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Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27.

April 1950 2159

Schäffer, Bundesminister der Finanzen 2169A


Gengler (CDU) 2169D
Dr. Wellhausen (FDP) 2171A

Zweite und dritte Beratung des Entwurfs


eines Gesetzes zur Beseitigung von Kriegs-
vorschriften über die Siegelung gericht-
licher und notarischer Urkunden (Druck-
sachen Nr. 838 und 506) 2171D
Dr. Greve (SPD), Berichterstatter . 2172A

Beratung des Mündlichen Berichtes des


Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
59. Sitzung schaft und Forsten über den Antrag der
Abgeordneten Dr. Horlacher, Bauereisen,
Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950. Strauß und Genossen betr. Wiederaufbau
der deutschen Landwirtschaft (Druck-
sachen Nr. 808 und 428) . . . . . . . 2172B
Dr. Mühlenfeld (DP), Berichterstatter 2172C
Geschäftliche Mitteilungen . . . 2160A, 2194D Wartner (BP) 2175A

Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Horlacher (CSU) . . . . . . 2175D
Dr. Solleder, Fürst Fugger von Glött, Dr. Schmidt (Niedersachsen) (SPD) . 2177B
Strauß und Genossen eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schmidt (Bayern) (WAV) 2178C
Mieterschutzgesetzes vom 15. Dezember
1942 (Drucksache Nr. 761) 2160B Niebergall (KPD) 2179C
Rüdiger (FDP) 2180D
Dr. Solleder (CSU), Antragsteller . . 2160B
Dr. Glasmeyer (Z) 2181D
Paul (Düsseldorf) (KPD) 2160D
Niklas, Bundesminister für Ernährung,
Ewers (DP) 2161B Landwirtschaft und Forsten . . . 2182B

Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 2161C


Beratung des Antrags der Fraktion der KPD
betr. Anwerbung von Deutschen für
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs fremdländischen Militärdienst (Druck-
eines Gesetzes über die Anerkennung sache Nr. 687) 2184D
freier Ehen rassisch und politisch Ver-
folgter (Drucksachen Nr. 837 und 699) . . 2162A Harig (KPD), Antragsteller . . . . 2184D
Eichler (SPD) 2186B
Dr. Brill (SPD), Berichterstatter . . . 2162B
Dr. Richter (DRP) . . . . . . . . 2188B
Dritte Beratung des Entwurfs eines Ge- Strauß (CSU) . . . . . . . . . 2189A
setzes über H ilfsmaßnahmen für Heim- Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 2189A
kehrer (Drucksachen Nr. 831, 631, 858 und
869) . . . . . . . . 2160B, 2162A, 2163D
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD
Schoettle (SPD): betr. Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes
als Berichterstatter . . . . . . 2164A zum Verbot der Herstellung usw. von
Kriegsmaterial (Drucksache Nr. 715) 2189C
als Abgeordneter 2170A Fisch (KPD), Antragsteller 2189C
Parzinger (BP) . . . . . . . . . 2164B Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 2191D

Dr. Bertram (Z) 2164B Dr. Mommer (SPD) 2192B


Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) 2194A
Strauß (CSU) 2165A
Pohle (SPD) 2166A Schreiben des Abg. Dr. Doris an den Präsi-
denten des Deutschen Bundestags betr.
Mende (FDP) 2166C Zugehörigkeit zur Sozialistischen Reichs-
partei 2194D
Löfflad (WAV) . . . . . . . 2167B
Renner (KPD) . . . . . . . . . 2167D Nächste Sitzung 2194D
2160 Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. B onn, Donnerstag, den 27. April 1950

Die Sitzung wird um 14 Uhr 37 Minuten durch Räume und über gewerblich genutzte un-
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet. bebaute Grundstücke mit Ausnahme der-
jenigen Fälle, in denen sich der Pachtzins
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! für gewerblich genutzte Räume und un-
Ich eröffne die 59. Sitzung des Deutschen Bundes- bebaute Grundstücke ausschließlich nach
tages. den mengen- und wertmäßigen Umsätzen,
Ich bitte zunächst den Schriftführer Herrn Ab- die der Pächter erzielt, bemißt.
geordneten Freiherrn von Aretin, die Liste der Ich darf Ihnen den Sinn des Antrages darlegen.
fehlenden Mitglieder bekanntzugeben. Durch § 36 des Gesetzes vom Jahre 1942 wurden
die Bestimmungen des Mieterschutzes auf die ge-
Freiherr von Aretin, Schriftführer: Es fehlen werblichen Räume ausgedehnt. Diese Bestimmung
wegen Erkrankung die Abgeordneten Feldmann, ist an und für sich dem Mieterschutzgesetz, das
Frau Dr. Gröwel, Bazille, Dr. Baade, Dr. Gülich, ja aus der Wohnraumnot entstanden ist, fremd
Bettgenhäuser, Sander, Arnholz, Frau Kipp gewesen. Es' mag der Tendenz der damaligen
Kaule, Frühwald, Wittmann. Kriegszeit entsprochen haben, die Wirtschaft dem
Es fehlen entschuldigt die Abgeordneten Dr. totalen Krieg zu unterstellen und die Verhält-
Brönner, Dr. Gerstenmaier, Dr. Henle, Dr. Ehlers, nisse so zu regeln, daß der einzelne keine Ver-
Raestrup, Giencke, Fürst Fugger von Glött, Dr. änderungsmöglichkeiten hatte. Ich gebe zu, daß
Menzel, Klabunde, Jahn, Frau Schroeder (Ber- die Lockerung des gewerblichen Mieterschutzes
lin), Herbig, von Knoeringen, Görlinger, Stein- äußerst vorsichtig gehandhabt werden muß, weil
hörster, Behrisch, Erler, Stierle, Brunner, Dr. unsere Wirtschaftsverhältnisse heute noch nicht
Nöll von der Nahmer, Rademacher, Dr. Middel- so geklärt sind, daß von vornherein eine Beseiti-
hauve, Stahl, Dr. Hoffmann, Eichner, Loritz, Frau gung dieser Bestimmungen verlangt werden
Thiele, Agatz, Müller. (Offenbach), Müller (Han- kann. Aber offensichtliche Auswüchse und Miß-
nover), Frau Dr. Weber. stände müssen beseitigt werden. Ein derartiger
Außerdem fehlt der Abgeordnete Wehner. Mißstand ist z. B. vorhanden, wenn ein Unter-
Ferner fehlen die dienstlich auf Studienreise in nehmer sagen wir, etwa eine Brauerei, eine Gast-
den Vereinigten Staaten sich befindenden Ab- stätte offensichtlich zu dem Zweck verpachtet,
geordneten. das in der Brauerei erzeugte Bier in der Gast-
stätte umzusetzen. Geht dieser Pachtvertrag z. B.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, auf das Jahr 1939 zurück, so ist zu sagen, daß
ich habe weiter folgende Mitteilung zu machen: man bei Abschluß des Pachtvertrages natürlich
Die heutige Tagesordnung wird, wie gestern be- gewisse Vorstellungen über den mengenmäßigen
schlossen, ergänzt durch die dritte Beratung des Umsatz hatte; und das war die Grundlage des
Entwurfs eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen Vertrags. Nehmen wir an, daß in der Zwischen-
für Heimkehrer — Heimkehrergesetz — Druck zeit, in der der Pachtschutz eingeführt worden
sachen Nr. 831 und 858. Da dazu ein Ergänzungs- ist, dieser oder jener den Absatz des Bieres auf-
antrag eingegangen ist, der sich noch in der Ver- gibt und sich auf den Absatz von Wein oder
vielfältigung befindet, darf ich das Einverständ- Schnaps verlegt, weil ihm das lukrativer er-
nis des Hauses annehmen, daß wir diesen Punkt scheint. Es wird also ein vertragsmäßig gewollter
erst dann behandeln, wenn diese Drucksache zur Zustand durch diese Schutzbestimmung illusorisch
Verteilung gekommen ist. — Ich höre keinen Wider- gemacht. Ich könnte diese Beispiele beliebig er-
spruch. Wir werden demgemäß verfahren. weitern. So kenne ich beispielsweise den Fall der
Verpachtung einer Apotheke, die lediglich von
Wir kommen dann zum ersten Punkt der dem Gesichtspunkt der Raumfrage aus unter
Tagesordnung: Pacht- bzw. Mieterschutz fällt und infolgedessen
Erste Beratung des von den Abgeordneten nicht aufgehoben werden kann. Es wurde des-
Dr. Solleder, Fürst Fugger von Glött, halb in die beantragte Bestimmung eingefügt, daß
Strauß und Genossen eingebrachten Ent- insoweit eine Lockerung der gewerblichen Pacht-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des schutzbestimmungen erfolgen soll, als der Pacht-
Mieterschutzgesetzes vom 15. Dezember 1942 zins nach den aus dem Pachtobjekt erzielten
(Drucksache Nr. 761). mengen- und wertmäßigen Umsätzen bemessen
Der Ältestenrat schlägt Ihnen gemäß § 88 der ist. Damit ist die Gefahr abgebogen, daß man all-
Geschäftsordnung folgende Einteilung der Rede- zu scharf in diese Lockerungsbestrebungen hin-
zeit vor: für die Einbringung des Gesetzentwurfs eingreift, und andererseits ist einem bestellenden
10 Minuten und für die Fraktionen 60 Minuten Mißstand abgeholfen.
nach dem üblichen Schlüssel. Ich darf das Einver- Nicht ganz die gleichen aber doch ähnliche Be-
ständnis des Hauses damit feststellen und- frage, stimmungen haben inzwischen verschiedene Län-
wer von den Antragstellern den Gesetzentwurf der getroffen, so daß man vielleicht gelegentlich
einbringt. — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. der dritten Beratung den Antrag dahin ergänzen
Solleder! könnte, daß, soweit ländermäßig bereits einschlä-
gige Bestimmungen bestehen, dieselben durch
Dr. Solleder, (CSU), Antragsteller: Meine Da- dieses Gesetz nicht berührt werden.
men und Herren! Der Antrag geht dahin, daß der
Bundestag folgendes Gesetz beschließen wolle: Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
Einziger Paragraph Ich eröffne die Aussprache in der ersten Bera-
tung über die Drucksache Nr. 761. Wird das Wort
§ 36 des Mieterschutzgesetzes in der Fassung gewünscht? — Bitte Herr Abgeordneter Paul.
vom 15. Dezember 1942 — RGBl. I S. 172 —
erhält folgende Fassung: Paul (Düsseldorf) (KPD): Meine Damen und
Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten Herren! Mit dem Antrag wird, wie auch aus der Be-
entsprechend für Pachtverhältnisse über gründung hervorgeht, offensichtlich die Absicht ver-
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2161
(Paul [Düsseldorf])
folgt, gewisse Bestimmungen des § 36 des Mieter- dere Verhältnisse obwalten, als sie zur Zeit des
schutzgesetzes aufzuheben. Wir können uns mit der Krieges vorhanden waren, das bedarf ernster Prü-
Einschränkung des Mieterschutzes nicht einver- fung.
standen erklären. In der Regel sind es nämlich Im Ausschuß sollte also insbesondere geprüft
doch die kleinen Leute, die- solche gewerblichen werden, ob man nicht überhaupt die Raumbewirt-
Räume heute in Benutzung haben. In einer Zeit, schaftungs-Zwangsvorschriften für Räume von
in der man noch nicht über genügend gewerb- einer gewissen Miethöhe an aufheben muß. Der
liche Räume verfügt, darf man nicht zulassen, daß Grundsatz muß jedenfalls bei dem Mieterschutz-
diese Pachtverhältnisse und Pachtverträge ein- gesetz der bleiben, daß der Wohnraum ge-
fach gelöst werden können. Wenn wir diesem schützt werden sollte, daß dagegen derjenige, der
Antrag, der hier vorliegt, zustimmen würden, sich gewerblich betätigt, den Raum für seinen
würde das zur Folge haben, daß Tausende von Gewerbebetrieb, für sein Geschäft, für sein Un-
solchen Verträgen gekündigt werden und daß ternehmen sich irgendwie auf normale Weise zu
man diesen Leuten neue Verträge aufdiktiert. beschaffen hat.
Diese Gesetzesvorlage, die hier eingebracht
Ich bitte also, im Ausschuß insbesondere dieser
wurde, liegt zweifellos auf der Linie der soge-
nannten freien Marktwirtschaft. Es wurde ja auch Frage nachzugehen, wieweit eine Auflockerung
bereits in der Begründung gesagt, daß die Ab- dieser Bestimmungen bei der heutigen Lage des
Angebots und der Nachfrage in Frage kommen
sicht bestehe, alle Bestimmungen des Wohnungs- kann.
schutzes mit der Zeit aufzuheben. Welche Aus-
wirkungen auch nur die Antastung des Mieter-
schutzes bedeuten würde, kann man daran er- Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, habe
messen. Wir Kommunisten sind keinesfalls damit ich Sie recht verstanden? Sie beantragen Über-
einverstanden, daß man den kleinen Handwer- weisung des Antrags an den Ausschuß für Wie-
kern, den Wirten usw., die solche Verträge ein- deraufbau und Wohnungswesen?
gegangen sind, nun einfach die Verträge kündigt (Abg. Ewers: Ja! Und an den Ausschuß für
und sie damit praktisch um ihre Existenz bringt. Rechtswesen, wobei der erste federführend ist!)
Wir schlagen deshalb im Interesse und zum Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Schutze der Mittelständler und der kleinen Leute
vor, diesen Antrag abzulehnen. Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Meine
Damen und Herren! Der vorliegende Antrag be-
Präsident Dr. Kähler: Das Wort hat der Herr deutet nur einen kleinen Teilausschnitt aus der
Abgeordnete Ewers. 5 Minuten. Aufgabe, die mfr an sich gestellt ist, das Mieter-
schutzgesetz
Ewers (DP): Herr Präsident! - Meine Damen und
(Abg. Renner: Aufzuheben!)
Herren! Ich nehme an - notfalls möchte ich den
Antrag stellen —, daß dieser Antrag dem Rechts- den veränderten Verhältnissen anzupassen, nicht
ausschuß und vielleicht noch einem anderen Aus- aufzuheben; im Gegenteil, insoweit vielleicht so-
schuß überwiesen wird. Meine Fraktion begrüßt gar im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse
die Tendenz dieses Antrags. Bei' 'denjenigen auf dem Wohnungsmarkte, besonders im Hinblick
Pachtverträgen, bei denen die Pacht vom Umsatz auf die Lage der Vertriebenen
gezahlt wird, liegt ja in der Regel ein gesell- (Lachen bei der KPD)
schaftsähnliches Verhältnis vor, indem sozusagen
der Eigentümer die Grundflächen und die Bau- zu festigen. Dabei ist eine Reihe von Problemen
lichkeiten und der Pächter oder Mieter seine ge- aufgetaucht. In Hessen zum Beispiel ist der § 4 des
werblichen Unternehmen einbringt - weil der Mieterschutzgesetzes, der den Eigenbedarf des
Raum zur Arbeit kommen muß —, um aus beiden Eigentümers bevorzugt, aufgehoben, ein Zustand,
zusammen dann eine Wirtschaftseinheit zu der als Einzelregelung eines Landes ja auf die Dauer
machen, bei der eine angemessene Verteilung des nicht tragbar ist. Auch Württemberg-Baden hat auf
Reingewinnes oder des Umsatzes vorzunehmen ist. dem Gebiete des Mieterschutzes eine eigene Gesetz-
Ob aber diese Fälle hinsichtlich der Frage er- gebung geschaffen. Wir stehen vor der Frage,
schöpfend sind, wieweit der gewerbliche Raum- ob wir uns insoweit für das ganze Bundesgebiet
schutz schon heute aufgehoben werden kann, ist koordinieren wollen. Andere Probleme sind
mir sehr zweifelhaft. Meines Erachtens hat der drängend: die Frage des Mieterschutzes für Unter-
Herr Vorredner von der kommunistischen Fraktion mietverhältnisse, besonders bei möblierten Zim-
insoweit recht, als man die sogenannten kleinen Ver- mern oder bei Räumen, in denen der Untermieter
tragsverhältnisse, also die kleinen Läden, auch einen Haushalt führt. Die Frage des Verfahrens
dann, wenn sie etwa in der Pachthöhe vom Um- ist zu prüfen, die Frage, ob nicht bei den Amts-
satz abhängig sein sollten, nicht ohne wei- gerichten Mietschöffengerichte, bei den Land-
teres ausschließen kann. Dazu sind wohl in wei- gerichten Mietkammern eingerichtet werden
testen Gebieten des deutschen Vaterlandes die sollen. Darüber steht dann das große Problem,
inneren Stadtteile zu sehr zerstört, als daß man ob nicht auf dem Gebiete der gewerblichen
heute schon insoweit etwa an eine freie Wirt- Räume, die in einzelnen Ländern schon weit-
schaft denken könnte. Ob aber ein gleiches nicht gehend der Bewirtschaftung entzogen worden
für alle Pacht- und Mietverhältnisse über eine sind, eine Lockerung des Mieterschutzes durch-
Monatsmiete von, sagen wir, 200 DM hinaus zu- geführt werden soll.
trifft, ob insoweit nicht angesichts der Entwick- Nicht möglich erscheint es mir, daß in dem
lung der gewerblichen Betriebe und des Eigen- Sinne des hier vorliegenden Antrages eine Son-
bedarfs, sowie der Möglichkeit, sich räumlich derregelung nach der Art der Pachtvergütung
anderweitig umzustellen — bei der, wie ich hoffe, geschaffen wird. Der Antrag erstrebt die Heraus-
auch auf diesem Bausektor eine weiterhin zu be- nahme von gewerblichen Räumen und von un-
lebende Bautätigkeit eintritt —, inzwischen an- bebauten Grundstücken aus dem Mieterschutz,
2162 Futscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Bundesminister Dr. Dehler)
wenn die Pacht nach dem Umsatz festgelegt wor- gesetz von 1938 aus angeblich rassischen Gründen
den ist. Praktisch wird diese Frage wohl nur bei bestimmte Ehen verboten, für nichtig erklärt
Bierwirtschaften, bei Schankstätten, möglicher- oder überhaupt unmöglich gemacht werden, in-
weise noch bei der Verpachtung von Garderoben dem sie einer besonderen Genehmigung — die
in Konzertsälen und ähnlichen Unternehmungen. in der Regel nicht erteilt wurde - unterworfen
Ich halte es nicht für angebracht, für diesen wurden. Verlobte, die in dieser Zeit rassisch und
Sachverhalt eine besondere gesetzliche Regelung politisch verfolgt gewesen sind, haben sich der
zu schaffen und insoweit die gewerblich benutz- diktatorischen Brutalität der Nationalsozialisten
ten Räume und die unbebauten Grundstücke aus dadurch entzogen, daß sie freie Ehen begründet
dem Mieterschutz herauszunehmen. und in freien Ehen zusammengelebt haben. Diese
Ehen zu legalisieren, ist ein moralisches und ein
Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge- rechtliches Bedürfnis.
wünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dieses Bedürfnis ist schon sehr bald hervorge-
Dann schließe ich die Aussprache in der ersten treten. Es sind Versuche unternommen worden,
Beratung des Gesetzentwurfs auf Drucksache Nr. es durch die Gesetzgebung zu befriedigen. So
761 und darf das Einverständnis des Hauses da- hat der Länderrat des amerikanischen Besat-
mit annehmen, daß Drucksache Nr. 761 an den zungsgebietes für die Länder Bayern, Hessen,
Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen Württemberg-Baden und Bremen bereits im
als federführenden Ausschuß und an den Aus- Jahre 1947 ein zoneneinheitliches Gesetz ausge-
schuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht arbeitet, das in Bayern im Dezember 1947, in den
überwiesen wird. übrigen genannten Ländern in den Monaten Ja-
Ich hatte eigentlich die Absicht, jetzt zur dritten nuar bis März 1948 erlassen worden ist. Auf
Beratung des Heimkehrergesetzes überzugehen, Grund einer Verordnung des Zentraljustizamtes
sehe aber, daß der Herr Vorsitzende des Haus- für das britische Besatzungsgebiet konnten auf
haltsausschusses, der einen Bericht erstatten soll, Gesuche der Betroffenen hin im Einzelfall Sank-
im Augenblick nicht anwesend ist. Ich schlage tionen erteilt werden. Im französischen Besat-
deshalb vor, daß wir zu Punkt 2 der Tagesord- zungsgebiet ist nur im Lande Rheinland-Pfalz
nung übergehen: eine Regelung ergangen, die der des amerikani-
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs schen Besatzungsgebietes in etwa gleichkommt.
eines Gesetzes über die Anerkennung freier Durch das vorliegende Gesetz soll nun für die
Ehen rassisch und politisch Verfolgter gesamte Bundesrepublik Deutschland gleiches
(Drucksachen Nr. 837 und 699). Becht geschaffen werden.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir Allerdings will das vorliegende Gesetz nicht
im Ältestenrat vorgesehen haben, lediglich die jede freie Geschlechtsgemeinschaft legalisieren.
Berichterstattung entgegenzunehmen und dann Es setzt voraus, daß bei rassisch Verfolgten ent-
das Gesetz ohne Debatte zu verabschieden. weder eine kirchliche Trauung stattgefunden hat
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Brill oder <daß die Verbindung vor den Angehörigen
als Berichterstatter das Wort. erklärt worden ist oder daß eine andere ernst-
hafte Bekundung des Willens zu ehelichem Zu-
Dr. Brill (SPD), Berichterstatter: Meine Damen sammenleben stattgefunden hat. Bei politisch
und Herren! Gestatten Sie, daß ich den Bericht des Verfolgten wird außerdem verlangt, daß sie ge-
Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht zwungen gewesen sind, unter falschem Namen
mit einigen allgemeinen Bemerkungen einleite. zu leben, in der Verborgenheit zu arbeiten oder
Der Entwurf eines Gesetzes über die Aner- überhaupt außerhalb der bürgerlichen Ordnung
kennung freier Ehen rassisch und politisch Ver- zu existieren. Sie finden diese Vorschriften, die
folgter gehört in einen politischen Zusammen- der Ausschuß unverändert angenommen hat, in
hang hinein, der für das moderne Kulturbe- den §§ 1 und 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs.
wußtsein ungeheuerlich und für das Leben des Der § 1 geht dann außerdem auf die Rechts-
deutschen Volkes maßlos tragisch ist. Dieser Zu- wirkung ein, die durch die nachträgliche Lega-
sammenhang wird durch die Reihe von Gesetzen, lisierung erreicht werden soll. Es soll nach § 1
Verordnungen, Maßnahmen, Vergehen und Ver- Absatz 1 möglich sein, von einem bestimmten
brechen gebildet, die der Rassenwahn der NSDAP Zeitpunkt ab durch die Landesjustizverwaltung
hervorgebracht hat, die mit für manchen unter die bestehende Vereinigung als Ehe zu erklären
uns harmlos erscheinenden Dingen begonnen oder aber eine seit 1945 geschlossene Ehe in ihrer
und schließlich mit der Ermordung von 5 Mil- Rechtswirkung vorzuverlegen. Eine Rechtswir-
lionen Juden geendet hat. Niemand, kein Gesetz kung auf das eheliche Güterrecht mit rückwir-
kann die Toten wieder lebendig machen. Wir kender Kraft wird dabei in keinem einzigen Falle
aber sind verpflichtet, alles Mögliche zu tun, um erlangt werden.
das begangene Unrecht an den Überlebenden Das Gesetz sieht eine Antragsfrist von einem
wiedergutzumachen. Das ist der Zweck des vor- Jahr vor und bezeichnet als antragsberechtigt
liegenden Gesetzes. Verlobte, Ehegatten, überlebende Ehegatten,
Die nationalsozialistische Diktaturgewalt hat es überlebende Verlobte, Abwesende, Überlebende
sich angemaßt, verbietend und befehlend in die von in Abwesenheit Verstorbenen, Überlebende
Liebes- und Geschlechtsbeziehungen ihrer Unter- von für tot Erklärten. Außerdem sollen über
tanen einzugreifen. Niemand ist davor absolut das bisher im amerikanischen Besatzungsgebiet
bewahrt geblieben. Am stärksten aber hat das geltende Recht hinaus die Kinder des eben be-
Eheleben der Juden in Deutschland darunter ge- zeichneten Personenkreises für antragsberechtigt
litten. So konnten nach den sogenannten Nürn- erklärt werden. Da diese Vorschrift neu ist,
berger Gesetzen von 1935, nach einer im Jahre weicht die Ausschußfassung des Gesetzes, die
1940 dazu ergangenen Ausführungsverordnung Ihnen heute zur Beschlußfassung unterbreitet
und nach dem sogenannten großdeutschen Ehe- wird, auch in § 4 (alt) von der Regierungsvor-
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2163
(Dr. Brill)
lage ab. Es ist notwendig, dieses Gesetz wegen vererbt werden kann. Von beiden Gesichtspunk
dieser Rechtsbestimmung auch auf die Länder ten aus dürfte also das Gesetz bedenkenfrei sein.
des amerikanischen Besatzungsgebietes auszu- Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat
dehnen. dem Gesetzentwurf einstimmig zugestimmt. Da
In der Ausschußberatung hat sich weiter erge- die politische Bedeutung dieses Gesetzes weit
ben, daß das Gesetz des Wirtschaftsrates über die über seine juristische hinausgeht, bitte ich Sie,
Wiederherstellung der Rechte von Verfolgten in Ihre Genehmigung der Vorschläge des Ausschus-
der Sozialversicherung bisher zu wenig bekannt- ses ebenfalls einstimmig auszusprechen.
geworden ist, um allen Verfolgten die Gelegen-
heit zu geben, von der in diesem Gesetz festge- Präsident Dr. Köhler: Ich danke dem Herrn Be-
legten Frist Gebrauch zu machen. Deshalb ist richterstatter für seine Ausführungen.
ein § 4 a in das Gesetz eingefügt, der, wie der Da keine Aussprache stattfinden soll, stimmen
Ausschuß wohl bemerkt hat, organisch nicht in wir in zweiter Beratung über Drucksache Nr.
dieses Gesetz paßt. Es wird aber für unprak- 837 ab. Wer für § 1 ist, den bitte ich, die Hand
tisch gehalten, wegen des Gesetzes des Wirt- zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegen-
schaftsrates noch eine besondere Gesetzgebung in probe. — Einstimmig angenommen.
die Wege zu leiten. Zu § 2 liegt der Ergänzungsantrag des Aus-
Heute vormittag hat der Ausschuß für Rechts- schusses vor. Ich darf ihn nochmals verlesen:
wesen und Verfassungsrecht Gelegenheit gehabt, An § 2 Abs. 4 wird folgendes angefügt:
noch einmal die Frage der Abwesenden zu prü- Im Falle ihres Ablebens beginnt die An-
fen. Dabei ist festgestellt worden, daß die über- tragsfrist für den überlebenden Verlobten
lebenden Verlobten von Abwesenden, die ver- mit dem Bekanntwerden des Todes, frühe-
storben sind — es handelt sich praktisch um stens mit dem Inkrafttreten dieses Ge-
viele Fälle, die im letzten Jahr bei der Heim- setzes.
kehr von Kriegsgefangenen aus sowjetischer
Kriegsgefangenschaft aufgetreten sind —, die- Wer für diesen Ergänzungsantrag des Ausschus-
selben Rechte haben sollen wie die anderen ses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Überlebenden. Im Auftrage des Ausschusses Ich danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Ein-
stimmig angenommen.
habe ich deshalb über den gedruckten Ausschuß-
antrag hinaus zu beantragen, daß der Text in Wer nunmehr für § 2 einschließlich der soeben
§2Abs.4wiefolgtrühdnsl: beschlossenen Ergänzung, — für § 2 a, - § 3, —
§ 4 a — ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
Im Falle ihres Ablebens beginnt die Antrags- - Ich danke. Ich bitte um die Gegenprobe. —
frist für den überlebenden Verlobten mit dem Einstimmig angenommen.
Bekanntwerden des Todes, frühestens mit
Wer für Einleitung und Überschrift ist, den
dem Inkrafttreten dieses Gesetzes. bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke. Die
Ich habe mir erlaubt, dem Herrn Präsidenten die- Gegenprobe! — Einstimmig angenommen.
sen vom Ausschußvorsitzenden und Berichterstat- Ich eröffne die Aussprache in der
ter unterschriebenen Antrag einzureichen, und
dritten Lesung.
bitte, ihn dann in die Abstimmung mit einzube-
ziehen. Wird das Wort gewünscht? — Ich stelle fest:
das ist nicht der Fall. Dann schreiten wir zur
Im übrigen, meine Damen und Herren, sind Abstimmung.
die Änderungen, die der Ausschuß vorgenommen
hat und die sich aus der Drucksache ergeben, Wer für die §§ 1 bis 4 a in der Fassung der
lediglich redaktioneller Art; sie berühren also Beschlüsse zweiter Beratung einschließlich Ein-
den Inhalt des Gesetzes selbst nicht. leitung und Überschrift ist, den bitte ich, die
Hand zu erheben. — Ich danke. Ich bitte um
Ich will nicht verschweigen, daß der Ausschuß die Gegenprobe. — Einstimmig angenommen.
auch Gelegenheit genommen hat, die Bedenken Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für
zu prüfen, die in einem früheren Stadium dieser das soeben beschlossene Gesetz über die Aner-
Gesetzgebung gegen eine solche Ordnung der kennung freier Ehen rassisch und politisch Ver-
Eheverhältnisse von rassisch und politisch Ver- folgter im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu
folgten vorgebracht worden sind. Es ist früher erheben. Ich danke. Ich bitte um die Gegen-
- insbesondere im Parlamentarischen Rat des probe. — Einstimmig angenommen.
Länderrats in Stuttgart — behauptet worden, es
bestände die Gefahr, daß durch dieses Gesetz Meine Damen und Herren! Damit ist das Ge-
willkürlich Restitutionsansprüche für Personen setz in dritter Beratung endgültig verabschiedet.
begründet werden, die selber niemals daran
- ge- Da inzwischen der Ergänzungsantrag zum
dacht haben, solche zu behaupten oder zu er- Heimkehrergesetz in Form der Drucksache Nr.
werben. Dieses Bedenken, meine Damen und 869 verteilt worden ist, darf ich das Einverständ-
Herren, ist durch die Restitutionsgesetzgebung nis des Hauses damit annehmen, daß wir nun-
hinfällig geworden; denn das Restitutionsgesetz mehr zur
beschränkt die Ansprüche aus dem Restitutions- Dritten Beratung des Entwurfs eines Ge
recht auf Erbberechtigte dritten Grades. Wei- setzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkeh
ter ist früher das Bedenken geäußert worden, rer (Drucksachen Nr. 831, 631, 858 und 869)
daß im Zuge der Wiedergutmachung, insbesondere
der Haftentschädigung, hier Bevorzugungen von kommen. Der Gesetzentwurf ist gestern zur
Personen eintreten, die selber persönlich keinen nochmaligen Beratung an den Haushaltsausschuß
Anspruch darauf haben. Auch dieses Bedenken zurückverwiesen worden. Ich bitte den Vorsit-
ist heute hinfällig, denn die Haftentschädigungs- zenden des Haushaltsausschusses, Herrn Abgeord-
gesetze sehen insgemein vor, daß der Haftent- neten Schoettle, über das Ergebnis der Beratungen
schädigungsanspruch rein persönlich ist und nicht des Haushaltsausschusses Bericht zu erstatten,
2164 Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950

Schoettle (SPD), Berichterstatter: Herr Präsi- hilfe von 250 DM erhalten. Heute steht in der glei-
dent! Meine Damen und Herren! 'Das Plenum chen Fassung „bis zu 250 DM".
hat gestern am Schluß der zweiten Lesung des (Zuruf: Kunstgriff!)
Heimkehrergesetzes dem Haushaltsausschuß das
Diese Verschlechterung des Gesetzes gegenüber
Gesetz zur nochmaligen Beratung überwiesen. einem Gesetzestext, den wir gestern mit großer
Der Haushaltsausschuß hat sich heute morgen Mehrheit angenommen haben, hat bisher in diesem
mit dem Gesetz beschäftigt und kam zu dem Er- Hohen Hause noch niemand begründet. Die Gründe,
gebnis, daß er in eine materielle Beratung nicht die heute morgen im Haushaltsausschuß für diese
eintreten könne, da dem Ausschuß kein Antrag Verschlechterung des Gesetzes gegeben worden sind,
vorlag, der ihn in den Stand gesetzt hätte, tat- konnten mich und meine Parteifreunde vom Zen-
sächlich zu beraten. trum in keiner Weise überzeugen. Daß zunächst das
Das Plenum hatte gestern in der zweiten Le- Heimkehrergeld auf 150 DM erhöht worden war,
sung einen Beschluß zu § 2 des Gesetzes gefaßt, hatte seinen Grund in der entsprechenden baye-
der die Erhöhung des Entlassungsgeldes von 100 rischen Regelung. Diese bayerische Regelung ist
DM, wie es der Ausschuß beschlossen hatte, auf vom Haus, nachdem im Ausschuß eine andere Be-
150 DM zum Inhalt hatte. Der Überweisungs- schlußfassung stattgefunden hatte, akzeptiert wor-
antrag hatte eigentlich schon insofern seinen Sinn den. Die Annahme dieses Betrages von 150 DM soll
verloren. als ihm nicht gleichzeitig ein Antrag pro forma bleiben. Mit der einen Hand wird aber
beigegeben war, an Hand dessen der Ausschuß zu gegeben, was mit der andern Hand vom Bundes-
einem Ergebnis hätte kommen können. finanzministerium wieder genommen werden soll.
Für die negative Haltung des Haushaltsaus- Das gesamte Objekt beträgt schätzungsweise
schusses war aber noch ein anderer Gesichtspunkt 4 Millionen DM. Wenn uns der Herr Bundesfinanz-
maßgebend, den ich hier ganz offen darstellen minister erklärt, es sei nicht möglich, die vorge-
will. Die Beschlußfassung in der gestrigen Voll- sehenen Leistungen an die Heimkehrer in diesem
versammlung war schließlich das Resultat eines Umfange zu erbringen, so wird man bei dem Um-
politischen Tatbestandes. Der Haushaltsausschuß fang des Gesamtetats nicht sagen können, daß dieser
sah sich außerstande, diesen politischen Tatbe- Betrag von 4 Millionen DM den Gesamtetat irgend-
stand mit den Mitteln zu bewältigen, die ihm als wie ernsthaft in Gefahr bringen könnte.
Ausschuß des Deutschen Bundestages zur Verfü-
gung stehen. Er kam zu dem Ergebnis, daß es Wenn man aper davon ausgeht, daß eine ernst-
nicht seine Sache sein könne, eine politische Tat- hafte Gefährdung des Etats nicht in Frage steht,
sache zu korrigieren, die zu korrigieren Sache dann muß man doch auch einmal auf die Vorge-
der beteiligten Fraktionen sei. schichte des Antrags eingehen. Es war wohl so, daß
durch den Antrag der Bayernpartei vom März be-
Deshalb kam der Haushaltsausschuß zu dem reits diese Regelung beantragt worden war. Durch
Ergebnis, dem Hause mitzuteilen, daß er sich einen Antrag von zahlreichen Mitgliedern der Re-
außerstande sehe, in eine materielle Beratung gierungsparteien vom 25. April dieses Jahres ist der
des Gesetzes einzutreten. gleiche Antrag gestellt worden. Wenn daraufhin auf
Grund eines Antrags sowohl der Bayernpartei wie
Präsident Dr. Köhler: Ich danke dem Herrn Be- der zahlreichen Mitglieder der Regierungsparteien
richterstatter für seine Ausführungen. Ich eröffne ein solcher Antrag angenommen wird und das Haus
die Aussprache. Der Aussprache liegen die Druck- dieser Regelung zustimmt, dann sollte es meiner
sache Nr. 858 mit den gestrigen Beschlüssen der Ansicht nach die Pflicht des Finanzministers sein,
zweiten Beratung sowie die Drucksache Nr. 869, die sich dieser Meinung seiner eigenen Parteifreunde
soeben verteilt worden ist, zugrunde. anzuschließen
Das Wort hat Herr Abgeordneter Parzinger. (lebhafter Beifall beim Zentrum
und bei der SPD)
Parzinger (BP): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich fol- und nicht in der bekannten Manier zu versuchen,
gende Erklärung abzugeben: indem man einfach sagt: „Ich kann nicht!", die be-
reits gefaßten Beschlüsse des Hauses umzustoßen.
Die Fraktion der Bayernpartei hält ihren Antrag Sind wir Abgeordneten denn nicht heute noch genau
vom 17. März, Drucksache Nr. 631, unverändert und derselben Überzeugung, der wir gestern auch
ungeschmälert aufrecht. waren?
(Lebhafte Zurufe.)
(Dr. Wuermeling: Der wir vorgestern waren!)
Meine Fraktion lehnt den Kunstgriff des in der
Drucksache Nr. 869 gestellten Antrages der CDU/ Hat uns die Mitteilung, die uns gestern Herr Abge-
CSU ab. Dieser Antrag würde den berechtigten An- ordneter Dr. Jaeger gemacht hat, der davon sprach,
-
spruch der Heimkehrer der Ermessenswillkür der daß er aus Mitgefühl für die Heimkehrer diese Er-
Bürokratie preisgeben. höhung des Heimkehrergeldes auf 150 DM fordern
(Beifall bei der BP.) müsse, — haben uns diese Gründe nicht überzeugt,
und haben wir nicht deshalb für den Antrag ge-
Präsident Dr. Köhler:
stimmt? Und heute sollen wir gleichen Abgeordne-
Das Wort hat Herr Ab-
geordneter Dr. Bertram. ten, die gestern für den Antrag gestimmt haben,
diesem Kunstgriff des Bundesfinanzministers un-
sere Zustimmung geben und ohne sachliche Be-
Dr. Bertram (Z): Meine Damen und Herren! Der gründung eine Verschlechterung des Gesetzes hin-
vorliegende Antrag Nr. 869 stellt ganz eindeutig nehmen können? Ich glaube, wenn wir Abgeord-
eine Verschlechterung des Gesetzes gegenüber der neten vor unserem Gewissen ehrlich sein wollen,
gestern von uns beschlossenen Fassung dar. können wir, die wir gestern zugestimmt haben,
(Zustimmung.) heute nicht andersherum stimmen.
Nach § 3 des Gesetzes, haben wir gestern be (Sehr gut! — Abg. Dr. Wuermeling: Ihnen
schlossen, sollen die Heimkehrer eine Kleiderbei gönne ich mal eine Stunde Verantwortung!)
Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2165
(Dr. Bertram)
— Die Verantwortung können Sie mir ruhig gönnen! am 1. April 1950 erst in Kraft — doch jetzt, wo es
Ich weiß, was ich mit der Verantwortung anzufan de jure keine Kriegsgefangenen mehr gibt, aus-
gen habe. Solche Kniffe würde ich mir nicht leisten. schließlich um einen Personenkreis, der entweder in
(Händeklatschen beim Zentrum und bei der BP.) Untersuchungshaft genommen war oder langjäh-
Und wenn Sie die Verantwortung mit einer Stimme riges Zuchthaus und Straflager hinter sich hat und
Mehrheit in dieser Ruhe auf sich nehmen wollen, nunmehr zurückkommt. Daß wir diesen Personen-
dann müssen Sie selber wissen, was Sie tun. kreis, ganz gleich, ob er bedürftig ist oder nicht, die
Höchstsumme des Entlassungsgeldes zubilligen
(Bravo! bei der SPD. — Beifall beim Zentrum.) wollten, könnte, glaube ich, nach dem Beschluß von
.Dann noch ein Punkt, der, glaube ich, in diesem gestern keiner Kritik unterzogen werden, weil es
Zusammenhang auch erwähnt zu werden verdient. keinen politischen Hintergrund hat.
Es dreht sich darum, daß das Gesetz alsbald ange-
nommen wird, und es dreht sich darum, daß der Bun- Ich muß mich aber gegen den Ausdruck, den Herr
Kollege Parzinger gewählt hat, „Kunstgriff" und
desrat kein Veto einlegt. Wenn der Bundesfinanz-
minister sich jetzt vor seine Parteifreunde stellen, ähnliches, mit aller Entschiedenheit verwahren.
mit dem Bundesrat sprechen und ihm erklären (Zuruf.)
würde: diese 4 Millionen, die die Sache vielleicht — Wenn Sie behaupten, Kollege Parzinger, daß
ausmacht, werde ich verkraften, dann brauchten wir damit wiederum die Unterstützung der Heimkehrer
keine Sorge zu haben, daß der Bundesrat etwa ein von dem Ermessen der Bürokratie abhängig ist,
Veto einlegt und dadurch das Inkrafttreten dieses dann dürfen Sie auch nicht der Bedingung „im Falle
Gesetzes verzögert werden könnte. Das muß uns der Bedürftigkeit" zustimmen. Denn die Überprü-
auch am Herzen liegen, und deshalb, meine Damen fung der Bedürftigkeit ist in jedem Falle der Büro-
und Herren, bitte ich Sie, die Abstimmung des kratie, d. h. also der Verwaltung überlassen. Und
gestrigen Tages heute zu wiederholen und damit außerdem möchte ich in diesem Falle, wenn man
dem Bundesfinanzminister den Auftrag zu geben, auch im Anfang schlechte Erfahrungen gemacht hat,
hier den Wünschen des Hohen Hauses entsprechend nicht von vornherein zugrunde legen, daß der
mit dem Bundesrat zu verhandeln und die als- Beamte, der diese Frage zu überprüfen hat, dem
baldige Inkraftsetzung dieses Gesetzes durchzu- Heimkehrer mit einer Abneigung gegenübertritt,
setzen. sondern ihm ruhig auch mal zugute halten, daß er
(Beifall beim Zentrum und bei der BP.) offenen Herzens die gesetzlichen Möglichkeiten aus-
nutzt, um dem Heimkehrer zu helfen. Der immer
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab- konstruierte Gegensatz, der aus dem Worte „Kunst-
geordnete Strauß. griff" spricht, als ob die Verwaltung von vornherein
schon in einem ständigen- Gegensatz zu jedem Hilfs-
Strauß (CSU): Meine Damen und Herren! Zu den bedürftigen stände, kann nicht in allen Fällen auf-
Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle: ihm rechterhalten werden.
kann darin nicht recht gegeben werden, daß es sich (Zurufe links: Na ja, also doch! — Weitere
bei dem Abänderungsantrag, das Entlassungsgeld Zurufe links.)
von 100 auf 150 DM zu erhöhen, um einen politi - Wenn Sie wollen, daß ich lauter rede, ich bin
schen Sachverhalt handelt. dazu in der Lage. Mir kommt es nicht darauf
(Abg. Schoettle: Herr Kollege Strauß, ich habe an. Gerade die Tatsache, , daß die Verwaltung
berichtet!) die Bedürftigkeit prüfen muß, spricht dafür, daß
Gerade die Tatsache, daß sich die Meinungen durch es graduelle Unterschiede zwischen Bedürftigen
die Fraktionen hindurch geteilt haben, ist Beweis und Nichtbedürftigen geben muß. Die Heimkeh-
dafür, daß es sich nicht um einen politischen Sach- rer liegen ja nicht in zwei Kategorien fest, reich
verhalt handelt, sondern um eine verschiedene Auf- und arm; die einen erhalten 250 DM und die
fassung dieser Angelegenheit. anderen gar nichts. Wenn man schon die Bedürf-
(Zuruf links: Herr Kollege Strauß, nennen wir es tigkeit überprüft und wenn man zu dem Beam-
doch eine koalitionspolitische Frage!) ten das Vertrauen hat, daß er in der Lage ist,
Es muß auch in diesen Angelegenheiten einmal festzustellen: bedürftig oder nicht, kann man
Fragen geben, die nicht immer rein politisch ange- ihm auch das Vertrauen geben, festzustellen, wie-
sehen werden, sondern die auch von einer anderen viel innerhalb der möglichen Grenzen der Arme,
Seite her betrachtet werden können. Es unter- der vor seinen Schreibtisch tritt, mit Recht be-
scheiden uns nämlich hierbei Denkweisen oder Ge- anspruchen kann.
nerationsunterschiede, Herr Kollege Schoettle. Gerade dem Kollegen Bertram, der vom Bun-
(Zuruf links: O, langsam! — Lachen. — Zuruf: desrat gesprochen hat, und denen, die ihm Bei-
Koalitionsunterschiede!) fall geklatscht haben, möchte ich sagen, worum
Wenn wir die Forderung erhoben haben, es sich hierbei handelt. Der Bundesrat ist es
- das Ent- gewesen, der mit Mehrheit gegen die Stimmen
lassungsgeld von 100 auf 150 DM zu erhöhen — und
ich will hier nicht die Argumente von gestern Bayerns und einiger anderer Länder dieses Ent-
wiederholen —, dann ist es allein - — lassungsgeld von 150 DM abgelehnt hat. Die
gleichen Herren von dieser Seite des Hauses, die
(Abg. Dr. Baumgartner: Abgeschrieben!) Ihnen, Herr Kollege Bertram, Beifall geklatscht
— reden wir nicht darüber, Herr Dr. Baumgartner, haben, als Sie hier mit Recht die Forderung nach
wer abgeschrieben hat; dann würden Sie eine Erhöhung vertreten haben, haben im Bundesrat
schlechte Zensur in Bayern bekommen —, gegen diese Erhöhung auf 150 Mark Stellung
(Zuruf von der BP) genommen. Uns kommt es bei diesem Antrag
dann ist diese Forderung ausschließlich darin be- Drucksache Nr. 869 ausschließlich darauf an, zu
gründet, daß es sich hier um einen Personenkreis verhindern, daß nicht die gleichen, die damals
handelt, der mindestens und frühestens nach fünf- schon im Bundesrat das Gesetz in anderer Form
jähriger Haft wieder in die Heimat zurückgekom- durchgebracht haben, als wir es wollten, nun
men ist. Und es handelt sich hier — das Gesetz tritt durch einen eventuellen Einspruch gegen dieses
2166 Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Strauß)
Gesetz seine rasche Inkraftsetzung unmöglich kann man nachher eine ganze Variantenreihe
machen; auf nichts anderes. Man soll in einem konstruieren.
solchen Fall nicht politische Tatbestände oder (Abg. Strauß: Sie haben doch zu den
einen Kunstgriff unterstellen, wenn es sich um Arbeitsbehörden so viel Vertrauen!)
ganz andere Erwägungen handelt. - Meine Damen und Herren, wir haben leider
in diesen 24 Stunden zu manchem Abgeordne-
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr ten, soweit er der CSU angehört, das Vertrauen
Abgeordnete Pohle. in seinen politischen Instinkt verloren.
(Lebhafter Beifall links und bei der BP.
Pohle (SPD): Meine Damen und Herren! Ich — Lachen in der Mitte.)
glaube, um der Wahrheit die Ehre zu geben, hier Abschließend darf ich sagen: Da wir Sozial-
feststellen zu dürfen, daß wir die heutige Debatte demokraten darauf bestanden haben, daß diese
nur den Herren von der CSU zu verdanken 250 Mark auf Antrag des Heimkehrers auch in
haben. bar gewährt werden können, halten wir diesen
(Sehr richtig! bei der SPD, beim Zentrum Antrag für überflüssig und werden ihn ab-
lehnen.
und bei der BP.)
(Lebhafter Beifall bei der SPD.)
Wenn ich meinen Herrn Kollegen Dr. Wuerme-
ling, der vorhin diesen Zwischenruf von der Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Verantwortung gemacht hat, schon richtig er- Abgeordnete Monde.
kannt habe, dann darf ich Ihnen sagen, Herr
Dr. Wuermeling: Erkundigen Sie sich bei Ihren Mende (FDP): Herr Präsident! Meine Damen
Fraktionskollegen im Ausschuß für Kriegsopfer und Herren! Was Herr Kollege Pohle über die
fragen, wer in diesem Ausschuß verantwortlich Verhandlungen im Ausschuß für Kriegsopfer und
gehandelt hat. Wir haben mit den Herren ge- Kriegsgefangenenfragen hier berichtet hat, muß
rungen wie Jakob auf der Himmelsleiter mit ich nachdrücklichst unterstreichen. Auch wir
dem Engel: haben seinerzeit nach schweren Bedenken den
(große Heiterkeit) ursprünglichen Beschluß, das Entlassungsgeld mit
„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!" 150 Mark anzusetzen, um der Einheitlichkeit wil-
(Erneute Heiterkeit.) len und aus der Sorge heraus zurückgezogen,
Denn schon in diesem Ausschuß ist der Gedanke daß eventuell durch das Veto des Bundesrates
aufgekreuzt: Packen wir bei den 100 Mark 50 das ohnehin schon sehr langatmige Gesetz noch
Mark zu, und nehmen wir von den 250 Mark weiter verzögert würde. Nachdem aber gestern
50 Mark weg! Das hat unseren stärksten Wider- drei Anträge eine völlig neue Lage geschaffen
spruch hervorgerufen. Wir waren auf der an- haben und nachdem heute ein vierter Antrag die
dern Seite zu einem Entgegenkommen bereit. Situation erneut wesentlich verschlechtert, sieht
sich auch die FDP nicht mehr in der Lage, das
Aber gerade wir Sozialdemokraten haben diese
seinerzeitige Entgegenkommen im Ausschuß auf-
Bestimmung „bis zum" aus dem Entwurf des
Gesetzes herausgenommen und gesagt „im Werte rechtzuerhalten. Auch die FDP und gleichzeitig
von". Und, Herr Strauß, nachdem Sie eben das die DP, für die zu sprechen ich die Ehre habe,
werden für ein Entlassungsgeld in Höhe von
Sträußlein aus den bayerischen Alpen vorgeführt 150 Mark stimmen.
haben, möchte ich Ihnen doch eines sagen. —
(Beifall beim Zentrum.)
(Zurufe und Heiterkeit.)
Was den andern Antrag und die heute ver-
Ach, da sitzt er; Entschuldigung, bitte! änderte Situation bezüglich der 250 Mark Über-
(Abg. Strauß: Was wollen Sie bei Ihrem brückungshilfe anbetrifft, so haben wir mit allen
„Hochgebirge" von den bayerischen Alpen Mitteln danach gestrebt und schließlich im Aus-
verstehen?!) schuß auch die einmütige Zustimmung dazu ge-
funden, daß dieses Überbrückungsgeld auch in
Sie sagten, dann sollten wir auch die Bedürftig- bar gewährt werden kann. Ich sehe eine große
keitsprüfung herausnehmen. Auch das war unser Gefahr darin, wenn wir es nunmehr in das
Wille im Ausschuß. Wir haben davon nur Ab- Ermessen von Behörden und Beamten stellen,
stand genommen, weil uns der Vertreter des „bis zu" 250 Mark zu gewähren. Meine Damen
Herrn Arbeitsministers gesagt hat, daß diese und Herren, das stellt kein Mißtrauen etwa ge-
Bedürftigkeitsprüfung nicht von den Fürsorge- gen den Beamten dar, schon deswegen nicht, weil
behörden, sondern von den Arbeitsbehörden vor- seitens des Bundesarbeitsministeriums uns eine
genommen werden soll. - großzügige Interpretation der Bedürftigkeit zu-
(Abg. Strauß: Sind das keine Beamten?) gesagt wurde, sondern es stellt ein Mißtrauen
— Na ja, aber vielleicht ein wenig mehr mit g egen diejenigen Beamten dar, die unter Durch-
Vertrauen gesegnet als die Fürsorgebehörden. brechung des Prinzips des Berufsbeamtentums
(Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Strauß: seit 1945 Beamte geworden sind.
Jetzt sind Sie auf einem gefährlichen Weg (Sehr gut! rechts.)
angelangt!) Aus diesem Grunde lehnen wir diesen Abände-
rungsantrag der CSU ab
Es ist von fünf und sechs Jahren gesprochen
worden. Wenn wir schon darüber enttäuscht (Beifall bei der FDP)
sind, daß wir dem betreffenden Mann nicht mehr und verbleiben bei der gestrigen Fassung mit
geben können, dann sollen wir ihm mindestens 250 DM.
diese 250 Mark oder Sachwerte im Betrage von Was nun die dadurch heraufbeschworene Ge-
250 Mark geben und es nicht der Entscheidung fahr eines eventuellen Vetos des Bundesrates an-
im Wege des „bis zum" überlassen, denn dann betrifft, so empfehle ich, daß die Kräfte, die beim
Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2167
(Mende)
Bundesrat entscheidend sind, beeinflussend wir- — Jawohl, da haben Sie recht, es geht um Heim-
ken, damit die durch die gestrigen Anträge und den kehrer und nicht um Parteipolitik, und ich
heutigen vierten Antrag entstandene neue Situation glaube, daß gestern keine Parteipolitik getrieben
zu keiner Verzögerung oder Verschleppung des wurde. Aber heute hat es die bayerische CSU
Gesetzes führt. soweit getrieben, daß nun eine Parteipolitik her-
Da wir nun einmal bei Interpretationsfragen ausgeschlagen wird, indem sie sich nämlich de-
waren, darf ich Ihnen vielleicht noch kurz einen maskiert hat!
Wunsch übermitteln, den ich zu § 1 äußern (Große Unruhe , bei der CSU. — Abg.
möchte, einen Wunsch, der sich vielleicht in den Strauß: Bleib bei Deinem Leisten! —
Ausführungsbestimmungen verankern läßt. Die Gegenrufe: Unsinn!)
ehemaligen Insassen der KZs der Sowjetzone
Man kann nicht auf der einen Seite zum Schein
haben an uns die Bitte herangetragen, auch geben, um auf d er anderen Seite um so mehr
— nach ihrer Auffassung — unter die Bestim- nehmen zu können. Herr Kollege Strauß, wir
mungen der Heimkehrer genommen zu werden, wären gerne bereit gewesen, nicht vom parteipoli-
sofern sie im Gebiete der Bundesrepublik wohn- tischen Standpunkt aus zu sprechen; das habe ich
haft sind.
gestern hier erklärt. Aber durch Ihren Abände-
(Unruhe bei der KPD.) rungsantrag haben Sie ja bewiesen, daß Sie es
Da für diesen Personenkreis weitestgehend die- nicht ehrlich meinten, sondern nur um partei-
selben Bedingungen zutreffend waren, unter de- politische — -
nen auch die Kriegsgefangenen in der Sowjet- (Große Unruhe. — Abg. Strauß: Dagegen
union gelebt haben, glaube ich, es würde dem verwahre ich mich! Das ist eine Unver
Sinn des Gesetzes — und auf den Sinn eines schämtheit! - Zuruf rechts: Loritz II.!)
Gesetzes kommt es an — nicht widersprechen,
wenn auch die ehemaligen und nunmehr entlas- Präsident Dr. Köhler: Darf ich mal um eines
senen Insassen der Sowjetzonen-KZs, die in der
Bundesrepublik wohnhaft sind, in die Vergün- bitten, Herr Löfflad: Wir wollen gegenseitig nicht
an unserer Ehrlichkeit zweifeln!
stigung dieses Heimkehrergesetzes einbezogen
werden. (Unruhe bei der CSU.)
Wir werden also heute für das Entlassungsgeld
in Höhe von 150 DM und für die Überbrückungs- Löfflad (WAV): Jawohl, daran möchte ich nicht
hilfe, wie sie gestern in dem ursprünglichen Ent- zweifeln, Herr Präsident, aber ich glaube, wenn
wurf geregelt war, stimmen, schon um zu ver- der Herr Kollege Strauß vorgebracht hat, daß es
meiden, daß bei einer engherzigen Auslegung nur die Einspruchsgefahr von seiten des Bundes-
der Bedürftigkeitsfrage und bei eventuell nicht rats gewesen sei, die ihn dazu bewogen hätte,
nachweisbaren Papieren und Zeugen gerade der diesen notwendigen Abänderungsantrag zu stel-
Teil der Heimkehrer benachteiligt wird, der in len, so hat dieselbe Einspruchsgefahr auch schon
erstLindGußerHlfkomn gestern bestanden! Das sind gar keine Argu-
soll, nämlich die heimatvertriebenen Heimkeh- mente. Wir halten auf alle Fälle daran fest, daß
rer, die ja vor allen Dingen die volle Hilfe von es dabei bleibt, was wir gestern schon beschlos-
250 DM möglichst in bar in Empfang nehmen sen haben.
sollen. (Beifall bei der WAV.)
(Lebhafter Beifall bei der FDP und DP.)
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Renner.
Abgeordnete Löfflad.
(Unruhe. — Abg. Renner: Nach welcher
Reihenfolge?) Renner (KPD): In mir stieg anläßlich dieses
Erlebnisses der letzten halben Stunde ein Wunsch
Löfflad (WAV): Herr Präsident! Meine Damen auf,
und Herren! Ich glaube, daß gestern alle, die (Abg. Strauß: Sind Sie aber bescheiden!)
es mit den Heimkehrern ehrlich meinen, glück- der Wunsch nämlich, daß man alle technischen
lich waren. als der größte Teil des Hauses den Wundermittel, die die letzten Jahre uns gebracht
150 DM Entlassungsgeld zustimmte. Insbeson- haben, heute hätte in den Dienst der Orientie-
dere waren alle Abgeordneten des Landes Bayern rung und Aufklärung der Kriegsgefangenen
glücklich und froh, daß sich die bayerische CSU draußen im Lande stellen müssen.
gestern einmal christlich und sozial gezeigt hat.
(Abg. Strauß: Ausgerechnet Sie! — Abg.
(Unruhe bei der CSU. — Oho-Rufe.) - Rische: Das hat gesessen!)
Allerdings waren wir uns nicht im klaren, ob es, Es wäre eine gute Lehrstunde für die Kriegs-
als wir die Drucksache Nr. 869 heute in die Hand gefangenen gewesen, wenn sie diesen Skandal,
bekamen. dieselbe bayerische CSU und derselbe der sich gestern und heute hier abgespielt hat,
Kollege Strauß sind, die selber in einem Antrag die hätten erleben können.
150 DM gefordert haben und nun heute plötzlich
einen Abänderungsantrag vorlegen. Dieselben Ar- (Zuruf von der CSU: Die würden Sie vom
gumente hätten auch gestern schon vorgebracht Stuhl runterholen!)
werden können. Es läßt in uns die Vermutung — Herr Strauß, wenn Sie das Generationspro-
aufkommen, daß doch der Herr Minister Schäffer blem darin erblicken, daß Sie lauter schreien
einen gewissen Druck der bayerischen CSU ge- können als ich, irren Sie sich in dem Punkt
genüber ausgeübt hat. ebenfalls.
(Unruhe. - Zuruf von der CSU: Herr (Heiterkeit. — Abg. Strauß: Wir kennen
Löfflad, es geht hier um Heimkehrer und Sie sehr genau!)
nicht um Parteigespräche!) Gestern fiel hier das Wort, daß dieses Gesetz die
2168 Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Renner)
Abgeltung einer Ehrenschuld .des deutschen Vol- bewilligt worden. Als Beweis für das Vorliegen
kes an die Kriegsgefangenen sei. von Hintergründen hat uns ein CDU-Mann er-
(Abg. Hilbert: Wegen der Verbrechen klärt, das könnten die Bayern gut tun, weil sie
der Sowjetunion!) billig an die Brocken gelangt sind, die sie in
Wir haben behauptet, daß Sie die Kriegsge- Gestalt von Übergangsbeihilfen gegeben haben.
Heute erleben wir folgendes: Die CDU/CSU
fangenen reicht uns hier unter .dem Einfluß desselben Fi-
(Abg. Strauß: Die ihr noch in Rußland nanzministers einen Antrag ein, der für die Be-
habt!) messung der Übergangshilfe vollkommen offene
in der Hauptsache benutzt haben, um mit ihnen Türen läßt. „Bis zu", das kann heißen 30 DM
ein übles politisches Geschäft zu machen. und kann heißen 250 DM. Das „bis zu" ist Er-
(Abg. Strauß: Es handelt sich um die von messenssache der Behörden. Ich streite mich nicht
Ihren Freunden zurückgehaltenen mit Ihnen über den Charakter der Beamten, die
Menschen!) dort sitzen, das ist vollkommen nebensächlich.
Wir haben Ihnen nachgesagt, daß Sie sie zum Die unten diese Überprüfung machen, stehen
Objekt Ihrer Politik machen. nämlich unter dem Befehl der hohen Beamten,
und die sind bei uns Reaktionäre. Ich will mich
(Abg. Strauß: Wer macht sie zum Objekt? aber in keine Diskussion darüber einlassen, ob
- Weiterer Zuruf von der CDU: Wer die kleinen Beamten mehr oder weniger große
macht sie denn zu Arbeitssklaven? Das Reaktionäre sind; aber ich weiß, nach welchen
sind Ihre Freunde!) Gesichtspunkten regiert wird. Die Linie wird
Es ist hier gesagt worden, es handele sich um von oben angegeben, von der Spitze der Reak-
Kriegsgefangene, um Menschen. Es handelt sich tion. Also um den Punkt „bis zu" geht der
nicht um die Kriegsgefangenen. ganze Streit. Die Fraktion, die heute die Um-
(Andauernde Zurufe des Abg. Strauß und wandlung der Formulierung von „in der Höhe
anderer Abgeordneten der CDU/CSU.) von" in „bis zu" will, will einfach keine Über-
— Herr Strauß, ich kann noch lauter schreien gangsbeihilfe in ausreichendem Maße geben. So
als Sie. Geben Sie sich keine Mühe! — Heute liegen die Dinge.
fiel die Behauptung, es handele sich um die Eine kleine Korrektur. Mir ist nicht bekannt,
Kriegsgefangenen; es handelt sich nicht um die daß die Sozialdemokratie im Ausschuß für unse-
Kriegsgefangenen. Es handelt sich für' Sie um ren Antrag gestimmt hätte, der darauf hinaus-
ein Objekt in Höhe von 4 Millionen DM. Darum ging, die Übergangsbeihilfe auch ohne Überprü-
geht es. lung der Bedürftigkeit zu geben. Das finden Sie
(Abg. Strauß: Um ein Objekt für Straf in keinem Protokoll, nirgends gibt es einen Be-
lager!) weis in dieser Richtung. Aber da ist doch in
diesem Gesetz etwas, woran man erinnern soll.
Es handelt sich um ein Objekt von 4 Millionen Jetzt ist in bezug auf die Höhe des Entlassungs-
DM. Das hat der zuständige Herr Minister aus- geldes Ihrer Verwaltungswillkür vollkommen
gerechnet. Was ist los? Als sich gestern her- Tür und Tor geöffnet. Dann kommt noch die
ausstellte, daß durch die so christlich eingestellte Frage der Bedürftigkeit hinzu, die Sie nach den
CDU/CSU sich dieser Bayernspalt zog, in der Armenpflege allgemein gültigen Begriffen
(Abg. Strauß: Geben Sie Obacht!) auslegen werden.
hat uns einer der absolut treuen Adenauer- Ich komme zum Schluß. Hier hat man erst
CDU-Leute das hier folgendermaßen erklärt. etwas, getan, als es darum ging, für den küm-
Stenogramm! — Ich habe ein gutes Gedächt- merlichen Rest der noch zu erwartenden Kriegs-
nis. — Er sagte — das ist gut zu erklären —, gefangenen etwas Positives zu tun — —
daß die Bayern für ein Entlassungsgeld von 150 (Abg. Strauß: Das ist nicht ein kümmer
DM sind; sie haben nämlich die Bekleidungs- licher Rest, das sind sehr viele!)
stücke, die mit der Übergangshilfe im Falle der
Bedürftigkeit gegeben wurden, in einem derartig — Sie sind mit Ihrer Hilfe erst gekommen, als
riesigen Ausmaß angekauft, daß sie da sehr billig 99 % der Gefangenen bereits zurück waren. Bis
abgekommen sind. Das war der Herr Arndgen, her haben Sie sich nicht gerührt. Seit September
der .das erklärte; heute ist er nicht da. Also die sind wir hier in Funktion, jetzt kommen Sie mit
Sache scheint nach Ihrer eigenen Auffassung, dem Gesetz heraus. Sie haben gewartet, bis
nach der Auffassung in Ihrer Fraktion so zu sein, keine Kriegsgefangenen mehr kommen!
daß die Bayern diese Übergangshilfe sehr billig (Abg. Strauß: Schicken Sie sie heim! Wir
gestalten konnten, weil sie vermutlich da irgend- zahlen gern!)
-
wo billig STEG-Waren — Lumpen — beschaffen
— Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie gerne
konnten. So liegen die Dinge. zahlen, sonst hätten Sie nicht diesen Antrag ge-
(Abg. Strauß: Als ehemaliger Minister stellt.
müßten Sie ein bißchen mehr Intelligenz (Abg. Strauß: Und ich habe nicht den Ein
haben!) druck, daß Sie sie gern heimschicken!)
— Überlassen Sie die Beurteilung meiner Intelli-
genz anderen Leuten aus Ihrer Fraktion, die etwas Mit dem Maul zahlen Sie gern, mit dem Maul
objektiver als Sie darüber denken. Fangen Sie leisten Sie gern, mit dem Maul helfen Sie gern,
mit mir keinen Streit an, Sie sind bloß dabei der aber wenn es aufs Geld ankommt, sind Sie
Dumme, den Eindruck habe ich. nicht da!
(Abg. Strauß: Ist das der Wechsel auf
die Zukunft?) Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, das
Bleiben wir bei den realen Tatsachen. Gestern Wort „Maul" ist so unparlamentarisch; das ent-
ist ein Entlassungsgeld in Höhe von 150 DM spricht nicht der Qualität Ihrer Persönlichkeit.
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2169

Renner (KPD): Schön! Ich korrigiere mich hier: wir bei allem, was wir tun, nie an den Antrag
„mit dem Munde"! Ich habe das Gesicht des allein denken dürfen, um den es sich handelt,
Zwischenrufers angesehen und bin deshalb zu sondern an die Auswirkung des Antrags auf die
dem etwas deplazierten Wort gekommen. Ent- Gesamtheit und in Zusammenhang mit der ge-
schuldigen Sie! samten Not, gegen die wir in Deutschland zu
(Große Heiterkeit. - Unruhe.) kämpfen haben. Jeder Abgeordnete des Deut-
Ich komme zum Schluß. Das, was wir über schen Bundestags trägt eine Verantwortung nicht
die Hintergründe dieses Gesetzes in der Periode nur gegenüber der Gruppe, um die es sich je-
seiner Beratung gesagt haben, das haben Sie weils handelt; er trägt eine Verantwortung ge-
heute bewiesen. Ihnen kommt es nicht auf Hilfe genüber der Gesamtheit und vor allem gegen-
an, sondern Ihnen kommt es darauf an, diese über allen Steuerzahlern. Er hat infolgedessen
Kriegsgefangenen noch weiter als Instrument auch die Verantwortung, die finanziellen Aus-
Ihrer Kriegs- und Völkerhetze benutzen zu wirkungen nicht nur für die Gruppe, über die
man im einzelnen redet, sondern auch für die
können.
(Andauernde Unruhe.) anderen Gruppen abzuschätzen, die ebenfalls
hilfebedürftig sind. Wenn die Bundesregierung
Darum Ihre ganze Aufregung. Geht es ums in allen Fällen damit rechnen müßte, daß ihre
Geld, dann werden die Herren auch wach. Soll Vorschläge, auch wenn sie ihrer Berechnung nach
die Geschichte etwas kosten, dann kommt ihre an die Grenze des haushaltsmäßig Möglichen
reaktionäre Bürgerseele in Wallung, dann machen gegangen ist, im Bundestag überboten werden,
sie Szenen um das Wörtchen „bis zu". dann wäre es ihr ja praktisch unmöglich, ihre
(Beifall bei der KPD.) Vorschläge immer im Rahmen des Möglichen zu
bemessen. Ich glaube aber, niemand im Hause
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr wünscht, daß die Bundesregierung von vornherein
Bundesfinanzminister. nicht in all diesen Fragen dem Bundestag, den
gesetzgeberischen Körperschaften die im Rahmen
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Meine des Ganzen äußerst mögliche Leistung vor-
Damen und Herren! Es ist mir leider Gottes nicht schlägt. Von diesem Gesichtspunkt aus bedauere
möglich, diese interessante Debatte bis zum ich es, daß die Fassung des Gesetzentwurfs, wie
Schluß zu verfolgen, da ich unbedingt in den sie im Ausschuß zustande gekommen ist, nunmehr
Bundesrat muß. Ich möchte deswegen bitten, mir Abänderungen unterworfen w orden ist, deren
vorzeitig das Wort und damit die Erlaubnis zu Auswirkungen sich — zwar nicht bei diesem Ge-
geben, etwas zu den Anträgen zu erklären. setz, sondern bei anderen Gesetzen — vielleicht
Das Bundesfinanzministerium ist unschuldig an nicht übersehen lassen.
dem Abänderungsantrag Nr. 1. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Zurufe links: Na, na!)
— Gewiß! — Es ist ebenso unschuldig an dem Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Abänderungsantrag Nr. 2. Abgeordnete Gengler.
Ich möchte zu dem Abänderungsantrag Nr. 2
aber folgendes sagen. Dieser will, wenn ich die
Absicht richtig verstehe, den § 3 in der Fassung Gengler (CDU): Meine Damen und Herren! Zu-
des Regierungsentwurfes wiederherstellen. Wer nächst muß ich meinem großen Erstaunen über
also diesem Abänderungsantrag böse Absichten die Art und Weise Ausdruck geben, wie sich diese
unterschiebt, glaubt wohl, daß die Regierung Debatte entwickelt hat.
schon bei der Fassung des § 3 ihres Entwurfs
(Sehr richtig! rechts.)
böse Absichten gehabt hätte. Das muß ich ab-
lehnen. Ich darf bitten, den § 3 im Zusammen- Sachlich genommen bestand dafür und insbeson-
hang zu lesen. Hier heißt es: dere für die leidenschaftlichen Polemiken gar
. . . erhalten als Übergangsbeihilfe erforder keine Veranlassung.
liche Bekleidung oder Gebrauchsgegenstände (Sehr richtig! in der Mitte.)
im Werte von bis zu 250 Deutschen Mark.
Ich darf feststellen: das gestern beschlossene
Meine Damen und Herren! Wenn ich Gebrauchs- Entlassungsgeld von 150 Mark nach § 2 war heute
gegenstände oder Bekleidung hergebe, so ist es in keiner Weise umstritten.
nicht möglich, in allen Fällen genau den Wert
von 250 Mark zu geben. Ich hätte auch erklären (Sehr richtig! in der Mitte.)
können: 'im ungefähren Wert von 250 Mark. Die Darüber nochmals die Debatte aufzunehmen und
Gegenstände können einen Wert von 240 - oder eine Polemik zu entfachen, bestand wirklich nicht
meinetwegen von 235 oder 245 Mark haben. Hier die geringste Veranlassung. Bei dem Antrag auf
ist gesagt worden: es soll ein Wert mit einer Drucksache Nr. 869 betreffend § 3 Abs. 1 han-
Höchstgrenze von 250 Mark, aber um diese delt es sich um eine Fassung, die bezüglich der
Summe herum, angenommen werden. Das war Prüfung der Bedürftigkeit sonst allgemein üblich
der Leitgedanke, wie er dem Regierungsentwurf ist. Die gestern ohne Berücksichtigung der Än-
zu Grunde gelegen hat. Also ich glaube, daß viel derungen des § 2 in § 3 angenommene Fassung
Gerede um eine an sich recht unbedeutende An- unterstellt von vornherein eine hundertprozen-
gelegenheit gemacht worden ist. tige Bejahung der Bedürftigkeit oder auch nicht.
In der Sache selbst geht es aber auch nicht so Wir haben darin eine Erschwerung in der prak-
sehr um die Frage: 50 Mark mehr oder 50 Mark tischen Handhabung gesehen. Wie der Herr Bun-
weniger; es geht schon um eine grundsätzliche desfinanzminister eben ausgeführt hat, können ja
Frage. Die Ausschüsse des Bundestags haben sich die Leistungen recht verschiedenartig gewertet
auf die alte Fassung in Auseinandersetzungen ge- werden. Das ist der wahre, Sinn dieses Antrags
einigt, denen ein Gedanke zugrunde lag: daß gewesen. Nachdem aber im Verlauf dieser lei-
2170 Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Gengler)
denschaftlichen Debatte dem Antrag eine nicht Sie, was das Temperament betrifft, mit Ihnen
gewollte politische Auslegung gegeben wurde, noch die Konkurrenz aufnehmen kann.
(Abg. Renner: Aha!) (Heiterkeit bei der SPD.)
ziehen wir den Antrag Also da wollen wir doch die Frage — —
(Abg. Renner: Aha!) (Abg. Strauß: Ich habe von Ihnen dabei
auf Drucksache Nr. 869 zurück. gar nicht gesprochen!)
(Aha-Rufe bei der BP. — Lachen bei — Gut, ich bin bereit, es zu akzeptieren. Aber
der KPD.) geben wir uns doch ganz allgemein zu, daß es
Mit dem Herrn Kollegen Renner darüber in eine sich hier tatsächlich nicht um die vier Millionen
Diskussion einzutreten, halte ich wirklich für völlig handeln sollte, die das mehr kostet, was gestern
verfehlt. hier im Plenum besprochen worden ist, sondern
(Lebhafter Beifall bei der CDU. — Abg. daß es sich um das Schicksal von Menschen
Renner: Die Zurückziehung bedarf gar handelt, die wahrhaftig vom Schicksal schwer
keiner Begründung!) genug getroffen worden sind.
(Sehr richtig! bei der SPD.)
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! Und manchmal hat die Debatte hier den Ein-
Als letzter hat Herr Abgeordneter Schoettle das druck erwecken können, als ob diese Menschen
Wort. völlig in den Hintergrund getreten wären. Wir
(Abg. Renner: Sie haben ganz übersehen, brauchen hier nicht im einzelnen zu erörtern,
daß Sie bald wählen müssen! Deshalb warum und unter welchen Umständen und mit
ziehen Sie zurück!) welchen Absichten die oder jene Anträge ge-
— Bedaure, Herr Abgeordneter Renner, Herr stellt und Regelungen angestrebt worden sind.
Abgeordneter Schoettle hat das Wort, nicht Sie! Wir sollten an die Menschen denken; und da
sage ich im Hinblick auf das Argument, daß der
Bundesrat ja eventuell sein Veto einlegen
Schoettle (SPD): Herr Präsident! Meine Damen könnte: Meine Damen und Herren, der Bundes-
und Herren! Ich stimme mit dem Kollegen tag erfüllt hier eine Verpflichtung gegenüber
Gengler überein, wenn er feststellt, daß die Zu- einer Menschengruppe, die verdient, daß man
spitzung dieser Debatte überflüssig gewesen sei. sich um sie kümmert, und zwar aus politischen
Ich nehme aber an, daß er seine Mahnung eben und aus menschlichen Gründen. Wenn der
sosehr an seine eigenen Freunde gerichtet hat Bundesrat es dann nach einem einhelligen Be-
wie an diejenigen anderen. die sich an der Zu- schluß dieses Hauses riskiert, ein Veto in dieser
spitzung der Debatte beteiligt haben. Ich glaube, Frage einzulegen, dann soll er dafür die poli-
die sozialdemokratische Fraktion kann sich in tische und moralische Verantwortung über-
diesem Falle von der Schuld freisprechen. Ich nehmen.
hätte auch hier zum Schluß nicht das Wort er- (Sehr richtig! bei der SPD.)
griffen, wenn sich nicht der Herr Kollege Strauß Ich glaube, das sollten wir dem Bundesrat nicht
zu Beginn der Debatte zu einer Polemik gegen ersparen. Und schließlich gibt es auch in diesem
den Berichterstatter des Haushaltsausschusses
Hause Kräfte, die mit den Herren vom Bundes-
hätte verleiten lassen. Das ist im allgemeinen rat deutlich reden können, bevor er zu einer
nicht üblich. Ich habe hier berichtet, was ich im Entscheidung kommt. Da sollten wir nicht allzu
Namen des Haushaltsausschusses zu berichten sehr auf die parteipolitische Zusammensetzung
hatte. des Bundesrats abheben. Wenn es wahr ist, daß
Daß es sich um eine politisch gewordene Frage der Beschluß des Bundesrats gegen die Stimme
handelt, Herr Kollege Strauß, hat die Debatte von Bayern zustande gekommen ist, Herr
hier zur Genüge bewiesen. Ich spreche jetzt nicht Kollege Strauß, dann sind Ihre Freunde genau
als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, son- so schuldig wie die Herren, die mir nahestehen;
dern im Namen meiner Fraktion, und da möchte nicht wahr? Alo, da sitzen wir beide im Glas-
ich Ihnen, Herr Kollege Strauß, folgendes sagen: haus. Und wenn man es genau überlegt, dann
Politisch ist die Frage deshalb geworden, weil sind es schließlich ja die Länderinteressen ge-
ein Teil derjenigen, die für den Beschluß des wesen, die ein entscheidendes Wort mitge-
Ausschusses, für die Ausschußfassung die Ver- sprochen haben. Es ist uns ja nicht unbekannt,
antwortung mit trugen, hier im Plenum ausge- daß die Länderinteressen gelegentlich mit den
brochen ist, nämlich Sie und Ihre Freunde. allgemeinen politischen Gesichtspunkten quer
(Sehr richtig! bei der FDP.) laufen.
- (Zuruf rechts: Fast immer!)
Es ist doch ein merkwürdiges Verfahren, wenn
in einem Ausschuß eine Vereinbarung erzielt Das haben wir oft erlebt, und das müssen wir
wird und wenn dann der dritte Vorsitzende der einmal austragen.
CDU-Fraktion mit seinen bayerischen Freunden Deshalb glaube ich, daß es sich hier tatsächlich
plötzlich einen Antrag einbringt, der diese Ver- darum handelt, daß der Bundestag zu einem
einbarung durchbricht. Dadurch ist es nicht möglichst einhelligen Beschluß kommt, der darin
eine politische, aber eine koalitionspolitische besteht, die Beschlüsse der zweiten Lesung von
Frage geworden. Das sollten Sie doch gestern aufrechtzuerhalten, und zwar in vollem
akzeptieren, Herr Kollege Strauß! Umfange. Das ist ja auch leicht, nachdem die
(Zurufe rechts.) CDU ihren Antrag zurückgezogen hat, den § 3
Und was die Generationen-Probleme betrifft, zu ändern.
mein lieber Herr Kollege Strauß, da kennen wir Auf alle Fälle aber, meine Damen und
uns ja seit Frankfurt zu gut, um nicht zu wissen, Herren, bleibt das eine Betrübliche, und das
daß ich, obwohl ich einige Jahre älter bin als sollte eine Lehre für die Zukunft sein: Wenn
Deutscher Bundestag - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2171
(Schoettle)
man schon Vereinbarungen getroffen hat — Nicht wahr, die Zahl der bayerischen Abge-
seien sie nun paraphiert oder seien sie im Wege ordneten hier ist ja in diesem Hause Legion!
von Beschlüssen eines Ausschusses erreicht Die FDP hat auch bayerische Abgeordnete, und
worden —, dann sollte es nicht möglich sein, ich habe den Vorzug, dazu zu gehören. Nicht
daß hinterher — und da spreche ich jetzt ganz jedes Land — ich erwähne z. B. das Land
deutlich — aus Konkurrenzüberlegungen einer Bremen - verfügt nun über eine eigene Kampf-
regionalen Gruppierung alles über den Haufen gruppe in diesem Haus. Ich weiß nicht, ob wir
geworfen wird. weiterkommen, wenn sich dem Elan dieser
(Beifall bei der SPD und in der Mitte.) Kampfgruppe andere Teile des Hauses aus
regionalen Gründen anschließen. Ich glaube, ich
Präsident Dr. Köhler: Wird , das Wort noch ge- darf das sogar als Angehöriger der Koalitions-
wünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen parteien sagen. Wir sollten da eine andere
hat das Wort. Taktik einschlagen, unbeschadet dessen, daß
wir in jedem einzelnen Fall prüfen müssen, wo
nun das Maximum und Optimum für die
Dr. Wellhausen (FDP): Herr Präsident! Meine Gleichschaltung der einzelnen Landesgesetze
Damen und Herren! Als ich gestern namens liegt. Hier liegt es bei 150 DM, aber nicht des-
meiner Freunde anregte, die dritte Lesung zu wegen, weil Bayern diese Lösung hat, sondern
vertagen, konnte ich nicht annehmen, daß die weil das dem Schicksal und dem Los der Heim-
Sorgfalt, die Sachlichkeit, die Einheitlichkeit kehrer angemessen ist.
unserer eigenen Kollegen im Ausschuß so wenig (Beifall bei der FDP.)
ansteckend auf dieses Hohe Haus wirken würde.
(Zurufe: Na, na, na!) Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort weiter ge-
Ich glaube, man kann es nur sehr bedauern, wünscht? - Meine Damen und Herren, ich darf
wie heute in dieser Angelegenheit vorgegangen feststellen, daß dies nicht der Fall ist. Ich schließe
ist. Wenn ich das ausspreche, dann muß man damit die Aussprache der dritten Beratung.
dies nach verschiedenen Seiten hin sagen, nicht Bei der Abstimmung ist die Drucksache Nr. 858
nur wie öfter nach der Seite des Herrn Renner. zu berücksichtigen, in der die Beschlüsse der zwei-
Wenn wir hier in nute, in einer Nußschale ten Beratung niedergelegt sind. Das heißt: wir
demonstrieren wollten, wie man es nicht machen stimmen nach der Fassung der Beschlüsse der zwei-
soll, dann haben wir es heute wieder ganz aus- ten Beratung ab. Wer für die §§ 1 bis 28 sowie
gezeichnet gemacht. Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs ist,
(Sehr richtig! in der Mitte und bei der den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Ich
FDP. — Abg. Ritzel: Das ist die neue bitte um die Gegenprobe. — Einstimmig ange-
Vogel-„Strauß"-Politik! — Große Heiter nommen.
keit links. — Gegenruf des Abg. Vogel: (Zuruf: Na also!)
Ich bin nicht daran beteiligt! — Er Wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung.
neute Heiterkeit.) Wer für dieses Gesetz nach den Beschlüssen dritter
Meine Damen und Herren, zu der Sache selbst Beratung im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu
hat der Herr Kollege Mende den Standpunkt erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. —
meiner Fraktion bereits ausführlich dargelegt, Einstimmig angenommen.
und ich bin derselben Meinung. Ich weiß, und Wir haben dann noch über die Entschließungen
ich rufe es in Ihre Erinnerung zurück, daß abzustimmen, die auf der Drucksache Nr. 831
meine Freunde zuerst die 150 DM vorgeschlagen unter Ziffer 2 a und b enthalten sind. Ich nehme
haben, sich dann aber der einhelligen Meinung das Einverständnis des Hauses an, daß ich
des Ausschusses auf 100 DM angeschlossen darüber nicht getrennt abstimmen zu lassen
haben. brauche. Wer also für die unter Ziffer 2 a und b
Darf ich mit ein oder zwei Sätzen das ver- der in der Drucksache Nr. 831 auf Seite 1 auf-
tiefen, was der Herr Bundesfinanzminister ge- geführten Entschließungen ist, den bitte ich, die
sagt hat: In Wirklichkeit liegen die Dinge doch Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte um die
so, daß wir in diesem Heimkehrergesetz u. a. Gegenprobe. - Mit eindeutiger Mehrheit be-
das vereinheitlichen wollen, was durch die Ge- schlossen.
setzgebung von 1945 bis 1949 in Deutschland Ich darf hiernach feststellen, daß nunmehr das
oder in den einzelnen Ländern der Bundes- Gesetz für die Heimkehrer in .dritter Lesung end-
republik auseinandergelaufen ist. Und das ist gültig verabschiedet ist.
ja keineswegs der einzige Fall! Wir werden uns Meine Damen und Herren! Wir kommen zu
noch sehr oft mit solchen Fällen zu beschäftigen
- Punkt 3 der Tagesordnung:
haben, und ich glaube, Sie sind mit mir einig,
daß man dann nicht immer ohne weiteres eine Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs
Regelung dahin treffen kann, daß man dem eines Gesetzes zur Beseitigung von Kriegsvor-
Lande folgt, das die materiell günstigste oder schriften über die Siegelung gerichtlicher und
höchste Lösung für die Gruppe, um die es sich notarischer Urkunden (Drucksachen Nr. 838
handelt, getroffen hat; sonst wäre der Bundes- und 506).
tag ja mehr eine Maschine der Angleichung an Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Be-
die Bestlösung. Wir wollen uns vielmehr, wie richterstattung fünf Minuten Redezeit festzu-
wir dies im Ausschuß auch getan haben, ernst legen und dann die Abstimmung ohne Beratung
und verantwortungsbewußt darüber klar wer- vorzunehmen. Ich darf das Einverständnis des
den, wo die richtige Mitte liegt, und ent- Hauses, von dem ich feststellen muß, daß es wie-
sprechende Entschlüsse fassen. In diesem Fall der in lebhafte Bewegung in Richtung Ausgang
nunmehr sind wir sachlich alle der Meinung, geraten ist,
daß diese Mitte bei 150 DM liegt. (Heiterkeit)
2172 Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Präsident Dr. Köhler)
annehmen und erteile dem Herrn Abgeordneten und Genossen betreffend Wiederaufbau
Dr. Greve als Berichterstatter das Wort. der deutschen Landwirtschaft (Druck-
(Unruhe.) sachen Nr. 808 und 428).
- Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas Für die zeittechnische Behandlung der Sache
mehr Ruhe! schlägt Ihnen der Ältestenrat vor: 15 Minuten
für die Berichterstattung, 60 Minuten für die
Dr. Greve (SPD), Berichterstatter: Meine Damen Aussprache. Nach den vorliegenden Äußerungen
und Herren! Der Ihnen vorliegende Entwurf wird die Aussprache wohl nur von einer Seite
eines Gesetzes zur Beseitigung von Kriegsvor- geführt werden.
schriften über die Siegelung gerichtlicher und Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr.
notarischer Urkunden sieht die Beseitigung der
Mühlenfeld als Berichterstatter das Wort.
§§ 1 und 2 der Verordnung über die Siegelung
gerichtlicher und notarischer Urkunden vom Dr. Mühlenfeld (DP), Berichterstatter: Herr
10. Mai 1944 vor. Der materielle Inhalt ist Präsident! Meine Damen und Herren! Dem
folgender. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Durch zeitbedingte Verhältnisse sind in den Forsten ist mit dem Antrag Drucksache Nr. 428
vonmirebztPagphnder- ein Fragenkomplex zur Beratung überwiesen
nannten Verordnung Erleichterungen bei der worden, der einen der neuralgischsten der ganzen
Siegelung von gerichtlichen und notarischen Ur- Agrarpolitik und auch der gesamten Wirtschafts-
kunden geschaffen worden, z. B. durch Ver- politik des Bundes darstellt. Bei seinen drei-
wendung von Farbdruckstempeln anstelle von tägigen Beratungen hat der Ausschuß für Er-
Prägesiegeln. Auch andere ähnliche Änderungen nährung, Landwirtschaft und Forsten nicht einen
wurden damals getroffen. Die zeitbedingten Augenblick, die berechtigten Interessen der Ver-
Verhältnisse, aus denen sich diese Änderungen braucher, der Erzeuger und auch der gesamten
ergaben, sind beseitigt. deutschen Wirtschaft außer acht gelassen und
Die Vorlage der Regierung hat die ein- ihre gerechte Abwägung mit allem Ernst in den
stimmige Billigung des Ausschusses für Rechts- Vordergrund gestellt.
wesen und Verfassungsrecht gefunden. Die Ich möchte vorwegschicken, daß der Fragen
Ihnen vorliegende Drucksache Nr. 838 sieht eine komplex, der mit der Ratifizierung der Handels-
Änderung gegenüber der Regierungsvorlage nur in- verträge in Zusammenhang steht, herausgenom-
soweit vor, als die beiden Paragraphen der men und einer gesonderten Behandlung zunächst
genannten Verordnung mit Ablauf des 30. Sep- im Rechtsausschuß und anschließend im Aus-
tember 1950 außer Kraft treten sollen. Diese schuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Fassung des Ausschusses hat die Billigung des unterzogen wurde. Beide Ausschüsse und mit
Herrn Bundesjustizministers gefunden. Der Aus- ihnen gleichzeitig die Regierung haben sich für
schuß schlägt Ihnen die Annahme des Ge- die Ratifizierung von Handelsverträgen durch
setzes in der Fassung des Ausschußantrages dieses Hohe Haus ausgesprochen, so daß eine
vor. weitere Erörterung dieses Gegenstandes über-
Präsident Dr. Köhler: Ich danke dem Herrn flüssig erscheint.
Berichterstatter für seine Ausführungen. Bei allen Mitgliedern des Ernährungsaus-
Wir schreiten zur Abstimmung über den Ge- schusses war übereinstimmend die Meinung fest-
zustellen, daß sich die Landwirtschaft in einer
setzentwurf nach Drucksache Nr. 838. Wer für Krise befindet, daß diese Krise im Begriff
den einzigen Paragraphen, die Einleitung und
die Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu ist, größere Kreise zu ziehen, und daß sie sich
erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegen- überaus schädlich für die gesamte deutsche
probe. — Fast einstimmig angenommen. Damit Wirtschaft auswirken kann. Um Ihnen über Art
und Umfang der Krise ein Bild zu geben, möchte
ist die zweite Beratung über das Gesetz auf
Drucksache Nr. 838 geschlossen. ich mich auf die Erwähnung einiger wichtiger
Symptome beschränken.
Ich eröffne die Aussprache der
Der Index der Agrarerzeugnisse liegt bei
dritten Beratung. weitem unter dem der Bedarfsgüter der Land-
— Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe wirtschaft aus dem gewerblichen Sektor, so daß,
die Aussprache. Wer für den einzigen Para- wie Ihnen allen bekannt ist, die Preisschere zu-
graphen, die Einleitung und die Überschrift ist, ungunsten der Landwirtschaft geöffnet ist. Das
den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! wirkt sich i n. dem für alle, die sich mit der
Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen. Materie befassen, sichtbaren Symptom eines
- Rückgangs beispielsweise des Kunstdüngerab-
Wer für die Annahme des Gesetzentwurfes satzes aus. Um Ihnen die Bedeutung klarzu-
nach dem Ausschußantrag auf Drucksache Nr. machen, erlaube ich mir, hier einige Zahlen ein-
838 im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu ander gegenüberzustellen. Der Kunstdüngerab-
erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegen- satz per 31. 1. 1950 ist gegenüber dem vom
probe. — Das Gesetz ist einstimmig angenom- 31. 1. 1949 bei Stickstoffabrikaten um zirka
men. Damit, meine Damen und Herren, haben 20 %, bei phosphorsäurehaltigen Kunstdünge-
wir den Gesetzentwurf gemäß Antrag Druck- mitteln um zirka 18 % und bei Kalk um nicht
sache Nr. 838 in dritter Lesung verabschiedet. weniger als 45 % zurückgegangen. Wenn sich
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auch in der letzten Zeit der Kunstdüngerabsatz
auf: und damit die Verwendung von Kunstdünger
Beratung des Mündlichen Berichts des in der Erzeugung gebessert hat, so erreichen doch
Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft diese Zahlen bei weitem nicht die Planzahlen.
und Forsten über den Antrag der Abge- Mir erscheint es wichtig, im Rahmen meiner Be-
ordneten Dr. Horlacher, Bauereisen, Strauß richterstattung auf folgendes hinzuweisen. Durch
Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 27. April 1950 2173
(Dr. Mühlenfeld)
seine wissenschaftlichen Ermittlungen hat ins- Nicht zuletzt sind die Gefahren auch der soge-
besondere Herr Professor Baade festgestellt, daß nannten Liberalisierung besonders eingehend er-
diese Planzahlen in Anbetracht der Forderungen, örtert worden, worauf ich gleich zurückkommen
die die deutsche Wirtschaft und Ernährungswirt- werde. Der Ausschuß ist sich seit langem darüber
schaft an die Landwirtschaft zu stellen haben, im klaren und legt Wert darauf, daß die Öffent-
bei weitem nicht ausreichen. Dadurch ist also die lichkeit davon Kenntnis nimmt, welche Bedeutung
Gefahr einer Produktionsminderung gegeben. der deutschen Landwirtschaft für die gesamte
Auffallend hierbei ist, daß der Rückgang in der deutsche Wirtschaft überhaupt zukommt. Um dies
Verwendung von Dünger, rein summenmäßig zu demonstrieren, beschränke ich mich darauf,
gesehen, mit den Summen korrespondiert, die Ihnen nur drei Zahlen zu nennen. Erstens: der
die Landwirtschaft an Soforthilfeabgaben auf- landwirtschaftliche Erzeugungswert beträgt jähr-
zubringen hat. lich 18 Milliarden DM. Zweitens: die unmittel-
Ferner ist die steuerliche und soziale Be- baren Aufwendungen der westdeutschen Land-
lastung der Landwirtschaft einer Untersuchung wirtschaft für Löhne , und Bestellungen bei der
unterzogen worden, vor allen Dingen in Be- Industrie und bei dem Gewerbe betragen pro
ziehung auf die gegenüber der Kapitalumlaufs- Jahr 5 1/2 bis 6 Milliarden DM; dazu Aufwendun-
geschwindigkeit in den übrigen Wirtschafts- gen, die nicht so ohne weiteres erfaßbar sind und
zweigen besonders niedrige Kapitalumlaufsge- indirekt dem deutschen Gewerbe und der deut-
schwindigkeiten in der Landwirtschaft. schen Industrie zugute kommen und damit einen
erheblichen Faktor für die Beschaffung von Ar-
Für die Produktionskraft der Landwirtschaft beitsplätzen darstellen. Drittens: Wenn es ge-
hat sich auch die Ungewißheit der Erzeuger über lingt, die Erzeugung der deutschen Landwirt-
Absatz und Preise nachteilig ausgewirkt. Der schaft auch nur um 10 % zu steigern, so bedeutet
mangelhafte Zustand der landwirtschaftlichen das eine Einsparung von nicht weniger als einer
Produktionsmittel, insgesamt gesehen der Zu- Milliarde D-Mark an harten Devisen. Der Aus-
stand der Maschinen, Geräte und Gebäude, ist schuß ist der Überzeugung, daß sich die für di e
eine weitere Ursache der Gefahr der abfallenden ofizelagmndutschWirafpolk
Leistung. Die Kriegsschäden der Landwirtschaft maßgebenden Stellen und die deutsche Öffent-
allein hinsichtlich der Gebäude belaufen sich im lichkeit aus diesen Gründen über die Bedeutung der
gesamten Bundesgebiet auf 1,2 Milliarden DM, deutschen Landwirtschaft für die Existenz des
hinsichtlich von lebendem und totem Inventar deutschen Volkes klar sein sollten.
auf 1,7 Milliarden DM. Das sind erschreckende Damit erscheint dem Ausschuß auch die Be-
Zahlen, die zeigen, wie nachhaltig die Land- rechtigung gegeben zu sein, die Forderung nach
wirtschaft allein in ihrem sachlichen Produktions- der Gleichberechtigung von Industrie und Land-
apparat getroffen ist. Wenn man dem gegenüber- wirtschaft aufzustellen. Hierzu sind eine Reihe
stellt, daß bislang nur 51 Millionen DM — ein von Vorkehrungen zu treffen und Forderungen
Tropfen auf den heißen Stein — aus den ver- zu stellen. Erstens: Die Preise für Hauptnah-
schiedensten Fonds bewilligt worden sind, mit rungsmittel müssen die Gestehungskosten decken.
denen diese Schäden beseitigt und der Nachhole Eine langfristige Rentabilität muß gesichert und
bedarf befriedigt werden sollen, so kann man damit gleichzeitig der Anreiz zur Erzeugungs-
ermessen, welche Gefahren aus dem drohenden steigerung und Intensivierung gegeben sein. Der
Kapitalmangel und dem Nachholebedarf der Agrarausschuß ist der Überzeugung, daß der
Landwirtschaft entstehen. Landwirtschaft politische Preise für ihre Erzeug-
Die Gefährdung der Saatzuchtbetriebe ist nicht nisse nicht zugemutet werden können und daß die
unerörtert geblieben. Der verminderte Saatgut- Subventionierung der deutschen Landwirtschaft
wechsel in der Landwirtschaft ist ein weiteres zugunsten der übrigen deutschen Bevölkerung
Sympton dafür, , daß die Produktion unserer Land- nicht Aufgabe der Agrarpolitik ist, sondern eine
wirtschaft nicht in der Lage ist, die nötigen finan- der vornehmsten Aufgaben der Sozialpolitik.
ziellen Mittel aufzubringen, um auch hier eine Die Produktionskosten müssen gesenkt wer-
stetige Erzeugung zu gewährleisten.
den. Ich darf Ihnen als zwei wichtige Faktoren
Die beschleunigte Zunahme der Verschuldung nur nennen: eine Senkung der Kunstdünger
in der gesamten Landwirtschaft des deutschen preise um ungefähr 25 % und gleichzeitig eine
Bundesgebietes ist ebenfalls gebührend berück- Senkung der Anschaffungspreise für Saatgut.
sichtigt worden und nicht zuletzt die Unterbe- Sonderbelastungen kann die Landwirtschaft nicht
wertung landwirtschaftlicher Arbeit. Die Gleich- ertragen, wenn sie ihren Aufgaben für die Er-
stellung der Landarbeiter hinsichtlich ihres Ein- nährungswirtschaft des deutschen Volkes ge-
kommens mit der Arbeiterschaft der Industrie ist recht werden soll. Frachttarife, Treibstoffpreise,
-
ein Erfordernis, dessen Erfüllung und Befriedi- die Leistungen für die Sozialversicherung be-
gung der Ausschuß als vordringlich angesehen dürfen dringend der Überprüfung, soweit sie
hat. die Landwirtschaft betreffen.
Ich habe auch die Aufgabe, in diesem Zusam- Hinsichtlich der Handelspolitik, die zu be-
menhang darauf hinzuweisen, daß ein weiterer treiben ist, wenn man der Landwirtschaft die
wichtiger Zweig der deutschen Ernährungswirt- ihr gebührende Rolle in der deutschen Wirt-
schaft, nämlich die Fischwirtschaft, sich in einem schaft geben will, ist der Ausschuß, zu der Über-
Zustand befindet, der nicht ohne die nachteiligen zeugung gekommen, daß folgende Faktoren zu
Folgen für die gesamte wirtschaftliche Struktur berücksichtigen sind: Ausschöpfung der handels-
des Küstengebietes gesehen werden kann; hän- politischen Möglichkeiten, als da sind Zölle,
gen doch nicht mehr und nicht weniger als 80- Negativlisten, Mitarbeit der Berufsstände, Im-
bis 82 000 Menschen in unseren deutschen Küsten- portausgleichsgesetz und dergleichen mehr, und
gebieten von dem Schicksal der Fischwirtschaft um die landwirtschaftliche Produktion nicht zu
in allen ihren Zweigen ab. stören, Einfuhr nur des echten Bedarfs und
2174 Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Dr. Mühlenfeld)
zeitliche Rücksichtnahme. Das Ministerium für stürzten Liberalisierung hingewiesen und eben
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten muß falls die besondere Notwendigkeit einer gestei-
sich bemühen, baldmöglichst zu einwandfreien gerten landwirtschaftlichen Produktion und einer
neuen Produktions- und Verbrauchsstatistiken reibungslosen Verwertung ihrer Erzeugnisse dar-
zu kommen. Es sollen keine langfristigen gelegt. Er hat den Regierungen der beteiligten
Handelsverträge abgeschlossen werden. Das Länder empfohlen, bis zur Klärung und Siche-
Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- rung dieser Grundvoraussetzungen die weiter-
schaft und Forsten soll baldmöglichst ein Zoll- gehende Liberalisierung hinauszuschieben.
tarifschema vorlegen. Die Höhe der Zahl der in Drittens: Die teilweise überstürzte Durchfüh-
der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigten rung der Liberalisierung hat bei der Landwirt-
Personen bedarf einer stetigen und sorgfältigen schaft einiger europäischer Länder erhebliche
Beobachtung durch das Ministerium. Die Liberali- Schäden hervorgerufen. Es ist deshalb notwendig,
sierung ist auf den Marshallplanraum zu be- daß die Liberalisierung in Zukunft abwägend und
schränken. Für die agrarpolitischen Schlüssel- vorausschauend weitergeführt wird und daß ins-
produkte soll die staatliche Lenkung im Mittel- besondere eine Ausdehnung über das europäische
punkt stehen. Marshallplangebiet hinaus vorerst unterbleibt.
Der Ausschuß war sich ferner darüber einig, Viertens: Um die Grundlage und die Voraus-
daß die Katastrophenklausel allein, nicht ge- setzung für einen freien Warenaustausch zu
nügt, sondern daß eine vorbauende Planung schaffen, muß in ständiger Zusammenarbeit
notwendig ist. Dazu gehört, gewissermaßen als zwischen allen Marshallplanländern eine Ver-
Ausgangspunkt aller zukünftigen Liberalisierung, ständigung über die Aufnahmefähigkeit und die
vor allen Dingen, daß unter den nationalen Beschickung der europäischen Märkte herbei-
Wirtschaften Westeuropas eine Abstimmung
geführt werden mit dem Ziele, dadurch die Er-
über die Erzeugung erfolgt. Vorverhandlungen zeugung so zu beeinflussen, daß sich die Markt-
bäuerlicher Vertreter der Partnerländer sind angebote der Menge und dem Zeitpunkt nach
wünschenswert. Es wird vorgeschlagen, sta- ergänzen.
tistische Unterlagen über Anbauflächen usw.
auszutauschen. Eine beschränkte Einfuhr von Fünftens: Um in der Übergangszeit, bis diese
nicht lebensnotwendigen Nahrungs- bzw. Ge- Verständigung unter den europäischen Marshall-
nußmitteln wird immer notwendig sein, um da- planländern zum Erfolg führt, die landwirtschaft-
durch den Export von Fertigwaren zu erweitern. liche Produktion und die Volksernährung vor
In der Landwirtschaft herrscht große Unsicher- Schäden zu bewahren, wird bei der Durchführung
heit. Das Kabinett soll eine klare Stellung- der Liberalisierung die Anwendung folgender
nahme beziehen und die Bedeutung der Land- handelspolitischer Mittel für notwendig erachtet:
wirtschaft herausstellen. a) Zölle, b) Schaffung von Einfuhr- und Vorrats-
stellen, c) Einbau der Gefahrenklausel in die
Zusammenfassend kann der Ausschuß für Er
Handelsverträge, d) Bildung gemischter Regie-
nährung, Landwirtschaft und Forsten, soweit es rungskommissionen unter Hinzuziehung der be-
die handelspolitischen Maßnahmen zur Liberali- teiligten Wirtschaftskreise einschließlich der Ver-
sierung des Außenhandels betrifft, zu folgenden braucher.
Feststellungen:
Ich habe zu erwähnen, daß der Ausschuß für
Erstens: Die Bedeutung der Liberalisierung für Außenhandelsfragen, der sich ebenfalls eingehend
die europäische Wirtschaft und für die Steige- mit dieser Materie befaßt hat, zu der gleichen
rung des Wohlstandes der europäischen Bevölke- Auffassung und Feststellung wie der Ausschuß
rung wird auch vom Standpunkt der Landwirt- für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ge-
schaft anerkannt. Die Vorteile einer solchen Ent- kommen ist.
wicklung bestehen in einer Belebung der Wirt-
schaft, in einer nach Qualität und Menge besseren Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft
Versorgung und in einer größeren Kaufkraft, die und Forsten hat den Antrag Dr. Horlacher,
sich auf die landwirtschaftliche Erzeugung und Bauereisen, Strauß und Genossen auf Druck-
deren Absatz günstig auszuwirken vermag. Diese sache Nr. 428 sinngemäß zu seinem eigenen ge-
Vorteile werden aber neben den Gefahren, die macht. Im Auftrage des Ausschusses habe ich
der Landwirtschaft erwachsen, nur Wirklichkeit Ihnen gemäß Drucksache Nr. 808 die folgende
werden, wenn alle europäischen Marshallplan- Fassung vorzuschlagen:
staaten in gleicher Weise den Außenhandel von Der Bundestag wolle beschließen:
den Beschränkungen befreien. die Bundesregierung zu ersuchen, alle Maß
Zweitens: Da die Steigerung der landwirtschaf t- nahmen zu treffen, damit der in Gang ge-
lichen Produktion eine lebensnotwendige- Voraus- kommene Wiederaufbau der deutschen Land-
setzung für ein größeres Maß von Sicherheit in wirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei
der Lebensmittelversorgung und für eine aus- keine Unterbrechung erfährt, sondern mit
geglichene Handelsbilanz ist, muß grundsätzlich Beschleunigung, besonders angesichts des
bei der Vorbereitung, dem Abschluß und der Jahres 1952, fortgeführt werden kann. Aus
Durchführung von Handelsverträgen beachtet diesem Grund sind die Einfuhren landwirt-
werden, daß Art, Menge und Zeitpunkt der Im- schaftlicher Erzeugnisse sowie die Ab-
porte die landwirtschaftliche Erzeugung nicht be- machungen in den Handelsverträgen so
einträchtigen und ihre Steigerung nicht behin- zu steuern, daß die Steigerung der landwirt-
dern. Der leitende Ausschuß des Verbandes der schaftlichen Inlandserzeugung und Verarbei-
europäischen Landwirtschaft hat bei der grund- tung durch ungeregelte Importe keine Stö-
sätzlichen Anerkennung des Nutzens einer besseren rung erfährt. In den Handelsverträgen sind
wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den hinsichtlich landwirtschaftlicher Positionen
freien Staaten Europas auf die möglicherweise Vereinbarungen nicht nur mengenmäßig, son-
eintretenden tiefgreifenden Folgen einer über dern auch jahreszeitlich unter Einführung
Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2175
(Dr. Mühlenfeld)
der notwendigen Schutzbestimmungen her- kümmerliche Angelegenheit bleiben. Es müssen
beizuführen. Angesichts der zu erwartenden gleichzeitig grundsätzliche Maßnahmen wirksam
Produktionsausweitung der deutschen Land- werden, auch auf steuerlichem und auf sozial-
wirtschaft ist für die nächste Zeit von lang- politischem Gebiet. Die Betriebskosten müssen
fristigen Abmachungen, die die Landwirt- den Einnahmen angepaßt werden. Diese Aus-
schaft berühren, abzusehen. gaben, Steuern, Soziallasten und Betriebskosten,
Dem Bundestag sollen monatlich bezüglich betragen ein Vielfaches gegenüber der Vorkriegs-
der Landwirtschaft fortlaufend Übersichten zeit. Die Preise für landwirtschaftliche Erzeug-
über die Einfuhren und Ausfuhren und Zu- nisse haben aber mit den Ausgaben nicht gleichen
sammenstellungen der abgeschlossenen han- Schritt gehalten. Die großen Handelsspannen
delsvertraglichen Abmachungen zugeleitet zwischen Landwirtschaft und gewerblichen Be-
werden. trieben, die Spannen zwischen den Preisen für
Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen landwirtschaftliche Erzeugnisse und denen der
namens des Ausschusses dringend die Bitte ans Industrie bedürfen unbedingt eines Ausgleichs.
Herz zu legen, die Fassung dieses Antrages an- Wenn dieser Ausgleich nicht kommt, dann wer-
den all die guten Ansätze, die man mit diesem
zunehmen und damit der Bedeutung der deut- Antrag gemacht hat, zu nichts führen, die vor-
schen Landwirtschaft für die gesamte deutsche gesehenen Maßnahmen werden nicht zur Aus-
Wirtschaft Rechnung zu tragen. wirkung kommen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Insbesondere für die landwirtschaftlichen Ver-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Ich danke dem Herrn edelungsprodukte müssen stabile und den Kosten
Berichterstatter. entsprechende Preise geschaffen werden, Preise
Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat der allerdings, die auch für die Verbraucherschaft
Herr Abgeordnete Wartner. tragbar sind. Letzten Endes sollen stabile Preise
gerade im Interesse der kleineren Landwirte fest-
Wartner (BP): Herr Präsident! Meine Damen gesetzt werden, die diese Edelprodukte erzeugen,
und Herren! Der Herr Berichterstatter hat schon damit auch diese kleinen landwirtschaftlichen Be-
sehr ausführlich darüber berichtet, wie ernst und triebe regelmäßig und etwas sicherer kalkulieren
verantwortungsbewußt im Ausschuß für Ernäh- können. Nur ein ausgeglichener Haushalt auch in
rung und Landwirtschaft gearbeitet worden ist. der Landwirtschaft kann diese vor schwersten
Er hat die Öffentlichkeit auch darauf aufmerk- Erschütterungen bewahren.
sam gemacht, welche Bedeutung die Landwirt- Der Antrag lautet in seinem letzten Absatz:
schaft für die gesamte Volkswirtschaft hat. Nach- Dem Bundestag sollen monatlich bezüglich der
dem mir aber nur 5 Minuten zur Verfügung Landwirtschaft fortlaufend Übersichten über
stehen, ist es mir unmöglich, auf alle Einzelheiten die Einfuhren und Ausfuhren und Zusammen-
einzugehen. Ich möchte nur betonen, daß wir dem stellungen der abgeschlossenen handelsver-
vorliegenden Antrag im Ausschuß zugestimmt traglichen Abmachungen zugeleitet werden.
haben und daß wir ihm selbstverständlich auch
jetzt zustimmen werden, wenn er auch nicht all Diese Unterrichtung wurde dem Außenhandels-
den Forderungen entspricht, die wir erheben ausschuß von der Regierung wiederholt zugesagt,
müssen. ist aber nicht erfolgt, vor allem nicht bei den
Wenn es in dem Antrag heißt: neuen Zolltarifen, die den ausländischen Staaten
am 15. Mai vorgelegt werden sollen. Erst heute
Aus diesem Grunde sind die Einfuhren land- erfahren wir, daß vorige Woche ein Handelsver-
wirtschaftlicher Erzeugnisse sowie die Ab- trag mit Jugoslawien über die Einfuhr landwirt-
machungen in den Handelsverträgen so zu schaftlicher Erzeugnisse, Getreide, Fleisch usw.
steuern, daß die Steigerung der landwirt- in einem Betrage von 35 Millionen Mark unter-
schaftlichen, Inlandserzeugung und Verarbei- zeichnet worden ist. Meine Damen und Herren,
tung durch ungeregelte Importe keine Stö- wir müssen schon ersuchen, daß das Bundespar-
rung erfährt, lament von solch wichtigen Beschlüssen unter-
und wenn es weiter dort heißt: richtet wird, wie es uns ja auch zugesagt worden
In den Handelsverträgen sind hinsichtlich ist!
landwirtschaftlicher Positionen Vereinbarun Das ganze Problem der Agrarpolitik bedarf
gen nicht nur mengenmäßig, sondern auch endlich einer eingehenden Erörterung im Bundes-
jahreszeitlich unter Einführung der notwen tag. Ich glaubte, auch heute sei hierzu Gelegen-
digen Schutzbestimmungen herbeizuführen, heit gegeben. Leider ist den einzelnen Rednern
so heißt das nichts anderes, als daß es ohne eine besonders der kleineren Fraktionen die Zeit dafür
geordnete Marktwirtschaft — um nicht zu - sagen: allzukurz bemessen, als daß man auf die all-
ohne Planwirtschaft — nicht geht, daß eine Libe- gemeinen Dinge in großer Breite eingehen könnte,
ralisierung, eine schrankenlos freie Wirtschaft wie es notwendig wäre.
unsere Landwirtschaft sogar in große Gefahr (Beifall bei der BP.)
bringen könnte, wie es der Berichterstatter ja be-
reits angedeutet hat. Wir sprechen der Liberali- Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
sierung das Wort, aber letzten Endes — mit Recht Herr Abgeordnete Dr. Horlacher.
hat der Berichterstatter darauf verwiesen —
können wir es nur, wenn auch die übrigen Staaten Dr. Horlacher (CSU): Meine sehr verehrten
in der Welt um uns herum das gleiche tun. Damen und Herren! Ich bin zunächst dankbar,
Mit Handelsverträgen, Schutzbestimmungen, daß man sich sowohl im Ausschuß für handels-
Marktordnung und Steigerung der landwirt- politische Fragen wie im Ernährungs- und Land
schaftlichen Produktion allein wird der Wieder- wirtschaftsausschuß ganz sachlich und nüchtern
aufbau der deutschen Landwirtschaft eine sehr über diese in Frage stehenden Verhältnisse aus-
2176 Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Dr. Horlacher)
einandergesetzt hat. Man hat sich dann einstim- lichen Tätigkeit gegenüber der anderer Länder in
mig auf eine bestimmte Form des Antrages ge- Europa -gesehen. Ich habe den Unterschied zwi-
einigt. Damit sind vielleicht die Sorgen über die schen den dänischen, schwedischen, holländischen
Führung der deutschen Agrarpolitik, wenn der Einrichtungen und unseren deutschen Einrichtun-
Antrag angenommen wird, etwas gemildert, aber gen gesehen. Unsere deutschen Einrichtungen auf
noch lange nicht behoben. Denn dazu gehört noch landwirtschaftlichem Gebiet waren in der Vor-
eine ganze Reihe von Maßnahmen seitens der kriegszeit hervorragend. Sie haben aber eine
Exekutive, die jetzt mit zwingender Notwendig- wesentliche Unterbrechung erlitten, einmal schon
keit ergriffen werden müssen. durch den ersten Weltkrieg und durch den zwei-
Zunächst einmal hat der Antrag festgestellt, ten Weltkrieg erst recht. Das heißt mit anderen
daß die Steigerung der landwirtschaftlichen Er- Worten: bei uns muß auf dem Gebiete der For-
zeugung in den nächsten Jahren ein dringendes schung noch sehr viel nachgeholt werden. Das ist
Gebot für unser gesamtes Volk ist, nicht bloß für eine wichtige Grundlage, die auf die Praxis aus-
die Bauernschaft allein, sondern für die Ver- strahlen muß. Deswegen wäre es mir schon
braucher und für das Leben des ganzen Volkes wünschenswert, wenn wir von der Regierung
in den Westzonen. Es ist eine sehr wichtige Le- Auskunft bekommen könnten, wieweit es mit der
bensfrage für unser ganzes Volk, ob uns das ge- Hergabe dieser ERP-Mittel für solche Zwecke
lingt oder ob das nicht gelingt. Unter allen Um- steht. Können wir mit den angekündigten Mil-
ständen muß alles so abgestellt sein, daß keines- lionensummen endlich rechnen, oder bleiben sie
falls eine Unterbrechung der Steigerung der land- immer noch in weiter Ferne sichtbar, aber nicht
wirtschaftlichen Erzeugung eintritt. Deswegen greifbar?
habe ich mich persönlich trotz der großen Schwie-
rigkeiten, die in der Landwirtschaft bestehen, Mit den anderen Dingen ist es dann auch so.
in zahlreichen Versammlungen dafür eingesetzt, Es ist meines Erachtens notwendig — und Gott
daß man unter keinen Umständen über den der- gebe, daß das geschehen kann, den Grundsatz
zeitigen Verhältnissen, die auch auf einer Um- stelle ich mit aller Schärfe heraus —, daß vor
stellungskrise beruhen, das eine vergißt, daß eine Beginn des neuen Wirtschaftsjahres, das ist der
Vernachlässigung der Fortführung der Steige- 1. Juli 1950, die Wirtschaftsplanung für die Land-
rung der landwirtschaftlichen Erzeugung ein wirtschaft für das nächste Wirtschaftsjahr auf
Fehler wäre. Alles muß daran gesetzt werden, allen Gebieten vorliegt.
damit wir nicht bloß das Programm von 100 % des (Zuruf bei der SPD.)
Jahres 1938 erreichen. Wir müssen über die Wenn das nicht vorliegt — —
100 % der Nahrungsmittelversorgung, wie sie im
Jahre 1938 war, hinauskommen, weil uns sowie- (Zuruf von der SPD: Planung!)
so noch ein großes Defizit verbleibt. Es bleibt so- — Jawohl, es muß vorliegen; denn wenn das
wieso noch eine Lücke, und je geringer die Lücke nicht vorliegt, dann kann sich das Ganze nicht
wird und je weniger zur Auffüllung der Nah- darauf einstellen. Herr Präsident Löbe, ich habe
rungsdecke notwendig ist, desto besser ist es für schon bei den Beratungen im Ausschuß gesagt:
die industrielle Rohstoffversorgung, und desto Ich bin nicht so ängstlich, ob das Planung heißt
besser ist es für den gewerblichen und industri- oder Lenkung oder wie es sonst heißt. Vorn
ellen Sektor. Deswegen muß das alles mitein- Standpunkt der Landwirtschaft kommt es mir
ander zusammenwirken. darauf nicht so sehr an. Aber eine Ordnung der
Ich habe an die Bundesregierung eine Bitte, Dinge muß auf jeden Fall geschaffen werden,
daß sie doch einmal dafür sorgen möchte, daß das (lebhafter Beifall bei der SPD)
Aufbauprogramm, das mit Hilfe der Amerikaner
in Angriff genommen wurde, auch zur Vollen- so daß man sich darauf einstellen kann, damit
dung kommt. Es wäre ungerecht, wenn man hier der Bauer draußen weiß, wie sich die Verhält-
dem amerikanischen Volk nicht den Dank für die nisse gestalten, mit welchen Faktoren, mit wel-
ungeheure Hilfe aussprechen wollte, die es gerade cher Unterstützung er rechnen kann. Dazu ge-
zur Verbesserung der deutschen Lebenshaltung in hören z. B. auch die Pläne wegen der Senkung
den Westzonen geleistet hat. Aber es wäre wün- der Düngemittelpreise. Glauben Sie mir, die
schenswert, daß diese psychologische Seite dieser Pläne, die im Laufe des Jahres auftauchen, ver-
Hilfe vom Volke restlos anerkannt und daß viel- wirren mehr, als sie Gutes stiften. Wenn ich schon
leicht manches andere mit Rücksicht darauf etwas in Aussicht nehme, dann muß ich es zur
anders gehandhabt würde. rechten Zeit in Aussicht nehmen, dann muß es vor
Beginn des Wirtschaftsjahres geschehen und nicht
Vor allen Dingen werden auch in der deutschen mitten im Laufe des Wirtschaftsjahres. Das war
Landwirtschaft durch die Ziffern, die immer in ja der Fehler der deutschen Agrar- und Ernäh-
der Presse erscheinen und die oft bis zu einer rungspolitik, an dem wir — durchaus begreif-
Milliarde gehen, die in den Wiederaufbau der lich — die ganzen Jahre hindurch gelitten haben.
deutschen Landwirtschaft hineingegeben werden Wir müssen also den richtigen Ausgangspunkt
sollen, falsche Vorstellungen entstehen. Ich habe für diese Dinge bekommen. Glauben Sie mir: mit
das scherzhaft so formuliert: Man soll nicht bloß einer bloßen Verkündigung einer Senkung der
für die Ansage der amerikanischen Hilfe Dank Düngemittelpreise sind die langfristigen Pläne
sagen, sondern auch für die Verwirklichung der für den Wiederaufbau der deutschen Landwirt-
.amerikanischen Hilfe Dank sagen können. Was schaft nicht schon erfüllt. Denn wenn die Sen-
nützt es mir, wenn ausgeführt wird, es werden kung der Düngerpreise nicht von der Ausweitung
bedeutsame Millionenbeträge für die landwirt- der Produktion begleitet ist, dann ist das eine Fehl-
schaftliche Forschung ausgeworfen, und es kommt entwicklung, die sich im nächsten Jahre wieder un-
dann nichts! günstig für die landwirtschaftliche Erzeugung aus-
Meine verehrten Damen und Herren! Ich habe wirken wird. Deswegen muß, das a lles nach be-
den Unterschied zwischen unserer wissenschaft- stimmten Richtlinien vor sich gehen.
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2177
(Dr. Horlacher)
Besonders notwendig ist, daß die Regierung Über die Gründe, die uns dazu bewegen,
einmal das gesamte Problem der Milch- und der brauche ich Ihnen hier nichts weiter auszuführen.
Fettwirtschaft überhaupt einer gesamten, aufein- Ich erinnere Sie nur an die Ausführungen meines
ander abgestellten Lösung entgegenführt. Denn Kollegen Kriedemann in der 34. Sitzung des
so, wie die Verhältnisse auf dem Gebiete des Bundestages. Diese Gründe kann man zusammen-
Milchmarktes jetzt liegen, ist dringend eine Ord- fassen in dem Satz, daß die Grundvoraussetzung
nung notwendig. Hier ist ein Bundesmilchver- eines neuen deutschen Wohlstandes die äußerste
kehrsgesetz eine unerläßliche Notwendigkeit, da- Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion
mit der Streit aufhört, ob das frühere Reichs- ist. Diese Auffassung vertreten wir schon seit
milchgesetz mit bestimmten Bestimmungen noch 1945 und bringen sie der Öffentlichkeit zur
gilt oder ob es nicht gilt. Kenntnis. Diese Erkenntnis hat uns bei allen
Ebenso ist eine Ordnung in der deutschen Ö l- Stellungnahmen zu allen agrarpolitischen Maß-
wirtschaft ein zwingendes Gebot der Stunde. nahmen geleitet. Wir sind uns also über das
Denn wir können es uns nicht leisten, daß wir Endziel, daß die Landwirtschaft ein vollwertiges
unter Vorherrrschaft eines ausländischen Kon- Glied der Volkswirtschaft sein muß und sein will,
zerns unsere ganzen Ölmühlenbetriebe zugrunde einig. Wir sind uns auch in dieser Teilfrage
gehen lassen, daß wir dann hier Arbeiterentlas- einig, die in der Drucksache Nr. 808 angesprochen
sungen und eine Störung unseres gesamten Fett- wird. Aber ich bin der Meinung, daß wir auf den
haushalts bekommen. Wegen, die zu diesem Ziele führen, nicht immer
(Zuruf von der KPD: Das gehört doch dieselben Methoden verwenden werden und auch
zum Marshallplan!) nicht verwenden können.
Das sind die Probleme, die hier vorliegen. Dazu gestatten Sie mir einige grundsätzliche
Bemerkungen. Der Antrag Drucksache Nr. 808
(Zuruf von der KPD: Das sind doch hat eine sehr umfassende Überschrift: Wieder-
Marshallgeschenke; da müßt ihr doch aufbau der deutschen Landwirtschaft. Wenn Sie
„danke schön!" sagen!) dagegen den Inhalt dieser Entschließung be-
Die andere Frage habe ich in dem Antrag trachten, dann stellen Sie fest, daß er nur einen
niedergelegt, die einzelnen Gesichtspunkte, die kleinen Ausschnitt umfaßt; ja, er sagt nicht ein-
auch von dem Herrn Berichterstatter hervor- mal das, er spricht nur indirekt ein Problem an.
-gehoben worden sind. Ich hoffe, daß die JEIA Diese Entschließung Drucksache Nr. 808 ist also
Importe — das ist ja mit den Worten „ungere- ein Glied in der Kette vieler Versuche, hier und
gelte Importe" in dem Antrag gemeint — allmäh- dort zu flicken, Löcher zuzumachen und zu
lich zu Ende gehen und daß die Regierung die stopfen; es ist die Fortsetzung der Politik der
notwendigen Instrumente in die Hand bekommt, vielen Pflästerchen, der kleinen Mittel. Wir ha-
auch durch den Bundestag, um sich hier handels- ben schon im Ausschuß Gelegenheit gehabt, des
politisch durchsetzen zu können. öfteren darüber zu sprechen. Wenn Sie sich die
Aber zum Schluß noch ein Wort. Ich würde den Sitzungsberichte des Ernährungsausschusses ein
Herrn Bundesminister für Ernährung und Land- mal ansehen, dann werden Sie das voll bestätigt
wirtschaft dringend bitten, sich gegenüber seinem finden. Wir haben eingangs lange über die Rede
Kollegen auf dem Sektor der Wirtschaft bei Ver- des Bundesernährungsministers im Ausschuß dis-
tretung der landwirtschaftlichen Belange stärker kutiert, haben grundsätzliche Debatten über alle
durchzusetzen. Denn hier ist eine Klärung der möglichen Fragen gehabt. Wir haben die Regie-
landwirtschaftlichen Interessen gegenüber denen rung sogar aufgefordert, ein Jagdgesetz, ein
der Industrie, des Gewerbes und des Handels ein Pachtgesetz, marktordnende Gesetze vorzulegen.
unbedingtes Erfordernis. Aber abgesehen vielleicht von der Verlängerung
(Zuruf bei der CSU: Sehr gut!) des Importausgleichsgesetzes und vom Gesetz zur
Ich habe auf manche Dinge schon im Ausschuß Senkung der Zuckersteuer, meine Damen und
hingewiesen; ich will das hier nicht wiederholen, Herren, haben wir nur Teillösungen, zum Teil
will hier keine Verschärfung der Debatte hervor- sogar nur in winzigen Teilfragen, erreicht. Den-
rufen. Aber ich wäre dem Herrn Bundesminister ken Sie nur einmal an die Düngemittelversor-
dankbar, wenn er die Unterstützung durch den gung im Wirtschaftsjahr 1949/50, denken Sie an
zuständigen Ausschuß des Bundestages weit- die Hilfe für die Flachsrösten, denken Sie an
gehend in Anspruch nähme, damit wir auf dem die Hilfe für die Konservenindustrie, denken Sie
Gebiete der landwirtschaftlichen Erzeugung und an die Kartoffelsaatversorgung für das Frühjahr
zum Wohle unserer Bauernschaft das Ziel er- 1950, denken Sie an die Hilfe für den Saat-
reichen, das zu erreichen im Interesse unseres handel — alles das sind Maßnahmen, die nur
ganzen Volkes notwendig ist. Teillösungen sind.
- Auch die Diskussionen über den Butter- und
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Milchpreis, meine Damen und Herren, behandeln
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der nur solche Teilfragen.
Herr Abgeordnete Schmidt. (Abg. Dr. Horlacher: Sehr richtig!)
Dr. Schmidt (Niedersachsen) (SPD): Meine Da- Es sind gerade in dieser Frage weise Beschlüsse
men und Herren! Ich möchte vorerst Herrn Kol- gefaßt worden, und trotz dieser weisen Beschösse
legen Horlacher für die Mitteilung seiner Er- geht es mit der Butter und der Milch schief. Den
kenntnisse besonders danken. Ich hoffe nur, daß Sündenbock dafür sucht man in der Liberalisie
diese seine Erkenntnisse auch in seiner ganzen rung, obwohl die Veredelungsprodukte tatsäch
Fraktion Eingang finden. Wir Sozialdemokraten lich gar nicht auf der Freiliste stehen. Man starrt
haben im Ernährungsausschuß diesem Beschluß meines Erachtens viel zu sehr auf unsere Han
Drucksache Nr. 808 voll zugestimmt. Wir werden delsverträge, auf unsere Zolltarife, auf die Libe
das auch heute tun, und wir tun das im vollen ralisierung, und man sieht darin das alleinige
Bewußtsein der politischen Verantwortung dafür. Heil zum Auffangen der ersten Krisenerschei-
2178 Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Dr. Schmidt [Niedersachsen])
nungen in der Landwirtschaft. Ich habe den Ein- nichts erreicht wird. Die Landwirtschaft selber
druck, daß die Regierung den Klageliedern der muß die allergrößten Anstrengungen machen, um
landwirtschaftlichen Interessenverbände allzuviel insbesondere zu einer innerbetrieblichen Reorga-
Gehör schenkt; nisierung zu kommen. Sie muß auch auf dem Ge-
(Zuruf rechts: Leider zu wenig!) biete der Sozialpolitik und der Sozialorganisa-
sonst käme sie zu anderen Maßnahmen. Sie tion einen ganz neuen Standpunkt beziehen, und
kommt aber nur zu Abwehrmaßnahmen. Dieser sie soll vor allen Dingen die Fülle der Möglich-
Politik der Nur-Abwehrmaßnahmen müssen wir keiten genossenschaftlicher Initiative voll aus-
ein Ende machen. Ich möchte hier die Aufforde- schöpfen. Ich gebe zu, meine Damen und Herren,
rung meines Kollegen Kriedemann in der gestri- daß das nicht ganz einfach für die Landwirte ist,
gen Sitzung des Ausschusses wiederholen, der vor allen Dingen deshalb nicht, weil sie über
verlangt hat, daß endlich einmal mit der kon- zwei Generationen wie unter einer Glasglocke
struktiven Politik des Aufbaus begonnen wird, gelebt haben, wobei man ängstlich bemüht war,
damit im Jahre 1952 unsere Landwirtschaft voll ja kein Lüftchen in diese Glasglocke eindringen
konkurrenzfähig ist gegenüber den anderen zu lassen. Aber die Schuld dafür trägt nicht ein-
westeuropäischen Landwirtschaften. mal die Masse der Bauern selber, sondern die
,

Schuld tragen die Führungskräfte der Landwirt-


Sollte die Regierung keine dafür geeigneten schaft, deren geistige Krisis auch heute mehr
Maßnahmen wissen, nun, meine Damen und Her- denn je offen zutage tritt.
ren, so darf ich Sie vielleicht auf die immerhin
sehr deutliche Antwort der Marshallplan-Verwal- (Lachen in der Mitte und rechts.)
tung auf das ERP-Memorandum verweisen. Dar- Ich darf zum Schluß noch folgendes sagen:
in steht zum Beispiel die Forderung nach der Wenn die Regierung diese praktischen Grund-
Flurbereinigung als einer noch immer unumgäng- probleme nicht sofort anpackt und wenn ins-
lichen Vorausetzung für die Hebung der Wirt- besondere die Landwirtschaft selber sich nicht
schaftlichkeit der Landwirtschaft. Die Regierung dazu aufrafft, einen neuen Kurs zu steuern, dann
geht seit Monaten damit schwanger, aber bis wird der größte Teil der Betriebe, wie Herr Kol-
heute ist der Gesetzentwurf noch nicht einmal lege Bauknecht nicht mit Unrecht befürchtet hat,
vorgelegt, und ich nehme an, daß auch das im- auf der Strecke liegen bleiben, und das wollen
merhin noch einige Monate dauern wird. Denken wir Sozialdemokraten weiß Gott nicht.
Sie doch einmal an die Fragen der großen Lan- (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
deskulturaufgaben, der Meliorationen! Denken
Sie an die großen Ödlandkultivierungen im nord Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
westdeutschen Raum! Dafür sollte man ent- Herr Abgeordnete Schmidt (Bayern).
sprechende Mittel einsetzen, denn diese Mittel
sind volkswirtschaftlich eingesetzt und werden, Schmidt (Bayern) (WAV): Meine Damen und
auf die Dauer gesehen, dem deutschen Volke Herren! Die Vorlage, die wir heute behandeln,
mehr nützen als andere Dinge. Denken Sie an spricht von einem Wiederaufbau der deutschen
die Maßnahmen zur Steigerung des Düngemittel- Landwirtschaft. In vielen Kreisen ist der An-
verbrauchs! Ich bin auch der Meinung des Kol- schein erweckt worden, als ob damit der Wieder-
legen Horlacher, daß die Regierung schleunigst, aufbau von Gebäuden und dergleichen gemeint
meinetwegen schon morgen, uns geeignete Maß- sei. In diesem Falle wäre ein anderes Wort an-
nahmen vorschlagen sollte. Ich erinnere Sie nur gebrachter gewesen, vielleicht die Überschrift
daran, daß wir Sozialdemokraten unseren Stand- „Weiterer Ausbau der deutschen Landwirtschaft".
punkt dazu bereits bezogen haben. Denken Sie Mit den Ausführungen, die die Herren Dr.
auch an die Fragen der Förderung des Grün- Mühlenfeld, Dr. Horlacher und auch Herr Schmidt
landes! Vielleicht kann man ein Grönlandgesetz gemacht haben, bin ich voll und ganz einver-
schaffen. Denken Sie einmal an das Beratungs- standen. Denn wir müssen uns vor Augen halten,
wesen! In Deutschland haben wir überhaupt noch meine Damen und Herren: der Bauernstand ist
keinen effektiven Beratungsdienst. Denn wer die Grundlage der deutschen Ernährung und da-
läßt sich heute beraten? Praktisch doch nur die, mit auch der deutschen Wirtschaft. Die deutsche
die es an sich gar nicht mehr nötig haben. Wir Landwirtschaft ist durch die Verhältnisse der
treffen mit unserem Beratungswesen nicht die- letzten Monate in eine Lage gekommen, die ihre
jenigen Bauern und Landwirte, die es an sich Existenz gefährdet. Darum muß von uns und
nötig hätten. von der Regierung alles getan werden, um diese
(Zuruf rechts: Dann wird es aber Zeit!) Gefährdung abzustellen.
Schließlich, meine Damen und Herren, denken Meine Damen und Herren! Es ist mir in den
Sie an die Marktordnungsgesetze, die - ja wohl letzten Wochen und auch heute von einer Seite
vor der Tür stehen; wir hoffen jedenfalls, daß nahegelegt worden, der Bauer komme schon
sie dem Bundestag bald vorgelegt werden. wieder und jammere. Ich mußte dabei feststeilen,
Das sind nur einige Maßnahmen, die ich hier daß heute in gewissen Kreisen eine Art von
anführe, die aber geeignet sind, die gleichen Schadenfreude darüber vorhanden war; man
produktionspolitischen Voraussetzungen wie in meint, der Bauer solle für etwas büßen. Man
den anderen westeuropäischen Ländern zu schaf- lebt in dem irrigen Wahn, der Bauer sei damals
fen. Wir werden alle diese Maßnahmen unter- daran schuld gewesen, daß die Lebensmittel in
stützen, wie wir auch jeden positiven Schritt in den Jahren des Krieges und der Nachkriegszeit
der Richtung einer Förderung der Landwirtschaft so knapp waren oder daß sie vielleicht nicht rich-
gutheißen werden. Aber, meine Damen und Her- tig verteilt worden sind. Diesen Leuten möchte
ren, das allein genügt tatsächlich nicht. Ich habe ich sagen, daß sie gewaltig im Irrtum sind. Ich
hier an dieser Stelle schon einmal Gelegenheit möchte sie einmal fragen, ob sie sich eigentlich
gehabt, darauf hinzuweisen, daß mit den gesetz- in der letzten Zeit auch überlegt haben, woher
lichen Maßnahmen und Verordnungen allein denn die Lebensmittel damals kamen, ob die viel-
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 . 2179
(Schmidt [Bayern])
leicht vom Himmel heruntergefallen sind oder anderen Minister alle überflüssig sein, weil auf
ob wir sie zu Zeiten des Krieges vom Ausland der Landwirtschaft alle anderen Stände basieren.
bekommen haben. Nein, es war doch so, daß sie Darum geht unsere Forderung dahin: Helfen
durch den Fleiß und durch den Schweiß des deut- Sie dem Stande, der in Not zu kommen droht. Er
schen Bauern erzeugt worden sind. wird es Ihnen in dem Fall danken, wenn im
Darum hat auch heute der Bauer einen An- Laufe der Zeit wieder einmal die Not käme. Sie
spruch darauf, daß all das für ihn getan wird, hätten damit dem deutschen Volk und dem
was zu seiner Existenz nötig ist. Ja, ich möchte Bauern gedient. Ich danke Ihnen!
noch etwas nachholen: nicht der deutsche Bauer (Beifall bei der WAV.)
allein war es; damals, in den Zeiten, als
unsere Brüder, unsere Väter und Söhne draußen Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
waren, war nicht nur der Bauer hinter dem Herr Abgeordnete Niebergall. — Sie haben fünf
Pflug, sondern auch die Bauersfrau; beide haben Minuten.
damals ihre Pflicht bis zum äußersten erfüllt.
Darum hat der Bauer das Recht, zu verlangen, Niebergall (KPD): Meine Damen und Herren!
daß ihm heute, wenn ihm Gefahr droht, von Die kommunistische Fraktion stimmt dem Bericht
allen Seiten geholfen wird. Darum ist es unsere des Ausschusses zu. Jedoch schlägt unsere Frak-
Aufgabe, Ihre Aufgabe, meine Damen und Her- tion zum Antrag des Herrn Kollegen Dr. Hor-
ren, die Regierung darauf hinzuweisen, voraus- lacher eine Abänderung vor, und zwar hinter
schauend kommenden Dingen vorzubeugen, die dem ersten Absatz einzufügen:
vielleicht noch einmal über unser deutsches Volk Die von der Bundesregierung durchzufüh-
hinweggehen könnten. renden Maßnahmen müssen neben der Pro-
Ich möchte im Anschluß daran die Frage an- duktionssteigerun g. der Sicherstellung des
schneiden, was geschehen würde, wenn man heute Absatzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse,
die deutsche Landwirtschaft ihrem Schicksal der Verbesserung der landwirtschaftlichen
überließe und wenn die deutsche Landwirtschaft Technik auch ausreichende finanzielle Hilfe
zugrunde ginge. Was würde geschehen? Wer in der Form billiger und langfristiger Kre-
würde die Ernährung des deutschen Volks dite enthalten. Im Rahmen des Wiederauf-
sichern, wenn heute der deutsche Bauer nicht haus der deutschen Landwirtschaft wird die
mehr wäre? Ich glaube, aus dem Grunde müssen Regierung verpflichtet. den Aufbau des ge-
sich diese Kreise, die noch eine gewisse Schaden- samtdeutschen Innenhandels mit allen Mit-
freude in sich tragen, weil es dem Bauern teln zu fördern.
schlecht gehen soll, auf das besinnen, was — Gott
wolle es verhüten — noch einmal kommen Meine Damen und Herren! Leider stehen mir
könnte. Es könnte kommen! Und da frage ich: nur fünf Minuten zu einem solch wichtigen Thema
Wer wäre dann der, der die deutsche Bevölke- zur Verfügung. Man kann in fünf Minuten nicht
rung unterstützen würde, und wer würde ihre das zu dieser Lebensfrage unseres Volkes sagen,
Ernährung sichern? was eigentlich notwendig wäre. Der Herr Bun-
(Zuruf rechts: Loritz! — Heiterkeit.) deskanzler betonte in seiner Regierungserklärung
am 20. September 1949. daß alles getan werden
Deswegen bin ich mit all den Maßnahmen, die müßte. um der Landwirtschaft zu helfen. Seit
im Ernährungsausschuß beschlossen wurden, ein- diesem Tag sind mehr als sechs Monate ver-
verstanden, ob es nun die Handelsverträge, die gangen. Ich frage: was ist in dieser Zeit auf
Aus- und Einfuhr, die Preisgestaltung, ob es die di esem entscheiden den Lebensgebiet unseres
Marktregelung oder die Dinge, die mein Vor- Volkes geschehen? Zum Guten mehr als wenig
redner vorhin angeführt hat, betrifft. Mit all dem und zum Schlechten mehr als genug. Es kann
sind wir einverstanden. Wir sehen unsere Auf- keim Rede davon sein, daß die Landwirtschaft
gabe darin, Sie, Kollegen und Kolleginnen des in Gang gekommen sei, wie das im Antrag zum
Bundestags, darauf hinzuweisen: Sie als Salz der Ausdruck gebracht wird: es sei denn, man ver-
Erde steht unter dem Gang den Krebsgang. Wir war-
(Heiterkeit) nen vor den Illussionen. die auch hier in den
müssen dafür sorgen, daß vorbeugende Maß- Reden zum Ausdruck kamen. als seien die heu-
nahmen getroffen werden. — Sie lachen, wenn tigen Erscheinungen in der Landwirtschaft vor-
ich sage „Salz der Erde". Sie wissen, daß ein übergehender Natur. Auch davon kann keine
Spruch in der Bibel heißt: Ihr seid das Salz der Rede sein. Das, was wir in der westdeutschen
Erde! — Und ihr habt dafür zu sorgen, daß diese Landwirtschaft gegenwärtig erleben und sehen,
Maßnahmen weiterbetrieben werden. Also in dem kann nur beseitigt werden, wenn die Politik
Sinne, Freunde, müssen wir alles tun. und die Maßnahmen, die dazu geführt haben, be-
seitigt werden.
Vizepräsident Dr. Schmid: Ihre Redezeit ist ab- Die Ursachen des heutigen Zustandes liegen
gelaufen. darin, daß dank der Politik der wirtschaftlich
Mächtigen die Landwirtschaft rücksichtslos be-
Schmidt (Bayern) (WAV): Noch einen Augen- lastet und ausgepumpt wird. Die Marshallplan-
blick! Ich bin gleich fertig. politik und ihre Auswirkung, die Spaltung
In der Hinsicht müssen wir alles tun, damit Deutschlands, die Liberalisierung haben zur
die deutsche Landwirtschaft weiterhin die Grund- Folge, daß die Landwirtschaft einer verschärften
lage der Ernährung des deutschen Volkes und Krise entgegengeht und gegenüber dem Auslande
der deutschen Wirtschaft bleiben kann. Ich nicht konkurrenzfähig ist. Die Politik der wirt-
könnte mir vorstellen, daß, wenn die deutsche schaftlich Mächtigen in der Vergangenheit hat
Landwirtschaft zugrunde ginge, hier vielleicht dazu geführt, daß nach den Ergebnissen der
kein Ernährungsminister mehr auf der Regie- landwirtschaftlichen Betriebszählung vom Mai
rungsbank sitzen würde. Dann würden auch die 1949, die vom statistischen Bundesamt veröffent-
2180 Deutscher Bundestag. - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Niebergall)
licht wurden. die Zahl der Betriebe von 0 5 Hek- Hinzu kommt noch, daß uns insbesondere die
tar bis 5 Hektar gegenüber der letzten Betriebs- Verantwortlichen in Holland nach Strich und
zählung von 1939 um rund 27 000 zurückgegan Faden bemogeln.
gen ist. Die landwirtschaftliche Bevölkerung ist (Abg. Renner: Sehr gut!)
gegenüber der Zeit des ersten Weltkrieges b is Auf die Vorsprache der Geschäftsführer des
zum heutigen Tage von 32 % auf 18 % zurück- Landesverbands Hessen für Gemüse-, Obst- und
gegangen.
auern- In einer Stellungnahme des B Gartenbau wegen der hohen Einfuhren erklärte
verbandes dazu werden als Gründe ange führt: Herr Ministerialdirektor Bottnai: Daran ist nichts
M ißverhältnisse zwischen deni dustriel nund zu ändern, es liegen bindende Anweisungen der
landwirtschaftlichen. Produktenpreisen . Woh Militärregierung vor. Was dagegen zu tun ist,
raummangel, steuerliche Belastung und Lasten darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Was
ausgleich. Diese E ntwicklung h at zur Folge daß heißt: Anweisung der Militärregierung? Diese
im Jahre 1948 ein Drittel der landwirtschaftlichen Fragen sind Lebensfragen unseres Volkes. Dann
Betriebe mit Verlust abgeschlossen haben. Dazu muß man gegen solche Anweisungen im Inter-
kommt noch die steuerliche Belastung. esse der Landwirtschaft den Kampf führen und
Die steuerliche Be lastung derLandwirtschaft sich nicht vor dem Petersberg verneigen.
sieht heute wie folgt aus. Zwei Beispiele von der
steuerlichen Belastung lan dwirtschaftlicher Be Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter,
triebe aufgestellt vom Bauernverband Bayern . Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Betrieb A: Ein Betrieb mit 7 Hektar. Einheits Niebergall (KPD): Ich komme zum Schluß. So
wert 12 950 DM — es folgen dann Bürgersteuer, könnte man Beispiele anführen über die Einfuhr
Kirchensteuer Grundsteuer. Umsatzsteuer usw . von Konserven und Weinen, über die Ausfuhr
-. ergibt eine steuerliche Belastung im Jahre hochwertigen Hopfens und die Einfuhr minder-
oder pro Hektar 17 40 R M. 1938von120RM
wertigen Hopfens, für höhere Preise, die wir für
1949 eine steu rlicheB lastungvon619 15DM die Ausfuhr bekommen.
— Ein zweites Bei
Wo ist nun der Ausweg aus dieser Krise in der
oderpHkta845DM.

15 300 DM, ergibt eine steuerlBieacstunghim Landwirtschaft? Unsere deutsche Landwirtschaft


187 40 RM oder proHekta kann nur gesunden durch Produktionssteigerung
und Sicherstellung des Absatzes der landwirt-
Jahre1938von

77 15 DM Nicht anders sieht es mit der Sofort- schaftlichen Erzeugnisse. Unsere Landwirtschaft
hilfeabgabe a u s. Ganz richtig wird in der Agrar- kann nur gesunden, wenn den Klein- und Mittel-
politischen Pressekorresnondenz festgestellt: betrieben ausreichend langfristige zinslose Kre-
dite zur Verfügung gestellt werden. Die Existenz
Der jährliche Kapitalentzug von 400 Mil- der deutschen Landwirtschaft kann nur gewähr-
lionen DM. der fast das Doppelte der Zins- leistet werden, wenn der uneingeschränkten
zahlung der Vorkriegszeit beträgt, bedeutet Einfuhr ausländischer landwirtschaftlicher Er
eine ungeheuere Vorbelastung der Landwirt- zeugnisse Einhalt geboten und der Ausbau des
schaft und wird zwangsläufig bei vielen Be- gesamtdeutschen Innenhandels mit allen Mitteln
trieben zu einer Hemmung, wenn nicht zu gefördert wird. Unsere Landwirtschaft kann sich
einer Verhinderung der notwendigen Inten- nur dann behaupten, wenn die Arbeitsüberlastung
sitätssteigerung führen. unserer Landfrauen durch Schaffung von Ge-
Nicht weniger klar werden von einer anderen meinschaftseinrichtungen im Dorf beseitigt wird.
Zeitung die Ursachen aufgezeigt. Als Hauptur- Wir werden in der Landwirtschaft nur weiter-
sachen für die Verschuldung der Landwirtschaft kommen, wenn die Umsiedler und Neubürger aus
werden angegeben: steuerliche Belastung, die der Landwirtschaft, die infolge des Krieges ihre
Preisschere, die allgemeine Geldknappheit und in Heimat verloren haben, jegliche Hilfe erhalten.
neuerer Zeit die Auslandskonkurrenz infolge der Unsere Landwirtschaft kann nur gesunden, wenn
Liberalisierung des Handels. Was heißt: die Libe- die Steuern und Abgaben für die Landwirtschaft,
ralisierung auf den Marshallplan beschränken, insbesondere für die Klein- und Mittelbetriebe,
wie man das hier zum Ausdruck gebracht hat? entschieden gesenkt werden.
Die Liberalisierung ist der Totengräber der deut-
schen Landwirtschaft und gar nichts anderes. Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bitte Sie, zum
Wer das heute nicht glaubt, wird in ganz weni- Schluß zu kommen.
gen Monaten, spätestens in einigen Jahren, wenn
dieser Zustand so bleibt, das verspüren können. Niebergall (KPD): Die deutsche Landwirtschaft
Denn wie ist heute schon die Auswirkung der kann nur gesunden durch die Wiederherstellung
Liberalisierung und des Marshallplans --spielEnBtrchm10Hka.Einetswr zu ver-
n- einer einheitlichen gesamtdeutschen Wirtschaft.
spüren! Der Gemüse- und Obstbau wird durch (Beifall bei der KPD. — Zurufe rechts.)
die uneingeschränkte Einfuhr aufs schärfste ge-
troffen. Nach dem Inkrafttreten des neuen Han- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
delsvertrags mit Holland wurden in der Zeit vom Herr Abgeordnete Rüdiger.
15. 12. bis 31. 12. 1949 Einfuhrlizenzen für Gar-
tenbauerzeugnisse nur aus Holland in folgender Rüdiger (FDP): Meine Damen und Herren!
Höhe erteilt: 23 037 056 Dollar. Ich frage mich: Wenn wir heute mittag gelegentlich des Heim-
haben wir in Deutschland keinen Obstbau, haben kehrergesetzes hier unerquickliche Debatten
wir in Deutschland keinen Gemüsebau? Unser hatten, dann darf ich wohl feststellen, daß wir
Gemüse, unser Obst geht vor die Hunde, und erfreulicherweise bei der Beratung des Antrags
ausländisches Gemüse wird auf Kosten der deut- zum Wiederaufbau der Landwirtschaft im ganzen
schen Landwirtschaft eingeführt. Das ist die Aus- Bundestag eine eigentlich fast einmütige und ge-
wirkung der Liberalisierung. schlossene Haltung zur Schau tragen.
(Sehr gut! bei der KPD.) (Bravo!)
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
2181
(Rüdiger)
Ich freue mich ganz besonders, daß mein Vor- tierischen Ursprungs — bezieht. Wir müssen dieser'
redner hier so freundliche und nette Worte ge- Veredlungsproduktion Rechnung tragen. Meine
funden hat, und ich möchte all das, was er ge- Herren, Sie haben jetzt die Gelegenheit, beim
sagt hat, mit ziemlichen Nachdruck unterstreichen Milch- und Butterpreis zu beweisen, daß Sie nicht
und mir zu eigen machen; aber ich hoffe. daß nur bereit sind, hier mit Worten für die Förderung
den Worten dann auch die entsprechenden Taten der Landwirtschaft einzustehen, sondern daß sie
folgen. ihren Worten auch die entsprechenden Taten folgen
(Zuruf von der KPD: Keine Angst!) lassen.
Bei uns im Ernährungsausschuß ist es ja Gott (Zustimmung rechts.)
sei Dank so, daß wir die Not der Landwirtschaft Wir wissen, daß wir auf die Kaufkraft der Be-
wirklich schon allgemein festgestellt haben, und völkerung weitestgehend Rücksicht zu nehmen
wenn wir hier zur Agrarpolitik nur wenige haben; aber wir wollen unter allen Umständen
Worte sagen wollen, dann müssen wir erklären. Preise erzielen, die der Kaufkraft entsprechen
daß die Landwirtschaft heute tatsächlich dem und auf der andern Seite die Produktionskosten
Ruin entgegengeht. Das ist die Feststellung, die der Landwirtschaft sicherstellen. Ich glaube, ge-
in den Worten aller Redner durchgeklungen ist. rade der Milchpreis ist von entscheidendster Be-
In welcher Situation befindet sich die deutsche deutung; denn die Einnahmen der bäuerlichen
Landwirtschaft? Wir müssen die Produktion nicht Betriebe aus der Milchproduktion stellen die
nur im Interesse der Landwirtschaft, sondern im Hälfte der Gesamteinnahmen dar. Deshalb
Interesse des ganzen Volkes unter allen Um- möchte ich Sie alle hier im Hause bitten, bei
ständen steigern, und dafür müssen die grund- diesen entscheidenden Dingen nachher auch die
sätzlichen Voraussetzungen geschaffen werden. entsprechenden Taten folgen zu lassen.
Wir glauben allerdings — und das darf ich mit
Nachdruck zur Regierungsbank hin sagen —, daß Ich habe hier nur verhältnismäßig wenig
die Interessen der Landwirtschaft manchmal Worte zu verlieren, weil praktisch die Einmütig-
gegenüber anderen Interessen allzusehr in den keit des Hauses festgestellt ist. Ich bin eigent-
Hintergrund treten, und ich darf hier die Ein- lich selten gerade mit einem kommunistischen
mütigkeit und Geschlossenheit meiner Fraktion Redner so einig gewesen wie mit meinem Herrn
zum Ausdruck bringen, daß wir restlos der An- Vorredner, und nur die Theorie und die Praxis
sicht sind, daß die Verhältnisse zwischen Indu- werden uns nachher vielleicht trennen. Mit
strie und Landwirtschaft einer grundsätzlichen schönen Worten ist es nicht getan, sondern den
Klärung bedürfen und die Unterbewertung der schönen. Worten müssen dann-' auch die Taten
Landwirtschaft allmählich etwas verschwinden folgen.
muß. Ich darf weiter aussprechen — und auch als (Lebhafter Beifall bei den
Angehöriger der Regierungsparteien darf ich das Regierungsparteien.)
erklären —, daß wir manchmal das Gefühl ha-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
ben, als ob den berechtigten Wünschen der Land-
wirtschaft nicht von allen Herren im Kabinett Herr Abgeordnete Dr. Glasmeyer.
mit Nachdruck gefolgt wird. Dr. Glasmeyer (Z): Herr Präsident! Meine sehr
(Hört! Hört! links.) verehrten Damen und Herren! Nachdem meine
Wir wollen keine Extrawurst; aber wir wollen Herren Vorredner hier so eingehend und auch
uns auch nicht an die Wand drücken lassen. so landwirtschaftsfreundlich geredet haben, kann
(Sehr richtig! bei der FDP.) ich es mir versagen, auf weitere Einzelheiten ein-
Ich möchte hier nur, eins mit wenigen Zahlen zugehen, sondern ich möchte nur ganz allgemein
sagen. Die Dinge liegen so, daß eine zehnprozen- die Stellung meiner Fraktion zum Problem „Land-
wirtschaft" erläutern.
tige Steigerung des landwirtschaftlichen Binnen-
marktes heute schon mindestens anderthalb Mil- Die Bitte des Vaterunsers „Gib uns heute un-
liarden ausmacht, nach den Ausführungen, die ser täglich Brot" ist die Basis, von der aus wir
einer meiner Herren Vorredner gemacht hat, so- vom Zentrum das' Problem Landwirtschaft be-
gar noch etwas mehr. Wir wissen, daß der Kampf trachten. Es gibt bei uns im Münsterlande
für den Export unserer Industrieprodukte auf einen Spruch, der lautet: „Wenn der Himmel
dem Weltmarkt sehr hart sein wird. Man soll aber einfällt, haben wir alle zusammen dieselbe Nacht-
das eine tun und das andere nicht lassen. Man soll mütze auf!" Unser Himmel ist eingefallen, und
neben der Förderung des Exports auch an die die Nachtmütze, die wir heute tragen, heißt: Not,
Kräftigung und Festigung des Binnenmarktes Sorge, Armut. Wir schwimmen heute alle in
denken, und wir glauben, daß da nicht all das einem Boot, im Boot der Gemeinschaft, der deut-
geschehen ist, was manchmal hätte geschehen schen Volksgemeinschaft.
können. (Gelächter links und bei der CDU.)
(Sehr richtig! bei der FDP.) — Meine Damen und Herren! Lachen Sie nicht!
Gerade auf dem Gebiet der Veredlungswirt- — Die erste Bedingung, um der Landwirtschaft
schaft liegen die Verhältnisse leider ganz beson- zu helfen, ist unseres Erachtens die Beendigung
ders im argen. Hierunter haben die klein- der Arbeitslosigkeit. Früher hieß es immer:
bäuerlichen Betriebe besonders zu leiden. Ich „Hat der Bauer Geld, dann hat's die ganze
denke in diesem Zusammenhang auch an die Welt!" Heute muß es heißen: „Hat der Arbeiter
Winzer. Ich denke an den Gartenbau, den mein Geld, dann hat's der Mittelstand, dann hat's der
Herr Vorredner ganz besonders unterstrichen Bauernstand und damit die ganze Welt!"
hat. In denke an die verschiedenen Produkte, Und darum: Solange wir rund 6 Millionen
die speziell von kleinbäuerlicher Seite erzeugt Arbeiter haben, .die mit einem Nettomonats-
werden. Es ist so, daß der Kleinbauer heute einkommen von 180 DM auskommen müssen,
praktisch mindestens fünf Sechstel seiner Ein- solange wir darüber hinaus noch rund 1 1/2
nahmen aus dieser Veredlungswirtschaft — meist Millionen Arbeitslose haben, wird es der Land-
2182 Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Dr. Glasmeyer)
wirtschaft nicht eher besser gehen, bis die Kauf- Landwirtschaftsminister so herzhaft und so
kraft der großen Masse des Volkes gestärkt langandauernd lachen, wie die Mitglieder des
wird. Hohen Hauses es eben getan haben. In Wirk-
Darüber hinaus suchen wir natürlich nach Mit- lichkeit verdüstern sich jetzt meine Züge, wenn
teln und Wegen, um der Landwirtschaft im Rah- ich daran denke — und verschiedene der Herren
men der allgemeinen Volkswirtschaft ohne Ein- Vorredner haben mit Recht darauf hingewie-
engung der eigenen Bewegungsfreiheit den un- sen —, daß die Lage der Landwirtschaft sich in
bedingt notwendigen Schutz zu gewähren. Aber der letzten Zeit doch sehr erheblich verschlech-
eines, meine Damen und Herren, möchte ich doch tert hat.
zu bedenken geben. Es gibt auch fortschrittliche Gestatten Sie mir ein ganz offenes Wort. Wie
Bauern genug, die die starke Umhütung und ist die Einstellung breiter Schichten zur Land-
Beschützung, die wir in den letzten Jahrzehnten wirtschaft? Wenn ich so draußen herumkomme,
erlebt haben, gar nicht so sehr wünschen. Mir höre ich — ich darf es einmal ganz trivial aus-
scheint: es fehlt der Landwirtschaft heute ein drücken —: „Was wollt ihr denn? Ihr habt im
guter Schuß von Wagemut und frischen Blutes. Kriege kein Taschentuch verloren!
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt; (Zurufe: Sehr gut!)
wer nicht beischläft, kriegt kein Kind! Ihr habt dann ungeheure Verdienstmöglichkeiten
(Allgemeine Heiterkeit. — Abg. Kunze: gehabt. Über euch ist die zweite Währungs-
Das war geschmacklos! — Glocke des reform hinweggegangen, wie es immer der Fall
ist. Inflationen berühren Ziegelsteine und
Präsidenten.)
Scholle nicht. Also. was wollt ihr denn? Ihr
Meine Damen und Herren! seid ja im siebenten Himmel!"
(Andauernde Heiterkeit.) Ich könnte jetzt lange und längste Ausführun-
— Meine Damen und Herren! Lachen Sie nicht! gen machen, um nachzuweisen, wie oberflächlich
(Andauernde Heiterkeit im ganzen Hause. diese Einstellung ist. Es sind heute viele Zif-
— Zurufe von allen Seiten: Au! Na, na!) fern genannt worden. Ich hoffe, meine sehr
verehrten Damen und Herren, daß ich sehr bald
Die Zentrumsfraktion wird alle Anträge und Gelegenheit habe, in einer wirklichen Agrar-
Eingaben — — debatte eine Fernphotographie von dem derzeiti-
(Weiter anhaltende Heiterkeit. — Abg, gen Zustand der Landwirtschaft und die dazu-
Neumann: Was sagt Frau Wessel?) gehörenden Zahlen zu liefern. Nach dem Tage X
Die Zentrumsfraktion — — war die Situation doch ganz klar die: Freiheit
(Fortdauernde Unruhe und Heiterkeit. — für sämtliche übrigen Teile der deutschen Wirt-
Glocke des Präsidenten.) schaft. Dagegen aus gewissen Notwendigkeiten
- Lachen Sie ruhig weiter! heraus, die ich als Ernährungsminister als letz-
ter verkenne: Beibehaltung eines gewissen Aus
(Glocke des Präsidenten.) nahmerechts für die Landwirtschaft hinsichtlich
Meine Damen und Herren! Die Zentrums- der Einnahmeseite. Ergebnis: ein ungeheures
fraktion wird alle Anträge und Eingaben, die in Klaffen der berühmten Schere, über die man
diesem Sinne gehalten sind, aufs freudigste un- spricht, solange man über Agrarkrisen spricht.
terstützen und bejahen. Wir sehen aber in der Nun hat einer der Herren gemeint, es sei noch
Behandlung der materiellen Fragen nicht das gar nichts geschehen. Verehrter Herr Dr.
einzig Notwendige, sondern wir richten unser Schmidt, wenn Sie eine Liste aufstellen, wieviele
Augenmerk auch auf die immateriellen Fragen. Gesetze meinen Namen tragen, dann bekomme
Insbesondere denken wir an die Berufsausbil- ich vielleicht Note 3 bis 4! Wenn Sie jetzt aber
dung an unseren landwirtschaftlichen Schulen einmal gerade unsere Arbeit nach ihrem Erfolg
und Hochschulen. hinsichtlich der Schließung der Schere betrach-
(Weiter andauernde Heiterkeit und Unruhe.) ten, dann, glaube ich, darf ich die Brust heraus-
strecken. Es' ist doch gelungen, diese unbedingt
Vizepräsident Dr. Schmid: Ihre Redezeit ist ab- notwendige Voraussetzung — einigermaßen
gelaufen. gleiche Verhältnisse zwischen den Agrarpreisen
und den Produktionsmittelpreisen — herzustel-
Dr. Glasmeyer (Z): Meine Damen und Herren! len. Aber jetzt läuft uns die Geschichte auf der
Ich möchte nur noch eins sagen. Wenn Sie das, was anderen Seite davon!
ich vorhin gesagt habe, in einem verkehrten
Sinne aufgefaßt haben, so liegt das an Ihnen, (Zuruf von der KPD: Durch den
nicht an mir. Marshallplan!)
-
(Erneute Heiterkeit und Zurufe.) — Hören Sie mir doch auf mit dem Marshall
plan! Wir haben mit dem Marshallplan bereits
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich glaube, für das viel Gutes für die Landwirtschaft leisten können.
Hohe Haus feststellen zu können, daß in Anbe- (Sehr richtig! in der Mitte.)
tracht der Eindeutigkeit dieses Urworts ein Mißver- Spielen Sie doch einmal auf einem anderen Kla-
ständnis kaum möglich war. vier! Das wird ja schon bald langweilig!
(Erneute Heiterkeit. — Abg. Kunze: Es (Beifall bei den Regierungsparteien. —
war trotzdem geschmacklos!) Abg. Strauß: Verlangen Sie nicht zuviel,
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Herr Minister! — Zurufe von der KPD.)
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Jetzt habe ich folgende Meinung: Es ist furcht-
bar schwer, die Situation der Landwirtschaft von
Niklas, Bundesminister für Ernährung, Land- der Preisseite her zu bessern. Wir müssen na-
wirtschaft und Forsten: Meine sehr verehrten türlich unter allen Umständen — da stimme ich
Damen und Herren! Ich wollte, ich könnte als allen Rednern von Dr. Horlacher an bis zum
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2183
(Bundesminister Dr. Niklas)
letzten Redner bei — den Milchpreis halten; spiel herausstellen: Es sind Milliarden zu spa-
denn, meine Damen und Herren, der dünne, ren, wenn wir in der Tiefernährung vorwärts-
weiße Strahl, den die fleißige Hand der Bäuerin kommen und neue Erkenntnisse gewinnen. Un-
dem Euter der Kuh entlockt, wird zum breite- ser deutscher Professor muß den Versuch mit
sten Goldstrom. Ich habe das schon einmal ge- zwölf weißen Mäusen und zwanzig Meerschwein-
sagt. Und das, was der Fleiß unserer Kohlen- chen ansetzen. Sein Kollege von drüben macht
arbeiter aus dem Schoß der Erde holt, ist — rein einen Versuch mit hundert Ochsen und kommt
ziffernmäßig genommen — nicht mehr an Wert infolgedessen zu viel einwandfreieren und ge-
als -der der Milch. naueren Resultaten als unser deutscher Profes-
Aber wie liegen denn die Dinge? Es hat doch sor, der sich mit den weißen Mäusen abplagen
gar keinen Zweck, große Reden zu halten. Wir muß. Die deutsche Wissenschaft hat unmenschlich
sind darauf angewiesen, daß die Konsumkraft viel geleistet, auch im Agrarsektor — angefan-
gleich bleibt. 1,8 Millionen Arbeitslose bedeu- gen von Justus von Liebig bis Soxhlet usw. —,
ten für uns, daß sich die Kaufkraft allein für aber ich muß offen zugeben, daß wir einen Feh-
Lebensmittel im Jahr um 720 Millionen senkt. ler gemacht haben: wir haben die Wissenschaft
Denken Sie doch einmal die Sache in der Praxis auch in der Landwirtschaft zu sehr als Selbst-
durch! Brot muß der Arbeitslose nach wie vor zweck betrachtet.
kaufen, sonst verhungert er, ebenso Kartoffeln. (Abg. Dr. Horlacher: Sehr richtig!)
Hat er Kinder, so braucht er Nährmittel. Fol-
gende Dinge kann er aber nicht mehr in ent- Da haben wir jetzt gelernt und wir hoffen, von
sprechendem Umfang kaufen: Fleisch, Eier, Milch, den Amerikanern noch viel zu lernen, die z. B.
Butter, also die gesamten Produkte der Ver- jeden Lehrstuhl auf den landwirtschaftlichen
edelungswirtschaft. Universitäten doppelt besetzt haben. Nur der
eine Professor ist ein Wissenschaftler, der andere
Ich mache in meinem Amt eine große Kurve: ist der Propagandist, der daneben sitzt und
rot die Zahlen der Arbeitslosen. blau die Preise schaut, ob sein Kollege am Mikroskop irgend
für die Veredelungsprodukte. Ebenso steil, wie etwas herausbringt, was der Landwirtschaft nüt-
die Arbeitslosenkurve in die Höhe geht, sinkt die zen könnte, und dafür sorgt, daß diese neueste
Kurve für die Veredelungsprodukte in die Tiefe. Erkenntnis sich in möglichst rascher und mög-
Das sind doch Zusammenhänge, die ganz klar lichst breiter Form der Landwirtschaft über-
zutage liegen! Das zeigt doch die Verbunden- mitteln läßt.
heit aller Teile der deutschen Wirtschaft! Eine
entsprechende Agrarpolitik ist infolgedessen eine Da also waren wir rückständig, das muß offen
gute Verbraucherpolitik und umgekehrt. Das zugestanden werden. Nach dieser Richtung hin
soll es besser werden, und damit, Herr Dr.
wollte ich grundsätzlich dazu sagen. Schmidt, können wir auch eine moderne Bera-
Meine Damen und Herren! Ich will nur ganz tung aufbauen. Das ist aber leichter gesagt als
kurz auf einige Fragen antworten, die gestellt getan. Meine Herren, unsere Bundesrepublik
wurden. Herr Dr. Horlacher fragte. wo die ist der Agrarstruktur nach ein Bauernland, fast
Zuschüsse aus dem Marshallplan bleiben. 75 ein Kleinbauernland. Wenn Sie z. B. die Mitte
Millionen sind vorgesehen! — Schwierigkeiten des Bundesgebiets nehmen, das Gebiet, in dem
der Abwicklung? Der ECA-Vertrag vom 15. die Franken siedeln, die durch ihre Erbteilung
Dezember 1949 sieht eine gewisse Haftung der im Laufe der Jahrhunderte eine gewisse Atomi-
Bundesregierung vor. Er ist ohne weiteres er- sierung des Bodens hervorgerufen haben, dann
füllbar hinsichtlich der als Kredite ausgeliehe- sehen Sie, daß dort ein landwirtschaftlicher Be-
nen ECA-Mittel, dagegen nicht ohne weiteres rater 5000 landwirtschaftliche Betriebe zu be-
mehr applizierbar hinsichtlich der 70 Million en. treuen hat.
Die Verhandlungen sind aber sehr weit gediehen,
und wir können in allernächster Zeit damit rech- Das ist auch der Grund dafür, daß Maßnah-
nen, daß diese 70 Millionen zur Auszahlung men wie z. B. die Verbilligung des Kunstdüngers
kommen. Damit sollen Dinge gefördert werden, so schwer durchzuführen "sind. Ich könnte lange
auf deren Notwendigkeit heute auch schon hin- reden, um das Problem aufzuzeigen; aber es sind
gewiesen wurde, insbesondere die landwirtschaft- Dinge, über die man sich vielleicht in den kom-
liche Forschung. menden Wochen unterhalten kann. Ich bin der
Meine Herren! Ich habe im Jahre 1946 die Meinung von Dr. Horlacher, daß das bald ge-
ersten wirklichen Friedensschwalben hier in schehen muß. Ja, meine Herren, das sind 600
Deutschland begrüßen können, die in Gestalt von Millionen. Verbilligen Sie den Kunstdüngemit-
sechs Professoren von landwirtschaftlichen Uni- telbezug um 25 %, dann müssen Sie mit einem
versitäten über den großen Teich herüberkamen. Aufwand von 150 Millionen im Jahre rechnen.
Ich habe mir die Mühe gemacht und habe sie Das kann nur dann geschehen, wenn' mit einem
auf der ganzen Reise begleitet, die der Besichti- an Sicherheit grenzenden Grad von Wahrschein-
gung unserer wissenschaftlichen Institute galt. lichkeit zu erwarten ist, daß sich diese Aufwen-
Deren Urteil lautete zunächst: Na, Kinder, zeigt' dung auch wirklich produktionssteigernd aus-
einmal das blecherne Spielzeug her, das ihr habt! wirkt.
Es zeigte sich aber steigende Hochachtung vor Man hat davon gesprochen — Dr. Schmidt hat
der deutschen Wissenschaft, je mehr man den es getadelt —, daß man z. B. die Subventionen
Herrschaften zeigen konnte, wie wir in Deutsch- für Flachsrösten nicht mehr gibt. Im Ernäh-
land auch mit einfachen Mitteln etwas erreichen. rungsausschuß haben wir uns lange darüber un-
Ich komme eben von einer Sitzung im Zen- terhalten, und die Parteien waren es, die er-
tralausschuß der deutschen Landwirtschaft. Wir freulicherweise übereinstimmend zu der Auffas-
haben uns über die so wichtige Frage der Tier- sung kamen, daß man mit den kleinen Subven-
ernährung auf Grund eines sehr interessanten tionen aufhören sollte, um alle Mittel, die zur
Referats unterhalten. Ich darf folgendes Bei- Unterstützung der - Landwirtschaft herangezogen
2184 _ Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Bundesminister Dr. Niklas)
werden, auf einen Punkt zu massieren, von dem Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmeldun-
aus man einsetzen kann. gen liegen nicht vor.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen auf Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt ein
die Tonne nachweisen, daß die geradezu glän- Ergänzungsantrag der Kommunistischen Partei
zende Ernte, die wir im Jahre 1949 hatten, außer vor, den der Abgeordnete Niebergall übergeben
auf die gute Witterung auf die Steigerung in un- und begründet hat. Über diesen Ergänzungsan-
serem Kunstdüngemittelverbrauch zurückzufüh- trag zum Ausschußantrag wäre zunächst abzu-
ren ist. Ich glaube, man muß der deutschen stimmen. Ich verlese diesen Antrag, der vor der
Landwirtschaft dafür dankbar sein, daß sie trotz Abstimmung nicht verteilt werden konnte, noch
der Kapitalnot, unter der sie zu leiden hat, im einmal. Er lautet:
Jahre 1949 bereits wieder einen Kunstdünge- Hinter dem ersten Absatz wird eingefügt:
mittelverbrauch gehabt hat, der dem Verbrauch Die von der Bundesregierung durchzufüh-
in den Friedensjahren 1938 und 1939, also in der
renden Maßnahmen müssen neben der Pro-
Zeit nach der Göringschen Düngemittelverbilli- duktionssteigerung, der Sicherung des Ab-
gung, entspricht. Ich weiß, daß große Sorgen satzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse, der
dahin geäußert worden sind, daß wir in diesem Verbesserung der landwirtschaftlichen Tech-
Frühjahr beim Bezug von Düngemitteln zurück- nik auch eine ausreichende finanzielle Hilfe
stehen. Es sah auch bedrohlich aus. Am 30. in der Form billiger und langfristiger Kre-
Januar waren wir im Stickstoffbezug um 21 %
hinter dem Bezug am gleichen Stichtag des Vor- dite enthalten.
jahres zurück. Bei P2 O5, bei Phosphorsäure. fiel Im Rahmen des Wiederaufbaues der deut-
der Bezug um 19 % zurück. Meine Damen und schen Landwirtschaft wird die Regierung ver-
Herren, die Sache ist so gut wie aufgeholt. Nach pflichtet, den Aufbau des gesamtdeutschen
dem letzten Stand vom 31. März liegen wir bei Innenhandels mit allen Mitteln zu fördern.
Stickstoff nur mehr um 6 % und bei Phosphor- Wer dafür ist, daß der Ausschußantrag nach
säure nur noch um 9 % zurück. Die täglichen dem Antrag der KPD, den ich eben verlesen
Meldungen der Eisenbahn über Verladungen las- habe, ergänzt wird, den bitte ich, die Hand zu
sen erwarten, daß wir- per 30. April wieder den erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der
ungefähren Stand vom Vorjahre haben. Da- Ergänzungsantrag ist abgelehnt.
gegen haben wir unseren Plan hinsichtlich einer Dann lasse ich über den Antrag Drucksache
weiteren Erhöhung des Kunstdüngemittelver- Nr. 808 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte
brauchs nicht voll erreicht. ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Einstimmig angenommen.
Herr Dr. Schmidt, wir haben schon Pläne; sie
sind ganz genau aufgestellt bis zum Jahre 1952. (Zuruf in der Mitte: Gegen Herrn Renner!)
Es ist auch so, daß die Pläne nicht nur Papier — Nein, das war nur seine Hand, die sich vom
sind. Die Landwirtschaft hat es unter Aufwen- letzten Male her besonders langsam gesenkt hat!
dung von viel Arbeit und manchen Opfern ver- (Heiterkeit.)
standen — und mit der Angabe einer Zahl nach
der Richtung darf ich jetzt zum Schluß kom- Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
men, weil diese Zahl vielleicht mehr als lange Beratung des Antrags der Fraktion der
Darlegungen sagt —, unsere Bodenleistungsnut- KPD betreffend Anwerbung von Deut-
zung, die nach dem Plan, den wir zusammen mit schen für fremdländischen Militärdienst
den Alliierten aufgestellt haben, im Jahre 1952 (Drucksache Nr. 687).
gleich 103 sein sollte, bereits im Jahre 1949 auf Das Wort zur Begründung des Antrages hat
105 zu bringen. Wir sind also bodennutzungs- der Herr Abgeordnete Harig. — Sie haben 10
mäßig bereits um zwei Punkte über unser Plan- Minuten Redezeit zur Einbringung.
ziel, das wir uns für das Jahr 1952 gestellt ha-
ben, hinausgekommen. Das muß man auch ein- Harig (KPD), Antragsteller: Meine Damen und
mal sagen. Wenn man als Landwirtschaftsmini- Herren! Vor Ihnen liegt die Drucksache Nr. 687.
ster so das Gefühl hat, daß sich alle immer so Die Ursache zu diesem Antrag ist ein trauriges
gern an einer gewissen angeblichen Inferiori- Kapitel. Schon am 1. Februar 1950 richtete
tät der Landwirtschaft reiben, und wenn man meine Fraktion eine Anfrage über die Anwer-
immer vorgesetzt bekommt, daß man nur in den bung Deutscher in ausländischen Söldnerheeren
anderen Teilen der deutschen Wirtschaft die an die Bundesregierung. Am 21. Februar 1950
Weisheit mit Löffeln gefressen habe, dann darf antwortete die Bundesregierung, die Anwerbung
man wohl auch einmal auf solche Positiva hin- für ausländische Heere sei nicht verboten. Die
weisen; denn sie sind nicht nur das Ergebnis Bundesregierung habe mit der Hohen Kommis-
von Schweiß und von Entbehrungen, sondern sion auch noch keine Verhandlungen mit dem
auch das Ergebnis -von wohlüberlegtem, denkeri- Ziel der Einstellung der Anwerbung gepflogen.
schem Arbeiten. Wir wissen alle, daß die Land- Sie besitze keine zuverlässigen Unterlagen über
wirtschaft von heute in ihren Ansprüchen nicht den Umfang der Werbung. Das war sinngemäß
nur von dem Körper, sondern auch von dem Geist die Antwort der Bundesregierung. Die Länder-
ebensoviel verlangt wie jeder andere Wirtschafts- regierungen schlossen sich auf Befragen der Ant-
zweig. Diesen Erfolg, daß wir jetzt unseren wort der Bundesregierung im großen und gan-
Plan hinsichtlich der Bodenleistungsnutzung um zen an. So zum Beispiel hat der Sprecher der
volle zwei Punkte überschritten haben, hier von badischen Regierung ganz kürzlich erklärt, die
der Tribüne der deutschen Volksvertretung fest- Werbungen seien nicht verboten und fielen in das
zustellen, ist mir als Landwirtschaftsminister ein Tätigkeitsgebiet der Besatzungsmacht.
Herzensbedürfnis.
Wie liegen nun die Dinge? In einer west-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) deutschen Zeitung vom 1. März 1950 lesen wir:
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2185

Vom Bundesflüchtlingsministerium wurde Sie uns irgendwo Arbeit besorgen könnten, wä-
bekanntgegeben, daß täglich 50 deutsche Ju- ren wir Ihnen sehr. sehr dankbar. Aber da wir
gendliche bei der Werbestelle für die fran- nirgends Arbeit finden, müssen auch wir uns not-
zösische Fremdenlegion angenommen wer- gedrungen nun der Fremdenlegion zur Ver-
den. fügung stellen." — Das ist ein Erlebnis, das ich
(Hört! Hört! bei der KPD.) selbst in Köln im Wartesaal des Hauptbahnhofes
Das Ministerium muß zugeben, daß es sich in der gehabt habe.
Hauptsache um arbeitslose Jugendliche handelt, Aus dem Grunde ist die Frage der Anwerbung
welche die Not in die Fangarme der Legionen von Söldnern für ausländische Heere nicht nur
treibt. eine nationale, sondern auch eine soziale Frage.
(Hört! Hört! bei der KPD.) (Sehr gut! bei der KPD.)
Die Luzerner Neuesten Nachrichten" berichten, Es liegen Erlebnisberichte vor. und die eben
daß monatlich 2000 bis 2500 jugendliche Deutsche vo n mir zitierte Zeitung bringt einen solchen Er-
von fremden Ländern für den Waffen- lebnisbericht, wie die Anwerbungen in den Biros
dienst angeworben würden. Am 30. März 1950 in Koblenz, Hochheim, in Landau und Lindau
schreibt eine süddeutsche Zeitung, daß 40 000 vorgenommen wurden und wie sich das Schick-
Deutsche in Vietnam gefallen seien. Die Han- sal dieser jungen Deutschen dann gestaltet.
noversche Presse berichtet, daß in den letzten
vier Jahren rund 50 000 Deutsche in Vietnam ge- Das sind Dinge, die ich nicht an den Haaren
fallen seien. Das Rekrutierungsbüro befindet sich herbeiziehe, sondern die in den von mir zitier-
in Offenburg in der französischen Zone, wo mo- ten Zeitungen zu lesen sind. Die Zeitungen
natlich rund 500 Eintragungen vorgenommen stehen voll von diesen Dingen, aber die Regie-
rung sieht nichts.
würden.
Zei Das sind einige Berichte aus deutschen (Sehr richtig! bei der KPD.)
tungen, die ich hier angeführt habe. Jetzt habe ich Ist denn die Regierung eigentlich blind, daß sie
eine Zeitung zur Hand genommen, die erst ge- diese Dinge nicht sieht, daß sie dort nicht von
stern herausgekommen ist, und zwar die „Süd- sich aus eingreift; erst recht, nachdem wir den
deutsche Zeitung" Nr. 96 vom 26. April 1950. von mir zitierten Antrag mit den sieben Fragen
Diese Zeitung. die in München erscheint, schreibt gestellt haben? Ich glaube. diese Regierung will
hier unter anderem — ich zitiere —: nichts sehen und sie darf nichts sehen.
Offenburg ist ein unruhiges Pflaster gewor- (Sehr richtig! und Händeklatchen
den, seitdem die Franzosen hier den einzi- bei der KPD.)
gen Umschlagplatz für Legionäre aus Es paßt alles so schön in das Mosaik der Kriegs-
Deutschland eingerichtet haben. Das Lager vorbereitungen.
liegt am „Holderstock", zehn Minuten von (Abg. Renner: Sehr gut! — Zuruf von
der Stadt entfernt. Rechts weht an einem der CDU: Gut gelesen!)
hohen Mast die Trikolore. - Gut gelesen? Ich will dem Zwischenrufer
Jeden Tag passieren etwa vierzig bis fünf- sagen: Geben Sie mir eine Stunde Redezeit! Ich
zig die Barrieren. wöchentlich kommen etwa brauche kein Konzept. Ich will mit Ihnen eine
einhundert, eingekleidet und vereidigt. in Wette eingehen. daß ich mich in der Rededauer
einem geschlossenen Transport nach Mar- Ihnen gleichstelle.
seille. (Heiterkeit. — Abg. Strauß: Aber nicht im
Es heißt weiter: Inhalt! — Abg. Dr. Schäfer: Lang
Die Anwerbestellen in Lindau, Landau und streckenläufer!)
anderen Städten Deutschlands können ihre
Tätigkeit . also ruhig fortsetzen, denn die Es war von jeher die Eigenschaft verfallender
Bundesregierung hat „bisher keine Verhand- Klassen, sich von der Nation zu trennen. Die
lungen über die Anwerbung geführt". preußischen Junker und die Fürsten haben in
der Geschichte Beispiele dafür geliefert.
(Hört! Hört! bei der KPD.) (Zuruf rechts: Auch Seydlitz!)
Das zu den Zeitungsberichten. Ich bin Be-
Und so werden auch diejenigen, die nationalen
triebsrat in einem Großbetrieb. Unter den bei Verrat übten, auch heute wieder würdige Nach-
uns sich täglich einfindenden 60 bis 70 Arbeits- folger finden.
losen, die um Arbeit bitten, gibt es eine ganze
Menge Jugendlicher, die auch heimatlos und (Zuruf von der FDP: Die haben sie schon,
wohnungslos sind. Da es nicht möglich ist,, die in der Ostzone!)
Leute unterzubringen, habe ich persönlich schon Beruhigen Sie sich, seien Sie still von der
des öfteren gehört, daß diese Jugendlichen- er- Ostzone! Ich bin vor wenigen Wochen mit einem
klären: „Es bleibt uns nichts übrig, wir müssen der Ihrigen, und zwar dem Vorsitzenden der
zur Fremdenlegion gehen." In ihrer Not, in CDU aus Hagen-Haspe, zehn Tage dort gewe-
ihrer wirklichen Not erklären sie das. Ein an- sen. Nun will ich Ihnen sagen, was passiert ist.
derer Weg bleibt ihnen auch tatsächlich nicht, (Zuruf rechts: Warum sind Sie nicht da
trotz Marshallplan! geblieben?)
Ich persönlich habe neulich ein Erlebnis im Al s wir zurückkamen — unterbrechen Sie mich
Wartesaal des Kölner Hauptbahnhofes gehabt. doch nicht! —, hat ihn seine Partei, die CDU,
Dort traf ich einige junge Menschen. Ihre Un- weil er die Wahrheit gesagt hat, zur Räson ge-
terhaltungen haben ich dann gehört. Ich habe bracht. Sie hat ihn so lange getreten, bis er
mich später in ihre Unterhaltung auch einge- nicht nur seinen Vorsitzendenposten niedergelegt
mischt. Sie erklärten ganz offen: „Wir wissen hat, sondern sogar aus der CDU austreten
nicht mehr, was wir machen sollen. Wir haben mußte,
keine Heimat, wir haben keine Arbeit. Wenn (Sehr richtig! rechts)
2186 Deutscher Bundestag. — 59, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950

bloß weil er die Wahrheit über die Verhältnisse Es ist sehr schwer, an die Ernsthaftigkeit der
gesagt hat, die er dort erlebt hat. Argumente der kommunistischen Fraktion hier
(Zurufe von der Mitte: Schwindel! — zu glauben, wenn der Redner sogar die Stel-
Wer war denn das?) lungnahme des Bundesinnenministers hier zi-
tiert, ohne offenbar auf die Idee zu kommen,
— Sie haben bisher doch einen der Ihrigen be- daß diese ja nicht nur von der kommunistischen
schwindelt und nicht uns. Fraktion gelesen wird. Was er an dieser Stel-
(Abg. Dr. Oellers: Sie hätten wir nicht lungnahme zu erwähnen vergessen hat, ist in
mal vermißt! — Heiterkeit.) diesem Zusammenhang das Interessanteste. Dar-
— Ich sage ja, ich messe mich nicht an Ihrer aus geht nämlich hervor, daß von deutscher Seite
Intelligenz. aus die Werbung für die Fremdenlegion schon
(Abg. Dr. Oellers: Das können Sie nicht!) verboten gewesen ist, und zwar nach § 141 a des
— Das tue ich auch nicht. Ich bin ja auch nur Reichsstrafgesetzbuchs,
ein simpler Betriebsrat, und manchem fällt es (Abg. Renner: Früher mal!)
überhaupt auf, daß ein Arbeiter aus einem Be- obwohl in Art. 179 Abs. 3 des Versailler Ver-
trieb hier in diesem Parlament anwesend ist; trages die Werbung ausdrücklich zugestanden
dem kommt das ganz komisch vor. werden mußte. Dieser Paragraph des Straf-
(Zuruf rechts: Bitte, weiterlesen! — Abg. gesetzbuchs ist im Januar 1946 außer Kraft ge-
Rische: Blöde Bemerkung!) setzt worden, nicht von den drei Hohen Kom-
missaren, sondern durch ein Kontrollratsgesetz
Dieser westdeutsche Staat bedeutet ja nicht Nr. 11, das von allen vier Besatzungsmächten
nur die Spaltung unseres Vaterlandes, sondern unterschrieben worden ist.
stellt auch nur eine Karikatur eines selbstän-
(Hört!-Hört!-Rufe und Heiterkeit rechts.
digen Staates dar. — Abg. Renner: Was wollen Sie denn da
(Oho-Rufe in der Mitte. — Sehr gut! mit beweisen? — Abg. Niebergall: Dann
bei der KPD.) muß man trotzdem dagegen vorgehen! —
Das gefällt Ihnen auch wieder nicht. Adenauer Abg. Renner: Ist nicht das Potsdamer Ab
hat nicht mehr Selbständigkeit, als General Pé- kommen auch von allen vier unterschrie
tain in Vichy mit seiner Regierung hatte. Die ben worden?)
deutsche Jugend aber — und nun können Sie Damit ist es klar, daß die Adresse der Kontroll-
wiederum aufheulen — wird am Pfingsten zei- rat ist und nicht die drei Hohen Kommissare.
gen, daß sie nicht gewillt ist, (Abg. Renner: Den anerkennen Sie ja gar
(Lachen rechts) nicht, der existiert ja für Sie gar nicht
für die Interessen der Monopolkapitalisten des mehr!)
In- und Auslandes zu sterben. — Wir haben noch nie erklärt, daß wir den Kon-
(Beifall bei der KPD.) trollrat nicht anerkennen. Das wäre erstens
Das deutsche Volk sollte jedenfalls erwarten eine außerordentliche Dummheit, und zweitens
dürfen, daß die Bundesregierung auf dem Pe- haben wir gar nichts dagegen.
tersberg vorstellig wird, um zu verhindern, daß (Abg. Schoettle: Warum seid ihr so ner
weiterhin deutsche Söhne im Interesse der Im- vös da drüben?)
perialisten in fremden Ländern elend um- Soviel wegen der Adresse. In der Tat scheint
kommen. es uns nötig und für die Volksvertretung auch
(Zuruf rechts: Auch in Griechenland!) würdig, zu sein, Schritte gegen die Werbung von
Ich bitte daher, dem Antrag auf Drucksache Fremdenlegionen irgendwelcher Art auf deut-
Nr. 687 zuzustimmen, schem Gebiet zu unternehmen.
(Zuruf von der FDP: Propagandaantrag!) Wir haben selbstverständlich, das liegt im
Charakter der Fremdenlegion und insbesondere
wobei ich mir auf Ihre Unterstützung keine am Aufbau der französischen, keinerlei wirklich
Hoffnung mache. authentisches Material, weder darüber, wieviel
(Zurufe von der FDP: Das war das einzig Leute dafür geworben worden sind, noch darüber,
Richtige an Ihrer Rede! — Da haben Sie wieviele Deutsche jemals Mitglieder der Frem-
recht! — Zuruf rechts: Zur Tagesordnung denlegion gewesen sind.
übergehen! — Abg. Renner: Wenn der (Zuruf von der KPD: Aber darüber, wie
Geist dazu benutzt wird, das Volk zu ver- viele von ihnen starben! Das weiß man!)
dummen, dann ist das kein Geist! — Zu- Übereinstimmende Schätzungen haben bisher er
-
ruf rechts: Fühlen Sie sich getroffen?) geben: man kann damit rechnen, daß bis zum
Jahre 1920 etwa 250 000 Deutsche und von 1920
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der bis 1929 weitere 70 000 allein in den Reihen der
Herr Abgeordnete Eichler. französischen Fremdenlegion umgekommen sind.
(Hört! Hört! bei der KPD.)
Eichler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion Das, scheint uns, sind Zahlen, die zu denken
sympathisiert an sich mit dem sachlichen Inhait geben, wobei es nicht nur die Höhe ist, weil an
dieses Antrags, sich jeder, der nutzlos für eine Sache aufgeopfert
(Zuruf von der FDP: Wir alle!) wird, selbstverständlich überflüssigerweise ge-
opfert wird. Um so mehr ist das zu bedauern,
wenn sie allerdings auch von Anfang an erklä- als die Auslese für die französische Fremden-
ren muß, daß die Adresse, an die sich dieser legion außerordentlich streng ist. Das heißt: es
Antrag wendet, falsch gewählt worden ist. ist ganz sicher, ,daß die, die im Dienste der
(Sehr gut! bei der SPD.) französischen Fremdenlegion umkommen, Leute
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1050 2187
(Eichler)
sind, die unter normalen Umständen wenigstens Volkspolizei im Osten jedem ernsthaften Men-
die Chance gehabt hätten, lange zu leben und schen zu denken geben.
vernünftige und ordentliche Arbeit zu leisten. (Sehr richtig! bei der SPD und in der
Nach den Berichten, die uns vorliegen, sind Mitte.)
unter denjenigen, die zur Fremdenlegion gehen,
auch ein großer Teil von Flüchtlingen und auch Eigentlich schon der Name Volkspolizei; denn
von Flüchtlingen, die in jüngster Zeit aus der es hat sich gezeigt, daß bei unserer neudeut
Ostzone geflüchtet sind. Es sind aber auch sehen Sprachverhunzung das Vorwort „Volk"
—undasolteijgbdnk,er immer dann gebraucht wird, wenn man das Volk
einen Stein auf die Fremdenlegionäre werfen aus irgendeinem Grunde hintergehen will.
und meinen, das seien nur schlechte Landesver- (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und
räter und Leute ohne Gewissen und Charakter — in der Mitte.)
im wesentlichen auch gestrandete Existenzen, die Ob das Volkspolizei oder Volksgericht oder
nicht so sehr wegen ihrer eigenen Unfähigkeit Volksdemokratie ist,
gestrandet sind als wegen der Unzulänglichkeit (Abg. Strauß: Volkseigene Betriebe! —
unserer eigenen Verfassungen und insbesondere Gegenrufe von der KPD: Aha!)
unserer Wirtschaftsverfassung.
es ist immer dieser Pleonasmus, der verdächtig
(Sehr richtig! bei der SPD.) ist und vor dem man auch von dieser Stelle aus
Grund genug also, darüber nachzudenken, daß warnen sollte.
der Kampf gegen die Werbung für die Fremden- Meine Damen und Herren, die Volkspolizei in
legion am wirkungsvollsten eigentlich dadurch der Ostzone ist heute etwa 200 000 Mann stark.
geführt werden sollte, daß man Verhältnisse (Zurufe von der KPD: Ei, ei!)
schafft, bei denen ein Deutscher schon von sich Davon sind rund 50 000 sogenannte Bereitschafts-
aus keinen Geschmack daran haben könnte, Mit- polizei. Das ist eine Bereitschaftspolizei, die nicht
glied einer Fremdenlegion zu werden, nicht nur nur in ihren Übungen nicht. mehr an eine Polizei
aus nationalen Gründen, sondern vor allen Dingen erinnert, sondern einfach militärische Übungen
aus sozialen Gründen. veranstaltet und die zwar formell dem Innenmini-
Prinzipiell steht meine Fraktion auf dem sterium der Ostzone untersteht, praktisch aber in
Standpunkt, daß die Nationen, die wünschen, allen ihren Einheiten durch russische Offiziere, so-
eine Armee aufzustellen, weil sie sie für irgend- genannte Sowjetniks, kontrolliert wird, die darauf
welche wichtigen oder unwichtigen Zwecke brau- zu achten haben, daß die von der SMA herausge-
chen, sehen sollten, dazu eigene Landeskinder gebenen allgemeinen Richtlinien für die deutsche
einzustellen und die Angehörigen anderer Natio- Volkspolizei auch beachtet werden.
nen damit zu verschonen. (Zuruf von der KPD: Sie sollten sich genieren,
(Erneute lebhafte Zurufe bei der SPD: ein solches Zeug vorzutragen!)
Sehr richtig!) Nun, meine Damen und Herren, man kann die-
Wir haben auch Nachrichten, daß England und ses Instrument nennen, wie man will; wir wollen
Amerika gewisse Versuche der Mobilisierung uns nicht auf Titel festlegen. Auch über den Zweck
einer Fremdenlegion anstellen, die Engländer dieser Polizei wollen wir uns insofern nicht den
6000 und die Amerikaner 10 000 Mann, wenn auch Kopf zerbrechen, als wir glauben,' wir kennten ihn
offenbar unter erheblich menschenfreundlicheren jetzt ohnehin genau. Ich möchte aber zu beden-
Bedingungen als in der französischen Fremden- ken geben, daß die Verwendung dieser Polizei
legion. Wir haben Gründe, auch dagegen zu vielleicht noch fragwürdiger sein wird als die jeder
opponieren. Wir stellen fest — zu unserer Fremdenlegion;
Freude —, daß man in diesen beiden Völkern (Sehr richtig! bei der SPD)
schon erheblichen Widerstand geltend gemacht denn bisher galt es als ein ungeschriebenes Gesetz
hat, weil man sich insbesondere daran erinnert, für die Fremdenlegionen, daß sie meist in Erd
daß König Georg III. von England seinerzeit in teilen eingesetzt werden, wo niemand der Beteilig
seinem Kampf gegen die englischen aufständi- ten in die Verlegenheit kommen kann, auf seine
schen Kolonisten in Nordamerika in Deutschland eigenen, sagen wir mal, Volksgenossen zu schießen.
eine ganze Reihe von Fremdenlegionären, aller- (Sehr wahr! bei der SPD.)
dings nicht als Freiwillige, hat werben lassen,
sondern den entsprechenden Landesvätern von Diese Voraussetzung scheint uns bei der Volkspoli-
damals einfach abgekauft hat, eine Erinnerung, zei keineswegs gesichert zu sein.
die für den deutschen Namen und für die deut- (Sehr gut! bei der SPD.)
schen Dynastien ganz gewiß nicht schmeichel- Es scheint uns so zu sein, daß sie etwa, sagen wir,
haft ist. - die SA der SMA sei.
Nun aber, meine Damen und Herren, haben (Erneute lebhafte Zurufe bei der SPD: Sehr gut!)
wir den Eindruck — und das hat uns veran In dem Sinne nehmen wir uns heraus, auch von
laßt, die Sache hier ernsthafter zur Sprache zu den Bereitschaften der Volkspolizei als von einer
bringen —, daß wir eigentlich auch in unserem Fremdenlegion zu sprechen.
Osten von einer Fremdenlegion zu sprechen (Sehr richtig! bei der SPD.)
haben, Wir haben deshalb vorzuschlagen, da wir diesen
(Sehr gut! bei der SPD) Fragenkomplex einmal sehr gründlich durchleuch-
nicht so, daß etwa die russische Besatzungs- ten möchten, diesen Antrag nicht einfach heute
macht Freiwillige für die Rote Armee wirbt; mit ja oder nein zur Abstimmung zu bringen, son-
darüber haben wir keine Meldungen, und wir dern ihn dem Auswärtigen Ausschuß zu überwei-
würden es auch durchaus glauben, wenn uns sen, der Gelegenheit haben wird, gründlich jede
versichert wird, daß das nicht der Fall ist. Durch- Einzelheit der uns vorliegenden Informationen zu
aus aber muß die Entwicklung der sogenannten überprüfen.
2188 Deutscher Bundestag, — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Eichler)
Wir haben dafür noch einen anderen Grund. Ge- Gesetzes soll jede bewaffnete militärische
rade im Zusammenhang mit den Erörterungen Truppe oder Polizeiformation gelten, in der
übe r die Fremdenlegion hat sich ein Problem Deutsche in Mannschafts- oder Unteroffizier
herausgestellt, das vielleicht in Zukunft ein Pro- graden unter dem Befehl ausländischer Offi-
blem unserer ganzen Demokratie werden kann. Es ziere Dienst tun oder künftig tun sollen, sowie
handelt sich hier um eine Art von Fremdenlegio- Formationen, über deren Einsatz im Ernstfall
nären, die wahrscheinlich nie daran gedacht haben, nicht deutsche, sondern ausländische politische
daß sie jemals damit zu tun haben könnten, näm- Stellen zu entscheiden hätten.
lich eine Gruppe von deutschen Wissenschaftlern, Kein Deutscher darf Soldat sein, es sei denn
z. B. von Atomforschern. Eine ganze Reihe von auf Grund eines in voller Freiheit eigener Ent-
ihnen hat 1945 mit der amerikanischen Regierung schließung von der Bundesregierung vorge
Verträge auf fünf Jahre abgeschlossen, die jetzt legten
abgelaufen sind. Nach zuverlässigen Nachrichten (Zuruf von der KPD: Aha!)
hat ein Regierungsbeamter in Amerika erklärt,
einen Teil dieser Leute könnte man jetzt nicht ein- und vom Bundestag beschlossenen Gesetzes,
fach wieder nach Deutschland zurückkehren las- (Zuruf von der KPD: Der Adenauer darf!)
sen, auch wenn sie es möchten, weil sie inzwischen und er darf es nur in einer Truppe, die unter
durch die Arbeit, die sie geleistet haben, notwen- deutschem Kommando steht und ausschließlich
digerweise in den Besitz sehr intimer militärischer zum Schutze der deutschen Heimat durch deut-
Geheimnisse gekommen sind, die man von Ameri- schen Entschluß eingesetzt werden kann.
ka nicht leichtfertig einfach jedem zugänglich ma- (Abg. Renner: Sie haben ja selbst Legions
chen könnte. Selbstverständlich hat man — ohne erfahrung!)
Zwang — keine praktische Möglichkeit, jemand zu — Sie täuschen sich, und ich glaube, wenn Ihre Ge-
nötigen, diese Geheimnisse nicht zu verraten. nossen aus Moskau hier wären, dann wären Sie
Ich möchte darüber heute nicht mehr sagen, als wahrscheinlich schon ehrenhalber Oberst der Volks-
diesen Komplex mit einem Fragezeichen zu ver- polizei.
sehen. Ich glaube aber, daß es nötig ist, daß wir im
Auswärtigen Ausschuß darüber sprechen, um zu (Heiterkeit.)
erörtern, in welcher Weise wir über diesen Gegen- Wer sich einer Truppe anderen Charakters an-
stand dann im Bundestag Beschluß fassen können. schließt, soll hierdurch automatisch die deutsche
Ich bitte also, diesen Antrag Nr. 687 dem Aus- Staatsangehörigkeit verlieren, ganz gleich, ob
wärtigen Ausschuß zu überweisen. diese Truppe in Deutschland oder irgendeiner
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) anderen Stelle der Welt gebildet und einge-
setzt wird.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr Regelungen, die die Verteidigung eines ver-
Abgeordneter Dr. Richter. einigten freiheitlichen Europa betreffen, das
Deutschland mit umfaßt, werden hiervon nicht
Dr. Richtar (DRP): Meine Damen und Herren! berührt,
Auch wir bekennen durchaus, daß wir uns inhalt- (Zuruf von der KPD: Aha!)
lich mit dem Antrag einverstanden erklären. Aber wenn sie für Deutschland und für Deutsche das
eins finden wir doch etwas reichlich übertrieben und gleiche bestimmen, das für andere Länder und
haben wir schon sehr oft gehört, nämlich daß in deren Staatsangehörige gilt.
Verbindung mit derartigen Erörterungen immer
wieder davon gesprochen wird, daß hier in West- (Andauernde lebhafte Zurufe von der KPD.)
deutschland irgend jemand, die Regierung — oder — Ihre Unterbrechungen besagen wahrscheinlich
wer weiß, wer sonst noch angeführt werden nur das eine, daß Sie weder für Deutschland noch
könnte —, die Absicht hätte, einen Krieg vorzu- für ein freiheitliches Europa einzutreten bereit sind.
bereiten. (Zuruf von der KPD: Für die Atlantikpakt
(Abg. Rische: Sind Sie simpel!) armee stehen Sie bereit!)
— Ich glaube, man müßte doch einmal die Dinge — Ich habe nicht von einer Atlantikpaktarmee,
von der anderen Seite her betrachten, Herr Rische, sondern von der Verteidigung Europas gesprochen,
und man käme dann wohl zu dem Ergebnis, daß es allerdings gegen jene Welle, die vorzubereiten Sie
wirklich einmal Zeit würde, daß Sie, meine Herren Ihr Unwesen treiben. Das möchte ich hier hervor-
von der KPD, einmal eine neue Platte auflegen gehoben haben.
würden. Was die Legionäre anlangt, die heute in den Le-
Die Not treibt ohne Zweifel heute manchen in eine gionen dienen, so möchte ich gleich das eine gesagt
Legion, in ein fremdes Heer hinein. Aber um so haben, daß der Passus, der mit der Staatsangehörig-
notwendiger ist es, daß die Regierung alles
- tut, den keit zusammenhängt, nicht angewandt werden soll.
Menschen hier in Deutschland eine Beschäftigung zu Denn es ist selbstverständlich, daß sie oftmals
geben und sie aus ihrer Notlage herauszuführen. in eine solche Fremdenlegion hineingezwungen
Ich darf mir erlauben, im Namen meiner poli- wurden. Nicht nur in Frankreich, sondern wir er-
tischen Freunde dem Herrn Präsidenten einen An- leben es heute auch in der Sowjetzone, wo mancher,
trag zu überreichen, dessen Wortlaut ich mit Ge- weil er sonst keinen anderen Ausweg findet, bei der
nehmigung des Herrn Präsidenten gleich vorlesen Volkspolizei landet. Selbstverständlich müßten hier
möchte: entsprechende Rücksichten genommen werden.
(Abg. Renner: Wer sind im Augenblick Ihre Ich erlaube mir, dem Herrn Präsidenten diesen
politischen Freunde?) Antrag zu überreichen, und bitte Sie dann um Ihre
Die Bundesregierung wird ersucht, ein Gesetz Zustimmung.
vorzulegen, durch das der Besitz der deutschen
Staatsangehörigkeit mit dem Dienst in einer Vizepräsident Dr. Schmid: Ich muß den Herrn
Fremdenlegion in Zukunft für unvereinbar Abgeordneten Dr. Richter darauf hinweisen, daß
erklärt wird. Als Fremdenlegion im Sinne des dies nach der Geschäftsordnung ein gesonderter An-
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2189
(Vizepräsident Dr. Schmid)
trag ist, der erst behandelt werden kann, wenn er zum Verbot der Herstellung usw. von Kriegs-
auf die Tagesordnung gesetzt ist. Ich nehme an, Sie material (Drucksache Nr. 715).
haben ihn mit der Überreichung hier in den nor Wer begründet den Antrag? — Herr Abgeordneter
malen Geschäftsgang des Hauses geben wollen. Fisch! Sie haben 15 Minuten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Strauß.
Fisch (KPD): Meine Damen und Herren! Meine
Strauß (CSU): Meine Damen und Herren! Wenn Fraktion legt Ihnen einen Antrag vor, der von der
man den Inhalt dieses Antrages von der Absicht und Regierung verlangt, daß sie ohne Verzug ein Gesetz
dem Hintergrund der Antragsteller trennt, dann ausarbeitet, das die Herstellung von Waffen und
lohnt es sich, über den Gegenstand im Ausschuß für Waffenteilen verbietet, das die Einfuhr von Kriegs-
das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegen- material und solchem Material, das zur Herstellung
heiten zu verhandeln. Darum erklären sich die Par- von Waffen verwendet werden kann, verbietet und
teien der Regierungskoalition mit der Überweisung das schließlich die Beförderung jeder Art von
an diesen Ausschuß einverstanden. Kriegsmaterial innerhalb des Bundesgebiets ver-
Vizepräsident Dr. Schmid: Keine weiteren Wort- bietet einschließlich des Transitverkehrs nach
meldungen? — Der Herr Justizminister hat sich zum Frankreich, nach Italien und anderen Ländern West-
Wort gemeldet. europas.
(Zurufe rechts.)
Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Meine Ichglaube, die Regierung müßte sich selbst verleug-
Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Eichler nen, wenn sie sich diesem Antrag gegenüber positiv
hat mit Recht die bedauerliche Lücke hervor- verhalten wollte.
gehoben, die dadurch entstanden ist, daß durch das
Kontrollratsgesetz vom 30. Januar 1946 die straf- (Zuruf links: Warum stellen Sie ihn dann?)
rechtliche Bestimmung aufgehoben wurde, die das Ich sage das ganz offen darum, weil es feststeht, daß
Anwerben für eine fremdländische Militärmacht diese Regierung steht und fällt. mit der Erfüllung
unter Strafe gestellt hat. Es ist unser Wille, diese amerikanischer Wünsche, und weil es zweifellos ist:
Lücke zu schließen. Deswegen ist in der Strafrechts- die amerikanischen Wünsche gehen dahin, auf deut-
novelle, die Ihnen hoffentlich sehr bald zugehen schem Boden eine . Angriffsfront aufzurichten, aus
wird, eine Bestimmung vorgesehen, die dem Inhalt Westdeutschland ein Aufmarschgebiet zu machen
des Art. 141 a des Strafgesetzbuches entspricht. und die deutsche Jugend unter dem Zwang der
Danach soll unter Strafe gestellt werden, und zwar Remilitarisierung und der Eingliederung in Söld-
Gefängnis nicht unter drei Monaten, wer einen nerarmeen zu stellen. Es ist klar, daß ein solcher
Deutschen zum Wehr- oder Rüstungsdienst einer Wunsch auch für die Haltung der Bundesregierung
ausländischen Macht anwirbt oder ihren Werbern Befehl ist. Ich bin auch davon überzeugt, daß sich in
oder dem ausländischen Wehr- oder Rüstungsdienst diesem Hause eine Mehrheit finden wird, die gegen
zuführt. Wir sehen vor, daß als Wehr- oder diesen Antrag Stellung nehmen wird, nicht darum
Rüstungsdienst einer ausländischen Macht nicht der etwa, weil sie die Tatsachen, die diesem Antrag zu-
Dienst bei zwischenstaatlichen Einrichtungen gilt, grundeliegen, bestreiten könnte, sondern darum,
die wir im Grundgesetz vorgesehen haben. weil sie in diesem westdeutschen Separatstaat mit
(Zurufe bei der KPD: Aha! — Also!) seiner militärischen Dauerbesetzung eine Garantie
Ein Wort nur zu dem Antrag des Herrn Abgeord- für die Aufrechterhaltung der Klassenprivilegien
neten Richter, der begehrt, daß jeder, der sich zu des Großkapitals sieht und weil sie weiß, daß dieser
einer fremden Militarmacht — Fremdenlegion — Separatstaat nur dann weiterexistieren und garan-
begibt, die Staatsangehörigkeit verliert. Dieser An- tiert werden kann, wenn er sich den amerikanischen
trag scheitert an der Bestimmung des Grundge- Wünschen unterwirft, auch unterwirft den Plänen
setzes. Wir haben ausdrücklich im Art. 16 Abs. 1 des der amerikanischen Kriegsstrategie.
Grundgesetzes festgelegt, daß gegen den Willen des Trotzdem stellen wir diesen Antrag, weil wir das
Betroffenen keinem Deutschen die Staatsangehörig- Haus zu einer offenen Stellungnahme zu den hier
keit abgesprochen werden kann, wenn er dadurch angeschnittenen Problemen zwingen wollen und
staatenlos wird. Also: die Repressalie, die Herr Ab- weil wir ganz klar die Verantwortung für den Ab-
geordneter Richter im Auge hat, ist keinesfalls lauf von Dingen feststellen wollen, die sich jetzt auf
durchführbar, nach meiner Meinung auch nicht not- deutschem Boden abspielen. Wir sind uns bewußt,
wendig. Das einzige, was die deutsche Regierung in daß wir als Minderheit in diesem Hause einen sol-
der augenblicklichen Lage tun kann, ist die Unter- chen Antrag stellen. Aber gleichzeitig wissen wir,
bindung des Werbens für eine Wehrmacht eines aus- daß wir mit diesem Antrag die Interessen der er-
ländischen Staates, drückenden Mehrheit unseres Volkes vertreten,
(Zuruf des Abg. Renner)
- jungen (Sehr wahr! bei der KPD — Widerspruch und
und diesen strafrechtlichen Schutz unserer Zurufe in der Mitte und rechts)
Leute wollen wir möglichst bald wieder schaffen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) die Interessen aller derjenigen in Deutschland und
in der Welt, die den Frieden erhalten wollen.
Vizepräsident Dr. Schmid : Keine weiteren Wort- (Sehr gut! bei der KPD.)
meldungen. Ich lasse abstimmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur einige
Es ist der Antrag gestellt, den Antrag Drucksache wenige der Tatsachen hier erwähnen, die uns zur
Nr. 687 an den Ausschuß für das Besatzungsstatut Einreichung dieses Antrages veranlaßt haben.
und auswärtige Angelegenheiten zu verweisen. Wer Zuerst möchte ich von einigen Beispielen der
für die Überweisung ist, den bitte ich, die Hand zu Kriegsproduktion auf westdeutschem Boden
erheben. — Gegenprobe! — Ist angenommen. sprechen, Bei den Flugzeugwerken von Blohm &
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung: Voß in Hamburg, die unter britischer Regie stehen,
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD werden seit einiger Zeit Panzer montiert, Ersatzteile
betreffend Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes werden bereits im Werke hergestellt; die Einfuhr
2190 Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950
(Fisch)
von Einzelteilen aus England wird immer mehr ein- alles das, um umfangreiche Ausladungen von schwe-
geschränkt und durch deutsche Produktion ersetzt. rem Material sicherzustellen.
Bei der Firma Schmieding in Köln werden Kom- (Abg. Dr. Wellhausen: Da handelt es sich nur um
pressoren für Langstreckenflugzeuge hergestellt, Ausladungen von schweren Kränen!)
(Abg. Strauß: Und in Chemnitz Panzer!) Zu diesem Zweck werden auch zwei neue Kräne er-
richtet, die ausschließlich für die Entladung von
bei den Deutschen Metallwerken in Altena Pa- schweren Panzern bestimmt sind.
tronenhülsen für Handfeuerwaffen. Ein Metallwerk
in Neuß stellt Spezialschrauben her in besonders ab- (Abg. Strauß: Ist auch die Demontage zu diesem
getrennten Räumen, in denen die Belegschaft über Zweck bestimmt?)
ihre Tatigkeit zum Schweigen verpflichtet ist. Eine — Meine Herren, ich überlasse es Ihnen sehr gern,
Solinger Firma, die früher Fallschirme herstellte, darüber Witze zu machen.
wurde bereits gefragt, ob sie heute wieder einen (Sehr gut! bei der KPD.)
größeren Auftrag übernehmen könne. Die Firma Wenn Sie einmal die Verantwortung übernehmen
Börkey in Hagen stellt umfangreiches Kriegsmaterial wollen für neue Millionen Tote,
her, darunter spanische Reiter, meterhohe Stachel- (Zuruf rechts: S i e machen Witze!)
drahtringe usw., die nach Hannover, nach Hamburg,
nach Köln und in das Moselgebiet transportiert wer- die durch solche Dinge hervorgerufen werden, wird
den. Dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerk- Ihnen das Lachen und das Witzemachen vielleicht
schaftsbundes Böckler sind diese Tatsachen aus dem vergehen.
letztgenannten Betriebe bekannt. Er versprach, (Lebhafter Beifall bei der KPD. — Zurufe in
etwas zu unternehmen, doch bis heute hüllt er sich in der Mitte und rechts.)
über die Affäre in Schweigen. Meine Damen und Herren, es gibt weitere Mel-
dungen über umfangreiche Vorbereitungen auf
(Hört! Hört! bei der KPD.) deutschem Boden, insbesondere auch in der fran-
Verschiedene Betriebe der Schwerindustrie in zösischen Zone.
Nordrhein-Westfalen erzeugen heute bereits wie- (Zuruf in der Mitte: Sie meinen wohl: in der
der einen Sonderstahl mit der Bezeichnung PSt, der Ostzone?)
während des Krieges ausschließlich für Rüstungs- Soll ich Ihnen schildern, was sich auf Flugplätzen
zwecke produziert wurde. Die Firma Scholp in in der amerikanischen und französischen Zone in
Karlsruhe richtete ein Angebot an zahlreiche Fir- der letzten Zeit abgespielt hat?
men, größere Mengen khakifarbener Tarnnetze in (Zuruf rechts.)
der Größe von 7x14 herzustellen. In Worms wird die
dortige Munitionsanstalt wiederhergerichtet. In Soll man das Beispiel des von Wiesbaden aufgestie-
Stockstadt am Rhein wird die Produktion von Ge- genen Marinebombers hier besonders behandeln,
wehrständern wieder aufgenommen. In der Kon von dem jeder weiß, daß er in einer unerhörten
kordiahütte in Koblenz werden Panzergehäuse ge Weise den Frieden gefährdet hat?
baut. Bei der Firma Hilgers in Rheinbrohl ist die (Lebhafte Zurufe und Lachen in der Mitte
Produktion von Pontons für die französische Armee und rechts.)
aufgenommen. Meine Damen und Herren, ich könnte Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß hier in
diese Liste beliebig lange fortsetzen, und diejenigen der britischen Zone im Gebiet des Teutoburger Wal-
Herren, die in der deutschen Schwerindustrie Be- des und im Gebiet der Lüneburger Heide Dutzende
scheid wissen, müßten, wenn sie ehrlich sind, die von Ortschaften geräumt werden mußten, um Platz
Echtheit dieser Angaben nicht bloß bestätigen, son- zu machen für die Errichtung von Manöverplätzen,
dern diese Angaben sogar erweitern können. von Bombenabwurfplätzen usw. Sie kennen die
Explosionskatastrophe von Prüm. Sie wissen, daß
(Sehr gut! bei der KPD.) es sich hier um neuangeliefertes amerikanisches
Ich möchte Ihnen nun aus dem Komplex des Sprengstoffmaterial handelte, und Sie könnten es
Transports von Kriegsmaterial über deutsche wissen, daß in Kaiserslautern ähnliche Riesenlager
Städte und Häfen einige Dinge angeben. Es ist be- modernster Munition unter amerikanischer Be-
kannt, daß in letzter Zeit umfangreiche Transporte wachung in besonderen Anlagen bestehen, zu
von Panzern mittlerer Schwere bis zu 45 Tonnen denen nicht einmal Angehörige der französischen
im Hafen von Bremerhaven gelöscht worden sind. Besatzungsmacht Zutritt haben. Es gibt ähnliche
Es ist bekannt, daß die ehemaligen Munitionszube- militärische Anlagen der Amerikaner in der fran-
reitungsanlagen in Lübberstedt wiederhergestellt zösischen Zone im Hunsrück, die für die deutsche
wurden und daß dort eine Ausbildung für die Ent- Zivilbevölkerung und die Franzosen hermetisch ab-
ladung an Kränen für schweres Gut vorgenommen geschlossen sind.
wird an einer großen Anzahl junger deutscher Men- (Zuruf rechts: Wo haben Sie Ihre Informationen
schen, die durch deutsche Stellen aus dem - Ruhrge-
her?)
biet und aus Niedersachsen dorthin geworben wor- Jetzt schon werden wieder alle großen Zufahrts-
den sind. Es ist bekannt, daß bei Munitionsentladun- straßen, die zum Rhein führen, unterminiert, auf
gen im Hafen von Nordenham vor einigen Wochen Entfernungen von je 200 m mit Sprenglöchern ver-
schwere Vergiftungserscheinungen vorgekommen sehen, und man ist bereits daran gegangen, auch die
sind. Loreley anzubohren,
(Zuruf rechts: Wer hat Ihnen das Konzept (große Heiterkeit)
gemacht?) mit Sprenglöchern zu versehen.
Schließlich ist bekannt, daß im Hafen Brake in der (Langanhaltende große Heiterkeit. —
letzten Zeit umfangreiche Verstärkungen an den Fortgesetzte Zurufe.)
Hafenanlagen vorgenommen und schwere Beton- — Wenn Sie sich darüber beruhigt haben, dann
ladungen hingesetzt werden; möchte ich Sie bitten, einmal einen Moment ernst-
(Abg. Dr. Wellhausen: Da wird nur Getreide haft nachzudenken.
gelöscht!) (Andauernde Heiterkeit.)
Deutscher Bundestag. — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. April 1950 2191
(Fisch)
— Ihr Lachen soll nur den Ernst des Problems ver- schem Boden alles zu unternehmen, um diesem Trei-
tuschen! ben ein Ende zu setzen,
(Abg. Rische: Kriegstreiber sind das! — Glocke (Zuruf von der Mitte: Ostzone!)
des Präsidenten.) und wenn sie es nicht will, weil sie dazu befohlen
ist, dieses Treiben zu fordern und zu unterstutzen,
Vizepräsident Dr. Schmid :Ich bitte, den Redner nann werden wir unseren Appell an die Massen des
ausreden zu lassen, damit wir bald zum Schluß Volkes richten, an die Hafenarbeiter in Hamburg
kommen. und Bremen, an die Metallarbeiter des Rhein- und
Fisch (KPD): Ich habe Zeit. Wenn Sie sich be- Ruhrgebietes,
ruhigt haben, werden Sie vielleicht Zeit dafür fin- (Abg. Dr. Schäfer: Vergessen Sie Thüringen
den, darüber nachzudenken, was es bedeutet, daß nicht!)
heute fünf Jahre nach Kriegsende sie werden stärker sein als die Regierung. Sie wer-
(Unruhe) den ein neues Kriegsrüsten zu verhindern wissen.
Wir klagen die Regierung Adenauer an — —
umfangreiche militärische Anlagen auf deutschem
eBrichotdwn.VlreSivod Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter
deutsche Bevolkerung hin und sagen ihr, daß Sie für Fisch, kommen Sie zum Schluß! Ihre Redezeit ist um.
derartige Dinge nichts anderes übrig haben als ein
hämisches Lachen. Fisch (KPD): Wenn Sie die Unterbrechungen ab-
(Sehr gut! bei der KPD. — Abg. Rische: Be rechnen, habe ich noch einige Minuten Zeit. — Wir
schämend ist das! Noch einmal sind Sie davon klagen die Regierung Adenauer an, daß sie die Bil-
gekommen! Beim nächsten Mal werden wir dung einer Soldnerarmee unter amerikanischem
sehen, wie es aussieht!) Oberbefehl fördert,
In der französischen Zone gibt es Sprengkomman- (Na! Na! rechts)
dos, die unter amerikanischem Kommando stehen. daß sie Hilfsdienste deutscher Menschen, Hilfs-
im Lande Wurttemberg-Hohenzollern ist ein solches dienste mit deutschen Materialien den amerika-
Kommando in Calw stationiert. Es hat die Aufgabe, nischen Kriegsplanen zur Verfügung stellt. Wir
sämtliche Brücken und Tunnels im Lande zu unter- klagen sie an, daß sie ihre Zustimmung zur Errich-
minieren. Man verspricht den Angehörigen dieser tung einer „toten Zone" entlang der Zonengrenze
Kommandos die amerikanische Staatsbürgerschaft nach der Deutschen Demokratischen Republik hin
nach zwei Jahren Dienst. gegeben hat, daß sie ihre Zustimmung zur Zer-
storung von Watenstedt gegeben hat, weil die west-
(Zuruf von der Mitte: Einer ist sogar Oberst lichen Imperialisten an der Existenz leistungsfähiger
geworden!) Betriebe in dieser toten Zone nicht interessiert sind;
Nun, meine Damen und Herren, ich frage Sie: wir klagen die Regierung an der Konspiration mit
Wollen Sie an diesen Dingen vorübergehen, ohne die den nazistischen Generälen, wir klagen sie an — —
Regierung aufzufordern, klar vor dem Volk zu be-
kennen, was hier geschieht? Ich möchte die Regie- Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bitte Sie ein zwei-
rung fragen, ob sie von diesen Dingen nichts weiß tes Mal, zum Schluß zu kommen.
oder nichts wissen will. Wir haben ein Interesse (Zurufe von der Mitte und rechts: Schluß!)
daran, daß diese Dinge vor dem ganzen deutschen
Volk bekannt werden und daß die Presse darüber Fisch (KPD): Ich komme zum Schluß. Darum
berichtet. Wir wollen das, weil wir um das Leben haben wir im Namen der Millionen deutscher Müt-
von Millionen Menschen besorgt sind ter, die ein neues Völkergemetzel verhindern wol-
(Zuruf rechts: Ach nee!) len, unseren Antrag eingebracht, im Namen der Ju-
gend und im Namen der Millionen von Kriegs-
und weil wir wissen, daß, wenn es gelingt, der opfern.
Menschheit den Frieden zu erhalten, jene, die am (Große Unruhe. — Schlußrufe.)
Krieg interessiert sind, die imperialistischen Kriegs-
treiber, am Frieden ersticken. Es gehört zur ameri- Vizepräsident Dr. Schmid: Ich entziehe Ihnen das
kanischen Strategie, diesen Weg der Kriegsprovoka- Wort!
tion zu beschreiten, weil sie keinen- anderen Aus-
weg aus der verzweifelten Situation ihrer immer Fisch (KPD): Nehmen Sie Stellung zu diesem An-
mehr anwachsenden Wirtschaftskrise sehen. trag!
(Zuruf rechts: Ach, du lieber Gott!) (Lärm. — Glocke des Präsidenten.)
In dem Maße, in dem ihre kolonialen Extraprofite
zusammenschmelzen, — Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort ist Ihnen
- entzogen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Ihre Redezeit ist um. Fisch (KPD): Dann wird es klare Fronten in die-
sem Hause geben, wer für den Frieden und wer für
Fisch (KPD) : —in dem Maße, in dem ihre Ma- den Krieg ist.
növrierfähigkeit auf der ganzen Welt eingeengt
wird, in dem Maße, in dem ihr Außenhandel einge- (Lebhafter Beifall bei der KPD. — Unruhe.)
engt wird, in dem Maße, in dem der Widerstand der
Völker gegen das Kolonialregime wächst, wächst Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr
auch die Sucht der amerikanischen Imperialisten, zu Justizminister.
einem Präventivkrieg zu treiben oder aber aus der Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Meine
Angst, aus der Panikstimmung der Menschen eine Damen und Herren! Ich verteidige die Bundesregie-
Steigerung ihrer Rüstungsprofite zu erzwingen. rung nicht gegen die Anklagen des Herrn Fisch. Ich
Es geht uns darum, die Verantwortung der Regie- beschränke mich darauf, ganz kurz die rechtliche
rung klarzustellen. Wir fordern sie auf, auf deut- Lage darzustellen. Ich könnte den Herrn Abgeord-
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(Bundesminister Dr. Dehler)
neten Fisch in gleicher Weise replizieren, wie es Deshalb sympathisieren wir mit dem Inhalt des An
der Herr Abgeordnete Eichler beim letzten Antrag trags, den die KPD stellt, wenn wir auch dabei, wie
getan hat. Kollege Strauß es sagte, von den Antragstellern,
(Abg. Rische: Gehen Sie auf die Tatsachen ein!) dem Hintergrund und den Motiven absehen müssen,
aus denen der Antrag gestellt worden ist.
Durch das Gesetz Nr. 43 des Kontrollrats sind all
die Fragen, die in dem Antrag der KPD aufgewor- (Abg. Rische: Ich kann Ihnen einiges davon
fenwordsi,glt.DuchdesGz,a erzählen!)
die Entwattnung des deutschen Volkes erstrebt und Der Herr Justizminister hat schon darauf hinge-
das alle mit dieser Entwattnung zusammenhangen- wiesen, wie die Rechtslage ist. Es ist eine elemen-
den Fragen — Beschrankung der industrie, Verbot tare Tatsache in unserem politischen Leben, daß wir
bestimmter industrien — regelt, sind alle diese Fra- unter dem Besatzungsstatut stehen. Nach diesem
gen genau geklart, und damit sind auch die Zu- Besatzungsstatut ist die gesetzgeberische Kompe-
standigkeiten der Bundesregierung abgegrenzt. Im tenz in militärischen Fragen eindeutig der Hohen
Besatzungsstatut sind mese Fragen ausdrücklich Kommission vorbehalten. Die Hohe Kommission
unter den Vorbehalt der Besatzungsmächte gestellt. — und darin darf ich vielleicht sogar die Ausführun-
gen des Herrn Justizministers ergänzen — hat von
Aber, meine Herren von der KPD, wir kommen dieser Kompetenz auch Gebrauch gemacht. Wir sind
ihnen durchaus entgegen. Wir sind mit Ihnen der gar nicht mehr nur auf das Gesetz des Alliierten
jdeMsnotuia,mSgßFredns Kontrollrats von 1946 angewiesen. Die Hohe Kom-
ustngmaßhefdutscmBon
zu ver- R mission hat das Gesetz Nr. 7 und das Gesetz Nr. 16
hindern. Auch hier führen wir nur aus, was das erlassen. In beiden Gesetzen wird die Remilitari-
Grundgesetz bereits im Art. 26 Absatz 2 restgelegt
sierung, und zwar in jeder Hinsicht: Aufstellung
hat, in dem es ausdrucklich verboten wird, ohne Ge- militärischer Einheiten und Produktion von Rü-
nehmigung der Bundesregierung Kriegsmaterial stungsmaterial irgendwelcher Art und deren Ver-
herzustellen oder zu befordern oder sonst irgend- breitung, Transport usw. ausdrücklich unter Strafe
eine Maßnahme in dieser Richtung zu treffen. In und sogar unter sehr hohe Strafe gestellt; das Ge-
Ausführung dieser Bestimmung des Grundgesetzes setz Nr. 16 sieht Geldstrafen bis zum Betrage von
wird die Strafrechtsnovelle, von der ich vorhin 100 000 DM und Freiheitsstrafen bit zu lebensläng-
schon sprach, eine ausdrückliche Bestimmung ent- licher Dauer vor.
halten, die sicherlich auch der Meinung der Antrag-
steller entsprechen wird. Es wird als ein Teiltatbe- (Abg. Rische: Stück Papier!)
stand des sogenannten Friedensverrats mit Zucht- — Es wird sich beweisen, ob das ein Stück Papier ist.
haus bedroht werden, wer ohne Genehmigung der (Abg. Rische: Das hat sich bewiesen!)
Bundesregierung zur Kriegführung geeignete Waf- Aus den Ausführungen des kommunistischen
fen oder Munition oder auch — wir gehen sogar Redners sollte man nur einen Absatz ernst nehmen:
noch weiter — Kriegsgerat entwickelt, herstellt, la- das ist der, in dem er über Rüstungsproduktion, die
gert, befördert oder in Verkehr bringt. es hier in Westdeutschland geben soll, einige Be-
(Abg. Rische: Erheben Sie doch Strafantrag hauptungen aufgestellt hat. ich glaube, wir sollten
gegen die Vier!) die Bitte an die Regierung richten, daß sie diese
Mehr zu tun ist die Bundesregierung in der gegen- Ausführungen des kommunistischen Redners ein-
wärtigen Lage nicht imstande. mal vornimmt und prüft und den Dingen nachgeht
und uns auch in diesem Hohen Hause darüber Be-
(Abg. Rische: Sehr traurig!) richt erstattet. Ich glaube, daß es unser deutsches
Interesse ist, da restlose Klarheit zu haben, und wir
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr wollen sie schaffen. Vielleicht sollte man auch,
Abgeordnete Dr. Mommer. wenn man diese Dinge untersucht, einige kommuni-
stische Abgeordnete, vor allem den Redner, einmal
Dr. Mommer (SPD): Meine Damen und Herren! mitnehmen, um zu untersuchen, ob die Behauptun-
Wir haben in diesem Hause schon vor einiger Zeit, gen richtig sind. Wenn dann gleich die Anschuldi-
im Dezember, eine längere Debatte über Fragen der gungen über Rüstungsproduktion in der Ostzone
Remilitarisierung gehabt. Die sozialdemokratische komen,daötusiAnragelv-
Fraktion hat damals zu dem Problem grundsätzlich leicht auch einmal Gelegenheit geben, dahinterzu-
Stellung genommen, und es ist vielleicht nicht un- schauen, so wie wir gewillt sind, hinter jede An-
nützlich, um Mißverständnisse zu vermeiden, wenn schuldigung auf Remilitarisierung hier in der West-
ich einiges aus unserer damaligen Erklärung ins zone zu schauen.
Gedächtnis rufe.
(Beifall bei der SPD und in der Mitte.)
Wir haben gesagt: Die sozialdemokratische Frak-
tion lehnt es ab, eine deutsche Wiederaufrüstung Meine Damen und Herren! Nicht nur die alliierte
auchnriEwägzehn.Wirldas Gesetzgebung, sondern auch die deutsche verbietet
- die Rüstung. Der Herr Minister hat schon auf den
allerdings aus anderen Motiven als die Antragstel-
Art. 26 des Grundgesetzes hingewiesen, und es ist
ler der Drucksache Nr. 715 ab. Wir lehnen es ab,
weil wir der Meinung sind, daß die Verantwortung erfreulich, wenn die Regierung die Absicht hat, die
für die Sicherung des Gebiets der Bundesrepublik dort erhobene Forderung auf Regelung durch ein
bei den Besatzungsmächten liegt. Bundesgesetz zu implizieren. Diese Sachlage ist
der kommunistischen Fraktion natürlich auch be
(Abg. Rische: Oh! Oh!) kannt, und ich glaube, das Bemühen um ein Gesetz
— Jawohl, Herr Rische, sie liegt bei den Besat und auch die angeblich in einigen genannten Be
zungsmächten, und wir haben keine Lust, uns von trieben vorgekommene Rüstungsproduktion sind
ihnen gleichschalten zu lassen. Aber wir sind auch nicht die wirklichen Motive, die die antragstellende
der Meinung, daß jede Art der Remilitarisierung Fraktion zu ihrem Antrag bewogen haben. Der Hin
hier in Westdeutschland, sei es durch Aufrüstung tergrund ist doch der: Der Atlantikpakt ist ge
materieller Art, sei es durch Aufstellung militäri schlossen worden, und im Rahmen des Atlantikpak
scher Einheiten, in keiner Weise zu der Sicherung tes finden Waffenlieferungen an westeuropäische
des Gebiets der Bundesrepublik beitragen kann. Nationen statt; die kommunistischen Parteien aller
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(Dr. Mommer)
Länder Europas haben im Augenblick als Pro- — Ihre Methode der Dementis kennen wir. Es gibt
grammpunkt Nr. 1 die Bekämpfung der Ankunft, gegen die Sowjetunion einen der schwersten poli-
der Ausladung, der Verbreitung dieser Waffen. tischen Vorwürfe. Dieser Vorwurf ist der, daß in
(Sehr gut! bei der KPD.) Rußland Millionen von Menschen Zwangsarbeit lei-
— Nun, das ist ihre Sache. Sie tun das in Italien, sten müssen. Das wird nun von den Kommunisten
in Frankreich, in Belgien usw. dementiert. Leute, die in Deutschland in den KZs
Zwangsarbeit machen mußten, haben ihnen das An-
(Unruhe bei der KPD.) gebot gemacht, eine internationale Kommission zu-
Selbst wenn auch nicht das kleinste Teil von ei- sammenzustellen, die sich das einmal an Ort und
nem Gewehr hier in den Westzonen hergestellt Stelle ansehen und durch einen Bericht diese angeb-
wird, wird sich natürlich die Kommunistische Par- lich verleumderischen Behauptungen entkräften
tei trotzdem, um auf diesem Gebiete nicht ganz ohne könnte.
Aktivität zu sein, veranlaßt sehen, etwas gegen die (Zuruf von der KPD: Fälschen Sie keine
Militarisierung auch hier in Westdeutschland zu Berichte?)
tun, und um eine gute Nummer zu bekommen, wird
sie einen solchen Antrag Drucksache Nr. 715 hier Bezeichnenderweise haben diese Leute kein Ein-
einreichen. reisevisum bekommen, und bezeichnenderweise
Weiterhin ist das ernsthafteste Motiv dieses An- wird niemals jemand die Gelegenheit haben nach-
trages natürlich das der Methode „Haltet den zuprufen, ob aas Dementi, das natürlich immer
Dieb!". kommt, berechtigt ist.
(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) (Ab. Rische: Dafür werden Sie noch
Nun, ich werde nicht die Methode des kommunisti- einmal Diplomat werden!)
schen Redners nachahmen und jetzt mit langen Ich komme zum Schluß und stelle fest, daß für
Listen von Namen und Adressen uber Peenemünde das geforderte Gesetz keine deutsche Kompetenz
und Dessau, und was weiß ich alles, auffahren, was besteht, und darüber ist die SPD im Augenblick gar
da an Einzelteilen produziert wird. Das wäre ein nicht besonders traurig.
leichtes; darüber liegt unendlich viel Material bei (Sehr gut! bei der CDU.)
uns vor, Zweitens besteht auch kein besonderer Bedarf an
(Zuruf des Abg. Renner) einem solchen Gesetz; denn solange nicht das
und zwar auch solches, das absolut zuverlässig ist. Gegenteil bewiesen ist, nehmen wir an, daß in West-
IchmötenurafiTschwen,divo deutschland keine Rustung stattfindet. Drittens
überragender Bedeutung in der Ostzone ist. befolgt dieser Antrag die Methode „Haltet den
(Zuruf von der KPD.) Dieb!".
— Wenn Sie es wissen, schön, sagen Sie es selbst! (Sehr gut! bei der SPD und in der Mitte.)
Es ist nämlich Aue, es ist der Uranerzbergbau. In der Ostzone wird tatsächlich remilitarisiert und
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß in einem gerüstet, und zwar in großem Ausmaße.
modernen Kriege, wenn es ihn unglücklicherweise
noch einmal geben sollte, nicht die Panzerplatten, Gestatten Sie mir aber noch ein Wort zu den
das Gewehr usw. entscheidend sein werden, sondern Einsatzbereitschaften der Polizei. Sie dementieren
die Waffe par excellence eines kommenden Krieges immer. Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen,
wird die Atomwaffe sein, und nun hat die russische empfehle ich Ihnen, einen gewissen Herrn Reimann
Besatzungsmacht, man kann sagen: die gesamte Ost- einmal darüber zu fragen.
zone mobilisiert, um dort das Ausgangsmaterial für (Zurufe rechts: Den Sohn!)
die Produktion von Atomwaffen zu gewinnen. — Natürlich, nicht den Vater, sondern den Sohn!
(Sehr richtig!) Der Sohn war drüben in der Offiziersschule und hat
Im Uranbergbau in Aue arbeiten 150 000 Menschen. sich mit Erfolg nach dem Westen abgesetzt.
Sie werden das bestreiten; aber wir wissen es trotz- (Heiterkeit.)
dem. Fragen Sie ihn mal danach, welche militärischen
(Zurufe von der KPD.) Proportionen die Bereitschaften in der Ostzone
Allzuviele sind von dort geflohen und zu uns her- schon erreicht haben!
übergekommen. Diese Produktion in Aue ist natür- Meine Damen und Herren! Angesichts dieser
lich eine Kriegshilfsproduktion par excellence, und Sachlage empfehlen wir dem Hohen Hause, über
sie überragt an Bedeutung alles übrige, was in der den Antrag zur Tagesordnung überzugehen.
Ostzone auf dem Gebiet der Rüstung getan wird.
Aus unseren Berichten geht übrigens hervor, daß (Hört! Hört! bei der KPD.)
es eine Taktik der russischen Besatzungsmacht ist, — Aber warten Sie! Ihre Arbeit ist nicht umsonst
nicht so sehr fertige Waffen in ostdeutschen Betrie- gewesen, Herr Rische. Nehmen Sie Ihren Antrag,
ben zu produzieren, sondern diese Betriebe- mehr in streichen Sie das Wort „Bundestag", ersetzen Sie
die Rüstungsmaschinerie der gesamten Sowjetunion es durch „Provisorische Volkskammer", streichen
einzugliedern und hier mehr Einzelteile und Roh- Sie das Wort „Bundesregierung", ersetzen Sie es
materialien für Waffen zu gewinnen, die dann wo- durch „Regierung der Deutschen Demokratischen
anders fertiggestellt werden. Republik",
(Sehr richtig! rechts. — Zuruf von der KPD: (lebhafter Beifall bei der SPD und den
Beweise müssen Sie bringen!) Regierungsparteien)
Nun ein Seitenhieb zu diesen 150 000 — — und schicken Sie ihn nach Berlin!
(Zuruf des Abg. Rische.) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der
— Wir können ja mal hinfahren, Herr Rische; wenn SPD und den Regierungsparteien. — Abg.
Sie mir garantieren, daß man freies Geleit hat, dann Strauß: Und ihn hinterher!)
können wir da mal hinfahren. Das würde mich sehr Aber, meine Damen und Herren, wir haben gar kei
interessieren. nen Zweifel, daß die Provisorische Volkskammer
(Zuruf des Abg. Renner.) über diesen Antrag auch zur Tagesordnung über-
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(Dr. Mommer)
gehen wird, allerdings aus ganz anderen Gründen. — Das ist Geschäftsordnung! (C
(Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD (Abg. Strauß: Warum machen Sie keine
und den Regierungsparteien. — Zurufe Strafanzeige?)
von der KPD.) Es handelt sich darum, ob Sie und die Regierung
sich reinwaschen konnen von dem Vorwurf, daß mit
Vizepräsidenf Dr. Schmid: Nach § 76 der Ge- ihrem Willen und mit Ihrem Wissen diese Kriegs-
schäftsordnung kann dem Antrag auf Übergang vorbereitung auf dem Boden Westdeutschlands be-
zur Tagesordnung widersprochen werden. Wird die- trieben wird.
sem Antrag widersprochen? (Abg. Etzel: Was geschieht in Ostdeutsch
(Abg. Renner: Ja, es wird widersprochen! — land! — Abg. Strauß: Erstatten Sie doch
Weiterer Widerspruch bei der KPD.) Strafanzeige, Herr Renner!)
—DankeiRdrunAtagei ihr Versuch, an einer Klarung dieses Problems da-
Rednrg Ataspechn.Im, durch vorbeizukommen, uber unseren Antrag zur
daß das hohe haus sich mit den Ausfuhrungen des Tagesordnung uberzugehen, das ist ein lächerlicher
Abgeordneten Dr. Mommer als Redner für den An- V ersuch, dessen Sie sich eigentlich schämen sollten.
trag begnügt. (Sehr gut! bei der KPD. — Abg. Etzel: Die
(Zustimmung. — Abg. Renner: Ich bitte Ehrlichkeit dieser Argumentation glaubt
ums Wort!) ihnen doch kein Mensch in Deutschland!)
— Wenn es Ihnen auf Ehrlichkeit ankäme, dann
— Gegen den Antrag hat das Wort der Herr Abge- müßten Sie bestrebt sein, diese unsere Anklagen
ordnete Renner. durch eine ordnungsmäßige Untersuchung zu über
(Unruhe und Heiterkeit. — Zuruf rechts: prufen. Es kommt ihnen gar nicht auf Ehrlichkeit
Armer Renner!) und Klärung an. Sie wollen ja gar nichts bewiesen
Es ist eine Geschäftsordnungsdebatte, also haben haben, Sie wollen ja diese Schweinereien weiter-
Sie 5 Minuten Redezeit! treiben können. So liegen die Dinge.
(Abg. Etzel: Das glaubt Ihnen ja auch
Renner (KPD): Meine Damen und Herren: Hier niemand!)
handelt es sich darum, einen Tatbestand, für den Und darum widerspreche ich diesem Antrag und
der Sprecher meiner Fraktion nur einen Bruchteil bitte, unseren Antrag zur Abstimmung zu bringen
der uns bekannten Daten anführen konnte, zu über- und ihm zuzustimmen.
prufen und diesen Tatbestand — die Behauptungen, (Lebhafte Zurufe. — Beifall bei der KPD.)
wenn Sie wollen — mit der durch Ihr Grundgesetz
geschaffenen „Rechtslage" in Verbindung zu brin- Vizepräsident Dr. Schmid: Keine weiteren Wort-
gen. Darum handelt es sich. Es handelt sich also meldungen. Ich lasse abstimmen. Wer für den An-
darum festzustellen, ob die Regierung etwas zu tun trag auf Übergang zur Tagesordnung ist, den bitte
gedenkt, um dem Grundgesetz, auf das Sie hier ja ich, die Hand zu erheben. —
B) eingeschworen sind, meine Damen und Herren, Gel- (Zurufe von der KPD: Pfui! Konstruktive
tung zu verschaffen. Darum handelt es sich, wenn Opposition! Einheitsfront!)
man die Dinge rein von der rechtlichen Seite aus Gegenprobe! — Der Antrag auf Übergang zur
ansieht. Es handelt sich um mehr, wenn man die Tagesordnung ist angenommen.
Dinge von der ausgesprochen politischen Seite (Zuruf von der KPD: Herr Präsident, ich
aus sieht, wenn man also nachgeht, welche Bedro- bitte, die Gegenprobe zu machen!)
hung des Friedens hinter den Angaben steht, die Damit ist die Tagesordnung erschöpft.
unser Sprecher gemacht hat. Darum geht es uns.
Ich habe noch folgendes bekanntzugeben.
Zwei Dinge wären hier zu klären. Sie haben sich
an der Klärung dieser beiden Fragen vorbeige- Die FDP lädt zu einer Fraktionssitzung im unmit-
drückt durch mehr oder minder lächerliche Behaup- telbaren Anschluß an das Plenum ein.
tungen, Finanz- und Steuerausschuß: eine Stunde nach
(Zurufe: Na, na!) dem Plenum, Zimmer 108, Südflügel. Es wird gebe-
für die Ihnen auch die Spur jeden Beweises sogar ten, pünktlich zu erscheinen.
fehlt. Die Sitzung des Ausschusses für Beamtenrecht
(Abg. Neumann: Haben Sie die Loreley findet heute abend eine Stunde nach Schluß der
angebohrt? — Heiterkeit.) Plenarsitzung in Zimmer 12, Südflügel, statt.
— Machen Sie, Herr Neumann, doch nicht in Geist. Ich habe dem Hause weiter bekanntzugeben, daß
Das gelingt Ihnen doch nicht, Herr Neumann. Sie der Herr Abgeordnete Dr. Doris folgenden Brief an
können doch nur mit dem Knüppel arbeiten, nicht den Präsidenten des Deutschen Bundestages gerich-
wahr? tet hat:
(Zuruf von der SPD: Und ihr nur mit -Dreck!) Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen und dem
Hohen Hause bekanntzugeben, daß ich ab sofort
Zu mehr reicht Ihr „Geist" ja nicht. nicht mehr als unabhängiger Abgeordneter,
Hier handelt es sich also darum, den Herrn Justiz- sondern als Abgeordneter der Sozialistischen
minister etwa zu fragen, wann denn das von ihm Reichspartei (SRP) gelte,
angekündigte Gesetz herauskommt. Hier handelt es (Heiterkeit und Zurufe)
sich darum zu fragen, was die Regierung, die ja bei da mittlerweile sieben Landesverbände der
der Verkündung des Grundgesetzes gesagt hat, daß SRP sich als Partei konstituiert haben.
es in seinen wesentlichen Artikeln und Bestimmun-
gen Rechtskraft habe, in der Zwischenzeit getan (Unruhe und Zurufe: Heil! — Abg. Renner:
habe, um die laut Grundgesetz nur mit ihrer Geneh- SA marschiert!)
migung mögliche Herstellung von Kriegsmaterial Ich berufe die nächste Sitzung, die 60. Sitzung,
hier auf deutschem Boden zu verhüten. Darum han- auf Freitag, den 28. April 1950, 9 Uhr, ein und
delt es sich. schließe die 59. Sitzung des Deutschen Bundestages.
(Abg. Strauß: Ist das Geschäftsordnung?) (Schluß der Sitzung: 18 Uhr 57 Minuten.)

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