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Präsident Dr. Köhler: Ich habe ferner darauf Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen.
hinzuweisen, daß die Beschlüsse der 10. Sitzung Der Bundestag entscheidet ohne Besprechung.
des Bundestags, 10/1 bis 10/9, wie üblich zur Ein- Über diese Beschwerde kann also keine Aus-
sichtnahme auf dem Tisch des Hauses ausliegen. sprache stattfinden.
Ich habe weiter Kenntnis zu geben von einem Ich verlese nunmehr den Teil der stenographi-
Schreiben der Zentrumsfraktion an den Präsiden- schen Niederschrift der 7. Sitzung, auf die sich die
ten des Bundestags, folgenden Wortlauts: Beschwerde bezieht. Es heißt dort:
Die unterzeichneten Fraktionen teilen hierdurch Die Oder-Neiße-Grenze ist die Grenze des Friedens.
mit, daß sie sich unter völliger Wahrung ihrer (Andauernde erregte Rufe: Pfui! Pfui! — Lärm. —
Selbständigkeit im übrigen nach § 7 Absatz 2 Glocke des Präsidenten. — Erregte Zurufe:
der Geschäftsordnung für die Bemessung des Abtreten! Abtreten!)
Stellenanteils zusammengetan haben. Dieses — Ich trete hier nicht ab, bis ich nicht alles gesagt
Stellenanteilkartell heißt WAV/Zentrum. Im habe!
übrigen bleiben unter dem alten Namen die (Fortgesetzter, Lärm. — Glocke des Präsidenten.)
beiden unterzeichneten Fraktionen bestehen. Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Reimann,
Für die WAV-Fraktion: gezeichnet Loritz, ich habe seit gestern — —
fr die Zentrumsfraktion: gezeichnet Dr. Reis- (Andauernde große Unruhe und Rufe: Pfui!
mann. Raus! — Abg. Strauß: Schickt ihn nach Moskau!
Es liegt ferner folgende Mitteilung der Freien Ziehen Sie die Uniform an! — Abg. Reimann:
Demokratischen und der Fraktion der Deutschen Ich werde hier nicht gehen!)
Partei vor: — Meine Damen und Herren!'
Die Fraktionen der Freien Demokratischen Par- (Andauernde große Unruhe. — Zurufe: Moskauer
tei und der Deutschen Partei teilen mit, daß sie Agent! Bezahlter Provokateur! — Abg. Reimann:
sich zu einer Fraktionsverbindung Das sind Sie! — Lärm.)
(Rufe: Aha! und Heiterkeit) (Zuruf von der KPD: Wegen des Zurufs „Agenten"
hat der Präsident keinen Ordnungsruf erteilt!)
nach § 7 Absatz 2 der vorläufigen Geschäftsord- — Herr Abgeordneter Reimann, Sie haben eben
nung zusammengetan haben. ausgesprochen, daß die Oder-Neiße-Linie die Frie-
(Abg. Renner: Die Union der Faschisten denslinie ist.
von gestern ist fertig!) (Anhaltende große Unruhe.)
Meine Damen und Herren! Es liegen dann einige Seitdem gestern hier sämtliche Parteien gesprochen
andere Eingänge vor, die vor Erledigung der Ta- haben, haben sie übereinstimmend die Oder-Neiße-
gesordnung behandelt werden müssen. Linie als die deutsche Grenzlinie abgelehnt. Das
möchte ich hier einmal feststellen.
(Zuruf rechts: Gegen den Ausdruck „Faschisten"
muß ich Einspruch erheben! „Faschismus!" ist (Händeklatschen in der Mitte und rechts.)
drüben gerufen worden! Das ist eine Es ist eine Provokation der überwältigenden Mehr-
Frechheit! — Zurufe: Sehr richtig!) heit dieses Hauses, wenn Sie derartige Ausfüh-
rungen machen. Ich rufe Sie deshalb zur Ordnung!
-- Wer hat „Faschisten" gerufen? (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte und
(Abg. Renner: Ich!) rechts. — Zurufe und Lachen bei der KPD.)
-- Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zur Ord- Das ist der Vorgang gewesen. Wie gesagt, eine
nung! Es gibt keinen Faschismus! Aussprache kann darüber nicht stattfinden.
(Große Heiterkeit und Zurufe.) Die Frage ist, wie abgestimmt werden so ll.
— Darf ich diesen Ordnungsruf erläutern: sämt- - (Abg. Bausch: Die Beschwerde ist verspätet
liche Abgeordneten dieses Hauses sind nach den eingegangen! — Widerspruch.)
Grundsätzen eines demokratischen Wahlgesetzes — Ich bitte Sie, sich einiger Absprachen im Äl
gewählt, testenrat zu erinnern, Herr Abgeordneter Bausch.
(Zurufe links) Die Frage ist also, wie abgestimmt werden soll.
und insofern ist die formelle Voraussetzung für die Es ist beantragt: Zurücknahme des Ordnungsrufes.
Anwendung dieses Ausdrucks nicht gegeben. Meines Erachtens kann so nicht beantragt werden,
(Unruhe.) sondern es muß darüber abgestimmt werden, ob
Meine Damen und Herren, darf ich fortfahren! der Ordnungsruf gerechtfertigt war oder nicht. So -
Da hier zwei weitere Eingänge vorliegen, die mich ist meine Meinung.
persönlich betreffen, darf ich den Ersten Vize- Ich darf also die Frage so stellen: Wer den in der
präsidenten, Herrn Kollegen Dr. Schmid, bitten, 7. Sitzung am 22. September dem Abgeordneten
liebenswürdigerweise die Geschäfte zu führen. Reimann wegen der angeführten Vorgänge er-
teilten Ordnungsruf für gerechtfertigt hält, der
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und Her- möge die H an d erheben..—
ren! Ich gebe Ihien Kenntnis von einem Be- (Abg. Renner: Die CDU auch?!)
schwerdeschreiben des Herrn Abgeordneten Max
Reimann vom 30. September, das lautet: Gegenprobe! — Wir werden auszählen müssen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind,
Ich lege hiermit Beschwerde ein gegen den mir noch einmal die Hand zu erheben, und die Herren
in der 7. Sitzung des Deutschen Bundestages am Schriftführer bitte ich, die Auszahlung vorzuneh-
22. September 1949 erteilten Ordnungsruf. Ich men. — Es ist ganz offensichtlich die Mehrheit, die
halte denselben für ungerechtfertigt und bean- den Ordnungsruf für gerechtfertigt hält.
trage seine Zurücknahme.
Die einschlägige Bestimmung der Geschäftsord- (Abg. Renner: Aha! Das ist Demokratie! —
nung in § 92 hat folgende Fassung: Abg. Dr. Schumacher: Das ist kein gutes
Omen für den Parlamentarismus!)
Das Mitglied kann gegen den Ordnungsruf bis
zum nächsten Sitzungstage schriftlich Einspruch Es ist so beschlossen.
erheben. Der Einspruch ist frühestens auf die (Abg. Renner: Macht geht immer vor Recht!)
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 207
(Vizepräsident Dr. Schmid)
Ich habe weiter Kenntnis zu geben von einem — Nein, ich zweifle nicht daran, daß die Herren
zweite n Antrag, einem Antrag der kommunisti- rechnen können.
schen Fraktion vom 28. September. Er lautet: (Zuruf von der CDU: Machen Sie's
Der Bundestag möge beschließen: doch nach Adam Riese!)
Der Bundestag spricht dem Bundestagspräsi Bei ihrer Verwandtschaft mit dem Großkapital
denten Dr. Erich Köhler das Mißtrauen aus. werden sie ja wohl rechnen können.
Die einschlägigen Bestimmungen der Geschäfts- (Lachen und Zurufe in der Mitte und rechts.)
ordnung sind in den §§ 119 und 120 enthalten, in Aber ich bin nicht verpflichtet, Ihre privat errech-
denen bestimmt ist, daß Fragen, bei denen es sich neten Unterlagen anzuerkennen.
um die Handhabung der Geschäftsordnung handelt,
vom Geschäftsordnungsausschuß zu prüfen sind (Zuruf rechts: Rechnen Sie doch selber nach!)
und daß dieser entsprechende Anträge zu stellen — Nein, das habe ich nicht nötig, das zu errechnen.
hat. Ich kann verlangen, daß hier eine amtliche Unter
Ich glaube, daß ,sich eine Aussprache erübrigt. lage vorgelegt wird.
Das Haus ist offenbar derselben Auffassung. Ich (Erneute Zurufe.)
lasse daher abstimmen. — Ich bitte Sie, bei dieser Sache doch ein bißchen
Wer dafür ist, daß dieser Antrag dem Geschäfts- ernst zu bleiben!
ordnungsausschuß überwiesen wird, den bitte ich, Ich stelle den Antrag, daß, ehe wir in der Be-
die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstim- handlung dieser Frage fortfahren, von Amts wegen
mig angenommen. Der Antrag ist dem Geschäfts- durch das zuständige Organ der Bundesregierung
ordnungsausschuß überwiesen. festgelegt wird, wie die Sitze verteilt werden.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- (Lebhafter Beifall bei der KPD und der BP.)
ren, wir treten dann in die Tagesordnung ein. Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her-
Punkt 1: ren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeord-
Beschlußfassung über die Mitgliederzahl der neten Renner gehört, wonach die rechnerische
Ausschüsse und Verfahren zu ihrer Besetzung. Grundlage für die Besetzung der Ausschüsse nach
Wir kommen nach den Ergebnissen der gestrigen dem d'Hondtschen System durch eine bundesamt-
Sitzung zu Drucksache Nr. 48. liche Stelle, in diesem Falle bei der Bundesregie-
(Abg. Dr. Seelos: Zur Geschäftsordnung!) rung, ermittelt werden soll. Ich stelle diesen An-
Dazu liegt ein Abänderungsantrag der Bayern trag zunächst zur Aussprache. Wird das Wort dazu
partei vor, betreffend 15er-Ausschüsse, der lautet: gewünscht?
(Abg. Schoettle: Ich bitte ums Wort!)
Der Bundestag wolle beschließen:
Die vier 15er-Ausschüsse in der Reihenfolge der — Bitte, Herr Abgeordneter Schoettle!
Drucksache 48 werden in 21er-Ausschüsse um- (Abg. Schoettle: Ich glaube, ich kann vom
gewandelt. Platz aus sprechen! — Widerspruch.)
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Ab- — Kommen Sie hier herauf, bitte! Wir wollen das
geordnete Dr. Seelos. doch nicht wie in Frankfurt machen.
Dr. Seelos (BP) : Durch den Zusammenschluß Schoettle (SPD): In der Sache hat der Herr Ab-
der DP mit der FDP für die Verteilung der Sitze geordnete Renner vollkommen recht.
in den Ausschüssen hat sich jetzt wiederum eine (Zustimmung in der Mitte.)
neue Situation ergeben. Wir haben das erst jetzt Die Methode ist aber, glaube ich, nicht anwendbar.
erfahren, es ist uns vorher nicht mitgeteilt worden. Das Parlament kann nicht der Regierung einen
Ich darf daher das Präsidium bitten, uns mitzu- Auftrag geben, seine eigenen Angelegenheiten zu
teilen, wie sich jetzt die Sitze auf diese Arbeitsge- regeln.
meinschaften und Fraktionen verteilen bei den (Sehr richtig!)
27er-, 21er-, 15er- und 7er-Ausschüssen. Erst dann Das ist Sache des Präsidiums, und ich meine, im
können wir irgendwie dazu Stellung nehmen Präsidium muß es genügend objektive Leute geben,
die eine saubere Ausrechnung vornehmen. -
Präsident Dr. Köhler: Ich muß Ihnen darauf er- (Sehr richtig!)
widern, Herr Abgeordneter Dr. Seelos, daß mir
irgendwelche Mitteilungen darüber aus dem Hause Ich beantrage deshalb, daß das Präsidium be-
nicht vorliegen. auftragt wird, so schnell wie möglich einen Schlüs-
sel auszuarbeiten.
(Abg. Renner: Ich bitte ums Wort zur (Abg. Renner: Damit bin ich einverstanden!
Geschäftsordnung!) Ich korrigiere meinen Antrag in diesem Sinne!)
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter
Renner, bitte! Präsident Dr. Köhler: Dann darf ich Ihren ersten
Antrag als zurückgezogen ansehen und den Antrag
Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Auf des Herrn Abgeordneten Schoettle als denjenigen
keinen Fall dürfte es möglich sein, die Ver- betrachten, der wohl die allgemeine Zustimmung
teilung der Sitze nach d'Hondt vorzunehmen auf des Hauses findet. Er geht dahin, daß das Präsi
Grund privater Errechnungen, die von Ihnen, in dium beauftragt wird, diese Berechnung durch ge-
diesem Falle den siegenden Parteien, vorgenom- eignete Persönlichkeiten vornehmen zu lassen.
men worden sind. Ich beantrage, daß die Berech- Stimmt es so, Herr Abgeordneter Schoettle?
nung. der Sitze nach d'Hondt einem Büro der (Abg. Schoettle: Ja!)
Bundesregierung übertragen wird. Ist das Haus damit einverstanden?
(Zurufe rechts.) (Zustimmung)
Ong ' Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den SO. September 1949
(Präsident Dr. Söhler)
- Dann darf ich die Aussprache über diesen Zwi- Herr Abgeordneter Renner, Sie wollten zur
schenantrag als erledigt ansehen, oder wollten Sie Frage der Abstimmung wegen der 21er-Ausschüsse
noch dazu sprechen, Herr Abgeordneter Gengler? — sprechen?
Bitte sehr! (Abg. Renner: Nein, nachdem jetzt festgestellt
ist, daß unter II die Frage gestellt werden
Gengler (CDU): Ich halte es für selbstverständ- kann, verzichte ich im Augenblick auf das Wort!)
lich, daß die Ausrechnung der Verteilung der Sitze Als Abänderungsantrag zur Gruppe der 21er-
auf die einzelnen Fraktionen unabhängig von Ausschüsse liegt der Antrag der Bayernpartei vor,
einem Errechnungsergebnis hier geschieht. Wir dahingehend, die vier 15er-Ausschüsse in 21er-Aus-
haben lediglich über den Umfang der Ausschüsse schüsse umzuwandeln. Das müßten wir an dieser
zu bestimmen, das heißt darüber, wie stark der Stelle entscheiden, ehe wir in die Gesamtabstim-
Einzelausschuß sein soll. Dementsprechend ist dann mung über die 21er-Ausschüsse eintreten können.
das Rechenexempel nach dem Beschluß von gestern
ganz einfach. (Abg. Gengler: Nein, ich beantrage, Herr
Präsident, daß wir zunächst über die Auf
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- Stellung der 21er-Ausschüsse abstimmen
ren, ich habe vorhin ohne Widerspruch die Fest- und uns erst dann entscheiden, was mit
stellung getroffen, daß das Haus damit einver- den 15er-Ausschüssen geschieht!)
standen ist, daß die letzte Berechnung, wenn ich — Bitte sehr. Ich folge dieser Anregung. Wer für
sie so nennen darf, durch das Präsidium erfolgen die Gruppe der 21er-Ausschüsse in der vorliegen-
soll. den Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu er-
(Zurufe: Jawohl!) heben. — Das ist zweifelsfrei die Mehrheit.
Soll nun Ihre Anregung im Widerspruch zu. der
von mir getroffenen Feststellung stehen? Wir kommen nunmehr zur Gruppe der 15er-Aus-
schüsse. Da haben wir zunächst abzustimmen über
(Zurufe: Nein!) den Abänderungsantrag der Bayernpartei: die vier
— Gut! Dann stelle ich noch einmal fest: die end- als 15er-Ausschüsse vorgesehenen Ausschüsse in
gültige Berechnung erfolgt durch das Präsidium. 21er-Ausschüsse umzuwandeln. Wer für diesen
(Zuruf: Nach dem System d'Hondt!) Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu
— Nach dem System d'Hondt; darüber besteht kein erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. —
Zweifel. Der Antrag ist zweifelsfrei abgelehnt.
Wir kommen nun noch einmal auf den Abände- Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die
rungsantrag der Bayernpartei zurück. hier in der Drucksache vorgesehene Gruppe der
(Abg. Dr. Seelos: Herr Präsident, der ist 15er-Ausschüsse.
erledigt! Denn wenn wir die Berechnung (Zuruf links: 7er-Ausschüsse!)
nicht kennen, fallen wir unter Umständen — Nein, entschuldigen Sie bitte: 15er-Ausschüsse!
auch bei den 21er-Ausschüssen heraus! Ich Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand
kann doch jetzt nicht dazu Stellung nehmen!) zu erheben. — Das ist zweifelsfrei die Mehrheit;
— Schön! demnach so beschlossen.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir Wir kommen zur Gruppe der drei 7er-Aus-
zur Abstimmung über die Drucksache Nr. 48, und schüsse. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu
zwar in folgender Reihenfolge, die auf verhaltnis- erheben. — Ebenfalls mit eindeutiger Mehrheit
mäßig weitgehender interfraktioneller Überein- angenommen.
stimmung beruht. Wir wollen zunachst über I ab-
stimmen: Nun kommen wir zu II, und zwar zur Einzel-
abstimmung.
Die vom Bundestag eingesetzten Ausschüsse
werden in folgender Stärke gebildet. (Abg. Schoettle: Herr Präsident,
Jetzt muß ich aber konsequenterweise, Herr Abge- ich bitte ums Wort!)
ordneter Dr. Seelos, sehr wahrscheinlich zunächst Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.
über Ihren Abänderungsantrag abstimmen lassen,
wenn es einen Sinn haben soll. Schoettle (SPD): Meine Damen und Herren,
-
(Abg. Renner: Herr Präsident, ich bitte, ich beantrage namens meiner Fraktion, die unter II
Gesamtabstimmung herbeizuführen, weil aufgeführten Ausschüsse zum Schutze der Ver-
ich zu dem ersten Absatz wegen der 27er- fassung, für Arbeit, für Sozialpolitik, für Heimat-
Ausschüsse auch noch Abänderungsanträge vertriebene sowie für, Rechtswesen und Ver-
habe!) fassungsrecht in 27er-Ausschüsse zu verwandeln.
Das Haus ist damit einverstanden, daß wir ab-
stimmen nach 27er-, 21er-, 15er- und 7er-Aus- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
schüssen. Es wird allerdings durch den Abände- Abgeordnete Renner und dann der Herr Abge-
rungsantrag der Bayernpartei eine gewisse Schwie- ordnete Scharnberg.
rigkeit geben. Wer also für die unter Ziffer I unter
Gruppe 27er-Ausschüsse vorgesehenen Ausschüsse Renner (KPD): Meine Damen und Herren, ich
mit der Besetzung von 27 Mitgliedern ist, den bitte bitte, darüber hinaus beschließen zu wollen, daß
ich, die Hand zu erheben. — Danke. Das ist ein- der Ausschuß für Fragen der Kriegsopferversor-
deutig die Mehrheit. Damit 'sind die 27er-Aus- gung und für Kriegsgefangenenfragen von 21 auf
schüsse angenommen. 27 erweitert wird.
Jetzt kommen wir zu den 21er-Ausschüssen. (Zuruf: Das ist doch schon erledigt!)
(Abg.Renner: Ich bitte ums Wort zur Abstimmung!— — Nein, das ist eben nicht erledigt, 'weil ich vorher
Abg. Schoettle: Unter Ziffer II ist noch eine schon einmal mit Billigung des Herrn Präsidenten
Frage offen! Rückseite des Antrags Nr. 48!) erklärt habe, daß ich diesen Antrag insgesamt zu II
— Das kommt nachher. stellen darf.
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 209
(Renner)
Ich habe den Herrn Präsidenten schon darauf daß die gesamten unter Ziffer II genannten fünf
hingewiesen, daß wir durch seine Abstimmungs- Ausschüsse — —
methode in eine gewisse Kollision geraten werden. (Zuruf in der Mitte: Einzelabstimmung!)
Der Herr Präsident hat mir konzediert, daß ich — Verzeihung, das geht nicht; es liegt ein Gesamt-
unter II den Antrag stellen kann. antrag vor, und es liegen Einzelanträge vor, und
(Zurufe.) danach muß verfahren werden. Der Antrag bezüg-
— Machen Sie doch keine Schwierigkeiten, oder ist lich der Gesamtheit der unter Ziffer II stehenden
Ihnen das Problem der Kriegsopferversorgung so Ausschüsse ist der weitergehende.
wenig wert? (Abg. Schoettle: Ich bitte ums Wort
(Lebhafte Zurufe in der Mitte und rechts: Nein!) zur Abstimmung!)
— Dann machen Sie doch keine Ihnen später ein- — Bitte, Herr Abgeordneter Schoettle zur Ab-
mal politisch sehr unliebsam werdenden Zwischen- stimmung!
rufe!
Ich beantrage also, den Ausschuß für Kriegs- Schoettle (SPD): Ich bitte, meinen Antrag
opfer- und Kriegsgefangenenfragen von 21 auf 27 nicht so verstehen zu wollen, daß ich eine En-bloc-
Mitglieder zu erweitern. Abstimmung über die ganze Gruppe verlangt habe.
Ich habe nur zweckmäßigkeitshalber alle Aus-
Darüber hinaus beantrage ich, die Mitglieder- schüsse aufgeführt, von denen wir wünschen, daß'
zahl des Ausschusses für Wiederaufbau und Woh- sie 27er-Ausschüsse werden. Sie können darüber
nungswesen von 21 auf 27 und die des Ausschusses einzeln abstimmen lassen.
für das Besatzungsstatut und auswärtige An-
gelegenheiten sowie des Ausschusses für gesamt- Präsident Dr. Köhler: Ich danke. Das ver-
deutsche Fragen von 21 auf 27 heraufzusetzen. einfacht das Verfahren in dieser Situation.
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Ab-
Präsident Dr. Köhler: Ich muß Herrn Abgeord- geordnete Gengler.
neten Renner bestätigen, daß er bei der Abstim-
mung über die Gruppe der 21er-Ausschüsse keine Gengler (CDU): Ich möchte den Herrn Präsiden-
Gelegenheit gehabt hat, dazu zu sprechen. ten bitten, zunächst über den Antrag des Herrn Ab-
Das Wort hat Herr Abgeordneter Scharnberg. geordneten Schoettle abstimmen zu lassen, und
zwar in der Form, daß über die ersten drei Aus-
Scharnberg (CDU): Wir halten es nicht für tun- schüsse getrennt abgestimmt wird, wofür ja der
lich, dem Antrag der Kommunistischen Partei statt- Gegenantrag vorliegt,
zugeben, und beantragen daher, daß es hinsicht- (Widerspruch links)
lich der vier eben genannten Ausschüsse dabei
verbleibt, daß diese Ausschüsse 21er-Ausschüsse und dann über die anderen zwei Ausschüsse.
sind.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und
(Zuruf in der Mitte: Ist bereits beschlossen!) Herren, ich bin im Gegensatz zu Herrn Abgeord-
Wir beantragen, von den Ausschüssen, die unter neten Gengler der Meinung: Nachdem nun klar-
Ziffer II erwähnt sind — das sind die strittigen gestellt ist, daß wir über alle Ausschüsse im ein-
Ausschüsse —, die ersten drei: Ausschuß zum zelnen abstimmen können, werden wir das auch
Schutze der Verfassung, Ausschuß für Arbeit und tun; das ist die einfachste Methode. Es liegen je-
Ausschuß für Sozialpolitik, als 21er-Ausschüsse zu weils Anträge über 27er- oder 21er-Ausschüsse vor.
errichten und den Ausschuß für Heimatvertriebene
sowie den Ausschuß für Rechtswesen und Ver- (Zuruf: Die ersten drei!)
fassungsrecht als 27er-Ausschuß einzusetzen. Wir wollen es nicht so schwer machen. Wir stim-
men jetzt im einzelnen ab.
Präsident Dr. Köhler: Wird weiter das Wort Ich rufe zunächst den weitergehenden An-
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe trag zur Abstimmung auf. Wer dafür ist,
ich die Aussprache über Ziffer II und stelle fest, daß der Ausschuß zum Schutze der Verfassung als
daß folgende Anträge in nachstehender Reihen- 27er-Ausschuß eingesetzt wird, den bitte ich, die
folge vorliegen: erstens der Antrag der SPD, sämt- Hand zu erheben. — Meine Damen und Herren, -
liche unter Ziffer II genannten Ausschüsse zu 27er- ich glaube, wir müssen auszählen. Bitte, wollen die
Ausschüssen zu machen, ferner der Antrag der Herren Schriftführer auszählen! — Ich bitte um die
KPD, unter den 21er-Ausschüssen den Ausschuß Gegenprobe. — Ich bitte auszuzählen. —
für das Besatzungsstatut und auswärtige An-
gelegenheiten sowie den Ausschuß für Wiederauf- Meine Damen und Herren! Das Abstimmungs-
bau und Wohnungswesen und den Ausschuß für ergebnis ist folgendes: für den Antrag auf Ein-
Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen zu 27er- setzung eines 27er-Ausschusses 160 Stimmen, da-
Ausschüssen zu machen. gegen 201 Stimmen. Dann darf ich wohl das Ein-
verständnis des Hauses damit annehmen, daß
(Abg. Renner: Und den Ausschuß für gesamt gleichzeitig der Antrag dieses Ausschusses bezüg-
deutsche Fragen!) lich der Festsetzung der Zahl auf 21 Mitglieder als
— Und den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen. angenommen gilt. Oder wünscht das Haus noch
Dann folgt der Antrag der CDU, die ersten drei eine besondere Abstimmung darüber?
unter Ziffer II genannten Ausschüsse: Ausschuß
zum Schutze der Verfassung, Ausschuß für Arbeit (Zurufe: Nein!)
und Ausschuß für Sozialpolitik als 21er-Ausschüsse — Ich stelle das Einverständnis des Hauses fest
zu errichten und den Ausschuß für Heimatvertrie- und stelle weiter fest, daß damit der Ausschuß zum
bene, den Ausschuß für Rechtswesen und Ver- Schutz der Verfassung 21 Mitglieder hat.
fassungsrecht als 27er-Ausschüsse einzusetzen. Wir kommen zum Ausschuß für Arbeit. Wer da-
Wir beginnen mit der Abstimmung in der eben für ist, daß dieser Auschuß aus 27 Mitgliedern be-
von mir vorgesehenen Reihenfolge. Wer dafür ist, steht, den bitte ich, die H and zu erheben. — Ich
210 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Präsident Dr. Köhler)
glaube, das ist dasselbe Abstimmungsverhältnis.
Nein!
(Zurufe: Das gleiche!)
Dann bitte ich um die Gegenprobe. — Ich darf nach
— -- Der Herr Abgeordnete Renner war als Antrag-
steller damit einverstanden.
(Abg. Schoettle: Sein Schade!)
Dann können wir in der Abstimmung fortfahren.
dem Ergebnis von vorhin feststellen, daß auch Wer für den Antrag Renner ist, wie ich ihn eben
dieser Antrag abgelehnt ist und der Ausschuß für verlesen habe, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Arbeit demnach aus 21 Mitgliedern besteht. Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist
Wir kommen zur Abstimmung über den Aus- mit zweifelsfreier Mehrheit abgelehnt.
schuß für Sozialpolitik mit 27 Mitgliedern. Wer da- Damit kommen wir zu Ziffer III der Drucksache
für ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das Nr. 48. Es handelt sich um den Ausschuß zur Wah-
ist dieselbe Stimmenverteilung wie soeben, rung der Rechte der Volksvertretung. Dazu ist
(Widerspruch.) eine Anmerkung gemacht:
— Ich bitte doch auszuzählen. — Darf ich zur Ver- Bei dem unter III genannten Ausschuß ist eine
einfachung der Technik des Auszählens bitten, da, Mitgliederzahl von 27 vorgesehen. Die dann
wo der Schriftführer gezählt hat, die Hand her- nicht berücksichtigten Fraktionen und die Grup-
unterzunehmen. pen, die keine Fraktionsstärke haben, sollen mit
beratender Stimme teilnehmen können.
(Abg. Schoettle: Dann muß er es auch sagen!)
Das Wort wird dazu nicht gewünscht.
Die Herren Schriftführer sind sich nicht einig.
Ich bitte, die Abstimmung noch einmal vorzu- (Abg. Dr. Miessner: Doch!)
nehmen. Wer für den Ausschuß für Sozialpolitik — Zu diesem Punkt?
mit 27 Mitgliedern ist, den bitte ich, die Hand zu (Abg. Dr. Miessner: Direkt anschließend vielleicht!—
erheben. Zuruf von der CDU: Wir sind in der Abstimmung!)
(Zurufe.) — Wir sind in der Abstimmung.
— Wenn Sie gern aufstehen wollen, ist das viel- (Abg. Dr. Miessner: Ich habe mich ja gemeldet!
leicht eine Erleichterung. Ich habe den Antrag vorher dem Herrn
(Widerspruch.) Schriftfhrer bekanntgegeben! — Zuruf von
der CDU: Wir sind in der Abstimmung!)
— Dann bitte ich sitzenzubleiben. — Wer dagegen
ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich — Bezieht sich Ihr Antrag auf Ziffer III?
bitte um Auszählung. — (Abg. Dr. Miessner: Ja!)
(Zurufe: Offensichtlich die Mehrheit!) — Gut! Wenn die Wortmeldung hier rechtzeitig
eingegangen ist, trage ich ihr auch Rechnung.
Meine Damen und Herren, das Abstimmungs- Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Miessner!
ergebnis ist folgendes. Für den Antrag — Aus-
schuß für Sozialpolitik mit 27 Mitgliedern — 175, Dr. Miessner (NR): Ich habe gestern namens
dagegen 184 Stimmen. Der Antrag ist also ab- der Gruppe Nationale Rechte angekündigt, heute
gelehnt. Der Ausschuß für Sozialpolitik besteht aus einen Antrag dahingehend zu stellen, daß neben
21 Mitgliedern. den bei den Ausschüssen nicht berücksichtigten
Wir kommen dann voraussichtlich zu einer Ver- Fraktionen auch die Gruppen, die keine Fraktions-
einfachung der Abstimmung bei den beiden stärke haben, mit beratender Stimme teilnehmen
nächsten Ausschüssen, Ausschuß für Heimatver- können. Wir halten an dieser Auffassung im Inter-
triebene und Ausschuß für Rechtswesen und Ver- esse einer wirklich gemeinsamen parlamentarischen
fassungsrecht. Da liegen übereinstimmende An- Arbeit hier im Hause unbedingt fest. Wir ver-
träge sowohl von seiten der SPD wie von seiten zichten aber heute auf einen entsprechenden An-
der CDU über je 27 Mitglieder vor. Ist das Haus trag und behalten uns vor, in einigen Tagen
damit einverstanden, daß ich unter diesen Um- darauf zurückzukommen.
ständen über beide Ausschüsse gleich gemeinsam Präsident Dr. Köhler: Das Wort wird nicht
abstimmen lasse? weiter gewünscht. Wir kommen nunmehr zur
(Zustimmung.) Abstimmung über Ziffer III der Drucksache Nr. 48
Ich höre keinen Widerspruch. Wer dafür ist, daß mit der aus Absatz 3 der Begründung hervor-
die Ausschüsse für Heimatvertriebene einerseits gehenden Erläuterung, daß dieser Ausschuß aus -27
und für Rechtswesen und Verfassungsrecht Mitgliedern bestehen soll und die dann nicht be-
andererseits 27er-Ausschüsse sein sollen, den bitte rücksichtigten Fraktionen und Gruppen, die keine
ich, die Hand zu erheben. — Danke, das ist zwei- Fraktionsstärke haben, mit beratender Stimme da-
felsfrei die Mehrheit, sogar Einstimmigkeit. Damit ran teilnehmen können. Wer dafür ist, den bitte
ist Ziffer II erledigt. ich, die Hand zu erheben. — Das ist zweifelsfrei
Jetzt kommt noch der Antrag Renner. Sind Sie die Mehrheit.
damit einverstanden, Herr Abgeordneter Renner, Damit haben wir die Drucksache Nr. 48 und den
daß ich gleichzeitig über alle vier Ausschüsse ab- ersten Punkt unserer Tagesordnung erledigt.
stimmen lasse? Meine Damen und Herren! Wir kommen dann
(Abg. Renner: Ich habe nichts dagegen!) zu den Punkten 2 bis 5 der Tagesordnung:
Wir stimmen also über den Antrag Renner ab, Antrag der Fraktion der SPD, betreffend De
der dahin lautet, daß die bisher als einzige 21er- montagen (Drucksache Nr. 2);
Ausschüsse geltenden Ausschüsse — nämlich a) für Antrag der Fraktion der KPD, betreffend so-
Besatzungsstatut, b) für gesamtdeutsche Fragen, fortige Einstellung der Demontagen (Druck-
c) für Wiederaufbau und Wohnungswesen und d) sache Nr. 6);
für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen — Antrag der Fraktion der KPD, betreffend De-
in 27er-Ausschüsse umgewandelt werden. montageverweigerer (Drucksache Nr. 7);
(Abg. Schoettle: Herr Präsident, ich glaube, Antrag der Fraktion der KPD, betreffend Am-
wir müssen über diese Ausschüsse einzeln nestierung verurteilter deutscher Demontage-
abstimmen!) verweigerer (Drucksache Nr. 11).
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 211
(Präsident Dr. Köhler)
Wir haben im Ältestenrat vereinbart, in der Aus- Lösung der anderweitigen Vorsorge für die be-
sprache die Punkte 2, 3, 4 und 5 gemeinsam zu be- troffenen Belegschaften finden.
handeln, und zwar dergestalt, daß zunächst vom (Sehr wahr!)
Antragsteller zu Punkt 2 gesprochen wird und daß
der Antragsteller zu den Punkten 3, 4 und 5 ge- Dagegen können die Auswirkungen dort geradezu
meinsam spricht. Ich bitte, davon Kenntnis zu katastrophal werden, wo das der Demontage aus-
nehmen. Die Höchstdauer der Aussprache ist für gelieferte Werk eine zentrale Bedeutung als Ar-
das Kapitel Demontage, Punkte 2 bis 5 der Tages- beitsstätte hatte. Ich will nur einige Beispiele an-
ordnung, auf eine halbe Stunde festgesetzt. geben. Der Stadtteil Hamborn ist mit der Thyssen-
Ich bitte nunmehr den Antragsteller zu Druck- Hütte in seiner wirtschaft lichen Entwicklung auf
sache Nr. 2, das Wort zu ergreifen. Herr Abgeord- Gedeih und Verderb verbunden.
neter Henßler! (Sehr richtig! bei der SPD.)
Ich verweise auf Hattingen und Bergkamen, relativ
Henßler (SPD): Meine Damen und Herren! kleine Orte, in denen das zur Demontage stehende
Die sozialdemokratische Fraktion hatte den Wunsch, Werk d i e Beschäftigungsstätte für einen großen
daß dieser Antrag im Bundestag zum frühest- Teil der Bevölkerung war. Ebenso ist es in Nieder-
möglichen Termin behandelt wird. Sie glaubte scheiden der Fall und in ganz besonderem Maße in
diesen Wunsch äußern zu können, weil es der Watenstedt-Salzgitter.
aktuellen. Situation wie auch der Bedeutung des
Problems an sich entspricht. Wir sind auch der (Erneute Zustimmung bei der SPD.)
Meinung, daß sehr früh der vielfach im Ausland Da gibt es für die betroffene Belegschaft keine an-
geäußerte Eindruck zerstört werden muß, als ob die dere Arbeitsmöglichkeit, nicht einmal in berufs-
Hervorhebung der Demontage bisher nur mehr fremden Industrien.
oder weniger auf wahlpropagandistischen Motiven
beruhe. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders
die sozialwirtschaftliche Bedeutung der Fischer-
Wir sehen in dem Demontageproblem eine Frage Tropsch- und Bergius-Anlagen erwähnen, weil
von schicksalhafter Bedeutung, diese Unternehmen in großem Umfange nicht mehr
(Sehr richtig! bei der SPD) voll erwerbsfähige Arbeitskräfte und Frauen be-
insbesondere für die künftige wirtschaftliche Ent- schäftigen konnten. Diese Betriebe sind nicht nur
wicklung. Wir wehren uns dagegen, daß man es deshalb von großer Bedeutung, weil sie durch Ver-
irgendwie in seiner Bedeutung herabzusetzen ver- wendung qualitätsschwacher Kohlen die Wirt-
sucht. Wir sehen auch einen solchen Versuch der schaftlichkeit des Bergbaues erleichtern und weil
Abschwächung und der Ablenkung in Ä ußerungen, sie durch ihre Produktion in der Einfuhr eine Ent-
die kürzlich von einer hohen englischen Persön- lastung bringen und damit eine devisensparende
lichkeit gemacht Wurden: 1. daß die Demontage Produktion darstellen; sie sind auch, vom Arbeits-
' außer in einem örtlich und zeitlich begrenzten marktstandpunkt aus gesehen, für das schwer-
Raume nicht die Ursache für die Arbeitslosigkeit industrielle Gebiet mit seinem hohen Verschleiß an
sei, 2. daß das Motiv zur Demontage kein Motiv Arbeitskraft wegen der Aufnahme solcher Arbeits-
der Konkurrenzbehinderung sei, und 3. daß diese kräfte, die im Bergbau und in den Hüttenwerken
Proteste nur den Verdacht erweckten, daß der nicht mehr oder überhaupt nicht verwendungsfähig
Nationalismus wiederau flebe. Wir müssen in sol- sind, ein dringend notwendiger Ausgleich. Die Sti ll
chen an sich zum Teil sehr anfechtbaren Fest- -legundisrBtbgaußeordntlich
stellungen den Versuch einer Bagatellisierung er- soziale Härten mit sich, die noch durch den Um-
blicken, dem wir widersprechen müssen. Ehe ich stand gesteigert werden, daß die Gemeinden, denen
aber darüber Ausführungen mache, will ich einige ein großer Teil der Betreuung der Opfer der De-
kurze Bemerkungen zu diesen Feststellungen selbst montagen zufällt, selbst durch den Ausfall an
machen. Steuerkraft geschwächt werden.
Es kann in der Tat unbestritten bleiben, daß man, Meine Damen und Herren, ich will zur Veran-
örtliche Erscheinungen ausgenommen, die gegen- schaulichung nur zwei kleine Beispiele geben. Mir ist
wärtige Arbeitslosigkeit nicht der Demontage- mitgeteilt worden. daß von der 3000 Mann starken
politik zur Last legen kann. Aber auch die örtlichen Belegschaft der Gelsenberg-Anlage rund 500 solche
Einzelfälle schaffen harte soziale Notstände. Und Arbeitskräfte sind, die als nicht mehr voll einsatz-
ganz fehl geht die Vertröstung, daß diese Not- fähig betrachtet werden müssen. Besonders tragisch
stände z eitlich begrenzt sein werden. Nichts liegt der Fall bei der ca. 7000 Einwohner zählenden
spricht für die Richtigkeit dieser Voraussage; aber Industriegemeinde Bergkamen, die ebenfalls Sitz
alle Erfahrung spricht dafür, daß selbst im günstig- eines solchen Hydrierwerks ist. Diese Gemeinde
sten Falle viele aus den betroffenen Belegschaften ist in außerordentlichem Maße von Schicksals-
auf der Strecke bleiben werden. schlägen heimgesucht worden. Zu den Opfern des
Krieges kamen die zahlreichen Opfer bei der Bom-
(Sehr richtig! bei der SPD.) bardierung des Werkes, und dazu kamen noch 500
Es werden in erster Linie die älteren Arbeits- Todesopfer, die zwei Grubenkatastrophen gefordert
kräfte sein, und es werden diejenigen sein, die für haben. In dieser Gemeinde gibt es fast kein Haus,
andere Arbeiten nicht mehr voll einsatzfähig sind. in dem nicht eine Familie wohnt, in der die Frau
Die anderweitige Arbeitsbeschaffung wird gegen- der Ernährer sein muß. In diesem Werk, das mit
wärtig durch die Beschränkung der Freizügigkeit, Einverständnis oder jedenfalls mit Duldung der
die eine Folge des Trümmerzustandes und der da- Engländer wieder aufgebaut wurde, konnten jetzt
durch hervorgerufenen Wohnungsnot ist, außer- bereits ungefähr 300 Frauen Arbeit finden. Diese
ordentlich erschwert. Aber selbst dort, wo eine Zahl ließe sich noch steigern.
solche Demontage in einem Bezirk erfolgt, in dem Diese Tatsachen gestatten bestimmt nicht eine
innerhalb eines engeren Gebietes andere, zum Bagatellisierung der sozialen Nöte als Folgen der
Teil gleichartige Industrien gewisse Ausgleichs- Demontagen, weil es sich „nur" um örtliche Er-
möglichkeiten geben, läßt sich keine vollständige scheinungen handelt.
212 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Henßler)
Meine Damen und Herren, ich wiederhole. aber: In diesem Zusammenhang, meine Damen und
die Betrachtung der Demontagen nur unter den Herren, ein Wort zum Thema Konkurrenzbehinde-
eben erwähnten sozialen Gesichtspunkten wird der rung! Das Abstreiten dieses Gedankens ist keine
vollen Bedeutung der Demontagen überhaupt nicht Widerlegung, daß nicht doch starke Kräfte, die bei
gerecht. Es geht bei diesen Demontagen im Kern der Demontage bestimmend mitwirken, sich von
um die Frage, ob dem deutschen Volk eine aus- solchen Absichten leiten lassen.
reichende Wirtschaftsbasis bleibt. (Sehr richtig!)
(Sehr richtig!) Ich glaube aber, daß wir es uns ersparen können,
Es geht darum, daß in der angestrebten europä- über Motive zu sprechen. Die Tatsache n
ischen Neuordnung das deutsche Volk als gleich- sprechen eine eindeutige Sprache, daß Konkurrenz-
berechtigter Partner seinen Platz finden muß. behinderung vorliegt. Es gibt Fälle, in denen die
angeordneten Teildemontagen wahrlich nicht anders
(Sehr richtig!) zu sein brauchten, als sie angeordnet wurden, wenn
Die Demontagen haben aber die Bedeutung und dabei die geradezu satanische Absicht der Konkur-
den Zweck, eine dauernde ausnahmerechtliche Be- renzerschwerung mitgesprochen hätte.
handlung des deutschen Volkes festzulegen. Der organische Produktionsvorgang wird ge-
(Sehr wahr!) stört, indem wichtige Glieder einer Produktions-
kette einfach herausgerissen werden. Die Folge
Und es geht darum, auch für das deutsche Volk die davon ist, daß erhöhte Transportleistungen er-
produktionstechnischen Voraussetzungen zu er- forderlich sind, daß wesentlich höhere Brennstoff-
halten bzw. zu schaffen, damit es mit dem Aus- mengen notwendig sind und daß dementsprechend
lauf des Marshallplans im Jahre 1952 die Möglich- auch ein größerer Arbeitsaufwand entsteht. Diese
keit besitzt, sich aus eigener Kraft zu erhalten und Teildemontagen haben eine Wirkung, daß man
sein Einfuhrbedürfnis zu befriedigen. Heute sind davon sprechen könnte, das Verbliebene bleibt,
wir von diesem Ziel noch weit, sehr weit entfernt. wirtschaftlich gesehen, fast ohne jeden Effekt.
Ich habe den Eindruck, daß das auch Deutschen Bei der Verkündung des Demontageplans war
noch gesagt werden muß, selbst Mitgliedern dieses damals der Reparationsgedanke in den Vorder-
Hauses. grund gestellt worden. Damit versuchte man auch
Wir haben in der Debatte zur Regierungserklä- einUbrstmugideMarshlpn
rung eine Stimme gehört, die unter absoluter Ent- durch die Feststellung herbeizuführen, daß die für
stellung der englischen Situation prahlend erklärte: Deutschland überflüssig gewordenen Industrie-
Wir haben geschafft, wir haben gearbeitet und ha- kapazitäten anderen Ländern gegeben werden sol-
ben für uns selbst gesorgt. Ich habe den Eindruck, len, um sie im Sinne des Marshallplans früher zur
daß dieses Mitglied der CDU nicht einmal die Nutzung kommen zu lassen, als wenn diese Kapa-
Düsseldorfer Leitsätze der CDU bis zum Ende ge- zität in Deutschland verbliebe. Ich will unerörtert
lesen hat; lassen, ob und in wie vielen Fällen die Demontage
(Beifall links) diese Voraussetzungen erfüllte. Sicher sind es
denn sonst würde es am Ende der Düsseldorfer Seltenheitsfälle. Auf die zur Zeit strittigen Demon-
Leitsätze gefunden haben, daß davon 'gesprochen tagefälle trifft diese Argumentation jedenfalls
wird, daß der Einfuhrbedarf des deutschen Volkes nicht zu.
rund 9 Millarden D-Mark ausmacht. Wenn es Die jetzigen Demontagen stehen in hartem
diese Zahl mit der am Anfang genannten Zahl, daß Widerspruch zu den Prinzipien des Marshallplan.
man in diesem Jahr auf eine Ausfuhr von 1,2 Mil- Der Marshallplan fordert Aufbauförderung unter
liarden Dollar rechnen kann, vergleicht, dann voller Auswertung der industriellen Kapazität auch
könnte es sich leicht ausrechnen, daß wir durch Westdeutschlands. Insbesondere fordert er auch
eigene Kraft heute noch nicht die Hälfte der Ein- eine Steigerung der Rohstahlerzeugung, und im
fuhr erarbeiten, die wir notwendig brauchen. Sinne dieses Plans hätte das modernste Hütten-
werk, zugleich mit dem günstigsten Standort, so
Wenn wir einen Blick in die frühere Statistik früh wie möglich in Betrieb genommen werden
unseres Außenhandels werfen, dann finden wir müssen: die Thyssen-Hütte. Dieses Werk aber ist
eine überragende Bedeutung unserer Eisen- und auf die Demontageliste gesetzt worden. Unser Ein-
Stahlindustrie in Verbindung mit der diesbezüg- druck ist, es ist deshalb auf die Demontageliste ge-
lichen verarbeitenden Industrie. Es bleibt einem setzt worden, weil es so günstige Produktionsmög-
rätselhaft, wie wir einen Ausgleich der Handels- lichkeiten bietet. Dafür baut man in anderen Län-
bilanz bei der Drosselung, die die Demontagen auf dern neue Hüttenwerke auf. Die europäische
dieser Industrieebene herbeiführen, finden sollen. Konzeption des Marshallplans wird preisgegeben
Deshalb, meine Damen und Herren, sehen wir in zugunsten egoistischer nationaler Interessen.
diesen Demontagen auch eine Verletzung des selbst Ich kann ein anderes Beispiel erwähnen, das Bei-
in dem Potsdamer Abkommen feierlich gegebenen
spiel der 5-Meter-Straße im Dortmund Harder-
Versprechens, dem deutschen Volk soviele in-
-
Dr. Dr. Lehr (CDU): Meine Damen und Herren! dann betragen die Umsetzungskosten für dieses
Nachdem hier die Regierungserklärung verlesen Werk allein 365 Millionen D-Mark, ganz abge-
worden ist, schlage ich dem Hohen Hause namens sehen davon wie von Herrn Dr. Lehr dargelegt
der vorhin von mir in der Aussprache vertretenen worden ist, in welchem Maße gerade dieses Werk
Fraktionen N or, einen Abänderungsantrag zu den für die Existenz der deutschen Industrie bedeu-
Drucksachen Nr. 7 und 11 anzunehmen. tungsvoll ist. Ich darf zu dem Vorschlag, den er ge-
Die Fraktionen empfehlen die Annahme fol- macht hat, auch noch darauf hinweisen, daß von
genden Antrages: dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen
Der Bundestag wolle beschließen: der ausgezeichnete Vorschlag gemacht worden ist,
aus der August-Thyssen-Hütte ein Gemeinschafts-
Das Haus stimmt der Erklärung der Regie- werk für die europäische Jugend zu gestalten. Es'
rung zu und bittet sie, entsprechend dieser kann doch im Hinblick auf die europäische Not-
Erklärung zu verfahren. wendigkeit nur als eine politische Torheit be-
Damit wären die Drucksachen Nr. 7 und 11 er- zeichnet werden, daß 7000 Arbeiter der August-
ledigt. Thyssen-Hütte durch die Demontage brotlos
Bezüglich der Drucksache Nr. 2, Antrag der werden.
SPD-Fraktion, empfehlen wir Annahme. Wenn ich am Abschluß unserer heutigen Bera-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Frau tung zu dieser Frage Stellung nehme, sei es mir
Abgeordnete Wessel. gestattet, die politische Auswirkung der Demon-
Frau - Wessel (Z): Meine Damen und Herren! tage noch einmal herauszuheben; denn man hat
Ich möchte namens der Zentrumsfraktion, nach- nicht umsonst gesagt, daß die Demontage deut-
dem das - Demontageproblem von meinen Vor- scher Fabriken, die keine Rüstungswerke sind,
rednern bezüglich der Sachverhältnisse so aus- eine Demontage der Demokratie bedeutet. Wer als
führlich behandelt worden ist, nur noch einige deutscher Demokrat 1945 in dem von Hitler hinter-
Punkte hervorheben, die meiner Fraktion hinsicht- lassenen Chaos bereit gewesen ist, in absoluter
lich der politischen Stellungnahme doch wichtig Loyalität gegenüber den Besatzungsmächten an
erscheinen. Ich möchte vor allem betonen: auch den Wiederaufbau unseres Vaterlandes heranzu-
wir sind der Auffassung, daß unser Protest, der gehen, der hat einen Anspruch darauf, von den
so allgemein in diesem Hohen Hause zutage ge- Besatzungsmächten gehört zu werden, wenn er in
treten ist, nicht das mindeste mit nationalistischen dieser Frage seine Stimme erhebt, um nämlich auf
Tendenzen zu tun hat, sondern daß hier zwingende einen schwerwiegenden politischen Fehler auf-
wirtschaftliche und politische Überlegungen zu be- merksam zu machen. Ich glaube, wir sollen die
rücksichtigen sind. Wenn im Ausland der Ein- Sorgen, die wir hier haben, leidenschaftslos dar-
druck erweckt würde, die deutsche Stellung- stellen, es aber auch mit unbedingter Offenheit
nahme gegen die Demontage bezwecke nur, irgend- aussprechen: wenn uns die Westmächte weiterhin
wie nationalistische Meinungen zu äußern, dann die Demontage aufzwingen, dann zwingen sie uns
sieht man die deutsche Situation völlig falsch. Es am Ende den Nationalismus auf. Wenn sie von
geht mit der Demontage ähnlich wie mit dem uns verlangen, daß wir Fabriken, die wir brauchen,
Versailler Friedensvertrag. Schon wenige Jahre damit unser Volk ein menschenwürdiges Dasein
nach Versailles dämmerte in alliierten Kreisen findet, abbauen, obgleich es sich bei diesen Fa-
die Erkenntnis, daß durch diesen Vertrag nicht briken nicht um ausgesprochene Rüstungsbetriebe
der echte und dauerhafte Friede geschaffen wor- handelt, dann provozieren sie im deutschen Volke
den war. Innerdeutsch brachte er dem Rechts- eine Reaktion, mit der wir Demokraten trotz un-
dikalismus einen für die Welt verhängnisvollen seres inständigen Bemühens um Frieden und Ver-
Auftrieb. Einer der Väter dieses Vertrages, näm- ständigung auf die Dauer nicht fertigwerden
lich Lloyd George, war einer der ersten, der für können.
seine Revision eintrat. Ich glaube deswegen, wir (Sehr richtig!)
müßten aus diesen Erfahrungen in Deutschland Meine Damen und Herren! Ich glaube, im allge-
— aber nicht nur wir, sondern vor allem die aus- meinen haben wir Deutsche nicht den Eindruck,
ländischen Staaten — erkennen, daß heute das daß die Besatzungsmächte über die Stimmung der
größte Hindernis für die europäische Verständi- deutschen Bevölkerung schlecht unterrichtet wären.
gung die erneut vorgenommenen Demontagen Es wäre ja auch traurig, wenn der so kostspielige
sind. Wir wollen uns auch darüber klar sein, daß Apparat, den die Besatzungsmächte bisher in
die Demontagen in weitestem Maße ebenfalls dazu Deutschland unterhalten haben, nicht einmal
beitragen, dem Rechtsradikalismus in Deutschland einer ausreichenden Orientierung dienen würde.
wiederum einen verhängnisvollen Auftrieb zu Ich nehme deshalb an, daß man in Paris und Lon-
geben; denn es stellt sich immer mehr heraus, daß don weiß, wie der Durchschnittsdeutsche über die
nichts verhängnisvoller ist, als wenn staatsmänni- Demontage denkt. Trotzdem dürfte es nicht über-
sche Unvernunft den radikalen Elementen die flüssig sein, auch hier einmal auszuführen, daß
Möglichkeit einer Agitation mit durchaus berech- der Durchschnittsdeutsche bei der Demontage, wie
tigten und vernünftigen Folgerungen gibt. sie durchgeführt wird, das Gefühl hat, daß die
In diesem Hohen Hause ist heute mit durch- Westmächte es mit Deutschland darin nicht ehr-
schlagenden Argumenten die wirtschaftliche Un- lich meinen. Er hält nämlich die Demontage für
vernunft der Demontage dargelegt worden. Ich ein Mittel, um die lästige deutsche Konkurrenz
meine, man könnte es nicht genug herausstellen, vom Weltmarkt fernzuhalten. Er ist der festen
daß die Demontage im Widerspruch zur Montage Überzeugung, daß die Siegermächte das De-
des Marshallplans steht. Wenn ich einmal darauf montieren aufgeben würden, wenn es ihnen nur
hinweisen darf, was von meinem Vorredner, dem auf Frieden und Wohlstand ankäme. Man kann
Herrn Kollegen Dr. Lehr, hinsichtlich der August- von uns deutschen Demokraten nicht erwarten,
Thyssen-Hütte gesagt worden ist, wenn wir daran daß wir gegen diese öffentliche Meinung anrennen.
denken, daß der Abbau der Thyssen-Hütte 65 Mil- Wir haben in ungezählten anderen Fällen den
lionen D-Mark und der Wiederaufbau. der Mut gehabt, unserem Volke klarzumachen, daß
vorgesehen ist, rund 300 Millionen D-Mark kostet, die Folgen des Hitlerwahnsinns nicht von heute
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 225
(Frau Wessel)
auf morgen überwunden werden können. Wir kön- man sich mit dieser Auffassung ohne weiteres
nen auch mit Genugtuung feststellen, daß das identifizieren kann. Wohl aber bin ich der Meinung,
deutsche Volk in den ersten Nachkriegsjahren daß es jedem demokratischen Staatsmann zu den-
eine bewunderungswürdige Fähigkeit bewiesen ken geben müßte, wenn seine Politik in der De-
hat, Leid und Entbehrungen, Demütigungen und montagefrage in ausgezeichneter Weise in das
Enttäuschungen zu ertragen. Was in unseren kommunistische Agitationsprogramm hineinpaßt.
Kräften gestanden hat, um es mit Vernunft Uns ist es unbegreiflich, wieso die Westmächte die
und Besonnenheit durch die ersten schweren politischen Auswirkungen der Demontage dauernd
Jahre nach 1945 hindurchzuführen, das haben unterschätzen.
wir getan. Alle demokratischen Parteien haben Dabei haben wir es hier in Deutschland nicht
in dieser Hinsicht in hervorragender Weise einmal nur mit einer Art von Radikalismus zu
zusammengearbeitet. Sogar das Zusammenleben tun. Ich verweise darauf, daß der Herr Bundes-
mit den Besatzungsmächten hat sich trotz der kanzler in seiner Regierungserklärung auch auf die
Opfer, die es dem deutschen Volke auferlegt, er- von rechts drohende Gefahr hingewiesen und von
träglich gestaltet. Man kann uns nicht nachsagen, der Besorgnis der Westmächte in dieser Beziehung
daß wir etwa böswillig wären und keinerlei Ein zu uns gesprochen hat. Wenn die Westmächte aber
sicht für unsere Lage aufbrächten. Wenn wir aber diese Besorgnis nicht bloß als Vorwand benutzen,
von unserem Volke wegen der Fortsetzung der um eine Politik des Mißtrauens gegenüber dem
Demontage befragt werden, dann sind wir nicht deutschen Volke fortzusetzen, dann können sie auf
in der Lage, diese Politik zu beschönigen. eine Revision ihres Standpunktes in der Demon-
Was wollen wir zum Beispiel erwidern, wenn wir tagefrage nicht verzichten. Wir dürfen heute die
wegen der Demontage des Werkes Hochfrequenz- Empfindung haben — es ist auch schon von einem
Tiegelstahl in Bochum, das zu den Deutschen Edel- Vorredner darauf hingewiesen worden —, daß sich
stahlwerken gehört, angesprochen werden? Als der in den Vereinigten Staaten die für jene Weltmacht
einzige Hersteller von Spezialerzeugnissen für die so charakteristische wirtschaftliche Vernunft auch
Elektrowirtschaft hätte das Bochumer Werk für in der Demontagefrage durchzusetzten scheint.
den Wiederaufbau der Berliner Elektroindustrie Der amerikanische Steuerzahler weiß genau, daß
wichtigste Lieferungen durchzuführen. Nicht nur die gesamte Demontage letzten Endes auf seine
der Bundestag und die Bundesregierung, sondern Kosten geht, und die amerikanische Regierung
die gesamte westliche Welt anerkennen die Ver- wird klug genug sein, ihren Bürgern keine über-
pflichtung, für eine Wiederbelebung der Berliner flüssigen und sinnlosen Opfer zuzumuten. Es ist
Wirtschaft Sorge zu tragen. Wir werden uns ja im nur jammerschade, daß nicht auch der französische
Anschluß an diese Frage noch heute in diesem und der britische Steuerzahler die wirtschaftlichen
Hohen Hause darüber unterhalten. In Bochum wird Auswirkungen der Demontage mit tragen muß.
ein Werk demontiert, auf das die Berliner Wirt- Wäre es der Fall, so würden wir uns — dessen bin
schaft überhaupt nicht verzichten kann. Eine der- ich gewiß — in diesem Hohen Hause über das
artige Demontage läßt sich nicht rechtfertigen oder Demontageproblem nicht mehr zu unterhalten
entschuldigen. Sie ist eine ebenso große politische brauchen. Aber die politischen Auswirkungen der
wie wirtschaftliche Torheit. Wir bedauern es sehr, Demontage sind nicht weniger ernst zu nehmen
daß sich ein Teil ddr Weltöffentlichkeit dieser Ein- als die wirtschaftlichen, und von ihnen werden
sicht verschließt, müssen aber feststellen, daß die Frankreich und Großbritannien als erste mit be-
deutsche Öffentlichkeit diese Zusammenhänge troffen. Nur die deutsche Demokratie wird
kennt und deshalb über den Ernst des Demontage- darunter noch vor diesen beiden Großmächten zu
problems keineswegs hinweggetäuscht werden leiden haben.
kann. Wir sind dabei, meine Damen und Herren, um
damit zum Schluß zu kommen, der Überzeugung,
Ich glaube, auch die Ausführungen, die insbeson- daß unsere politischen Zielsetzungen durchaus
dere der Sprecher der Kommunistischen Partei ge- nicht im Gegensatz zum französischen Sicherheits-
macht hat, zeigen, was er in seinem Sinn aus der bedürfnis zu stehen brauchen. Uns Deutschen ist
Demontage als politischem Problem zu machen ver- nicht weniger als dem französischen Volk daran
suchte. Man könnte jedes seiner Worte durch die gelegen, daß Deutschland nicht noch einmal in das
kommunistische Agitation in den von der Demon- chaotische Abenteuer eines Weltkrieges hinein--
tage bedrohten Gemeinden illustrieren. Ich selber manövriert werden kann. Kein Franzose kann
komme aus dem westfälischen Industriegebiet. Ich ernsthafter als wir bestrebt sein, die Kräfte an der
habe Gelegenheit genug gehabt, die politischen Entfaltung zu hindern, denen unsere Generation
Auswirkungen der Demontage kennenzulernen. Ich die grauenhaftesten Tragödien der deutschen Ge-
kann mir nicht denken, daß man sich in London schichte verdankt. Ich sehe wirklich keinen Grund,
und Paris dieserhalb keine Gedanken macht. Viel- weshalb es nicht möglich sein könnte, mit
leicht ist man der Meinung, die Auswirkungen der Frankreich und Großbritannien über eine echte
Demontage würden durch die Methoden der und wirkliche Sicherheit des Friedens in Europa
sowjetischen Besatzungspolitik reichlich zugedeckt.
Aber es ist nun einmal ein großer Unterschied, ob ohne Demontage zu einer Verständigung zu kom-
man die Folgen einer falschen Politik am eigenen men. Was der Artikel 24 des Grundgesetzes un-
Leibe zu spüren bekommt und als solche beklagt, seren Nachbarländern bietet, das ist weit mehr, als
oder ,ob sie von anderen getragen werden müssen. durch , Demontage bewirkt werden kann, und
Die Menschen, die sich jetzt in Moers, in Ober- trägt zur echten Sicherheit Europas bei. Hier
hausen, in Wanne-Eickel, in Dortmund, in Berg- zeigt sich am deutlichsten, daß endlich die ent-
kamen die Demontage der Fischer-Tropsch-Werke, scheidenden Anstrengungen zur Überwindung des
in denen sie ihren Lebensunterhalt gefunden haben, Krieges und zur Verständigung der Völker unter-
vor Augen halten, interessiert es bei dieser Frage nommen werden müssen. Die Welt bedarf nicht
absolut nicht, was in der Sowjetzone vor sich geht. der Demontage von Fabriken, die dem allgemeinen
Aber sie treffen die Feststellung, daß von den west- Wohlstand dienen, sondern der Montage eines
lichen Demokratien das Heil auch nicht zu er- echten und gerechten Friedens.
warten sei. Ich bin gewiß nicht der Meinung, daß (Beifall beim Zentrum.)
226 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Ich glaube, man kann aber sagen, daß gerade diese
Herr Abgeordnete Henßler. unberechtigte Zerstörung größter deutscher Werte
in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung
Henßler (SPD): Nur wenige Bemerkungen zu Zweifel daran hervorruft, ob es den Stimmen im
den Anträgen! Ich bitte um die Zustimmung zu Auslande, die uns erklären, daß sie uns in die
dem Antrag Nr. 2 der sozialdemokratischen Frak- europäische Gemeinschaft zurückführen wollen,
tion. Seine Annahme macht den Antrag Nr. 6 der wirklich ernst ist.
Kommunistischen Partei hinfällig. (Erneute Zustimmung.)
Bezüglich des Antrags Nr. 7 halte ich eine Be- Diejenigen von Ihnen, meine Damen und Herren,
ratung in der Kommission für erforderlich tin die Versailles miterlebt haben, werden mir be-
der jetzigen Form kann ihm nicht zugestimmt stätigen, daß in der Folgezeit gerade der Versailler
werden, und in der Kommissionsberatung könnte Vertrag, über dessen Erfüllungsmöglichkeiten man
dann auch festgestellt werden, ob er zum Teil sich schon bei der Unterzeichnung keinem Zweifel
nicht offene Türen einrennt. Nach Auskünften, die hingegeben hatte, die beste Propaganda für einen
u ns im nordrhein-westfälischen Landtag gegeben zügellosen Nationalismus gewesen ist.
wurden, kann man nicht davon sprechen, daß (Sehr richtig!)
noch Zwangsverpflichtungen gefordert werden. Das Ich glaube, man müßte verhüten, daß die Durch-
müßte klargestellt werden. Die sozialdemokratische führung der Demontage in späteren Jahren
Fraktion hätte aber keine Bedenken, hier im wiederum zu einer solchen Parole wird, wie es
Plenum dem Antrag zuzustimmen, der die die Unterzeichnung des Versailler Vertrags ge-
Amnestierung der wegen Demontageverweigerung worden ist.
bestraften Menschen fordert.
(Sehr richtig!)
Vizepräsident Dr. Schiffer: Das Wort hat der Darum möchte ich auch von der Tribüne dieses
Herr Bundeskanzler. Hohen Hauses herab an die drei Westalliierten die
dringende Bitte richten, die Demontagefrage vor-
nehmlich unter diesem Gesichtspunkt zu be-
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen trachten, ihre Erledigung nicht auf die lange
und Herren! Ich hatte mich heute vormittag schon Bank zu schieben, sondern dieses Problem be-
zum Wort gemeldet, um bei der Bedeutung. die herzt in die Hand zu nehmen. Ich meine, es müßte
dieser Gegenstand für das gesamte deutsche Volk bei gutem Willen möglich sein, auch hier eine
hat, vor Schluß der Debatte auch die Meinung der Lösung zu finden, die dem Reparationsverlangen
Bundesregierung Ihnen und der Öffentlichkeit mit- der drei Westalliierten gerecht wird,) ohne bei
zuteilen. uns dieses bittere Gefühl hervorzurufen, das ich
Der Verlauf der Demontagefrage ist für uns eben geschildert habe.
alle eine große Enttäuschung. Wir hatten gehofft, (Lebhafter Beifall.)
daß das Zusammensein der drei Außenminister in
den Vereinigten Staaten einen Anlaß und eine Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
Möglichkeit gegeben hätte, die bisherige Demon- Herr Abgeordnete Paul.
tagepolitik einer Nachprüfung zu unterziehen. Ich
weiß zur Stunde nicht, ob Verhandlungen zum Ab- Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Nach-
schluß gekommen sind oder nicht. Die Pressenach- dem nun alle Parteien zu unseren Anträgen Stel-
richten, die wir erhalten haben, lauten ungünstig; lung genommen haben, möchte ich noch einige
aber sie brauchen ja nicht hundertprozentig zu- Schlußbemerkungen machen.
verlässig zu sein. Der Arbeitsminister Storch hat hier erklärt, daß
Den Ausführungen, die einige meiner Herren die Bundesregierung für die Arbeitsämter nicht
Vorredner zur Demontagefrage gemacht haben, zuständig sei. Wir sind allerdings der Auffassung,
habe ich kaum etwas hinzuzufügen. Ich möchte daß die Bundesregierung sehr wohl in der Lage
nur nachdrücklichst auch gegenüber den West- gewesen wäre, nachdem sie von der Vermittlung
alliierten auf die 'psychologische Bedeutung gerade von Arbeitskräften für die Demontagefirmen
dieser Demontagefrage hinweisen. Es ist mir be- Kenntnis hatte, eine Empfehlung an die Arbeits-
kannt, daß es bei den Westalliierten vielfach so an- minister der Länder zu geben, keine Arbeits-
gesehen wird, als ob wir Deutsche, wenn wir im- kräfte mehr für die Vernichtung deutscher Arbeits-
mer wieder mit der Demontagefrage kommen, da- stätten bereitzustellen. Dem Herrn Arbeitsminister
mit eine Art Propaganda treiben wollten, und Storch und auch, wie ich glaube, dem Herrn Kol-
demgegenüber wird auf der andern Seite das Ge- legen Henßler scheint entgangen zu sein, daß mar
fühl und das Empfinden wach, aus Prestigegründen den Arbeitern, die in den letzten Tagen auf Grund
könne man dem deutschen Verlangen nicht nach- ihrer gewonnenen Erkenntnis die Arbeit nieder-
geben. Es ist mit Recht hervorgehoben worden gelegt haben, zum Beispiel im Ruhrgebiet, eine
— und ich unterstreiche das —: es ist bei uns Dut- Karenzzeit von vier bis sechs Wochen auferlegt hat.
schen weder Rechthaberei noch ein Bestreben, Pro- (Hört! Hört! bei der KPD.)
paganda zu betreiben; es sind wirtschaftliche Das wurde mir von Essen, von Duisburg und von
Gründe, die uns veranlassen, und es sind darüber Oberhausen mitgeteilt. Ich glaube, daß die An-
hinaus psychologische Gründe von allergrößter Be- wendung veralteter Paragraphen hier wirklich
deutun g. Wenn man das deutsche Volk in das nicht am Platze ist. Wir sind der Auffassung, daß
europäische Leben und auch in das europäische die langwöchigen Karenzzeiten untragbar für Men-
Wirtschaftsleben eingliedern will, so wird das nur schen sind, die ihren Arbeitsplatz zu wechseln
dann Erfolg haben, wenn das deutsche Volk we- wünschen. Ich möchte jedenfalls empfehlen und
nigstens in seiner Mehrheit die Überzeugung be- erwarte das von dem Herrn Arbeitsminister Storch,
kommt. daß dieser Wille der drei Westmächte daß er baldigst dafür sorgt, daß die Arbeits-
wirklich vorhanden ist. minister der Länder in dieser Richtung angewiesen
(Sehr richtig!) werden.
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, _Freitag, den 30. September 1949 227
(Paul)
A) Der Herr Bundeskanzler hat zu den Demon- Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
tagen ebenfalls Stellung genommen. Ich teile Herr Bundesminister Storch.
seinen Optimismus in bezug auf die kommenden
Verhandlungen nicht. Ich sagte bereits in meinen Storch, Bundesminister für Arbeit: Zu den Aus-
Ausführungen, daß in der letzten Erklärung der führungen des Abgeordneten Paul habe ich folgen-
drei Westmächte ganz eindeutig ausgesprochen ist, des zu erklären.
daß die Demontagen weitergehen. Deshalb ist es Ich habe mich schon vor Wochen in meiner Eigen-
notwendig, daß die gesamte deutsche Bevölkerung schaft als Direktor der Verwaltung für Arbeit so-
ohne Rücksicht auf ihre politische oder religiöse wohl mit dem Arbeitsminister von Nordrhein-
Einstellung ihre Stimme erhebt, damit endlich Westfalen als auch dem Leiter des dortigen Landes-
mit der Vernichtung und der Fortnahme deut- arbeitsamtes darüber in Verbindung gesetzt, daß
schen Eigentums Schluß gemacht wird. keine Arbeitsverpflichtungen für Demontage durch-
(Zuruf: Was ist denn im Osten?) geführt werden sollen. Der Arbeitsminister von
— Ich komme jetzt auf den Osten, meine Damen Nordrhein-Westfalen wird am Dienstag bereits wie-
und Herren. der bei mir sein, und wir werden alles tun, um da-
(Zurufe.) für zu sorgen, daß kein deutscher Mensch von
Der Herr Abgeordnete Richter glaubte, zur Be- einer deutschen Dienststelle veranlaßt oder ge-
gründung der Ablehnung unserer Anträge eine drängt oder irgendwie zu einer Demontagefirma
Hetze gegen die sowjetische Besatzungszone gebracht wird. Ebenfalls wird die Frage klargestellt
werden, ob die gesetzlichen Bestimmungen bei der
(Zurufe rechts: Tatsachen! Keine Hetze!) freiwilligen Aufgabe einer Arbeitsstelle dieser Art
und gegen die Besatzungsmacht der Sozialistischen in Anwendung kommen sollen. Ich glaube ganz be-
Sowjetunion entfachen zu müssen. stimmt, daß Wege gefunden werden, daß wir Men-
(Zuruf: Lesen Sie doch mal Ihre Zeitungen!) schen, die ihre Arbeit bei Demontagefirmen auf-
Ich möchte Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen, daß geben, keinerlei Karenzzeit für die Erlangung der
gemäß dem Potsdamer Abkommen schon seit Fe- Arbeitslosenunterstützung auferlegen werden.
bruar 1947 in der Ostzone die Demontagen abge- (Beifall. — Abg. Renner: „Gut Ding,
schlossen sind. was sich bessert"!)
(Schallendes Gelächter. — Zuruf: Weil nichts
mehr da war! — Weitere Zurufe. — Glocke Vizepräsident Dr. Schäfer: Weitere Wortmel-
des Präsidenten.) dungen liegen zu dem Gegenstand nicht mehr vor.
Wir kommen damit zur Abstimmung.
— Ihr Gelächter kann mich nicht aus der Ruhe
bringen. Ich sehe darin nur ein Zeichen der (Abg. Paul: Ich bitte ums Wort zur Abstimmung!)
Dummheit Zur Abstimmung der Herr Abgeordnete Paul!
(Unruhe.)
(Lebhafte Zurufe)
und der parteipolitischen Kurzsichtigkeit. Paul (KPD): Nur Ruhe! Ich habe die Zeit!
(Zurufe. — Glocke des Präsidenten.) (Abg. Rische: Gestern hatten Sie da drüben auch
soviel Zeit!)
Vizepräsident Dr. Schäfer: Herr Abgeordneter Die Sache erscheint mir wichtiger als manche
Paul, Sie haben eben den Ausdruck „Dummheit" andere Anträge!
gebraucht. Ich frage Sie, ob Sie ein Mitglied des Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt
Hauses gemeint haben. zur Abstimmung, und anscheinend hat der Präsi-
dent die Absicht, den Antrag Drucksache Nr. 2 der
Paul (KPD): Ich meine die Lacher in Deutsch- sozialdemokratischen Fraktion zuerst zur Abstim-
land, die glauben, sich über die Lebensnotwendig- mung zu bringen. Ich möchte auf jeden Fall darauf
keiten des deutschen Volkes hinwegsetzen zu hinweisen und bitte Sie, sich unseren Antrag ein-
können. mal ernstlich anzusehen — das heißt: die Druck-
(Zuruf: In der Ostzone ist Lachen verboten!) sache Nr. 6 —; er geht weiter als der Antrag der
sozialdemokratischen Fraktion. Im Antrag der
In der Ostzone wurden dem deutschen Volke zahl- sozialdemokratischen Fraktion wird zum Schluß
reiche Betriebe zurückgegeben. gesagt.:
(Gelächter.) Der Bundestag erhofft von den Regierungen
Hier wird demontiert und demoliert. Aber ich er- Frankreichs, Großbritanniens und der Ver-
warte von Ihnen, meine Herren von rechts, einigten Staaten von Amerika, daß sie
(Zuruf: Was heißt „rechts"?) 1. eine erneute Nachprüfung der Demontage-
gar nichts anderes; denn Sie verkörpern das deut- listen beschleunigt veranlassen;
sche Monopolkapital, welches mit dem ausländi- 2. bis zur endgültigen Entscheidung keine
schen Monopolkapital gemeinsame Sache macht. weiteren Demontagen durchführen und die
(Zurufe.) laufenden Demontagen stoppen.
In unserm Antrag heißt es:
Wir werden mit dem werktätigen Volk den Kampf
zur Rettung der deutschen Arbeitsstätten und un- Der Bundestag wolle beschließen, die Be-
seres nationalen Eigentums weiterführen. satzungsmächte aufzufordern, alle Demontagen
sofort einzustellen.
(Unruhe und Zurufe.)
Wir sind der Meinung, daß unser Antrag der wei-
Ich möchte an alle vernünftigen Damen und testgehende ist. Wir bitten den Präsidenten, zuerst
Herren dieses Hauses appellieren, unseren Anträ- über unsern Antrag als den weitestgehenden ab-
gen die Zustimmung zu geben. Sie würden sich stimmen zu lassen.
damit in der Tat für die sozialen und nationalen
Interessen unseres Volks entscheiden. Jede andere Vizepräsident Dr. Schäfer: Meine Damen und
Entscheidung ist eine Entscheidung für Amerika. Herren, ich bin abweichend von der Auffassung
(Beifall bei der KPD.) des Herrn Abgeordneten Paul der Ansicht, daß der
228 Deutscher Bundestag -— 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Vizepräsident Dr. Schäfer) .
Antrag Nr. 2 — unter Punkt 2 der Tagesordnung — Das Haus stimmt der Erklärung der Regierung
der weitergehende ist, und zwar weil er sich auf zu und bittet sie, entsprechend dieser Erklärung
umfangreichere Inhaltsgebiete erstreckt als der zu verfahren.
Antrag der KPD. Ich lasse zunächst über den Abänderungsantrag
(Abg. Rische: Das ist aber sophistisch!) abstimmen. Ich bitte diejenigen, die für den Ab-
— Ich möchte diesen Ausdruck gegenüber einer änderungsantrag sind, die Hand zu erheben. — Das
Äußerung des Präsidenten dieses Hauses aufs ent- ist die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen.
schiedenste zurückweisen. Herr Abgeordneter, darf Die Anträge auf Drucksache Nr. 7 und Nr. 11
ich Sie um Ihren Namen bitten? sind damit auch erledigt.
(Abg. Rische nennt seinen Namen.) Wir kommen nunmehr zu den Punkten 6, 7 und
— Herr Abgeordneter Rische, ich rufe Sie zur Ord- 8 der Tagesordnung:
nung! Antrag der Fraktion der SPD, betreffend Groß
(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) Berlin (Drucksache Nr. 3);
Ich frage das Haus, ob es meiner Auffassung, daß Antrag der Fraktion der SPD, betreffend Maß-
der Antrag der SPD der weitergehende ist, zu- nahmen für Groß-Berlin (Drucksache Nr. 16);
stimmt. Ich bitte diejenigen um Handzeichen, die Antrag der Fraktion der DP, betreffend Mittel
meiner Auffassung beistimmen. — Das ist die des Bundes zur Deckung des Haushaltsdefizits
Mehrheit. Wir kommen damit zur Abstimmung. der Stadt Berlin (Drucksache Nr. 40).
(Abg. Paul: Zur Abstimmung!) Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß die
— Wir sind in der Abstimmung. Ich kann nicht Punkte 6, 7 und 8 der Tagesordnung wegen der
noch einmal das Wort zur Abstimmung erteilen. Gleichartigkeit des Gegenstandes zusammen be
Wir fahren in der Abstimmung fort. Ich bitte die- handelt werden sollen.
jenigen, die für den Antrag der SPD, Drucksache Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder.
Nr. 2, sind, die Hand zu erheben. — Das ist die
Mehrheit. Der Antrag ist damit angenommen., Frau Schroeder (SPD): Meine Herrn und
Der Antrag Drucksache Nr. 6 ist damit gleich- Damen! Wenn ich die Ehre habe, im Auftrage
zeitig erledigt. meiner Fraktion die Anträge auf Drucksache Nr. 3
und 16 zu begründen, so möchte ich zunächst das
(Abg. Renner: Zur Geschäftsordnung! — Bedauern wiederholen, das ich am 14. August an-
Zuruf von der KPD: Wir sind doch kein läßlich der außerordentlichen Stadtverordneten-
Gesangverein!) Versammlung zur Wahl der Bundesversammlung
ausgesprochen habe, das Bedauern darüber, daß
Renner (KPD): Meine Damen und Herren, ich die Herren Militärgouverneure sich nicht haben
spreche zur Abstimmung. Dazu habe ich laut Ge- entschließen können. in Übereinstimmun a m it dem
schäftsordnung ein Recht. Artikel 23 des Grundgesetzes Berlin als vollberech-
Ich stelle hier folgendes fest. Der Herr Präsident tigtes Mitglied des Bundes anzuerkennen. Ich freue
hat durch Mehrheitsbeschluß erreicht, daß über mich um so mehr, daß die sozialdemokratische
einen Antrag, der inhaltlich enger ist als der Fraktion in ihrer Gesamtheit heute die Aufforde-
unsrige, zuerst abgestimmt worden ist. rung an den Bundestag richtet, feierlich vor aller
(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) Welt zu erklären, daß nach dem Willen des deut-
schen Volkes Groß-Berlin Bestandteil der Bundes-
Wir haben für diesen Antrag gestimmt, aber der republik Deutschland ist.
Herr Präsident hat keine Handhabe, — — (Beifall.)
Vizepräsident Dr. Schäfer: Herr Abgeordneter Nur hierdurch ist es möglich, die Stellung Ber-
Renner, der Gegenstand, zu dem Sie sprechen, ist lins innerhalb Deutschlands so zu gestalten, daß
durch Abstimmung erledigt. sie ihrer Bedeutung und ihrem Wert entsprechend
d i e Festigkeit erhält, die im Hinblick auf. die er-
Renner (KPD): Ich protestiere! Ich habe nach der strebte Einheit Deutschlands und die erstrebte Be-
Geschäftsordnung ein Recht zu protestieren. hebung der außerordentlichen Schwierigkeiten
Berlins notwendig ist. Solange wir aber diese Stel-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Sie haben nicht das lung nicht erhalten haben — ich hoffe, daß die -
Recht, zur Geschäftsordnung zu einer Angelegen- Hohen Kommissare sich sehr bald dazu ent-
heit zu sprechen, die bereits durch Abstimmung er- schließen; aber wir können nicht bis dahin war-
digt ist. ten —. ist es notwendig. daß schon vorher der feste
wirtschaftliche Anschluß geschaffen wird, wie er ja
Renner (KPD): Ich protestiere dagegen, — — auch schon auf anderer Seite besteht, zum Beispiel
zwischen Ost-Berlin und der Ostzone, und wie er
(Unruhe und Zurufe.) zu einem Teil durch die einheitliche Währung
Vizepräsident Dr. Schäfer: Herr Abgeordneter
West-Berlins mit West-Deutschland geschaffen
worden ist. Denn nur durch diesen wirtschaft li chen
Renner, ich entziehe Ihnen das Wort zu diesem Zusammenschluß können wir die ungeheuerlichen
Gegenstand.
Schwierigkeiten ökonomischer und finanzieller Art
(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — überwinden, in denen sich Berlin heute befindet.
Abg. Renner — vom Rednerpult abtretend —: Angesichts der hier von verschiedenen Seiten
„Demokratie"! Wir werden euch schon Antwort laut gewordenen Kritik scheint es mir doch not-
geben! — Zuruf in der Mitte: Kümmern Sie sich wendig, daß ich einen kurzen Rückblick auf die
lieber um Buchenwald!) Entwicklung der Lage gebe, in der sich Berlin
Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu heute befindet. Berlin ist nicht nur, zum großen
den Anträgen auf Drucksache Nr. 7 und Nr. 11. Da- Teil durch die deutsche Wehrmacht und die SS noch
zu liegt ein Abänderungsantrag der CDU/CSU-, ganz besonders in den letzten Kriegstagen, zer-
FDP- und' DP-Fraktion vor. Er lautet: schlagen worden, sondern in Berlin sind alle sozia-
Deutscher Bundestag — 11 Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 229
(Frau Schroeder)
len Einrichtungen genau so zerschlagen worden dem im Westen die Rede war, uns bereits 1945
wie die Gebäude Berlins. Sparkonten und Bank- fortgenommen war. Was es bedeutet hat, daß dem
konten sind, wie man es so schön nennt, einge- Magistrat die Konten gesperrt wurden, so daß er
froren, das heißt aufgehoben worden. Pen- nicht in der Lage war, seine Verpflichtungen zu
sionszahlungen durften nicht mehr geleistet erfüllen, das kann wirklich nur derjenige empfin-
werden. Die Versicherungsträger waren zusammen- den und verstehen, der das in Berlin miterlebt hat.
gebrochen, Löhne und Gehälter durften auf Mo- (Sehr wahr! bei der SPD und in der Mitte.)
nate hinaus auf Anordnung der Besatzungsmacht
nicht gezahlt werden. Die Folge war eine Not ohne- Die Blockade hat ein weithin — nicht nur in
gleichen, die, wenn wir auch die Not in Gesamt Deutschland, sondern in der ganzen Welt — sicht-
Deutschland berücksichtigen, doch unendlich höher bares Fanal gegeben, und ich möchte in diesem
war als die Not in Westdeutschland. Die alten Men- Augenblick allen denen, die uns in Erkenntnis
schen brachen zusammen. Die Jugend, die ihre dessen, was diese Blockade für Berlin bedeutete,
Hoffnung verloren hatte, war gleichzeitig der ihre Hilfe gewährt haben, unsern herzlichsten
schlimmsten Unterernährung preisgegeben — Dank aussprechen.
Schwierigkeiten der unerhörtesten Art, die uns, als (Bravorufe.)
wir als erstes demokratisches Stadt-Parlament und Ich möchte der westdeutschen Bevölkerung, von
als erster demokratischer Magistrat am 20. Otkober der ich weiß, daß auch sie all diese Jahre hindurch
1946 gewählt wurden, noch vor schier unüberwind- ihre Not gehabt hat, herzlichst danken für die
liche Aufgaben stellten. Dann kam der allerdings Hilfe, die sie auf dem Wege über Wohlfahrts-
auch für Sie ungeheuer schwere Winter 1946/47. organisationen, mit dem Hilfswerk Berlin und mit
Und wenn hier soeben die Debatte über die De- der Übernahme von über 15 000 Kindern zur Er-
montagen stattgefunden hat, dann, meine verehrten holung nach Westdeutschland gewährt hat. Ich
Herren und Damen, muß ich Ihnen sagen, daß Ber- danke ebenso allen ausländischen Wohlfahrts-
lin bereits in den allerersten Nachkriegstagen so organisationen, ganz besonders denen Englands
demontiert wurde, daß von einer wirklich geord- und Amerikas. Am allermeisten aber danke ich
neten Wirtschaft nicht mehr die Rede sein konnte. und danken wir den Piloten der Luftbrücke, die ihr
(Hört! Hört!) Leben einsetzten und zu unserem größten Be-
Unsere Frauen sind es gewesen, die mit ihren dauern auch ihr Leben gegeben haben, um Berlin
vor dem Hunger, nein, um Berlin vor dem Ver-
bloßen Händen die Straßen von der Lebensgefahr hungern zu schützen.
befreit und die Trümmer aufgeräumt haben Dazu
war Berlin von vier Besatzungsmächten besetzt, (Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD
und ich spreche ja kein Geheimnis aus, wenn ich und in der Mitte.)
sage, wie wenig einig sich diese Besatzungsmächte Und doch hat die Berliner Bevölkerung — trotz
waren. Berlin war eingeschlossen in eine Zone, in aller dieser Hilfen — im Winter 1948/49 ein Leben
der die größte Not herrschte und politische All- geführt ohne Murren, mit 25 Pfund Kohle pro
macht Verhältnisse schuf, die eine freie Entwick- Familie' für den ganzen Winter, mit Trockenernäh-
lung unmöglich machten. rung für Kinder und Kranke ohne einen Tropfen
Wir haben in den letzten Wochen von dem Be- Milch, mit Strom für zwei Stunden am Tage und
such Thomas Manns in Weimar gehört und haben zwei Stunden in der Nacht, bei Mangel an Gas und
den Brief gelesen, den er nach seiner Rückkehr allem anderen Notwendigen, was ihr niemals ver-
geschrieben hat. Ich glaube, wir alle, die wir die gessen werden darf.
Verhältnisse in der sowjetischen Zone kennen, (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)
können Herrn Thomas Mann sagen: Im Alltag Das möchte ich besonders den Kritikern sagen,
sehen allerdings die Verhältnisse ganz anders aus, die hier im Anschluß an die Regierungserklärung
als wenn man sie als gefeierter Dichter sieht! auch über Berlin gesprochen haben; denn diese
(Sehr richtig! in der Mitte. — Opfer, meine verehrten Herren und Damen Kolle-
Händeklatschen bei der SPD.) gen, sind nicht nur für die Freiheit Berlins ge-
Wenn es uns trotzdem gelungen ist, die Verhält- bracht worden, sie sind gebracht worden für die
nisse im Laufe von einigen Jahren wenigstens Freiheit ganz Deutschlands,
einigermaßen zu festigen, so deswegen, weil ein (erneuter lebhafter Beifall)
enges Verhältnis zwischen der gewählten Exeku-
tive, der Legislative und den Menschen draußen für die Freiheit der Ostzone ebenso wie für die-
bestand, die wußten, daß sie um ihre nackte Exi- Freiheit der Westzonen!
stenz kämpften und gleichzeitig auch um ihre Frei- (Bravorufe und Händeklatschen.)
heit. Allerdings: die Erfüllung unserer Aufgabe ist Ich bedaure deshalb aufs tiefste, wenn aus-
ungeheuer dadurch erschwert worden, daß eine gerechnet der Herr Abgeordnete Dr. Seelos, der
totalitäre Organisation, unterstützt durch eine Be- mich selbst wie auch andere Mitglieder dieses
satzungsmacht, den Kampf gegen das demokra- Hohen Hauses daran erinnerte, wie er im Juni 1947
tische Parlament führte, einen Kampf mit zum Teil mit mir die erste Ministerpräsidentenkonferenz in
schlimmsten Mitteln, von denen Sie hier im München erlebte, auf der Berlin endlich aus der
Westen zwar gelesen haben, die wir aber erleben grausamen Isolierung herausgehoben wurde, daß
mußten. ausgerechnet er und die Frau Ageordnete Kalinke
Als besonderes Kampfmittel kam noch hinzu die eine Kritik an Berlin geübt haben,
teilweise Absperrung Berlins, bis dann infolge der (Abg. Frau Kalinke: Nicht an Berlin!)
Uneinigkeit über die Währungsreform die Blockade die ganz unberechtigt und ganz unverständlich war
über Berlin verhängt wurde. Meine Herren und
Damen, was die Blockade bedeutet hat, nachdem (Abg. Frau Kalinke: Nicht an Berlin!
nicht nur eine, sondern mehrere Währungsrefor- Das weise ich zurück!)
men die Berliner Bevölkerung haben ausbluten und auch von der Berliner Bevölkerung niemals
lassen, kann nur der ermessen, der darunter ge- verstanden werden wird.
litten hat; denn diese Währungsreformen kamen (Händeklatschen bei der SPD. —
ja, nachdem der sogenannte Geldüberhang, von Abg. Frau Kalinke: Das habe ich nicht gesagt!)
230 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
( Frau Schroeder)
Freilich hat der Herr Bundeskanzler — wie ich nach drei Jahren aufs neue vor dieser Tatsache zu
annehmen muß, unbeabsichtigt — dadurch, daß er stehen, ist noch tausendmal schwerer, und der VAB
als einzige Zahlen in seiner Regierungserklärung war ihr Vermögen genau so beschlagnahmt oder
die Summen angegeben hat. die für Berlin her- gesperrt worden wie dem Magistrat. Ich bin selber,
gegeben worden sind, vielleicht diese Kritik des die ich die Freude gehabt habe, vierzehn Jahre lang
Herrn Kollegen Dr. Seelos hervorgerufen. Aber ich im Deutschen Reichstag an der sozialpolitischen
bedaure es, Herr Kollege Dr. Seelos, wenn Sie Gesetzgebung mitzuarbeiten, jeder Kritik zugäng-
sich nicht nur gegen die Überführung von Bun- lich. Aber vergessen Sie nicht, daß diese Versiche-
deseinrichtungen nach Berlin gewandt, sondern rungsanstalt in einer Zeit geschaffen wurde, in der,
auch dagegen protestiert haben, daß Her west- wie ich schon sagte, alles, was es an sozialen Ein-
deutschen Wirtschaft eine Milliarde D-Mark ent- richtungen gegeben hatte, auch an Einrichtungen
zogen worden sei, die man nach Berlin gegeben des Selbstschutzes in Gestalt des Sparkassenkontos,
habe. vernichtet war.
(Abg. Dr. Seelos: Eine Feststellung!) (Zuruf der Abg. Frau Kalinke. —
Sie haben weiter im Zusammenhang mit Behaup- Abg. Schoettle: Hören Sie erst einmal zu!)
tungen, die die antisozialistische Presse im Wahl- — Das ist in Westdeutschland nicht so gewesen,
kampf gemacht und die nicht nur vom Berliner Frau Kalinke! Zum Glück ist es nicht so gewesen.
Magistrat, sondern auch von allen drei westlichen Aber unsere Alten und Arbeitsunfähigen hatten
Militärregierungen zurückgewiesen worden sind, umsonst ihr Leben lang gespart. Das Ersparte ist
eine Kontrolle darüber verlangt, ob dieses Geld vernichtet worden infolge der Art der Besatzung,
nicht etwa zu sozialistischen Experimenten ver- die wir in Berlin erlebt haben, genau so wie die
wendet würde. Pensionen, genau so wie die Unterstützungen für
(Zuruf rechts: Sehr richtig!) die Kriegsopfer und für die Opfer des National-
sozialismus.
— Herr Kollege Dr. Seelos, Sie sitzen in der Koa-
lition mit der CDU zusammen. (Abg. Frau Kalinke: Genau wie bei uns!)
(Widerspruch und Heiterkeit bei der CDU.) — Reden Sie doch nicht immer von „wie bei uns!";
ich bin Hamburgerin, ein bißchen weiß ich auch
— Nein? — Dann bitte ich um Entschuldigung. von dem Unterschied zwischen Westdeutschland
Trotzdem aber möchte ich darauf hinweisen, daß und Berlin.
der Kämmerer Berlins ein nicht nur bei uns, son- (Sehr gut! bei der SPD.)
dern ein auch hier im Westen angesehenes Mit-
glied der CDU, also bestimmt kein Sozialist ist. Und nun war es einzig die Sozialversicherung, die
Ich glaube deshalb, daß dieser Vorwurf, es würde sich einsetzte und sich einsetzen mußte. Ich gebe
Geld aus dem Westen zu sozialistischen Experi- zu, aus diesem Anlaß hat die VAB manche Aufgabe
menten benutzt, ganz besonders auch seine Frak- übernommen, die eigentlich nicht Aufgabe einer
tion und seine Person trifft. Versicherungsanstalt war.
Aber nun hat Frau Kalinke sich gegen die VAB (Abg. Frau Kalinke: Aha!)
gewandt und sich dabei der Argumente bedient, — Jawohl, „aha"! Aber hätte sie sie nicht über-
die der Berliner sogenannte Schutzverband der nommen, dann wären die Menschen restlos zu-
Zwangsversicherten in die Welt gesetzt hat. Frau grunde gegangen.
Kalinke, in der Zeit, da die VAB die Versiche- (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)
rungsanstalt Berlin, zum großen Teil von Mit- Wenn Sie nun auf die Zuschüsse hingewiesen
gliedern der SED geleite und von der sowietischen haben und in Ihrem Antrag Nr. 40 aus einem Miß-
Besatzungsmacht kontrolliert wurde, gab es diesen trauen ohnegleichen eine Kontrolle dieser Zu-
Schutzverband der Zwangsversicherten nicht, schüsse verlangen, — verehrte Frau Kollegin Ka-
sondern er hat sich erst in der Zeit gebildet, als die linke, gibt es denn im Westen keine Zuschüsse?
VAB genau so wie der Magistrat innerhalb weniger Wird hier nicht auch in der Sozialversicherung pro
Stunden ihre Büros im Osten Berlins verlassen Rentner ein jährlicher Zuschuß von 168 Mark ge-
mußte, weil sie sich nicht den Zwangsmaßnahmen zahlt?
der sowjetischen Besatzungsmacht fügen wollte, (Abg. Frau Kalinke: Aber nur in der
und als es in Berlin um Leben und Sterben der Rentenversicherung!)
Demokratie ging.
Und vergessen Sie nicht, daß das allein für die Bi-
(Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen zone 275 Millionen im Jahr ausmacht! Wieso
bei der SPD.) machen Sie uns dann diesen Vorwurf?
Nicht die Sozialisten, nicht die Sozialdemokraten (Zuruf von der SPD: Sie kann
im Berliner Magistrat und auch nicht die beiden ja selbst nach Berlin gehen!)
anderen Parteien im Berliner Magistrat sind schuld
an der Spaltung des Magistrats oder schuld an der [eh darf Ihnen sagen: seit der Zeit, da ich als
Spaltung der VAB, sondern sie ist uns von jener Bürgermeister in Berlin tätig bin und zeitweilig,
diktatorischen Macht auferlegt worden, die mit auch gegenwärtig, Vorsitzende der VAB gewesen
dieser Spaltung genau so wie mit der Diktatur ver- bin und noch bin,
suchte, die Demokratie, die Freiheit Ber li ns zu zer- (Abg. Frau Kalinke: Aha!)
brechen. — jawohl, „aha!", mit Ihrem „Aha!" machen Sie
Wenn wir in jenen Tagen und Wochen um unser IhreAusfüngictwrkame!—,hbic
Leben gerungen haben, auch um unser politisches alles getan, um das, was in der Versicherungs-
Leben, dann ist es vollkommen verfehlt, nun etwa anstalt auch nach meiner Ansicht nicht richtig war,
Einrichtungen zu kritisieren, die in jenen Wochen bessern, und ich bin an dieser Arbeit auch heute
ohne Tisch und Stuhl, ohne Telephon, ohne Schreib- loch beteiligt.
oder Rechenmaschine wieder von vorn anfangen Darüber hinaus bin ich auch bereit, hier im Par-
mußten. Meine verehrten Herren und Damen aus ament, wenn man mir Gelegenheit dazu gibt, an
Westdeutschland, Sie alle wissen, was es bedeutet UdmgestalunrSozivcheung
mitzu-
hat, nach 1945 diesen Anfang zu machen. Aber Sarobzeitlvn.Ischwuß,gd e
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 231
(Frau Schroeder)
für eine halbe Stadt von 2 Millionen Einwohnern Wir haben jetzt Hilfsmaßnahmen zur Linderung
nicht geben kann, daß niemals der Ausgleich der der Not der Währungsgeschädigten beschließen und
Risiken geschaffen werden kann. Aber diese Sozial- veranlassen müssen. Denn unsere Lohn-Ausgleichs-
versicherung muß so gestaltet werden, wie es im kasse, die uns die Alliierten gestattet haben, kann
Interesse der arbeitenden Menschen notwendig ist. bei weitem nicht das erfüllen, was das Wort sagt,
Die VAB ist nicht der Weisheit letzter Schluß, denn nämlich einen Ausgleich vorzunehmen. Wir konn-
sie ist in ganz anormalen Zeiten geschaffen worden. ten nicht einfach die alten Menschen und die Kin-
Aber, Frau Kollegin Kalinke, die Ersatzkassen sind der aus dem Osten, die ihre Unterstützung in wert-
auch nicht der Weisheit letzter Schluß! loser Ostmark erhielten, ohne Hilfe lassen; wir
mußten wenigstens zum Teil diese Beträge um-
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) wechseln, genau so wie die Löhne derjenigen, die
Wir wollen nicht, daß die Ortskrankenkasse wieder im Osten arbeiten und im Westen das Sechsfache
eine Arme-Leute-Krankenkasse wird. Wir wollen, an Miete und für sonstige Notwendigkeiten
daß der Bessergestellte auch wirklich in kamerad- zahlen müssen. Wir mußten, um unsere Wirtschaft
schaftlicher Weise mit eintritt für den am stärksten überhaupt in Gang zu bringen, eine Blockadehilfe
Notleidenden. in Höhe von 20 Millionen Mark gewähren. Dazu
(Sehr gut! bei der SPD.) kommen die Ausgaben für die produktive Erwerbs-
Sie haben gemeint, in diesen Stunden horche das losenfürsorge, die während der Blockadezeit
'deutsche Volk besonders hierher nach Bonn, und wenigstens dazu half, den erwerbslosen Menschen
deshalb sollten alle Politiker ihre Verantwortung Arbeit und unseren Straßen wieder ein einiger-
gegenüber der Sehnsucht und der Erwartung des maßen aufgeräumtes Aussehen zu geben. Nun aber
deutschen Volkes spüren. fehlt uns dieses Geld. Wir haben in Berlin rund
300 000 Arbeitslose und Kurzarbeiter. Das bedeutet,
Meine verehrten Herren und Damen Kollegen! daß ein Drittel bis ein Viertel aller Westberliner
Niemand horcht sehnsuchtsvoller nach Bonn als Familien unter der Erwerbslosigkeit ihres Er-
die Berliner Bevölkerung; aber wenn sie dann aus nährers zu leiden haben.
dem Munde einer Frau hören muß, daß ihre Partei
nicht damit einverstanden ist, daß die Mittel der (Hört! Hört! bei der SPD.)
Steuerzahler der Westzonen, die Berlin zur Ver- Was ist die Ursache? Es ist ja schon davon ge-
fügung gestellt werden, etwa dafür verwendet sprochen worden, daß Betriebe aus Berlin, weil
werden, die zusammengebrochene Versicherungs- sich der Betriebsinhaber in Berlin nicht sicher
anstalt zu erhalten, dann glaube ich, daß Sie da- glaubte, nach dem Westen verlagert worden sind.
mit nicht die Sehnsucht der Berliner erfüllen. Es kommt hinzu das verhängnisvolle Dumping
(Beifall bei der SPD. — Zuruf der Abg. durch die wertlose Ostmark; es kommt hinzu der
Frau Kalinke. — Unruhe rechts. — Zuruf Geldmangel, der uns die Möglichkeit nimmt, die
von der SPD: Sie kriegen wir auch noch sozialen Ausgaben zu machen, die unbedingt für
ruhig!) unsere Jugend, für unsere Alten notwendig wären.
Es kommt hinzu, daß uns durch die Spaltung Ber-
Zu Ihrem Antrag Nr. 40 will ich Ihnen sagen: li ns unsere Heime für Kinder, für Jugendliche
der Rechnungshof Westdeutschlands, der Bizone, allein in der Zahl von 66 Heimen, die im Ostsektor
hat nicht nur die Kasse und die Geschäftslage des lagen, gesperrt worden sind und daß wir bei der
Magistrats, er hat auch die Kasse und Geschäfts- auch seelischen und moralischen Not unserer Ju-
lage der VAB geprüft, und uns sind keinerlei gend nicht einfach diese Jugend zugrunde gehen
Beanstandungen bekannt geworden. lassen konnten, sondern neue Heime für sie schaf-
(Hört! Hört! bei der SPD.) fen mußten. Und dasselbe gilt für unsere Alten.
Man hat volles Verständnis für die ungeheuer Dazu kommt — worunter Sie hier im Westen
schwere Lage gehabt, in der wir uns befinden. zwar zahlenmäßig mehr leiden, wir aber vielleicht
Wenn nun aber infolge der Standhaftigkeit der inhaltsmäßig noch stärker — die Not der Flücht-
Berliner Männer und Frauen und der Hilfe West- linge, die aus der uns umgebenden Ostzone nach
deutschlands und des Auslands die Blockade — Berlin hineinströmen, politische Flüchtlinge, wirt-
worauf ich besonders stolz bin als Pazifistin und schaf tliche 'Flüchtlinge, die wir nicht nach dem
als Frau — auf friedliche Weise überwunden wor- Westen geben können, weil Sie nicht aufnahme-
den ist, so ist zwar die Not in Berlin heute anders, fähig sind, die wir aber auch nicht nach dem Osten
als sie war, aber sie ist nicht geringer geworden. zurückgeben können. Das alles hat ungeheuer
Und warum ist sie nicht geringer geworden? Wir große Schwierigkeiten gemacht, Schwierigkeiten,
alle wissen, daß die Folgen eines Krieges nicht in die nur dadurch behoben werden können, daß Ber-
dem Augenblick überwunden sind, wo die Waffen lin Arbeit hat. Wir wollen ja gar keine Unter-
schweigen; und so sind auch die Folgen der stützungen. Wir wären die glücklichsten Menschen
Blockade nicht in dem Augenblick überwunden, von der Welt, wenn wir nicht mehr um Unter-
wo die Tore wenigstens teilweise wieder geöffnet stützungen nach dem Westen zu gehen brauchten.
worden sind. Dazu kommt, daß wir in unserer Aber was wir brauchen, sind Rohstoffe, sind Ma-
Etatgestaltung nicht frei sind, daß nach Beendi- schinen, sind Kredite, um unsere Wirtschaft in
gung der Blockade die bisher gewährte Unter- Gang zu bringen. Seien Sie mir nicht böse: das ist
stützung von 400 Millionen Mark wieder gestrichen ein Kapitel des Wirtschaftsegoismus Westdeutsch-
wurde und daß alle die Schwierigkeiten hinzu- lands.
kamen, die durch die Blockade geschaffen worden (Sehr richtig! links.)
waren. Wir haben für die Luftbrücke weit mehr Der Westen will Arbeit haben — das verstehen
als 100 Millionen Mark zahlen müssen, ganz unge- wir voll und ganz —, und er gibt nach Berlin die
rechnet die sogenannten mittelbaren Luftbrücken- Fertigfabrikate. Er gibt aber auch manchmal Dinge
kosten für den Bau der Flugplätze hier im Westen her, die Berlin recht gut entbehren könnte, die
Deutschlands. Wir haben in der Blockadezeit, weil aber im Westen auch nicht mehr gebraucht werden.
wir einfach unserer Bevölkerung nicht zumuten Aber wir brauchen statt dessen die Rohmaterialien,
konnten, ihre Trockenernährung noch verteuert zu die Maschinen und die Investierungen unserer
bezahlen, die Lebensmittel subventionieren müssen. Wirtschaft. Nur wenn wir das haben, können wir
232 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Frau Schroeder)
Berlin helfen. Das ist der Sinn unseres Antrags. können geschaffen werden. Ich bedauere, daß das
Und wenn Sie mir jetzt sagen: die Berliner Be- Patentamt nach München verlegt worden ist.
völkerung muß sich selber helfen trotz ihrer un- (Zuruf von der BP: Das glaube ich! — Zu
geheuerlichen Notlage, so darf ich Ihnen sagen und ruf rechts: Nach Moskau. verlegen! — Pfui
muß ich Ihnen sagen, daß zu mir als Bürgermeister Rufe links.)
täglich die Menschen kommen, die buchstäblich In Berlin sind alle Vorbereitungen getroffen, das
nicht mehr weiter können, die tatsächlich vor der Patentamt wieder in Berlin voll zur Arbeit zu
Frage stehen, ob sie den Gashahn öffnen sollen. bringen. Warum ist es nicht möglich, das Aufsichts-
Das sind alle jene, die als Währungsgeschädigte amt für Privatversicherung, das Bundesversiche-
— wie sie sich selber, allerdings in unrichtiger Weise, rungsamt, die Sozialversicherungsträger des Bun-
nennen —, als Währungsvergessene nicht unter des und vieles andere nach Berlin zu legen? Damit
den Geldumtausch fallen und die im Westen Ber- helfen Sie Berlin; Sie helfen ihm ideell, indem der
lins wohnen. Ich muß Ihnen sagen, daß trotz der Glaube Berlins an seine deutsche Heimat gestärkt
ungeheuren Notlage die Berliner Bevölkerung wird, Sie helfen ihm aber auch materiell, indem
Opfer auf sich genommen hat, ein Währungsnot- Sie den Menschen Arbeit geben. Dasselbe gilt für
opfer in Gestalt des Abzugs vom Lohn und des die Elektroindustrie, für unsere Konfektionsindu-
Abzugs vom Einkommen, ein Währungsnotopfer strie, und dasselbe gilt, wie ich schon sagte, für
auch aller derjenigen, die nur ein ganz gering- die Aufträge der Eisenbahn, der Post und für
fügiges Einkommen haben. Denn sie sieht es ein, viele andere.
daß sie nicht das Recht hat, die Selbständigen, auch
die freien Berufe, ebenso wie die Arbeiter und Ich richte deshalb an Sie alle die Bitte: Lassen
Angestellten und den großen, den übermäßig Sie uns gemeinsam den in der Privatwirtschaft
großen Prozentsatz von nicht mehr oder noch nicht vorhandenen Wirtschaftsegoismus überwinden! In
Arbeitsfähigen zugrunde gehen zu lassen. Die Ber- diesen Tagen ist hier so viel von Zwangswirtschaft,
liner Bevölkerung hat eine Baunotabgabe auf sich von Planwirtschaft und- von allen möglichen ähn-
genommen, damit die Menschen, die nicht mehr lichen Dingen gesprochen worden. Ja, was eine
bei der Enttrümmerung beschäftigt werden können, nichtplanmäßige Wirtschaft bedeutet, das erleben
wenigstens bei der Wiederherstellung von Woh- wir in Berlin.
nungen Beschäftigung erhalten. Und als Frau muß (Sehr wahr! bei der SPD.)
ich sagen: hier haben wir geradezu eine Ehren- Wir wollen keine Zwangswirtschaft, aber wir wol-
pflicht, eine Ehrenpflicht gegenüber den Frauen, len und müssen wollen, um leben und existieren
die noch im weißen Haar zum Zwecke der Ent- zu können, daß unsere Wirtschaft in den Plan ein-
trümmerung auf der Straße gestanden haben, und gegliedert wird, der uns und damit ganz Deutsch-
die nun plötzlich arbeitslos werden, weil wir sie land da Leben ermöglicht.
nicht mehr bezahlen können. Wenn wir in diesen Tagen gehört haben, daß die
Die Berliner Bevölkerung nimmt es hin, daß die Zuschüsse aus dem ERP-Fonds nur in ganz ge-
Lebensmittelpreise durch Fortfall der Subventionen ringem Maße nach Berlin kommen sollen, so darf
erhöht werden, daß die Preise für Strom und Gas ich Ihnen sagen, daß wir uns damit in gar keiner
heraufgesetzt werden. Niemand kann also etwa Weise einverstanden erklären können. Ich möchte
sagen, daß die Berliner Bevölkerung auf Kosten zu den Begründungen, die ich mir zu geben erlaubt
des Westens leben will. Nein, ich wiederhole noch habe, noch eine hinzufügen. Während Sie hier
einmal: Wir wollen arbeiten! , Will wollen nicht Material hatten, waren wir in Berlin abgeschlossen
Bittende sein, wir wollen arbeiten! Wir bitten Sie von jeder Materialzufuhr. Während Sie hier im
nur: Schalten Sie uns ein in Ihre Wirtschaft, damit Westen eine Besatzungsmacht hatten, die Ihnen die
wir die Möglichkeit zu dieser Arbeit haben. Bautätigkeit erlaubte, war unsere Bautätigkeit auf
Befehlsbauten und auf Bauten der Besatzungs-
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) macht beschränkt. Wir waren nicht in der Lage,
Wohnungen für unsere Bevölkerung herzustellen.
Dazu gehört auch, daß Aufträge nach Berlin ge- All dem muß entgegengewirkt werden. Ich weiß
geben werden, Aufträge von seiten der westdeut- — und ich werde ja jetzt als Vertreterin Berlins an
schen Wirtschaft, Aufträge von seiten der Bundes- den Beratungen teilnehmen und gerne daran teil-
instanzen. In dem Antrag Nr. 22 fordert die Frak- nehmen —, der Bund und die Bundesinstanzen
tion der Bayernpartei die Erteilung von Aufträgen haben ihre großen Sorgen. In diesen Tagen haben-
an alle Länder. Jawohl! Aber einschließlich Berlins! wir durch die Ausführungen des Herrn Bundes-
kanzlers von den durch die Geldabwertung ent-
(Beifall bei der SPD.) standenen und in Zukunft noch entstehenden
Und noch eines: Es ist unmöglich, daß ein Inter- Schwierigkeiten gehört. Aber der Herr Bundes-
zonenhandel und ein Interzonenverkehr über den kanzler hat gestern einen Fernspruch von Berlin
Kopf Berlins hinweg zwischen dem Westen und erhalten, der von der Stadtverordnetenversamm-
dem Osten erfolgt. Nein, Berlin ist der Mittelpunkt, lung und dem Magistrat einhellig an ihn ergangen
ich glaube, meine Damen und Herren, auch für ist, durch den er gebeten wird, bei dieser ganzen
Sie der Mittelpunkt Deutschlands, und an diesen Frage die besonderen Verhältnisse Berlins an der
Interzonenverhandlungen — betreffen sie die Wirt- Grenze zweier Währungen nicht zu vergessen.
schaft, betreffen sie den Verkehr — muß in erster Auch diese Bitte möchte ich an Sie und an die
Linie Berlin beteiligt werden. Herren der Bundesregierung richten.
Zum Schluß möchte ich Ihnen eines sagen:
Nun als letztes: die Überführung von Bundes- Berlin ist heute in einer ungeheuer großen
instanzen nach Berlin. Ich brauche Ihnen ja nicht wirtschaftlichen und sozialen Gefahr. Wenn
zu sagen, daß Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, man Berlin helfen will, dann gilt es, schnell
die es durch lange Zeit hindurch war, immer zur zu helfen. Am 14. August habe ich dem Hohen
Hälfte nicht von der Produktion, sondern von den Kommissar McCloy zugerufen: Geben Sie schnell,
Dienstleistungen gelebt hat. Berlin muß auch heute dann geben Sie doppelt! Das möchte ich auch
wieder solche Dienstleistungen verrichten. Alle hier tun. Lassen Sie Berlin nicht, zugrunde
Möglichkeiten, die da geschaffen werden müssen, gehen, es würde sich für ganz Deutschland rächen.
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 233
(Frau Schroeder)
Denn wir stehen heute nicht nur in einer wirt- selbst und vor der Welt. Deshalb sind wir der Auf-
schaftlichn, sozialen und kulturellen Gefahr, wir fassung, daß alles, was für Berlin geschieht, zu-
stehen in einer ganz großen politischen Gefahr. gleich für die Mittel- und Ostzone geschieht. Ich
Wie der Kampf gegen die Blockade Berlins nicht gebrauche hier mit aller Absicht den Ausdruck
nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland aus- Mittelzone, denn die sowjetisch besetzte Zone um-
getragen worden ist, so ist auch die Gefahr, in der faßt Mitteldeutschland. Ostdeutschland beginnt erst
sich Berlin heute befindet, eine Gefahr für ganz ostwärts der Oder.
Deutschland. Wir haben hier mit Recht von dem Berlin ist für uns nicht nur Westberlin, sondern
Einheitsstaat Deutschland gesprochen. Dieses Wort ganz Berlin. Diese isolierte, zertrümmerte und zer-
wird von den verschiedenen Seiten benutzt, aber rissene Stadt, die so oft im vergangenen Krieg eine
verschieden aufgefaßt. Für uns ist der Einheits- riesige rauchende Ruine war, ist ein Sinnbild für
staat Deutschland der demokratische Staat. Um ihn Deutschlands Situation, nicht nur Deutschlands,
mit Ihnen zu schaffen, sind wir zu Ihnen nach sondern ganz Europas und der ganzen Welt, die in
Bonn gekommen. Lassen Sie uns daran zusammen- ihrer Zerrissenheit und Hilflosigkeit mit den inter-
arbeiten, dann retten Sie Berlin und retten Sie nationalen Spannungen und Ungereimtheiten nicht
Deutschland. fertigzuwerden vermag. Das Ringen um Ber li n ist
(Lebhafter Beifall bei der SPD, in der ein Ringen um den Frieden. Darum ist es eine der
Mitte und rechts.) wichtigsten Aufgaben, daß wir diese Stadt wieder
lebensfähig machen. Wir haben nicht das Recht auf
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und einen höheren Lebenszuschnitt, solange eine Stadt
Herren, ich habe Ihnen bekanntzugeben, daß zu wie Berlin notleidend ist.
Druck sache Nr. 3 ein Abänderungsantrag der (Sehr gut!)
sozialdemokratischen Fraktion vorgelegt worden Und nun noch eines. Die Berliner Frage darf
ist, der dahin geht, in der letzten Zeile des ersten unter gar keinen Umständen dazu benutzt werden,
Absatzes die letzten Worte wie folgt zu fassen: um uns in Form irgendeiner Parteigängerschaft in
„und in Zukunft ihre Hauptstadt wieder werden das Spannungsfeld zwischen Os? und West hin
soll." einzuschalten. Solange wir nicht ein wirklicher
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Staat sind, das heißt ein Staat, der das Gewicht hat,
Merkatz. sich nach innen und außen zu verwirklichen, um
sein Dasein zu erhalten, solange wir Objekt der
Dr. von Merkatz (DP): Herr Präsident, meine Politik sind und mühsam darum ringen, wieder
Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus Subjekt zu werden, ist solche Parteigängerschaft
nicht durch lange Ausführungen bemühen; aber absolut unangemessen. Darum haben wir die Ber-
es handelt sich hier um eine Frage von solcher Be- liner Frage in erster Linie als eine innerdeutsche
deutung, daß ich namens meiner Fraktion unsere Angelegenheit zu sehen.
grundsätzliche Auffassung zum Ausdruck bringen Die Deutsche Partei warnt vor allen Über-
muß. Die Deutsche Partei legt besonderen Wert hitzungen, die als Provokation gegenüber der
darauf, daß in der Frage Berlin in besonderer Sowjetunion verstanden werden könnten. Herr
Weise verfahren wird. Sie möchte jede erregte Er- Professor Schmid sprach vom Rotkäppchen und
örterung über dieses Problem vermeiden und in vom Wolf. Ich meine, wir sollten nicht den Ver-
ruhiger Abwägung aller Umstände such machen, uns als die Bremer Stadtmusikanten
aufzuführen. Wir haben den Frieden zu stärken
(Abg. Schoettle: Sagen Sie das Ihren und nicht den Krieg. Wir wünschen Vermeidung
Fraktionskollegen!) aller außenpolitischen Provokationen in Wort und
ein Ergebnis suchen, das Berlin für dauernd und Schrift. Wir wünschen aber auch Vermeidung alles
mit höchstmöglicher Wirksamkeit hilft. Es genügt dessen, was die Berliner Angelegenheit zur Do-
nicht eine Demonstration des guten Willens, not- mäne einer bestimmten Partei machen könnte.
wendig ist hier die Verwirklichung, die Tat.
(Sehr gut! rechts.)
Der Herr Abgeordnete Professor Schmid hat
gestern ausgeführt, daß wir uns über die uns gege- In Berlin haben alle mitgewirkt, und alle Kräfte in
benen Mittel der Politik klarwerden müßten. Die Deutschland wollen nun diese Stadt festigen und
dauernde wirksame Hilfe für Berlin ist ein solches ihrer Bevölkerung die Lasten und Entbehrungen
Mittel, um die Wiedervereinigung Deutschlands erleichtern. Darum legen wir großen Wert auf eine-
Schritt für Schritt herbeizuführen. Es wäre der etwas stillere, aber um so tatbereitere Methode in
hohen Bedeutung des Freiheitskampfes der Ber- dieser ganzen Angelegenheit.
liner Bevölkerung nicht angemessen, wenn ich ver- (Hirt! Hört! und Zuruf von der SPD: Stillere?)
suchen wollte, die Charakterfestigkeit, den Mut, die
Tatkraft, die Nervenbelastung, die Leistungen Professor Schmid sprach gestern von der Notwen-
jedes einzelnen Berliners für uns alle in Deutsch- digkeit einer aktiven Staatspolitik im Hinblick auf
land mit schmückenden Worten zu versehen. Ber- Berlin. Realistisch gesehen ist West-Berlin noch
lin, diese zähe und tatkräftige Stadt, die aus un- nicht Berlin, und die staatspolitische Aktivität
serem deutschen Leben nicht fortzudenken ist, hat müßte auf die Wiedervereinigung der ganzen Stadt,
für ganz Deutschland gelitten und gehandelt. Der die Gewährleistung der persönlichen Freiheit und
Freiheitskampf Berlins wird stellvertretend für der demokratischen Willensbildung vorausgesetzt,
alle in West und Ost geführt. So ist Berlin die gerichtet sein. Erst dann haben wir die Voraus-
Hauptstadt des Deutschen Reiches, weil sich in setzung für eine Verwirklichung des Artikels 23
dem Dasein in dieser Stadt das deutsche Leben des Grundgesetzes, auf die wir hinzuarbeiten haben.
integriert und der Pulsschlag unseres gemeinsamen Unter diesen Gesichtspunkten billigt die Deut-
Schicksals spürbar ist. Dazu müssen wir uns be- sche Partei die gestellten Anträge. Sie stellt aber
kennen und ganz dahinterstehen. Darin mani- mit Rücksicht auf die große außenpolitische Trag-
festiert sich unsere Gemeinsamkeit, unser eigent- weite der Drucksache Nr. 3 den Antrag, diese An-
licher gesamtstaatlicher Zusammenhang vor uns gelegenheit an den Ausschuß für auswärtige An-
234 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1049
( Dr. von Merkatz )
gelegenheiten und an den Ausschuß für Berlin zu Uneinigkeit, die gar nicht gegeben ist, aufkommen
überweisen. lassen könnte.
(Lachen und Rufe: Hört! Hört! bei der SPD. — (Zurufe von der SPD: Sie haben sie herbei-
Abg. Löbe: Berlin „auswärtige Angelegenheit"?) geführt! Ziehen Sie den Antrag zurück!)
— Ich möchte das präzisieren, was ich gesagt habe, Wenn wir auf diesem Antrag bestehen müssen, so
damit nicht ein falscher Eindruck entsteht. Nach aus dem berechtigten Interesse daran, daß der Ber-
dem, was ich vorhin ausgeführt habe, daß nämlich liner Bevölkerung auch auf dem Gebiet der Sozial-
Berlin eine innerdeutsche Frage sei, wäre es doch versicherung dieselben freiheitlichen Rechte ein-
eine völlig unfaire Unterstellung, mir in den Mund geräumt werden, wie das hier in den Westzonen
zu legen, ich sehe die Berliner Angelegenheit als der Fall ist und wie wir das für ganz Deutschland
eine auswärtige Angelegenheit an. Die Wahrheit wünschen. Damit ist in keiner Weise — wenigstens
ist doch die folgende. Es werden dadurch Fragen was meine Person betrifft — ein Mißtrauen aus-
von größter Tragweite berührt, und es gehört zu gesprochen.
den Gepflogenheiten eines vernünftig arbeitenden (Zurufe von der SPD.)
Parlaments, daß diese Dinge gründlich untersucht Ich bitte doch, zu erwägen, daß immerhin die VAB
und erwogen werden. Wir können doch solche Fra- ein Experiment darstellt, das sich nach dem prak-
gen, an denen praktisch das gesamte Schicksal tischen Ergebnis nicht bewährt hat.
Deutschlands und Europas hängt, nicht aus irgend- (Zuruf von der SPD.)
einer emotionalen Übersteigerung heraus nun — Es ist ein Experiment. Und wenn ich nun doch
plötzlich — — etwas deutlicher werden muß, so muß ich sagen:
(Zuruf von der SPD: Was heißt emotional? ich habe das Gefühl, daß die Atmosphäre der Ent-
War der Widerstand der Berliner eine emo stehungsgeschichte der Anstalt, die die verehrte
tionale Sache?) Frau Vorrednerin ja deutlich geschildert hat, kenn-
— Wir können doch eine solche Frage nicht so zeichnet, welche Schwierigkeiten der Magistrat
Berlin bei der Übernahme der Sache gehabt hat.
überstürzt formulieren. Wir haben sie sorgfältig zu Nach den mir zugänglich gemachten Unterlagen
prüfen. Das ist unsere Pflicht als Deutsche. Wer scheint sich in dieser Anstalt doch vieles aus dieser
mir hier unterstellen will, daß ich in der Frage Anfangsatmosphäre erhalten zu haben. Wir wün-
Berlin — — sehen, daß dieses Experiment beendet wird.
(Zurufe von der SPD.) (Sehr richtig! bei der FDP.)
— Mehrere Generationen meiner Familie haben Sie wissen, daß in Berlin gewisse Tendenzen der
dort gelebt, und ich selbst stamme aus dieser Stadt. Sozialisierung und auch dieser Vereinheitlichung
(Zuruf von der SPD: weiter fortgeschritten sind als in den übrigen Ge
Aber wo wohnen Sie denn jetzt?) bieten der Westzonen. Wir wünschen nicht, daß
hierzu und auf diesem Wege die ostzonale Atmo
Wer mir unterstellen will, daß ich hier in meinen sphäre — die Atmosphäre steckt bekanntlich
Worten nicht den deutschen Interessen dienen will, manchmal auch etwas an —weiter ansteckend wirkt.
der übersieht bewußt, was ich gesagt habe. (Abg. Dr. Suhr: Nennen Sie mir ein Bei
(Zuruf von der SPD: Wissen Sie, was Sie spiel! Uns Berliner interessiert das einmal
außenpolitisch anrichten, wenn Sie das zu hören. Wir möchten das gern wissen.
dem außenpolitischen Ausschuß über Wo ist der weitere Fortschritt?)
weisen wollen?) — Zum Beispiel die VAB!
(Abg. Dr. Suhr: Also VAB ist Sozialisierung?)
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bitte, die Debatte
nicht in Zwiegespräche aufzulösen. Vizepräsident Dr. Schmid: Ich wiederhole meine
Bitte, die Diskussion nicht in Privatgespräche aus-
Dr. von Merkatz (DP): Welchem Ausschuß das arten zu lassen.
Hohe Haus diesen Antrag zu überweisen gedenkt,
richtet sich nach der Zuständigkeitsverteilung. Ich Dr. von Merkatz (DP): In dem Wunsche, diese
bitte, mir hier nichts zu unterschieben. Entwicklung auszuschließen, haben wir den An-
Wir haben im übrigen noch den speziellen An- -
trag gestellt. Ich möchte die Debatte nicht weiter
trag Nr. 40 gestellt, der nach den Ausführungen fortsetzen; das Haus ist sich völlig darüber klar,
der Frau Vorrednerin vielleicht nicht allen ge- was wir hier wollen.
fallen kann. Ich möchte hier eindringlich fest- Ich darf mir aber wohl erlauben, noch eine Frage
stellen, daß die aus unserem Antrag hervorgehende zur Sprache zu bringen. Es wurde gestern Kritik
Kritik keine Kritik an Berlin ist. Das wäre über- daran geübt, daß wir in unserem Antrag den Kom-
aus unangemessen. Ich möchte dabei zugleich missar gefordert haben. Gewiß, dies ist ein böses
feststellen, daß, wenn an dem Berliner Magistrat Wort, und man könnte auch „Beauftragter" sagen.
hier und da eine Kritik geübt wird, das noch nicht Es wurde uns nun unterschoben, daß unser Födera-
als eine Kritik an Berlin aufzufassen ist. Denn der lismus nicht sehr aufrichtig gedacht sei.
Berliner Magistrat und die Berliner Bevölkerung (Zuruf von der SPD: Wie es gerade paßt!)
sind ja nun nicht gerade identisch.
Ich möchte die Herren bitten, sich das Grundgesetz
(Beifall rechts. — Zurufe von der SPD.) genau anzusehen. Solche Möglichkeiten sind gerade
Es geht hier um Belange von ganz großer Bedeu- bei Finanzdingen nach dem Grundgesetz gegeben,
tung. Bei unserem Antrag Nr. 40 handelt es sich und nachdem immerhin eine Versicherungsanstalt
um einen Spezialfall, dessen Ausmaß, gemessen derartige Belastungen des Gesamtetats des Berliner
an der Berliner Frage, sehr gering ist. Ich möchte Magistrats verursacht hat, ist eine solche Maß-
alles vermeiden, was diese Debatte weiterhin ver- nahme nicht ungewöhnlich, da man unbedingt
schärfen und in der wirklich fundamentalen Ber- helfen muß, denn die Rentenempfänger müssen
liner Frage hier in diesem Hause ein Bild der doch möglichst schnell wieder zum Bezug ihrer
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 25
Dr. von Merkatz)
Renten kommen. Da ist es wohl nicht allzuviel ver- und Selbständigkeit unseres eigenen politischen
langt, daß, ohne damit ein Mißtrauen auszudrücken Wollens und für die Zugehörigkeit Berlins zu Ge-
oder eine Kritik an der Frau Vorrednerin zu üben samtdeutschland zu bekennen.
— das steht mir gar nicht zu —, diese Angelegen- (Lebhafter Beifall.)
heit von einem Beauftragten mit dem Ziele über- Diese selbe Aktivität ist auch unsere Aufgabe
prüft wird, die freiheitliche Gestaltung der Ver- und unsere Pflicht. Der Herr Bundeskanzler hat
sicherung allen zu gewährleisten, auch aer Berliner in seiner Regierungserklärung schon gesagt, daß
Bevölkerung, und die Renten für dauernd sicher- Berlin unter keinen Umständen — ich wiederhole:
zustellen, damit die Notlage nicht noch größer wird. unter keinen Umständen! — im Stich gelassen
(Beifall bei der DP und bei der FDP.) werden kann.
(Sehr richtig!)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Dr. Tillmanns. Es kommt also darauf an, schnell und entschieden
zu handeln. Dem sollte unser Antrag Nr. 12 dienen,
Dr. Tillmanns (CDU): Meine Damen und Herren! in dem wir beantragt haben, sofort den Ausschuß
Der Antrag Nr. 3, zu dessen Begründung die Berlin zu bilden. Das ist gestern bereits geschehen.
Frau Abgeordnete Schroeder gesprochen hat, Damit ist dieser Antrag materiell erledigt. Ich darf
enthält in seinem Kern die Bestätigung des Ar- mir aber erlauben, darauf hinzuweisen, daß wir
tikels 23 des Grundgesetzes. Dieser Artikel spricht in diesem Antrag zum Ausdruck gebracht haben,
aus, daß zu den Ländern, für die dieses Grund- daß die bedrängte Lage Berlins und die Bedeutung
gesetz gilt, auch Groß-Berlin gehört. Diese Hinzu- Berlins für das gesamtdeutsche Schicksal die
fügung Groß-Berlins zu den Ländern der Bundes- Sicherung des politischen, sozialen, wirtschaftlichen
republik Deutschland ist seinerzeit im Parlamen- und kulturellen Lebens dieser Stadt fordern und
tarischen Rat von der Christlich-Demokratischen zu einer Aufgabe dieses Bundestages machen. Wir
Union beantragt und mit überwältigender Mehrheit haben in diesem Antrag dargelegt — ich befinde
angenbmmen worden, und wir betrachten es als mich da in weitgehender L bereinstimmung mii.
eine Selbstverständlichkeit, daß dies nach wie vor der Frau Abgeordneten Schroeder —, daß es die
der Wunsch und der Wille des deutschen Volkes ist. wichtigste und vordringlichste Aufgabe dieses Aus-
Daß dieser Artikel bezüglich der Zugehörigkeit schusses sein muß, abgesehen von der finanziellen
Berlins noch nicht verwirklicht werden konnte, lag Hilfe, die für die Verwaltung Berlin weiterhin not-
nicht in unserer Hand, sondern an dem Votum der wendig sein wird, mit positiven und konstruktiven
Militärkommandanten, Maßnahmen dafür zu sorgen, daß das wirtschaft-
liche Leben Berlins wieder so in Gang gebracht
(Sehr richtig!) wird, daß die Berliner Bevölkerung von dem Er-
und wir sind uns auch darüber klar, daß seine end- trag ihrer eigenen Arbeit ohne Hilfe leben kann.
liche Verwirklichung eine Angelegenheit der Die furchtbareArbeitslosigkeit führt ja nicht nur zu
großen politischen Auseinandersetzungen ist, die einer wirtschaftlichen Notlage, sondern bedeutet auch
nun einmal noch über unserem Volke stehen. Aber eine schwere seelische Bedrückung dieser Bevölke-
das sollte uns nicht abhalten, diesen im Grund- rung. In dem Zustand einer seelischen Bedrückung
gesetz bekundeten Willen der Zugehörigkeit Groß kann aber Berlin die Aufgabe, die ihm vom Schicksal
Berlins zur Bundesrepublik Deutschland jetzt, wo zugewiesen ist, nicht erfüllen. Es kommt in erster
dieser Bundestag an seine Arbeit geht, von neuem Linie darauf an, daß die Arbeitslosigkeit durch
zu bekunden. Art und Tempo der Verwirklichung Lieferung von Rohstoffen, durch Investitions- und
werden, wie ich schon sagte, von Umständen und Betriebskredite und alle weiteren Maßnahmen, die
Dingen abhängen, die nicht in unserer Hand liegen; wir in unserem Antrag dargelegt haben, über-
aber dem Kerngehalt dessen, was hiermit zum Aus- wunden wird. Wir hoffen und wünschen, daß in
druck gebracht ist, stimmt auch die Fraktion der Fortsetzung dessen, was bereits bisher von der
Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Verwaltung für Wirtschaft unter der Leitung von
Union zu. Professor Erhard geschehen ist, auch weiter ge-
(Bravo!) handelt wird. Wir richten den dringenden Appell
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Art an den Herrn Bundeswirtschaftsminister, alles in
und Tempo der Verwirklichung liegen nicht in un- seiner Kraft Stehende zu tun, daß diese Aufgabe
serer Hand. Damit soll nicht gesagt sein, daß wir in positiver Weise bald erfüllt wird. Und wir
DeUtschen uns etwa in dieser wie in anderen hoffen, daß sich die Bundesregierung bald dazu-
grundlegenden Fragen unseres nationalen Lebens entschließt, auch solche Bundeseinrichtungen und
passive Beschränkungen auferlegen sollten; denn -behörden, bei denen es sachlich möglich und ge-
trotz aller Beschränkungen, unter denen wir stehen, boten ist, nach Berlin zu legen.
fällt das, was das deutsche Volk in der Bekundung Meine Damen und Herren, der Antrag Druck-
seines gemeinsamen politischen Willens denkt und sache Nr. 16, der vorhin von seiten der Fraktion
fühlt, ins Gewicht. der SPD begründet wurde, sagt inhaltlich im
Wir haben das in Berlin im letzten Jahre in der großen und ganzen dasselbe. Wir hoffen und
Zeit der Blockade erlebt. Gewiß, daß überhaupt wünschen, daß im Ausschuß Berlin Gelegenheit
Berlin durch diese Zeit hindurch gerettet werden sein wird, über die Einzelheiten dieser Dinge zu
konnte, haben wir in erster Linie der Luftbrücke sprechen, und beantragen daher die Überweisung
und all der Hilfe zu verdanken, die hier aus dem dieses Antrags an den Ausschuß.
Westen gekommen ist und für die der Dank schon Die praktische Hilfe, die für Berlin notwendig
ausgesprochen worden ist, dem wir uns herzlich ist, verlangt eine enge Zusammenarbeit zwischen
anschließen. Aber alles das wäre nicht möglich ge- dem Bund und seinen Behörden einerseits und dem
wesen ohne das spontane Bekenntnis der gesamten Magistrat Berlins andererseits. Es ist vorhin schon
Berliner Bevölkerung und ohne den zähen Willen in den Worten meines Herrn Vorredners zum Aus-
auch der großen Masse der Berliner Arbeiterschaft, druck gekommen, daß dieser engen Zusammen-
Nein zu sagen zu dem totalen Zwang des Korn- arbeit gewisse Hindernisse und vielleicht auch ge-
munismus und sich zu dem Kampf um die Freiheit wisse unterschiedliche Auffassungen im Wege
236 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September, 1949
(Dr. Tillmanns)
stehen. Es kann nicht geleugnet werden, daß die arbeitet habe, bis sie herausgeworfen worden sei,
Art und Weise, in der bisher der Magistrat Ber- sondern wir haben in einem klaren politischen Akt,
lins gewisse Fragen — auch der Wirtschaitspontik- als wir im Dezember 1947 veranlaßt werden
behandelt hat, nicht immer von parteipolitischen sollten, durch das Mittel des Volkskongresses uns
Erwägungen und Einengungen frei war. Es muß mit zum Träger einer verfälschten Einheitsparole
auch gesagt werden, daß nicht an allen Stellen der zu machen, Nein gesagt.
Verwaltung ein Höchstmaß an Sachkenntnis und (Zustimmung bei der CDU.)
Fähigkeit gewaltet hat. Wir können nur dringend
die Erwartung aussprechen, daß es sich der Wir haben alle Folgen dieses Neins in klarer poli-
Magistrat Berlins von sich aus angelegen sein läßt, tischer Erkenntnis unserer Situation und unserer
hier Wandel zu schaffen und dafür zu sorgen, daß Aufgabe auf uns genommen
das, was für Berlin notwendig ist, nicht dadurch (Erneute Zustimmung bei der CDU.)
leidet, daß drüben ein politisch anders fundierter Was heute noch in der Ostzone an CDU besteht, ist,
Magistrat besteht, als es hier in der Bundesregie- soweit es die Führung betrifft, von uns getrennt,
rung der Fall ist. Es kommt darauf an, wirklich und es ist einfach eine Verwischung der Tatsachen,
eine Koordinierung und eine enge vertrauensvolle wenn man das nicht sehen will. Die große Menge
Zusammenarbeit herbeizuführen, und zwar auch der Mitglieder und Anhänger der Christlich
dadurch, daß sich Berlin von sich aus bemüht, mög- Demokratischen Union in der gesamten Sowjetzone
lichst in allen Punkten, wo es angängig ist, der Ge- Deutschlands steht allerdings fest und ungebrochen
setzgebung dieses Bundestags dadurch Rechnung zu uns, zu unserer politischen Arbeit und Über-
zu tragen, daß die Stadtverordnetenversammlung zeugung!
von Berlin ähnliche Rechtsverhältnisse schafft. Nur (Beifall bei der CDU.)
dann wird es möglich sein, daß eine wirklich enge Wenn Herr Ollenhauer hier erklärt hat, daß der
Zusâmmenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Zusammenschluß zwischen SPD und KPD zur
dem Magistrat Berlins zustandekommt. Wenn das Sozialistischen Einheitspartei im Frühjahr 1947-
geschieht, dann wird es — diese Hoffnung möchte nur unter Zwang und Druck erfolgt sei, so ist
ich aussprechen — überflüssig werden, in dem dazu zu sagen: dieser Zwang und Druck mag für
Sinn, wie es in dem Antrag der DP gedacht ist, von einen großen Teil der Vertreter der Sozialdemokra-
Kontrollen und Kommissaren zu sprechen. Ich tischen Partei in den Ländern der Sowjetzone zu-
möchte hoffen, daß diese enge Zusammenarbeit zu- gegeben werden, aber er kann nicht zugegeben
standekommt, bei der, wie ich glaube, insbesondere werden für Berlin.
auch der Christlich-Demokratischen Union, wenn
sie auch in Berlin eine Minderheitspartei ist, ein (Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)
wichtiger Anteil zufällt. Auf diese Art wird es Für Berlin hat dieser Zwang und Druck nicht be-
möglich sein, in anderer Weise sicherzustellen, daß standen. Ich berufe mich dabei auf die Meinung
eine Wirklich sachgemäße und äußerst sparsame und Äußerung einer so wichtigen und für die SPD
Verwendung derjenigen Mittel, die nach Berlin maßgebenden Zeitung, wie es der „Telegraf" in
kommen, gewährleistet wird. Berlin ist. Der „Telegraf" in Berlin, dessen einer
Meine Damen und Herren, es ist erforderlich, Lizenzträger als Mitglied in unserem Hause sitzt,
die Frage Berlin — und ich sage sofort dazu: die hat seinerzeit, als diese Frage bei den Wahlkampfen
Frage Gesamtdeutschland; denn die beiden Fragen im August eine Rolle gespielt hat, geschrieben
gehören aufs allerengste zusammen — auf mög- — ich bitte um die Erlaubnis, zitieren zu dürfen — :
lichst breiter Basis hier in diesem Hause zu be-
handeln, das heißt auf einer Basis, auf der möglichst . . . . daß die meisten Sozialdemokraten nach
alle Parteien dieses Hauses zusammenstehen. Ich den Lehren, die sich aus dem Zusammenbruch
begrüße daher die Ausführungen, die gestern von der Weimarer Republik ergaben, in einer
Herrn Professor Schmid in diesem Sinn gemacht Arbeiterpartei die Voraussetzung für die Kon-
worden, sind. Es ist aber bedauerlich, daß Herr Dr. solidierung der politischen Verhältnisse in
Schumacher in seinen Ausführungen am Mittwoch einer neuen demokratischen Republik sahen.
voriger Woche geglaubt hat, den Parteien außer- Dieser ehrlichen Überzeugung sind sie auch
halb der SPD in Berlin und im Osten mangelnde dann noch gewesen, als die Verschmelzung in
Festigkeit gegenüber dem totalen Machtanspruch der Ostzone unter Umständen vor sich ging,
des Kommunismus vorwerfen zu können. Das die einer Überrumpelung gleichkamen. Die
heißt, daß er gleichzeitig für die SPD offenbar in meisten von ihnen, bis auf die, die aus Ehrgeiz
-
Anspruch nehmen wollte, daß sie allein den An- oder anderen Motiven handelten, haben ihren
spruch auf die Festigkeit dieser politischen Haltung Irrtum bald eingesehen. Ein politischer Irrtum
erheben kann. Das hat Herrn Dr. von Brentano zu ist noch keine Schande.
gewissen Richtigstellungen veranlaßt, die not- Ich habe diesen Worten nichts hinzuzufügen, aber
wendig, aber nicht von uns gewünscht waren. Herr es bleibt ein Irrtum und, wie ich hinzusetze, ein
Ollenhauer hat sich in seinen Ausführungen da- äußerst verhängnisvoller Irrtum. Es wäre manches,
durch seinerseits veranlassen lassen, nochmals da- vielleicht sogar sehr viel in der Entwicklung der
rauf hinzuweisen, daß eben doch die Christlich letzten fünf Jahre nicht nur in der Sowjetzone
Demokratische Union auch heute noch in der Ost- Deutschlands anders gelaufen, wenn dieser ver-
zone Verantwortung trage und daß, soweit Tren- hängnisvolle Irrtum im Mai 1946 nicht passiert
nung erfolgt sei, sie nur durch Zwang der Be- wäre.
satzungsmächte erfolgt sei; weiter daß das, worauf (Beifall bei der CDU. — Abg. Dr. Schmid:
Herr von Brentano hingewiesen hat — nämlich der Warum haben Sie denn nie gegen das
Akt der vereinigten Hände vom Frühjahr 1948 — , Verbot der Sozialdemokratischen Partei
nur unter Zwang und unter Druck erfolgt sei. protestiert? — Zuruf von der SPD:
Meine Damen und Herren, diese Darstellung Sie wollten davon profitieren!)
kann nicht unwidersprochen bleiben, denn sie ist Es ist nie ein Verbot ergangen, sondern die Sozial
unrichtig. Es ist nicht richtig, daß die Christlich demokratische Partei hat im Mai 194r durch ihre
Demokratische Union solange in der Ostzone ge- damals maßgeblichen Vertreter den Händedruck
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 237
(Dr. Tillmanns)
vollzogen. Wir hätten diese Frage — das betone ich Menschenrechte, die wir allerdings auch für uns als
nochmals — von uns aus nicht angeschnitten, Deutsche des Ostens in Anspruch nehmen.
und wir haben auch nicht den Wunsch, sie weiter Der Existenzkampf Berlins hat auch innerpoli-
zu vertiefen, wenn das nicht von Ihrer Seite aus tisch nichts mit Zentralismus zu tun, wie es hier
geschehen wäre. Ich kann nur die Hoffnung aus- von dem Sprecher der Bayernpartei vor einigen
sprechen, daß es nicht notwendig ist, weiterhin Tagen angedeutet wurde. Er hat geglaubt, diesen
noch einmal diese Frage zu behandeln, die in der Kampf Berlins in Verbindung bringen zu sollen mit
Vergangenheit liegt und die wirklich nun einmal in alten preußischen Vormachtsvorstellungen oder mit
der Vergangenheit belassen werden sollte. Vorstellungen eines zentralistischen Staatsaufbaus.
(Abg. Dr. Schumacher: Wir kommen noch darauf Wir wollen doch eine solche Verwechslung nicht
zu sprechen!) vornehmen! Gesamtdeutsches Wollen hat nichts
Wir werden uns immer wieder dagegen wenden, mit Zentralismus zu tun. Gewiß, Berlin ist in der
wenn die Sozialdemokratische Partei versucht, mit Vergangenheit wohl der Sitz preußischer Politik,
derartigen Ausführungen einen Monopolanspruch und wir setzen hinzu, preußischer Machtpolitik ge-
für sich für eine politische Haltung zu erheben, wesen. Aber vergessen wir doch nicht, daß seitdem
der ihr nicht zukommt. eine tiefe Zäsur unseres gesamten politischen und
nationalen Lebens eingetreten ist. Das, was Berlin
(Lebhafter Beifall bei der CDU. — Abg. in den letzten Jahren erlebt hat, bedeutet einen
Dr. Schmid: Herr Tillmanns, zur Korrek so vollständigen Niederbruch und einen so voll-
tur Ihrer Erinnerung: Diesen Anspruch ständigen Neuanfang, daß wir wirklich nur darum
hat die Sozialdemokratische Partei nie er bitten können: Beurteilt Berlin ausschließlich nach
hoben! Sie hat allerdings immer gesagt, den gegenwärtigen neuen Kräften, die sich dort
daß Blockpolitik eine Preisgabe der entwickeln! Wir kämpfen dort wahrhaftig nicht u x
Demokratie ist!) Zentralismus und neue Machtgeltung. Wir kämpfen
— Herr Professor Schmid, Sie haben eben erklärt, dort ganz einfach um unser Leben. Wir kämpfen
daß Sie auf diese Angelegenheit noch einmal zu- darum, daß eine demokratische Ordnung auch dort
rückkommen würden. Wir werden dann Gelegen- gesichert und gewährleistet bleibt, um weiter gar
heit haben, darüber weiter zu sprechen. nichts. Wir bejahen den Grundgedanken des Föde-
Meine Damen und Herren! Die Frage Berlin ist ralismus als die politische Konzeption, die die poli-
der Angelpunkt unserer Aufgaben und Bemühun- tischen Gewichte möglichst weit nach unten, in die
gen um die staatliche Zusammenfügung aller Länder und in die Gemeinden, verlegt und nichts
deutschen Länder, und auch die fünf Länder der Überflüssiges zentralisieren will. Aber wir möch-
Sowjetzone sind deutsche Länder. Sie ist , gleich- ten wünschen, daß der Begriff Föderalismus bei
zeitig auch der Angelpunkt der Bemühungen um uns allen auch in seinem positiven Gehalt gesehen
Europa. Denn Europa wird so lange nicht möglich wird. In der Geschichte der Vereinigten Staaten
sein und so lange unter äußersten Schwierigkeiten von Nordamerika waren im 18. Jahrhundert, als
stehen, wie seine Grenzen kurz nördlich von Würz- es zum Zusammenschluß der Einzelstaaten kam, die
burg, kurz östlich von Göttingen oder in den Vor- Föderalisten diejenigen, die den Zusammenschluß
städten von Lübeck liegen. Es handelt sich darum, im Bunde wollten.
die Frage Berlin als die Schicksalsfrage unseres (Sehr richtig!)
Volkes zu sehen. Deswegen sind wir dem Herrn
Bundeskanzler dankbar, daß er erklärt hat: in Sie nannte man damals Föderalisten, und die an-
Europa wird keine Ruhe eintreten, wenn die Tei- deren, die ihn nicht wollten, waren die Gegner der
lung Deutschlands nicht verschwindet. Darin ist Föderalisten. Wir im Osten möchten allerdings
sich — das hat sich aus den bisherigen Debatten auch in Deutschland den Begriff Föderalismus in
ergeben — dieses Haus wohl in seiner überwälti- diesem seinem positiven Gehalt bewertet und an-
genden Mehrheit einig. Diese Tatsache bedeutet gesehen wissen. Sie werden verstehen, daß gerade
eine große Ermutigung für die Menschen in Berlin vom Standpunkt des Ostens aus ein allzu lockerer
und in der Sowjetzone Deutschlands. Denn Berlin Bund für uns nicht die Stütze und Hilfe ist, die
ist das Unterpfand dieser einst kommenden Zu- wir wollen. Ein Bund, der letzten Endes den Län-
sammenfügung. Es ist das Unterpfand eines dern drüben keine effektive Stütze und Hilfe sein
Deutschland, das in seiner Gesamtheit in Selb- könnte, wäre nicht das, was gerade der Osten
ständigkeit und Freiheit seine politische, wirt- braucht. Deswegen unser Verlangen nach einem -
schaftliche und soziale Ordnung bestimmen wird. wirklich lebensfähigen Bundesstaat. Noch einmal:
Das bedeutet keine außenpolitische Rückenwen- Beurteilen wir die Frage Berlin nicht immer aus
dung gegen den Osten. Wir in der Sowjetzone und der Vergangenheit heraus, vor allem nicht in einer
in Berlin wollen das am allerwenigsten. Wenn die Situation, wo ein bitteres und furchtbares Schicksal
Frau Abgeordnete Wessel davon gesprochen hat, diese Vergangenheit endgültig zertrümmert hat,
daß unsere politischen Bemühungen sowohl dem sondern beurteilen wir die Frage Berlin und Osten
Osten wie dem Westen gelten, so stimmen wir dem nur aus den Gegebenheiten des gegenwärtigen
durchaus zu. Es handelt sich aber darum, daß sich Schicksalskampfes, der dort von dem deutschen
diese Beziehungen nicht so entwickeln, daß wir die Volk geführt wird!
Befehlsempfänger gegenüber einem absoluten Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesprä-
ideologischen und politischen Machtanspruch sind. sident hat in der Ansprache, die er nach seiner
Wir. wollen uns demgegenüber bemühen und ver- Wahl hier vor der Bundesversammlung gehalten
suchen, Partner einer friedlichen europäischen hat, der Auffassung Ausdruck gegeben, daß die
Ordnung zu werden. Das — und das allein — ist Demokratie in Deutschland nur deswegen zu einer
das Ziel unseres Widerstandes in Berlin und in der so schwächlichen Entwicklung gekommen ist, weil
sowjetischen Besatzungszone. Das hat nichts mit sie niemals erkämpft wurde, sondern im all-
Nationalismus zu tun, wie es im Ausland gelegent- gemeinen dem Volke als das Ergebnis einer Nieder-
lich gesagt wird. Wir verteidigen nichts anderes lage beschert wurde. Das mag im ganzen richtig sein.
als die elementaren Gegebenheiten unseres Lebens. In Berlin ist ein neues Kapitel der Geschichte der
Wir verteidigen nichts anderes als die einfachsten deutschen Demokratie aufgeschlagen. Dort drüben
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Dr. Tillmanns)
in Berlin und in der Sowjetzone haben zum ersten auf das Thema beschränken, über das Frau Louise
Male Deutsche um ihre Demokratie gekämpft, Schroeder hier in solcher Meisterschaft vorgetra-
(Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte gen hat, daß ich wohl sagen darf: einen besseren
und bei der SPD) Anwalt als Frau Louise Schroeder konnte die Stadt
Berlin wohl nicht hierher schicken.
und bisher haben sie diesen Kampf bestanden.
Wir bitten um nichts anderes, als daß das ge- (Lebhafter Beifall.)
samte deutsche Volk die große politische Schick- Denn sie hat es verstanden, uns das, was Berlin
salsbedeutung dieses Kampfes sieht. Aus den har- in den letzten Jahren erduldet und geleistet hat,
ten Erfahrungen der letzten Jahre ist dort eine so lebendig vor Augen zu führen, daß man wohl
neue politische Gesinnung entstanden. Ich glaube, nicht zu weit geht, wenn man sagt, daß das ein
wenn einmal das deutsche Volk sich wieder in einem Heldenepos der Stadt Berlin der letzten Jahre
gemeinsamen Staate zusammenfindet, dann werden genannt werden kann.
wir feststellen, daß die 21 Millionen Deutschen da (Händeklatschen beim Zentrum.)
drüben die besten Träger einer neuen deutschen Um dieses Heldenepos nicht in seiner Auswir-
Demokratie sein werden, die überzeugtesten kung zu beeinträchtigen, möchte ich auf längere
Kämpfer dafür, daß wir unser staatliches Leben Ausführungen verzichten und mich darauf be-
zusammen ordnen wollen unter Zusammenfassung schränken, drei Gesichtspunkte hervorzuheben.
der beiden wichtigsten tragenden Elemente, der Wir sollten Berlin sehen erstens als eigenständigen
Freiheit einerseits und der sozialen Gerechtigkeit Organismus, zweitens als Vorort des deutschen
andererseits. Ostens und drittens als neuralgischen Punkt
Ich bin weiter der Ueberzeugung — das möchte Deutschlands und der Europapolitik. Gerade um
ich' allen denen sagen, die Sorge um Europa haben, das, was an der Betonung dieses dritten, aber auch
wenn sie die Fragen Gesamtdeutschlands beden- des zweiten Punktes wichtig ist, nicht zu gefähr-
ken —, daß diese 20 Millionen da drüben auch die den, möchte ich auf die Ausführungen hinweisen,
treuesten Anhänger eines vereinten Europas sein die Frau Louise Schroeder über die letzten drei
werden; denn sie haben da drüben am eigenen Jahre gemacht hat, und auch auf die Forderungen,
Leibe erfahren, welches die tragenden Werte dieses die sie aufgestellt hat.
Europa sind; sie wissen aus der Erfahrung, was es Diese Forderungen sind so klar umrissen und
heißt, sein Leben führen zu können in einer Ord- herausgestellt worden, daß es überflüssig ist, zu
nung, in der die Achtung vor der Person und die diesen Fragen noch weiteres zu sagen. Gelingt es
Anerkennung der Menschenrechte tragende Funda- uns, den eigenständigen Organismus der Stadt
mente sind. Es scheint mir alles darauf anzukom- Berlin weiter zu beleben, erstens aus der eigenen
men, diese deutsche Bundesrepublik so zu ent- Kraft der Stadt Berlin, zweitens aus der Unter-
wickeln, daß sie in diesem Sinne eine starke An- stützung heraus, die Frau Louise Schroeder gefor-
ziehungskraft wird für das gesamte deutsche Volk dert hat, und zwar nicht in der Form des Almo-
auch jenseits des Eisernen Vorhangs. Das geht nicht sens, sondern in der Form wirtschaftlicher Hilfe,
in Resignation vor allen möglichen Gefahren, son- wirtschaftlicher Zusammenarbeit, dann werden wir
dern nur mit einem positiven Mut und einem ak- auch die Erfüllung der zweiten Aufgabe vorberei-
tiven Vertrauen in die Zukunft unseres Volkes, die ten können, daß nämlich Berlin, ähnlich wie vor
uns bald in einen gemeinsamen Staat zusammen- etwa tausend Jahren Magdeburg der Vorort des
führen wird. deutschen Aufbaus im Osten war, jetzt wiederum
(Bravorufe und Händeklatschen bei der CDU.) Vorort des deutschen Ostens wird, wie diese Stadt
es in den vergangenen Jahrhunderten, vor allen
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Herr Abge- Dingen aber in den letzten Jahrzehnten gewesen
ordneter Dr. Hamacher. ist.
Wer Gelegenheit hatte, Berlin vor seiner Zer-
Dr. Hamacher (Z): Meine Damen und Herren! störung, in den Jahren zwischen dem ersten und
Wer der Frage Berlins mit der unbedingt notwen- dem zweiten Weltkrieg, näher kennenzulernen, der
digen Sachlichkeit gegenübertreten will, muß sich wird mir zustimmen, wenn ich sage, daß diese
meines Erachtens von den Affekten freimachen, Stadt Berlin mehr oder minder die Hauptstadt von
die wir bei einer politischen Rückschau in die Ver- Schlesien, von Ostpreußen, von Pommern und von
gangenheit — zum Teil wenigstens — im Süden, Brandenburg gewesen ist und daß von dieser Stadt
im Westen und auch in Norddeutschland noch fest- nicht nur sehr viele Verkehrslinien ausgingen, son-
stellen können. Diese Affekte verbinden sich mit dern auch ein wirtschaftlicher, ja auch ein geisti-
dem Charakter Berlins als der Hauptstadt Preußens ger Impuls nach dem Osten ausstrahlte und daß
und der ehemaligen Monarchie der Hohenzollern. ohne Berlin dieser Osten und sein Wiederaufbau
Wenn wir auch dem Bürgertum der mittelalter- nicht zu denken ist.
lichen Fischerstadt auf keinen Fall absprechen Was nun die dritte Frage, Berlin als neuralgi-
können, daß es Initiative entfaltet und Wagemut scher Punkt angeht, so möchte ich darum bitten
gezeigt hat, so ist doch die Stadt Berlin das, was und vor allen Dingen an die Antragstellerin die
sie vor ihrer Zerstörung war und im Laufe der Bitte richten, daß mit Rücksicht auf diese außer-
Jahrhunderte geworden ist, nur dadurch gewor- ordentliche Gefährdung des außenpolitischen
den, daß sie Fürstenresidenz und Residenz der Aspekts der Zusatzantrag, Berlin schon jetzt als
Hohenzollern war. Hauptstadt in Aussicht zu nehmen, zurückgezogen,
Es würde gut sein, wenn wir uns von diesen aus zumindest aber dem Ausschuß überwiesen wird.
einer Rückschau herrührenden Affekten freimachen Denn diese Frage bedarf einer sehr sorgfältigen
würden, damit wir dem gegenwärtigen Berlin mit Erörterung,
der größten Sachlichkeit und Unbefangenheit ge-
genübertreten. Wir sollten uns im Hinblick auf die (Sehr richtig! rechts)
zu erwartende Entwicklung der Stadt Berlin, im so daß wir von hier aus und aus dem Augenblick
Hinblick auf ihre Bedeutung für Deutschland und heraus diese Frage nicht entscheiden können.
Europa von solchen Affekten freihalten und uns (Zurufe links.)
Deutscher Bundestag -- 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 194e 239
(Dr. Hamacher)
— Wenn ich die Zwischenrufer richtig verstanden eines großen Tages heute am Lautsprecher sitzen.
habe, darf ich wohl annehmen, daß dem entspro- Denn es geht ja um nicht mehr und nicht weniger
chen wird. als darum, die Bundesregierung zu ersuchen, mit
den alliierten Kommissaren erneut über die Frage
(Abg. Dr. Suhr: Vollkommen mißverstanden! der vollen Inkraftsetzung des Artikels 23 der Ver-
Der Antrag besagt genau das Gegenteil!) fassung zu sprechen. Wenn wir diesem Beschluß
— Darf ich dann bitten, mir diesen Antrag von Erfolg wünschen — was wir ja doch tun —, wenn
Frau Schroeder nochmals zu nennen? wir die Erfüllung dieses Wunsches erleben, dann,
meine Damen und Herren, ist Berlin zwölftes
(Abg. Dr. Suhr: Liegt beim Herrn Präsidenten! — Bundesland. Es ist also immerhin eine Angelegen-
Glocke des Präsidenten.) heit von recht großer nationaler Bedeutung, über
die hier gesprochen wird.
Präsident Dr. Köhler: Entschuldigen Sie! Über Ich kann es mir nicht versagen festzustellen, daß
welchen Antrag haben Sie denn gesprochen, Herr ich im Verlauf dieser Diskussion doch darüber et-
Abgeordneter? was bekümmert gewesen bin,
(Sehr gut! rechts)
Dr. Hamacher (Z): Über den Zusatzantrag, Berlin daß hier Auseinandersetzungen für notwendig ge-
als zukünftige Hauptstadt in Aussicht zu nehmen! halten wurden, die auch stattfinden müssen, aber
nicht hier bei dieser Gelegenheit, von der die Na-
Präsident Dr. Köhler: Das ist der Antrag Druck- tion erwartet, daß wir uns dem Gegenstand ent-
sache Nr. 3, erster Absatz: sprechend verhalten.
Der Bundestag bekennt sich zu Berlin als (Sehr richtig! rechts.)
dem demokratischen Vorposten Deutschlands. Meine Damen und Herren, Berlin in seinem
Er erklärt feierlich vor aller Welt, daß nach Freiheitskampf ist eine so besondere Erscheinung,
dem Willen des deutschen Volkes Groß-Ber- daß ich sagen möchte: es war schon richtig, daß
lin Bestandteil der Bundesrepublik Deutsch- und wie Frau Schroeder uns diese Entwicklung
land und ihre Hauptstadt sein soll. Krieg erschöpft hat, jetzt darum bitten muß, daß
kann eigentlich nur eine Frau.
Dr. Hamacher (Z): Dieser letzte Satz ist als (Beifall bei der SPD.)
Zusatzantrag gestellt worden, und dieser Zusatz- Nicht so sehr deshalb, weil es ausschließlich eine
antrag hat, soweit ich habe feststellen können, eine Angelegenheit der Hausfrauen gewesen ist. Aber
solche Stimmung ausgelöst, daß ich dafür plädie- wir sollen nicht vergessen, daß dieser Kampf um
ren möchte, ihn zur weiteren Beratung dem Aus- die demokratische Freiheit, den die Berliner Be-
schuß zu überweisen. völkerung gekämpft hat, nicht auf den Barrikaden
und nicht mit dem Pathos großer Leidenschaften
Gestatten Sie mir nun, meine sehr verehrten gekämpft werden konnte, sondern daß es der
Damen und Herren, noch eine ergänzende Bemer- Kampf des grauen Alltags gewesen ist, den jede
kung. Wenn Frau Louise Schroeder auch dem einzelne Familie tagtäglich und nächtlich zu be-
Westen Deutschlands ihre Anerkennung ausgespro- stehen hatte. Das ist die moderne Form des Krie-
chen hat, wenn sie ferner vor allen Dingen die ges, meine Damen und Herren, wirklich des Krie-
Leistungen der Stadt Berlin herausgestellt und die ges. Das ist ein Krieg, der mit wirtschaftlichen und
Luftbrücke rühmend erwähnt hat, dann darf ich sozialen Mitteln geführt wird. Das ist auch der
darauf hinweisen, daß gerade diese Luftbrücke, tiefste Grund dafür, daß Berlin, das sich in diesem
wenn ich recht orientiert bin, dadurch ins Leben Krieg erschöpft hat, jetzt darum bitten muß, daß
gerufen wurde, daß Bischof Dibelius von der Evan- ihm geholfen wird.
gelischen Kirche und Kardinal Graf Preysing von Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir das
der Katholischen Kirche bei der internationalen harte Wort: Die Front bittet darum, daß ihr
Tagung des Roten Kreuzes die Hilfe für Berlin geholfen wird. Diejenigen in diesem Hause, die
gefordert haben und diese Anregung dann bei Soldaten waren, werden ermessen können, mit
dem amerikanischen Kardinal Spellman eine sol- welchen Empfindungen das ausgesprochen wird.
che Wirkung ausgelöst hat, daß daraufhin der Ge- Wir haben manchmal das Gefühl gehabt, daß wir hier
danke einer Luftbrücke in Erwägung gezogen und in Westdeutschland — nicht in diesem Hause und
schließlich in die Tat umgesetzt wurde. nicht im Parlamentarischen Rat, aber in manchen
Lassen Sie mich zum Schluß kommen, meine Wirtschaftskreisen hier in Westdeutschland —
Damen und Herren. Wir sind uns alle klar darü- doch so etwas mit den Augen desjenigen betrachtet
ber — und was uns noch an Wissen und Ober- werden, der, wie das auch im Felde war — ich
zeugung fehlte, hat uns Frau Louise Schroeder habe leider an zwei Weltkriegen teilnehmen müs-
vermittelt —: Berlin muß geholfen werden, damit sen —, in der Etappe saß und auf das arme Front-
dem deutschen Osten wieder geholfen werden schwein etwas hochnäsig herabsah. Dieses Empfin-
kann! den hat man hier manchmal gehabt. Ich habe mich
(Lebhafter Beifall beim Zentrum.) gefreut, daß durch die eindeutigen Erklärungen,
die sowohl der Herr Bundespräsident nach seiner
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Vereidigung als auch der Herr Bundeskanzler in
Abgeordnete Dr. Reif. seiner Regierungserklärung in bezug auf die Ber-
lin-Frage hier abgegeben haben, diesem Geist das
Dr. Reif (FDP) : Meine Damen und Herren! Paroli geboten wurde.
Nach dem Inhalt des Antrags, den die sozial- Ich sagte, meine Damen und Herren, Berlin
demokratische Fraktion dem Haus vorgelegt hat, kämpft einen Wirtschaftskrieg, und ich muß ein
sollte man eigentlich annehmen, daß dieses Haus Wort über die Berliner Wirtschaft sagen. Selbst-
heute einen großen Tag hat. Ich glaube jedenfalls, verständlich hat sie unter ganz anderen und viel
daß in Berlin und in der sowjetischen Besatzungs- schwierigeren Voraussetzungen die Arbeit für den
zone viele Tausende von Menschen in Erwartung Wiederaufbau aufnehmen müssen als Sie hier in
240 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Dr. Reif)
Westen. Das Demontageproblem ist, wie Frau Wir sprechen es gar nicht gern aus, und wir sind
Schroeder gesagt hat, leider bei uns sehr rasch er- sogar bedrückt, wenn im Westen in Versammlun-
ledigt worden, aber sehr gründlich. Die Berliner gen über Berlin gesprochen und sehr gute Worte
Wirtschaft hat nicht bis zur Währungsreform die gefunden werden. Wir sind in diesen Dingen
Möglichkeit gehabt, auf Bankkonten zurückzugrei- außergewöhnlich nüchtern. Wir haben um die De
fen. Erst jetzt steht für uns die Frage zur Dis- mokratie gekämpft ohne jeden Nationalismus und
kussion, und wir hoffen, daß die Diskussion in ohne jeden Chauvinismus. Auch das ist ein großes
diesem Hause dazu beiträgt, die Lösung zu be- Aktivum für Deutschland. Wir haben der Welt
schleunigen, daß nun endlich die Alliierten uns gezeigt, daß es nicht nötig ist, mit nationalistischen
gestatten, in dem Maße, wie es die Währungs- und chauvinistischen Methoden aufzuwarten, um
reform hier im Westen vorzeichnet, die sogenann- die Freiheit zu verteidigen. Wir haben gezeigt, daß
ten Uralt-Konten wieder aufleben zu lassen. es nur notwendig ist, seine staatsbürgerliche Pflicht
zu tun. Wir haben diese Pflicht für Berlin getan,
Die Berliner Wirtschaft hat 50 Prozent ihrer ge- und wir haben diese Pflicht in dem Bewußtsein
werblichen Erzeugung früher im deutschen Osten getan, daß wir damit Deutschland retten. Wir ver-
abgesetzt. Vom deutschen Westen ist sie schon im langen von Ihnen, meine Damen und Herren, nicht
Jahre 1942 durch die Maßnahmen der Kriegswirt- mehr und nicht weniger, als daß Sie ganz unpa-
schaft weitgehend abgeschnitten worden. Dann thetisch und ganz nüchtern erkennen, daß die
kam die Zonentrennung, dann kam der Eiserne Berliner Frage eine, im Augenblick allerdings viel-
Vorhang, und dann kamen die Perioden der Wäh- leicht die dringlichste Angelegenheit einer natio-
rungsreformen, zunächst die zweigleisige Währungs- nalen Realpolitik ist.
reform in Berlin, die es unserer industriellen und
gewerblichen Wirtschaft noch immer gestattete, (Beifall in der Mitte, bei der FDP und der SPD.)
mit Hilfe eines wenn auch ungesunden Kalkula- Nichts anderes verlangen wir von Ihnen, als daß
tionsprinzips sich durchzuhalten, bis schließlich aus Sie nüchtern die Folgerungen aus dieser Lage
politischen Gründen die volle Einführung der ziehen.
Westmark in Berlin Wirklichkeit wurde. Wir
haben sie selbst gefordert, meine Damen und Her- (Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und bei
ren, weil wir es aus politischen Gründen tun muß- der SPD.)
ten. Wir waren uns aber darüber klar, welche
Opfer die Verwirklichung dieser Forderung für Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab-
die Berliner 'Wirtschaft mit sich bringt. geordnete Dr. Falkner.
Diese Berliner Wirtschaft hat während der Zeit Dr. Falkner (BP): Meine Damen und Herren!
der Berliner Blockade eine Einsicht in die sozia- Ich möchte die Gelegenheit, da das Hohe Haus in
len Notwendigkeiten bewiesen, die bewunderns- eine Debatte über Berlin eingetreten ist, dazu be-
wert ist. Die Berliner Betriebe haben in dem Be- nutzen, um vor dem Forum des Deutschen Bun-
wußtsein, daß Arbeitslosigkeit nicht die Blockade destags einmal klarzustellen, wie die Bayernpar-
belasten darf, ihre Belegschaften durchgehalten, so- tei zur Berliner Frage steht oder über die soge-
weit es nur immer ging. Meine Damen und Her- nannte Berliner Frage denkt.
ren, diese Betriebe können heute nicht mehr; sie
haben ihre Substanz, ihre letzte Substanz verloren. (Zuruf von der SPD: „Sogenannt?")
Nun ist die Frage, wie man der Berliner Wirt- Wir betrachten den Kampf, den Berlin in den
schaft helfen kann. Darauf kommt es schließlich vergangenen Wochen und Monaten geführt hat,
jetzt an. Wenn wir die Gefahr der Arbeitslosigkeit ähnlich dem, den -Wien zur Zeit der Türkenkriege
in Berlin bannen wollen, die erschreckend wächst bestanden hat. Auch damals waren in Deutschland
— und das ist eine eminent politische Gefahr —, zentralistische Kräfte am Werk, dargestellt durch
ich sage: wenn wir diese Gefahr der Arbeitslosig- das Haus Habsburg, die das Eigenleben der deut-
keit bannen wollen, dann müssen wir der Berliner schen Länder bedrohten. Trotzdem ist damals der,
Wirtschaft helfen, und das ist nun nicht eine so bayerische Kurfürst Max Emanuel mit bayerischen
einfache Angelegenheit, daß wir das auf einen Truppen nach Wien gezogen, um die Hauptstadt
Generalnenner bringen könnten, sondern darüber des damaligen Reiches gegen den Ansturm aus dem
werden wir im Berlin-Ausschuß dieses Hauses uns Osten zu verteidigen.
sehr gründlich unterhalten müssen. Denn diese
Berliner Wirtschaft ist eine sehr komplizierte An- (Zuruf in der Mitte: Mehr wollen wir ja
gar nicht! — Heiterkeit.) -
gelegenheit.
Man kann nicht etwa einfach sagen: wir brau- Wir stehen deshalb auf dem Standpunkt, daß
chen Investitionskredite. Gewiß, hier und dort Berlin und seinen Bewohnern, das in den letzten
werden Investitionskredite dringend gebraucht. Es Wochen und Monaten auch die Rolle eines Wel-
gibt aber große Teile der Berliner Wirtschaft, wo lenbrechers der abendländischen Kultur, des Chri-
das vollkommen sinnlos wäre. Alle aber, meine stentums und der Zivilisation gegen den Osten
Damen und Herren, brauchen Absatz, und ich kann übernommen hat, die volle materielle und ideelle
das nur unterstreichen, was Frau Schroeder hier Unterstützung aller deutschen Staaten und Länder
gesagt hat: die private Wirtschaft und die öffent- und des ganzen deutschen Volkes gebührt.
liche Wirtschaft hier im Westen müssen Anstren- (Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und bei
gungen machen, um auf dem Wege über den Ab- der SPD.)
satz der Berliner Produktion zu helfen. Sie müssen Daß es der Bayernpartei mit dieser Erklärung,
Anstrengungen machen. Das ist nicht bloß eine die ich jetzt offiziell abgegeben habe, auch in der
Angelegenheit des geschäftlichen Kalküls, sondern Vergangenheit ernst war, kann ich Ihnen schon da-
ich bitte Sie noch einmal, daran zu denken: wir durch beweisen, daß sie sich im vergangenen Jahr,
stehen noch im Krieg, in einem grausamen kalten als in München auf dem Königsplatz eine Ver-
Krieg mit einem unerbittlichen Gegner, und die trauenskundgebung aller demokratischen Parteien
Frage, ob wir uns in diesem Krieg behaupten oder für Berlin stattfand, auch daran beteiligte und den
nicht, ist die Lebensfrage Deutschlands. Das klingt stellvertretenden Landesvorsitzenden als Redner
vielleicht pathetisch, meine Damen und Herren. dafür beauftragte.
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 241
(Dr. Falkner)
Überdies darf ich sagen, daß einer unserer maß- verlangt. Es ist auch darauf hinzuweisen, daß in
gebendsten Männer durch seine persönlichen Ver- diesem Zusammenhang bereits vor der Londoner
hältnisse in der Lage war, sich sehr stark für die Außenministerkonferenz die separate Währungs-
Kinderhilfe Berlins in Bayern einzusetzen. einführung der Westmächte beschlossen und die
Aus dieser Einstellung zu Berlin heraus sind wir neuen Noten bereits in Washington gedruckt wor-
von der Bayernpartei heute auch in diese Sitzung den waren. Wenn das der Ausgangspunkt dessen
gekommen, meine Damen und Herren, in der Mei- gewesen ist, was sich dann als Folgeerscheinung für
nung, hier Zeuge zu werden und mitwirken zu West-Berlin in Zahlen ausdrückt, die zum Teil Frau
können an einer Sympathie- und Vertrauenskund- Schroeder genannt hat und die ich nachher noch
gebung, an einem Bekenntnis des gesamten deut- mit einigen wenigen ergänzenden Zahlen unter-
schen Volkes und des Deutschen Bundestags für die mauern möchte, dann wird das entscheidende Pro-
deutsche Stadt Berlin. blem wohl sein: Wenn Berlin geholfen werden soll
Nehmen Sie es mir als Sprecher der Bayernpar- und muß, muß die Ursache der Folgeerscheinungen
tei nicht übel, wenn ich Ihnen sage: Wir, denen beseitigt werden.
man so gern vorwirft, wir wollten uns vom deut-
schen Schicksal lösen, hätten eigentlich erwartet, (Sehr richtig! bei der KPD.)
daß der Verlauf der heutigen Debatte ein anderer Wenn wir uns nur eine kurze Übersicht fi ber die
gewesen wäre. Wir haben es mit einigem Befrem- materielle Bilanz der Spaltung Berlins vor Augen
den zur Kenntnis genommen, daß die Redner oft führen, müssen wir auch die Frage aufwerfen, ob
vor 'nahezu leeren Bänken gesprochen haben und und inwieweit auch westdeutsche Vertreter, be-
daß man etwas zerredet hat, was Gelegenheit zu wußt oder unbewußt, sich in die Konzeption
einer patriotischen Demonstration des Deutschen Washingtons eingeschaltet und dadurch ihr Teil
Bundestags hätte sein können. mit zu den Erscheinungen beigetragen haben, zu
(Beifall rechts.) denen wir heute im Bundestag auf Grund der An-
träge Stellung zu nehmen haben.
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Müller. Eine gewisse Überprüfung dieser Haltung dürfte
Müller, Oskar (KPD): Meine Damen und Herren! auch für die Vertreter West-Berlins notwendig
Ich glaube, es kommt hier weniger auf eine Art sein. Die Reden der Kollegen Dr. Schumacher und
Dr. Carlo Schmid haben zumindest den Anschein
Demonstration an. Es kommt auch weniger darauf
an, hier auf die interfraktionellen Auseinander- erweckt, als ob auch in der Führung der Sozial-
demokratischen Partei einige Erwägungen darüber
setzungen zwischen den West-Berliner Parteien angestellt werden, als ob man ,auch außenpolitisch
einzugehen, als auf die Frage, wie dem Problem
Berlin grundsätzlich beigekommen und wie Ber- mit Realitäten, mit Fakten zu rechnen beginnt.
lin geholfen werden kann. Dabei scheint es mir so, Daran müßte sich nach meiner Auffassung konse-
als ob einige Vertreter, die zweifellos mit einer quenterweise vielleicht eine Korrektur der Hal-
tung in der Frage Berlin anschließen.
ausgezeichneten Intelligenz ausgestattet sind,
offensichtlich das vergessen haben, was sich in den Meine Damen und Herren! Wenn ich vorhin auf
letzten Tagen in diesem Hause abgespielt hat: die Tatsache hingewiesen habe, daß die Folge-
als nämlich im Zusammenhang mit der Diskussion erscheinungen, die wir jetzt vor uns haben, das Er-
über die Regierungserklärung einige Scherben gebnis der Spaltung Berlins sind, so hat Frau
außenpolitischer Art angerichtet worden sind, die Schroeder einige Tatsachen genannt. Ich glaube,
unsere Arbeit für unser deutsches Volk erschweren. wenn heute in Berlin 240 000 Arbeitslose und rund
Ich bin auch der Auffassung, daß einige Ausfüh- 80 000 Kurzarbeiter sind, das heißt jeder vierte
rungen, die bis jetzt gemacht worden sind, nicht Arbeitnehmer arbeitslos ist, wenn nach denselben
nur der Lösung des Problems Berlin nicht dienen, Angaben insbesondere 40 Prozent der weiblichen
sondern geradezu geeignet sind, Barrieren aufzu- Jugend hart getroffen und arbeitslos und 20 Pro-
richten. Man spricht über Folgeerscheinungen, die zent der männlichen Jugend arbeitslos sind, wenn
sich heute in West-Berlin äußern, anstatt der Frage nach den Erklärungen von Herrn Heinemann auf
der Ursachen näherzutreten, die dazu eführt ha- dem Kongreß des FGB in Frankfurt in Berlin
ben. Es wäre zweckmäßig und richtig, darauf ein- gegenwärtig 40 Prozent der Erwerbsfähigen ar-
zugehen. Denn wir können nicht heilen und über- beitslos bzw. zur Kurzarbeit verurteilt sind, dann
winden, wenn wir ein Pflaster draufkleben. Das -sind das die sozialen Folgeerscheinungen, die sich -
können wir vielmehr nur, wenn wir den Krank- auf dem wirtschaftlichen Sektor nach den mir zur
heitsherd beseitigen. Verfügung stehenden Zahlen in der Richtung aus-
Ich glaube, in diesem Zusammenhang, ohne daß wirken, daß gegenüber Dezember 1948 die West-
ich auf eine politische Bilanz der Entwicklung in berliner Ausfuhr um 45 Prozent in der Hauptaus-
Berlin einzugehen brauche — obgleich es interessant fuhr, in der der Elektrotechnik um rund 50 Pro-
wäre —, doch die Feststellung treffen zu müssen, zent zurückgegangen ist und daß, um nur eine
daß sich als Ursache für die Entwicklung in West Teilfrage anzuschneiden, nach einem Bericht der
Berlin die vollzogene Spaltung ergibt. Hier scheint „Kölnischen Rundschau" vom 24. 8. 1949 die Frage
mir vielleicht auch für die Vertreter West-Berlins der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, soweit es sich
der Hinweis zweckmäßig zu sein, daß diese Spal- um den Bausektor handelt, sich so gestaltet:
tung von westlicher Seite bereits im Jahre 1947, Der Baustoffhandel berichtet, daß er nach der
vor der Londoner Konferenz beschlossen worden Aufhebung der Blockade bemüht war, die Bau-
ist. Ein maßgebender wirtschaftlicher Vertreter der stofflager in erheblichem Umfange aufzufüllen.
Wallstreet, der Berater des im Zuge einer gewissen Während früher ein beträchtliches Quantum
außenpolitischen Demontage Washingtons ab- an Baustoffen aus der Ostzone geliefert wurde,
berufenen Generals Clay, nämlich Louis Brown'. wird heute der größte Teil aus den Westzonen
hat vor der Londoner Außenministerkonferenz in bezogen, was zur Verteuerung führt. Die
seiner Denkschrift an das Washingtoner Kriegs- Folgen davon sind, daß das Berliner Bau-
und Außenministerium nicht allein die Spaltung gewerbe im Augenblick nur 30 000 Mann be-
Deutschlands, sondern auch die Spaltung Berlins nötigt. Es könnten aber nach Aufhebung der
242 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Miller, Oskar)
Blockade 100 000 Arbeitskräfte untergebracht Diktat der drei Vizekönige gewissen westdeutschen
werden, und damit könnte gleichzeitig 300 000 Politikern eindeutig vor Augen geführt worden ist,
bis 400 000 Menschen Arbeit und Brot gegeben wer in Wirklichkeit das Zepter und die Macht in
werden. Händen hat? Durch diese Entscheidungen ist eben-
In diesen Ausführungen ist bereits ein Fingerzeig so wie durch die Demontagepolitik, die heute dis-
gegeben, wie Berlin geholfen werden kann. kutiert worden ist, eindeutig erhärtet worden, daß
Aber noch eine andere Frage. Wenn Frau Schroe- die Politik Washingtons, der Wallstreet und Lon-
der vorhin von dem sozialen Elend sprach—mir liegt dons in Deutschland gar nicht um unserer schönen
eine Zahl von 91 Selbstmorden in einem Monat in Augen willen, sondern ausschließlich zu dem Zweck
Westberlin vor —, dann dokumentiert sich das betrieben wird, um Deutschland wirtschaftlich
wohl auch in den Finanzzahlen der Stadt Berlin. nicht hochkommen zu lassen, die En twicklung einer
Ich glaube, es war der ,,Sozialdemokrat" vom 30. eigenen, und zwar dem deutschen Volke dienen-
6. 1949, der unter der Überschrift „Der Ber liner den Exportindustrie zu verhindern und West-
Etat politisch bedingt" unter anderem auf die deutschland zum Absatzgebiet ihrer eigenen Ex-
Zahlen eingegangen ist, die ich ergänzend im Zu- portwünsche zu machen. Glauben Sie denn, daß
sammenhang mit dem, was von Dr. Adenauer be- West-Berlin, wenn es sich an Westdeutschland an-
reits in seiner Rede erwähnt worden ist, ganz kurz schließt, auch nur die geringste Chance hätte, aus
noch betrachten möchte. Ich glaube, ich täusche dieser Situation herauszukommen? Ich glaube, die
mich nicht, wenn West-Berlin in 15 Monaten bisher Annahme dieser Anträge würde höchstens eine
einen Zuschuß von insgesamt 1 Milliarde 132 Mil- Galvanisierung des gegenwärtigen Zustandes be-
lionen D-Mark bekommen hat. Wie die politische deuten. Ich fürchte, daß angesichts der begonnenen
Belastung dieses Etats aussieht, das ergibt sich ein- und sich weiter entwickelnden Krise der ameri-
mal aus der Zahl von 270 Millionen D-Mark Be- kanischen Wirtschaft — wir wollen es nicht wün-
satzungskosten. In dem außerordentlichen Etat schen, aber es muß befürchtet werden — der Ab-
werden ferner 40 Millionen D-Mark für Flugplatz- stieg und das wirtschaftliche Absterben auch West-
bauten ausgegeben, 60 Millionen D-Mark für Wäh- Berlins wahrscheinlich in einem noch viel g rößeren
rungsumstellungskosten und 200 Millionen D-Mark Tempo vor sich gehen würde, und das wollen wir
an Subventionen, teilweise um die Lebensmittel- nicht.
preise — politisch — zu gestalten, zum andern, um (Aha-Rufe bei der SPD.)
die Transporte der Luftbrücke bezahlen zu können. Ich sage noch einmal, daß hier ausschließlich ver-
Denn wenn die Tonne Kohle nach Ber lin etwa mit nunftgemäße Überlegungen eine Rolle spielen
einem Preis von 32 D-Mark angesetzt werden darf, dürfen. Wir wollen, daß ein Weg gefunden wird,
ergibt sich eine ungefähre Belastung für den Trans- der Berlin hilft, und dieser Weg ist und kann nur
port über die Luftbrücke von 105 Dollar pro Tonne. sein, daß von deutscher Seite aus, ohne daß Bar-
Ich bin davon überzeugt, daß, wie aus den Be- rieren errichtet werden — und ich freue mich, daß
richten zu entnehmen ist, die englischen privaten ich hier einige Stimmen der Vernunft hören konnte
Luftfahrtgesellschaften, die in die Luftbrücke ein- —, im Interesse auch des Lebens der Berliner Be
geschaltet sind, wohl selten derartig ausgezeichnete völkerung der Weg zur Einheit Berlins gegangen
Gewinne gemacht haben wie an dieser Luftbrücke. wird. Um zu dieser Einheit zu kommen, sind die
(Sehr richtig! bei der KPD.) Arme und die Hände, die ausgestreckt wurden,
(lebhafte Zurufe)
Treten wir nun aber der Frage näher: wie kann
Berlin geholfen werden? Frau Schroeder. die rein unter dem Augurenlächeln bestimmter Leute in
vernunftmäßigen Erwägungen besagen, daß Berlin Transozeanien zurückgewiesen worden.
nicht nur in der „Mitte Deutschlands", wie in der (Erneute lebhafte Zurufe.)
„Deutschen Zeitung", der früheren „Wirtschafts- Wenn wir zu dieser Einheit kommen, wird Berlin
zeitung", vom 16. Juli dieses Jahres zum Ausdruck auch leben, und Berlin wird und kann nur leben
gebracht worden ist, seine Bedeutung hat, sondern: in seiner Einheit und in einem einheitlichen
„im Güteraustausch zwischen Ost und West liegt Deutschland.
die wirtschaftliche Zukunft Berlins beschlossen und (Beifall bei der KPD.)
ein gut Teil der Zukunft ganz Deutschlands, das so-
mit auch mit seiner alten Hauptstadt verbunden Präsident Dr. Köhler: Es erhält jetzt als letzter
bleibt". Daraus dürfte sich, glaube ich, logischerweise Redner des Hauses der Herr Abgeordnete Fröhlich
eine zwingende Schlußfolgeriung ergeben. Ails der -
das Wort. — Der Herr Abgeordnete Fröhlich ist
natürlichen wirtschaftlichen Verbundenheit Berlins nicht da.
mit dem Osten und der Ostzone — ich glaube, Ihre Ich erteile nunmehr Herrn Bundesminister
eigenen Zahlen des Wirtschaftamts dürften wohl Kaiser das Wort.
nicht trügen, wenn festgestellt wird, daß die Ab-
satzstatistik von den rund 850 000 Westberliner Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fra-
Arbeitnehmern für ostexportfähige Industrie- und gen: Meine Damen und Herren! Sie werden es ge-
Handwerksbetriebe allein 315 000 Beschäftigte ein- wiß verstehen, wenn ich mich veranlaßt fühle, ein
setzen läßt — ergibt sich bereits evident, daß eine kurzes Wort zu dem großen, uns allen bewegenden
Gesundung Berlins nur durch die Erschließung des Anliegen Berlin zu sagen. Ich möchte zunächst
Handels, Verkehrs und Absatzes nach dem Osten dies mit Betonung zum Ausdruck bringen: Berlin
und der Ostzone möglich ist. Hier scheint mir der und sein Schicksal wird ganz gewiß Aufgabe und
entscheidende Faktor bei einer nüchternen, durch Sorge Nr: 1 der Bundesregierung mit dem Kanzler
keinerlei Haß oder parteimäßige Einstellung be- Konrad Adenauer an der Spitze sein.
dingten Haltung und Ü berpriifung hinsichtlich der
Frage, wie Berlin geholfen werden kann, zu liegen. (Bravo!)
Glauben Sie, Frau Schroeder, daß West Berlin ge-
- Es wird nicht zuletzt Aufgabe und Sorge Nr. 1 des
holfen werden kann, wenn es, wie es die Anträge Herrn Finanzministers und nicht weniger des
verlangen, an Westdeutschland angeschlossen wird, Herrn Wirtschaftsministers sein; aber es wird auch,
von dem vor wenigen Tagen erst durch das brutale und das in ganz besonderer Weise, in der Obhut
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 243
(Bundesminister Kaiser )
des Ministeriums, das mir anvertraut worden ist, desland zu erreichen. Ich bin der Überzeugung, daß
stehen. Ich bekenne mich von Herzen zu dieser wir für diese Bemühungen die Zustimmung aller
Aufgabe und zu dieser Sorge; denn, meine Damen Fraktionen des Hauses finden werden, zum min-
und Herren, ich habe in dieser ersten Bundes- desten ihrer überwältigenden Mehrheit. Denn
regierung nur Verantwortung übernommen, weil nichts, meine Damen und Herren, tut unserem Volk
ich des Glaubens bin, daß ich an diesem Platz und so not, als daß ein zwingendes nationales Ziel
unter dieser Verantwortung am besten und am Partei- und schließlich auch Klassenscheidungen
wirksamsten für die Stadt Berlin und ihre Be- überbrückt. Meine Damen und Herren, wir haben
völkerung eintreten kann, dieses Ziel heute. Es heißt: die Wiedervereinigung
(Bravo!) Deutschlands. Die Rettung, die Sicherung Berlins
für Berlin und für das ganze große Stück Deutsch- ist der erste Schritt zu dieser Wiedervereinigung
land, das an der Wiedervereinigung mit uns heute unseres Vaterlandes.
noch verhindert ist. (Lebhafter Beifa ll.)
Ein früherer Diplomat — ich weiß im Augen- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
blick seinen Namen nicht mehr — hat vor kurzem Bundeskanzler.
gesagt: Die erste außenpolitische Nachkriegstat ist
von den Berlinern vollbracht worden, und ich sage Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und
dazu, daß nach meiner festen Überzeugung tatsäch- Herren! Über die Rolle, die Berlin in der deutschen
lich in der politischen Situation der Nachkriegszeit und europäischen Geschichte spielt, brauche ich
von Berlin und von seiner tapferen Behauptung nach den Ausführungen, die gemacht worden sind,
ein Einfluß auf die Weltpolitik wie von keinem nichts mehr zu sagen. Ich möchte nur nochmals
andern Ort ausgegangen ist. betonen, daß die Bundesregierung die Bedeutung
Es sind von den Sprechern in dieser Berlin- dieser Rolle, die Bedeutung des Schicksals Berlins
Debatte viele gute und notwendige, viele über- für den deutschen Westen und für Europa in voll-
zeugende und die Bevölkerung von Berlin ermuti- stem Maße würdigt und richtig einschätzt. Die
gende Worte gesagt worden. Ich brauche sie, nicht Bundesregierung ist auch tief durchdrungen von
zu wiederholen. Die Ausführungen von der der Verpflichtung, die sie gegenüber der Berliner
äußersten Linken des Hauses darf ich wohl außer Bevölkerung hat. Es ist durchaus richtig hier aus-
Betracht lassen. Ich habe den Eindruck gewonnen, geführt worden, daß wir vom Westen her alles
daß der Kollege Müller über die Gründe, die zur daransetzen müssen, um in Berlin Arbeit zu schaffen.
Trennung der Stadt Berlin geführt haben, nicht Unterstützung allein tut es nicht! Es muß durch
genau Bescheid weiß: Lieferung von Rohmaterialien und durch Bestel-
lungen aus, dem Westen dafür gesorgt werden, daß
(Zurufe von der KPD) die Arbeitslosigkeit in Berlin zurückgeht und be-
denn nicht wir haben die Stadt getrennt, sondern seitigt wird. Ich bitte unsere Berliner Freunde, voll-
die Partei, die politische Gruppe, der er angehört. kommen davon überzeugt zu sein, daß die gesamte
(Sehr wahr!) Bundesregierung die Bedeutung dieser Frage im
vollsten Umfang würdigt und die ganze Kraft
Jeder, der mich kennt, meine Damen und Herren, daransetzen wird, um Berlin und damit — lassen
weiß im übrigen, wie sehr mir die Stadt Berlin Sie mich das auch noch hinzufügen — dem ge-
am Herzen liegt. Ich will nur an dieser Stelle und samten deutschen Osten, dessen wir in dieser
in dieser Stunde versichern, daß ich in dem mir Stunde nicht vergessen wollen, zu helfen.
anvertrauten Amt und mit diesem Amt alles tun (Lebhafter Beifall.)
werde, um die notwendige Hilfe für Berlin mobi-
lisieren zu helfen. Präsident Dr. Köhler: Der Herr Abgeordnete
(Bravo!) Strauß hat das Wort.
Ich werde es tun um seiner bedrohten materiellen Strauß (CSU): Meine Damen und Herren! Alles,
Existenz willen, aber auch und nicht zuletzt, meine was heute über die Not Berlins und seiner Be-
Damen und Herren, um seiner Tradition, um seiner völkerung und über die Notwendigkeit, der Stadt
Bedeutung willen als Stadt von höchstem geisti- Berlin zu helfen, gesagt worden ist, ist, wie ich
gen, von höchsten kulturellen und von höchstem glaube, allen demokratischen Parteien des Hauses
politischen Rang. Berlin leidet ja nicht nur mate- aus dem Herzen gesprochen. Wir von der Christ-
rielle Not, sondern Berlin und die Bevölkerung der lich-Sozialen Union in Bayern sind aber der An-
Stadt leiden auch geistige Not. Aus dieser geistigen sicht, daß in diesem Antrag eine Angelegenheit be--
Not heraus, meine Damen und Herren, hat in rührt wird, deren Form, deren Stilisierung, deren
diesen Tagen auch schon mancher Hilferuf seinen Art und Weise, wie sie behandelt wird, nicht der
Weg in die noch im Aufbau befindlichen Ämter der Würde und dem Wert des Gegenstandes entspricht.
Bundesregierung gefunden. Es handelt sich dabei um die Worte: und in Zu-
Ich glaube, daß ich im Namen meiner Kollegen kunft ihre Hauptstadt wieder werden soll. Gegen
von der Bundesregierung sagen darf, daß wir im diese Formulierung haben wir schwerwiegende
Rahmen des Menschenmöglichen alles, aber auch Bedenken, nicht etwa Bedenken föderalistischer
alles tun werden, damit Berlin leben und seine Art oder, wie man so leicht zu sagen geneigt ist,
Aufgabe weiter erfüllen kann, -partikularer Art, sondern Bedenken besatzungs
(Bravo!) und außenpolitischer Art. Es wird eines Tages die
Aufgabe des gesamten freien deutschen Volkes
damit es seine Aufgabe und seine Verantwortung sein, die Entscheidung zu treffen, wo die Haupt-
als deutscher, nein als europäischer Angelpunkt in stadt des deutschen Staates, wo die Hauptstadt der
der einfach schicksalhaften Begegnung und Aus- Bundesrepublik liegen soll.
einandersetzung zweier Welten auf dem Boden
unseres Landes zu erfüllen in der Lage ist. Und ich (Zurufe.)
glaube, meine Damen und Herren, daß ich ebenso Man sollte diese Entscheidung nicht in einem
im Namen der Bundesregierung sprechen darf, Nebensatz und an nebensächlicher Stelle vorweg-
wenn ich sage, daß sie bemüht bleibt, zunächst nehmen.
die Anerkennung Groß-Berlins als zwölftes Bun (Zurufe.)
244 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Strauß)
Ich stelle hiermit den Antrag, diese Worte „und Ich möchte mir mit Rücksicht auf die Ziffern 1, 2
in Zukunft ihre Hauptstadt wieder werden soll" zu und 3 den Vorschlag erlauben, daß Sie diesen An-
streichen. trag nicht nur an den Berlin-Ausschuß überweisen
sondern auch an den Haushaltsausschuß und den
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, Ausschuß für Finanz- und Wirtschaftspolitik, unter
weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Federführung des Berlin-Ausschusses. Diese Aus-
Herr Abgeordneter Strauß, bitte geben Sie sofort schüsse treten nächste Woche zusammen. Ist das
Ihren Abänderungsantrag bekannt. Haus damit einverstanden?
Ich schließe damit die Aussprache über die (Abg. Dr. Schmid: Es dauert ein bißchen
Punkte 6, 7 und 8 der Tagesordnung. Zu der Druck- länger! — Weiterer Zuruf: Sollte man es
sache Nr. 3 liegen zwei Abänderungsanträge vor. nicht dem Berlin-Ausschuß überlassen, ob
Zuerst ist ein Abänderungsantrag der Bayernpartei er diesen Antrag an den Haushaltsaus
eingegangen, im Absatz 1 die Worte zu streichen: schuß überweisen will?)
„in Zukunft ihre Hauptstadt werden soll", ein An-
trag, der sich inhaltlich mit dem soeben von dem — Einverstanden!
Herrn Abgeordneten Strauß gestellten Antrag Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über
deckt. Wir haben also zunächst über die Abände- den Antrag Nr. 40.
rungsanträge abzustimmen, wobei ich wohl von (Abg. Dr. von Brentano: Zur Abstimmung!)
der Voraussetzung ausgehen darf, daß wir über- Zur Abstimmung hat das Wort der Herr Ab-
haupt hier über diesen Antrag abstimmen und ihn geordnete Dr. von Brentano.
nicht an einen Ausschuß verweisen. Entspricht das
der Meinung des Hauses? Dr. von Brentano (CDU): Auch hier bitte ich um
(Zustimmung.) Überweisung an den zuständigen Ausschuß.
Ich höre keinen Widerspruch. Präsident Dr. Köhler: Ich lasse darüber abstim-
Dann kommen wir zur Abstimmung über die men. Es ist der weitergehende Antrag. Wer für
beiden von mir eben genannten Abänderungs- die Überweisung des Antrages Nr. 40 an den Aus-
anträge. Wer für diese Abänderungsanträge ist, schuß, in diesem Fall den Ausschuß Berlin, ist, den
den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte ich, die Hand zu erheben. — Es ist zweifel-
bitte um die Gegenprobe. — Mit eindeutiger Mehr- los die Mehrheit. Ich bitte auf alle Fälle um die
heit abgelehnt. Gegenprobe. — Der Antrag ist mit Mehrheit an-
(Beifall bei der SPD und bei der KPD.) genommen: Überweisung an den Ausschuß Berlin.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir Meine Damen und Herren, wir kommen dann
zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 3 zum nächsten Punkt der Tagesordnung. Wir be-
in der dem Haus vorliegenden Fassung. Angesichts handeln. wieder zusammenhängend, die Punkte 9,
der Bedeutung und politischen Tragweite dieses 10 und 11:
Antrags bitte ich diejenigen Damen und Herren, 9. Antrag der Fraktion der SPD, betreffend
die für diesen Antrag sind, sich von den Plätzen den vorläufigen Sitz der leitenden Bundes-
zu erheben. — Danke. Ich stelle fest, daß dieser organe (Drucksache Nr. 4);
Antrag mit überwiegender Mehrheit angenommen 10. Antrag der Abgeordneten Dr. Hilpert, Euler
worden ist. und andere, betreffend den vorläufigen Sitz
(Lebhafter Beifall links.) der leitenden Bundesorgane (Drucksache
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Nr. 19);
Antrag Drucksache Nr. 16. Abänderungsanträge 11. Antrag der KPD, betreffend Wohnraum-
dazu liegen meines Wissens nicht vor. Ich nehme beschlagnahme (Drucksache Nr. 9).
an, daß dieser Antrag wegen der Bedeutung der
Materie an die einzelnen Ausschüsse überwiesen Wir kommen zunächst zu Drucksache 4.
werden soll. (Abg. Zinn: Ich bitte ums Wort!)
(Abg. Dr. Schmid: Es liegt kein Antrag vor!) Bitte schön! Herr Abgeordneter Zinn hat das
Wünscht das Haus Abstimmung darüber oder Wort.
Überweisung an die Ausschüsse? — Bitte, Herr Ab- Zinn (SPD): Meine sehr verehrten Damen und
geordneter Dr. von Brentano! Herren! Ein hervorragendes Mitglied dieses Hauses,
Dr. von Brentano (CDU): Ich beantrage Verwei- das jetzt die Regierungsbank ziert, hat gelegentlich
-
sung an den Ausschuß. der Presse gegenüber geäußert, der Bundestag habe
etwas Besseres zu tun, als sich mit der Frage des
Präsident Dr. Köhler: Drucksache Nr. 16! Es liegt vorläufigen Bundessitzes zu beschäftigen.
ein Antrag auf Überweisung an den Ausschuß vor. (Sehr richtig!)
Ein Antrag auf Überweisung an den Ausschuß Die Mehrheit dieses Hauses wird Sie vielleicht
pflegt im allgemeinen nach meiner Erfahrung der eines Besseren belehren. Jedenfalls sind wir und
weitergehende zu sein, so daß ich zunächst über meine Freunde, aber auch eine sehr stattliche Anzahl
den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß ab- von Mitgliedern dieses Hauses, die aus den ver-
stimmen lasse mit der Maßgabe, falls dieser Antrag schiedensten Teilen des Bundesgebietes stammen
angenommen wird, nachträglich festzustellen, an und den verschiedensten politischen Gruppen ange-
welche Ausschüsse. hören, wie der Antrag Dr. Hilpert und Genossen
(Abg. Dr. von Brentano: An den Ausschuß erkennen läßt, der Auffassung, daß der Bundestag
für Groß-Berlin!) unverzüglich und endgültig zu entscheiden hat, wo
Wer für die Überweisung dieses Antrags Druck- die leitenden Bundesorgane ihren Sitz zu nehmen
sache Nr. 16 an den Berlin-Ausschuß ist ,den bitte ich haben. Diese Entscheidung muß getroffen werden,
die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die um der unerträglichen Unsicherheit ein Ende zu
Gegenprobe. — Ich glaube, das war die Mehrheit, machen, die zur Zeit die Arbeit der Ministerien,
wie wir von hier oben festgestellt haben, also für aber auch der noch in Frankfurt befindlichen Ver-
Überweisung an den Ausschuß. waltungen lähmt. Die Notwendigkeit einer solchen
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 245
(Zinn)
Beschlußfassung ergibt sich aber auch aus den Be- Es handelt sich hier doch nur um eine Angelegen-
schlüssen des Hauptausschusses der Ministerpräsi- heit der Zweckmäßigkeit,
dentenkonferenz, der nicht nur die Ministerpräsi- (Unruhe)
denten der elf Länder, sondern auch Vertreter des um eine Frage des geringstmöglichen Kostenauf
Parlamentarischen Rates und des Wirtschaftsrats wands und die Frage: wie können wir die Bundes
angehört haben. Dieser Ausschuß hat in seiner organe so schnell wie möglich wirksam arbeiten
Sitzung in Bad Schlangenbad am 6. 7. 1949 fest- lassen, mit anderen Worten — —
gestellt, daß es mangels einer Legitimation der (Zuruf)
Ministerpräsidenten, den Beschluß des Parlamenta-
rischen Rates einer Revision zu unterziehen, zu- -- Sie müssen etwas lauter reden, wenn man Sie
nächst bei diesem Beschluß verbleiben müsse, es verstehen soll! — Mit anderen Worten: das Hohe
sei denn, daß der Bundestag eine andere Entschei- Haus wird meines Erachtens die ganze Frage nur
dung treffe. Dieser Beschluß ist damals mit allen unter zwei Gesichtspunkten zu entscheiden haben.
gegen eine Stimme — auch mit der Stimme des Einmal muß die Frage gestellt werden: Wo und
jetzigen Herrn Bundeskanzlers Dr. Adenauer — wie kommen die Bundesorgane am schnellsten zur
angenomen worden. vollen Wirksamkeit? Das ist eine rein administra-
tive Frage. Zum andern ist die Frage zu stellen:
(Hört! Hört!)
Was kostet uns die Schaffung oder Errichtung eines
Zugleich hat damals dieser Hauptausschuß festge- vorläufigen Bundessitzes, und wo sind bis jetzt von
legt, daß alle Vorbereitungen auf dasjenige Maß den Gesamtkosten, die dadurch entstehen können,
beschränkt werden, das notwendig ist, um nur den die meisten Aufwendungen und die meisten Inve-
Beginn der Arbeit der Bundesorgane sicherzu- stitionen gemacht worden? Das sind die beiden
stellen. Dieser Restriktionsbeschluß zwingt dazu, Fragen, die wir ganz nüchtern und leidenschaftslos
eine schnelle Entscheidung herbeizuführen; denn zu beantworten haben.
die Bundesregierung verfügt zur Zeit mangels eines
Haushalts überhaupt über keine eigenen Mittel. Sie Nach dem Bericht der technischen Kommission
ist im Augenblick noch völlig auf die Zuschüsse der Ministerpräsidenten, deren Vorsitz der Herr
der Länder angewiesen, die an diesen Beschluß ge- Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen,
bunden sind. Herr Arnold, hatte, der durch Herrn Ministerial-
In den letzten Monaten haben gewiß mancherlei direktor Dr. Wandersleb vertreten wurde, und dem
Fragen die deutsche Öffentlichkeit bewegt. Aber auch Mitglieder des Parlamentarischen Rates ange-
hört haben, können zunächst hier in Bonn nur
man wird zugeben müssen, daß die Frage Bonn —
Teile heißt es wörtlich in dem Bericht — der
Frankfurt, vielleicht mit Ausnahme des Landes Bundeskanzlei, des Innen-, Finanz- und Justiz-
Nordrhein-Westfalen, die Presse und die Bevölke- ministeriums und darüber hinaus nur Organisations-
rung in einer Weise bewegt hat, wie man das zu-
gruppen der übrigen Ministerien untergebracht
nächst nicht erwartet hat. werden. Dabei ist man damals davon ausgegangen,
(Widerspruch bei der CDU.) daß nur acht Ministerien errichtet werden würden.
Vor, während und nach den Wahlen haben die Er- Inzwischen hat sich ja zum Erstaunen der deutschen
örterungen über Bonn und Frankfurt kein Ende Öffentlichkeit die Zahl auf 13 erhöht. Diesen Be-
gefunden. Fragen Sie Ihre eigenen Fraktions- richt kann man als eine zuverlässige und objektive
kollegen! Unterlage betrachten. Nach diesem Bericht lassen
(Lachen.) sich in absehbarer Zeit — „später", wie es heißt —
Es ist der Öffentlichkeit ja nicht unbekannt ge nur drei Ministerien, nämlich die Bundeskanzlei,
blieben, welche Auseinandersetzungen Sie wegen das Innen- und Justiz-Ministerium und vielleicht
dieser Frage seit Tagen in Ihren Fraktionen haben. auch das Finanz-Ministerium in voller Sollstärke
(Zuruf: Woher wißt Ihr das?) unterbringen. Es heißtdannweiter,daß erst zu einem
Wir müssen dabei betonen, daß weder Bonn noch späteren Zeitpunkt, wahrscheinlich erst im Laufe
Frankfurt eine Entscheidung für oder gegen Berlin des Jahres 1950, die Unterbringung sämtlicher
bedeutet. Wie wir über die Frage Berlin denken, Ministerien in Bonn möglich sein wird. Schon jetzt
das haben wir eindeutig in den Antrag, der soeben rechnet man aber damit, daß auch dann große Teile
behandelt worden ist, in Drucksache Nr. 3 und der der seitherigen Verwaltungen des Vereinigten
dazu gegebenen Begründung zum Ausdruck ge- Wirtschaftsgebietes in Frankfurt verbleiben müssen.
bracht. Für uns ist und bleibt die eigentliche und Diese Regelung muß nach unserer Ansicht zu -
heimliche Hauptstadt Berlin. einer Zweigleisigkeit der Bundeszentralverwal-
(Zurufe rechts: Heimliche? — Unheimliche!) tungen führen, die die Arbeitsfähigkeit in einer
unerträglichen Weise hemmt, in einer Zeit, meine
Aber von der Frage der eigentlichen Bundes- Damen und Herren, in der schnelle Entschlüsse ge-
hauptstadt ist jene andere Frage, jene rein admini- faßt werden müssen und in der es auf ein wirksames
strative Frage des vorläufigen Sitzes der Bundes- Funktionieren des Bundes eigentlich in jedem
organe völlig unabhängig. Hier handelt es sich Augenblick ankommt. Es ist mithin während eines
— und das muß betont werden — nicht darum, einen längeren Zeitraums in Bonn mit einer räumlichen
Streit rivalisierender Städte zu entscheiden oder zu Trennung der legislativen Gewalt, aber auch der
prüfen, welche lokalen, kommunalen Interessen Bundesregierung von den verwaltenden Abtei-
den Vorrang verdienen. Es handelt sich auch — und lungen in Frankfurt zu rechnen.
das muß ich ausdrücklich bemerken — um keine
Weder das Parlament noch die Bundesregierung
Frage irgendeines politischen Prestiges, des Pre-
sind angesichts dieser Situation in der Lage, eine
stiges einer Partei oder irgendeiner Richtung.
der ihnen obliegenden wichtigsten Funktionen,
(Zuruf.) nämlich die ständige Kontrolle der Verwaltung
— Dann lesen Sie die Artikel etwas genauer durch auszuüben. Nach unserer Ansicht muß das zu einer
und werden Sie vor allem nicht so nervös! Das ist Stärkung des Einflusses der Bürokratie führen, die
ein schlechtes Zeichen. unerträglich ist. In den Wandelgängen dieses Hau-
(Heiterkeit.) ses und in den Vorzimmern gewisser Ministerien
246 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Zinn)
ist in den letzten Tagen davon berichtet worden, und für die Bereitstellung von 14 000 Quadratmeter I
welche Vorgänge sich aus Anlaß der Kabinetts- Nutzfläche für die vorläufige Unterbringung des
beratungen über die Änderung des Wechselkurses Bundespräsidenten, für die Unterbringung der
der D-Mark abgespielt haben. Auch der Presse und Bundeskanzlei und der sogenannten Organisations-
der Öffentlichkeit sind diese Vorgänge nicht ver- gruppen bis zum 30. August 1949, zuzüglich der
borgen geblieben. Die erforderlichen Fachkräfte Kosten, die durch die Errichtung der Fernmelde-
standen im entscheidenden Augenblick nicht zur anlagen entstanden sind, und zuzüglich 350 000
Verfügung. Hohe Ministerialbeamte haben die Rolle Mark Kosten für die Unterbringung von Stäben
von Botengängern übernehmen müssen. der Besatzungsmächte, 21 650 000 Mark ausgegeben
(Zuruf rechts: Wie nett von den Herren!) worden.
(Hört! Hört!)
Ich glaube, daß diese Vorgänge sich in Bonn wahr- Dabei sind die ursprünglich für die Pädagogische
scheinlich noch wiederholen werden. Akademie veranschlagten 2 600 000 Mark bis Ende
Aber ebenso bedeutsam wie die Gefahr der Zwei- August um 112 Prozent überschritten worden.
gleisigkeit der Verwaltung ist die reine Kosten- (Erneute Rufe: Hört! Hört!)
frage. Für den Bund sollte das eherne Gesetz der Die Ausbaukosten der Pädagogischen Akademie
Sparsamkeit gelten. betragen bis Ende August dieses Jahres nicht
(Sehr richtig! bei der SPD.) 2 600 000 Mark, wie veranschlagt, sondern 5 500 000
Mark, und für den Ausbau des Finanzamts, für
Wir können es uns nicht leisten, öffentliche Gelder, den 300 000 Mark veranschlagt worden sind, sind
die man einsparen kann, auszugeben. Die Haus- bis zu dem gleichen Zeitpunkt 420 000) Mark ver-
halte der Länder, von denen der Bund vorläufig ausgabt worden.
ja noch abhängig ist, sind auf das äußerste ange- (Zurufe: Und was in Frankfurt?)
spannt, und das Versprechen des Herrn Bundes-
kanzlers, das er kürzlich aus Anlaß der Änderung Für die Polizeischule — man höre —, für die 25 000
des Wechselkurses der D-Mark gegeben hat, alle Mark veranschlagt worden sind, sind nach dem
Maßnahmen zu treffen, um zu verhüten, daß die Bericht dieses Technischen Ausschusses bis Ende
Lebensmittelpreise steigen, erfordert Aufwen- August 206 000 Mark ausgegeben worden, wobei
dungen, die nach sachkundiger Schätzung in den die 400 000 Mark für die Ersatzpolizeischule in
nächsten 3 bis 5 Monaten etwa 380i Millionen er- Münster noch gar nicht in Rücksicht gezogen wor-
fordern werden. Wie kann der Herr Finanzminister den sind.
angesicht dieser Situation überhaupt noch eine Mil- (Lebhafte Rufe: Hört! Hört!)
lion für einen Zweck ausgeben, den man auf andere Ich erwähne das nur am Rande. Bei diesen Kosten-
Art viel besser erreicht? voranschlägen irrt man sich in der Regel, und ich
In Bonn mögen bis jetzt 15 Prozent der dort ins- glaube, die Hessen wissen davon ein Lied zu singen,
gesamt notwendigen Kosten für die Einrichtung der wenn sie an die Verwaltung des Vereinigten Wirt-
obersten Bundesverwaltung ausgegeben worden schaftsgebiets denken.
sein. (Zuruf rechts: Aha!)
(Zurufe: Und in Frankfurt?) — Sie rufen „Aha!" Eben deshalb sagen wir ja:
— In Frankfurt hat man binnen zwei Jahren unter Lassen Sie die Finger davon!
Einsatz aller baulichen und technischen Mittel die (Beifall bei der SPD und Heiterkeit.)
Verwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Aus den in Frankfurt entstandenen Kosten kann
arbeitsfähig gemacht und dort etwa 85 Prozent man entnehmen, wie hoch die endgültigen Kosten
jener Kosten ausgegeben, die für die Einrichtung in Bonn gegenüber allen etwaigen Voranschlägen
einer obersten Bundesverwaltung notwendig sind. sein werden.
Mit anderen Worten: man hat doch nur die nüch- (Zuruf rechts: Und in Frankfurt?)
terne Frage zu entscheiden: Soll man hier in Bonn — In Frankfurt ist ja das meiste bereits investiert!
die dort noch etwa notwendigen 85 Prozent der
Gesamtkosten ausgeben, oder soll man in Frank- (Lachen und Zurufe rechts.)
furt die dort noch erforderlichen nur 15 Prozent Der Bericht des Technischen Ausschusses der Mi-
ausgeben? sterpräsidenten -- und das ist das Entscheidende,
meine Damen und Herren —, nach dem zunächst
(Lachen und Widerspruch. -- Zuruf: Ganz weitere 60 000 Quadratmeter Nutzfläche in Bonn
falsche Zahlen! Theorien!)
und darüber hinaus im Umkreis von Bonn weitere
Die Zahlen beruhen auf dem, was man aus dem 50 000 Quadratmeter zur Verfügung gestellt werden
Bericht des Technischen Ausschusses der Minister- sollen und können, schweigt sich über die Höhe
präsidenten entnehmen kann. der Kosten in Bonn aus.
(Erneuter Widerspruch.) (Hört! Hört! links.)
Die Kommission des Parlamentarischen Rates, die Die Frage ist offen, soweit sie Bonn angeht.
seinerzeit eingesetzt worden ist, um die Angaben Es heißt in diesem Bericht — und, der Bericht
der Städte Frankfurt, Kassel und Bonn zu über- begnügt sich mit der Feststellung —, daß die end-
prüfen, ist in ihrem Bericht vom 28. April 1948 gültige Unterbringung der Bundesministerien in
— bitte, sehen Sie Anlage 1 nach -- davon aus- Bonn und der weitere Ausbau von Verkehrs- und
gegangen, daß in Bonn für die Unterbringung der Fernmeldeeinrichtungen eine beträchtliche Erhö-
Bundesorgane 3 '795 000 DM erforderlich seien. In- hung der Ausgaben zur Folge haben werden. Man
zwischen sind aber für den Ausbau dieses Bundes- weiß also nicht, wie hoch die Kosten sein werden.
hauses, dessen endgültiger Plenarsaal erst drüben, Aber in der letzten Sitzung des Postausschusses
dort, wo sich die Bootshäuser befinden, ausgebaut des Wirtschaftsrats hat ein Vertreter der Verwal-
werden soll — denn dies ist nur ein vorläufiger tung für Post und Fernmeldewesen — ich glaube,
Plenarsaal —, auf Anfrage des Abgeordneten Horn — erklärt,
(Abg. Schütz: Er gefällt uns aber ganz gut!) daß für den Ausbau des Post- und Fernmelde-
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1941 247
(Zinn)
wesens im Bonner Raum für den Fall, daß Bonn Kosten werden sich im wesentlichen auf die Auf-
endgültig Bundessitz werde, 32 Millionen in den wendungen für den Umbau der dortigen Päda-
nächsten zwei Jahren erforderlich sein würden. gogischen Akademie zu einem Parlamentsgebäude
(Hört! Hört! links. — Zuruf rechts.) beschränken. In Bonn stehen außer diesem Bundes-
Und der Direktor der Verwaltung für Post- und haus bis jetzt nur — vielleicht ist in den letzten
Fernmeldewesen hat bei anderer Gelegenheit im Tagen etwas dazugekommen rund 15 000 Qua-
gleichen Zusammenhang erklärt, daß die Aufgaben, dratmeter Nutzfläche zur Verfügung. Der darüber
die die Post in Bonn zu bewältigen habe, einen hinausgehende Raum muß erst bereitgestellt wer-
wesentlichen Teil der langfristigen Investitions den. Für die Verwaltung des Vereinigten Wirt-
mittel in Anspruch nehmen werden, die der Post, schaftsgebiets stehen zur Verfügung oder sind im
wenn überhaupt, in den nächsten Jahren zur Ver Ausbau 83 000 Quadratmeter Nutzfläche,
fügung stehen würden, so daß die Post nicht in der (Zuruf rechts: Im Ausbau!)
Lage sei, die schwer beschädigten Fernsprechämter also das Vielfache dessen, was im Augenblick in
in Städten wie Dortmund oder Essen auszubauen. Bonn benutzt werden kann.
(Hört! Hört! links.) Die Bereitstellung des in Bonn erforderlichen
Mit anderen Worten: Bonn ist ein sehr unsicheres Raums ist nur dann möglich, wenn die Besatzungs-
und riskantes Geschäft. truppen Bonn räumen, eine Räumung, die für Mitte
Man wird vielleicht einwenden — und dieser Oktober in Aussicht gestellt ist. Das führt dazu,
Einwand läßt sich zunächst durchaus hören —, daß daß in anderen Gegenden — ich denke zum Bei-
bei einer Revision des Beschlusses des Parlamen- spiel an die Umgebung von Köln — Wohnraum
tarischen Rates die in Bonn bis jetzt aufgewendeten beschlagnahmt werden muß.
Mittel nutzlos aufgewendet worden seien. Aber ab- (Zuruf rechts: Und in Frankfurt?)
gesehen davon, daß nach dem Bericht des Tech- Ich komme gleich auf diese Frage. — Am Sonn-
nischen Ausschusses der Ministerpräsidenten,
—
Präsident Dr. Köhler: Das Wort zur Geschäfts- finden, und infolgedessen ist es doch nicht zu ver-
ordnung hat der Herr Abgeordnete Euler. antworten, ohne eine Untersuchung und ohne
gründliche Prüfung die komplizierten Details zu
Euler (FDP): Meine sehr geehrten Damen und entwirren. Ich habe im Ausschuß für die Bundes-
Herren! Es war bereits ein Eventualantrag, der sitzfrage im Parlamentarischen Rat gesessen, und
meine Unterschrift trägt, eingebracht. Wir hatten weiß, wie ungeheuer verwickelt und undurchsich-
nämlich für den Fall der Ausschußverweisung des tig die Materie ist und wie schwer es ist, sich
Antrags Nr. 4 beantragt, einen aus vierzehn Mitglie- überhaupt zu einer Entscheidung in diesen Dingen
dern bestehenden Ausschuß einzusetzen, der seine durchzuringen. Ich bitte Sie darum dringend, der
Tätigkeit sofort aufzunehmen und innerhalb von Überweisung an einen Ausschuß zuzustimmen.
vierzehn Tagen dem Hause zu berichten hat. Ich
bin der Auffassung, daß nach den vorliegenden Ma- Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
terialien und in Anbetracht der Dringlichkeit, Ich glaube, jetzt ist von beiden Seiten zu den
mit der der Ausschuß die Frage zu prüfen hat, der Möglichkeiten der Entscheidung nach der einen
Bericht an den Bundestag innerhalb von vierzehn und anderen Seite genug gesprochen worden, wenn
Tagen erwartet werden kann. Im übrigen möchte ich mir das einmal erlauben darf auszusprechen.
ich in diesem Zusammenhang noch einmal darauf
hinweisen, daß gerade die Regierungsparteien ein Es liegen zwei Anträge vor. Der eine Antrag
Interesse daran haben, daß die Exekutive möglichst lautet — und zwar in der ursprünglichen Reihen-
schnell in einen leistungsfähigen Stand kommt. folge von Ihnen und später der Sache nach von der
Da ist nun die leider — wenn Sie so wollen — CDU usw. — auf Einsetzung eines Ausschusses,
unbestreitbare Tatsache vorhanden, daß in Frank- der innerhalb von drei Wochen den nötigen Be-
furt alle Räume für die Unterbringung der Mi- richt zu erstatten hat. Der andere Antrag seitens
nisterien zur Verfügung stehen, während das hier der SPD bzw. der Abgeordneten Zinn und Ollen-
nicht der Fall ist. hauer geht dahin, daß über die Anträge Druck-
(Zurufe.) sachen Nr. 4 und 19 sofort, und zwar geheim ab-
gestimmt wird. Darüber, in welcher Form über
Präsident Dr. Köhler: Das Wort zur Geschäfts- die Einsetzung des Ausschusses abgestimmt werden
ordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Linnert. soll, liegen wohl keine Anträge vor.
(Zurufe: Doch! 011enhauer!)
Dr. Linnert (FDP): Ich ziehe meinen Antrag zu-
gunsten des Antrags Bucerius zurück. Auch über den Ausschuß!
Meine Damen und Herren, dann haben wir zu-
Präsident Dr. Köhler: Das Wort zur Geschäfts- nächst folgende Frage zu entscheiden
ordnung hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer. (Unruhe und Zurufe)
— lassen Sie mich doch bitte jetzt reden! —, wel-
Ollenhauer (SPD): Meine Damen und Herren! ches der weitergehende Antrag ist: der der sofor-
gesagt, daß wirMeinKolgZhatbrs tigen Entscheidung
gegen die Überweisung des Antrags an einen Aus-
schuß sind. Wir sind der Überzeugung, daß die (erneute Unruhe)
Entscheidung über diesen Antrag schon eine sach- — einen Augenblick bitte, ich bin dabei, die Frage
liche Entscheidung über den Inhalt des Antrags zu stellen; darf ich das vielleicht tun? — oder
darstellt. Wir beantragen deshalb, daß über den der Antrag auf Einsetzung eines Ausschusses. Der
Antrag auf Ausschußberatung ebenfalls geheim Sache nach bin ich der Meinung, daß der Antrag
abgestimmt wird. auf Einsetzung eines Ausschusses insofern weiter-
gehend ist, als er eine gründlichere Durchdringung
Präsident Dr. Köhler: Zur Geschäftsordnung hat des Problems ermöglicht.
das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.
(Erneute Unruhe.)
Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren! Es Meine Damen und Herren, die Auslegung darüber,
wird hier so getan, als ob es ein ganz einfacher welcher Antrag der weitergehende ist, pflegt beim
Vorgang sei, daß man einen legal zustandegekom- Präsidenten zu liegen.
menen Beschluß über den Sitz des Bundes und
seiner Organe umwirft und beseitigt. Das ist doch (Abg. Dr. von Brentano: Zur Geschäftsordnung!) -
wirklich eine sehr entscheidende Angelegenheit.
Dr. von Brentano (CDU): Ich möchte nur das
(Abg. Dr. Schumacher: Zur Geschäftsordnung!) Hohe Haus und den Herrn Präsidenten daran er-
— Jawohl, ich rede, wie die Vorredner, zur innern, daß er vor etwa einer Stunde, ohne Wider-
Geschäftsordnung, um zu begründen, daß die Ver- spruch zu finden, festgestellt hat, daß der Antrag
weisung an einen Ausschuß unbedingt notwen- auf Verweisung dem Antrag auf Sachentscheidung
dig ist. vorgeht. Das war vor etwa einer Stunde im Zu-
sammenhang mit dem Antrag der KPD über die
(Zurufe: Zur Sache! — Abg. Renner: Herr Ab Demontage. Ich glaube, daß diese Feststellung des
geordneter, „wie ich die Geschäftsordnung Präsidenten auch jetzt noch gilt.
auffasse"! Da sieht man mal wieder: alles
ist flexibel!) Präsident Dr. Köhler: Also, meine Damen und
Meine Damen und Herren, es handelt sich um Herren, wir haben jetzt demnach zunächst über den
eine Entscheidung von großer Tragweite. Es han- Antrag abzustimmen, und zwar über den Antrag
delt sich um den ungewöhnlichen Vorgang, daß ein der CDU dahingehend, daß ein Ausschuß aus
Parlament die Beschlüsse einer vorausgegangenen 21 Abgeordneten eingesetzt wird, der innerhalb von
Institution wieder aufhebt und beseitigt. Es han- drei Wochen die Eignung der Städte Bonn und
delt sich also um eine Art Wiederaufnahmever- Frankfurt als vorläufigen Sitz der leitenden Bundes-
fahren. In solchen Fällen muß doch mindestens organe zu prüfen und darüber dem Haus zu be-
eine sorgfältige Prüfung des Sachverhalts statt richten hat.
254 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Präsident Dr. Köhler)
Abstimmung! Wer für diesen Antrag ist, — — habe, über den Antrag auf Einsetzung eines Aus-
(Unruhe und Zurufe.) schusses offen abstimmen.
— Nein? Was ist denn los? (Oho!)
(Erneute Zurufe.) — Bitte, ich habe mir eben den Vorschlag erlaubt,
daß ich erst über den Antrag, ob geheim abge-
— Es war geheime Abstimmung beantragt. stimmt werden soll, abstimmen lasse. Es ist der
(Abg. Dr. Linnert: Es gibt keine geheime lebhafteste Protest aus Ihren Reihen erschollen.
Abstimmung, nur eine namentliche!)
Ich frage Sie jetzt: Wer dafür ist, daß über den
Meine Damen und Herren, es ist der Antrag ge- Antrag auf Einsetzung eines Ausschusses geheim
stellt worden — das ist richtig —, auch über den abgestimmt werden soll, den bitte ich, die Hand zu
Antrag auf Ausschußeinsetzung geheim abstimmen erheben. — Wir müssen auszählen.
zu lassen.
(Abg. Linnert: Das ist ein Irrtum! Es gibt nur Ich bitte, den Herren Schriftführern das Aus-
namentliche Abstimmung!) zählen nach Möglichkeit zu erleichtern.
Der Begriff der geheimen Abstimmung entspricht (Während der Auszählung erheben auch die
dem § 105 über namentliche Abstimmung. Abgeordneten der CDU/CSU, die vorher die
Hand nicht erhoben hatten, die Hände. —
(Zuruf von der CDU: „Namentlich" ist doch nicht
geheim!) Lebhafter Beifall.)
Die namentliche Abstimmung im Sinne des § 105 — Meine Damen und Herren! Ich sehe, daß über
dokumentiert sich lediglich darin, daß die Namen diese Frage eine Verständigung zustande gekom-
später in das Protokoll eingetragen, aber nicht men ist, indem eine überwältigende Mehrheit sich
publiziert werden. Insofern ist die namentliche Ab- für die geheime Abstimmung ausgesprochen hat.
stimmung im Sinne des § 105 nach außen hin im (Lebhafter Beifall.)
Grunde genommen nichts weiter als eine geheime Damit ist der Fall erledigt.
Abstimmung.
Wir werden nunmehr die Urne hier vorn auf-
(Widerspruch und Zurufe.) stellen. Sie finden in Ihren Pulten die Zettel. Ich
— Bitte, dann stellen Sie den Antrag auf nament- bitte, darauf „Ja" oder „Nein" zu schreiben.
liche Abstimmung. Ich stelle Ihnen das anheim. „Ja" bedeutet Zustimmung zum Antrag auf Ein-
Geheime Abstimmung gibt es nicht. setzung eines Ausschusses, „Nein" bedeutet Ableh-
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Ab- nung dieses Antrages.
geordnete Dr. Becker. ° (Zuruf: Zur Geschäftsordnung!)
— Sie wollten zur Geschäftsordnung sprechen?
Dr. Becker (FDP): Meine Damen und Herren!
Nachdem hier Fragen der Geschäftsordnung streitig (Zuruf: Wir sind in der Abstimmung!)
sind, erstens darüber, welcher Antrag den Vorzug Ich kann Ihnen jetzt in der Abstimmung das Wort
bei der Abstimmung hat, beim besten Willen nicht mehr geben.
(Zurufe) (Andauernde Unruhe.)
zweitens ob es eine geheime Abstimmung gibt und Meine Damen und Herren, ich bitte, jetzt Ruhe
in welcher Prozedur, stelle ich den Antrag, die zu bewahren. Wir rufen die Namen der einzelnen
Sitzung zu unterbrechen und den Aeltestenrat zur Mitglieder auf, die dann, bitte, nach vorn kommen
Prüfung dieser Frage einzuberufen. und ihren Stimmzettel abgeben.
(Lebhafter Widerspruch.) (Zurufe.)
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! — Im Umschlag, bitte!
Ich muß über diesen eben zur Geschäftsordnung Die Abstimmung beginnt.
gestellten Antrag, die Sitzung dieserhalb zu unter- (Der Namensaufruf erfolgt.)
brechen, ordnungsgemäß abstimmen lassen.
Wer für diesen Antrag des Abgeordneten Dr. Meine Damen und Herren! Ich mache darauf
Becker ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. aufmerksam, daß wir noch eine zweite und dritte
Urne aufgestellt haben. Frau Albertz steht an der
(Zurufe.) linken Urne. — Herr von Aretin, Sie sind Schrift--
— Findet. der Antrag Unterstützung? — Nein! Der führer; haben Sie die Liebenswürdigkeit, sich an
Antrag ist abgelehnt. die andere Urne zu stellen und dort die Stimm-
(Beifall.) zettel entgegenzunehmen.
Die Geschäftsordnungsdebatte hat ergeben, daß (Der Namensaufruf wird fortgesetzt.)
es eine geheime Abstimmung im Sinne des § 105
nicht gibt. Wir haben nur bei Wahlen geheim ab- Meine Damen und Herren, ich frage, ob irgend-
zustimmen, und zwar durch Wahlzettel. Es gibt jemand der anwesenden Abgeordneten bei dem
also nur eine Form der geheimen Abstimmung, in- soeben erfolgten Aufruf nicht genannt worden ist.
dem man sinngemäß die Zettelwahl auf diesen An- — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann er-
trag anwendet. Da der Antrag nun einmal gestellt kläre ich die Abstimmung für beendet und bitte
ist, muß ich zunächst darüber abstimmen lassen, ob die Herren Schriftführer, die Urnen hier oben
die Abstimmung geheim oder nicht geheim sein zu entleeren und mit der Auszählung zu be-
soll. ginnen.
(Das Ergebnis wird ermittelt.)
(Unruhe. — Zuruf: Der Antrag ist geschäfts
ordnungsmäßig unzulässig.) Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
Wer dafür ist, — — Herren, ich habe Ihnen das Er g e b n i s der Ab-
(Fortdauernde Unruhe.) stimmung bekanntzugeben. Von insgesamt 368
— Meine Damen und Herren! Wenn Sie so nicht Abstimmenden haben mit Ja 196 gestimmt.
wollen, lasse ich sofort, wie ich vorhin entschieden (Beifall rechts.)
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 255
(Vizepräsident Dr. Schmid)
Mit Nein haben 169 Abgeordnete gestimmt; ent- ohne jeden Unterschied dringend interessiert sind,
halten haben sich 3. Damit ist der Antrag Dr. auch die Gruppen des Hauses vertreten sind. Das
Bucerius-Alberts, wonach der Antrag der SPD würde wohl erreicht werden können, wenn wir aus
und der Antrag Hilpert und Genossen an einen dem 27er-Ausschuß, Herr Dr. Holzapfel, einen
Ausschuß zu überweisen sind, angenommen. 28er-Ausschuß machen.
Der Ausschuß, für den Sie eben gestimmt haben, (Abg. Dr. Holzapfel: Mit beratender Stimme!)
ist in dem Antrag mit 21 Abgeordneten vorgesehen. — Da nehmen wir sie mit beratender Stimme hin-
Ich erlaube mir, die strikten Befugnisse des Prä- ein und erreichen genau das gleiche wie im an-
sidenten überschreitend, Ihnen einen Vorschlag zu dern Fall.
machen. Ich glaube, daß es sinnvoll wäre, in die-
sem Ausschuß, der wohl nach dem d'Hondtschen Vizepräsident Dr. Schmid: Das sollte auch mein
System zu besetzen ist, möglichst alle Fraktionen Vorschlag sein. Wir erhalten also einen 27er-Aus-
vertreten sein zu lassen. Ich würde Sie darum bit- schuß nach dem d'Hondtschen System, zu dem die
ten, statt eines 21er-Ausschusses einen 27er-Aus- Gruppe Nationale Rechte einen Vertreter mit be-
schuß zu akzeptieren. Sie haben zwar schon für ratender Stimme entsendet. Ich schlage vor, die
den 21er-Ausschuß gestimmt — ich möchte das Mitglieder des Ausschusses nicht schon hier zu
feststellen —, aber ich möchte Ihnen trotzdem den benennen. Die Fraktionen mögen nach dem
Vorschlag machen, über diese Abstimmung hin- d'Hondtschen System — sagen wir: bis Dienstag —
wegzugehen und sich auf einen 27er-Ausschuß zu dem Präsidium die Namen der Abgeordneten mit-
einigen, wobei ich bemerken möchte, daß der teilen, die sie in diesen Sonderausschuß senden
Widerspruch eines einzigen Mitglieds genügt, um wollen. Besteht mit diesem Vorschlag Einver-
diesen Vorschlag gegenstandslos zu machen. ständnis?
Herr Dr. Höpker-Aschoff! (Zurufe: Jawohl!)
— Ich danke Ihnen.
Dr. Höpker-Aschoff (FDP': Herr Präsident, ich
würde Sie bitten, Ihren Vorschlag noch dahin zu Damit sind die Punkte 9 und 10 der Tagesord-
ergänzen, daß diesem Ausschuß weder Vertreter nung erledigt.
des Landes Nordrhein-Westfalen noch Vertreter (Abg. Renner: Nein!)
des Landes Hessen angehören sollen. Herr Abgeordneter Renner!
(Bravo!) Renner (KPD): Ich bitte, noch über unsern Antrag
abzustimmen. Der ist noch nicht erledigt.
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich glaube, daß wir
über diesen Antrag, der wohl kein Antrag im Vizepräsident Dr. Schmid: Sie haben recht. Es
Sinne der Geschäftsordnung sein sollte, nicht ab- steht noch der Antrag der KPD auf Drucksache
stimmen sollten; ich meine vielmehr, daß wir die Nr. 9 zur Abstimmung.
Verwirklichung der Anregung der Vereinbarung
nicht nur der Fraktionen, sondern innerhalb der (Abg. Hilbert: Zur Geschäftsordnung!)
Fraktionen überlassen sollten. Herr Abgeordneter Hilbert!
(Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)
Hilbert (CDU) : Meine Damen und Herren, der
Ich betrachte Ihren „Antrag" lediglich als einen Einfachheit halber schlage ich vor, auch diesen An-
Vorschlag, als eine Anregung. trag der KPD dem Ausschuß, der soeben gebildet
Darf ich nun fragen, ob jemand sich dagegen worden ist, zu überweisen.
wehrt, daß der beschlossene 21er-Ausschuß als (Abg. Renner: Zur Geschäftsordnung!)
27er-Ausschuß gebildet wird. — Das ist nicht der
Fall. Ich glaube also, ich kann das Einverständnis Vizepräsident Dr. Schmid: Zur Geschäftsordnung
sämtlicher stimmberechtigter Mitglieder hier an- hat das Wort der Herr Abgeordnete Renner.
nehmen — —
(Abg. Dr. Bucerius: Darf ich noch ein Wort dazu Renner (KPD): Dieser unser Antrag hat mit der
sagen?) Fragestellung Bonn — Frankfurt direkt nichts zu
tun. Deshalb ist es nicht sinnvoll, ihn diesem Aus-
Herr Abgeordneter Dr. Bucerius! schuß zur Weiterbearbeitung zu überweisen. Un-
ser Antrag soll den Menschen zugute kommen,
Dr. Bucerius (CDU): Wir würden dann empfehlen,
die heute bereits und in den kommenden Tagen
daß möglichst alle Gruppen des Hauses auch im im Zuge der Evakuierung Bonns von den Ange-
Ausschuß vertreten sind. hörigen der belgischen Besatzungsmacht ihre Woh-
(Abg. Renner: Sind doch drinnen nach der nungen verlieren. Ich darf darauf hinweisen, daß
Koalition!) die Ausweichorte sich über den ganzen Westen
— Nein, die Koalition ist in diesem Falle nicht groß des Landes Nordrhein-Westfalen bis nach Lüden-
genug. scheid hin erstrecken. Ich darf darauf hinweisen,
laß Delegationen' von Einwohnern der bedrohten
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bitte doch, den Dörfer, Delegationen, die im wesentlichen aus An-
Redner ausreden zu lassen. gehörigen der CDU zusammengesetzt waren. hier
schon an die Türe geklopft haben und bei Herrn
Dr. Bucerius (CDU): Ich freue mich, daß ich in Adenauer vorstellig geworden sind.
diesem Hause auch einmal den Schutz des Präsi- Es handelt sich hier um die Beseitigung einer
denten genieße. dringenden augenblicklichen Notlage, und ich
(Heiterkeit.) fürchte, daß, wenn der Antrag an den Ausschuß
verwiesen wird, noch weitere Exmittierungen er-
Uns liegt also daran, daß in dieser wichtigen folgen werden. Unser Antrag verlangt konkret,
Frage, an der alle Teile des deutschen Volkes daß die Bundesregierung dem Einhalt gebieten soll.
256 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den S0. September 1949
(Renner)
Ich sehe nicht ein, was dadurch erreicht werden Es ist wohl nicht notwendig, daß dieser Antrag
soll, daß man die Entscheidung darüber um drei besonders begründet wird. — Widerspruch erhebt
oder vier Wochen hinauszögert. Die Not der zu sich nicht.
Evakuierenden und der bereits Evakuierten zwingt (Abg. Dr. von Brentano: Ich möchte Über-
wirklich zu einer sofortigen Lösung dieser Frage weisung an den Ausschuß beantragen!)
im Sinne der Bejahung unseres Antrags. Ich bitte Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
Sie, für unseren Antrag zu stimmen.
Loritz (WAV): Meine Damen und Herren! Ich
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wert hat der Herr bitte, die Entscheidung im Plenum zu treffen, weil
Abgeordnete Dr. Hilpert. der Termin in wenigen Tagen stattfindet und die
Dr. Hapert (CDU): Es hätte wohl des Antrags Angelegenheit auf dem Umweg über den Ge-
schäftsordnungsausschuß sonst nicht rechtzeitig zur
der KPD nicht bedurft, um die zuständige Landes- Erledigung kommen kann. Ich möchte das Haus in-
regierung Nordrhein-Westfalen darauf aufmerksam formieren, worum es sich handelt. Es handelt sich
zu machen, daß selbstverständlich alles getan wer- um den Revisionstermin in einem Verfahren, in
den muß, was im Rahmen der Möglichkeit liegt, dem ich in erster Instanz in der Hauptsache frei-
um Wohnungen für die hier infolge der Räumung gesprochen worden bin. Der Staatsanwalt hat jetzt,
zu evakuierenden Personen zu schaffen. Ich nachdem das Haus neulich im Plenum die Aus-
glaube, deshalb wird diese Maßnahme ebenso- setzung wegen verleumderischer Beleidigung be-
schnell durchgeführt, selbst wenn wir diesen An- schlossen hat, ein Revisionsverfahren beantragt und
trag dem jetzt gebildeten Ausschuß überweisen, auf diese Art und Weise versucht, einen Termin
als wenn wir hier ad hoc dem Antrag zustimmen gegen mich zur Ansetzung zu bringen. Mit Rück-
würden, weil ich noch einmal betonen will, daß sicht auf die Dringlichkeit bitte ich, daß über den
die Regierung Nordrhein-Westfalen, wie mir eben Antrag jetzt vom Plenum entschieden wird.
zuverlässig versichert worden ist, alle Maßnahmen,
die irgend möglich sind, ergriffen hat und noch er- Vizepräsident Dr. Schmid: Zur Geschäftsordnung
greifen wird, um diesen Menschen Unterkunft zu hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano das
bieten, wenn Bonn Bundeshauptstadt bleibt.
Wort.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr Dr. von Brentano (CDU): Mit Rücksicht darauf,
Abgeordnete Paul. daß die Sache dringlich ist, ziehe ich meinen An-
trag auf Überweisung an den Ausschuß zurück.
Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Ich bin
nicht davon überzeugt, daß die Landesregierung Vizepräsident Dr. Schmid: Wer für diesen An-
Nordrhein-Westfalen alles getan hat, um diesen trag ist, den bitte ich, die H an d zu erheben.
Zustand abzuwenden, sondern ich sehe in dem (Zuruf: Überweisung an den Ausschuß?)
Vorwärtstreiben der Arbeiten hier weitere Ver-
suche, die Menschen aus ihren Wohnungen heraus- — Dieser Antrag ist eben von Herrn von Brentano
zubringen, um Räume freizumachen. zurückgezogen worden; ich brauche also nicht über
ihn abstimmen zu lassen. Ich lasse abstimmen
(Zuruf rechts: Gehen Sie nach dem Osten!) über den Antrag Drucksache Nr. 49. Ich habe Sie
Die Bevölkerung dieser Orte wünscht auf jeden vorher gefragt, ob der Antrag ausdrücklich be-
Fall, daß dem Einhalt geboten wird. gründet werden soll, und Sie waren damit ein-
(Zuruf: Täglich kommen Tausende aus der verstanden, daß dies nicht zu geschehen hat. Nun-
Ostzone, die wir auch unterbringen müssen!) mehr lasse ich über den Antrag Drucksache Nr. 49
— Ich spreche hier nicht über die Ostzone. abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, der möge
die Hand erheben. — Die Gegenprobe! — Das ist
(Zuruf rechts: Über die Ostzone können gegen einige wenige Stimmen die überwältigende
Sie auch gar nicht sprechen!) Mehrheit; es ist so beschlossen.
Sie wollen sich nur um eine klare Entscheidung
in dieser Frage drücken; aber die Bevölkerung im Wir kommen nunmehr zu Ziffer 12 der Tages-
Lande Nordrhein-Westfalen wünscht, daß endlich ordnung:
mit den Wohnungsbeschlagnahmungen Schluß ge- Beschlußfassung über die Überweisung von
Anträgen an Ausschüsse ohne Aussprache. -
macht wird. Sollten Sie unseren Antrag ablehnen,
fällt die ganze Verantwortung auf Sie selbst Es sind hier von den Fraktionen in insgesamt
zurück. 14 Fällen Anträge auf Überweisung unmittelbar
an die Ausschüsse gestellt. Ich lasse der Klarheit
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel- halber über jeden einzelnen dieser Anträge ab-
dungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Ab- stimmen und gleichzeitig den Ausschuß bestim-
stimmung. men, an den der Antrag verwiesen werden soll.
Ich lasse über den Antrag abstimmen, den An- Wir kommen zuerst zu Drucksache Nr. 13: An-
trag Drucksache Nr. 9 an den eben gebildeten Aus- trag der Fraktion der DP, betreffend Entnazifizie-
schuß zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, rungsgesetz. Er ist an den Ausschuß für Rechts-
die Hand zu erheben. — wesen zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte
(Abg. Paul: Wir werden uns in der Öffent ich, die Hand zu erheben. — Die Gegenprobe! —
lichkeit wieder sprechen !) Es ist so beschlossen.
Die Gegenprobe! — Das erstere war unzweifelhaft Wir kommen zu Drucksache Nr. 20, Antrag der
die große Mehrheit. Der Antrag ist angenommen; Fraktion des Zentrums, betreffend Wartegeld und
er ist überwiesen. Pensionen der ostvertriebenen Beamten.
(Zuruf von der KPD.) Für die Behandlung des Antrages kommen drei
Wir kommen zu Ziffer 11 der Tagesordnung: Ausschüsse in Frage: der Ausschuß für Heimat-
Antrag des Abg. Loritz betr. Aussetzung vertriebene, der Ausschuß für Finanz- und Steuer-
eines Gerichtsverfahrens (Drucksache Nr. 49). fragen und der Ausschuß für Beamtenrecht. Ich
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. B onn Freitag, den 30. September 1949 257
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