Sie sind auf Seite 1von 64

2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26.

Februar 1954 551

Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-


schusses für Wahlprüfung und Immunität
betr. Genehmigung zum Strafverfahren
gegen den Abg. Metzger (Drucksache 243) 584 A
Dr. von Merkatz (DP):
als Berichterstatter 584 A
Schriftlicher Bericht 608
Beschlußfassung 584 C

Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-


schusses für Wahlprüfung und Immunität
betr. Genehmigung zum Strafverfahren
gegen den Abg. Dr. Henn (Drucksache 242) 585 A
Dr. Klötzer (GB/BHE), Berichterstatter 585 B
Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) 585 C
17. Sitzung Beschlußfassung 585 C

Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954. Erste, zweite und dritte Beratung des Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes über die
Verlängerung der Wahlperiode der Be-
Geschäftliche Mitteilungen 552 A, 607 C triebsräte (Personalvertretungen) in den
öffentlichen Verwaltungen und Betrieben
Zweite und dritte Beratung der von den des Bundes und der bundesunmittelbaren
Fraktionen der CDU/CSU, GB/BHE, DP Körperschaften des öffentlichen Rechts
und von der Fraktion der FDP einge- (Drucksache 271) 585 C
brachten Entwürfe eines Gesetzes zur Er-
gänzung des Grundgesetzes (Drucksachen Abstimmungen 585 D
124, 125, 171); Erster Mündlicher Bericht
des Ausschusses für Rechtswesen und Ver- Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
fassungsrecht (Drucksache 275) 552 A eines Gesetzes betr. die Vereinbarung vom
Dr. von Merkatz (DP), 23. Februar 1953 über die Regelung der
Berichterstatter 552 B, 565 A Schweizerfranken-Grundschulden (Druck-
D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . . 556 A sache 159); Mündlicher Bericht des Aus-
schusses für Geld und Kredit (Druck-
Erler (SPD) 558 B sache 238) 586 A
Dr. Arndt (SPD) 565 B, 578 D
Dr. Hesberg (CDU/CSU), Bericht-
Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) 565 D erstatter 586 A
Dr. Czermak (GB/BHE) 568 B
Beschlußfassung 586 C
Dr. Jaeger (CDU/CSU) 569 B
Dr. Schmid (Tübingen) (SPD) . . . 572 A Beratung der Großen Anfrage der Fraktion
Neumayer, Bundesminister der Justiz 575 B der SPD betr. Verkündung des Gesetzes
Dr. Weber (Koblenz) (CDU/CSU) . . 577 C über Straffreiheit (Drucksache 226) in Ver-
Hoogen (CDU/CSU) 581 B bindung mit der
Dr. von Brentano (CDU/CSU) (zur Ge-
schäftsordnung) 583 A Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Abstimmungen 583 A über die Gewährung von Straffreiheit
Namentliche Schlußabstimmung . . 583 A, 584 C, (Drucksache 215) und mit der
610
Beratung des Antrags der Fraktion der Ersten Beratung des von den Abg. Höcherl,
CDU/CSU betr. Nachwahl eines Mitgliedes Strauß, Stücklen u. Gen. eingebrachten
des Wahlprüfungsausschusses (Druck- Entwurfs eines Gesetzes über die Gewäh-
sache 266) 583 B rung von Straffreiheit (Drucksache 248) 586 D
Beschlußfassung 583 B Neumayer, Bundesminister
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- der Justiz 586 D, 594 B
schusses für Wahlprüfung und Immunität Dr. Greve (SPD), Anfragender 588 D, 606 C
betr. Genehmigung zum Strafverfahren Höcherl (CDU/CSU), Antragsteller . . 595 C
gegen den Abg. Even (Drucksache 237) 583 C, Dr. Stammberger (FDP) 598 C
584 D Dr. Czermak (GB/BHE) 599 D
Höcker (SPD), Berichterstatter . . . 584 D Frau Dr. Ilk (FDP) 601 A
Beschlußfassung 585 A Dr. Furler (CDU/CSU) 601 B
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- Dr. Dehler (FDP) 604 A
schusses für Wahlprüfung und Immunität Überweisung der Gesetzentwürfe Druck-
betr. Genehmigung zum Strafverfahren sachen 215 und 248 an den Rechts-
gegen den Abg. Dr. Rinke (Drucksache 240) 583 C ausschuß 607 C
Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter 583 D
Beschlußfassung 584 C Nächste Sitzung 607 C
552 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954

Anlage: Schriftlicher Bericht des Ausschusses Wenn Ihnen daher heute die Ziffern 3, 4 und 9 der
für Wahlprüfung und Immunität betr. Ge- Drucksachen 124 und 125, die übrigens in den Vor-
nehmigung zum Strafverfahren gegen den lagen im Wortlaut übereinstimmen, vorgelegt wer-
Abg. Metzger 608 den, so bleiben die Ziffern 1, 2, 5, 6, 7 und 8 der
Zusammenstellung der namentlichen Schluß- Drucksachen 124 und 125 sowie die Vorlage auf
abstimmung über den Entwurf eines Ge- Drucksache 171 beim Rechtsausschuß und beim
setzes zur Änderung des Grundgesetzes EVG-Ausschuß weiter anhängig. Der Rechtsaus-
(Drucksache 275) 610 schuß wird Ihnen darüber alsbald einen weiteren
Bericht erstatten und einen weiteren Antrag vor-
legen.
Die Anträge betreffend den Entwurf eines Ge-
Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den setzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, die von
Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet. den antragstellenden Fraktionen im Dezember 1953
bzw. im Januar 1954 beim Bundestag eingebracht
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und
Herren! Ich eröffne die 17. Sitzung des 2. Deutschen worden sind, wurden in der 9. Sitzung am 14. Ja-
nuar 1954 in erster Lesung behandelt und ohne
Bundestages. Angesichts der geringen Zahl der ent- Aussprache nach Abgabe von Erklärungen dem
schuldigten Abgeordneten darf ich sie gleich selbst
bekanntgeben. Entschuldigt sind für heute die Ab- Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht
als federführendem und dem Ausschuß für Fragen
geordneten Dr. Pfleiderer und Dr. Atzenroth.
der europäischen Sicherheit als mitbeteiligtem Aus-
(Zuruf von der FDP: Dr. Pfleiderer ist hier!) schuß überwiesen.
— Und es wird auch noch berichtigt, Herr Abge Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungs-
ordneter Dr. Pfleiderer ist anwesend. Es fehlt — — recht befaßte sich in ganztägigen Sitzungen am
(Zuruf von der FDP: Dr. Atzenroth auch!) 9. Februar und am 19. Februar mit der Materie,
der mitberatende Ausschuß für Fragen der euro-
— Dr. Atzenroth auch. Ich stelle fest, daß heute päischen Sicherheit in einer Sitzung am Montag,
niemand entschuldigt fehlt. dem 22. Februar 1954. Nach Mitteilung des Herrn
(Beifall.) Vorsitzenden des Ausschusses für Fragen der euro-
Meine Damen und Herren, ich rufe auf den päischen Sicherheit vom gleichen Tage hat dieser
Punkt 1 der heutigen Tagesordnung: Ausschuß seine Beratungen auf Art. 1 Ziffer 3
beschränkt und mit Mehrheit beschlossen, gegen
Zweite und dritte Beratung der von den die vom Rechtsausschuß formulierte Fassung der
Fraktionen der CDU/CSU, GB/BHE, DP und Nr. 1 des Art. 73 des Grundgesetzes keine Be-
von der Fraktion der FDP eingebrachten denken zu erheben.
Entwürfe eines Gesetzes zur Ergänzung des
Grundgesetzes (Drucksachen 124, 125, 171). Das Ergebnis der Ausschußberatungen liegt
Ihnen auf Drucksache 275 vor. Der vorliegende Ge
(Erste Beratung: 9. Sitzung.) tzentwurf soll, wie auch in seiner Präambel zum
Es liegt vor ein Mündlicher Bericht des Aus- Ausdruck kommt, der Verdeutlichung der Verfas-
schusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, sungsbestimmungen dienen. Bei den Ausschuß-
Drucksache 275. Berichterstatter ist Herr Abgeord- beratungen wurde von den Koalitionsparteien aus-
neter Dr. von Merkatz. Ich darf ihn bitten, das drücklich darauf hingewiesen, daß sie ihren Rechts-
Wort zu nehmen. standpunkt, den sie bisher in der Frage der Wehr-
hoheit wie in der Frage der verfassungsrechtlichen
Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter: Herr Zulässigkeit der Vertragswerke eingenommen ha-
Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des ben und den auch die Bundesregierung in dem vor
Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Rechts-
habe ich Ihnen einen Ersten Bericht zu erstatten streit eingenommen hat, durch diese textlichen
über die von den Fraktionen der CDU/CSU, des Klarstellungen des Grundgesetzes nichtaufgeben.
GB/BHE und der DP auf Drucksache 124 und der Vielmehr ist es der Wille der Antragsteller und der
Fraktion der FDP auf Drucksache 125 und Druck- Mehrheit des Rechtsausschusses, der Opposition
sache 171 eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes entgegenzukommen und einen Weg zu finden, der
zur Ergänzung des Grundgesetzes. Der Rechtsaus- die Bedenken der Opposition ausräumt.
schuß folgt damit einer Übung, die er schon in der Der Rechtsausschuß hat sich in dieser Frage auf
ersten Wahlperiode angewandt hat, als er zwei oder den Standpunkt gestellt, den der Abgeordnete Herr
gar drei Berichte über einen Gegenstand erstattete. D r. Weber in der ersten Lesung als Sprecher der
Ich darf daran erinnern, daß der Ausschuß z. B. Antragsteller zum Ausdruck gebracht hat. Ich darf
bei der Beratung des Strafrechtsänderungsgesetzes mich deshalb auf die Ausführungen ides Herrn Kol-
einen solchen Weg eingeschlagen hat. Damals - wur- legen Dr. Weber in der 9. Sitzung des Bundestages
den zunächst einige Abschnitte aus der Vorlage beziehen.
herausgenommen und dem Plenum in einem ersten
Der Rechtsausschuß hat sich bemüht, zunächst in
Mündlichen Bericht zur Annahme empfohlen.
diesem ersten Bericht gewisse Kernfragen, die der
Einige Zeit später wurden dann in einem zweiten Klarstellung von Zweifeln über die Auslegung
Bericht die restlichen Vorschriften ,der ursprüng-
lichen Vorlage zu einem Zweiten Strafrechts- dienen, besonders herauszustellen. Die Mehrheit
ist dabei der Auffassung, daß eine präzisierende
änderungsgesetz zusammengefaßt und idem Plenum Fassung des Art. 73 des Grundgesetzes, der die
zur Annahme empfohlen.
ausschließliche Gesetzgebung des Bundes festlegt,
Der Ausschuß hat geglaubt, auch diesmal ein sol- sowie die erläuternde Fassung des Art. 79 und des
ches Verfahren vorschlagen zu sollen, da die Mehr- Art. 142 a vorläufig genügen und daß die weiteren
heit des Ausschusses überzeugt ist, daß die jetzt Fragen, z. B. die Frage des Oberbefehls, der lands-
auf Drucksache 275 vorgeschlagenen Erläuterungen mannschaftlichen Gliederung, überhaupt der soge-
des Grundgesetzes vordringlich zu erledigen sind. nannten Wehrverfassung, in einem zweiten, das
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 553
(Dr. von Merkatz)
Grundgesetz tatsächlich ergänzenden Gesetz behan- — Jawohl!
delt werden sollen. Zu dieser Auffassung ist die (Abg. Dr. Arndt: Das ist im Aus
Mehrheit besonders deshalb gekommen, weil im schuß gar nicht verhandelt worden!)
Verlaufe der Ausschußberatungen von der Minder-
heit eine ins einzelne gehende Regelung, die auch Diese Feststellungen sind wesentlich, — —
noch über den Rahmen der Vorlage hinausgeht, für (Erneute Zurufe von der SPD. — Glocke
notwendig gehalten wurde. Die beiden Ausschüsse des Präsidenten.)
haben dann später Zeit und die Möglichkeit, die Diese Feststellungen sind wesentlich, um das, was
mehr technischen Fragen der Wehrverfassung ein- im Ausschuß beschlossen worden ist, in seiner tat-
gehend zu regeln. sächlichen Tragweite zu verstehen.
Darf ich das Hohe Haus vielleicht für einen Mo- (Abg. Dr. Menzel: Das ist gestern
ment um Aufmerksamkeit bitten, da jetzt von mir abend unter den Regierungsparteien
eine Erklärung abzugeben ist, die für alle Mit- erst beschlossen worden! — Weitere
glieder des Hauses von besonderem Interesse sein Zurufe links.)
dürfte.
— Wenn Sie dagegen protestieren wollen, bitte ich,
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter, die das nachher im Rahmen einer Erwiderung zu
Aufmerksamkeit eines wesentlichen Teiles des machen. Sie können mich tadeln. Ich fühle mich
Hauses haben Sie immer gehabt. jedenfalls verpflichtet, diesen Willen der Mehrheit,
der auch in den Beratungen des Ausschusses zum
Ausdruck gekommen ist, hier dem Hause mitzu-
Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter: Ich teilen, weil unsere Kollegen das wissen müssen.
danke vielmals, Herr Präsident; aber ich weiß, daß (Beifall bei den Regierungsparteien.)
es eine gewisse Zumutung ist, juristisch-technische
Begriffe während einer ganzen halben Stunde Hinsichtlich der Fragen, die mit einer nach Län-
über sich ergehen zu lassen. Ich nehme es deshalb dern gegliederten Auftragsverwaltung zusammen-
keineswegs übel, wenn man sich in dieser Zeit mit fallen, bleiben Entscheidungen des Gesetzgebers
etwas anderem beschäftigt. vorbehalten. Auf keinen Fall kann darunter ver-
standen werden, daß die Wehrgewalt unter Be-
(Heiterkeit.) fehlshaber im Rahmen der Landesgrenzen aufge-
Aber das, was nun zu sagen ist, muß, glaube ich, teilt werden sollte.
dem Hause besondere Aufmerksamkeit abnötigen. Diese Bemerkungen gelten gewissermaßen im
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich eine die Vorgriff auf den zu den Fragen der Organisation
Koalitionsparteien bindende Erklärung zum Pro- der Wehrgewalt noch zu erstattenden Bericht. Ge-
tokoll der heutigen Sitzung abgeben. Die Koali- genstand meines heutigen Berichts ist nicht die
tionsparteien, d. h. die Mehrheit auch des Aus- noch anhängige und noch zu beschließende voll-
schusses, sind sich darüber einig, daß folgende drei ständige Wehrverfassung, sondern sind ausschließ-
Problemkreise bei der Schaffung einer später aus- lich die Bestimmungen, die außer Zweifel stellen,
zuarbeitenden Wehrverfassung einer ausdrück- daß im Grundgesetz als einer vollständigen Ver-
lichen Regelung in der Verfassung bedürfen. Die fassung selbstverständlich die Wehrhoheit des Bun-
Koalitionsparteien stimmen darin überein, daß die des eingeschlossen ist und daher die in Art. 1 Zif-
künftige Wehrverfassung eindeutig klarstellen fer 9 -- betreffend Art. 142 a des Grundgesetzes —
muß, daß die Wehrverwaltung eine Bundesverwal- des Entwurfs erwähnten Verträge in Übereinstim-
tung sein muß, daß ferner die erforderliche Rege- mung mit dem Grundgesetz von den gesetzgeben-
lung des Oberbefehls gemäß der deutschen Verf as- den Körperschaften angenommen werden konnten.
sungstradition ausdrücklich im Grundgesetz erfol- Die Beratungen des Rechtsausschusses begannen
gen muß und daß außerdem die in der Drucksache mit eingehenden Referaten der Berichterstatter, in
124 unter Ziffer 1 angesprochene Frage der lands- denen der gesamte Komplex, der zur Debatte steht,
mannschaftlichen Gliederung im Rahmen der noch einmal dargestellt wurde. Ich darf es mir ver-
Wehrverfassung eine verfassungsrechtliche Ent- sagen, auf alle die Fragen noch einmal einzugehen,
scheidung finden muß. Unter landsmannschaft- die bereits in den Diskussionen um die Vertragsge-
licher Gliederung verstehen die Koalitionsparteien setze im letzten Bundestag rechtlich gewürdigt
nicht etwa eine partikulare Zersplitterung der worden sind, und mich in meinem Bericht auf die
Wehrgewalt, sondern das Prinzip, daß einheitliche hier vorgeschlagenen drei Artikel beschränken.
Verbände soweit möglich einheitlich nach Heimat
und Stammeszugehörigkeit rekrutiert und geführt Im Verlauf der Beratungen wurden in eingehen-
werden sollen, ohne daß hierbei an eine regionale den grundsätzlichen Erörterungen die Begriffe
Organisation gedacht ist, „Verfassungsänderung", „Verfassungsergänzung"
(Abg. Dr. Menzel: Das gehört doch- und „Verfassungsdurchbrechung" gegeneinander ab-
nicht zur Berichterstattung!) gegrenzt. Dabei vertrat die Minderheit den Stand-
punkt, daß der ursprüngliche Verfassungsgeber
die unbedingt mit den Landesgrenzen zusammen- andere Rechte habe als der heutige Verfassungs-
fällt. geber, Art. 79 des Grundgesetzes — auch in Ver-
(Abg. Dr. Menzel: Das ist doch keine bindung mit Art. 146 — gebe dem Bundestag und
Berichterstattung!) dem Bundesrat nur eine beschränkte verfassungs-
— Das ist eine Berichterstattung, denn diese Fest- ändernde Gewalt. Die Minderheit sieht den Sinn
des Art. 79 darin, daß der Verfassungsgeber un-
stellung
beschadet des nach Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes
(Abg. Dr. Menzel: Das ist im Ausschuß überhaupt unantastbaren Verfassungskerns zwar
überhaupt nicht besprochen worden!) ausdrücklich die Befugnis habe, im Grundgesetz
etwas zu ändern oder das Grundgesetz zu ergän-
ist im Ausschuß auch getroffen worden. zen; der Verfassungsgeber habe aber nicht die Be-
(Abg. Dr. Arndt: Nein!) fugnis, das Grundgesetz zu durchbrechen. Gerade
554 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. von Merkatz)
Durchbrechungen sollten durch Art. 79 Abs. 1 aus- ken gezogen. Zunächst ergeben sich schon daraus
geschlossen werden. Es wurde weiter behauptet, Schranken, daß die Verfassungsänderung an er-
daß Art. 79 Abs. 1 nicht nur ein formales Prinzip schwerte Bedingungen gebunden ist, im Grund-
sei, wonach Änderungen zugleich Verfassungstext gesetz z. B. an die Erschwerung des Art. 79 Abs. 2
änderungen sein müßten; denn in diesem formalen Schließlich hat der ursprüngliche Verfassungs-
Prinzip offenbare sich zugleich der materielle Ge- gesetzgeber dem verfassungändernden Gesetzgeber
danke, daß die zulässigen Änderungen keine eine Schranke durch die Bestimmung eines gegen
Durchbrechungen sein dürften. Verfassungsänderung gefeiten Verfassungskerns
Demgegenüber vertrat die Mehrheit den Stand- gesetzt.
punkt, daß auch der verfassungsändernde Gesetz- Diese Schranken, die der Verfassungsgesetzgeber
geber nach Art. 79 Abs. 2 echtes Verfassungsrecht der späteren Verfassungsänderung gezogen hat,
von der gleichen Dignität schaffe wie das Verfas- sind nach Auffassung der Mehrheit für die Ver-
sungsrecht, das der ursprüngliche Verfassungs- fassungsänderung nicht unüberschreitbar. Diese
gesetzgeber gesetzt hat. Sie ist der Auffassung, Schranken, die der Verfassungsgesetzgeber seinem
daß auch der verfassungsändernde Gesetzgeber Nachfolger in der Verfassungsänderung setzen will,
ebenso allgemeine Verfassungsgrundsätze im Wege können durch eine Verfassungsänderung überspielt
einer Verfassungsänderung schaffen, abändern werden, sie können — bis auf den unveränder-
oder aufheben könne wie der ursprüngliche Ver- lichen Kern der Verfassung — formal beseitigt
fassungsgeber. Nach dieser Auffassung kann der werden. Durch die Formulierung des Art. 79
Verfassungsgesetzgeber Recht von der gleichen Abs. 1 des Grundgesetzes, der vom Parlamentari-
politischen Tragweite wie das ursprüngliche Ver- schen Rat seine jetzige Fassung aus den schlechten
fassungsrecht schaffen. Dieses von ihm geschaffene Erfahrungen, die man in der Weimarer Zeit mit
Verfassungsrecht kann alle Teilgebiete der verfas- der Praxis der verfassungdurchbrechenden Gesetze
sungsmäßigen Ordnung erfassen: die Grundrechte gemacht hat, erhalten hat, hat man die Möglich-
und die Grundpflichten, die politischen Rechte und keit ausschalten wollen, verfassungskräftige Neben-
Pflichten des Bürgers, das Verhältnis von Bund gesetze zu erlassen. Aber die Bestimmung des
und Ländern usw., das Verhältnis der Staats- Art. 79 Abs. 1, die das ganze Verfassungsrecht in
organe zueinander und vor allem auch das Ver- der Verfassungsurkunde monopolisieren und zu-
hältnis der Verfassungsrechtsordnung zu den un- sammenfassen will, gehört nicht zu dem unantast-
tergeordneten und nebengeordneten Rechtskreisen, baren Minimum des Art. 79 Abs. 3. Der verfas-
zum einfachen Gesetzesrecht wie zum Völkerrecht. sungsändernde Gesetzgeber kann den Art. 79
Auch der verfassungsändernde Gesetzgeber kann Abs. 1 ändern. Er könnte aussprechen, daß Ver-
genau so wie der ursprüngliche Verfassungsgeber fassungsdurchbrechung wieder zulässig sei; er
Entscheidungen über den Fortbestand eines Rech- könnte aussprechen, daß man auch verfassungs-
tes treffen, das der Verfassung etwa widerspricht kräftige Nebengesetze erlassen kann. Zulässig
oder dessen Übereinstimmung mit der Verfassung wäre eine Beseitigung der Bestimmung des Art. 79
zweifelhaft oder wenigstens zwischen den streiten- Abs. 1; zulässig ist erst recht eine Modifizierung in
den politischen Gruppen kontrovers ist. Auch der den Fällen, wo sich die Bestimmung des Art. 79
verfassungändernde Gesetzgeber sollte befugt sein, Abs. 1 etwa als zu starr oder unpraktikabel er-
künftiges einfaches Gesetzesrecht zuzulassen, das weist.
die Verfassungsgrundsätze näher interpretieren Weiterhin bedeutet Art. 79 Abs. 1 nach Auf-
soll oder das etwa verfassungsmäßige Rechte ein- fassung der Mehrheit nicht — wie die Minderheit
schränken darf, wie es beispielsweise im Grund- vorgetragen hat —, daß man, wenn es sich um ein
gesetz bei den gesetzlichen Einschränkungsmöglich- umfangreiches Gesetzgebungswerk handelt, aus-
keiten für die Grundrechte geschehen ist. drücklich bei jeder einzelnen Verfassungsbestim-
Die Mehrheit war weiterhin der Auffassung, daß mung einen Vorbehalt oder eine Einschränkung
auch der verfassungändernde Gesetzgeber ebenso vornehmen muß. Ob man eine derartige detaillierte
wie der ursprüngliche Verfassungsgeber zur Einschränkung bei einer Vielzahl von Bestimmun-
authentischen Interpretation seiner Vorschriften gen vornimmt oder mit einem Generalvorbehalt
befugt ist. Der verfassungsändernde Gesetzgeber zugunsten eines bestimmten Gesetzes eine Ein-
hat in der Wahl seiner Formulierungen die gleiche schränkung festlegt, steht völlig im Ermessen des
Freiheit wie der ursprüngliche Verfassungsgesetz- verfassungändernden Gesetzgebers.
geber. Ehe ich nun zu den einzelnen Vorschriften
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Vor Tische komme, darf ich vorab eine gesetzestechnische Be-
las man's anders!) merkung machen. Die Ziffern in der rechten Spalte
der Zusammenstellung werden nach der dritten
Er steht also rangmäßig und im Gewicht und im Lesung natürlich in fortlaufende Ziffern 1 bis 3
Umfang seiner Kompetenz nicht unter, sondern umgewandelt. Das entspricht der Gesetzestechnik,
-
neben, zeitlich gesehen natürlich hinter dem ur- wie wir sie im Haus immer angewandt haben.
sprünglichen Verfassungsgesetzgeber.
Die Präambel erhielt vom Ausschuß eine etwas
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Einst hielten andere Fassung, um Sinn und Zweck dieser Grund-
Sie sehr viel vom überpositiven Recht!) gesetzänderung eindeutig klarzustellen. Ich darf
— Herr Kollege, ich habe wiederzugeben, was der mich hier auf meine Ausführungen zu Anfang
Ausschuß gesagt hat. Ich bitte aber, nicht gegen meines Referates beziehen.
den Berichterstatter zu polemisieren, sondern die Mit der Fassung des Art. 73 Nr. 1, wie Sie Ihnen
Aussprache nachher stattfinden zu lassen. — der Ausschuß vorschlägt, soll die Gesetzgebungs-
Selbstverständlich soll seine Kompetenz nicht un- kompetenz des Bundes für die Verteidigung ein-
beschränkt sein. Er unterliegt denselben Schran- schließlich der Wehrpflicht begründet werden. Nach
ken wie der ursprüngliche Verfassungsgesetzgeber. Auffassung der Mehrheit des Ausschusses bleibt
Dem verfassungändernden Gesetzgeber haben dabei die Frage der künftigen Gestaltung der
aber auch häufig die Verfassungen selbst Schran Wehrverfassung offen; sie war der Ansicht,
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 555
(Dr. von Merkatz)
daß, wenn der Bundestag zur Beratung der Wehr- lauts vorgenommen werde, und zwar auch bei 1
verfassung kommt, im einzelnen zu prüfen sein einrAbädugalmeinrAt.bchu
wird, wie die dann notwendigen Einzelregelungen formal, sondern auch materiell sei Art. 142 a unzu-
mit den Bestimmungen der Verfassung in Ein- lässig, weil er die Vertragsgesetze verfassungs-
klang zu bringen sind. Diese Frage jetzt schon zu mäßig machen wolle, die in vielen Einzelbestim-
entscheiden, hielt die Mehrheit nicht für ausgereift mungen gegen den unabänderlichen Verfassungs-
genug. Die Minderheit vertrat demgegenüber die kern des Art. 79 Abs. 3 verstießen.
Auffassung, daß die Begründung der Gesetz- Demgegenüber wurde von der Mehrheit als Ziel
gebungskompetenz notwendigerweise auch eine des neu einzufügenden Art. 142 a bezeichnet, einen
Einzelregelung der damit zusammenhängenden Verfassungsstreit, der das Verfassungsleben der
Fragen schon jetzt erforderlich mache. Bundesrepublik auf das schwerste bedroht hat, da-
Nach Ziffer 3 hat Art. 1 in der Fassung des Aus- durch zu beenden, daß er eine authentische Ver-
schusses gegenüber der Vorlage den Zusatz erhal- fassungsinterpretation gibt. Die authentische Ver-
ten: „die Verteidigung einschließlich der Wehr- fassungsinterpretation sei die legitime Aufgabe
pflicht für Männer vom vollendeten achtzehnten des Verfassungsgesetzgebers und des verfassung-
Lebensjahr an", weil darin eine eindeutige Klar- ändernden Gesetzgebers. Das Grundgesetz habe
stellung dahin erfolgen sollte, daß eine Wehrpflicht mit dieser Aufgabe für den normalen Verlauf
für Frauen nicht in Frage kommt. Der Ausschuß der Dinge das Bundesverfassungsgericht betraut,
hat damit Einwendungen Rechnung getragen, die indem es die Entscheidung über die abstrakte Nor-
bei der Debatte über den Art. 32 a, der vorher menkontrolle, die ja im wesentlichen Verfassungs-
vom Ausschuß beraten worden war, von der Min- interpretation enthält, dem Bundesverfassungsge-
derheit vorgebracht worden waren. richt zugewiesen habe. Das Bundesverfassungsge-
(Anhaltende große Unruhe.) richt sei aber der Legatar einer höheren Macht,
nämlich des verfassungändernden Gesetzgebers
Man war sich weiterhin darüber klar, daß der Be- selbst, der die Aufgabe der Verfassungsinterpre-
griff „Verteidigung" umfassend sei und alles decke, tation jederzeit wieder an sich ziehen könne, indem
was zu einer Verteidigung notwendig sei. Daher er selbst darüber befinde, ob ein Gesetz, dessen
wurde der im Entwurf vorgeschlagene Begriff Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz streitig sei,
„militärische Verteidigung" fallengelassen. als mit diesem vereinbar anzusehen sei oder nicht.
Nun zu Ziffer 4! In dem neu formulierten Satz 2, Theoretisch könnte die Zuständigkeit des Bundes-
der dem Abs. 1 des Art. 79 angefügt werden soll, verfassungsgerichts auf diesem Gebiet durch den
sieht die Mehrheit des Ausschusses eine Verfas- verfassungändernden Gesetzgeber abgeschafft wer-
sungsverdeutlichung dahingehend, daß für den den. Vor allem aber könne der verfassungändernde
speziellen Fall von Vertragsgesetzen bestimm- Gesetzgeber jederzeit selbst darüber entscheiden,
ter Art wie Friedensverträgen, Vorfriedensverträ- ob er ein bestimmtes Gesetz als mit der Verfas-
gen, Besatzungsabbauverträgen, Verteidigungsver sung vereinbar anerkennen wolle oder nicht. Das
trägen ausgesprochen wird, daß die Bestimmungen sei die typische Aufgabe der authentischen Ver
solcher Gesetze mit dem Grundgesetz vereinbar fassungsinterpretation. Damit würde zugleich der
sind. frühere Gesetzgebungsakt des Bundestages, über
Unter Bezugnahme auf meine vorhin gemachten dessen Verfassungsmäßigkeit Streit war, als rechts-
Ausführungen zu Art. 79 darf ich noch einmal be- gültig anerkannt und für den Fall, daß ihm Män-
tonen, daß die Mehrheit des Ausschusses diesen gel angehaftet hätten, geheilt.
Satz 2 für verfassungsrechtlich zulässig hält, weil Die Mehrheit war weiterhin der Auffassung,
er nur das ausspricht, was bei vernünftiger Inter- daß neben dem Sonderfall der Vertragsgesetze, wo
pretation ohnedies dem Artikel zu entnehmen ist: es sich um ein werdendes, noch nicht publiziertes,
daß dieser Satz gleichzeitig eine Sicherung des neu noch nicht ratifiziertes Vertragswerk handle, noch
einzufügenden Art. 142 a bedeutet. ein drittes Element in dem Art. 142 a liegt, näm-
Ich komme jetzt zu Ziffer 5, bisher Ziffer 9. lich die Ermächtigung an die zur Publikation und
Gegen die Einfügung des Art. 142 a bestanden bei Ratifikation zuständige Stelle, diese Publikation
der Minderheit des Ausschusses erhebliche Beden- und Ratifikation vorzunehmen. In einer authenti-
ken; von ihr wurde geltend gemacht, daß mit der schen Verfassungsinterpretation liegt zugegebener-
Einfügung dieses Artikels einer verfassungsgericht- maßen ein rückwirkendes Element, und zwar der
lichen Entscheidung vorgegriffen und damit gesetz- Natur der Verfassungsinterpretation nach. Aus die-
geberisch etwas entschieden werde, was erst ein- sem Grunde könne .auf den ausdrücklichen Aus-
mal vom Bundesverfassungsgericht zu klären sei. spruch der Rückwirkung in Art. 2 verzichtet
werden, d a sie unabdingbar mit dieser Aufgabe
Die Bestimmung erhalte damit den Charakter
eines Urteils und sei damit nichts anderes als eine der Verfassungsinterpretation verbunden sei.
-
Einkleidung eines Richterspruchs in den Schein In diesem Zusammenhang wurde von der Mehr-
eines Gesetzes. Damit verstoße der Artikel gegen heit des Ausschusses ausdrücklich zur Klarstellung
Art. 20 des Grundgesetzes, der durch Art. 79 betont: Das Bundesverfassungsgericht ist ein höch-
Abs. 3 für unabänderbar erklärt worden sei. Bun- stes Verfassungsorgan des Bundes. Es steht aber
destag und Bundesrat könnten sich weder mit ein- nicht völlig unabhängig dem verfassungändernden
facher noch mit Zweidrittelmehrheit zu Gerichten Gesetzgeber gegenüber. Der verfassungändernde
aufwerfen oder sich selbst als Gerichte einsetzen Gesetzgeber kann vielmehr jederzeit in legitimer
und rechtlich die Frage entscheiden, ob Verträge Weise — wie er es im vorliegenden Fall tut —
mit dem Grundgesetz vereinbar seien. diese Aufgabe an sich ziehen, und ein solches Ver-
Darüber hinaus sei aber auch Art. 142 a formal fahren sei vom rechtsstaatlichen Standpunkt aus
durchaus in Ordnung.
nicht zulässig, weil Art. 79 Abs. 1 entgegenstehe.
Dieser schreibe vor, daß Änderungen oder Ergän- Damit habe ich meinen Bericht beendet. Namens
zungen des Grundgesetzes nur in der Weise zu- des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungs-
lässig seien, daß eine echte Änderung des Wort recht habe ich die Ehre, Sie um Zustimmung zu
556 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. von Merkatz)
dem Entwurf eines Gesetzes zur Erläuterung des uns tragen, wir denken so zurückhaltend über
Grundgesetzes in der Fassung des Rechtsausschus- staatliche Machtvollkommenheit, daß wir ihret-
ses zu bitten. wegen uns noch nicht einmal der Mühe dieser
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Debatte unterziehen würden.
(Unruhe und Zurufe bei der SPD.)
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und
Herren, Sie haben die Berichterstattung gehört. Ich So entschieden wir auf der Gleichberechtigung, und
danke dem Herrn Berichterstatter. Ich schlage zwar der vollen Gleichberechtigung Deutschlands
Ihnen vor, daß wir im Unterschied von dem mitsenküfgParbesthn,
üblichen Verfahren die allgemeine Aussprache (Lachen bei der SPD — Zuruf: EVG-Vertrag!)
heutmidrzwnBaugvebid.Ds
entspricht der Auffassung des Hauses. so wenig vermag uns der schillernde Begriff der
nationalen Souveränität noch einmal zu verführen.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache der Nationale Prestigebedürfnisse — gleichgültig ob
zweiten Beratung hat zunächst der Abgeordnete berechtigt oder unberechtigt — sind es uns nicht
Dr. Gerstenmaier. wert, auch nur eine deutsche Kompanie wieder
aufzustellen.
D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Als in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe
17 Jahre nach ihrer Aufhebung die allgemeine bei der SPD.)
Wehrpflicht wiedereingeführt wurde, da geschah Wir Deutsche haben in zwei Weltkriegen in einer
es in Verbindung mit der bald darauf stattfinden- Generation an die zehn Millionen Tote allein aus
den Ratifizierung des Austritts Deutschlands aus unserem Volk begraben.
dem Völkerbund. Der Völkerbund war damals die
einzige, bescheidene Vorstufe einer Integrations- (Zuruf von der SPD: Und nichts gelernt!)
form der Nationalstaaten. Die Wiedereinführung Welches Prestige oder welche Spekulation könnte
der Wehrpflicht durch Hitler erfolgte im Zeichen uns veranlassen, noch einmal eine Armee aufzu-
der nationalen Souveränität als eines obersten und stellen?
letzten Wertes der Nation. Damit wurde der letzte
Abschnitt des Weges eröffnet, auf den das deutsche (Lachen und anhaltende Unruhe bei der SPD.)
Volk gegen seine tiefsten Empfindungen gezwun- Auf diesem Hintergrund reden wir. Die Klar-
gen worden war. Am Ende dieses Weges stand die stellung, die heute hier getroffen wird — und ich
nationale Katastrophe. Aber am Ende dieses Weges, sehe an Ihrem Gelächter, daß sie auch jetzt leider
meine Damen und Herren, stand auch über noch nicht überflüssig ist —, diese Klarstellung
Deutschland hinaus die Einsicht, daß die nationale erfolgt natürlich auch nicht nur aus theoretischen
Souveränität kein höchster und letzter Wert eines Gründen oder gewissermaßen für alle Fälle. Sie
Volkes ist. erfolgt vielmehr im Blick auf die durchaus untheo-
Was heute und hier geschieht, ist nicht die Wie- retisch ernste Situation, in der sich das deutsche
dereinführung der allgemeinen Wehrpflicht, ist Volk seit Jahr und Tag befindet, und sie erfolgt in
nicht einmal die Grundlegung einer neuen deut- bewußter Abkehr von den Idealen der national-
schen Wehrverfassung, staatlichen Souveränität, im Zeichen einer Euro-
(Zurufe von der SPD) päischen Verteidigungsgemeinschaft.
sondern es ist die fortan über alle Zweifel erhabene (Beifall bei der CDU/CSU.)
Klarstellung, daß das Grundgesetz der Bundes- Das heißt also: diese Klarstellung zielt in der Tat
republik Deutschland eine künftige deutsche auf eine neue deutsche Wehrverfassung. Diese Ver-
Wehrverfassung nicht unmöglich macht oder ver- fassung hängt nicht im Nebel alter, blind gewor-
bietet, vielmehr alle Voraussetzungen einer solchen dener Ideale und nationaler Vorstellungen, sondern
in seinem Kern- und Grundgedanken in sich sie steht als deutscher Beitrag zur Europäischen
beschließt. Verteidigungsgemeinschaft nach Grund und
(Sehr richtig! rechts.) Anlage fest umrissen vor uns. Anders als in der
Diese Klarstellung, meine Damen und Herren, muß Vergangenheit soll im zukünftigen Europa nicht
erfolgen, weil in Zweifel gezogen, ja mit Leiden- der nationale Staat souverän über seine Armee,
schaft bestritten wurde, daß die im Grundgesetz d. h. über seine Menschen verfügen, sondern er
niedergelegten Grundrechte und -freiheiten des soll nur in der festgefügten Gemeinschaft mit den
Menschen im deutschen Staat auch den Willen, ja anderen streng und ausschließlich im Fall der
die Pflicht zum Schutze und zur Verteidigung die- unabweisbar gebotenen Verteidigung Waffen ge-
ser Rechte und Freiheiten in sich schlössen, auch brauchen dürfen. Die Wiedereinführung der allge-
zur Verteidigung mit der Waffe in sich schlössen. meinen Wehrpflicht durch Hitler war schließlich
(Zurufe von der SPD.) gegen die Gemeinschaft der Völker gerichtet, und
sie führte ins blutige Chaos.
Die Klarstellung, die der Bundestag heute zu
vollziehen hat, bezieht sich darauf. Sie erfolgt also Die Klarstellung von heute gilt einer künftigen
nicht im Zeichen der nationalen Souveränität, und Wehrpflicht der Deutschen, weil die Sicherung
sie erfolgt auch nicht im Interesse einer wieder- Deutschlands in der Gemeinschaft der freien Völ-
hergestellten staatlichen Machtvollkommenheit, ker unerläßlich geworden ist. Sie bringt Europas
und sie erfolgt — vielleicht muß es zur Enttäu- geguälten Völkern Frieden und Rechtssicherheit,
schung einiger gesagt werden — erst recht nicht ohne die weder die Deutschen noch die anderen
im Namen der Wiedererlangung wesentlicher Le- eine Zukunft haben. Meine Damen und Herren,
bensrechte des deutschen Volkes und seines ange- ich glaube, vor der einfachen Größe dieser Einsicht,
stammten Bodens. Wir haben jedem Gedanken die sich im deutschen Volke durchgesetzt hat, ver-
daran abgesagt, dafür jemals unsere Zuflucht bei blassen alle möglichen und unmöglichen, gut-
den Waffen zu suchen. Wir, meine Damen und gemeinten oder auch nicht gutgemeinten anderen
Herren, die wir die Narben des totalen Staates an Gründe. Zu ihnen gehört z. B. auch die päd-
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 557
(D. Dr. Gerstenmaier)
agogische Begründung. Was wir heute tun, tun wir Schritt nach vorn zu tun. Dieser Schritt ist heute
gewiß nicht, weil man immer wieder den erziehe- von uns, und zwar von uns allen, gefordert. Es hat
rischen Wert des Soldatseins gerühmt hat. Deutsch- keinen Sinn, dabei auf die Franzosen zu sehen oder
lands Jugend käme auch ohne diese Erziehungs- nach den Italienern zu schielen. Mögen s i e sehen,
hilfe aus. wie sie dem Ruf der geschichtlichen Stunde gerecht
(Aha! und weitere Zurufe von der SPD.) werden! Unserer Verantwortung sind wir damit
gewiß nicht enthoben.
Was wir tun, tun wir vielmehr deshalb, weil wir
die Verteidigung unserer eigenen, teuer erwor- (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)
benen Freiheit und den Schutz unserer deutschen Wer es genauer wissen will und wer sich des Ern-
rechtsstaatlichen Ordnung nicht von den Söhnen stes der Sache noch nicht ganz bewußt ist, dem dür-
anderer Völker verlangen können und wollen, fen wir sagen, daß es an uns ist, das zu tun, was wir
ohne nach dem Maße unserer Kraft das Unsere zu tun haben — gleichgültig ob es ausreicht oder
dafür zu tun. nicht ausreicht —, damit es in Zukunft keinen Cime-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) tière du Silberloch hinter dem Hartmannsweiler-
kopf oder keine Kreuze von gefallenen Soldaten
Aber eine lange Kette leidvoller Erfahrungen hat neben der Hunsrück-Höhenstraße zwischen Mainz
uns gelehrt, daß das nur noch in der denkbar engen und Trier mehr gibt. Wir sind moralisch ver-
und entschlossenen Gemeinschaft mit den anderen pflichtet, diesen Weg zu gehen, und wir sind aus
freien Völkern Sinn hat. Deutschland kann mit sachlichen Gründen dazu gezwungen. Denn es
einer Nationalarmee alten Stils überhaupt nicht ist inzwischen völlig klar, daß Deutschland allein
mehr verteidigungsfähig werden, auf dem Weg, um den wir uns mit der Europäischen
(Sehr gut! in der Mitte) Verteidigungsgemeinschaft bemüht haben und ge-
wiß noch weiter bemühen müssen, verteidigungs-
weil diese Armee nicht nur zu klein, sondern auch fähig wird. Meine Damen und Herren, Herr Kollege
ganz unzureichend bewaffnet sein würde. Es hat Ollenhauer hat gestern noch einmal die Ein-
schlechterdings keinen Sinn, im Zeitalter der gliederung Deutschlands in ein Sicherheitssystem
Maschinengewehre Menschen mit Heldenmut und skizziert, das von niemand als gegen sich gerichtet
Hellebarden auszurüsten. Es hat ebensowenig Sinn, betrachtet werden könne, d. h. genauer als gegen
im Zeitalter der Atomwaffen Soldaten mit Ma- sich gerichtet angesprochen werden kann. Eine
schinengewehren und noch etwas mehr Heldenmut solche Forderung könnte höchstens zur Folge
auszustatten. haben, daß Deutschland überhaupt in kein Sicher-
Es ist nicht meine Absicht, diesen Begründungs- heitssystem einbezogen wird. Das würde also die
zusammenhang unseres Handelns noch einmal etwa Neutralisierung Deutschlands bedeuten. Man kann
in polemischer Auseinandersetzung mit der Oppo- es sich fünfzigmal oder zweiundfünfzigmal über-
sition in diesem Hause darzulegen. Es hat offen- legen, es bleibt dabei, daß dies die reale Folge der
sichtlich auch keinen Sinn mehr. Hat die Debatte so ideal gemeinten offiziellen Bereitschaft der
gestern nicht trotz der guten Reden, die gehalten deutschen Sozialdemokratie, für die militärische
worden sind, erkennen lassen, daß der Streit um Sicherung Deutschlands das Ihre zu tun, sein
die Methoden der Sicherung und der Vereinigung würde.
Deutschlands alt und grau zu werden beginnt, daß Ich möchte nichts mehr im einzelnen zu den
die Debatte darüber ausgetragen und die Zeit des ebenso ideal aussehenden fünf Punkten sagen, die
Handelns gekommen ist? der Herr Vorsitzende der SPD gestern hier vor-
(Sehr richtig! in der Mitte.) getragen hat. Sie sind längst bestimmende Motive
unserer Politik. Aber auch wir hätten dem deut-
Hat nicht die jüngste Geschichte bewiesen, daß es schen Volke heute nicht mehr als eben die nackte
nichts, aber auch gar nichts auf sich hat mit der Pracht dieser fünf Forderungen zu präsentieren,
anfänglich so betörenden und gern gehörten wenn wir sie mit den politischen Methoden der
Kampfparole: EVG oder Wiedervereinigung? Hat SPD vertreten hätten.
nicht Molotow selbst, wie es gestern hier Herr
Dr. Dehler zu Recht dargestellt hat, in wohlgesetz- (Beifall in der Mitte.)
ten und dennoch völlig eindeutigen Reden der Denn auch eine Politik der idealsten Motive ist
parlamentarischen Opposition in Deutschland diese total gescheitert, wenn sie zur Isolierung Deutsch-
Parole einfach weggewischt? lands statt zu brauchbaren, handfesten An-
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) näherungswerten führt. Das hat das deutsche Volk
erfaßt und in einer Weise gewürdigt, die ihm Ehre
Und haben wir nicht bis in die gestrige Debatte macht.
hinein die Erschütterung und Unsicherheit gespürt,
die darob die Verwalter einer anerkanntermaßen Gewundert habe ich mich, Herr Kollege Ollen-
großen freiheitlichen Tradition des deutschen hauer, daß Sie mit Ihrem Gedanken, die Deutsch-
landfrage auf der Ebene der Vereinten Nationen
Arbeitertums überkommen hat? Es hätte gewiß
mehr Sinn, darüber zu klagen, daß sich die Sozial- zu lösen, auch in den zurückliegenden Wochen und
demokratische Partei Deutschlands auch heute nicht Monaten offenbar keinen Schritt weitergekommen
zu einer Entscheidung à la Morrison durchgerungen sind. Sie haben sich statt dessen darauf beschränkt,
hat, meine persönliche Einstellung zu den Vereinten
(Lachen bei der SPD) Nationen anzugreifen, mindestens in Frage zu
stellen.
als über Molotow zu schimpfen oder über die (Zurufe von der SPD.)
Russen und über die Tragödie von Berlin zu ver- Ich kann nicht finden, daß das zu Recht geschah;
zagen.
denn schließlich hat unser Volk ein Recht darauf,
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
zu hören, wie die Tragfähigkeit politischer Vor-
Heute geht es hier weder um Klage noch um An- schläge zur Meisterung seines Schicksals beurteilt
klage; heute geht es allein darum, wieder einen wird. Ich habe seinerzeit von diesem Platz aus die
558 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(D. Dr. Gerstenmaler)
ideale Konzeption, das uneingeschränkt zu Bemerkungen zu der Rede des Kollegen Gersten
billigende Programm der Vereinten Nationen voll maier zu machen.
anerkannt. Aber ich habe mir erlaubt, und ich Ich bin nun einmal der Auffassung: Berlin hat
erlaube mir es auch heute noch, das tatsächliche u. a. auch bewiesen, daß selbst die Politik der
Vermögen mit der gegenwärtigen Verfassung der Stärke die Sowjetunion nicht dazu veranlaßt hat,
Vereinten Nationen, die Deutschlandfrage und die uns die Wiedervereinigung Deutschlands zu be-
brennendsten Weltprobleme zu lösen, erheblich scheren.
in Zweifel zu ziehen. In der Zwischenzeit sind (Sehr richtig! bei der SPD.)
außerhalb Deutschlands im Bereich einer sehr Die drei Außenminister der Westmächte haben in
bedeutenden Weltmacht zwei höchst wichtige Reden Berlin schließlich doch nicht die Politik der sozial-
gehalten worden. Die eine bezog sich auf die Atom- demokratischen Opposition, sondern die Politik der
kontrolle, die andere auf das Statut der Vereinten Bundesregierung vertreten
Nationen. Soweit ich sehe, besteht im internatio-
nalen Bereich Übereinstimmung darüber, daß mit (lebhafte Zustimmung bei der SPD)
dem gegenwärtigen Statut der Vereinten Nationen und dennoch weder die deutsche Einheit noch ein
die schwebenden Weltprobleme nicht zu meistern wesentliches Stück davon nach Hause gebracht.
sind. Das ist ebenso klar wie die andere Einsicht,
daß mit der gescheiterten Statutenreform des Aber ich möchte ein Mißverständnis aus, dem
Europarats in Straßburg die europäischen Pro- Wege räumen. Bei all dem, was Kollege Ollenhauer
bleme allein noch nicht gemeistert werden können. gestern über den Einbau Deutschlands in ein Sicher-
heitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen
Meine Damen und Herren, sollte es unerlaubt ausgeführt hat, hat er vom wiedervereinig
sein, in einer Situation wie der, in der wir uns in ten Deutschland gesprochen. Das scheint über-
Deutschland befinden, davon zu reden und das sehen worden zu sein. Gerade das, daß es sich dabei
offen auszusprechen? Hinter den Schwierigkeiten um das wiedervereinigte Deutschland handelt, ist
bei den Vereinten Nationen und bei der Statuten immerhin Gegenstand ernsthafter Anregungen und
reform des Europarats steht ein und dasselbe Bemühungen auch der Westmächte in Berlin ge-
Problem. Es ist das unbewältigte Problem der wesen, nachdem der gleiche Gedanke von der So-
nationalen Souveränitäten in unserer Zeit. Ich wjetunion in ihrer Note vom 10. März 1952 schon
weiß nicht, ob gestern von den Vereinten Natio- auf den Tisch des Hauses gelegt worden war. Ich
nen deshalb nicht weiter die Rede war, weil viel- meine, wir Deutschen sollten keinen Anlaß haben,
leicht auch der Herr Kollege Ollenhauer inzwischen für das wiedervereinte Deutschland eine solche
erkannt hat, daß eine fruchtbare Zusammenarbeit Möglichkeit des Einbaus in ein Sicherheitssystem
in den Vereinten Nationen, deren die Welt wahr- im Rahmen der Vereinten Nationen von vornherein
haft dringlich bedarf, so wie die Dinge liegen, ja abzuwerten.
erst dann möglich ist, wenn der Kern der Streit-
probleme bereits gelöst, d. h. wenn die Weltspan (Widerspruch in der Mitte. — Abg. Dr.
nung schon entschärft ist. Wäre es anders, meine von Brentano: Hat niemand getan!)
Damen und Herren, wozu bedürfte es dann der Die wirkliche Sicherheit des vereinten Deutschlands
Berliner, der Genfer Konferenz und wahrscheinlich wird weder in unseren eigenen Streitkräften noch
noch mancher anderen kommenden Konferenzen, in einer europäischen Armee, sondern in der Ge-
die alle außerhalb der Vereinten Nationen statt- wißheit liegen, daß wir Teilhaber eines Sicherheits-
finden? systems sind, welches jeden Angreifer dieses ver-
Aber es ist heute nicht davon zu reden, was uns einten Deutschland damit bedroht, für den Fall
bei künftigen Entscheidungen auf dem Weg, den eines Angriffs mit Bestimmtheit den dritten Welt-
wir beschritten haben, im einzelnen beschäftigen krieg auszulösen. Das wird die wirkliche Sicherheit
muß. Es ist heute auch nicht davon zu reden, wie sein.
die Wehrverfassung Deutschlands und wie seine (Beifall bei der SPD.)
Ausrüstung aussehen muß. Wir sprechen heute Aber, meine Damen und Herren — und damit bin
auch nicht vom Ost-West-Handel, wennschon wir ich beim Gegenstand der heutigen Tagesordnung,
darüber im Zusammenhang mit dem russischen und Sie haben anscheinend diesen Teil der Rede des
Blutgold unsere eigene Gedanken haben. Wir reden Kollegen Ollenhauer nicht mit der gebührenden
heute nur von dem, wozu wir nach langer, gewis- Aufmerksamkeit beachtet —,
senhafter Prüfung entschlossen sind: von unserer (Zurufe von der Mitte: Doch!)
Freiheit und Einheit, der Einheit Deutschlands im
geeinten Europa und der Freiheit, die uns so ans er hat selbstverständlich hier nachdrücklich davon
Herz gewachsen ist, daß wir willens sind, dafür gesprochen, daß, solange es eben nicht zur deut-
auch die Opfer zu tragen, die man vom deutschen schen Wiedervereinigung kommt, auch unter den
Volk gerechterweise verlangen kann. - von ihm angegebenen Voraussetzungen, die Sozial-
demokratische Partei sich in Gemeinschaft mit den
Ich habe die Ehre, namens der Fraktion der freien Völkern darum bemühen muß, für dieses
CDU/CSU zu erklären, daß sie der Vorlage zustimmt. Deutschland, solange es gegen unseren Willen —
(Beifall bei den Regierungsparteien.) die Entscheidung liegt doch gar nicht in erster Linie
bei uns — gespalten ist, um Sicherheit besorgt zu
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat Herr Abge- sein.
ordneter Erler. (Zuruf von der Mitte: Na also! — Weitere
Zurufe von der Mitte.)
Erler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Ich glaube, daß wir nicht — Na also, sagen Sie! Dann haben Sie eben gestern
unbedingt in die Notwendigkeit versetzt sind, heute nicht zugehört, und dann holen Sie das bitte heute
die Debatte des gestrigen Tages fortzuführen. Es nach.
handelt sich der Sache nach nicht um die gleichen (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Lachen
Probleme. Dennoch gestatte ich mir, vorab einige und Zurufe von den Regierungsparteien.)
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 559
(Erler)
Nun noch ein Weiteres. Als Herr Kollege Gersten- völlig andere Fassung der Vorlage vom Rechts-
maier hier in seinen einleitenden Bemerkungen ausschuß und zwar wenige Minuten vor Beginn der
einige gute Grundsätze für die Gedanken entwik- Sitzung.
kelt hat, die ein Demokrat haben muß und haben (Abg. Dr. von Brentano: Das hat aber mit
sollte, wenn er an die sehr schwierigen Probleme dem „Roman" nichts zu tun!)
einer militärischen Organisation herangeht, da habe
ich doch ein wenig darüber nachdenken müssen, ob Aber die Krone, finde ich, hat dieser Art der Be-
diese guten Gedanken allein auch wirklich aus- handlung der Vorlagen doch heute der Herr Be-
reichen, wenn wir nicht in der Geburtsstunde einer richterstatter Dr. von Merkatz selbst aufgesetzt. Er
möglichen Wehrverfassung dafür sorgen, daß diesen hat zwar die Bitte ausgesprochen, nicht auf den
guten Gedanken nicht Versprechungen, sondern Pianisten zu schießen und den Herrn Berichterstat-
durch den Zwang dieses Hauses und seines Grund- ter nicht in eine Polemik hineinzuziehen; aber ich
gesetzes auch entsprechende Taten folgen; darauf muß doch sagen, er hat seiner Sache und der Sache
wird es ankommen. einer ordentlichen Arbeit dieses Hauses mit der
Methode, wie er Koalitionsabsprachen zum Gegen-
(Beifall bei der SPD. — Abg. D. Dr. Gersten stand einer Ausschußberichterstattung gemacht hat,
maier: Sie sind eingeladen, mitzuwirken!) keinen guten Dienst erwiesen.
Damit möchte ich mich der Vorlage selbst zuwen- (Beifall bei der SPD.)
den. Es ist unbestritten — der Herr Berichterstat- Natürlich ist gar nichts dagegen einzuwenden,
ter hat es gesagt —, daß die Vorlage den einzigen daß die Koalition untereinander Absprachen trifft
Zweck hat — um einen Ausdruck zu gebrauchen, und sie in einer gewissen feierlichen Weise diesem
wie er in den Beratungen der Ausschüsse dieses Hause verkündet. Aber dann muß man die Funk-
Hauses in diesem Zusammenhang fiel —, die Ver- tionen trennen. Es gehört nicht zu den Aufgaben
träge kugelfest gegenüber dem Bundesverfassungs- eines Ausschußberichterstatters, Proklamationen der
gericht in Karlsruhe zu machen. Regierungskoalition zu verlesen.
(Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört!) (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
Ich erlaube mir, aus der 7. Sitzung des Rechtsaus- In den Protokollen des Ausschusses stieß ich auf
schusses am 19. Februar den Herrn Berichterstatter eine Abrede, die es dort gegeben hat, nämlich daß
Dr. von Merk a t z zu zitieren — aber er hat das der Herr Berichterstatter — damit es keinen Mehr-
heute hier mit anderen Worten auch gesagt —: heits- und keinen Minderheitsbericht gäbe und
Diese Regelung, wie sie jetzt hier vorgesehen nun hier der Streit der Wagen und Gesänge der
ist, bleibt in weitem Feld unvollständig. Aber Berichterstatter ausgefochten würde, sondern da-
sie genügt nach meiner Ansicht, um die In- mit es einen einheitlichen Bericht geben sollte —
kraftsetzung der beiden Verträge zu ermög die Meinungen der Minderheit jeweils mit zum Aus-
lichen. Ich möchte ganz offen sagen, daß das druck bringen würde, was er auch getan hat. Da-
auch der politische Zweck ist, den wir verfol- mit das gesichert würde, hatte sich der Herr Bericht-
gen. Ich möchte von meinem Standpunkt als erstatter bereit gefunden, seinen Berichtsentwurf
Berichterstatter aus sagen — ich glaube damit dem Herrn Mitberichterstatter, dem Kollegen Dr.
auch im Namen der Koalition zu sprechen —, Arndt, vorzulegen. Gestern abend gab es ein sol-
daß wir dies unweigerlich politisch wollen, und ches Manuskript. In diesem ursprünglichen Manu-
zwar schnell. skript des Herrn Kollegen von Merkatz über den
Gang der Beratungen im Rechtsausschuß findet
(Abg. Dr. von Brentano: Genau!) sich kein einziges Wort über die Drei-Punkte-Ab-
Und damit war ein Stichwort gefallen, das für die rede der Koalition, die wir heute hier erfahren
ganze Behandlung dieser Materie in diesem Hause haben.
typisch geworden ist: es mußte schnell gehen. (Hört! Hört! bei der SPD.)
Ich bin nicht Mitglied des Rechtsausschusses. Aber Ich darf vielleicht in diesem Zusammenhang die
ich habe mir die Freiheit genommen, die Protokolle „Welt" von heute zitieren. Da heißt es:
dieses Ausschusses zur Vorbereitung meiner heuti- Diese Absprachen zwischen den Koalitionspar-
gen Ausführungen sorgfältig durchzulesen. Ich muß teien sollen am Freitag durch den Berichterstat-
sagen, es liest sich wie ein spannender Roman, wie ter des Rechtsausschusses protokollarisch fest-
dort Texte präsentiert werden als Vorlagen nicht gelegt werden.
der Regierung — obwohl doch auch die Regierung
ein begreifliches Interesse an dieser Angelegenheit Ich möchte, meine Damen und Herren — und hof-
haben sollte, ihre eigenen Verträge abzusichern —, fentlich nicht nur für die Opposition, weil es hier
gar nicht um diese Sache, sondern um die Verhinde-
(Zuruf von der Mitte: Hat sie auch!) - rung der Wiederkehr eines solchen ungewöhnlichen
sondern der Koalitionsparteien; wie dann aber wei- Verfahrens von Berichterstattung geht —, mit allem
ter ein großer Teil dieser Texte plötzlich in der Nachdruck darum bitten, daß sich dieses Beispiel
Schublade verschwindet; dann findet eine Mittags- einer Art Berichterstattung nicht wiederholt. Dar-
pause statt; nach der Mittagspause erscheint man um möchte ich nachdrücklich gebeten haben.
mit einem völlig anderen Text wieder, (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
(Zuruf von der CDU/CSU: So üblich!) Und nun zur Vorlage selbst! Was wir heute hier
den der Herr Berichterstatter von sich aus produ- vorgetragen bekommen haben, war ein Gaumen-
ziert. So ist der Sicherheitsausschuß des Bundestags frühstück für Verfassungsrechtler. Aber dennoch
im Widerspruch zu seiner Aufgabe erst in die Be- geht diese Vorlage, die unser Grundgesetz verän-
ratung der Vorlagen eingetreten, nachdem der dern, erläutern, ausdeuten — welche Sprachrege-
Rechtsausschuß als federführender Ausschuß Stel- lung auch immer jeweils gerade gelten soll —,
lung genommen hatte, und erhielt plötzlich eine nicht nur die Verfassungsrechtler an, sondern das
560 2, Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Erler)
ganze deutsche Volk und das Bewußtsein, das die- Ja, nach dieser Bestimmung können künftig unter
ses Volk von der Würde seiner Verfassung haben Umständen sogar Geheimabkommen, die zu diesen
muß. Verträgen vielleicht gehören, praktisch Teile der
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) Verfassung werden.
Haben Sie wirklich den Eindruck, daß man so mit (Sehr gut! Sehr wahr! bei der SPD.)
einer Verfassung umgehen kann, wie es in dieser Art. 79 Abs. 1 macht diese Methode der Verfas-
Vorlage geschieht? Sie wählen eine Präambel, mit sungsdurchbrechung bei Verträgen zur Regel; denn
der Sie — ich will mich vorsichtig ausdrücken — ich frage mich, welchem Vertrage man nicht das
mindestens den Anschein erwecken, als fingen Sie Etikett anhängen kann, daß er der Vorbereitung
nun an, mit Zweidrittelmehrheit eines Parlaments einer Friedensregelung diene oder der Verteidi-
den Grundsatz der Gewaltenteilung aufzuheben. Sie gung zu dienen bestimmt sei, nachdem uns hier
fangen an: vorhin klargemacht worden ist, wie weit der Be-
Zur Klarstellung von Zweifeln über die Aus- griff der Verteidigung heutzutage reicht.
legung des Grundgesetzes usw. (Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Übersehen Sie
nicht: „völkerrechtliche"!)
Nun, ich bin kein Jurist; aber ich finde in Art. 93
Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes gerade das unter — Meine Damen und Herren, das ist aber nun eine
den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts auf- Frage des innerstaatlichen Verfassungsrechts, über
gezählt, was hier von der Parlamentsmehrheit in die wir hier diskutieren, und keine Frage des
Anspruch genommen wird, nämlich: Völkerrechts. Das ist für den Staatsbürger ein
magerer Trost.
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: über (Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Es gilt nur für
die Auslegung dieses Grundgesetzes . . . „völkerrechtliche" Verträge!)
Dann wird eine weitere Bestimmung des Grund- — Natürlich, Verträge mit fremden Staaten pflegen
gesetzes, die ich bisher jedenfalls in meinen staats- im Zweifelsfall immer völkerrechtliche Verträge zu
bürgerlichen Vorträgen vor jungen Menschen, sein.
immer als einen wesentlichen Eckpfeiler einer (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Er-
neuen, gesunden Demokratie betrachtet habe, von neuter Zuruf des Abg. Dr. Weber [Koblenz].)
Ihnen mit einer Handbewegung abgeschafft.
In Wahrheit handelt es sich bei diesem Gesetz um
(Zuruf von der CDU/CSU: Mit einer Zwei ein Amnestiegesetz für jene Mehrheit des ersten
drittelmehrheit!) Bundestages, die am 19. März 1953 in dritter Lesung
— Nun gut, dann ist es eine Handbewegung einer Verträge beschlossen hat, bei denen Sie selbst offen-
Zweidrittelmehrheit, aber dennoch ist es eine! bar nicht mehr ganz genau wissen, ob sie dem
Grundgesetz entsprechen oder nicht.
(Lebhafter Beifall bei der SPD — Zurufe (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
von der CDU/CSU.)
Diese Vorlage ist gewissermaßen ein Nachhall des
In Art. 79 heißt es: schlechten Gewissens von damals.
Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz (Beifall bei der SPD. — Abg. Huth: So
geändert werden, das den Wortlaut des Grund- billig geht es nicht, Herr Erler!)
gesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Am deutlichsten wird das aus der ursprünglichen
Wenn Sie das nicht haben wollten, dann hätten Sie Vorlage. Da haben Sie sogar hineingeschrieben —
das ist jetzt gefallen; in der Sache ist das kein
es im Parlamentarischen Rat gar nicht hereinschrei-
Unterschied; die Meinung ist die gleiche geblie-
ben dürfen. ben —, daß Art. 1 Nr. 4 und Nr. 9 mit Wirkung
(Sehr gut! bei der SPD.) vom 1. März 1953 in Kraft treten sollen, damit
Das ist ein Eckpfeiler des Grundgesetzes. Wenn das man also ja noch feststellt, daß die Abstimmung
bei jeder Gelegenheit in Zweifel gezogen werden am 19. März 1953 nicht unter der damals geltenden,
kann, dann ist diese Bestimmung völlig sinnlos; sondern unter der jetzt interpretierten Verfassung
dann streichen Sie sie doch! stattgefunden habe, als ob man gewissermaßen
einem Volke nachträglich bescheinigen könne, in
(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Weber welcher Verfassung es zu einem bestimmten Zeit-
[Koblenz]: Absatz 2! Lesen Sie doch einen punkt wirklich gelebt habe.
Absatz weiter!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
Nun, das Wesentliche an dieser Vorschrift ist, daß Ursprünglich — und die Bundesregierung wie auch
der deutsche Staatsbürger in einer Urkunde das die Regierungsparteien vertreten ja heute noch
geltende Verfassungsrecht beieinander hat.-Das ist diese Meinung — hat man behauptet, das Grund-
der Sinn der Bestimmung. Wo soll eigentlich künf- gesetz erlaube die Einführung einer Wehrverf as
tig der junge oder auch der alte Deutsche finden, sung und den Abschluß dieser Verträge. Jetzt plötz-
was in diesem Lande Verfassung ist? lich muß das Grundgesetz nun doch ergänzt, ver-
deutlicht, erläutert werden, wie sie wollen.
(Abg. Schütz: Im Grundgesetz!)
(Abg. Schütz: Um die Skrupel der Opposi
— Nein, nicht mehr im Grundgesetz! Nach der Pra- tion zu beseitigen! — Weitere Zurufe von
xis, die Sie jetzt einführen, z. B. mit Art. 142 a, wo- der Mitte.)
nach auch Verträge mit ihren Zusatz- und Neben- Das hat Ihnen die Sozialdemokratische Partei zu
abkommen der Verfassung nicht entgegenstehen, früheren Zeiten öfter gesagt, und wir begreifen
muß er dicke Bücher mit sich herumschleppen und nicht, mit welcher Hartnäckigkeit Sie sich früher
nachschlagen, um zu wissen, was in Deutschland dieser Notwendigkeit verschlossen haben.
praktisch alles Verfassung ist. (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
(Unruhe in der Mitte.) Mitte.)
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 561
(Erler)
Bei dem Artikel, der sich nicht auf die Verträge auch in der Zukunft die wesentlichen Bestim-
bezieht, nämlich bei Art. 73 Nr. 1 GG, wonach die mungen der Wehrordnung im Wege einfacher Ge-
auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidi- setzgebung über die Bühne gehen und nicht, wie
gung einschließlich der Wehrpflicht für Männer es heute hier angekündigt worden ist, tatsächlich
vom vollendeten 18. Lebensjahre an und des die Form verfassungsändernder Gesetze finden,
Schutzes der Zivilbevölkerung nun Bundessache zumal die Bundesregierung schriftlich in ihrer
werden, handelt es sich trotzdem nicht — das ist Stellungnahme nach Karlsruhe hat mitteilen lassen,
auch heute hier gesagt worden — um eine Wehr- daß sie nach ihrer Rechtsauffassung durch den
verfassung; es handelt sich um ein Ermächtigungs- alten Text des Grundgesetzes in den Stand gesetzt
gesetz für eine Wehrverfassung, werde, nicht nur die Verträge zu akzeptieren, son-
(Beifall bei der SPD — Abg. Dr. Menzel: dern sogar eine Nationalarmee auch für die Bundes-
Es sind ja auch die gleichen Kreise wie republik zu schaffen? Wenn man sich an diese
damals!) Argumentation erinnert — Herr Staatssekretär
Strauß hat sie im Rechtsausschuß ausdrücklich
und das ist außerordentlich bedenklich. Die Sozial- aufrechterhalten —, dann, muß ich doch sagen,
demokratische Partei — und wer an den Ausschuß- bekommt man etwas Bange vor der Tragweite des
beratungen teilgenommen hat, wird das nicht be- Artikels, den Sie heute beschließen wollen. Meine
streiten können — hat sich zur Mitarbeit an einer Damen und Herren, Koalitionsabsprachen ersetzen
wirklich demokratischen Wehrverfassung nicht nur keine Verfassung.
für das vereinte Deutschland, sondern auch für die (Beifall bei der SPD.)
Bundesrepublik bereit gefunden. Wenn Sie die Sicherheit haben wollten, daß all das,
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) was nun wirklich im Wege von Änderungen des
Grundgesetzes, also praktisch mit Zweidrittelmehr-
Wir sind und bleiben allerdings der Meinung — heit geregelt werden soll, auch wirklich so geregelt
und ich bin erfreut, daß wir darin völlig mit dem wird, dann hätten Sie unserem Vorschlag folgen
Kollegen Gerstenmaier übereinstimmen —, daß und eine entsprechende Sperrklausel für die Reali-
eigentlich jede Wehrverfassung ein Übel ist, wenn sierung einer Wehrverfassung in die jetzige Vorlage
auch ein notwendiges. Wenn man schon an ein mit hineinbauen müssen. Solange Sie das nicht tun,
solches Übel herangeht — und wir gehören nun haben Sie keinerlei Sicherheit. Ich erinnere an die
einmal nicht zu denen, die es zur höheren Würde Erörterungen im ersten Deutschen Bundestag — die
der Menschheit zählen, daß man unbedingt bewaff- meisten Damen und Herren haben das hier erlebt
nete Streitkräfte in allen Ländern unterhalten — über die Zahl der Angehörigen des Bundesgrenz-
muß; es ist ein Zwang, der einem nicht von sich schutzes. Da ist uns dann auch an dieser Stelle ein-
selbst, sondern von anderen auferlegt wird —, mal eine Interpretation nicht nur einer Abrede, son-
(Lachen und Aha-Rufe in der Mitte) dern eines solchen Bundestagsbeschlusses entgegen-
wenn man also schon an dieses Problem herangeht, gehalten worden, die dann allen Ernstes Zweifel
dann muß man das so vernünftig wie möglich und in die Haltbarkeit derartiger Abreden oder Be-
außerdem auch im richtigen Zeitpunkt tun. schlüsse hervorrufen mußte.
Meine Damen und Herren, eine Wehrverfassung
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten können Sie gar nicht stückweise, die können Sie nur
in der Mitte.) ganz oder gar nicht machen, womit ich mit „ganz"
Zum Zeitpunkt hat sich gestern in aller Deutlich- nicht meine, daß nun die Summe aller diese Mate-
keit Herr Ollenhauer geäußert. Die Verabschie- rie regelnden Gesetze ausgefeilt vor Ihnen auf dem
dung der Vorlage heute ist doch auch als eine Tisch des Hauses liegen muß, sondern womit ich
politische Demonstration nach der Berliner Vier- meine, daß die wesentlichen rechtsstaatlich-demo-
Mächte-Konferenz gedacht. kratischen Prinzipien einer solchen Ordnung ihren
einheitlichen Niederschlag in der Verfassung unse-
(Abg. Huth: War doch längst vorgesehen!) res Staates finden müssen, und zwar in einem ein-
Ich muß Ihnen ganz offen sagen, daß Sie damit in heitlichen Akt.
Gegensatz geraten zu der Erklärung des Herrn (Beifall bei der SPD.)
Bundeskanzlers, der von dem vitalen Interesse Aber dafür hatten Sie wohl offenbar keine Zeit,
Deutschlands sprach, daß der Ost-West-Konflikt vielleicht doch ein ganz klein wenig mit dem Blick
entspannt werde. nach Frankreich, den Sie uns so gern unterstellen.
Aber unabhängig davon: es handelt sich bei (Sehr gut! bei der SPD.)
dieser Vorlage eben nicht um eine in ordentlicher, Ich möchte aus der 7. Sitzung des Rechtsausschus-
sachkundiger Beratung erarbeitete Wehrverfas- ses Ihnen einmal vorlesen, wieweit nach der Mei-
sung, sondern um einen Blankoscheck, den Sie in nung der Bundesregierung diese Ermächtigung mög-
Wahrheit der einfachen Mehrheit dieses Hauses licherweise gehen kann. Dort hat Herr Staatssekre-
und damit praktisch einer einzigen Partei geben, tär Dr. Strauß ausgeführt:
(Lebhafte Zustimmung bei der SPD) Gerade die Beispiele, die Herr Kollege Arndt
die Wehrverfassung nach ihren Vorstellungen aus- erwähnt hat, Leistungsgesetz, Bodenbeschaf-
zugestalten. fung, Raumbeschaffung und alle diese Dinge,
(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.) zeigen, daß man mit dem Begriff „Wehrverfas-
sung" in der Abwehr gegenüber einem moder-
Meine Damen und Herren, wer garantiert Ihnen nen Krieg nicht auskommt. Diese Dinge haben
denn, daß und wie der angekündigte zweite Akt wir in der Vorbereitung zusammen mit den
auf die erste Hälfte der geteilten Walküre hier nun anderen Ressorts sehr sorgfältig erwogen. Wir
auch wirklich folgen wird? Bisher hat die Koalition brauchen einen weitergehenden Begriff, und da
den Standpunkt vertreten, daß überhaupt keine bietet sich als meines Erachtens einziger Be-
Ergänzung des Grundgesetzes nötig sei. Wer garan- griff, der das aussagt, was mit ihm bezweckt ist,
tiert Ihnen, daß nicht mit dem gleichen Argument der Begriff der Verteidigung.
562 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Erler)
Herr Kollege von Merkatz hat das als Berichterstat- national verbleibender Befugnisse, über die Sie sich
ter heute ausdrücklich aufgegriffen, als er davon Gedanken machen müssen, wenn Sie den Grund
sprach, daß dieser Artikel auf dem Gebiet der künf- stein zu einer solchen Wehrverfassung legen. Und
tigen Gesetzgebung eben alles decke, was zur Ver- sei es nur die außerordentlich gefährliche Befug
teidigung notwendig sei. Nun, was gehört alles nis nach Art. 12 des Vertrags, für den Fall eines
dazu? Das ist ein weites Feld. Als das alte Deutsche innerpolitischen Notstandes Kontingente der EVG
Reich noch keine eigene Steuergesetzgebung hatte, in Anspruch zu nehmen.
da erschloß es sich neben den Matrikularbeiträgen (Lebhafte Rufe von der SPD: Sehr wahr!)
der Länder im Jahre 1912 nur aus der Kompetenz
der Verteidigung heraus den Wehrbeitrag, und so Die obersten Grundsätze des Wehrrechtes, der
entstand das erste Reichssteuergesetz. Wehrorganisation, der Organe, die für diese Dinge
Ich möchte daran erinnern, welche Problematik geschaffen werden müssen, und ihrer Kompetenz,
allein auch die in der Wehrverfassung liegende z. B. das Recht zur Ernennung der Offiziere, gehö-
Frage des Oberbefehls aufwirft. Der Oberbefehls ren in das Grundgesetz hinein. Ich sage bewußt nur
haber ist doch nicht nur der Mann, der nun Trup „die obersten Grundsätze", die leitenden Prinzipien.
pen kommandiert, sondern seine rechtliche Stellung Sie können sich hier nach all den bösen Erfahrun-
und seine Befugnisse gehen in den verschiedenen gen, die wir doch nun einmal mit Ermächtigungs-
Staaten außerordentlich weit auseinander. Ich will gesetzen gemacht haben, nicht mit einer einfachen
Ihnen nur an zwei Beispielen zeigen, wie selbst das Ermächtigung bescheiden.
mit langer demokratischer Tradition ausgestattete (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.
Land der Vereinigten Staaten von Amerika dem — Lachen in der Mitte. — Zurufe von der
Präsidenten nicht als Regierungschef, sondern als SPD.)
Oberbefehlshaber sehr weitgehende Befugnisse zu
erkannt hat. Die für uns alle außerordentlich Dann, meine Damen und Herren, die Stellung des
schmerzlichen Abkommen von Teheran, Jalta und Parlaments! Sie ist doch Ihre Sorge wie die unsrige.
Potsdam sind von dem Präsidenten der Vereinigten Eine wirksame Kontrolle der bewaffneten Macht,
Staaten von Amerika nie seinem Parlament zur und zwar gerade auch der Befehlshaber dieser be-
Ratifizierung vorgelegt worden, weil es sich nicht waffneten Macht, durch dieses Parlament muß insti-
um Verträge der amerikanischen Regierung, son tutionell verankert sein.
dern um Entscheidungen des Oberbefehlshabers der (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)
Streitkräfte der Vereinigten Staaten gehandelt hat.
Das können Sie nicht einer einfachen Parlaments-
(Hört! Hört! bei der SPD.) mehrheit überlassen; denn Sie wissen ja nicht, wie
Oder auch der berühmte Schießbefehl, bevor die diese eines Tages einmal wechselt, um das auch ein-
Vereinigten Staaten in den Krieg eingetreten mal in aller Offenheit auszusprechen.
waren, gegen sichtbar werdende Unterseeboote, der (Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von der
die Vereinigten Staaten hart an den Rand des Krie
Mitte.)
ges oder gar in den Krieg hinein hätte bringen
können, ist vom Präsidenten in seiner Eigenschaft Wer weiß denn, in welche Zeit dieses deutsche Volk
als Oberbefehlshaber der amerikanischen Streit einmal hineingeht!
kräfte erlassen worden. (Sehr gut! bei der SPD. — Zurufe von der
Ich will nur diese beiden Beispiele nennen — und Mitte. — Abg. Hilbert: Geben Sie sich keiner
unsere eigene Verfassungsgeschichte ist doch voll lei Illusionen hin!)
von dem, was für Macht sich in den Händen eines — Sie brauchen gar nicht so bedrückt zu sein, Kol-
solchen Mannes befindet —, um zu zeigen, daß wir lege Hilbert. Damit habe ich nicht unbedingt ge-
doch die Frage des Oberbefehls nicht offenlassen sagt, daß unsere Reihen einmal bis auf Ihren Platz
können. Dann regelt sie sich in Deutschland von reichen; es kann sich noch einmal etwas ganz ande-
selbst, aber sicher in schlechter Weise. res in Deutschland abspielen. Wer weiß das heute?
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) (Beifall bei der SPD. — Lachen in der Mitte.)
Die Freie Demokratische Partei wollte das Pro Deshalb sollten wir gleich als ersten Schritt einem
blem wenigstens angehen. Ich glaube nicht einmal, wirksamen Parlamentsausschuß die Aufgaben einer
daß man es so einfach lösen kann, daß man einem effektiven Kontrolle, einer Überwachung der mili-
einzigen Mann unter dem Stichwort „Oberbefehl" tärischen Gewalten geben.
eine nicht näher aufgegliederte Fülle von Macht
befugnissen in die Hand gibt, sondern wir werden (Zurufe von der Mitte.)
uns überlegen müssen, wie wir hier durch eine ge Gerade wenn Sie den Grundstein legen, müssen Sie
wisse Macht- und Gewaltenverteilung den- Bestand das tun, so wie das z. B. der amerikanische Senat
der deutschen Demokratie vor dem Überwuchern mit seinem Ausschuß getan hat, der sich in wirk-
von militärischen Gewalten schützen müssen. samer Weise als Kontrollorgan des Parlaments
(Starker Beifall bei der SPD.) gegenüber den bewaffneten Streitkräften bewährt
hat. Sie müßten diesem Ausschuß den Rang eines
Sagen Sie mir bitte nicht, daß das nach den Ver
eigenen Verfassungsorgans geben, wie etwa der
tragswerken ja unerheblich sei; denn der Ober
Auswärtige Ausschuß im alten Reichstag es war, der
befehl — darüber habe ja gerade ich Ihnen seiner
kraft eigenen Rechts und nicht nur aus der Ge-
zeit einiges von dieser Stelle aus gesagt — liege
schäftsordnung des Parlaments heraus notfalls han-
doch bei dem Oberbefehlshaber der Nordatlantik
deln und beschließen konnte.
pakt-Organisation! Nun, ob eine solche Machtfülle
unbedingt bei einem Deutschen oder bei einem Aus Sie müssen sich Gedanken machen, wie das viele
länder konzentriert wird, Macht bleibt Macht. Aber andere Verfassungen tun, über die Stellung, die
unabhängig davon gibt es eine ganze Reihe selbst etwa der Verteidigungsminister hat, nachdem wir
für den Fall des Inkrafttretens des EVG-Vertrags doch bei uns ein Kabinett haben, dessen einzelne
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 563
(Erler)
Mitglieder Ihnen ja gar nicht verantwortlich sind, Aber heute schon lege ich Verwahrung ein gegen
sondern in der Praxis doch nur der Kanzler selbst, die Idee, in dieser allgemeinen Weise Grundrechte
der auch nahezu unstürzbar gemacht worden ist. einschränken zu wollen, ohne sie zu bezeichnen und
ohne zu sagen, wie weit.
(Zuruf von der SPD: Der Oberbefehlshaber!)
(Erneute Zurufe von den Regierungsparteien:
Infolgedessen müssen Sie dafür sorgen, daß der Es steht doch nicht dort! — Gegenrufe von
Verteidigungsminister eine Sonderstellung diesem der SPD: Eben! — Unruhe.)
Ihrem Hause gegenüber bekommt, damit er in der
Eigenschaft als der für die Streitkräfte verantwort- — Sie haben es doch in Ihrer Vorlage gehabt, und,
liche Mann Ihnen unmittelbar Rede und Antwort Herr Kollege Schütz, meines Wissens haben Sie sel-
stehen muß. ber die Vorlage, die jetzt im Ausschuß anhängig ist,
(Beifall bei der SPD.) mit eingebracht. Wir waren uns darüber einig, daß
es sich hier um die Generalaussprache zu diesen
Ich habe das hier nur als Gedanken geäußert und Problemen handelt. Da müssen Sie mir doch gestat-
nicht als fertige Gesetzesvorlage. Warum? Weil wir ten, daß ich zu den von der CDU eingebrachten Ge-
nicht den Ernst notwendiger Ausschußberatungen danken hier einiges sage! Seit wann gibt es denn
angesichts der Eile, die Sie mit dieser Vorlage hier das nicht in diesem Hause?
bewiesen haben, durch eine Beratung in der zwei-
ten Lesung dieses Hauses ersetzen können! Das ist (Sehr richtig! bei der SPD.)
ein unmögliches Verfahren. Deshalb muß ich mich Es handelt sich dabei weiter um das Problem
darauf beschränken, nur anzudeuten, was alles der staatsbürgerlichen Rechte, nicht nur um das
wirklich fehlt, um auch nur den ersten vernünfti- der Grundrechte im engeren Sinne. Und da will ich
gen Grundstein für eine Wehrverfassung zu legen, Ihnen sagen, daß ich der Meinung bin, wir sollten
um des Schutzes der parlamentarischen Demokratie dem schwedischen Beispiel folgen und sollten
willen, die wir doch alle miteinander schützen und gleichfalls verfassungsrechtlich verankern, daß
bewahren wollen. dieses Parlament zum Schutze der „Staatsbürger in
(Na, na!-Rufe bei der SPD. — Weitere Rufe Uniform" einen Beauftragten schafft, der neben
von der SPD zu den Regierungsparteien: dem rein militärischen Zuständigkeitswege ange-
Sollten!) rufen werden kann,
Und dann geht es um den Schutz des Soldaten, (Beifall bei der SPD)
also dessen. der einmal in den Streitkräften dienen um dafür zu sorgen, daß unsere Gedanken durch-
wird. Hier kommt es nicht darauf an, daß Sie ihm gesetzt werden.
schöne Deklamationen bescheren — davon hat er
nichts —, sondern hier müssen wir auch von An- (Anhaltender Beifall bei der SPD.)
fang an Sicherungen in d a s Gesetz einbauen, das Und noch ein Letztes zu einem Thema, das
nun einmal die Freiheits- und Menschenrechte des gleichfalls mit institutionell geregelt werden müßte.
Staatsbürgers zu schützen berufen ist, nämlich in Für den Geist einer Truppe wird die Auswahl
unser Grundgesetz. Sie haben ja jetzt einen Arti- derer entscheidend sein, die man als erste beruft,
kel, wie es so schön heißt, ausgeklammert. Aber um die Truppe zu bilden, wird es wichtig sein,
auch die ausgeklammerte Fassung macht doch welche Richtlinien für die Annahme anderer Be-
immerhin die Absichten deutlich. In dem ursprüng- rufssoldaten erlassen werden. Es wird also darauf
lichen Art. 32 a hieß es: ankommen, daß ein Personalausschuß mit bestimmt
Soweit es zur Erfüllung der Verteidigungsauf- abgegrenzten Befugnissen nicht bloß durch eine
gaben zwingend geboten ist, kann durch Bun- Weisung der Regierung oder durch ein einfaches
desgesetz ferner bestimmt werden, daß für An- Gesetz entsteht, sondern auf eine Weise verankert
gehörige der Streitkräfte einzelne Grundrechte wird, daß er nicht mit einer einfachen Mehrheit
einzuschränken sind. wieder abgeschafft werden kann.
Das ist wieder ein Blankoscheck. Welche Grund- (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
rechte? Wie weit? „Soweit zur Erfüllung der Ver- Nur so erreichen Sie doch, daß eine künftige
teidigungsaufgaben zwingend geboten"! Das ist Truppe keine Partei- oder Koalitionstruppe wird,
Gummi, meine Damen und Herren! sondern daß wirklich auch das leitende Personal
(Abg. Dr. Jaeger: Es steht doch gar nicht so ausgewählt wird, daß es außer seiner fachlichen
drin!) auch charakterliche Eignung und unbedingte Zu-
verlässigkeit und Treue zum demokratischen
— Nein, jetzt ist es nicht in der Vorlage; aber die Staatsgedanken beweist.
Absichten ergeben sich doch aus dem noch anhängi-
(Sehr gut! bei der SPD.)
gen Text!
(Sehr richtig! bei der SPD.) Meine Damen und Herren! All diese Probleme
Und es ist um so schlimmer, weil Sie nach der jetzi- sollten im Ausschuß nicht beraten werden, weil
gen Ermächtigung offenbar beabsichtigen, diese man jetzt diesen Torso als erste Rate der ganzen
Dinge möglicherweise durch einfaches Gesetz zu Vorlage an das Plenum bringen wollte. Übrigge-
präsentieren. blieben ist ein Ermächtigungsgesetz, und nicht ein-
mal ein gutes. Der Text, wenn man ihn so liest, ist
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe auch noch mißverständlich und nicht gerade schön.
von den Regierungsparteien.) Das wurde uns im Sicherheitsausschuß des Bundes-
— Daß Sie mit der Einschränkung der Grundrechte tages zugegeben. Und trotzdem hat man sich ge-
sowieso vor dieses Haus treten müssen, weil es gar weigert, auch nur redaktionelle Änderungen noch
nicht anders geht, ist offensichtlich; das gebe ich vorzunehmen, denn die Mehrheit habe sich nun ein-
Ihnen zu. mal auf diesen Text festgelegt.
(Abg. Dr. Krone: Na also!) (Lebhaftes Hört! Hört! bei der SPD.)
564 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Erler)
Meine Damen und Herren, so geht man nicht müssen sich dann immer noch überlegen, daß die
mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutsch- Mehrheit nie entscheiden kann, wer recht hat, son-
land um, auch wenn sie — hoffentlich — nur ein dern nur entscheiden kann, wem sie recht gibt.
vorübergehendes und ein vergängliches Staatswesen Über das, was recht ist, gibt es keine Mehrheits-
ist, aber doch immerhin der Durchgang zu einem beschlüsse!
wiedervereinigten deutschen Staat. (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.
(Sehr richtig! bei der SPD.) — Fortgesetzte Zurufe von der Mitte und
rechts. — Unruhe.)
Diese Entscheidung geht unser ganzes Volk an. Eine demokratische Opposition wird die Be-
Sie rührt an den Bestand der demokratischen schlüsse der gewählten Mehrheit des Parlaments
Grundprinzipien und an die Rechte der Bürger selbstverständlich loyal hinnehmen. Das ist eine
unseres Staates. Solche Entscheidungen muß man Selbstverständlichkeit. Wenn Sie einmal auf den
sorgsam beraten, sonst, verehrter Kollege Dehler, Bänken der Opposition sitzen werden, hoffe ich die
begeht man wirklich das, was Sie gestern uns vor- gleiche Bereitschaft bei Ihnen zu finden!
geworfen haben: sonst fehlt man an der Verpflich-
tung vor unserem Volke. (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Lachen
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) bei den Regierungsparteien.)
Aber vergessen wir darüber doch eines nicht! Wir
Sie haben sich wieder einmal unter einen von alle, Sie und wir
Ihnen selbst geschaffenen Zeitdruck gesetzt. Da es
sich gar nicht um eine Wehrverfassung handelt, (anhaltendes Lachen bei den Regierungs
sondern um das Kugelfestmachen der Verträge und parteien)
um ein Ermächtigungsgesetz, das wir für gefähr- — das ist gar kein Anlaß zur Heiterkeit — haben
lich für die weitere demokratische Entwicklung nämlich einen gemeinsamen Auftrag bekommen:
halten, werden Sie — Sie haben nichts anderes er- den Auftrag, uns ernhaft zu bemühen, in Lebens-
wartet — bei dieser Vorlage auf unsere Ablehnung fragen der Nation zu einer gemeinsamen Haltung
stoßen. zu kommen.
(Beifall bei der SPD.)
(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungs
Aber ich will weiter gehen. Unser Nein zu dieser parteien. — Zurufe von der SPD.)
Mißgeburt
Diese Gemeinsamkeit besteht aber nicht darin, daß
(Bravo-Rufe und lebhafter Beifall bei man selber eine Politik mit mitunter sehr ein-
der SPD) samen Beschlüssen treibt und dann der Minder-
schließt ein Ja zur Gestaltung einer vernünftigen, heit sagt: „Schließt euch hinten an!", sondern diese
demokratischen Wehrverfassung ein. Gemeinsamkeit besteht darin, daß man von An-
fang an — bevor Entscheidungen gefallen sind —
(Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.) si ch um die gemeinsame Linie bemüht, und zwar
Sicher ist auch das ein notwendiges Übel. Das ernsthaft!
Übel wäre um vieles geringer, wenn wir sie für (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
das wiedervereinigte Deutschland schaffen könnten
CDU/CSU.)
und nicht nur für die Bundesrepublik allein. Aber
ich sagte Ihnen schon, die Entscheidung über die Ich meine nun zu diesem konkreten Thema, daß
deutsche Wiedervereinigung liegt nicht nur bei uns. unabhängig von den Verträgen eine Wehrverfas-
Auch für die Bundesrepublik werden wir in dieser sung ein gemeinsames Werk sein sollte
Richtung unsere Überlegungen anstellen müssen. (Zustimmung in der Mitte und rechts. —
Die außenpolitischen Voraussetzungen für das Abg. Schütz: Wir auch!)
tatsächliche Wirksamwerden einer Wehrverfassung — ja, dann müssen Sie sich bei der Grundstein-
hat gestern mein Kollege Ollenhauer in den drei legung aber auch entsprechend benehmen, Kollege
wesentlichen Punkten — Kündbarkeitsklausel, Schütz —,
Gleichberechtigung und Sicherheit — hier vor
Ihnen aufgezeichnet. Solange die nicht erfüllt sind, (Beifall bei der SPD)
werden Sie uns nicht dazu gewinnen können, Ver- schon aus einem sehr einfachen Grunde: um den
trägen unsere Zustimmung zu geben, die diesen unheilvollsten Gegensatz der jüngeren deutschen
Voraussetzungen nicht entsprechen. Außerdem ist Geschichte, den Gegensatz zwischen Arbeitern und
über die Verträge in diesem Hause entschieden. bewaffneter Macht, in unserem Land einmal aus-
Aber ich will Ihnen ganz offen sagen: die 8 Mil- zuräumen.
lionen sozialdemokratischen Wähler haben uns (Beifall bei der SPD.)
doch nicht dazu beauftragt, von der Tribüne die- Dieses Verhängnis soll und darf sich nicht noch
ses Hauses die Politik der Regierungskoalition
- zu einmal wiederholen.
vertreten. Das können Sie nicht erwarten.
(Abg. Hilbert: Die Mehrheit der Arbeiter
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe steht seit dem 6. September nicht mehr
von den Regierungsparteien.) bei Ihnen!)
Diese 8 Millionen haben uns ihr Vertrauen ge- Wenn Sie das wollen, meine Damen und Herren,
geben, sie haben sich zu unseren Vorstellungen dann sei Ihnen klar, daß Mehrheit und Regierungs-
bekannt. verantwortung verpflichten, sich auch und gerade
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU. — um Gemeinsamkeit in diesem Sinne zu bemühen.
Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Denken Sie an Ob es zu dieser Gemeinsamkeit kommt, das hängt
Herrn Keil! — Weiterer Zuruf: Wir haben nicht von Ihren Worten ab, sondern von Ihren
doch die überwältigende Mehrheit!) Taten.
— Eben, das bestreite ich auch gar nicht, daß Sie (Lebhafter anhaltender Beifall bei der
die Mehrheit in diesem Hause haben. Aber Sie SPD.)
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 565

Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und des Herrn Kollegen von Merkatz sind nicht berech-
Herren, in seiner Eigenschaft als Berichterstatter tigt. Herr von Merkatz, Sie haben mir ein Manu-
hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz. skript übermittelt, das nichts von dem enthält, was
Sie heute morgen hier als Koalitionsabrede vor-
Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter: Herr getragen haben;
Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr (Hört! Hört! bei der SPD)
Sprecher der Opposition hat gegen den Bericht-
erstatter den persönlichen Vorwurf erhoben, er und ein Berichterstatter ist nicht befugt, Koali-
habe seine Kompetenzen als Berichterstatter da- tionsabreden, die in der Nacht vor der Plenar-
durch überschritten, daß er zu seinem Bericht Zu- sitzung getroffen werden, zum Gegenstand seines
sätze gemacht habe, die in den Ausschußverhand- Berichts zu machen.
lungen nicht zutage getreten seien. Er habe ferner (Beifall bei der SPD.)
dem Mitberichterstatter ein unvollständiges Manu-
Ich möchte ausdrücklich klarstellen, daß niemand
skript gestern abend überreicht. Ihnen unterstellt, Sie hätten mir gestern abend ab-
Meine Damen und Herren, ich möchte m i t sichtlich einen Bericht übermittelt, der nicht voll-
aller Schärfe ständig gewesen sei. Denn Sie selber konnten ja
(schallendes Gelächter bei der SPD) gestern abend noch nicht wissen, was heute nacht
von der Koalition beschlossen würde.
diesen Vorwurf zurückweisen.
(Lachen bei der SPD. — Zuruf von der
(Anhaltendes Lachen bei der SPD. — Zu SPD: Weiberfastnacht! — Weitere Zurufe
ruf: Die neue deutsche Wehrmacht! — von der SPD.)
Weitere Zurufe von der SPD. — Unruhe.
— Glocke des Präsidenten.) Aber heute durften Sie die Koalitionsabreden
— Sagen Sie einmal: kann man sich hier in diesem nicht zum Gegenstand Ihres Berichts machen.
Hause, wenn man persönlich angegriffen und be- Nun noch eins! In den soeben gesprochenen Wor-
leidigt wird — denn das ist im Grunde genommen ten des Herrn von Merkatz ist angeklungen, als
ob es einen Berichterstatter der Mehrheit und einen
eine Beleidigung —, nicht mehr aussprechen und
zur Wehr setzen? Sind Sie schon so weit, daß Sie der Minderheit gebe und der der Minderheit auch
hier schon ein Ermächtigungsgesetz zu Ihren Gun- minderen Rechts sei und nur zu prüfen habe, ob
sten machen? die Auffassungen der Minderheit richtig wieder-
gegeben sind. Der Berichterstatter ist parteilos
(Zurufe von der SPD: Das ist doch keine und ist Berichterstatter des ganzen Hauses.
Beleidigung! — Tatsachen widerlegen! —
Weitere Zurufe und Unruhe bei der SPD.) (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)
Ich habe dazu festzustellen, daß die Ergänzung Beide Berichterstatter haben dafür zu sorgen, daß
meiner Ausführungen die Auffassungen sowohl der Mehrheit als auch
der Minderheit zutreffend wiedergegeben werden.
(Zuruf von der SPD: Der neue
„Himmelstoß" !) (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
— oh nein! — zur Klarstellung des Willens der Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und
Mehrheit notwendig gewesen ist. Dazu bin ich be- Herren, darf ich Ihnen vorschlagen, daß wir diese
rechtigt. Im übrigen habe ich dem Herrn Kollegen Debatte abschließen. Ich glaube, daß zur sachlichen
Arndt, wie wir vereinbart hatten, das Manu- Klärung von beiden Seiten das Nötige gesagt ist
skript vorher gegeben, damit er in der Lage war, und das Haus sich seine Meinung im einzelnen
die Meinung der Minderheit, die ich — getreulich, bildet.
so wie sie gewesen ist — zum Ausdruck bringen Dürfen wir in der Aussprache fortfahren? — Das
wollte, nachzukontrollieren und zu prüfen, ob die Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
von ihm vertretene Meinung der Minderheit im
großen und ganzen getreulich zum Ausdruck ge- Dr. Becker (Hersfeld) (FDP): Meine Damen und
kommen war. Ich lehne es aber ab, daß an der For- Herren! Diese Debatte über die Bestimmungen der
mulierung der Meinung der Mehrheit gewisser- Bundeshoheit in Wehrfragen hat gestern und heute
maßen von der Minderheit eine Zensur ausgeübt mit einem ganz gewaltigen Kanonendonner begon-
wird. Denn das wird hier verlangt. nen, mit einem Kanonendonner, der von der Rück-
zugskanonade herrührt, die die SPD auf außenpoli-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu tischem Gebiet begonnen hat.
ruf von der SPD: Das ist ihr gutes Recht!)
Ich war also frei, die Meinung der Mehrheit so (Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei den
darzustellen, wie ich es für erforderlich hielt, Regierungsparteien. — Lebhafter Wider
- und spruch von der SPD.)
habe damit meine Kompetenzen als Berichterstat-
ter nicht überschritten. Ich wende mich gegen den Gegenüber derartigen Rückzügen und Rückzugs-
versteckten Vorwurf, als hätte ich dem Mitbericht- kanonaden
erstatter, Herrn Kollegen Arndt, nicht das ge- (Zuruf von der SPD: Blindgänger!)
geben, was zu seiner Stellungnahme notwendig
war. gibt es zwei Möglichkeiten des Verhaltens. Die rein
(Beifall bei den Regierungsparteien.) militärische würde darin bestehen, nachzustoßen.
(Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich nehme an, Herr Ab- Man glaubt's Ihnen nicht, Herr Becker!)
geordneter Dr. Arndt, daß Sie zu diesem Punkt
etwas sagen wollen. Darf ich bitten! Die politische ist anders: Lassen wir die Dinge sich
entwickeln, warten wir ab, bis sich der Pulver-
Dr. Arndt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen dampf dieser Rückzugskanonade verzogen hat.
und Herren! Die Erregung und der Widerspruch (Abg. Kiesinger: Sehr gut! — Abg. Schoettle:
566 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Becker [Hersfeld])
Dann sieht man sogar die Umgefallenen aus alten Streitigkeiten und Differenzen, auf die der
Ihrer eigenen Fraktion! — Abg. Ritzel: Die Osten ja nur spekuliert, um sich ohne heißen Krieg
FDP hat ihre Geschütze vernagelt! — Wei in den Besitz dessen zu setzen, was er noch braucht,
tere lebhafte Zurufe.) um den Marsch von Moskau nach Paris zu Ende zu
führen.
Dann nämlich stellen wir folgendes fest.
(Sehr gut! und Beifall bei den Regierungs
Wir haben aus den Reden von gestern und heute
parteien.)
feststellen können,
(Abg. Ritzel: Das ist nicht einmal ein Rück Die dritte Möglichkeit ist die gemeinsame euro-
zugsgefecht!) päische Verteidigungsarmee. Auf dem Wege zu ihr
sind wir, und um diese Verteidigungsarmee mit den
daß erstens die SPD bereit ist, in puncto Sicherheit Bestimmungen unseres Grundgesetzes in Einklang
alles zu tun, nur im Rahmen der Vereinten Nationen zu bringen, deshalb heute die Vorlage und deshalb
oder, wie sie es ausgedrückt hat, im Rahmen einer heute diese Debatte.
kollektive Sicherheit gewährleistenden Vereinigung.
Herr Kollege Gerstenmaier hat Ausführun-
(Abg. Heiland: Sie haben gestern auch ge gen gemacht, denen ich mich im Grundsätzlichen
schlafen!) anschließen kann. Lassen Sie mich das, was hierzu
— Auch? zu sagen ist, in den einen Satz zusammenfassen, der
(Große Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: schon einmal an anderer Stelle, im Parlamentari-
Reden Sie doch vom Wehrgesetz!) schen Rat. gesprochen worden ist, in den Satz, daß
Unter dieser kollektiven Gemeinschaft sehen Sie die die allgemeine Wehrpflicht das l eg itime Kind der
Vereinten Nationen. Aber übersehen Sie doch bitte Demokratie ist. Der Satz ist zutreffend. Ich glaube,
nicht, daß über der Tür, die in die Vereinten Natio- er wird vom ganzen Hause anerkannt, und ich
nen hineinführt, die Überschrift steht: Zutritt für nehme an, daß Herr Kollege Erler sich bei seiner
Erklärung, daß auch seine Freunde bereit seien, an
Deutsche verboten!
der Wehrverfassung mitzuarbeiten, auf diesen Satz
(Abg. Meitmann: Das hat schon über mancher gestützt haben wird. Ich darf aber auch hinzufügen.
Institution gehangen! Es ist auch schon damit kein Mißverständnis entsteht, daß Art. 26
manche Tür geöffnet worden!) unseres Grundgesetzes ausdrücklich vorsieht, daß
Wenn Sie also die Sicherheit irgendwie gewähr- eine Wehrmacht lediglich — und das sage ich für
leisten müssen, dann wollen wir uns umsehen, ob alle die. die es hören wollen und sollen — zu Ver-
es nicht einen anderen Rahmen kollektiver Sicher- teidigungszwecken geschaffen werden kann und
heit gibt. Den sehe ich vorläufig, wenn auch in klei- darf.
nem Rahmen, in der EVG, in der europäischen Ge- Die FDP hatte für diese Wehrverfassung drei be-
meinschaft. sondere Wünsche. Ich werde sie im einzelnen durch-
gehen, nicht von der juristischen Seite her, sondern
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu von dem her, was politisch dazu zu sagen ist. Der
rufe links.)
eine betraf die landsmannschaftlichen Vorbehalte,
Wenn Sie also schon auf dem Wege zu dieser Entwick die in der ursprünglichen Vorlage enthalten waren
lung sind, bitte, bedienen Sie sich doch dann zu und die jetzt noch im Ausschuß verblieben sind. Sie
nächst einmal dieses Nahzieles und steuern Sie es an. wissen genau, welche Bedenken da anzumelden
Zum zweiten haben Sie zum Ausdruck gebracht waren. Wir haben im einzelnen über diese Dinge
— ich begrüße es, daß Herr Kollege Erler das ge- in privaten Aussprachen maßgeblicher Persönlich-
keiten verhandelt. Es handelt sich nicht darum, daß
sagt hat —, Sie seien durchaus bereit, an der Wehr-
jedes Land in Deutschland eine eigene Verteidi-
verfassung mitzuarbeiten, mit anderen Worten: Sie
stellten sich auch auf den Standpunkt, daß Deutsch- gungsorganisation aufbaut. Es handelt sich nicht
darum. daß Landeskommandanten geschaffen wer-
land eine derartige Verfassung haben muß. Wir
freuen uns darüber, auch wenn wir nicht jetzt schon den. Wohl aber handelt es sich darum, daß in
Durchführung des an sich nun einmal im Grund-
die Erwartung haben, daß ein Vertreter der SPD,
gesetz festgelegten föderalistischen Grundsatzes und
wie Herr Kollege Erler meinte, von dieser Tribüne
entsprechend der bisherigen Übung, auch ent-
aus die Politik der Bundesregierung verteidigt.
sprechend den praktischen Erfordernissen z. B.
Kommen wir zum Thema! Im Jahre 1950, als im Meldewesen, in der Garnisonierung. in der Frage
im Anschluß an Korea zum ersten Male die Frage der Einziehung zu dieser oder jener Truppengat-
der europäischen Verteidigung auftauchte, haben tung. allen diesen Bedürfnissen Rechnung getragen
wir in Straßburg im Europarat eine große Debatte wird. auch hinsichtlich der Aufstellung von Verbin-
darüber gehabt. Im Rahmen dieser Debatte habe ich, dungsstäben und Verbindungsstellen. Darüber wol-
an unsere französischen Nachbarn gewandt- — ich len wir uns — und deshalb ist diese Frage zurück-
hatte das Glück, daß zwei Plätze von mir, in alpha- gestellt — in aller Ruhe im Ausschuß unterhalten.
betischer Reihenfolge, Herr Bidault saß —, folgen- An Hand konkreter Maßnahmen läßt sich das alles
des gesagt. Es gibt drei Möglichkeiten der Verteidi- klar festlegen, und Sie haben gehört, daß unsere
gung für Europa. Die eine Möglichkeit ist, daß die- Vereinbarung. unser Kompromiß. das fair ausge-
ses Deutschland völlig unbewaffnet bleibt. Konse- handelt ist, dahin geht, daß diese Dinge in einer ver-
quenz: Wir Deutschen gehen kaputt und Frankreich fassungsmäßigen Form, d. h. als Teil des Grund-
mit. gesetzes, erledigt werden sollen.
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)
Die Frage der Bundesverwaltung auf dem Ge-
Die zweite Möglichkeit ist die, daß sich jeder Staat biete des Wehrwesens ist ebenfalls in dem Kom-
seine nationale Wehrmacht von früher wieder zu promiß, von dem ich eben sprach, geregelt. Wir
chneidern läßt. Das kann kein Staat mehr-s finan- haben die Zusage, daß es nicht nur selbstverständ-
ziell tragen — gemeinsam trägt sich das in verein- lich und natürlich sei, sondern daß es auch gewollt
fachter Form leichter —, und es führt wieder zu den sei, eine derartige Verwaltung des Wehrwesens
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 567
(Dr. Becker [Hersfeld])
neben der Gesetzgebung, d. h. beides, dem Bund Im übrigen aber, Herr Kollege Erler, wenn all
zu überlassen. Auch das wird im Rahmen des die Einzelheiten, die Sie aufgeführt haben und die
Grundgesetzes geregelt, also auch mit den Modali- zweifellos auf dem Wege der ordentlichen Gesetz-
täten, die für Verfassungsänderungen vorgeschrie- gebung im Wehrgesetz zu regeln sind, Ihrer
ben sind. Auffassung nach schon im Grundgesetz stehen
müßten, — ich weiß nicht, wie lang, wie dick und
Auch einige Worte zu der dritten Frage, der Frage wie umfangreich ein solches Grundgesetz dann
des Oberbefehls. Wenn dieser Antrag gestellt wor- werden soll; denn dann müßte der von Ihnen prokla-
den ist, dann ist er so gestellt worden, als wenn wir mierte Grundsatz nicht nur für die Wehrverfas-
heute noch in einem Parlamentarischen Rat wären. sung, dann müßte er für alle möglichen anderen
Er hat also keinen Bezug auf irgendwelche be- Fragen ebenso gelten.
stimmte Persönlichkeiten, sondern nur auf Institu-
tionen. Und weiterhin: eine der treibenden Kräfte Meine Damen und Herren, Sie wissen, wir
für diesen Antrag war eine Sorge, der auch der haben uns in unserer Fraktion sehr viele Gedanken
Kollege Erler Ausdruck gegeben hat, nämlich die über die Rechtsfragen, von denen ich heute nicht
Sorge, daß wir dem deutschen Soldaten das Gefühl spreche, und über die politischen Fragen gemacht.
geben wollten, daß er unter einer von parteipoliti- Wir sind im Wege einer vertrauensvollen Aus-
schen Erwägungen und Einflüssen völlig freien, sprache mit den anderen Koalitionsparteien zu
neutralen Stelle seinen Dienst versieht. Dieser einem Kompromiß gekommen, das unsere Beden-
psychologische Eindruck war uns eines der wesent- ken dahin gelöst hat, daß die strittigen Fragen im
lichsten Motive bei Stellung dieses Antrages. späteren Zuge der Gesetzgebung anschließend hier-
Dazu haben wir inzwischen auch noch einiges an- an in den von mir und von dem Herrn Bericht-
dere überlegt. Ich teile die Auffassung des Herrn erstatter vorgetragenen Formen der Verfassungs-
Kollegen Erler, daß bei der Regelung des Ober- änderung erledigt werden sollen. Ich möchte bei die-
befehls die Frage mit zu lösen ist, inwieweit vom ser Gelegenheit dem Herrn Berichterstatter — es
Parlament aus Kontrollen einzubauen sind. Gerade ist bisher noch nicht geschehen — für den Bericht,
weil diese Frage im Zusammenhang mit der Frage den er hier vorgetragen hat, ausdrücklich danken.
des Oberbefehls mit zu regeln ist, haben wir uns (Beifall rechts. — Lachen bei der SPD.)
in unserem Kompromiß ausbedungen, daß sie nur
als Teil des Grundgesetzes — nicht sonst — gere- Ich hebe hervor - Herr Kollege Erler setzte
gelt werden darf und daß sie auch nur geregelt Zweifel darein, ob derartige Absprachen gehalten
werden darf unter den Modalitäten, nach denen würden —: Herr Kollege Erler, ich bin in meinen
eine Grundgesetzänderung zu erfolgen hat. jungen Jahren Hauptberichterstatter im Kurhessi-
Herr Kollege Erler, Sie sprachen dann noch von schen Kommunallandtag gewesen und habe dort
Ermächtigungsgesetzen. Ich glaube, wir wissen alle, als Vertreter der Rechten mit dem Vertreter der
was in Wirklichkeit ein Ermächtigungsgesetz ist. Linken, mit Ihrer Partei, auch sehr vertrauensvolle
Absprachen getroffen, ohne sie in irgendein Gesetz
(Sehr richtig! in der Mitte.) oder eine Verfassung hineingeschrieben zu haben.
Ein Ermächtigungsgesetz ist eine gesetzliche Rege- Sie sind gehalten worden. Vertrauen gegen Ver-
lung, die dahin geht, daß die Exekutive Bestim- trauen! Und das gilt auch heute und hier!
mungen treffen darf, die sonst nur die Legislative
(Sehr richtig! rechts.)
im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsganges
bringen darf. Neulich sprach mal ein Journalist mit mir und
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) sagte: Es wäre doch eigentlich gut. daß wir die
FDP hätten;
Von einem derartigen Ermächtigungsgesetz ist hier (Heiterkeit)
keine Rede.
denn bei den anderen Parteien hörte man eigent-
(Erneute Zustimmung bei den Regierungs lich gar nichts. Die FDP gäbe doch wenigstens ab
parteien.) und zu mal Stoff zu Berichten.
Lesen Sie das Grundgesetz nach, und Sie werden
finden, daß an vielen Stellen des Grundgesetzes ge- (Erneute Heiterkeit.)
sagt ist: Das Nähere bestimmt ein Gesetz. Wir haben es getan, und ich glaube, die Herren der
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Presse sind uns keinesfalls undankbar deswegen
Ich habe dem Herrn darauf gesagt: Das eignet sich
Oder versetzen Sie sich in die Zeit der Weimarer eigentlich für ein Gegenseitigkeitsgeschäft; wir sor-
Verfassung zurück, wo ja nun auch, getragen von gen dafür, daß Sie nicht arbeitslos werden, und Sie
Ihren Stimmen (zur SPD), die Frage des Ober- sorgen dann dafür, daß uns damit gewissermaßen
befehls, die Frage der Bundesverwaltung, die- Frage Lebensversicherungsprämien bezahlt werden.
der Bundesgesetzgebung für diesen und jenen
Zweck, auch für Militärzwecke, geregelt war. Dann (Beifall bei der FDP. — Heiterkeit. —
werden Sie finden, daß das Wehrgesetz, das dann Abg. Dr. Schmid [Tübingen]:: Kommen
später erlassen worden ist, nicht durch die Ver- tieren Sie es bitte, wir haben es nicht ver
fassung vorweggenommen war, sondern daß dieses standen!)
Wehrgesetz im ordentlichen Gesetzgebungsgang ent-
standen ist. — Nachher, gerne!
(Sehr richtig! in der Mitte.) (Heiterkeit.)
Also ein Ermächtigungsgesetz liegt nicht vor. Sonst Nun noch einen Blick nach außen, und zwar zu
wäre jeder Rahmen, der in der Verfassung für unseren französischen Nachbarn. Wir hören immer
eine Zuständigkeit abgesteckt ist, ein Ermächti- wieder die Zweifel, die uns gegenüber als Deutschen
gungsgesetz; und das ist er nicht. geäußert werden. Lassen Sie mich nicht alles das
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wieder die Zweifel, die uns als Deutschen gegenüber
568 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Becker [Hersfeld])
büne hiergegen gesagt worden ist. Lassen Sie mich Wir sind uns dabei auch gleichfalls voll bewußt,
nur einen Gesichtspunkt noch hervorheben. Als daß es sich heute nur um den er st en Bericht
1879 der Fürst Bismarck auf dem Berliner Kongreß handelt, wie der Herr Berichterstatter von Merkatz
seine Vermittlerolle zur Erhaltung des euro- ausdrücklich festgestellt hat, um die Entscheidung
päischen Friedens gespielt hatte, hatte er es damit der zwei vordringlichsten Fragen, einmal die ver-
mit Rußland verdorben, so daß die frühere Verbin- fassungsrechtliche Klarstellung, die Verfassungs-
dung Preußen-Rußland, die von 1815 ab gedauert verdeutlichung, eine authentische Interpretation
hatte, zerrissen war. Nach dem Westen ließ sich da- der Wehrhoheit des Bundes durch den Gesetzgeber,
mals kein Band knüpfen. Er mußte eine Mittelstel- die verfassungsmäßig zweifellos zulässig ist, und
lung in Europa ausbauen, und er tat dies in der zum andern die endgültige Zustimmung und Ver-
Form des Dreibundes. wirklichung der Verträge von Bonn und Paris.
Seine Nachfolger wollten die Politik einer be- Alle weiteren Fragen, auf die ich hier nicht näher
waffneten Mittelstellung weiterführen, und das Er- eingehen will, bleiben anhängig und müssen zur
gebnis war der Krieg von 1914 bis 1918 und sein rechten Zeit nach Recht und Gesetz verhandelt und
Ende. Dann hat trotz aller dieser Erfahrungen Hit- entschieden werden.
ler noch einmal dasselbe Experiment gemacht, und Wir stimmen zunächst der verfassungsrechtlichen
das Ende war unser Zusammenbruch und unsere Feststellung der Wehrhoheit des Bundes im Art. 73
Vernichtung. Es gibt in diesem Europa, an dieser Abs. 1 zu mit einer Wehrpflicht nur für wehrfähige
Stelle, wo Deutschland liegt — eine Stelle, die Männer über 18 Jahre, besonders auch zum
zugleich gefahrvoll für uns, aber politisch ent- Schutze der wehrlosen Zivilbevölkerung, unserer
scheidend ist -, keine selbständige Politik mehr Frauen, Kinder und alten Menschen. Dabei wird
ohne Anlehnung an die eine oder andere Seite. im Grundgesetz ausdrücklich nur von der Verteidi-
Daß keine Anlehnung nach dem Osten hin möglich gung gesprochen, einer gemeinsamen Verteidigung
ist, ist klar. Übrigbleibt nur die Anlehnung an den unseres Lebens, unserer Sicherheit, unserer Frei-
Westen. Ich glaube, die Entwicklung auch der Auf- heit, unserer Familien, unserer geistigen und
fassung der SPD dahin zu verstehen, daß sie eben- materiellen Güter vor jeder drohenden Gefahr, die
falls zu dieser Überzeugung kommen wird. Es immer noch nur allzu deutlich vor uns steht. Man
würde mich freuen. Wir haben alle aus diesen Er- wird es wohl auch im Ausland gerade unserer Ge-
fahrungen gelernt und werden diese bitteren Er- neration, die zwei Weltkriege erlebt hat, glauben
fahrungen, die wir gemacht haben, nie vergessen. müssen, daß wir keinen dritten Weltkrieg wollen,
Dann noch ein Zweites! Im Verteidigungsaus- daß wir unser gutes Recht nur auf friedlichem
schuß der französischen Nationalversammlung ist Wege, ohne Haß und Rache, nicht über frische Sol-
die Frage aufgeworfen worden, was eigentlich die datengräber hinweg, erreichen wollen. Wir möch-
Deutschen jetzt an ihrem Grundgesetz änderten ten es doch endlich einmal in dieser Welt erleben,
und wozu. Das müsse einmal gründlich untersucht daß nicht die Idee der Gewalt, sondern die Gewalt
werden. — Wenn im 19. Jahrhundert, im Zeitalter der Idee zur Geltung kommt.
eines Übernationalismus, derartige Fragen aufge- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
klungen wären, hätte es bestimmt eine große
Pressefehde gegeben. Ich antworte statt dessen — Aber unser ganzes Leben, meine sehr geehrten
und ich glaube, meine Damen und Herren, in Ihrer Damen und Herren, unsere Arbeit am Wiederauf-
aller Namen zu sprechen — mit folgendem. Ich bau unserer Heimat, am Glück und Wohlstand un-
bitte hiermit die französischen Kollegen, nach Bonn serer Familien, an der Eingliederung in eine bes-
zu kommen. Wir werden ihnen in der fairsten, in sere, schönere Zukunft, wäre sinnlos, wenn wir
der loyalsten und in der weitestgehenden Weise nicht bereit wären. uns im Ernstfall zu verteidigen
hier an Ort und Stelle Auskunft geben, warum und dafür rechtzeitig alle Vorbereitungen zu tref-
das geschieht, warum wir das alles nach unserer fen. Wer von uns den kommunistischen Osten
Unterschrift unter den EVG-Vertrag nötig haben. kennt, wer drüben in Rußland war, die Besetzung
Dann, möchte ich hoffen und wünschen, müßten und Austreibung aus unserer Heimat miterlebt hat,
sich Zweifel und Mißverständisse beseitigen lassen. wer von uns weiß, daß drüben im Osten vielfach
Ich hoffe, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich ganz andere Begriffe von Menschheit und Religion,
sage: die Herren mögen, wenn sie untersuchen Zeit und Raum und Recht und Gesetz herrschen
wollen, kommen; sie sollen uns zur Aufklärung als hier bei uns, der kennt auch die Gefahr aus
willkommen sein. dem Osten, die uns allen droht. Wir können und
dürfen daher dieser anderen Welt nicht wehrlos
(Beifall rechts und in der Mitte.) und schutzlos gegenüberstehen. Wir müssen Ver-
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abge- bündete suchen und finden, weil wir allein zu
ordnete Dr. Czermak. schwach sind und uns nur die Eingliederung in die
große Europäische Verteidigungsgemeinschaft stark
Dr. Czermak (GB/BHE): Herr Präsident! Meine macht. Dem kommunistischen Osten imponiert man
sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion des nur durch eine Politik der Stärke. nicht durch Zwei-
Gesamtdeutschen Blocks/BHE sagt zur vorliegen- fel und durch Schwäche. Der gefährliche, höchst be-
den Fassung des Antrags des Rechtsausschußbe- denkliche Spruch ..Si vis pacem, para bellum" —
richtes ein klares, deutliches, einheitliches Ja. ,,Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg"
— ist leider trotz Völkerbund und Abrüstungskon-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ferenzen aus unserer Welt immer noch nicht ver-
Jedes Bekenntnis zum Gedanken einer euro- schwunden. Wir wollen keinen Krieg bereiten; wir
päischen Verteidigungsgemeinschaft, zum freien wollen Ruhe und Frieden. Aber dieser Frieden muß
demokratischen Westen, zur abendländischen Kul- gesichert, muß verteidigt werden, und nur darin
tur, ist eine Frage der Gesinnung, der innersten sehen wir den Sinn und Zweck einer künftigen
Überzeugung und verlangt daher auch in entschei- Wehrmacht im Rahmen einer europäischen Ver-
dender Stunde eine offene und klare Entscheidung teidigungsgemeinschaft. Das soll und muß eine
aller, die gleichen Sinnes sind. demokratische Wehrmacht werden, Staatsbürger in
(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.) Uniform, dem Geist unserer Zeit entsprechend.
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 569
(Dr. Czermak)
Wir stimmen auch dem Zusatz in Art. 79 bezüg- denn diese Leidenschaftlichkeit kommt aus einer
lich künftiger völkerrechtlicher Verträge, besonders langjährigen und ernsten Bemühung um diese
Friedens- und Verteidigungsverträge, zu, eben- Probleme und aus einer ehrlichen Überzeugung.
falls dem Art. 142 a in der Fassung des Berichts, Aber, ich glaube, das Pathos, das in seiner Rede
worin ausgesprochen wird, daß die Bestimmungen zum Ausdruck kam
des Grundgesetzes dem Abschluß der beiden Ver- (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Sie meinen
träge von Bonn und Paris nicht entgegenstehen. doch wohl Herrn Gerstenmaier!)
Wenn wir aber diese Verträge bejahen — und dies
hat die überwiegende Mehrheit des deutschen Vol- — ich spreche von Herrn Erler —,

kes getan, (weitere Zurufe von der SPD)


(Beifall bei den Regierungsparteien) war angebracht, als wir uns hier über die Verträge
wie die Wahl im September des Vorjahres bewie- unterhalten haben. Ich glaube kaum, daß es heute
sen hat --, dann muß man auch ihre Verwirk- noch angebracht ist; denn wir haben heute gar
lichung wollen. Hier handelt es sich zweifellos um keine Sachentscheidung mehr zu fällen. Diese
eine hochpolitische Frage, die daher auch zunächst Sachentscheidung hat der erste Deutsche Bundes-
politisch gelöst werden muß, und zwar mit der im tag erstmals im Dezember 1952 gefällt; er hat sie
Grundgesetz vorgeschriebenen Mehrheit. einige Monate später wiederholt. Wir ziehen heute
Wenn dies nun tatsächlich geschieht, wenn diese auf Grund des Wahlergebnisses aus dieser Sach-
Fragen legal nach der Verfassung gelöst werden, entscheidung, die das Volk bestätigt hat, nur noch
dann sollte man sich als Demokrat davor hüten, einige formale Konsequenzen.
von einer Mißgeburt zu sprechen. (Beifall bei den Regierungsparteien. —
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Zurufe von der SPD.)
Bei allem schuldigen Respekt vor der Justiz — Das Ja, das die Regierungsparteien damals den
Justitia regnorum fundamentum — muß ich Ihnen, Verträgen gegeben haben, war für viele von uns —
meine Damen und Herren, ganz offen erklären, daß vielleicht für alle — ein in schwerem inneren
man draußen im Volk für alle diese Streitfragen, Kampfe errungenes Ja. Es ist aber darum heute
für diese positiven und negativen Kompetenzkon- ein um so klareres und ein um so überzeugteres
flikte zwischen Justiz und Politik herzlich wenig Ja, und wir vermögen es heute deshalb erneut ein-
Verständnis hat. deutig und klar auszusprechen.
(Beifall heim GB/BHE und bei der Sie können uns fragen, warum wir überhaupt
CDU/CSU.) eine Verfassungsergänzung wollen; denn wir ver-
Grillparzer hat vor etwa 100 Jahren schon gesagt: treten auch heute noch die Rechtsauffassung, daß
diese Verfassungsergänzung an sich nicht rechts-
Hört, ihr Leut und laßt euch sagen: notwendig ist. Wir sprechen deshalb auch nicht von
Die Politik hat die Justiz erschlagen. einer Verfassungsänderung, weil es sachlich keine
Heutzutage könnte man manchmal fast den Ein- Änderung ist, sondern nur eine Ergänzung, die der
druck haben, daß man auch das Gegenteil sagen Verdeutlichung nach allen Seiten dient. Wenn Sie,
könnte. Herr Kollege Erler, uns gefragt haben, warum
(Beifall rechts.) wir nun diese Verfassungsergänzung vornehmen,
dann kann ich darauf schlicht und einfach ant-
Dabei ist es uns allen aber selbstverständlich, daß worten: um die Skrupel der Opposition zu be
neben den politischen auch alle rechtlichen,-seitigen!
beson-
ders verfassungsrechtlichen Fragen gründlich ver-
handelt und geklärt werden müssen. Die Diskus- (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs
sion über alle diese Fragen ist auch durch die parteien.)
heutige große Debatte nicht abgeschlossen; sie geht Man hat diese politische Frage an das höchste
bezüglich der offenen Fragen, die ja hier bereits deutsche Gericht nach Karlsruhe getragen. Wir sind
erwähnt wurden, weiter. der Überzeugung, daß dies dem Gedanken des
Zum Schluß aber — ich will mich hier nicht auf Rechtsstaates nicht gutgetan hat,
Wiederholungen einlassen — möchte ich nochmals (Sehr richtig! in der Mitte)
feststellen: meine politischen Freunde stehen mit
mir auf dem Standpunkt, daß man ein begonnenes weil es sich hier nicht um eine justitiable, nicht um
Werk auch vollenden muß, insbesondere wenn es eine Rechtsfrage handelt, sondern um die elemen-
tare politische Frage, ob das deutsche Volk wie
sich um entscheidende Fragen der ganzen Nation
handelt. alle anderen Völker der Welt das Recht hat, sich zu
(Beifall in der Mitte.) schützen und zu verteidigen.
- (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Bezüglich aller weiteren Fragen, die heute nicht
zur Entscheidung stehen, behalten wir uns unsere Zurufe von der SPD.)
Stellungnahme vor. Dem vorliegenden Ausschuß- Man soll uns nicht sagen, wir gingen hier mit der
antrag aber werden wir, wie ich bereits eingangs Würde der Verfassung in irgendeiner zweifelhaften
erklärt habe, einstimmig zustimmen. Weise um. Wer ist denn mit der Würde der Ver-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) fassung umgegangen
(Sehr richtig! in der Mitte)
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abge-
ordnete Dr. Jaeger. und hat zur Erzielung politischer Zwecke in Karls-
ruhe eine Klage angestrengt?
Dr. Jaeger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
Damen und Herren! Ich achte die Leidenschaftlich- teien.— Zuruf von der SPD: Wie ist das
keit, mit der Herr Kollege Erler vorhin seinen mit den gefälschten Dokumenten? —
Standpunkt und den seiner Fraktion dargelegt hat; Weitere Zurufe von der SPD.)
570 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Jaeger)
— Sie wissen ganz genau, meine Damen und Her- Unbeschadet dessen, wie wir grundsätzlich zu der
ren von der Sozialdemokratischen Partei, daß Sie Frage der Todesstrafe stehen, haben wir, solange
im alten Bundestag, wenn Ihre Rechtsauffassung sie das Grundgesetz ausschließt, das zu achten und
die richtige gewesen wäre, uns politisch in der achten es auch. Wir stellen an diesem Beispiel wie-
Hand gehabt hätten, weil es einer Zweidrittel- der einmal fest, daß die These eben nicht richtig ist,
mehrheit bedurfte, um das Grundgesetz zu ändern, die Verträge stellten eine Oberverfassung dar; denn
und daß Sie die Absicht hatten, sich über die Zwei- hier gilt ja das Recht des Grundgesetzes vor dem
drittelmehrheit mit Ihren Stimmen den Platz im Recht der Verträge.
Kabinett zu erringen, den Sie natürlich politisch
legitimerweise erstreben. Aber diesen Druck hat (Abg. Dr. von Brentano: Gut!)
der deutsche Wähler von uns genommen. Wenn Sie aber den Begriff der Oberverfassung
(Beifall bei den Regierungsparteien. schon einmal in die Diskussion einführen wollen,
Zurufe von der SPD.) muß ich doch darauf hinweisen, daß wir derzeit
unter der Oberverfassung des Besatzungsstatuts
Sprechen Sie doch nicht davon, daß wir die parla- leben und diese „Oberverfassung" mit dem Deutsch-
mentarische Demokratie entmachten wollten. Das land-Vertrag abschaffen.
hat Ihnen Herr Dr. Becker schon widerlegt. Ich
kann noch hinzufügen: von der Entmachtung der (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
parlamentarischen Demokratie hätte man eigent- Dr. Menzel: Und die Notstandsklausel? —
lich bei denen sprechen können, die diese politische Weitere Zurufe von der SPD.)
Frage vor ein Gericht getragen haben. Was den Vertrag über die Europäische Verteidi-
(Erneuter Beifall bei den Regierungs gungsgemeinschaft angeht: Was sorgen Sie sich
parteien.) darum, wenn hier nun tatsächlich einmal eine Be-
Im übrigen handeln wir bei dieser unserer Ent- stimmung eines europäischen Rechts dem deutschen
scheidung nur in Konsequenz der Bundestagswah- Recht vorgeht, nachdem Sie uns auf Grund ihrer
len vom 6. September, die einen eindeutigen Volks- unitarischen Staatsauffassung j a immer wieder erzäh-
entscheid darstellen. len, daß Bundesrecht Landesrecht bricht! Lassen
(Zuruf von der SPD: Wahlschwindel!) Sie das doch nicht nur im Verhältnis zwischen dem
deutschen Bund und seinen Ländern gelten, son-
Wir dokumentieren nur mit der vom Volk ge- dern auch zwischen dem kommenden Europa und
gebenen Zweidrittelmehrheit diesen politischen Wil- den einzelnen Nationalstaaten!
len in einer Erläuterung und Ergänzung des
Grundgesetzes. Sie können nicht behaupten, Herr (Lebhafter Beifall in der Mitte. — Lachen bei
Kollege Erler, die Zweidrittelmehrheit ginge hier der SPD. — Abg. Tenhagen: Das hat der
mit einer Handbewegung über das Grundgesetz „Billige Jakob" auch schon mal gesagt!)
hinweg. — Auf diesen Jahrmarktston möchte ich meine
(Zuruf von der SPD: Tut sie aber!) Rede nicht abstimmen; den überlasse ich der Oppo-
Wir ändern oder ergänzen das Grundgesetz nur sition.
mit der Methode, die dieses Grundgesetz selbst (Beifall in der Mitte. — Zuruf von der SPD:
festgelegt hat. Darin sind Sie Spezialist!)
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Was die Wehrhoheit betrifft, so ist es Sache die-
Für uns ist der Auftrag des von Ihnen so oft ses Parlaments, ob es die große oder die kleine
zitierten souveränen Volkes, wie er am 6. Septem- Lösung treffen will. Herr Erler hat zwar gemeint,
ber zum Ausdruck kam, keine Handbewegung, man könne diese Lösung nur ganz oder gar nicht
sondern eine verpflichtende Entscheidung. treffen; aber er hat es nicht begründet. Es liegt
beim Parlament, ob es eine Ergänzung des Grund-
(Erneuter lebhafter Beifall bei den Regie gesetzes in einem Stück oder in zweien oder gar
rungsparteien. — Zuruf von der SPD: in dreien beschließen will.
Gefälschte Dokumente!)
Es handelt sich deswegen auch nicht um ein Amne- (Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)
stiegesetz für eine vergangene, vielleicht nicht ganz Wir haben uns dafür entschieden, die kleine Lösung
ausreichende Mehrheit, sondern allein um die Voll- zu wählen, um jeden Zweifel über das Vertragswerk
streckung dieses Volkswillens. und die Wehrhoheit des Bundes im Innern und
Was besagt nun die Verfassungsergänzung? Ein nach außen zu beseitigen und um Zeit zu haben,
Doppeltes: sie erklärt die Wehrhoheit des Bundes die Probleme ernsthaft zu lösen, die uns alle —
und beseitigt Zweifel, die darüber entstanden sind, auch Sie, meine Damen und Herren (zur SPD) —
ob das Vertragswerk mit dem Grundgesetz über- beschäftigen sollten, wofür jedenfalls jetzt in bei-
einstimmt. Man kann uns zu diesem letzten- Punkt den Ausschüssen noch nicht Zeit gegeben war.
nicht mit dem Einwand kommen, hiermit seien die Wir sehen in dieser Teilung keinen Blankoscheck
Verträge eine „Oberverfassung", und der deutsche für eine einmalige Gesetzgebung durch einfaches
Bürger müsse in ihr erst nachlesen, was für ihn Gesetz, keinen Blankoscheck für die Mehrheitsfrak-
gelte. Erlauben Sie mir, daß ich aus dem Bereich, tion dieses Hauses. Wir sind der Überzeugung —
in dem ich seinerzeit in diesem Hause die Bericht- und sie ist von den maßgeblichen Sprechern der
erstattung hatte, als Beispiel einen einzelnen Punkt Bundesregierung ebenso wie von dem Herrn Be-
herausgreife. In den Verträgen wird von der Todes- richterstatter zum Ausdruck gekommen —, daß
strafe gesprochen. Trotzdem steht fest, auch in den eine zweite Ergänzung des Grundgesetzes kommen
Verträgen, daß sie in den Ländern nicht angewandt wird, eine Ergänzung, die die Beschränkung der
werden kann, in denen sie verfassungsmäßig oder Grundrechte auszusprechen und zu umschreiben,
sonst rechtlich verboten ist. das Ernennungsrecht des Bundespräsidenten für
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen] : Sie ist be Offiziere und Unteroffiziere festzulegen, die Frage
sonders ausgenommen!) des Oberbefehls zu regeln hat, auch die Frage der
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 5 71
(Dr. Jaeger)
Wehrverwaltung, die eine Bundesverwaltung sein Arbeiterschaft und der Wehrmacht. Meine Damen
wird, die Frage einer möglichen Auftragsverwal- und Herren (zur SPD), aus welcher verstaubten
tung im Sinne der Drucksache 124, die Einführung Mottenkiste des 19. Jahrhunderts haben Sie denn
von Wehrmachtgerichten und schließlich die Ver- dieses Argument hervorgeholt?
wirklichung des landsmannschaftlichen Prinzips. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Er
Wir halten daran fest, daß bei der Gesetzgebung neute Zurufe von der SPD: Jahrmarktsrede!)
auf diesem Gebiet, wie es in dem Antrag von drei Von der Pflichterfüllung, die die deutsche Arbeiter-
Koalitionsfraktionen heißt, auch die Gliederung des schaft in zwei Weltkriegen für ihr Vaterland ge-
Bundes in Länder und die besonderen landsmann- leistet hat, haben Sie vielleicht noch keine Kennt-
schaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind. nis genommen!
Da wir das heute nicht zu entscheiden haben,
brauche ich nicht ausführlich darauf einzugehen, um (Erneut lebhafter Beifall in der Mitte und
so weniger als der Herr Berichterstatter hierüber rechts. — Anhaltende Zurufe und Unruhe bei
in völlig zutreffender Weise gesprochen und damit der SPD. — Zurufe von der SPD: Unver
auch unsere Überzeugung zum Ausdruck gebracht schämt! Lausbüberei!)
hat. Nachdem in einer tausendjährigen deutschen Sicherlich haben Sie davon noch keine Kenntnis
Geschichte die Wehrmacht in Deutschland stets genommen, daß am 6. September zum ersten Male
landsmannschaftlich gegliedert war — mit Aus- in einem noch nie dagewesenen Umfang ein Ein-
nahme einiger weniger Jahre in jenem Dritten bruch der Regierungsparteien in die deutsche Ar-
Reich, das niemand von uns zum Vorbild nehmen beiterschaft hinein erfolgt ist, und zwar gerade bei
wird —, soll es auch in Zukunft dabei bleiben, um der Frage der Wehrhoheit.
so mehr als wir damit für das Grundgesetz nur (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
fordern, was in der Weimarer Verfassung bereits teien. — Abg. Marx: Machen Sie sich keine
ausgesprochen war, in der Weimarer Verfassung, Illusionen!)
die zweifellos dem unitarischen Gedanken näher-
Herr Kollege Erler hat dann einen Satz gespro-
und dem föderativen fernerstand als das Grund- chen, den man allerdings nicht deutlich genug wie-
gesetz. derholen und auch außerhalb dieses Hauses immer
Meine Damen und Herren! Dieses landsmann- wieder wiederholen kann. Er hat gesagt, die Mehr-
schaftliche Prinzip ist für uns keine föderalistische heit entscheide nicht, wer recht hat, sondern wem
Prinzipienreiterei, schon gar nicht die Einführung sie recht gibt. Das entspricht allerdings seit jeher
irgendeines neuen Gedankens in das Grundgesetz, der von uns vertretenen Staatsauffassung, nach der
sondern nur die Konsequenz aus seinem rechtlichen es eine Wahrheit gibt, die vor jedem Parlament
Aufbau und auch die Konsequenz aus praktischen, existiert, und ein Recht, das vor jeder staatlichen
sogar aus militärischen und militärpolitischen Er- Ordnung und vor jeder parlamentarischen Arbeit
fordernissen; denn ich habe noch von keiner Seite, gegeben ist.
die über militärische Erfahrung verfügt, hiergegen (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Erler:
irgendeine Einwendung gehört. Dieses Anliegen Herr Kollege Jaeger!)
aber ist nicht nur ein solches der Christlich-Sozialen
Union in Bayern, es ist ein solches der gesamten Diese Begrenzung des aus der Aufklärung stam-
Fraktion der CDU/CSU, menden Begriffs der Volkssouveränität — —
(Abg. Erler: Endlich begreifen Sie, daß Sie
(Abg. Dr. von Brentano: Richtig!) diese Auffassung nicht gepachtet haben, son-
und es bedeutet für uns die Voraussetzung zur Zu- dern daß es auch andere anständige Leute
stimmung zur Wehrverfassung und zum Wehrgesetz. gibt, die so denken! — Zurufe von der
Jedoch ist jetzt nicht der Zeitpunkt, diese Fragen CDU/CSU: Weiter!)
des landsmannschaftlichen Prinzips, des Ober- — Eine Erkenntnis ist an sich nicht nur eine Frage
befehls und der anderen Punkte, die ich erwähnt der Anständigkeit, sondern auch der Vernunft. Ich
habe, zu entscheiden. Diese Fragen bleiben bei den habe Ihnen, Herr Kollege Erler, niemals die An-
beiden Ausschüssen anhängig. Wir haben heute nur ständigkeit und auch niemals die Vernunft abge-
die Entscheidung des ersten Bundestages in neuer sprochen. Wir diskutieren doch hier auf einer per-
Form zu wiederholen, die Entscheidung, die da- sönlich fairen Basis. Aber ich darf Ihnen doch
mals die CDU, die CSU, die FDP, die Deutsche auch erklären, daß Sie einmal recht haben, nach-
Partei und die Bayernpartei gefällt haben und die dem Sie sich nach meiner Überzeugung recht oft
nunmehr verfassungsmäßig ihren Ausdruck finden
irren. Das ist meine ebenso ehrliche Überzeugung.
soll.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Daß die Sozialdemokratische Partei nein sagt,
haben wir wahrhaftig nicht anders erwartet; das Aber ich möchte hier an etwas ganz anderes er-
hat Herr Kollege Erler richtig ausgesprochen. - Denn innern. Im Deutschen Reichstag hat der Abgeord-
wir wissen genau, daß diese Partei nun einmal nete Otto Wels der Sozialdemokratischen Partei
festgefahren ist, einmal erklärt, er wolle lieber mit der Mehrheit
irren als gegen die Mehrheit recht behalten. Meine
(Lachen bei der SPD) Damen und Herren, da scheint mir doch der Fort-
und wir wollen sie da auch nicht von ihrem Riff schritt der Erkenntnis in der Sozialdemokratie trotz
herunterbringen. allem, was man sonst sagt, greifbar, und wir freuen
(Lebhafter Beifall bei den Regierungspar uns darüber.
teien. — Zurufe von der SPD. — Abg. Marx: (Heiterkeit in der Mitte und rechts.)
Das ist eine Jahrmarktsrede! Der billige Im übrigen mag der Unterschied darin bestehen, daß
Jakob!) die Sozialdemokraten früher mit der Mehrheit ge-
Die Argumente, die dabei vorgebracht werden, irrt haben und heute mit der Minderheit irren.
kommen mir doch recht merkwürdig vor. Ich habe (Erneute Heiterkeit und Beifall in der Mitte
da gehört von dem alten Gegensatz zwischen der und rechts.)
572 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Jaeger)
Aber über den Irrtum werden wir uns natürlich Natürlich muß man auch manchmal etwas zu-
streiten können, und erst die Historiker werden stimmen, das man nicht für ganz vollkommen hält
sagen, wer wirklich recht gehabt hat. — aber das kann man doch nur im Rahmen ge-
wisser Grenzen tun, und wo diese Grenzen liegen,
Sicher aber ist, Herr Erler, und darauf darf ich hat in Gottes Namen der zu bestimmen, der die
mich beziehen, daß das deutsche Volk mit Zwei- Verantwortung für sein Ja und Nein zu tragen
drittelmehrheit den Regierungsparteien recht ge- hat;
geben hat, und auf Grund unserer Überzeugung, (Sehr richtig! bei der SPD)
unseres Gewissens und der vom Volk gegebenen
Ermächtigung sagen wir heute ja. da gibt es keine Gefolgschaftspflicht der Minder-
heit der Mehrheit gegenüber!
(Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regie
rungsparteien. — Zurufe von der SPD.) (Beifall bei der SPD.)
Auf Ihrer Seite, meine Damen und Herren, hat
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abge- man in sehr entscheidenden Stunden unserer
ordnete Dr. Schmid. Nation selbst so gehandelt. Ich erinnere die Herren
von der Deutschen Partei daran, daß sie gegen das
Dr. Schmid (Tübingen) (SPD): Herr Präsident! Grundgesetz gestimmt haben,
Meine Damen und Herren! Ich habe einige Aus- (Sehr wahr! bei der SPD)
führungen zu machen, nicht um die Rede meines
Freundes Erler zu ergänzen, sondern um auf einige weil es ihnen nicht vollkommen genug war. Und
der Vorbringen zu antworten, die wir hier zu ich erinnere Sie, Herr Dr. Jaeger, an die gleiche
hören bekommen haben. Haltung der CSU in demselben Parlamentarischen
Rat. Sie haben gegen das Grundgesetz gestimmt,
Der Herr Abgeordnete Becker hat in seinen weil es Ihnen nicht vollkommen genug war, und
Darlegungen ausgeführt, die Sozialdemokratische der Bayerische Landtag hat sich Ihnen ange-
Partei habe heute wieder einmal gesagt, daß sie schlossen.
das zur Verteidigung der Bundesrepublik Notwen-
dige nur im Rahmen der Vereinten Nationen zu- (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg.
zugestehen bereit sei. Er hat vorher in einer recht Dr. Dehler: Alle diese Entscheidungen
balladesken Weise von dem „Donner der Kanonen" waren doch falsch, Herr Kollege Schmid!)
gesprochen, der unsere Debatte begleitet habe. Er Soll ich denn hier auch, Herr Dr. Jaeger, von den
hat die Schlacht von Valmy bemüht. Vielleicht verstaubten Mottenkisten — des Partikularismus
hätte er auch von dem „Donner der Kanonen" — des 19. Jahrhunderts reden?
sprechen können, von dem Don Basilio im „Barbier (Erneuter starker Beifall bei der SPD.)
von Sevilla" in der Arie singt, die Sie sicherlich
kennen. Sei dem, wie ihm wolle, offensichtlich hat Ich tue es nicht, Herr Dr. Jaeger, weil es uns mit
ihm dieser Kanonendonner das Gehör verschlagen, unserem Anliegen ernst ist, daß wir uns so zuein-
ander verhalten sollten, daß wir miteinander das
(Heiterkeit bei der SPD)
gemeinsam Notwendige tun können, ohne auf
sonst hätte er nämlich unseren Sprecher nicht so Selbstachtung verzichten zu müssen.
verstehen können, wie er ihn verstanden hat. Es ist davon gesprochen worden, wir hätten
Ich wiederhole — ich weiß nicht zum wievielten heute keine Sachentscheidung zu treffen, sondern
Male —: Für das vereinigte Deutschland — für das nur — gewissermaßen als die Notare oder Rechts-
vereinigte Deutschland, Herr Dr. Bek- konsulenten der Wähler — das auszuführen, was
ker, nicht für die Bundesrepublik! — scheint uns sie am 6. September beschlossen hätten. Man hat,
die wirksamste Möglichkeit, in ein Sicherheits- um dies zu begründen, hier eine erstaunliche Juris-
system eingebaut zu werden, der Rahmen, den prudenz entwickelt. Die Frage: Was kann man mit
die Satzungen der Vereinten Nationen ziehen. einer Verfassung machen, wie kann man mit einer
Für die Bundesrepublik — das heißt, so- Verfassung umgehen? führt nicht zu einer Formal-
lange die Spaltung Deutschlands dauert — sind entscheidung, sondern zu einer Sachentscheidung,
wir bereit, das zur Verteidigung Nötige im Rah- einer politischen Entscheidung ersten Ranges!
men jeder Möglichkeit zu tun, die erstens echte (Beifall bei der SPD.)
Sicherheitschancen bietet, zweitens die Wiederher- Hier ist gesagt worden — es ist dem Bericht des
stellung der Einheit Deutschlands nicht gefährdet Herrn Berichterstatters nach im Rechtsausschuß
und schließlich uns die echte Gleichberechtigung sehr ausgiebig ausgeführt worden —, die Verfas-
gibt. sung sei zwar ein Gesetz von besonderer Feierlich-
(Zuruf von der CDU/CSU: Na also!) keit, aber im Grunde doch ein Gesetz, das der Sub-
-
Damit sage ich nichts Neues, sondern wiederhole stanz nach ein Gesetz wie jedes andere sei. Man
zum hundertsten Male, was hier schon gesagt wor- könne darum mit entsprechenden Mehrheiten die-
den ist. Für die Zeit der Spaltung Deutschlands ses Verfassungsgesetz durch und durch verändern.
sind wir bereit, unter diesen Voraussetzungen auch Was die „Verfassung" von anderen Gesetzen un-
Lösungen zuzustimmen, die man im klassischen terscheide, sei, daß die Abänderung erschwert sei.
Sinne des Sprachgebrauchs nicht als Systeme kol- Wenn man legal über diese Hürden springe, könne
lektiver Sicherheit ansprechen könnte. man die Verfassung auch in entscheidenden Punk-
ten ändern. — Wir kennen diese Jurisprudenz. Sie
Nun sagen Sie: „Dann stimmt doch dem EVG- ist von Laband eingeleitet und bis in den Kom-
Vertrag zu!", und Sie sagen uns, wir stimmten mentar weitergeführt worden, den Anschütz zur
offenbar nur deswegen nicht zu, weil wir Per- Verfassung von Weimar geschrieben hat. Das ist
fektionisten seien und uns nun einmal nicht alles ein verhängnisvoller Weg gewesen; und ich als
an diesem Vertrage gefalle. Sie wissen, daß das Sozialdemokrat stehe nicht an Ihnen zu sagen, daß
nicht stimmt, und es ist Ihnen gestern sehr aus- ich sehr vieles aus der Kritik der konservativen
führlich gesagt worden, daß das nicht stimmt. Juristen der Mitte des 19. Jahrhunderts für sehr
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 573
(Dr. Schmid [Tübingen])
begründet halte, der Kritik gegen diesen Holzweg Gewaltenteilung oder alle Gewalt in einer Hand,
der Jurisprudenz einer Zeit, die zu sehr geglaubt ob parlamentarische Demokratie oder plebiszitäre
hat, daß im Recht der Zweck das Entschei- Demokratie, ob relative Grundrechte oder absolute
dende sei. Ich erinnere Sie auch, Herr Kollege Grundrechte: das sind Grundentscheidungen über
Jaeger — und hoffe dann Ihren heimatlichen Stolz Lebenswerte. Sie machen die Verfassung aus. Wer
zu wecken —, an den großen bayerischen Juristen diese Dinge ändert, der ändert nicht nur etwas
Seidl und dessen Kritik gegen diese Rechtswissen- an der Verfassung, sondern der macht eine ihrer
schaft. Er war zwar ein greulicher Partikularist, Substanz nach andere Verfassung
aber er war auch ein großer Jurist, dieser Ihr (Zustimmung bei der SPD)
Landsmann.
(Heiterkeit.) als die Verfassung, für die das Volk sich im ent-
scheidenden Augenblick entschieden hat. Wie man
Ich will damit nicht gesagt haben, daß alle greu- diese politischen und ethischen Grundentscheidun-
lichen Partikularisten große Juristen seien . . . gen im einzelnen ausgestaltet, das ist in weitem
(Erneute Heiterkeit. — Abg. Schütz: Aber Umfang variabel. Aber die Grundentscheidung
auch nicht alle großen Juristen greuliche selber ist unantastbar, wenn die Verfassung sich
Partikularisten!) gleichbleiben soll.
Nun, der „Konservativismus", von dem heute (Abg. Dr. Jaeger: Bleibt sie ja auch!)
einiges zu hören war, bringt mich in die Ver-
suchung, ein altes pseudokonservatives Wort: Will man anders verfahren, nun, dann muß man sieh
„Und der König absolut, wenn er unseren Willen dafür entscheiden, aus der Verfassung heraustreten
tut" abzuwandeln: „Und die Verfassung absolut, zu wollen. Das ist dann in allen Formen der Lega-
wenn sie unseren Willen tut. Tut sie uns den nicht, lität eben ein revolutionärer Akt oder ein kalter
dann werden wir schon sehen, was wir mit ihr Staatsstreich oder wie man es sonst nennen mag.
machen." (Oho-Rufe von den Regierungsparteien.)
(Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)
Wenn ich zu Ihnen von einem kalten Staatsstreich
Wenn man der These der Mehrheit folgte, dann spreche, dann denke ich nicht an Dinge, wie sie ge-
wäre dieser Bundestag eine Art von Konstituante, genwärtig mancherorts vor sich gehen.
die in Permanenz tagt, und die Verfassung wäre
dauernd etwas wie ein knetbarer Teig in den (Heiterkeit.)
Händen der jeweiligen Zweidrittelmehrheiten; Es wurde davon gesprochen, was hier geschehe,
(Abg. Kunze [Bethel]: Aber Herr Schmid!) gehe doch alles legal vor sich. Vielleicht! Aber ob
etwas Recht ist oder ob es nur den Schein des
er könnte dann als eine Art sekundärer Schöpfer— Rechts an sich trägt, nun, das bestimmt sich nicht
Herr Kollege Kiesinger, Sie verstehen sicher, was nur aus der Legalität, sondern auch aus der Legi-
ich hier sagen will — das ursprüngliche Schöp- timität des Vorgangs. Nur wenn sich die formale
fungswerk jederzeit in sich selbst erneuern. Nun, Legalität innerhalb der substantiellen Legitimität
diese Art von Jurisprudenz hat u. a. auch das Er- vollzieht, schafft sie Recht. Legalität ohne Legiti-
mächtigungsgesetz vom März 1933 möglich gemacht. mität kann nur ein Monstrum gebären. Legitim ist
Bitte mißverstehen Sie mich nicht. Ich werfe aber nur, was in Ausführung der ethischen, politi-
Ihnen nicht vor, daß Sie ein solches Ermächtigungs- schen Grundentscheidung geschieht, die die verfas-
gesetz wollen. sunggebende Gewalt zum Fundament unserer Le-
(Bravo! in der Mitte.) bensordnungen gemacht hat.
Ich sage nur, mit dieser Art zu denken, gibt es Über diese Dinge gibt es in der Literatur echter
letzten Endes kein Argument gegen eine Gesetz- Verfassungsstaaten keinen Streit. England ist ein
gebung wie jene, die einmal zu dem Ermächtigungs- Sonderfall: sein Parlament hat eine andere Stel-
gesetz geführt hat. lung als das unsere. Es war der Rechtswissenschaft
Ich glaube nicht, daß diese juristische Grund- der Wilhelminischen Epoche, in der in weiten
these richtig ist. Eine Verfassung ist etwas anderes Kreisen der Staat wesentlich als Instrument und
als ein sehr wichtiges Gesetz, für dessen Abände- die Verfassung als eine Art von Reglement einer
rungen Hindernisse aufgerichtet sind. Eine Verfas- Anstalt gesehen wurden, vorbehalten, das ethische
sung ist sehr viel mehr. In seiner Verfassung Fundament des Verfassungsdenkens zu ruinieren.
trifft das Volk in dem Augenblick, in dem es sich Im Parlamentarischen Rat sind wir uns dieser
„in Verfassung bringt" — diese Augenblicke pfle- Dinge bewußt gewesen, und, Herr von Brentano,
gen Landmarken seiner geschichtlichen Entwick- Sie werden mir bestätigen: wir haben darum ganz
lung zu sein; hier wird gegenüber der Vergangen- bewußt ein Grundgesetz schaffen wollen, das von
heit eine Abschlußbilanz und gegenüber der Zu- einer anderen Vorstellung des Verfassungsrechts
kunft eine Eröffnungsbilanz gezogen —, Grund- ausgeht als der Lab andschen und der Anschützschen,
entscheidungen politischer Art. Es trifft Entschei- auch von einer anderen Auffassung als der, die
dungen über bestimmte Lebenswerte, die das einst das Reichsgericht in einigen Urteilen zum
Fundament des Staates sein sollen, in dem es leben Ausdruck gebracht hat. Für uns waren damals
will. Art. 79 und Art. 20 nicht nur technische Bestim-
(Sehr richtig! in der Mitte.) mungen, nicht nur Verzierungen, sondern Entschei-
Alles andere, was sonst in den Verfassungen steht, dungen für etwas Fundamentales, und solche
hat seinen Sinn nur darin, daß es die Ausführung, Grundentscheidungen sind es gewesen, die letzten
die Spezifizierung dieser Werte ist und den organi- Endes von den Landtagen unserer deutschen Bun-
satorischen und institutionellen Aufbau ermöglicht, desländer ratifiziert worden sind.
der nötig ist, um sie in Ordnung zu verwirklichen. Eine besonders bedeutsame Grundentscheidung
Diese Grundentscheidungen sind die eigentliche ist gewesen, daß wir diesen Staat auf das Prinzip
„Konstitution" des Staates. Ob Monarchie oder der Teilung der Gewalten gründen wollten. Das
Republik, ob Einheitsstaat oder Bundesstaat, ob war nicht nur die Entscheidung für ein besonders
574 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Schmid [Tübingen])
bekömmliches technisches Verfahren des Regierens Es ist hier eine Auffassung vertreten worden —
und Verwaltens, sondern diese Entscheidung hat von einem der Herren des BHE —, nicht ernstlich,
die Qualität, d. h. inneren Wert und inneres Sein aber dem Sinne nach: Not kennt kein Gebot. Ich
des Staates bestimmt. Teilung der Gewalten be- erinnere an einen deutschen Reichskanzler, de;
deutet: Wer regiert, darf nicht Gesetze geben; wer einmaldsWortgpchena;
die Gesetze gibt, darf sie nicht anwenden und aus- (Sehr wahr! bei der SPD)
legen; anwenden und auslegen darf die Gesetze
nur die richterliche Gewalt. kurz darauf sprach er vom „Fetzen Papier"!
Nun ist davon gesprochen worden, daß das Par- (Beifall bei der SPD.)
lament das Recht haben müsse, Gesetze, auch Ich glaube nicht, daß wir Versuchungen in dieser
Verfassungsgesetze, authentisch zu interpretieren. Richtung Vorschub leisten sollten. Ich glaube nicht,
Ich glaube nicht, daß das richtig ist, insbesondere daß Sie das wollen, meine Herren. Aber manchmal
dann nicht, wenn eine Verfassung wie unser sollte man besonders ernsthaft bemüht sein, sich
Grundgesetz expressis verbis das Interpretations- das In-Versuchung-Fallen nicht zu leicht zumachen.
monopol des Bundesverfassungsgerichts aufgerich- (Sehr gut! bei der SPD.)
tet hat.
Wenn man einer Änderung des Grundgesetzes
(Beifall bei der SPD.) zustimmt, wonach mit Zweidrittelmehrheit durch
Nun wird gesagt: Ja, aber die Karlsruher Pro- einen Beschluß dieses Hauses außenpolitische Ver-
zesse betreffen doch gar keine justitiablen Sachen! träge bestimmter Art als dem Grundgesetz gemäß
Es ist in der ganze Rechtslehre unbestritten, daß erklärt werden können, dann stellen wir diese
über die Frage, ob ein Verfahren zulässig ist oder Verträge den Bestimmungen der Verfassung gleich.
nicht, ob eine Sache justitiabel ist oder nicht, nicht Es ist von „Klärungsgesetzen" gesprochen worden.
die Parteien entscheiden, sondern das Gericht Es ist das erste Mal, daß ich einen solchen Aus-
selbst. druck höre. Vielleicht liegt es an mir, aber ich
(Erneuter Beifall bei der SPD.) kenne die juristische Literatur einigermaßen, und
Herr Kollege Weber, wie ich aus Ihren Zwischen- ich habe ihn dort noch nie gefunden. Im allge-
rufen entnommen habe, haben Sie eine besondere meinen erläßt man Gesetze nicht zur Klärung von
Vorliebe für das Völkerrecht. Gestatten Sie mir Gesetzen, sondern, wenn sich herausstellt, daß ein
einen Hinweis! Eine kleine Analogie zur Erhärtung Gesetz nicht praktikabel ist, dann erläßt man ein
dessen, was ich sagte. In dem ausgezeichneten neues Gesetz, mit dem man das alte aufhebt. Das
Deutsch-Schweizerischen Schiedsgerichts- und Ver- ist der Weg, ungeklärte Situationen im Wege der
gleichsvertrag von 1920, in dem von justitiablen Gesetzgebung zu klären.
und nichtjustitiablen Sachen die Rede ist, ist aus- Mit der geplanten Ergänzung schafft man nicht
drücklich bestimmt, daß das Schiedsgericht ent- etwa eine Parallelität von Normen, sondern einen
scheidet, ob eine vor den Richterstuhl gebrachte Normenpluralismus. Wir werden nämlich zur Be-
Sache justitiabel ist oder nicht, und daß die Par- urteilung eines und desselben Tatbestandes unter (E
teien sich darauf beschränken müssen, Einreden Umständen zwei Rechtsnormen vor uns haben, einen
oder Einwände zu erheben, und daß sie nicht die Artikel der Verfassung und einen Artikel eines
Einlassung verweigern dürfen. Wenn man einem der mit dem Unbedenklichkeitsvermerk beschlos-
Parlament das Recht gibt, im Wege authentischer senen Verträge. Wir werden damit genau den Fall
Interpretation die Übereinstimmung irgendeines haben, Herr von Brentano, den wir in der Wei-
Aktes, und sei es ein Gesetz, mit der Verfassung marer Republik hatten, wo wir mit Zweidrittel-
zu bestimmen, macht man das Parlament zu einer mehrheit beschlossene Gesetze auch dann als Rech-
richterlichen Institution. tens gelten ließen, wenn der Verfassungstext ihnen
(Sehr richtig! bei der SPD. — Widerspruch entgegenstand.
von den Regierungsparteien.) (Zuruf des Abg. Dr. Weber [Koblenz].)
Damit hat man auf einem wesentlichen Gebiet den Es ist genau dieselbe Situation. Weil wir sie ver-
Grundsatz der Teilung der Gewalten verlassen. hindern wollten, haben wir, mit Ihrer sehr ener-
(Zuruf des Abg. Euler.) gischen und verdienstlichen Mithilfe, Herr von
Brentano, diesen Art. 79 in unser Grundgesetz ge-
Es gibt eine ganze Reihe von geschichtlichen Bei- schrieben.
spielen, Herr Euler, für Parlamentsjustiz, angefan-
gen mit dem Parlament Cromwell's. In den Ver- (Abg. Dr. von Brentano: Das tun wir ja gar
fassungen der Sowjetzone ist übrigens in vieler. nicht! — Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Wir
Fällen das Parlament zum Interpreten der Verfas- machen es ja nicht wie in Weimar!)
sung gemacht worden. Die Praxis, mit Zweidrittelmehrheit die Verfas-
(Sehr richtig! bei der SPD.) sung zu durchlöchern, hat damit sehr entscheidend
dazu beigetragen, das Ansehen der Weimarer Ver-
Ich glaube nicht, daß wir diesem Beispiel folgen fassung zu ruinieren.
sollten, auch nicht auf einem einzelnen Gebiet,
auch nicht auf einem Sondergebiet. Parlaments- (Abg. Dr. von Brentano: Deswegen tun
justiz ist der Anfang einer möglichen Mehrheits- wir's ja nicht!)
diktatur, und das ist nichts Gutes. Ob es sich bei
einem Mehrheitsbeschluß um eine „sic volo, sic — Doch, Sie tun das, Herr von Brentano.
iubeo" handelt, um ein „ tel est mon bon plaisir", Dieser Art. 79 hatte für uns im Parlamenta-
oder um die konkrete Definition des Gemeinwil- rischen Rat nicht nur technische und nicht nur
lens, bestimmt sich danach, ob die jeweilige kon- ästhetische Bedeutung. Er sollte eines der Funda-
krete politische Entscheidung unter die Verfassung mente sein, auf die unser Verfassungsrecht gestellt
gestellt wird, oder ungewollt die Verfassung unter werden sollte. Er gehört zu den ethisch-politischen
die konkrete politische Entscheidung. Vorentscheidungen über Grundprinzipien, die
(Beifall bei der SPD.) unser staatliches Leben tragen sollten. Wenn Sie
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 575
(Dr. Schmid [Tübingen])
dieses Prinzip aufgeben — und Sie könnnen es nur — So viel Theologie verstehe ich nicht, Herr
entweder ganz aufgeben oder ganz respektieren —, Kollege.
dann verändern Sie die Verfassung in ihrem (Heiterkeit bei der SPD. — Abg. D. Dr.
Kerne. Sie nehmen ihr dann den Rang, den sie Gerstenmaier: Das ist bedauerlich!)
nach dem Willen des Verfassungsschöpfers haben
sollte und den das Grundgesetz haben muß, wenn Ich kann Ihnen also nicht folgen.
es mehr sein soll als nur ein Modus vivendi von (Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Wir sollen
Fall zu Fall. Was Sie da wollen, das ist keine vom Ihre juristische Seiltänzerei hier anhören;
Grundgesetz erlaubte Verfassungsänderung mehr, das ist doch allerhand! — Abg. Kiesinger:
sondern die Aufhebung eines diese Verfassung Herr Kollege Schmid, das war Philosophie,
selbst ausmachenden Prinzips. nicht Theologie!)
(Beifall bei der SPD.) Wirklich?
Mit der Veränderung des Art. 79 ändern Sie nicht (Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Sie sind j a ein
eine Wand des Hauses ab, sondern Sie nehmen Dilettant darin!)
damit dem Fundament einen tragenden Eckstein.
Man hat darauf hingewiesen, daß ja schon ein-
(Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Was nicht mal so etwas gemacht worden sei, nämlich mit
änderbar ist, ist in Absatz 3 gesagt!) dem Versailler Vertrag. Das ist richtig. Aber die
Man kann nicht, ohne eine Verfassung umzustül- Beziehung der Weimarer Verfassung auf diesen
pen, die Sperren beseitigen, die die Verfassung Vertrag wurde uns aufgezwungen unter der
zum Schutze ihrer Fundamente aufgerichtet hat. Drohung, im Weigerungsfalle die Kanonen sprechen
Sie haben doch sonst immer sehr gern, und mit zu las s en. Heute übernehmen wir eine solche Un-
Recht, für überpositives Recht plädiert, das auch terstellung freiwillig, und das ist nicht gut.
den Gesetzgeber bindet und binden muß. Ich habe Es ist hier schon davon gesprochen worden, daß
den Eindruck, daß man heute von der Vorstellung es sich manchmal nicht so sehr darum handle,
eines überpositiven Rechtes übergeht zu einem die Grundlagen für eine Wehrverfassung zu
Überpositivismus, der noch über das hinausgeht, schaffen, als vielmehr die Zweifel „im Wege
was das 19. Jahrhundert in die Welt gesetzt hat, authentischer Interpretation" zu beseitigen, um so
und dessen Unverständnis für das, was eine wirk- das Vertragswerk in Karlsruhe kugelfest zu
liche Verfassung ist, einiges dazu beigetragen hat, machen. Man will also die formalen Voraussetzun-
die Weimarer Republik in allen legalen Formen gen für die Einstellung eines vor dem Verfassungs-
Rechtens ruinieren zu lassen. Einige der Thesen, gericht schwebenden Verfahrens schaffen.
die hier vertreten worden sind, machen schlechthin
alles möglich. Man hat uns vorgeworfen, daß wir an die Stelle
politischer Entscheidungen den Gang zur Richter-
Noch einige Worte zum neuen Art. 142 a. Alle an- bank gesetzt hätten. Nun, meine Damen und
deren Staaten, die Partner dieses Vertragswerks Herren, wir haben diesen Gang zur Wahrung des
sind, haben seine Bestimmungen an den Normen Rechtes getan, auf das unser Volk in diesem
ihrer Verfassung gemessen und gewertet. Wir wer- Grundgesetz sein Leben hat stellen wollen. Sie
den künftig unsere Verfassung an den Bestimmun- setzen an die Stelle der politischen Entscheidung,
gen dieser Verträge messen müssen. Wir werden so den Rechtsstaat in allen seinen Konsequnzen auch
viel Verfassung haben, wie die Verträge uns zu- dann ernst zu nehmen, wenn es unbequem ist, das
gestehen. Die Abschaffung der Todesstrafe haben Finessieren mit dem Recht. An einem solchen Un-
sie uns gelassen. Danach, Herr Dr. Jaeger, bean- ternehmen mitzuwirken, verbietet uns nicht nur
spruchen also offensichtlich die Verträge dort, wo unser Widerstand gegen die Politik des EVG-Ver-
solche Konzessionen nicht explizit gemacht worden
sind, den Vorrang vor unserem Grundgesetz. trags; daran mitzuwirken verbietet uns in erster
Linie der Respekt vor den Prinzipien, auf die
(Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Das haben wir unser Volk seine Zukunft hat stellen wollen.
doch allgemein in Art. 25 GG für die „all
gemeinen Regeln des Völkerrechts" über (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe
nommen!) von der Mitte.)
Wo die anderen Länder fanden, daß gewisse Ver- Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Herr
träge einzelnen Bestimmungen, — aber natürlich Bundesminister der Justiz.
nicht dem Kern — ihrer Verfassungen vorzuziehen
seien, haben sie ihre Verfassungen im einzelnen Neumayer, Bundesminister der Justiz: Herr Prä-
abgeändert. Das ist der rechte Weg. Wir haben, sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
vor allem im ersten Bundestag, häufig genug ver- Darf ich auf die Ausführungen des Herrn Pro-
langt, daß man vor Inkraftsetzung der Verträge fessor Schmid kurz erwidern. Auch wir vertre-
das Grundgesetz entsprechend ändern möge, - d. h. ten den Standpunkt und können ihn gar nicht
daß man seinen Text in all den Einzelheiten ab- stark genug hervorheben, daß die Verfassung
ändern möge, in denen die Einzelheiten der Ver- etwas anderes als ein gewöhnliches Gesetz ist.
träge unserer Verfassung widersprächen. Deshalb erfordert ihre Änderung ja auch eine
Aber genau das tut man nicht, sondern man un- qualifizierte Zweidrittelmehrheit. Weil wir diesen
terstellt einfach das Grundgesetz im ganzen den Standpunkt vertreten und weil wir uns infolge-
Verträgen. Damit macht man eben diese Verträge dessen nur sehr schwer entschließen, eine Ände-
zur Oberverfassung, zur freiwillig übernom- rung der Verfassung vorzunehmen, haben wir uns
menen Oberverfassung, Herr Kollege Gersten- ja zunächst nur bemüht, eine authentische Inter-
maier, im Gegensatz zum oktroyierten Be- pretation
satzungsstatut. (Zurufe von der SPD: Ja, ja! — Unruhe)
(Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Wir befinden gewisser Fragen zu geben, die das Verfassungs
Uns nicht in der Heteronomie der SPD, recht aufgeworfen hat. Alle anderen Fragen von
das ist wahr!) entscheidender Bedeutung, deren verfassungs-
576 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Bundesjustizminister Neumayer)
mäßige Verankerung ebenfalls vorgenommen wer- lich ist. Die Bestimmung des Art. 142 a will, indem
den muß — und die also ebenfalls einer Zwei- sie die Vereinbarkeit der strittigen Verträge mit
drittelmehrheit bedarf —, haben wir zurückge- dem Grundgesetz ausspricht, den Verfassungsrechts-
stellt, weil wir eben der Auffassung sind, daß bestand authentisch interpretieren. Das ist politisch
noch einmal eine sehr genaue Durchdenkung und notwendig und verfassungsrechtlich nach 'Ober-
Besprechung aller dieser Fragen notwendig ist, zeugung der Bundesregierung zulässig.
(erneute Zurufe von der SPD) (Zuruf von der SPD: Unzulässig!)
damit sie mit verfassungändernder Mehrheit be- Die Interpretation des Inhalts der Verfassung ist
schlossen werden können. die legitime Aufgabe des verfassungsändernden
Der Herr Kollege Schmid hat darauf hingewiesen, Gesetzgebers, nicht nur in der Weimarer Republik,
daß es sich hier bei diesen Fragen vor allen Dingen sondern auch in unserem heutigen Verfassungs-
um die Erhaltung des Rechtsstaates handle. Meine system. Zur Weimarer Zeit bestand hierüber über-
Damen und Herren, der Bundesminister der Justiz haupt kein Zweifel. Es wurde schon auf Anschütz
muß immer für den Rechtsstaat eintreten, hingewiesen. Es gibt auch andere führende deutsche
Staatsrechtslehrer, wie Jacobi, Jellinek, Poetzsch-
(Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Richtig!) Heffter; sie und vor allem auch der Reichsstaats-
gerichtshof haben die Zulässigkeit einer authenti-
er kann aber andererseits nicht die Auffassung bil- schen Verfassungsinterpretation in der Form eines
ligen, daß wir aus dem Rechtsstaat in einen Justiz- verfassungsmäßigen Gesetzes ausdrücklich aner-
staat hineintreiben; kannt. Warum dies nicht auch für das heutige Ver-
(Beifall bei den Regierungsparteien) fassungssystem gelten soll, ist überhaupt nicht ein-
und diese Gefahr besteht. zusehen. Zwar hat das Grundgesetz mit der soge-
nannten abstrakten Normenkontrolle, d. h. der mit
(Zuruf von der SPD: Das haben wir schon allgemeinverbindlicher Wirkung erfolgenden Fest-
mal gehört!) stellung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes,
Wir dürfen nicht den Gerichten Verantwortungen das Bundesverfassungsgericht belehnt. Damit hat
übertragen, die von ihnen nicht getragen werden das Bundesverfassungsgericht als das höchste unse-
können. Wir dürfen ihnen nicht rein politische Fra- rer Gerichte eine Aufgabe erhalten, die weit über
gen zur Entscheidung zuleiten und damit das Par- die Rechtslage der Weimarer Zeit und die anderer
lament der Befugnisse entkleiden, die ihm an sich demokratischer Rechtsstaaten wie der Schweiz und
zustehen. Frankreichs hinausgeht
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu (Zuruf von der SPD: Na also!)
rufe von der SPD.)
und die ihrem Wesen nach an sich eine Aufgabe der
Ich darf nun zu den einzelnen Bestimmungen, die Gesetzgebung, ja sogar des Verfassungsgesetzgebers
hier angegriffen worden sind, noch kurz Stellung selbst darstellt. Aufgabe der Rechtsprechung war
nehmen. es z. B. in der Weimarer Zeit, nicht allgemeinver-
Zu Art. 142 a. Wir haben immer betont, daß das bindliche Entscheidungen über die Verfassungs-
Grundgesetz seinem ganzen Gehalt nach an sich mäßigkeit von Gesetzen zu treffen, sondern ledig-
auch die Wehrhoheit des Bundes involviert. Hier lich über die Anwendung in einzelnen Prozessen
sind Zweifel aufgetaucht durch die Klage, die beim unter Beschränkung der Rechtswirkung der Ent-
Bundesverfassungsgericht erhoben worden ist. scheidung auf die Beteiligten zu befinden. Das
gleiche gilt auch für nahezu alle anderen demokra-
(Abg. Meitmann: Wer soll sie entscheiden?) tischen Staaten, namentlich auch für den Obersten
— Das Parlament! Gerichtshof der USA, wie gerade noch vor kurzem
(Zuruf von der SPD: Aha! — Abg. Meitmann: der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts-
Wozu brauchen Sie dann noch ein Bundes hofs, Herr Dr. Katz, in einer Abhandlung ausge-
führt hat.
verfassungsgericht?)
Die dem Bundesverfassungsgericht durch das
Diese Zweifel sind von beiden Seiten durch Gut-
Grundgesetz in förmlich alleinstehender Weise zu-
achten bedeutender Rechtslehrer belegt worden.
gewiesene Aufgabe macht nicht etwa dieses Gericht
(Abg. Dr. Greve: Die sind doch nicht mehr unantastbar hinsichtlich seiner Funktion auch
wert als jede andere Auffassung!) gegenüber dem verfassungsändernden Gesetzgeber.
Theoretisch wäre es möglich, ohne Verletzung der
— Wir haben verschiedene Auffassungen, und um unantastbaren Verfassungsgrundsätze des Art. 79
hier Klarheit zu schaffen, hat sich die Koalition Abs. 3 z. B. das Institut der Normenkontrolle, die
entschlossen, eine Vorlage einzubringen, - die im dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen und vor-
Wege der authentischen Interpretationen diese behalten ist, ganz oder teilweise zu beseitigen.
Zweifel beseitigt. Nun soll der Gesetzgeber es Daran denkt niemand. Wohl aber sind wir der Mei-
übernehmen, im Wege der authentischen Interpre- nung, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber in
tation durch die nunmehrige Vorlage diese Zweifel einer einzelnen Streitfrage von grundlegender poli-
zu lösen und einen klaren Verfassungsrechtsbestand tischer Bedeutung die Aufgabe der authentischen
herzustellen. Verfassungsinterpretation an sich ziehen und die
Es wird entgegengehalten, man schaffe damit Vereinbarkeit eines bestimmten Gesetzgebungs-
nicht Klarheit und stifte nicht Frieden, sondern werkes mit der Verfassung selber aussprechen kann.
man häufe auf alten Konfliktstoff neuen und lege Damit entlastet er den Verfassungsrichter in einem
den Keim zu neuem Streit. Die Bundesregierung ist Streit von der Bedeutung und dem Wesensgehalt
der Überzeugung, daß die erforderliche Klarstel- des dort angestrengten Rechtsstreits von einer ihm
lung der Verfassungsrechtslage in der heute vor- sonst unweigerlich zufallenden und für ihn kaum
geschlagenen Weise verfassungsrechtlich unbedenk tragbaren politischen Verantwortung.
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 577
(Bundesjustizminister Neumayer)
Verfassungsrechtlich gesehen ist die Entscheidung Rücksichtnahme auch auf den Rechtsstandpunkt der
des verfassungändernden Gesetzgebers über die Opposition irgendwie behindert haben.
Verfassungsmäßigkeit eines umstrittenen Gesetzes
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
echter und legitimer Akt der Verfassungsgesetz- Meitmann: Das ist eben Sache des Bundes
gebung, die damit ausspricht, was mit allgemeiner verfassungsgerichts!)
Rechtswirkung und mit Verbindlichkeit für alle
Verfassungsorgane Recht sein soll. Der verfassung- Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abge-
ändernde Gesetzgeber, hier die authentische Inter- ordnete Dr. Weber (Koblenz).
pretation, setzt sich damit weder zu den Grund-
sätzen des Rechtsstaats noch zu dem Grundsatz der Dr. Weber (Koblenz) (CDU/CSU): Herr Präsident!
Gewaltenteilung irgendwie in Widerspruch. Das Meine sehr verehrten Damen und Herren! Be-
Bundesverfassungsgericht selbst hat in seiner Ent- fürchten Sie nicht, daß ich Ihnen ein weiteres ver-
scheidung vom 30. Juli 1952 davon gesprochen, daß fassungsrechtliches Kolleg halten werde.
jede Normenkontrolle begrifflich ein Hinübergrei-
fen der richterlichen Gewalt in die gesetzgeberische (Beifall in der Mitte. — Zuruf von der
Sphäre darstellt. SPD: Sehr nett!)
Wenn ich mich zum Wort gemeldet habe, so nur
Dem verfassungändernden Gesetzgeber kann deshalb, weil ich einigen Behauptungen, die in der
also bei einer Maßnahme wie der, die heute diesem Debatte aufgetreten sind, nochmals ausdrücklich
Hause vorliegt, nicht der Vorwurf einer Verletzung widersprechen wollte. So ist das böse Wort vom
des Gewaltenteilungsprinzips gemacht werden. Er Ermächtigungsgesetz gefallen.
bleibt vielmehr im Bereiche seiner legitimen Ent-
scheidungsgewalt und in einer Situation wie der (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)
heutigen im Bereich einer Entscheidungspflicht. Herr Professor Schmid hat es eben bereits expressis
verbis zurückgenommen und hat klargestellt, daß
Es ist auch nicht so, wie gelegentlich unterstellt hier ein Ermächtigungsgesetz nicht geschaffen
wird, als sollten heute die umstrittenen Verträge wird.
zum Rang von Verfassungsrecht oder gar zu einem (Zustimmung in der Mitte.)
noch höheren Rang erhoben werden. Was in der
Bestimmung des Art. 142 a gesagt wird, ist nur die- Herr Kollege Becker hat das bereits ausgesprochen.
ses, daß die Vorschriften der umstrittenen Verträge Es ist eine bewußte Vergiftung der öffentlichen
der Verfassung nicht widersprechen. Sie werden Atmosphäre und der öffentlichen Meinung, wenn
aber damit nicht selber zum Rang von Verfassungs- etwas Derartiges behauptet wird.
recht oder gar noch höherem Recht erhoben. Mit (Lebhafter Beifall bei den Regierungs
der Bestimmung des Art. 142 a steht — wenn er parteien. — Erregte Zurufe von der
angenommen wird — allgemeinverbindlich und SPD. — Unruhe.)
endgültig fest, daß alle Akte, die zum Abschluß und Ein ebenso böses Wort hat eben der Herr Profes-
zur Inkraftsetzung der beiden Verträge notwendig sor Schmid gebraucht, als er vom „kalten Staats-
sind, und zwar sowohl die vor Ergänzung der Ver- streich" gesprochen hat.
fassung liegenden wie die nachfolgenden, nicht im
Widerspruch zum Grundgesetz stehen. (Zuruf von der SPD: Der Kanzler ist zu
ständig! — Abg. Marx: S i e vergiften
Über diesen interpretierenden allgemeinverbind- fortgesetzt die Atmosphäre! — Weitere
lichen und endgültig feststellenden Charakter hin- lebhafte Zurufe von der SPD. — Glocke
aus enthält Art. 142 a noch zwei weitere Elemente: des Präsidenten.)
einmal das der nochmaligen politischen Bestätigung Wir widersprechen dem, und ich protestiere
des Gesetzgebungsbeschlusses des früheren Bundes- nachdrücklich gegen eine solche falsche Unterstel-
tages und zum andern das der rechtlichen Heilung lung und bewußte Vergiftung der öffentlichen
ihm etwa anhaftender Mängel. Auch ein derartiger Meinung.
Ausspruch ist eine zulässige Maßnahme der ver-
fassungändernden Gewalt. (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
teien. — Fortgesetzte lebhafte Zurufe von
Die Bestimmung des Art. 142 a hat endlich den der SPD. — Große Unruhe.)
Charakter einer Ermächtigung an die zur Publika- Wir behaupten, daß wir uns mit unserer heuti-
tion und Ratifikation der Zustimmungsgesetze und gen Vorlage im Rahmen des Grundgesetzes halten.
der Verträge zuständigen Verfassungsorgane. Es ist Das ist im einzelnen dargelegt worden. Wir könn-
klar, daß mit der gegenwärtigen Regelung, mit der ten noch solange reden, wir werden darüber nie zu
gegenwärtigen Vorlage nicht der Gesamtinhalt alles einer Einigung kommen.
- mit
dessen ausgeschöpft ist, was im Zusammenhang
den umstrittenen Verträgen an verfassungsrecht- (Erneute Zurufe von der SPD.)
lichen Regelungen noch zu tun sein wird. Die Verhandlungen im Rechtsausschuß gingen sehr
(Abg. Dr. Greve: Herr Roemer hätte sich schnell zu Ende, als der grundsätzliche Standpunkt
doch etwas kürzer fassen können!) von Ihrer Seite durch die Äußerung Ihres maß-
gebenden Sprechers klargelegt wurde: „Wir kön-
Eine sehr eingehende Erörterung wird sich bei nen dem Inkrafttreten des EVG-Vertrages niemals
dem zurückgestellten Teil der ursprünglichen Vor- und unter keinen Umständen zustimmen. Da mag
lage nicht umgehen lassen. Ich habe mir erlaubt, der Himmel einfallen, dem EVG-Vertrag wird die
Sozialdemokratische Partei und Fraktion niemals
darauf bereits hinzuweisen. Was hier in diesem
ersten Akt geschehen soll ist nur folgendes: durch zustimmen."
eine authentische, den Verfassungsinhalt betref- (Lebhafte Rufe von den Regierungsparteien:
fende Interpretation alle Zweifel beseitigen, die Hört! Hört! — Weitere Zurufe von der
bisher das endgültige Inkraftsetzen der Verträge bei Mitte.)
578 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Weber [Koblenz])
Nun, der Himmel wird darüber nicht einfallen, haben doch schon eine Verfassungsdurchbrechung
wenn der EVG-Vertrag in Kraft tritt, dieser Art im Grundgesetz. Im Art. 25 ist be-
(Zuruf von der SPD: Auch nicht, wenn er stimmt, das die allgemeinen Grundsätze des Völ-
nicht in Kraft tritt! — Weitere Zurufe von kerrechts unseren Gesetzen vorgehen. Infolgedes-
der SPD.) sen steht im Grundgesetz bereits, was wir heute
mit der Verfassungsergänzung klarstellen.
sondern er wird uns vielleicht davor bewahren, daß
Dinge bei uns eintreten, die sonst beim Einfallen (Beifall in der Mitte.)
des Himmels geschehen würden. Wir verwahren uns also nachdrücklich dagegen,
(Lebhafte Zustimmung in der Mitte.) daß hier ein „Ermächtigungsgesetz" beschlossen,
daß hier ein kalter Staatsstreich vorgenommen
Wenn nämlich der Himmel einfällt, sind alle werde. Wir sind vor unserem Gewissen der festen
Spatzen gefangen. und guten Überzeugung, daß wir uns mit dem,
Der EVG-Vertrag soll uns die Sicherheit brin- was wir hier tun, im Rahmen der Verfassung
gen. Ich bin dem Herrn Professor Schmid dankbar, halten.
daß er sich heute ganz konkret zu dem Problem (Beifall bei den Regierungsparteien.)
der kollektiven Sicherheit geäußert und gesagt
hat: Wir sind auch von seiten der Bundesrepublik Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und
bereit, in ein System der kollektiven Sicherheit Herren! Der Herr Kollege Erler hat bei mir
einzutreten, wenn uns damit gewährt wäre: seinem Erstaunen darüber Ausdruck gegeben, daß
erstens echte Sicherheit, zweitens keine Gefähr- ich den Ausdruck von der „bewußten Vergiftung
dung der Wiedervereinigung und drittens volle der öffentlichen Meinung", den der Kollege
Gleichberechtigung. Wenn Sie, meine Damen und Weber gebraucht hat, nicht mit einem Ordnungs-
Herren von der SPD, in den vergangenen zwei ruf belegt habe. Ich habe dazu folgendes zu sagen.
Jahren unter diesen Gesichtspunkten an die Ver- Es mag streitig sein, ob ein solcher Ausdruck im
träge herangetreten wären, wäre es, glaube ich, vollen Umfang parlamentarisch ist. Ich habe heute
eher zu einer Verständigung gekommen. bei der notwendigerweise scharfen Auseinander-
(Beifall in der Mitte. — Lebhafte Zurufe setzung verschiedener Meinungen nicht geglaubt,
von der SPD.) die Situation durch unnötige Ordnungsrufe ver-
schärfen zu sollen, und habe darum auch über
Wir behaupten, daß diese Forderungen in den Ver- einige andere Zwischenrufe, den „billigen Jakob"
trägen — und einiges andere, bewußt hinweggehört. Ich darf
(Abg. Ollenhauer: Sie behaupten es!) annehmen, daß das Haus mit diesem Verfahren
einverstanden ist.
— Wir behaupten es.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Abg. Ollenhauer: Das ist Ihre Behauptung!)
— Wir unterstellen es der Nachprüfung des Ge- Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
richts, wenn Sie das Spiel weiter treiben wollen,
(Zuruf von der SPD: Wieso „Spiel", — Dr. Arndt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
Weiterer Zuruf von der SPD: Wer spielt und Herren! Der Herr Kollege Weber befindet sich
denn hier falsch?) im Irrtum mit seiner Annahme, mein Parteikollege
Carlo Schmid habe das von meinem Parteikollegen
Genau so wenig wollen wir heute etwa Verfas- Erler gesprochene Wort vom Ermächtigungsgesetz
sungsgrundsätze beseitigen, wie das hier im Zu- zurückgenommen. Das trifft nicht zu. Herr Kol-
sammenhang mit dem bösen Wort vom kalten lege Carlo Schmid hat nur sehr deutlich erklärt,
Staatsstreich, das gefallen ist, gesagt worden ist. daß niemand von uns Ihnen eine Gesinnung oder
Es wird an den unverbrüchlichen Teil des Art. 79 eine Absicht unterstelle, wie sie in dem Ermächti-
— den Abs. 3 — in keiner Weise gerührt. Insbe- gungsgesetz vom März 1933 enthalten sei,
sondere verstoßen auch die Verträge — das möchte
ich hier ausdrücklich feststellen — in keiner ihrer (Zuruf des Abg. Dr. Weber [Koblenz])
Bestimmungen gegen diesen Teil, gegen den unab- und das bestätige auch ich hier noch einmal. Aber
änderlichen Abs. 3 des Art. 79 des Grundgesetzes. daß diese Vorlage ein Ermächtigungsgesetz ist, das
Was wir aber nicht anerkennen, das ist, daß der ist unser aller Überzeugung.
Abs. 1 nicht abänderbar sei bzw. nicht ergänzt
werden könne. Der Abs. 1 hat diesen Schutz nicht (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
und gehört auch nicht zum sogenannten Verfas- Herr Kollege Weber, man kann Ermächtigungen
sungskern. Es könnte darin — darüber war sich die
Mehrheit im Ausschuß einig, wie sie es auch hier (Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Unerhört!
ist — wiederum bestimmt werden, daß eine - Ver- Der ganze Art. 73 enthält ja dann nur
fassungsdurchbrechung zulässig sei. „Ermächtigungen"!)
Nun wird eingewandt, daß, wenn wir das in j a nicht nur an die Exekutive, an eine Regierung
dieser allgemeinen Form machten, die Verfassung geben, sondern man kann sie auch an ein Parla-
nicht mehr aus sich selbst heraus ausgelegt werden ment und an ein Gesetzgebungsorgan geben, und
könne; das werde im Grundgesetz nicht verlaut- hier wird in der Frage der Wehrverfassung dem
bart. Gerade um diese Schwierigkeit zu vermeiden, Bundestag sogar eine Blankettermächtigung er-
wollen wir dem Art. 79 Abs. 1 den Satz 2 hinzu- teilt,
fügen. damit, und zwar jeweils — das wird in der (Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Der Gesetz
Diskussion so gern übersehen —, mit verfassungs-
ändernder Mehrheit beschlossen werden kann, ob gebung!)
ein völkerrechtlicher Vertrag — darauf mit der alles geregelt werden kann, da nunmehr
lege ich allerdings ganz entscheidenden Wert — lediglich die Frage der allgemeinen Wehrpflicht in
dem Grundgesetz widerspricht oder nicht. Wir das Grundgesetz eingefügt werden soll.
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 579
(Dr. Arndt)
Zweitens - wenn ich mich noch weiter mit Rechtsfrage zu trennen, ob sie nach dem
Herrn Kollegen Weber auseinandersetzen darf — Grundgesetz z u 1 ä s s i g sind oder ob nicht zuvor
Herr Weber: Sie haben hier wiederum betont, aber erst die Verfassung verändert und erweitert wer-
ohne dafür eine Begründung zu geben, daß nach den muß. Ich darf Sie immerhin darauf aufmerk-
ihrer Meinung die Verträge von Bonn und Paris sam machen, daß das Bundesverfassungsgericht
mit dem unantastbaren Verfassungskern des durch seinen berühmten Beschluß vom 8./9. No-
Bonner Grundgesetzes nicht in Widerspruch stün- vember des Jahres 1952 mit der bekanntgegebenen
den. Nun, warum scheuen Sie dann eine Prüfung Mehrheit von 20 gegen 2 Stimmen mit überzeugen-
durch das Bundesverfassungsgericht, die einzige der Begründung ausgesprochen hat, daß diese Frage
Stelle, die diese Rechtsfrage unbefangen und für eine Rechtsfrage, und zwar eine sehr schwierige
uns alle verbindlich entscheiden kann? Rechtsfrage sei. Ich kann nicht annehmen, daß Sie
als Bundesminister der Justiz sich da in einen so
(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.) offenen Widerspruch mit dem Plenum des Bundes-
Diese Frage hätte ich gern einmal von Ihnen be- verfassungsgerichts zu setzen wünschen. Also mit
antwortet. dem Schlagwort: „Wir wollen keinen Justizstaat!"
(Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Sie tun mir leid!) ist der Ernst dieser Frage nicht abzutun.
— Ja, sehen Sie, mit dem „leid tun" ist folgendes. (Sehr gut! bei der SPD.)
Sie haben hier das scharfe Wort von der „bewuß- Nun ein weiterer Punkt aus Ihren Ausführun-
ten Vergiftung der öffentlichen Meinung" hinein- gen. Sie haben sich auch des so beliebt gewordenen
gebracht, obgleich wohl niemand in Abrede stellen Wortes von der authentischen Interpretation be-
kann, daß meine Freunde Fritz Erler und Carlo dient. Ich möchte einmal in ein schlichtes Deutsch
Schmid hier nach bestem Wissen und Gewissen übersetzen, was das in diesem Falle heißt. Das
ihre Überzeugung kundgetan haben. Da sprechen Fremdwort „authentische Interpretation" heißt
Sie von der „bewußten Vergiftung" der öffent- nichts anderes als: Urteilen in eigener Sache.
lichen Meinung! Ich glaube, wir brauchen in dieser
Frage nicht pathetisch zu werden. Wir können es (Beifall bei der SPD.)
der öffentlichen Meinung selbst überlassen, Das ist es, was damit gemeint ist.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) Von den Staatsrechtlern, die Sie angeführt haben,
ob sie sich dadurch vergiftet glaubt, daß Männer sind die Meinungen, die Sie zitieren, geäußert
von der Gewissenhaftigkeit und der Ehrbarkeit worden auf der Grundlage einer vollkommen an-
deren Verfassungsordnung der Weimarer und der
wie Carlo Schmid und Erler hier von der Tribüne
des Bundestages aus ihrer rechtlichen und politi- Vorweimarer Zeit.
schen Meinung Ausdruck geben, oder ob ein solcher (Sehr richtig! bei der SPD.)
Vorwurf berechtigt ist aus den Kreisen, die eine Für das Bonner Grundgesetz gibt es keinen einzi-
Verantwortung dafür tragen, daß sich während gen Lehrer des Rechts, der je bisher behauptet
des Bundestagswahlkampfes die Fälle Schroth hätte, daß nach dem Grundgesetz der Bundestag,
und Scharley ereignet haben. auch mit verfassungändernder Mehrheit, befugt
(Anhaltender starker Beifall bei der SPD. sei, in eigener Sache zu urteilen — was Sie
— Abg. Meitmann: So kommen Mehr „authentische Interpretation" zu nennen belieben.
heiten zustande!) Ich habe mit Erschrecken gehört, daß Sie gesagt
Meine Damen und Herren! Ich darf mich jetzt haben, die Normenkontrolle könne auch durch eine
den Ausführungen des Herrn Bundesmini- Verfassungsänderung beseitigt werden. Ja, meine
sters der Justiz zuwenden. Der Herr Bun- Damen und Herren, wo stehen wir denn, wenn der
desminister der Justiz hat sich hier zum Gedanken Bundesminister der Justiz uns etwas Derartiges
des Rechtsstaats bekannt, und, ich glaube, Herr sagt?
Bundesminister, darin treffen wir uns alle in un- (Sehr richtig! bei der SPD.)
serem Bemühen. Sie haben sich aber gegen den
Gedanken eines Justizstaates ausgesprochen, ohne Es ist richtig, Herr Bundesminister, daß die Art
uns klar zu sagen, was man unter einem Justiz- der Ausprägung, die besondere Form, die man im
Bonner Grundgesetz dieser richterlichen Prüfung
staat verstehen soll. Wir haben ja diese Frage inso-
fern nicht zu entscheiden, als das Bonner Grund- gegeben hat, abänderbar ist. Aber ich darf auch
hier wieder einmal dieses Fremdwort „Normenkon-
gesetz eine Vorentscheidung getroffen hat und ver-
fassungsmäßig klarstellt, wann ein Parlament und trolle" in die deutsche Sprache übersetzen; dann
heißt es: richterliche Prüfungsbefugnis, und als
wann ein Gericht zur Entscheidung berufen ist. Sie
solche ist die richterliche Prüfungsbefugnis im
dürfen diese Frage hier nicht so vereinfachen, daß
Artikel 20 in Verbindung mit Artikel 79, letzter
Sie sagen, es sei eine rein politische Frage, ob
- man
die Verträge abschließt oder nicht, ob man sie Absatz, für unantastbar erklärt. Es wird dort aus-
drücklich als unabänderlich gefordert, daß die rich-
über das Grundgesetz stellt oder nicht.
terliche Nachprüfung, ob ein Akt, sei es des Ge-
Gewiß sind die Verträge auch eine politische setzgebers, sei es der Verwaltung, mit der Verfas-
Frage, eine sehr wesentliche politische Entschei- sung und dem Recht im Einklang steht, von einem
dung. Aber in unserer rechtsstaatlichen parlamen- Organ vorgenommen werden muß, das weder ge-
tarischen Demokratie haben sich nach dem Grund- setzgeberisch noch verwaltungsmäßig zuständig ist.
gesetz alle politischen Entscheidungen auf der Infolgedessen ist das richterliche Prüfungsrecht
Grundlage des Rechts abzuspielen. nach dem Grundgesetz unabschaffbar und unan-
(Beifall bei der SPD.) tastbar.
Das steht im Grundgesetz, und darum ist von der Sie aber wollen hier folgendes machen: Sie
Frage, ob der Abschluß und das Inkraftsetzen der wollen gesetzgebende und rechtsprechende Gewalt
Verträge politisch richtig ist — diese Frage in einer Hand vereinen.
haben wir hier im Hause zu entscheiden —, die (Zuruf: Keineswegs!)
580 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Arndt)
— Jawohl — indem Sie hier sagen: Diese Frage, dern sie ist an Voraussetzungen und bestimmte
ob die Verträge von Bonn und Paris mit dem Formen gebunden.
Grundgesetz vereinbar sind, die entscheiden wir
selbst in sogenannter authentischer Interpretation. Nun darf ich einmal die Frage aufdecken: Warum
wählt man trotzdem diese merkwürdige Art der
Mit einem Wort darf ich nun noch auf den Herrn Verfassungsdurchbrechung? Doch aus zwei Grün-
Kollegen Weber in diesem Zusammenhang zu- den. Einmal will man, und zwar im Gegensatz zu
rückkommen. Man sagt, es sei ja nicht nur das, dem Prinzip des Art. 79, unsichtbar lassen, wie
sondern es handle sich überdies auch um eine sehr das Bonner Grundgesetz durch die Verträge
nochmalige politische Bestätigung des Gesetzge- von Bonn und Paris durchlöchert wird. Man will
bungsbeschlusses. Herr Kollege Weber, das trifft unsichtbar lassen, wie sehr die Rechte des Bürgers
nicht zu. Die über 500 Mitglieder dieses Hohen dadurch eingeengt und wie außerordentlich die
Hauses haben die Verträge von Bonn und Paris bei Befugnisse seiner Obrigkeit ausgeweitet werden.
der Verabschiedung dieses Gesetzes hier nicht be- Das können Sie sofort feststellen, wenn sie sich
raten. Es ist deshalb nicht der Gegenstand dieses einmal die Mühe machen — wir haben es im
Beschlusses, überhaupt nicht verhandelte Verträge Rechtsausschuß nur ganz kurz und andeutungs-
durch diese Abstimmung irgendwie erneut zu be- weise besprochen —, jetzt bei jedem Artikel im
stätigen. Grundgesetz dazuzuschreiben, inwieweit er durch
Ich komme jetzt auf das zurück, was ich über die die Verträge aufgehoben, eingeengt oder abgeän-
Vereinigung von rechtsprechender und gesetzge- dert wird. Dann werden Sie sehen, daß aus unserer
bender Gewalt in einer Hand sagte, wobei ich Verfassung — entschuldigen Sie den etwas anrü-
erklärte, daß das auch der verfassungändernden, chigen Vergleich — eine Art von Schweizer Käse
der Zweidrittelmehrheit nicht erlaubt ist. Herr geworden ist, so viel Löcher werden durch die Ver-
Bundesminister der Justiz, das Bonner Grundgesetz träge hineingebracht, nach einem Wort von Friedrich
spricht nicht bloß davon, daß man das Grundgesetz von Logau—ich verdanke es Herrn von Merkatz—,
nur mit einer Zweidrittelmehrheit ändern oder das er vom Westfälischen Frieden gesagt hat:
ergänzen dürfe. So war es einmal, jedenfalls in der „Reißt viel Verfassung ein." Sie scheuen sich, so
Praxis der Weimarer Zeit. Der Art. 79 sagt sehr wie es Art. 79 verlangt, Punkt für Punkt klarzu-
viel mehr. Er sagt, im Gegensatz zu Ihrer Auf- machen: Bürger, paß auf, hier ist in deiner Ver-
fassung, Herr Weber, in seiner Ganzheit unab- fassung etwas abgeändert!
änderlich, sonst hätte er ja gar keinen vernünfti-
Das zweite, was Sie mit dieser merkwürdigen Art
gen Sinn, daß das Grundgesetz nur durch eine
der Gesetzgebung bezwecken, ist das, zu verdecken,
Vervollständigung seines Wortlautes geändert oder
daß die Verträge auch mit dem unantastbaren Kern
ergänzt werden kann und außerdem lediglich in
des Bonner Grundgesetzes nicht vereinbar sind, und
den Grenzen, die durch das demokratische Prin-
diese Frage nach Möglichkeit auch einer verfas-
zip. das rechtsstaatliche Prinzip und die Unantast-
sungsgerichtlichen Nachprüfung zu entziehen. Das
barkeit der menschlichen Grundrechte gesetzt sind.
Das bitte ich dabei doch nicht zu vergessen. ist der Hintergrund, aus dem sich Ihr Verfahren er-
klärt. Das können Sie auch mit einer Zweidrittel-
Gerade hier entsteht auch die Frage, die das mehrheit nicht erreichen.
Bundesverfassungsgericht angeht. Es ist schlecht,
Herr Jaeger, wenn Sie meinen, von einem verfas- Ich komme jetzt zum letzten, was ich zu sagen
sungsmäßigen Recht Gebrauch zu machen und den habe. Herr Bundesminister der Justiz, Sie halten
höchsten ' Richter anzurufen, das sei irgendwie sich — und ich bin mir bei Ihnen dessen bewußt,
etwas, was die Würde der Verfassung antaste. Ich vertraue auf Ihr Wort— für verpflichtet, gerade das
darf dazu die Worte eines Landsmannes von Ihnen Grundgesetz und die Verfassung zu wahren. Aber
zitieren, der neulich hier gesagt hat: hören Sie bitte noch einmal, was der Berichterstat-
Es ist ein ganz falscher Schluß, wenn man ter Herr von Merkatz als Mehrheitsmeinung des
glaubt, in dem Umstand, daß wir zur Ent- Rechtsausschusses hier vorgetragen hat, und zwar
scheidung von Verfassungsstreitigkeiten ein in Übereinstimmung mit Ausführungen, die einer
Bundesverfassungsgericht berufen haben und der Herren Ihres Ministeriums im Ausschuß für
daß dort auch tatsächlich Fragen entschieden Rechtswesen und Verfassungsrecht gemacht hat. Ich
werden, einen Beweis für ein schlechtes Funk- zitiere jetzt wörtlich aus dem Bericht des Herrn
tionieren unseres Staates zu sehen. Das Gegen- Berichterstatters von Merkatz:
teil ist richtig. Hier öffnet sich ein Ventil. In Diese Schranken,
anderen Staaten, die diese Verfassungsgerichts-
barkeit nicht kennen, werden die Spannungen — nämlich die Schranken, die der Verfassunggeber
politisch ausgetragen, im Zweifel durch Mehr- in Art. 79 auch für Verfassungsänderungen gesetzt
heitsabstimmung. Es ist doch nicht so, daß die hat —
-
Politik eine Rechenaufgabe ist, die immer auf- die der Verfassungsgesetzgeber selbst der spä-
geht. Das Gegenteil ist der Fall, und die Frage teren Verfassungsänderung gezogen hat, sind
ist nur, w i e die Spannungen ausgetragen nach Auffassung der Mehrheit für die Verfas-
werden. sungsänderung selbst nicht unüberschreitbar.
Das geschieht bei uns in Deutschland bei Spannun- Diese Schranken, die der Verfassungsgesetz-
gen in Rechtsfragen durch eine höchstrichterliche, geber selbst seinem Nachfolger in der Verfas-
eine verfassungsgerichtliche Entscheidung. Ich habe sungsänderung setzen will, können durch eine
eben die Worte zitiert, die Ihr Landsmann, der Verfassungsänderung überspielt werden, sie
Herr Kollege Dr. Dehler, am 4. Februar von dieser
Stelle aus gesprochen hat. können . . . . formal beseitigt werden.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) Schon das Wort „überspielt" läßt doch hier außer-
ordentlich aufhorchen.
Die verfassungsändernde Mehrheit kann also nach
dem Bonner Grundgesetz keineswegs alles, son (Zuruf des Abg. Dr. von Merkatz.)
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 581
(Dr. Arndt)
— Ich habe hier ganz wortwörtlich nach Ihrem Heute, nachdem wir in diesem Hause die Zwei
Manuskript, Herr von Merkatz, zitiert. drittelmehrheit ohne die sozialdemokratische Frak-
(Ahg. Dr. von Merkatz: Bis auf den unver tion haben, werden uns staatsrechtliche Kollegs ge-
änderlichen Kern der Verfassung!) halten, daß es nunmehr auch mit der Zweidrittel-
mehrheit nicht gehe.
— Das steht hier nicht drin.
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs
(Abg. Dr. von Merkatz: Das habe ich heute parteien.)
morgen noch hinzugesetzt!)
— Als unveränderlichen Kern der Verfassung — Aber noch ein Weiteres. Verschiedene Ausführun-
das haben Sie heute morgen noch hinzugesetzt — gen des Herrn Kollegen Professor Schmid und
wollen Sie aber auch nur die Menschenrechte aner- des Herrn Kollegen Dr. Arndt veranlassen mich,
kennen. Aber auch Sie haben im Ausschuß der Auf- zur Praktizierung dieses Gesetzes im Verfahren
fassung Ausdruck gegeben, daß der Art. 79 über beim Bundesverfassungsgericht einiges, was nicht
die Voraussetzungen und Formen der Verfassungs- unwidersprochen bleiben kann, richtigzustellen. In
änderung oder -ergänzung oder die Einschränkung der Einleitung des Gesetzes ist von einer Klarstel-
durch den Art. 79 Abs. 3 vom verfassungsändernden lung von Zweifeln über die Auslegung des Grund-
Gesetzgeber selber wieder geändert werden könne. gesetzes die Rede. Hiergegen ist eingewandt worden,
Meine Damen und Herren und Herr Bundesminister die Klarstellung solcher Zweifel sei allein Sache
der Justiz, damit wird doch klar gesagt: Zwar hat und Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Dieser
das Bonner Grundgesetz erklärt, es will diese Einwand ist durchaus unzutreffend. Schon unter der
Schranken setzen, auch für die verfassungsändernde Weimarer Reichsverfassung war es die einhellige
Mehrheit, aber wir, die verfassungsändernde Mehr- Auffassung der Staatsrechtswissenschaft, daß eine
heit, brauchen uns in diesem Falle an das Grund- authentische Interpretation von in der Verfassung
gesetz und an den Verfassunggeber nicht zu halten; enthaltenen Bestimmungen Sache des im damali-
denn wir sind selber so viel wie er. Wenn Sie das gen Art. 76 geregelten Verfassungsänderungsver-
einmal in seiner letzten Tiefe bedenken, so heißt fahrens sei. So hat, um nur ein Beispiel zu nennen,
das nichts anderes, als daß sich hier die Zweidrittel- Anschütz in seinem Kommentar erklärt, im Verfah-
mehrheit vom Grundgesetz lossagen und über das ren des Art. 76 seien u. a. solche Gesetzesvorschrif-
Grundgesetz stellen will. ten erlassen worden, die ohne Änderungsabsicht
lediglich gesetzeskräftige Auslegungen, nämlich
(Widerspruch in der Mitte.) authentische Interpretationen, von Verfassungs-
Ein sehr ernstes Wort dazu als Abschluß. Der normen hätten darstellen sollen. Im gleichen Sinne
Streit um die Verträge wird vorübergehen, die Welt haben sich weiterhin Jacobi und Walter Jellinek
und Deutschland werden vielleicht schon in weni- geäußert.
gen Jahren anders aussehen. Es wird dann der Ge-
Aber nicht nur die Rechtslehre hat diesen Stand-
schichte angehören, ob man die Verteidigung in
punkt vertreten. In der Gesetzgebungspraxis des
dieser oder jener Form, nach dem EVG-Vertrag
früheren Reichstags ist durch ein Gesetz vom 22. Mai
und durch den Generalvertrag machen sollte oder
1926 ein Art. 40 a in die damalige Reichsverfassung
hätte machen sollen. Auch Sie wollen ja, daß der
eingefügt worden. Für die Kollegen, die dem Reichs-
Generalvertrag keineswegs ewig besteht, sondern
tage nicht angehört haben, darf ich erklären, um
recht bald verschwindet. Hier ist es also eine Frage
was es damals ging. Es handelte sich damals darum,
der Tagespolitik, die vorübergeht. Bedenken Sie
daß den Mitgliedern des sogenannten Über-
gut, ob Sie deshalb die Verfassungsordnung in
wachungsausschusses und des Auswärtigen Aus-
einem ihrer tragenden Grundsätze durchstoßen wol-
schusses, der heute morgen wegen seiner besonde-
len. Denn wenn die Verträge auch vorübergehen,
ren Kompetenzen schon einmal erwähnt wurde,
so wünschen wir uns alle doch eins — Sie bestimmt
insbesondere Immunität und Zeugnisverweigerungs-
nicht weniger als wir —: daß die freiheitliche Ver-
recht auch nach der Beendigung der Wahlperiode
fassung bleibt. Aber dann können Sie ein solches
zustehen sollte. Diese Frage war damals streitig
Gesetz nicht machen!
geworden und ist durch verfassungsänderndes Ge-
(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.) setz in vollem Bewußtsein, daß man mit der Ein-
fügung des Art. 40 a in die Weimarer Reichsver-
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abge- fassung eine Interpretation vornahm, entschieden
ordnete Hoogen. worden. Insoweit hat man also schon damals dem
von Herrn Kollegen Arndt immer wieder mit Recht
Hoogen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
hervorgehobenen Bedürfnis der Urkundlichkeit der
Damen und Herren! Mit dem Herrn Kollegen Dr. Verfassung entsprochen.
Arndt bin ich der Meinung, daß wir in diesem
Hause allseits bestrebt sein sollten, die freiheitliche
- Um das gleiche Problem handelt es sich im vor-
Verfassung zu erhalten. Aber ich bin weiterhin der liegenden Fall. Unsere Kompetenz kann nicht mit
Meinung, daß der freiheitliche Charakter unserer dem Hinweis darauf bestritten werden, daß heute
Verfassung durch keine Bestimmung, die wir mit die authentische Interpretation ausschließlich Sache
der Vorlage in das Grundgesetz einfügen, beein- des Bundesverfassungsgerichts sei. Schon ein Blick
trächtigt wird. in den Wortlaut der Bestimmung des Art. 93 des
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Grundgesetzes zeigt, daß, wenn man die Funktio-
Als wir die Verträge im ersten Deutschen Bundes- nen des Bundesverfassungsgerichts überhaupt als
tag berieten, hat uns die sozialdemokratische Frak- authentische Interpretation ansehen will — in
tion darauf hingewiesen: ihr könnt diese Verträge Wahrheit ist doch die maßgebliche Festsetzung des
nicht ratifizieren, dazu braucht ihr eine Zweidrittel- Inhalts zweifelhafter Bestimmungen gar nicht eine
mehrheit, dazu braucht ihr also uns. Justiz-, sondern eine Gesetzgebungsangelegenheit — ,

(Abg. Dr. Arndt: Nein, haben wir nicht (lebhafte Zustimmung bei den Regierungs
gesagt!) parteien)
582 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Hoogen)
das Bundesverfassungsgericht hier ausnahmsweise Wenn davon die Rede ist, daß die Staatsgewalt
als Justizbehörde Gesetzesrecht schafft. Die Zustän- vom Volke ausgeht, dann wird damit doch die In-
digkeit des Bundesverfassungsgerichts ist vielmehr stanz bezeichnet, die im Sinne der Verfassung als
eindeutig auf ganz bestimmte einzelne Teilbereiche oberste, als letztentscheidende für die staatliche
beschränkt; siehe Art. 93. Es kann deshalb keine Ordnung zu denken ist. Das Volk ist und bleibt,
Rede davon sein, daß mit den Bestimmungen des um mit den Worten eines bekannten Staatsrechts-
vorliegenden Entwurfs in irgendeiner Form „ver- lehrers zu sprechen, der Herr der Verfassung. Es
fassungswidriges Verfassungsrecht" geschaffen hat die oberste, letzte, souveräne Entscheidung.
werde, wie man es uns vorzuhalten versucht. Hierzu darf ich Ihnen aus der Regierungserklärung
des Herrn Bundeskanzlers vom 20. Oktober mit der
Die Opposition macht der Regierungskoalition das
Genehmigung des Herrn Präsidenten einige wenige
Recht streitig, die Verfassungsergänzung in der Sätze verlesen. Diese Sätze lauten:
vorliegenden Form überhaupt vorzunehmen. Sie
bestreitet auch dem heute hier zusammengetretenen Im Wahlkampf haben die Auseinandersetzun-
verfassungsändernden Gesetzgeber aus verfassungs- gen um die deutsch-alliierten Verträge, insbe-
rechtlichen Gründen das Recht, die in Rede stehende sondere um den das Kernstück einer euro-
Klarstellung vorzunehmen. Zur Begründung dieses päischen Integration bildenden Verteidigungs-
Bestreitens wird darauf hingewiesen, daß der ver- beitrag, einen breiten Raum eingenommen.
fassungsändernde Gesetzgeber nicht die gleichen Die Problematik lag für den deutschen Wähler
Befugnisse habe wie der ursprüngliche Verfassung- klar zutage. Es wird nicht gesagt werden kön-
nen, daß er plötzlich und ohne ausreichende
geber; insbesondere dürfe der verfassungsändernde
Gesetzgeber in keinem Falle zu einer Tangierung Vorbereitung vor die Entscheidung gestellt
worden sei. Das Votum der Wähler ist völlig
des in Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes umschrie-
klar. Niemand wird heute noch behaupten
benen Verfassungskerns seine Hand bieten. Das
können, daß das deutsche Volk den Verträgen
aber geschehe hier, so sagt man uns.
und einem deutschen Verteidigungsbeitrag ab-
Dazu ist folgendes zu sagen. Ob die Differenzie- lehnend gegenüberstehe.
rung zwischen dem ursprünglichen Verfassungs- So weit die Worte des Herrn Bundeskanzlers in der
gesetzgeber und dem späteren verfassungsändern- Regierungserklärung. Einige wenige Sätze vorher
den Gesetzgeber in dem eben genannten Sinne zu- hat er in der gleichen Regierungserklärung hierzu
treffend ist, kann — und darauf kommt es doch noch folgendes gesagt: „Diese Wahlen waren ein
an --, in dem heute hier zur Entscheidung anste- Volksentscheid." Sie war en ein Volksentscheid,
henden Falle dahingestellt bleiben. Denn nach unse- zwar nicht im technischen Sinne der Weimarer
rer Auffassung enthält keine der hier zu Beratung Reichsverfassung, aber im echten Sinne.
und Beschlußfassung anstehenden, in das Grund-
gesetz einzufügenden Vorschriften eine solche Ver- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
letzung des Kerns nach Art. 79 Abs. 3, der Sub- Durch diesen Volksentscheid fühlen wir uns nicht
stanz der Verfassung. nur berechtigt, sondern im Gewissen verpflichtet,
Vor allem aber ist es auch nicht richtig, daß diese diesen verfassungsergänzenden Vorschriften zuzu-
Grundsätze vom Verfassungsgesetzgeber ausnahms- stimmen.
los als jedweder Einwirkung entzogen statuiert (Beifall bei den Regierungsparteien.)
worden seien. Die Regelungen in den Art. 24 und 25
enthalten bereits einen Beweis für die Richtigkeit Wir bedauern, bei dieser Gelegenheit feststellen
dieser meiner Auffassung. Art. 24 ermöglicht näm- zu müssen, daß wir hierbei nicht mehr auf das Ver-
lich Integrationsmaßnahmen auch ohne Rücksicht ständnis stoßen, welches Herr Kollege Ollenhauer
auf den sogenannten Verfassungskern, und Art. 25 in seiner Stellungnahme zur Regierungserklärung
statuiert eindeutig den Vorrang der allgemeinen am 28. Oktober hier von dieser Stelle aus bekundet
Regeln des Völkerrechts nicht nur vor dem ein- hat. Herr Kollege Ollenhauer hat damals, als er
fachen Bundesrecht, sondern sogar vor dem gesam- diese Frage behandelte, wörtlich ausgeführt — ich
ten Bundesverfassungsrecht. Hierauf hat bei der zitiere —:
Schlußabstimmung im Hauptausschuß des Parla- Soweit es sich dabei um die Verfassungsergän-
mentarischen Rats insbesondere unser Kollege Herr zung im Zusammenhang mit den Verträgen
Dr. von Brentano hingewiesen. Er sagte: „Das Völ- handelt, ist dieses Bemühen der Bundesregie-
kerrecht geht unter allen Umständen dem Bundes- rung verständlich.
recht und auch dem Bundesverfassungsrecht vor " Leider müssen wir dieses Verständnis, das uns
Diese Auffassung ist damals im Hauptausschuß ein- Herr Kollege Ollenhauer in Aussicht gestellt hat
stimmig gutgeheißen worden. heute in dieser Diskussion vermissen.
(Abg. Dr. von Brentano: Ja!) (Beifall in der Mitte und rechts.)
Auf dieser vom Verfassungsgesetzgeber selbst - vor- Meine Damen und Herren, wir in der CDU/CSU-
gezeichneten Linie bewegen wir uns heute, wenn Fraktion sind jedenfalls entschlossen, auch ohne
wir Ihnen die Annahme dieser Verfassungsergän-
dieses Verständnis zu der Verfassungsergänzung
zung empfehlen. unser Ja zu sagen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Wenn in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 unseres Grund
gesetzes steht, daß alle Staatsgewalt und damit Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und
auch die verfassunggebende Staatsgewalt, sowohl Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht
die verfassunggebende wie auch die verfassungs- vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
ändernde Staatsgewalt, vom Volke ausgeht, dann Ich darf unterstellen, daß eine Einzelaus-
halten wir uns zu dieser ergänzenden Verfassungs- sprache nicht mehr gewünscht wird. Die allge-
änderung aus gutem Grunde für berechtigt. meine Aussprache hat sich ja auf die einzelnen Ar-
(Erneuter Beifall bei den Regierungs tikel des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs be-
parteien.) zogen.
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 583
(Präsident D. Dr. Ehlers)
Ich rufe auf zur Einzelaussprache der zweiten schiedenen Abgeordneten muß ein anderer Abge-
Beratung. Art. 1, — Art. 2, — Einleitung und ordneter gewählt werden. Die Drucksache 266 be-
Überschrift des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän- inhaltet den Antrag der CDU/CSU, an Stelle des
zung des Grundgesetzes. — Das Wort wird nicht Abgeordneten Dr. Dresbach den Abgeordneten
gewünscht. Ich bitte die Damen und Herren, die D r. Dittrich zum Mitglied des Wahlprüfungs-
diesen Artikeln, der Einleitung und Überschrift zu- ausschusses zu wählen. Ich bitte die Damen und
zustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Herren, die diesem Antrag der CDU/CSU zuzustim-
Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen. — men wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist
Ich stelle fest, daß diese Artikel, die Einleitung die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen. Da-
und Überschrift in der Abstimmung der zweiten mit ist dieser Punkt erledigt.
Beratung mit Mehrheit ohne Enthaltungen ange-
nommen sind, und verweise darauf, daß ent- Ich schlage Ihnen vor, daß wir zunächst ver-
sprechend der Stellungnahme des Geschäftsord- suchen, die Immunitätsfälle, die Punkte 3 bis 6 der
nungsausschusses die Feststellung einer verfas- Tagesordnung, zu erledigen. Zunächst Punkt 3:
sungsändernden Mehrheit in der zweiten Beratung Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
nicht erforderlich ist. schusses für Wahlprüfung und Immunität
Ich rufe zur (1. Ausschuß) betreffend Genehmigung zum
dritten Beratung Strafverfahren gegen den Abgeordneten
Even gemäß Schreiben des Bundesministers
auf. Ich darf unterstellen, daß eine allgemeine Aus- der Justiz vom 6. November 1953 (Druck-
sprache in der dritten Beratung nach der allge- sache 237).
meinen Aussprache in der zweiten Beratung nicht
gewünscht wird. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Höcker.
Ist er anwesend? — Offenbar nicht. Dann komme
(Abg. Dr. von Brentano: Zur Geschäfts ich zu Punkt 4:
ordnung!)
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. schusses für Wahlprüfung und Immunität
von Brentano! (1. Ausschuß) betreffend Genehmigung zum
Strafverfahren gegen den Abgeordneten
Dr. von Brentano (CDU/CSU): Herr Präsident! Dr. Rinke gemäß Schreiben des Rechtsan-
Meine Damen und Herren! Ich beantrage, für die walts Krahl-Urban, München, vom 19. No-
dritte Lesung die namentliche Abstimmung durch- vember 1953 (Drucksache 240).
zuführen.
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. von
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Merkatz. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen. — Ich
Herren, dieser Antrag ist namens der Fraktion der w äre dankbar, wenn Herr Abgeordneter Höcker
CDU/CSU gestellt. Er ist also ausreichend unter- Nachricht erhalten könnte, damit er die Bericht-
stützt. In der dritten Beratung wird über den Ge- erstattung vornimmt.
setzentwurf in namentlicher Abstimmung abge- Bitte schön, Herr Abgeordneter!
stimmt. Nach der Geschäftsordnung entfällt eine
Einzelberatung, da keine Änderungsanträge in der Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter: Herr
dritten Beratung gestellt sind. Präsident! Meine Damen und Herren! Im Falle
Ich komme zur Schlußabstimmung über den Ent- der geforderten Aufhebung der Immunität des
wurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundge- Abgeordneten Rinke schlägt Ihnen der Ausschuß
setzes in der dritten Beratung. Ich bitte die Her- für Wahlprüfung und Immunität vor, die Geneh-
ren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln. migung zum Strafverfahren gegen den Abgeord-
neten Dr. Rinke nicht zu erteilen. Ich darf in Kürze
(Einsammeln der Stimmkarten.) auf den Tatbestand hinweisen. Der Abgeordnete
Meine Damen und Herren, das Einsammeln der Rinke wird von einem Privatkläger beschuldigt,
Stimmkarten ist im wesentlichen beendet. Ich diesen durch einen Brief folgenden Wortlauts be-
werde vor Beendigung der Auszählung noch fra- leidigt zu haben:
gen, ob Abgeordnete vorhanden sind, die ihre Auf mein Schreiben vom 27. August 1953, in
Stimme abzugeben wünschen. dem ich Sie um konkrete Angaben für Ihre
Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen, und Behauptungen in der „Schlesischen Rundschau"
schlage Ihnen vor, daß wir inzwischen einige bat, haben Sie nicht geantwortet. Ich habe
Punkte der Tagesordnung, die keiner längeren nichts anderes erwartet. Verleumder pflegen
Aussprache bedürfen, erledigen. Gemäß einer in- nur selten Farbe zu bekennen, sondern sie
terfraktionellen Vereinbarung habe ich Ihnen vor- ziehen es in der Regel vor, zu kneifen. Ich
zuschlagen - werde dafür sorgen, daß Ihr unerhörtes Ver-
(Unruhe) halten allgemein bekannt wird.
erstens, daß Sie Platz nehmen, Dieser Brief enthält nach der Ansicht des Privat-
klägers eine Verleumdung und Beleidigung. Dem
(Heiterkeit) Sachverhalt liegen Streitigkeiten innerhalb der
zweitens, daß wir die Tagesordnung um folgenden oberschlesischen Landsmannschaft zugrunde.
Punkt ergänzen:
Nach den vom Ausschuß für Wahlprüfung und
Beratung des Antrags der Fraktion der Immunität festgelegten Grundsätzen handelt es
CDU, CSU betreffend Nachwahl eines Mit- sich hier um eine Angelegenheit, die nicht unbe-
gliedes des Wahlprüfungsausschusses (Druck- dingt als politisch betrachtet werden muß, die
sache 266). jedoch ihren Ursprung im politischen Raum hat
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete und innerhalb der Wahlzeit erwachsen ist. Beide
D r. Dr e s b a c h ist aus dem Wahlprüfungsaus- streitenden Parteien gehören den Landsmannschaf-
schuß ausgeschieden. Als Ersatz für den ausge ten an. Nach den Grundsätzen, die der Ausschuß
584 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. von Merkatz)
entwickelt hat, kann dem Hause in der Angelegen- Präsident D. Dr. Ehlers: Ich danke dem Herrn
heit eine Aufhebung der Immunität nicht vorge- Berichterstatter.
schlagen werden. Nach den Gepflogenheiten des Ich bitte die Damen und Herren, die den beiden
Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität bin Anträgen des Ausschusses . für Wahlprüfung und
ich nicht näher in den Sachverhalt eingestiegen, da Immunität, betreffend Genehmigung zum Straf-
dies nicht unsere Aufgabe ist, und habe hier nur verfahren gegen den Abgeordneten Dr. Rinke und
die formale Frage erörtert. den Abgeordneten Metzger, zuzustimmen wün-
schen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehr-
Präsident D. Dr. Ehlers: Wollen Sie bitte zu heit; die beiden Anträge sind angenommen.
Punkt 6 auch gleich berichten: Ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- in der namentlichen Abstimmung ihre Stimme
schusses für Wahlprüfung und Immunität abgeben wollen? — Das ist nicht der Fall. Dann
(1. Ausschuß) betreffend Genehmigung zum I schließe ich die namentliche Abstimmung.
Strafverfahren gegen den Abgeordneten Meine Damen und Herren, ich gebe das vor-
Metzger gemäß Schreiben des Amtsgerichts läufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung
Wiesbaden, Abt. 87 vom 4. Januar 1954 bekannt. Es haben sich an der Abstimmung insge-
(Drucksache 243). samt 478 Abgeordnete und 22 Berliner Abgeord-
nete beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 334 Abge-
ordnete, mit Nein 144 Abgeordnete. Von den Ber-
Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter: Auch im liner Abgeordneten, deren Stimmen nicht gezählt
Falle der geforderten Aufhebung der Immunität werden, haben mit Ja gestimmt 11, mit Nein 11.
des Abgeordneten Metzger schlägt Ihnen der Aus- Die in Art. 79 des Grundgesetzes für die Änderung
schuß für Wahlprüfung und Immunität vor, die des Grundgesetzes vorgesehene Mehrheit von zwei
Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Ab- Dritteln der Mitglieder des Bundestages beträgt
geordneten Metzger nicht zu erteilen. Ich darf mich 325 Abgeordnete. Ich stelle fest, daß die in Art. 79
hier in der mündlichen Berichterstattung auf eine des Grundgesetzes geforderte Zweidrittelmehrheit
ganz kurze Darstellung des Sachverhalts beschrän- der Mitglieder des Bundestages in dieser nament-
ken, möchte aber, da es sich um einen grundsätz- lichen Abstimmung erreicht ist. Damit ist das Ge-
lichen Fall handelt, die näheren Ausführungen setz zur Ergänzung des Grundgesetzes in der drit-
schriftlich zu Protokoll geben.*) ten Beratung in der Schlußabstimmung ange-
Hinsichtlich der Berichterstattung heute ist fol- nommen.
gendes zu sagen. Von dem Beschuldigten, dem Ab- Meine Damen und Herren! Ist es der Wunsch,
geordneten Metzger, wird behauptet, daß er in der daß zunächst die Punkte erledigt werden, die sich
Wandelhalle des Landtags in Hessen in bezug auf schneller erledigen lassen, um dann zu Punkt 2 der
den Privatkläger erklärt habe, er halte den im Tagesordnung zu kommen? — Das scheint Ihre
Plenum des Landtags gemachten Vorwurf des un- Meinung zu sein.
sauberen Journalismus gegenüber dem Privat- Herr Abgeordneter Höcker ist inzwischen einge-
kläger aufrecht. Die Äußerung „unsauberer Jour- troffen. Dann kommen wir zur
nalismus" ist ein tadelndes Werturteil und keine
Tatsachenbehauptung. Sie ist ein Werturteil, das Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
letzthin logisch einem Beweise nicht zugänglich ist, schusses für Wahlprüfung und Immunität
da durch den Ausdruck „unsauberer Journalismus" (1. Ausschuß) betreffend Genehmigung zum
auch reine Fragen des Geschmacks, des Stils oder Strafverfahren gegen den Abgeordneten
der Stoffwahl getroffen werden können. Allerdings Even gemäß Schreiben des Bundesministers
steht hier dieses tadelnde Werturteil mit einer der Justiz. vom 6. November 1953 (Druck-
Reihe von Tatsachen, die dem Beweise zugänglich sache 237).
sind, in logischem Zusammenhang. Dabei überwiegt Bitte schön, Herr Abgeordneter!
aber der Charakter des Werturteils bei weitem die
in ihm eingeschlossene Bezugnahme auf eine Höcker (SPD), Berichterstatter: Herr Präsident!
Unterstellung von Tatsachen. Wenn man dieser Meine Damen und Herren! Dem Antrag auf Auf-
Folgerung nach den Tatumständen beitritt, würde hebung der Immunität des Abgeordneten Even
es sich möglicherweise um eine einfache Beleidi- liegt folgender Tatbestand zugrunde. Das Vor-
gung handeln, deren politischer Charakter, aus den standsmitglied des DGB Haferkamp, Düsseldorf, hat
Umständen zu folgern, nicht zu bestreiten ist. Be- unter dem 22. Juli 1953 Strafantrag gegen den Ab-
leidigungen politischen Charakters sollen aber nach geordneten Even wegen Beleidigung gestellt wegen
den Grundsätzen des Bundestages in der Regel eines in der „Ketteler Wacht" am 1. Mai 1953 er-
nicht zur Aufhebung der Immunität führen. Eine schienenen Artikels, der die Überschrift trug „Un-
einfache Beleidigung, die im Parlament erfolgt saubere Methoden". Der Abgeordnete Even war
ist, kann nicht verfolgt werden. Auch wenn diese damals — und ist es wohl heute noch — verant-
Beleidigung außerhalb des Parlaments geschehen wortlicher Redakteur der „Ketteler Wacht".
ist, darf sie nicht verfolgt werden, wenn sie nicht Der Artikel enthält folgende Bemerkungen:
zugleich eine Verleumdung im Sinne des § 187 ,.Alle jene, die sich dem Monopolanspruch des DGB
StGB darstellt. Die Erfüllung des Tatbestandes des nicht beugen wollen, werden vom DGB und seinen
187 StGB behauptet aber selbst der Privatkläger Vertretern als Reaktionäre und Gewerkschaftsspal-
nicht. ter beschimpft. Besonders tut sich Herr Haferkamp
Der Ausschuß ist somit zu dem Ergebnis gekom- hervor, der sich in hysterischen Angriffen gegen
men, dem Hohen Hause zu empfehlen, die Geneh- die KAB fast überschlägt."
migung zum Strafverfahren gegen den Abgeord- Aus diesem Sachverhalt — auch aus einer Reihe
neten Metzger nicht zu erteilen. von anderen Bemerkungen wie' „Reaktionäre"
*) Siehe Anlage Seite 608 *) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 614
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 585
(Höcker)
und „Unternehmerknechte" — glaubt Herr Hafer- Ich darf noch darauf hinweisen, daß bereits der
kamp sich beleidigt und hat aus diesem Grunde 1. Bundestag mit dieser Sache beschäftigt war und
Strafantrag gegen Herrn Even gestellt. in seiner Sitzung vom 3. Juli 1953 auf Grund der
Der Ausschuß hat sich in seiner Sitzung ein- gleichen, heute wieder zur Debatte stehenden
gehend mit diesen Vorwürfen beschäftigt und ist Tatbestände ebenfalls zu der Ablehnung des An-
zu der Auffassung gekommen — und in der Dis- trags gekommen ist und die Immunität nicht auf-
kussion kam das besonders zum Ausdruck —, daß gehoben hat.
diese Auseinandersetzungen in einer Zeit erfolgt
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich danke dem Herrn
sind, als solche im großen politischen Raum
zwischen einem Teil von christlichen und anderen Berichterstatter.
Gewerkschaftlern geführt worden sind. Er sieht Herr Abgeordneter Dr. Becker, bitte schön.
deshalb diese Bemerkungen als keine Beleidigung
an, sondern ist der Auffassung, daß hier eine Aus- Dr. Becker (Hersfeld) (FDP): Dem Vorschlag des
einandersetzung im großen politischen Raum statt- Ausschusses stimme ich selbstverständlich zu. Ich
gefunden hat. Der Ausschuß schlägt dem Hohen füge zum Tatbestand hinzu, daß gleichzeitig eine
Hause vor, dem Antrag des Immunitätsausschusses Zivilklage auf Unterlassung erhoben ist; dieser
beizutreten, die Immunität des Abgeordneten Even Zivilprozeß berührt natürlich dieses Haus und die
nicht aufzuheben. Frage der Immunität nicht. Ich stelle aber fest, daß,
wenn ein deutscher Abgeordneter in Erfüllung
Ich bitte das Hohe Haus, diesen Antrag anzu- seiner Pflicht eine solche Warnung gibt, dann der-
nehmen. artige Verfahren überhaupt die Konsequenz sein
können. Wenn ich recht unterrichtet bin, soll dieses
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich danke dem Herrn Strafverfahren, das jetzt ausgesetzt ist, sogar als
Berichterstatter. Das Wort wird nicht gewünscht. Offizialverfahren aufgezogen sein. Wenn das der
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem An- Fall ist, dann hört doch eigentlich alles auf!
trag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu er-
heben. — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist an- Präsident D. Dr. Ehlers: Weitere Wortmeldungen
genommen. liegen nicht vor. Ich bitte die Damen und Herren,
die dem Antrag des Ausschusses, den Abgeordneter
Ich rufe dann Punkt 5 auf: Dr. Klötzer vorgetragen hat — Drucksache 242 —,
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. —
schusses für Wahlprüfung und Immunität Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
(1. Ausschuß) betreffend Genehmigung zum Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Strafverfahren gegen den Abgeordneten
Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten
Dr. Henn gemäß Schreiben des Bundesmini-
Gesetzes über die Verlängerung der Wahl-
sters der Justiz vom 30. November 1953 periode der Betriebsräte (Personalvertretun-
(Drucksache 242). gen) in den öffentlichen Verwaltungen und
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Betrieben des Bundes und der bundesunmit-
Klötzer. Bitte schön! telbaren Körperschaften des öffentlichen
Rechts (Drucksache 271).
Dr. Klötzer (GB/BHE), Berichterstatter: Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich Ich bin darüber unterrichtet worden, daß eine
mit meiner Berichterstattung sehr kurz fassen. Ein Vereinbarung zwischen allen Fraktionen getroffen
Angehöriger einer Bundesbehörde, der bis 1948 in worden sei, heute nicht nur die erste Beratung
der sowjetisch besetzten Zone lebte und dort bei dieses Gesetzentwurfs, sondern alle drei Lesungen
mehreren Dienststellen tätig war, fühlt sich durch durchzuführen. Ich rufe zur ersten Beratung
einen Brief beleidigt, den der Abgeordnete Dr. Drucksache 271 auf. — Es liegen keine Wortmel-
Henn in seiner Eigenschaft als Leiter einer Ber- dungen vor. Damit ist die erste Beratung beendet.
liner Dienststelle seiner Partei an eine Bonner Ich rufe auf zur
Dienststelle der gleichen Partei gerichtet hat. In zweiten Beratung,
diesem Brief hat Herr Dr. Henn Bedenken hin- und zwar § 1, — § 2, — § 3, — Einleitung und
sichtlich der politischen Zuverlässigkeit dieses An- Überschrift. — Wortmeldungen liegen nicht vor.
gestellten der Bundesbehörde geltend gemacht und Ich schließe die allgemeine Aussprache der Einzel-
Vorwürfe wegen der politischen Tätigkeit dieses beratung der zweiten Lesung. Ich bitte die Damen
Herrn in der Zeit, als er in der Sowjetzone lebte, und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen,
erhoben. Der Inhalt dieses Briefes ist dieser Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen,
Bundesbehörde und auch dem betreffenden Herrn eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit.
selbst zur Kenntnis gelangt. Er beabsichtigt - nun, Diese Paragraphen, Einleitung und Überschrift
gegen Herrn Dr. Henn strafrechtlich vorzugehen.
sind angenommen.
Der Ausschuß hatte abzuwägen zwischen dem Ich komme zur
berechtigten Verlangen eines Staatsbürgers, sich
gegen Vorwürfe zu verteidigen, selbst wenn diese dritten Beratung.
von einem Abgeordneten erhoben werden, und der — Zur allgemeinen Aussprache liegt keine Wort
Überlegung, ob und inwieweit ein Mitglied dieses meldung vor. Einzelberatung entfällt. Ich komme
Hauses berechtigt, ja geradezu verpflichtet ist, im zur Abstimmung in der dritten Beratung und zur
Personellen und Sachlichen Kritik zu üben und Schlußabstimmung über den Entwurf eines Zwei
auf Mißstände in der öffentlichen Verwaltung hin- ten Gesetzes über die Verlängerung der Wahlpe
zuweisen. Der Ausschuß sieht in dem Verhalten des riode der Betriebsräte (Personalvertretungen) in
Herrn Dr. Henn die Wahrung berechtigter Interes- den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben des
sen im Sinne des § 193 des Strafgesetzbuches. Er Bundes und der bundesunmittelbaren Körper
schlägt daher dem Hohen Hause vor, die Immu- schaften des öffentlichen Rechts. Ich bitte die Da
nität des Abgeordneten Dr. Henn nicht aufzuheben. men und Herren, die diesem Gesetzentwurf in der
586 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Präsident D. Dr. Ehlers)
dritten Beratung und in der Schlußabstimmung der Ausschuß ebenso gewürdigt, wie die bisherigen
insgesamt zuzustimmen wünschen, sich von ihren langjährigen und weiter anhaltenden Ertragsver-
Plätzen zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Ich zichte seitens der Gläubiger.
stelle fest, daß dieses Gesetz in der dritten Bera- Der Ausschuß ist daher zu dem Schluß gekom-
tung und in der Schlußabstimmung einstimmig men, die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf zu
angenommen worden ist. empfehlen. Dabei ist er sich bewußt gewesen, daß
Ich komme zu Punkt 8: die weitere Durchführung zu gegebener Zeit Bun-
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs desregierung und Bundestag wird beschäftigen
eines Gesetzes betreffend die Vereinbarung müssen.
vom 23. Februar 1953 über die Regelung der Meine Damen und Herren! Dem Bericht der
Schweizerfranken-Grundschulden (Druck- Drucksache 238 habe ich hinzuzufügen, daß Art. III
sache 159); des Gesetzentwurfs nicht der von den zuständigen
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld Bundesressorts inzwischen vereinbarten Formulie-
und Kredit (22. Ausschuß) (Drucksache 238). rung der Berlin-Klausel in Ratifizierungsgesetzen
(Erste Beratung: 10. Sitzung.) entspricht. Die Bundesregierung hat daher auch
Der mündliche Bericht soll vom Herrn Abgeord- der vom Bundesrat beschlossenen Änderung des
neten Dr. Hesberg erstattet werden. Bitte schön! Art. III zugestimmt. Demgemäß darf ich Ihnen
namens des Ausschusses empfehlen, dem Gesetz-
Dr. Hesberg (CDU/CSU), Berichterstatter: Herr entwurf mit der Maßgabe zuzustimmen, daß
Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetz- Art. III folgende Fassung erhält:
entwurf, der mit der Drucksache 159 vorgelegt (1) Dieses Gesetz gilt auch im Land Berlin,
worden ist, enthält die Zustimmungserklärung zu wenn das Land Berlin die Anwendung dieses
der vor Jahresfrist, nämlich am 25. Februar 1953, Gesetzes feststellt.
getroffenen Vereinbarung über die Regelung der
Schweizerfranken-Grundschulden mit der Wir- (2) Der Tag, an dem die Vereinbarung gemäß
kung, daß sie mit der Annahme innerstaatliches den Artikeln 19, 24 und 35 des Abkommens
Recht wird. über Deutsche Auslandsschulden im Land
Berlin in Kraft tritt, ist der 5. Oktober 1953.
Die Vereinbarung, mit der sich der Ausschuß für
Geld und Kredit am 4. Februar dieses Jahres be- Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn
faßt hat, stellt ein ergänzendes Abkommen zu dem Berichterstatter.
sogenannten Londoner Schuldenabkommen dar. Sie
betrifft Realkreditverpflichtungen deutscher Ich eröffne die Aussprache. Wortmeldungen lie-
Grundeigentümer aus der Zeit vor dem ersten gen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung in der
Weltkrieg, dritten Beratung. Ich rufe auf Art. I, II, III, IV. —
(Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt Wer für diese Bestimmungen ist, den bitte ich, die
den Vorsitz) Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ich stelle ein-
stimmige Annahme fest. Gemäß § 88 der Geschäfts-
ehemalige Goldhypotheken, die nach Aufhebung ordnung findet eine Schlußabstimmung nicht statt.
der Goldklausel, nämlich 1914, durch Abkommen in
den Jahren 1920 und 1923 in Franken-Grundschul- Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
den umgewandelt, mithin Valutagrundschulden ge- a) Beratung der Großen Anfrage der Frak-
worden sind. tion der SPD betreffend Verkündung des
Die lange Laufzeit dieser Anlagen in Höhe von Gesetzes über Straffreiheit (Druck-
85 Millionen Schweizerfranken, davon etwa die sache 226);
Hälfte in Berlin, die nach den getroffenen Verein- b) Erste Beratung des Entwurfs eines Geset-
barungen in den Jahren 1958 bis 1970 zu tilgen zes über die Gewährung von Straffreiheit
sind — so daß die Laufzeit über 50 Jahre be- (Drucksache 215);
trägt —, beinhaltet Verzichte und Sorgen sowohl c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
der Gläubiger als auch der Schuldner. Letztere sind Höcherl, Strauß, Stücklen und Genossen
schon vor dem zweiten Weltkriege von der rück- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
läufigen Wertentwicklung der Altbauten getroffen über die Gewährung von Straffreiheit
gewesen. Die dadurch verschobene Relation zwi- (Drucksache 248).
schen Belastung und Wert wurde noch nachteilig
beeinflußt durch das Umrechnungsverhältnis des Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll
Schweizerfranken zur D-Mark seit 1948. Rund zunächst zu Punkt 2 b der Bundesminister der
50 v. H. der belasteten Objekte sind kriegsbetroffen, Justiz sprechen. Ich erteile ihm das Wort.
zum größten Teil zerstört. Deswegen beläuft sich Neumayer, Bundesminister der Justiz: Herr
auch die derzeitige Belastung auf das Dreifache der Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Steuerwerte dieser Grundstücke. Über 50 v. H. der Herren! Ich habe heute die Ehre, Ihnen den Ent-
Grundstücke haben Ertragsausfälle von mehr als wurf eines Straffreiheitsgesetzes zur Beschluß-
50 %, ein Drittel sogar über 90% Ertragsminde- fassung bzw. zur Verweisung an den Rechtsaus-
rung zu verzeichnen. Die in der sogenannten Haus- schuß vorzulegen.
zinssteuerära vereinbarungsgemäß gebildeten Til-
gungsfonds zwecks Rückzahlung der Schweizer- Die Bundesregierung hatte bereits im Januar den
franken sind der Währungsreform anheimgefallen, Entwurf eines neuen Straffreiheitsgesetzes vorge-
und Schuldenabstriche, die R-Mark-Schuldnern bei legt. Seitdem die Tatsache der Vorbereitung des
der Hypothekengewinnabgabe gegeben wurden, Gesetzes bekanntgeworden ist, hat sich die Öffent-
sind in diesem Umfang hier nicht gegeben. Doch lichkeit reichlich mit der Frage beschäftigt, ob ein
haben die Gläubiger gegenüber der normalen Rege- Bedürfnis für eine neue Amnestie bestehe und ge-
lung im Londoner Schuldenabkommen bei der Til- gebenenfalls, wie sie auszugestalten sei. Es ist ja
gung dieser Belastungen Schuldenabstriche gegen- bekanntgeworden — die Tageszeitungen haben
über den Wertverhältnissen zugestanden. Dies hat auch darüber berichtet —, daß die Meinungen über
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 587
(Bundesjustizminister Neumayer)
diese Frage weit auseinanderklaffen. Die Auffas- Amnestiegesetz bestimmten Endtermin für die
sungen reichen von der Forderung nach einer Straflosigkeit der Verschleierung des Personen-
Generalamnestie weitesten Ausmaßes über die standes hinaus in eine Lage gedrängt, die sie Name
Stellungnahme zu den verschiedensten Fragen ihrer und Vergangenheit verheimlichen oder weiter in
Ausgestaltung bis zur grundsätzlichen Ablehnung der Illegalität verbleiben ließ. In diesem Zusam-
einer Amnestie überhaupt. Insbesondere haben sich menhang sind manche mit dem Gesetz in Konflikt
die Länder in ihrer Gesamtheit zu einer Ablehnung geraten. Im übrigen ist auch zu berücksichtigen,
der Amnestie entschlossen, obwohl einige von daß das Jahr 1949 am Beginn einer Aufbauperiode
ihnen sich bei den Vorbesprechungen zu dem Ge- stand, deren Auswirkungen und deren Dauer da-
danken eines Straffreiheitsgesetzes durchaus posi- mals noch nicht zu übersehen waren. So hat sich,
tiv eingestellt und sogar Erweiterungswünsche was nicht vorausgesehen werden konnte, z. B. das
gegenüber Einzelvorschlägen der Bundesregierung Flüchtlingselend, das die Grundlage für manche
geäußert hatten. Der Bundesrat hat die Ablehnung Straftaten bildete, nur zum Teil verringert, bei
damit begründet, daß der von der Bundesregierung ganzen Personengruppen aber hartnäckig erhalten.
vorgelegte Gesetzentwurf rechtspolitisch bedenklich Um den hier entstandenen Bedürfnissen gerecht
und kriminalpolitisch gefährlich sei. Man glaubt,
zu werden, hat man bereits Anfang 1952, als sich
es genüge zum Ausgleich von Härten, daß die Ein-
eine Festigung des Gesundungsprozesses abzeich-
zelfälle von Gerichten und Gnadenbehörden indi- nete, den Plan gefaßt, zur Schließung der Lücken
viduell behandelt werden. der Amnestie von 1949 ein neues Straffreiheits-
Meine Damen und Herren, es ist für eine Bun- gesetz vorzubereiten. Seine Aufgabe mußte und
desregierung nicht immer ganz einfach, ein Straf- sollte also sein, die rücken zu schließen, die das alte
freiheitsgesetz vorzulegen. Insbesondere der Bun- Amnestiegesetz offengelassen hatte. Als Zeitpunkt
desminister der Justiz muß sich der kriminalpoliti- der Einreichung des Gesetzes war ursprünglich die
schen Bedenken, die ein solches Gesetz in sich für Ende 1952 erwartete Ratifikation des Deutsch-
schließt, bewußt sein und abwägen, ob diese krimi- land-Vertrags und des Vertrags über die Europä-
nalpolitischen Bedenken entscheidend ins Gewicht ische Verteidigungsgemeinschaft vorgesehen. Der
fallen gegenüber dem anderen Gedanken, der zur Pian ließ sich nicht verwirklichen. Jetzt, über vier
Vorlage dieses Gesetzes geführt hat, dem Gedan- Jahre nach der letzten Amnestie, die sich not-
ken, einen Schlußstrich zu ziehen unter eine gedrungen mit einem allzu engen Rahmen zu-
chaotische Zeit, für die niemand von uns verant- frieden geben mußte und daher die erforderliche
wortlich war und die Menschen zu Straftaten oder Befriedung nicht bringen konnte, läßt sich ein
Gesetzesübertretungen geführt hat, die sie sonst weiteres Abwarten nach Auffassung der Bundes-
niemals begangen hätten. regierung nicht mehr vertreten.
Das Bundeskabinett hat sich nach gewissenhafter Die Bundesregierung hat daher bereits in ihrer
Prüfung aller dieser Gesichtspunkte, die für und Sitzung vom 8. September 1953 den Beschluß ge-
gegen den Erlaß eines neuen Straffreiheitsgesetzes faßt, den Entwurf eines Straffreiheitsgesetzes aus-
und für und wider die Fassung des im Bundes- arbeiten zu lassen, der in seinen Grundzügen
justizministerium erarbeiteten Entwurfs vorge- bereits vorlag, als ich mein Amt als Bundes-
bracht worden sind, verpflichtet gefühlt, den Re- minister der Justiz antrat. Der mitunter geäußerte
gierungsentwurf so, wie er dem Bundesrat vor- Gedanke, die Bundesregierung habe den Wahlsieg
gelegt worden war, unverändert dem Hohen Hause vom September vorigen Jahres zum Anlaß ge-
zur Beschlußfassung zu unterbreiten. Es wird er- nommen, ein Straffreiheitsgesetz zu propagieren,
forderlich sein, daß ich Ihnen die Gründe darlege, ist völlig unrichtig. Ich betone ausdrücklich, daß es
die das Bundeskabinett bei seinem Beschluß ge- ein rein zufälliges Zusammentreffen ist, wenn die
leitet haben. Ich muß damit zu einigen grundsätz- Vorlage des Entwurfs mit dem Arbeitsbeginn des
lichen Fragen Stellung nehmen, die in dem Streit 2. Deutschen Bundestages zusammenfällt.
der Meinungen eine erhebliche Rolle gespielt haben.
Mit aller Deutlichkeit darf ich hier feststellen,
Die erste Frage ging dahin, ob sich im jetzigen daß der Entwurf nur eine Ergänzung des alten
Zeitpunkt der Erlaß eines neuen Straffreiheits- Amnestiegesetzes bezweckt und daß eine periodische
gesetzes überhaupt rechtfertigen lasse. Die Bundes- Wiederholung, etwa im Zusammenhang mit dem
regierung ist davon überzeugt, daß diese Frage un- Beginn einer Legislaturperiode, in keiner Weise be-
bedingt bejaht werden muß, und zwar aus folgen- absichtigt ist. Ich darf hinzufügen, daß nicht daran
den Gründen. Das Straffreiheitsgesetz vom 31. De- gedacht wird, in späteren Zeiten derartige äußere
zember 1949 konnte dem Bedürfnis, einen Schluß- Anlässe zu einem Straffreiheitsgesetz zu benützen,
strich unter die Zeit des Zusammenbruchs und die wenn nicht die innere Begründung, die wir hier für
damit in Verbindung stehenden Straftaten zu vorliegend halten, gegeben ist. Das von mir ge-
ziehen, nicht voll entsprechen. Es konnte gewisse
- nannte Ziel, das in den Grundzügen des Regierungs-
Tatbestände von politischer Tragweite nicht er- entwurfs verankert ist, muß meines Erachtens auch
fassen und mußte insbesondere wegen des zu be- die vom Bundesrat geäußerte Besorgnis zerstreuen.
fürchtenden Widerstandes der Besatzungsmächte
auf manche Vorschriften verzichten, deren Erlaß Ich darf zur Begründung dessen, daß hier wirk-
zur Bereinigung zweckvoll und sogar notwendig lich nur ein Schlußstrich unter die Zeit des Zu-
gewesen wäre. Ich brauche diesen Gesichtspunkt sammenbruchs und die damit zusammenhängenden
wohl nicht zu vertiefen, denn sie alle kennen ja Straftaten gezogen werden soll, insbesondere auf
selber die Auswirkungen der Besatzungsverhält- die Überschriften hinweisen, die die einzelnen Para-
nisse, die uns gewiß nicht immer leicht gefallen graphen tragen. So lautet die Überschrift von § 2
sind. Diese Verhältnisse haben manchen, der sich „Straftaten infolge der Kriegs- oder Nachkriegs-
z. B. vor einem Entnazifizierungs- und Spruch verhältnisse". § 3 trägt die Überschrift „Straftaten
kammerverfahren scheute oder gar eine Ausliefe- infolge wirtschaftlicher Notlage", § 8 „Taten wäh-
rung durch die Besatzungsmächte befürchten mußte, rend des staatlichen Zusammenbruchs", § 9 „Ver-
auch über den 31. März, also über den im alten schleierung des Personenstandes", was also auch
588 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Bundesjustizminister Neumayer)
mit dem staatlichen Zusammenbruch, mit den Ent- auf die Begründung des Gesetzentwurfs Bezug zu
nazifizierungsverfahren usw. zusammenhängt. Die nehmen. Insgesamt verbleibt die Bundesregierung
Inhaltsangaben dieser Bestimmungen zeigen deut- trotz der vom Bundesrat geäußerten Bedenken auf
lich, daß der Entwurf auf dem Grundsatz beruht, ihren Vorschlägen, wie sie in den §§ 2 bis 9 des
Lücken zu schließen und damit die frühere Am- Entwurfs niedergelegt sind, bestehen. Ich hoffe,
nestie zu ergänzen. meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie
Die Amnestie soll nur einem beschränkten Per- sich der Erkenntnis nicht verschließen werden, daß
sonenkreis zugute kommen und insbesondere solche hier ein wirkliches Bedürfnis für eine beschränkte
Taten erfassen, die mit den außerordentlichen Ver- Amnestie im Rahmen des Regierungsentwurfs be-
hältnissen zusammenhängen, die durch die Kriegs- steht und daß die Einwendungen, die der Bundes-
und Nachkriegsereignisse entstanden sind und die rat erhoben hat, nicht hinreichend begründet sind.
sich, wie wir alle erwarten und auch erwarten dür- Abschließend darf ich noch bemerken, daß ent-
fen, nicht wiederholen werden. Hält sich das Gesetz gegen der Auffassung des Bundesrats ein aus-
in diesem engen Rahmen, so gibt sein Inhalt selbst reichender Ausgleich von Härten nicht dadurch ge-
die beste Gewähr dafür, daß es nicht aus ähnlichen schaffen werden kann, daß die Gerichte und
Erwägungen periodisch wiederholt werden kann. Gnadenbehörden dem Einzelfall eine individuelle
Ich will es mir versagen, Ihnen hier alle Einzel- Berücksichtigung zukommen lassen. Die gerichtliche
fälle vorzutragen; ich darf insoweit auf die Be- Strafaussetzung zur Bewährung und die bedingte
gründung verweisen. Aber besonders aufmerksam Entlassung sind nur bei Freiheitsstrafen möglich,
machen möchte ich Sie auf § 6, der die Beleidi- bei Geldstrafen und Geldbußen dagegen ausge-
gungen im politischen Meinungsstreit behandelt. schlossen. Gnadenerweise aber setzen jeweils vor-
Die Bundesregierung bejaht uneingeschränkt die aus, daß die Strafverfahren rechtskräftig abge-
Notwendigkeit, für die Sauberkeit des politischen schlossen sind. Sie können also keineswegs solchen
Kampfes und für einen wirksamen Ehrenschutz der Tätern helfen, die z. B. aus Furcht vor der Verfol-
im politischen Leben tätigen Personen Sorge zu gung untergetaucht sind oder gar die Rückkehr in
tragen. Hier geht es aber um eine andere Frage. ihre Heimat meiden; denn gegen sie kann das Ver-
Die rechts- und linksradikalen Parteien haben in fahren nicht immer durchgeführt werden. In vielen
den letzten Jahren einen erbitterten Kampf gegen Fällen wäre die Durchführung eines Verfahrens
die freiheitliche Grundordnung geführt. Nach den auch unerwünscht. Insbesondere bei Wirtschafts-
vorhandenen, sehr genauen Unterlagen haben sich straftaten und Ordnungswidrigkeiten besteht unter
diese Angriffe überwiegend gegen die Bundes- gewissen Voraussetzungen sogar ein rechts-
regierung, insbesondere gegen den Bundeskanzler politisches Interese daran, von der Durchführung
und auch gegen einzelne Bundesminister ge- des Verfahrens abzusehen, da die Wirtschafts-
richtet. Der rapide Rückgang der links- und entwicklung, wie etwa bei dem Erwerb der soge-
rechtsradikalen Parteien hat bewiesen, daß sie im nannten Schwarzkohlen in der Zeit der Koreakrise
politischen Leben der Bundesrepublik kaum mehr in den Wintern 1950/51 und 1951/52 über die Ver-
eine Rolle spielen. hältnisse, die zu diesen Straftaten geführt haben,
Die Bundesregierung, die also in allen diesen hinweggegangen ist. Insgesamt bieten somit die
Fällen überwiegend selbst die Verletzte ist, sieht der Strafrechtspflege ohnehin zu Gebote stehenden
nun den Zeitpunkt gekommen, auch hier eine Be- Mittel nicht die Möglichkeit, das Ziel einer Gesamt-
friedung herbeizuführen und Straffreiheit zu ge- bereinigung der Kriegs- und Nachkriegsverhält-
währen. Die erwähnten Verfahren wegen poli- nisse zu erreichen.
tischer Beleidigung verletzen oft das Rechtsgefühl (Vizepräsident Dr. Schneider über
nicht nur der Verletzten, sondern auch weiter-nimmt den Vorsitz.)
Kreise des Volkes. Insbesondere hat sich heraus-
gestellt, daß gerade solche Verfahren nur gegen die Ich darf abschließend noch einmal betonen: es ist
kleinen Übeltäter durchgeführt werden konnten, der Zweck und das alleinige Ziel dieses Entwurfes,
gegen untergeordnete Mitglieder radikaler Organi- hier eine Befriedung herbeizuführen, einen Schluß-
sationen, gegen deren Mitläufer, die zum Verteilen strich unter Straftaten zu ziehen, die in unmittel-
von Flugblättern beleidigenden Inhalts bestimmt barem oder mittelbarem Zusammenhang mit
worden waren, oder gegen Erwerbslose, die ver- den Verhältnissen einer chaotischen Zeit be-
sucht hatten, sich mit der Verteilung von Flug- gangen worden sind. Wir werden ja im Rechts-
blättern einen kleinen Nebenverdienst zu ver- ausschuß noch Gelegenheit haben, uns über
schaffen. Die wirklichen Übeltäter aber, von denen die Einzelheiten des Entwurfs auszusprechen.
diese ganze Agitation ausging, die die Veranlasser Ich weiß, von der einen Seite werden einschrän-
und die geistigen Urheber dieser Flugblätter waren, kende, von der anderen Seite ausweitende Bestim-
bleiben — leider, muß ich sagen — vielfach un- mungen für richtig gehalten. Aber ich bin über-
behelligt, und zwar infolge ihrer Tarnung oder zeugt, daß es gelingen wird, für den Entwurf eine
wegen Abwesenheit. Grundlage zu finden, die sowohl von der Regierung
als auch vom Parlament durchaus verantwortet und
(Abg. Dr. Menzel: Das sagen Sie mal im vertreten werden kann.
Kabinett dem Herrn Bundeskanzler!)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Hier liegt ein echtes Problem, das meines Erachtens
eine weitgehende Amnestierung rechtfertigt und Vizepräsident Dr. Schneider: Ich erteile dem Ab-
das auch nur auf diesem Wege gelöst werden kann. geordneten Dr. Greve das Wort zur Begründung
Ich möchte auch ganz kurz auf den § 7 des Ent- der Großen Anfrage der Fraktion der SPD be-
wurfs eingehen, der sich mit der Nachrichtentätig- treffend Verkündung des Gesetzes über Straf-
keit beschäftigt. Wir werden allerdings nachher bei freiheit, Punkt 2 a der Tagesordnung.
der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD
noch Gelegenheit haben, hierzu im einzelnen Stel- Dr. Greve (SPD), Anfragender: Herr Präsident!
lung zu nehmen. Im Augenblick möchte ich mir Darf ich zu gleicher Zeit zu den Ausführungen des
nähere Ausführungen ersparen und mir erlauben, . Herrn Bundesministers der Justiz hinsichtlich der
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 589
(Dr. Greve)
Begründung der Regierungsvorlage Stellung neh- Bei der Amnestie darf es sich, und das berührt
men? Das vereinfacht das Verfahren. sowohl den Zeitpunkt als auch den Anlaß, nur um
eine ganz seltene Angelegenheit aus einem beson-
Vizepräsident Dr. Schneider: Jawohl! deren Anlaß im Leben eines Staates und eines
Volkes handeln. Zur Begründung darf ich mich
Dr. Greve (SPD), Anfragender: Meine Damen hier auf die Ausführungen des Herrn Staatssekre-
und Herren! Ich bedaure den Herrn Bundesminister tärs im Bundesjustizministerium beziehen, der in
der Justiz, daß er heute schon ein zweites Mal der Beratung der Vorlage im Bundesrat am 18. Sep-
hier für die Bundesregierung eine Vorlage ver- tember 1953 vorgetragen hat — ich zitiere wört-
treten mußte, die nur sehr schlecht zu vertreten lich —:
ist, diese offenbar noch schlechter als die unter Jede Amnestie ist ein außerordentlicher Ein-
Punkt 1 der heutigen Tagesordnung. griff in die Strafrechtspflege, der nur gerecht-
fertigt ist, wenn außergewöhnliche Verhält-
(Zuruf des Abg. Dr. Pünder.) nisse ohne einen solchen Eingriff nicht berei-
nigt werden können und wenn das Gesamt-
— Man kann auch anderer Meinung sein. Aber ich interesse an einer Befriedung nach dem Ab-
vertrete hier meine Meinung, Herr Kollege Pünder, lauf von anomalen Zeiten den Vorrang vor der
und nicht die Ihre. Durchsetzung von Strafdrohungen in jedem
(Abg. Dr. Pünder: Ja, selbstverständlich! Einzelfall hat.
Ich erlaubte mir aber auch nur einen
Hier ist nun meine Auffassung und die meiner
Zwischenruf, der wohl gestattet ist!)
politischen Freunde von der der Bundesregierung
Meine Damen und Herren, die Vorlage zu diesem verschieden. Der Herr Bundesjustizminister hat
Amnestiegesetz hat eine unrühmliche Geschichte; uns mit der Begründung, die er heute zu dem
am unrühmlichsten ist die Länge dieser Geschichte. Gesetzentwurf gegeben hat, nicht davon zu über-
Denn es ist — ich glaube, darüber bestehen keine zeugen vermocht, daß eben außergewöhnliche Ver-
unterschiedlichen Meinungen — wohl das Wesen hältnisse vorliegen, die die Amnestierung nicht
eines Amnestiegesetzes, daß die Amnestie selbst so etwa ganz allgemein von im einzelnen nicht auf-
schnell und so unmittelbar wie möglich kommt und gezählten strafbaren Handlungen angebracht er-
daß nicht den Delinquenten sehr lange Zeit ge- scheinen lassen, sondern die es nach der Auf-
geben wird, sich in ihren strafbaren Handlungen fassung der Bundesregierung angebracht erschei-
darauf einzurichten. Wer wie ich als Anwalt in der nen lassen, einzelne Straftatbestände ganz willkür-
praktischen Jurisprudenz steht, weiß, daß augen- lich herauszupicken, ob es sich da um Verbrechen
blicklich unter den Beschuldigten, unter den Ange- handelt, die in der Zeit des Zusammenbruchs be-
klagten eine schwer zu diagnostizierende Amnestie- gangen worden sind, ob es sich da um Beleidigun-
gen im politischen Meinungsstreit, um Verschleie-
krankheit ausgebrochen ist, von der zuweilen auch
Anwälte und Staatsanwälte befallen werden; das rung von Personenständen oder — es ist auf ver-
schiedene Delikte hingewiesen, die in dem ersten
will ich hier gar nicht ausschließen. Aber wenn
Gesetz nicht berücksichtigt werden konnten — um
man ein Amnestiegesetz mit Wirksamkeit hätte
strafbare Handlungen auf dem Gebiete des De-
durchbringen wollen, dann hätte man es schnell
visenverkehrs usw. handelt. Also man hat sich
durchbringen und hätte vor allen Dingen auch
hier willkürlich ohne irgendeinen Zusammenhang
dafür Sorge tragen müssen, daß unter der Länge
einzelne Straftatbestände vorgenommen, bei denen
der Behandlung und Beratung eines solchen Ge-
offenbar irgendeine Vorstellung für ihre Amnestie-
setzes die Rechtspflege keinen Schaden nimmt.
würdigkeit vorhanden gewesen sein muß; nur
Was ist schließlich das Wesen einer Amnestie? man sagt es uns nicht, wir können nur ahnen, um
Darüber haben Sie uns hier leider wenig gesagt, was es sich dabei handelt.
Herr Bundesjustizminister. Ich hätte gewünscht, Meine verehrten Damen und Herren, ich glaube
daß Sie sich zumindest mit dem Beschluß des Bun- nicht, daß es sich aus der rechtsstaatlichen und
desverfassungsgerichts vom 22. April 1953 einmal kriminalpolitischen Situation, in der wir uns heute
etwas näher auseinandergesetzt hätten. In diesem befinden, zwangsläufig ergibt, im Interesse der
Beschluß kommt zum Ausdruck, daß die An- Strafrechtspflege müsse zum .Mittel eines
schauungen über das Wesen der Amnestie Wand- Amnestiegesetzes gegriffen werden, weil keine
lungen unterworfen gewesen sind und daß heute anderen Möglichkeiten gegeben sind, im einzelnen
im Volksbewußtsein die Gewährung von Amnestie Fall Gnade vor Recht ergehen zu lassen.
nicht mehr als Ausfluß einer dem Recht vorgehen-
den Gnade, sondern als Korrektur des Rechts selbst Ich will hier gleich auf die letzten Ausführungen
angesehen wird. Wenn man die Amnestie heute als eingehen, die Sie eben hier gemacht haben, Herr
Korrektur des Rechtes selbst ansieht, dann kommt Bundesminister der Justiz. Wenn Sie sich bei den
einem auf der einen Seite die Lückenhaftigkeit des Praktikern der Strafrechtspflege in der Bundes-
Amnestiegesetzes vom 31. Dezember 1949 zum Be- republik umhören, dann werden Sie, glaube ich,
wußtsein, zum anderen aber auch die meines Er- feststellen, daß die Meinung derjenigen überwiegt,
achtens noch größere Lückenhaftigkeit der uns die sagen, daß man es, wenn man einzelne Straf-
jetzt präsentierten Vorlage. Das Wesen und der taten berücksichtigen will, im Wege der Gnade und
Sinn einer Amnestie erfordern es, daß sie entweder nicht im Wege der Amnestie machen sollte.
klar und eindeutig im Hinblick auf die Straftat- (Zuruf von der FDP: Richtig!)
bestände oder überhaupt nicht beschlossen wird.
Das ist weitgehend die Auffassung, wie sie unter
Auf die verschiedenen in der uns zur Beratung den Praktikern in der Strafrechtspflege heute vor-
überwiesenen Vorlage enthaltenen Bestimmungen handen ist. Ein Beweis dafür ist schließlich auch
hat der Herr Bundesminister der Justiz selbst die Abstimmung im Bundesrat, der sich ganz ein-
schon hingewiesen, ich komme nachher noch im deutig, nämlich einstimmig, gegen die Verabschie-
einzelnen darauf. dung dieses Amnestiegesetzes ausgesprochen hat.
590 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Greve)
Der Umfang und die Bedeutung des Gesetzes er- zu finden, den wir überhaupt für diese Vorlage,
fordern es leider, daß ich auf einzelne Punkte der wenn die Mehrheit sie zu verabschieden wünscht,
Begründung, die uns die Bundesregierung in ihrer finden können. Der 1. Oktober hat, ob Sie das be-
Vorlage gegeben hat, etwas näher eingehe. Da ist streiten oder nicht, meines Erachtens eine viel zu
zunächst der Zeitpunkt. Ich glaube nicht, daß einer, nahe Beziehung zur Bundestagswahl. Dieses Datum
der die Dinge ernsthaft betrachtet, sagen kann, daß ist für uns unerträglich. Das hieße nämlich gerade
das Datum rein zufällig gewählt ist und daß der hinsichtlich des § 6 einen Freibrief für die künftige
Zusammenfall der Ankündigung eines Amnestie- Bundestagswahl ausstellen, vor der doch wohl auch
gesetzes mit dem Ausgang der Bundestagswahl wieder ein politischer Meinungsstreit stattfinden
nichts zu tun hat. Mit beredten, aber nicht über- wird. Es wird dann schon heute für manche mög-
zeugenden Worten hat der Herr Bundesjustiz- lich sein, sich darauf einzurichten, daß man eben
minister eben zweimal versucht, uns dennoch klar- nach einer entsprechend ausgegangenen Bundestags-
zumachen, es sei rein zufällig, daß die erste Mit- wahl im Wege eines Amnestiegesetzes das korri-
teilung ausgerechnet am 9. September 1953 erfolgte, gieren wird, was man vorher im politischen Mei-
also drei Tage nach dem Tage der Bundestagswahl, nungsstreit an Sauberkeit hat vermissen lassen.
obwohl man bereits seit anderthalb Jahren im Aus diesem Grunde können wir zu dem Datum des
Bundesjustizministerium an diesem Amnestiegesetz 1. Oktober unter gar keinen Umständen ja sagen.
arbeitet, bis zum 9. September 1953 gegenüber der Es kommen nun die Tatbestände, die Sie unter
Öffentlichkeit aber nichts darüber hat verlauten den Überschriften „Straftaten infolge der Kriegs-
lassen. Also, Herr Bundesjustizminister, das ist oder Nachkriegsereignisse" und „Straftaten infolge
nicht nur unverständlich, sondern ich persönlich wirtschaftlicher Notlage" mit der Differenzierung
nehme Ihnen das einfach nicht ab. der zu erwartenden oder verhängten Freiheits-
Der § 6, auf den Sie eingegangen sind, scheint strafen fassen. Wir vermögen nicht einzusehen, daß
mir doch in gewisser Beziehung auch etwas mit den diese Art von Kautschukklausel geeignet ist, von
Bundestagswahlen zu tun zu haben; denn mir ist vornherein Klarheit darüber zu schaffen, welche
noch in lebhafter Erinnerung, daß gerade vor den Straftatbestände nun unter die Amnestie fallen und
Bundestagswahlen ein sehr lebhafter Meinungs- welche nicht unter die Amnestie fallen. Es ist näm-
streit in der politischen Auseinandersetzung statt- lich die Aufgabe des Gesetzgebers, zu sagen, welche
gefunden hat und daß nicht alle diejenigen, die sich strafbaren Handlungen amnestiert werden sollen.
heute mit uns ebenfalls für die Sauberkeit im poli- Man kann es nicht dem Richter überlassen, sich
tischen Meinungsstreit aussprechen, das vor dem nachher auszusuchen, ob er einen strafbaren Tat-
6. September 1953 wahrgemacht haben. Ich will hier bestand unter den § 2 oder unter den § 3 dieser
nicht nur von den Rechts- und Linksradikalen Vorlage subsumieren oder ob er ihn nicht darunter
sprechen, die u. a. auch den Herrn Bundeskanzler subsumieren kann. Eine Amnestie kann, wie ich
angegriffen haben, ich will ruhig auch einmal von schon sagte, nur klar und eindeutig und umfassend
dem Herrn Bundeskanzler sprechen hinsichtlich der Tatbestände gewährt werden, oder
(lebhafter Beifall bei der SPD) man muß die Finger von der Amnestie lassen, was
— wie es mein Kollege Arndt heute auch schon ge- ich der Bundesregierung gewünscht hätte. Die am-
tan hat —, der schließlich Herrn Schroth und nestiewürdigen Straftatbestände, wie sie hier ihren
Niederschlag gefunden haben, sind für uns als Ge-
Herrn Scharley bezichtigt hat, aus der Ostzone SED-
istische oder kommunistische Gelder für die Zwecke setzgeber unbrauchbar und sind noch unbrauch-
meiner Partei in Empfang genommen zu haben. barer für den Richter, der das Gesetz anwenden soll.
Offenbar ist das doch eine Art der Betätigung im Zu § 5, Steuer- und Monopolvergehen, brauchen
politischen Meinungsstreit, die unter § 186 des wir hier im einzelnen nichts zu sagen. Zu § 6 habe
Strafgesetzbuches fallen müßte und nicht unter § 6 ich mich bereits geäußert.
dieses Straffreiheitsgesetzes, meine verehrten An- Die wichtigste Frage, die der Herr Bundesjustiz-
wesenden! minister hier leider nicht angeschnitten hat, ist
(Beifall bei der SPD.) allerdings die Frage des § 7. Ich nehme an, daß noch
Aber irgendwie dürfte wohl eine Beziehung einige andere Kollegen dazu etwas zu sagen haben.
zwischen diesen Äußerungen im politischen Mei- Ich komme hier zu gleicher Zeit zur Begründung
nungsstreit und dem § 6 dieser Vorlage gegeben der Großen Anfrage meiner Fraktion. Der erste
sein, und das ist dann schließlich auch nicht allein Deutsche Bundestag hat zum Schluß der Legis-
damit abzutun, daß man darauf hinweist — was laturperiode ein Amnestiegesetz verabschiedet,
wir ohne weiteres als richtig unterstellen wollen —, dessen Übereinstimmung mit den von mir eben ent-
daß der Herr Bundeskanzler von rechts- und links- wickelten Grundgedanken von mir selbst nicht be-
radikaler Seite in einer Art und Weise angegriffen jaht wird. Da befinde ich mich durchaus in Über-
worden ist, wie wir es nicht wünschen, daß es ge- einstimmung mit dem Herrn Bundesjustizminister
schieht, und wie wir es, glaube ich, auch nicht prak- außer Diensten, jetzigen Abgeordneten des Deut-
tiziert haben. schen Bundestages Dr. Thomas Dehler.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der (Abg. Dr. Dehler: Auch früher Abgeordneter!)
Zeitpunkt kann heute, wenn dieses Gesetz wirklich - Ja, aber damals waren Sie auch noch Bundes-
Rechtskraft erlangen sollte, überhaupt nicht mehr —minister der Justiz, Herr Kollege Dr. Dehler!
so bestimmt werden, wie es im Interesse einer ge- Nur bin ich nicht Ihrer Auffassung, daß es unsere
ordneten Rechtspflege wünschenswert gewesen Aufgabe ist, festzustellen, ob sich dieses Gesetz mit
wäre. Ob wir den 1. Oktober oder ob wir irgendein den Vorschriften des Grundgesetzes in Überein-
anderes Datum nehmen, spielt keine Rolle. Ich stimmung befindet oder nicht. Das ist eine Aufgabe,
sagte eben schon, die Rechtspflege selbst ist in die weder der Legislative noch der Exekutive zu-
große Schwierigkeiten gekommen, und wenn die steht, sondern die dem zuständigen Gericht der
Vorlage in den Ausschuß überwiesen wird, dann rechtsprechenden Gewalt zukommt. Das ist nicht
müssen wir dort versuchen, den besten Zeitpunkt nur unsere Auffassung. Es war die Pflicht der
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 591
(Dr. Greve)
Bundesregierung, das von Bundestag und Bundes- Ich muß sagen, wenn wir uns im Rahmen der
rat verabschiedete Gesetz dem Herrn Bundespräsi- Rechtsstaatlichkeit bewegen wollen, müssen wir
denten zur Verkündung vorzulegen oder aber uns zunächst einmal daran gewöhnen, Urteile, Be-
andere Konsequenzen zu ziehen, als es die Bundes- schlüsse usw. oberer Bundesgerichte, also von Or-
regierung bisher getan hat. Das ist der Sinn unserer ganen der rechtsprechenden Gewalt, als das anzu-
Großen Anfrage auf Drucksache 226. sehen, was sie sind, nämlich zunächst einmal als
Wir befinden uns da in guter Gesellschaft, meine Recht. Das ist es auch, was Herr Sethe hier zum
Damen und Herren. Ein Journalist von Ansehen
Ausdruck gebracht hat, wenn er weiter schreibt,
daß möglicherweise eine Lücke bestehe, wie man
aus den Kreisen der Regierungskoalition, nicht aus
in Zweifelsfällen eine solche Entscheidung herbei-
den Kreisen der Opposition, Herr Paul Sethe von
führen solle; aber in Streitfragen um die Verfas-
der ,Frankfurter Allgemeinen", hat der Bundes-
sung habe der Justizminister kein größeres Recht
regierung und insbesondere auch dem Herrn als wir alle.
Bundesjustizminister einiges ins Gebetbuch oder in
ein anderes Buch geschrieben, das ich nicht gern Zur Entscheidung über Verfassungsstreitig-
lesen möchte. Herr Sethe schreibt, daß nach dem keiten ist nur das Bundesverfassungsgericht
Sinn der Verfassung der Herr Bundesjustizminister und niemand anders da . . . Wenn er
kein Recht hat, die Verkündung des Gesetzes zu — der Herr Minister —
verweigern. Es heißt wörtlich: sich selber zum Richter in Fragen des Zweifels
Die Regierung hat die Pflicht, das angenom- macht, so handelt er gegen den Kern unseres
mene Gesetz zu verkünden. Verfassungslebens.
Er gesteht dem jeweiligen Bundesjustizminister das Offenbar ist das dem Herrn Bundesjustizminister
Recht zu, seine Unterschrift nicht zu leisten, wenn außer Diensten Dr. Dehler auch zum Bewußtsein
er verfassungsmäßige Bedenken hat. Dann heißt es gekommen. Denn in einer Rede in der 12. Sitzung
weiter: am 4. Februar 1954, die er hier im 2. Deutschen
Bundestag gehalten hat, finden sich folgende
Aber zur Klärung solcher Bedenken ist er Äußerungen zur Platow-Amnestie, um die es sich
allein genau so wenig berechtigt wie jeder ja handelt, wenn wir es mit einem Schlagwort be-
andere Staatsbürger auch. zeichnen wollen:
Das ist auch meine Meinung. Wir Sozialdemokraten Ich habe die Gegenzeichnung verweigert.
haben immer, ob hier im Plenum oder im Aus- Meiner Unterschrift bedurfte es übrigens nach
schuß, zum Ausdruck gebracht, daß für uns die dem Grundgesetz und der Geschäftsordnung
Meinung des Bundesministers der Justiz oder nicht, denn es genügt die Unterschrift des
irgendeines seiner Beamten nicht deswegen wert- Herrn Bundeskanzlers. Der Ressortminister
voll oder wertvoller wird, weil sie die Auffassung ist für die Promulgation nicht vonnöten. Ich
des Bundesjustizministers oder eines Beamten des habe bei der Behandlung dieses Entwurfs im
Bundesjustizministeriums ist. Sie ist eine unter Vermittlungsausschuß klar erklärt . . .: Ich
vielen Meinungen; sie ist aber nicht das, was man werde dieses Gesetz niemals unterschreiben.
heute authentische Interpretation zu nennen beliebt. Das hat Herr Dehler auch nicht getan, ohne damit
(Beifall bei der SPD.) verfassungsmäßig richtig zu handeln.
Ich will jetzt nicht darüber rechten, ob ich
So etwas macht man aber nicht nur im Rahmen dazu befugt bin.
der Legislative, das hat man auch zu tun beliebt
im Rahmen der Exekutive. Es gibt Vorgänge, ins- Ich sage nein; dazu waren Sie nicht befugt, Herr
besondere aus der letzten Zeit, wo Rechtsauffas- Dr. Dehler.
sungen des Bundesjustizministeriums durch obere (Abg. Dr. Dehler: Befugt und verpflichtet!)
Bundesgerichte, wie z. B. den Bundesfinanzhof —
— Es gibt auch Auffassungen, die der Ihrigen ent
Herr Staatssekretär Dr. Strauß wird wissen, was gegenstehen, auch dann, wenn Sie das nicht mögen.
ich meine — berichtigt worden sind.
Ich habe als Minister nie ein Gesetz unter
(Staatssekretär Dr. Strauß: Nein, nicht des schrieben, das ich für verfassungswidrig hielt.
Justizministers; das ist ein Mißverständnis!)
Das hat offenbar auch niemand von Ihnen verlangt.
— Doch; dann müssen Sie mich nachher berichtigen.
Ich kann Ihnen jedenfalls das Gutachten vorlegen, Wenn ich jemals wieder in diese Situation
das Sie dem Herrn Bundesfinanzminister über die käme, würde ich es wieder so halten.
Fortgültigkeit der §§ 5 und 6 der Spielbankverord- Das ist richtig. Aber nun kommt es:
nung vom Jahre 1938 erstattet haben, wo das Man kann keinem der Beteiligten — Bundes-
Bundesjustizministerium zum Ausdruck gebracht
- tag, Minister — zumuten, zum Bundesverfas-
hat: Diese beiden Paragraphen sind deswegen nicht sungsgericht zu gehen.
mehr gültig, weil sie dem Finanzverfassungs- Ja, nun weiß ich nicht mehr, was ist. Man kann
system, das heute in der Bundesrepublik gilt,
dem Bundestag und einem Minister nicht zumuten,
widersprechen. Das war doch sicher eine authen- zum Bundesverfassungsgericht zu gehen, wenn es
tische Interpretation. Oder wozu war sie bestimmt, sich darum handelt, die Verfassungsmäßigkeit eines
wenn sie an das Bundesfinanzministerium weiter- vom Parlament beschlossenen Gesetzes von dem
gegeben worden ist? Doch sicher dazu bestimmt,
zuständigen Organ der rechtsprechenden Gewalt,
ernstgenommen zu werden! Der Bundesfinanzhof
d. h. also bei uns in der Bundesrepublik zur Zeit
hat kürzlich in einem Gutachten zum Ausdruck ge- vom Bundesverfassungsgericht, klären zu lassen?
bracht, daß das alles nicht zutreffend sei; selbst-
verständlich seien die §§ 5 und 6 Abs. 1 der Spiel- Aber das steht hier klipp und klar:
bankverordnung vom Jahre 1938 gültig und ver- Man kann keinem der Beteiligten — Bundes-
stießen in keiner Weise gegen das gegenwärtige tag, Minister — zumuten, zum Bundesverfas-
Finanzverfassungssystem in der Bundesrepublik. sungsgericht zu gehen.
592 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Greve)
Ich bin der Ansicht, daß die Bundesregierung, Neumayer fragen, ob er diese Ausführungen seines
wenn sie der Auffassung war, die Sie vertreten Parteifreundes und Fraktionsvorsitzenden Herrn
haben, daß dieses Gesetz, das am 29. Juli 1953 ver- Dr. Dehler für richtig hält, daß der Bundesjustiz-
abschiedet worden ist, nicht verfassungsmäßig ist, minister, der sich in einem solchen Konflikt nicht
auf dem Wege der Anforderung eines Gutachtens entschließen kann, die Entscheidung des Bundes-
hätte feststellen lassen müssen, ob dieses Gesetz verfassungsgerichts herbeizuführen, zurücktreten
mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung steht muß, oder ob nicht unter Umständen die Regierung,
oder ob es nicht in Übereinstimmung steht. Sie wenn sie sich schlechthin weigert, ein vom Parla-
haben ganz richtig gesagt: „Es besteht auf jeden ment beschlossenes Gesetz zu verkünden, die Kon-
Fall kein Zwang". Nein, aber es besteht der Zwang sequenzen ziehen muß. Es ist unerträglich, daß das
— schon aus der Achtung, die auch die Bundes- Parlament behandelt wird, als hätte es nichts ge-
regierung vor dem vom Volke gewählten Parla- tan, als ginge es die Regierung einfach nichts an,
ment haben muß — ,Gesetze, die beschlossen sind, was hier beschlossen worden ist. Die Entscheidung
zu verkünden, Herr Bundesjustizminister. muß fallen, und sie wird nicht nur von uns ver-
langt. Ich habe Sie schon auf den Artikel von Herrn
(Beifall bei der SPD.) Sethe hingewiesen. Ich könnte sie noch auf eine
Ich glaube, das ist nicht nur ein Anliegen, das die Reihe anderer Bleichlautender Äußerungen hin-
Opposition haben sollte, sondern das ist ein An- weisen. Es muß etwas geschehen, damit dieser Zu-
liegen des ganzen Hauses an seine Regierung. Auch stand beseitigt wird. Wollen Sie, Herr Bundesjustiz-
dann, wenn es sich um eine Koalitionsregierung minister, mit der Verkündung des Gesetzes vom
handelt, ist die Regierung als Verfassungsorgan 29. Juli 1953 so lange warten, bis Sie Gewißheit
dem ganzen Parlament verantwortlich. Das ganze darüber haben, ob diese Vorlage Gesetz wird?
Parlament muß von seiner Regierung verlangen, Wollen Sie auch so lange damit warten, bis Sie
daß Gesetze, die beschlossen sind, von dieser Re- wissen, ob die Bestimmung des § 7, die in Wirklich-.
gierung auch verkündet werden, oder daß die Re- keit dasselbe ist, was in. dem Gesetz vom 29. Juli
gierung, falls sie verfassungsmäßige Bedenken hat, 1953 enthalten ist, mit der Verfassung in Überein-
die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetze vom stimmung zu bringen ist? Wir können uns nach
Bundesverfassungsgericht klären läßt. Das kann dem Verhalten der Bundesregierung, das sicher
man nicht nur zumuten, sondern das muß man durch die Einstellung des Justizministers Dr. Dehler
sogar von der Bundesregierung verlangen, und wir im Jahre 1953 ausgelöst worden ist, mit der gegen-
stellen dieses Verlangen heute an die Bundesregie- wärtigen Regelung nicht einverstanden erklären.
rung. Wenn jetzt in der Erläuterung des § 7 auf ge-
Ich richte an den Herrn Bundesminister der Ju- wisse Unstimmigkeiten hingewiesen wird, so hat
stiz die Frage: was ist denn in der Zwischenzeit — das nichts damit zu tun, daß der Kern derselbe ist
außer daß Sie hier versucht haben, das, was in wie im Gesetz vom 29. Juli 1953 'und deswegen
dem Gesetz vom 29. Juli 1953 stand, in den § 7 über die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Am-
dieser Vorlage hineinzubringen — von Ihnen getan nestie nichts ausgesagt ist.
worden, um den Willen des Parlaments zu respek- Auf diese Frage hätte ich gern eine Antwort. Ich
tieren, nämlich ein von ihm gewolltes Gesetz auch nehme an, daß der Herr Bundesminister der Justiz
in Rechtskraft übergehen zu lassen? Offenbar diese Ausführungen als Begründung zu unserer
nichts. Denn dadurch, daß die Bundesregierung ein Großen Anfrage betrachtet.
in sich geschlossenes Gesetz, nämlich das vom Ich komme noch zu einem andern Punkt. Die
29. Juli 1953, nun als § 7 in ihrer Vorlage er- einzige Möglichkeit für eine Amnestierung sehen
scheinen läßt, wird es doch nicht verfassungsmäßig. wir in § 9, Verschleierung des Personenstandes.
Wo gibt es denn das, daß man etwas, was in einem Alle übrigen Bestimmungen halten wir für nicht
besonderen Gesetz nicht verfassungsmäßig ist, da- vereinbar mit den von mir entwickelten Grund-
durch verfassungsmäßig machen kann, daß man es sätzen für eine Amnestie, und wir werden im Aus-
in einen einzelnen Artikel — im übrigen zusam- schuß unseren grundsätzlichen Standpunkt ver-
men mit Vorschriften über Beleidigungen im po- treten, daß eine solche Amnestie zur Zeit nicht
litischen Meinungsstreit und Wirtschaftsvergehen möglich ist.
— hineinbringt. So geht es nicht. Herr Dr. Dehler
hat damals schon recht gehabt, wenn er sagte: Lassen Sie mich noch einige . Worte zu der Frage
der Amnestierung nationalsozialistischer Straftaten
Ich bin der Meinung, daß der Ressortminister. sagen, auf die der Herr Bundesjustizminister im
der in diesem Konflikt mit dem Parlament besonderen hingewiesen hat. Nun, ich glaube, daß
steht, wenn der Konflikt nicht ausgetragen wir diese Straftatbestände überhaupt nicht als eine
wird, die Konsequenzen ziehen und zurück- besonders geeignete Begründung für ein Amnestie-
treten muß. Daß ich diese Konsequenzen auch gesetz hinnehmen sollten. Die materiellrechtliche
gezogen hätte, dessen dürfen Sie gewiß sein. Seite, die hier zur Erörterung steht, wird die
Das hat Herr Dr. Dehler gesagt. Nun, der Herr meisten Schwierigkeiten machen; denn praktisch —
Bundeskanzler hat ihn dieser Verpflichtung, die das habe ich Ihnen schon einmal gesagt — kann es
Konsequenzen zu ziehen, auf andere Art und Weise sich bei der Amnestierung von Straftaten national-
enthoben. sozialistischer Tendenz nicht um eine allgemeine,
(Heiterkeit bei der SPD.) sondern nur um eine beschränkte Amnestie han-
deln. Schon nach der Vorlage soll die Amnestie
Aber ich möchte annehmen—ich glaube es sogar —, begrenzt sein s nämlich insoweit, als es sich um
daß Herr Dr. Dehler die Konsequenzen gezogen strafbare Handlungen aus der Zeit vom 1. Oktober
hätte, wenn die Bundesregierung von ihm verlangt 1944 bis zum 31. Juli 1945 handelt. Warum sind
hätte, dieses Gesetz zu unterzeichnen. denn die strafbaren Handlungen, die in dieser Zeit
begangen sind, besonders amnestiewürdig?
Aber nun habe ich nicht mehr die Möglichkeit,
mich in dieser Frage an Herrn Dr. Dehler zu wen- Ich frage danach, weil gerade auf die Notwendig-
den, sondern ich muß Herrn Bundesjustizminister keit der Amnestiewürdigkeit von der Bundesregie-
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 593
(Dr. Greve)
rung zweimal hingewiesen worden ist, und zwar und Mißhandlung von Kriegsgefangenen, von An
einmal im Bulletin der Bundesregierung vom Herrn gehörigen der Ostvölker, von Juden, Tötung von
Bundesjustizminister selbst, das andere Mal von Soldaten und von Zivilpersonen, gesetzwidrige
Herrn Ministerialdirektor Dr. Schafheutle, am Standgerichte usw. Jedes Verfahren kurz vor dem
3. und am B. Dezember 1953. Dem Herrn Bundes- Zusammenbruch würde damit hinsichtlich seines
minister der Justiz ist da allerdings etwas Pein- Unrechtsgehalts korrigiert, daraus würde auf dem
liches passiert. Da schreibt er nämlich, daß man in Wege der Amnestie Recht.
den Bestimmungen hinsichtlich der Straftaten zur
Beschaffung von Nachrichten keine Amnestie im Nein, Herr Bundesjustizminister, diesen Weg ge-
eigentlichen Sinne erklicken könne, sondern nur hen wir nicht mit Ihnen. Wir weigern uns, etwas
eine Niederschlagung, eine „Absolution", die an Derartiges zu tun.
sich zur Zuständigkeit der Länder gehöre. Ich Ich glaube auch nicht, daß wir es darauf abstellen
nehme an, daß es sich urn „Abolition" handeln soll; könnten, ob der Täter eine gewissenlose Gesinnung
denn so weit sind wir in Deutschland doch wohl gezeigt hat oder nicht. Die ,.gewissenlose Gesin-
noch nicht mit der Absolution, daß diese für straf- nung" unterliegt dann auch nur der Beurteilung
bare Handlungen erteilt wird. Herr Bundesjustiz- des Richters. Sie weigern sich doch sonst, meines
minister, das ist Ihnen offenbar entgangen. Aber Erachtens mit Recht, den Richtern Entscheidungen
ich jedenfalls wollte mir die Gelegenheit heute aufzubürden, die ihnen nicht zustehen. Hier würde
nicht entgehen lassen, zu bemerken, daß zur Zeit dann in die Rechtspflege etwas hineingetragen, das
in Deutschland Absolution für strafbare Handlun- nicht die Aufgabe der Rechtspflege, sondern die
gen noch nicht erteilt wird. Aufgabe des Gesetzgebers ist.
Auch Herr Ministerialdirektor Schafheutle hat Ich glaube, daß jede Abschwächung des Unrechts-
darauf hingewiesen -- das ist in diesem Rahmen gehalts der Straftaten aus der Nazi-Zeit und damit
besonders interessant —, daß die überwiegende auch die Verwässerung des Unrechtsgehalts des alle
Zahl der strafbaren Handlungen, die zur Zeit bei diese strafbaren Handlungen doch erst ermög-
den entsprechenden Behörden in den Ländern in lichenden nationalsozialistischen Staates eine sehr
Bearbeitung sind, von der Amnestie überhaupt schlechte Sache wäre. Ich weiß, daß damit die
nicht erfaßt werden, sondern daß die strafbaren Problematik vieler Verurteilungen, auch vieler fal-
Handlungen allgemeiner Art in großer Zahl drau- scher Verurteilungen nicht ohne weiteres zu lösen
ßen bleiben. Das ist es ja gerade, was den unmög- ist. Aber ist es denn unsere Aufgabe, jetzt die Mög-
lichen Charakter dieses Gesetzes ausmacht. lichkeit für eine Amnestie in unwürdigen Fällen
zu schaffen?
Ich wies vorhin schon darauf hin, daß der Ent-
wurf durch die Amnestierung von strafbaren Hand- Ich komme damit zum Schluß auf einen nicht
lungen gekennzeichnet wird, für die, im Grunde unwesentlichen Punkt: die Frage der Verkehrs-
genommen, keine Amnestiewürdigkeit im eigent- delikte. Man hat sämtliche Verkehrsdelikte aus der
lichen Sinne gegeben ist, am wenigsten für die Vorlage der Bundesregierung herausgelassen, als
strafbaren Handlungen, die aus der Zeit des wenn jedes Verkehrsdelikt das Delikt eines Trun-
Nationalsozialismus stammen, für strafbare Hand- kenen am Steuer wäre. So ist es ja nun auch nicht,
lungen, die in der von Ihnen in der Vorlage ange- Herr Bundesjustizminister. Sie haben in der Be-
gebenen Zeit gegen jedes Gesetz, ja gegen jedes gründung :u Ihrer Vorlage gesagt, die Verkehrs-
Recht begangen worden sind. Ich bin der Auffas- verhältnisse seien so, daß man die Verkehrsdelikte
sung, daß wohl in diesem oder jenem Falle Gnade nicht amnestieren könne. Nun, ich gehe mit Ihnen
vor Recht ergehen sollte. Darin unterscheiden wir durchaus einig, daß man die Verkehrsdelikte, die
uns eben, Herr Bundesjustizminister: In einzelnen nicht amnestiewürdig sind, auch nicht amnestieren
Fällen kann man wohl Gnade vor Recht ergehen soll. Aber Sie haben als einzige Möglichkeit nach
lassen; aber es sollte nicht schlechthin jeder, der in unserem Strafrechtssystem doch letztlich nur das
dieser Zeit etwas verbrochen hat und keine schwe- Strafmaß, nach dem Sie die Amnestie ausrichten
rere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren können. Entweder amnestieren Sie alle strafbaren
zu erwarten hat, amnestiert werden. Handlungen, wenn keine höhere Freiheitsstrafe
als bis zu einem Monat, bis zu drei Monaten, bis zu
Wir kennen doch auch die Möglichkeiten, die die sechs Monaten usw. zu erwarten ist, oder Sie
Gerichte dann hinsichtlich der Erfassung des Straf- amnestieren überhaupt nicht. Aber eine ganze
rahmens haben. Ich möchte die Richter sehen, die Gruppe von Delikten aus irgendwelchen psycho-
dann noch weit über drei Jahre Freiheitsstrafe hin- logisch nicht ganz zu erklärenden Gründen, näm-
ausgehen, um jemanden zu bestrafen, der es auch lich die Verkehrssachen, herauszulassen, ist un-
heute noch verdient. — Ich möchte den Richter möglich. Ich weiß, welche Schwierigkeiten heute
sehen, der dann nicht in der Lage ist, innerhalb des die Verkehrsdelikte für alle bereiten. Aber man
Rahmens von drei Jahren Freiheitsstrafe alles- das
kann doch jemanden, der falsch geparkt oder der
unterzubringen, was nach seiner Auffassung rotes Licht überfahren hat, kriminell nicht schlech-
amnestiewürdig ist, und damit das zu tun, was das ter ansehen und nicht schlechter behandeln als
Bundesverfassungsgericht als Amnestie betrachtet, jemanden, der einen Diebstahl oder einen Betrug
nämlich das Recht zu korrigieren. Dann wird hier begangen hat. Meine verehrten Anwesenden, das
etwas, was wir alle, glaube ich, heute noch als geschieht aber hier, und dagegen wenden wir uns.
Unrecht, als Verbrechen im eigentlichen Sinne be- Wir wünschen, daß das Problem der Verkehrs-
zeichnen müssen, durch eine Amnestie „korrigiert". delikte im Ausschuß sehr sorgfältig geprüft, vor-
Aus dem, was Unrecht war und Unrecht bleibt, her aber noch sorgfältiger im Bundesjustizministe-
wird nachträglich Recht gemacht. rium überdacht wird, damit uns geeignete Vor-
Ich glaube, wir sollten uns hüten, derartige Be- schläge gemacht werden können. Denn nicht jede
stimmungen allgemeiner Art in einem Amnestie- junge Dame, die Lotte heißt, hat einen Vater, der
gesetz ihren Niederschlag finden und so etwas Adenauer heißt.
straffrei zu lassen, was nichts anderes ist als Tötung (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
594 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Greve)
Das sind doch auch unerträgliche Zustände, und ich (Abg. Dr. Greve: Vielleicht können Sie die
glaube, daß das, was vor einigen Wochen im Spie- Verkehrsdelikte beim politischen Meinungs
gel abgedruckt worden ist, kein Ruhmesblatt für streit unterbringen, Herr Kollege Neu-
unsere Rechtspflege ist. Auch das sollten wir dabei mayer!)
bedenken, daß jede exzeptionelle Behandlung von — Ich habe vorhin schon gesagt, Herr Kollege
einzelnen strafbaren Handlungen, ob nun auf dem Greve: der Rechtsausschuß wird sich mit allen
Wege über eine Amnestie diesen Fragen befassen; er kann sich auch damit
(Abg. Dr. Dehler: Das wissen Sie doch nicht, bef assen.
ob das exzeptionell war!) Nun etwas anderes. Die Darstellung, die Herr
Kollege Greve von dem § 8 des Entwurfs gegeben
oder auf anderem Wege, rechtswidrig ist, Herr hat, entspricht nicht dem Inhalt des Entwurfs. Herr
Kollege Dr. Dehler. Wir sind ja nicht dafür ver- Kollege Greve hat die Sache so dargestellt, als ob
antwortlich — — jeder, der in den damaligen turbulenten Zeiten
(Abg. Dr. Dehler: Sie behaupten das, ohne die schwersten Delikte begangen hat, ohne weiteres
die Dinge zu kennen?) unter die Amnestie falle. So ist das ja nicht. In
§ 8 wird ausdrücklich das Kriterium des Befehls-
Aber dann muß man auch den Mut haben, für das notstandes herausgestellt, der Gewissenskonflikt,
geradezustehen, was man selbst tut, Herr Kollege in dem sich jemand befunden hat. Ich glaube, es
Dr. Dehler. Wir wünschen das jedenfalls. Wir wün- läßt sich rechtfertigen, daß heute, acht Jahre nach
schen keine exzeptionelle Behandlung von einzel- dem Zusammenbruch, für diese im Befehlsnotstand,
nen politischen Delikten, wir wünschen keine in einem wirklichen Gewissenskonflikt begange-
exzeptionelle Behandlung von einzelnen Straftat- nen Delikte eine Amnestie gewährt wird.
beständen, wie es mit den Verkehrsdelikten ge- (Abg. Arnholz: Und Kesselring ist dann
schieht. Wenn überhaupt eine Amnestie von der Sachverständiger?)
Mehrheit dieses Hauses gewünscht werden sollte,
dann ist sie nach Auffassung meiner Fraktion Hier soll keine Generalamnestie für alle Straf-
allenfalls in der Form erträglich, wie die Kollegen taten, die mit der nationalsozialistischen Gewalt-
aus dem Bayernlande — ich weiß nicht, ob es die herrschaft zusammenhängen, vorgeschlagen wer-
den. Auch sollen nicht solche Taten amnestiert wer-
Gruppe der CSU ist
den, die als niederträchtige Verbrechen oder Ver-
(Abg. Dr. Jaeger: Ja!) gehen Auswüchse eines erbarmungslosen und
blindwütigen Terrors gewesen sind, sondern nur
oder ob es die bayerischen Abgeordneten sind — Taten, die aus einer ausweglosen Konfliktlage ent-
sie beantragt haben. Das ist die einzig mögliche standen sind.
Konsequenz, die wir aus dem Willen zu einer
Amnestie zu ziehen haben. Andere Möglichkeiten (Abg. Dr. Greve: Wer soll das entscheiden?)
— wie sie uns von der Bundesregierung vorgelegt — Über das Vorliegen eines Befehlsnotstandes zu
werden — sehen meine politischen Freunde und
entscheiden, Herr Kollege Greve, dazu sind ja die
ich nicht. Wir wünschen grundsätzlich keine
Gerichte da.
Amnestie, wenn aber eine Amnestie infolge einer
Mehrheitsentscheidung in diesem Hause nicht zu (Abg. Dr. Greve: Wer soll heute, nach acht
vermeiden ist, dann allenfalls auf dem Wege und oder neun Jahren, entscheiden, ob damals ein
in dem Umfange, wie es uns die Fraktion der CSU Befehlsnotstand vorgelegen hat? Dann hat
hier vorgelegt hat. Herr Kollege Arnholz recht: Herr Kesselring
(Beifall bei der SPD.) wird darüber als Sachverständiger gehört!)
— Herr Kollege Greve, Sie rufen ja bei allem das
Vizepräsident Dr. Schneider: Ich erteile das Wort Gericht an. Ich weiß nicht, warum das Gericht nicht
dem Herrn Bundesjustizminister zur Beantwortung auch in solchen Fällen soll entscheiden können. Ich
der Großen Anfrage. glaube, daß die Fragen, die von Ihnen vorgelegt
werden, schwieriger sind. Haben Sie doch Ver-
Neumayer, Bundesminister der Justiz : Herr trauen zu den Gerichten!
Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich
auf die Große Anfrage eingehe, möchte ich auf die (Abg. Dr. Greve: Die werden überfordert! —
Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Greve Weitere Zurufe von der SPD.)
ganz kurz in zwei Punkten folgendes erwidern. Es kommt noch folgendes hinzu. Einer der
Herr Kollege Greve beklagt sich darüber, daß wesentlichsten Vorwürfe, die von der deutschen
die Verkehrsdelikte ausgenommen seien. Ich- möchte Öffentlichkeit gegen die Rechtsprechung der alli-
ausdrücklich darauf hinweisen: soweit es sich um ierten Militärgerichte erhoben werden, geht dahin,
Übertretungen handelt, sind die Verkehrsdelikte daß sie den genannten Konfliktlagen, in die
von dem Entwurf genau so wie die übrigen deutsche Soldaten und Zivilpersonen während des
Übertretungen erfaßt. Der Grund, Herr Kollege Krieges geraten sind, kein Verständnis entgegen-
Greve, warum die Verkehrsdelikte nicht einbe- gebracht haben. In langdauernden und schwierigen
zogen worden sind, läßt sich doch aus dem, was ich Verhandlungen ist es der Bundesregierung gelun-
vorhin mir vorzutragen erlaubte, ohne weiteres gen, die Alliierten schrittweise zu einer Bereinigung
ableiten. Sie stehen eben nicht in unmittelbarem im Gnadenwege zu veranlassen. Ich glaube, auch im
Zusammenhang mit den Kriegs- und Nachkriegs- Hinblick auf diesen Gesichtspunkt erscheint es an-
verhältnissen. Gerade die Delikte, die infolge dieser gebracht, daß nunmehr in den der deutschen Ge-
Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse begangen wor- richtsbarkeit unterworfenen Fällen ebenfalls ein
den sind, sollen amnestiert werden. Das ist der entscheidender Schritt gewagt und ein Schlußstrich
Grundsatz und der Leitgedanke für die ganze unter die offensichtlich amnestiewürdigen Taten ge-
Amnestie. zogen wird. Ich betone noch einmal: notwendig ist
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 595
(Bundesjustizminister Neumayer)
ein echter Konflikt, eine echte Konfliktslage. Nur dung geeignet. In diesem Falle wird noch zu er-
wenn es infolge einer solchen Konfliktslage in den wägen sein, ob es nicht geboten oder doch zweck-
damaligen verworrenen Verhältnissen dem Täter mäßig ist, den früheren Gesetzesbeschluß in dem
besonders schwer gefallen ist, die rechtlich gebotene neuen Amnestiegesetz durch eine besondere Be-
Entscheidung zu finden und entsprechend zu han- stimmung formell aufzuheben. Sollte aber der
deln, kann eine Amnestie eintreten. Bundestag der neuen Gesetzesvorlage seine Zu-
Ich darf nun die Stellungnahme der Bundes- stimmung versagen, dann würde die Bundesregie-
regierung zu der Großen Anfrage bekanntgeben. rung gezwungen sein, in eine erneute Prüfung der
Gegen den Entwurf des Gesetzes über die Gewäh- verfassungsrechtlichen Erfordernisse einzutreten.
rung von Straffreiheit, den der 1. Deutsche Bundes- Ich darf Ihnen hiermit die Versicherung abgeben,
tag am 29. Juli 1953 beschlossen hat — es handelt daß in diesem Fall die Prüfung unverzüglich er-
sich um die sogenannte Platow-Amnestie —, waren folgen wird.
verfassungsrechtliche Bedenken entstanden. Der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Bundesminister der Justiz hatte schon während der
parlamentarischen Behandlung der Gesetzesvorlage Vizepräsident Dr. Schneider: Ich erteile weiter
mit eindringlichem Ernst seine Auffassung dahin das Wort dem Herrn Abgeordneten Höcherl zur
vorgetragen, daß er eine Überschreitung der Ge- Begründung des von seiner Gruppe vorgelegten Ent-
setzesbefugnisse des Bundes und wohl auch einen wurfs eines Gesetzes über die Gewährung von
Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz der Ver- Straffreiheit.
fassung für gegeben halte. Er hat sich deshalb als
verantwortlicher Fachminister für nicht berechtigt Höcherl (CDU/CSU), Antragsteller: Herr Prä-
gehalten, das Gesetz gegenzuzeichnen und an den sident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich
Herrn Bundespräsidenten weiterzuleiten. Die sehr über die Erklärung des Herrn Kollegen
jetzige Bundesregierung, die den Ernst der er- Greve, daß er unserem bayerischen Entwurf zu-
hobenen Bedenken anerkennt, hat die Frage der stimmen will. So wäre es nach dieser zweitägigen
Verkündung eingehend geprüft. Sie ist sich darüber heftigen Debatte schließlich noch gelungen, wenig-
klar, daß es eine verfassungsrechtliche Streitfrage stens in einem ganz kleinen Fall die Gnade der
ist, ob ein Minister die Befugnis hat, verfassungs- SPD zu finden. Man muß eben Geduld haben.
mäßige Bedenken gegen einen Gesetzesbeschluß
durch Verweigerung der Unterschrift und der Die Beratung der Gesetzesvorlagen auf Druck-
Weiterleitung geltend zu machen.. Sie weiß auch, sachen 215 und 248 mußte hinter die großen The-
daß nur das Bundesverfassungsgericht diese Frage men, die das Hohe Haus in den letzten Wochen
letzten Endes mit verbindlicher Wirkung ent- und Monaten beschäftigt haben, zurücktreten. Da-
scheiden kann. Um unnötige Verzögerungen und durch ist das große Anliegen, das in diesen beiden
etwaige Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, hat die Anträgen liegt, zeitlich nur noch dringlicher ge-
Bundesregierung deshalb nach einem für alle Teile worden. Sie wissen, daß durch etwas ungereimte
annehmbaren Ausweg gesucht. Sie glaubt, einen Umstände Anfang September 1953 in der Öffent-
solchen Ausweg gefunden zu haben, indem sie lichkeit bekanntgeworden ist, die Bundesregierung
Ihnen heute dieses Straffreiheitsgesetz vorlegt. Mit werde ein Amnestiegesetz vorlegen. Die Gerichte
Rücksicht auf die geschilderte Sachlage hat die haben genau so wie die ganze Öffentlichkeit diese
Bundesregierung es für vertretbar gehalten, die Meldung sofort aufgegriffen, ohne die Gesetzesab-
Verkündung des Gesetzesbeschlusses vom 29. Juli sichten der Bundesregierung, die eine ganz be-
1953 einstweilen zurückzustellen. stimmte Richtung einhielten, genau zu kennen. Die
Gerichte haben daraufhin, da sie notorisch über-
Die Ihnen vorgeschlagene Lösung hat fol- lastet sind, sofort eine Generalamnestie in der üb-
gendes Gesicht. In § 7 des neuen Amnestiegesetz- lichen Form vermutet und haben in allen Ländern,
entwurfs ist unter dem Stichwort „Nachrichtentätig- wie zweifelsfrei feststeht, die Bearbeitung der
keit" eine Regelung vorgesehen, die den Grund- Fälle, die nach ihrer Meinung unter die Amnestie
gedanken der sogenannten Platow-Amnestie auf- fallen könnten, eingestellt, so daß sich heute Hun-
genommen hat und ihn so verwirklichen will, daß derte und Tausende von unerledigten und unbear-
verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen. Die beiteten Akten sowohl bei den Staatsanwalt-
Regelung im einzelnen brauche ich nicht vorzu- schaften wie auch bei den Gerichten befinden.
tragen; ein Abdruck des Gesetzentwurfs befindet
sich in Ihren Händen. Ich möchte nur darauf hin- Sie mögen diese Zustände aus folgenden Bei-
weisen, daß § 7 gegenüber dem früheren Gesetz- spielen ersehen. So schreibt ein Mitglied des Baye-
entwurf insbesondere einen neuen und späteren rischen Obersten Landesgerichts:
Stichtag festgesetzt hat und den Rahmen des zu er- Seit August
fassenden Personenkreises ohne Rücksicht auf die
-
Zugehörigkeit zu einem bestimmten Berufszweig, — der Herr Vertreter des Obersten Landesgerichts
lediglich nach der Art der begangenen Straftaten nimmt sogar den Monat August des vergangenen
neu gesteckt hat. Dadurch wird erreicht, daß der Jahres
Kreis der Begünstigten auf eine unbestimmte Zahl . . . wird immer wieder von der Aussicht auf
erweitert wird. Erlaß einer Amnestie gesprochen, und zuletzt
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der las man von einem diesbezüglichen Initiativ-
Entwurf des Gesetzes in der nunmehr vorgelegten antrag der CSU im Bundestag; aber es rührt
Form auch einer strengen verfassungsrechtlichen sich einfach gar nichts. . . . Aber dieses Am-
Prüfung standhalten wird. Sie bittet, ihr Bemühen nestie-Gerücht (nun schon ein Neun-Monate-
um einen befriedigenden Ausgleich nicht zu ver- Kind, aber immer noch nicht ausgetragen) hat
kennen. Wenn der Bundestag den neuen Entwurf uns infolge zahlloser „vorsorglicher" Revisions-
eines Straffreiheitsgesetzes annimmt, ist der Ge- einlegungen (die Rechtsmittel verdoppelten
setzesbeschluß vom 29. Juli 1953 in seinem Kern- sich) so mit Arbeit überschüttet, daß man end-
gehalt überholt und kaum noch für eine Verkün lich wenigstens klar sehen sollte . . .
596 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Höcherl)
Eine ähnliche Zuschrift liegt mir von dem Vor- kehrer hat ebenso wie die Korea-Krise auf wirt-
sitzenden einer kleinen Strafkammer aus Nieder- schaftlichem Gebiet neue, echte amnestiewürdige
bayern vor, der folgendes schreibt: Handlungen zur Folge gehabt. Aus diesen Gründen
Ich habe im Augenblick hier zwar nur einen haben wir uns, wie gesagt, trotz starker Bedenken
Punkt im Auge: die Amnestiefrage. Was sich noch einmal zu einem Amnestiegesetz bekannt und
auf diesem Gebiete seit 7. September 1953 ge- uns für seinen Erlaß ausgesprochen.
tan hat, kann mit Fug und Recht wohl nur Daß wir zu diesem Regierungsentwurf mit einem
als . . . Theater bezeichnet werden. eigenen Entwurf hervorgetreten sind, hat mehrere
— So drückt sich dieser Richter aus. Er hat sogar Gründe. In erster Linie konnten und wollten wir
einen noch schärferen Ausdruck gewählt, den ich das Votum des Bundesrates nicht übersehen, der
zur Schonung Ihrer Nerven nicht zitieren will. den Regierungsentwurf abgelehnt hat. Dann aber
waren wir auch in der Sache selbst in entschei-
(Zuruf e.) denden Punkten anderer Meinung. Die Differenzen
Die Rückwirkungen auf den kleinen Mann der erschienen uns so gravierend, daß wir unsere ab-
Straße, der zufällig den Angeklagten spielen weichende Meinung nicht dem etwas labilen Schick-
muß, bzw. auf den kleinen Mann am Gericht, sal von Änderungsanträgen ausliefern wollten.
der seit 7. 9. nicht weiß, wie er den Forderun-
gen der Strafrechtspflege gerecht werden soll, Schon der Stichtag des amtlichen Entwurfs, der
können Sie sich wohl selbst ausmalen. 1. Oktober 1953, kann nicht unsere Zustimmung
finden, da nach der herrschenden Meinung die Öf-
Diese beiden Beispiele und Zitate sollten die Not- fentlichkeit bereits am 9. September des vergan-
wendigkeit erkennen lassen, endlich diese Belastung genen Jahres von der Absicht, ein Straffreiheits-
von der Justiz zu nehmen. Wir haben jetzt nicht gesetz zu erlassen, Kenntnis erhielt. Mit einem
mehr die Möglichkeit, zu den Müttern hinunter- Stichtag vom 1. Oktober 1953 kämen die zahlreichen
zusteigen und in großen rechtspolitischen Ausfüh- Hellhörigen aus dem Kreis der Betroffenen in den
rungen zu schwelgen, wir müssen vielmehr so schnell Genuß einer Straffreiheit auf Vorschuß. Eine un-
wie möglich einen Ausweg aus dieser Sackgasse mögliche Erscheinung!
suchen, damit unsere Rechtspflege von dieser Be-
lastung befreit wird. Die ungeziemend frühe Publizität hatte weiter
Auch wir haben uns bei unserem Gesetzentwurf zur Folge, daß auch die Gerichte und Staatsanwalt-
natürlich die Frage vorgelegt, ob es jetzt schon an schaften, wie ich bereits ausgeführt habe, vorzeitig
der Zeit ist, wieder ein Straffreiheitsgesetz zu er- das Schwert der Gerechtigkeit in die Scheide
lassen, nachdem zahlreiche Länderamnestien in den steckten und die in den Kreis der Erwartungen
Jahren 1947 und 1948 vorausgegangen sind und einbezogenen Fälle unbearbeitet auf Halde legten.
nachdem wir am 31. Dezember 1949 eine große Bei allen bereits im Prozeßgang stehenden Verfah-
Bundesamnestie gehabt haben. Wir haben uns diese ren wurde von den überreichen Rechtsmittel-
Überlegungen vor allem mit Rücksicht auf die un instanzen in subversivem Sinne Gebrauch gemacht.
bescholtenen Leute gemacht; denn der weit über- Wir stehen also der Tatsache gegenüber, daß sich
wiegende Teil unserer Bevölkerung, der sich jahr- an allen Gerichten Hunderte und Tausende solcher
aus jahrein gesetzestreu hält und anständig dahin- Akten befinden, die der Erledigung harren. Eine
lebt, muß jede Amnestie mit Recht als einen ge- Reihe von Verfahren dürfte nach meinen Beobach-
wissen Affront empfinden. tungen bereits der Verjährung zum Opfer gefal-
len sein.
Wenn wir uns trotzdem entschlossen haben, unter
Zurückstellung aller rechts- und kriminalpoli- Diese bedauerliche Entwicklung war für uns der
tischen Bedenken einem neuen Straffreiheitsgesetz äußere Anlaß, uns den § 2 des amtlichen Entwurfs
zuzustimmen, so geschah das in erster Linie aus noch einmal zu überlegen. Sosehr die Anknüpfung
den Erwägungen, die auch die Bundesregierung an die Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse der
leiten. Es läßt sich nicht leugnen, daß das alte strengen Systematik des amtlichen Entwurfs ent-
Straffreiheitsgesetz vorn 31. Dezember 1949 schon sprechen mag, sowenig kann sie nach unserer
aus besatzungsrechtlichen Gründen nicht die wün- Überzeugung den praktischen Anforderungen un-
schenswerte und notwendige Generalbereinigung serer überlasteten Justizbehörden oder dem nun
einer außerordentlichen Zeit bringen konnte. Eine einmal erreichten Stand der Dinge genügen. Vor
ganze Reihe von Straftaten, die ihrem Charakter allem stört uns an dieser Fassung die mangelhafte
nach ganz und gar in den Kreis der amnestiewür- Bestimmtheit, die bereits von Herrn Kollegen
digen Handlungen gehören, wie sie das Straffrei- Greve bemängelt worden ist, und die Dehnbarkeit.
heitsgesetz vom 31. Dezember 1949 umschrieben Derartige Gummi- und Kautschukparagraphen las-
hatte, mußte aus besatzungsrechtlichen Gründen sen erfahrungsgemäß sehr schwer zu lösende Aus-
ausgenommen werden, so z. B. das gesamte De- legungsfragen entstehen, die mit all den Gefahren
-
visenstrafrecht. Wir sind deshalb der Meinung, man für eine gerechte und gleichmäßige Behandlung
muß noch einmal einem Straffreiheitsgesetz als der Fälle verbunden sind. Diese Bedenken gewin-
einem Akt einer nachholenden Gerechtigkeit seine nen noch ein besonderes Gewicht, wenn man be-
Zustimmung geben. denkt, daß die meisten Aktenstücke noch gar nicht
so weit aufgearbeitet sind, daß eine derartige Ent-
Es läßt sich nicht leugnen, daß auch nach dem scheidung nach Lage der Akten möglich wäre.
Stichtag des letzten Straffreiheitsgesetzes vom
31. Dezember 1949, nämlich dem 15. September Deshalb sieht § 2 unseres Entwurfs eine allge-
1949, die wirtschaftlichen und soziologischen Ver- meine Amnestie im Rahmen der Dreimonatsgrenze
hältnisse noch längere Zeit angedauert haben, die des amtlichen Entwurfs vor. Das notwendige Regu-
dem damaligen Straffreiheitsgesetz die innere lativ bietet hier wie auch in den Sondertatbe-
Rechtfertigung gegeben haben. Die eigentliche Zä- ständen, die wir in geringerer Zahl aufzuweisen
sur ist erst später als Ergebnis der schwierigen haben, die Einschränkung, daß Gewinnsucht und
Aufbauarbeit unserer Regierung eingetreten. Das gemeine Gesinnung des Täters genau so wie Vor-
Problem der Ostflüchtlinge und der Spätheim strafen über einen Monat Freiheitsstrafe hinaus
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 597
(Höcherl)
amnestieunwürdig machen. Aus den zahlreichen ernsten Verkehrsdelikten besteht die Sicherung
Sondertatbeständen, die der amtliche Entwurf durch die Dreimonatsgrenze. Allenfalls kann man
seiner ganzen Anlage nach aufweisen muß, halten auch auf die Gesinnung des Täters abstellen. Die
wir eine ganze Reihe für überflüssig. Demgegen- Strafzumessungspraxis unserer Gerichte hat gerade
über scheint uns, daß eine Reihe von Sonderfällen in Verkehrsstrafsachen einen so engen Kontakt mit
darin nicht enthalten sind, die nach der Situation den modernen Verkehrsnotwendigkeiten und -be-
nicht fehlen sollten. Wir sind deshalb auf der einen dürfnissen gehalten, daß nach meiner Überzeugung
Seite etwas chirurgisch vorgegangen und haben kein Fall von Bedeutung durch die Maschen des
auf der anderen Seite Ergänzungen vorgenommen. Gesetzes fallen dürfte.
Beseitigt haben wir in dem amtlichen Entwurf Wir halten überhaupt diesen ganzen Ausnahme-
einmal die Bestimmung des § 3 für Straftaten in- katalog für überflüssig, weil wir das Regulativ der
folge wirtschaftlicher Notlage auf Grund von gemeinen Gesinnung usw. eingebaut haben, das
Kriegs- und Nachkriegsereignissen, da wir diesen eine gerechte Beurteilung zuläßt.
Gesichtspunkt aus gesetzestechnischen Gründen Andererseits vermissen wir im amtlichen Ent-
verwerfen müssen und die amnestiewürdigen wurf verschiedenes, insbesondere eine Bestimmung
Fälle in vertretbarem Ausmaß in unserer allge- über verbotene Interzonenhandelsgeschäfte aus der
meinen Bestimmung untergebracht haben. Wenn Zeit vor dem 1. April 1951. Ich bitte, das Datum be-
Gerichte schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von sonders im Auge zu halten. Sie wissen, daß durch
6 Monaten bei anerkannter unverschuldeter, durch die unglückselige Zerreißung unseres Vaterlandes
Kriegs- oder Nachkriegsereignisse bedingter Not- viele Betriebe eine West- und eine Ostausgabe
lage greifen, handelt es sich um kriminalpolitisch haben. Selbstverständlich haben dieser Riß und
ernste und bedenkliche Fälle, die nicht in einer dieser Eiserne Vorhang das Gefühl der Zusammen-
solchen Generalamnestie bereinigt werden können. gehörigkeit in keiner Weise tangieren und beein-
Die Bestimmung des § 6 des amtlichen Entwurfs trächtigen können. Über die wirtschaftlichen Be-
über Beleidigungen im politischen Meinungsstreit ziehungen dieser beiden Seiten ist nun ein dichtes
haben wir ebenfalls ausgeklammert, und zwar ein- und undurchsichtiges Netz von Rechtsvorschriften
mal aus rein menschlichen Gründen. Wir sind der und Verboten alliierter Herkunft usw. gezogen
Meinung, daß die beachtlichen Fälle auf diesem worden, das vor allem für unsere Landsleute gilt,
Gebiete durch unsere Generalamnestie mit der aber für andere Herrschaften, die sich an diesen Ge-
Dreimonatsgrenze durchaus gedeckt sind. Was schäften sehr maßgeblich und einträglich beteiligt
darüber hinausgeht, soll meiner Ansicht nach einer haben, keine Geltung hat, selbst wenn die Ver-
strafrechtlichen Sühne zugeführt werden. Das letzung sich auf strategisch wichtige Güter bezieht.
kann für die Bereinigung unseres politischen öf- Es ist vorgekommen, daß eine Reihe von durchaus
fentlichen Lebens nur tunlich und gut sein. achtbaren hervorragenden Kaufleuten und Ge-
schäftsleuten sich aus dem Gefühl der früheren Zu-
Den Platow-Komplex haben wir ebenfalls nicht
in unseren Entwurf aufgenommen, und zwar aus sammengehörigkeit haben verleiten lassen, der-
rein verfassungsrechtlichen Überlegungen. Wir sind artige Interzonenhandelsgeschäfte durchzuführen,
der Meinung, daß der einmal beschrittene Weg einmal, um die alten Betriebe — die gemeinsamen
durchaus zu Ende gegangen werden kann und zu Betriebe — durchzuhalten, auf der anderen Seite,
Ende gegangen werden sollte. um den Betriebsangehörigen die Gelegenheit zu
geben, die hohen Normen und Solls zu erfüllen.
Hinsichtlich der Taten während des staatlichen Das hatte zur Folge, daß im Verlaufe einiger ge-
Zusammenbruchs sind wir der Meinung, daß schon richtlicher Verfahren erhebliche Strafen ausge-
im Interesse der Gleichbehandlung mit den zahl- sprochen wurden. Ich weise noch einmal darauf
reichen bereits abgeurteilten Fällen eine amnestie- hin, daß in erster Linie unsere Landsleute davon
mäßige Behandlung nicht möglich ist. Das größte betroffen worden sind, während alle übrigen — ich
Hindernis auf diesem Gebiet, das in dem Fehlen will diese Frage nicht vertiefen — straffrei aus-
der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestand, ist
gegangen sind. Außerdem steht fest, daß diese ge-
beseitigt worden. Wir haben eine ausgeprägte und
setzlichen Bestimmungen derart undurchsichtig
wohlfundierte höchstrichterliche Rechtsprechung
waren, daß sich selbst die amtlichen Stellen nicht
auf diesem Gebiet, und wir halten auch den Ge-
mehr zurechtfanden. Ich habe hier die Mitteilung
sichtspunkt der angeblichen Pflichtenkollision ge-
eines Anwalts, der in einem derartigen Prozeß ver-
setzestechnisch nicht für annehmbar. Wenn diese
teidigt hat und der mir folgendes schreibt:
Merkmale beweisbar vorliegen, ist der einzig rich-
tige Weg der der individuellen Verhandlung. Solche In verschiedenen bisherigen derartigen Pro-
Dinge lassen sich aktenmäßig gar nicht entscheiden, zessen sagte der Magistratsangestellte von
sondern die innere Tatseite bedarf immer einer Berlin, der als Zeuge oder Sachverständiger
verhandlungsmäßigen Aufklärung. Härten sind wie vernommen wurde, aus, daß sie oft selbst nicht
in allen übrigen Fällen nach unserer Überzeugung gewußt hätten, was sie eigentlich tun sollten.
am besten auf dem Gnadenwege auszugleichen. Also nicht einmal die amtlichen Stellen waren da-
Wir konnten uns auch nicht entschließen, nach mals — wenigstens bis zum 1. April 1951 — in der
dem Beispiel des § 10 des amtlichen Vorschlages die Lage, die Rechtslage einwandfrei anzusprechen. Um
Verkehrszuwiderhandlungen generell aus dem Ge- so weniger war es natürlich den Kaufleuten und
setz auszunehmen. Einen Teil der Gründe hat der deren Angestellten möglich. Wir sind der Meinung,
Herr Kollege Greve schon vorweggenommen. Nie- daß in dieser Beziehung — und wir befinden uns
mand wird die Bedeutung des Strafrechts im Kampf durchaus in Übereinstimmung mit unseren Berliner
gegen den Verkehrsunfall unterschätzen wollen. Freunden, die wohl die kompetentesten Sachkenner
Trotzdem halten wir es für unmöglich, vorsätzliche auf diesem Gebiet sind — mit der betonten zeit-
Taten, z. B. einen Diebstahl oder einen Betrug, lichen Beschränkung auf den 1. April 1951 als Stich-
straffrei zu lassen und eine fahrlässige Verkehrs- tag eine Straffreiheit für Freiheitsstrafen bis zu
übertretung, wie auch das von Herrn Greve schon zwei Jahren vorgesehen werden sollte. Selbstver-
erwähnte verbotene Parken, zu bestrafen. Bei ständlich ist uns bekannt, daß sich in diesem Per-
598 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Höcherl)
sonenkreis — vom Inland her gesehen — Leute und Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und
Typen befinden, die durchaus nicht amnestiewürdig Herren, wir treten nunmehr in die Aussprache zu
sind und die an diesen Geschäften aus ganz eigen- Punkt 2 der heutigen Tagesordnung ein, wobei ich
süchtigen Gründen teilgenommen haben. Dafür unterstelle, daß das Haus eine Aussprache über die
haben wir aber die Generalklausel. Viele von diesen Große Anfrage wünscht.
Persönlichkeiten oder Personen, muß man besser Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten
sagen, werden schon durch die Vorstrafenklausel, Dr. Stammberger.
die anderen — der Rest — bestimmt durch die
Klausel „gemeine Gesinnung und Gewinnsucht" Dr. Stammberger (FDP): Herr Präsident! Meine
von einer Straffreiheit ausgeschlossen. Damen und Herren! Die Freie Demokratische Par-
Bei der Regelung der Straffreiheit für Ordnungs- tei muß aus grundsätzlichen Erwägungen beiden
widrigkeiten, die durch die erfolgreiche Wirtschafts- vorliegenden Gesetzentwürfen ihre Zustimmung
politik der Bundesregierung besonders obsolet ge- versagen.
(Bravo! bei der SPD.)
worden sind, hielten wir es für notwendig, die Ab-
führung des Mehrerlöses in den Bereich der Straf- Es haben zweifellos Voraussetzungen für ein
freiheit einzubeziehen. Bei diesen Straftaten handelt Straffreiheitsgesetz vorgelegen, als sich in den
es sich um Rudimente aus der letzten Zeit der Be- Jahren nach dem Kriege die Länder und im Jahre
wirtschaftung. Als typisches Beispiel möchte ich vor 1949 der Bund konstituierten. Wir sind auch der
allem den landwirtschaftlich interessierten Kollegen Meinung, daß es der Grundsatz der Gleichheit aller
sagen, daß es sich um die Holzpreisregelung und vor dem Gesetz rechtfertigt und sogar gebietet,
die Getreidepreisregelung handelt und daß die daß wir im Zuge einer Nachtragsamnestie alle die-
Täter vor allem auf dem Gebiet der Landwirtschaft jenigen Fälle noch erfassen, die wir damals aus
zu suchen waren. Ich weiß aus der eigenen Praxis, irgendwelchen Gründen nicht erfassen konnten
daß hier mehr der Unverstand und die Unvernunft oder durften. Das gilt insbesondere — da stehe ich
gesündigt haben als der böse Wille. Die wirkliche etwas im Gegensatz zu Herrn Kollegen Greve — für
Strafe war dann nicht die Buße, die ausgesprochen die Urteile aus der Entnazifizierungsgesetzgebung.
wurde, sondern die Abführung des Mehrerlöses, Niemand von uns denkt daran, strafbare Hand-
der übrigens noch betriebswirtschaftlich ganz un- lungen, die damals — wenn auch unter politischen
haltbar errechnet werden mußte, nämlich ganz Aspekten — begangen worden sind, heute zu be-
abstrakt. Ich bin recht dankbar für die Gelegenheit, gnadigen. Es handelt sich aber nicht um strafbares
die ich heute habe — nachdem ich in der Praxis Unrecht, das damals begangen worden ist und
solche Dinge mitmachen mußte —, Ihnen vorzu- wozu die Vorschriften des Strafgesetzbuches zu
schlagen, die Härten auf diesem Sektor bei dem einer angemessenen Ahndung ausgereicht hätten,
vorliegenden Straffreiheitsgesetz zu beseitigen. sondern es handelt sich lediglich um die Taten,
die auf Grund irgendeiner politischen Zugehörig-
Außerdem haben wir die Gelegenheit noch be- keit zu verbotenen Organisationen usw. unter
nützt, ein weiteres und wirklich echtes Anliegen Strafe gestellt waren.
unserer kleinen, im ganzen Land verstreuten Obst- Wir sind auch der Meinung, daß gewisse Wirt-
brennereien zu lösen. Nach einer Verordnung des schaftsstraftaten, insbesondere Interzonenhandels-
Reichsfinanzministers vom 22. Dezember 1944 — geschäfte, wie das der Herr Kollege Höcherl bereits
ich wiederhole das Datum, vom 22. Dezember 1944 angeschnitten hat, amnestiert werden müssen. Wir
— verlieren diese kleinen Obstbrenner auch schon sind ebenfalls der Meinung, daß der Befehlsnot-
bei leichten Verstößen gegen das Branntwein- stand im Sinne des § 8 der Regierungsvorlage in
monopolgesetz — also nicht nur bei Hinterziehun- irgendeiner Form durch die Amnestie geregelt
gen, wie man vielleicht meinen möchte — das Brenn- werden muß, soweit nicht in dieser Hinsicht bereits
recht. Diese Verordnung, die in ihren Bestimmun- die Rechtsprechung durch die Anwendung der
gen einschneidenden Gesetzescharakter hat, wider- Lehre vom subjektiven Tatbestand zu befriedigen-
spricht dem Grundgesetz, und ihre Durchführung den Ergebnissen gekommen ist.
kommt einer Enteignung gleich. Trotzdem wird sie Wir sind aber nicht der Meinung der Bundes-
immer noch praktiziert. Ich glaube, wir sollten die regierung, daß es auch notwendig sei, politische
Gelegenheit wahrnehmen, die Beseitigung dieses Beleidigungen zu amnestieren.
offenen Unrechts — auch wenn der Kreis der Be-
troffenen klein und bescheiden ist — mit in das (Abg. Mellies: Sehr gut!)
Straffreiheitsgesetz einzubeziehen. Wir haben des- Meine Damen und Herren, wir stehen auf dem
halb die einschlägigen Vorschriften unseres Ent- Standpunkt, daß sich eine politische Auseinander-
wurfs auf diese Möglichkeiten hin erweitert. setzung, d. h. das Ringen um die beste und um die
Manchen von Ihnen mag vielleicht diese Bestim- richtige Entscheidung auf einem höheren Niveau
mung kleinlich erscheinen; wir stehen aber auf dem und auf einer anderen Ebene abspielen muß als
Standpunkt, daß es sich hier um die Existenz dieser unter Berücksichtigung der §§ 185 bis 187 des
Obstbauern handelt. Auch die Rechtsästheten Strafgesetzbuches vor dem Amtsrichter,
müßten meiner Ansicht nach ihre Liebe zur Syste- (Beifall bei der SPD)
matik zurückstellen, wenn es darum geht, etwas und wir sind der Meinung, daß das auch dann
mehr an Gerechtigkeit zu erhalten. zutrifft — im Gegensatz zur Meinung des Herrn
Zum Schluß möchte ich zunächst formell den An- Bundesjustizministers —, wenn diese beleidigen-
trag stellen, unseren Entwurf dem Rechtsausschuß den Äußerungen von seiten rechts- oder linksradi-
zu überweisen. Ich darf Sie wegen der bereits kaler Organisationen oder von Angehörigen dieser
mehrfach festgestellten Dringlichkeit bitten, die Organisationen gefallen sind; denn wenn sie von
Sache beschleunigt zu behandeln, damit wir endlich dort gefallen sind, wird man das Gefühl nicht los,
von unserer Rechtspflege und von unserer Justiz daß sie dort einer gewissen Grundhaltung ent-
dieses Odium nehmen, das seit Monaten auf ihr stammen und nicht etwa nur im Übereifer erfolgte
lastet. Entgleisungen darstellen.
(Beifall bei der CSU.) (Abg. Ritzel: Aber hier auch!)
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 599
(Dr. Stammberger)
— Dann ist es um so bedauerlicher und dann wäre bürgers gehört, zu wissen, daß eine Verletzung der
es ein Zeichen dafür, daß es Leute gibt, die sich entsprechenden Gesetze auch die Strafbarkeit
zu dieser Erkenntnis noch nicht durchgerungen nach sich zieht. Wir fürchten, es könnte ein Gefühl
haben. Wir sind der Meinung, daß jemand, der aufkommen, daß Geldstrafen und auch Freiheits-
gegen diese Spielregeln einer gesunden parlamen- strafen bis zu einer gewissen Anzahl von Monaten
tarischen oder sonstigen politischen Auseinander- eben Bagatellen sind, die auf kurz oder lang, spä-
setzung verstößt, nicht zu erwarten hat, daß er testens nach der nächsten Bundestagswahl, durch
dafür straflos ausgeht. eine Amnestie bereinigt werden. Bei einer Am-
Wir können uns auch nicht entschließen, der nestiedebatte im Reichstag, der in der Frage von
Tendenz des § 7, d. h. doch praktisch der Kaschie- Amnestien ebenfalls nicht gerade kleinlich war, ist
rung der Platow-Amnestie — der Herr Bundes- einmal das Wort gefallen: „Amnestien sind Meilen-
justizminister hat es ja sehr deutlich gesagt — steine auf dem Leichenweg des Rechts". Das Parla-
zuzustimmen. Meine Damen und Herren, ich ment als gesetzgebende Körperschaft hat auch die
stimme durchaus mit Herrn Kollegen Greve über- Aufgabe, Hüter dieses Rechts zu sein. Eine Ver-
ein, wenn er sagt, daß die Amnestie nicht dazu letzung dieses Grundsatzes würde dazu führen,
dienen darf, den Justizbehörden die Arbeit zur daß eben auch dann, wenn es aus irgendeinem
Niederschlagung von einzelnen Verfahren durch Grunde opportun erscheint, für Einzeltatbestände
Gnadenerweise wegzunehmen. Aber diese Folge- Amnestien gewährt werden, wie wir es heute bei
rungen hätte er auch noch weiter ziehen müssen. der Platow-Amnestie sehr ausführlich diskutiert
Zu seinen Ausführungen bei der Platow-Gesetz- haben. Dieser Entwicklung müssen wir Einhalt
gebung, zu seiner anfangs geäußerten Ansicht gebieten. Daher lehnen wir beide Entwürfe ab und
standen sie nämlich durchaus in Widerspruch. stimmen auch gegen ihre Verweisung in die zu-
ständigen Ausschüsse.
Meine Damen und Herren, wir lehnen die Ent-
würfe deswegen ab, weil sie — auch der Regie- Eine Bitte haben wir aber: daß, wie auch immer
rungsentwurf, nicht nur der Entwurf der CSU — die Entscheidung ausfallen mag, sie schnell ge-
eine allgemeine Amnestie darstellen sollen. Wir troffen wird. Wir sind durchaus der Meinung des
haben das Gefühl — und dieses Gefühl teilt sich Herrn Kollegen Höcherl, daß sich die Akten auf
mit dem Gefühl weitester Kreise der Bevölke- den Richtertischen angehäuft haben und daß nach
rung —, daß diese Amnestie mit dem Ergebnis der dem monatelangen Gerede um diese Amnestie nur
Bundestagswahl in irgendeinem Zusammenhang eine schnelle Entscheidung des Parlaments hier
steht. Das könnte gewisse Erwartungen und Folge- eine Klärung schaffen kann. Wir sind aber nicht
rungen nach sich ziehen, die auch bei der nächsten der Meinung des Herrn Kollegen Höcherl, daß
und den kommenden Bundestagswahlen eine Re- dieses Problem der Aktenanhäufung nur dadurch
gierung in Versuchung bringen könnte, das Zucker- gelöst werden kann, daß sie durch einen Feder-
brot der Amnestie zu gewähren. strich mit einem Amnestie-Gesetz unter den Tisch
fallen. Wir sind der Meinung, daß eine derartige
Es sind durchaus berechtigte Erwägungen, daß Praxis der Würde des Gerichts und dem Ansehen
man die Verkehrsdelikte herauslassen wollte, weil
des Rechts, das die Gerichte zu sprechen haben,
man die Menschen wieder zu der Auffassung bringen widersprechen würde.
soll, daß Verkehrsdelikte keine Kavaliersdelikte
sind. Was aber für Verkehrsdelikte gilt, gilt im (Beifall bei der FDP.)
selben Umfang auch für Delikte anderer Art. Durch
die Schnelligkeit und durch das Übermaß an Mög- Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
lichkeiten, durch das man in den letzten Kriegs- Abgeordnete Dr. Czermak.
jahren und auch in den Jahren nach dem Krieg
ins Gefängnis wandern konnte, sind in der Bevöl- Dr. Czermak (GB/BHE): Herr Präsident! Meine
kerung so manchmal die Ansichten entstanden, sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegende
daß derartige kleine Straftaten nicht so besonders Amnestie hatte leider von Anfang an einen etwas
wichtig zu nehmen seien. Es ist unsere Aufgabe als unglücklichen Start. Man hat schon im Herbst
gesetzgebende Körperschaft, dafür zu sorgen, daß davon gesprochen. Dann erschienen trotz strengster
die Staatsbürger wieder das Gefühl haben, es Vertraulichkeit wohlinformierte Zeitungsartikel.
macht sich jemand strafbar, wenn er gegen die Man erwartete allgemein ein Weihnachtsgeschenk,
Gesetze verstößt, die sich die Gemeinschaft zur und jetzt wird bestenfalls eine Oster-Amnestie
Ordnung ihres gemeinsamen Zusammenlebens ge- daraus. Es ist daher durchaus verständlich, daß sich
setzt hat. Das scheint uns auch eine gewisse Ver- in den letzten Monaten alle Betroffenen darauf
antwortung zu sein gegenüber dem weit über- eingestellt haben. Es wurde vertagt, berufen, revi-
wiegenden Teil der Bevölkerung, der sich an diese diert, aufgeschoben — allein in Frankfurt hat sich
Spielregeln hält und der allmählich kein Verständ- die Zahl der Revisionen von 70 pro Monat auf
nis mehr dafür haben wird, wenn man von Zeit - zu 140 verdoppelt —, so daß heute bei den Gerichten
Zeit, weil das aus irgendeinem Grunde zweckmäßig und Staatsanwaltschaften eine ganze Menge un-
erscheint, alles das in Bausch und Bogen am- erledigter Strafsachen liegt. Schon aus diesen rein
nestiert, was in den vergangenen Jahren geschehen praktischen und technischen Erwägungen heraus
ist. Das gilt um so mehr, als durch eine jetzt beab- erscheint uns der Erlaß einer Amnestie unbedingt
sichtigte Generalamnestie keine Urteile getroffen notwendig, und zwar möglichst bald, selbst wenn
werden, die in sehr unruhigen und turbulenten darin ein Unrecht für die Verurteilten erblickt
Zeiten gefällt worden sind, sondern als es sich werden muß, die ihre Strafen bereits treu und
hierbei um Urteile handeln wird, die ergangen sind ehrlich abgebüßt haben. Aber es sind doch noch
oder ohne eine Amnestie noch ergehen werden viele Fälle anhängig, die unter diese Amnestie
unter einer rechtsstaatlichen Ordnung, unter sorg- fallen sollen.
fältiger und peinlicher Wahrung der materiellen Wir wissen genau so gut wie alle Vorredner, daß
und verfahrensrechtlichen Vorschriften. jede Amnestie einen schweren Eingriff in die Straf-
Wir sind der Meinung, daß es zum Bewußtsein rechtspflege bedeutet, daß sie den Strafrechts-
des Verantwortungsgefühls eines jeden Staats anspruch des Staates gefährdet und daß sie durch
600 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Czermak)
ganz besondere Ereignisse und Verhältnisse be- den, ob er tatsächlich amnestiewürdig ist. Das vor
gründet sein muß. Dieser historische, feierliche An- gesehene Strafmaß von zwei Jahren scheint uns
laß — Wiedervereinigung, Friedensvertrag — ist hier zu hoch gegriffen. Grundsätzlich sollte aber
leider zur Zeit nicht gegeben. Trotz alledem be- dieser ganze Komplex im Rahmen dieser Amnestie
gründen aber unserer Meinung nach die zweifellos erledigt werden, wie auch der Herr Bundesjustiz-
immer noch bestehenden wirtschaftlichen No t- minister heute erklärt hat.
stände, die Kriegs- und Nachkriegsfolgen eine Wir sind ebenfalls für eine Bereinigung aller
Amnestie; es fragt sich nur, in welchem Rahmen. Taten während des Zusammenbruchs vor und nach
Wenn man sich aber schon grundsätzlich zu einer Kriegsschluß — ich wiederhole: auch nach Kriegs-
Amnestie entschließt, dann möchte ich bitten, keine schluß; es gibt dafür ja eine Frist —, die in einem
halbe, keine kleine oder kleinste Lösung, keine schweren Gewissenskonflikt und Befehlsnotstand,
Verlegenheitslösung, sondern eine möglichst groß- insbesondere bei Soldaten, begangen wurden. Ich
zügige, wenn ich es etwas paradox sagen darf: auch möchte nur auf zwei klassische Fälle verweisen:
in Kleinigkeiten großzügige Lösung zu suchen. Die Petersen und Benthak, in denen nach je sechs-
letzte Amnestie mit dem Stichtag vom 15. Sep- jähriger Prozeßdauer in je drei Instanzen schließ-
tember 1949 hat leider keinen Schlußstrich unter lich Freispruch erfolgt ist, einfach weil die Rechts-
die allerärgsten Kriegs- und Nachkriegsfolgen ge- lage ungeklärt war.
zogen. Auch nach dem 15. September 1949 tragen
trotz der allgemeinen Besserung, des Wiederauf- Für eine wirklich großzügige Lösung wären wir
baus, des deutschen Wunders, noch sehr viele Men- bei Verschleierung des Personenstandes. Bekannt-
schen, besonders in den Grenz- und Notstands- lich sind das Dauer- und Kettendelikte. All diesen
gebieten, schwer an den Folgen des Krieges und Untergetauchten, diesen „U-Booten", im Volks-
der Nachkriegszeit, und es bestehen bei sehr vielen mund auch „Braun-Schweiger" genannt,
Straftaten noch Kausalzusammenhänge mit diesen (Heiterkeit)
bitteren Zeiten. Das läßt sich wohl nicht bestreiten,
wenn man die Not und das Elend bei vielen Men- wäre der Weg in die Legalität, in ein geordnetes
schen, besonders draußen im Lande, sieht. Leben zu öffnen, vor allem im Falle einer tätigen
Wir würden daher zunächst, weil wir für eine Reue durch Selbstmeldung.
möglichst umfassende Lösung sind, für den ur- Die stärkste Kritik hat der Regierungsentwurf,
sprünglichen Gedanken einer allgemeinen Amnestie wie sich auch heute hier gezeigt hat, in der Frage
bis zu drei Monaten eintreten, wie er in dem Ent- der Ausschließungsgründe gefunden, besonders be-
wurf — darf ich ihn vielleicht auch den bayerischen züglich der Verkehrsdelikte. Die Anführung von
Entwurf nennen? — festgelegt ist. Darüber hinaus Tatbeständen bei den Ausschließungsgründen wie
sind wir aber für einen größeren Rahmen bis zu Hochverrat, Mord und Totschlag, Raub und Er-
sechs Monaten im Sinne des § 3 des Regierungs- pressung scheint mir ziemlich illusorisch, weil
entwurfs bei erwiesenem Notstand, allerdings nicht darauf meistens mehr als drei oder sechs Monate
nur bei unverschuldetem wirtschaftlichen Notstand, stehen. Es ist aber wirklich nicht einzusehen, daß
sondern auch bei seelischem Notstand, kurz und man einen kleinen, fahrlässigen Verkehrssünder
gut, bei jedem Notstand, gerade im Interesse der bestrafen muß, selbst wenn er eine kleine Menge
armen kleinen Sünder, die sich aus der Not heraus mehr Prozente im Leibe gehabt hat, als das Gesetz
schuldig gemacht haben und bei denen man Gnade es befiehlt,
vor Recht walten lassen sollte. Wir würden auch (Heiterkeit)
dafür plädieren, daß eine Straffreiheit nicht ge-
währt wird, wenn eine höhere Vorstrafe als drei während man kriminelle Täter amnestiert. Bei be-
Monate — im Regierungsentwurf ist nur ein Monat sonderer Rücksichtslosigkeit, bei gefährlicher Trun-
angegeben — vorliegt, weil es sich hier meistens kenheit, bei Fahrerflucht usw. werden selbstver-
um Vorstrafen handelt, die aus weit schlimmeren ständlich höhere Strafen anzusetzen sein, als sie für
Zeiten datieren. Derselbe Grundsatz sollte auch bei eine Amnestie in Betracht kommen. Wir wären da-
allen Steuer- und Monopolvergehen, auch bei den für, daß man diesen Ausschließungsgrund fallen
bereits zitierten Interzonenhandelsgeschäf ten gel- läßt. Wir sind also, was die Ausschließungsgründe
ten, nicht nur, wie es im Entwurf heißt, bei Steuer- betrifft, ganz gleicher Ansicht mit dem bayerischen
ordnungswidrigkeiten und Monopolwidrigkeiten. Entwurf, der nur Gewinnsucht und gemeine Gesin-
Auch eine Erhöhung der Geldstrafe von 10 000 DM nung als solche Gründe gelten läßt.
wäre zu erwägen. Ich verweise hier nur auf das Bedenken haben wir bezüglich des Stichtags vom
Gutachten der Rechtsanwaltskammer, wobei ich 9. September oder vom 1. Oktober 1953. Wir sind
bei den Wirtschaftsdelikten insbesondere an die für einen späteren Termin schon aus dem einfachen
Zigaretten- und Kaffeegeschäfte denke. Grunde, weil sich die ganze Amnestie auch sehr
Ein schwieriges und sehr delikates Kapitel
- ist verspätet hat.
allerdings die Amnestie für Nachrichtentätigkeit im Die Tilgung von Vorstrafen sollte man nicht nur
Zusammenhang mit der bekannten Platow-Am- auf Wirtschaftsstrafsachen beschränken, sondern in
nestie. Wir vom GB/BHE sind in dieser Frage völlig einem weit größeren Rahmen vorsehen, und zwar
unbefangen und objektiv. Wir können aber bei auch für andere Delikte, besonders für die Zeit vor
allen verfassungsrechtlichen Bedenken, die vom Kriegsschluß und die Jahre der schwersten Not
Herrn Kollegen Dr. Greve vorgebracht worden nach Kriegsschluß. Bei sehr vielen Verurteilten sind
sind, durchaus verstehen, daß sich damals das be- gerade diese Vorstrafen schwere Hindernisse für
kannte Rechtsgefühl des seinerzeitigen Herrn Justiz- ihre neue Existenzgründung, was wirklich groß-
ministers Dr. Dehler dagegen gesträubt hat. Bei zügig, weil es sich durchweg um bereits verbüßte
allem Verständnis und vollster Sympathie für die Strafen handelt, zu beseitigen wäre.
Presse haben wir doch gerade mit Rücksicht auf
das Ansehen und die Sauberkeit des deutschen Be- Zum Verfahren wäre nur ganz kurz zu sagen, daß
amtenstandes die schwersten Bedenken. Jeder ein- wir für ein einfaches, klares und schnelles Ver-
zelne Fall sollte gründlich darauf überprüft wer- fahren ohne jeden unnützen Apparat sind, damit
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 601
(Dr. Czermak)
diese ganze Amnestie möglichst rasch und ohne Dr. Arndt zu überzeugen, der doch gewiß nicht im
Schwierigkeiten erledigt werden kann. Rufe steht, gegenüber dem Grundgesetz besonders
großzügig zu sein oder zu einer gewissen Skrupel-
Zusammenfassend möchte ich nochmals betonen, losigkeit zu neigen, wenn verfassungsrechtliche Be-
daß wir sowohl die positive als auch die negative denken auftauchen.
Seite dieser Amnestie sehen und uns alle weiteren
Bedenken und Abänderungsvorschläge für die Be- Nachdem nun das Gesetz zustandegekommen
ratung im zuständigen Rechtsausschuß vorbehalten. war, durfte eigentlich über die Frage der Gegen-
Wir wollen aber doch hoffen, daß sich dadurch zeichnung ein Rechtsstreit nicht entstehen.
wieder für viele Betroffene der Weg in eine bessere (Abg. Dr. Greve: Sehr richtig!)
Zukunft öffnet und daß diese Amnestie zu einer Es stellt sich die Frage, ob dem zuständigen Bun-
allgemeinen Befriedung beiträgt. desminister das Recht zusteht oder gar die Pflicht
Zum Schluß gestatten Sie mir, meine Damen und obliegt, bei einem ordnungsgemäß zustande gekom-
Herren, einen Hinweis. Durch diese Amnestie sollten menen Gesetz die Gegenzeichnung deshalb zu, ver-
wir auch dem Ausland ein Beispiel geben. Ich z. B. weigern, weil er dieses Gesetz für im Widerspruch
als Heimatvertriebener weiß sehr gut, daß sich mit den Bestimmungen der Verfassung stehend
noch sehr viele Männer und auch Frauen schon hält.
mehr als acht Jahre drüben in der alten Heimat in Ich bin der Auffasung, daß das Grundgesetz zum
Haft und Zwangsarbeit befinden — verurteilt nicht mindesten in diesem Stadium des Gesetzgebungs-
wegen krimineller Taten, sondern nur, weil sie verfahrens ein solches Recht nicht verleiht. Es ge-
Deutsche waren —, und sehr viele Frauen und währt nicht das Recht, einen verfassungsmäßig vor-
Kinder warten schon acht Jahre lang auf ihren geschriebenen Akt, den der Gegenzeichnung, mit
Vater, ihren Erhalter und Ernährer. Es wäre doch der Begründung zu verweigern, das Gesetz sei ver-
sicherlich schön und segensreich, wenn auch in fassungswidrig. Zum mindesten muß das Gesetz
diesen Ländern endlich Amnestien erlassen würden dem Herrn Bundespräsidenten vorgelegt werden,
und damit wieder viele Familien froh und glücklich dem allerdings die überwiegende Meinung ein weit-
gemacht werden könnten. gehendes Prüfungsrecht zuspricht.
(Beifall beim GB/BHE, in der Mitte und rechts.) Die Verweigerung der Gegenzeichnung war also
verfassungsrechtlich wohl nicht begründet. Es ent-
Vizepräsident Dr. Schneider: Ich erteile das Wort stand ein politischer Konflikt. Es wurde schon dar-
der Abgeordneten Frau Dr. Ilk zu einer kurzen Er- auf hingewiesen, daß der frühere Herr Justiz-
klärung. minister das heute auch ausdrücklich zugibt. Er
sagte, er sei in eine politische Kampfsituation ge-
Frau Dr. Ilk (FDP): Herr Präsident! Meine Herren raten, aus der er dann die notwendigen Folgerun-
und Damen! Ich möchte eine kurze Berichtigung gen gezogen habe.
vorbringen. Wir Freien Demokraten werden der
Behandlung dieser Gesetzentwürfe im Ausschuß Wenn die Bundesregierung nunmehr versucht,
nicht widersprechen. diese schwierige Situation zu bereinigen, so will
meine Fraktion dem selbstverständlich nicht im
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der Wege stehen, schon deshalb nicht, weil die Platow-
Abgeordnete Dr. Furler. Amnestie wohl weder ein guter noch ein würdiger
Anlaß ist, zwischen Regierung und Parlament eine
Dr. Furler (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine grundsätzliche verfassungsrechtliche Frage auszu-
Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister tragen. Wegen dieser angebahnten Vermittlungs-
hat vorhin ganz kurz die Geschichte der Platow- aktion, wegen der Entwicklung, die hier von der
Amnestie skizziert und auch die Gründe dargelegt, Regierung angedeutet wurde, und wegen der Er-
die die Bundesregierung veranlaßt haben, das vom klärung, die sie abgegeben hat, sehe ich davon ab,
Bundestag und vom Bundesrat Ende Juli 1953 be- zu den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pro-
schlossene, also zustandegekommene Gesetz nicht blemen noch näher Stellung zu nehmen.
gegenzuzeichnen und dem Herrn Bundespräsi- Nun zum .geplanten Straffreiheitsgesetz. Uns lie-
denten nicht zur Verkündung weiterzuleiten. Diesen gen zwei Entwürfe vor, die sich wahrscheinlich
Ausführungen war, ich darf das wohl sagen, zu ent- nicht so sehr unterscheiden, wie es zunächst den
nehmen, daß auch die Bundesregierung die ent- Anschein hat. Meine Fraktion ist dem Gedanken
standene Lage nicht für erwünscht hält, und sie eines Zweiten Straffreiheitsgesetzes nicht gern und
hat jedenfalls ihre rechtlichen Bedenken nach dieser nicht ohne starke Hemmungen nähergetreten. Seit
Richtung zum Ausdruck gebracht. der ersten Amnestie der Bundesrepublik sind nur
Die gegenwärtige, gewiß nicht ganz erfreuliche knapp vier Jahre vergangen. Wir sind uns sehr
Situation ist entscheidend darauf zurückzuführen,
- wohl darüber im klaren, daß jede Amnestie mit
daß der frühere Herr Bundesjustizminister gerade- FragwüdiketnblsuvoraemdV-
zu leidenschaftlich, und zwar unter verfassungs- wurf ausgesetzt ist, die Autorität des Strafrechts zu
rechtlichen Gesichtspunkten, gegen dieses Gesetz untergraben und zu Ungerechtigkeiten zu führen.
gekämpft hat Man muß Verständnis für diese Hal- Besonders bedenklich wäre es aber wohl, wenn
tung haben. Aber es ist immerhin bemerkenswert, eine Art Gewöhnung an Amnestien oder eine Hoff-
daß es dem damaligen Minister nicht gelungen ist, nung auf periodische Straffreiheiten aufkommen
die Mehrheit des Rechtsausschusses oder die Mehr würde. Wir können uns daher für eine allgemeine
heit des Plenums von der Richtigkeit seiner ver- und weitgehende Amnestie, wie sie von manchen
fassungsrechtlichen Einwendungen zu überzeugen. Kreisen — ich entnehme das aus Zuschriften —
Denn das Gesetz wurde trotz all der Argumente, gefordert wird, nicht entschließen.
die vorgebracht wurden, mit erheblicher Mehrheit Eine derart weite und allgemeine Amnestie for-
angenommen. Ja, ich halte es sogar auch für be- dert der Entwurf unse re r bayerischen Freunde
merkenswert, daß es damals dem Herrn Justiz- nicht. Er geht wohl etwas weiter :als der Regierungs-
minister nicht einmal gelungen ist, Herrn Kollegen entwurf, aber seine Amnestie unterscheidet sich
602 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26, Februar 1g54
(Dr. Furler)
deutlich von einer allgemeinen, weiten Amnestie, Straftaten der Untergetauchten zu bereinigen. Die-
da auch er nur eine Bereinigung der Verhältnisse ser Komplex als einziger hat sogar beim Bundesrat
will. Über den Stichtag der letzten Amnestie, den Gnade gefunden. Auch der Bundesrat wäre bereit
15. September 1949 hinaus waren diese Verhält- gewesen, für die Untergetauchten eine neue Mög-
nisse doch noch so, daß man sagen kann: Es liegen lichkeit der Amnestie und vor allem eine neue
Gründe vor, die dafür sprechen, eine Endbereini- Möglichkeit freiwilliger Bereinigung zu geben.
gung durchzuführen, also eine einmalige Bereini-
gung und nicht eine periodische Amnestierung. Wer Nun aber zu etwas Wichtigem: Meine politischen
die. Protokolle der Beratungen über die Platow- Freunde und ich bejahen auch die Tendenz, die
Amnestie durchliest, wird erkennen, daß schon Straffreiheit in ein Gebiet hineinzutragen, das wie
damals von allen Seiten gesagt wurde, es wäre kein anderes unter dem Einfluß der entsetzlichen
wohl notwendig, eine weitere, abschließende Am- Verwirrung der Begriffe und der Umwälzungen
nestie zu bringen und sich nicht auf den Platow- der letzten Kriegszeiten und des Zusammenbruchs
Komplex zu beschränken. Man denke nur daran, gestanden hat. Ich meine die Bestimmung, die in
daß hoch nach dem September 1949 eine Reihe von dem Regierungsentwurf mit „Taten während des
Notständen nicht behoben waren. Man denke an staatlichen Zusammenbruchs" überschrieben ist.
die neuen Ostflüchtlinge, man denke an die Vor- Man wird auch bei einer die Mentalität dieser Tä-
gänge um Berlin, man denke an die spät zurück- ter ablehnenden Einstellung schon deshalb einen
gekommenen Kriegsgefangenen, und man denke Schritt tun müssen, weil es unser aller Bemühen
vor allem an die Menschen, denen es erst später ge- ist, unsere früheren Kriegsgegner und auch neu-
lungen ist, wieder in geordnete Lebensverhältnisse trale Staaten dazu zu bewegen, die Deutschen zu
zu kommen. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß begnadigen, die sich — im Zusammenhang mit dem
wir heute von manchen Dingen doch weiter weg Krieg -- noch in ihren Gefängnissen befinden.
sind und in vielen Fragen ruhiger und deshalb (Zustimmung in der Mitte.)
auch sachlicher und wohl auch richtiger denken als
vor Jahren noch. Ich möchte hier vor allem zu dem Stellung neh-
Ich will nun nicht in Einzelheiten der beiden Ent- men, was Kollege Greve hier gesagt hat. Er hat
würfe hineinsteigen, sondern möchte nur zu ein einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts
,

paar grundsätzlichen Fragen .Stellung nehmen. zitiert, in dem davon die Rede ist, daß sich die Auf-
fassung von der Amnestie gewandelt hat und daß
Der Regierungsentwurf, so sehr er hier kriti- man heute im Volksbewußtsein unter Amnestie
siert und angegriffen wurde, hat die richtige weniger einen Gnadenakt als eine Korrektur des
Grundtendenz, nämlich deutlich zu machen: es soll Rechts versteht. Man würde aber die Bedeutung
keine zweite, gewissermaßen periodische, nach vier dieser Bemerkung des Bundesverfassungsgerichts
Jahren eintretende Straffreiheit gewährt werden. verkennen, wenn man unter einem solchen Ge-
Deshalb differenziert der Regierungsentwurf. Er sichtspunkt einzelne der Amnestie wohl würdige
will überhaupt nur Straftaten unter die Amnestie Taten von der Amnestie ausnähme. Denn eines ist
fallen lassen, die entweder ,im Zusammenhang mit ja wohl sicher: die Amnestie macht Unrecht nicht
den außergewöhnlichen Kriegs- und Nachkriegs zu Recht. Auch wenn Sie eine Generalamnestie er-
verhältnissen stehen oder aus einer unverschulde- lassen, wird niemand behaupten wollen, in Zukunft
ten wirtschaftlichen Notlage entstanden sind. Ich seien der Diebstahloder der Betrug oder die Un-
glaube, ein Großteil der Kritik an diesem Entwurf treue als zu Recht geschehen anzusehen. Ebenso
— und auch diejenige der . CSU — hängt mit den werden wir doch niemals annehmen, daß die Taten,
etwas schwierigen, detaillierten Formulierungen die wir nun aus Gründen der Menschlichkeit unter
zusammen. Bei einer Amnestie ist es eigentlich die Amnestie bringen wollen, weil sie in Zeiten
erwünscht, daß ganz klare Richtlinien gegeben einer urigeheueren Verwirrung geschehen sind,
werden, damit der Richter nichts weiter zu tun hat, Rechtens sind. Sie sollen nur aus politischen,
als die Amnestie zu vollziehen. menschlichen und allgemeinen Gründen — aus
Nach dem Regierungsentwurf kann natürlich der dem Rahmen der Strafbarkeit herausgenommen
Gedanke auftauchen, daß der Richter in jedem werden. Deshalb dürfte das genannte Argument
einzelnen Fall gezwungen ist, schwierige Erwägun- wohl nicht entscheidend dagegen sprechen.
gen anzustellen, vielleicht auch noch Beweise zu er
heben, um sich darüber klarzuwerden, ob im Der Regierungsentwurf hat auch in dieser Be
Einzelfall ein solcher Zusammenhang mit außer- ziehung sehr starke Grenzen gezogen. Einmal zeit-
gewöhnlichen Verhältnissen oder einer persön lich, indem er nur Taten berücksichtigt, die in der
lichen wirtschaftlichen Notlage besteht. Ich glaube Zeit vorn 1. Oktober 1944 bis zum 31. Juli
aber, der Regierungsentwurf ist in diesem Punkt 1945 begangen worden sind. Es wird eine
nicht so schlecht, wie es nach der heutigen-Debatte Reihe von Voraussetzungen aufgestellt, es werden
aussehen könnte, denn er hat ein großes Regulativ. Strafgrenzen bis zu drei Jahren gegeben. Vor
t stellt nämlich eine Art Beweisvermutungsta
Er allem sagt der Regierungsentwurf, daß Straftaten
bestand auf, indem er in § 2 sagt, daß die Amnestie nicht amnestiert werden, wenn bei ihnen gewis-
für Straftaten gewährt wird, bei denen ein Zu- senlos über die höhere Rechtspflicht hinweggegan-
sammenhang mit den außergewöhnlichen Verhält- gen wurde. Selbstverständlich erhebt sich beim Ju-
nissen nicht auszuschließen ist. In dieser sehr weit- risten, wenn er eine solche Klausel liest, der Ein-
gehenden Bestimmung kommt die Tendenz zum wand mangelnder Bestimmtheit; selbstverständlich
Ausdruck, den Gerichten nahezulegen, nicht klein- sucht der Jurist hier nach einer präziseren Formu-
lich zu sein, sondern nur dann nicht zu amnestieren, lierung Aber ich glaube, wenn man schon dem Ge-
wenn es offensichtlich ist, daß die Tat mit den danken folgt, die menschlich wirklich nicht mehr
turbulenten Verhältnissen nichts zu tun hat. verständlichen und nicht mehr- zu billigenden Taten
auszunehmen, kommt man um eine nicht einfache
In der heutigen Aussprache ist allgemein aner- Formulierung nicht herum, weil die Verhältnisse
kannt worden, daß es mit dem ersten Straffrei- und die Menschen eben zu verschieden und zu kom-
heitsgesetz nicht gelungen ist,. das Problem der plex sind.
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 603
(Dr. Furler)
Schwierig ist das Problem, ob Steuer- und Mo- leicht im Zusammenhang mit diesen außergewöhn-
nopolvergehen amnestiert werden sollen. Wir müs- lichen Verhältnissen der Nachkriegszeit amnestiert;
sen uns darüber einmal grundsätzlich klarwerden. denn dadurch würde, sagen wir, dialektischen Ver-
Das erste Straffreiheitsgesetz schloß Steuerverge- suchen und Mißbräuchen der Amnestie Tür und
hen grundsätzlich von seinem Anwendungsbereich Tor geöffnet. Sie haben bei den Debatten über den
aus. Die Entwürfe machen praktisch fast das Haushalt und über das Verkehrsproblem ja be-
gleiche, weil sie nur gewisse Ordnungswidrigkeiten trübliche Feststellungen über den Zustand unserer
unter die Amnestie fallen lassen. Vor allem ist Straßen anhören müssen. Es wäre wohl von Ver-
überall da die Amnestie ausgeschlossen, wo im teidigerseite kein besonderes Kunststück, nun in
Steuerrecht eine tätige Reue möglich ist. Aber ich jedem Unfallprozeß zu behaupten, der Unfall in
bitte, zu bedenken, ob es, wenn man schon einen den zurückliegenden Jahren hänge noch mit den
Schlußstrich unter turbulente und vergangene Zei- schlechten Straßen zusammen, sei begründet in den
ten ziehen will. gerechtfertigt ist, hier so begrenzt Verhältnissen der Nachkriegszeit; denn hätte der
vorzugehen. Zum mindesten könnte man daran Straßenbau eine friedensmäßige Entwicklung ge-
denken, die Steuerdelikte aus der Reichsmarkzeit, nommen, dann wäre eine solche Brücke, eine solch
die immer noch eine gewisse Rolle spielen, unter enge Fahrbahn oder ein solch bedenklicher Zustand
die Amnestie fallen zu lassen. Ich bitte, auch zu nicht entstanden. Wir würden dann erleben, daß in
berücksichtigen, daß die Möglichkeit tätiger Reue jedem Fall versucht würde, über diesen Ver-
sicherlich einen Unterschied zum normalen Straf- mutungstatbestand von einer Strafe wegzukom-
recht schafft. Jeder, der in der Praxis mit diesen men, die wir vielleicht für richtig hielten.
Dingen zu tun hat, weiß aber, daß die tätige Reue Nun zurück zum Ausgangspunkt, nämlich zur
mit einem so erheblichen Verlust an Ansehen ver- Platow-Amnestie. Der Regierungsentwurf enthält
bunden ist und psychologisch so belastend ist, daß im Gegensatz zum CSU-Entwurf eine Norm, die
es nicht ohne weiteres gerechtfertigt ist, hier alles diese Dinge doch noch bereinigen will, die also ver-
auszuschließen, wenn wir nicht eine allgemeine suchen will, dem Wunsche des 1. Bundestages zu
Amnestie, sondern eine Bereinigung der Vergan- entsprechen. Ob nun diese Norm. die die Regierung
genheit wollen. Mindestens bitte ich zu erwägen, entwickelt hat, in dieser Form erwünscht ist, ob sie
ob es, wenn wir uns nicht zu Weiterem entschließen ausreicht und ob sie vor allem gegen die früher
können, nicht besser ist, auch die Steuerübertretun- erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken ge-
gen und Ordnungswidrigkeiten wegzulassen, um sichert ist, muß einer eingehenden und auch sehr
dem Herrn Bundesfinanzminister vielleicht den speziellen Prüfung vorbehalten bleiben. Wir kön-
Weg freizumachen, alte Sünder in Zusammenhang nen im Augenblick nur erklären, zu einer end-
mit der erwarteten großen Steuerreform, mit der gültigen Erledigung dieses wenig erfreulichen
sich ja so viele Hoffnungen verbinden, zu amne- Sachverhalts und der aus ihm hervorgegangenen
stieren. Schwierigkeiten beitragen zu wollen. Wir tun das
Ls bedarf wohl keiner besonderen Begründung, vor allem schon deshalb, weil inzwischen — ich
daß Wirtschaftsdelikte besonders stark mit den bitte Sie, das zu beachten — zwei verfassungsrecht-
außergewöhnlichen Verhältnissen der Kriegs- und liche Streitkomplexe sich in diesem Fall überein-
Nachkriegszeit in Zusammenhang standen. Es ist andergelagert haben und weil wir nichts unver-
daher wohl zu überlegen, ob man bei Wirtschafts- sucht lassen wollen, Auseinandersetzungen vor dem
delikten nicht auf diesen Zusammenhang mit der Bundesverfassungsgericht von vornherein zu ver-
Notlage verzichten und genereller vorgehen meiden.
könnte. In den Zusammenhang der Wirtschafts- Nun enthalten beide Entwürfe natürlich auch
delikte gehören auch die berühmt gewordenen eine Reihe von Bestimmungen, die zum Teil kriti-
Ost-West-Geschäfte, die durch gerichtliche Nach- sierbar, zum Teil billigenswert sind. Sicher ist es
spiele Aufsehen erregt haben. Wir verstehen es, gut, daß man einmal -die Möglichkeit gibt, auch
daß der Entwurf der CSU die Amnestie in begrenz- Strafregistereinträge zu bereinigen und zu strei-
tem Umfang auch auf diese Geschäfte ausdehnen chen, wenn es sich um Wirtschaftsdelikte handelt.
will. Sicherlich wäre es auch erfreulich, wenn einige
kleine Abfindungsbrenner, die unter die Räder des
Gegenstand sehr lebhafter Kritik war der Aus- Branntweinmonopolgesetzes geraten sind, im Rah-
schluß einer Reihe von Gruppen von Delikten aus men dieser Amnestie wieder zu ihrem Recht kom-
dem Regierungsentwurf. Die Regierung will men könnten, wie es der CSU-Entwurf vorsieht.
schwere Vergehen nicht amnestieren. Ich glaube, Wir würden dadurch nicht nur diesen kleinen
sachlich sind wir da alle einig. Strittig war nur die Leuten helfen, sondern auch manchem süddeut-
Frage der Verkehrsvergehen. Ich möchte hier nur schen Abgeordneten einen Herzenswunsch er-
auf einige Gesichtspunkte hinweisen. Es war nicht füllen.
willkürlich, wenn man sich sagte, die Verkehrsver- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
gehen werden ausgeschlossen. Sicher ist, daß - die
Verkehrsvergehen heute keinen grundsätzlichen Abschließend möchte ich folgendes sagen. Die Ge-
Zusammenhang mehr mit den Zuständen haben, schichte dieses kommenden Straffreiheitsgesetzes,
die wir nun strafrechtlich bereinigen wollen. Es ist das wurde schon einmal betont, ist jetzt schon
wohl auch verständlich, daß man die Verkehrs- ebenso lang wie voller Schwierigkeiten und Tük-
sünder nicht frei ausgehen lassen kann in einer ken. Sie wissen, der Bundesrat hat den Entwurf
Zeit, wo sich alle Anstrengungen darauf richten, der Regierung einstimmig abgelehnt. Die CSU hat
diese Leute, die so großes Unheil anrichten, durch einen zweiten Entwurf eingebracht. Wir haben
Strafen zu erziehen. Eine Amnestie würde tatsäch- hier im Plenum eine noch völlig unübersehbare
lich den Kampf gegen die Verkehrssünder zu Situation. Alle diejenigen, die der Meinung sind,
schwächen geeignet sein. Wir müssen aber ent- man solle in der Tat auch im Strafrecht einen
weder die Verkehrssünder herauslassen oder sie Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen, müs-
mit begrenztem Strafrahmen völlig der Amnestie sen hoffen, daß wir noch eine Lösung finden, die
unterstellen. Wir dürfen es auf keinen Fall darauf die hier typischen und vor allem die sehr ver
ankommen lassen, daß man die Verkehrssünder viel- zwickten verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten
604 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Furler)
ausschaltet, berechtigte Wünsche erfüllt und vor so, wie der Herr Kollege Dr. Furler meint, daß
allem nicht zu den Schäden führt, die die Gegner die Möglichkeit der Überprüfung der Verfassungs-
der großen Amnestie befürchten. mäßigkeit nur dem Bundespräsidenten zustehe.
Ich beantrage im Namen meiner Fraktion, alle Unser verehrter Vorsitzender des Rechtsausschus-
drei Vorlagen, also die beiden Entwürfe und die ses im ersten Bundestag, Herr Kollege Laforet, hat
Anfrage über die Verkündung der Platow-Amne- in einer Veröffentlichung der Görres-Gesellschaft
stie, dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfas- „Die Scheidung der Gewalten nach dem Bonner
sungsrecht zu überweisen, der hier sicherlich vor Grundgesetz" das Prüfungsrecht des Ministers und
einer nicht einfachen Aufgabe stehen wird. des Kanzlers bejaht, dagegen das Prüfungsrecht
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von des Bundespräsidenten verneint. Ich bin der Mei-
der Mitte: Anfragen kann man nicht über nung, daß alle mit der Promulgation eines Gesetzes
weisen!) befaßten Verfassungsorgane das Prüfungsrecht
haben, und befinde mich dabei in Übereinstim-
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der mung fast mit der gesamten Rechtslehre. Unser
Abgeordnete Dr. Dehler. Kollege vom Parlamentarischen Rat von Mangoldt
hat in seinem Kommentar zum Grundgesetz, in dem
Dr. Dehler (FDP): Herr Präsident! Meine Damen Bonner Kommentar, diesen Standpunkt eingenom-
und Herren! Ich muß wohl Stellung beziehen und men, ebenso Giese, Nawiasky, der bayerische Ver-
kann nicht die Beantwortung der Großen Anfrage fassungs- und Verwaltungsjurist Kratzer, dann
der SPD nur meinem so ritterlichen Freund und Schäfer. Also ernstlich gar kein Streit, Herr Kol-
Nachfolger im Amte, Herrn Minister Neumayer, lege Greve, daß dieses Prüfungsrecht, dem ja auch
überlassen; denn das, was zur Diskussion steht, immer eine Pflicht entspricht, besteht.
geht ja auf mich zurück, und es hat auch grund-
sätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Wenn Die Frage: Was geschieht dann, wenn ein Mini-
die Zeit heute auch noch so fortgeschritten ist, wir ster zu dem Ergebnis kommt, ein Gesetz ist nicht
müssen die Frage einmal wohl zu Ende durchspre- ordnungsgemäß zustande gekommen, es ist ent-
weder materiell verfassungswidrig oder es ent-
chen, die Frage der Befugnis des Bundeskanzlers
oder eines Bundesministers, eines Ressortministers,
spricht formell nicht dem Gesetzgebungsgang, den
ein im Bundestag und Bundesrat beschlossenes Ge- das Grundgesetz vorgeschrieben hat? Ich bin der
setz nicht zu unterzeichnen. Meinung, daß dann — so ist es auch die Meinung
von von Mangoldt — die Bundesregierung das be-
Herr Kollege Greve, wir wollen nicht Herrn treffende Gesetz dem Bundespräsidenten unter Dar-
Paul Set he als Zeugen oder gar als Sachverstän- legung ihrer verfassungsrechtlichen Bedenken vor-
digenautorität anziehen. Er ist ein ganz ausgezeich- zulegen und die Erklärung abzugeben hat, daß sie
neter Journalist, aber von dieser Verfassungsfrage eine Gegenzeichnung ablehne, und daß sie die
kann er kaum etwas verstehen. Der Herr Kollege Gründe der Ablehnung dem Bundestag und dem
Dr. Furler hat das Problem angeschnitten. Es ist Bundesrat mitzuteilen hat. — Ich bemerke: es ist
1) ein reines Rechtsproblem. Allerdings hat Herr Kol- nicht meine Schuld, wenn im vorliegenden Fall
lege Dr. Furler eine petitio principii aufgeworfen, nicht so verfahren worden ist.
wenn er sagt, es bestehe doch eine Verpflichtung,
zu unterzeichnen; die Unterzeichnung sei vorge- In der Weimarer Zeit sind die Dinge etwas an-
schrieben, wenn ein Gesetz zustande gekommen sei, ders behandelt worden. Damals wurde die ministe-
und deswegen dürfe sie nicht verweigert werden. rielle Verantwortlichkeit bei der Ausfertigung von
Gesetzen nicht durch die Ablehnung der Gegen-
Die richtige Frage ist: wann ist ein Gesetz zu- zeichnung, sondern dadurch zum Ausdruck ge-
stande gekommen? Nur ein zustande gekommenes
Gesetz muß nach dem Grundgesetz und nach der bracht, daß die Reichsregierung das nach ihrer
Geschäftsordnung der Bundesregierung ausgefer- Meinung verfassungswidrige Gesetz dem Reichs-
tigt werden. Die Rechtsquelle, Art. 82 Abs. 1 Satz 1 präsidenten gar nicht erst vorlegte, sondern dem
Reichstag die Mitteilung machte, daß sie die Un-
des Grundgesetzes, lautet: terzeichnung des Gesetzes ablehne. Und das ist,
Die nach den Vorschriften dieses Grundge- Herr Kollege Greve, in einer Reihe von Fällen zur
setzes zustande gekommenen Gesetze werden Zeit der Weimarer Verfassung geschehen. Inso-
vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung weit besteht zwischen der Weimarer Verfassung
ausgefertigt . . . und dem Bonner Grundgesetz keinerlei Unter-
Die Gegenzeichnung obliegt nach Art. 58 Satz 1 schied.
des Grundgesetzes dem Bundeskanzler oder dem
zuständigen Bundesminister. Dazu kommt aller- (Abg. Dr. Greve: Eben doch!)
dings die etwas ändernde Bestimmung des § 29 — Nein, wo sollte der Unterschied liegen?
Abs. 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung
vom 11. Mai 1951, die bestimmt, daß Gesetze - dem (Abg. Dr. Greve: Weil es da eine eigene
Bundespräsidenten erst nach der Gegenzeichnung Verantwortlichkeit des zuständigen
durch den Bundeskanzler u n d die zuständigen Ministers vor dem Parlament gege
Bundesminister oder den zuständigen Bundesmini- ben hat!)
ster zur Vollziehung vorzulegen sind. Das ist die — Das Problem liegt ja beim Bundeskanzler ganz
Rechtslage. Die Frage also, die sich als Problem genau so. Wir brauchen uns doch gar nicht darauf
stellt, ist: wann kann der Kanzler, wann kann ein zu kaprizieren, ob Minister allein oder Minister
Minister sagen: Ein Gesetz ist nicht ordnungsge- und Bundeskanzler dieses Recht haben. Aber nach-
mäß zustande gekommen, deswegen verweigere ich dem nach dem Grundgesetz der Minister selbst ent-
meine Unterschrift, wie ich es bei der sogenann- scheiden muß und nicht etwa durch das Kabinett
ten Platow-Amnestie vom 29. Juli vorigen Jahres gezwungen werden kann, zu unterzeichnen oder
getan habe? nicht zu unterzeichnen, weil das ein Akt ist, der
Zunächst einmal ein Wort zur Rechtslehre, um ausschließlich seiner Kompetenz untersteht, ist das
die man sich ja wohl bemühen muß. Es ist nicht Problem ganz genau so wie in der Weimarer Zeit.
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 605
(Dr. Dehler)
Es ist doch vielleicht ganz interessant, wenn ich — Herr Heiland, Ihr Zwischenruf ist so billig und
Ihnen einige der kritischen Fälle der Weimarer paßt auch gar nicht in meine Argumentation. Ich
Zeit kurz darlege. Im Sommer 1922 hat sich der spreche ja von den Dingen, die zu schwerster An-
Reichsminister der Finanzen geweigert, das vom klage geführt haben.
Reichstag mit einfacher Mehrheit beschlossene (Zuruf rechts: Er hat Sie nicht verstanden! —
Pensionskürzungsgesetz dem Reichspräsidenten zur Abg. Heiland: Die Minister haben ja Platow
Ausfertigung zu unterbreiten, nachdem er sich da- auch Material geschickt!)
von überzeugt hatte, daß der Inhalt des Gesetzes — Das ist nicht das Problem, mit dem ich mich jetzt
mit der Reichsverfassung im Widerspruch stand. abgebe.
Im August 1925 hat es der Reichsarbeitsminister
abgelehnt, die Ausfertigung eines vom Reichstag (Abg. Dr. Greve: Das haben Sie dem Bundes-
am 14. Juni 1925 beschlossenen Gesetzes zur Än- tag alles schon einmal gesagt, Herr Dehler!)
derung der Verordnung über die Fürsorgepflicht — Nun bitte, es ist ja ein neuer Bundestag.
herbeizuführen, und zwar mit der Begründung, (Heiterkeit. — Zuruf des Abg. Dr. Greve.)
daß der vom Reichsrat gegen dieses Gesetz erho- — Leider, leider, Herr Kollege Greve.
bene Einspruch seitens des Reichtages nicht vor-
schriftsmäßig behandelt worden sei, mithin ein (Abg. Dr. Greve: Das verschiebt die Akzente
Gesetz, das zu verkünden wäre, nicht vorliege. Wei- Ihrer Rede!)
tere Beispiele wären dann auch die Gesetze, die Das ist kein Ruhmesblatt für den Bundestag.
im Jahre 1926 und 1929 durch Volksbegehren und (Abg. Dr. Greve: Das müssen Sie dem
Volksentscheid herbeigeführt worden sind, Fürsten- früheren Bundestag sagen!)
enteignung 1926, Freiheitsgesetz 1929, Gesetze, Ich muß hier bekennen, muß mich rechtfertigen,
deren Ausfertigung damals von der Reichsregie- wie die Dinge standen, und muß es klarmachen,
rung abgelehnt worden ist. warum ich so gehandelt habe.
Also: es gibt in der gesamten Rechtslehre über- Um nur noch ein Beispiel zu sagen: Einer der
haupt keinen Streit darüber, daß der Ressortmini- Angeklagten beging der Reihe nach schwerste
ster und der Bundeskanzler das Recht der Prüfung aktive Bestechung, Urkundenfälschung, Geheimnis-
haben. In der früheren Zeit sind von Triepel und bruch. Es wird immer gesagt, die Leute hätten
Grau nur Bedenken erhoben worden, ob Reichs- nicht gewußt, worum es gegangen sei. Einer der
minister und Reichskanzler auch ein Prüfungsrecht Angeklagten schrieb in einem Brief: Ich weiß
wegen materiellen Verstoßes gegen die Verfassung, genau, daß ich um Kopf und Kragen spiele. — Ich
also wegen der materiellen Verfassungsmäßigkeit erwähne das, damit Sie wissen, daß hier keine Rede
haben. Aber daß das Prüfungsrecht hinsichtlich der davon sein kann, daß die Leute amnestiewürdig
Einhaltung der Form besteht, ist völlig unbestrit- wären.
ten. (Abg. Dr. Greve: Und dann sollen wir den
Nun bin ich der Meinung, daß dieses angebliche § '7 machen!)
Gesetz vom 29. Juni 1929 — darüber muß man doch — Da bin ich durchaus mit Ihnen der Meinung —
ein Wort sagen, auch wegen der Verknüpfung dieses ich will es einmal genau so formulieren wie der
Gesetzes mit dem § 7 der neuen Straffreiheitsvor- Herr Kollege Dr. Furler —, daß wir wirklich ein-
lage der Bundesregierung — ein Hohn auf jede Ge- gehender prüfen sollten, ob nicht die gleichen Be-
setzgebung und wirklich ein Anlaß ist, ernsteste denken auch dort bestehen. Mein verehrter Kollege
Bedenken zu haben. Herr Kollege Greve, wem Neumayer hat ja immerhin die Prüfungspflicht
haben Sie, oder wem hat Herr Sethe einen Gefallen auch betont.
damit getan, daß dieses Gesetz wieder hervorgeholt
wurde? Das ist einer der trübsten Vorgänge dieses Nein, meine Damen und Herren, man hat die
Form eines Gesetzes mißbraucht — das ist j a das
Hauses gewesen. Meine Damen und Herren, ich Schlimme —, um eine ganz genau umrissene Zahl
kenne ja die Hintergründe besser als irgend je- von Fällen, ungefähr 40, niederzuschlagen. Es gibt
mand. Da werden Journalisten angeklagt wegen meiner Meinung nach nichts Schlimmeres, als wenn
irgendwelcher Dinge, nicht etwa — Herr Kollege ein Parlament nicht mehr weiß, daß durch ein Ge-
Wagner, wir haben schon im ersten Bundestag setz Recht geschaffen werden soll. Hier ist ein Ge-
darüberdiskutiert—wegen des umstrittenen § 333 c setz, das das Gegenteil tut, das Willkür schafft
des Strafgesetzbuchs, wegen der Verletzung der
Verpflichtung auch jedes Privaten, Geheimsachen (Zustimmung rechts)
zu hüten, sondern wegen schwerster Verletzungen und das schon deswegen nicht Rechtens ist, weil die
der Beamtenpflichten und der Geheimhaltungs- Begnadigung einzelner Straffälle — Abolition ist
pflichten. In der Öffentlichkeit ist so der Eindruck an und für sich überhaupt nicht möglich; ich unter-
entstanden, als ob das Bagatellsachen wären und stelle, sie wäre möglich — nicht der Zuständigkeit
als ob das Dinge gewesen wären, die aus dem Über- des Bundes unterliegt. Sie gehörte zur Zuständig-
gang heraus oder aus der Unkenntnis der Dinge keit der Länder. Also schon wegen mangelnder Zu-
entstanden wären. Das Gegenteil ist der Fall! Der ständigkeit des Bundes ist dieses Gesetz verfas-
Mann, der in einem Ministerium beauftragt war, sungswidrig. Hierauf allein kann ich mich zur Be-
die Geheimsachen zu hüten und das Register über gründung meiner Weigerung beziehen. Daß aber in
die Geheimsachen zu führen, der besonders auf die diesem Beschluß des Bundestags ein grober Ver-
Geheimhaltung dieser Dinge verpflichtet war, hat stoß gegen den Grundsatz der Gleichheit aller Bür-
Tag für Tag, Woche für Woche, diese Dinge ver- ger vor dem Gesetz liegt, ist doch mit Händen zu
kauft, meine Damen und Herren. fassen.
(Hört! Hört! rechts.) Für mich ist der Vorgang erschütternd, meine
Also schwerste Verfehlungen! Damen und Herren, daß ich, als ich im Vermitt-
(Abg. Heiland: Hat es nicht auch Minister lungsausschuß, der angerufen war, erklärte: Nie
gegeben, die Herrn Platow etwas geschickt werde ich meine Unterschrift unter dieses Gesetz
haben?) setzen, kein Gehör gefunden habe. Übrigens, Herr
606 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954
(Dr. Dehler)
Kollege Furler, man soll ja gerecht sein. Der Herr sungsgericht unterliegen würden, steht für mich
Kollege Arndt ist hinausgegangen, als dieses Ge- außer Frage.
setz angenommen wurde, und manche anderen sind (Beifall rechts und in der Mitte.)
hinausgegangen, viele gute Juristen, und haben sich
dessen geschämt, was ihre Brüder hier taten. Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
(Abg. Dr. Arndt: Da muß ich Sie ent Abgeordnete Dr. Greve.
täuschen, ich bin nicht hinausgegangen!)
Dr. Greve (SPD): Meine Damen und Herren!
— Entschuldigung; dann habe ich Sie für besser Erschrecken Sie nicht! Nur ein paar wenige Worte.
gehalten, als Sie sind. Herr Kollege Dr. Dehler hat sich eingangs seiner
(Große Heiterkeit.) Ausführungen auf den Standpunkt gestellt, daß es
sich um ein reines Rechtsproblem handelt. Diese
Vielleicht bin ich ein bißchen überspitzt in diesen
seine Ausführungen stehen im Widerspruch zu
Dingen. Das Unglück unserer Zeit fing an, als der
Gesetzgeber nicht mehr rechtsstaatlich dachte, als seinen Ausführungen, die ich ersthin zitiert habe.
er in dem Gesetz ein politisches Mittel sah. Meine Da hat er nämlich zum Ausdruck gebracht, daß es
Damen und Herren, Sie haben es alle miterlebt, sich auch um ein politisches Problem handle. Wenn
wo das geendet hat. Wollen wir diesen Weg wieder es sich um ein reines Rechtsproblem handelte, dann
beschreiten? Principiis obsta! würde der zuständige Minister wohl nicht ver-
pflichtet sein, zurückzutreten. Es ist ein Politikum,
Ja, wie kann man nun die Dinge in Ordnung das den Minister veranlassen sollte zurückzu-
bringen? Ich muß da meine verschiedenen Erklä- treten. Das hat Herr Kollege Dr. Dehler auch ganz
rungen ein klein bißchen präzisieren. Herr Kollege richtig erkannt, nur ist sein Nachfolger, der Herr
Greve, was Sie mir da vorgehalten haben, auch aus Bundesjustizminister Neumayer, bisher noch nicht
dem Zusammenhang, gibt nicht immer den richti- zu der gleichen Beurteilung des Vorgangs ge-
gen Sinn. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit kommen, wie es scheint.
der Entscheidung durch das Bundesverfassungs-
Immerhin, Herr Kollege Dr. Dehler, können wir
gericht nicht in der Form der Normenkontrollklage,
uns kurz einmal über diese Rechtsfrage unterhal-
wenigstens nicht nach der Rechtsprechung des Bun-
ten. Es ist ein Gesetz zustande gekommen, das so-
desverfassungsgerichts, weil das Bundesverfas-
wohl die materielle wie die formelle Seite berührt.
sungsgericht den Standpunkt vertritt, Normen-
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit ist die Frage
kontrollklage sei erst möglich, wenn ein Gesetz
unterzeichnet und ausgefertigt sei, also nicht vor der materiell-rechtlichen Seite des zustande ge-
Ausfertigung und Verkündung der Gesetze, mit der kommenen Gesetzes, und nur so können Sie auch
einen Ausnahme der Vertragsgesetze. den von Ihnen zitierten Mangoldt verstehen, in
dem Sie selbst erwähnt werden. Mangoldt sagt mit
Ich will nicht darüber deuteln, ob dieser Stand- Recht:
punkt richtig ist, aber wir müssen ihn zugrunde Ergibt sich dabei,
legen. Es ist ein echter Fall der Verfassungsstreitig-
— bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit —
keit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes
gegeben. Wenn der Bundestag der Meinung ist, daß die verfassungsmäßigen Voraussetzungen
daß der Bundeskanzler oder daß ich die nicht erfüllt sind, so wird die ministerielle Ver-
Unterschrift zu Unrecht verweigert haben oder antwortlichkeit dadurch zum Ausdruck kom-
der jetzige Bundesjustizminister sie verweigert, men, daß die Bundesregierung das betreffende
dann kann Klage beim Bundesverfassungs- Gesetz dem Bundespräsidenten unter Darle-
gericht erhoben werden, und zwar vom Bun- gung ihrer verfassungsrechtlichen Bedenken
despräsidenten, vom Bundestag insgesamt, vom und mit der Erklärung vorlegt, daß sie eine
Bundesrat, aber auch von der Minderheit des Gegenzeichnung ablehne, und dem Bundes-
Bundestages, die in der Geschäftsordnung mit tag von den Mängeln Mitteilung macht.
eigenen Rechten ausgestattet ist; das wäre also Dann heißt es weiter:
wohl ein Viertel der Mitglieder des Bundestages. Der Bundespräsident andererseits kann, bevor
Die Klage müßte auf Feststellung der Verpflich- er die Ausfertigung ablehnt, nach § 97 Abs. 2
tung zur Gegenzeichnung und zur Ausfertigung des Gesetzes über das Bundesverfassungsge-
dieser Gesetzesbeschlüsse gerichtet werden. Die richt . . .ein Rechtsgutachten des Bundesver-
Frage, ob die Bundesregierung ihrerseits diese fassungsgerichts einholen.
Möglichkeit der Klage gehabt hätte, ist ein bißchen
schwierig. Man hätte ja an die Form der nega- Irgend etwas hätte unter allen Umständen im Hin-
tiven Feststellungsklage denken können; aber wir blick auf den vom Parlament zum Ausdruck ge-
sind schon einmal diesen Weg gegangen und haben brachten Willen, dieses Gesetz verkündet zu wis-
uns dabei die Finger verbrannt. Ob man -es also sen, von der Bundesregierung getan werden müs-
der Bundesregierung hätte zumuten können, daß sen. Es hätte keine Möglichkeit geben dürfen, daß
sie ihrerseits das Bundesverfassungsgericht anruft? in der Monatsschrift für Deutsches Recht Herr
Ich möchte das verneinen. Oberlandesgerichtsrat Dr. Günther Schulz aus
Hamburg zum Ausdruck bringen konnte:
Also bei Ihnen (zur SPD) liegt es, meine Damen Nebenbei erscheint es fraglich, ob es zulässig
und Herren, die Frage notfalls zu klären. Wenn Sie ist, ein verkündungsreifes Gesetz monatelang
wirklich der Meinung sind, daß dieses Gesetz nun auf Eis zu legen. Aber wo kein Kläger, da ist
nicht schamhaft begraben werden sollte, wenn Sie auch kein Richter.
wirklich meinen, man müsse es zum Leben er- Den Vorwurf haben wir uns allerdings selber
wecken. dann werden Sie oder der Bundestag erst zu machen, daß wir bisher nicht das geworden
einmal die Klage führen müssen, daß die Bundes- sind, was wir lange der Bundesregierung gegen-
regierung zu Unrecht die Gegenzeichnung des Ge- über hätten werden müssen, nämlich Kläger gegen-
setzes verweigert hat. Daß Sie beim Bundesverfas über einem Verhalten, das wir aus genau densel-
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 607
(Dr. Greve)
ben verfassungsmäßigen Gründen heraus verur- zes zu unternehmen, und nicht die unsrige. Die po-
teilen, wie Herr Dr. Dehler es für richtig hält. Un- litische Seite, die Sie angesprochen haben, ist in
ter keinen Umständen durfte, wenn die Frage der die Entscheidung des Herrn Bundesjustizministers
Verfassungsmäßigkeit zur Diskussion stand — und bzw. des Herrn Bundeskanzlers als Regierungschefs
daß Herr Dr. Dehler verfassungsmäßige Bedenken gelegt. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit steht
hatte, nimmt ihm ja niemand übel, ich zuallerletzt, nach wie vor und ist zu entscheiden.
der ich ungefähr den gleichen Standpunkt in dieser
Frage einnehme wie er; ich habe im Vermittlungs- Vizepräsident Dr. Schneider: Weitere Wortmel-
ausschuß damals nicht mitgestimmt, Herr Dr. Deh- dungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die
ler, wenn Ihnen das auch nicht ganz sympathisch BeratungzPk2biscderhutgnTa-
sein mag —, Herr Dr. Dehler es unterlassen, den ordnung.
nach der Verfassung vorgezeichneten Weg zu be- Punkt 2 a ist damit erledigt; eine Überweisung
schreiten, anstatt die Entscheidung „auf Eis zu einer Großen Anfrage ist nach der Geschäftsord-
legen" und darauf zu warten, bis in anderer Form nung nicht möglich. Für die Punkte 2 b und c,
etwas, was Sie ja auch heute noch nach Ihren letz- Drucksachen 215 und 248, ist die Überweisung an
ten Ausführungen für verfassungsmäßig nicht nur den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungs-
bedenklich, sondern unzulässig halten, uns präsen- recht beantragt. Ich nehme an, daß das Haus da-
tiert wird. Ich habe gesagt, die verfassungsmäßige mit einverstanden ist. — Das ist der Fall. Dann ist
Frage steht nach wie vor, und ich muß den Herrn so beschlossen.
Bundesminister der Justiz bitten, endlich da- Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesord-
für Sorge zu tragen, daß diese Frage geklärt wird. nung. Ich bitte noch einen Moment um Gehör: Die
Es ist hier so, daß ein verkündungsreifes Gesetz Sitzung des Ernährungsausschusses fällt aus.
vorliegt und die Bundesregierung die Pflicht hat, Ich berufe die nächste, die 18. Sitzung des Deut-
dem Herrn Bundespräsidenten dieses Gesetz zur schen Bundestages auf Donnerstag, den 11. März
Verkündung vorzulegen, und nicht wir. Es ist die 1954, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.
Aufgabe der Bundesregierung, etwas zur Klärung
der Verfassungsmäßigkeit des betreffenden Geset (Schluß der Sitzung: 16 Uhr 19 Minuten.)

-
608 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954

Anlage zum Stenographischen Bericht der 17. Sitzung

Schriftlicher Bericht
des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität (1. Ausschuß)
betreffend

Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Metzger


(Drucksache 243)

Berichterstatter : Abgeordneter Dr. von Merkatz

A len, sondern lediglich im Gebäude des Land-


tages.
Verfahrensvoraussetzungen:
b) Als Motivierung aber eines im Plenum des
1. Die Privatklage ist fristgerecht eingegangen. Landtages gestellten Antrages steht diese
Äußerung in einem inneren Zusammenhang
2. Der Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität mit einer Äußerung, die im Plenum des
muß sich mit dem Ersuchen um Aufhebung der Landtages gefallen ist. Sie ist daher meines
Immunität befassen. Zwar ist der Antrag auf Erachtens als im Plenum des Landtages ge-
Genehmigung zur Untersuchung und eventuellen fallen zu betrachten.
Strafverfolgung vom Amtsgericht Wiesbaden
unmittelbar an den Präsidenten des Bundes- c) Hierauf sind auch bei einem Verfahren auf
tages eingereicht worden und nicht, wie das Aufhebung der Immunität im Bundestag
sontwedig,übrasLn-zw.Bu die Grundsätze der hessischen Verfassung
desjustizministerium. Dieser Umstand ist aber anzuwenden. Es ist zu fragen, ob Art. 95 der
unbeachtlich, da es sich um eine Privatklage hessischen Verfassung dem Beschuldigten
handelt und das Amtsgericht hier nur als Ver- einen persönlichen Strafausschließungsgrund
mittler des Privatklägers tätig geworden ist. gewährt. Art. 95 ist dem Art. 36 der Wei-
Privatkläger aber können sich direkt an den marer Reichsverfassung nachgebildet wor-
Bundestag wenden (§ 114 der Geschäftsordnung den. Er kennt nicht die Einschränkung des
des Bundestages, Grundsatz über die Behand- Art. 46 GG, der den persönlichen Strafaus-
lung von Immunitätsangelegenheiten). schließungsgrund für verleumderische Belei-
digungen nicht gewährt. Wenn die Äuße-
rung auch im Plenum des hessischen Land-
tages gefallen ist, so muß doch hier ange-
B nommen werden, daß sie als Motivierung
des vom hessischen Landtag beschlossenen
Materielle Beurteilung: und vom Beschuldigten eingebrachten An-
trages in Ausübung seiner Abgeordneten-
1. Von dem Beschuldigten wird behauptet, daß tätigkeit in der Wandelhalle des Landtages
er in der Wandelhalle des Landtages in bezug getan worden ist. Damit wäre auch für den
auf den Privatkläger erklärt habe, er halte den Bundestag eine Aufhebung der Immunität
im Plenum des Landtages gemachten Vorwurf
des „unsauberen Journalismus" gegenüber - dem mit Rücksicht auf Art. 95 der hessischen Ver-
Privatkläger aufrecht. fassung nicht möglich.
d) Selbst wenn man diese Rechtsauffassung
2. Damit ist zu fragen, ob der gegenüber dem Pri- nicht teilen wollte und den Tatbestand als
vatkläger erhobene Vorwurf des „unsauberen außerhalb des hessischen Landtages vollen-
Journalismus" vom persönlichen Straf aus- det ansehen und allein nach den Immunitäts-
schließungsgrund des Art. 46 Abs. 1 GG gedeckt grundsätzen des Bundesrechtes behandeln
wird oder nicht. wollte, ergibt sich keine Möglichkeit zur
a) Die Äußerung stellt eine Motivierung des Aufhebung. Es handelt sich bei der dem Be-
Antrages des Beschuldigten dar auf Aus- schuldigten zur Last gelegten Äußerung
schluß des Privatklägers aus dem Plenar- nicht um eine verleumderische Beleidigung
saal des Landtages. Sie ist in der Wandelhalle, im Sinne des § 187 StGB, auch nicht, wie
also weder im Plenum noch in einem Aus- der Privatkläger behauptet, um eine üble
schuß noch in einer Fraktionssitzung gefal Nachrede im Sinne des § 186 StGB, sondern
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 609
(Dr. von Merkatz)
möglicherweise um eine einfache Beleidi des des § 187 StGB behauptet aber selbst der 1
gung im Sinne des § 185 StGB. Privatkläger nicht.
e) Die Äußerung „unsauberer Journalismus" ist g) Angesichts dieser Sachlage bedarf es keiner
ein tadelndes Werturteil und keine Tat- Prüfung der Frage, ob etwa die Strafbarkeit
sachenbehauptung. Sie ist ein Werturteil, d as gemäß § 193 StGB ausgeschlossen ist.
letzhinogscmBwenihtzugä- h) Selbst wenn der Ausschuß zu der Aufhebung
lich ist, da durch den Ausdruck „unsauberer der Immunität des Bundestages hinsichtlich
Journalismus" auch reine Fragen des Ge- des Beschuldigten gelangen sollte, könnte das
schmacks, des Stils oder der Stoffwahl Privatklageverfahren gegen den Beschuldig-
getroffen werden können. Allerdings steht ten nicht durchgeführt werden, da es dazu
hier dieses tadelnde Werturteil mit einer zusätzlich der Aufhebung der Immunität
Reihe von Tatsachen, die dem Beweis zu- seitens des hessischen Landtages bedürfte,
gänglich sind, in logischem Zusammenhang. eine Frage, die nur nach den Grundsätzen
Dabei überwiegt aber der Charakter des der hessischen Verfassung entschieden wer-
Wertuilsbwmdnheig- den könnte. Diese Feststellung rechtfertigt
schlossene Bezugnahme auf eine Unterstel- zusätzlich, daß für die Beurteilung, ob eine
lung von Tatsachen. Aufhebung der Immunität durch den Bun-
f) Wenn man dieser Folgerung nach den Tat- destag erfolgen kann, auch das Immunitäts-
umständen beitritt, würde es sich möglicher- recht des betreffenden Landtages herangezo-
weise um eine einfache Beleidigung handeln, gen werden muß, wenn es sich um die Auf-
deren politischer Charakter — aus den Um- hebung der Immunität eines Bundestags-
ständen zu folgern — nicht zu bestreiten ist. abgeordneten handelt, der zugleich Mitglied
Beleidigungen politischen Charakters sollen eines Landtages ist.
aber nach den Grundsätzen des Bundestages Ich komme daher zu dem Ergebnis:
in der Regel nicht zur Aufhebung der Immu-
nität führen. Eine einfache Beleidigung, die Der Bundestag wolle beschließen: die Immunität
im Parlament erfolgt ist, kann nicht verfolgt des Abgeordneten Ludwig Metzger wird nicht
werden. Auch wenn diese Beleidigung außer- aufgehoben.
halb des Parlaments geschehen ist, soll sie Bonn, den 26. Februar 1954.
nicht verfolgt werden, wenn sie nicht zu-
gleich eine Verleumdung im Sinne des § 187 Dr. von Merkatz
StGB darstellt. Die Erfüllung des Tatbestan Berichterstatter

-
610 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954

Namentliche Abstimmung
über den Antrag des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht
(16. Ausschuß)
(Drucksache 275)
über die von den Fraktionen der CDU/CSU, GB/BHE, DP und FDP eingebrachten Entwürfe eines
Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes
(Schlußabstimmung)

Name Abstimmung Name Abstimmung

CDU/CSU
Frau Ackermann . . . . Ja Fuchs Ja
Dr. Adenauer Ja Funk Ja
Albers Ja Dr. Furler Ja
Arndgen Ja Gedat Ja
Barlage . . . . . . . Ja Geiger (München) . . . Ja
Dr. Bartram Ja Frau Geisendörfer . . Ja
Bauer (Wasserburg) . Ja Gengler . Ja
Bauereisen Ja Gerns Ja
Bauknecht Ja D. Dr. Gerstenmaier . Ja
Bausch . . . . . Ja Gibbert Ja
Becker (Pirmasens) . . . Ja Giencke. Ja
Berendsen Ja Dr. Glasmeyer Ja
Dr. Bergmeyer Ja Dr. Gleissner (München) Ja
Fürst von Bismarck . ,J a Glüsing Ja
Blank (Dortmund) . Ja Gockeln Ja
Frau Dr. Bleyler Dr. Götz Ja
(Freiburg) . . . Ja Goldhagen Ja
Bock ,Ja Gontrum. . . . . . Ja
von Bodelschwingh . . . Ja Dr. Graf Ja
Dr. Böhm (Frankfurt) . Ja Griem Ja
Brand (Remscheid) . . . Ja Günther Ja
Frau Brauksiepe . . . Ja Gumrum Ja
Dr. von Brentano . . . . Ja Häussler Ja
Brese Ja Hahn Ja
Frau Dr. Brökelschen . . Ja Harnischfeger Ja
Dr. Brönner . . . . . . Ja von Hassel Ja
Brookmann (Kiel) . Ja Heix Ja
Brück Ja Dr. Hellwig Ja
Dr. Bucerius Ja Dr. Graf Henckel . . Ja
Dr. von Buchka Ja Dr. Hesberg Ja
Dr. Bürkel Ja Heye Ja
Burgemeister Ja Hilbert Ja
Caspers Ja Höcherl Ja
Cillien Ja Dr. Höck Ja
Dr. Conring Ja Höfler Ja
Dr. Czaja Ja Holla Ja
Demmelmeier Ja Hoogen Ja
Diedrichsen Ja Dr. Horlacher. . Ja
Frau Dietz Ja Horn Ja
Dr. Dittrich Ja Huth Ja
Dr. Dollinger Ja Illerhaus Ja
Donhauser Ja Dr. Jaeger Ja
Dr. Dresbach Ja Jahn (Stuttgart) . . . . Ja
Eckstein Ja Frau Dr. Jochmus . . Ja
D. Dr. Ehlers . Ja Josten Ja
Ehren Ja Kahn Ja
Engelbrecht-Greve .. Ja Kaiser Ja
Dr. Dr. h. c. Erhard . Ja Karpf Ja
Etzenbach Ja Dr. Kather Ja
Even Ja Kemmer (Bamberg) Ja
Feldmann Ja Kemper (Trier) . .. Ja
Finckh Ja Kiesinger Ja
Dr. Franz Ja Dr. Kihn (Würzburg) . Ja
Franzen Ja Kirchhoff Ja
Friese Ja Klausner Ja
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 611

Name Abstimmung Name Abstimmung

Dr. Kleindinst . . . Ja Frau Dr. Rehling . . . . Ja


Dr. Kliesing Ja Richarts Ja
Knapp Ja Frhr. Riederer von Paar Ja
Knobloch Ja Dr. Rinke Ja
Dr. Köhler Ja Frau Rösch Ja
Koops Ja Rümmele Ja
Dr. Kopf Ja Ruf Ja
Kortmann .. . . . Ja Sabaß Ja
Kramel Ja Sabel Ja
Krammig Ja Schäffer Ja
Kroll Ja Scharnberg Ja
Frau Dr. Kuchtner Ja Scheppmann Ja
Kühlthau Ja Schill (Freiburg) . . . . Ja
Kuntscher . . . . Ja Schlick Ja
Kunze (Bethel) Ja Schmidt-Wittmack . . . Ja
Lang (München) . . . . Ja Schmücker Ja
Leibfried Ja Schneider (Hamburg) . . Ja
Dr. Leiske Ja Schrader Ja
Lenz (Brühl) Ja Dr. Schröder (Düsseldorf) Ja
Dr. Lenz (Godesberg) . Ja Dr.-Ing. E. h. Schuberth Ja
Lenze (Attendorn) . . . Ja Schüttler Ja
Leonhard Ja Schütz Ja
Lermer Ja Schuler Ja
Leukert Ja Schulze-Pellengahr . . . Ja.
Dr. Leverkuehn. . . Ja Schwarz Ja
Dr. Lindenberg . Ja Frau Dr. Schwarzhaupt Ja
Dr. Lindrath Ja Dr. Seffrin Ja
Dr. Löhr Ja Seidl (Dorfen) Ja
Dr. h. c. Lübke Ja Dr. Serres Ja
Lücke Ja Siebel Ja
Lücker (München) Ja Dr. Siemer Ja
Lulay Ja Solke Ja
Maier (Mannheim) . Ja Spies (Brücken) . . . . Ja
Majonica Ja Spies (Emmenhausen) . Ja
Dr. Baron Manteuffel- Spörl Ja
Szoege Ja Graf von Spreti . . . Ja
Massoth Ja Stauch Ja
Maucher Ja Frau Dr. Steinbiß . . . Ja
Mayer (Birkenfeld) . Ja Stiller Ja
Menke Ja Storch Ja
Mensing Ja Dr. Storm Ja
Meyer (Oppertshofen) Ja Strauß Ja
Miller Ja Struve Ja
Dr. Moerchel Ja Stücklen Ja
Morgenthaler Ja Teriete Ja
Muckermann . . . . . Ja Unertl Ja
Mühlenberg Ja Varelmann Ja
Dr. Dr. h. c. Milner
ler (Bonn) Ja Frau Vietje Ja
Müller-Hermann . . . . Ja Dr. Vogel Ja
Müser Ja Voß Ja
Naegel Ja Wacher (Hof) Ja
Nellen Ja Wacker (Buchen) . . . . Ja
Neuburger Ja Dr. Wahl Ja
Niederalt Ja Walz Ja
Frau Niggemeyer . . . Ja Frau Dr. Weber (Aachen) Ja
Dr. Oesterle Ja Dr. Weber (Koblenz) . . Ja
Oetzel Ja Wehking Ja
Dr. Orth Ja Dr. Welskop Ja
Pelster Ja Frau Welter (Aachen) Ja
Dr. Pferdmenges . . . . Ja Dr. Werber Ja
Frau Pitz Ja Wiedeck Ja
Platner Ja Wieninger Ja
Dr. Pohle (Düsseldorf) . Ja Dr. Willeke Ja
Frau Praetorius . . . . Ja Winkelheide Ja
Frau Dr. Probst . . . . Ja Wittmann Ja
Dr. Dr. h. c. Pünder . Ja Wolf (Stuttgart) • • Ja
Raestrup Ja Dr. Wuermeling . . . . Ja
Rasner Ja Wullenhaupt Ja
612 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954

Name Abstimmung Name Abstimmung

SPD

Frau Albertz Nein Keuning Nein


Frau Albrecht Nein Kinat Nein
Altmaier Nein Frau Kipp-Kaule . . . Nein
Dr. Arndt Nein Könen (Düsseldorf) . . . Nein
Arnholz Nein Koenen (Lippstadt) . . Nein
Dr. Baade Nein Frau Korspeter . . . . Nein
Dr. Bärsch Nein Dr. Kreyssig
Bals Nein Kriedemann Nein
Banse Nein Kühn (Köln) Nein
Bauer (Würzburg) . . . Nein Kurlbaum Nein
Baur (Augsburg) . . . . Nein Ladebeck Nein
Bazille Nein Lange (Essen) Nein
Behrisch Nein Frau Lockmann . . . Nein
Frau Bennemann Nein Ludwig Nein
Bergmann Nein Dr. Lütkens Nein
Berlin Nein Maier (Freiburg) . . . Nein
Bettgenhäuser Nein Marx Nein
Frau Beyer (Frankfurt) Nein Matzner Nein
Birkelbach Nein Meitmann Nein
Blachstein krank Mellies Nein
Dr. Bleiß Nein Dr. Menzel Nein
Böhm (Düsseldorf) . . . Nein Merten Nein
Bruse Nein Metzger entschuld.
Corterier Nein Frau Meyer (Dortmund) Nein
Dannebom Nein Meyer (Wanne-Eickel) . Nein
Daum Nein Frau Meyer-Laule . . . Nein
Dr. Deist Nein Moll Nein
Dewald Nein Dr. Mommer Nein
Diekmann Nein Müller (Erbendorf) Nein
Diel Nein Müller (Worms) . . . . Nein
Frau Döhring Nein Frau Nadig Nein
Erler Nein Odenthal Nein
Eschmann Nein Ohlig Nein
Faller Nein 011enhauer Nein
Franke Nein Op den Orth Nein
Frehsee Nein Paul Nein
Freidhof Nein Peters Nein
Frenzel Nein Pöhler Nein
Gefeller Nein Pohle (Eckernförde) . . Nein
Geiger (Aalen) Nein Dr. Preller Nein
Geritzmann Nein Priebe Nein
Gleisner (Unna) . . . . Nein Pusch Nein
Dr. Greve Nein Putzig Nein
Dr. Gülich Nein Rasch Nein
Hansen (Köln) Nein Regling Nein
Hansing (Bremen) . . . Nein Rehs entschuld.
Hauffe Nein Reitz Nein
Heide Nein Reitzner Nein
Heiland Nein Frau Renger Nein
Heinrich Nein Richter Nein
Hellenbrock Nein Ritzel Nein
Hermsdorf . . . . . . Nein Frau Rudoll Nein
Herold Nein Ruhnke Nein
Höcker Nein Runge Nein
Höhne Nein Sassnick Nein
Hörauf Nein Frau Schanzenbach . . Nein
Frau Dr. Hubert . . . . Nein Scheuren Nein
Hufnagel Nein Dr. Schmid (Tübingen) . Nein
Jacobi Nein Dr. Schmidt (Gellersen) . Nein
Jacobs Nein Schmidt (Hamburg) . . Nein
Jahn (Frankfurt) • . • • Nein Schmitt (Vockenhausen) . Nein
Jaksch Nein Dr. Schöne Nein
Kahn-Ackermann . • . entschuld. Schoettle Nein
Kalbitzer Nein Seidel (Fürth) Nein
Frau Keilhack Nein Seither Nein
Frau Kettig krank Seuffert . . Nein
2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954 613

Name Abstimmung Name Abstimmung

Stierle Nein Dr. Stammberger . . . Ja


Sträter Nein Dr. Starke Ja
Frau Strobel Nein Dr. Wellhausen . . . . Ja
Tenhagen Nein Weyer Ja
Thieme Nein Wirths Ja
Traub Nein
Trittelvitz Nein
Wagner (Deggenau) . Nein
Wagner (Ludwigshafen) Nein
Wehner Nein GB/BHE
Wehr Nein
Welke Nein Bender Ja
Weltner (Rinteln) . . . Nein Dr. Czermak Ja
Lic. Dr. Wenzel . . . . Nein Dr. Eckhardt Ja
Wienand Nein Elsner Ja
Winter krank Engell Ja
Wittrock Nein Feller Ja
Ziegler Nein Gräfin Finckenstein . . Ja
Zühlke Nein Frau Finselberger . . Ja
Gemein Ja
Dr. Gille Ja
Haasler Ja
Dr. Keller Ja
FDP Dr. Klötzer Ja
Körner Ja
Dr. Atzenroth Ja Kraft Ja
Dr. Becker (Hersfeld) . . Ja Kunz (Schwalbach) .. Ja
Dr. Blank (Oberhausen) . Ja Kutschera Ja
Blücher Ja Meyer-Ronnenberg ... Ja
Dr. Bucher Ja Dr. Mocker Ja
Dannemann Ja Dr. Oberländer . . . . Ja
Dr. Dehler Ja Petersen Ja
Dr.-Ing. Drechsel . . . . Ja Dr. Reichstein Ja
Eberhard Ja Samwer Ja
Euler Ja Seiboth Ja
Fassbender Ja Dr. Sornik Ja
Frau Friese-Korn . . . Ja Srock Ja
Frühwald Ja Dr. Strosche Ja
Gaul Ja
Dr. Hammer Ja
Hepp Ja
Dr. Hoffmann Ja
Frau Dr. Ilk Ja DP
Dr. Jentzsch Ja
Kühn (Bonn) Ja Becker (Hamburg) . . . Ja
Lahr Ja Dr. Brühler Ja
Lenz (Trossingen) . . . Ja Eickhoff Ja
Dr. Dr. h. c. Prinz zu Lö- Dr. Elbrächter Ja
wenstein Ja Hellwege Ja
Dr. Maier (Stuttgart) . . Ja Matthes Ja
von Manteuffel (Neuß) . Ja Dr. von Merkatz . . . . Ja
Margulies Ja Müller (Wehdel) . . . . Ja
Mauk Ja Dr. Schild (Düsseldorf) . Ja
Dr. Mende Ja Schneider (Bremerhaven) Ja
Dr.Middelhauve . . . Ja Dr. Schranz Ja
Dr. Miessner krank Dr.-Ing. Seebohm . . . Ja
Neumayer Ja Walter Ja
Onnen Ja Wittenburg Ja
Dr. Pfleiderer Ja Dr. Zimmermann . . . Ja
Dr. Preiß Ja
Dr. Preusker Ja
Rademacher entschuld.
Dr. Schäfer Ja
Scheel Ja Fraktionslos
Schloß Ja
Dr. Schneider (Lollar) Ja Brockmann (Rinkerode) Ja
Schwann Ja Rösing Ja
Stahl Ja Stegner Ja
614 2. Deutscher Bundestag — 17. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Februar 1954

Zusammenstellung der Abstimmung

Abstimmung

Abgegebene Stimmen 478


Davon :
Ja 334
Nein 144
Stimmenthaltung . —
Zusammen wie oben . . 478

Berliner Abgeordnete

Name Abstimmung Name Abstimmung

CDU/CSU Mattick Nein


Neubauer Nein
Dr. Friedensburg . . . . Ja Neumann Nein
Dr. Krone Ja Dr. Schellenberg . . . . Nein
Lemmer Ja Frau Schroeder (Berlin) . Nein
Frau Dr. Maxsein . . . Ja Schröter (Wilmersdorf) . Nein
Stingl Ja Frau Wolff (Berlin) Nein
Dr. Tillmanns Ja
FDP
SPD
Dr. Henn Ja
Brandt (Berlin) . . . . Nein Hübner Ja
Frau Heise Nein Frau Dr. Dr. h. c. Lüders Ja
Klingelhöfer Nein Dr. Reif Ja
Dr. Königswarter . . . Nein Dr. Will Ja

Zusammenstellung der Abstimmung der Berliner Abgeordneten

Abstimmung

Abgegebene Stimmen . 22
Davon :
Ja . . . . . . 11
Nein . . . . . . 11
Stimmenthaltung . —
Zusammen wie oben . . 22

Das könnte Ihnen auch gefallen