS/Linke Liste auf Drucksache Richterwahlgesetzes. Von den 662 stimmberechtigten
12/116 sollen an dieselben Ausschüsse überwiesen Abgeordneten haben 620 ihre Stimme abgegeben.
werden. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Auch das Davon waren 601 Stimmen gültig, 19 Stimmen ungül-
ist nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen tig. Es gab zwei Enthaltungen.
feststellen.
Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Wahl-
Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kom- vorschlag der Fraktion der CDU/CSU 301 Stimmen,
men, kann ich weitere Ergebnisse der Wahlen be- auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 232 Stim-
kanntgeben. *) men, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der FDP 66
Es geht zunächst einmal um die Parlamentarische Stimmen. Ebenfalls nach dem Höchstzahlverfahren
Kontrollkommission. Von 662 stimmberechtigten Ab- d'Hondt entfallen auf den Wahlvorschlag der Fraktion
geordneten haben 620 ihre Stimme abgegeben. der CDU/CSU 9 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag
619 Stimmen waren gültig, eine war ungültig. Enthal- der Fraktion der SPD 6 Mitglieder, auf den Wahlvor-
tungen gab es keine. schlag der Fraktion der FDP 1 Mitglied.
Nach § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes sind die
Die von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und
Mitglieder und ihre Stellvertreter ebenfalls in der Rei-
der FDP vorgeschlagenen Abgeordneten haben die
henfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Vorschlag
erforderliche Mehrheit erreicht. Die Abgeordneten
erscheint. Ich bitte, die Namen aus der Drucksache
der Gruppen PDS/Linke Liste und Bündnis 90/
12/92 (neu) zu entnehmen. Auch dieses Ergebnis wird
GRÜNE haben die Mehrheit der Stimmen der Mitglie-
ausgehängt. ** )
der nicht erreicht.
Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommis- Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr
sion sind demnach die Abgeordneten Dr. Laufs, Dr. zum Tagesordnungspunkt 6:
Olderog, Kraus, Dr. Penner, Dr. Struck, Dr. de With, Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Solms und Dr. Hirsch. Thierse, Roth, Adler, Koltzsch, Kuessner, Mül-
Ich gebe nunmehr die Wahl der Mitglieder des Ver- ler (Schweinfurt), Oostergetelo, Pfuhl, Sielaff,
Schröter (Oranienburg-Nauen), Dr. Thalheim,
trauensgremiums bekannt. Von den 662 stimmbe-
rechtigten Mitgliedern haben 620 ihre Stimme abge- Weyel, Wimmer (Neuötting) und der Fraktion
geben. Wiederum waren 619 Stimmen gültig und eine der SPD
ungültig. Es gab keine Enthaltungen. Verlängerung der Aussetzung der Zins- und
Tilgungsleistungen auf Altkredite im Bereich
Die von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der Landwirtschaft der neuen Bundesländer
der FDP vorgeschlagenen Abgeordneten haben die
Stimmen der Mehrheit der Mitglieder erlangt, nicht — Drucksache 12/13 —
dagegen die von den beiden Gruppen vorgeschlage- Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
nen Abgeordneten.
(federführend)
Zu den Mitgliedern des Vertrauensgremiums sind Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
demnach die Abgeordneten Roth (Gießen), Dr. Rose,
Walther, Purps und Dr. Weng (Gerlingen) gewählt. Hier ist interfraktionell der Vorschlag gemacht wor-
den, eine Debattenzeit von 45 Minuten zu akzeptie-
Ich gebe jetzt das Ergebnis der Wahl für das Gre- ren. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist
mium der Wahlmänner gemäß § 6 Abs. 2 des Geset- nicht der Fall. Ich kann dies als beschlossen feststel-
zes über das Bundesverfassungsgericht bekannt. Von len.
den 662 stimmberechtigten Abgeordneten haben 620
ihre Stimme abgegeben. Davon waren 599 Stimmen Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Thalheim.
gültig und 21 Stimmen ungültig. Es gab drei Enthal-
tungen.
Dr. Thalheim (SPD): Verehrter Herr Präsident! Sehr
Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Wahl- geehrte Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten
vorschlag der Fraktion der CDU/CSU 301 Stimmen, haben im Dezember einen Antrag für eine Verlänge-
auf den Wahlvorschlag der Fraktion der SPD 229 Stim- rung des Schuldenmoratoriums im Bereich der Land-
men, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der FDP wirtschaft eingebracht. Diesem Vorschlag entsprach
66 Stimmen. Nach dem Höchstzahlverfahren d'Hondt die Bundesregierung, und das zum Jahresende 1990
entfallen auf den Wahlvorschlag der Fraktion der auslaufende Schuldenmoratorium wurde verlängert.
CDU/CSU 6 Mitglieder, auf den Wahlvorschlag der
*) Siehe auch Anlage 3
*) Liste der Teilnehmer an den Wahlen Anlage 2 **) Siehe auch Anlage 4
432 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Thalheim
Auch der zweiten Forderung des SPD-Antrags nach macht: die Probleme verniedlicht und uns als Nörgler
Entschuldung landwirtschaftlicher Bet ri ebe hat die hingestellt.
Bundesregierung formal Rechnung getragen, indem
sie sich mit der Treuhandanstalt auf ein Konzept der (Zurufe von der SPD: Sehr wahr! — Leider
Einzelfallentschuldung verständigte. Der Auftrag des wahr! — So ist das!)
Art . 25 Abs. 3 des Einigungsvertrages ist damit für sie Jetzt darf nicht noch mehr Zeit verstreichen. Es ist
ausgefüllt. Also alles bestens? ein agrarpolitisches Konzept für die Umstrukturie-
rung der Landwirtschaft in der ehemaligen DDR not-
Wir meinen: keinesfalls. Meine Damen und Herren wendig. Dieses Konzept kann nur von der realen Be-
von den Regierungsparteien, die Situation in der triebsstruktur ausgehen, wie sie jetzt in den neuen
Landwirtschaft der ehemaligen DDR ist katastrophal. Bundesländern gegeben ist. Eine Übernahme der
Das ist in erster Linie eine Folge der Mißwirtschaft in Agrarstruktur der alten Bundesländer ist unreali-
der DDR, die von der SED und den Blockparteien zu stisch. Wir sehen die Aufgabe der Agrarpolitik da ri n,
verantworten ist. Aber wie in der übrigen Wirtschaft Leitlinien für die dringend notwendige Umstrukturie-
sind auch in der Landwirtschaft seitens der Bundesre- rung der Landwirtschaftsbetriebe vorzugeben, die auf
gierung die Probleme völlig verkannt worden. Auch den heutigen Strukturen in den neuen Bundesländern
die agrarpolitischen Entscheidungen des letzten hal- aufbauen, eine Chancengleichheit aller Betriebsfor-
ben Jahres wurden in erster Linie unter wahltakti- men einräumen, ohne den landwirtschaftlichen Fami-
schem Blickwinkel getroffen. Die Eckpunkte künfti- lienbetrieb als Leitbild der EG-Agrarpolitik grund-
ger Agrarpolitik sind bis heute nur verschwommen zu sätzlich aufzugeben. Neben der Ausgestaltung der
erkennen. Die Verwirrung ist groß. Förderprogramme zur Umstrukturierung sehen wir
zwei Schwerpunkte:
Stellvertretend für die Verunsicherungspolitik sei
die im Dezember 1990 durch das Bundesministerium Erstens die Novellierung des Landwirtschaftsan-
für Landwirtschaft verfügte Sperrung und dann doch passungsgesetzes mit dem Ziel, die Bedingungen für
noch erfolgte Freigabe der Starthilfe für die Umstruk- die Umstrukturierung der ehemaligen LPGen ein-
turierung der LPGen und der Zuschüsse für die um- schließlich der Vermögensauseinandersetzung beim
weltverträgliche Landwirtschaft genannt. Bis Ende Ausscheiden ehemaliger Mitglieder präziser zu fas-
Februar war nicht klar, ob sich die CSU mit ihrem sen. Die Aktivitäten der Bundesregierung auf diesem
ausschließlich auf Familienbetriebe orientierten Gebiet werden von uns unterstützt.
agrarpolitischen Konzept durchsetzen kann oder ob
die Umstrukturierungsförderung auch für ehemalige Zweitens. Die Fragen der Entschuldung der Altkre-
LPGen als Genossenschaften und Kapitalgesellschaf- dite müssen im Sinne der Betroffenen zufriedenstel-
ten weitergehen wird und wieviel Mittel insgesamt lend gelöst werden. Die Entschuldung muß vor dem
dafür zur Verfügung stehen werden. Hintergrund der sogenannten sozialistischen Agrar-
politik gesehen werden.
Es ist also kein Wunder, daß sich die falsche Ein- Die Landwirtschaft unterlag wie kaum ein anderer
-
schätzung der Situation und die zögerliche Haltung Bereich der staatlichen Reglementierung. Der größte
der Regierungsparteien auf die Stimmung der Men- Teil der Schulden im investiven Bereich geht auf poli-
schen in den neuen Bundesländern niederschlägt. tisch verordnete Objekte zurück. Das waren erstens
Anlagen der industriemäßigen Tierproduktion und
(Zuruf von der SPD: In allen Bereichen!) zweitens Anlagen im Bereich der Gemüse- und Son-
derkulturproduktion mit dem Ziel einer autarken Ver-
Diese ist von Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst
sorgung der Bevölkerung. Durch staatliche Preis- und
geprägt. Vielen ehemaligen LPGen droht der Kon-
Subventionspolitik wurde künstlich ein positives Auf-
kurs, oder er ist schon eingetreten. Die Folgen sind
wand/Nutzen-Verhältnis ermöglicht. Mit der Wirt-
wachsende Arbeitslosenzahlen gerade in den struk-
schafts-, Währungs- und Sozialunion sind diese Vor-
turschwachen ländlichen Räumen ohne nennens-
aussetzungen für ein derartig „effektives" Wirtschaf-
werte Erwerbsalternativen. Die erforderliche Um-
ten entfallen.
strukturierung der Landwirtschaftsbetriebe, also der
oft überdimensionierten LPGen, geht nur schleppend (Hornung [CDU/CSU]: Effektiv?)
voran. Das gleiche gilt für die Zusammenführung der
Tier- und Pflanzenproduktion. Nicht zuletzt ist die oft — Das „effektiv" ist bewußt in Anführungszeichen
unterschiedliche Verschuldungshöhe der Bet ri ebe ein gesetzt, weil das seinerzeit auf Subventionen be-
Hemmnis für das Zusammengehen. Die Wiederein- ruhte.
richtung landwirtschaftlicher Familienbetriebe bleibt Unter heutigen Bedingungen sind aus den Einnah-
weit hinter den Erwartungen zurück. Dazu kommt die men weder eine Tilgung noch eine Zinszahlung reali-
unbef ri edigende Erlössituation, die alle Betriebsfor- sierbar. Die Gründe dafür können wir wie folgt aufli-
men gleichermaßen hart trifft. Die Auszahlungspreise sten.
beispielsweise bei Milch liegen erheblich unter denen
in den alten Bundesländern. Erstens. Gemessen am bundesdeutschen Standard
sind die Anlagen technisch/technologisch veraltet
Wir Sozialdemokraten haben frühzeitig auf die Pro- bzw. basierten auf einer unter Effektivitätskriterien
bleme aufmerksam gemacht und haben Infrastruktur- ungeeigneten technologischen Grundkonzeption.
investitionen in den ländlichen Räumen sowie Anpas- Selbst bei straffester Rationalisierung sind diese Anla-
sungs- und Überbrückungshilfen für die neuen Bun- gen weder einer effektiven Nutzung noch einem wirt-
desländer gefordert. Sie haben das Gegenteil ge schaftlichen Umbau zuzuführen.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 433

Dr. Thalheim
Zweitens. Die Anlagen wurden vergleichsweise ko- -schuldung auf 1,4 Milliarden DM. Es ist zu fragen, ob
stenaufwendig errichtet. Selbst nach der Währungs- die 1,4 Milliarden DM ausreichen werden oder ob an
union liegen die Gestehungskosten über dem ver- sich sanierungsfähige Bet riebe über dieser Plafondie-
gleichbaren Niveau der Altländer. Der technologische rung kaputtgehen.
Rückstand ist dabei noch nicht berücksichtigt.
Vage ist auch die Regelung, daß nur Verbindlich-
Drittens. Viele Anlagen sind unter den heutigen keiten entschuldet werden, die keinen positiven Bei-
marktwirtschaftlichen Bedingungen überhaupt nicht trag zum Bet riebsergebnis geleistet haben.
mehr zu nutzen, sofort stillzulegen oder bereits stillge-
legt. Völlig abwegig ist außerdem die Vorstellung des
Bundesfinanzministers, daß Bet riebe, die nach der
Ich möchte diese Aussagen am Beispiel von konkre- Entschuldung Gewinne machen, 50 % dieser Ge-
ten Objekten aus meinem vorhergehenden Verant- winne wieder an die Treuhand abführen müssen.
wortungsbereich, der Abteilung Landwirtschaft des
Regierungsbezirks Chemnitz, erhärten. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD:
Unmöglich!)
(Hornung [CDU/CSU]: Das müssen Sie gar
nicht!) Für diesen Teil der Betriebe stellt die Regelung keine
Diese Beispiele sollen exemplarisch für einen großen Entschuldung dar, sondern nur ein Schuldenmorato-
Teil der Altschulden stehen. rium.
Erstes Beispiel: eine Gewächshausanlage in der Solche Betriebsleiter, die den Neubeginn wagen
LPG Schwarzenberg. Sie wurde in 500 Meter Höhe und tatkräftig angehen, werden sogleich wieder beim
zur Tomatenproduktion errichtet. Jährlicher Zuschuß: Übergang von der Marx- zur Marktwirtschaft be-
1 Million Mark. straft.
(Hornung [CDU/CSU]: Welch ein seltsames Richtig ist, von den umzuschuldenden Bet rieben
Land!) Sanierungs- und Entwicklungspläne zu verlangen.
Aber die Betriebe, die diese vorlegen können, weil sie
Zur Zeit sind die Nachfolgebetriebe, in der Regel
berechtigte Hoffnungen auf die Wettbewerbsfähig-
kleine Landwirtschaftsbetriebe, mit den Altkrediten
keit in einem übersehbaren Zeitraum haben, müssen
belastet.
nach unserer Auffassung alle in den Genuß der Ent-
Zweites Beispiel: im Kreis Rochlitz die Milchviehan- schuldung kommen. Sie fallen nach unserer Auffas-
lage der LPG Kottwisch. Sie war als RGW-Beispielsan- sung unter die Einzelfallregelung des Art. 25 Abs. 3
lage mit 400 Milchkuhplätzen geplant. Sie wurde auf des Einigungsvertrages. Hier gibt es aber noch einige
630 aufgestockt mit dem Hinweis, daß erhebliche Haken. Die Bundesregierung ist zwar unserer Auffas-
staatliche Fördermittel eingesetzt werden sollten. sung, daß das Schuldenmoratorium zu verlängern ist,
Letzten Herbst, bei 80 % Fertigstellung, erfolgte der gefolgt, sie hat es aber unterlassen bzw. nicht gelei-
Baustopp. Zur Zeit ist die Anlage mit 7,6 Millionen stet, daß nahtlos Entschuldungsregelungen greifen.
DM belastet. Für die Fertigstellung wären noch 2 Mil--
lionen DM nötig. Der Bet rieb ist in Konkurs gegangen. Jetzt kann es geschehen, daß an sich sanierungsfä-
Zur Zeit verschleudert ein Konkursverwalter aus den hige Betriebe durch die hohen Zinszahlungen, die
alten Bundesländern das Vermögen. Die Konsequenz: nach der Beschlußlage der Bundesregierung sofort
Die ehemaligen Landeinbringer werden den nackten oder noch vor einer möglichen Entschuldung einset-
Boden aus dem Betrieb zurückbekommen. Ich frage zen, so geschwächt werden, daß auch sie pleite gehen.
Sie: Wie will ein p rivater Landwirt so anfangen? Die Das darf nicht geschehen.
Folge wird sein, daß das Land von Großpächtern aus Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, sofort
den alten Bundesländern gepachtet wird. Damit ent- das Schuldenmoratorium solange zu verlängern, bis
stehen landwirtschaftliche Strukturen, wie wir sie ge- über die Entschuldung in allen Einzelfällen entschie-
rade nicht haben wollen. Der Vorwurf, der an die Ent- den ist.
schuldung gebunden ist, daß wir damit Strukturen
zementieren wollten, wird dadurch ad absurdum ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
führt. Die zwei Beispiele stehen exemplarisch und sol- der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)
len genügen. Dies ist auch deshalb nötig, weil zwar richtigerweise
Solange ungewiß ist, wer die Schulden für diese von den zu entschuldenden Bet rieben Sanierungs-
unwirtschaftlichen oder nutzlosen Anlagen über- und Entwicklungspläne verlangt werden, diese aus
nimmt, bleibt die Herausbildung von Familienbetrie- verständlichen Gründen aber nicht von heute auf
ben schwierig und die Teilung der Genossenschaften morgen zu erstellen und zu begutachten sind.
problematisch, weil die Nachfolgebetriebe die Schul-
den übernehmen müssen. Aus diesen Gründen for- Die Verwaltung, die das alles kann, gibt es in den
dern wir mit Nachdruck die Entschuldung. neuen Ländern noch gar nicht. Sie befindet sich im
Aufbau.
Auch kritisieren wir die Entschuldungskonzeption
der Bundesregierung, die uns bis jetzt zwar nur im (Hornung [CDU/CSU]: Aber Geld darf in die
Entwurf vorliegt. Aber wir können uns schon mit dem ser Zeit nicht auf die Seite geschafft wer
Entwurf nicht einverstanden erklären. den!)
Am 1. Juli war die DDR-Landwirtschaft mit 7,6 Mil- Auch aus diesem Grunde muß die Bundesregierung
liarden DM verschuldet. Nach unserer Kenntnis plant das Schuldenmoratorium verlängern und die Ent
die Bundesregierung eine Plafondierung der Ver schuldung, den Verwaltungsaufbau, auch mit Ver-
434 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Thalheim
waltungshilfe aus den alten Ländern, vorantreiben. der Gesamtbevölkerung künstlich am Leben erhalten.
Alles andere wäre unredlich. Sie können im Statistischen Jahrbuch nachlesen, daß
Ich betone noch einmal: Ihre Plafondierung ist Aus- 1989 die tatsächlichen Verluste für den Staatshaushalt
druck von Halbherzigkeit und eine leider auch in die- netto 4 500 Ostmark pro Hektar betrugen. Dies wurde
sem Punkt konsequente Fortsetzung der bereits von lügenhaft als Stützung der Verbraucherpreise ver-
mir geschilderten CSU-Politik zum Nachteil vieler kauft. Die Butter war teurer als hier.
landwirtschaftlicher Bet ri ebe bei uns. (Zuruf von der PDS/Linke Liste)
Unser Antrag, das Schuldenmoratorium zu verlän- — Für die Wasserbutter nicht; dafür gilt es nicht.
gern und Entschuldungsregelungen zu erlassen, die Für Investitionen mußten aber auch dann noch
einen Neubeginn in der Landwirtschaft der neuen Zwangskredite aufgenommen werden, wenn die
Bundesländer nicht behindern, sondern beim Über- LPGen ein Guthaben hatten. In den meisten LPGen
gang zur Marktwirtschaft fördern, hat deshalb bis überstiegen demgegenüber — das ist für einen West-
heute seine volle Berechtigung. deutschen ganz schwer verständlich — die Zwangs-
Ich fordere Sie auf, die Gesamtprobleme der Alt- abführungen an den Staatshaushalt bei weitem die
schulden nunmehr endlich zufriedenstellend im noch offenstehenden Kreditsummen — sie wurden
marktwirtschaftlichen Sinne zu regeln. genannt — in Höhe von derzeit 7,6 Milliarden DM.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Das heißt, unabhängig von allem anderen Finanz-
tohuwabohu hatten die Betriebe in den letzten fünf bis
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten acht Jahren wesentlich höhere Summen, das Mehrfa-
der FDP) che, über dieselben Banken abzuführen, bei denen
noch Kredite ausstanden. Das Finanzdurcheinander
der Papiermark der DDR war auch in der Landwirt-
Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge-
schaft rechnerisch richtig und gleichzeitig sachlich
ordnete Dr. Krause (Bonese).
völlig falsch.
Es wird die Verlängerung des Schuldenmoratori-
Dr. Krause (Bonese) (CDU/CSU): Sehr verehrter ums geben; darüber sind sich doch alle einig. Aber sie
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- verlangt konkrete Bedingungen: eine juristisch ein-
gen! Beim vorliegenden Antrag haben wir den Fall, wandfreie Umwandlung der sozialistischen Zwangs-
daß eine Oppositionspartei vom Plenum die Weiter- genossenschaften, eine Wiederherstellung von Verfü-
führung von Maßnahmen fordert, die die Regierung gungsgewalt und Verantwortung der Eigentümer,
seit Monaten ohnehin durchführt. und zwar der Verfügungsgewalt über Vermögen und
(Sielaff [SPD]: Wovon reden Sie denn?) über die Geschäftsführung. Hören Sie den Vorschlag:
die Verfügungsgewalt der Eigentümer über Vermö-
Warum der Antrag? Wenn dich deine Gegner loben, gen und über die Geschäftsführung.
dann traue ihnen nicht.
Die Beschäftigten, die heute noch in den Bet ri eben
(Sielaff [SPD]: Wo leben Sie denn?) arbeiten, verfügen seit einem Jahr plötzlich ganz al-
— Ich lebte bislang als Dezernent in einem Kreis, in lein über das Betriebsvermögen. Was derzeit in vielen
dem die meisten Privatisierungen im Land Sachsen- LPGen läuft, wurde angedeutet, ist aber — hören Sie
Anhalt stattgefunden haben. Wenn es hier so darge- bitte zu, meine Herren Sozialisten — eine Umvertei-
stellt worden ist, als gäbe es in der Landwirtschaft der lung des den Bauern geraubten Eigentums auf die
ehemaligen DDR nur lammfromme Opfer, so ist das Arbeitnehmer und — wie schon gesagt — betriebs-
wirklich nur die halbe Wahrheit und führt am Thema fremde kriminelle Elemente.
vorbei. (Beifall der Abg. Hornung und Schwalbe
(Beifall des Abg. Schwalbe [CDU/CSU] — [CDU/CSU])
Zuruf von der SPD: Was ist denn die andere
Hälfte der Wahrheit?)
Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter,
Dieser Antrag muß Anlaß sein, das bisherige allge- sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten
meine Schuldenmoratorium noch einmal zu hinter- Oostergetelo zuzulassen?
fragen.
(Sielaff: [SPD]: Dann machen Sie mal einen
Vorschlag!) Dr. Krause (Bonese) (CDU/CSU): Noch nicht, am
Schluß.
Woraus resultiert die Verschuldung der landwirt-
schaftlichen Produktionsgenossenschaften? Ich will Wer sich an der gesetzwidrigen und kriminellen
nicht das wiederholen, was der Vorredner sagte. Die Aufteilung der von den LPGen nur genutzten Vermö-
sogenannten LPGen waren staatlich gelenkte Be- gen jetzt beteiligt, macht sich persönlich mitschuldig.
t ri ebe. Die Eigentümer waren de facto enteignet. Eine Dies ist ein Trojanisches Pferd der alten Machthaber
LPG mit Namen F ri ed ri ch Schiller war z. B. ebenso- des SED-Staates. So werden bisher redliche Men-
wenig ein literarischer Verein wie eine Genossen- schen systematisch an neuem Unrecht beteiligt. Die
schaft. Landbevölkerung — das werden mir diejenigen, die
aus der ehemaligen DDR kommen, bestätigen — wird
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und gegeneinander aufgewiegelt. Wer sich am Betrug be-
der FDP) teiligen läßt, wird aber letztendlich der am meisten
Die sogenannte sozialistische Landwirtschaft Betrogene sein. Er soll dann die Zeche für die SED-
wurde mit immer höheren Subventionen zu Lasten Verbrecher mitbezahlen.
Deutscher Bundestag - 12 Wahlperiode - 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 435

Dr. Krause (Bonese)


Deshalb sind wir konkret für eine Entschuldigung Regen über Gerechte und Ungerechte lehnen wir
der nicht Schuldigen, aber nicht für einen pauschalen ab.
Freibrief für die in vielen LPGen immer noch wirt- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Haben Sie das
schaftenden roten Bankrotteure. alles verstanden? — Heiterkeit)
(Beifall bei der CDU/CSU) - Das habe ich selbst geschrieben. — Eine spätere
teilweise Rückzahlung, wie das hier genannt wurde,
Es darf und wird demzufolge keine Haftungsge-
bedeutet ja nicht - das hat niemand gesagt —, daß
meinschaft zwischen den sozialistischen Betrügern
50 % der Gewinne an die Treuhand gehen, sondern es
und den betrogenen Bauern geben. Die Bestohlenen
haften nicht für die Verbindlichkeiten der roten geht, fa lls Gewinne gemacht werden, um his zu 50 %
dieser bilanzierten Entlastung. Das ist ein ganz we-
Diebe. Eine bilanzielle Entlastung wird deshalb kon-
sentlicher Unterschied.
kret immer eine Entschuldung der nicht Schuldigen
sein müssen, eine Entschuldung aber immer nur für (Oostergetelo [SPD]: Dann haben Sie nicht
einen konkreten Einzelfall. Sie ist niemals ein Frei- richtig zugehört!)
brief für kollektive Mißwirtschaft. — Nein, Sie haben wohl nicht richtig gelesen.
Das Schuldenmoratorium läuft jetzt schon acht Mo- Für neu eingerichtete Familienbetriebe und andere
nate. rechtsstaatliche Bewirtschaftungsformen gibt es Er-
laßmöglichkeiten. Das hat Ihnen das Ministerium si-
(Abg. Oostergetelo [SPD] meldet sich erneut
cherlich auch gesagt. Die SED-geschädigten Bauern
zu einer Zwischenfrage — Schäfer [Offen
werden unter einer von dieser Koalition getragenen
burg] [SPD]: Gestatten Sie eine Zwischen
Regierung nicht die Suppe auslöffeln müssen - da
frage?)
bin ich sicher — , die ihnen die Kommunisten einge-
- Nein, am Schluß! brockt haben und die ihnen ein SPD-Ministerium in
Ost-Berlin mit diesem blöden Gesetz versalzen
(Heiterkeit)
wollte.
Die Neuschulden pro Tag, die neu gemachten in- (Zuruf von der SPD: Wo war denn da die
nerbetrieblichen Schulden zu Lasten der Vermögen, CDU-Ost?)
der Tierbestände, sind in ihrer Summe wesentlich hö-
her als die bisherigen Altschulden von — Sie haben es Weiterführung des Schuldenmoratoriums im kon-
sicherlich ausgerechnet - I 240 DM pro Hektar. Pro kreten Einzelfall ja, aber keine Blankovollmacht für
Tag gingen etwa 15 Mark - unter sozialistischen Ost- weiteres kollektives Herunterwirtschaften! Der Ein-
markverhältnissen - „den Bach runter". Das war so satz dieser Mittel muß einzig und allein dem Wieder-
bei niedrigeren Löhnen und höheren Preisen! Jetzt ist aufbau einer wirtschaftlich und rechtlich sauberen
das, was verwirtschaftet wird, wesentlich mehr. Landwirtschaft und einer — ich sagte es schon — Ent-
schuldung der Nichtschuldigen zugute kommen.
Das Schuldenmoratorium läuft — wie gesagt — acht Noch ein Letztes!
Monate. Eine Reihe von Betrieben hat die Chance zur
Umstrukturierung schon recht gut genutzt. Aber in- Zuruf von der SPD: Das ist gut!)
vielen LPGen wurde der Kostensatz künstlich auf Ein neues Konzept „Verfügungsrecht der Eigentümer
200 % erhöht. Natürlich ist es unbefriedigend, daß die über ihr Eigentum" ! Das wichtigste ist jetzt, daß nicht
Erzeugerpreise heute wesentlich niedriger sind als in die Beschäftigten, die sich in alter Art und Weise „Mit-
den alten Ländern. Aber es ist verantwortungslos, glieder nennen, Verkäufe tätigen, Guthaben herun-
wenn zugleich in vielen LPGen die Gehälter auf das terwirtschaften, sich bis zu fünfstellige Summen aus-
Zwei- bis Dreifache erhöht wurden. Das haben Sie zahlen. Es geht nicht um die Alternative Familienbe-
nicht erwähnt. trieb oder Genossenschaft, also darum, daß derjenige,
der sich nicht selbständig machen will, sein Land der
(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nun sagen Sie
alten LPG lassen müsse. So ist es nicht.
doch einmal etwas zu unserem Antrag! -
Weitere Zurufe von der SPD) (Abg. Oostergetelo [SPD] meldet sich erneut
zu einer Zwischenfrage — Schäfer [Offen
Der Antrag der SPD auf eine pauschale Verlänge- burg] [SPD]: Jetzt kommt aber die Frage!)
rung des Schuldenmoratoriums darf nicht dahin füh-
ren, daß Gewinne, Guthaben und Betriebsvermögen Es wird ein völlig neues Anpassungsgesetz notwendig
unter den letzten Beschäftigten privatisiert und die sein.
Verluste sozialisiert werden. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt kommt
aber die Frage!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Auch der Steuerzahler und der Sparer dürfen nicht die
Zeche für weitere Mißwirtschaft bezahlen. Die Lösung Vizepräsident Cronenberg: Ich bitte darum, den
liegt also erstens in der Verhinderung weiterer Miß- Redner doch ausreden zu lassen. Im übrigen hat Herr
wirtschaft und zweitens in einem differenzierten Mo- Dr. Krause verkündet, daß er am Ende seiner Rede die
ratorium. Sie haben die Zahlen ja genannt, 1,4 Milli- Frage beantworten werde. Dann können Sie ihn er-
arden DM gegenüber 7,6 Milliarden DIVI; das sind neut fragen. Jetzt aber sollte er die Möglichkeit ha-
20%. Das ist wesentlich mehr, als für eine Stornierung ben, ungestört zu Wort zu kommen.
- wenn dies generell ware - notwendig wäre.
Ich sagte es schon einmal: Eine pauschale Verlän- Dr. Krause (Bonese) (CDU/CSU): Es wird ein neues
gerung des Schuldenmoratoriums als einen warmen Gesetz geben, das von den roten und rosaroten politi-
436 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Krause (Bonese)


schen Schimären des Anpassungsgesetzes frei sein Dr. Krause (Bonese) (CDU/CSU): Wenn Sie die SED
wird. meinen: Darin war ich nie.
Ich gestatte jetzt, wenn sie nicht auf mene Redezeit (Dr. Thalheim [SPD]: Nein, die Blockpartei
angerechnet wird, die Zwischenfrage. meine ich!)
(Beifall bei CDU/CST) Wenn Sie die CDU meinen: Ich bin dort Anfang März
eingetreten.
Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter (Dr. Thalheim [SPD]: In welchem Jahr?)
Oostergetelo, bitte schön! - Im letzten Jahr.
(Abg. Kalb [CDU/CSU] meldet sich zu einer
Oostergetelo (SPD): Herr Kollege, wenn man die Zwischenfrage)
Probleme in den neuen Bundesländern und die
Schwierigkeiten der Umgestaltung nach diesen
40 Jahren, die Sie zu Recht kritisiert haben, sieht, ist Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr, Sie haben
es dann zuviel verlangt, wenn man ein Schuldenmo- das Wort.
ratorium fordert, bis die Schuldenfrage geklärt ist?
Hier gibt es jetzt ja eine Einigung. Ist das wirklich Kalb (CDU/CSU): Herr Kollege, würden Sie dem
zuviel verlangt? Was können die einzelnen dafür, was fragenden Kollegen der SPD mitteilen, . . .
dort in 40 Jahren geschehen ist? Sind Sie der Mei-
nung, daß die vielen Bankrotte billiger sind, als wenn Vizepräsident Cronenberg: Dreiecksfragen lasse
man den einen oder anderen retten hilft? ich nicht zu. Herr Dr. Krause, bitte schön, Sie können
Ich frage Sie, was die Kritik anbelangt, die Sie hier fortfahren.
sehr derbe vorgetragen haben: Sind denn die Presse-
mitteilungen völlig falsch, in denen uns mitgeteilt Kalb (CDU/CSU):... daß es auch in diesem Hause
wurde, daß es in Stendal einen Veterinärmediziner sehr prominente Mitglieder der SPD gab, . . .
gab, der heute Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt
ist, der ein hohes Lob auf die Politik des damaligen Vizepräsident Cronenberg: Nein, das war eine ein-
SED-Regimes gesungen hat? deutige Dreiecksfrage.

Dr. Krause (Bonese) (CDU/CSU): Zum letzten: Sie


Kalb (CDU/CSU):... die Hohelieder auf SED
müßten konkret sagen, wann er wo ein hohes Lob Funktionäre gesungen haben?
gesungen hat.
(Sielaff [SPD]: Das wissen Sie nicht mehr?) Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr, Herr
— Das ist mein Kollege Gies; ich kenne ihn.. Dr. Krause, fahren Sie in Ihren Ausführungen fort.
Zu der anderen Frage: Ich möchte nicht, daß nur der
eine oder der andere gerettet wird. Ich möchte, daß Dr. Krause (Bonese) (CDU/CSU): Wenn Sie die
-
alle ; die Land eingebracht haben, die Inventar einge- Presse, also die fünf Zeitungen in unserer Altmark,
bracht haben, die vertrieben wurden, die enteignet des letzten Jahres lesen, dann werden Sie feststellen,
wurden, die eingesperrt wurden, die hei den Zwangs- daß ich zwar allerhand Lieder gegen die SED gesun-
kollektivierungen unter fadenscheinigsten Vorwän- gen habe, aber auf die SED bestimmt nicht.
den vor der Ernte mitsamt Frau eingesperrt wurden, Außerdem darf ich Ihnen mitteilen, daß meine Ehe-
und daß diejenigen, die 30, 35 Jahre gearbeitet haben, frau und ich 1:3/4 Jahr Einstellungsverbot hatten. —
bei der Verteilung des Vermögens etwas erhalten. Das antworte ich auf Ihre Frage; von wegen Hohelie-
(Zustimmung bei der CDU/CSU) der!
Deswegen bin ich für jede Unterstützung derer, die in Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
voller Verantwortung wirtschaften. (Beifall bei der CDU/CSU)
Aber, Herr Oostergetelo, es sollte keinen pauscha-
len Regen — ich sagte es bereits - über Ungerechte Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge-
und Gerechte geben. Die rote Mißwirtschaft hat ge- ordnete Dr. Schumann.
nug veruntreut. Die Banken sollten ihre Möglichkei-
ten nutzen, weitere Mißwirtschaft zu verhindern.
Dr. Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Liste):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Vizepräsident Cronenberg: Jetzt hat der Herr Abge-
Krause, für die vielen Jahre, die Sie als Tierarzt in der
ordnete Dr. Thalheim den Wunsch zu einer Zwischen-
LPG tätig waren, haben Sie verdammt wenig von dem
frage. Sind Sie bereit, auch darauf zu antworten? —
verstanden, was in der LPG tatsächlich passiert.
Auch diese gestatte ich noch, wie auch eine weitere.
Dann aber entsteht sozusagen die -Situation, daß die (Beifall bei der PDS/Linke Liste)
Antwortzeit länger als die Redezeit ist. Das hei fit, da Das muß ich Ihnen bier einmal ganz eindeutig sa-
hört es mit der Gemütlichkeit dann auf. — Herr gen.
Dr. Thalheim. Eine zweite Bemerkung: Sie haben sich hier über
die Subventionen des roten verdammten Regimes
Dr. Thalheim (SPD): Sie haben sehr vehement auf ausgelassen. Sie haben davon profitiert ; denn Tier
-ärzte h aben jahrelang im Durchschnitt das zweifache
das alte System geschimpft. Deshalb mein Frage:
Wann sind Sie in die Partei eingetreten? von dem verdient, was ein Genossenschaftsbauer ver-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 437

Dr. Schumann (Kroppenstedt)


dient hat. Auch das muß man hier ganz deutlich sa- Ihre Hoffnungen, nach der Wende betriebswirtschaft-
gen, wenn wir über solche Dinge reden. lich vernünftig, standortgerecht, marktorientiert und
im Sinne bester deutscher Genossenschaftstradition
(Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei frei von staatlicher Bevormundung wirtschaften zu
Abgeordneten der SPD und des Bündnisses können, erwiesen sich als Seifenblasen.
90/GRÜNE — Kalb [CDU/CSU]: Wieviel ha
ben Sie denn verdient?) Bundesminister Kiechle sagte zur Eröffnung der
Grünen Woche: Umstrukturierung und Neuaufbau
— Halb so viel wie Herr Krause, das kann ich Ihnen müssen im Beitrittsgebiet Hand in Hand gehen, auch
nachweisen. in der Landwirtschaft.
Mich verwundert, daß Herr Krause hier behauptet, Leider tut die Bundesregierung nichts, um diesen
es sei alles klar, die Regierungsparteien hätten das Grundsatz mit Leben zu erfüllen; im Gegenteil: Das,
sowieso vorgehabt. Mir ist auch bekannt, daß das was sich vollzieht, kann auch ich aus eigener Lebens-
Bundeslandwirtschaftsministerium und die Treuhand erfahrung nur als bewußte Zerstörung der ostdeut-
bereits Mitte Dezember haben verlautbaren lassen, schen Agrarstrukturen bezeichnen. Wie soll ein LPG-
daß das Schuldendienstmoratorium fortgeführt wer- Vorstand erfolgreich die von den meisten Mitgliedern
den soll. Mich verwundert um so mehr, daß die dafür gewünschte Umwandlung in eine eingetragene Ge-
verantwortlichen Minister in der darauffolgenden Zeit nossenschaft meistern, wenn alle Rahmenbedingun-
einfach in der Deckung geblieben sind. gen Verhinderungsbedingungen sind?
Die Gruppe der PDS/Linke Liste unterstützt deshalb Dazu gebe ich Ihnen einige Beispiele. Über den
ausdrücklich den vorliegenden Antrag der SPD-Frak- volkseigenen Boden schließt die Treuhand lediglich
tion. Wir möchten ihn ergänzen. Ich befinde mich in Übergangspachtverträge bis zum 30. September ab,
Übereinstimmung mit dem, was Kollege Dr. Thalheim weil Bayerns Ministerpräsident vom Bundesfinanzmi-
hier ausgeführt hat. nister verlangt — ich zitiere jetzt wörtlich — , „sicher-
zustellen, daß die in den Jahren von 1945 bis 1949
Erstens ist der vorgesehene Zeitraum, das erste Enteigneten durch Zwischenverfügung oder Ver-
Quartal, völlig undiskutabel. Eine Beschränkung des pachtung keinen Schaden erleiden und nicht vor voll-
Moratoriums auf das erste Quartal wäre nur akzep- endete Tatsachen gestellt werden".
tierbar, wen danach ohne Verzug die Streichung der
Unter dieser Voraussetzung kann kein Agrarunter-
betrieblichen unverschuldeten und betriebswirt-
nehmen einen Entwicklungsplan aufstellen. Im Rah-
schaftlich unzumutbaren Altkredite erfolgt. Nur be-
men der angedachten Ausgleichsleistungen für die
fürchte ich, daß die jetzige Konstruktion, Entschul-
Enteigneten soll offenbar das Vorkaufs- und Pacht-
dung aus Erlösen der Treuhand, das unmöglich
recht zur Hauptform werden. Deshalb wurde das Ver-
macht. Tatsache ist: Es werden kaum landwirtschaft-
äußerungsverbot landwirtschaftlicher Grundstücke
liche Grundstücke verkauft, und die Übergangspacht-
für Gebietsfremde mit dem Einigungsvertrag aus dem
verträge, die von der Treuhand abgeschlossen wer-
Landwirtschaftsanpassungsgesetz gestrichen. Damit
den, spielen nach meinen Berechnungen nicht einmal
wird die Produktionsbasis der Genossenschaft zer-
10 % der erforderlichen Mittel für die Einzelfallent--
stört.
schuldung ein.
Auch nach der jüngsten Planak-Runde gibt es keine
Notwendig wäre somit entweder die Finanzierung Chancengleichheit bei der investiven Förderung.
der Entschuldung auch aus Bundesmitteln, wie dies Nach wir vor funktioniert der faktische Kreditboykott
bereits in der Stellungnahme des Agrarausschusses der Banken, weil die Bundesregierung Bundesbürg-
der Volkskammer zum Einigungsvertrag gefordert schaften, wie sie auch die SPD und konkret Oskar
wurde — dies geschah dort auch mit Stimmen der Lafontaine am 14. Dezember in Berlin forderte, ab-
CDU und der FDP — oder die Aussetzung der Til- lehnt.
gungs- und Zinsleistungen mindestens bis zum Jah-
resende.
Zweitens stimmen mir die Verfasser des Antrags Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich
sicher zu, daß das Schuldendienstmoratorium ledig- weiß nicht, ob man Sie über das rote Licht und dessen
lich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein ist. Bedeutung aufgeklärt hat. Ich muß Sie auf das rote
Was nach wie vor fehlt, ist ein komplexes Konzept der Licht hinweisen.
Bundesregierung für eine progressive Umstrukturie- (Oostergetelo [SPD]: Gnade vor Recht, Herr
rung der ostdeutschen Landwirtschaft und dessen ak- Präsident!)
tive Beförderung mittels entsprechender juristisch
ökonomischer Rahmenbedingungen.
Gegenwärtig erleben wir einen zunehmend unge- Dr. Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Liste):
ordneten Verlauf und Umstrukturierungsprozeß. Ich komme zum Schluß.
Allein in Sachsen-Anhalt, Herr Krause, sind von Zusammenfassend fordere ich die politischen Ent-
800 LPGs 85 in der letzten Zeit ersatzlos und konzep- scheidungsträger auf: Trennen Sie sich davon, das
tionslos über Konkursverfahren oder Gesamtvoll- ideologisierte Modell West als alleiniges Ziel der
streckung aufgelöst worden. Wenn Sie einmal so et- Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft
was miterlebt haben, dann wissen Sie, daß das im durchzusetzen. Das ist ein Kurs der Wunschdenker,
Prinzip für die betroffenen Bauern das letzte ist, das aber es ist kein Kurs, der den Realitäten, weder den
für sie stattfindet. Sie sind verbittert. Sie sprechen von objektiven noch den subjektiven Voraussetzungen
der zweiten — für sie also endgültigen — Enteignung. entspricht.
438 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 21. Februar 1991

Dr. Schumann (Kroppenstedt)


Nicht zuletzt wiederhole ich unsere Mahnung: Den- schaffen und den Unternehmen, die umstrukturieren,
ken Sie auch an den Steuerzahler. Die Begrenzung investieren und kooperieren wollen, die notwendige
der Kosten der Einheit durch Nutzung aller Entwick Klarheit zu geben.
lungsfähigen in der Ex-DDR ist ein Gebot der Ver-
nunft und nicht zuletzt auch ein Auftrag Ihrer Wähler, Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter,
der Wähler der Koalitionsparteien. sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Danke. Oostergetelo zu beantworten?
(Beifall hei der PDS/Linke Liste)
Türk (FDP): Ja, wenn Sie etwas Rücksicht nehmen;
Vizepräsident Cronenberg: Nun hat das Wort der es ist heute meine zweite Rede.
Abgeordnete Türk. — Herr Abgeordneter Schäfer, Sie
müssen sich noch etwas gedulden. Oostergetelo (SPD): Bei Ihrer Art der Rede werde
ich selbstverständlich Rücksicht nehmen.
Türk (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Her- Mir hat das, was Sie gesagt haben, sehr gefallen.
ren! Es tut mir leid, daß ich dem Herrn Abgeordneten Wenn Sie generell ein Schuldenmoratorium bzw. des-
Dr. Krause nicht folgen kann. Ihr Beitrag hilft unseren sen Fortsetzung ablehnen, habe ich dafür Verständ-
LPGs bestimmt nicht. nis. Aber wir wissen, daß die Fragen der DM-Bilanz
und der Aufstellung, wie es mit der Schuldenfrage
(Beifall bei der FDP, der SPD und der PDS/ konkret weitergeht — die Abmachung ist ja neu — , in
Linke Liste sowie dem Bündnis 90/GRÜNE) den paar Tagen bis Ende Februar nicht gelöst werden
Die Hilfe für die Bauern ist sicherlich notwendig. können. Dann darf es doch nicht sein, daß Unterneh-
Wir debattieren heute einen SPD-Antrag, der in men, die man retten könnte, am 1. März bankrott ge-
weiten Teilen bereits erledigt ist. Die Bundesregie- hen. Ich denke, Sie sind da gar nicht anderer Mei-
rung hat mit der Verlängerung des Zinsmoratoriums nung. Meine Bitte ist, ob Sie nicht mitmachen wollen,
der Opposition einen Noch-Weihnachts-Wunsch er- ob Sie als Marktwirtschaftler, wie ich hoffe, nicht mit
füllt und noch einmal 50 Millionen DM für eine Ver- mir der Meinung sind, daß man die Betriebe entschul-
einbarung mit der DG-Bank zur Übernahme der Zins- den kann, denen vom Finanzminister auferlegt wird:
zahlungen zur Verfügung gestellt. Damit wurden Du muß aber dann, wenn du mal Gewinne machst,
schon sehr frühzeitig die Voraussetzungen für eine 50 % — das kann ja wohl nicht wahr sein - abführen.
Verlängerung des Zinsmoratoriums bis Ende Februar — Dazu hätte ich gerne Ihre Meinung gehört.
1991 geschaffen. Spätestens dann muß Klarheit über
die Entschuldung der landwirtschaftlichen Unterneh Türk (FDP): Es bleibt mir nichts weiter übrig, als
men in den Bundesländern herrschen. Ihnen zuzustimmen.
Eine weitere Verlängerung des Zinsmoratoriums (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
halte ich daher nicht für notwendig. Sie wäre zwar des Bündnis 90/GRÜNE)
-
sachlich und rechtlich möglich, würde aber den Druck
Aber wenn Sie weiter zugehört hätten, hätten Sie ge-
auf die Bundesregierung vermindern, sich nun end-
merkt, daß ich das noch bringe. Entschuldigen Sie also
lich über eine Entschuldungsrichtlinie zu einigen. Je
bitte, wenn ich mich da wiederhole.
schneller diese kommt, um so besser.
Eine Beurteilung der Richtlinie selbst ist mir schwer
(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Herr Gallus, hö
möglich. Ich muß offen sagen, daß ich mich als Parla-
ren Sie zu!)
mentarier aus Brandenburg — um das hier einmal zu
— Der ist mit mir vollkommen einer Meinung. sagen — , der natürlich vor Ort Rede und Antwort dazu
Urn so besser ist dies für dringend notwendige LPG stehen muß, was in der derzeit brenzligen und kriti-
Umstrukturierungen. Die Zeit drängt. Ich werde Ih- schen Situation der Landwirtschaft - und nicht nur
nen Pilotprojekte auf den Tisch legen. Dann werden dort — schwierig genug ist, nur sehr schlecht infor-
wir das Ganze praktizieren. miert fühle. Es gibt nur Entwürfe der Richtlinie, die
Die Treuhandanstalt hat eine Richtlinie für die Ent- uns bislang ebenfalls nicht zugänglich sind. Es sei nur
schuldung landwirtschaftlicher Unternehmen erar- ein internes Dokument der Treuhand, wurde uns ge-
beitet. Sie soll Grundlage und einheitlicher Kriterien- sagt. Erst wenn sich eine gewisse Verwaltungspraxis
katalog für die Entschuldungsentscheidungen der herauskristallisiert habe, werde man die Richtlinie
Treuhandanstalt sein. Sie muß natürlich mit den zu- veröffentlichen. Ich halte das für einen unhaltbaren
ständigen Ministern innerhalb der Bundesregierung Zustand,
abgestimmt werden. Über diese Selbstverständlich- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Gallus sitzt auf
keit gibt es keinen Zweifel. seinen Richtlinien!)
Das Verfahren darf sich aber nicht endlos hinzie- den ich natürlich nicht akzeptieren kann, weil die Zeit
hen. Die Treuhandanstalt muß in ihrer schwierigen drängt.
Arbeit unterstützt werden. Hier darf auch nicht das (Beifall bei der SPD)
Argument geliefert werden: Die in Bonn entscheiden Wie soll ich am Wochenende, wenn ich nach Hause
ja nicht; wenn es nach uns ginge, herrschte längst komme, Fragen beantworten, wenn ich nur auf die
Klarheit. Ministerien und die Vertraulichkeit verweisen und
Deshalb appelliere ich an die Bundesrepublik, den den Leuten lediglich sagen kann, daß die näheren
Richtlinienentwurf zügig abzustimmen, um damit die Angaben später kommen? Ich sage das, urn auf Ihre
Voraussetzung für eine geordnete Entschuldung zu Anfrage einzugehen. Man fragt mich dann mit Sicher-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 439

Türk
heit: Was willst du dann in Bonn, wenn du solche Noch ein Nachsatz. Ich sage das deshalb so deut-
Sachen nicht einschieben kannst? lich, weil die Umstrukturierung der Ost-Landwirt-
schaft durch jüngste Fehlentscheidungen des Pla-
Eine Beurteilung ist daher nur eingeschränkt mög- nungsausschusses der Gemeinschaftsaufgabe Agrar-
lich. Klar scheint zu sein — ich muß es so betonen, weil struktur, Planak, zumindest behindert wird. Sosehr
wir die Richtlinien nicht im einzelnen kennen — : Ent- die Entscheidungen zur LPG-Umstrukturierung
schuldungsmaßnahmen sollen nur für Unternehmen grundsätzlich zu begrüßen sind, so wenig verständlich
durchgeführt werden, die auf der Basis eines detail- ist die Ausklammerung der Forderung von Stallneu-
lierten Sanierungs- und Entwicklungsplans nachwei-
bauten. An die Adresse der Bundesregierung sage
sen, daß sie innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren
ich: Ohne Einbeziehung der Stallneubauten wird es
die Wettbewerbsfähigkeit erreichen. Das ist sicherlich
keine sinnvolle Umstrukturierung zu wirtschaftlichen
in Ordnung, wenn es so wäre.
und wettbewerbsfähigen Einheiten geben. Daher
Die Entschuldungsmaßnahmen sind nur für Ver- muß der Planak so bald wie möglich eine Revision der
bindlichkeiten vorgesehen, die bis zum 30. Juni 1990 Entscheidung vornehmen.
bestanden und in die DM-Eröffnungsbilanz aufge- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
nommen wurden. Die Verbindlichkeiten mußten
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei
durch Gebietskörperschaften der ehemaligen DDR
Abgeordneten des Bündnis 90/GRÜNE und
veranlaßt und durch Maßnahmen entstanden sein, die
der PDS/Linke Liste — Schäfer [Offenburg]
keinen positiven Beitrag zum Betriebsergebnis oder
[SPD]: Jetzt bin ich einmal auf die Regierung
zur Substanzverbesserung geleistet haben.
gespannt!)
Drittens. Die Antragsausschlußfrist soll bis zum
31. März gehen. Haben Sie gehört? — Diese Frist ist
natürlich viel zu kurz. Wie will man in dieser kurzen Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge-
Zeit etwas erledigen? ordnete Dr. Feige.

(Beifall bei Abgeordneten der SDP)


Dr. Feige (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident!
Diese Hauptelemente, die ich gerade genannt habe, Meine Damen und Herren! Ich komme aus Mecklen-
kann ich befürworten und mittragen. Nicht einver- burg und bin am Wochenende auch wieder gefragt.
standen bin ich allerdings, wenn ich höre, daß auch Die katastrophale Situation im Bereich der Landwirt-
unternehmenseigene Vermögenswerte zur Entschul- schaft in den neuen Bundesländern ist nur eine Kom-
dung eingesetzt werden sollen. Dies kann doch nicht ponente eines kollabierenden Wirtschaftssystems. Sie
im Sinne einer vernünftigen Entschuldungsregelung ist aber auch das unmittelbare Ergebnis einer zumin-
sein. Wenn die Unternehmen nicht für die Schulden dest fahrlässig-oberflächlichen Analyse der realen
verantwortlich sind, dürfen sie auch nicht zur Tilgung Ausgangspositionen im vergangenen Jahr.
herangezogen werden.
Um die politischen Neulasten der Regierung zu
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) überdecken, reicht es heute bei weitem nicht mehr
aus, die bestehende Wirtschaftssituation im Osten le-
Ähnlich steht es mit der Idee eines Besserungs- diglich den Auswirkungen der beseitigten DDR-Plan-
scheins, also der Rückerstattung von Entschuldungs- wirtschaft zuzuordnen.
hilfen, wenn sich die wirtschaftliche Lage der Unter-
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, der SPD
nehmen gebessert hat. Hier kann ich auch wieder nur
fragen: Wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit der Un- und der PDS/Linke Liste)
ternehmen, die nach Anwendung relativ enger Ent- Die komplexe Offenlegung des tatsächlichen ökono-
schuldungskriterien entschuldet werden, oder wollen mischen und ökologischen Status quo im Osten steht
wir sie nicht? Diese Frage stellt sich. auf der Tagesordnung. Diese Offenlegung darf bitte
nicht nur durch die Medien, sondern muß irgendwann
Man kann diese Unternehmen doch nicht mit der auch einmal durch die Regierung erfolgen.
Pflicht zur Gewinnabführung für Schulden, die sie
nicht zu vertreten haben, in ihrer wirtschaftlichen Ent- (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, der SPD
wicklung beeinträchtigen. Derartige Entscheidungen und der PDS/Linke Liste)
würden die von Arbeitskräfteabbau und anderen Es hat nicht das Geringste mit Schwarzmalerei zu
Strukturbrüchen schon stark angeheizte Lage auf tun, wenn man sich aktuelle Meldungen aus den
dem Lande noch weiter verschlechtern - Sie können neuen Bundesländern vor Augen führt. Die Arbeitslo-
sicher sein, daß es diese angeheizte Lage gibt — und sigkeit inklusive der Null-Stunden-Kurzarbeit — die
politisch kaum noch kontrollierbar machen. Das un- muß man ja mitzählen — erreicht im LPG-Bereich die
terschätzt man hier offenbar. 50-%-Grenze; lokal sind es sogar 80 %. Ein Ende ist
noch nicht abzusehen. Konkurse landwirtschaftlicher
Ich möchte die Bundesregierung daher dringend Betriebe gehören immer mehr zur Tagesordnung, üb-
auffordern, auf eine derart restriktive Entschuldungs- rigens auch bei neugegründeten Familienbetrieben,
praxis zu verzichten, der Richtlinie kurzfristig zuzu- was ich um so mehr bedauere.
stimmen und damit einen einigermaßen geordneten
Umbau der Landwirtschaft im Osten zu ermöglichen. Wissen Sie, Herr Krause, die Betriebe werden ihre
Andernfalls werden sich die Konkurse noch mehr Produkte einfach nicht mehr los; sie werden durch
häufen und die sozialen Spannungen weiter zuneh- Handelsketten boykottiert.
men. Das darf man mit Sicherheit nicht verniedli- (Sielaff [SPD]: Hören Sie einmal zu, Herr
chen. Krause!)
440 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Dr. Feige
Wie soll man dann reagieren können? einmal die Arbeitsmarktlage erschöpft. Diese inner-
deutsche Frachtverschiebung kann leicht in eine nie-
Der Leistungsabbau begann bei den Sozialleistun-
mandem nutzende Rolle rückwärts umschlagen. In
gen. Die Schließung von Betriebskindertagesstätten
Rostock demonstrierten kürzlich 35 000 Menschen
trifft wieder zuerst die berufstätigen Frauen.
gegen die Mißwirtschaft ihrer Regierung.
(Zustimmung beim Bündnis 90/GRÜNE und
(Hornung [CDU/CSU]: Was hat das mit dem
bei der SPD)
Thema zu tun?)
Im Bereich der Tierhaltung verschärft sich der syste-
Das sind jetzt schon fast dreimal so viele wie damals
matische Strukturverfall noch schneller. Bitte, Herr
im Herbst 1989, als eine Regierung zu Fall kam.
Krause, als Tierarzt: Nachrichten darüber, daß die
Tiere in den Ställen mancher Betriebe ohne hinrei- Ich danke.
chende Versorgung einfach umkommen, weil kein (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, bei der
Geld für Futter da ist oder für das Betreuungspersonal, SPD und der PDS/Linke Liste)
oder die Nachrichten, daß ehemals zum Verkauf vor-
gesehene tragende Rinder in den Ställen unkontrol-
liert abkalben und die neugeborenen Kälbchen im Kot Vizepräsident Cronenberg: Nun hat der Parlamen-
krepieren, müßten Sie doch berühren. tarische Staatssekretär Gallus das Wort.
(Kalb [CDU/CSU]: Dafür ist doch nicht die
Bundesregierung verantwortlich! — Weitere
Zurufe von der CDU/CSU) Gallus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsi-
All diese Nachrichten lassen mich die Sinnhaftigkeit
dent! Meine Damen und Herren Kollegen! Der Antrag
der gegenwärtigen Landwirtschaftspolitik bezwei-
der SPD auf Drucksache 12/13 rennt bei der Bundes-
feln. Welcher Minister dieser Regierung ist eigentlich
regierung offene Türen ein
für die Ostlandwirtschaft verantwortlich?
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/
Ich glaube Graf Lambsdorff unbesehen, daß die Ko-
GRÜNE)
alition die gegenwärtige Situation weitgehend vor-
ausgesehen hat. Ich nehme darüber hinaus an, daß die — das ist doch klar — , weil wir in den sechs Monaten
Koalition diese besser vorausgeplant hat, als es jede des letzten Jahres 150 Millionen DM und in den ersten
Planwirtschaft je schaffen konnte. zwei Monaten dieses Jahres 50 Millionen DM zur Ver-
fügung gestellt haben.
Wir stimmen dem Antrag der SPD in der Drucksa-
che 12/13 zu, die leider erst heute auf der Tagesord- Jetzt sind wir einen Monat auseinander. Ich darf
nung steht. Seine Umsetzung ist ein kleiner Baustein Ihnen aber sagen, daß wir seit vorgestern eine Ar-
für das notwendige Aufbauprogramm auch der Land- beitsanweisung der Treuhandanstalt haben, die
wirtschaft in den fünf neuen Ländern. Ich bezweifle gleichzeitig an die Bundesländer und an die Ver-
jedoch, daß eine Verlängerung des Schuldenmorato- bände gegangen ist, mit den Richtlinien, wie die wei-
riums nur bis März 1991 ausreicht. Vielleicht können tere Umschuldung und Schuldentilgung in den Pro-
so einige Betriebe das bis jetzt noch nicht finanzierte duktionsgenossenschaften zu geschehen hat. Ich
Saatgut für die Frühjahrsbestellung oder für die Re- glaube, niemand kann etwas dagegen haben, daß die
staurierung der veralteten Technik in Ordnung brin- TreuhandstlviWocfrühe,asSd-
gen. All das wird den freien Fall des bäuerlichen Auf- wartet haben, nun in der Lage ist, diese Geschichte in
gebens östlich der ehemaligen Zonengrenze vielleicht Angriff zu nehmen.
bremsen, aber nicht aufhalten. Sie verlangen im zweiten Absatz wörtlich:
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich Gleichzeitig wird die Bundesregierung aufgefor-
möchte Sie an die Worte des Abgeordneten de Mai- dert, Artikel 25 Abs. 3 des Einigungsvertrages,
zière von heute vormittag erinnern, der auch zu Ihnen wonach Erlöse der Treuhandanstalt im Einzelfall
sagte: Wer schnell hilft, hilft doppelt. auch für Entschuldungsmaßnahmen zugunsten
(Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE, hei der von landwirtschaftlichen Unternehmen verwen-
SPD und der CDU/CSU) det werden, . . .
Genau das machen wir!
Eigentlich müßte dieser Antrag, der heute gestellt ist,
sofort abgestimmt und nicht erst in irgendeinen Aus- (Sielaff [SPD]: Dann liegen Sie auf unserer
schuß gegeben werden. Linie!)
Glauben Sie bitte nicht — ich sehe, meine Zeit ist -- Ja, natürlich.
abgelaufen, aber ich sage noch einen abschließenden (Beifall bei der SPD)
Gedanken —, daß die komplexen Probleme der Wirt-
schaft der neuen Bundesländer die westlichen Bun- Sie können aber hier, wenn Sie einen solchen Antrag
desländer nicht erreichen werden! Die Welle der poli- stellen, nicht die globale Forderung auf Gesamtent-
schuldung erheben. Das ist doch völlig ausgeschlos-
tischen Neulasten wird auch Bayern, Niedersachsen,
Hamburg oder andere Länder treffen. Die Flucht vom sen. Sie haben hier cinch einen Antrag, der das Gegen-
teil dessen beinhaltet, was Ihr Redner vor ein paar
Land in die Stadt hat längst begonnen und ist voll im
Gange. In der Stadt findet man keine Arbeit mehr; !Minuten gesagt hat.
also wird man aus den östlichen Städten in die west- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
lichen Städte gehen. Dann wird auch Sie das irgend- Schäfer [Offenburg] [SPD]: Da haben Sie
wann mal erreichen, denn irgendwann kt auch hier nicht zugehört!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 441

Parl. Staatssekretär Gallus


— Hundertprozentig! Ich kann genau lesen. Ich kenne rung, davor warnen, das kommunistische System fort-
die SPD gut genug. Ihr seid doch viel klüger, als ihr zuführen.
zugebt!
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU —
(Heiterkeit — Beifall bei der SPD) Schäfer [Offenburg] [SPD]: Da sind wir einer
Ihr habt doch einen Kollegen hier ins Feuer gehen Meinung!)
lassen auf der Basis eines Antrags, der im Sinne der
Bundesregierung sehr moderat formuliert ist. Deshalb ist die Richtlinie ganz richtig aufgebaut.
Gegenstand der Entschuldung sind Verbindlichkei-
Vizepräsident Cronenberg: Herr Staatssekretär, ten, die am 30. Juni 1990 bestanden und in die DM-
sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen? Eröffnungsbilanz aufgenommen wurden, durch Ge-
bietskörperschaften der ehemaligen DDR veranlaßt
Gallus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für
und für Maßnahmen verwandt wurden, die keinen
positiven Beitrag zum Betriebsergebnis geleistet und
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ja, natür-
zu keiner erheblichen Substanzverbesserung des Un-
lich.
ternehmens geführt haben.

Vizepräsident Cronenberg: Herr Dr. Thalheim, Sie Ich kann also sagen, meine Damen und Herren Kol-
haben die Möglichkeit zu fragen. legen von der SPD: Die Treuhand hat ihren Anteil zu
dem, was die Bundesregierung geleistet hat, beinahe
voll erfüllt.
Dr. Thalheim (SPD): Herr Gallus, haben Sie nicht
verstanden, daß ich ganz speziell auf Schulden im (Zuruf von der SPD: Beinahe!)
investiven Bereich hingewiesen und damit schon eine
Eingrenzung für die Frage nach dem Einzelfall vorge- — Sie laufen der Zeit immer hinterher.
nommen habe? Es ging nicht um Schulden im Umlauf- (Sielaff [SPD]: Aber Herr Gallus, Ihr Kollege
mittelbereich, die vor allen Dingen jene Betriebe auf- war doch nicht informiert und sagt, er weiß
genommen haben, die schlecht gewirtschaftet haben. nicht, worum es geht!)
Der Antrag enthielt auch eine Präzisierung der Fälle
— deshalb wurden sie extra aufgeführt —, welche Ihr Sprecher wollte hier deutlich machen, als be-
Anlagen wir ganz bewußt ansprechen. mühte sich die Bundesregierung nicht, der Landwirt-
schaft in den neuen Bundesländern zu helfen. Dazu
Gallus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für möchte ich Ihnen aber auch noch einiges sagen.
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nicht hinrei
dann ist es ja um so besser. Jetzt sage ich Ihnen, wor- chend!)
auf die Richtlinien der Treuhand basieren, damit Sie
Bescheid wissen. - — Nicht hinreichend? Bei der Realisierung Ihrer wirt-
(Sielaff [SPD]: Dann entschuldigen Sie schaftspolitischen Vorstellungen hätten wir das Geld
sich!) überhaupt nicht in diesem Ausmaß, um hier helfen zu
können.
— Nein. Die Rede war völlig anders aufgezogen, als (Beifall bei der FDP)
die Fragestellung hier jetzt gezeigt hat.
(Zurufe von der SPD: Sie haben absichtlich Wir haben im letzten halben Jahr des vergangenen
nicht zugehört! — Die Regierung darf hier Jahres nicht weniger als 3 Milliarden DM Hilfen für
nicht lügen!) den Preiseinbruch und Anpassungshilfe gezahlt. Ich
muß mich heute aber selber fragen, ob diese Gelder in
Ich darf Ihnen jetzt den Inhalt der Richtlinie vortragen,
jedem Fall auch sinnvoll und richtig angewendet wor-
damit Sie wissen, was die Treuhandanstalt vorhat.
den sind.
Voraussetzung für eine Entschuldung ist die An-
tragstellung bis spätestens 31. März dieses Jahres. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
Bereits bei der Treuhandanstalt vorliegende Anträge
Es wird nämlich von manchem ehemaligen SED-Pro-
brauchen nicht erneut gestellt zu werden.
duktionsgenossenschaftschef vergessen, meine Da-
Erforderlich ist zweitens die Vorlage eines detail- men und Herren,
lierten Sanierungs- und Entwicklungsplans ein-
schließlich eines Plans für die Neustrukturierung des (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Oder LPD oder
Unternehmens. Dieser Plan muß nachweisen, daß das CDU! — Gegenruf von der CDU/CSU: Oder
Unternehmen selbst oder im Falle der Neugliederung SPD!)
die aus dem Unternehmen hervorgehenden landwirt-
daß auch rechtlich — daran hat sich die Bundesregie-
schaftlichen Betriebe innerhalb von drei Jahren die
rung zu halten — sehr wohl ein Unterschied zwischen
Wettbewerbsfähigkeit erreichen werden. Der Plan
volkseigenen Betrieben und Produktionsgenossen-
soll in der Regel mit demjenigen übereinstimmen, der
schaften besteht, die nämlich eher den Charakter des
zur Erlangung einer Investitionsförderung nach der
Privaten haben, zumindest der Beteiligten. Auch das
Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruk-
muß man in diesem Zusammenhang einmal überle-
tur und des Küstenschutzes vorzulegen ist.
gen. Deshalb dürfen Sie die einseitige, pauschale For-
Ich möchte diejenigen Kollegen, die der Meinung derung so nicht in den Raum stellen.
sind, es müßte ein warmer Regen der Umschuldung
niedergehen, ohne Rücksicht auf die Umstrukturie (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
442 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Vizepräsident Cronenberg: Herr Staatssekretär, Gallus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für
darf ich Ihren Redefluß unterbrechen? Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege,
(Rixe [SPD]: Das ist auch vernünftig!) das ist mir nicht bekannt. Sie können doch von mir
nicht erwarten, daß ich alle Äußerungen sämtlicher
Es gibt zwei Bitten, Zwischenfragen zu beantwor- Staatssekretäre der ehemaligen DDR im Kopf behalte.
ten. Das ist doch völlig ausgeschlossen.
Zunächst einmal Herr Abgeordneter Oostergetelo.
(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Geschweige die
der heuten Bundesregierung!)
Oostergetelo (SPD): Herr Staatssekretär, da Sie sich — Na, nun einmal langsam!
am Anfang Ihrer Rede bemüht haben, zu dem Antrag
zu reden, da auch klargestellt ist, daß unser Redner Ich kann aber dem Kollegen bestätigen, daß mir
nicht gegen den Antrag ist, sondern wir zur Abstim- vieles nicht gefallen hat, insbesondere, was die Art
mung stellen, was im Antrag steht, da aber die Ge- und Weise anbetrifft, das Geld zunächst einmal dort
schäftsführer die Überweisung vereinbart haben und hinzubringen, wo es hingehört. Ich habe einmal die
da wir wirklich keine Zeit haben und Sie meinen, daß Auffassung vertreten, daß ich jetzt 100 Leute hinüber-
das meiste erfüllt sei, wäre es dann nicht richtig, wenn schicke, um das Geld zu verteilen, weil es da manche
wir beide jetzt gemeinsam sagen würden: Dann laßt gegeben hat, die unfähig waren, das Geld dort hinzu-
uns auch darüber abstimmen und nicht nur wieder bringen, wo man es gebraucht hat. Auch das muß man
vertagen! Wir würden das gerne mitmachen. einmal sehen.
(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und (Zuruf von der CDU/CSU: Und zwar Herr
beim Bündnis 90/GRÜNE). Pollack und Herr Romberg!)
Über eines, meine Damen und Herren, wollen wir
uns hier doch einmal ehrlich unterhalten: Wir alle
Gallus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, freuen uns, daß es uns heute gemeinsam möglich ist,
hier die Einheit nun auch faktisch zu vollziehen. Aber
das ist doch keine Frage an mich. Ich kann nur sagen,
daß ich die Überweisung für sinnvoll halte, weil wir wie schwierig das in vielen Bereichen ist und welcher
dann im Ausschuß über weitere Einzelheiten spre- katastrophale Zustand in vielen Bereichen auf dem
chen könnten. Ich würde sogar empfehlen, die Über- Gebiet der ehemaligen DDR geherrscht hat, das hat
weisung vorzunehmen. keiner von uns gewußt

(Ostergetelo [SPD]: Also vertagen! — Schä (Lebhafter Widerspruch bei der SPD)
fer [Offenburg] [SPD]: Die Regierung emp - ob Verwaltung, Post! Ich komme gleich noch dar-
fiehlt dem Parlament, was es machen soll!) auf zu sprechen. Ich bleibe nämlich gleich dabei; las-
— Ich habe gesagt, daß ich nicht zuständig bin. Aber sen Sie mir noch ein paar Minuten Zeit. — Nein, keine
wenn diese Frage gestellt ist, dann kann ich Ihnen nur Zwischenfragen mehr.
-
empfehlen, die Überweisung aufrechtzuerhalten, weil Das zweite, wo sich die Bundesregierung einen gro-
ich nämlich der Meinung bin, daß es so viele Detail- ßen Ruck gegeben hat: Wir haben bisher in den alten
fragen gibt Bundesländern das Leitbild des bäuerlichen Famili-
(Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!) enbetriebes gehabt.
und im Ausschuß manche Sorge aufgegriffen werden (Zuruf von der PDS/Linke Liste: Aha!)
kann, daß es sinnvoll ist, das Ganze jetzt nicht durch — Ja, ist das eine Schande? Was haben denn Sie hei
eine Abstimmung abzuwürgen, sondern im Ausschuß den kommunistischen Strukturen drüben gehabt? Sie
zu behandeln. haben 4 200 Betriebe gehabt. Sie haben Agrarpreise
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der Landwirtschaft in einer Größenordnung be-
zahlt — —
Vizepräsident Cronenberg: Nun Herr Dr. Thal- (Oostergetelo [SPD]: Die SPD war nicht in
heim. der Regierung!)
— Entschuldigung! Ich sage es nur einmal, weil ein
Dr. Thalheim (SPD): Sie hatten soeben erwähnt, paar das System so verteidigen. Aber das alte Sy-
wieviel die DDR-Landwirtschaft im vergangenen Jahr stem ---
an Hilfen erhalten hat. Ist Ihnen bekannt, daß im (Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD
Landwirtschaftsministerium Anfang September der — Zurufe von der CDU/CSU: Ihr müßt doch
damalige Staatssekretär Haschke die Parole ausgege- auch einmal ausreden lassen! Ihr seid unge
ben hat: Alle müssen ihr Geld erhalten, egal, ob effek- zogen! — Heiterkeit)
tiv oder uneffektiv. Wie Ihnen bekannt ist, waren die
Ich kann nur eines sagen, meine Damen und Her-
Hilfen für das dritte Quartal an die Vorlage von Sanie-
ren: Wir sollten hier auch einmal anerkennen, daß das
rungskonzepten gebunden.
alte System im Agrarbereich bankrott gehen mußte;
Aber wie mein Vorwurf schon vorhin war: Im Herbst denn 16 Millionen Einwohner mit 32 Milliarden DM
1990 war die Parole — dafür hat die Regierung viel zu subventionieren, das hält niemand aus.
Geld ausgegeben — : Das, was ist — auch das Nega-
tive —, muß erhalten und stabilisiert werden. Ist Ihnen Die Bundesregierung hat nicht nur
bekannt, daß Herr Haschke diese Parole klar und (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Nicht gehan
deutlich vor 300 Mann ausgesprochen hat? delt!)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 443

Parl. Staatssekretär Gallus


für 2,5 Milliarden DM ein Geschäft mit den Russen den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
gemacht, bei dem wir allein 1,5 Milliarden direkt als Forsten und zur Mitberatung an den Ausschuß für
Ausgleichszahlungen auf den Tisch legen mußten, um Wirtschaft und den Haushaltsausschuß. Andere Vor-
die überschüssigen Fleischbestände abfließen zu las- schläge sind nicht gemacht worden. Dann darf ich das
sen, sondern noch mit 800 Millionen für den Transfer- als beschlossen feststellen.
rubel geradestehen müssen. Ich sage das nur, weil
hier der Vorwurf erhoben wurde, die Bundesregie-
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 8 auf:
rung würde nichts tun.
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Geset-
Vizepräsident Cronenberg: Herr Staatssekretär, ich
zes zur Änderung des Gesetzes über die Er-
bin weit davon entfernt, die Ihnen grundgesetzlich
richtung einer Stiftung „Hilfswerk für behin-
zugesicherte Redefreiheit einzuschränken;
derte Kinder"
(Rixe [SPD]: Dann können wir gleich auch
— Drucksache 12/22 —
noch einmal reden!)
Überweisungsvorschlag:
aber ich möchte Ihnen und mir den Vorwurf ersparen, Ausschuß für Familie und Senioren (federführend)
ich würde Sie besser behandeln als andere. Deswegen Ausschuß für Frauen und Jugend
wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie langsam zum Ende Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ihrer Ausführungen kämen. Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Gallus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich hoffe,
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 12/22 zur
Herr Präsident, Sie haben mir auch die Zwischenfra-
federführenden Beratung an den Ausschuß für Fami-
gen zugute gehalten.
lie und Senioren, nicht wird irrtümlich ausgedruckt,
Ich möchte nur noch eines sagen: Die Bundesregie- an einen anderen Ausschuß, sowie zur Mitberatung
rung hat sich bemüht, für die Weiterführung auch von an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
Produktionsgenossenschaften 2,5 Millionen DM pro zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist
Betrieb, wenn er Zukunftschancen hat, zur Verfügung nicht der Fall. So beschlossen.
zu stellen. Das ist nicht wenig. Daß hier auch Fehler
begangen worden sind, das hat sich nicht die Bundes-
regierung zuzuschreiben, sondern die neuen Bundes- Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
länder haben nicht den Mut gehabt, eine entspre- Erste Beratung des von der Bundesregierung
chende Position zu vertreten. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
(Zuruf von der SPD: Schieb es doch nicht auf Übereinkommen vom 20. November 1989
die anderen!) über die Rechte des Kindes
-
— Ich weiß, wie es gelaufen ist. Drucksache 12/42 -
Ganz zum Schluß, meine Damen und Herren: Wir Überweisungsvorschlag:
müssen alle daran arbeiten. Sie beklagen hier, nur aus Rechtsausschuß (federführend)
dem Westen kämen Nahrungsmittel. Sagen wir doch Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
offen und ehrlich: Auch das, was drüben in den neuen Ausschult für Familie und Senioren
Bundesländern produziert wird, ist gut! Das haben wir
auf der Grünen Woche gesehen. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von
30 Minuten vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? —
(Beifall im ganzen Hause) Das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies ebenfalls als
Jetzt, meine Damen und Herren, müssen wir natür- beschlossen feststellen.
lich auch noch die Verarbeitungsbetriebe umstruktu- Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Herr
rieren. Das alles geht nicht von heute auf morgen. Bundesminister der Justiz, Dr. Kinkel, das Wort.
Aber das Anpassungsgesetz wird die Bundesregie-
rung so schnell wie möglich auf den Weg bringen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Kinkel, Bundesminister der Justiz: Herr Präsi-
Oostergetelo [SPD]: Nur noch eine Zwi dent! Meine Damen und Herren! Heute geht es um die
schenfrage!) Schaffung der Voraussetzungen für die Ratifizierung
eines bemerkenswerten völkerrechtlichen Instru-
ments zum Schutz der Menschenrechte. Das von der
Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- Generalversammlung der Vereinten Nationen am
ren, die vereinbarte Redezeit ist mehr als abgelau- 20. November 1989 verabschiedete Übereinkommen
fen. über die Rechte des Kindes ist der erstmals unternom-
(Sielaff [SPD]: Es war auch sehr lebendig!) mene Versuch in der Geschichte der Völkergemein-
— Das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Der Herr schaft, weltweit verbindliche Maßstäbe für die Gestal-
Staatssekretär hat aber auch deutlich zum Ausdruck tung der rechtlichen und sozialen Verhältnisse junger
gebracht, daß er nicht bereit war, weitere Fragen zu Menschen umfassend zu kodifizieren.
beantworten. Die Bundesregierung hat dieses Übereinkommen
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag am 26. Januar 1990 gezeichnet. Inzwischen liegen
der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/13 zu über- 130 Zeichnungen vor, und 69 Länder haben bereits
weisen, und zwar zur federführenden Beratung an ratifiziert.
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Bundesminister Dr. Kinkel


Ich freue mich, daß es uns trotz einiger Schwierig- besondere von dem Kollegen Eimer, der, wie ich her-
keiten, die wir mit der Auslegung des Übereinkom- vorheben möchte, seine besonderen Verdienste um
menstextes hatten, gelungen ist, dem Deutschen Bun- I die Rechte der Kinder hat.
destag das Vertragswerk bereits ein Jahr später vor-
(Beifall bei der FDP)
zulegen und damit dem auch aus Ihren Reihen geäu-
ßerten Wunsch nach zügiger Zuleitung des Vertrags- Ich nehme diese Einwendungen deshalb auch sehr
gesetzes zu entsprechen. ernst. Eine vorbehaltlose Zustimmung ist aber auf
Grund der Haltung der Bundesländer nicht möglich.
Manchmal wird etwas gedankenlos gesagt, wir
Gemäß der Lindauer Absprache haben die Länder
seien eine kinderfeindliche Gesellschaft. Das ist, so
eine solche Erklärung verlangt. Wir müssen dem ent-
meine ich jedenfalls, so nicht richtig. Kinder sind nicht
sprechen. Ohne diese Interpretationserklärung kann
unsere Feinde, aber wir Erwachsenen verfolgen häu-
das Vertragsgesetz daher nicht verabschiedet wer-
fig zu gedankenlos unsere eigenen Interessen, und
den. Die Kinderkonvention würde scheitern. Da wir
auf die Interessen der Kinder achten wir nicht genü-
das nicht wollten, mußten wir zustimmen.
gend. Wir müssen deshalb, wie ich meine, mehr Rück-
sicht auf Kinder nehmen, ihnen Zuwendung zeigen, Wir stehen mit dieser Interpretationserklärung nicht
ihnen Raum lassen. Kinder gehören mit zu den allein; viele andere Staaten haben ebenfalls Vorbe-
schwächsten Gliedern in unserer Gesellschaft. Sie halte gemacht und andere Erklärungen abgegeben.
sind in ganz besonderer Weise hilfsbedürftig. Die Erklärung hindert uns im übrigen in keiner Weise,
unser Recht zu reformieren und zu verbessern. Das
Die Kinderkonvention der Vereinten Nationen ist
wollen wir tun. Die Kinderkonvention kann und muß
ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer kinder-
uns wichtige Anstöße und Anregungen geben, die
freundlicheren Gesellschaft. Und die wollen wir ja
Situation der Kinder in unserer Gesellschaft zu ver-
wohl alle.
bessern.
Weltweit ist der Schutz der Kinder leider immer
Einiges — ich würde sogar sagen: vieles — ist mit-
noch unzureichend. Oft werden ihnen die elementar-
telbar und unmittelbar schon geschehen. Ich nenne
sten Menschenrechte vorenthalten. Die Kinderkon-
die Erhöhung des Kindergeldes, die Möglichkeit des
vention wird deutliche Fortschritte bringen. Wir hof-
Erziehungsurlaubs, das Erziehungsgeld und man-
fen vor allem, daß durch die Konvention in den Län-
ches mehr. Im Zusammenhang mit der Neuregelung
dern der Dritten Welt die Rechtsstellung der Kinder
des § 218 wird sicher darüber nachzudenken sein, je-
entscheidend verbessert werden kann.
dem Kind einen Kindergartenplatz zu garantieren.
Ziel der Konvention ist es, in mehr als 50 Artikeln
(Zustimmung bei der FDP und der CDU/
zum Schutz der Kinder die wichtigsten Menschen-
rechte zu garantieren. Aus der Vielzahl der Regelun- CSU)
gen einige: Trotz aller Bemühungen gibt es aber zugegebenerma-
ßen auch bei uns immer noch Defizite.
Jedes Kind hat Anspruch auf Gedanken-, Gewis-
-
sens- und Religionsfreiheit sowie ein garantiertes Eine besondere Form der Gewalt gegen Kinder ist
Recht auf freie Meinungsäußerung. Als ich es gelesen die von Erwachsenen geduldete und leider Gottes so-
habe, habe ich es fast als absurd empfunden, daß man gar teilweise geförderte Pornographie mit Kindern,
so etwas fordern muß. die Kinderprostitution und leider immer auch noch
der Handel mit Kindern, vor allem mit Hindern aus
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
der Dritten Welt. Denken wir auch an die große Zahl
Alle Kinder müssen vor Gewalt geschützt werden. der Kindesmißhandlungen und an die traurige Bereit-
Gewalt ist nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch schaft vieler Menschen, vor diesen Mißhandlungen
seelische Gewalt, Ausbeutung, Verwahrlosung und die Augen zu verschließen.
Vernachlässigung und — was, wie ich meine, beson-
Es geht nicht nur um Gesetze — vielleicht nicht ein-
ders erdniedrigend ist — sexueller Mißbrauch.
mal in erster Linie — , sondern es geht, wie ich meine,
(Seesing [CDU/CSU]: Sehr richtig!) auch um einen Bewußtseinswandel, der dringend not-
wendig ist. Allerdings kann der Gesetzgeber auch
Geistig und körperlich behinderte Kinder haben
einiges tun. Betroffen sind Fragen des Unterhalts, der
einen Anspruch auf ein erfülltes und menschenwürdi-
ges Leben. elterlichen Sorge, des Erbrechts. Es geht auch um den
Umgang des nichtehelichen Kindes mit seinem Vater.
Der Kriegseinsatz von unter 15jährigen Kindern Kinder haben eben keinen Einfluß auf die Lebensform
wird verboten — dringend notwendig, wie wir aus der ihrer Eltern, und sie dürfen dadurch auch keine
allerletzten Zeit wissen. Von allen Dingen, die man Nachteile erleiden.
Kindern antun kann, ist ihre Verwicklung in Kriege
wohl das Grausamste. Ich sage, daß uns die Schutzfrist (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
von 15 Jahren als zu niedrig erscheint. Ganz generell sollen Kinder nicht unter den Lebens-
verhältnissen ihrer Eltern leiden. Für den Fall der
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD
Scheidung soll deshalb die Möglichkeit der gemeinsa-
und beim Bündnis 90/GRÜNE)
men Sorge gesetzlich verankert werden.
Die Bundesregierung wird bei der Hinterlegung der
Ratifikationsurkunde eine völkerrechtliche Erklä- (Zustimmung bei der FDP und der CDU/
rung abgeben. Ich weiß, daß das in diesem Hause teil- CSU)
weise Bedenken ergeben hat. Mancher hätte eine vor- Ich bin aber auch dafür, daß wir ganz neue Denkan-
behaltlose Zustimmung vorgezogen. Ich weiß das ins sätze zumindest wagen. Ich nenne ein Beispiel: das
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 445
Bundesminister Dr. Kinkel
gerichtliche Verfahren. Bisher wurden die Interessen Mitglieder unserer Gesellschaft. Schon aus diesem
der Kinder sehr unterschiedlich wahrgenommen, teils Grunde ist unsere besondere Solidarität notwendig.
von den Eltern, teils vom Jugendamt, teils von Rich- Mancher, der das zu ratifizierende Abkommen be-
tern und Staatsanwälten. Da alle diese Beteiligten im trachtet, ist in der Versuchung, sich bequem zurück-
wesentlichen Eigeninteressen vertreten, stehen die zulehnen mit der Feststellung, daß diese internatio-
Interessen der Kinder nicht immer im Vordergrund. nale Konvention eigentlich nur die anderen Staaten
Wir sollten deshalb überlegen — ich gebe das zu treffe. So klingt es gelegentlich auch in der Denk-
überlegen — , ob die Rechte der Kinder in die Hände schrift der Bundesregierung zu dieser Konvention an.
eines qualifizierten Interessenvertreters, eines Kin- Ich denke, es gibt keinen Anlaß zur Selbstzufrieden-
deranwalts, gelegt werden könnten. heit, vielmehr gibt es gerade auf diesem Gebiete viel
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU ) zu tun. Mir ist heute bei der Lektüre der „Süddeut-
Um Kindern mehr Zuwendung, Würde und Sicher- schen Zeitung" ein Urteil des Bayerischen Verwal-
heit zu geben, reichen gesetzliche Regelungen — ich tungsgerichtshofs besonders aufgefallen, überschrie-
wiederhole es — allein nicht aus. Es kommt auf die ben: „Kindergarten ja — Spielplatz nein". Die Ent-
Verwirklichung der Rechte der Kinder in der Praxis scheidung, die dort abgedruckt und zum Teil zitiert
an. Wir müssen allgemein eine Einstellung erreichen, ist, ist, meine ich, durchaus typisch. Es geht um die
die die Kinder mit als schwächste Glieder unserer Frage, ob der Kinderlärm für die Nachbarschaft so
Gesellschaft begreift und sie als vollwertige und be- belastend ist, daß der Bau eines Kinderspielplatzes
sonders schützenswerte Persönlichkeiten anerkennt. verhindert werden kann. Der Verwaltungsgerichtshof
hat zu meinem Bedauern den Beschwerdeführern in-
Es reicht eben nicht, daß wir nur vorübergehend sofern Recht gegeben. Was mich an diesem Urteil
über schreckliche Bilder vernachlässigter oder miß- besonders stört, ist, daß man mangels einer rechtli-
handelter Kinder bewegt und geschockt sind. Wichti- chen Grundlage versucht hat, Kinderlärm anhand an-
ger ist, daß wir im Alltag immer beachten, Kinder sind derer Kategorien, nämlich Gewerbelärm, zu messen.
kleine Menschen, die große Rechte brauchen. Ich halte das für völlig unangemessen.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
SPD) und beim Bündnis 90/GRÜNE)
Ich als Bundesjustizminister möchte mich jedenfalls — Ich denke, es ist gut, daß manche Dinge nicht geregelt
das verspreche ich — in ganz besonderer Weise um sind. Das ist für die Justizpolitiker gelegentlich doch
die Belange der Kinder kümmern. ein Lichtblick.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Solche Urteile sollte es bei uns eigentlich nicht ge-
SPD) ben. Sie werden mir nachsehen, daß ich die Beurtei-
lung dieser Entscheidung in die Ausführungen einbe-
ziehe, obwohl ich wenig Zeit habe, da auch meinem
Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Kollegen Herrn Schmidt Redezeit zusteht.
ordnete Dr. Pick. Wir können auf unsere Fortschritte in der Gesell-
schaft im Hinblick auf Kinder nicht allzu stolz sein.
Diese Konvention sollte uns Anlaß sein, immer wieder
Dr. Pick (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Rechenschaft darüber abzulegen, ob wir genügend in
Herren! Gestatten Sie, daß ich mit einem kleinen Vor- Richtung einer kinderfreundlichen Gesellschaft han-
wurf beginne, der sich eigentlich an uns selber richtet: deln.
Ich denke, es ist dem Thema nicht angemessen, daß
wir hier nur eine halbe Stunde Debattenzeit für dieses Diese Konvention setzt im übrigen nur Mindest-
Thema haben. standards. Das heißt, ein Wettbewerb da ri n, wie man
die Rechte der Kinder und ihre Sorgen ernst nimmt
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der und ihre Rechte weiterführt, ist immer wieder er-
FDP) wünscht. Wir wissen aber auch: Recht und Gesetz
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang anderer können nicht alles erzwingen, insbesondere nicht,
Themen, die aus meiner Sicht weit weniger gewichtig was notwendig ist: mehr Verständnis und Toleranz.
sind, und denen wir mehr Zeit gewidmet haben. Ich Hier muß sich in unserer Gesellschaft noch viel än-
erinnere mich, daß wir in der letzten Legislaturpe- dern. Unsere Bereitschaft und unsere Toleranz sind
riode, als wir über die Rechtsstellung des Tieres de- gefragt, denn Kinderpolitik ist Zukunftspoltitik.
battiert haben, glaube ich, eine ähnliche Debattenzeit Schönen Dank.
zur Verfügung hatten. Jeder und jede kann daran,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
glaube ich, seine und ihre Folgerungen knüpfen.
FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
stimme dem Herrn Justizminister zu: Diese Konven-
tion ist in der Tat ein Meilenstein in der Geschichte Vizepräsident Cronenberg: Nun erteile ich dem Ab-
der UN. Es hat ja fast ein Jahrzehnt gedauert, bis man geordneten Seesing das Wort.
sich zu dieser Konvention hat bewegen können. Ich
glaube, es ist ein ganz wichtiger Vorgang. Seesing (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen
Es mag Zufall sein, aber es muß uns dennoch Anlaß und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
zur Fragestellung geben, ob wir den Belangen der habe mir lange überlegt, ob ich überhaupt in der De-
Kinder die angemessene Aufmerksamkeit zuwenden. batte über das Übereinkommen über die Rechte des
Es ist gesagt worden: Kinder sind mit die schwächsten Kindes das Wort ergreifen soll. Mit dem Kollegen Pro-
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Seesing
fessor Pick stelle ich nämlich die Frage: 30 Minuten denke z. B. an den Art. 9 des Übereinkommens. Da
Redezeit — ist es das, was wir für die Kinder, für heißt es:
unsere Kinder noch übrig haben? Ist das vielleicht ein
Die Vertragsstaaten stellen sicher, daß ein Kind
Symptom für die Zeit, die wir heute für Kinder zu
nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen
geben bereit sind?
getrennt wird, es sei denn, daß die zuständigen
Nun habe ich im Deutschen Bundestag allerdings Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Ent-
auch die Erfahrung gemacht, daß es nicht auf die scheidung nach den anzuwendenden Rechtsvor-
Länge der Redezeit und auch nicht auf die Zahl der schriften und Verfahren bestimmen, daß diese
Abgeordneten im Plenum ankommt, um etwas voran- Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist.
zubringen.
Aber wie ist es denn, wenn das Kind diese Tren-
(Frau Hämmerle [SPD]: Sehr wahr!) nung nicht will? Reicht die Bestimmung:
Es geht mehr um den politischen Willen, etwas zu tun. Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes,
Da stellt sich nun schon wieder die Frage, was hier das von einem oder beiden Elternteilen getrennt
denn politisch und gesellschaftlich bewegt werden ist, regelmäßig persönliche Beziehungen und un-
kann oder soll, denn an dem Text des Übereinkom- mittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu
mens können wir nichts ändern. Sonst würde ich mir pflegen, soweit dies nicht dem Wohl des Kindes
ernsthaft überlegen, z. B. eine andere Fassung des widersp richt.
Art. 6 vorzuschlagen. Dort heißt es nämlich in Abs. 1:
„Die Vertragsstaaten erkennen an, daß jedes Kind ein Ich kenne Kinder, die weinen jede Nacht, weil Mutter
angeborenes Recht auf Leben hat. " In der Präambel sie nicht zum Vater läßt und die Ge ri chte das für Recht
dieses Übereinkommens wird betont, daß die Ver- halten. Manchmal frage ich mich, ob der Haß der Mut-
tragsstaaten dieses Übereinkommen auch eingedenk ter auf ihren früheren Partner so noch gefördert wer-
der Tatsache vereinbart haben, daß den darf. Das ist nur ein Beispiel.

das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen Ich frage mich auch, ob es nicht ein Verstoß gegen
und geistigen Reife besonderen Schutzes und be- dieses Übereinkommen ist, wenn Kinder des ersten
sonderer Fürsorge, insbesondere eines angemes- Schuljahres in der Schule vor dem Fernsehgerät sitzen
senen rechtlichen Schutzes vor und nach der Ge- und sich die Zusammenschnitte von Kriegsereignis-
burt, bedarf. sen angucken müssen, um dann mühselig zu schrei-
ben: „Ich bin gegen den Krieg." Wer ist schon nicht
Es gibt aber keine allgemeingültige Interpretation gegen den Krieg?
dieses Textes, so daß offenbleibt, ob das Lebensrecht
des Kindes auch schon vor seiner Geburt besteht. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Aber ich frage: Darf man Sechsjährige so in Angst
setzen?
Es bleibt jedem Vertragsstaat überlassen, wie er diese
Problematik im Rahmen seiner Verfassung regeln Das Übereinkommen spricht davon, daß im Sinne
will. diese Übereinkommens ein Kind jeder Mensch ist, der
das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Unser
Nun heißt es aber weiter im Art. 6 Abs. 2 dieses Gesetz spricht vom 14. Lebensjahr. Unsere Kinder-
Übereinkommens: „Die Vertragsstaaten gewährlei- kommission hat sich verdienstvollerweise auch der
sten in größtmöglichem Umfang das Überleben und Älteren angenommen. Einigen Jugendpolitikern hat
die Entwicklung der Kinder." Ich persönlich bin nicht das, wie es heißt, nicht gepaßt.
der Ansicht, daß sich diese Forderung nur auf Maß-
nahmen zur Verringerung der Säuglings- und Kin- Ich halte die Kinderkommission für eine wichtige
dersterblichkeit und auf die Bekämpfung der Kinder- Einrichtung unseres Parlaments. Es ist aber notwen-
krankheiten beschränkt. Und wenn meine Ansicht dig, daß die Ausschüsse des Bundestags die Anliegen
richtig ist, dann muß einem deutlich werden, daß noch unserer Kolleginnen und Kollegen, die hoffentlich
lange nicht, trotz aller sonstigen Bestimmungen die- recht bald wieder eine Kinderkommission bilden, auf-
ses Übereinkommens, gleiche Chancen für alle Kin- greifen und umsetzen. Es wird auf Dauer nicht mehr
der geboten werden. Essen und Trinken, Wohnen und ohne weiteres zur Mißachtung von Kindern kommen
Arbeiten, Bildung und Lebensgewohnheiten werden können, wenn sich das Bewußtsein für die Rechte und
nach wie vor noch sehr unterschiedlich sein. Das für die Würde und für das besondere Schutzbedürfnis
hängt ab von Religion und Kultur, politischem System der Kinder stärker als bisher entwickelt.
und wirtschaftlichem Entwicklungsstand des einzel- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
nen Staates.
Wir werden nicht jeden Vater ins Gefängnis stecken
Was können wir nun bewegen? Denn rechtlich können, der seinem Sohn einmal eine Tracht Prügel
scheint bei uns alles klar zu sein. Die Landesregierung verabreicht, was zweifellos vorkommt und immer
von Nordrhein-Westfalen hat im Hinblick auf dieses noch vorkommen wird. Ich weiß aus eigener Erf ah-
Übereinkommen in der Landtagsdrucksache 10/4470 rung in der Schule, daß noch zu oft Kinder mit Worten,
vom 8. Juni 1989 festgestellt, daß dieses Übereinkom- wenn man so sagen darf, niedergemacht werden, Kin-
men eine Vielzahl von Verpflichtungen der Vertrags- der, die sich in aller Regel nicht wehren können. Auch
staaten begründet, die im Hinblick auf die rechtliche das darf nicht sein.
Stellung des Kindes in Deutschland bereits weitge-
hend verwirklicht seien. Dennoch möchte ich eine Meine Damen und Herren, es gibt also auch für uns
Frage stellen: Ist wirklich schon alles in Ordnung? Ich noch viele Gründe, diesem Übereinkommen beizutre-
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 447
Seesing
ten, es zu nutzen, das Denken der Menschen mehr auf arbeit zu treffen. Die Formulierung „im größtmögli-
die Belange der Kinder zu richten. chen Maß" wurde im deutschen Text diskret ver-
Herzlichen Dank. schwiegen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Drittens möchte ich an einigen konkreten Beispie-
bei Abgeordneten der SPD) len den sehr dringlichen Handlungsbedarf zur Verän-
derung des geltenden innerstaatlichen Rechts als
Konsequenz der Ratifizierung der Kinderkonvention
Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- anmahnen.
ordnete Frau Höll.
Für veränderungswürdig halte ich die Objektrolle
von Kindern im innerstaatlichen Rechtssystem. So
Frau Dr. Höll (PDS/Linke Liste) : Verehrter Herr Prä- werden in Sorgerechtsverfahren in der Regel die El-
sident! Verehrte Abgeordnete! Wäre die anstehende tern gehört, die selbst aussagefähigen Kinder nur im
Ratifizierung der Konvention der UNO vom 20. No- Ausnahmefall. Deshalb sollte einem Kind der Rechts-
vember 1989 durch den Deutschen Bundestag als die anspruch auf einen kostenlosen Anwalt zur Verteidi-
Übernahme ihrer Artikel in das geltende Recht der gung seiner Rechte auf harmonische Persönlichkeits-
Bundesrepublik Deutschland zu verstehen, so wäre entwicklung, auf Fürsorge und Erziehung durch Mut-
das ein begrüßenswerter Fortschritt, weil damit unser ter und Vater, unabhängig davon, ob diese miteinan-
Land kinderfreundlicher und zukunftsorientierter ge- der verheiratet sind oder nicht, zuerkannt werden.
staltet werden würde. Bedauerlicherweise schränkt
die Bundesregierung durch die im Gesetzentwurf Art. 10 fordert die wohlwollende Prüfung der Ein-
dem Konventionstext nachgefügte Denkschrift diese reise von ausländischen Kindern zwecks Familienzu-
Chance in gravierender Weise ein. sammenführung. Rechtspraxis jedoch ist, daß das
Ausländergesetz große Unterschiede zwischen einrei-
(Eimer [Fürth] [FDP]: Nicht die Bundesregie- senden Kindern aus EG-Staaten oder aus Dritte-Welt-
rung, sondern die Länder!) Ländern macht. Zum Beispiel Studenten, selbst aus
Die in der Denkschrift der Bundesregierung unter III. Krisengebieten, ist es verwehrt, ihre Kinder in die BRD
„Würdigung des Übereinkommens" getroffene Fest- nachziehen zu lassen.
stellung, daß das Übereinkommen Standards gebiete,
die in der BRD verwirklicht seien, und keinen Anlaß Art. 12 sichert dem Kind das Recht auf freie Mei-
für grundlegende Änderungen oder Reformen des in- nungsäußerung in allen es selbst berührenden Ange-
nerstaatlichen Rechts böte, kann von mir nur als blan- legenheiten zu. Dazu gehört in erster Linie sein Recht
ker Zynismus gegenüber Kindern sowie deren Eltern auf Leben in Frieden. Demzufolgen müssen die
und vor allem als Versuch bewertet werden, die tiefen Rechte von Kindern und Jugendlichen zur Teilnahme
Widersprüche zwischen dem Inhalt der Kinderkon- an Antikriegsaktionen — Anti-Golfk rieg-Demos —
vention und der Realität zu verdecken. respektiert
Erstens sollte die Bundesregierung nicht den beste- (Frau Dr. Babel [FDP]: Das ist auch Terror! —
henden Handlungsbedarf negieren, auf dem bisher- Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Genau da be
durchaus unbefriedigenden Stand beharren und dem- ginnt der Mißbrauch!)
zufolge im innerstaatlichen Recht hinter der Konven- und können nicht mit behördlichen Sanktionen ge-
tion zurückbleiben, sondern aus der Konvention nor- ahndet werden.
mative Schlüsse auf sozialem und kulturellem Gebiet
ziehen. Es käme mir darauf an, den ein Menschenle- (Beifall bei Abgeordneten der SDP)
ben wesentlich prägenden politischen, sozialen, sittli-
Art. 14 sichert dem Kind Gedanken-, Gewissens-
chen und kulturellen Wert Kindheit ins Bewußtsein
und Religionsfreiheit zu. In der Denkschrift werden
der Öffentlichkeit und der Träger staatlicher Verant-
einseitig nur die Meinungsbildung des Kindes zur
wortung zu rücken.
Religion behandelt und damit Kinder und Eltern be-
In diesem Zusammenhang müßten auch verfas- nachteiligt, die eine freigeistige Weltanschauung ver-
sungsrechtliche Konsequenzen gezogen werden. Da- treten.
mit meine ich, daß das in Art. 1 des Grundgesetzes
formulierte Grundrecht auf Unantastbarkeit der Art. 18 gebietet den Vertragsstaaten, sicherzustel-
Würde des Menschen — unabhängig von seinem Ge- len, daß Kinder berufstätiger Eltern Kinderbetreu-
schlecht, seiner Rasse, seiner Nationalität, seiner so- ungsdienste nutzen können. Die Denkschrift der Bun-
zialen Herkunft und Stellung, seines weltanschauli- desregierung schränkt dies auf „soweit vorhanden"
chen, religiösen und politischen Bekenntnisses — ein und betont die Nichtverpflichtung der Vertrags-
durch die Unabhängigkeit von seinem Alter bzw. sei- staaten, solche Einrichtungen zu schaffen.
ner Jugend ergänzt werden müßte. Diese Aussage steht im Widerspruch zu den Koali-
Zweitens scheint es mir bezeichnend, daß sich aus- tionsvereinbarungen, die einen Rechtsanspruch auf
gerechnet bei der Benennung der Kosten ein nicht zu einen Kinderbetreuungsplatz in Aussicht stellen.
übersehender Übersetzungsfehler eingeschlichen Dazu ist es nötig, in den alten Bundesländern neue
hat. Im englischen Originaltext wird im Art. 4 aus- Plätze zu schaffen und die in den neuen Bundeslän-
drücklich von den Vertragsstaaten hinsichtlich der dern ausreichend vorhandenen Plätze vor der Ruinie-
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von rung zu bewahren. Aus diesem Grunde halte ich es für
Kindern verlangt, solche Maßnahmen im größtmögli- unangebracht, nach Art. 44 der Kinderkonvention zu
chen Maß ihrer verfügbaren Mittel und erforderli- verfahren und erst innerhalb von zwei Jahren nach
chenfalls im Rahmen der internationalen Zusammen- Inkrafttreten einen Fortschrittsbericht vorzulegen.
448 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Vizepräsident Cronenberg: Frau Abgeordnete Dr. gen die kurze Redezeit; auch ich. Ich meine, wir be-
Höll, ich hatte Ihnen versprochen, großzügig zu sein. klagen sie zu Recht. Aber ich darf kritisch und selbst-
Aber Sie hatten auch versprochen, nicht zu übertrei- kritisch anmerken, daß keiner von uns vorhin dem
ben. Vorschlag des Präsidenten für diese Redezeit wider-
sprochen hat.
Frau Dr. Höll (PDS/Linke Liste): Der letzte Satz:
(Frau Dr. Babel [FDP]: Sehr wahr!)
Vielmehr fordere ich die Bundesregierung auf, binnen
kürzester F rist dem Bundestag einen Be richt über die Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die
sich aus der Ratifizierung der UNO-Kinderkonvention Voraussetzungen für die Ratifizierung der UN-Kin-
ergebenden Notwendigkeiten innerstaatlicher Ände- derkonvention geschaffen werden — ein Überein-
rungen des geltenden Rechts vorzulegen. kommen mit einer sensationell positiven internationa-
Ich danke Ihnen. len Resonanz, in dessen Mittelpunkt das Wohl des
Kindes steht; eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
(Beifall bei der PDS/Linke Liste und der Abg.
Denn was könnte einer Gesellschaft, Politikern, El-
Frau Schenk [Bündnis 90/GRÜNE])
tern, Verantwortlichen in allen Bereichen mehr am
Herzen liegen als das Wohl der Kinder und Jugendli-
Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge-
chen, in die wir unsere Hoffnungen transferieren und
ordnete Frau Schenk.
die politische Entscheidungen leben und erleben
müssen.
Frau Schenk (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Das von den Vereinten Es werden Maßstäbe für die Behandlung von Kin
Nationen vorgelegte Übereinkommen vom 20. No- dern und Jugendlichen gesetzt, die in Teilbereichen
vember 1989 über die Rechte des Kindes ist watte- auch Anlaß zur Prüfung und Verbesserung der eige-
weich formuliert, und zwar so watteweich, daß selbst nen Gesetze sein können. Auch bei uns kann noch viel
die Bundesrepublik, in der die Lebenssituation von mehr für Kinder getan werden. Zahlreiche Vorschläge
Kindern alles andere als bef riedigend ist, fast beden- dazu haben wir heute hier gehört. Ich glaube, der
kenlos Vertragsstaat werden kann. Bundesminister der Justiz hat seine Eignung als Kin-
(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Aber immer deranwalt vorhin in seiner Rede schon dargelegt.
noch besser als in der Mehrzahl der anderen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Länder!)
In der Koalitionsvereinbarung ist auf Initiative der
Die Bundesregierung hat recht, wenn sie behauptet,
FDP der Prüfauftrag zur Verbesserung der Rechtsstel-
daß das Übereinkommen Standards setzt, die in der
lung nichtehelicher Kinder im Umgangs-, Sorge-,
Bundesrepublik fast alle bereits erfüllt sind. Das
Erb- und Unterhaltsrecht enthalten. Wir begrüßen,
spricht allerdings nicht für das hohe Niveau dieser
daß schon seit längerer Zeit an einer Reform des Sor-
Standards, sondern ist Resultat der Suche nach dem
gerechts insgesamt durch das zuständige Ressort ge-
kleinsten gemeinsamen Nenner, die für das Zustan-
arbeitet wird. Aber um so mehr müssen wir deshalb
dekommen dieses Übereinkommens notwendig war. - bedauern — dies ist noch einmal hervorzuheben —,
In zwei Bereichen meint die Bundesregierung aller- daß durch die Bedenken von Bayern und Baden-Würt-
dings, die noch weit unterhalb des Übereinkommens temberg, nicht durch die der Bundesregierung, Vor-
liegenden Standards durch eine Erklärung bzw. durch behalte hinsichtlich der Rechtsstellung des nichteheli-
eine besondere Interpretation absichern zu müssen. In chen Kindes und des Sorge- und Umgangsrechts von
einem Fall geht es um ausländische Kinder, deren getrenntlebenden oder geschiedenen Eltern in die Er-
rechtliche Diskriminierung und Unterprivilegierung klärung, die die Bundesregierung zur Ratifizierung
in der Erklärung der Bundesregierung zum Überein- hinterlegt, aufgenommen werden muß.
kommen bekräftigt wird. In einem anderen Fall geht
es um das nach bundesdeutscher Rechtsprechung im- (Beifall bei der FDP)
mer noch bestehende sogenannte Züchtigungsrecht, Ebenso soll, wie auch in Art. 18 der Konvention all-
auf das zu verzichten die Regierung deutschen Eltern gemein formuliert, der Anspruch auf einen Kinder-
offensichtlich nicht zumuten will. Die öffentliche Ak- gartenplatz nach unseren Vorstellungen zusammen
zeptanz der körperlichen Züchtigung beinhaltet aber mit den Ländern in dieser Legislaturperiode unbe-
auch die Toleranz gegenüber der emotionalen Züch- dingt realisiert werden. Wir wollen durch aktives Han-
tigung, gegenüber Liebesentzug, Abwertung des Kin- deln und nicht nur durch wohlklingende Worte dieses
des und der Zerstörung seines Selbstbewußtseins. ehrgeizige Vorhaben zum Wohl des Kindes verwirkli-
Diese beiden Punkte in der Denkschrift zum Überein- chen, so wie es sich für uns aus vielen Punkten der
kommen und in der Erklärung der Bundesregierung UN-Kinderkonvention ergibt.
lehnen wir, die Abgeordneten vom Bündnis 90/DIE
GRÜNEN, entschieden ab. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Beifall der Abg. Frau Köppe [Bündnis 90/
GRÜNE] und der PDS/Linke Liste sowie bei Mit der Anerkennung der Kinderkonvention, an der
Abgeordneten der SPD) es trotz dieses Vorbehalts natürlich keinen Zweifel
geben darf, nehmen wir uns hier selbst alle in die
Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- Pflicht.
ordnete Frau Schnarrenberger. Danke.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Herr (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten
Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle bekla der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 449

Vizepräsident Cronenberg: Als letztem erteile ich sam machen, daß die von der Bundesregierung im
dem Abgeordneten Schmidt (Salzgitter) das Wort. Gesetzentwurf dargestellte Selbstgefälligkeit, das
deutsche Recht entspreche bis auf einige Marginalien
den Anforderungen der Konvention, so nicht akzep-
Schmidt (Salzgitter) (SPD): Herr Präsident! Meine tiert werden kann. Das sage nicht nur ich, sondern das
sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde, es ist sagen viele Fachleute draußen.
heute kein Tag, an dem sich der Bundestag mit Ruhm
bekleckert, nicht nur wegen der Redezeit, sondern Ich will nur einen Satz aus der Erklärung als Anlage
auch deswegen, weil heute im Laufe des Tages der zur Denkschrift zitieren, der lautet:
Ältestenrat die Wiedereinsetzung der Kinderkom- Die Bundesrepublik erklärt, daß das Überein-
mission aus formalistischen Gründen, wie ich meine, kommen über die Rechte des Kindes nach ihrer
verschoben hat. Auffassung ausschließlich Staatenverpflichtun-
(Zuruf von der FDP: Das ist eine Schande!) gen begründet, die die Bundesrepublik Deutsch-
Ich glaube, dies wirft auch ein Licht darauf, wie man land nach näherer Bestimmung ihres mit dem
mit Kinderpolitik in diesem Hause umgeht, wenn es Übereinkommen übereinstimmenden innerstaat-
dann ganz konkret wird. lichen Rechts erfüllt.
Aber auch die Redezeit — ich wiederhole damit die Dies nenne ich selbstgefällig. Die wenigen Anmer-
Rüge, die mehrfach von meinen Vorrednerinnen und kungen, die dann noch folgen, sind ebenso im nebu-
Vorrednern ausgesprochen ist — finde ich zutiefst lösen Raum belassen, was ihre weiteren politischen
skandalös. Da haben sich zahllose Vertreter aus vielen Folgeakte angeht. Darum, denke ich, ist es wichtig,
Ländern der Welt mehr als zehn Jahre in Konferenzen daß wir die Bundesregierung, aber auch das Parla-
Gedanken gemacht, wie die Interessen der Kinder ment insgesamt zur weiteren Beratung dieses Themas
mehr als bisher in die politische und gesellschaftliche auffordern, sich dieser Sache intensiver als bisher zu-
Wirklichkeit gerückt werden können. Da hat die zuwenden und sie aufzuklären, sich auch selbst Auf-
UNO-Vollversammlung am 20. November 1989 — üb- träge zu erteilen, um herauszufinden, wie denn die
rigens unter Beteiligung der Kinderkommission; drei Schwachpunkte, was die kinderpolitischen Rechte
Mitglieder sind ja hier im Hause — einstimmig die angeht, möglicherweise noch in die Debatte einge-
Konvention mit 54 Artikeln beschlossen. Da finden bracht und ausgemerzt werden können.
sich nach langen Vorbereitungen im Interesse der
Kinder alle Nationalitäten, Religionen, Weltanschau- Ich nenne hier auch ausdrücklich die Aktivitäten
ungen und Rassen zu einem bemerkenswerten Kom- der Kinderkommission in der abgelaufenen Legisla-
promiß zusammen. Da besteht endlich einmal wieder turperiode. Wir haben einen 28seitigen Be ri cht er-
die Gelegenheit im deutschen Parlament, auf der Ba- stellt, mit dem unglaublich viele Initiativen in Gang
sis eines fundierten Beratungsobjekts die Interessen gesetzt worden sind; parteiübergreifend und ohne
von Kindern in die politische Auseinandersetzung jede Auseinandersetzung in der Sache ist dadurch
hineinzutragen und gleich zu Beginn der parlamenta- unglaublich viel zustande gekommen, was vielleicht
rischen Arbeit dieser neuen Legislaturperiode beson- auch beispielhaft für manche andere Ausschußarbeit
dere Akzente zu setzen. Da könnte die Chance wahr- in diesem Hause gewesen sein könnte.
genommen werden, die frühere Einsetzung einer Kin- (Sehr gut! bei der CDU/CSU)
derkommission nicht als politisches Alibi erscheinen
zu lassen. Da könnte die von vielen politischen Seiten Ich will daran erinnern, daß wir insbesondere beim
begrüßte Teilnahme des Bundespräsidenten am Welt- Züchtigungsrecht, das hier eben schon erwähnt wor-
kindergipfel Ende September 1990 in New York durch den ist, aber auch im Interesse der Beseitigung der
eine Parlamentsaktivität nachhaltig und konkret un- Kinderpornographie zusammen mit den Frauen die-
termauert werden. Und was machen wir daraus? 30 ses Hauses eine ganze Reihe von Zeichen gesetzt ha-
Minuten Redezeit bei der Einbringung dieses Gesetz- ben, die in der Öffentlichkeit — vor allem in der Fach-
entwurfs zur Ratifizierung. öffentlichkeit — auch ernst genommen worden sind
und die immer von dem Willen getragen waren, für
Dies ist ein ernsthafter Vorwurf; ich protestiere
die Kinder eine bessere Gesellschaft zu gestalten.
energisch dagegen. Ich finde auch, daß man nach
mehr als drei Jahren Bestehen der Kinderkommission Wir haben eine Menge zu tun. Wir dürfen nicht wei-
in diesem Hause — sie wird hoffentlich wieder einge- ter die Interessenten, die Verbände, die Organisatio-
setzt werden; so ganz zweifle ich noch nicht daran — nen, aber auch uns selbst, die Menschen in diesem
zum erstenmal öffentlich fragen sollte, ob denn die Lande, enttäuschen, indem wir so tun, als sei hier bei
Einsetzung dieser Kommission nicht doch ein Alibiakt uns im Lande für die Kinder alles im Lot. Diejenigen,
gewesen ist. die sich mit offenen Augen für diese Dinge in unserer
(Dr. Krause [Bonese] [CDU/CSU]: Uns brau- Gesellschaft bewegen, werden eine Fülle von Be-
chen Sie nicht zu fragen!) nachteiligungen unserer Kinder feststellen.
— Herr Krause, erinnern Sie sich an Ihre Landwirt- Als Letztes will ich mit allem Ernst sagen — auch
schaftsdebatte. Dann sollten Sie jetzt hier ruhig das gehört nach meiner Ansicht dazu — : Wir müssen
sein. die Kinder davor schützen, die Verlierer des Golfkrie-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD) ges zu werden, und wir müssen die Kinder davor
schützen, die Verlierer der deutschen Einheit zu wer-
In der Sache kann und will ich heute nicht allzu viel den.
vortragen. Das wäre auch sehr unangemessen. Aus
kinderpolitischer Sicht kann ich nur darauf aufmerk- (Beifall bei der SPD und der FDP)
450 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Schmidt (Salzgitter)
In diesem Sinne hoffe ich mit allen — das sind viel- den beten zu dürfen, aber für den Krieg zahlen zu
leicht dann doch nicht wenige — , die guten Willens müssen. Für die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen
sind, daß wir aus dem vorliegenden Entwurf des Rati- besteht im Rahmen des geltenden Rechts keine Mög-
fizierungsgesetzes doch noch etwas gestalten kön- lichkeit, die Finanzierung von Militärausgaben wir-
nen. kungsvoll und konsequent zu verweigern.
Vielen Dank. Die Bundesrepublik ist bisher mit einer Summe von
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der 17 Milliarden DM am Golfkrieg beteiligt. Bezahlt
FDP) wurde dieses Geld von den Steuerzahlern. Im Zusam-
menhang mit dem Golfkrieg wird jetzt von Steuer-
erhöhungen gesprochen.
Vizepräsident Cronenberg: Damit sind wir am Ende
Sicherlich ist Ihnen das Ergebnis einer Umfrage zu
dieser Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen,
diesem Thema bekannt, die besagt, daß 62 % der Be-
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
völkerung aus den alten und 88 % der Bevölkerung
sache 12/42 an die in der Tagesordnung ausgedruck-
aus den neuen Bundesländern gegen eine Steuer-
ten Ausschüsse zu überweisen, außerdem zur Mitbe-
erhöhung aus Anlaß des Golfkrieges sind. Auch auf
ratung auch an den Ausschuß für Familie und Senio-
diesem Hintergrund bitte ich Sie, sich mit unserem
ren.
Gesetz zur Befreiung von Militärsteuern sachlich aus-
Darüber hinaus ist mir eben von den Geschäftsfüh- einanderzusetzen.
rern der Fraktionen und Gruppen mitgeteilt worden,
daß sie wünschten, die Vorlage zur Mitberatung auch Mit diesem Gesetz soll jeder bzw. jede Steuerpflich-
dem Rechtsausschuß zu überweisen. tige die Möglichkeit erhalten, über die eigene Beteili-
gung an der Finanzierung von Militärausgaben selber
(Frau Köppe [Bündnis 90/GRÜNE]: Das be- zu entscheiden.
trifft den nächsten Tagesordnungspunkt!)
Dazu regelt das Gesetz zunächst die Neuorganisa-
— Das ist der nächste Tagesordnungspunkt? Ent-
tion der Finanzierung der militärischen Verteidigung
schuldigung, dann ist das etwas anderes. Das ist hier über einen Militärfonds, welcher ausschließlich über
oben offensichtlich falsch angekommen. die zu erhebende Militärsteuer zu finanzieren ist.
Dann darf ich die Überweisung entsprechend der
Vorlage als beschlossen feststellen, wenn niemand Von dieser Militärsteuer kann Befreiung erlangt
Einwendungen dagegen hat. werden, wenn aus Gewissensgründen die finanzielle
Beteiligung an dieser Finanzierung von Rüstung nicht
Ich rufe jetzt Punkt 10 der Tagesordnung auf: mitgetragen werden kann. Wir betonen dabei aus-
Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau drücklich — denn dieser Vorwurf ist uns in letzter Zeit
Köppe, Dr. Feige, Poppe, Frau Schenk, Schulz oft gemacht worden — , daß mit diesem Gesetz den
(Berlin), Dr. Ullmann, Weiß (Berlin) und Frau Bürgern und Bürgerinnen keine generelle Entschei-
Wollenberger (Bündnis 90/GRÜNE) einge- dung über die Verwendung ihres Steueraufkommens
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Befrei- zugebilligt wird.
ung von Militärsteuern Schon das Grundgesetz sieht aber bei Gewissens-
— Drucksache 12/74 — entscheidungen eine besondere Situation gegeben.
Überweisungsvorschlag : Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes garantiert allgemein
Finanzausschuß (f) den besonderen Schutz von Gewissensentscheidun-
Verteidigungsausschuß gen, Art. 4 Abs. 3 das Recht auf Kriegsdienstverwei-
Haushaltsausschuß
gerung aus Gewissensgründen.
Für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes ist
eine Fünfminutenrunde vorgesehen, das heißt, jeder Analog zur Kriegsdienstverweigerung sollte mit
Fraktion stehen fünf Minuten Redezeit zur Verfü- dem Hinweis auf Art. 4 Abs. 1 ein Rechtsanspruch auf
gung. Außerdem hat mich der Abgeordete Conradi Verweigerung der Finanzierung von Rüstungsbestre-
gebeten, ihm Redezeit für die Darlegung einer abwei- bungen geschaffen werden. Wir sind der Meinung,
chenden Meinung zu gewähren. Ist das Plenum damit daß niemand gegen sein Gewissen zur Beteiligung an
einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann militärischer Rüstung gezwungen werden sollte.
werden wir so verfahren. Aus Gründen der Steuergleichheit fließt der ent-
Wir können mit der Beratung beginnen. Zunächst sprechende Steueranteil einem zu schaffenden Son-
hat die Abgeordnete Frau Köppe das Wort. dervermögen Rüstungskonversion zu, dient also der
Überleitung von Rüstung in ökologisch und sozial ver-
trägliche Produktion, unterstützt ganz praktisch Abrü-
Frau Köppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident! stung.
Meine Damen und Herren! Seit Jahren verstärkt sich
die Kritik an Rüstung und Militär und damit auch an Als eines der Hauptargumente gegen den Abbau
von Rüstung und Militär wird immer wieder und be-
den hohen Ausgaben für diese Zwecke. Es erscheint
vielen Bürgerinnen und Bürgern unerträglich, Rü- sonders von den CDU-Kollegen auf den Wegfall von
Arbeitsplätzen verwiesen. Durch die Einrichtung
stung — und jetzt auch noch eine Kriegsbeteiligung —
durch ihre persönlichen Steuerabgaben zu finanzie- eines Rüstungskonversionsfonds werden für diesen
ren. Besonders für Pazifisten ist dies ein tiefgreifender Umbau Geldmittel zur Verfügung gestellt.
Gewissenskonflikt. Politiker sollten akzeptieren, so Wir denken, daß unser Gesetzentwurf eine Chance
denken wir, daß sich Kriegsgegner und Kriegsgegner- für all diejenigen ist, die wirklich Abrüstung wollen,
innen nicht damit abfinden wollen, zwar für den F rie- und zwar Abrüstung schon jetzt.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 451

Frau Köppe
Vielen Dank. Kenntnis: Kriegsgegner und Pazifisten sind ebenso in
(Beifall der Abg. Frau Schenk [Bündnis 90/ den Reihen derjenigen zu finden, die mithelfen wol-
GRÜNE] und bei der PDS/Linke Liste sowie len, den Aggressor und Mörder Saddam Hussein in
bei Abgeordneten der SPD) seine Schranken zu weisen, bevor er, durch einen
gelungenen Überfall auf Kuwait ermutigt, weitere
Greueltaten verüben könnte.
Vizepräsident Cronenberg: Nun erteile ich dem Ab-
(Beifall bei der FDP)
geordneten Rind das Wort.
Diese Mitbürger und Mitbürgerinnen werden nicht
akzeptieren, daß Sie zu Unrecht das Monopol auf Frie-
Rind (FDP): Herr Präsident! Meine Kolleginnen und densliebe und Kriegsgegnerschaft beanspruchen.
Kollegen! Das Thema, Steuern für besondere Zwecke
zu erheben und getrennt zu verwalten, ist nicht neu. Wir werden in den Beratungen diesem Gesetzent-
So, wie der Gesetzentwurf formuliert ist, wäre aller- wurf mit Sicherheit nicht nähertreten.
dings eine Befreiung von einem Teil der Lohn- und Vielen Dank.
Einkommensteuer gegeben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
In der Begründung steht zwar, daß etwas anderes
gewollt ist, nämlich ein Wahlrecht des Bürgers. Aber
wenn es so gewollt ist, ist es im Gesetzentwurf falsch Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge-
formuliert. ordnete von Larcher.
Wenn ich aber unterstelle, daß die Antragsteller
nicht vorhaben, die Steuerbelastung der Bürger zu von Larcher (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
verändern, wenn diese sich für oder gegen die soge- und Herren! Der Gesetzentwurf, über den wir hier
nannte Militärsteuer entscheiden, sprechen, kommt zwar vom Bündnis 90/GRÜNE, aber
(Conradi [SPD]: Er hat den Entwurf gar nicht zu verantworten haben ihn CDU/CSU und FDP.
gelesen!) (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
dann muß ich Ihnen sagen, daß das Ende einer geord- — Ja, Sie haben richtig gehört. Einmal abgesehen von
neten Finanzpolitik erreicht wird, wenn wir Steuerzu- Ihrem unverantwortlichen und unaufrichtigen Gerede
weisungen in Töpfchen einzuordnen beginnen. über die Kosten der deutschen Einheit im Wahlkampf:
Ich sehe schon die Forderung, nach der sogenann- Es war doch eine ungeheure Zumutung für jeden den-
ten Militärsteuer eine sogenannte Straßensteuer zu kenden Menschen, zu behaupten, für den Aufbau in
erheben, die jeder verweigern kann, der eine be- den Ländern der ehemaligen DDR brauche man keine
schleunigte Verkehrskonversion mit einer Schienen- Steuererhöhungen, und gleichzeitig eine Kriegsteuer
steuer erreichen will. Die Reihe derartiger umwelt-, anzukündigen, wie Sie es in der Regierungserklärung
gesundheits- und friedenspolitisch motivierter Spe- und in der Debatte darüber getan haben,
zialsteuern ließe sich beliebig verlängern.
(Nolting [FDP]: Können Sie einmal zum
Ich verstehe, daß sich die Kollegen vom Bündnis 90 Thema sprechen?)
in der Finanzpolitik noch nicht zurechtfinden. Die
Vorstellung, daß in einem Töpfchen die sogenannte eine Kriegsteuer zur Finanzierung des Golfkrieges.
Militärsteuer und in einem anderen die Rüstungskon- Diese Bundesregierung finanziert den Golfkrieg mit
versionssteuer bürokratisch aufwendig verwaltet wer- Steuergeldern. Ein Betrag von 17 Milliarden DM ist
den und daß sie dann, ohne die Höhe der Einnahmen schon häufig genannt worden. Wenn der Golfkrieg
zu kennen, den verschiedenen Aufgabenbereichen nicht bald zu Ende geht, wird sich dieser Betrag ver-
zugeteilt werden, läßt mich schlichtweg erschaudern: vielfachen.
Da stehen leere Töpfchen herum; da laufen Töpfchen Wie Sie hier verfahren sind, meine Damen und Her-
über. Woher mit dem Geld für die Aufgaben in diesem ren der Regierungskoalition, und immer noch verfah-
Bereich? Wohin mit dem Geld, das für den anderen ren, straft Ihr Gerede vom mündigen Bürger Lügen.
Bereich nicht gebraucht wird, aber vorhanden ist und Sie behandeln doch die Bürgerinnen und Bürger wie
— nach dem Wortlaut Ihres Gesetzes — für andere unmündige Kinder. Aber nicht einmal unmündigen
Staatsaufgaben nicht eingesetzt werden darf? Kindern sollte man die Unwahrheit sagen.
Der richtige Weg, um Ausgaben für die Verteidi- Kein Wunder, wenn viele Menschen darüber nach-
gung zu vermindern, ist die Fortsetzung der Friedens- denken, wie sie verhindern können, daß mit ihrem
politik. Die Entscheidung über den Anteil seiner Steu- Geld, mit ihren Steuern dieser verheerende Krieg fi-
ergroschen für Rüstungsausgaben und damit für die nanziert wird, weil sie sich in ihrem Gewissen nicht
Verteidigung fällt der Bürger alle vier Jahre bei der schuldig machen wollen am Sterben und Leiden der
Bundestagswahl. Er ist sich dabei bewußt, welche Po- Menschen und der Kreatur. Kein Wunder, daß in Be-
sition die Parteien zu den Fragen der Friedens-, Rü- trieben und in gesellschaftlichen Gruppen bis hinein
stungs-und Verteidigungspolitik beziehen. Diese in kirchliche Arbeitskreise eine Steuerboykottdiskus-
Wählerentscheidung ist eine Gewissensentscheidung sion eingesetzt hat. Die Motive dieser Menschen, die
auch über das, was Sie vom Bündnis 90 Militärsteuern darüber nachdenken und die ihrem Gewissen gemäß
nennen. handeln, sind ehrenhaft. Diese Menschen haben un-
Abschließend sei bemerkt: Wenn Sie in Ihrem Ent- sere Unterstützung gegen infame Diffamierungen.
wurf schreiben, für Kriegsgegner und Pazifisten sei Sie sind es leid, daß immer noch — trotz des Abbaus
die Beteiligung der Steuerzahler an den Kosten des der Konfrontation zwischen Ost und West und des
Golfkrieges unzumutbar, dann nehmen Sie bitte zur Beginns einer Sicherheitspartnerschaft — diese Bun-
452 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

von Larcher
desregierung und die sie tragenden Parteien Super- Das setzt weiter voraus, daß man Wahlprogramme in
verteidigungshaushalte aufstellen. Sie sind es leid, der Sache begründet und nicht unter der Frage zu-
daß mit ihrem Geld immer noch unsinnige Waffensy- sammenschreibt: Womit sind Stimmen zu fangen und
steme bezahlt werden, womit nicht?, unabhängig davon, was man nach der
Wahl tatsächlich machen will. Und damit schließt sich
(Nolting [FDP]: Welche denn?)
der Kreis.
statt daß damit ökologische, soziale und sinnvolle öko- Zu verantworten haben den Gesetzentwurf von
nomische Projekte und die notwendige Rüstungskon- Bündnis 90/GRÜNE diese Bundesregierung und die
version finanziert werden. sie tragenden Parteien. Wir Sozialdemokraten können
In diesem Zusammenhang verstehe ich auch den diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Entwurf des Bündnisses 90/GRÜNE. Ich gestehe, daß (Beifall bei der SPD — Zuruf von der FDP:
ich ihm persönlich — wie mein Freund Peter Conradi Das war der einzige vernünftige Satz!)
— Sympathien entgegenbringe, mehr noch allerdings
dem hinter dem Entwurf stehenden Motiv. Aber ob- Vizepräsident Cronenberg: Zu einer Kurzinterven-
wohl wir Sozialdemokraten die Motive, die zu dieser tion erteile ich dem Abgeordneten Eimer das Wort.
Initiative geführt haben, verstehen und sogar teilen
— das Motiv nämlich: kein Geld für den Golfkrieg —,
halten wir diesen Weg nicht für gangbar. Eimer (Fürth) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Rede meines Vorredners klang un-
Wir Sozialdemokraten wollen keine Militärsteuer wahrscheinlich moralisch.
als Zwecksteuer Ich will es mal anders formulieren. Sie argumentie-
(Nolting [FDP]: Ach!) ren: Wir für das Feine, für das Humanitäre, und die
anderen, die Amerikaner, sollen ihren Kopf hinhalten,
und keine Steuererhöhungen für den Golfkrieg.
sollen ihr Blut vergießen, um einen Aggressor zu stop-
Ich möchte mich — auch in Anbetracht der kurzen pen. Die einen für das Grobe, die anderen für das
Redezeit — nicht mit den verfassungsrechtlichen und Feine. Ich halte diese Einteilung, diese — internatio-
den haushaltsrechtlichen Fragen auseinandersetzen. nale — Arbeitsteilung, für in höchstem Maße unmora-
Wir Sozialdemokraten bleiben bei unseren Forderun- lisch.
gen: keine Mark für den Golfkrieg, wohl aber Geld für Vielen Dank.
humanitäre Zwecke, zur Behebung der ökologischen
Schäden, zum Wiederaufbau und zur Beseitigung der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
verheerenden Zerstörungen dieses Krieges zum
Wohle der dort Lebenden, der überlebenden Men- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge-
schen. Wir lehnen jede Kriegsteuer ab. ordnete Frau Braband.
Im übrigen fordern wir eine drastische Reduzierung
Frau Braband (PDS/Linke Liste) : Herr Präsident!
des Verteidigungshaushaltes sofort und in weiteren
Schritten seine Halbierung, wie in unserem Wahlpro-- Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetz-
gramm angekündigt, die weitere Abrüstung und Ver- entwurf der Abgeordneten des Bündnisses 90/
änderung der Bundeswehr- und der NATO-Struktur, GRÜNE stellt in gewisser Weise eine Kostbarkeit un-
ter den vielen Papieren dar, die in den letzten Mona-
hin zur strukturellen Nichtangriffsfähigkeit, sowie das
Verbot des Rüstungsexports in Nicht-NATO-Länder, ten dieses Haus passiert haben. Warum?
wie wir das heute beantragt haben. (Dr. Henning [CDU/CSU]: In Ihrem Staat wä-
ren Sie dafür ins Gefängnis gekommen!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Wie Gysi!)
— Bitte? Ich war in der ehemaligen DDR im Gefäng-
— Das ist eine Unverschämtheit! nis, mein Herr.
So wollen wir Sozialdemokraten sicherstellen, daß Hier wird der Versuch gemacht, auf konstruktive
das von den Menschen schwer verdiente Geld nicht Weise mit den veränderten Bedingungen in Europa
zum Töten, nicht für wahnsinnige Rüstungspro- umzugehen, und der Möglichkeit Raum gegeben,
gramme, sondern für gesellschaftlich sinnvolle, so- endlich die Gewohnheit dieser patriarchalischen
ziale und ökologische Zwecke ausgegeben wird. Welt, die Lösung ihrer Probleme in jedem Fall auch
militärisch zu denken und vorzunehmen, abzulegen.
In diesem Zusammenhang ist auch an unseren Vor-
Dieses Gesetz trägt der Tatsache Rechnung, daß sehr
schlag zu erinnern, mit Mitteln aus dem Verteidi-
viele Menschen in Ost und West in einem Krieg eben
gungshaushalt einen Rüstungskonversionsfonds zu
nicht mehr die legitime Fortsetzung der Politik mit
errichten. Nicht die individuelle Entscheidung im Ein-
anderen Mitteln sehen.
zelfall über die sinnvolle Verwendung von Steuergel
dern kann unser staatspolitisches Ziel sein, sondern Die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben im
wir sagen — da stimme ich Herrn Rind zu; allerdings Herbst 1989 gezeigt, daß sie willens und in der Lage
sollten Sie auch danach handeln — : Bei Wahlen kön- sind, ihre Welt mit f ri ed li chen Mitteln zu verändern.
nen die Bürgerinnen und Bürger in unserer Republik Es ist der Beweis erbracht worden, daß das möglich ist.
entscheiden, was mit ihrem Geld gemacht wird. Niemand kann daran vorbei.
Selbstverständlich sind Politikerinnen und Politiker
Das setzt allerdings voraus, daß man ihnen vor der
ganz besonders gefragt, wenn es gilt, neue Ideen über
Wahl sagt, was man vorhat.
das Zusammenleben von Menschen zu entwickeln,
(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir die dann neue Verhaltensweisen ermöglichen. Bisher
auch gesagt!) wurde — so sehe ich das — jede, aber auch wirklich
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 453

Frau Braband
jede Chance vertan, aus der Vereinigung der beiden zeitiger qualitativer Verbesserung von Kriegspoten-
deutschen Staaten etwas wirklich Neues entstehen zu tial.
lassen, und sei es ein neuer Denkansatz. Ich sehe, daß meine Redezeit beendet ist. Ich
Statt dessen werden fortschrittliche Gesetze der al- möchte Ihnen noch einen letzten Satz sagen: Ich
ten DDR eliminiert, die Notwendigkeit einer Verfas- denke, dieser Gesetzentwurf ist eine gute Gelegen-
sung für dieses Land geleugnet, die Friedensbewe- heit für alle die, die der Friedlichkeit der Veränderun-
gung diffamiert und insbesondere der Wille der ost- gen in der DDR ihre Bewunderung und ihren Respekt
deutschen Bürgerinnen und Bürger zur Entmilitarisie- gezollt haben, daraus nun auch praktische Konse-
rung und Abrüstung, quenzen zu ziehen.
(F ri edrich [FDP]: Das muß gerade jemand
(Jäger [CDU/CSU]: Die Friedensbewegung
von der PDS sagen!)
ist doch von Ihrer Vorgängerpartei diffamiert
worden!) Ich jedenfalls, irgendwann von meinem Sohn gefragt,
was ich getan habe, möchte ihm wirkli ch antworten
die eine wesentliche Forderung des Herbstes war, können.
durch Einverleibung in die NATO ignoriert.
(F ri ed ri ch [FDP]: Das muß gerade jemand
Wenn in diesem Hause und in seinen Ausschüssen von der PDS/SED sagen!)
bereits laut darüber nachgedacht wird, wie das durch Ich danke Ihnen.
den Golfkrieg verbrauchte Kriegsmaterial schnellst-
möglich ersetzt werden kann, dann ist genau das der (Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem
Beweis für die Unfähigkeit, die Probleme der Mensch- Bündnis 90/GRÜNE)
heit — Umweltzerstörung, Krieg, Hunger in der Drit-
ten Welt — durch solidarisches Handeln und eben
nicht durch Aufrüstung und Krieg zu bewältigen. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge-
ordnete Conradi.
Ich behaupte, daß sich hier nicht nur Unfähigkeit,
sondern auch mangelnder Wille zeigt. Wir, die Abge-
ordneten der PDS/Linke Liste treten für konsequente Conradi (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Entmilitarisierung und Abrüstung ein Herren! Ich vertrete mit einigen Kolleginnen und Kol-
legen meiner Fraktion eine von der großen Mehrheit
(Zurufe von der CDU/CSU: So wie drüben in der SPD-Fraktion abweichende Meinung. Diese
der DDR! — Da habt ihr 40 Jahre Zeit ge- möchte ich hier in die Diskussion einbringen.
habt!)
Es geht hier um Gewissensfragen. Gewissensfra-
und betrachten diesen Gesetzentwurf als einen ersten gen sind in unserer Verfassung sehr hoch angesiedelt.
kleinen, aber sehr wirkungsvollen Schritt dahin, nicht In Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes ist die Gewissens-
nur die Menschen, die für sich bereits entschieden freiheit festgelegt. Und auch die Menschenwürde des
haben, Rüstung und Krieg nicht mehr mitzufinanzie- - Art. 1 des Grundgesetzes hat etwas mit dem Gewissen
ren, nicht weiter zu kriminalisieren, sondern auch bei zu tun.
anderen Menschen ein Bewußtsein für diese Proble-
Das Grundgesetz nennt einen Konfliktfall zwischen
matik entstehen zu lassen. Er bietet für jede und jeden
dem Gewissen des einzelnen und den Forderungen
die Chance, Verantwortungsgefühl für das zu entwik-
des Staates, nämlich den Fall des Kriegsdienstes. Es
keln, was wir mit uns machen und machen lassen, und
steht bei den Grundrechten in Art. 4 Abs. 3 des
diese Verantwortung durch eine persönliche Gewis-
Grundgesetzes: „Niemand darf gegen sein Gewissen
sensentscheidung auch wahrzunehmen.
zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen wer-
(Unruhe — Frau Dr. Höll [PDS/Linke Liste]: den. "
Hört doch einmal zu!) (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! — F ried
Steuern sind Abgaben des und der einzelnen an das rich [FDP]: Dazu stehen wir!)
Gemeinwesen zur Finanzierung der Kosten, die ent- Die Frage, die ich hier stelle, ist die: Warum können
stehen, um dieses Gemeinwesen aufrechtzuerhalten wir kein Gesetz machen mit dem Inhalt: Niemand darf
und zu entwickeln, und zwar im Interesse und zum gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Steuer
Wohle a ll er in ihm lebenden Menschen und — so füge gezwungen werden. Das ist die Fragestellung, um die
ich hinzu — weder zu ihrem Schaden noch zum Scha- es geht.
den der außerhalb von ihm lebenden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch keine
Es ist an der Zeit — darüber ist schon viel geredet Fragestellung!)
worden — , den vorhin erwähnten veränderten Bedin- Vor allem den Liberalen möchte ich sagen: Ich habe
gungen Rechnung zu tragen. Abrüstungsverhandlun- gedacht, die Liberalen ständen für das Gewissen der
gen sind nur die eine Seite. Wenn diesen Verhandlun- Menschen und für Liberalität. Aber Ihre Beiträge wer-
gen nicht entsprechende Maßnahmen im Inland fol- den der Gewissensnot der Menschen, die bei ihren
gen, die sich eben nicht auf die bloße Reduzierung von Finanzämtern sagen, daß sie daran nicht beteiligt
Mensch und Mate ri al beschränken, sondern den Geist werden wollen, nicht gerecht. Es sind nur einige.
in Frage stellen, der uns weismachen will, es käme
darauf an, sich unter allen Umständen und mit allen (Abg. Jäger [CDU/CSU] meldet sich zu einer
Mitteln auch gegen die Interessen anderer Menschen Zwischenfrage)
durchzusetzen, so führen diese Verhandlungen zu — Herr Jäger, es gibt bei Fünf-Minuten-Beiträgen lei
weiter nichts als zum quantitativen Abbau und gleich der keine Zwischenfragen. — Diese Menschen sind in
454 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Conradi
persönlicher Bedrängnis. Wir sollten uns nicht damit und bin sehr wohl bereit — Herr Jäger, ich werde Sie
herausreden, daß es eine Minderheit ist; denn Gewis- daran erinnern — , eine entsprechende Regelung zu
sensfragen sind immer Minderheitsfragen. Vielmehr suchen.
sollten wir uns fragen, warum wir ihnen nicht — Ich sehe durch den Gesetzentwurf keinen Abbau
ebenso wie wir den Kriegsdienstverweigerern den Er- der Parlamentsrechte, wenn in Bayern die Bürger des
satzdienst einräumen — die Möglichkeit geben, die Freistaats über ein höchst kompliziertes Abfallgesetz
Militärsteuer zu verweigern und ihre Steuer ersatz- — übrigens mit einem bemerkenswerten Ergebnis,
weise einem anderen, f riedlichen Zweck zu widmen.
Das stände einer Demokratie gut an. (Zuruf von der CDU/CSU: Mit einem guten
Ergebnis!)
Die Vereinigten Staaten von Amerika, die Sie, Herr
mit einem in jeder Hinsicht interessanten Ergebnis —,
Eimer, sonst sehr gerne beschwören — informieren
dann wird da die Kompetenz des Parlaments sehr viel
Sie sich einmal! —, haben sehr wohl steuerliche Aus-
eher gefährdet, als wenn wir hier einer Minderheit
nahmeregelungen für Minderheiten, die in Gewis-
sensfragen anders entscheiden. einräumen, nach ihrem Gewissen einen Teil ihrer
Steuern anders zu widmen.
(Eimer [Fürth] [FDP]: Die Steuern dürfen bei Ob der Antrag praktikabel ist, ist hier nicht der
uns nicht zweckgebunden erhoben wer- Gegenstand; darüber soll der Ausschuß beraten. Un-
den!) ser Grundsatzprogramm, das der Sozialdemokraten,
Man soll also Amerika nicht immer nur bemühen, sagt: Die parlamentarische Demokratie vermindert
wenn es um den Krieg und um Rüstung geht, sondern und ersetzt nicht die Verantwortung der Bürgerinnen
man soll die liberale, freiheitliche Tradition Amerikas und Bürger. Ich meine, wir sollten den Gesetzentwurf
hier auch einmal in die Debatte einbringen. nicht so leichtfertig vom Tisch wischen. Es geht um
das Gewissen von Menschen, und damit sollte man
Nun wird das aktualisiert durch die hemmungslose
sich ernsthaft auseinandersetzen. Ich bitte Sie — auch
Kriegsrederei einiger Politiker — ich rechne Ihren Bei-
im Namen einiger Kollegen — , dieses Gesetz im Aus-
trag dazu — und einiger Journalisten
schuß ernsthaft zu beraten und nicht so abzutun, wie
(Zuruf von der FDP: Unverschämtheit!) Sie das hier getan haben.
und durch die Tatsache, daß diese Regierung und eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei
Mehrheit der Koalition erklärt haben, sie seien nicht der PDS/Linke Liste)
bereit, die Steuern für die Entwicklungshilfe zu erhö-
hen, sie seien nicht bereit, die Steuern für die Brüder
Vizepräsident Cronenberg: Bevor ich das Wort zu
und Schwestern in der ehemaligen DDR zu erhöhen,
Kurzinterventionen erteile, Herr Abgeordneter Con-
aber sie sind bereit, die Steuern für den Golfkrieg zu
rad, möchte ich noch einmal klarstellen: Ich habe
erhöhen, und das löst natürlich bei vielen Menschen
Nachdenklichkeit und Protest aus. nicht gesagt, es gibt keine Zwischenfragen bei Fünf-
Minuten-Beiträgen,
Die Antwort der Bürokraten, auch der Bürokraten-in (Conradi [SPD]: Dann habe ich Sie mißver
diesem Hause, wir hätten das noch nie so gemacht,
standen!)
und da könnte jeder kommen, ist des Problems un-
würdig. Wenn wir hier ein Gesetz machen, nachdem sondern ich habe gemeint, bei Aktuellen Stunden mit
wir jemandem das Recht geben, aus Gewissensgrün- Fünf-Minuten-Beiträgen gibt es keine Zwischenfra-
den seinen Anteil an den Steuern nicht militärischen gen. In Analogie dazu möchte ich die Debattenbei-
Zwecken, sondern f riedlichen Zwecken zu widmen, träge nicht auseinandergerissen wissen, sondern ich
dann gilt dies nur für diesen einen Zweck, und dann empfehle, dann lieber von dem Instrument der Kurz-
kann nicht jeder andere auch kommen. intervention Gebrauch zu machen. Es liegt also in der
Kompetenz des amtierenden Präsidenten, das zu ma-
Ich nehme es ernst, daß das Parlamentsrecht uns chen, wie er es für richtig hält.
vorbehält, die Staatsausgaben zu bestimmen, aber ich
sehe nicht, daß das Parlamentsrecht uns das Recht (Conradi [SPD]: Ich bitte um Nachsicht, Herr
gibt, die Gewissensentscheidung des einzelnen Bür- Präsident!)
gers zu ersetzen. Dies ist nicht unsere Sache. Zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Ab-
geordneten Jäger das Wort.
Nun könnten Sie etwa auf den § 218 hinweisen, und
ich wäre, Herr Jäger, bereit, darüber sehr ernsthaft zu (Conradi [SPD]: Ich habe dann auch noch
diskutieren, denn es hat 1988 eine Verfassungsge- einmal das Wort; nach der Kurzintervention
richtsentscheidung gegeben, als eine beitragspflich- darf der Redner noch einmal reden!)
tige Versicherte die Krankenversicherung zwingen
wollte, Abtreibungen nicht mehr zu bezahlen. Das hat
Jäger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen
das Verfassungsgericht abgelehnt; das war auch ein
und Herren! Der Kollege Conradi hat selber den
ganz anderes Ziel als das Ziel dieses Gesetzent-
Punkt, nach dem ich mit meiner Zwischenfrage fragen
wurfs.
wollte, aufgegriffen und hat darauf hingewiesen, daß
Aber wenn es darum geht — wir werden in diesem es Menschen gibt, die sich beschwert fühlen, wenn
Jahr noch einmal darüber debattieren — , etwa einer ihre Sozialversicherungsbeiträge zur Tötung ungebo-
Beitragspflichtigen in der Krankenversicherung zu er- rener Kinder verwendet werden. Ich habe mit Inter-
lauben, zu sagen, ich will nicht, daß mit meinem Bei- esse zur Kenntnis genommen, Herr Kollege Conradi,
trag gegen mein Gewissen Schwangerschaftsabbrü- daß Sie sich im Verlauf Ihrer Äußerungen als sensibel
che finanziert werden, dann nehme ich das sehr ernst in dieser Frage erwiesen haben.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 455

Jäger
Ich muß Ihnen nur leider sagen, daß das eine völlig bezahlt — dies hat Karlsruhe zurückgewiesen — , oder
neue Sache ist und daß ich beim Verlauf der bisheri- ob eine Versicherte bzw. ein Versicherter wie Sie sagt:
gen Diskussion über diese Frage bei Ihnen und Ihren Ich will mit meinem Beitrag Schwangerschaftsabbrü-
Parteifreunden keinerlei Sensibilität in dieser Frage che nicht mehr finanzieren, und ich will eine Rege-
erkennen konnte. Im Gegenteil, ich mußte immer wie- lung, die es mir erlaubt, diesen Teil des Beitrags ande-
der feststellen, daß von dort alle Versuche konterka- ren Zwecken zu widmen.
riert wurden, daß man gegen die Möglichkeiten vor- Darum geht es. Wenn Sie letzteres, was ich darge-
ging, sich gegen die Pflicht zur Zahlung von Kranken- stellt habe, wollen, werden Sie in diesem Hause und
versicherungsbeiträgen zu diesem Zweck zu wen- draußen immer meine Unterstützung finden, weil ich
den. Sie wären glaubhafter gewesen, wenn Sie nicht Gewissensentscheidungen für eine schwerwiegende
erst heute die Bereitschaft erklärt hätten, dazu auf- Sache halte, die das Parlament nicht an sich ziehen
merksam auf Lösungsvorschläge zu achten, sondern kann. Ich hoffe, das ist damit zwischen uns klar.
wenn Sie sich auch schon in der Vergangenheit als ein
Streiter für die Rechte der betroffenen Sozialversiche- Was die FDP bet ri fft, Herr Kollege: Ich habe vom
rungspflichten erwiesen hätten, was leider nicht der hemmungslosen Kriegsgerede, nicht von Kriegstrei-
Fall ist. berei oder Kriegshetze geredet. Ich hätte das nicht
(Beifall bei der CDU/CSU) getan, hätte nicht der Herr Kollege Eimer meinen Vor-
redner Herrn von Larcher in seiner Intervention der-
maßen in die Ecke gestellt: er rede unmoralisch, da es
Vizepräsident Cronenberg: Zu einer weiteren Kurz-
doch hier um den Krieg gehe, die müßten ihren Kopf
inte rv ention — ich nehme an, der Abgeordnete Con-
hinhalten und ihr Blut hergeben, aber wir seien noch
radi ist damit einverstanden, damit er auf beides ant-
nicht einmal bereit, dafür zu zahlen.
worten kann — erteile ich dem Abgeordneten Hansen
das Wort. (Eimer [Fürth] [FDP]: Es war wohl ein biß
chen anders, was ich gesagt habe!)
Hansen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Das fand ich als Inte rv ention diesem Problem nicht
Herren! Herr Conradi, ich finde, es ist in Ordnung, daß angemessen. Dagegen habe ich mich verwahrt. Ich
der Gesetzentwurf, der von Frau Köppe hier begrün- werde Herrn Eimer hier nicht Kriegshetzerei oder et-
det wurde, tatsächlich schon insofern ein fruchtbares was Vergleichbares unterstellen.
Ergebnis gezeitigt hat — das haben Sie in mir provo- Was den Beispielsfall mit dem Hochhaus oder dem
ziert —, als man sich Gedanken darüber macht: Ge- Straßenbau bet ri fft: Ich glaube, dieses Beispiel liegt
wissensfragen — ja oder nein. Das finde ich an sich neben der Sache. Ich habe gesagt: Das Parlament muß
sehr in Ordnung. entscheiden, ob es einen bestimmten Gewissenskon-
Ich finde es überhaupt nicht in Ordnung, wenn Sie flikt für so wichtig hält, daß es dem einzelnen Staats-
einzelne Fraktionen — und dann ausgerechnet Libe- bürger in einem bestimmten Fall die Möglichkeit gibt,
rale — gewissermaßen als Kriegstreiber verleumde- seinem Gewissen nachzukommen und nicht der
risch in die Ecke stellen, und zwar mit einer Argumen- Mehrheitsentscheidung des Parlaments oder der
tation, die eigentlich mit dem sensiblen Anliegen -
Pflicht, Steuern zu zahlen oder Kriegsdienst zu leisten.
kaum noch etwas zu tun hat. Sonst müßte ich Sie als Ich wäre der letzte, der behaupten würde, die Frage,
Architekten beispielsweise fragen, ob kinderfeindli- ob ein Hochhaus oder eine Autobahn gebaut wird, sei
che Hochbauten oder Straßen, auf denen zahllose töd- eine Gewissensfrage.
liche Unfälle auch mit Kindern passieren und die auch
Nein, ich bin der Meinung, analog zur Kriegsdienst-
durch Steuermittel finanziert wurden, für Sie jeweils
verweigerung sollten wir ernsthaft überlegen, ob die
eine Gewissensfrage darstellen sollen.
Kriegsdienststeuerverweigerung nicht auch ein Ge-
Ich finde, es ist entweder pharisäisch oder eine In- wissenstatbestand ist, den wir freiheitlicher regeln
flationierung des Beg ri ffs Gewissen, wenn man ver- können, als es bisher der Fall ist.
sucht, an Hand des einen Beispiels auf diese Art und
Weise moralisch zu argumentieren und Kollegen oder
andere Parteien in die Ecke zu stellen. Dies finde ich Vizepräsident Cronenberg: Nun erteile ich dem
argumentativ einfach nicht in Ordnung. Parlamentarischen Staatssekretär Grünewald das
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wort.

Vizepräsident Cronenberg: Zur Erwiderung hat der


Abgeordnete Conradi das Wort. Dr. Grünewald, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
nister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr ver-
Conradi (SPD): Herr Kollege Jäger, ich habe vor vier ehrten Damen und Herren! Mit Sicht auf die verfas-
Jahren zu einem ähnlichen Gesetzentwurf hier eben- sungsrechtliche Wirklichkeit in unserem Lande kann
falls — im Unterschied zu meiner Fraktion — die Ge- ich mich trotz der sehr engagierten Diskussion sehr
wissensfreiheit sehr hoch angesetzt und dazu gere- kurz fassen.
det. Sie können mir nicht vorhalten, ich hätte das frü- Es ist nun einmal so, daß jeder Bürger zur Entrich-
her nicht gesagt. tung der ihm auferlegten Steuern verpflichtet ist. Die
Was die Krankenversicherung bet ri fft, so habe ich Verwendung des Steueraufkommens, also das, was
hier dargestellt, daß ein großer Unterschied besteht, der Staat damit macht, berechtigt nun niemanden,
ob eine Versicherte oder eine Gruppe von Versicher- dem Staat unter Berufung auf Grundrechte, insbeson-
ten erreichen will, daß die Krankenversicherung dere auf die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 des
Schwangerschaftsabbrüche überhaupt nicht mehr Grundgesetzes, Steuern vorzuenthalten.
456 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Parl. Staatssekretär Dr. Grünewald


Das, Herr Kollege Conradi, ist nicht die Antwort von daß dem vorliegenden Gesetzentwurf sowohl die ver-
Bürokraten. Das ist vielmehr die Antwort unseres fassungsrechtliche als auch die haushaltspolitische
höchsten Gerichts, des Bundesverfassungsgerichts, Grundlage fehlt. Die Bundesregierung wird diesem
wenn es sagt — ich zitiere — : Entwurf deshalb nicht nähertreten.
Der einzelne Bürger, der eine bestimmte Verwen- Ich danke Ihnen.
dung des Aufkommens aus öffentlichen Abgaben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
für grundrechtswidrig hält, kann aus seinen
Grundrechten keinen Anspruch auf generelle
Unterlassung einer solchen Verwendung herlei-
ten. Soweit dies mit seinem Glauben, seinem Ge- Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her-
wissen, seinem religiösen oder weltanschauli- ren, damit sind wir am Ende dieser Debatte.
chen Bekennntnis unvereinbar ist, kann er jeden-
falls nicht verlangen, daß seine Überzeugung Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
zum Maßstab der Gültigkeit genereller Rechts- wurf der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache
normen oder ihrer Anwendung gemacht wird. 12/74 an die in der Tagesordnung genannten Aus-
schüsse zu überweisen. Das sind der Finanz-, der Ver-
So weit das Zitat. Ich meine, diese Entscheidung unse- teidigungs- und der Haushaltsausschuß. Soeben ist
res höchsten Gerichts läßt an Deutlichkeit nichts zu vereinbart worden, den Gesetzentwurf zur Federfüh-
wünschen übrig. rung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Das
heißt, logischerweise sind die anderen Ausschüsse
Ich meine aber auch noch auf einen anderen verfas- dann zur Mitberatung aufgerufen. Ist das Haus damit
sungsrechtlichen Aspekt hinweisen zu müssen. Unser einverstanden? — Das ist der Fall. Dann darf ich das
Grundgesetz verweist nun einmal die Entscheidung als beschlossen feststellen.
über die Verwendung von Haushaltsmitteln in die
ausschließliche Zuständigkeit der gesetzgebenden
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 15 auf:
Körperschaften. Diese Entscheidungsbefugnis wäre
aber eingeschränkt, wenn, wie im vorliegenden Ge- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
setzentwurf vorgesehen, ein wesentlicher Teil des
Finanzierung der Schiffsentsorgung in deut-
Steueraufkommens von vornherein bestimmten
schen Seehäfen nach MARPOL — Anlage I
Zwecken zugeordnet würde. Vielmehr steht nach un-
und II
serer Haushaltsverfassung das gesamte Steuerauf-
kommen grundsätzlich für die Finanzierung aller, — Drucksache 12/117 —
ausnahmslos aller, Staatsaufgaben zur Verfügung. Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Im übrigen frage ich die Antragsteller, wie der Ver- (federführend)
teidigungsminister nach Ihren Vorstellungen über- Ausschuß für Verkehr
haupt eine vernünftige Planung machen sollte. Das Haushaltsausschuß
Problem erkennen Sie ja auch selber, da Sie bei der Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktio-
Lösung darauf hinweisen, daß es einfach nicht geht, nell wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache
den Steuerpflichtigen generelle Mitspracherechte 12/117 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
einzuräumen, weil dies, wie Sie sagen, staatliche Fi- schüsse zu überweisen. — Andere Vorschläge werden
nanzplanung verunmöglichen würde. nicht gemacht. So ist auch dies beschlossen.
Ich frage Sie noch weiter: Wie soll die Bundesregie- Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende
rung ihren nach wie vor bestehenden Bündnisver- unserer heutigen Tagesordnung.
pflichtungen nachkommen, die teilweise schon vor
unserer Zeit eingegangen worden sind? Wie soll sie Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
diesen Bündnisverpflichtungen nachkommen, die wir destages auf morgen, Freitag, den 22. Februar, 9 Uhr
erfüllen müssen und die wir auch verläßlich und gerne ein und wünsche Ihnen noch einen angenehmen
erfüllen wollen? Restabend.
Die Sitzung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, schon diese wenigen
Gründe machen in ausreichendem Maße deutlich, (Schluß der Sitzung: 20.54 Uhr)
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 457*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Frau Dr. Böhmer Hornung


Börnsen (Bönstrup) Hüppe
Liste der entschuldigten Abgeordneten Dr. Bötsch Jäger
Bohl Frau Jaffke
Bohlsen Jagoda
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) Fraktion Borchert Dr. Jahn (Münster)
einschließlich Brähmig Janovsky
Frau Dr. FDP 21. 02. 91 Breuer Frau Jeltsch
Frau Brudlewsky Dr. Jobst
Adam-Schwaetzer Brunnhuber Dr.-Ing. Jork
Antretter SPD 21.02.91 Bühler (Bruchsal) Dr. Jüttner
Frau Blunck SPD 21. 02. 91 Büttner (Schönebeck) Jung (Limburg)
Dehnel CDU/CSU 21.02.91 Buwitt Junghanns
Carstensen (Nordstrand) Dr. Kahl
Frau Eymer CDU/CSU 21. 02. 91 Clemens Kalb
Frau Fuchs (Verl) SPD 21. 02. 91 Frau Dempwolf Kampeter
Dr. Gautier SPD 21. 02. 91 Deres
Deß Dr.-Ing. Kansy
Genscher FDP 21.02.91 Dr. Kappes
Frau Diemers
Hilsberg SPD 21.02.91 Dörflinger Frau Karwatzki
Opel SPD 21.02.91 Doppmeier Kauder
Dr. Ortleb FDP 21.02.91 Doss Keller
Dr. Dregger Kiechle
Frau Schulte (Hameln) SPD 21. 02. 91 * * Kittelmann
Echternach
Dr. Soell SPD 21. 02. 91* Ehlers Klein (Bremen)
Spilker CDU/CSU 21.02.91 Ehrbar Klein (München)
Weisskirchen (Wiesloch) SPD 21. 02. 91 Frau Eichhorn Klinkert
Engelmann Köhler (Hainspitz)
Frau Wieczorek-Zeul SPD 21. 02. 91 Dr. Köhler (Wolfsburg)
Eppelmann
Frau Würfel FDP 21. 02. 91 Eylmann Dr. Kohl
Frau Falk Kolbe
* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
Dr. Faltlhauser Frau Kors
**für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm-
Feilcke Koschyk
lung
Dr. Fell Kossendey
Fischer (Hamburg) Kraus
Frau Fischer (Unna) Dr. Krause (Börgerende)
Francke (Hamburg) Dr. Krause (Bonese)
Anlage 2 Frankenhauser Krause (Dessau)
Dr. Friedrich Krey
Liste der Abgeordneten, die an der Fritz Kriedner
Fuchtel Kronberg
— Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kon- Ganz (St. Wendel) Dr.-Ing. Krüger
trollkommission gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des Frau Geiger Krziskewitz
Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle - Geis Lamers
Dr. Geißler Dr. Lammert
nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes Lamp
Dr. von Geldern
— Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums ge Gerster (Mainz) Lattmann
Gibtner Dr. Laufs
mäß § 10a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung Laumann
Glos
Frau Dr. Lehr
— Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 9 Dr. Göhner
Lenzer
Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Göttsching
Götz Dr. Lieberoth
Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Ar- Dr. Götzer Frau Limbach
tikel 10 Grundgesetz) Gres Link (Diepholz)
Frau Grochtmann Lintner
— Wahl der Wahlmänner für die vom Bundestag zu Gröbl Dr. Lippold (Offenbach)
berufenden Richter des Bundesverfassungsge- Grotz Dr. sc. Lischewski
Dr. Grünewald Lohmann (Lüdenscheid)
richts gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Louven
Günther (Duisburg)
Bundesverfassungsgericht (Wahlmänneraus Freiherr von Hammerstein Lowack
schuß) Hames Lummer
Haschke (Großhennersdorf) Dr. Luther
— Wahl der Mitglieder kraft Wahl des Ausschusses Haschke (Jena-Ost) Maaß (Wilhelmshaven)
für die Wahl der Richter der obersten Gerichts- Frau Hasselfeldt Frau Männle
höfe des Bundes gemäß § 5 des Richterwahlgeset- Haungs Magin
Hauser (Esslingen) Dr. Mahlo
zes (Richterwahlausschuß) de Maizière
Hauser (Rednitzhembach)
teilgenommen haben: Hedrich Frau Marienfeld
Heise Marschewski
Frau Dr. Hellwig Marten
Fraktion der CDU/CSU Bayha Helmrich Dr. Mayer (Siegertsbrunn)
Belle Dr. Hennig Meckelburg
Adam Frau Dr. Bergmann-Pohl Dr. h. c. Herkenrath Meinl
Dr. Altherr Bierling Hinsken Frau Dr. Merkel
Frau Augustin Dr. Blank Hintze Frau Dr. Meseke
Augustinowitz Frau Blank Hörsken Dr. Meyer zu Bentrup
Austermann Dr. Blens Hörster Frau Michalk
Bargfrede Bleser Dr. Hoffacker Michels
Dr. Bauer Dr. Blüm Hollerith Dr. Mildner
Frau Baumeister Böhm (Melsungen) Dr. Hornhues Dr. Möller
458* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991

Molnar Dr. Schwörer Duve Mosdorf


Dr. Müller Seehofer Ebert Müller (Pleisweiler)
Müller (Kirchheim) Seesing Dr. Eckardt Müller (Schweinfurt)
Müller (Wadern) Seibel Dr. Ehmke (Bonn) Frau Müller (Völklingen)
Müller (Wesseling) Seiters Eich Müller (Zittau)
Nelle Skowron Dr. Elmer Müntefering
Dr. Neuling Dr. Sopart Erler Neumann (Bramsche)
Neumann (Bremen) Frau Sothmann Esters Neumann (Gotha)
Nitsch Spranger Ewen Frau Dr. Niehuis
Frau Nolte Dr. Sprung Frau Ferner Dr. Niese
Dr. Olderog Dr. Stavenhagen Frau Fischer Niggemeier
Ost Frau Steinbach-Hermann (Gräfenhainichen) Frau Odendahl
Oswald Dr. Stercken Fischer (Homburg) Oesinghaus
Otto (Erfurt) Stockhausen Formanski Oostergetelo
Dr. Päselt Dr. Stoltenberg Frau Fuchs (Köln) Ostertag
Dr. Paziorek Strube Fuhrmann Frau Dr. Otto
Pesch Stübgen Frau Ganseforth Paterna
Petzold Frau Dr. Süssmuth Gansel Dr. Penner
Pfeffermann Susset Gerster (Worms) Peter (Kassel)
Pfeifer Tillmann Gilges Dr. Pfaff
Frau Pfeiffer Dr. Töpfer Frau Gleicke Pfuhl
Dr. Pfennig Dr. Uelhoff Dr. Glotz Dr. Pick
Dr. Pflüger Uldall Frau Dr. Götte Poß
Dr. Pinger Frau Verhülsdonk Graf Purps
Pofalla Vogel (Ennepetal) Großmann Reimann
Dr. Pohler Vogt (Düren) Habermann Rempe
Frau Priebus Dr. Voigt (Northeim) Hacker Frau von Renesse
Dr. Probst Dr. Vondran Frau Hämmerle Frau Rennebach
Dr. Protzner Dr. Waffenschmidt Hampel Reschke
Pützhofen Graf von Waldburg-Zeil Frau Hanewinckel Reuschenbach
Raidel Dr. Warnke Frau Dr. Hartenstein Reuter
Dr. Ramsauer Dr. Warrikoff Hasenfratz Rixe
Rau Werner (Ulm) Heistermann Roth
Rauen Wetzel Heyenn Schäfer (Offenburg)
Rawe Frau Wiechatzek Hiller (Lübeck) Frau Schaich-Walch
Reddemann Dr. Wieczorek (Auerbach) Dr. Holtz Dr. Scheer
Regenspurger Frau Dr. Wilms Horn Scheffler
Reichenbach Wilz Huonker Schily
Dr. Reinartz Wimmer (Neuss) Ibrügger Schloten
Frau Reinhardt Frau Dr. Wisniewski Frau Iwersen Schluckebier
Repnik Wissmann Frau Jäger Schmidbauer (Nürnberg)
Dr. Rieder Dr. Wittmann Frau Janz Frau Schmidt (Aachen)
Dr. Riesenhuber Wittmann (Tännesberg) Dr. Janzen Frau Schmidt (Nürnberg)
Rode (Wietzen) Wonneberger Jaunich Schmidt (Salzgitter)
Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Wülfing Dr. Jens Frau Schmidt-Zadel
Frau Roitzsch (Quickborn) Würzbach Jung (Düsseldorf) Dr. Schmude
Romer Frau Yzer Jungmann (Wittmoldt) Dr. Schnell
Dr. Rose Zeitlmann Frau Kastner Dr. Schöfberger
Rossmanith Zierer Kastning Frau Schröter
Roth (Gießen) Zöller Kirschner Schröter
Rother Frau Klappe rt Schütz
Dr. Ruck Frau Klemmer Dr. Schuster
Rühe Fraktion der SPD Klose Schwanhold
Dr. Rüttgers Dr. sc. Knaape Schwanitz
Sauer (Salzgitter) Frau Adler Körper Seidenthal
Sauer (Stuttga rt) Andres Frau Kolbe Frau Seuster
Scharrenbroich Frau Barbe Kolbow Sielaff
Frau Schätzle Bartsch Koltzsch Frau Simm
Schartz (T rier) Becker (Nienberge) Koschnick Singer
Schemken Frau Becker-Inglau Kubatschka Frau Dr. Skarpelis-Sperk
Scheu Bernrath Dr. Kübler Dr. Soell
Schmalz Beucher Kuessner Frau Dr. Sonntag-Wolgast
Schmidbauer Bindig Dr. Küster Sorge
Schmidt (Fürth) Dr. Böhme (Unna) Kuhlwein Dr. Sperling
Dr. Schmidt (Halsbrücke) Börnsen (Ritterhude) Lambinus Frau Steen
Schmidt (Mühlheim) Brandt Frau Lange Steiner
Frau Schmidt (Spiesen) Frau Brandt-Elsweier von Larcher Stiegler
Schmitz (Baesweiler) Dr. Brecht Leidinger Dr. Struck
von Schmude Büchler (Hof) Lennartz Tappe
Dr. Schockenhoff Dr. von Billow Frau Dr. Leonhard-Schmid Frau Terborg
Graf von Schönburg-Glauchau Büttner (Ingolstadt) Lohmann (Witten) Dr. Thalheim
Dr. Scholz Frau Bulmahn Frau Dr. Lucyga Thierse
Freiherr von Schorlemer Frau Burchardt Maaß (Herne) Tietjen
Dr. Schreiber Bury Frau Marx Frau Titze
Dr. Schroeder (Freiburg) Frau Caspers-Merk Frau Mascher Toetemeyer
Schulhoff Catenhusen Matschie Urbaniak
Dr. Schulte Conradi Dr. Matterne Vergin
(Schwäbisch Gmünd) Frau Dr. Däubler-Gmelin Frau Matthäus-Maier Verheugen
Schulz (Leipzig) Daubertshäuser Meckel Dr. Vogel
Schwalbe Dr. Diederich (Berlin) Frau Mehl Voigt (Frankfurt)
Schwarz Diller Meißner Vosen
Dr. Schwarz-Schilling Frau Dr. Dobberthien Dr. Meyer (Ulm) Wagner
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 21. Februar 1991 459'

Wallow Koppelin Anlage 3


Waltemathe Kubicki
Walther Dr.-Ing. Laermann Gewählte Wahlmänner nach § 6 Absatz 2
Wartenberg (Berlin) Frau Leutheusser- des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
Frau Dr. Wegner Schnarrenberger
Weiermann Lüder von der Fraktion Ersatzwahlmänner:
Frau Weiler Lühr der CDU/CSU:
Dr. Wernitz Dr. Menzel
Weis (Stendal) Möllemann Abg. Dr. Bötsch Abg. Dr. Blens
Weißgerber Nolting Abg. Helmrich Abg. Dr. Möller
Welt Otto (Frankfurt) Abg. Marschewki Abg. Molnar
Frau Weyel Paintner Abg. Dr. Olderog Abg. Kolbe
Frau Wester Frau Peters Abg. Dr. Scholz Abg. Frau Rahardt-Vahldieck
Frau Westrich Frau Dr. Pohl Abg. Dr. Göhner Abg. Geis
Frau Wettig-Danielmeier Richter (Bremerhaven)
Frau Dr. Wetzel Rind von der Fraktion der SPD: Ersatzwahlmänner:
Dr. Wieczorek Dr. Röhl
Wieczorek (Duisburg) Schäfer (Mainz) Abg. Dr. Vogel Abg. Frau Fuchs (Köln)
Wiefelspütz Frau Schmalz-Jacobsen Abg. Frau Dr. Däubler- Abg. Rappe (Hildesheim)
Wimmer (Neuötting) Schmidt (Dresden) Gmelin
Dr. de With Dr. Schmieder Abg. Thierse Abg. Stiegler
Wittich Schüßler Abg. Dr. de With Abg. Hacker
Frau Wohlleben Schuster Abg. Dr. Schmude
Frau Wolf Frau Sehn
Frau Zapf Frau Seiler-Albring
Dr. Zöpel von der Fraktion der FDP: Ersatzwahlmänner:
Frau Dr. Semper
Zumkley Dr. Solms Abg. Kleinert (Hannover) Abg. Frau Leutheusser
Dr. Starnick Schnarrenberger
Frau Dr. von Teichman und Abg. Gattermann
Logischen
Thiele
Fraktion der FDP Dr. Thomae
Timm
Frau Albowitz Türk
Frau Dr. Babel Frau Walz
Baum Dr. Weng (Gerlingen) Anlage 4
Beckmann Wolfgramm (Göttingen)
Bredehorn Zurheide Gewählte Mitglieder des Richterwahlausschusses
Cronenberg (Arnsberg) Zywietz nach § 5 des Richterwahlgesetzes
Eimer (Fürth)
Engelhard
van Essen Gruppe PDS/Linke Liste von der Fraktion Stellvertreter:
Dr. Feldmann der CDU/CSU:
Friedhoff Frau Bläss Benno Erhard Abg. Dr. Blens
Friedrich Frau Braband
Funke (Bad Schwalbach)
Dr. Briefs - Abg. Marschewski
Frau Dr. Funke-Schmitt-Rink Abg. Jagoda
Frau Dr. Enkelmann
Gallus Abg. Helmrich Abg. Dr. Möller
Dr. Gysi
Ganschow Dr. Heuer Abg. Dr. Schroeder (Freiburg) Abg. Hörster
Gattermann Frau Dr. Höll Abg. Dr. Geißler Abg. Eylmann
G ri es Frau Jelpke Abg. de Maizière Abg. Dr. Freiherr von Stetten
Grüner Dr. Keller Abg. Dr. Göhner Lothar Barthel (Gera)
Günther (Plauen) Dr. Modrow Abg. Dr. Götzer Abg. Dr. Bötsch
Dr. Guttmacher Dr. Riege Abg. Dr. Blank
Hackel Dr. Schumann (Kroppenstedt)
Hansen Dr. Seife rt von der Fraktion der SPD: Stellvertreter:
Dr. Haussmann Frau Stachowa
Heinrich Abg. Frau Dr. Däubler Abg. Frau Matthäus-Maier
Dr. Hirsch Gmelin
Dr. Hitschler Gruppe Bündnis 90/GRÜNE Abg. Dr. de With Abg. Lambinus
Frau Homburger Abg. Stiegler Abg. Bachmaier
Frau Dr. Hoth Dr. Feige Abg. Dr. Pick Abg. Wiefelspütz
Dr. Hoyer Frau Köppe Abg. Hacker Abg. Schwanitz
Hübner Poppe Abg. Singer Abg, Kirschner
Irmer Frau Schenk
Kleinert (Hannover) Schulz (Berlin)
von der Fraktion der FDP: Stellvertreter:
Kohn Dr. Ullmann
Dr. Kolb Frau Wollenberger Abg. Kleinert (Hannover) Abg. Irmer

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