Sie sind auf Seite 1von 54

Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den SO.

September 1949 203

Dr. Reif (FDP) 239B


Dr. Falkner (BP) . . . . . . . 240C
Müller, Oskar (KPD) 241A
Kaiser, Bundesminister für gesamt-
deutsche Fragen 242D
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 243C
Strauß (CSU) 243D
Dr. von Brentano (CDU) . . . . 244B, C
Anträge der Fraktion der SPD und der Abg.
Dr. Hilpert, Euler u. Gen., betr. vorläu-
figen Sitz der leitenden Bundesorgane
(Drucksachen Nr. 4 und 19), und der Frak-
tion der KPD, betr. Wohnraumbeschlag-
nahme (Drucksache Nr. 9) 244A
11. Sitzung Zinn (SPD)
Dr. Hilpert (CDU)
244D, 252A
249A
Bonn, Freitag, den 30. September 1949. Dr. Linnert (FDP) . . . . . 250C, 253A
Müller, Kurt (KPD) 250D
Schäffer, Bundesminister f. Finanzen 251A
Dr. Bucerius (CDU) . . . . 252B, 255B
Geschäftliche Mitteilungen 205D
Euler (FDP) 253A
Schreiben der Zentrumsfraktion , betreffend Ollenhauer (SPD) 253B
Stellenanteilkartell WAV/Zentrum . . 206A Dr. Schäfer (FDP) 253B
Schreiben der Fraktionen der FDP und der Dr. von Brentano (CDU) 253D
DP, betreffend Fraktionsverbindung . . 206A Dr. Becker (FDP) . . . . . . 254B
Beschwerde des Abg. Reimann gegen einen Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . . . 255A
Ordnungsruf 206B Renner (KPD) 255C, D
Mißtrauensantrag der Fraktion der KPD
Hilbert (CDU) 256A
gegen den Bundestagspräsidenten Paul (KPD) 256A
Dr. Köhler . . . . . . . . . . . 207A Antrag Loritz betr. Aussetzung eines Ge-
Beschlußfassung über die Mitgliederzahl der richtsverfahrens gegen ihn (Drucksache
Ausschüsse und Verfahren zu ihrer Be- Nr. 49) 256B
setzung (Drucksachen Nr. 48 und 64) . . 207A Loritz (WAV) . . . . . . . . 256C
Dr. Seelos (BP) 20'7B Dr. von Brentano (CDU) . . . . 256C
Renner (KPD) 207B, 208D Beschlußfassung über die Ü berweisung von
Schoettle (SPD) . . . 207D, 208D, 209C Anträgen an Ausschüsse (Drucksachen
Gengler (CDU) 208A, 209C Nr. 13, 20 bis 24, 26, 27, 29 bis 34) . 256D
Scharnberg (CDU) 209A Nächste Sitzung 257D
Dr. Miessner (NR) . . . . . . 210C
Anträge der Fraktionen der SPD und der
KPD betr. Demontagen und Demontage- Die Sitzung wird um 11 Uhr 15 Minuten durch
verweigerer (Drucksachen Nr. 2, 6, 7 den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
und 11) 210D
Healer (SPD) 211A, 226A Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
Ich eröffne die 11. Sitzung des Deutschen Bundes--
Paul (KPD) 215C, 226D, 227D tags.
Unterbrechung der Sitzung . . 218B Zu der Ihnen vorliegenden Tagesordnung
Dr. Dr. Lehr (CDU) . . . . 218B, 224A darf ich bemerken, daß ein Versehen unterlaufen
Storch, Bundesminister für ist: hinter Punkt 10 muß noch eingefügt werden
Arbeit . . . . .. . . . 221D, 227C die Drucksache Nr. 9, Antrag der KPD-Fraktion
222B wegen Wohnungsbeschlagnahme. Er gehört sach
Dr. Richter (NR) lich zu den Punkten 9 und 10 und wird nunmehr
Tichi (WAV) 223D als Punkt 11 eingesetzt. Die jetzigen Punkte 11 und
Frau Wessel (Z) . . . . . . . 224A 12 werden zu Punkt 12 und 13.
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 226A Ferner darf ich bitten, bekanntzugeben, welche
Renner (KPD) 228A Mitglieder des Bundestags abwesend sind.
Anträge der Fraktionen der SPD und der Dr. Zawadll, Schriftführer: Abwesend
DP, betr. Groß-Berlin (Drucksachen Nr. 3, sind wegen Krankheit die Herren Abgeordneten
16 und 40) 228A Dr. Baur, Dr. Horlacher, Vesper, Kuhlemann,
Frau Schroeder (SPD) 228C wegen anderer Gründe die Herren Abgeordneten
Paschek, Bauknecht, Marx, Dr. Baumgartner, Früh-
Dr. von Merkatz (DP) 233A wald, Margulies, Gluesing, Dirscherl, Rademacher;
Dr. Tillmanns (CDU) 235A nur vormittags: Dr. Nowack, Dr. Weber II, Bazille,
Dr. Hamacher (Z) . . . . . . . 238B Neumann und Brandt.
206 D eutscher Bundestag — H. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1940

Präsident Dr. Köhler: Ich habe ferner darauf Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen.
hinzuweisen, daß die Beschlüsse der 10. Sitzung Der Bundestag entscheidet ohne Besprechung.
des Bundestags, 10/1 bis 10/9, wie üblich zur Ein- Über diese Beschwerde kann also keine Aus-
sichtnahme auf dem Tisch des Hauses ausliegen. sprache stattfinden.
Ich habe weiter Kenntnis zu geben von einem Ich verlese nunmehr den Teil der stenographi-
Schreiben der Zentrumsfraktion an den Präsiden- schen Niederschrift der 7. Sitzung, auf die sich die
ten des Bundestags, folgenden Wortlauts: Beschwerde bezieht. Es heißt dort:
Die unterzeichneten Fraktionen teilen hierdurch Die Oder-Neiße-Grenze ist die Grenze des Friedens.
mit, daß sie sich unter völliger Wahrung ihrer (Andauernde erregte Rufe: Pfui! Pfui! — Lärm. —
Selbständigkeit im übrigen nach § 7 Absatz 2 Glocke des Präsidenten. — Erregte Zurufe:
der Geschäftsordnung für die Bemessung des Abtreten! Abtreten!)
Stellenanteils zusammengetan haben. Dieses — Ich trete hier nicht ab, bis ich nicht alles gesagt
Stellenanteilkartell heißt WAV/Zentrum. Im habe!
übrigen bleiben unter dem alten Namen die (Fortgesetzter, Lärm. — Glocke des Präsidenten.)
beiden unterzeichneten Fraktionen bestehen. Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Reimann,
Für die WAV-Fraktion: gezeichnet Loritz, ich habe seit gestern — —
fr die Zentrumsfraktion: gezeichnet Dr. Reis- (Andauernde große Unruhe und Rufe: Pfui!
mann. Raus! — Abg. Strauß: Schickt ihn nach Moskau!
Es liegt ferner folgende Mitteilung der Freien Ziehen Sie die Uniform an! — Abg. Reimann:
Demokratischen und der Fraktion der Deutschen Ich werde hier nicht gehen!)
Partei vor: — Meine Damen und Herren!'
Die Fraktionen der Freien Demokratischen Par- (Andauernde große Unruhe. — Zurufe: Moskauer
tei und der Deutschen Partei teilen mit, daß sie Agent! Bezahlter Provokateur! — Abg. Reimann:
sich zu einer Fraktionsverbindung Das sind Sie! — Lärm.)
(Rufe: Aha! und Heiterkeit) (Zuruf von der KPD: Wegen des Zurufs „Agenten"
hat der Präsident keinen Ordnungsruf erteilt!)
nach § 7 Absatz 2 der vorläufigen Geschäftsord- — Herr Abgeordneter Reimann, Sie haben eben
nung zusammengetan haben. ausgesprochen, daß die Oder-Neiße-Linie die Frie-
(Abg. Renner: Die Union der Faschisten denslinie ist.
von gestern ist fertig!) (Anhaltende große Unruhe.)
Meine Damen und Herren! Es liegen dann einige Seitdem gestern hier sämtliche Parteien gesprochen
andere Eingänge vor, die vor Erledigung der Ta- haben, haben sie übereinstimmend die Oder-Neiße-
gesordnung behandelt werden müssen. Linie als die deutsche Grenzlinie abgelehnt. Das
möchte ich hier einmal feststellen.
(Zuruf rechts: Gegen den Ausdruck „Faschisten"
muß ich Einspruch erheben! „Faschismus!" ist (Händeklatschen in der Mitte und rechts.)
drüben gerufen worden! Das ist eine Es ist eine Provokation der überwältigenden Mehr-
Frechheit! — Zurufe: Sehr richtig!) heit dieses Hauses, wenn Sie derartige Ausfüh-
rungen machen. Ich rufe Sie deshalb zur Ordnung!
-- Wer hat „Faschisten" gerufen? (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte und
(Abg. Renner: Ich!) rechts. — Zurufe und Lachen bei der KPD.)
-- Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zur Ord- Das ist der Vorgang gewesen. Wie gesagt, eine
nung! Es gibt keinen Faschismus! Aussprache kann darüber nicht stattfinden.
(Große Heiterkeit und Zurufe.) Die Frage ist, wie abgestimmt werden so ll.
— Darf ich diesen Ordnungsruf erläutern: sämt- - (Abg. Bausch: Die Beschwerde ist verspätet
liche Abgeordneten dieses Hauses sind nach den eingegangen! — Widerspruch.)
Grundsätzen eines demokratischen Wahlgesetzes — Ich bitte Sie, sich einiger Absprachen im Äl
gewählt, testenrat zu erinnern, Herr Abgeordneter Bausch.
(Zurufe links) Die Frage ist also, wie abgestimmt werden soll.
und insofern ist die formelle Voraussetzung für die Es ist beantragt: Zurücknahme des Ordnungsrufes.
Anwendung dieses Ausdrucks nicht gegeben. Meines Erachtens kann so nicht beantragt werden,
(Unruhe.) sondern es muß darüber abgestimmt werden, ob
Meine Damen und Herren, darf ich fortfahren! der Ordnungsruf gerechtfertigt war oder nicht. So -
Da hier zwei weitere Eingänge vorliegen, die mich ist meine Meinung.
persönlich betreffen, darf ich den Ersten Vize- Ich darf also die Frage so stellen: Wer den in der
präsidenten, Herrn Kollegen Dr. Schmid, bitten, 7. Sitzung am 22. September dem Abgeordneten
liebenswürdigerweise die Geschäfte zu führen. Reimann wegen der angeführten Vorgänge er-
teilten Ordnungsruf für gerechtfertigt hält, der
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und Her- möge die H an d erheben..—
ren! Ich gebe Ihien Kenntnis von einem Be- (Abg. Renner: Die CDU auch?!)
schwerdeschreiben des Herrn Abgeordneten Max
Reimann vom 30. September, das lautet: Gegenprobe! — Wir werden auszählen müssen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind,
Ich lege hiermit Beschwerde ein gegen den mir noch einmal die Hand zu erheben, und die Herren
in der 7. Sitzung des Deutschen Bundestages am Schriftführer bitte ich, die Auszahlung vorzuneh-
22. September 1949 erteilten Ordnungsruf. Ich men. — Es ist ganz offensichtlich die Mehrheit, die
halte denselben für ungerechtfertigt und bean- den Ordnungsruf für gerechtfertigt hält.
trage seine Zurücknahme.
Die einschlägige Bestimmung der Geschäftsord- (Abg. Renner: Aha! Das ist Demokratie! —
nung in § 92 hat folgende Fassung: Abg. Dr. Schumacher: Das ist kein gutes
Omen für den Parlamentarismus!)
Das Mitglied kann gegen den Ordnungsruf bis
zum nächsten Sitzungstage schriftlich Einspruch Es ist so beschlossen.
erheben. Der Einspruch ist frühestens auf die (Abg. Renner: Macht geht immer vor Recht!)
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 207
(Vizepräsident Dr. Schmid)
Ich habe weiter Kenntnis zu geben von einem — Nein, ich zweifle nicht daran, daß die Herren
zweite n Antrag, einem Antrag der kommunisti- rechnen können.
schen Fraktion vom 28. September. Er lautet: (Zuruf von der CDU: Machen Sie's
Der Bundestag möge beschließen: doch nach Adam Riese!)
Der Bundestag spricht dem Bundestagspräsi Bei ihrer Verwandtschaft mit dem Großkapital
denten Dr. Erich Köhler das Mißtrauen aus. werden sie ja wohl rechnen können.
Die einschlägigen Bestimmungen der Geschäfts- (Lachen und Zurufe in der Mitte und rechts.)
ordnung sind in den §§ 119 und 120 enthalten, in Aber ich bin nicht verpflichtet, Ihre privat errech-
denen bestimmt ist, daß Fragen, bei denen es sich neten Unterlagen anzuerkennen.
um die Handhabung der Geschäftsordnung handelt,
vom Geschäftsordnungsausschuß zu prüfen sind (Zuruf rechts: Rechnen Sie doch selber nach!)
und daß dieser entsprechende Anträge zu stellen — Nein, das habe ich nicht nötig, das zu errechnen.
hat. Ich kann verlangen, daß hier eine amtliche Unter
Ich glaube, daß ,sich eine Aussprache erübrigt. lage vorgelegt wird.
Das Haus ist offenbar derselben Auffassung. Ich (Erneute Zurufe.)
lasse daher abstimmen. — Ich bitte Sie, bei dieser Sache doch ein bißchen
Wer dafür ist, daß dieser Antrag dem Geschäfts- ernst zu bleiben!
ordnungsausschuß überwiesen wird, den bitte ich, Ich stelle den Antrag, daß, ehe wir in der Be-
die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Einstim- handlung dieser Frage fortfahren, von Amts wegen
mig angenommen. Der Antrag ist dem Geschäfts- durch das zuständige Organ der Bundesregierung
ordnungsausschuß überwiesen. festgelegt wird, wie die Sitze verteilt werden.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- (Lebhafter Beifall bei der KPD und der BP.)
ren, wir treten dann in die Tagesordnung ein. Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her-
Punkt 1: ren, Sie haben den Antrag des Herrn Abgeord-
Beschlußfassung über die Mitgliederzahl der neten Renner gehört, wonach die rechnerische
Ausschüsse und Verfahren zu ihrer Besetzung. Grundlage für die Besetzung der Ausschüsse nach
Wir kommen nach den Ergebnissen der gestrigen dem d'Hondtschen System durch eine bundesamt-
Sitzung zu Drucksache Nr. 48. liche Stelle, in diesem Falle bei der Bundesregie-
(Abg. Dr. Seelos: Zur Geschäftsordnung!) rung, ermittelt werden soll. Ich stelle diesen An-
Dazu liegt ein Abänderungsantrag der Bayern trag zunächst zur Aussprache. Wird das Wort dazu
partei vor, betreffend 15er-Ausschüsse, der lautet: gewünscht?
(Abg. Schoettle: Ich bitte ums Wort!)
Der Bundestag wolle beschließen:
Die vier 15er-Ausschüsse in der Reihenfolge der — Bitte, Herr Abgeordneter Schoettle!
Drucksache 48 werden in 21er-Ausschüsse um- (Abg. Schoettle: Ich glaube, ich kann vom
gewandelt. Platz aus sprechen! — Widerspruch.)
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Ab- — Kommen Sie hier herauf, bitte! Wir wollen das
geordnete Dr. Seelos. doch nicht wie in Frankfurt machen.

Dr. Seelos (BP) : Durch den Zusammenschluß Schoettle (SPD): In der Sache hat der Herr Ab-
der DP mit der FDP für die Verteilung der Sitze geordnete Renner vollkommen recht.
in den Ausschüssen hat sich jetzt wiederum eine (Zustimmung in der Mitte.)
neue Situation ergeben. Wir haben das erst jetzt Die Methode ist aber, glaube ich, nicht anwendbar.
erfahren, es ist uns vorher nicht mitgeteilt worden. Das Parlament kann nicht der Regierung einen
Ich darf daher das Präsidium bitten, uns mitzu- Auftrag geben, seine eigenen Angelegenheiten zu
teilen, wie sich jetzt die Sitze auf diese Arbeitsge- regeln.
meinschaften und Fraktionen verteilen bei den (Sehr richtig!)
27er-, 21er-, 15er- und 7er-Ausschüssen. Erst dann Das ist Sache des Präsidiums, und ich meine, im
können wir irgendwie dazu Stellung nehmen Präsidium muß es genügend objektive Leute geben,
die eine saubere Ausrechnung vornehmen. -
Präsident Dr. Köhler: Ich muß Ihnen darauf er- (Sehr richtig!)
widern, Herr Abgeordneter Dr. Seelos, daß mir
irgendwelche Mitteilungen darüber aus dem Hause Ich beantrage deshalb, daß das Präsidium be-
nicht vorliegen. auftragt wird, so schnell wie möglich einen Schlüs-
sel auszuarbeiten.
(Abg. Renner: Ich bitte ums Wort zur (Abg. Renner: Damit bin ich einverstanden!
Geschäftsordnung!) Ich korrigiere meinen Antrag in diesem Sinne!)
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter
Renner, bitte! Präsident Dr. Köhler: Dann darf ich Ihren ersten
Antrag als zurückgezogen ansehen und den Antrag
Renner (KPD): Meine Damen und Herren! Auf des Herrn Abgeordneten Schoettle als denjenigen
keinen Fall dürfte es möglich sein, die Ver- betrachten, der wohl die allgemeine Zustimmung
teilung der Sitze nach d'Hondt vorzunehmen auf des Hauses findet. Er geht dahin, daß das Präsi
Grund privater Errechnungen, die von Ihnen, in dium beauftragt wird, diese Berechnung durch ge-
diesem Falle den siegenden Parteien, vorgenom- eignete Persönlichkeiten vornehmen zu lassen.
men worden sind. Ich beantrage, daß die Berech- Stimmt es so, Herr Abgeordneter Schoettle?
nung. der Sitze nach d'Hondt einem Büro der (Abg. Schoettle: Ja!)
Bundesregierung übertragen wird. Ist das Haus damit einverstanden?
(Zurufe rechts.) (Zustimmung)
Ong ' Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den SO. September 1949
(Präsident Dr. Söhler)
- Dann darf ich die Aussprache über diesen Zwi- Herr Abgeordneter Renner, Sie wollten zur
schenantrag als erledigt ansehen, oder wollten Sie Frage der Abstimmung wegen der 21er-Ausschüsse
noch dazu sprechen, Herr Abgeordneter Gengler? — sprechen?
Bitte sehr! (Abg. Renner: Nein, nachdem jetzt festgestellt
ist, daß unter II die Frage gestellt werden
Gengler (CDU): Ich halte es für selbstverständ- kann, verzichte ich im Augenblick auf das Wort!)
lich, daß die Ausrechnung der Verteilung der Sitze Als Abänderungsantrag zur Gruppe der 21er-
auf die einzelnen Fraktionen unabhängig von Ausschüsse liegt der Antrag der Bayernpartei vor,
einem Errechnungsergebnis hier geschieht. Wir dahingehend, die vier 15er-Ausschüsse in 21er-Aus-
haben lediglich über den Umfang der Ausschüsse schüsse umzuwandeln. Das müßten wir an dieser
zu bestimmen, das heißt darüber, wie stark der Stelle entscheiden, ehe wir in die Gesamtabstim-
Einzelausschuß sein soll. Dementsprechend ist dann mung über die 21er-Ausschüsse eintreten können.
das Rechenexempel nach dem Beschluß von gestern
ganz einfach. (Abg. Gengler: Nein, ich beantrage, Herr
Präsident, daß wir zunächst über die Auf
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- Stellung der 21er-Ausschüsse abstimmen
ren, ich habe vorhin ohne Widerspruch die Fest- und uns erst dann entscheiden, was mit
stellung getroffen, daß das Haus damit einver- den 15er-Ausschüssen geschieht!)
standen ist, daß die letzte Berechnung, wenn ich — Bitte sehr. Ich folge dieser Anregung. Wer für
sie so nennen darf, durch das Präsidium erfolgen die Gruppe der 21er-Ausschüsse in der vorliegen-
soll. den Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu er-
(Zurufe: Jawohl!) heben. — Das ist zweifelsfrei die Mehrheit.
Soll nun Ihre Anregung im Widerspruch zu. der
von mir getroffenen Feststellung stehen? Wir kommen nunmehr zur Gruppe der 15er-Aus-
schüsse. Da haben wir zunächst abzustimmen über
(Zurufe: Nein!) den Abänderungsantrag der Bayernpartei: die vier
— Gut! Dann stelle ich noch einmal fest: die end- als 15er-Ausschüsse vorgesehenen Ausschüsse in
gültige Berechnung erfolgt durch das Präsidium. 21er-Ausschüsse umzuwandeln. Wer für diesen
(Zuruf: Nach dem System d'Hondt!) Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu
— Nach dem System d'Hondt; darüber besteht kein erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. —
Zweifel. Der Antrag ist zweifelsfrei abgelehnt.
Wir kommen nun noch einmal auf den Abände- Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die
rungsantrag der Bayernpartei zurück. hier in der Drucksache vorgesehene Gruppe der
(Abg. Dr. Seelos: Herr Präsident, der ist 15er-Ausschüsse.
erledigt! Denn wenn wir die Berechnung (Zuruf links: 7er-Ausschüsse!)
nicht kennen, fallen wir unter Umständen — Nein, entschuldigen Sie bitte: 15er-Ausschüsse!
auch bei den 21er-Ausschüssen heraus! Ich Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand
kann doch jetzt nicht dazu Stellung nehmen!) zu erheben. — Das ist zweifelsfrei die Mehrheit;
— Schön! demnach so beschlossen.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir Wir kommen zur Gruppe der drei 7er-Aus-
zur Abstimmung über die Drucksache Nr. 48, und schüsse. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu
zwar in folgender Reihenfolge, die auf verhaltnis- erheben. — Ebenfalls mit eindeutiger Mehrheit
mäßig weitgehender interfraktioneller Überein- angenommen.
stimmung beruht. Wir wollen zunachst über I ab-
stimmen: Nun kommen wir zu II, und zwar zur Einzel-
abstimmung.
Die vom Bundestag eingesetzten Ausschüsse
werden in folgender Stärke gebildet. (Abg. Schoettle: Herr Präsident,
Jetzt muß ich aber konsequenterweise, Herr Abge- ich bitte ums Wort!)
ordneter Dr. Seelos, sehr wahrscheinlich zunächst Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.
über Ihren Abänderungsantrag abstimmen lassen,
wenn es einen Sinn haben soll. Schoettle (SPD): Meine Damen und Herren,
-
(Abg. Renner: Herr Präsident, ich bitte, ich beantrage namens meiner Fraktion, die unter II
Gesamtabstimmung herbeizuführen, weil aufgeführten Ausschüsse zum Schutze der Ver-
ich zu dem ersten Absatz wegen der 27er- fassung, für Arbeit, für Sozialpolitik, für Heimat-
Ausschüsse auch noch Abänderungsanträge vertriebene sowie für, Rechtswesen und Ver-
habe!) fassungsrecht in 27er-Ausschüsse zu verwandeln.
Das Haus ist damit einverstanden, daß wir ab-
stimmen nach 27er-, 21er-, 15er- und 7er-Aus- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
schüssen. Es wird allerdings durch den Abände- Abgeordnete Renner und dann der Herr Abge-
rungsantrag der Bayernpartei eine gewisse Schwie- ordnete Scharnberg.
rigkeit geben. Wer also für die unter Ziffer I unter
Gruppe 27er-Ausschüsse vorgesehenen Ausschüsse Renner (KPD): Meine Damen und Herren, ich
mit der Besetzung von 27 Mitgliedern ist, den bitte bitte, darüber hinaus beschließen zu wollen, daß
ich, die Hand zu erheben. — Danke. Das ist ein- der Ausschuß für Fragen der Kriegsopferversor-
deutig die Mehrheit. Damit 'sind die 27er-Aus- gung und für Kriegsgefangenenfragen von 21 auf
schüsse angenommen. 27 erweitert wird.
Jetzt kommen wir zu den 21er-Ausschüssen. (Zuruf: Das ist doch schon erledigt!)
(Abg.Renner: Ich bitte ums Wort zur Abstimmung!— — Nein, das ist eben nicht erledigt, 'weil ich vorher
Abg. Schoettle: Unter Ziffer II ist noch eine schon einmal mit Billigung des Herrn Präsidenten
Frage offen! Rückseite des Antrags Nr. 48!) erklärt habe, daß ich diesen Antrag insgesamt zu II
— Das kommt nachher. stellen darf.
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 209
(Renner)
Ich habe den Herrn Präsidenten schon darauf daß die gesamten unter Ziffer II genannten fünf
hingewiesen, daß wir durch seine Abstimmungs- Ausschüsse — —
methode in eine gewisse Kollision geraten werden. (Zuruf in der Mitte: Einzelabstimmung!)
Der Herr Präsident hat mir konzediert, daß ich — Verzeihung, das geht nicht; es liegt ein Gesamt-
unter II den Antrag stellen kann. antrag vor, und es liegen Einzelanträge vor, und
(Zurufe.) danach muß verfahren werden. Der Antrag bezüg-
— Machen Sie doch keine Schwierigkeiten, oder ist lich der Gesamtheit der unter Ziffer II stehenden
Ihnen das Problem der Kriegsopferversorgung so Ausschüsse ist der weitergehende.
wenig wert? (Abg. Schoettle: Ich bitte ums Wort
(Lebhafte Zurufe in der Mitte und rechts: Nein!) zur Abstimmung!)
— Dann machen Sie doch keine Ihnen später ein- — Bitte, Herr Abgeordneter Schoettle zur Ab-
mal politisch sehr unliebsam werdenden Zwischen- stimmung!
rufe!
Ich beantrage also, den Ausschuß für Kriegs- Schoettle (SPD): Ich bitte, meinen Antrag
opfer- und Kriegsgefangenenfragen von 21 auf 27 nicht so verstehen zu wollen, daß ich eine En-bloc-
Mitglieder zu erweitern. Abstimmung über die ganze Gruppe verlangt habe.
Ich habe nur zweckmäßigkeitshalber alle Aus-
Darüber hinaus beantrage ich, die Mitglieder- schüsse aufgeführt, von denen wir wünschen, daß'
zahl des Ausschusses für Wiederaufbau und Woh- sie 27er-Ausschüsse werden. Sie können darüber
nungswesen von 21 auf 27 und die des Ausschusses einzeln abstimmen lassen.
für das Besatzungsstatut und auswärtige An-
gelegenheiten sowie des Ausschusses für gesamt- Präsident Dr. Köhler: Ich danke. Das ver-
deutsche Fragen von 21 auf 27 heraufzusetzen. einfacht das Verfahren in dieser Situation.
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Ab-
Präsident Dr. Köhler: Ich muß Herrn Abgeord- geordnete Gengler.
neten Renner bestätigen, daß er bei der Abstim-
mung über die Gruppe der 21er-Ausschüsse keine Gengler (CDU): Ich möchte den Herrn Präsiden-
Gelegenheit gehabt hat, dazu zu sprechen. ten bitten, zunächst über den Antrag des Herrn Ab-
Das Wort hat Herr Abgeordneter Scharnberg. geordneten Schoettle abstimmen zu lassen, und
zwar in der Form, daß über die ersten drei Aus-
Scharnberg (CDU): Wir halten es nicht für tun- schüsse getrennt abgestimmt wird, wofür ja der
lich, dem Antrag der Kommunistischen Partei statt- Gegenantrag vorliegt,
zugeben, und beantragen daher, daß es hinsicht- (Widerspruch links)
lich der vier eben genannten Ausschüsse dabei
verbleibt, daß diese Ausschüsse 21er-Ausschüsse und dann über die anderen zwei Ausschüsse.
sind.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und
(Zuruf in der Mitte: Ist bereits beschlossen!) Herren, ich bin im Gegensatz zu Herrn Abgeord-
Wir beantragen, von den Ausschüssen, die unter neten Gengler der Meinung: Nachdem nun klar-
Ziffer II erwähnt sind — das sind die strittigen gestellt ist, daß wir über alle Ausschüsse im ein-
Ausschüsse —, die ersten drei: Ausschuß zum zelnen abstimmen können, werden wir das auch
Schutze der Verfassung, Ausschuß für Arbeit und tun; das ist die einfachste Methode. Es liegen je-
Ausschuß für Sozialpolitik, als 21er-Ausschüsse zu weils Anträge über 27er- oder 21er-Ausschüsse vor.
errichten und den Ausschuß für Heimatvertriebene
sowie den Ausschuß für Rechtswesen und Ver- (Zuruf: Die ersten drei!)
fassungsrecht als 27er-Ausschuß einzusetzen. Wir wollen es nicht so schwer machen. Wir stim-
men jetzt im einzelnen ab.
Präsident Dr. Köhler: Wird weiter das Wort Ich rufe zunächst den weitergehenden An-
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe trag zur Abstimmung auf. Wer dafür ist,
ich die Aussprache über Ziffer II und stelle fest, daß der Ausschuß zum Schutze der Verfassung als
daß folgende Anträge in nachstehender Reihen- 27er-Ausschuß eingesetzt wird, den bitte ich, die
folge vorliegen: erstens der Antrag der SPD, sämt- Hand zu erheben. — Meine Damen und Herren, -
liche unter Ziffer II genannten Ausschüsse zu 27er- ich glaube, wir müssen auszählen. Bitte, wollen die
Ausschüssen zu machen, ferner der Antrag der Herren Schriftführer auszählen! — Ich bitte um die
KPD, unter den 21er-Ausschüssen den Ausschuß Gegenprobe. — Ich bitte auszuzählen. —
für das Besatzungsstatut und auswärtige An-
gelegenheiten sowie den Ausschuß für Wiederauf- Meine Damen und Herren! Das Abstimmungs-
bau und Wohnungswesen und den Ausschuß für ergebnis ist folgendes: für den Antrag auf Ein-
Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen zu 27er- setzung eines 27er-Ausschusses 160 Stimmen, da-
Ausschüssen zu machen. gegen 201 Stimmen. Dann darf ich wohl das Ein-
verständnis des Hauses damit annehmen, daß
(Abg. Renner: Und den Ausschuß für gesamt gleichzeitig der Antrag dieses Ausschusses bezüg-
deutsche Fragen!) lich der Festsetzung der Zahl auf 21 Mitglieder als
— Und den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen. angenommen gilt. Oder wünscht das Haus noch
Dann folgt der Antrag der CDU, die ersten drei eine besondere Abstimmung darüber?
unter Ziffer II genannten Ausschüsse: Ausschuß
zum Schutze der Verfassung, Ausschuß für Arbeit (Zurufe: Nein!)
und Ausschuß für Sozialpolitik als 21er-Ausschüsse — Ich stelle das Einverständnis des Hauses fest
zu errichten und den Ausschuß für Heimatvertrie- und stelle weiter fest, daß damit der Ausschuß zum
bene, den Ausschuß für Rechtswesen und Ver- Schutz der Verfassung 21 Mitglieder hat.
fassungsrecht als 27er-Ausschüsse einzusetzen. Wir kommen zum Ausschuß für Arbeit. Wer da-
Wir beginnen mit der Abstimmung in der eben für ist, daß dieser Auschuß aus 27 Mitgliedern be-
von mir vorgesehenen Reihenfolge. Wer dafür ist, steht, den bitte ich, die H and zu erheben. — Ich
210 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Präsident Dr. Köhler)
glaube, das ist dasselbe Abstimmungsverhältnis.
Nein!
(Zurufe: Das gleiche!)
Dann bitte ich um die Gegenprobe. — Ich darf nach
— -- Der Herr Abgeordnete Renner war als Antrag-
steller damit einverstanden.
(Abg. Schoettle: Sein Schade!)
Dann können wir in der Abstimmung fortfahren.
dem Ergebnis von vorhin feststellen, daß auch Wer für den Antrag Renner ist, wie ich ihn eben
dieser Antrag abgelehnt ist und der Ausschuß für verlesen habe, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Arbeit demnach aus 21 Mitgliedern besteht. Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist
Wir kommen zur Abstimmung über den Aus- mit zweifelsfreier Mehrheit abgelehnt.
schuß für Sozialpolitik mit 27 Mitgliedern. Wer da- Damit kommen wir zu Ziffer III der Drucksache
für ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das Nr. 48. Es handelt sich um den Ausschuß zur Wah-
ist dieselbe Stimmenverteilung wie soeben, rung der Rechte der Volksvertretung. Dazu ist
(Widerspruch.) eine Anmerkung gemacht:
— Ich bitte doch auszuzählen. — Darf ich zur Ver- Bei dem unter III genannten Ausschuß ist eine
einfachung der Technik des Auszählens bitten, da, Mitgliederzahl von 27 vorgesehen. Die dann
wo der Schriftführer gezählt hat, die Hand her- nicht berücksichtigten Fraktionen und die Grup-
unterzunehmen. pen, die keine Fraktionsstärke haben, sollen mit
beratender Stimme teilnehmen können.
(Abg. Schoettle: Dann muß er es auch sagen!)
Das Wort wird dazu nicht gewünscht.
Die Herren Schriftführer sind sich nicht einig.
Ich bitte, die Abstimmung noch einmal vorzu- (Abg. Dr. Miessner: Doch!)
nehmen. Wer für den Ausschuß für Sozialpolitik — Zu diesem Punkt?
mit 27 Mitgliedern ist, den bitte ich, die Hand zu (Abg. Dr. Miessner: Direkt anschließend vielleicht!—
erheben. Zuruf von der CDU: Wir sind in der Abstimmung!)
(Zurufe.) — Wir sind in der Abstimmung.
— Wenn Sie gern aufstehen wollen, ist das viel- (Abg. Dr. Miessner: Ich habe mich ja gemeldet!
leicht eine Erleichterung. Ich habe den Antrag vorher dem Herrn
(Widerspruch.) Schriftfhrer bekanntgegeben! — Zuruf von
der CDU: Wir sind in der Abstimmung!)
— Dann bitte ich sitzenzubleiben. — Wer dagegen
ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich — Bezieht sich Ihr Antrag auf Ziffer III?
bitte um Auszählung. — (Abg. Dr. Miessner: Ja!)
(Zurufe: Offensichtlich die Mehrheit!) — Gut! Wenn die Wortmeldung hier rechtzeitig
eingegangen ist, trage ich ihr auch Rechnung.
Meine Damen und Herren, das Abstimmungs- Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Miessner!
ergebnis ist folgendes. Für den Antrag — Aus-
schuß für Sozialpolitik mit 27 Mitgliedern — 175, Dr. Miessner (NR): Ich habe gestern namens
dagegen 184 Stimmen. Der Antrag ist also ab- der Gruppe Nationale Rechte angekündigt, heute
gelehnt. Der Ausschuß für Sozialpolitik besteht aus einen Antrag dahingehend zu stellen, daß neben
21 Mitgliedern. den bei den Ausschüssen nicht berücksichtigten
Wir kommen dann voraussichtlich zu einer Ver- Fraktionen auch die Gruppen, die keine Fraktions-
einfachung der Abstimmung bei den beiden stärke haben, mit beratender Stimme teilnehmen
nächsten Ausschüssen, Ausschuß für Heimatver- können. Wir halten an dieser Auffassung im Inter-
triebene und Ausschuß für Rechtswesen und Ver- esse einer wirklich gemeinsamen parlamentarischen
fassungsrecht. Da liegen übereinstimmende An- Arbeit hier im Hause unbedingt fest. Wir ver-
träge sowohl von seiten der SPD wie von seiten zichten aber heute auf einen entsprechenden An-
der CDU über je 27 Mitglieder vor. Ist das Haus trag und behalten uns vor, in einigen Tagen
damit einverstanden, daß ich unter diesen Um- darauf zurückzukommen.
ständen über beide Ausschüsse gleich gemeinsam Präsident Dr. Köhler: Das Wort wird nicht
abstimmen lasse? weiter gewünscht. Wir kommen nunmehr zur
(Zustimmung.) Abstimmung über Ziffer III der Drucksache Nr. 48
Ich höre keinen Widerspruch. Wer dafür ist, daß mit der aus Absatz 3 der Begründung hervor-
die Ausschüsse für Heimatvertriebene einerseits gehenden Erläuterung, daß dieser Ausschuß aus -27
und für Rechtswesen und Verfassungsrecht Mitgliedern bestehen soll und die dann nicht be-
andererseits 27er-Ausschüsse sein sollen, den bitte rücksichtigten Fraktionen und Gruppen, die keine
ich, die Hand zu erheben. — Danke, das ist zwei- Fraktionsstärke haben, mit beratender Stimme da-
felsfrei die Mehrheit, sogar Einstimmigkeit. Damit ran teilnehmen können. Wer dafür ist, den bitte
ist Ziffer II erledigt. ich, die Hand zu erheben. — Das ist zweifelsfrei
Jetzt kommt noch der Antrag Renner. Sind Sie die Mehrheit.
damit einverstanden, Herr Abgeordneter Renner, Damit haben wir die Drucksache Nr. 48 und den
daß ich gleichzeitig über alle vier Ausschüsse ab- ersten Punkt unserer Tagesordnung erledigt.
stimmen lasse? Meine Damen und Herren! Wir kommen dann
(Abg. Renner: Ich habe nichts dagegen!) zu den Punkten 2 bis 5 der Tagesordnung:
Wir stimmen also über den Antrag Renner ab, Antrag der Fraktion der SPD, betreffend De
der dahin lautet, daß die bisher als einzige 21er- montagen (Drucksache Nr. 2);
Ausschüsse geltenden Ausschüsse — nämlich a) für Antrag der Fraktion der KPD, betreffend so-
Besatzungsstatut, b) für gesamtdeutsche Fragen, fortige Einstellung der Demontagen (Druck-
c) für Wiederaufbau und Wohnungswesen und d) sache Nr. 6);
für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen — Antrag der Fraktion der KPD, betreffend De-
in 27er-Ausschüsse umgewandelt werden. montageverweigerer (Drucksache Nr. 7);
(Abg. Schoettle: Herr Präsident, ich glaube, Antrag der Fraktion der KPD, betreffend Am-
wir müssen über diese Ausschüsse einzeln nestierung verurteilter deutscher Demontage-
abstimmen!) verweigerer (Drucksache Nr. 11).
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 211
(Präsident Dr. Köhler)
Wir haben im Ältestenrat vereinbart, in der Aus- Lösung der anderweitigen Vorsorge für die be-
sprache die Punkte 2, 3, 4 und 5 gemeinsam zu be- troffenen Belegschaften finden.
handeln, und zwar dergestalt, daß zunächst vom (Sehr wahr!)
Antragsteller zu Punkt 2 gesprochen wird und daß
der Antragsteller zu den Punkten 3, 4 und 5 ge- Dagegen können die Auswirkungen dort geradezu
meinsam spricht. Ich bitte, davon Kenntnis zu katastrophal werden, wo das der Demontage aus-
nehmen. Die Höchstdauer der Aussprache ist für gelieferte Werk eine zentrale Bedeutung als Ar-
das Kapitel Demontage, Punkte 2 bis 5 der Tages- beitsstätte hatte. Ich will nur einige Beispiele an-
ordnung, auf eine halbe Stunde festgesetzt. geben. Der Stadtteil Hamborn ist mit der Thyssen-
Ich bitte nunmehr den Antragsteller zu Druck- Hütte in seiner wirtschaft lichen Entwicklung auf
sache Nr. 2, das Wort zu ergreifen. Herr Abgeord- Gedeih und Verderb verbunden.
neter Henßler! (Sehr richtig! bei der SPD.)
Ich verweise auf Hattingen und Bergkamen, relativ
Henßler (SPD): Meine Damen und Herren! kleine Orte, in denen das zur Demontage stehende
Die sozialdemokratische Fraktion hatte den Wunsch, Werk d i e Beschäftigungsstätte für einen großen
daß dieser Antrag im Bundestag zum frühest- Teil der Bevölkerung war. Ebenso ist es in Nieder-
möglichen Termin behandelt wird. Sie glaubte scheiden der Fall und in ganz besonderem Maße in
diesen Wunsch äußern zu können, weil es der Watenstedt-Salzgitter.
aktuellen. Situation wie auch der Bedeutung des
Problems an sich entspricht. Wir sind auch der (Erneute Zustimmung bei der SPD.)
Meinung, daß sehr früh der vielfach im Ausland Da gibt es für die betroffene Belegschaft keine an-
geäußerte Eindruck zerstört werden muß, als ob die dere Arbeitsmöglichkeit, nicht einmal in berufs-
Hervorhebung der Demontage bisher nur mehr fremden Industrien.
oder weniger auf wahlpropagandistischen Motiven
beruhe. In diesem Zusammenhang möchte ich besonders
die sozialwirtschaftliche Bedeutung der Fischer-
Wir sehen in dem Demontageproblem eine Frage Tropsch- und Bergius-Anlagen erwähnen, weil
von schicksalhafter Bedeutung, diese Unternehmen in großem Umfange nicht mehr
(Sehr richtig! bei der SPD) voll erwerbsfähige Arbeitskräfte und Frauen be-
insbesondere für die künftige wirtschaftliche Ent- schäftigen konnten. Diese Betriebe sind nicht nur
wicklung. Wir wehren uns dagegen, daß man es deshalb von großer Bedeutung, weil sie durch Ver-
irgendwie in seiner Bedeutung herabzusetzen ver- wendung qualitätsschwacher Kohlen die Wirt-
sucht. Wir sehen auch einen solchen Versuch der schaftlichkeit des Bergbaues erleichtern und weil
Abschwächung und der Ablenkung in Ä ußerungen, sie durch ihre Produktion in der Einfuhr eine Ent-
die kürzlich von einer hohen englischen Persön- lastung bringen und damit eine devisensparende
lichkeit gemacht Wurden: 1. daß die Demontage Produktion darstellen; sie sind auch, vom Arbeits-
' außer in einem örtlich und zeitlich begrenzten marktstandpunkt aus gesehen, für das schwer-
Raume nicht die Ursache für die Arbeitslosigkeit industrielle Gebiet mit seinem hohen Verschleiß an
sei, 2. daß das Motiv zur Demontage kein Motiv Arbeitskraft wegen der Aufnahme solcher Arbeits-
der Konkurrenzbehinderung sei, und 3. daß diese kräfte, die im Bergbau und in den Hüttenwerken
Proteste nur den Verdacht erweckten, daß der nicht mehr oder überhaupt nicht verwendungsfähig
Nationalismus wiederau flebe. Wir müssen in sol- sind, ein dringend notwendiger Ausgleich. Die Sti ll
chen an sich zum Teil sehr anfechtbaren Fest- -legundisrBtbgaußeordntlich
stellungen den Versuch einer Bagatellisierung er- soziale Härten mit sich, die noch durch den Um-
blicken, dem wir widersprechen müssen. Ehe ich stand gesteigert werden, daß die Gemeinden, denen
aber darüber Ausführungen mache, will ich einige ein großer Teil der Betreuung der Opfer der De-
kurze Bemerkungen zu diesen Feststellungen selbst montagen zufällt, selbst durch den Ausfall an
machen. Steuerkraft geschwächt werden.
Es kann in der Tat unbestritten bleiben, daß man, Meine Damen und Herren, ich will zur Veran-
örtliche Erscheinungen ausgenommen, die gegen- schaulichung nur zwei kleine Beispiele geben. Mir ist
wärtige Arbeitslosigkeit nicht der Demontage- mitgeteilt worden. daß von der 3000 Mann starken
politik zur Last legen kann. Aber auch die örtlichen Belegschaft der Gelsenberg-Anlage rund 500 solche
Einzelfälle schaffen harte soziale Notstände. Und Arbeitskräfte sind, die als nicht mehr voll einsatz-
ganz fehl geht die Vertröstung, daß diese Not- fähig betrachtet werden müssen. Besonders tragisch
stände z eitlich begrenzt sein werden. Nichts liegt der Fall bei der ca. 7000 Einwohner zählenden
spricht für die Richtigkeit dieser Voraussage; aber Industriegemeinde Bergkamen, die ebenfalls Sitz
alle Erfahrung spricht dafür, daß selbst im günstig- eines solchen Hydrierwerks ist. Diese Gemeinde
sten Falle viele aus den betroffenen Belegschaften ist in außerordentlichem Maße von Schicksals-
auf der Strecke bleiben werden. schlägen heimgesucht worden. Zu den Opfern des
Krieges kamen die zahlreichen Opfer bei der Bom-
(Sehr richtig! bei der SPD.) bardierung des Werkes, und dazu kamen noch 500
Es werden in erster Linie die älteren Arbeits- Todesopfer, die zwei Grubenkatastrophen gefordert
kräfte sein, und es werden diejenigen sein, die für haben. In dieser Gemeinde gibt es fast kein Haus,
andere Arbeiten nicht mehr voll einsatzfähig sind. in dem nicht eine Familie wohnt, in der die Frau
Die anderweitige Arbeitsbeschaffung wird gegen- der Ernährer sein muß. In diesem Werk, das mit
wärtig durch die Beschränkung der Freizügigkeit, Einverständnis oder jedenfalls mit Duldung der
die eine Folge des Trümmerzustandes und der da- Engländer wieder aufgebaut wurde, konnten jetzt
durch hervorgerufenen Wohnungsnot ist, außer- bereits ungefähr 300 Frauen Arbeit finden. Diese
ordentlich erschwert. Aber selbst dort, wo eine Zahl ließe sich noch steigern.
solche Demontage in einem Bezirk erfolgt, in dem Diese Tatsachen gestatten bestimmt nicht eine
innerhalb eines engeren Gebietes andere, zum Bagatellisierung der sozialen Nöte als Folgen der
Teil gleichartige Industrien gewisse Ausgleichs- Demontagen, weil es sich „nur" um örtliche Er-
möglichkeiten geben, läßt sich keine vollständige scheinungen handelt.
212 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Henßler)
Meine Damen und Herren, ich wiederhole. aber: In diesem Zusammenhang, meine Damen und
die Betrachtung der Demontagen nur unter den Herren, ein Wort zum Thema Konkurrenzbehinde-
eben erwähnten sozialen Gesichtspunkten wird der rung! Das Abstreiten dieses Gedankens ist keine
vollen Bedeutung der Demontagen überhaupt nicht Widerlegung, daß nicht doch starke Kräfte, die bei
gerecht. Es geht bei diesen Demontagen im Kern der Demontage bestimmend mitwirken, sich von
um die Frage, ob dem deutschen Volk eine aus- solchen Absichten leiten lassen.
reichende Wirtschaftsbasis bleibt. (Sehr richtig!)
(Sehr richtig!) Ich glaube aber, daß wir es uns ersparen können,
Es geht darum, daß in der angestrebten europä- über Motive zu sprechen. Die Tatsache n
ischen Neuordnung das deutsche Volk als gleich- sprechen eine eindeutige Sprache, daß Konkurrenz-
berechtigter Partner seinen Platz finden muß. behinderung vorliegt. Es gibt Fälle, in denen die
angeordneten Teildemontagen wahrlich nicht anders
(Sehr richtig!) zu sein brauchten, als sie angeordnet wurden, wenn
Die Demontagen haben aber die Bedeutung und dabei die geradezu satanische Absicht der Konkur-
den Zweck, eine dauernde ausnahmerechtliche Be- renzerschwerung mitgesprochen hätte.
handlung des deutschen Volkes festzulegen. Der organische Produktionsvorgang wird ge-
(Sehr wahr!) stört, indem wichtige Glieder einer Produktions-
kette einfach herausgerissen werden. Die Folge
Und es geht darum, auch für das deutsche Volk die davon ist, daß erhöhte Transportleistungen er-
produktionstechnischen Voraussetzungen zu er- forderlich sind, daß wesentlich höhere Brennstoff-
halten bzw. zu schaffen, damit es mit dem Aus- mengen notwendig sind und daß dementsprechend
lauf des Marshallplans im Jahre 1952 die Möglich- auch ein größerer Arbeitsaufwand entsteht. Diese
keit besitzt, sich aus eigener Kraft zu erhalten und Teildemontagen haben eine Wirkung, daß man
sein Einfuhrbedürfnis zu befriedigen. Heute sind davon sprechen könnte, das Verbliebene bleibt,
wir von diesem Ziel noch weit, sehr weit entfernt. wirtschaftlich gesehen, fast ohne jeden Effekt.
Ich habe den Eindruck, daß das auch Deutschen Bei der Verkündung des Demontageplans war
noch gesagt werden muß, selbst Mitgliedern dieses damals der Reparationsgedanke in den Vorder-
Hauses. grund gestellt worden. Damit versuchte man auch
Wir haben in der Debatte zur Regierungserklä- einUbrstmugideMarshlpn
rung eine Stimme gehört, die unter absoluter Ent- durch die Feststellung herbeizuführen, daß die für
stellung der englischen Situation prahlend erklärte: Deutschland überflüssig gewordenen Industrie-
Wir haben geschafft, wir haben gearbeitet und ha- kapazitäten anderen Ländern gegeben werden sol-
ben für uns selbst gesorgt. Ich habe den Eindruck, len, um sie im Sinne des Marshallplans früher zur
daß dieses Mitglied der CDU nicht einmal die Nutzung kommen zu lassen, als wenn diese Kapa-
Düsseldorfer Leitsätze der CDU bis zum Ende ge- zität in Deutschland verbliebe. Ich will unerörtert
lesen hat; lassen, ob und in wie vielen Fällen die Demontage
(Beifall links) diese Voraussetzungen erfüllte. Sicher sind es
denn sonst würde es am Ende der Düsseldorfer Seltenheitsfälle. Auf die zur Zeit strittigen Demon-
Leitsätze gefunden haben, daß davon 'gesprochen tagefälle trifft diese Argumentation jedenfalls
wird, daß der Einfuhrbedarf des deutschen Volkes nicht zu.
rund 9 Millarden D-Mark ausmacht. Wenn es Die jetzigen Demontagen stehen in hartem
diese Zahl mit der am Anfang genannten Zahl, daß Widerspruch zu den Prinzipien des Marshallplan.
man in diesem Jahr auf eine Ausfuhr von 1,2 Mil- Der Marshallplan fordert Aufbauförderung unter
liarden Dollar rechnen kann, vergleicht, dann voller Auswertung der industriellen Kapazität auch
könnte es sich leicht ausrechnen, daß wir durch Westdeutschlands. Insbesondere fordert er auch
eigene Kraft heute noch nicht die Hälfte der Ein- eine Steigerung der Rohstahlerzeugung, und im
fuhr erarbeiten, die wir notwendig brauchen. Sinne dieses Plans hätte das modernste Hütten-
werk, zugleich mit dem günstigsten Standort, so
Wenn wir einen Blick in die frühere Statistik früh wie möglich in Betrieb genommen werden
unseres Außenhandels werfen, dann finden wir müssen: die Thyssen-Hütte. Dieses Werk aber ist
eine überragende Bedeutung unserer Eisen- und auf die Demontageliste gesetzt worden. Unser Ein-
Stahlindustrie in Verbindung mit der diesbezüg- druck ist, es ist deshalb auf die Demontageliste ge-
lichen verarbeitenden Industrie. Es bleibt einem setzt worden, weil es so günstige Produktionsmög-
rätselhaft, wie wir einen Ausgleich der Handels- lichkeiten bietet. Dafür baut man in anderen Län-
bilanz bei der Drosselung, die die Demontagen auf dern neue Hüttenwerke auf. Die europäische
dieser Industrieebene herbeiführen, finden sollen. Konzeption des Marshallplans wird preisgegeben
Deshalb, meine Damen und Herren, sehen wir in zugunsten egoistischer nationaler Interessen.
diesen Demontagen auch eine Verletzung des selbst Ich kann ein anderes Beispiel erwähnen, das Bei-
in dem Potsdamer Abkommen feierlich gegebenen
spiel der 5-Meter-Straße im Dortmund Harder-
Versprechens, dem deutschen Volk soviele in-
-

dustrielle Arbeitsmöglichkeiten zu belassen, daß Hüttenwerk. Von amerikanischen Sachverständigen


es ohne Hilfe von außen leben kann. war ausdrücklich anerkannt worden, daß dieses
Besonders hervorzuheben ist, daß, soweit die Werk im Rahmen der europäischen wirt-
Einbeziehung der synthetischen Industrie in die schaftlichen Neuordnung voll ausgelastet sein
jetzige Demontage in Frage kommt, die Sieger- könnte. Trotzdem ist es mit der Begründung auf
mächte noch hinter den ersten Industrieplan zu- die Demontageliste gesetzt worden, es sei für den
rückgehen, inneren deutschen Bedarf nicht notwendig.
(Sehr richtig!) Es gibt eine neue 5-Meter-Straße, die noch nirgends
eingebaut ist; sie wurde angeboten, und dieses An-
von dem sie selbst erklärten, daß er durch die Ent- gebot ist abgelehnt worden. Man hat aber gleich-
wicklung völlig überholt ist. Dort war festgelegt, zeitig dem Dortmund-Hörder-Hüttenwerk ver-
daß diese Betriebe solange in Arbeit gehalten weigert, für die demontierte 5-Meter-Straße einen
werden sollen, bis Deutschland imstande ist, diese Ersatz zu schaffen, obwohl für dieses Werk nun das
Produkte einzuführen und zu bezahlen. Problem auftritt, wie es die erzeugte Menge von
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 213
(Henßler )
Roheisen und Stahl im Werk sinnvoll weiter- Nun kommt man heute besonders mit dem Argu-
verarbeiten kann. ment, für die Demontage sei ausschließlich das
Eine weitere Erschwerung liegt darin, daß durch Sicherheitsbedürfnis maßgebend. Wir konnten aus
die Demontage nicht nur schlechtweg die Eisen- der Rede eines der führenden Männer in dieser
und Stahlkapazität verringert, sondern damit zum Frage lesen, daß jede überflüssige Kapazität an
Teil gleichzeitig die Herstellung gewisser Spezial- Friedensindustrie ein Kriegspotential darstellt.
produkte verhindert wird, auf die die verbleiben- Wir müssen uns darüber klar sein, daß die Hitler-
den Industrien sich erst allmählich umstellen sche Ausplünderungs- und Ausraubungs-Politik
können. Hüttenwerk war nicht immer gleich die Sicherheitsargumentation schwergewichtig
Hüttenwerk. Jedes einzelne Werk hatte eine ge- macht. Es wäre gut, wenn man sich überall in
wisse Spezialität. Ich darf hier mit Genehmigung Deutschland, wenn man darüber redet, daran er-
des Herrn Präsidenten zwei Sätze aus einer Denk- innerte, daß eigentlich dieses Kapitel auch mit der
schrift der Gewerkschaft zitieren: Ueberschrift versehen sein könnte: „Das danke ich
Nach dem Marshallplan ist die Wiederherstel- dir, mein Führer!"
lung einer leistungsfähigen deutschen Energie- (Beifall links.)
wirtschaft vordringlich. Trotzdem soll die Aber ich bin mir nicht im Zweifel, daß dieses Ar-
Thyssen-Hütte restlos demontiert werden, die gument vielfach -von selbstsüchtigen Menschen zur
80 Prozent der deutschen Produktionskapazität Tarnung des wirklichen Motivs benutzt wird.
für hochwertige Transformatorenbleche dar- (Sehr gut!)
stellt! Trotzdem sollen die beiden 15 000-Tonnen
Wir sollten daraus den Schluß ziehen, da, wo wir
bzw. 10 000 -Tonnen- Schmiedepressen in Essen uns öffentlich äußern, es so zu tun daß wir den
und Dortmund demontiert werden, ohne die die
gutgewillten Kräften im Ausland die Grundlage
dringend benötigten 200 Turbosätze und 300
Wellen in Deutschland überhaupt nicht mehr bieten, für uns auf diesem Gebiete tätig zu sein.
hergestellt werden können. (Beifall.)
Meine Damen und Herren! Unser Eindruck ist Es sind in diesem Hause Reden gehalten worden,
und muß sein, daß die Reparationsfrage gegenüber die dieser Anforderung wahrlich nicht Rechnung
der absoluten Produktionsbeschränkung als sekun- tragen.
där betrachtet wird. Auch das muß von uns als (Sehr richtig!)
Beweis dafür angesehen werden, daß eben doch Ich brauche dazu nichts mehr zu sagen, insbeson-
Konkurrenzmotive vorliegen, und wir sehen diesen dere nachdem mein Parteifreund Schmid gestern
Eindruck erneut bestätigt, weil man dem Angebot, in wirklich eindrucksvoller Weise dieses Kapitel
die Thyssen-Hütte in Betrieb zu nehmen und ihre beleuchtet hat.
Leistungen restlos für Reparationszwecke zu ver- Aber ich möchte bei dieser Gelegenheit auch ein
wenden, nicht nähergetreten ist. Wort an Sie, meine Herren von der KPD, richten.
Die Erregung über die Demontage wird aber be- Was da gesagt wird, gilt auch für die neuerliche
sonders durch die Form der Demontage gesteigert. Weisung für Ihre Politik der nationalen Einheits-
Nur zum geringen Teil liegt heute noch echte De- front. Ich will in diesem Zusammenhange nicht im
montage mit dem Ziel vor, das Demontierte einzelnen darlegen, daß Ihr Protest außerordentlich
anderswo wieder produktionstechnisch zu verwen- abgeschwächt ist durch die Tatsache, daß Sie vor-
den. In erster Linie wird zerstört und nicht de- behaltlos Ja sagen zu dem, was in einem anderen
montiert. Teil, der zu Deutschland gehört, geschieht.
(Zustimmung.) (Lebhafter Beifall.)
Ich hatte Gelegenheit, einen kurzen Spaziergang Ich will Sie nur daran erinnern, daß Ihre neuer-
durch die Thyssen-Hütte zu machen. Der Eindruck liche Einstellung selbst in Widerspruch zu dem
ist, daß sinnlose Kräfte der Zerstörung walten. steht, was Sie hier im Westen vor noch nicht allzu
Selbst nach dem jetzigen Plan soll nur noch un- langer Zeit vertreten haben.
gefähr zu einem Viertel wirklich demontiert wer- (Sehr gut! — Abg. Rische: Remontagen finden
den, zu drei Vierteln wird mit dem Schweißbrenner statt!)
gearbeitet, um Schrott zu erzeugen. Ich darf daran erinnern, daß es Ihr Kollege Led-
(Hört! Hört!) wohn war — wirklich kein x-beliebiger Mann —,
Ich empfehle besonders d e r englischen Stelle, der am 5. Februar 1948 im Nordrhein-Westfälischen
einen solchen Besuch zu machen, die angeordnet Landtag ausführte:
hat, daß die Demontageabteilung im Wirtschafts- Nehmen wir einmal die Tatsache: Herr Molo-
ministerium Nordrhein-Westfalen in „Reparations- tow hat in London vorgeschlagen, daß das
abteilung" umgetauft werden muß. Auch all denen, Industrieniveau in Westdeutschland auf 70
die unsere Demontageproteste als Nationalismus Prozent des Niveaus von 1938 erhöht werden
diffamieren, sei empfohlen, solche Stätten sinnlos soll und daß dann von diesem Niveau 10 Pro-
zerstörender Tätigkeit aufzusuchen und sich dann zent für Reparationen aus der laufenden Pro-
die Frage zu stellen und zu beantworten, wer den duktion entnommen werden sollen. Wenn Sie
Ungeist des Nationalismus fördert. mich fragen, meine Damen und Herren, ob
ich als Deutscher mit einem solchen Vorschlag
(Lebhafter Beifall.) Molotows einverstanden bin, dann antworte
Meine Damen und Herren, außerdem ist darauf ich mit einem klaren Ja.
hinzuweisen, daß die Reparationen durch Demon- (Hört! Hört!)
tage wohl die kostspieligste Form der Wiedergut-
machung sind. Meine Damen und Herren, wenn ich Ihre gegen-
wärtige Agitation auf diesem Gebiete mit dem ver-
(Sehr wahr!) gleiche, was Ihr Kollege Kaiser im Landtag von
Es geht noch gut, wenn nach Abzug der Demontage- Nordrhein-Westfalen am 29. Oktober 1947 ausge-
kosten ein Reparationswert von 10 Prozent der ur- führt hat, dann finde ich auch da einen großen
sprünglichen Investitionskosten bleibt. Widerspruch. Ich habe die Bitte an Sie, zu über-
214 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
Henßler
legen, ob es nicht klug wäre — im Interesse der sehr weitgehende industrielle und verkehrliche
betroffenen Arbeiter wie im Interesse der Wir- Ausräumung der Ostzone, aber auch die sehr große
kung unseres Protestes —, wenn Sie sich jene Aus- Schwächung der gewerblichen und industriellen
führungen doch etwas ins Gedächtnis rufen wür- Wirtschaft in der französischen Zone.
den. Ihr Herr Kollege Kaiser führte damals im (Sehr richtig! bei der SPD.)
Landtag aus:
Angesichts dieser Tatsachen bleibt rätselhaft, wie
Die Kommunistische Partei bedauert außer- man überhaupt von Überfluß in der Produktions-
ordentlich, daß die schwere Lage, in die durch kapazität in diesem zerschlagenen Deutschland
die Demontage die werktätige Bevölkerung reden kann.
gebracht wird, von Unverantwortlichen dazu (Erneute lebhafte Zurufe von der SPD: Sehr
benutzt worden ist, die Werktätigen nationa- richtig!)
listisch und chauvinistisch zu verhetzen. Die Wir haben insgesamt nicht zuviel Produktions-
auch von einzelnen Zeitungen angedeutete kapazität, sondern wir müssen in großem Umfange
Aufforderung zu Streiks und Demonstra- neue Arbeitsmöglichkeiten schaffen, um alle in Ar-
tionen und zum tätlichen Widersetzen kann beit bringen zu können. Ich brauche nur auf die
nicht anders denn als Provokation bezeichnet besondere Erwerbslosennot unter den Vertriebe-
werden. nen hinzuweisen: fast jeder zweite Vertriebene
(Hört! Hört!) heute ein Arbeitsloser! Meine Damen und Herren,
Ich will ja von Ihnen gar nicht, daß Sie das noch das ist ein Menetekel, das nicht nur ernstere Be-
hundertprozentig respektieren, aber wenigstens achtung in der deutschen Wirtschaftspolitik ver-
einen guten Teil davon — das täte not —, um auch dient, sondern das nicht minder ernst auch von den
den Kundgebungen draußen einen geschlosseneren Siegermächten gewertet werden müßte.
Eindruck zu geben, als es jetzt der Fall ist. In diesem Zusammenhang ein kleiner Hinweis
auf den früheren Eckernförder Demontagestreik.
Meine Damen und Herren! An die Adresse der
Siegermächte gerichtet aber müssen wir sagen Es gibt niemanden in Deutschland, der dagegen
— nicht nur weil es in unserem Interesse liegt, son- war, daß die kriegsmäßigen Einrichtungen zerstört
wurden; aber die englische Siegermacht hätte dem
dern auch weil es ein Erfordernis einer demokra- Bedürfnis nach Sicherheit einen sehr großen Dienst
tischen Neuordnung ist —: Die Friedenssicherheit geleistet, wenn sie damit einverstanden gewesen
erfordert, daß man es mit der demokratischen wäre, daß die brauchbaren Hallen benutzt werden,
Neuordnung wirklich ernst meint. Nicht Beschrän- um Zehntausenden jetzt arbeitsloser Menschen Ar-
kung einer Volkswirtschaft, die restlos dem Frie- beitsmöglichkeiten in friedlicher Industrie geben
densbedürfnis dienlich gemacht werden kann! Wohl zu können.
aber Vorsorge, daß diese Produktionseinrichtungen
nicht mißbraucht werden können für friedensstö- (Sehr richtig! und Händeklatschen bei der SPD.)
rende Zwecke! Deshalb fordern wir die Ueberfüh- Müssen wir die Demontage schon vom wirt-
rung dieser Monopolindustrien in Gemeineigentum, schaftlichen und sozialen Standpunkt aus ableh-
um damit die Möglichkeit auszuschalten, daß soge- nen, weil diese Demontage hart und widersinnig
nannte freie Initiative kraft dieses Besitzes frie- und auf die Dauer unhaltbar ist, so müssen wir
densstörende Umtriebe ins Werk setzen kann. noch mehr betonen, daß der politische Schaden
(Händeklatschen bei der SPD.) unseres Erachtens noch viel größer ist.
Deshalb sind wir, meine Damen und Herren, für (Sehr wahr! bei der SPD.)
eine gemeinsame europäische Neuordnung, die uns Das dient sicher nicht, der ersten Anforderung in
aus dem bloßen Reden über eine europäische Ge- bezug auf Sicherheit: friedensgewillte Menschen zu
meinschaft herausbringen soll zum Beginn des schaffen. Das bedeutet Förderung aller destruk-
Praktizierens einer solchen Gemeinschaft. Aber da- tiven Elemente und Bestrebungen bei uns.
zu muß auch ausgesprochen werden: eine echte Meine Damen und Herren! Ich habe eingangs
Gemeinschaft muß auf gleicher Berechtigung und schon erwähnt, daß erklärt worden ist, es handle
gleicher Verpflichtung der einzelnen Partner be- sich ja nur um örtliche und zeitlich begrenzte Er-
ruhen. scheinungen. Ich möchte darauf hinweisen, daß es
Wenn man aber davon ausgehen will, für Deutsch- sich hier wirk li ch nicht um eine Angelegenheit von
land nun wirklich die notwendige Friedenskapazi- nur vorübergehender Bedeutung handelt, nicht um
tät auszurechnen, dann müssen wir feststellen, daß eine Angelegenheit eines zwar schmerzhaften, aber
sich der Industrie- und Demontageplan nicht als eben nur einmaligen operativen Eingriffs. Die
Patentlösung dafür erwiesen hat. Dann soll man Wunden, die da geschlagen werden, vernarben
vom Menschen ausgehen. Dann müßte am Anfang nicht. Sie werden, mindestens auf lange Zeit
der Überlegungen stehen, daß wir für alle Ar- hinaus, einen Eiterherd bilden und damit nicht
beitsfähigen in Deutschland die Möglichkeit sinn- bloß dem deutschen Wirtschaftsleben abträglich
vollen Arbeitseinsatzes haben müssen. Dann muß sein, sondern auch den Bestrebungen, im euro-
man berücksichtigen, daß sich, wie ein Vergleich päischen Maßstab eine wirtschaftliche Neuordnung
ergibt, gegenüber 1936 doch wirklich allerhand ge- herbeizuführen.
ändert hat: der Verlust östlicher Gebiete, mit dem Ich verweise deshalb so deutlich darauf, weil in
wir im Augenblick rechnen müssen, die Vergröße- diesen Tagen die Mitteilung gekommen ist, daß
rung der Bevölkerungszahl durch die Vertriebenen, die Außenminister zwar die Demontagen erneut
die Zerstörung von Produktionskapazitäten, der In- überprüfen wollen, aber erst in einem Vierteljahr.
standhaltungsrückstand und Reparaturbedarf bei Ich habe hier eine Presseäußerung, in der es heißt,
der noch vorhandenen Produktionskapazität. Ich daß diese Frage Ende des Jahres noch einmal über-
will hier nur darauf hinweisen, daß von den Sach- prüft wird, „da man sich dann darüber klar sein
verständigen des Marshallplanes beim Ruhrbergbau werde, in welchem Maße die westdeutschen Behör-
allein ein Rückstand festgestellt worden ist, der den in gewissen Dingen mitgehen und wie sich die
einen Aufwand von rund 5 Milliarden DM erfor- Dinge bei ihnen entwickelt hätten." — Das ist in
dern würde. Berücksichtigt werden müßten auch seiner Auslegung sehr dehnungsfähig, aber ich
die schon erfolgten Demontagen, insbesondere die Will dazu nur eine Bemerkung machen: Darauf,
Deutscher Bundestag 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 215
Henßler
wie die Dinge sich in Deutschland entwickeln, und
könnten die Siegermächte durch eine verständigere 5. Antrag der Fraktion der KPD betr. Amnestie-
Haltung bei der Demontage einen sehr starken Ein- rung verurteilter deutscher Demontageverwei-
fluß ausüben. ger (Drucksache Nr. 11).
(Sehr richtig! bei der SPD.) entgegenzunehmen. Darf ich fragen, wer die Be-
Ich hoffe,, daß man diese Notiz nicht mit einer an gründung der Anträge zu diesen Punkten der
deren Mitteilung in Verbindung bringen muß, nach Tagesordnung übernimmt? — Herr Abgeordneter
der man bestrebt ist, die sogenannten Demon- Paul, bitte.
tagen bis zum 1. Januar, also bis zu dem Zeitpunkt,
an dem die Außenminister das Problem neu über- Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Es ist
prüfen wollen, erledigt zu haben. Dann muß die schon sehr viel in der deutschen Öffentlichkeit,
Zerstörungsarbeit noch grandioser durchgeführt in den Gewerkschaften und in den Betrieben über
werden, und dann treffen die Bedenken, die wir die Frage der Demontagen und des Kampfes um
dazu geäußert haben, auch in entsprechend stär- die Erhaltung der Arbeitsplätze und damit des
kerem Maße zu. Lebens der deutschen Bevölkerung gesprochen
Ich wi ll zum Schluß kommen. Meine Damen und worden. Leider sind bisher alle Appelle auf taube
Herren, als seinerzeit der Demontageplan verkündet Ohren gestoßen. Erst in den letzten Tagen wurde
wurde, hat der damalige Beauftragte der engli- erneut mitgeteilt, daß die Demontagen durchge-
schep Regierung für die englische Zone, Lord führt würden.
Pakenham, uns in Düsseldorf einen Vortrag ge- Die Demontagen — das sehen wir deutlich an
halten, an dessen Ende er an die Deutschen die dem Beispiel der Thyssen-Hütte -- sind eine Fort-
Mahnung richtete, sich so zu verhalten, daß man setzung der Zerstörungen des Bombenkrieges.
der Welt gerade in die Augen schauen könne. Man begründet die Demontagen und deren Not-
(Zuruf von der KPD.) wendigkeit mit Sicherheit und mit Frieden. In
Wir wollen diese Mahnung für uns gelten lassen, Wirklichkeit stehen diese Demontagen im engsten
aber sie muß ja schließlich für jeden und für alle Zusammenhang mit den militärstrategischen
gelten. Überlegungen der Träger des Atlantikpaktes und
(Sehr richtig!) mit den konkurrenzwirtschaftlichen Überlegun-
gen ausländischer Großkapitalisten. Die Einbe-
Und wenn man sie ernst nimmt, erfordert sie dann ziehung Westdeutschlands in den Atlantikpakt und
nicht, darauf bedacht zu sein, daß man — geschicht- die ungeheuren Rüstungsausgaben in den Ver-
lich gesehen -- auch morgen und übermorgen die einigten Staaten sind von den Demontageplänen
Augen nicht niederzuschlagen braucht, wenn man nicht zu trennen.
an das erinnert wird, was man heute getan hat?
(Abg. Renner: Sehr richtig!)
(Beifall.)
Interessant war, was ein britischer Oberst vor dem
Vergesse man nicht: am Ende des Krieges lautete Kreistag in Beckum zu diesen militärstrategischen
die Parole für die nächste Aufgabe: Wir wollen Überlegungen bezüglich der Demontagen aus-
den Frieden gewinnen! Und er soll im Zeichen führte. Er sagte:
einer demokratischen Neuordnung stehen, im Zei-
chen der Abkehr von den verhängnisvollen Metho- Wenn sich das Schlachtfeld zwischen Ost und
den nationalistischer Gewaltpolitik. West durch Deutschland zieht, wird Benzin
aus dem Auslande gebracht werden, und
Auch aus dieser Zielsetzung heraus wünschen wenn die Kampflinie weiter nach Westen
wir, daß das Reparationsproblem als eine Frage verlegt wird, ist es besser, wenn Benzin von
zweckmäßiger Lösung, als eine Frage verständiger außen herankommt.
Zusammenarbeit und als eine Frage willensmäßi-
ger und gesinnungsmäßiger Bildung und Festigung (Lebhafte Rufe von der KPD: Hört! Hört!)
eines Friedensbundes betrachtet wird und nicht Jawohl, diese Pläne spielen bei der Fortnahme
als eine Kampffrage zwischen Deutschland und entscheidender Werke der chemischen und der
den Siegermächten, wobei nur zu leicht Prestige- Stahlindustrie eine große Rolle.
gründe den Vorrang erhalten vor rein sachlichen „Sicherheit" — dieses Wort im Munde jener
Erwägungen. Kriegsstrategen des Atlantikpaktes klingt wie ein
Meine Damen und Herren, weil wir heißen Hohn. Die Friedensreden dieser Leute sollen nur -
Herzens echten Frieden ersehnen, weil wir Ver- den Dummen in der Welt Sand in die Augen
ständigung zwischen den Völkern und Zusammen- streuen. Wenn man Sicherheit wünscht, wenn man
arbeit im Willen zur Völkergemeinschaft wünschen, den Frieden will, dann sollte man dem werktäti-
deshalb unser Appell: Stop den Demontagen von gen Volk an Rhein und Ruhr die Möglichkeit ge-
Arbeitsstätten, die der Arbeit für friedliche Zwecke ben, eine Volksabstimmung darüber durchzufüh-
dienen! Das Gebot ist: Aufbau, nicht Zerstörung! ren, in wessen Hände die Grundstoffindustrien ge-
(Lebhafter Beifall bei der SPD, in der Mitte legt werden sollen.
und rechts.) (Sehr richtig! bei der KPD.)
Eine Sicherheit gegenüber deutschen Angriffen für
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Her- die Nachbarvölker bestände dann, wenn man die
ren! Inzwischen . ist von den verschiedensten Betriebe der Grundstoffindustrie in das Volks-
Seiten des Hauses der Wunsch an mich herange- eigentum überführen würde. Dieselben Leute aber,
tragen worden, etwa gegen ein Uhr eine kürzere die von Sicherheit und Frieden reden, haben das
Mittagspause zu machen und bis dahin möglichst vom Landtag Nordrhein-Westfalen beschlossene
noch die Begründung der Anträge zu den Tages- Gesetz zur Sozialisierung der Kohlewirtschaft nicht
ordnungspunkten sanktioniert. Den bereits beschlossenen Artikel
3. Antrag der Fraktion der KPD betr. sofortige der hessischen Verfassung, der in einer Volks-
Einstellung der Demontagen (Drucksache Nr. 6), abstimmung angenommen worden war, der die
4. Antrag der Fraktion der KPD betr. Demon- Überführung der Grundstoffindustrien in das
tageverweigerer (Drucksache Nr. 7) Staatséigeritum vorsah, haben dieselben Herrschaf-
216 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Paul )
ten des Atlantikpaktes und Marshallplans außer ungeheuer teuer ist. Aber in Wirklichkeit reißt
Kraft gesetzt. Diese Taten stehen jenen Parolen man dieses Werk ab, um uns von der Einfuhr von
von Sicherheit und vom Friedensbedürfnis der At- Ölen und Benzin aus den Vereinigten Staaten und
lantikpaktstrategen entgegen. Großbritannien abhängig zu machen.
Die Demontagen — und da kann ich mit meinem (Zurufe von der KPD: Standard! Shell!)
Vorredner, dem Kollegen Henßler, nicht einig Ich denke auch an die Ruhröl GmbH. Beide Werke
gehen — stehen nicht im Gegensatz zum Marshall- — Gelsenberg, Ruhröl GmbH. — und das dritte
plan, sondern sind der Inhalt und ein Teil des Mar- Werk Scholven und Wesseling haben eine Kapa-
shallplans. zität von 2,3 Millionen Tonnen Schmieröl und Ben-
(Sehr gut! bei der KPD.) zin. Wir könnten in diesen Werken rund 12 Mil-
Der Marshallplan hat ja gerade den Zweck, das lionen Tonnen minderwertige Kohle verarbeiten.
deutsche Volk in Abhängigkeit zu halten, und die Ich glaube, daß eine solche Tat eine wirkliche
Demontagen sollen diese Abhängigkeit noch unter- Hilfe für das deutsche Volk sein würde. Wir könn-
mauern. 148 Werke sollen demontiert werden, 75 ten dann nämlich ungeheuer Devisen sparen, die
Werke stehen im Moment in der Demontage. Dar wir für die Einfuhr der notwendigen Rohstoffe
unter sind wichtige Werke der Hüttenindustrie. und Lebensmittel wieder einsetzen könnten.
Der Kollege Henßler sprach bereits von der (Abg. Renner: Das will man nicht!)
August-Thyssen-Hütte. Jawohl, auf der August- In Gelsenberg wurden nach 1945 17 Millionen
Thyssen-Hütte geht es darum, ein großes, rentab- Mark neu angelegt, und zwar mit Zustimmung der
les Werk, welches dem Wiederaufbau Deutsch- britischen Vertreter. Heute wird dieses Werk rest-
lands, seiner zerstörten Städte, seiner Eisenbahn- los abgerissen. Nach den Meldungen aus dem Wirt-
linien, seiner Brücken dienen könnte und auch schaftsministerium Nordrhein-Westfalen haben wir
einen großen Beitrag zur Sicherung der Einfuhr einen Rückgang an Benzin-Produktion um 29 %
notwendiger Rohstoffe und Lebensmittel leisten und an Dieseltreibstoff um 62 %, wenn diese An-
könnte, jetzt endgültig zusammenzuschlagen. Auch lagn abmontiert werden. Die Fischer-Tropsch-An-
ich hatte die Möglichkeit, mit Mitgliedern der Be- lagen, die jetzt demontiert werden, können jähr-
legschaft zu sprechen; sie sagten mir, daß der lich 370 000 Tonnen Primärstoffe herstellen. Sie
größte Teil des Werkes buchstäblich zerstört wird. können den Paraffingatsch herstellen, der uns dann
Die Fünf-Meter-Grobblech-Straße des Hütten- die Fettsäure für unsere Seifen- und Waschmittel
werkes Hörde fällt ebenfalls unter die Demon- industrie liefert. 50 % unserer Waschmittel- und
tage. Gerade diese Straße war genau so wie die Seifenindustrie könnten wir aus diesem Paraffin-
August-Thyssen-Hütte geeignet, Transformatoren- gatsch sicherstellen. Aber nein, das wird nicht er-
und Dynamo-Bleche zu erzeugen. Wir stehen vor laubt. Statt dessen werden die Hydrierwerke ge-
der Notwendigkeit, unsere Elektrizitätswerke zu schleift, und gleichzeitig bemüht man sich von bri-
reparieren und neu aufzubauen. Aber gleichzeitig tischer Seite, Paraffin nach Westdeutschland ein-
demontiert man jene Industrien, die uns diese zuführen. Während wir Paraffin für 200 Mark je
Bleche für unsere Transformatoren und Dynamos Tonne erzeugen können, will man uns Paraffin für
liefern könnten. Gleichzeitig demontiert man die 2000 Mark pro Tonne verkaufen. Das sind reale
Zehntonnenpresse auf dem Hüttenverein Dort Tatsachen, die auch von anderer Seite nicht be-
wund. Auf dieser Presse konnten Schiffsmäntel, stritten werden können.
Hydriermäntel bis zu 200 Millimeter Wandstärke Hinzu kommt, daß ungeheure Summen für die
und wichtige Industrie-Ausrüstungen für Kraft- Demontage aufgeboten werden müssen. Eine Tonne
und Gaswerksanlagen hergestellt werden. Dieses Eisenkonstruktion kostet in der Demontage 800
Preßwerk erbrachte früher einen Jahresumsatz bis 1000 Mark. Dagegen beträgt der Preis der Neu-
von 25 bis 30 Millionen D-Mark. Heute wird dieses herstellung pro Tonne 400 Mark. Wir sehen also,
Preßwerk ebenfalls niedergerissen. Dafür müssen daß wir bei der Demontage schwer draufzahlen
wir für hohe Devisenbeträge Material aus den müssen. In den meisten Fällen wird uns nur der
Vereinigten Staaten einführen. Schrottwert für die fortgenommenen Betriebe an-
Ich denke auch an die Charlotten-Hütte in Nie- gerechnet.
derschelden. Vorerst sollte nur eine Teildemon- Zehntausende von Arbeitern, Angestellten und
tage durchgeführt werden. Jetzt sollen die Hoch- Beamten werden durch die Demontage brot- und
öfen, ebenfalls Siemens-Martin-Öfen, vollständig arbeitslos. Allein auf Gelsenberg wurden bisher -
demontiert werden. Damit wird eine der wesent- rund 2000 Arbeiter und Angestellte entlassen. Dar-
lichsten Hütten des Siegerlandes praktisch lahm- unter befinden sich Hunderte von Arbeitern, die
gelegt, und wir sind nicht in der Lage, die Erze aus dem Kohlenbergbau abgestellt wurden, weil
des Siegerlandes weiter zu verhütten, und geraten sie nicht mehr bergbautüchtig sind. Darunter be-
dadurch in starke Abhängigkeit von der Einfuhr finden sich weiter Hunderte von Kriegs- und Ar-
ausländischer Erze. beitsbeschädigten. die aus der Produktion jetzt rest-
Ich denke auch an die jetzt durchgeführte De- los herausgeworfen werden. Auch auf der Char-
montage auf dem Eisenwerk in Kaiserslautern. lotten-Hütte ist es so: Wenn diese Hütte stillgelegt
Dort hat man die Polizei eingesetzt, um die De- wird, werden — genau so wie es mit den Werken
montage durchzuführen. Bergkamen, Gelsenberg und anderen der Fall ist —
(Hört! Hört! bei der KPD.) Tausende von Arbeitern arbeitslos, die nirgend
Auch dort hieß es: dieses Werk soll erhalten woanders untergebracht werden können.
bleiben. Ich gehe mit der britischen Zeitung „Times''
Ein ganz besonderes Kapitel ist die Demontage nicht konform, wenn sie schreibt: „Es ist beispiels-
unserer Hydrierwerke. Ich habe in den letzten weise nicht wahr, daß durch die Demontager
Wochen Gelegenheit genommen, mich dieser Frage größere Arbeitslosigkeit verursacht würde." Nein
ganz besonders anzunehmen und mich mit ihr zu zu der Arbeitslosigkeit, die durch die falsche Wirt-
beschäftigen. Gelsenberg wird nun abgerissen. schaftspolitik erzeugt wird, kommt die Arbeits-
Man sagt: Gelsenberg kann ja gar keine Kohle losigkeit von weiteren 10 000 Menschen hinzu. Die
hydrieren, weil das Kohlehydrierverfahren so Städte und Gemeinden geraten in große Not, weil
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 34. September 1949 217
(Paul)
sehr viele Menschen Wohlfahrts- und Sozialunter- chemie Panzerwagen und Infanterie gegen die
stützungsempfänger sind. Jedenfalls kann uns das demonstrierenden friedlichen Arbeiter einzusetzen.
Los dieser Zehntausende von Menschen nicht Man hat auf Bergkamen Maschinengewehre in
gleichgültig sein. Stellung gebracht, als die Arbeiter die Vernichtung
Die Demontagen, die hier durchgeführt werden, ihrer Arbeitsstätten nicht hinnehmen wollten. Man
sind keineswegs mit irgendwelchen international setzt sogar die deutsche Kriminalpolizei und die
bindenden Vereinbarungen in Einklang zu bringen. Polizei in Bewegung, um Nachforschungen anzu-
Die Demontagen werden auf Beschluß der drei Be- stellen, wer sich an sogenannter Widerstands-
satzungsmächte durchgeführt, und die britische leistung beteiligt hat. Ist es nicht eine Schande,
Regierung hat in den letzten Tagen erneut zum daß sich, überhaupt Deutsche dafür hergeben, als
Ausdruck gebracht, daß die Demontagen auf einem Spürhunde
Abkommen der drei Westmächte beruhen. Ich sage (Abg. Dr. Richter: Das gilt für die Ostzone!)
das deshalb, weil in unserer Bevölkerung und in
der Arbeiterschaft immer der Eindruck erweckt oder als Schutztruppe bei der Vernichtung deut-
wird, als seien die Amerikaner gegen diese De- scher Arbeitsstätten eingesetzt zu werden? Ich
montagen. In Wirklichkeit liegen auch diese De- habe bereits den Herrn Kollegen Menzel darauf
montagen im Interesse der amerikanischen Groß- aufmerksam gemacht, daß man jetzt in Mörs
kapitalisten und Konzernherren. Diese Demontagen Polizeibeamte zum Schutz provozierender Demon-
können nicht Rechtens sein, weil sie im Gegensatz tageunternehmer eingesetzt hat. Wir werden uns
zum Potsdamer Abkommen stehen. über diese Angelegenheit noch zu unterhalten
haben. Auf jeden Fall hat man nicht nur die Polizei
In Potsdam wurde uns eine ausreichende Pro- und das Militär mobilisiert, sondern man hat auch
duktionskapazität zugebilligt. Im Industrieplan die Gerichte in Front gebracht. Eine Reihe von
wurde im Absatz 6 gesagt, daß uns diese Werke Arbeitern, Angestellten und Betriebsleitern wurde
belassen werden sollen, bis wir in der Lage sind, bestraft. In der letzten Zeit wurde sogar das Ur-
aus unseren Ausfuhren die nötigen Einfuhren zu teil, welches in Dortmund gefällt wurde, durch das
decken. Aber wann ist das erreicht? Ist das bereits Oberste Militärgericht bestätigt. Wir haben deshalb
erreicht? Ich sage: keineswegs; man achtet unsere nicht nur einen Antrag eingebracht, daß der
Interessen nicht. Man gibt nichts, um das Leben Bundestag die sofortige Aufhebung der Demon-
und die Arbeit des werktätigen Volkes zu ermög- tagen beschließen möge, sondern wir haben auch
lichen. Eigenes Profitstreben und militärstrate- einen Antrag eingebracht, nach dem der Bundestag
gische Interessen spielen bei diesen Demontagen die Militärregierung ersuchen soll, eine Amnestie
eine entscheidende Rolle. für die verurteilten Arbeiter, Angestellten und Be-
Der Herr Kollege Henßler konnte es sich nicht triebsleiter auszusprechen.
verkneifen, einen Seitenhieb gegen die Ostzone und Wir sind weiter der Meinung, daß wir ver-
gegen uns Kommunisten zu führen. Ich möchte pflichtet sind, uns geschlossen hinter die Menschen
ihm und auch den anderen, die in die gleiche Kerbe zu stellen, die sich für die Lebensinteressen des
hauen, nur eines sagen: Glaubt denn einer ernst- deutschen Volkes und für unsere nationale
haft daran, daß man mit einer Antikommunisten Existenz einsetzen. Deswegen haben wir hier den
hetze und mit einer Antisowjethetze den Zehn- Wunsch ausgesprochen, zu beschließen, daß diesen
tausenden Werktätiger Arbeit und Brot ver- Menschen einmal die Prozeß- und Haftkosten be-
schaffen kann? Nein, diese Hetze soll nur jene zahlt werden und daß ihnen zum andern der Lohn-
Kolonialpolitik und Kolonialmethoden überdecken, und Gehaltsausfall vergütet wird. Das wäre eine
die in Westdeutschland praktiziert werden. praktische Maßnahme zur Hilfe für die Menschen,
(Sehr richtig! bei der KPD. — Zurufe die nicht bereit sind, die Demontagen still-
rechts: Leuna!) schweigend hinzunehmen. Wir würden damit zum
— Jawohl, Sie bringen mich gerade auf den Ausdruck bringen, daß wir uns mit diesen Men-
Trichter. Leuna arbeitet heute, und nicht nur schen solidarisieren. Das ist dringend erforderlich.
Leuna, sondern Dutzende von Hydrier- und Buna- Die KPD im Land Nordrhein-Westfalen wurde
werken von dem stellvertretenden Gouverneur, dem Bri-
(Unruhe und Zurufe rechts: Für wen?) gadier Barraclough, wegen ihrer Haltung gegenüber
den Demontagen ernsthaft verwarnt. Wir hatten
arbeiten für die Sicherstellung des Lebens der keine Möglichkeit, uns zu den Ausführungen des-
deutschen Bevölkerung. Herrn Brigadiers zu äußern.
(Unruhe und Zuruf rechts: Rußland! —
Abg. Rische: Sie können ja eintauschen!) (Abg. Renner: Hört! Hört!)
Ich sage Ihnen: all Ihre Hetze und Ihr Geschrei Wir sehen in dieser Verwarnung durch einen
kann über diese Tatsache keineswegs hinweg britischen General eine gute Note und einen Be-
führen. Die Werke arbeiten, und die Menschen weis dafür, daß die KPD in der Demontagefrage
haben Arbeit und Brot. eine richtige Haltung eingenommen hat und noch
(Sehr gut! bei der KPD.) einnimmt. Ich kann hier sagen, daß wir diesen
Kurs nicht verlassen werden, unbekümmert darum,
Hier zerschlägt man die Arbeitsstätten. Hier bringt was da kommen mag.
man nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Wir bitten das Hohe Haus, unseren Anträgen zu-
Mittelständler und die Kleinbauern an den Bettel- zustimmen. Wir sind der Meinung, daß es nicht ge-
stab. Hier bringt man die Bevölkerung unter die nügt, nur diesen Anträgen zuzustimmen. Man muß
Botmäßigkeit des Marshallplans und des Atlantik- nicht nur dafür eintreten, daß sofort alle Demon-
pakts, und damit schädigt man nicht nur die so- tagen aufhören, sondern darüber hinaus muß
zialen, sondern auch die nationalen Interessen Schluß gemacht werden mit der verhängnisvollen
unseres Volks. Kolonialpolitik, die unser Volk zu einem Bettler-
Die Demontagen werden gegen den Widerstand volk macht. Wir sind der Meinung, daß es in der
der Bevölkerung und der Belegschaften durchge- Frage der Demontagen erforderlich ist, daß alles,
führt. Man hat sich nicht gescheut, auf der Ruhr- was im deutschen Volke ehrlich ist, wie ein Mann
218 D eutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
Paul
zur Rettung unseres nationalen Eigentums auf- erwachten Nationalismus, wie es auch von dem
steht. Herrn Vertreter der SPD richtig ausgeführt wor-
(Bravo! bei der KPD.) den ist, sondern einem wohl zu verstehenden
Selbsterhaltungstrieb. Wir möchten uns wünschen,
Obwohl Sie glauben, Herr Henßler, uns nationa- daß nicht nur etwas mehr wirtschaftliches Ver-
listische Umtriebe unterschieben zu müssen, rufe ständnis für unsere Notlage, sondern auch etwas
ich von dieser Stelle dennoch zur Stärkung der mehr Einfühlungsvermögen nach der psycholo-
nationalen Front gegen die Demontagen für die gischen Seite hin bei unseren ehemaligen Gegnern
Unabhängigkeit und Einheit Deutschlands auf. in Betracht käme. Ich kann mir nicht vorstellen,
Alle Menschen im deutschen Volke, die guten Wil- daß sich im umgekehrten Fall in England, Frank-
lens sind, die nicht mitmachen wollen, daß West- reich oder den USA die Bevölkerung tatenlos ver-
deutschland in eine Kolonie des USA-Imperialis- halten und ruhig alles mit angesehen hätte. Ich
mus verwandelt wird, müssen sich in der nationalen kann nur darauf verweisen, daß die Haltung unse-
Front für die Unabhängigkeit und Einheit Deutsch-
lands, für die Erreichung eines gerechten Friedens- rer Bevölkerung, insbesondere unserer beteiligten
vertrags sammeln. Endlich muß man mit der Poli- Arbeiterschaft, bis zur Stunde durchaus diszipli-
tik der Willkür und der kolonialen Unterdrückung niert gewesen ist.
Schluß machen. Unter diesen Gesichtspunkten sind auch die
So steht vor Ihnen die Frage, ob Sie unsere An- Amnestiefragen zu beurteilen. Die Handlungen sind
träge annehmen oder ablehnen wollen. Eine Ab- nicht als kriminell zu bewerten, sondern sie sind
lehnung unserer Anträge wäre ein Zeichen da- wohl verständlich aus dem Streben, die Arbeits-
für, daß Sie nicht willens sind, gemeinsam mit uns plätze für sich und das Brot für die Familienange-
gegen diese ungerechtfertigten Demontagen anzu- hörigen zu sichern,
kämpfen. Eine Annahme unserer Anträge wäre (Sehr richtig!)
ein Bekenntnis des deutschen Volks für den und wenn die Menschen in diesem Punkt mit ihrem
Kampf um die Einheit und Unabhängigkeit inneren Gewissen und mit den Vorschriften der
Deutschlands, wäre ein Bekenntnis für eine echte Militärregierung in Konflikt gekommen sind, so
Verständigung mit allen friedliebenden Men- ist jetzt unserer Meinung nach der rechte Zeit
schen in der Welt und ein Beitrag zur Sicherung punkt gekommen, um eine Amnestie zu erlassen,
des Weltfriedens. (Sehr richtig! bei der SPD)
(Beifall bei der KPD.) der Zeitpunkt, in dem das erste deutsche Bundes-
parlament zusammentritt und eine neue Regierung
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und gebildet ist, in dem das Besatzungsstatut in Kraft
Herren, es ist 13 Uhr 10. Wir unterbrechen jetzt tritt, das man uns mit so verheißungsvollen Wor-
die Sitzung. Wir müssen wohl eine Stunde für die ten einst im Parlamentarischen Rat überreicht hat.
Mittagspause rechnen. Ich schlage vor, um 14 Uhr 15 Das einzige, was mir hier bei den Anträgen auf-
fortzufahren. — Sie sind damit einverstanden. gefallen ist, hat auch der Kollege Henßler von der
SPD erwähnt, nämlich den Zwiespalt, der auf
(Unterbrechung der Sitzung: 13 Uhr 10 Minuten.) seiten der Vertreter der KPD in der Beurteilung
der Demontageverhältnisse hier im Westen und
Die Sitzung wird um 14 Uhr 20 Minuten wieder in der Ostzone zutage tritt.
aufgenommen. (Sehr richtig!)
Meine Herren von der, KPD! Im Osten haben Sie
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und vier Jahre lang geschwiegen. In keinem Landtag
Herren! Ich eröffne die Sitzung wieder. hat sich eine Stimme gegen die Vernichtung unse-
Verabredungsgemäß soll die Aussprache über die rer Industrie und gegen die Wegführung der Ma-
Punkte der Tagesordnung 2, 3, 4 und 5 zusammen schinen aus dem ostdeutschen Raum erhoben.
stattfinden. (Lebhafte Zustimmung.)
Als erstem Redner erteile ich Herrn Abgeord- Keine Stimme hat sich gegen die maßlosen Leiden
neten Dr. Lehr das Wort. der Berliner Bevölkerung erhoben.
(Lebhafte Zustimmung.)
Dr. Dr. Lehr (CDU): Herr Präsident, meine Damen -
In Ihrer Presse ist kein Wort des Widerspruchs
und Herren! Ich habe den Vorzug, nicht nur für erschienen.
die CDU/CSU, sondern gleichzeitig für die FDP (Sehr richtig!)
und die DP zu sprechen. Unsere Stellungnahme zu Und sehen Sie: wenn Sie offenbar auf dem Stand-
den vier Anträgen 2,, 0, 7 und 11 kann unter einem punkt stehen, daß, wenn zwei dasselbe tun, es
einheitlichen Gesichtspunkt erfolgen, unter dem- doch nicht dasselbe ist, so müssen Sie anderer-
selben einheitlichen Gesichtspunkt, den auch der seits verstehen, daß wir in Ihre Anträge ein be-
Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung rechtigtes Mißtrauen setzen und es ablehnen,
zugrunde gelegt hat. Es ist die Tatsache, daß die dann zuzustimmen, wenn solche Anträge zu
Demontagefrage das ganze deutsche Volk bewegt. Agitationszwecken und zu dem Zweck gestellt
Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, daß sich werden, aus einer Notlage des Landes parteipoli-
unser Volk gegen die Zerstörung wirklich kriegs- tische Vorteile zu ziehen.
wichtiger Betriebe nicht auflehnt; aber das, wogegen (Sehr gut!)
es ankämpft, ist die Vernichtung großer wirt-
schaftlicher Werte. In unserer beispiellosen Armut Das sind für uns keine Motive, um solchen An-
ist Deutschland als letzter wertvoller Besitz neben trägen zuzustimmen.
der Arbeitskraft seiner Bevölkerung eine Anzahl (Sehr richtig!)
hochwertiger Produktionsstätten verblieben, und Wir wissen, daß wir eine Regierungserklärung
die Auflehnung gegen die Zerstörung wertvollster zu erwarten haben. Ich glaube, sie wird so sein,
Einrichtungen entspricht nicht etwa einem wieder- daß wir ihr zustimmen können und daß sich da-
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1940 219
Dr. Dr. Lehr
mit ein weiterer Antrag meinerseits im Namen Es ist auch nicht richtig, daß man, wie immer
der drei Fraktionen, für die zu sprechen ich die wieder betont wird, uns ja doch nur von über-
Ehre habe, erübrigt. flüssiger Kapazität befreien wollte und daß nur
Ich komme zur Demontage selbst. Meine Damen stillgelegte Betriebe betroffen werden. Nein, ein
und Herren, der Herr Kollege Henßler hat schon Großteil der zur Demontage vorgesehenen Werke
zutreffend und tiefgründig das ausgeführt, was war ausreichend beschäftigt, und im Maschinen-
in großen Zügen zu sagen ist. Wir wollen uns bau zum Beispiel hatten von 104 Demontage-
hier in diesem Raum angewöhnen, mit Worten betrieben bereits 98 ein vollgültiges Produktions-
sparsam zu sein und nicht überflüssigerweise Permit.
etwas zu wiederholen. Ein Wort zu Industrieplan und Demontageliste.
(Sehr gut!) Industrieplan und Demontageliste sind ohne Be-
Ich möchte mich auf die Hervorhebung bestimm- rücksichtigung des Marshallplans aufgestellt wor-
ter, wertvoller Gesichtspunkte beschränken und den. Man kann das dadurch nachweisen, daß, als
in vielen Teilen mich den Ausführungen des das Pariser Gutachten zum Marshallplan erstattet
Herrn Kollegen Henßler anschließen. Ich verweise wurde, es in den USA einer besonderen Nachprü-
auch darauf, daß eine wertvolle Vorarbeit im fung unterzogen wurde. Da wurden die Zusam-
Verwaltungsrat in Frankfurt geleistet worden ist. menhänge zwischen dem Industrieplan und der
Dort ist in wirklich einwandfreien und überzeu- Demontage einerseits und den Forderungen an
genden Denkschriften zur Demontage schon gesagt das Marshallplanprogramm andererseits durch-
worden, was man auch von unserer Seite dazu aus anerkannt und gewürdigt mit dem Ergebnis,
zu sagen hat. Lassen Sie mich aber noch einmal daß sowohl das Harriman-Komitee wie das
betonen, daß es durchaus richtig ist, daß fort- Herter-Komitee statt der überhöhten Ansprüche
dauernde Demontage die Gesundung der Wirt- an den Marshallplan die stärkere Einschaltung
schaft verhindert, weil sie zwei unheilvolle Fol- Deutschlands forderte, um diese erhöhten Anfor-
gen hat. Die erste einschneidende Folge ist die derungen an amerikanischer Hilfe zu korrigieren.
Verringerung der Kapazität der deutschen Indu- Die Stahl- und Maschinenanforderungen des Pa-
strie, die andere ist die Tatsache, daß die wirt- riser Gutachtens sind von dem genannten Herter-
schaftliche Erzeugung durch Unterbrechung des Komitee auf die Hälfte zusammengestrichen wor-
natürlichen Wirtschaftskreislaufs herabgesetzt den, und es ist eindeutig die Erhöhung der deut-
wird. Das gilt ganz besonders in unserer rheinisch schen Stahlproduktion verlangt worden. Damit
westfälischen Industrie, in unserem sogenannten sind wesentliche Voraussetzungen des Industrie-
Kohlenpott. Die dort entstandene Verbundwirt- plans und der Demontageliste hinfällig geworden.
schaft ist kein Spiel des Zufalls, sondern ist in Die Einschaltung erhöhter deutscher Beträge im
Generationen fleißiger Hände und kluger Köpfe Rahmen des Marshallplans verlangt eben einen
geschaffen worden als — wie es gestern der ameri- erheblichen Export von Eisen und Stahl und Ma-
kanische Journalist Armstrong nannte — ein schinen.
industrielles Herzstück Europas. Dank dem ein-
zigartigen Kohlenvorkommen in Mengen und Sor- Der Herr Kollege Henßler hat auf den erhöhten
ten, dank der günstigen Verkehrslage an natür- Nachholbedarf hingewiesen. Meine Damen und
lichen und künstlichen Wasserläufen, einem rei- Herren, getreu meinem Versprechen, daß ich Sie
chen Eisenbahn- und Landstraßennetz ist dieses nicht mit Zahlen überschütten wollte, will ich, Sie
Revier etwas Einzigartiges, und jeder Eingriff mit auf ein schlagendes Beispiel aufmerksam machen.
roher Hand behindert in unvonstellbarem Aus- Der Fortfall von Bedarf an Eisen und Stahl durch
a
maß d s Zusammenwirken des einheitlichen den Fortfall unserer Rüstungen und die Unter-
haltung von Streitkräften zu Lande, zur See und
Ganzen.
Nun läßt sich mit Zahlen ebenso wie mit Wor- in der Luft wird vollständig dadurch ausgeglichen,
ten trefflich streiten Ich möchte Sie auch nicht daß dieser erhöhte Nachholbedarf noch für unsere
mit Zahlen überschütten, aber ich möchte darauf gesamte gewerbliche Wirtschaft, für unsere ge-
hinweisen, daß die Kapazitätsberechnungen, auf samte Industrie, für unsere Landwirtschaft und
denen der revidierte Industrieplan sich aufbaut, für die Haushaltungen zu befriedigen ist, so daß
völlig dadurch überholt sind, daß wesentliche es nicht richtig ist, daß man mit dem uns bewil-
kapazitäteinschränkende Vorwegentnahmen von ligten Kontingent von 11,1 Millionen Jahrestonnen
Schlüsselmaschinen und Schlüsselproduktion schon Stahl auskommen könnte. Wenn man wirklich den
eigenen Bedarf unseres Volks berücksichtigt, dann -
erfolgt sind. Stellenweise sind einzelne Werke und
einzelne Branchen durch diese Vorwegentnahmen brauchen wir mehr als etwa 14,5 Millionen Jah-
ebenso stark wie durch die Demontagen selbst restonnen Stahl.
betroffen worden, denn diese Demontagelisten Wenn ich noch hinzufüge, daß die Methoden der
konzentrieren sich auf bestimmte Schlüsselferti- Demontage unsachgemäß und unwirtschaftlich sind
gungen und Engpaßmaschinen. Sie sind offenbar und die Auswahl der Objekte ebenso unwirtschaft-
von genauen Kennern aufgesetzt worden. Bei Be- lich ist, so glaube ich damit treffend den Sachver-
ginn dieser Tagung wurde mir von Freunden aus halt charakterisiert zu haben. Will man wirklich
der französischen Zone noch wertvolles Material prüfen, dann muß man die Abbaukosten und die
zu diesem Punkt überreicht. Ich will es im ein- Wiederaufbaukosten, die Wertzerstörung in Deutsch-
zelnen nicht wiederholen, aber darauf hinweisen, land und den ins Ausland gehenden Nettowert
daß beispielsweise die Uhrenindustrie in der fran- berücksichtigen. Es ist ganz sinnlos, Hochöfen und
zösischen Zone durch Vorwegentnahmen um 30 Stahlwerke niederzureißen, deren Wiederaufbau an
Prozent verringert wurde, daß dann eine zweite anderer Stelle völlig unwirtschaftlich ist und deren
und dritte Vorwegentnahme erfolgte, die weitere Demontage nur noch Schrottwerte verursacht. Ich
50 Prozent erforderte, so daß, wenn man alles in verweise als auf ein schlagendes Beispiel auf
allem jetzt nimmt, von der ursprünglich reichen die Hüttenwerksanlage Borbeck der Friedrich-
Uhrenindustrie in der französischen Zone zwischen Krupp-Aktiengesellschaft, die vorher einen Wert
20 und 30 Prozent noch vorhanden sind. von 120 Millionen hatte und nach der Demontie-
(Hört! Hört!) rung noch einen von 9,5 Millionen, also nur noch
220 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1049
(Dr. Dr. Lehr)
8 Prozent ihres früheren Wertes; und dabei ist die errichten müssen, um unserer eigenen Destillation
Arbeitsleistung von 3000 Arbeitern in zwei Jahren von Erdölen genügen zu können, daß ein Stop in
Demontage noch nicht mal eingerechnet. Die De- der Verarbeitung der Erdölproduktion aus dem
montagekosten für 1 Tonne Eisenkonstruktion be- Emsland und Niedersachsen eintreten wird, daß wir
tragen etwa 800 bis 1000 Mark, und die Kosten für mit erhöhtem Devisen-Aufkommen wieder Treib-
die Neukonstruktion einer Tonne betragen ein- stoffe einführen müssen. Es bedeutet also nicht nur
schließlich des Rohmaterialwerts etwa 400 D-Mark. einen Devisenverlust, sondern auch eine Zerstö-
Also betragen die Demontagekosten das Zwei- bis rung von erheblichen Volksvermögenswerten. Mit
Zweieinhalbfache der Neuerstellung. Die Anlage- den Angehörigen handelt es sich um 10 000 Perso-
werte aller Demontagebetriebe werden in den USA nen, für die es in jenem Bezirk keinen Unterhalt
auf eine Milliarde Dollar geschätzt. Nach den bis- mehr gibt.
herigen amerikanischen Schätzungen belaufen sich Meine Damen und Herren, ich verweise zu-
die nach der Demontage verbleibenden Werte auf letzt noch auf den Zusammenhang von Demontage
250 Millionen Dollar. und Währung. Nach wie vor werden erhebliche
Nun fällt uns ganz besonders die verdächtige Teile der deutschen Arbeitsleistung für unproduk-
Eile auf, mit der in diesen Tagen und Wochen noch tive Zwecke in Anspruch genommen, und es ent-
weiter demontiert wird. Gerade in dem Augenblick, steht Volkseinkommen ohne Deckung auf der Seite
in dem die Staatsmänner in Washington zusammen- der Gütererzeugung.
treten, um doch noch einmal zu überprüfen, ob man Auch Herr Kollege Henßler — das möchte ich
unserem schwer geprüften Lande nicht etwas Er- hier unterstreichen — hat die psychologische Aus-
leichterung bringen kann, geht mir von unseren wirkung auf das gesamte deutsche Volk betont.
Freunden in der französischen Zone beispielsweise Man soll sie keineswegs unterschätzen. Wenn ein
die Nachricht zu, daß die Kaiserlauterer Eisen- ganzes Volk sich geschlossen wehrt, dann sollte
werke — Aktiengesellschaft demontiert werden sol- man doch im Zeitalter der Völkerversöhnung, des
len, die bisher zwar schon durch Demontagen be- europäischen Wiederaufbaus und noch weiter-
troffen worden sind, es aber immer noch verstan- gehender Weltversöhnungspläne dieser Tatsache
den haben, ihre Produktion aufrechtzuerhalten und erhöht Rechnung tragen. Wie soll denn Vertrauen
ihre Belegschaft zu beschäftigen. Nun soll aber die geschaffen werden, wenn, wie der Bundeskanzler
Seele des Betriebes durch weitere Maschinenzer- sagte, mit der einen Hand gegeben und mit der
störungen herausgerissen werden. Es geht mir wei- anderen genommen wird? Wo soll bei uns die Zu-
ter die Klage darüber zu, daß die Charlotten-Hütte versicht herkommen, daß wir in zwei Jahren von
in Niederschelden auf einmal demontiert werden ausländischer Hilfe unabhängig sind und uns aus
soll, bei der bisher ausdrückliche Zusagen vorlagen, eigener Kraft weiterhelfen und sogar Europa auf-
daß sie nicht demontiert werden soll. bauen können? Es ist so: Auf der einen Seite sollen
Der Herr Kollege Henßler hat zwei Fälle heraus- wir Partner des Marshallplans sein, und auf der
gesucht, die ich mir auch zum Gegenstand der anderen Seite sind wir, obwohl nun die Bundes-
Untersuchung gemacht habe: das ist die Demontage republik Deutschland geschaffen ist, noch Repara-
der August-Thyssen-Hütte in Duisburg-Hamborn tionsschuldner mit zur Zeit unbegrenztem Umfang
und die Demontage von Gelsenberg-Benzin. Die unserer Schuld, wobei der Gläubiger allein über
Demontage der August-Thyssen-Hütte wird in die- Umfang und Art der Einziehung bestimmt.
sen Tagen mit Nachdruck fortgesetzt, und die Zer- (Sehr richtig!)
störungsbelegschaft ist wesentlich erhöht worden.
Wenn das Werk nicht sofort durch Demontage-Stop Deshalb ist besondere Eile geboten, weil sonst wert-
gerettet wird, sind zum Ende des Jahres von dieser vollste Teile unserer Wirtschaft verstümmelt wer-
wertvollsten und wirtschaftlichst arbeitenden den. Unsere Forderung geht dahin: sofortiger Stop
deutschen Produktionsstätte nur noch etwa zwei der ganzen Demontage mit dem Ziel der endgül-
Hochöfen und ein Elektro-Ofen übrig; das heißt, tigen Einstellung.
das Werk ist vernichtet. Sollten sich danach überhaupt noch Demontage-
(Hört! Hört!) notwendigkeiten ergeben, so können sie sich unter
Es ist unser modernstes und unser am wirtschaft- allen Umständen nur auf reine Rüstungsbetriebe
lichsten arbeitendes Werk, das auf der Kohle liegt, oder auf Maschinen beziehen, die ausschließlich der
das am Rheine liegt und eine hervorragend einge- Fertigung von Rüstungsmaterial dienen.
arbeitete Belegschaft hat. Die Revision des Industrieplans muß unter Be-
Bei Gelsenberg-Benzin ist auch ein Punkt, den rücksichtigung der Vorwegentnahmen sowie des
ich Ihnen in aller Offenheit einmal sage. Das deutschen Beitrags zum Marshallplan erfolgen.
Werk Gelsenberg-Benzin hat gleichzeitig mit dem Dann muß auf Grund einwandfreier Unterlagen,
Werk Wesseling bei Köln am 28. September 1948 die von beiden Seiten geschaffen werden sollen,
eine Betriebserlaubnis zur Destillation von Erdöl nach der wirtschaftlichen Seite abgewogen werden:
und zur Hydrierung der daraus gewonnenen Rück- Abbau-, Transport- und Wiederaufbaukosten, Wert-
stände bekommen — wohlgemerkt: es handelt sich minderung durch Zerreißung bestehender Zusam-
nicht um die verbotene Hydrierung 'von Kohle. Das menhänge, Vergleich der Produktionskosten in
Werk Wesseling hat offenbar einen besonderen Deutschland und im Empfängerland, Produktions-
Schutzgeist; denn es darf weiter arbeiten, und ausfälle durch Warte- und Anlaufzeit und schließ-
darüber freuen wir uns an sich. Es ist gut, wenn lich Vergleich von deutschen Aufwendungen mit
man ausländische Beziehungen hat. Aber das Werk dem Erfolg für Reparationsgläubiger sowie Beein-
Gelsenberg hat sie leider nicht. Deshalb ist es in flussung der europäischen Warenversorgung.
die Lage gekommen, obwohl es nach erhaltenem Meine Damen und Herren, wir müssen mit kon-
Permit zu dem bereits investierten Kapital von 300 struktiven Vorschlägen kommen. Mit allgemeinen
Millionen Reichsmark 17 Millionen D-Mark zusätz- Ausführungen ist in dieser Lage nicht zu helfen.
lich investierte, jetzt seine eben erstellten Anlagen Solche konstruktiven Vorschläge werden von deut-
wieder herunterreißen zu müssen. Das bedeutet, scher Seite gemacht. Wir möchten einmal anfangen
daß wir eine neue Kapazität an anderer Stelle mit dem Wertvollsten, was uns am Herzen liegt und
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 221
(Dr. Dr. Lehr)
I am meisten bedroht wird, mit der August-Thyssen- Durch die Demontagen wird eine psycholo-
Hütte. Da erhebt sich der Gedanke der Internatio- gische Atmosphäre geschaffen, die im Augen-
nalisierung. Diesen Gedanken der Internationalisie- blick bestimmt nicht den Wünschen und Ab-
rung möchte ich Ihnen besonders ans Herz legen sichten der Besatzungsmächte entspricht. Be-
und Sie bitten, ihn zu fördern. Wenn wir diesen müht man sich doch, in Westdeutschland eine
Gedanken der Internationalisierung vertreten, so neue Regierung und ein demokratisches Regime
sind wir bestrebt, dem Anspruch der Alliierten auf zu schaffen. Der Einwand, Bevins, daß es sich
Reparationen und Sicherheitsleistungen zu genügen. bei den Thyssen-Werken um ein Rüstungs-
Wir wollen dem Wiederaufbau der europäischen werk handelt, bleibt noch zu diskutieren. Nicht
Wirtschaft durch Internationalisierung dienen, wir nur Tanks und Kanonen werden aus Stahl her-
wollen die Zerstörung volkswirtschaftlich wert- gestellt, sondern auch Lokomotiven, Fahrzeuge
vollen Vermögens vermeiden, wir wollen die Ver- und viele Werkzeuge. Wem will man weis-
geudung von Marshallplangeldern in Europa ver- machen, daß Deutschland durch die Belassung
hüten; wir wollen der in ihrem Lebensnerv und in einer zusätzlichen Stahlkapazität von zwei Mil-
ihren Arbeitsbedingungen ohnehin schwer getrof- lionen Tonnen wieder gefährlich wird, nachdem
fenen Arbeiterschaft ihren Arbeitsplatz erhalten die französische Industrie demnächst 15 Mil-
und jede Radikalisierung im Innern vermeiden. lionen Tonnen Stahl erzeugen wird und die
Wir wollen so an einem Beispiel praktisch mit der Vereinigten Staaten sogar nahezu 100 Millionen
europäischen Schicksalsgemeinschaft beginnen. Wir Tonnen Stahl jährlich produzieren? Das deut-
wollen dem gemeinsamen Willen der gesamten sche Angebot verdient beachtet zu werden.
deutschen öffentlichen -Meinung, wie er in unseren Wenn triftige Gründe vorliegen, wird man es
Parlamenten, wie er in den großen politischen Par- sicher ablehnen müssen. Aber als triftige
teien und in den Wahlversammlungen, in den Kund- Gründe können nicht die Argumente ange-
gebungen der Parteien, der Gewerkschaften, der sehen werden, die m an bisher immer vorge-
gesamten Arbeiterschaft und Unternehmerschaft bracht hat und denen nicht der Gedanke der
und in der deutschen Presse hervorgetreten ist, Aus- Wiedergutmachung oder Sicherheit, sondern
druck verleihen. weit weniger lobenswerte Motive zugrunde
liegen.
Der Gedanke ist etwa der, daß man der Inter
alliierten Reparationsagentur die Anlagen übergibt, (Hört! Hört! in der Mitte.)
damit sie sie nach den ihr gegebenen Richtlinien Es dürfte für Sie interessant sein, diese Ausfüh-
den Empfängernationen zuteilt. Die Empfänger- rungen der französischen Zeitung „Le Monde" zu
nationen oder die von ihnen bestimmten Stellen hören.
bringen die Anlagen in eine neu zu gründende Meine Damen und Herren, ich komme damit zum
Gesellschaft ein, die den Betrieb der Hütte Schluß. Ich möchte auf ein Erlebnis verweisen, das
übernehmen wird, an der wir dann selbst be- viele von uns gestern abend hier im Hause hatten.
teiligt werden. Einzelheiten wären noch zu be- Es sprach zu uns der bekannte Journalist Arm-
sprechen, und ich richte an den Herrn Wirtschafts- strong, den Sie aus manchen Publikationen in
minister die Bitte, mir wegen der Dringlichkeit der „Readers Digest" bereits kennen. Er hat im wesent-
Sache — weil gerade jetzt die Außenminister oder l i chen in fünf Punkten sein Programm uns Deut-
die Chefs der Regierungen in Washington versam- schen gegenüber umrissen: erstens, daß es an der
melt sind — noch heute Gelegenheit zu einer Rück- Zeit sei, keine Rachegefühle untereinander, unter
sprache zu geben, in der ich noch detaillierte Vor- den Völkern mehr zu pflegen; zweitens einen ge-
schläge zur Frage der Internationalisierung machen meinsamen Aufbau zu beginnen, in erster Linie
werde. gerichtet auf Wohnstätten und Schulen. Drittens
sagte er: Laßt uns Deutschland, das industrielle
Ich bitte nun den Herrn Präsidenten, mir zu ge- Herz Europas, in die Familie der friedlichen Völ-
statten, einen kleinen Abschnitt aus einer fran- ker aufnehmen! Viertens: Laßt uns eine Weltorga-
zösischen Zeitung zu verlesen. Meine Damen und nisation gründen, um die Macht und den Frieden
Herren: das Ausland ist nicht in allen Teilen so un der Welt zu begründen, Deutschland zur Kamerad-
verständig, wie es manchmal scheinen möchte. Vor schaft der Nationen zu zählen, welche die Abwehr
mir liegt eine Kritik der französischen Zeitung gegen die Gewalt sichern. Und fünftens und
„Le Monde" vom 1. Juli 1949, also aus der.Zeit noch letztens: Wir wollen moralische und geistige Werte
vor der Bildung der Regierung hier. Da heißt es: in unseren Völkern aufrichten und erhalten. —-
Es handelt sich um den Plan der Internatio- Ich glaube, daß das überwiegend, wenn nicht ein-
nalisierung. Im Falle der Thyssen-Werke würde heitlich der Wunsch auch dieses Hauses ist.
es sich zwar nur um eine teilweise Internatio- Ich möchte mir vorbehalten, nach der Bekannt-
nalisierung handeln. Immerhin stellen diese gabe der Stellungnahme der Regierung zu dieser
Werke 2 Millionen Tonnen Stahl jährlich her. Erklärung namens der Fraktionen, für die ich ge-
Die Übernahme dieser Werke wäre also für sprochen habe, einen Antrag zu stellen. Im übrigen
Frankreich ein nicht geringer Zuwachs und beziehe ich mich noch einmal auf die erbetene
ein einträglicher Versuch. Bevin kann sich auf Rücksprache mit den Vertretern unserer Regierung
bereits getroffene und wiederholt geänderte am heutigen Abend.
Abmachungen berufen. Zweifellos lösen die (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
Demontagen im Augenblick starke Bedenken
aus. Die Demontagen stehen im Widerspruch Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr
zu der alliierten Besatzungspolitik in Deutsch- Bundesminister Storch.
land. Der Gedanke des Wiederaufbaus läßt sich
mit einer erheblichen Verkleinerung des Indu- Storch, Bundesminister für Arbeit: Meine Damen
striepotentials nicht unter einen Hut bringen. und Herren! Die dem Hause vorliegenden Anträge
Ein Land, das bereits 1,2 Millionen Erwerbs- Nr. 7 und 11 sowie viele Anregungen und Anträge
lose zählt, würde von einer noch größeren Ar- an den Herrn Bundeskanzler und das Ministerium
beitslosigkeit heimgesucht werden. für Arbeit beschäftigen sich mit der Frage, wie den
Deutscher B undestag — 11 . Sitzung. Bonn, F reitag, den .30. September 1949
(Bundesminister Storch )
Arbeitnehmern geholfen werden kann, die als Des weiteren, General Clay, erlaube ich mir,
Demontageverweigerer in Schwierigkeiten und Not Ihnen zu empfehlen, daß Sie einmal prüfen,
gekommen sind. Sie können versichert sein, daß die mit welchem Recht man Ihnen empfiehlt, diese
Bundesregierung der Not der Demontageverweige- Demontagen durchzuführen. Ich kann weder im
rer mit größter Aufgeschlossenheit und mit ernster amerikanischen noch im internationalen Recht
Bereitwilligkeit zu durchgreifender Hilfe gegen- irgendeine diesbezügliche Bestimmung finden.
übersteht. Was in dieser Hinsicht irgend möglich ist, Die Vereinigten Staaten haben die Haager
soll und wird geschehen. Gerade weil mir daran Konvention unterzeichnet, welche ausdrücklich
liegt, den Betroffenen nicht nur auf dem Papier, festlegt, daß nach Einstellung der Feindselig
sondern durch die Tat zu helfen, fühle ich mich ver- keiten die Streitkräfte irgendeiner kriegfüh
pflichtet, darauf hinzuweisen, daß diese Angelegen- renden Macht kein Recht haben, Eigentum zu
heiten einer ebenso schnellen wie gründlichen zerstören oder zu demontieren und daß die
Überlegung bedürfen. Es muß insbesondere eine Entscheidung über zu leistende Reparationen
Form gefunden werden, die besatzungsrechtlich ver- ein Teil des Friedensvertrags sein muß.
treten werden kann. Vor allem aber muß eine ein- „Ist aber ein Sieger berechtigt, v o r dem Frie-
wandfreie Rechtsgrundlage geschaffen werden. densvertrag Reparationen zu entnehmen?" fragte
.Unter anderem ist beantragt worden, die Bundes- der Abgeordnete Stokes am 27. Oktober 1947 das
regierung möge den Arbeitsämtern des Bundes- britische Unterhaus. Ich glaube, diese Äußerungen
gebietes die Vermittlung von Arbeitskräften für und der Hinweis, den ich eben gemacht habe, zei-
Demontageunternehmer untersagen. Das ist nicht gen klar und deutlich, daß von dieser Seite her die
möglich, weil die Arbeitsämter als Landesbehörden deutschen Ansprüche durchaus erhärtet werden
nicht dem Weisungsrecht der Bundesregierung können, endlich mit der Demontage Schluß zu
unterstehen. Dieses Beispiel zeigt Ihnen, daß wir machen, von der es selbst im Potsdamer Abkom-
durch die Annahme der gestellten Anträge dem men heißt — das nebenbei bemerkt dem Völker-
Ziel nicht näherkommen. recht widerspricht —, daß die Demontage am 2. 2.
Das Hohe Haus dürfte den Betroffenen am besten 1948 beendet sein sollte. Den Beweis hierfür können
dienen, wenn die Erledigung dieser Fragen der Sie im „Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland"
Bundesregierung überlassen wird, weil von ihr aus ebenso finden wie in einem Bericht Sir Ralph
am schnellsten und wirkungsvollsten geholfen wer- Clynns im Unterausschuß des Estimates Committee
den kann. des britischen Unterhauses.
Wir wissen genau, worauf die späteren Demon-
(Bravorufe und Händeklatschen bei den tagen zurückzuführen sind. Es ist hier in diesem
Regierungsparteien.) Kreise des öfteren darüber gesprochen worden,
und es ist auch das Wort vom Konkurrenzneid ge
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr fallen. Der New Yorker Abgeordnete George faßte
abgeordneter Dr. Richter. das am 25. Juli dieses Jahres in folgende Worte:
Beweise, die ich in den letzten zwei Wochen
Dr. Richter (NR): Meine Damen und Herren! beschaffen konnte, zeigen, daß seit dem 13. April
Churchill, Roosevelt und Stalin haben auf der Jalta 1949 die Demontagen mehr und mehr die Form
Konferenz erklärt, es sei nicht ihre Absicht, das einer regelrechten Verschrottung der Fabriken
deutsche Volk zu vernichten, man wolle dem deut- angenommen haben. In britischen Militärregie-
schen Volk eine Hoffnung auf ein würdiges Leben rungskreisen wird der Vorwand, es handle sich
und einen Platz in der Völkergemeinschaft lassen. um die Demontage von Rüstungsunternehmen
Gewiß erklärte man auch, daß man die deutsche oder die Ausmerzung überschüssiger Kapazi-
Industrie, soweit sie für die militärische Pro- täten offensichtlich schnell fallengelassen. Seit
duktion benutzt werden könne, beseitigen wolle dem Washingtoner Abkommen sind verschie-
oder unter Kontrolle zu stellen beabsichtige. Aller- dene unvorsichtige Erklärungen -offizieller Per
dings wissen wir aus der in allen Zonen Deutsch- sönlichkeiten in der britischen Zone gemacht
lands durchgeführten Demontage, was man unter worden, aus denen sich ergibt, daß die Demon-
Umständen als für die militärische Produktion ge- tagen für Großbritannien eine gesunde Wir-
eignet hinstellen kann. kung haben werden, indem sie nämlich die ge-
Es ist in mehreren Plänen, die die Demontage fährlichste deutsche Konkurrenz ausschalten. -
betreffen, nicht zuletzt in dem Reparationsplan der Nachdem er darauf hingewiesen hatte, daß die Zer-
beiden angelsächsischen Mächte vorn 31. März 1946 störung der deutschen Betriebe vor allem in den
erklärt worden, Deutschland sollten soviel Mittel Herzgebieten der deutschen Industrie dieselbe Wir-
belassen werden, daß es ohne eine Hilfe von außen kung haben muß, wie wenn man einem Menschen
existieren könne. Daß das schon längst nicht mehr zwar Kopf und Füße läßt, dagegen den ganzen
der Fall ist, wissen wir. Wir wissen auf der andern Rumpf wegoperiert, schloß er seine Ausführungen
Seite, daß eine weitere Zerstörung der deutschen mit den Worten:
Wirtschaftskraft das deutsche Leben schlechthin be-
droht, nachdem uns die Ostgebiete geraubt worden All dieses läuft auf eins hinaus, daß, wenn
sind und wir gerade heute auf einen weit größeren Deutschland in Weideland verwandelt werden
Export zur Ernährung unseres deutschen Volkes soll, um England den Verkauf seiner preisge-
angewiesen sind, als das der Fall wäre, wenn wir steigerten Erzeugnisse zu ermöglichen, die
diese Ostgebiete noch hätten. amerikanischen Steuerzahler auch weiterhin die
Es erhebt sich in diesem Zusammenhang eine deutsche Bevölkerung auf einem Hungerlebens-
Frage, über die ich nachzudenken bitte, die Frage niveau erhalten müssen, für das sie nur Haß
nämlich, ob die Reparationen völkerrechtlich über- ernten werden.
haupt begründet werden können. Der amerika- Wir wissen nach amtlichen Feststellungen, daß
nische Senator Armstrong hat am. 5. Oktober 1947 im September dieses Jahres bereits 300 000 Ar-
an General Clay einen Brief gerichtet, in dem es beitsplätze durch die Demontage verlorengegangen
wörtlich heißt: sind. Das bedeutet, daß ungefähr 900 000 Menschen
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1040 223
(Dr. Richter)
ihren Lebensunterhalt aus der früheren Arbeit ver- Es wird ihr als nicht mehr gestattet ange
loren haben. Betrachtet man die völkerrechtliche sehen, daß sie ihren Willen ungezügelt durch
Situation Deutschlands in dieser Hinsicht, so, glaube setzt und die Rechte der Einwohner ignoriert.
ich, haben wir allen Grund, immer und immer Wir sehen in den Anträgen, die hier vorliegen,
wieder gegen diese Maßnahmen Front zu machen, Anträge, denen wir an sich unsere innerste Zu-
die wahrhaftig nicht dem auch von uns gewünsch- stimmung geben. Ich möchte aber in diesem Zu-
ten Frieden und dem Zusammengehen der Völker sammenhang betonen, daß wir für die Demontage-
Europas dienen können. verweigerer wie für die Verurteilten die Regierung
Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch bitten, auf jeden Fall alles zu tun, um diesen Men-
das Augenmerk des Hohen Hauses auf ein Gebiet schen zu helfen. Aber auch das Schicksal jener Mil-
hinwenden, das meines Wissens heute noch nicht lionen, die durch die Demontage um ihre Arbeits-
erwähnt wurde und in dem bei den nunmehr be- plätze gekommen sind, steht uns so hoch und ist
gonnenen Demontagen gerade Ostvertriebene in für uns so ungeheuer bedeutungsvoll, daß wir es
außerordentlich großer Zahl um ihre Arbeitsplätze ablehnen müssen, das Schicksal dieser Menschen
kommen: das ist das Gebiet von Watenstedt-Salz- hier zu Propagandazwecken mißbrauchen zu lassen.
gitter. (Beifall rechts.)
(Zuruf links: Das ist erwähnt worden!)
— Es ist erwähnt worden? Ich habe gesagt „meines Wir wissen genau, wie man diesen Menschen
Wissens"; ich bitte um Verzeihung. helfen kann, aber wir stehen auf dem Standpunkt,
In den Jahren 1945 bis 1947 wurden in allen daß sich diejenigen auch auf der andern Seite des
Zonen ohne deutsche Zustimmung einseitig Repa- Eisernen Vorhangs für die Belange des deutschen
rationsmaßnahmen durchgeführt, und im Jahre schaffenden Menschen einsetzen sollten, die sich
1948 begann eine Serie systematischer Repara- über dieses oder jenes auf dieser Seite — hier
tionsentnahmen besonders in der britischen Zone, hüben — aufregen, ohne den Mut aufzubringen,
in welcher sich ja das wichtigste deutsche Indu- auch, der sowjetischen Besatzungsmacht, ihrem
striegebiet in Rheinland-Westfalen befindet. Da es Brötchengeber, ganz gehörig Bescheid zu geben, um
nicht möglich war, in diesem in langen Jahrzehnten die Rechte Deutschlands zu verteidigen. Anträgen
feingegliederten Organismus die Demontagearbeiten dieser Leute, die nur Propaganda mit der Not der
mit den eigenen Besatzungstruppen durchzu- Menschen treiben, können wir unsere Zustimmung
führen, griff die britische Militärregierung dazu, nicht geben.
unter Ausschluß eines Berufungsrechts und mit (Beifall rechts. — Zurufe links.)
Strafandrohung im Weigerungsfalle deutsche Ar-
beiter dazu zu zwingen, an einseitig beschlossenen Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr
Demontagemaßnahmen gegen deutsche Friedens- Abgeordneter Tichi.
produktionsbetriebe mitzuwirken. Sie ließ sich darin
auch nicht durch den in dem großen Demontage- Tichi (WAV): Meine Damen und Herren! Wir er-
verweigererprozeß in Bochum erbrachten Beweis klären uns mit den Anträgen der Sozialdemokra-
behindern, daß nach internationalen Rechtsvor tischen Partei und der Kommunistischen Partei,
schriften die bisherigen Reparationsmaßnahmen durch die die weitere Demontage eingeschränkt
in Deutschland keine Rechtsgültigkeit besitzen. werden soll, grundsätzlich einverstanden. Das
Einmal widerspricht es dem Grundgesetz, Artikel deutsche Volk hat bisher für die Verbrechen ein-
12, Absatz 3 und 4, deutsche Arbeiter zur Zwangs- zelner genügend schwer gebüßt, und man müßte
arbeit zu bringen. Aber nicht nur hier wird jede erwarten, daß endlich alle Vergeltungsmaßnahmen,
Zwangsarbeit abgelehnt. Ich verweise auf das am zu denen ebenfalls Demontagen gehören, ein Ende
3. November 1947 durch das Internationale Militär- finden. In einer Zeit, in der unser Volk durch die
gericht gefällte Urteil gegen Oswald Pohl, in dem Mark-Entwertung ohnehin schwer belastet wird,
es heißt: müssen Maßnahmen der Siegermächte, wie es die
Es gibt keine wohlwollende Sklaverei. Un Demontagen sind, unterbleiben, damit weitere Ar-
freiwilliger Dienst, wenn auch durch humane beitsplätze nicht verlorengehen.
Behandlung gemildert, ist immer noch Sklaverei. Man sollte die einmütige Haltung des ganzen
Und in der Verfassung der Vereinigten Staaten deutschen Volks in dieser Frage nicht als nationa-
heißt es: listische Regung ansehen, sondern sie so verstehen,
Weder Sklaverei noch unfreiwillige Dienst- daß es um den nackten Selbsterhaltungstrieb der -
leistung — ausgenommen als Strafe — soll betreffenden Menschen geht. Die Regierungen
weder in den Vereinigten Staaten noch in Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten
irgendeinem anderen unter deren Gerichtsbar- Staaten von Amerika müßten es verstehen, daß
keit stehenden Ort bestehen. wir nichts anderes wollen, als daß das deutsche
Und die Charta der Menschenrechte der Vereinten Volk ohne fremde Hilfe auf eigene Beine gestellt
Nationen vom Dezember 1948 erklärt in Artikel 23: wird. Tun die Alliierten trotz aller Warnung etwas
Jeder hat das Recht der freien Wahl der Be anderes, dann sind sie schlecht beraten.
schäftigung. Wir befürworten den Antrag der Kommunisti-
Niemand darf also nach dieser Charta der Men-
schenrechte zu irgendeiner Arbeit gezwungen schen Partei auf Amnestierung verurteilter deut-
werden. scher Demontageverweigerer durch den Hohen
Wenn man sich nun hier vielleicht damit heraus- Kommissar der britischen Besatzungszone. Man
winden möchte, daß man diese ganzen Befehle, kann die Tat dieser Menschen verstehen, denen
die darüber ergangen sind, auf das Militärische man ihre Arbeitsplätze raubt und die man damit
schieben wollte, so erlaube ich mir, das Hohe Haus zur Verzweiflung treibt. Deshalb halten wir Nach-
auf das „Manual of Military Law" hinzuweisen, in sicht und Amnestie für geboten.
dem es in Punkt 354, nachdem vorher das Völker- (Beifall bei der WAV.)
recht genau aufgebaut und gegliedert und damit die
Rechte der Besatzungsmacht gekennzeichnet sind, Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Herr
heißt: Abgeordnete Dr. Lehr.
224 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949

Dr. Dr. Lehr (CDU): Meine Damen und Herren! dann betragen die Umsetzungskosten für dieses
Nachdem hier die Regierungserklärung verlesen Werk allein 365 Millionen D-Mark, ganz abge-
worden ist, schlage ich dem Hohen Hause namens sehen davon wie von Herrn Dr. Lehr dargelegt
der vorhin von mir in der Aussprache vertretenen worden ist, in welchem Maße gerade dieses Werk
Fraktionen N or, einen Abänderungsantrag zu den für die Existenz der deutschen Industrie bedeu-
Drucksachen Nr. 7 und 11 anzunehmen. tungsvoll ist. Ich darf zu dem Vorschlag, den er ge-
Die Fraktionen empfehlen die Annahme fol- macht hat, auch noch darauf hinweisen, daß von
genden Antrages: dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen
Der Bundestag wolle beschließen: der ausgezeichnete Vorschlag gemacht worden ist,
aus der August-Thyssen-Hütte ein Gemeinschafts-
Das Haus stimmt der Erklärung der Regie- werk für die europäische Jugend zu gestalten. Es'
rung zu und bittet sie, entsprechend dieser kann doch im Hinblick auf die europäische Not-
Erklärung zu verfahren. wendigkeit nur als eine politische Torheit be-
Damit wären die Drucksachen Nr. 7 und 11 er- zeichnet werden, daß 7000 Arbeiter der August-
ledigt. Thyssen-Hütte durch die Demontage brotlos
Bezüglich der Drucksache Nr. 2, Antrag der werden.
SPD-Fraktion, empfehlen wir Annahme. Wenn ich am Abschluß unserer heutigen Bera-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Frau tung zu dieser Frage Stellung nehme, sei es mir
Abgeordnete Wessel. gestattet, die politische Auswirkung der Demon-
Frau - Wessel (Z): Meine Damen und Herren! tage noch einmal herauszuheben; denn man hat
Ich möchte namens der Zentrumsfraktion, nach- nicht umsonst gesagt, daß die Demontage deut-
dem das - Demontageproblem von meinen Vor- scher Fabriken, die keine Rüstungswerke sind,
rednern bezüglich der Sachverhältnisse so aus- eine Demontage der Demokratie bedeutet. Wer als
führlich behandelt worden ist, nur noch einige deutscher Demokrat 1945 in dem von Hitler hinter-
Punkte hervorheben, die meiner Fraktion hinsicht- lassenen Chaos bereit gewesen ist, in absoluter
lich der politischen Stellungnahme doch wichtig Loyalität gegenüber den Besatzungsmächten an
erscheinen. Ich möchte vor allem betonen: auch den Wiederaufbau unseres Vaterlandes heranzu-
wir sind der Auffassung, daß unser Protest, der gehen, der hat einen Anspruch darauf, von den
so allgemein in diesem Hohen Hause zutage ge- Besatzungsmächten gehört zu werden, wenn er in
treten ist, nicht das mindeste mit nationalistischen dieser Frage seine Stimme erhebt, um nämlich auf
Tendenzen zu tun hat, sondern daß hier zwingende einen schwerwiegenden politischen Fehler auf-
wirtschaftliche und politische Überlegungen zu be- merksam zu machen. Ich glaube, wir sollen die
rücksichtigen sind. Wenn im Ausland der Ein- Sorgen, die wir hier haben, leidenschaftslos dar-
druck erweckt würde, die deutsche Stellung- stellen, es aber auch mit unbedingter Offenheit
nahme gegen die Demontage bezwecke nur, irgend- aussprechen: wenn uns die Westmächte weiterhin
wie nationalistische Meinungen zu äußern, dann die Demontage aufzwingen, dann zwingen sie uns
sieht man die deutsche Situation völlig falsch. Es am Ende den Nationalismus auf. Wenn sie von
geht mit der Demontage ähnlich wie mit dem uns verlangen, daß wir Fabriken, die wir brauchen,
Versailler Friedensvertrag. Schon wenige Jahre damit unser Volk ein menschenwürdiges Dasein
nach Versailles dämmerte in alliierten Kreisen findet, abbauen, obgleich es sich bei diesen Fa-
die Erkenntnis, daß durch diesen Vertrag nicht briken nicht um ausgesprochene Rüstungsbetriebe
der echte und dauerhafte Friede geschaffen wor- handelt, dann provozieren sie im deutschen Volke
den war. Innerdeutsch brachte er dem Rechts- eine Reaktion, mit der wir Demokraten trotz un-
dikalismus einen für die Welt verhängnisvollen seres inständigen Bemühens um Frieden und Ver-
Auftrieb. Einer der Väter dieses Vertrages, näm- ständigung auf die Dauer nicht fertigwerden
lich Lloyd George, war einer der ersten, der für können.
seine Revision eintrat. Ich glaube deswegen, wir (Sehr richtig!)
müßten aus diesen Erfahrungen in Deutschland Meine Damen und Herren! Ich glaube, im allge-
— aber nicht nur wir, sondern vor allem die aus- meinen haben wir Deutsche nicht den Eindruck,
ländischen Staaten — erkennen, daß heute das daß die Besatzungsmächte über die Stimmung der
größte Hindernis für die europäische Verständi- deutschen Bevölkerung schlecht unterrichtet wären.
gung die erneut vorgenommenen Demontagen Es wäre ja auch traurig, wenn der so kostspielige
sind. Wir wollen uns auch darüber klar sein, daß Apparat, den die Besatzungsmächte bisher in
die Demontagen in weitestem Maße ebenfalls dazu Deutschland unterhalten haben, nicht einmal
beitragen, dem Rechtsradikalismus in Deutschland einer ausreichenden Orientierung dienen würde.
wiederum einen verhängnisvollen Auftrieb zu Ich nehme deshalb an, daß man in Paris und Lon-
geben; denn es stellt sich immer mehr heraus, daß don weiß, wie der Durchschnittsdeutsche über die
nichts verhängnisvoller ist, als wenn staatsmänni- Demontage denkt. Trotzdem dürfte es nicht über-
sche Unvernunft den radikalen Elementen die flüssig sein, auch hier einmal auszuführen, daß
Möglichkeit einer Agitation mit durchaus berech- der Durchschnittsdeutsche bei der Demontage, wie
tigten und vernünftigen Folgerungen gibt. sie durchgeführt wird, das Gefühl hat, daß die
In diesem Hohen Hause ist heute mit durch- Westmächte es mit Deutschland darin nicht ehr-
schlagenden Argumenten die wirtschaftliche Un- lich meinen. Er hält nämlich die Demontage für
vernunft der Demontage dargelegt worden. Ich ein Mittel, um die lästige deutsche Konkurrenz
meine, man könnte es nicht genug herausstellen, vom Weltmarkt fernzuhalten. Er ist der festen
daß die Demontage im Widerspruch zur Montage Überzeugung, daß die Siegermächte das De-
des Marshallplans steht. Wenn ich einmal darauf montieren aufgeben würden, wenn es ihnen nur
hinweisen darf, was von meinem Vorredner, dem auf Frieden und Wohlstand ankäme. Man kann
Herrn Kollegen Dr. Lehr, hinsichtlich der August- von uns deutschen Demokraten nicht erwarten,
Thyssen-Hütte gesagt worden ist, wenn wir daran daß wir gegen diese öffentliche Meinung anrennen.
denken, daß der Abbau der Thyssen-Hütte 65 Mil- Wir haben in ungezählten anderen Fällen den
lionen D-Mark und der Wiederaufbau. der Mut gehabt, unserem Volke klarzumachen, daß
vorgesehen ist, rund 300 Millionen D-Mark kostet, die Folgen des Hitlerwahnsinns nicht von heute
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 225
(Frau Wessel)
auf morgen überwunden werden können. Wir kön- man sich mit dieser Auffassung ohne weiteres
nen auch mit Genugtuung feststellen, daß das identifizieren kann. Wohl aber bin ich der Meinung,
deutsche Volk in den ersten Nachkriegsjahren daß es jedem demokratischen Staatsmann zu den-
eine bewunderungswürdige Fähigkeit bewiesen ken geben müßte, wenn seine Politik in der De-
hat, Leid und Entbehrungen, Demütigungen und montagefrage in ausgezeichneter Weise in das
Enttäuschungen zu ertragen. Was in unseren kommunistische Agitationsprogramm hineinpaßt.
Kräften gestanden hat, um es mit Vernunft Uns ist es unbegreiflich, wieso die Westmächte die
und Besonnenheit durch die ersten schweren politischen Auswirkungen der Demontage dauernd
Jahre nach 1945 hindurchzuführen, das haben unterschätzen.
wir getan. Alle demokratischen Parteien haben Dabei haben wir es hier in Deutschland nicht
in dieser Hinsicht in hervorragender Weise einmal nur mit einer Art von Radikalismus zu
zusammengearbeitet. Sogar das Zusammenleben tun. Ich verweise darauf, daß der Herr Bundes-
mit den Besatzungsmächten hat sich trotz der kanzler in seiner Regierungserklärung auch auf die
Opfer, die es dem deutschen Volke auferlegt, er- von rechts drohende Gefahr hingewiesen und von
träglich gestaltet. Man kann uns nicht nachsagen, der Besorgnis der Westmächte in dieser Beziehung
daß wir etwa böswillig wären und keinerlei Ein zu uns gesprochen hat. Wenn die Westmächte aber
sicht für unsere Lage aufbrächten. Wenn wir aber diese Besorgnis nicht bloß als Vorwand benutzen,
von unserem Volke wegen der Fortsetzung der um eine Politik des Mißtrauens gegenüber dem
Demontage befragt werden, dann sind wir nicht deutschen Volke fortzusetzen, dann können sie auf
in der Lage, diese Politik zu beschönigen. eine Revision ihres Standpunktes in der Demon-
Was wollen wir zum Beispiel erwidern, wenn wir tagefrage nicht verzichten. Wir dürfen heute die
wegen der Demontage des Werkes Hochfrequenz- Empfindung haben — es ist auch schon von einem
Tiegelstahl in Bochum, das zu den Deutschen Edel- Vorredner darauf hingewiesen worden —, daß sich
stahlwerken gehört, angesprochen werden? Als der in den Vereinigten Staaten die für jene Weltmacht
einzige Hersteller von Spezialerzeugnissen für die so charakteristische wirtschaftliche Vernunft auch
Elektrowirtschaft hätte das Bochumer Werk für in der Demontagefrage durchzusetzten scheint.
den Wiederaufbau der Berliner Elektroindustrie Der amerikanische Steuerzahler weiß genau, daß
wichtigste Lieferungen durchzuführen. Nicht nur die gesamte Demontage letzten Endes auf seine
der Bundestag und die Bundesregierung, sondern Kosten geht, und die amerikanische Regierung
die gesamte westliche Welt anerkennen die Ver- wird klug genug sein, ihren Bürgern keine über-
pflichtung, für eine Wiederbelebung der Berliner flüssigen und sinnlosen Opfer zuzumuten. Es ist
Wirtschaft Sorge zu tragen. Wir werden uns ja im nur jammerschade, daß nicht auch der französische
Anschluß an diese Frage noch heute in diesem und der britische Steuerzahler die wirtschaftlichen
Hohen Hause darüber unterhalten. In Bochum wird Auswirkungen der Demontage mit tragen muß.
ein Werk demontiert, auf das die Berliner Wirt- Wäre es der Fall, so würden wir uns — dessen bin
schaft überhaupt nicht verzichten kann. Eine der- ich gewiß — in diesem Hohen Hause über das
artige Demontage läßt sich nicht rechtfertigen oder Demontageproblem nicht mehr zu unterhalten
entschuldigen. Sie ist eine ebenso große politische brauchen. Aber die politischen Auswirkungen der
wie wirtschaftliche Torheit. Wir bedauern es sehr, Demontage sind nicht weniger ernst zu nehmen
daß sich ein Teil ddr Weltöffentlichkeit dieser Ein- als die wirtschaftlichen, und von ihnen werden
sicht verschließt, müssen aber feststellen, daß die Frankreich und Großbritannien als erste mit be-
deutsche Öffentlichkeit diese Zusammenhänge troffen. Nur die deutsche Demokratie wird
kennt und deshalb über den Ernst des Demontage- darunter noch vor diesen beiden Großmächten zu
problems keineswegs hinweggetäuscht werden leiden haben.
kann. Wir sind dabei, meine Damen und Herren, um
damit zum Schluß zu kommen, der Überzeugung,
Ich glaube, auch die Ausführungen, die insbeson- daß unsere politischen Zielsetzungen durchaus
dere der Sprecher der Kommunistischen Partei ge- nicht im Gegensatz zum französischen Sicherheits-
macht hat, zeigen, was er in seinem Sinn aus der bedürfnis zu stehen brauchen. Uns Deutschen ist
Demontage als politischem Problem zu machen ver- nicht weniger als dem französischen Volk daran
suchte. Man könnte jedes seiner Worte durch die gelegen, daß Deutschland nicht noch einmal in das
kommunistische Agitation in den von der Demon- chaotische Abenteuer eines Weltkrieges hinein--
tage bedrohten Gemeinden illustrieren. Ich selber manövriert werden kann. Kein Franzose kann
komme aus dem westfälischen Industriegebiet. Ich ernsthafter als wir bestrebt sein, die Kräfte an der
habe Gelegenheit genug gehabt, die politischen Entfaltung zu hindern, denen unsere Generation
Auswirkungen der Demontage kennenzulernen. Ich die grauenhaftesten Tragödien der deutschen Ge-
kann mir nicht denken, daß man sich in London schichte verdankt. Ich sehe wirklich keinen Grund,
und Paris dieserhalb keine Gedanken macht. Viel- weshalb es nicht möglich sein könnte, mit
leicht ist man der Meinung, die Auswirkungen der Frankreich und Großbritannien über eine echte
Demontage würden durch die Methoden der und wirkliche Sicherheit des Friedens in Europa
sowjetischen Besatzungspolitik reichlich zugedeckt.
Aber es ist nun einmal ein großer Unterschied, ob ohne Demontage zu einer Verständigung zu kom-
man die Folgen einer falschen Politik am eigenen men. Was der Artikel 24 des Grundgesetzes un-
Leibe zu spüren bekommt und als solche beklagt, seren Nachbarländern bietet, das ist weit mehr, als
oder ,ob sie von anderen getragen werden müssen. durch , Demontage bewirkt werden kann, und
Die Menschen, die sich jetzt in Moers, in Ober- trägt zur echten Sicherheit Europas bei. Hier
hausen, in Wanne-Eickel, in Dortmund, in Berg- zeigt sich am deutlichsten, daß endlich die ent-
kamen die Demontage der Fischer-Tropsch-Werke, scheidenden Anstrengungen zur Überwindung des
in denen sie ihren Lebensunterhalt gefunden haben, Krieges und zur Verständigung der Völker unter-
vor Augen halten, interessiert es bei dieser Frage nommen werden müssen. Die Welt bedarf nicht
absolut nicht, was in der Sowjetzone vor sich geht. der Demontage von Fabriken, die dem allgemeinen
Aber sie treffen die Feststellung, daß von den west- Wohlstand dienen, sondern der Montage eines
lichen Demokratien das Heil auch nicht zu er- echten und gerechten Friedens.
warten sei. Ich bin gewiß nicht der Meinung, daß (Beifall beim Zentrum.)
226 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949

Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Ich glaube, man kann aber sagen, daß gerade diese
Herr Abgeordnete Henßler. unberechtigte Zerstörung größter deutscher Werte
in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung
Henßler (SPD): Nur wenige Bemerkungen zu Zweifel daran hervorruft, ob es den Stimmen im
den Anträgen! Ich bitte um die Zustimmung zu Auslande, die uns erklären, daß sie uns in die
dem Antrag Nr. 2 der sozialdemokratischen Frak- europäische Gemeinschaft zurückführen wollen,
tion. Seine Annahme macht den Antrag Nr. 6 der wirklich ernst ist.
Kommunistischen Partei hinfällig. (Erneute Zustimmung.)
Bezüglich des Antrags Nr. 7 halte ich eine Be- Diejenigen von Ihnen, meine Damen und Herren,
ratung in der Kommission für erforderlich tin die Versailles miterlebt haben, werden mir be-
der jetzigen Form kann ihm nicht zugestimmt stätigen, daß in der Folgezeit gerade der Versailler
werden, und in der Kommissionsberatung könnte Vertrag, über dessen Erfüllungsmöglichkeiten man
dann auch festgestellt werden, ob er zum Teil sich schon bei der Unterzeichnung keinem Zweifel
nicht offene Türen einrennt. Nach Auskünften, die hingegeben hatte, die beste Propaganda für einen
u ns im nordrhein-westfälischen Landtag gegeben zügellosen Nationalismus gewesen ist.
wurden, kann man nicht davon sprechen, daß (Sehr richtig!)
noch Zwangsverpflichtungen gefordert werden. Das Ich glaube, man müßte verhüten, daß die Durch-
müßte klargestellt werden. Die sozialdemokratische führung der Demontage in späteren Jahren
Fraktion hätte aber keine Bedenken, hier im wiederum zu einer solchen Parole wird, wie es
Plenum dem Antrag zuzustimmen, der die die Unterzeichnung des Versailler Vertrags ge-
Amnestierung der wegen Demontageverweigerung worden ist.
bestraften Menschen fordert.
(Sehr richtig!)
Vizepräsident Dr. Schiffer: Das Wort hat der Darum möchte ich auch von der Tribüne dieses
Herr Bundeskanzler. Hohen Hauses herab an die drei Westalliierten die
dringende Bitte richten, die Demontagefrage vor-
nehmlich unter diesem Gesichtspunkt zu be-
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen trachten, ihre Erledigung nicht auf die lange
und Herren! Ich hatte mich heute vormittag schon Bank zu schieben, sondern dieses Problem be-
zum Wort gemeldet, um bei der Bedeutung. die herzt in die Hand zu nehmen. Ich meine, es müßte
dieser Gegenstand für das gesamte deutsche Volk bei gutem Willen möglich sein, auch hier eine
hat, vor Schluß der Debatte auch die Meinung der Lösung zu finden, die dem Reparationsverlangen
Bundesregierung Ihnen und der Öffentlichkeit mit- der drei Westalliierten gerecht wird,) ohne bei
zuteilen. uns dieses bittere Gefühl hervorzurufen, das ich
Der Verlauf der Demontagefrage ist für uns eben geschildert habe.
alle eine große Enttäuschung. Wir hatten gehofft, (Lebhafter Beifall.)
daß das Zusammensein der drei Außenminister in
den Vereinigten Staaten einen Anlaß und eine Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
Möglichkeit gegeben hätte, die bisherige Demon- Herr Abgeordnete Paul.
tagepolitik einer Nachprüfung zu unterziehen. Ich
weiß zur Stunde nicht, ob Verhandlungen zum Ab- Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Nach-
schluß gekommen sind oder nicht. Die Pressenach- dem nun alle Parteien zu unseren Anträgen Stel-
richten, die wir erhalten haben, lauten ungünstig; lung genommen haben, möchte ich noch einige
aber sie brauchen ja nicht hundertprozentig zu- Schlußbemerkungen machen.
verlässig zu sein. Der Arbeitsminister Storch hat hier erklärt, daß
Den Ausführungen, die einige meiner Herren die Bundesregierung für die Arbeitsämter nicht
Vorredner zur Demontagefrage gemacht haben, zuständig sei. Wir sind allerdings der Auffassung,
habe ich kaum etwas hinzuzufügen. Ich möchte daß die Bundesregierung sehr wohl in der Lage
nur nachdrücklichst auch gegenüber den West- gewesen wäre, nachdem sie von der Vermittlung
alliierten auf die 'psychologische Bedeutung gerade von Arbeitskräften für die Demontagefirmen
dieser Demontagefrage hinweisen. Es ist mir be- Kenntnis hatte, eine Empfehlung an die Arbeits-
kannt, daß es bei den Westalliierten vielfach so an- minister der Länder zu geben, keine Arbeits-
gesehen wird, als ob wir Deutsche, wenn wir im- kräfte mehr für die Vernichtung deutscher Arbeits-
mer wieder mit der Demontagefrage kommen, da- stätten bereitzustellen. Dem Herrn Arbeitsminister
mit eine Art Propaganda treiben wollten, und Storch und auch, wie ich glaube, dem Herrn Kol-
demgegenüber wird auf der andern Seite das Ge- legen Henßler scheint entgangen zu sein, daß mar
fühl und das Empfinden wach, aus Prestigegründen den Arbeitern, die in den letzten Tagen auf Grund
könne man dem deutschen Verlangen nicht nach- ihrer gewonnenen Erkenntnis die Arbeit nieder-
geben. Es ist mit Recht hervorgehoben worden gelegt haben, zum Beispiel im Ruhrgebiet, eine
— und ich unterstreiche das —: es ist bei uns Dut- Karenzzeit von vier bis sechs Wochen auferlegt hat.
schen weder Rechthaberei noch ein Bestreben, Pro- (Hört! Hört! bei der KPD.)
paganda zu betreiben; es sind wirtschaftliche Das wurde mir von Essen, von Duisburg und von
Gründe, die uns veranlassen, und es sind darüber Oberhausen mitgeteilt. Ich glaube, daß die An-
hinaus psychologische Gründe von allergrößter Be- wendung veralteter Paragraphen hier wirklich
deutun g. Wenn man das deutsche Volk in das nicht am Platze ist. Wir sind der Auffassung, daß
europäische Leben und auch in das europäische die langwöchigen Karenzzeiten untragbar für Men-
Wirtschaftsleben eingliedern will, so wird das nur schen sind, die ihren Arbeitsplatz zu wechseln
dann Erfolg haben, wenn das deutsche Volk we- wünschen. Ich möchte jedenfalls empfehlen und
nigstens in seiner Mehrheit die Überzeugung be- erwarte das von dem Herrn Arbeitsminister Storch,
kommt. daß dieser Wille der drei Westmächte daß er baldigst dafür sorgt, daß die Arbeits-
wirklich vorhanden ist. minister der Länder in dieser Richtung angewiesen
(Sehr richtig!) werden.
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, _Freitag, den 30. September 1949 227
(Paul)
A) Der Herr Bundeskanzler hat zu den Demon- Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
tagen ebenfalls Stellung genommen. Ich teile Herr Bundesminister Storch.
seinen Optimismus in bezug auf die kommenden
Verhandlungen nicht. Ich sagte bereits in meinen Storch, Bundesminister für Arbeit: Zu den Aus-
Ausführungen, daß in der letzten Erklärung der führungen des Abgeordneten Paul habe ich folgen-
drei Westmächte ganz eindeutig ausgesprochen ist, des zu erklären.
daß die Demontagen weitergehen. Deshalb ist es Ich habe mich schon vor Wochen in meiner Eigen-
notwendig, daß die gesamte deutsche Bevölkerung schaft als Direktor der Verwaltung für Arbeit so-
ohne Rücksicht auf ihre politische oder religiöse wohl mit dem Arbeitsminister von Nordrhein-
Einstellung ihre Stimme erhebt, damit endlich Westfalen als auch dem Leiter des dortigen Landes-
mit der Vernichtung und der Fortnahme deut- arbeitsamtes darüber in Verbindung gesetzt, daß
schen Eigentums Schluß gemacht wird. keine Arbeitsverpflichtungen für Demontage durch-
(Zuruf: Was ist denn im Osten?) geführt werden sollen. Der Arbeitsminister von
— Ich komme jetzt auf den Osten, meine Damen Nordrhein-Westfalen wird am Dienstag bereits wie-
und Herren. der bei mir sein, und wir werden alles tun, um da-
(Zurufe.) für zu sorgen, daß kein deutscher Mensch von
Der Herr Abgeordnete Richter glaubte, zur Be- einer deutschen Dienststelle veranlaßt oder ge-
gründung der Ablehnung unserer Anträge eine drängt oder irgendwie zu einer Demontagefirma
Hetze gegen die sowjetische Besatzungszone gebracht wird. Ebenfalls wird die Frage klargestellt
werden, ob die gesetzlichen Bestimmungen bei der
(Zurufe rechts: Tatsachen! Keine Hetze!) freiwilligen Aufgabe einer Arbeitsstelle dieser Art
und gegen die Besatzungsmacht der Sozialistischen in Anwendung kommen sollen. Ich glaube ganz be-
Sowjetunion entfachen zu müssen. stimmt, daß Wege gefunden werden, daß wir Men-
(Zuruf: Lesen Sie doch mal Ihre Zeitungen!) schen, die ihre Arbeit bei Demontagefirmen auf-
Ich möchte Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen, daß geben, keinerlei Karenzzeit für die Erlangung der
gemäß dem Potsdamer Abkommen schon seit Fe- Arbeitslosenunterstützung auferlegen werden.
bruar 1947 in der Ostzone die Demontagen abge- (Beifall. — Abg. Renner: „Gut Ding,
schlossen sind. was sich bessert"!)
(Schallendes Gelächter. — Zuruf: Weil nichts
mehr da war! — Weitere Zurufe. — Glocke Vizepräsident Dr. Schäfer: Weitere Wortmel-
des Präsidenten.) dungen liegen zu dem Gegenstand nicht mehr vor.
Wir kommen damit zur Abstimmung.
— Ihr Gelächter kann mich nicht aus der Ruhe
bringen. Ich sehe darin nur ein Zeichen der (Abg. Paul: Ich bitte ums Wort zur Abstimmung!)
Dummheit Zur Abstimmung der Herr Abgeordnete Paul!
(Unruhe.)
(Lebhafte Zurufe)
und der parteipolitischen Kurzsichtigkeit. Paul (KPD): Nur Ruhe! Ich habe die Zeit!
(Zurufe. — Glocke des Präsidenten.) (Abg. Rische: Gestern hatten Sie da drüben auch
soviel Zeit!)
Vizepräsident Dr. Schäfer: Herr Abgeordneter Die Sache erscheint mir wichtiger als manche
Paul, Sie haben eben den Ausdruck „Dummheit" andere Anträge!
gebraucht. Ich frage Sie, ob Sie ein Mitglied des Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt
Hauses gemeint haben. zur Abstimmung, und anscheinend hat der Präsi-
dent die Absicht, den Antrag Drucksache Nr. 2 der
Paul (KPD): Ich meine die Lacher in Deutsch- sozialdemokratischen Fraktion zuerst zur Abstim-
land, die glauben, sich über die Lebensnotwendig- mung zu bringen. Ich möchte auf jeden Fall darauf
keiten des deutschen Volkes hinwegsetzen zu hinweisen und bitte Sie, sich unseren Antrag ein-
können. mal ernstlich anzusehen — das heißt: die Druck-
(Zuruf: In der Ostzone ist Lachen verboten!) sache Nr. 6 —; er geht weiter als der Antrag der
sozialdemokratischen Fraktion. Im Antrag der
In der Ostzone wurden dem deutschen Volke zahl- sozialdemokratischen Fraktion wird zum Schluß
reiche Betriebe zurückgegeben. gesagt.:
(Gelächter.) Der Bundestag erhofft von den Regierungen
Hier wird demontiert und demoliert. Aber ich er- Frankreichs, Großbritanniens und der Ver-
warte von Ihnen, meine Herren von rechts, einigten Staaten von Amerika, daß sie
(Zuruf: Was heißt „rechts"?) 1. eine erneute Nachprüfung der Demontage-
gar nichts anderes; denn Sie verkörpern das deut- listen beschleunigt veranlassen;
sche Monopolkapital, welches mit dem ausländi- 2. bis zur endgültigen Entscheidung keine
schen Monopolkapital gemeinsame Sache macht. weiteren Demontagen durchführen und die
(Zurufe.) laufenden Demontagen stoppen.
In unserm Antrag heißt es:
Wir werden mit dem werktätigen Volk den Kampf
zur Rettung der deutschen Arbeitsstätten und un- Der Bundestag wolle beschließen, die Be-
seres nationalen Eigentums weiterführen. satzungsmächte aufzufordern, alle Demontagen
sofort einzustellen.
(Unruhe und Zurufe.)
Wir sind der Meinung, daß unser Antrag der wei-
Ich möchte an alle vernünftigen Damen und testgehende ist. Wir bitten den Präsidenten, zuerst
Herren dieses Hauses appellieren, unseren Anträ- über unsern Antrag als den weitestgehenden ab-
gen die Zustimmung zu geben. Sie würden sich stimmen zu lassen.
damit in der Tat für die sozialen und nationalen
Interessen unseres Volks entscheiden. Jede andere Vizepräsident Dr. Schäfer: Meine Damen und
Entscheidung ist eine Entscheidung für Amerika. Herren, ich bin abweichend von der Auffassung
(Beifall bei der KPD.) des Herrn Abgeordneten Paul der Ansicht, daß der
228 Deutscher Bundestag -— 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Vizepräsident Dr. Schäfer) .
Antrag Nr. 2 — unter Punkt 2 der Tagesordnung — Das Haus stimmt der Erklärung der Regierung
der weitergehende ist, und zwar weil er sich auf zu und bittet sie, entsprechend dieser Erklärung
umfangreichere Inhaltsgebiete erstreckt als der zu verfahren.
Antrag der KPD. Ich lasse zunächst über den Abänderungsantrag
(Abg. Rische: Das ist aber sophistisch!) abstimmen. Ich bitte diejenigen, die für den Ab-
— Ich möchte diesen Ausdruck gegenüber einer änderungsantrag sind, die Hand zu erheben. — Das
Äußerung des Präsidenten dieses Hauses aufs ent- ist die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen.
schiedenste zurückweisen. Herr Abgeordneter, darf Die Anträge auf Drucksache Nr. 7 und Nr. 11
ich Sie um Ihren Namen bitten? sind damit auch erledigt.
(Abg. Rische nennt seinen Namen.) Wir kommen nunmehr zu den Punkten 6, 7 und
— Herr Abgeordneter Rische, ich rufe Sie zur Ord- 8 der Tagesordnung:
nung! Antrag der Fraktion der SPD, betreffend Groß
(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) Berlin (Drucksache Nr. 3);
Ich frage das Haus, ob es meiner Auffassung, daß Antrag der Fraktion der SPD, betreffend Maß-
der Antrag der SPD der weitergehende ist, zu- nahmen für Groß-Berlin (Drucksache Nr. 16);
stimmt. Ich bitte diejenigen um Handzeichen, die Antrag der Fraktion der DP, betreffend Mittel
meiner Auffassung beistimmen. — Das ist die des Bundes zur Deckung des Haushaltsdefizits
Mehrheit. Wir kommen damit zur Abstimmung. der Stadt Berlin (Drucksache Nr. 40).
(Abg. Paul: Zur Abstimmung!) Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß die
— Wir sind in der Abstimmung. Ich kann nicht Punkte 6, 7 und 8 der Tagesordnung wegen der
noch einmal das Wort zur Abstimmung erteilen. Gleichartigkeit des Gegenstandes zusammen be
Wir fahren in der Abstimmung fort. Ich bitte die- handelt werden sollen.
jenigen, die für den Antrag der SPD, Drucksache Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder.
Nr. 2, sind, die Hand zu erheben. — Das ist die
Mehrheit. Der Antrag ist damit angenommen., Frau Schroeder (SPD): Meine Herrn und
Der Antrag Drucksache Nr. 6 ist damit gleich- Damen! Wenn ich die Ehre habe, im Auftrage
zeitig erledigt. meiner Fraktion die Anträge auf Drucksache Nr. 3
und 16 zu begründen, so möchte ich zunächst das
(Abg. Renner: Zur Geschäftsordnung! — Bedauern wiederholen, das ich am 14. August an-
Zuruf von der KPD: Wir sind doch kein läßlich der außerordentlichen Stadtverordneten-
Gesangverein!) Versammlung zur Wahl der Bundesversammlung
ausgesprochen habe, das Bedauern darüber, daß
Renner (KPD): Meine Damen und Herren, ich die Herren Militärgouverneure sich nicht haben
spreche zur Abstimmung. Dazu habe ich laut Ge- entschließen können. in Übereinstimmun a m it dem
schäftsordnung ein Recht. Artikel 23 des Grundgesetzes Berlin als vollberech-
Ich stelle hier folgendes fest. Der Herr Präsident tigtes Mitglied des Bundes anzuerkennen. Ich freue
hat durch Mehrheitsbeschluß erreicht, daß über mich um so mehr, daß die sozialdemokratische
einen Antrag, der inhaltlich enger ist als der Fraktion in ihrer Gesamtheit heute die Aufforde-
unsrige, zuerst abgestimmt worden ist. rung an den Bundestag richtet, feierlich vor aller
(Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) Welt zu erklären, daß nach dem Willen des deut-
schen Volkes Groß-Berlin Bestandteil der Bundes-
Wir haben für diesen Antrag gestimmt, aber der republik Deutschland ist.
Herr Präsident hat keine Handhabe, — — (Beifall.)
Vizepräsident Dr. Schäfer: Herr Abgeordneter Nur hierdurch ist es möglich, die Stellung Ber-
Renner, der Gegenstand, zu dem Sie sprechen, ist lins innerhalb Deutschlands so zu gestalten, daß
durch Abstimmung erledigt. sie ihrer Bedeutung und ihrem Wert entsprechend
d i e Festigkeit erhält, die im Hinblick auf. die er-
Renner (KPD): Ich protestiere! Ich habe nach der strebte Einheit Deutschlands und die erstrebte Be-
Geschäftsordnung ein Recht zu protestieren. hebung der außerordentlichen Schwierigkeiten
Berlins notwendig ist. Solange wir aber diese Stel-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Sie haben nicht das lung nicht erhalten haben — ich hoffe, daß die -
Recht, zur Geschäftsordnung zu einer Angelegen- Hohen Kommissare sich sehr bald dazu ent-
heit zu sprechen, die bereits durch Abstimmung er- schließen; aber wir können nicht bis dahin war-
digt ist. ten —. ist es notwendig. daß schon vorher der feste
wirtschaftliche Anschluß geschaffen wird, wie er ja
Renner (KPD): Ich protestiere dagegen, — — auch schon auf anderer Seite besteht, zum Beispiel
zwischen Ost-Berlin und der Ostzone, und wie er
(Unruhe und Zurufe.) zu einem Teil durch die einheitliche Währung
Vizepräsident Dr. Schäfer: Herr Abgeordneter
West-Berlins mit West-Deutschland geschaffen
worden ist. Denn nur durch diesen wirtschaft li chen
Renner, ich entziehe Ihnen das Wort zu diesem Zusammenschluß können wir die ungeheuerlichen
Gegenstand.
Schwierigkeiten ökonomischer und finanzieller Art
(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — überwinden, in denen sich Berlin heute befindet.
Abg. Renner — vom Rednerpult abtretend —: Angesichts der hier von verschiedenen Seiten
„Demokratie"! Wir werden euch schon Antwort laut gewordenen Kritik scheint es mir doch not-
geben! — Zuruf in der Mitte: Kümmern Sie sich wendig, daß ich einen kurzen Rückblick auf die
lieber um Buchenwald!) Entwicklung der Lage gebe, in der sich Berlin
Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu heute befindet. Berlin ist nicht nur, zum großen
den Anträgen auf Drucksache Nr. 7 und Nr. 11. Da- Teil durch die deutsche Wehrmacht und die SS noch
zu liegt ein Abänderungsantrag der CDU/CSU-, ganz besonders in den letzten Kriegstagen, zer-
FDP- und' DP-Fraktion vor. Er lautet: schlagen worden, sondern in Berlin sind alle sozia-
Deutscher Bundestag — 11 Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 229
(Frau Schroeder)
len Einrichtungen genau so zerschlagen worden dem im Westen die Rede war, uns bereits 1945
wie die Gebäude Berlins. Sparkonten und Bank- fortgenommen war. Was es bedeutet hat, daß dem
konten sind, wie man es so schön nennt, einge- Magistrat die Konten gesperrt wurden, so daß er
froren, das heißt aufgehoben worden. Pen- nicht in der Lage war, seine Verpflichtungen zu
sionszahlungen durften nicht mehr geleistet erfüllen, das kann wirklich nur derjenige empfin-
werden. Die Versicherungsträger waren zusammen- den und verstehen, der das in Berlin miterlebt hat.
gebrochen, Löhne und Gehälter durften auf Mo- (Sehr wahr! bei der SPD und in der Mitte.)
nate hinaus auf Anordnung der Besatzungsmacht
nicht gezahlt werden. Die Folge war eine Not ohne- Die Blockade hat ein weithin — nicht nur in
gleichen, die, wenn wir auch die Not in Gesamt Deutschland, sondern in der ganzen Welt — sicht-
Deutschland berücksichtigen, doch unendlich höher bares Fanal gegeben, und ich möchte in diesem
war als die Not in Westdeutschland. Die alten Men- Augenblick allen denen, die uns in Erkenntnis
schen brachen zusammen. Die Jugend, die ihre dessen, was diese Blockade für Berlin bedeutete,
Hoffnung verloren hatte, war gleichzeitig der ihre Hilfe gewährt haben, unsern herzlichsten
schlimmsten Unterernährung preisgegeben — Dank aussprechen.
Schwierigkeiten der unerhörtesten Art, die uns, als (Bravorufe.)
wir als erstes demokratisches Stadt-Parlament und Ich möchte der westdeutschen Bevölkerung, von
als erster demokratischer Magistrat am 20. Otkober der ich weiß, daß auch sie all diese Jahre hindurch
1946 gewählt wurden, noch vor schier unüberwind- ihre Not gehabt hat, herzlichst danken für die
liche Aufgaben stellten. Dann kam der allerdings Hilfe, die sie auf dem Wege über Wohlfahrts-
auch für Sie ungeheuer schwere Winter 1946/47. organisationen, mit dem Hilfswerk Berlin und mit
Und wenn hier soeben die Debatte über die De- der Übernahme von über 15 000 Kindern zur Er-
montagen stattgefunden hat, dann, meine verehrten holung nach Westdeutschland gewährt hat. Ich
Herren und Damen, muß ich Ihnen sagen, daß Ber- danke ebenso allen ausländischen Wohlfahrts-
lin bereits in den allerersten Nachkriegstagen so organisationen, ganz besonders denen Englands
demontiert wurde, daß von einer wirklich geord- und Amerikas. Am allermeisten aber danke ich
neten Wirtschaft nicht mehr die Rede sein konnte. und danken wir den Piloten der Luftbrücke, die ihr
(Hört! Hört!) Leben einsetzten und zu unserem größten Be-
Unsere Frauen sind es gewesen, die mit ihren dauern auch ihr Leben gegeben haben, um Berlin
vor dem Hunger, nein, um Berlin vor dem Ver-
bloßen Händen die Straßen von der Lebensgefahr hungern zu schützen.
befreit und die Trümmer aufgeräumt haben Dazu
war Berlin von vier Besatzungsmächten besetzt, (Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD
und ich spreche ja kein Geheimnis aus, wenn ich und in der Mitte.)
sage, wie wenig einig sich diese Besatzungsmächte Und doch hat die Berliner Bevölkerung — trotz
waren. Berlin war eingeschlossen in eine Zone, in aller dieser Hilfen — im Winter 1948/49 ein Leben
der die größte Not herrschte und politische All- geführt ohne Murren, mit 25 Pfund Kohle pro
macht Verhältnisse schuf, die eine freie Entwick- Familie' für den ganzen Winter, mit Trockenernäh-
lung unmöglich machten. rung für Kinder und Kranke ohne einen Tropfen
Wir haben in den letzten Wochen von dem Be- Milch, mit Strom für zwei Stunden am Tage und
such Thomas Manns in Weimar gehört und haben zwei Stunden in der Nacht, bei Mangel an Gas und
den Brief gelesen, den er nach seiner Rückkehr allem anderen Notwendigen, was ihr niemals ver-
geschrieben hat. Ich glaube, wir alle, die wir die gessen werden darf.
Verhältnisse in der sowjetischen Zone kennen, (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)
können Herrn Thomas Mann sagen: Im Alltag Das möchte ich besonders den Kritikern sagen,
sehen allerdings die Verhältnisse ganz anders aus, die hier im Anschluß an die Regierungserklärung
als wenn man sie als gefeierter Dichter sieht! auch über Berlin gesprochen haben; denn diese
(Sehr richtig! in der Mitte. — Opfer, meine verehrten Herren und Damen Kolle-
Händeklatschen bei der SPD.) gen, sind nicht nur für die Freiheit Berlins ge-
Wenn es uns trotzdem gelungen ist, die Verhält- bracht worden, sie sind gebracht worden für die
nisse im Laufe von einigen Jahren wenigstens Freiheit ganz Deutschlands,
einigermaßen zu festigen, so deswegen, weil ein (erneuter lebhafter Beifall)
enges Verhältnis zwischen der gewählten Exeku-
tive, der Legislative und den Menschen draußen für die Freiheit der Ostzone ebenso wie für die-
bestand, die wußten, daß sie um ihre nackte Exi- Freiheit der Westzonen!
stenz kämpften und gleichzeitig auch um ihre Frei- (Bravorufe und Händeklatschen.)
heit. Allerdings: die Erfüllung unserer Aufgabe ist Ich bedaure deshalb aufs tiefste, wenn aus-
ungeheuer dadurch erschwert worden, daß eine gerechnet der Herr Abgeordnete Dr. Seelos, der
totalitäre Organisation, unterstützt durch eine Be- mich selbst wie auch andere Mitglieder dieses
satzungsmacht, den Kampf gegen das demokra- Hohen Hauses daran erinnerte, wie er im Juni 1947
tische Parlament führte, einen Kampf mit zum Teil mit mir die erste Ministerpräsidentenkonferenz in
schlimmsten Mitteln, von denen Sie hier im München erlebte, auf der Berlin endlich aus der
Westen zwar gelesen haben, die wir aber erleben grausamen Isolierung herausgehoben wurde, daß
mußten. ausgerechnet er und die Frau Ageordnete Kalinke
Als besonderes Kampfmittel kam noch hinzu die eine Kritik an Berlin geübt haben,
teilweise Absperrung Berlins, bis dann infolge der (Abg. Frau Kalinke: Nicht an Berlin!)
Uneinigkeit über die Währungsreform die Blockade die ganz unberechtigt und ganz unverständlich war
über Berlin verhängt wurde. Meine Herren und
Damen, was die Blockade bedeutet hat, nachdem (Abg. Frau Kalinke: Nicht an Berlin!
nicht nur eine, sondern mehrere Währungsrefor- Das weise ich zurück!)
men die Berliner Bevölkerung haben ausbluten und auch von der Berliner Bevölkerung niemals
lassen, kann nur der ermessen, der darunter ge- verstanden werden wird.
litten hat; denn diese Währungsreformen kamen (Händeklatschen bei der SPD. —
ja, nachdem der sogenannte Geldüberhang, von Abg. Frau Kalinke: Das habe ich nicht gesagt!)
230 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
( Frau Schroeder)
Freilich hat der Herr Bundeskanzler — wie ich nach drei Jahren aufs neue vor dieser Tatsache zu
annehmen muß, unbeabsichtigt — dadurch, daß er stehen, ist noch tausendmal schwerer, und der VAB
als einzige Zahlen in seiner Regierungserklärung war ihr Vermögen genau so beschlagnahmt oder
die Summen angegeben hat. die für Berlin her- gesperrt worden wie dem Magistrat. Ich bin selber,
gegeben worden sind, vielleicht diese Kritik des die ich die Freude gehabt habe, vierzehn Jahre lang
Herrn Kollegen Dr. Seelos hervorgerufen. Aber ich im Deutschen Reichstag an der sozialpolitischen
bedaure es, Herr Kollege Dr. Seelos, wenn Sie Gesetzgebung mitzuarbeiten, jeder Kritik zugäng-
sich nicht nur gegen die Überführung von Bun- lich. Aber vergessen Sie nicht, daß diese Versiche-
deseinrichtungen nach Berlin gewandt, sondern rungsanstalt in einer Zeit geschaffen wurde, in der,
auch dagegen protestiert haben, daß Her west- wie ich schon sagte, alles, was es an sozialen Ein-
deutschen Wirtschaft eine Milliarde D-Mark ent- richtungen gegeben hatte, auch an Einrichtungen
zogen worden sei, die man nach Berlin gegeben des Selbstschutzes in Gestalt des Sparkassenkontos,
habe. vernichtet war.
(Abg. Dr. Seelos: Eine Feststellung!) (Zuruf der Abg. Frau Kalinke. —
Sie haben weiter im Zusammenhang mit Behaup- Abg. Schoettle: Hören Sie erst einmal zu!)
tungen, die die antisozialistische Presse im Wahl- — Das ist in Westdeutschland nicht so gewesen,
kampf gemacht und die nicht nur vom Berliner Frau Kalinke! Zum Glück ist es nicht so gewesen.
Magistrat, sondern auch von allen drei westlichen Aber unsere Alten und Arbeitsunfähigen hatten
Militärregierungen zurückgewiesen worden sind, umsonst ihr Leben lang gespart. Das Ersparte ist
eine Kontrolle darüber verlangt, ob dieses Geld vernichtet worden infolge der Art der Besatzung,
nicht etwa zu sozialistischen Experimenten ver- die wir in Berlin erlebt haben, genau so wie die
wendet würde. Pensionen, genau so wie die Unterstützungen für
(Zuruf rechts: Sehr richtig!) die Kriegsopfer und für die Opfer des National-
sozialismus.
— Herr Kollege Dr. Seelos, Sie sitzen in der Koa-
lition mit der CDU zusammen. (Abg. Frau Kalinke: Genau wie bei uns!)
(Widerspruch und Heiterkeit bei der CDU.) — Reden Sie doch nicht immer von „wie bei uns!";
ich bin Hamburgerin, ein bißchen weiß ich auch
— Nein? — Dann bitte ich um Entschuldigung. von dem Unterschied zwischen Westdeutschland
Trotzdem aber möchte ich darauf hinweisen, daß und Berlin.
der Kämmerer Berlins ein nicht nur bei uns, son- (Sehr gut! bei der SPD.)
dern ein auch hier im Westen angesehenes Mit-
glied der CDU, also bestimmt kein Sozialist ist. Und nun war es einzig die Sozialversicherung, die
Ich glaube deshalb, daß dieser Vorwurf, es würde sich einsetzte und sich einsetzen mußte. Ich gebe
Geld aus dem Westen zu sozialistischen Experi- zu, aus diesem Anlaß hat die VAB manche Aufgabe
menten benutzt, ganz besonders auch seine Frak- übernommen, die eigentlich nicht Aufgabe einer
tion und seine Person trifft. Versicherungsanstalt war.
Aber nun hat Frau Kalinke sich gegen die VAB (Abg. Frau Kalinke: Aha!)
gewandt und sich dabei der Argumente bedient, — Jawohl, „aha"! Aber hätte sie sie nicht über-
die der Berliner sogenannte Schutzverband der nommen, dann wären die Menschen restlos zu-
Zwangsversicherten in die Welt gesetzt hat. Frau grunde gegangen.
Kalinke, in der Zeit, da die VAB die Versiche- (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)
rungsanstalt Berlin, zum großen Teil von Mit- Wenn Sie nun auf die Zuschüsse hingewiesen
gliedern der SED geleite und von der sowietischen haben und in Ihrem Antrag Nr. 40 aus einem Miß-
Besatzungsmacht kontrolliert wurde, gab es diesen trauen ohnegleichen eine Kontrolle dieser Zu-
Schutzverband der Zwangsversicherten nicht, schüsse verlangen, — verehrte Frau Kollegin Ka-
sondern er hat sich erst in der Zeit gebildet, als die linke, gibt es denn im Westen keine Zuschüsse?
VAB genau so wie der Magistrat innerhalb weniger Wird hier nicht auch in der Sozialversicherung pro
Stunden ihre Büros im Osten Berlins verlassen Rentner ein jährlicher Zuschuß von 168 Mark ge-
mußte, weil sie sich nicht den Zwangsmaßnahmen zahlt?
der sowjetischen Besatzungsmacht fügen wollte, (Abg. Frau Kalinke: Aber nur in der
und als es in Berlin um Leben und Sterben der Rentenversicherung!)
Demokratie ging.
Und vergessen Sie nicht, daß das allein für die Bi-
(Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen zone 275 Millionen im Jahr ausmacht! Wieso
bei der SPD.) machen Sie uns dann diesen Vorwurf?
Nicht die Sozialisten, nicht die Sozialdemokraten (Zuruf von der SPD: Sie kann
im Berliner Magistrat und auch nicht die beiden ja selbst nach Berlin gehen!)
anderen Parteien im Berliner Magistrat sind schuld
an der Spaltung des Magistrats oder schuld an der [eh darf Ihnen sagen: seit der Zeit, da ich als
Spaltung der VAB, sondern sie ist uns von jener Bürgermeister in Berlin tätig bin und zeitweilig,
diktatorischen Macht auferlegt worden, die mit auch gegenwärtig, Vorsitzende der VAB gewesen
dieser Spaltung genau so wie mit der Diktatur ver- bin und noch bin,
suchte, die Demokratie, die Freiheit Ber li ns zu zer- (Abg. Frau Kalinke: Aha!)
brechen. — jawohl, „aha!", mit Ihrem „Aha!" machen Sie
Wenn wir in jenen Tagen und Wochen um unser IhreAusfüngictwrkame!—,hbic
Leben gerungen haben, auch um unser politisches alles getan, um das, was in der Versicherungs-
Leben, dann ist es vollkommen verfehlt, nun etwa anstalt auch nach meiner Ansicht nicht richtig war,
Einrichtungen zu kritisieren, die in jenen Wochen bessern, und ich bin an dieser Arbeit auch heute
ohne Tisch und Stuhl, ohne Telephon, ohne Schreib- loch beteiligt.
oder Rechenmaschine wieder von vorn anfangen Darüber hinaus bin ich auch bereit, hier im Par-
mußten. Meine verehrten Herren und Damen aus ament, wenn man mir Gelegenheit dazu gibt, an
Westdeutschland, Sie alle wissen, was es bedeutet UdmgestalunrSozivcheung
mitzu-
hat, nach 1945 diesen Anfang zu machen. Aber Sarobzeitlvn.Ischwuß,gd e
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 231
(Frau Schroeder)
für eine halbe Stadt von 2 Millionen Einwohnern Wir haben jetzt Hilfsmaßnahmen zur Linderung
nicht geben kann, daß niemals der Ausgleich der der Not der Währungsgeschädigten beschließen und
Risiken geschaffen werden kann. Aber diese Sozial- veranlassen müssen. Denn unsere Lohn-Ausgleichs-
versicherung muß so gestaltet werden, wie es im kasse, die uns die Alliierten gestattet haben, kann
Interesse der arbeitenden Menschen notwendig ist. bei weitem nicht das erfüllen, was das Wort sagt,
Die VAB ist nicht der Weisheit letzter Schluß, denn nämlich einen Ausgleich vorzunehmen. Wir konn-
sie ist in ganz anormalen Zeiten geschaffen worden. ten nicht einfach die alten Menschen und die Kin-
Aber, Frau Kollegin Kalinke, die Ersatzkassen sind der aus dem Osten, die ihre Unterstützung in wert-
auch nicht der Weisheit letzter Schluß! loser Ostmark erhielten, ohne Hilfe lassen; wir
mußten wenigstens zum Teil diese Beträge um-
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) wechseln, genau so wie die Löhne derjenigen, die
Wir wollen nicht, daß die Ortskrankenkasse wieder im Osten arbeiten und im Westen das Sechsfache
eine Arme-Leute-Krankenkasse wird. Wir wollen, an Miete und für sonstige Notwendigkeiten
daß der Bessergestellte auch wirklich in kamerad- zahlen müssen. Wir mußten, um unsere Wirtschaft
schaftlicher Weise mit eintritt für den am stärksten überhaupt in Gang zu bringen, eine Blockadehilfe
Notleidenden. in Höhe von 20 Millionen Mark gewähren. Dazu
(Sehr gut! bei der SPD.) kommen die Ausgaben für die produktive Erwerbs-
Sie haben gemeint, in diesen Stunden horche das losenfürsorge, die während der Blockadezeit
'deutsche Volk besonders hierher nach Bonn, und wenigstens dazu half, den erwerbslosen Menschen
deshalb sollten alle Politiker ihre Verantwortung Arbeit und unseren Straßen wieder ein einiger-
gegenüber der Sehnsucht und der Erwartung des maßen aufgeräumtes Aussehen zu geben. Nun aber
deutschen Volkes spüren. fehlt uns dieses Geld. Wir haben in Berlin rund
300 000 Arbeitslose und Kurzarbeiter. Das bedeutet,
Meine verehrten Herren und Damen Kollegen! daß ein Drittel bis ein Viertel aller Westberliner
Niemand horcht sehnsuchtsvoller nach Bonn als Familien unter der Erwerbslosigkeit ihres Er-
die Berliner Bevölkerung; aber wenn sie dann aus nährers zu leiden haben.
dem Munde einer Frau hören muß, daß ihre Partei
nicht damit einverstanden ist, daß die Mittel der (Hört! Hört! bei der SPD.)
Steuerzahler der Westzonen, die Berlin zur Ver- Was ist die Ursache? Es ist ja schon davon ge-
fügung gestellt werden, etwa dafür verwendet sprochen worden, daß Betriebe aus Berlin, weil
werden, die zusammengebrochene Versicherungs- sich der Betriebsinhaber in Berlin nicht sicher
anstalt zu erhalten, dann glaube ich, daß Sie da- glaubte, nach dem Westen verlagert worden sind.
mit nicht die Sehnsucht der Berliner erfüllen. Es kommt hinzu das verhängnisvolle Dumping
(Beifall bei der SPD. — Zuruf der Abg. durch die wertlose Ostmark; es kommt hinzu der
Frau Kalinke. — Unruhe rechts. — Zuruf Geldmangel, der uns die Möglichkeit nimmt, die
von der SPD: Sie kriegen wir auch noch sozialen Ausgaben zu machen, die unbedingt für
ruhig!) unsere Jugend, für unsere Alten notwendig wären.
Es kommt hinzu, daß uns durch die Spaltung Ber-
Zu Ihrem Antrag Nr. 40 will ich Ihnen sagen: li ns unsere Heime für Kinder, für Jugendliche
der Rechnungshof Westdeutschlands, der Bizone, allein in der Zahl von 66 Heimen, die im Ostsektor
hat nicht nur die Kasse und die Geschäftslage des lagen, gesperrt worden sind und daß wir bei der
Magistrats, er hat auch die Kasse und Geschäfts- auch seelischen und moralischen Not unserer Ju-
lage der VAB geprüft, und uns sind keinerlei gend nicht einfach diese Jugend zugrunde gehen
Beanstandungen bekannt geworden. lassen konnten, sondern neue Heime für sie schaf-
(Hört! Hört! bei der SPD.) fen mußten. Und dasselbe gilt für unsere Alten.
Man hat volles Verständnis für die ungeheuer Dazu kommt — worunter Sie hier im Westen
schwere Lage gehabt, in der wir uns befinden. zwar zahlenmäßig mehr leiden, wir aber vielleicht
Wenn nun aber infolge der Standhaftigkeit der inhaltsmäßig noch stärker — die Not der Flücht-
Berliner Männer und Frauen und der Hilfe West- linge, die aus der uns umgebenden Ostzone nach
deutschlands und des Auslands die Blockade — Berlin hineinströmen, politische Flüchtlinge, wirt-
worauf ich besonders stolz bin als Pazifistin und schaf tliche 'Flüchtlinge, die wir nicht nach dem
als Frau — auf friedliche Weise überwunden wor- Westen geben können, weil Sie nicht aufnahme-
den ist, so ist zwar die Not in Berlin heute anders, fähig sind, die wir aber auch nicht nach dem Osten
als sie war, aber sie ist nicht geringer geworden. zurückgeben können. Das alles hat ungeheuer
Und warum ist sie nicht geringer geworden? Wir große Schwierigkeiten gemacht, Schwierigkeiten,
alle wissen, daß die Folgen eines Krieges nicht in die nur dadurch behoben werden können, daß Ber-
dem Augenblick überwunden sind, wo die Waffen lin Arbeit hat. Wir wollen ja gar keine Unter-
schweigen; und so sind auch die Folgen der stützungen. Wir wären die glücklichsten Menschen
Blockade nicht in dem Augenblick überwunden, von der Welt, wenn wir nicht mehr um Unter-
wo die Tore wenigstens teilweise wieder geöffnet stützungen nach dem Westen zu gehen brauchten.
worden sind. Dazu kommt, daß wir in unserer Aber was wir brauchen, sind Rohstoffe, sind Ma-
Etatgestaltung nicht frei sind, daß nach Beendi- schinen, sind Kredite, um unsere Wirtschaft in
gung der Blockade die bisher gewährte Unter- Gang zu bringen. Seien Sie mir nicht böse: das ist
stützung von 400 Millionen Mark wieder gestrichen ein Kapitel des Wirtschaftsegoismus Westdeutsch-
wurde und daß alle die Schwierigkeiten hinzu- lands.
kamen, die durch die Blockade geschaffen worden (Sehr richtig! links.)
waren. Wir haben für die Luftbrücke weit mehr Der Westen will Arbeit haben — das verstehen
als 100 Millionen Mark zahlen müssen, ganz unge- wir voll und ganz —, und er gibt nach Berlin die
rechnet die sogenannten mittelbaren Luftbrücken- Fertigfabrikate. Er gibt aber auch manchmal Dinge
kosten für den Bau der Flugplätze hier im Westen her, die Berlin recht gut entbehren könnte, die
Deutschlands. Wir haben in der Blockadezeit, weil aber im Westen auch nicht mehr gebraucht werden.
wir einfach unserer Bevölkerung nicht zumuten Aber wir brauchen statt dessen die Rohmaterialien,
konnten, ihre Trockenernährung noch verteuert zu die Maschinen und die Investierungen unserer
bezahlen, die Lebensmittel subventionieren müssen. Wirtschaft. Nur wenn wir das haben, können wir
232 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Frau Schroeder)
Berlin helfen. Das ist der Sinn unseres Antrags. können geschaffen werden. Ich bedauere, daß das
Und wenn Sie mir jetzt sagen: die Berliner Be- Patentamt nach München verlegt worden ist.
völkerung muß sich selber helfen trotz ihrer un- (Zuruf von der BP: Das glaube ich! — Zu
geheuerlichen Notlage, so darf ich Ihnen sagen und ruf rechts: Nach Moskau. verlegen! — Pfui
muß ich Ihnen sagen, daß zu mir als Bürgermeister Rufe links.)
täglich die Menschen kommen, die buchstäblich In Berlin sind alle Vorbereitungen getroffen, das
nicht mehr weiter können, die tatsächlich vor der Patentamt wieder in Berlin voll zur Arbeit zu
Frage stehen, ob sie den Gashahn öffnen sollen. bringen. Warum ist es nicht möglich, das Aufsichts-
Das sind alle jene, die als Währungsgeschädigte amt für Privatversicherung, das Bundesversiche-
— wie sie sich selber, allerdings in unrichtiger Weise, rungsamt, die Sozialversicherungsträger des Bun-
nennen —, als Währungsvergessene nicht unter des und vieles andere nach Berlin zu legen? Damit
den Geldumtausch fallen und die im Westen Ber- helfen Sie Berlin; Sie helfen ihm ideell, indem der
lins wohnen. Ich muß Ihnen sagen, daß trotz der Glaube Berlins an seine deutsche Heimat gestärkt
ungeheuren Notlage die Berliner Bevölkerung wird, Sie helfen ihm aber auch materiell, indem
Opfer auf sich genommen hat, ein Währungsnot- Sie den Menschen Arbeit geben. Dasselbe gilt für
opfer in Gestalt des Abzugs vom Lohn und des die Elektroindustrie, für unsere Konfektionsindu-
Abzugs vom Einkommen, ein Währungsnotopfer strie, und dasselbe gilt, wie ich schon sagte, für
auch aller derjenigen, die nur ein ganz gering- die Aufträge der Eisenbahn, der Post und für
fügiges Einkommen haben. Denn sie sieht es ein, viele andere.
daß sie nicht das Recht hat, die Selbständigen, auch
die freien Berufe, ebenso wie die Arbeiter und Ich richte deshalb an Sie alle die Bitte: Lassen
Angestellten und den großen, den übermäßig Sie uns gemeinsam den in der Privatwirtschaft
großen Prozentsatz von nicht mehr oder noch nicht vorhandenen Wirtschaftsegoismus überwinden! In
Arbeitsfähigen zugrunde gehen zu lassen. Die Ber- diesen Tagen ist hier so viel von Zwangswirtschaft,
liner Bevölkerung hat eine Baunotabgabe auf sich von Planwirtschaft und- von allen möglichen ähn-
genommen, damit die Menschen, die nicht mehr lichen Dingen gesprochen worden. Ja, was eine
bei der Enttrümmerung beschäftigt werden können, nichtplanmäßige Wirtschaft bedeutet, das erleben
wenigstens bei der Wiederherstellung von Woh- wir in Berlin.
nungen Beschäftigung erhalten. Und als Frau muß (Sehr wahr! bei der SPD.)
ich sagen: hier haben wir geradezu eine Ehren- Wir wollen keine Zwangswirtschaft, aber wir wol-
pflicht, eine Ehrenpflicht gegenüber den Frauen, len und müssen wollen, um leben und existieren
die noch im weißen Haar zum Zwecke der Ent- zu können, daß unsere Wirtschaft in den Plan ein-
trümmerung auf der Straße gestanden haben, und gegliedert wird, der uns und damit ganz Deutsch-
die nun plötzlich arbeitslos werden, weil wir sie land da Leben ermöglicht.
nicht mehr bezahlen können. Wenn wir in diesen Tagen gehört haben, daß die
Die Berliner Bevölkerung nimmt es hin, daß die Zuschüsse aus dem ERP-Fonds nur in ganz ge-
Lebensmittelpreise durch Fortfall der Subventionen ringem Maße nach Berlin kommen sollen, so darf
erhöht werden, daß die Preise für Strom und Gas ich Ihnen sagen, daß wir uns damit in gar keiner
heraufgesetzt werden. Niemand kann also etwa Weise einverstanden erklären können. Ich möchte
sagen, daß die Berliner Bevölkerung auf Kosten zu den Begründungen, die ich mir zu geben erlaubt
des Westens leben will. Nein, ich wiederhole noch habe, noch eine hinzufügen. Während Sie hier
einmal: Wir wollen arbeiten! , Will wollen nicht Material hatten, waren wir in Berlin abgeschlossen
Bittende sein, wir wollen arbeiten! Wir bitten Sie von jeder Materialzufuhr. Während Sie hier im
nur: Schalten Sie uns ein in Ihre Wirtschaft, damit Westen eine Besatzungsmacht hatten, die Ihnen die
wir die Möglichkeit zu dieser Arbeit haben. Bautätigkeit erlaubte, war unsere Bautätigkeit auf
Befehlsbauten und auf Bauten der Besatzungs-
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) macht beschränkt. Wir waren nicht in der Lage,
Wohnungen für unsere Bevölkerung herzustellen.
Dazu gehört auch, daß Aufträge nach Berlin ge- All dem muß entgegengewirkt werden. Ich weiß
geben werden, Aufträge von seiten der westdeut- — und ich werde ja jetzt als Vertreterin Berlins an
schen Wirtschaft, Aufträge von seiten der Bundes- den Beratungen teilnehmen und gerne daran teil-
instanzen. In dem Antrag Nr. 22 fordert die Frak- nehmen —, der Bund und die Bundesinstanzen
tion der Bayernpartei die Erteilung von Aufträgen haben ihre großen Sorgen. In diesen Tagen haben-
an alle Länder. Jawohl! Aber einschließlich Berlins! wir durch die Ausführungen des Herrn Bundes-
kanzlers von den durch die Geldabwertung ent-
(Beifall bei der SPD.) standenen und in Zukunft noch entstehenden
Und noch eines: Es ist unmöglich, daß ein Inter- Schwierigkeiten gehört. Aber der Herr Bundes-
zonenhandel und ein Interzonenverkehr über den kanzler hat gestern einen Fernspruch von Berlin
Kopf Berlins hinweg zwischen dem Westen und erhalten, der von der Stadtverordnetenversamm-
dem Osten erfolgt. Nein, Berlin ist der Mittelpunkt, lung und dem Magistrat einhellig an ihn ergangen
ich glaube, meine Damen und Herren, auch für ist, durch den er gebeten wird, bei dieser ganzen
Sie der Mittelpunkt Deutschlands, und an diesen Frage die besonderen Verhältnisse Berlins an der
Interzonenverhandlungen — betreffen sie die Wirt- Grenze zweier Währungen nicht zu vergessen.
schaft, betreffen sie den Verkehr — muß in erster Auch diese Bitte möchte ich an Sie und an die
Linie Berlin beteiligt werden. Herren der Bundesregierung richten.
Zum Schluß möchte ich Ihnen eines sagen:
Nun als letztes: die Überführung von Bundes- Berlin ist heute in einer ungeheuer großen
instanzen nach Berlin. Ich brauche Ihnen ja nicht wirtschaftlichen und sozialen Gefahr. Wenn
zu sagen, daß Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, man Berlin helfen will, dann gilt es, schnell
die es durch lange Zeit hindurch war, immer zur zu helfen. Am 14. August habe ich dem Hohen
Hälfte nicht von der Produktion, sondern von den Kommissar McCloy zugerufen: Geben Sie schnell,
Dienstleistungen gelebt hat. Berlin muß auch heute dann geben Sie doppelt! Das möchte ich auch
wieder solche Dienstleistungen verrichten. Alle hier tun. Lassen Sie Berlin nicht, zugrunde
Möglichkeiten, die da geschaffen werden müssen, gehen, es würde sich für ganz Deutschland rächen.
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 233
(Frau Schroeder)
Denn wir stehen heute nicht nur in einer wirt- selbst und vor der Welt. Deshalb sind wir der Auf-
schaftlichn, sozialen und kulturellen Gefahr, wir fassung, daß alles, was für Berlin geschieht, zu-
stehen in einer ganz großen politischen Gefahr. gleich für die Mittel- und Ostzone geschieht. Ich
Wie der Kampf gegen die Blockade Berlins nicht gebrauche hier mit aller Absicht den Ausdruck
nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland aus- Mittelzone, denn die sowjetisch besetzte Zone um-
getragen worden ist, so ist auch die Gefahr, in der faßt Mitteldeutschland. Ostdeutschland beginnt erst
sich Berlin heute befindet, eine Gefahr für ganz ostwärts der Oder.
Deutschland. Wir haben hier mit Recht von dem Berlin ist für uns nicht nur Westberlin, sondern
Einheitsstaat Deutschland gesprochen. Dieses Wort ganz Berlin. Diese isolierte, zertrümmerte und zer-
wird von den verschiedenen Seiten benutzt, aber rissene Stadt, die so oft im vergangenen Krieg eine
verschieden aufgefaßt. Für uns ist der Einheits- riesige rauchende Ruine war, ist ein Sinnbild für
staat Deutschland der demokratische Staat. Um ihn Deutschlands Situation, nicht nur Deutschlands,
mit Ihnen zu schaffen, sind wir zu Ihnen nach sondern ganz Europas und der ganzen Welt, die in
Bonn gekommen. Lassen Sie uns daran zusammen- ihrer Zerrissenheit und Hilflosigkeit mit den inter-
arbeiten, dann retten Sie Berlin und retten Sie nationalen Spannungen und Ungereimtheiten nicht
Deutschland. fertigzuwerden vermag. Das Ringen um Ber li n ist
(Lebhafter Beifall bei der SPD, in der ein Ringen um den Frieden. Darum ist es eine der
Mitte und rechts.) wichtigsten Aufgaben, daß wir diese Stadt wieder
lebensfähig machen. Wir haben nicht das Recht auf
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und einen höheren Lebenszuschnitt, solange eine Stadt
Herren, ich habe Ihnen bekanntzugeben, daß zu wie Berlin notleidend ist.
Druck sache Nr. 3 ein Abänderungsantrag der (Sehr gut!)
sozialdemokratischen Fraktion vorgelegt worden Und nun noch eines. Die Berliner Frage darf
ist, der dahin geht, in der letzten Zeile des ersten unter gar keinen Umständen dazu benutzt werden,
Absatzes die letzten Worte wie folgt zu fassen: um uns in Form irgendeiner Parteigängerschaft in
„und in Zukunft ihre Hauptstadt wieder werden das Spannungsfeld zwischen Os? und West hin
soll." einzuschalten. Solange wir nicht ein wirklicher
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Staat sind, das heißt ein Staat, der das Gewicht hat,
Merkatz. sich nach innen und außen zu verwirklichen, um
sein Dasein zu erhalten, solange wir Objekt der
Dr. von Merkatz (DP): Herr Präsident, meine Politik sind und mühsam darum ringen, wieder
Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus Subjekt zu werden, ist solche Parteigängerschaft
nicht durch lange Ausführungen bemühen; aber absolut unangemessen. Darum haben wir die Ber-
es handelt sich hier um eine Frage von solcher Be- liner Frage in erster Linie als eine innerdeutsche
deutung, daß ich namens meiner Fraktion unsere Angelegenheit zu sehen.
grundsätzliche Auffassung zum Ausdruck bringen Die Deutsche Partei warnt vor allen Über-
muß. Die Deutsche Partei legt besonderen Wert hitzungen, die als Provokation gegenüber der
darauf, daß in der Frage Berlin in besonderer Sowjetunion verstanden werden könnten. Herr
Weise verfahren wird. Sie möchte jede erregte Er- Professor Schmid sprach vom Rotkäppchen und
örterung über dieses Problem vermeiden und in vom Wolf. Ich meine, wir sollten nicht den Ver-
ruhiger Abwägung aller Umstände such machen, uns als die Bremer Stadtmusikanten
aufzuführen. Wir haben den Frieden zu stärken
(Abg. Schoettle: Sagen Sie das Ihren und nicht den Krieg. Wir wünschen Vermeidung
Fraktionskollegen!) aller außenpolitischen Provokationen in Wort und
ein Ergebnis suchen, das Berlin für dauernd und Schrift. Wir wünschen aber auch Vermeidung alles
mit höchstmöglicher Wirksamkeit hilft. Es genügt dessen, was die Berliner Angelegenheit zur Do-
nicht eine Demonstration des guten Willens, not- mäne einer bestimmten Partei machen könnte.
wendig ist hier die Verwirklichung, die Tat.
(Sehr gut! rechts.)
Der Herr Abgeordnete Professor Schmid hat
gestern ausgeführt, daß wir uns über die uns gege- In Berlin haben alle mitgewirkt, und alle Kräfte in
benen Mittel der Politik klarwerden müßten. Die Deutschland wollen nun diese Stadt festigen und
dauernde wirksame Hilfe für Berlin ist ein solches ihrer Bevölkerung die Lasten und Entbehrungen
Mittel, um die Wiedervereinigung Deutschlands erleichtern. Darum legen wir großen Wert auf eine-
Schritt für Schritt herbeizuführen. Es wäre der etwas stillere, aber um so tatbereitere Methode in
hohen Bedeutung des Freiheitskampfes der Ber- dieser ganzen Angelegenheit.
liner Bevölkerung nicht angemessen, wenn ich ver- (Hirt! Hört! und Zuruf von der SPD: Stillere?)
suchen wollte, die Charakterfestigkeit, den Mut, die
Tatkraft, die Nervenbelastung, die Leistungen Professor Schmid sprach gestern von der Notwen-
jedes einzelnen Berliners für uns alle in Deutsch- digkeit einer aktiven Staatspolitik im Hinblick auf
land mit schmückenden Worten zu versehen. Ber- Berlin. Realistisch gesehen ist West-Berlin noch
lin, diese zähe und tatkräftige Stadt, die aus un- nicht Berlin, und die staatspolitische Aktivität
serem deutschen Leben nicht fortzudenken ist, hat müßte auf die Wiedervereinigung der ganzen Stadt,
für ganz Deutschland gelitten und gehandelt. Der die Gewährleistung der persönlichen Freiheit und
Freiheitskampf Berlins wird stellvertretend für der demokratischen Willensbildung vorausgesetzt,
alle in West und Ost geführt. So ist Berlin die gerichtet sein. Erst dann haben wir die Voraus-
Hauptstadt des Deutschen Reiches, weil sich in setzung für eine Verwirklichung des Artikels 23
dem Dasein in dieser Stadt das deutsche Leben des Grundgesetzes, auf die wir hinzuarbeiten haben.
integriert und der Pulsschlag unseres gemeinsamen Unter diesen Gesichtspunkten billigt die Deut-
Schicksals spürbar ist. Dazu müssen wir uns be- sche Partei die gestellten Anträge. Sie stellt aber
kennen und ganz dahinterstehen. Darin mani- mit Rücksicht auf die große außenpolitische Trag-
festiert sich unsere Gemeinsamkeit, unser eigent- weite der Drucksache Nr. 3 den Antrag, diese An-
licher gesamtstaatlicher Zusammenhang vor uns gelegenheit an den Ausschuß für auswärtige An-
234 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1049
( Dr. von Merkatz )
gelegenheiten und an den Ausschuß für Berlin zu Uneinigkeit, die gar nicht gegeben ist, aufkommen
überweisen. lassen könnte.
(Lachen und Rufe: Hört! Hört! bei der SPD. — (Zurufe von der SPD: Sie haben sie herbei-
Abg. Löbe: Berlin „auswärtige Angelegenheit"?) geführt! Ziehen Sie den Antrag zurück!)
— Ich möchte das präzisieren, was ich gesagt habe, Wenn wir auf diesem Antrag bestehen müssen, so
damit nicht ein falscher Eindruck entsteht. Nach aus dem berechtigten Interesse daran, daß der Ber-
dem, was ich vorhin ausgeführt habe, daß nämlich liner Bevölkerung auch auf dem Gebiet der Sozial-
Berlin eine innerdeutsche Frage sei, wäre es doch versicherung dieselben freiheitlichen Rechte ein-
eine völlig unfaire Unterstellung, mir in den Mund geräumt werden, wie das hier in den Westzonen
zu legen, ich sehe die Berliner Angelegenheit als der Fall ist und wie wir das für ganz Deutschland
eine auswärtige Angelegenheit an. Die Wahrheit wünschen. Damit ist in keiner Weise — wenigstens
ist doch die folgende. Es werden dadurch Fragen was meine Person betrifft — ein Mißtrauen aus-
von größter Tragweite berührt, und es gehört zu gesprochen.
den Gepflogenheiten eines vernünftig arbeitenden (Zurufe von der SPD.)
Parlaments, daß diese Dinge gründlich untersucht Ich bitte doch, zu erwägen, daß immerhin die VAB
und erwogen werden. Wir können doch solche Fra- ein Experiment darstellt, das sich nach dem prak-
gen, an denen praktisch das gesamte Schicksal tischen Ergebnis nicht bewährt hat.
Deutschlands und Europas hängt, nicht aus irgend- (Zuruf von der SPD.)
einer emotionalen Übersteigerung heraus nun — Es ist ein Experiment. Und wenn ich nun doch
plötzlich — — etwas deutlicher werden muß, so muß ich sagen:
(Zuruf von der SPD: Was heißt emotional? ich habe das Gefühl, daß die Atmosphäre der Ent-
War der Widerstand der Berliner eine emo stehungsgeschichte der Anstalt, die die verehrte
tionale Sache?) Frau Vorrednerin ja deutlich geschildert hat, kenn-
— Wir können doch eine solche Frage nicht so zeichnet, welche Schwierigkeiten der Magistrat
Berlin bei der Übernahme der Sache gehabt hat.
überstürzt formulieren. Wir haben sie sorgfältig zu Nach den mir zugänglich gemachten Unterlagen
prüfen. Das ist unsere Pflicht als Deutsche. Wer scheint sich in dieser Anstalt doch vieles aus dieser
mir hier unterstellen will, daß ich in der Frage Anfangsatmosphäre erhalten zu haben. Wir wün-
Berlin — — sehen, daß dieses Experiment beendet wird.
(Zurufe von der SPD.) (Sehr richtig! bei der FDP.)
— Mehrere Generationen meiner Familie haben Sie wissen, daß in Berlin gewisse Tendenzen der
dort gelebt, und ich selbst stamme aus dieser Stadt. Sozialisierung und auch dieser Vereinheitlichung
(Zuruf von der SPD: weiter fortgeschritten sind als in den übrigen Ge
Aber wo wohnen Sie denn jetzt?) bieten der Westzonen. Wir wünschen nicht, daß
hierzu und auf diesem Wege die ostzonale Atmo
Wer mir unterstellen will, daß ich hier in meinen sphäre — die Atmosphäre steckt bekanntlich
Worten nicht den deutschen Interessen dienen will, manchmal auch etwas an —weiter ansteckend wirkt.
der übersieht bewußt, was ich gesagt habe. (Abg. Dr. Suhr: Nennen Sie mir ein Bei
(Zuruf von der SPD: Wissen Sie, was Sie spiel! Uns Berliner interessiert das einmal
außenpolitisch anrichten, wenn Sie das zu hören. Wir möchten das gern wissen.
dem außenpolitischen Ausschuß über Wo ist der weitere Fortschritt?)
weisen wollen?) — Zum Beispiel die VAB!
(Abg. Dr. Suhr: Also VAB ist Sozialisierung?)
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bitte, die Debatte
nicht in Zwiegespräche aufzulösen. Vizepräsident Dr. Schmid: Ich wiederhole meine
Bitte, die Diskussion nicht in Privatgespräche aus-
Dr. von Merkatz (DP): Welchem Ausschuß das arten zu lassen.
Hohe Haus diesen Antrag zu überweisen gedenkt,
richtet sich nach der Zuständigkeitsverteilung. Ich Dr. von Merkatz (DP): In dem Wunsche, diese
bitte, mir hier nichts zu unterschieben. Entwicklung auszuschließen, haben wir den An-
Wir haben im übrigen noch den speziellen An- -
trag gestellt. Ich möchte die Debatte nicht weiter
trag Nr. 40 gestellt, der nach den Ausführungen fortsetzen; das Haus ist sich völlig darüber klar,
der Frau Vorrednerin vielleicht nicht allen ge- was wir hier wollen.
fallen kann. Ich möchte hier eindringlich fest- Ich darf mir aber wohl erlauben, noch eine Frage
stellen, daß die aus unserem Antrag hervorgehende zur Sprache zu bringen. Es wurde gestern Kritik
Kritik keine Kritik an Berlin ist. Das wäre über- daran geübt, daß wir in unserem Antrag den Kom-
aus unangemessen. Ich möchte dabei zugleich missar gefordert haben. Gewiß, dies ist ein böses
feststellen, daß, wenn an dem Berliner Magistrat Wort, und man könnte auch „Beauftragter" sagen.
hier und da eine Kritik geübt wird, das noch nicht Es wurde uns nun unterschoben, daß unser Födera-
als eine Kritik an Berlin aufzufassen ist. Denn der lismus nicht sehr aufrichtig gedacht sei.
Berliner Magistrat und die Berliner Bevölkerung (Zuruf von der SPD: Wie es gerade paßt!)
sind ja nun nicht gerade identisch.
Ich möchte die Herren bitten, sich das Grundgesetz
(Beifall rechts. — Zurufe von der SPD.) genau anzusehen. Solche Möglichkeiten sind gerade
Es geht hier um Belange von ganz großer Bedeu- bei Finanzdingen nach dem Grundgesetz gegeben,
tung. Bei unserem Antrag Nr. 40 handelt es sich und nachdem immerhin eine Versicherungsanstalt
um einen Spezialfall, dessen Ausmaß, gemessen derartige Belastungen des Gesamtetats des Berliner
an der Berliner Frage, sehr gering ist. Ich möchte Magistrats verursacht hat, ist eine solche Maß-
alles vermeiden, was diese Debatte weiterhin ver- nahme nicht ungewöhnlich, da man unbedingt
schärfen und in der wirklich fundamentalen Ber- helfen muß, denn die Rentenempfänger müssen
liner Frage hier in diesem Hause ein Bild der doch möglichst schnell wieder zum Bezug ihrer
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 25
Dr. von Merkatz)
Renten kommen. Da ist es wohl nicht allzuviel ver- und Selbständigkeit unseres eigenen politischen
langt, daß, ohne damit ein Mißtrauen auszudrücken Wollens und für die Zugehörigkeit Berlins zu Ge-
oder eine Kritik an der Frau Vorrednerin zu üben samtdeutschland zu bekennen.
— das steht mir gar nicht zu —, diese Angelegen- (Lebhafter Beifall.)
heit von einem Beauftragten mit dem Ziele über- Diese selbe Aktivität ist auch unsere Aufgabe
prüft wird, die freiheitliche Gestaltung der Ver- und unsere Pflicht. Der Herr Bundeskanzler hat
sicherung allen zu gewährleisten, auch aer Berliner in seiner Regierungserklärung schon gesagt, daß
Bevölkerung, und die Renten für dauernd sicher- Berlin unter keinen Umständen — ich wiederhole:
zustellen, damit die Notlage nicht noch größer wird. unter keinen Umständen! — im Stich gelassen
(Beifall bei der DP und bei der FDP.) werden kann.
(Sehr richtig!)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Dr. Tillmanns. Es kommt also darauf an, schnell und entschieden
zu handeln. Dem sollte unser Antrag Nr. 12 dienen,
Dr. Tillmanns (CDU): Meine Damen und Herren! in dem wir beantragt haben, sofort den Ausschuß
Der Antrag Nr. 3, zu dessen Begründung die Berlin zu bilden. Das ist gestern bereits geschehen.
Frau Abgeordnete Schroeder gesprochen hat, Damit ist dieser Antrag materiell erledigt. Ich darf
enthält in seinem Kern die Bestätigung des Ar- mir aber erlauben, darauf hinzuweisen, daß wir
tikels 23 des Grundgesetzes. Dieser Artikel spricht in diesem Antrag zum Ausdruck gebracht haben,
aus, daß zu den Ländern, für die dieses Grund- daß die bedrängte Lage Berlins und die Bedeutung
gesetz gilt, auch Groß-Berlin gehört. Diese Hinzu- Berlins für das gesamtdeutsche Schicksal die
fügung Groß-Berlins zu den Ländern der Bundes- Sicherung des politischen, sozialen, wirtschaftlichen
republik Deutschland ist seinerzeit im Parlamen- und kulturellen Lebens dieser Stadt fordern und
tarischen Rat von der Christlich-Demokratischen zu einer Aufgabe dieses Bundestages machen. Wir
Union beantragt und mit überwältigender Mehrheit haben in diesem Antrag dargelegt — ich befinde
angenbmmen worden, und wir betrachten es als mich da in weitgehender L bereinstimmung mii.
eine Selbstverständlichkeit, daß dies nach wie vor der Frau Abgeordneten Schroeder —, daß es die
der Wunsch und der Wille des deutschen Volkes ist. wichtigste und vordringlichste Aufgabe dieses Aus-
Daß dieser Artikel bezüglich der Zugehörigkeit schusses sein muß, abgesehen von der finanziellen
Berlins noch nicht verwirklicht werden konnte, lag Hilfe, die für die Verwaltung Berlin weiterhin not-
nicht in unserer Hand, sondern an dem Votum der wendig sein wird, mit positiven und konstruktiven
Militärkommandanten, Maßnahmen dafür zu sorgen, daß das wirtschaft-
liche Leben Berlins wieder so in Gang gebracht
(Sehr richtig!) wird, daß die Berliner Bevölkerung von dem Er-
und wir sind uns auch darüber klar, daß seine end- trag ihrer eigenen Arbeit ohne Hilfe leben kann.
liche Verwirklichung eine Angelegenheit der Die furchtbareArbeitslosigkeit führt ja nicht nur zu
großen politischen Auseinandersetzungen ist, die einer wirtschaftlichen Notlage, sondern bedeutet auch
nun einmal noch über unserem Volke stehen. Aber eine schwere seelische Bedrückung dieser Bevölke-
das sollte uns nicht abhalten, diesen im Grund- rung. In dem Zustand einer seelischen Bedrückung
gesetz bekundeten Willen der Zugehörigkeit Groß kann aber Berlin die Aufgabe, die ihm vom Schicksal
Berlins zur Bundesrepublik Deutschland jetzt, wo zugewiesen ist, nicht erfüllen. Es kommt in erster
dieser Bundestag an seine Arbeit geht, von neuem Linie darauf an, daß die Arbeitslosigkeit durch
zu bekunden. Art und Tempo der Verwirklichung Lieferung von Rohstoffen, durch Investitions- und
werden, wie ich schon sagte, von Umständen und Betriebskredite und alle weiteren Maßnahmen, die
Dingen abhängen, die nicht in unserer Hand liegen; wir in unserem Antrag dargelegt haben, über-
aber dem Kerngehalt dessen, was hiermit zum Aus- wunden wird. Wir hoffen und wünschen, daß in
druck gebracht ist, stimmt auch die Fraktion der Fortsetzung dessen, was bereits bisher von der
Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Verwaltung für Wirtschaft unter der Leitung von
Union zu. Professor Erhard geschehen ist, auch weiter ge-
(Bravo!) handelt wird. Wir richten den dringenden Appell
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Art an den Herrn Bundeswirtschaftsminister, alles in
und Tempo der Verwirklichung liegen nicht in un- seiner Kraft Stehende zu tun, daß diese Aufgabe
serer Hand. Damit soll nicht gesagt sein, daß wir in positiver Weise bald erfüllt wird. Und wir
DeUtschen uns etwa in dieser wie in anderen hoffen, daß sich die Bundesregierung bald dazu-
grundlegenden Fragen unseres nationalen Lebens entschließt, auch solche Bundeseinrichtungen und
passive Beschränkungen auferlegen sollten; denn -behörden, bei denen es sachlich möglich und ge-
trotz aller Beschränkungen, unter denen wir stehen, boten ist, nach Berlin zu legen.
fällt das, was das deutsche Volk in der Bekundung Meine Damen und Herren, der Antrag Druck-
seines gemeinsamen politischen Willens denkt und sache Nr. 16, der vorhin von seiten der Fraktion
fühlt, ins Gewicht. der SPD begründet wurde, sagt inhaltlich im
Wir haben das in Berlin im letzten Jahre in der großen und ganzen dasselbe. Wir hoffen und
Zeit der Blockade erlebt. Gewiß, daß überhaupt wünschen, daß im Ausschuß Berlin Gelegenheit
Berlin durch diese Zeit hindurch gerettet werden sein wird, über die Einzelheiten dieser Dinge zu
konnte, haben wir in erster Linie der Luftbrücke sprechen, und beantragen daher die Überweisung
und all der Hilfe zu verdanken, die hier aus dem dieses Antrags an den Ausschuß.
Westen gekommen ist und für die der Dank schon Die praktische Hilfe, die für Berlin notwendig
ausgesprochen worden ist, dem wir uns herzlich ist, verlangt eine enge Zusammenarbeit zwischen
anschließen. Aber alles das wäre nicht möglich ge- dem Bund und seinen Behörden einerseits und dem
wesen ohne das spontane Bekenntnis der gesamten Magistrat Berlins andererseits. Es ist vorhin schon
Berliner Bevölkerung und ohne den zähen Willen in den Worten meines Herrn Vorredners zum Aus-
auch der großen Masse der Berliner Arbeiterschaft, druck gekommen, daß dieser engen Zusammen-
Nein zu sagen zu dem totalen Zwang des Korn- arbeit gewisse Hindernisse und vielleicht auch ge-
munismus und sich zu dem Kampf um die Freiheit wisse unterschiedliche Auffassungen im Wege
236 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September, 1949
(Dr. Tillmanns)
stehen. Es kann nicht geleugnet werden, daß die arbeitet habe, bis sie herausgeworfen worden sei,
Art und Weise, in der bisher der Magistrat Ber- sondern wir haben in einem klaren politischen Akt,
lins gewisse Fragen — auch der Wirtschaitspontik- als wir im Dezember 1947 veranlaßt werden
behandelt hat, nicht immer von parteipolitischen sollten, durch das Mittel des Volkskongresses uns
Erwägungen und Einengungen frei war. Es muß mit zum Träger einer verfälschten Einheitsparole
auch gesagt werden, daß nicht an allen Stellen der zu machen, Nein gesagt.
Verwaltung ein Höchstmaß an Sachkenntnis und (Zustimmung bei der CDU.)
Fähigkeit gewaltet hat. Wir können nur dringend
die Erwartung aussprechen, daß es sich der Wir haben alle Folgen dieses Neins in klarer poli-
Magistrat Berlins von sich aus angelegen sein läßt, tischer Erkenntnis unserer Situation und unserer
hier Wandel zu schaffen und dafür zu sorgen, daß Aufgabe auf uns genommen
das, was für Berlin notwendig ist, nicht dadurch (Erneute Zustimmung bei der CDU.)
leidet, daß drüben ein politisch anders fundierter Was heute noch in der Ostzone an CDU besteht, ist,
Magistrat besteht, als es hier in der Bundesregie- soweit es die Führung betrifft, von uns getrennt,
rung der Fall ist. Es kommt darauf an, wirklich und es ist einfach eine Verwischung der Tatsachen,
eine Koordinierung und eine enge vertrauensvolle wenn man das nicht sehen will. Die große Menge
Zusammenarbeit herbeizuführen, und zwar auch der Mitglieder und Anhänger der Christlich
dadurch, daß sich Berlin von sich aus bemüht, mög- Demokratischen Union in der gesamten Sowjetzone
lichst in allen Punkten, wo es angängig ist, der Ge- Deutschlands steht allerdings fest und ungebrochen
setzgebung dieses Bundestags dadurch Rechnung zu uns, zu unserer politischen Arbeit und Über-
zu tragen, daß die Stadtverordnetenversammlung zeugung!
von Berlin ähnliche Rechtsverhältnisse schafft. Nur (Beifall bei der CDU.)
dann wird es möglich sein, daß eine wirklich enge Wenn Herr Ollenhauer hier erklärt hat, daß der
Zusâmmenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Zusammenschluß zwischen SPD und KPD zur
dem Magistrat Berlins zustandekommt. Wenn das Sozialistischen Einheitspartei im Frühjahr 1947-
geschieht, dann wird es — diese Hoffnung möchte nur unter Zwang und Druck erfolgt sei, so ist
ich aussprechen — überflüssig werden, in dem dazu zu sagen: dieser Zwang und Druck mag für
Sinn, wie es in dem Antrag der DP gedacht ist, von einen großen Teil der Vertreter der Sozialdemokra-
Kontrollen und Kommissaren zu sprechen. Ich tischen Partei in den Ländern der Sowjetzone zu-
möchte hoffen, daß diese enge Zusammenarbeit zu- gegeben werden, aber er kann nicht zugegeben
standekommt, bei der, wie ich glaube, insbesondere werden für Berlin.
auch der Christlich-Demokratischen Union, wenn
sie auch in Berlin eine Minderheitspartei ist, ein (Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)
wichtiger Anteil zufällt. Auf diese Art wird es Für Berlin hat dieser Zwang und Druck nicht be-
möglich sein, in anderer Weise sicherzustellen, daß standen. Ich berufe mich dabei auf die Meinung
eine Wirklich sachgemäße und äußerst sparsame und Äußerung einer so wichtigen und für die SPD
Verwendung derjenigen Mittel, die nach Berlin maßgebenden Zeitung, wie es der „Telegraf" in
kommen, gewährleistet wird. Berlin ist. Der „Telegraf" in Berlin, dessen einer
Meine Damen und Herren, es ist erforderlich, Lizenzträger als Mitglied in unserem Hause sitzt,
die Frage Berlin — und ich sage sofort dazu: die hat seinerzeit, als diese Frage bei den Wahlkampfen
Frage Gesamtdeutschland; denn die beiden Fragen im August eine Rolle gespielt hat, geschrieben
gehören aufs allerengste zusammen — auf mög- — ich bitte um die Erlaubnis, zitieren zu dürfen — :
lichst breiter Basis hier in diesem Hause zu be-
handeln, das heißt auf einer Basis, auf der möglichst . . . . daß die meisten Sozialdemokraten nach
alle Parteien dieses Hauses zusammenstehen. Ich den Lehren, die sich aus dem Zusammenbruch
begrüße daher die Ausführungen, die gestern von der Weimarer Republik ergaben, in einer
Herrn Professor Schmid in diesem Sinn gemacht Arbeiterpartei die Voraussetzung für die Kon-
worden, sind. Es ist aber bedauerlich, daß Herr Dr. solidierung der politischen Verhältnisse in
Schumacher in seinen Ausführungen am Mittwoch einer neuen demokratischen Republik sahen.
voriger Woche geglaubt hat, den Parteien außer- Dieser ehrlichen Überzeugung sind sie auch
halb der SPD in Berlin und im Osten mangelnde dann noch gewesen, als die Verschmelzung in
Festigkeit gegenüber dem totalen Machtanspruch der Ostzone unter Umständen vor sich ging,
des Kommunismus vorwerfen zu können. Das die einer Überrumpelung gleichkamen. Die
heißt, daß er gleichzeitig für die SPD offenbar in meisten von ihnen, bis auf die, die aus Ehrgeiz
-
Anspruch nehmen wollte, daß sie allein den An- oder anderen Motiven handelten, haben ihren
spruch auf die Festigkeit dieser politischen Haltung Irrtum bald eingesehen. Ein politischer Irrtum
erheben kann. Das hat Herrn Dr. von Brentano zu ist noch keine Schande.
gewissen Richtigstellungen veranlaßt, die not- Ich habe diesen Worten nichts hinzuzufügen, aber
wendig, aber nicht von uns gewünscht waren. Herr es bleibt ein Irrtum und, wie ich hinzusetze, ein
Ollenhauer hat sich in seinen Ausführungen da- äußerst verhängnisvoller Irrtum. Es wäre manches,
durch seinerseits veranlassen lassen, nochmals da- vielleicht sogar sehr viel in der Entwicklung der
rauf hinzuweisen, daß eben doch die Christlich letzten fünf Jahre nicht nur in der Sowjetzone
Demokratische Union auch heute noch in der Ost- Deutschlands anders gelaufen, wenn dieser ver-
zone Verantwortung trage und daß, soweit Tren- hängnisvolle Irrtum im Mai 1946 nicht passiert
nung erfolgt sei, sie nur durch Zwang der Be- wäre.
satzungsmächte erfolgt sei; weiter daß das, worauf (Beifall bei der CDU. — Abg. Dr. Schmid:
Herr von Brentano hingewiesen hat — nämlich der Warum haben Sie denn nie gegen das
Akt der vereinigten Hände vom Frühjahr 1948 — , Verbot der Sozialdemokratischen Partei
nur unter Zwang und unter Druck erfolgt sei. protestiert? — Zuruf von der SPD:
Meine Damen und Herren, diese Darstellung Sie wollten davon profitieren!)
kann nicht unwidersprochen bleiben, denn sie ist Es ist nie ein Verbot ergangen, sondern die Sozial
unrichtig. Es ist nicht richtig, daß die Christlich demokratische Partei hat im Mai 194r durch ihre
Demokratische Union solange in der Ostzone ge- damals maßgeblichen Vertreter den Händedruck
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 237
(Dr. Tillmanns)
vollzogen. Wir hätten diese Frage — das betone ich Menschenrechte, die wir allerdings auch für uns als
nochmals — von uns aus nicht angeschnitten, Deutsche des Ostens in Anspruch nehmen.
und wir haben auch nicht den Wunsch, sie weiter Der Existenzkampf Berlins hat auch innerpoli-
zu vertiefen, wenn das nicht von Ihrer Seite aus tisch nichts mit Zentralismus zu tun, wie es hier
geschehen wäre. Ich kann nur die Hoffnung aus- von dem Sprecher der Bayernpartei vor einigen
sprechen, daß es nicht notwendig ist, weiterhin Tagen angedeutet wurde. Er hat geglaubt, diesen
noch einmal diese Frage zu behandeln, die in der Kampf Berlins in Verbindung bringen zu sollen mit
Vergangenheit liegt und die wirklich nun einmal in alten preußischen Vormachtsvorstellungen oder mit
der Vergangenheit belassen werden sollte. Vorstellungen eines zentralistischen Staatsaufbaus.
(Abg. Dr. Schumacher: Wir kommen noch darauf Wir wollen doch eine solche Verwechslung nicht
zu sprechen!) vornehmen! Gesamtdeutsches Wollen hat nichts
Wir werden uns immer wieder dagegen wenden, mit Zentralismus zu tun. Gewiß, Berlin ist in der
wenn die Sozialdemokratische Partei versucht, mit Vergangenheit wohl der Sitz preußischer Politik,
derartigen Ausführungen einen Monopolanspruch und wir setzen hinzu, preußischer Machtpolitik ge-
für sich für eine politische Haltung zu erheben, wesen. Aber vergessen wir doch nicht, daß seitdem
der ihr nicht zukommt. eine tiefe Zäsur unseres gesamten politischen und
nationalen Lebens eingetreten ist. Das, was Berlin
(Lebhafter Beifall bei der CDU. — Abg. in den letzten Jahren erlebt hat, bedeutet einen
Dr. Schmid: Herr Tillmanns, zur Korrek so vollständigen Niederbruch und einen so voll-
tur Ihrer Erinnerung: Diesen Anspruch ständigen Neuanfang, daß wir wirklich nur darum
hat die Sozialdemokratische Partei nie er bitten können: Beurteilt Berlin ausschließlich nach
hoben! Sie hat allerdings immer gesagt, den gegenwärtigen neuen Kräften, die sich dort
daß Blockpolitik eine Preisgabe der entwickeln! Wir kämpfen dort wahrhaftig nicht u x
Demokratie ist!) Zentralismus und neue Machtgeltung. Wir kämpfen
— Herr Professor Schmid, Sie haben eben erklärt, dort ganz einfach um unser Leben. Wir kämpfen
daß Sie auf diese Angelegenheit noch einmal zu- darum, daß eine demokratische Ordnung auch dort
rückkommen würden. Wir werden dann Gelegen- gesichert und gewährleistet bleibt, um weiter gar
heit haben, darüber weiter zu sprechen. nichts. Wir bejahen den Grundgedanken des Föde-
Meine Damen und Herren! Die Frage Berlin ist ralismus als die politische Konzeption, die die poli-
der Angelpunkt unserer Aufgaben und Bemühun- tischen Gewichte möglichst weit nach unten, in die
gen um die staatliche Zusammenfügung aller Länder und in die Gemeinden, verlegt und nichts
deutschen Länder, und auch die fünf Länder der Überflüssiges zentralisieren will. Aber wir möch-
Sowjetzone sind deutsche Länder. Sie ist , gleich- ten wünschen, daß der Begriff Föderalismus bei
zeitig auch der Angelpunkt der Bemühungen um uns allen auch in seinem positiven Gehalt gesehen
Europa. Denn Europa wird so lange nicht möglich wird. In der Geschichte der Vereinigten Staaten
sein und so lange unter äußersten Schwierigkeiten von Nordamerika waren im 18. Jahrhundert, als
stehen, wie seine Grenzen kurz nördlich von Würz- es zum Zusammenschluß der Einzelstaaten kam, die
burg, kurz östlich von Göttingen oder in den Vor- Föderalisten diejenigen, die den Zusammenschluß
städten von Lübeck liegen. Es handelt sich darum, im Bunde wollten.
die Frage Berlin als die Schicksalsfrage unseres (Sehr richtig!)
Volkes zu sehen. Deswegen sind wir dem Herrn
Bundeskanzler dankbar, daß er erklärt hat: in Sie nannte man damals Föderalisten, und die an-
Europa wird keine Ruhe eintreten, wenn die Tei- deren, die ihn nicht wollten, waren die Gegner der
lung Deutschlands nicht verschwindet. Darin ist Föderalisten. Wir im Osten möchten allerdings
sich — das hat sich aus den bisherigen Debatten auch in Deutschland den Begriff Föderalismus in
ergeben — dieses Haus wohl in seiner überwälti- diesem seinem positiven Gehalt bewertet und an-
genden Mehrheit einig. Diese Tatsache bedeutet gesehen wissen. Sie werden verstehen, daß gerade
eine große Ermutigung für die Menschen in Berlin vom Standpunkt des Ostens aus ein allzu lockerer
und in der Sowjetzone Deutschlands. Denn Berlin Bund für uns nicht die Stütze und Hilfe ist, die
ist das Unterpfand dieser einst kommenden Zu- wir wollen. Ein Bund, der letzten Endes den Län-
sammenfügung. Es ist das Unterpfand eines dern drüben keine effektive Stütze und Hilfe sein
Deutschland, das in seiner Gesamtheit in Selb- könnte, wäre nicht das, was gerade der Osten
ständigkeit und Freiheit seine politische, wirt- braucht. Deswegen unser Verlangen nach einem -
schaftliche und soziale Ordnung bestimmen wird. wirklich lebensfähigen Bundesstaat. Noch einmal:
Das bedeutet keine außenpolitische Rückenwen- Beurteilen wir die Frage Berlin nicht immer aus
dung gegen den Osten. Wir in der Sowjetzone und der Vergangenheit heraus, vor allem nicht in einer
in Berlin wollen das am allerwenigsten. Wenn die Situation, wo ein bitteres und furchtbares Schicksal
Frau Abgeordnete Wessel davon gesprochen hat, diese Vergangenheit endgültig zertrümmert hat,
daß unsere politischen Bemühungen sowohl dem sondern beurteilen wir die Frage Berlin und Osten
Osten wie dem Westen gelten, so stimmen wir dem nur aus den Gegebenheiten des gegenwärtigen
durchaus zu. Es handelt sich aber darum, daß sich Schicksalskampfes, der dort von dem deutschen
diese Beziehungen nicht so entwickeln, daß wir die Volk geführt wird!
Befehlsempfänger gegenüber einem absoluten Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesprä-
ideologischen und politischen Machtanspruch sind. sident hat in der Ansprache, die er nach seiner
Wir. wollen uns demgegenüber bemühen und ver- Wahl hier vor der Bundesversammlung gehalten
suchen, Partner einer friedlichen europäischen hat, der Auffassung Ausdruck gegeben, daß die
Ordnung zu werden. Das — und das allein — ist Demokratie in Deutschland nur deswegen zu einer
das Ziel unseres Widerstandes in Berlin und in der so schwächlichen Entwicklung gekommen ist, weil
sowjetischen Besatzungszone. Das hat nichts mit sie niemals erkämpft wurde, sondern im all-
Nationalismus zu tun, wie es im Ausland gelegent- gemeinen dem Volke als das Ergebnis einer Nieder-
lich gesagt wird. Wir verteidigen nichts anderes lage beschert wurde. Das mag im ganzen richtig sein.
als die elementaren Gegebenheiten unseres Lebens. In Berlin ist ein neues Kapitel der Geschichte der
Wir verteidigen nichts anderes als die einfachsten deutschen Demokratie aufgeschlagen. Dort drüben
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Dr. Tillmanns)
in Berlin und in der Sowjetzone haben zum ersten auf das Thema beschränken, über das Frau Louise
Male Deutsche um ihre Demokratie gekämpft, Schroeder hier in solcher Meisterschaft vorgetra-
(Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte gen hat, daß ich wohl sagen darf: einen besseren
und bei der SPD) Anwalt als Frau Louise Schroeder konnte die Stadt
Berlin wohl nicht hierher schicken.
und bisher haben sie diesen Kampf bestanden.
Wir bitten um nichts anderes, als daß das ge- (Lebhafter Beifall.)
samte deutsche Volk die große politische Schick- Denn sie hat es verstanden, uns das, was Berlin
salsbedeutung dieses Kampfes sieht. Aus den har- in den letzten Jahren erduldet und geleistet hat,
ten Erfahrungen der letzten Jahre ist dort eine so lebendig vor Augen zu führen, daß man wohl
neue politische Gesinnung entstanden. Ich glaube, nicht zu weit geht, wenn man sagt, daß das ein
wenn einmal das deutsche Volk sich wieder in einem Heldenepos der Stadt Berlin der letzten Jahre
gemeinsamen Staate zusammenfindet, dann werden genannt werden kann.
wir feststellen, daß die 21 Millionen Deutschen da (Händeklatschen beim Zentrum.)
drüben die besten Träger einer neuen deutschen Um dieses Heldenepos nicht in seiner Auswir-
Demokratie sein werden, die überzeugtesten kung zu beeinträchtigen, möchte ich auf längere
Kämpfer dafür, daß wir unser staatliches Leben Ausführungen verzichten und mich darauf be-
zusammen ordnen wollen unter Zusammenfassung schränken, drei Gesichtspunkte hervorzuheben.
der beiden wichtigsten tragenden Elemente, der Wir sollten Berlin sehen erstens als eigenständigen
Freiheit einerseits und der sozialen Gerechtigkeit Organismus, zweitens als Vorort des deutschen
andererseits. Ostens und drittens als neuralgischen Punkt
Ich bin weiter der Ueberzeugung — das möchte Deutschlands und der Europapolitik. Gerade um
ich' allen denen sagen, die Sorge um Europa haben, das, was an der Betonung dieses dritten, aber auch
wenn sie die Fragen Gesamtdeutschlands beden- des zweiten Punktes wichtig ist, nicht zu gefähr-
ken —, daß diese 20 Millionen da drüben auch die den, möchte ich auf die Ausführungen hinweisen,
treuesten Anhänger eines vereinten Europas sein die Frau Louise Schroeder über die letzten drei
werden; denn sie haben da drüben am eigenen Jahre gemacht hat, und auch auf die Forderungen,
Leibe erfahren, welches die tragenden Werte dieses die sie aufgestellt hat.
Europa sind; sie wissen aus der Erfahrung, was es Diese Forderungen sind so klar umrissen und
heißt, sein Leben führen zu können in einer Ord- herausgestellt worden, daß es überflüssig ist, zu
nung, in der die Achtung vor der Person und die diesen Fragen noch weiteres zu sagen. Gelingt es
Anerkennung der Menschenrechte tragende Funda- uns, den eigenständigen Organismus der Stadt
mente sind. Es scheint mir alles darauf anzukom- Berlin weiter zu beleben, erstens aus der eigenen
men, diese deutsche Bundesrepublik so zu ent- Kraft der Stadt Berlin, zweitens aus der Unter-
wickeln, daß sie in diesem Sinne eine starke An- stützung heraus, die Frau Louise Schroeder gefor-
ziehungskraft wird für das gesamte deutsche Volk dert hat, und zwar nicht in der Form des Almo-
auch jenseits des Eisernen Vorhangs. Das geht nicht sens, sondern in der Form wirtschaftlicher Hilfe,
in Resignation vor allen möglichen Gefahren, son- wirtschaftlicher Zusammenarbeit, dann werden wir
dern nur mit einem positiven Mut und einem ak- auch die Erfüllung der zweiten Aufgabe vorberei-
tiven Vertrauen in die Zukunft unseres Volkes, die ten können, daß nämlich Berlin, ähnlich wie vor
uns bald in einen gemeinsamen Staat zusammen- etwa tausend Jahren Magdeburg der Vorort des
führen wird. deutschen Aufbaus im Osten war, jetzt wiederum
(Bravorufe und Händeklatschen bei der CDU.) Vorort des deutschen Ostens wird, wie diese Stadt
es in den vergangenen Jahrhunderten, vor allen
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Herr Abge- Dingen aber in den letzten Jahrzehnten gewesen
ordneter Dr. Hamacher. ist.
Wer Gelegenheit hatte, Berlin vor seiner Zer-
Dr. Hamacher (Z): Meine Damen und Herren! störung, in den Jahren zwischen dem ersten und
Wer der Frage Berlins mit der unbedingt notwen- dem zweiten Weltkrieg, näher kennenzulernen, der
digen Sachlichkeit gegenübertreten will, muß sich wird mir zustimmen, wenn ich sage, daß diese
meines Erachtens von den Affekten freimachen, Stadt Berlin mehr oder minder die Hauptstadt von
die wir bei einer politischen Rückschau in die Ver- Schlesien, von Ostpreußen, von Pommern und von
gangenheit — zum Teil wenigstens — im Süden, Brandenburg gewesen ist und daß von dieser Stadt
im Westen und auch in Norddeutschland noch fest- nicht nur sehr viele Verkehrslinien ausgingen, son-
stellen können. Diese Affekte verbinden sich mit dern auch ein wirtschaftlicher, ja auch ein geisti-
dem Charakter Berlins als der Hauptstadt Preußens ger Impuls nach dem Osten ausstrahlte und daß
und der ehemaligen Monarchie der Hohenzollern. ohne Berlin dieser Osten und sein Wiederaufbau
Wenn wir auch dem Bürgertum der mittelalter- nicht zu denken ist.
lichen Fischerstadt auf keinen Fall absprechen Was nun die dritte Frage, Berlin als neuralgi-
können, daß es Initiative entfaltet und Wagemut scher Punkt angeht, so möchte ich darum bitten
gezeigt hat, so ist doch die Stadt Berlin das, was und vor allen Dingen an die Antragstellerin die
sie vor ihrer Zerstörung war und im Laufe der Bitte richten, daß mit Rücksicht auf diese außer-
Jahrhunderte geworden ist, nur dadurch gewor- ordentliche Gefährdung des außenpolitischen
den, daß sie Fürstenresidenz und Residenz der Aspekts der Zusatzantrag, Berlin schon jetzt als
Hohenzollern war. Hauptstadt in Aussicht zu nehmen, zurückgezogen,
Es würde gut sein, wenn wir uns von diesen aus zumindest aber dem Ausschuß überwiesen wird.
einer Rückschau herrührenden Affekten freimachen Denn diese Frage bedarf einer sehr sorgfältigen
würden, damit wir dem gegenwärtigen Berlin mit Erörterung,
der größten Sachlichkeit und Unbefangenheit ge-
genübertreten. Wir sollten uns im Hinblick auf die (Sehr richtig! rechts)
zu erwartende Entwicklung der Stadt Berlin, im so daß wir von hier aus und aus dem Augenblick
Hinblick auf ihre Bedeutung für Deutschland und heraus diese Frage nicht entscheiden können.
Europa von solchen Affekten freihalten und uns (Zurufe links.)
Deutscher Bundestag -- 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 194e 239
(Dr. Hamacher)
— Wenn ich die Zwischenrufer richtig verstanden eines großen Tages heute am Lautsprecher sitzen.
habe, darf ich wohl annehmen, daß dem entspro- Denn es geht ja um nicht mehr und nicht weniger
chen wird. als darum, die Bundesregierung zu ersuchen, mit
den alliierten Kommissaren erneut über die Frage
(Abg. Dr. Suhr: Vollkommen mißverstanden! der vollen Inkraftsetzung des Artikels 23 der Ver-
Der Antrag besagt genau das Gegenteil!) fassung zu sprechen. Wenn wir diesem Beschluß
— Darf ich dann bitten, mir diesen Antrag von Erfolg wünschen — was wir ja doch tun —, wenn
Frau Schroeder nochmals zu nennen? wir die Erfüllung dieses Wunsches erleben, dann,
meine Damen und Herren, ist Berlin zwölftes
(Abg. Dr. Suhr: Liegt beim Herrn Präsidenten! — Bundesland. Es ist also immerhin eine Angelegen-
Glocke des Präsidenten.) heit von recht großer nationaler Bedeutung, über
die hier gesprochen wird.
Präsident Dr. Köhler: Entschuldigen Sie! Über Ich kann es mir nicht versagen festzustellen, daß
welchen Antrag haben Sie denn gesprochen, Herr ich im Verlauf dieser Diskussion doch darüber et-
Abgeordneter? was bekümmert gewesen bin,
(Sehr gut! rechts)
Dr. Hamacher (Z): Über den Zusatzantrag, Berlin daß hier Auseinandersetzungen für notwendig ge-
als zukünftige Hauptstadt in Aussicht zu nehmen! halten wurden, die auch stattfinden müssen, aber
nicht hier bei dieser Gelegenheit, von der die Na-
Präsident Dr. Köhler: Das ist der Antrag Druck- tion erwartet, daß wir uns dem Gegenstand ent-
sache Nr. 3, erster Absatz: sprechend verhalten.
Der Bundestag bekennt sich zu Berlin als (Sehr richtig! rechts.)
dem demokratischen Vorposten Deutschlands. Meine Damen und Herren, Berlin in seinem
Er erklärt feierlich vor aller Welt, daß nach Freiheitskampf ist eine so besondere Erscheinung,
dem Willen des deutschen Volkes Groß-Ber- daß ich sagen möchte: es war schon richtig, daß
lin Bestandteil der Bundesrepublik Deutsch- und wie Frau Schroeder uns diese Entwicklung
land und ihre Hauptstadt sein soll. Krieg erschöpft hat, jetzt darum bitten muß, daß
kann eigentlich nur eine Frau.
Dr. Hamacher (Z): Dieser letzte Satz ist als (Beifall bei der SPD.)
Zusatzantrag gestellt worden, und dieser Zusatz- Nicht so sehr deshalb, weil es ausschließlich eine
antrag hat, soweit ich habe feststellen können, eine Angelegenheit der Hausfrauen gewesen ist. Aber
solche Stimmung ausgelöst, daß ich dafür plädie- wir sollen nicht vergessen, daß dieser Kampf um
ren möchte, ihn zur weiteren Beratung dem Aus- die demokratische Freiheit, den die Berliner Be-
schuß zu überweisen. völkerung gekämpft hat, nicht auf den Barrikaden
und nicht mit dem Pathos großer Leidenschaften
Gestatten Sie mir nun, meine sehr verehrten gekämpft werden konnte, sondern daß es der
Damen und Herren, noch eine ergänzende Bemer- Kampf des grauen Alltags gewesen ist, den jede
kung. Wenn Frau Louise Schroeder auch dem einzelne Familie tagtäglich und nächtlich zu be-
Westen Deutschlands ihre Anerkennung ausgespro- stehen hatte. Das ist die moderne Form des Krie-
chen hat, wenn sie ferner vor allen Dingen die ges, meine Damen und Herren, wirklich des Krie-
Leistungen der Stadt Berlin herausgestellt und die ges. Das ist ein Krieg, der mit wirtschaftlichen und
Luftbrücke rühmend erwähnt hat, dann darf ich sozialen Mitteln geführt wird. Das ist auch der
darauf hinweisen, daß gerade diese Luftbrücke, tiefste Grund dafür, daß Berlin, das sich in diesem
wenn ich recht orientiert bin, dadurch ins Leben Krieg erschöpft hat, jetzt darum bitten muß, daß
gerufen wurde, daß Bischof Dibelius von der Evan- ihm geholfen wird.
gelischen Kirche und Kardinal Graf Preysing von Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir das
der Katholischen Kirche bei der internationalen harte Wort: Die Front bittet darum, daß ihr
Tagung des Roten Kreuzes die Hilfe für Berlin geholfen wird. Diejenigen in diesem Hause, die
gefordert haben und diese Anregung dann bei Soldaten waren, werden ermessen können, mit
dem amerikanischen Kardinal Spellman eine sol- welchen Empfindungen das ausgesprochen wird.
che Wirkung ausgelöst hat, daß daraufhin der Ge- Wir haben manchmal das Gefühl gehabt, daß wir hier
danke einer Luftbrücke in Erwägung gezogen und in Westdeutschland — nicht in diesem Hause und
schließlich in die Tat umgesetzt wurde. nicht im Parlamentarischen Rat, aber in manchen
Lassen Sie mich zum Schluß kommen, meine Wirtschaftskreisen hier in Westdeutschland —
Damen und Herren. Wir sind uns alle klar darü- doch so etwas mit den Augen desjenigen betrachtet
ber — und was uns noch an Wissen und Ober- werden, der, wie das auch im Felde war — ich
zeugung fehlte, hat uns Frau Louise Schroeder habe leider an zwei Weltkriegen teilnehmen müs-
vermittelt —: Berlin muß geholfen werden, damit sen —, in der Etappe saß und auf das arme Front-
dem deutschen Osten wieder geholfen werden schwein etwas hochnäsig herabsah. Dieses Empfin-
kann! den hat man hier manchmal gehabt. Ich habe mich
(Lebhafter Beifall beim Zentrum.) gefreut, daß durch die eindeutigen Erklärungen,
die sowohl der Herr Bundespräsident nach seiner
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Vereidigung als auch der Herr Bundeskanzler in
Abgeordnete Dr. Reif. seiner Regierungserklärung in bezug auf die Ber-
lin-Frage hier abgegeben haben, diesem Geist das
Dr. Reif (FDP) : Meine Damen und Herren! Paroli geboten wurde.
Nach dem Inhalt des Antrags, den die sozial- Ich sagte, meine Damen und Herren, Berlin
demokratische Fraktion dem Haus vorgelegt hat, kämpft einen Wirtschaftskrieg, und ich muß ein
sollte man eigentlich annehmen, daß dieses Haus Wort über die Berliner Wirtschaft sagen. Selbst-
heute einen großen Tag hat. Ich glaube jedenfalls, verständlich hat sie unter ganz anderen und viel
daß in Berlin und in der sowjetischen Besatzungs- schwierigeren Voraussetzungen die Arbeit für den
zone viele Tausende von Menschen in Erwartung Wiederaufbau aufnehmen müssen als Sie hier in
240 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Dr. Reif)
Westen. Das Demontageproblem ist, wie Frau Wir sprechen es gar nicht gern aus, und wir sind
Schroeder gesagt hat, leider bei uns sehr rasch er- sogar bedrückt, wenn im Westen in Versammlun-
ledigt worden, aber sehr gründlich. Die Berliner gen über Berlin gesprochen und sehr gute Worte
Wirtschaft hat nicht bis zur Währungsreform die gefunden werden. Wir sind in diesen Dingen
Möglichkeit gehabt, auf Bankkonten zurückzugrei- außergewöhnlich nüchtern. Wir haben um die De
fen. Erst jetzt steht für uns die Frage zur Dis- mokratie gekämpft ohne jeden Nationalismus und
kussion, und wir hoffen, daß die Diskussion in ohne jeden Chauvinismus. Auch das ist ein großes
diesem Hause dazu beiträgt, die Lösung zu be- Aktivum für Deutschland. Wir haben der Welt
schleunigen, daß nun endlich die Alliierten uns gezeigt, daß es nicht nötig ist, mit nationalistischen
gestatten, in dem Maße, wie es die Währungs- und chauvinistischen Methoden aufzuwarten, um
reform hier im Westen vorzeichnet, die sogenann- die Freiheit zu verteidigen. Wir haben gezeigt, daß
ten Uralt-Konten wieder aufleben zu lassen. es nur notwendig ist, seine staatsbürgerliche Pflicht
zu tun. Wir haben diese Pflicht für Berlin getan,
Die Berliner Wirtschaft hat 50 Prozent ihrer ge- und wir haben diese Pflicht in dem Bewußtsein
werblichen Erzeugung früher im deutschen Osten getan, daß wir damit Deutschland retten. Wir ver-
abgesetzt. Vom deutschen Westen ist sie schon im langen von Ihnen, meine Damen und Herren, nicht
Jahre 1942 durch die Maßnahmen der Kriegswirt- mehr und nicht weniger, als daß Sie ganz unpa-
schaft weitgehend abgeschnitten worden. Dann thetisch und ganz nüchtern erkennen, daß die
kam die Zonentrennung, dann kam der Eiserne Berliner Frage eine, im Augenblick allerdings viel-
Vorhang, und dann kamen die Perioden der Wäh- leicht die dringlichste Angelegenheit einer natio-
rungsreformen, zunächst die zweigleisige Währungs- nalen Realpolitik ist.
reform in Berlin, die es unserer industriellen und
gewerblichen Wirtschaft noch immer gestattete, (Beifall in der Mitte, bei der FDP und der SPD.)
mit Hilfe eines wenn auch ungesunden Kalkula- Nichts anderes verlangen wir von Ihnen, als daß
tionsprinzips sich durchzuhalten, bis schließlich aus Sie nüchtern die Folgerungen aus dieser Lage
politischen Gründen die volle Einführung der ziehen.
Westmark in Berlin Wirklichkeit wurde. Wir
haben sie selbst gefordert, meine Damen und Her- (Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und bei
ren, weil wir es aus politischen Gründen tun muß- der SPD.)
ten. Wir waren uns aber darüber klar, welche
Opfer die Verwirklichung dieser Forderung für Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab-
die Berliner 'Wirtschaft mit sich bringt. geordnete Dr. Falkner.
Diese Berliner Wirtschaft hat während der Zeit Dr. Falkner (BP): Meine Damen und Herren!
der Berliner Blockade eine Einsicht in die sozia- Ich möchte die Gelegenheit, da das Hohe Haus in
len Notwendigkeiten bewiesen, die bewunderns- eine Debatte über Berlin eingetreten ist, dazu be-
wert ist. Die Berliner Betriebe haben in dem Be- nutzen, um vor dem Forum des Deutschen Bun-
wußtsein, daß Arbeitslosigkeit nicht die Blockade destags einmal klarzustellen, wie die Bayernpar-
belasten darf, ihre Belegschaften durchgehalten, so- tei zur Berliner Frage steht oder über die soge-
weit es nur immer ging. Meine Damen und Her- nannte Berliner Frage denkt.
ren, diese Betriebe können heute nicht mehr; sie
haben ihre Substanz, ihre letzte Substanz verloren. (Zuruf von der SPD: „Sogenannt?")
Nun ist die Frage, wie man der Berliner Wirt- Wir betrachten den Kampf, den Berlin in den
schaft helfen kann. Darauf kommt es schließlich vergangenen Wochen und Monaten geführt hat,
jetzt an. Wenn wir die Gefahr der Arbeitslosigkeit ähnlich dem, den -Wien zur Zeit der Türkenkriege
in Berlin bannen wollen, die erschreckend wächst bestanden hat. Auch damals waren in Deutschland
— und das ist eine eminent politische Gefahr —, zentralistische Kräfte am Werk, dargestellt durch
ich sage: wenn wir diese Gefahr der Arbeitslosig- das Haus Habsburg, die das Eigenleben der deut-
keit bannen wollen, dann müssen wir der Berliner schen Länder bedrohten. Trotzdem ist damals der,
Wirtschaft helfen, und das ist nun nicht eine so bayerische Kurfürst Max Emanuel mit bayerischen
einfache Angelegenheit, daß wir das auf einen Truppen nach Wien gezogen, um die Hauptstadt
Generalnenner bringen könnten, sondern darüber des damaligen Reiches gegen den Ansturm aus dem
werden wir im Berlin-Ausschuß dieses Hauses uns Osten zu verteidigen.
sehr gründlich unterhalten müssen. Denn diese
Berliner Wirtschaft ist eine sehr komplizierte An- (Zuruf in der Mitte: Mehr wollen wir ja
gar nicht! — Heiterkeit.) -
gelegenheit.
Man kann nicht etwa einfach sagen: wir brau- Wir stehen deshalb auf dem Standpunkt, daß
chen Investitionskredite. Gewiß, hier und dort Berlin und seinen Bewohnern, das in den letzten
werden Investitionskredite dringend gebraucht. Es Wochen und Monaten auch die Rolle eines Wel-
gibt aber große Teile der Berliner Wirtschaft, wo lenbrechers der abendländischen Kultur, des Chri-
das vollkommen sinnlos wäre. Alle aber, meine stentums und der Zivilisation gegen den Osten
Damen und Herren, brauchen Absatz, und ich kann übernommen hat, die volle materielle und ideelle
das nur unterstreichen, was Frau Schroeder hier Unterstützung aller deutschen Staaten und Länder
gesagt hat: die private Wirtschaft und die öffent- und des ganzen deutschen Volkes gebührt.
liche Wirtschaft hier im Westen müssen Anstren- (Lebhafter Beifall rechts, in der Mitte und bei
gungen machen, um auf dem Wege über den Ab- der SPD.)
satz der Berliner Produktion zu helfen. Sie müssen Daß es der Bayernpartei mit dieser Erklärung,
Anstrengungen machen. Das ist nicht bloß eine die ich jetzt offiziell abgegeben habe, auch in der
Angelegenheit des geschäftlichen Kalküls, sondern Vergangenheit ernst war, kann ich Ihnen schon da-
ich bitte Sie noch einmal, daran zu denken: wir durch beweisen, daß sie sich im vergangenen Jahr,
stehen noch im Krieg, in einem grausamen kalten als in München auf dem Königsplatz eine Ver-
Krieg mit einem unerbittlichen Gegner, und die trauenskundgebung aller demokratischen Parteien
Frage, ob wir uns in diesem Krieg behaupten oder für Berlin stattfand, auch daran beteiligte und den
nicht, ist die Lebensfrage Deutschlands. Das klingt stellvertretenden Landesvorsitzenden als Redner
vielleicht pathetisch, meine Damen und Herren. dafür beauftragte.
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 241
(Dr. Falkner)
Überdies darf ich sagen, daß einer unserer maß- verlangt. Es ist auch darauf hinzuweisen, daß in
gebendsten Männer durch seine persönlichen Ver- diesem Zusammenhang bereits vor der Londoner
hältnisse in der Lage war, sich sehr stark für die Außenministerkonferenz die separate Währungs-
Kinderhilfe Berlins in Bayern einzusetzen. einführung der Westmächte beschlossen und die
Aus dieser Einstellung zu Berlin heraus sind wir neuen Noten bereits in Washington gedruckt wor-
von der Bayernpartei heute auch in diese Sitzung den waren. Wenn das der Ausgangspunkt dessen
gekommen, meine Damen und Herren, in der Mei- gewesen ist, was sich dann als Folgeerscheinung für
nung, hier Zeuge zu werden und mitwirken zu West-Berlin in Zahlen ausdrückt, die zum Teil Frau
können an einer Sympathie- und Vertrauenskund- Schroeder genannt hat und die ich nachher noch
gebung, an einem Bekenntnis des gesamten deut- mit einigen wenigen ergänzenden Zahlen unter-
schen Volkes und des Deutschen Bundestags für die mauern möchte, dann wird das entscheidende Pro-
deutsche Stadt Berlin. blem wohl sein: Wenn Berlin geholfen werden soll
Nehmen Sie es mir als Sprecher der Bayernpar- und muß, muß die Ursache der Folgeerscheinungen
tei nicht übel, wenn ich Ihnen sage: Wir, denen beseitigt werden.
man so gern vorwirft, wir wollten uns vom deut-
schen Schicksal lösen, hätten eigentlich erwartet, (Sehr richtig! bei der KPD.)
daß der Verlauf der heutigen Debatte ein anderer Wenn wir uns nur eine kurze Übersicht fi ber die
gewesen wäre. Wir haben es mit einigem Befrem- materielle Bilanz der Spaltung Berlins vor Augen
den zur Kenntnis genommen, daß die Redner oft führen, müssen wir auch die Frage aufwerfen, ob
vor 'nahezu leeren Bänken gesprochen haben und und inwieweit auch westdeutsche Vertreter, be-
daß man etwas zerredet hat, was Gelegenheit zu wußt oder unbewußt, sich in die Konzeption
einer patriotischen Demonstration des Deutschen Washingtons eingeschaltet und dadurch ihr Teil
Bundestags hätte sein können. mit zu den Erscheinungen beigetragen haben, zu
(Beifall rechts.) denen wir heute im Bundestag auf Grund der An-
träge Stellung zu nehmen haben.
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Müller. Eine gewisse Überprüfung dieser Haltung dürfte
Müller, Oskar (KPD): Meine Damen und Herren! auch für die Vertreter West-Berlins notwendig
Ich glaube, es kommt hier weniger auf eine Art sein. Die Reden der Kollegen Dr. Schumacher und
Dr. Carlo Schmid haben zumindest den Anschein
Demonstration an. Es kommt auch weniger darauf
an, hier auf die interfraktionellen Auseinander- erweckt, als ob auch in der Führung der Sozial-
demokratischen Partei einige Erwägungen darüber
setzungen zwischen den West-Berliner Parteien angestellt werden, als ob man ,auch außenpolitisch
einzugehen, als auf die Frage, wie dem Problem
Berlin grundsätzlich beigekommen und wie Ber- mit Realitäten, mit Fakten zu rechnen beginnt.
lin geholfen werden kann. Dabei scheint es mir so, Daran müßte sich nach meiner Auffassung konse-
als ob einige Vertreter, die zweifellos mit einer quenterweise vielleicht eine Korrektur der Hal-
tung in der Frage Berlin anschließen.
ausgezeichneten Intelligenz ausgestattet sind,
offensichtlich das vergessen haben, was sich in den Meine Damen und Herren! Wenn ich vorhin auf
letzten Tagen in diesem Hause abgespielt hat: die Tatsache hingewiesen habe, daß die Folge-
als nämlich im Zusammenhang mit der Diskussion erscheinungen, die wir jetzt vor uns haben, das Er-
über die Regierungserklärung einige Scherben gebnis der Spaltung Berlins sind, so hat Frau
außenpolitischer Art angerichtet worden sind, die Schroeder einige Tatsachen genannt. Ich glaube,
unsere Arbeit für unser deutsches Volk erschweren. wenn heute in Berlin 240 000 Arbeitslose und rund
Ich bin auch der Auffassung, daß einige Ausfüh- 80 000 Kurzarbeiter sind, das heißt jeder vierte
rungen, die bis jetzt gemacht worden sind, nicht Arbeitnehmer arbeitslos ist, wenn nach denselben
nur der Lösung des Problems Berlin nicht dienen, Angaben insbesondere 40 Prozent der weiblichen
sondern geradezu geeignet sind, Barrieren aufzu- Jugend hart getroffen und arbeitslos und 20 Pro-
richten. Man spricht über Folgeerscheinungen, die zent der männlichen Jugend arbeitslos sind, wenn
sich heute in West-Berlin äußern, anstatt der Frage nach den Erklärungen von Herrn Heinemann auf
der Ursachen näherzutreten, die dazu eführt ha- dem Kongreß des FGB in Frankfurt in Berlin
ben. Es wäre zweckmäßig und richtig, darauf ein- gegenwärtig 40 Prozent der Erwerbsfähigen ar-
zugehen. Denn wir können nicht heilen und über- beitslos bzw. zur Kurzarbeit verurteilt sind, dann
winden, wenn wir ein Pflaster draufkleben. Das -sind das die sozialen Folgeerscheinungen, die sich -
können wir vielmehr nur, wenn wir den Krank- auf dem wirtschaftlichen Sektor nach den mir zur
heitsherd beseitigen. Verfügung stehenden Zahlen in der Richtung aus-
Ich glaube, in diesem Zusammenhang, ohne daß wirken, daß gegenüber Dezember 1948 die West-
ich auf eine politische Bilanz der Entwicklung in berliner Ausfuhr um 45 Prozent in der Hauptaus-
Berlin einzugehen brauche — obgleich es interessant fuhr, in der der Elektrotechnik um rund 50 Pro-
wäre —, doch die Feststellung treffen zu müssen, zent zurückgegangen ist und daß, um nur eine
daß sich als Ursache für die Entwicklung in West Teilfrage anzuschneiden, nach einem Bericht der
Berlin die vollzogene Spaltung ergibt. Hier scheint „Kölnischen Rundschau" vom 24. 8. 1949 die Frage
mir vielleicht auch für die Vertreter West-Berlins der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, soweit es sich
der Hinweis zweckmäßig zu sein, daß diese Spal- um den Bausektor handelt, sich so gestaltet:
tung von westlicher Seite bereits im Jahre 1947, Der Baustoffhandel berichtet, daß er nach der
vor der Londoner Konferenz beschlossen worden Aufhebung der Blockade bemüht war, die Bau-
ist. Ein maßgebender wirtschaftlicher Vertreter der stofflager in erheblichem Umfange aufzufüllen.
Wallstreet, der Berater des im Zuge einer gewissen Während früher ein beträchtliches Quantum
außenpolitischen Demontage Washingtons ab- an Baustoffen aus der Ostzone geliefert wurde,
berufenen Generals Clay, nämlich Louis Brown'. wird heute der größte Teil aus den Westzonen
hat vor der Londoner Außenministerkonferenz in bezogen, was zur Verteuerung führt. Die
seiner Denkschrift an das Washingtoner Kriegs- Folgen davon sind, daß das Berliner Bau-
und Außenministerium nicht allein die Spaltung gewerbe im Augenblick nur 30 000 Mann be-
Deutschlands, sondern auch die Spaltung Berlins nötigt. Es könnten aber nach Aufhebung der
242 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Miller, Oskar)
Blockade 100 000 Arbeitskräfte untergebracht Diktat der drei Vizekönige gewissen westdeutschen
werden, und damit könnte gleichzeitig 300 000 Politikern eindeutig vor Augen geführt worden ist,
bis 400 000 Menschen Arbeit und Brot gegeben wer in Wirklichkeit das Zepter und die Macht in
werden. Händen hat? Durch diese Entscheidungen ist eben-
In diesen Ausführungen ist bereits ein Fingerzeig so wie durch die Demontagepolitik, die heute dis-
gegeben, wie Berlin geholfen werden kann. kutiert worden ist, eindeutig erhärtet worden, daß
Aber noch eine andere Frage. Wenn Frau Schroe- die Politik Washingtons, der Wallstreet und Lon-
der vorhin von dem sozialen Elend sprach—mir liegt dons in Deutschland gar nicht um unserer schönen
eine Zahl von 91 Selbstmorden in einem Monat in Augen willen, sondern ausschließlich zu dem Zweck
Westberlin vor —, dann dokumentiert sich das betrieben wird, um Deutschland wirtschaftlich
wohl auch in den Finanzzahlen der Stadt Berlin. nicht hochkommen zu lassen, die En twicklung einer
Ich glaube, es war der ,,Sozialdemokrat" vom 30. eigenen, und zwar dem deutschen Volke dienen-
6. 1949, der unter der Überschrift „Der Ber liner den Exportindustrie zu verhindern und West-
Etat politisch bedingt" unter anderem auf die deutschland zum Absatzgebiet ihrer eigenen Ex-
Zahlen eingegangen ist, die ich ergänzend im Zu- portwünsche zu machen. Glauben Sie denn, daß
sammenhang mit dem, was von Dr. Adenauer be- West-Berlin, wenn es sich an Westdeutschland an-
reits in seiner Rede erwähnt worden ist, ganz kurz schließt, auch nur die geringste Chance hätte, aus
noch betrachten möchte. Ich glaube, ich täusche dieser Situation herauszukommen? Ich glaube, die
mich nicht, wenn West-Berlin in 15 Monaten bisher Annahme dieser Anträge würde höchstens eine
einen Zuschuß von insgesamt 1 Milliarde 132 Mil- Galvanisierung des gegenwärtigen Zustandes be-
lionen D-Mark bekommen hat. Wie die politische deuten. Ich fürchte, daß angesichts der begonnenen
Belastung dieses Etats aussieht, das ergibt sich ein- und sich weiter entwickelnden Krise der ameri-
mal aus der Zahl von 270 Millionen D-Mark Be- kanischen Wirtschaft — wir wollen es nicht wün-
satzungskosten. In dem außerordentlichen Etat schen, aber es muß befürchtet werden — der Ab-
werden ferner 40 Millionen D-Mark für Flugplatz- stieg und das wirtschaftliche Absterben auch West-
bauten ausgegeben, 60 Millionen D-Mark für Wäh- Berlins wahrscheinlich in einem noch viel g rößeren
rungsumstellungskosten und 200 Millionen D-Mark Tempo vor sich gehen würde, und das wollen wir
an Subventionen, teilweise um die Lebensmittel- nicht.
preise — politisch — zu gestalten, zum andern, um (Aha-Rufe bei der SPD.)
die Transporte der Luftbrücke bezahlen zu können. Ich sage noch einmal, daß hier ausschließlich ver-
Denn wenn die Tonne Kohle nach Ber lin etwa mit nunftgemäße Überlegungen eine Rolle spielen
einem Preis von 32 D-Mark angesetzt werden darf, dürfen. Wir wollen, daß ein Weg gefunden wird,
ergibt sich eine ungefähre Belastung für den Trans- der Berlin hilft, und dieser Weg ist und kann nur
port über die Luftbrücke von 105 Dollar pro Tonne. sein, daß von deutscher Seite aus, ohne daß Bar-
Ich bin davon überzeugt, daß, wie aus den Be- rieren errichtet werden — und ich freue mich, daß
richten zu entnehmen ist, die englischen privaten ich hier einige Stimmen der Vernunft hören konnte
Luftfahrtgesellschaften, die in die Luftbrücke ein- —, im Interesse auch des Lebens der Berliner Be
geschaltet sind, wohl selten derartig ausgezeichnete völkerung der Weg zur Einheit Berlins gegangen
Gewinne gemacht haben wie an dieser Luftbrücke. wird. Um zu dieser Einheit zu kommen, sind die
(Sehr richtig! bei der KPD.) Arme und die Hände, die ausgestreckt wurden,
(lebhafte Zurufe)
Treten wir nun aber der Frage näher: wie kann
Berlin geholfen werden? Frau Schroeder. die rein unter dem Augurenlächeln bestimmter Leute in
vernunftmäßigen Erwägungen besagen, daß Berlin Transozeanien zurückgewiesen worden.
nicht nur in der „Mitte Deutschlands", wie in der (Erneute lebhafte Zurufe.)
„Deutschen Zeitung", der früheren „Wirtschafts- Wenn wir zu dieser Einheit kommen, wird Berlin
zeitung", vom 16. Juli dieses Jahres zum Ausdruck auch leben, und Berlin wird und kann nur leben
gebracht worden ist, seine Bedeutung hat, sondern: in seiner Einheit und in einem einheitlichen
„im Güteraustausch zwischen Ost und West liegt Deutschland.
die wirtschaftliche Zukunft Berlins beschlossen und (Beifall bei der KPD.)
ein gut Teil der Zukunft ganz Deutschlands, das so-
mit auch mit seiner alten Hauptstadt verbunden Präsident Dr. Köhler: Es erhält jetzt als letzter
bleibt". Daraus dürfte sich, glaube ich, logischerweise Redner des Hauses der Herr Abgeordnete Fröhlich
eine zwingende Schlußfolgeriung ergeben. Ails der -
das Wort. — Der Herr Abgeordnete Fröhlich ist
natürlichen wirtschaftlichen Verbundenheit Berlins nicht da.
mit dem Osten und der Ostzone — ich glaube, Ihre Ich erteile nunmehr Herrn Bundesminister
eigenen Zahlen des Wirtschaftamts dürften wohl Kaiser das Wort.
nicht trügen, wenn festgestellt wird, daß die Ab-
satzstatistik von den rund 850 000 Westberliner Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fra-
Arbeitnehmern für ostexportfähige Industrie- und gen: Meine Damen und Herren! Sie werden es ge-
Handwerksbetriebe allein 315 000 Beschäftigte ein- wiß verstehen, wenn ich mich veranlaßt fühle, ein
setzen läßt — ergibt sich bereits evident, daß eine kurzes Wort zu dem großen, uns allen bewegenden
Gesundung Berlins nur durch die Erschließung des Anliegen Berlin zu sagen. Ich möchte zunächst
Handels, Verkehrs und Absatzes nach dem Osten dies mit Betonung zum Ausdruck bringen: Berlin
und der Ostzone möglich ist. Hier scheint mir der und sein Schicksal wird ganz gewiß Aufgabe und
entscheidende Faktor bei einer nüchternen, durch Sorge Nr: 1 der Bundesregierung mit dem Kanzler
keinerlei Haß oder parteimäßige Einstellung be- Konrad Adenauer an der Spitze sein.
dingten Haltung und Ü berpriifung hinsichtlich der
Frage, wie Berlin geholfen werden kann, zu liegen. (Bravo!)
Glauben Sie, Frau Schroeder, daß West Berlin ge-
- Es wird nicht zuletzt Aufgabe und Sorge Nr. 1 des
holfen werden kann, wenn es, wie es die Anträge Herrn Finanzministers und nicht weniger des
verlangen, an Westdeutschland angeschlossen wird, Herrn Wirtschaftsministers sein; aber es wird auch,
von dem vor wenigen Tagen erst durch das brutale und das in ganz besonderer Weise, in der Obhut
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 243
(Bundesminister Kaiser )
des Ministeriums, das mir anvertraut worden ist, desland zu erreichen. Ich bin der Überzeugung, daß
stehen. Ich bekenne mich von Herzen zu dieser wir für diese Bemühungen die Zustimmung aller
Aufgabe und zu dieser Sorge; denn, meine Damen Fraktionen des Hauses finden werden, zum min-
und Herren, ich habe in dieser ersten Bundes- desten ihrer überwältigenden Mehrheit. Denn
regierung nur Verantwortung übernommen, weil nichts, meine Damen und Herren, tut unserem Volk
ich des Glaubens bin, daß ich an diesem Platz und so not, als daß ein zwingendes nationales Ziel
unter dieser Verantwortung am besten und am Partei- und schließlich auch Klassenscheidungen
wirksamsten für die Stadt Berlin und ihre Be- überbrückt. Meine Damen und Herren, wir haben
völkerung eintreten kann, dieses Ziel heute. Es heißt: die Wiedervereinigung
(Bravo!) Deutschlands. Die Rettung, die Sicherung Berlins
für Berlin und für das ganze große Stück Deutsch- ist der erste Schritt zu dieser Wiedervereinigung
land, das an der Wiedervereinigung mit uns heute unseres Vaterlandes.
noch verhindert ist. (Lebhafter Beifa ll.)
Ein früherer Diplomat — ich weiß im Augen- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
blick seinen Namen nicht mehr — hat vor kurzem Bundeskanzler.
gesagt: Die erste außenpolitische Nachkriegstat ist
von den Berlinern vollbracht worden, und ich sage Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Meine Damen und
dazu, daß nach meiner festen Überzeugung tatsäch- Herren! Über die Rolle, die Berlin in der deutschen
lich in der politischen Situation der Nachkriegszeit und europäischen Geschichte spielt, brauche ich
von Berlin und von seiner tapferen Behauptung nach den Ausführungen, die gemacht worden sind,
ein Einfluß auf die Weltpolitik wie von keinem nichts mehr zu sagen. Ich möchte nur nochmals
andern Ort ausgegangen ist. betonen, daß die Bundesregierung die Bedeutung
Es sind von den Sprechern in dieser Berlin- dieser Rolle, die Bedeutung des Schicksals Berlins
Debatte viele gute und notwendige, viele über- für den deutschen Westen und für Europa in voll-
zeugende und die Bevölkerung von Berlin ermuti- stem Maße würdigt und richtig einschätzt. Die
gende Worte gesagt worden. Ich brauche sie, nicht Bundesregierung ist auch tief durchdrungen von
zu wiederholen. Die Ausführungen von der der Verpflichtung, die sie gegenüber der Berliner
äußersten Linken des Hauses darf ich wohl außer Bevölkerung hat. Es ist durchaus richtig hier aus-
Betracht lassen. Ich habe den Eindruck gewonnen, geführt worden, daß wir vom Westen her alles
daß der Kollege Müller über die Gründe, die zur daransetzen müssen, um in Berlin Arbeit zu schaffen.
Trennung der Stadt Berlin geführt haben, nicht Unterstützung allein tut es nicht! Es muß durch
genau Bescheid weiß: Lieferung von Rohmaterialien und durch Bestel-
lungen aus, dem Westen dafür gesorgt werden, daß
(Zurufe von der KPD) die Arbeitslosigkeit in Berlin zurückgeht und be-
denn nicht wir haben die Stadt getrennt, sondern seitigt wird. Ich bitte unsere Berliner Freunde, voll-
die Partei, die politische Gruppe, der er angehört. kommen davon überzeugt zu sein, daß die gesamte
(Sehr wahr!) Bundesregierung die Bedeutung dieser Frage im
vollsten Umfang würdigt und die ganze Kraft
Jeder, der mich kennt, meine Damen und Herren, daransetzen wird, um Berlin und damit — lassen
weiß im übrigen, wie sehr mir die Stadt Berlin Sie mich das auch noch hinzufügen — dem ge-
am Herzen liegt. Ich will nur an dieser Stelle und samten deutschen Osten, dessen wir in dieser
in dieser Stunde versichern, daß ich in dem mir Stunde nicht vergessen wollen, zu helfen.
anvertrauten Amt und mit diesem Amt alles tun (Lebhafter Beifall.)
werde, um die notwendige Hilfe für Berlin mobi-
lisieren zu helfen. Präsident Dr. Köhler: Der Herr Abgeordnete
(Bravo!) Strauß hat das Wort.
Ich werde es tun um seiner bedrohten materiellen Strauß (CSU): Meine Damen und Herren! Alles,
Existenz willen, aber auch und nicht zuletzt, meine was heute über die Not Berlins und seiner Be-
Damen und Herren, um seiner Tradition, um seiner völkerung und über die Notwendigkeit, der Stadt
Bedeutung willen als Stadt von höchstem geisti- Berlin zu helfen, gesagt worden ist, ist, wie ich
gen, von höchsten kulturellen und von höchstem glaube, allen demokratischen Parteien des Hauses
politischen Rang. Berlin leidet ja nicht nur mate- aus dem Herzen gesprochen. Wir von der Christ-
rielle Not, sondern Berlin und die Bevölkerung der lich-Sozialen Union in Bayern sind aber der An-
Stadt leiden auch geistige Not. Aus dieser geistigen sicht, daß in diesem Antrag eine Angelegenheit be--
Not heraus, meine Damen und Herren, hat in rührt wird, deren Form, deren Stilisierung, deren
diesen Tagen auch schon mancher Hilferuf seinen Art und Weise, wie sie behandelt wird, nicht der
Weg in die noch im Aufbau befindlichen Ämter der Würde und dem Wert des Gegenstandes entspricht.
Bundesregierung gefunden. Es handelt sich dabei um die Worte: und in Zu-
Ich glaube, daß ich im Namen meiner Kollegen kunft ihre Hauptstadt wieder werden soll. Gegen
von der Bundesregierung sagen darf, daß wir im diese Formulierung haben wir schwerwiegende
Rahmen des Menschenmöglichen alles, aber auch Bedenken, nicht etwa Bedenken föderalistischer
alles tun werden, damit Berlin leben und seine Art oder, wie man so leicht zu sagen geneigt ist,
Aufgabe weiter erfüllen kann, -partikularer Art, sondern Bedenken besatzungs
(Bravo!) und außenpolitischer Art. Es wird eines Tages die
Aufgabe des gesamten freien deutschen Volkes
damit es seine Aufgabe und seine Verantwortung sein, die Entscheidung zu treffen, wo die Haupt-
als deutscher, nein als europäischer Angelpunkt in stadt des deutschen Staates, wo die Hauptstadt der
der einfach schicksalhaften Begegnung und Aus- Bundesrepublik liegen soll.
einandersetzung zweier Welten auf dem Boden
unseres Landes zu erfüllen in der Lage ist. Und ich (Zurufe.)
glaube, meine Damen und Herren, daß ich ebenso Man sollte diese Entscheidung nicht in einem
im Namen der Bundesregierung sprechen darf, Nebensatz und an nebensächlicher Stelle vorweg-
wenn ich sage, daß sie bemüht bleibt, zunächst nehmen.
die Anerkennung Groß-Berlins als zwölftes Bun (Zurufe.)
244 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Strauß)
Ich stelle hiermit den Antrag, diese Worte „und Ich möchte mir mit Rücksicht auf die Ziffern 1, 2
in Zukunft ihre Hauptstadt wieder werden soll" zu und 3 den Vorschlag erlauben, daß Sie diesen An-
streichen. trag nicht nur an den Berlin-Ausschuß überweisen
sondern auch an den Haushaltsausschuß und den
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, Ausschuß für Finanz- und Wirtschaftspolitik, unter
weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Federführung des Berlin-Ausschusses. Diese Aus-
Herr Abgeordneter Strauß, bitte geben Sie sofort schüsse treten nächste Woche zusammen. Ist das
Ihren Abänderungsantrag bekannt. Haus damit einverstanden?
Ich schließe damit die Aussprache über die (Abg. Dr. Schmid: Es dauert ein bißchen
Punkte 6, 7 und 8 der Tagesordnung. Zu der Druck- länger! — Weiterer Zuruf: Sollte man es
sache Nr. 3 liegen zwei Abänderungsanträge vor. nicht dem Berlin-Ausschuß überlassen, ob
Zuerst ist ein Abänderungsantrag der Bayernpartei er diesen Antrag an den Haushaltsaus
eingegangen, im Absatz 1 die Worte zu streichen: schuß überweisen will?)
„in Zukunft ihre Hauptstadt werden soll", ein An-
trag, der sich inhaltlich mit dem soeben von dem — Einverstanden!
Herrn Abgeordneten Strauß gestellten Antrag Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über
deckt. Wir haben also zunächst über die Abände- den Antrag Nr. 40.
rungsanträge abzustimmen, wobei ich wohl von (Abg. Dr. von Brentano: Zur Abstimmung!)
der Voraussetzung ausgehen darf, daß wir über- Zur Abstimmung hat das Wort der Herr Ab-
haupt hier über diesen Antrag abstimmen und ihn geordnete Dr. von Brentano.
nicht an einen Ausschuß verweisen. Entspricht das
der Meinung des Hauses? Dr. von Brentano (CDU): Auch hier bitte ich um
(Zustimmung.) Überweisung an den zuständigen Ausschuß.
Ich höre keinen Widerspruch. Präsident Dr. Köhler: Ich lasse darüber abstim-
Dann kommen wir zur Abstimmung über die men. Es ist der weitergehende Antrag. Wer für
beiden von mir eben genannten Abänderungs- die Überweisung des Antrages Nr. 40 an den Aus-
anträge. Wer für diese Abänderungsanträge ist, schuß, in diesem Fall den Ausschuß Berlin, ist, den
den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte ich, die Hand zu erheben. — Es ist zweifel-
bitte um die Gegenprobe. — Mit eindeutiger Mehr- los die Mehrheit. Ich bitte auf alle Fälle um die
heit abgelehnt. Gegenprobe. — Der Antrag ist mit Mehrheit an-
(Beifall bei der SPD und bei der KPD.) genommen: Überweisung an den Ausschuß Berlin.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir Meine Damen und Herren, wir kommen dann
zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 3 zum nächsten Punkt der Tagesordnung. Wir be-
in der dem Haus vorliegenden Fassung. Angesichts handeln. wieder zusammenhängend, die Punkte 9,
der Bedeutung und politischen Tragweite dieses 10 und 11:
Antrags bitte ich diejenigen Damen und Herren, 9. Antrag der Fraktion der SPD, betreffend
die für diesen Antrag sind, sich von den Plätzen den vorläufigen Sitz der leitenden Bundes-
zu erheben. — Danke. Ich stelle fest, daß dieser organe (Drucksache Nr. 4);
Antrag mit überwiegender Mehrheit angenommen 10. Antrag der Abgeordneten Dr. Hilpert, Euler
worden ist. und andere, betreffend den vorläufigen Sitz
(Lebhafter Beifall links.) der leitenden Bundesorgane (Drucksache
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Nr. 19);
Antrag Drucksache Nr. 16. Abänderungsanträge 11. Antrag der KPD, betreffend Wohnraum-
dazu liegen meines Wissens nicht vor. Ich nehme beschlagnahme (Drucksache Nr. 9).
an, daß dieser Antrag wegen der Bedeutung der
Materie an die einzelnen Ausschüsse überwiesen Wir kommen zunächst zu Drucksache 4.
werden soll. (Abg. Zinn: Ich bitte ums Wort!)
(Abg. Dr. Schmid: Es liegt kein Antrag vor!) Bitte schön! Herr Abgeordneter Zinn hat das
Wünscht das Haus Abstimmung darüber oder Wort.
Überweisung an die Ausschüsse? — Bitte, Herr Ab- Zinn (SPD): Meine sehr verehrten Damen und
geordneter Dr. von Brentano! Herren! Ein hervorragendes Mitglied dieses Hauses,
Dr. von Brentano (CDU): Ich beantrage Verwei- das jetzt die Regierungsbank ziert, hat gelegentlich
-
sung an den Ausschuß. der Presse gegenüber geäußert, der Bundestag habe
etwas Besseres zu tun, als sich mit der Frage des
Präsident Dr. Köhler: Drucksache Nr. 16! Es liegt vorläufigen Bundessitzes zu beschäftigen.
ein Antrag auf Überweisung an den Ausschuß vor. (Sehr richtig!)
Ein Antrag auf Überweisung an den Ausschuß Die Mehrheit dieses Hauses wird Sie vielleicht
pflegt im allgemeinen nach meiner Erfahrung der eines Besseren belehren. Jedenfalls sind wir und
weitergehende zu sein, so daß ich zunächst über meine Freunde, aber auch eine sehr stattliche Anzahl
den Antrag auf Überweisung an den Ausschuß ab- von Mitgliedern dieses Hauses, die aus den ver-
stimmen lasse mit der Maßgabe, falls dieser Antrag schiedensten Teilen des Bundesgebietes stammen
angenommen wird, nachträglich festzustellen, an und den verschiedensten politischen Gruppen ange-
welche Ausschüsse. hören, wie der Antrag Dr. Hilpert und Genossen
(Abg. Dr. von Brentano: An den Ausschuß erkennen läßt, der Auffassung, daß der Bundestag
für Groß-Berlin!) unverzüglich und endgültig zu entscheiden hat, wo
Wer für die Überweisung dieses Antrags Druck- die leitenden Bundesorgane ihren Sitz zu nehmen
sache Nr. 16 an den Berlin-Ausschuß ist ,den bitte ich haben. Diese Entscheidung muß getroffen werden,
die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die um der unerträglichen Unsicherheit ein Ende zu
Gegenprobe. — Ich glaube, das war die Mehrheit, machen, die zur Zeit die Arbeit der Ministerien,
wie wir von hier oben festgestellt haben, also für aber auch der noch in Frankfurt befindlichen Ver-
Überweisung an den Ausschuß. waltungen lähmt. Die Notwendigkeit einer solchen
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 245
(Zinn)
Beschlußfassung ergibt sich aber auch aus den Be- Es handelt sich hier doch nur um eine Angelegen-
schlüssen des Hauptausschusses der Ministerpräsi- heit der Zweckmäßigkeit,
dentenkonferenz, der nicht nur die Ministerpräsi- (Unruhe)
denten der elf Länder, sondern auch Vertreter des um eine Frage des geringstmöglichen Kostenauf
Parlamentarischen Rates und des Wirtschaftsrats wands und die Frage: wie können wir die Bundes
angehört haben. Dieser Ausschuß hat in seiner organe so schnell wie möglich wirksam arbeiten
Sitzung in Bad Schlangenbad am 6. 7. 1949 fest- lassen, mit anderen Worten — —
gestellt, daß es mangels einer Legitimation der (Zuruf)
Ministerpräsidenten, den Beschluß des Parlamenta-
rischen Rates einer Revision zu unterziehen, zu- -- Sie müssen etwas lauter reden, wenn man Sie
nächst bei diesem Beschluß verbleiben müsse, es verstehen soll! — Mit anderen Worten: das Hohe
sei denn, daß der Bundestag eine andere Entschei- Haus wird meines Erachtens die ganze Frage nur
dung treffe. Dieser Beschluß ist damals mit allen unter zwei Gesichtspunkten zu entscheiden haben.
gegen eine Stimme — auch mit der Stimme des Einmal muß die Frage gestellt werden: Wo und
jetzigen Herrn Bundeskanzlers Dr. Adenauer — wie kommen die Bundesorgane am schnellsten zur
angenomen worden. vollen Wirksamkeit? Das ist eine rein administra-
tive Frage. Zum andern ist die Frage zu stellen:
(Hört! Hört!)
Was kostet uns die Schaffung oder Errichtung eines
Zugleich hat damals dieser Hauptausschuß festge- vorläufigen Bundessitzes, und wo sind bis jetzt von
legt, daß alle Vorbereitungen auf dasjenige Maß den Gesamtkosten, die dadurch entstehen können,
beschränkt werden, das notwendig ist, um nur den die meisten Aufwendungen und die meisten Inve-
Beginn der Arbeit der Bundesorgane sicherzu- stitionen gemacht worden? Das sind die beiden
stellen. Dieser Restriktionsbeschluß zwingt dazu, Fragen, die wir ganz nüchtern und leidenschaftslos
eine schnelle Entscheidung herbeizuführen; denn zu beantworten haben.
die Bundesregierung verfügt zur Zeit mangels eines
Haushalts überhaupt über keine eigenen Mittel. Sie Nach dem Bericht der technischen Kommission
ist im Augenblick noch völlig auf die Zuschüsse der Ministerpräsidenten, deren Vorsitz der Herr
der Länder angewiesen, die an diesen Beschluß ge- Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen,
bunden sind. Herr Arnold, hatte, der durch Herrn Ministerial-
In den letzten Monaten haben gewiß mancherlei direktor Dr. Wandersleb vertreten wurde, und dem
Fragen die deutsche Öffentlichkeit bewegt. Aber auch Mitglieder des Parlamentarischen Rates ange-
hört haben, können zunächst hier in Bonn nur
man wird zugeben müssen, daß die Frage Bonn —
Teile heißt es wörtlich in dem Bericht — der
Frankfurt, vielleicht mit Ausnahme des Landes Bundeskanzlei, des Innen-, Finanz- und Justiz-
Nordrhein-Westfalen, die Presse und die Bevölke- ministeriums und darüber hinaus nur Organisations-
rung in einer Weise bewegt hat, wie man das zu-
gruppen der übrigen Ministerien untergebracht
nächst nicht erwartet hat. werden. Dabei ist man damals davon ausgegangen,
(Widerspruch bei der CDU.) daß nur acht Ministerien errichtet werden würden.
Vor, während und nach den Wahlen haben die Er- Inzwischen hat sich ja zum Erstaunen der deutschen
örterungen über Bonn und Frankfurt kein Ende Öffentlichkeit die Zahl auf 13 erhöht. Diesen Be-
gefunden. Fragen Sie Ihre eigenen Fraktions- richt kann man als eine zuverlässige und objektive
kollegen! Unterlage betrachten. Nach diesem Bericht lassen
(Lachen.) sich in absehbarer Zeit — „später", wie es heißt —
Es ist der Öffentlichkeit ja nicht unbekannt ge nur drei Ministerien, nämlich die Bundeskanzlei,
blieben, welche Auseinandersetzungen Sie wegen das Innen- und Justiz-Ministerium und vielleicht
dieser Frage seit Tagen in Ihren Fraktionen haben. auch das Finanz-Ministerium in voller Sollstärke
(Zuruf: Woher wißt Ihr das?) unterbringen. Es heißtdannweiter,daß erst zu einem
Wir müssen dabei betonen, daß weder Bonn noch späteren Zeitpunkt, wahrscheinlich erst im Laufe
Frankfurt eine Entscheidung für oder gegen Berlin des Jahres 1950, die Unterbringung sämtlicher
bedeutet. Wie wir über die Frage Berlin denken, Ministerien in Bonn möglich sein wird. Schon jetzt
das haben wir eindeutig in den Antrag, der soeben rechnet man aber damit, daß auch dann große Teile
behandelt worden ist, in Drucksache Nr. 3 und der der seitherigen Verwaltungen des Vereinigten
dazu gegebenen Begründung zum Ausdruck ge- Wirtschaftsgebietes in Frankfurt verbleiben müssen.
bracht. Für uns ist und bleibt die eigentliche und Diese Regelung muß nach unserer Ansicht zu -
heimliche Hauptstadt Berlin. einer Zweigleisigkeit der Bundeszentralverwal-
(Zurufe rechts: Heimliche? — Unheimliche!) tungen führen, die die Arbeitsfähigkeit in einer
unerträglichen Weise hemmt, in einer Zeit, meine
Aber von der Frage der eigentlichen Bundes- Damen und Herren, in der schnelle Entschlüsse ge-
hauptstadt ist jene andere Frage, jene rein admini- faßt werden müssen und in der es auf ein wirksames
strative Frage des vorläufigen Sitzes der Bundes- Funktionieren des Bundes eigentlich in jedem
organe völlig unabhängig. Hier handelt es sich Augenblick ankommt. Es ist mithin während eines
— und das muß betont werden — nicht darum, einen längeren Zeitraums in Bonn mit einer räumlichen
Streit rivalisierender Städte zu entscheiden oder zu Trennung der legislativen Gewalt, aber auch der
prüfen, welche lokalen, kommunalen Interessen Bundesregierung von den verwaltenden Abtei-
den Vorrang verdienen. Es handelt sich auch — und lungen in Frankfurt zu rechnen.
das muß ich ausdrücklich bemerken — um keine
Weder das Parlament noch die Bundesregierung
Frage irgendeines politischen Prestiges, des Pre-
sind angesichts dieser Situation in der Lage, eine
stiges einer Partei oder irgendeiner Richtung.
der ihnen obliegenden wichtigsten Funktionen,
(Zuruf.) nämlich die ständige Kontrolle der Verwaltung
— Dann lesen Sie die Artikel etwas genauer durch auszuüben. Nach unserer Ansicht muß das zu einer
und werden Sie vor allem nicht so nervös! Das ist Stärkung des Einflusses der Bürokratie führen, die
ein schlechtes Zeichen. unerträglich ist. In den Wandelgängen dieses Hau-
(Heiterkeit.) ses und in den Vorzimmern gewisser Ministerien
246 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Zinn)
ist in den letzten Tagen davon berichtet worden, und für die Bereitstellung von 14 000 Quadratmeter I
welche Vorgänge sich aus Anlaß der Kabinetts- Nutzfläche für die vorläufige Unterbringung des
beratungen über die Änderung des Wechselkurses Bundespräsidenten, für die Unterbringung der
der D-Mark abgespielt haben. Auch der Presse und Bundeskanzlei und der sogenannten Organisations-
der Öffentlichkeit sind diese Vorgänge nicht ver- gruppen bis zum 30. August 1949, zuzüglich der
borgen geblieben. Die erforderlichen Fachkräfte Kosten, die durch die Errichtung der Fernmelde-
standen im entscheidenden Augenblick nicht zur anlagen entstanden sind, und zuzüglich 350 000
Verfügung. Hohe Ministerialbeamte haben die Rolle Mark Kosten für die Unterbringung von Stäben
von Botengängern übernehmen müssen. der Besatzungsmächte, 21 650 000 Mark ausgegeben
(Zuruf rechts: Wie nett von den Herren!) worden.
(Hört! Hört!)
Ich glaube, daß diese Vorgänge sich in Bonn wahr- Dabei sind die ursprünglich für die Pädagogische
scheinlich noch wiederholen werden. Akademie veranschlagten 2 600 000 Mark bis Ende
Aber ebenso bedeutsam wie die Gefahr der Zwei- August um 112 Prozent überschritten worden.
gleisigkeit der Verwaltung ist die reine Kosten- (Erneute Rufe: Hört! Hört!)
frage. Für den Bund sollte das eherne Gesetz der Die Ausbaukosten der Pädagogischen Akademie
Sparsamkeit gelten. betragen bis Ende August dieses Jahres nicht
(Sehr richtig! bei der SPD.) 2 600 000 Mark, wie veranschlagt, sondern 5 500 000
Mark, und für den Ausbau des Finanzamts, für
Wir können es uns nicht leisten, öffentliche Gelder, den 300 000 Mark veranschlagt worden sind, sind
die man einsparen kann, auszugeben. Die Haus- bis zu dem gleichen Zeitpunkt 420 000) Mark ver-
halte der Länder, von denen der Bund vorläufig ausgabt worden.
ja noch abhängig ist, sind auf das äußerste ange- (Zurufe: Und was in Frankfurt?)
spannt, und das Versprechen des Herrn Bundes-
kanzlers, das er kürzlich aus Anlaß der Änderung Für die Polizeischule — man höre —, für die 25 000
des Wechselkurses der D-Mark gegeben hat, alle Mark veranschlagt worden sind, sind nach dem
Maßnahmen zu treffen, um zu verhüten, daß die Bericht dieses Technischen Ausschusses bis Ende
Lebensmittelpreise steigen, erfordert Aufwen- August 206 000 Mark ausgegeben worden, wobei
dungen, die nach sachkundiger Schätzung in den die 400 000 Mark für die Ersatzpolizeischule in
nächsten 3 bis 5 Monaten etwa 380i Millionen er- Münster noch gar nicht in Rücksicht gezogen wor-
fordern werden. Wie kann der Herr Finanzminister den sind.
angesicht dieser Situation überhaupt noch eine Mil- (Lebhafte Rufe: Hört! Hört!)
lion für einen Zweck ausgeben, den man auf andere Ich erwähne das nur am Rande. Bei diesen Kosten-
Art viel besser erreicht? voranschlägen irrt man sich in der Regel, und ich
In Bonn mögen bis jetzt 15 Prozent der dort ins- glaube, die Hessen wissen davon ein Lied zu singen,
gesamt notwendigen Kosten für die Einrichtung der wenn sie an die Verwaltung des Vereinigten Wirt-
obersten Bundesverwaltung ausgegeben worden schaftsgebiets denken.
sein. (Zuruf rechts: Aha!)
(Zurufe: Und in Frankfurt?) — Sie rufen „Aha!" Eben deshalb sagen wir ja:
— In Frankfurt hat man binnen zwei Jahren unter Lassen Sie die Finger davon!
Einsatz aller baulichen und technischen Mittel die (Beifall bei der SPD und Heiterkeit.)
Verwaltungen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Aus den in Frankfurt entstandenen Kosten kann
arbeitsfähig gemacht und dort etwa 85 Prozent man entnehmen, wie hoch die endgültigen Kosten
jener Kosten ausgegeben, die für die Einrichtung in Bonn gegenüber allen etwaigen Voranschlägen
einer obersten Bundesverwaltung notwendig sind. sein werden.
Mit anderen Worten: man hat doch nur die nüch- (Zuruf rechts: Und in Frankfurt?)
terne Frage zu entscheiden: Soll man hier in Bonn — In Frankfurt ist ja das meiste bereits investiert!
die dort noch etwa notwendigen 85 Prozent der
Gesamtkosten ausgeben, oder soll man in Frank- (Lachen und Zurufe rechts.)
furt die dort noch erforderlichen nur 15 Prozent Der Bericht des Technischen Ausschusses der Mi-
ausgeben? sterpräsidenten -- und das ist das Entscheidende,
meine Damen und Herren —, nach dem zunächst
(Lachen und Widerspruch. -- Zuruf: Ganz weitere 60 000 Quadratmeter Nutzfläche in Bonn
falsche Zahlen! Theorien!)
und darüber hinaus im Umkreis von Bonn weitere
Die Zahlen beruhen auf dem, was man aus dem 50 000 Quadratmeter zur Verfügung gestellt werden
Bericht des Technischen Ausschusses der Minister- sollen und können, schweigt sich über die Höhe
präsidenten entnehmen kann. der Kosten in Bonn aus.
(Erneuter Widerspruch.) (Hört! Hört! links.)
Die Kommission des Parlamentarischen Rates, die Die Frage ist offen, soweit sie Bonn angeht.
seinerzeit eingesetzt worden ist, um die Angaben Es heißt in diesem Bericht — und, der Bericht
der Städte Frankfurt, Kassel und Bonn zu über- begnügt sich mit der Feststellung —, daß die end-
prüfen, ist in ihrem Bericht vom 28. April 1948 gültige Unterbringung der Bundesministerien in
— bitte, sehen Sie Anlage 1 nach -- davon aus- Bonn und der weitere Ausbau von Verkehrs- und
gegangen, daß in Bonn für die Unterbringung der Fernmeldeeinrichtungen eine beträchtliche Erhö-
Bundesorgane 3 '795 000 DM erforderlich seien. In- hung der Ausgaben zur Folge haben werden. Man
zwischen sind aber für den Ausbau dieses Bundes- weiß also nicht, wie hoch die Kosten sein werden.
hauses, dessen endgültiger Plenarsaal erst drüben, Aber in der letzten Sitzung des Postausschusses
dort, wo sich die Bootshäuser befinden, ausgebaut des Wirtschaftsrats hat ein Vertreter der Verwal-
werden soll — denn dies ist nur ein vorläufiger tung für Post und Fernmeldewesen — ich glaube,
Plenarsaal —, auf Anfrage des Abgeordneten Horn — erklärt,
(Abg. Schütz: Er gefällt uns aber ganz gut!) daß für den Ausbau des Post- und Fernmelde-
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1941 247
(Zinn)
wesens im Bonner Raum für den Fall, daß Bonn Kosten werden sich im wesentlichen auf die Auf-
endgültig Bundessitz werde, 32 Millionen in den wendungen für den Umbau der dortigen Päda-
nächsten zwei Jahren erforderlich sein würden. gogischen Akademie zu einem Parlamentsgebäude
(Hört! Hört! links. — Zuruf rechts.) beschränken. In Bonn stehen außer diesem Bundes-
Und der Direktor der Verwaltung für Post- und haus bis jetzt nur — vielleicht ist in den letzten
Fernmeldewesen hat bei anderer Gelegenheit im Tagen etwas dazugekommen rund 15 000 Qua-
gleichen Zusammenhang erklärt, daß die Aufgaben, dratmeter Nutzfläche zur Verfügung. Der darüber
die die Post in Bonn zu bewältigen habe, einen hinausgehende Raum muß erst bereitgestellt wer-
wesentlichen Teil der langfristigen Investitions den. Für die Verwaltung des Vereinigten Wirt-
mittel in Anspruch nehmen werden, die der Post, schaftsgebiets stehen zur Verfügung oder sind im
wenn überhaupt, in den nächsten Jahren zur Ver Ausbau 83 000 Quadratmeter Nutzfläche,
fügung stehen würden, so daß die Post nicht in der (Zuruf rechts: Im Ausbau!)
Lage sei, die schwer beschädigten Fernsprechämter also das Vielfache dessen, was im Augenblick in
in Städten wie Dortmund oder Essen auszubauen. Bonn benutzt werden kann.
(Hört! Hört! links.) Die Bereitstellung des in Bonn erforderlichen
Mit anderen Worten: Bonn ist ein sehr unsicheres Raums ist nur dann möglich, wenn die Besatzungs-
und riskantes Geschäft. truppen Bonn räumen, eine Räumung, die für Mitte
Man wird vielleicht einwenden — und dieser Oktober in Aussicht gestellt ist. Das führt dazu,
Einwand läßt sich zunächst durchaus hören —, daß daß in anderen Gegenden — ich denke zum Bei-
bei einer Revision des Beschlusses des Parlamen- spiel an die Umgebung von Köln — Wohnraum
tarischen Rates die in Bonn bis jetzt aufgewendeten beschlagnahmt werden muß.
Mittel nutzlos aufgewendet worden seien. Aber ab- (Zuruf rechts: Und in Frankfurt?)
gesehen davon, daß nach dem Bericht des Tech- Ich komme gleich auf diese Frage. — Am Sonn-
nischen Ausschusses der Ministerpräsidenten,

tag, dem 11. September dieses Jahres, haben sich


dessen Vorsitz in den Händen des Herrn Minister- durch die Dörfer des Landkreises Köln auf Ver-
präsidenten des L andes Nordrhein-Westfalen lag, anlassung Seiner Eminenz des Herrn Kardinals
bei dem seitherigen Umfang der Aufwendungen in Frings Bittprozessionen bewegt, in denen jene ver-
Bonn nicht damit gerechnet werden kann, daß diese ängstigten Menschen geschritten sind, die Angst um
Ausgaben nutzlos erfolgt sind, weil die seither ihr Heim und ihre Wohnung hatten, weil eine mili-
geschaffenen Einrichtungen von der Stadt oder der tärische Beschlagnahme drohte.
Universität verwendet werden können, würde das
in einem weit größeren Maß und Umfang für die (Zuruf: Das sind ja Märchen!)
Investitionen in Frankfurt am Main gelten. Diese zum mindesten in den letzten eineinhalb
In Frankfurt am Main sind nach dem Bericht des Jahren ungewöhnliche Maßnahme mußte eben er-
Technischen Ausschusses für die Einrichtungen der griffen werden, weil, um Bonn zum Sitz der Bun-
Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes desorgane zu machen, innerhalb — das ist das Ent-
—diejanStmrfügoßeMinst scheidende — weniger Wochen die Besatzungs-
bilden werden und nach Artikel 132 des Grund- truppen Bonn räumen müssen. Ich kann deshalb
gesetzes wohl auch bilden müssen — inzwischen ins- — damit komme ich auf den Einwand des Herrn
gesamt 116 147 000 Mark ausgegeben. Zwischenrufers — mit besonderem Nachdruck dar-
auf hinweisen, daß die Unterbringung der Bundes-
I (Zuruf rechts: Wohnungen!) organe und der Alliierten Kommission einschließ-
Ich gebe offen zu, daß man, als man in Hessen lich ihres Personals in Frankfurt am Main möglich
damals dieses Bauprojekt begann, mit höchstens ist, ohne daß solche Maßnahmen ergriffen werden
65 Millionen Mark gerechnet hat. müssen.
(Bundesminister Blücher: Aber das waren (Zuruf rechts: Und die Besatzungstruppen?)
Reichsmark!) — Einen Augenblick!
— Die Hälfte ungefähr Reichsmark, aber volks- Der Parlamentarische Rat — das bitte ich zu be-
wirtschaftlich gesehen ist das doch gleich. Die Hes- denken — hat in dem Bericht seiner Kommission
sen haben ungefähr mit der Hälfte gerechnet, und als einen der entscheidenden Grundsätze aufgestellt,
das endgültige Ergebnis kam fast auf die doppelte daß die Unterbringung der Bundesorgane mit dem
Summe. Aber darüber hinaus sind ja noch mehr geringstmöglichen Druck auf die Zivilbevölkerung-
Kosten entstanden durch den Umzug der bizonalen zu erfolgen habe. Die bei der Wahl Bonns zum
Verwaltungen nach Frankfurt am Main, durch die Sitz der Bundesorgane notwendigen Maßnahmen
Errichtung! der Länderhäuser usw., deren Kosten einer zwangsweisen Evakuierung von Hunderten
rund 18 Millionen betrugen, und schließlich haben deutscher Familien lassen allerdings — das muß
ja auch die private Wirtschaft und das Gewerbe zugegeben werden — jede Rücksichtnahme auf die
Mittel aufwenden müssen, um handelspolitische deutsche Zivilbevölkerung vermissen. Wir hoffen,
Vertretungen einzurichten und Verbände an den daß, falls das Hohe Haus zu einer Revision des
Sitz der Verwaltungszentrale zu bringen, Mittel, Beschlusses des Parlamentarischen Rats kommen
deren Höhe man nur überschlagen kann, die aber sollte, diese Beschlagnahmen sofort und unverzüg-
immerhin auf 11 Millionen geschätzt werden. Wenn lich rückgängig gemacht werden. Ich gebe Ihnen zu,
diese letzteren Schätzungen stimmen, würden sich daß nach dem Statut der Alliierten Kommission,
somit die Gesamtinvestitionen in Frankfurt auf Artikel II, Ziffer 3, vorgesehen ist, daß der Sitz
145 Millionen Mark stellen. der Hohen Kommissionen und der Sitz der Deut-
Diese Zahlen sind ein Anhaltspunkt dafür, was schen Bundesregierung zu keiner der Besatzungs-
in Bonn ausgegeben werden müßte. zonen gehört und daß deshalb, falls Frankfurt zum
(Lebhafter Widerspruch und Zurufe rechts.) Sitz der leitenden Bundesorgane gewählt werden
— In Frankfurt — darüber läßt sich ja nun nicht sollte, auch dort einige Besatzungstruppen abziehen
diskutieren — wird nur ein Bruchteil aller dieser müssen.
Kosten noch aufgewandt werden müssen, und diese (Zuruf: „Einige"! — Unruhe.)
243 Deutscher Bundestag — 11 Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Zinn)
Aber — und das ist das Entscheidende — entgegen- einem Bericht der Betriebsräte der Verwaltung des
gesetzt zu dem Fall Bonn brauchen diese Be- Vereinigten Wirtschaftsgebiets hervor, aus dem ich
satzungstruppen nicht sofort abzuziehen, sondern mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur einige
hier kann die Räumung Zug um Zug erfolgen, wenige Sätze zitieren will. In diesem Bericht der
(Zuruf rechts: 15 000 Besatzungsangehörige!) Betriebsräte heißt es:
bis ihnen draußen der nötige Ersatzraum für die Das ernsteste Kapitel aber ist das: jahrelang
Kasernen, in denen sie nämlich untergebracht sind, haben die Familien getrennt gelebt. Ehen sind
zur Verfügung gestellt worden ist. Vor einigen zerrüttet, die Kindererziehung hat gelitten,
Tagen ist eine typische Zweckmeldung verbreitet Krankheiten auf seiten der Frauen und Männer
worden, daß in Frankfurt der Abzug von 15 000 und ohne die Möglichkeit hinreichender Pflege.
Besatzungsangehörigen erforderlich sei, falls Frank- Bei den Männern verschlampte Wäsche usw.
furt zum Sitz der leitenden Bundesorgane bestimmt (Lachen rechts.)
werden sollte. Diese Meldung ist nach Angaben des Bis Ende dieses Jahres
zuständigen Direktors des Hohen Alliierten Kom — so heißt es weiter —
missars, Mr. Wolfe, nicht nur unautorisiert, sondern
auch unzutreffend. In ganz Hessen gibt es kaum werden in Frankfurt sämtliche Angehörige der
15 000 amerikanische Besatzungsangehörige. bizonalen Verwaltung eine Wohnung gefunden
haben,
(Hört! Hört! links.) (Lachen rechts)
Sie ist genau so unzutreffend wie jener Bericht, der und dann soll für sie wieder eine neue Wan-
heute morgen in der „Kölnischen Rundschau" er- derung beginnen. Die Kinder dieser Familien
schienen ist, in dem behauptet wird, daß die Fer- sind inzwischen in Frankfurt eingeschult
tigstellung eines Parlamentsgebäudes in Frankfurt worden.
am Main vier Monate in Anspruch nehmen und
10 Millionen kosten werde. Die Kosten für dieses Wenn es bei der Entscheidung des Parlamentari-
Parlamentsgebäude — vielleicht wird das mein schen Rates verbleibt, wird eine neue Völkerwande-
Kollege Hilpert noch näher ausführen können, der rung in den Bonner Raum, in das Gebiet der
als Finanzminister ja einen besseren Einblick hat Bonner Bundeslandschaft
als ich — sind für Frankfurt mit 4 Millionen ver- (Oho-Rufe und Lachen rechts)
anschlagt und werden wahrscheinlich 5 Millionen — anders kann man dieses Gebiet ja wohl kaum
betragen, genau wie hier in Bonn. nennen —, das von Bonn-Nord alias Köln bis Re-
Aber in diesem Zusammenhang ist auch die magen oder demnächst Bonn-Süd geht, einsetzen.
Wohnungsfrage von ganz besonderer Bedeutung: Ich glaube, daß die Bundesregierung auch eine ge-
In Bonn stehen nach dem Bericht des Technischen wisse Verantwortung für die Angehörigen der Ver-
Ausschusses „Wohnungen" — so heißt es wörtlich — waltung hat und daß man auch diesen Gesichts-
„nur in geringer Anzahl zur Verfügung". Man punkt nicht ganz außer acht lassen darf.
hilft sich infolgedessen vorläufig mit der Beschlag- (Sehr richtig! in der Mitte und( bei der SPD.)
nahme von Zimmern, was im wesentlichen auf Wir sind aber der Ansicht — und das ist 'das
Kosten der 4500 Studenten der Universität Bonn Entscheidende —, daß bei einer Wahl Frankfurts
geht. Es sei nur nebenbei darauf hingewiesen, daß sehr erhebliche Mittel erspart werden können, die
die Unterbringung der Obersten Bundesorgane in viel besser für andere, möglichst soziale Zwecke
Bonn den Ausbau und die Entwicklungsmöglich- aufgewandt werden sollten.
keiten der Bonner Universität hemmt. Erst nach (Sehr gut! bei der SPD.)
und nach — so lautet dieser Bericht des Technischen
Ausschusses — ist es möglich, in Bonn durch Räu- Diese Frage bewegt aus dem gleichen Grunde nach
mung seitens der Besatzungstruppen, durch In- unserer Auffassung auch die Bevölkerung mehr,
standsetzung, und Neubau 750 Wohnungen zu er- als sich mancher von Ihnen vielleicht bewußt ist.
stellen, und dann sollen im Jahre 1950 weitere 1750 (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)
Wohnungen gebaut werden, so daß in Bonn insge- Wenn das Hohe Haus diese Frage schnell ent-
samt 2500 Wohnungen verfügbar wären. In Frank- scheidet und sich dabei nur von dem Gesichtspunkt
furt verfügt die Verwaltung des Vereinigten Wirt- der Zweckmäßigkeit, des geringstmöglichen Kosten-
schaftsgebiets zur Zeit bereits über 3297 Woh- aufwands und der Schaffung einer wirklich schnell
nungen, von denen die Hälfte schon von den An- arbeitsfähigen Regierung und Verwaltung leiten -
gehörigen der dortigen Verwaltungen bezogen sind, läßt, dann hat es nach meiner Auffassung die Mei-
während der Rest noch frei und verfügbar ist. nung und die Stimmung des Volkes für sich.
(Lachen rechts und Unruhe.) (Lachen rechts.)
Meine Damen und Herren, die ganze Angelegen- Ich bin kein Anwalt für Frankfurt.
heit hat aber — bedenken Sie das — noch eine
sozialpolitische Seite. Die Angehörigen der bizo- (Lachen und Oho-Rufe rechts.)
nalen Verwaltungen werden, wie ich bereits er- — Abwarten! — Ich bin auch kein Gegner von
wähnte, zum größten Teil vom Bund übernommen Bonn. Ich gebe durchaus zu, daß hier in Bonn
werden müssen, wirklich anerkennenswerte Anstrengungen gemacht
(Zuruf rechts: Nur langsam!) worden sind.
schon mit, Rücksicht auf den Artikel 132 des Grund- (Bravo! in der Mitte und rechts.)
gesetzes; sie bilden den Stamm der großen Mini- Es geht ja aber gar nicht um die Stadt Bonn und
sterien. Viele haben nunmehr wieder, nachdem sie die Stadt Frankfurt; es geht einfach um die Frage,
jahrelang — manche über 10 Jahre infolge des ob unser Volk, das das Kleid der Armut tragen
Krieges und der Nachkriegszeit von ihren Fa- muß, es sich leisten kann, daß Dutzende und aber
milien getrennt gelebt haben, ein Heim in Frank- Dutzende Millionen, vielleicht 100 Millionen und
furt gefunden und konnten wieder ein Familien mehr, für Zwecke ausgegeben werden, die unnütz
leben beginnen. Welche Auswirkungen diese jahre- sind, Mittel, die für ganz andere Dinge viel besser
lange Trennung von der Familie hat, geht aus verwendet werden können, die man verwenden
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 249
(Zinn)
kann, um die Not Hunderttausender Deutscher zu Nun wird man aber wahrscheinlich immer
lindern, die im Elend leben. — und es wird auch heute nachmittag so sein — dar-
auf hinweisen: man kann diese Dinge nicht sofort
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) entscheiden, es ist eine Ausschußberatung not-
wendig.
Präsident Dr. Köhler: Wir fahren dann in der (Sehr richtig! rechts.)
Abwicklung der eingebrachten Anträge fort.
Das Wort hat zunächst zu Drucksache Nr. 19 Herr Das ist an sich ein richtiger Grundsatz, wenn die
Abgeordneter Dr. Hilpert. Dinge nicht so sinnfällig wären.
(Abg. Dr. Schäfer: Das muß erst bewiesen
Dr. Hilpert (CDU): Meine sehr verehrten Damen werden!)
und Herren! Bevor ich kurz nach der ausführlichen Wir haben eine Fülle von Material über die Frage
Begründung meines verehrten Herrn Vorredners, Frankfurt-Bonn bekommen. Ich glaube, es wird
von dem ich mich auch im Stimmaufwand unter- mir niemand widersprechen, wenn ich sage: we-
scheiden werde, niger wäre vielleicht mehr gewesen.
(Heiterkeit)
(Sehr richtig! in der Mitte.)
zu der Frage, die wir in unserem Antrag zusam-
mengefaßt haben, Stellung nehme und etwas zum Wir haben aber letzten Endes zwei sehr markante
Teil unterstreiche, zum Teil zu dem ergänze, was Berichte, und zwar einmal den Bericht des Aus-
sachlich zutreffend mein Kollege Zinn vorher aus- schusses des Parlamentarischen Rates, auf den
geführt hat, darf ich einige Vorbemerkungen schon hinsichtlich einiger Punkte hingewiesen wor-
machen. den ist, in dem aber der ganz entscheidende Satz
steht:
Wenn ich zu dieser Antragstellung mit
meinen Freunden, einem Teil aus meiner Frak- Es wird als eine volkswirtschaftliche Verpflich-
tion und einem Teil aus anderen Fraktionen, tung herausgestellt, daß die Organe des Bun-
gekommen bin, so habe ich mich dazu be- des sowohl einmalig wie mit laufenden Kosten
rechtigt gefühlt, weil ich seit Juni 1947 — so billig wie irgend möglich installiert werden.
nicht als hessischer Finanzminister, das ist Was im übrigen der Untersuchungsausschuß fest-
einer der erheblichen Irrtümer, die wir immer gestellt hat, ist ja zum Teil von meinem Vorredner
wieder feststellen müssen, sondern als Treuhänder bereits gekennzeichnet worden: daß sich in der
für die acht Länder — die Aufgabe gehabt habe Zwischenzeit die Dinge geändert haben. Wer baut
auf Grund eines Befehls der beiden Militärregie- und Bauvoranschläge zu bearbeiten hat, wird
rungen, schleunigst die gesamte Verwaltung des wissen, daß das eine ganz selbstverständliche Er-
bizonalen Wirtschaftsgebiets in Frankfurt unterzu- scheinung ist.
bringen. Ich bin demzufolge erfahrungsgesättigt,
ich bin leiderfahren und habe die große Sorge Wesentlicher ist — da . muß ich auch dem ver-
darüber, daß erneut öffentliche Mittel verwendet ehrten Herrn Minister Blücher auf seinen Zwi-
werden, die nicht vorhanden sind, die nur vor- schenruf widersprechen — der ausführliche Bericht
handen sein können, wenn wir wesentliche andere des Technischen Ausschusses der Ministerpräsi-
Aufgaben dann unter Umständen zu kurz kommen dentenkonferenz. Dieser Bericht ist von 11 Ver-
lassen. Denn ich bin nebenher auch der Vorsitzende tretern der Länder erstellt worden. Mitgewirkt
des Finanzausschusses der elf Länder 18 Monate haben Vertreter des Ausschusses des Parlamenta-
gewesen, und ich habe einen sehr guten Überblick rischen Rates, die seinerzeit den ersten Bericht
über die finanzielle Lage. Ich habe die berühmten gemacht hatten. Hinzugezogen worden sind die
Finanzausgleichsverhandlungen zwischen den lei- Vertreter des Organisationsausschusses, der be-
stungsschwachen und leistungsfähigen Ländern kanntlich die Stellenpläne ausgearbeitet hat, aller-
führen müssen. Ich habe den letzten Kassenbericht dings zunächst nur für die sogenannten klassischen
erst heute vormittag bekommen und darf wohl Ministerien, der sich aber immerhin auf diese
sagen: Wir müssen uns sehr bald mit allem Ernst Stellenplane, auf Zahlen sicherlich festgelegt hat,
mit der finanziellen Situation deröffentlichen Haus- so daß ich meine größte Freude haben würde, wenn
halte befassen. Ich betrachte es als ein großes wir wirklich schon so bald zu so sparsamen Ausstat-
Glück, daß in der Zwischenzeit durch den verehrten tungen der Ministerien kommen könnten, wie es
Kollegen Schäffer als Bundesfinanzminister diese der Organisationsausschuß der Ministerpräsidenten-
Last von mir abgenommen worden ist. konferenz festgelegt hat.
Meine Damen und Herren! Ich will aber, wie ge- Aber dieser Bericht, der einstimmig verab-
sagt, noch einige kurze Bemerkungen zum rein schiedet worden ist, enthält doch nun zum ersten
Sachlichen machen. Wir sind durch den Beschluß Mal etwas absmut Positives; denn er gibt, aus-
von Schlangenbad vom 6. Juli 1949 in der Durch- gelöst durch Besichtigungsfahrten, darüber einen
führung der Arbeiten blockiert worden. Das gilt berblick, was vollendet in Frankfurt vorhanden
ganz besonders für Bonn. Der Beschluß vom 6. ist, und einen Überblick über die Möglichkeiten
Juli 1949 hat aber das Erfreuliche gehabt, daß er und die zukünftigen Ausgaben, die erst noch, um
die Zuständigkeit des Bundestags klar herausge- die Bundesregierung hier in Bonn wirklich funk-
stellt hat, auf die ich auch für den Fall hinweisen tionsfähig werden zu lassen, gemacht werden
möchte, daß mein Antrag der Ablehnung verfällt. müssen. Insofern muß ich darauf hinweisen: es be-
Denn man kann die Aufgabe nie losgelöst von den stand Einigkeit darüber, daß noch beträchtliche
haushaltsrechtlichen Bestimmungen des Grundge- Mittel aufgewendet werden müssen. Wenn Sie nun
setzes lösen. Darauf erlaube ich mir mit allem sehen, daß bislang an sich schon einschließlich der
Ernst und mit allem Nachdruck hinzuweisen, zu- Fernsprecheinrichtungen diese 20 Millionen auf-
mal wie üblich in Verfassungen die Bestimmungen gewendet worden sind, und wenn Sie sich nunmehr
über Haushalts- und Finanzfragen verhältnismäßig die ganze ernste Situation unserer Finanzen vor-
kurz und reichlich ungenügend sind und vor allen stellen, und wenn wir uns darüber klar sein wol-
Dingen der notwendigen Übergangsvorschriften er- len, daß die nicht gerade zweckmäßigste Form des
mangeln. Bauens ist, Verwaltungsgebäude zu bauen, wenn
250 D eutscher Bundestag -- 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den SO. September 1949
(Dr. Hilpert)
Verwaltungsgebäude woanders schon vorhanden Ich darf dazu etwas ganz Grundsätzliches sagen.
sind, In dem Bericht des Ausschusses des Parlamenta-
(Sehr richtig! bei der SPD) rischen Rates ist nach meiner Auffassung -- neh-
dann werden Sie, meine sehr verehrten Damen und men Sie mir das jetzt bitte nicht übel, meine sehr
Herren, wohl Verständnis dafür haben, daß ich aus verehrten Kolleginnen und Kollegen — der Frage
dieser Kenntnis mich entschlossen habe, diesen An- der Unterbringung der Abgeordneten etwas zu
trag zu stellen, weil es die Verantwortung und die ausführlich Raum gewidmet worden. Mir will
Sorge um die Gestaltung des öffentlichen Haushalts scheinen, daß wir als Abgeordnete die große Auf-
ist, die mich zwingt, in dieser Frage meinem Ge- gabe haben, in dieser Beziehung etwas kürzer zu
wissen folgend auf diese Dinge hinzuweisen. treten, bis im übrigen die Verwaltungen in Ord-
Ich will nur noch, nachdem wirk li ch sehr viel nung sind. Ich erinnere mich noch gern des Be-
über die Einzelheiten schon von meinem Vor- suchs bei meinem alten Freund, dem späteren
redner vorgebracht worden ist, auf ein zweites Reichskanzler Marx, in Weimar. In einer Zeit, als
Grundsätzliches hinweisen. Es sei einmal ganz wir volkswirtschaftlich gesehen sicherlich noch in
offen ausgesprochen: Es wird unendlich viel über einer besseren Verfassung waren als im gegen-
unsere Verwaltungen und unsere Bediensteten in wärtigen Augenblick, haben wir uns auch auf
den Verwaltungen geklagt, geschimpft, kritisiert. diesem Gebiet größere Mühe gegeben, eine wahr-
Wenn Sie sich aber heute einmal einen Mann vor- haft würdige, aber unserer Lage entsprechende
stellen, der Bediensteter der Verwaltung für Er- Repräsentation zum Ausdruck zu bringen, als mir
nährung, Landwirtschaft und Forsten gewesen ist, das manchmal jetzt der Fall zu sein scheint.
und wenn Sie sich diesen Mann in seiner inner- (Beifall bei der SPD.)
deutschen Wanderung vorstellen wollen, wenn Sie Meine Damen und Herren! Diese wenigen sach-
wie ich vom Jahre 1945 fortgesetzt die neuen lichen» und allgemeinen Betrachtungen zeigen die
staatsrechtlichen Formen mit aufzubauen verant- Gründe, die mich veranlaßt haben, zugleich im
wortlich gewesen sind, dann werden Sie feststellen Namen der Mitunterzeichner diesen Antrag zu
müssen, daß ich diesen Ministerialrat, oder nennen stellen. Ich bitte Sie, ihm zuzustimmen.
wir ihn den armen Oberinspektor Müller, von
Hamburg nach Stuttgart geschleust habe. (Beifall bei der SPD. —
(Abg. Rische: Reichsnährstand, meinen Sie!) Abg. Dr. Linnert: Zur Geschäftsordnung!)
— Ob er nun gerade vom Reichsnährstand war Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Dr.
oder Ihr Parteibuch gehabt hat, habe ich nie nach- Linnert!
geprüft. .
(Heiterkeit.) Dr. Linnert (FDP): Hohes Haus, meine Damen und
Wir haben diesen Mann von Hamburg nach Stutt- Herren! Ich glaube, wenn wir so in der Debatte
gart und von Stuttgart nach Frankfurt geschleust. fortfahren, werden wir genau so mit Zahlen, Be-
Durchschnittlich, im günstigsten Fall, konnte ein weisen und Nichtbeweisen überschüttet, wie es
halbes Jahr später die Familie nachfolgen, und jetzt schon in den Drucksachen geschehen ist. Wir
nunmehr schleusen wir ihn wieder weiter. Und können in einem so großen Hause die Fragen, die
dann wundern wir uns, daß bei dieser Überschich- hier vorgebracht werden, sachlich überhaupt nicht
tung der staatsrechtlichen Organisation — wir sind entscheiden. Ich stelle daher zur Geschäftsordnung
ja »irr Aufbau überhaupt nicht zur Ruhe gekom- den Antrag, einen Ausschuß von 14 Mitgliedern
men — die notwendige Stetigkeit und die Sicher- dieses Hauses einzusetzen, die zu prüfen haben, ob
heit, die man letzten Endes auch diesem Menschen die vorgebrachten Gründe richtig oder falsch sind.
zur Verfügung stellen muß, sich nicht in der Ar- Weil aber die Gefahr besteht, daß wir noch länger
beitsleistung zum Ausdruck bringt. in einem Zwischenzustand leben, und weil wir so-
(Zuruf von der SPD: Und die Trennungsgelder!) eben von Herrn Hilpert gehört haben, daß in
— Ob dabei nun die Völkerwanderung besonders Frankfurt nicht eher begonnen wird — was ich sehr
trennungsentschädigungsgesättigt wird oder ob es vernünftig finde —, bis ein Beschluß vorliegt, be-
möglich ist, diese Dinge verhältnismäßig schneller antrage ich, diesem Ausschuß von 14 Mitgliedern
zu machen, in jedem Falle kommt in einer Zeit, in eine Frist von 14 Tagen zu stellen, in welcher er
der unsere Verwaltung möglichst stabilisiert am uns einen Bericht zu geben hat.
Platze arbeiten muß, eine neue Schwierigkeit auf, (Bravorufe rechts.)
die wir nicht zu gering schätzen sollten. Ich lehne
ja jede politische oder ideologische Betrachtung Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
dieser reinen Zweckmäßigkeitsfrage ab, sonst Ich möchte im Augenblick diesen Antrag zur Ge-
hätte ich bei dem Oberinspektor meinen Freunden schäftsordnung nicht zur Debatte stellen, weil wir
von der Kommunistischen Partei nicht diese Offerte im Ältestenrat vereinbart haben, daß die Druck-
gemacht. sache Nr. 9, die der Sache nach zu den beiden vor-
Meine Damen und Herren! Eines ist naturgemäß hergehenden Drucksachen gehört, hier noch kurz
zuzugeben: die Blockierung für Bonn hat sich eingebracht wire. Danach würden wir dann, Ihr
letzten Endes auch für andere Maßnahmen als Einverständnis vorausgesetzt, Ihren Antrag zur
hinderlich erwiesen. Es steht nämlich fest, daß im Debatte stellen.
Falle der Annahme meines Antrags in dem gegen- Wer wünscht das Wort zu Drucksache Nr. 9? —
wärtigen Augenblick die Frage der Unterbringung Bitte, Herr Abgeordneter Mü ll er!
des Bundesparlaments nicht von heute auf morgen
gelöst ist. Man kann sich schließlich objektiv über Müller, Kurt (KPD): Herr Präsident, meine Damen
diese Dinge unterhalten. Eilig haben wir es des- und Herren! Der in Drucksache Nr. 9 vorliegende
halb, weil wir dann anfangen müßten. Es dauert Antrag der KPD-Fraktion spricht eigentlich für
nämlich noch sehr viel länger, wenn wir diese sich selbst. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es
Dinge nicht vollenden können. Es ist aber absolut einen Abgeordneten gibt, der diesen Antrag ab-
irreführend, wenn gesagt wird, daß deshalb die lehnen würde. Wir glauben, die Wohnraum-
Dinge soviel Zeit in Anspruch i iehmen. beschlagnahme im Lande Nordrhein-Westfalen ist
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 251
(Müller, Kurt)
eine Folge des Streites um die Frage des Bundes- Westdeutschland beschleunigt, ein solcher Aufwand
sitzes. Wir sind deshalb der Meinung, daß dieser von 32 Millionen Mark erforderlich ist.
Streit endlich beendet werden muß. (Wiederholte lebhafte Rufe: Hört! Hört!)
Diese Tatsache zeigt uns weiterhin, wer die Fol- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
gen derartiger Streitigkeiten zu tragen hat. Es ist darf feststellen, daß die Verwaltung heute auch in
das werktätige Volk. Wir sind der Meinung, daß Frankfurt naturgemäß Schwierigkeiten hat; denn
die Wohnraumbeschlagnahmen im Land Nordrhein- der Sitz der Verwaltung in Frankfurt beschränkt
Westfalen und auch andere Wohnraumbeschlag- sich nicht auf die Stadt Frankfurt.
nahmen zu den Bestimmungen des Grundgesetzes (Sehr richtig!)
im Widerspruch stehen. Im Grundgesetz heißt es
nämlich, daß die Wohnung unverletzlich ist. Auch Ich kann Ihnen von meinem Verwaltungszweig be-
diese Begründung sollte Sie veranlassen, unserem stätigen, daß Homburg, Höchst, Wiesbaden, Darm-
Antrag die Zustimmung zu geben. Wir sind der stadt und Offenbach weitere Ableger der Bundes-
Meinung, daß über diesen Antrag heute ab- verwaltung zur Zeit beherbergen.
gestimmt werden sollte und daß er keinem Aus- (Hört! Hört!)
schuß überwiesen werden darf. Es ist eine Frage, die bei der Gesamtentscheidung
zu prüfen ist, was von diesen zerstreuten Verwal-
Präsident Dr. Köhler: Ich erteile zunächst dem tungsteilen unbedingt nach Bonn etwa über-
Herrn Bundesfinanzminister Schäffer das Wort. nommen werden soll oder was in den Stadten, i n
denen sie heute zerstreut liegen, bleiben kann.
Schäffer, Bundesfinanzminister: Meine sehr ver- Das ist bei der bisherigen Prüfung bisher nirgends
ehrten Damen und Herren! In der bisherigen De- geschehen.
batte ist der Bundesfinanzminister manchmal (Zuruf: Also muß man es prüfen!)
apostrophiert worden. Es ist betont worden, daß
diese Frage doch in erster Linie nach dem Gesichts- All die Angaben, die ich mir in den wenigen Tagen
punkt der Zweckmäßigkeit und nach dem Gesichts- meiner Amtstätigkeit geholt habe, sind immer von
Ziffern ausgegangen, die bei näherer Prüfung nicht
punkt der finanziellen und wirtschaftlichen Aus-
wirkung entschieden werden solle. Deshalb ein stichhaltig sind. Auch die Zahl der Beamten und
kurzes Wort vom Standpunkt des gegenwärtigen Angestellten, nach der die — übrigens vorüber-
Bundesfinanzministers aus. gehenden — Trennungsgelder etc. berechnet wor-
den sind, ist nach meiner Überzeugung noch nach-
Ich habe als Abgeordneter dieses Hauses die zuprüfen.
Denkschriften der beiden Städte und selbstver-
ständlich auch das technische Gutachten der Ein sehr wichtiger Posten ist bisher in der
Ministerpräsidentenkonferenz studiert. Auch die öffentlichen Debatte überhaupt nicht erschienen:
Herren Antragsteller werden mir zugeben, daß sich die Frage der Unterbringung der Besatzungsstabe
aus dem technischen Gutachten eine Berechnung im Falle einer Rückverlegung nach Frankfurt.
über die finanziellen und wirtschaftlichen Aus- Der entscheidende Punkt ist ja nicht, was investiert
wirkungen einer etwaigen Rückverlegung des worden ist, sondern was in dem einen oder in dem
Bundessitzes von Bonn nach Frankfurt nicht andern Falle zur Fehlinvestition wird.
machen läßt. Dieses technische Gutachten scheint (Sehr richtig!)
mir vielfach auch mißverständlich autgetaßt wor- Die Aufwendungen in Frankfurt brauchen norn-
den zu sein. Ich kann aus dem technischen Gut- lange keine Fehlinvestition zu sein, während die
achten nicht entnehmen, daß darin überhaupt nur Aufwendungen in Bonn vielleicht eine Fehlinvesti-
die Behauptung aufgestellt worden sei, eine tion werden können, wenn eine Rückverlegung ein-
Unterbringung der Behörden 'der Bundesregierung tritt.
sei vor dem Jahre 1950 oder 1951 nicht moglich. (Sehr wahr! in der Mitte.)
(Hört! Hört!) Alle diese Fragen sind noch nicht geprüft, und
Wenn es darin stünde, wäre es ein Irrtum gewesen; alle diese Fragen müssen erst geprüft werden.
denn ich kann versichern: die Unterbringung der (Zuruf von der SPD: Wie sind Sie denn
Behörden der Bundesregierung ist- in Bonn in sehr zu dieser Auffassung gekommen?)
kurzer Zeit möglich. — Ich habe die Frage sine ira et studio studiert.
(Erneute lebhafte Rufe: Hört! Hört!) (Zuruf von der SPD: Das sagt man post festum!)-
Es ist irrtümlich, wenn man annähme, daß es Der wesentliche Gesichtspunkt in dieser Frage der
notwendig sei, allein hinsichtlich des Fernmelde- Ausgaben ist die Frage der Wohnungen. Wir wis-
wesens eine weitere Ausgabe von 32 Millionen sen ganz genau, daß die Wohnungen, die, sagen wir
Mark zu machen. einmal, in Homburg oder sonstwo frei werden,
(Zuruf links: Erklärung der Postverwaltung!) keine verlorene Investition sind
(Sehr richtig!)
Wer den Bericht auf Seite 3 liest, der ersieht dar-
aus ganz genau, daß die Aufwendungen für das und sicherlich einem Teil der Bevölkerung Deutsch-
Fernmeldewesen in der Stadt Bonn, die infolge der lands sehr zustatten kommen.
Tatsache, daß die Bundesregierung hier ist, not- (Erneute Zustimmung.)
wendig sind, bis zum 1. November dieses Jahres
bereits gemacht sind. Ich habe mich persönlich in Wohnungen müssen in Deutschland gebaut werden.
dieser Frage mit dem Leiter des Bundespost- (Zuruf von der KPD: Für Exmittierungen! —
ministeriums besprochen, der mir bestätigt hat, Abg. Dr. Schmid: Verlegen wir die Bundes
daß die spätere Ziffer von 32 Millionen Mark,, die regierung jedes Jahr woandershin!)
auf Seite 20, glaube ich, des technischen Berichts
enthalten ist, sich nicht mit Bonn beschäftigt, son- Das, was heute an Material vorliegt, ist nach
dernligchfst o,daßwenma meiner Überzeugung für den, der die Frage vom
Automatisierung des Fernmeldewesens für ganz Standpunkt der Zweckmäßigkeit und der wirt-
252 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Bundesminister Schäffer)
schaftlichén und finanziellen Auswirkungen aus (Abg. Dr. Schumacher: Bis zum 28. sind es
betrachtet; noch nicht genügend, um sich ein ganz noch vier Wochen!)
sicheres Urteil zu bilden.
— Wenn es Ihnen auf eine Woche nicht ankommt,
(Sehr wahr! rechts.) bin ich damit einverstanden, Herr Dr. Schumacher!
Ich muß erklären, daß ich mich in den wenigen Meine Damen und Herren, die Angelegenheit ist
Tagen meiner Amtstätigkeit bemüht habe, solche in diesem Hause- teilweise mit einem übertriebe-
sicheren und zuverlässigen Unterlagen zu erhalten, nen Pathos, teilweise mit einer Heiterkeit behan-
um sie dem Hohen Hause vorzulegen. Ich hoffe, in delt worden, die dem Wert der Sache nicht ge-
der nächsten und übernächsten Woche soweit zu recht wird.
sein, daß ich Ihnen wirklich zuverlässige Unter- (Sehr richtig!)
lagen bieten kann. Deshalb bin ich erfreut, aus dem
Antrag Linnert zu hören, daß das Haus bereit ist, Wir wollen die Augen vor der Tatsache nicht ver-
in eine sachgemäße Prüfung dieser Unterlagen, die schließen, daß wir im Begriff sind, in eine Ma-
erst vervollständigt werden, einzutreten und die terie einzutreten, in der die Aufmerksamkeit des
Prüfung einem Ausschuß zu überweisen. gesamten deutschen Volkes nicht geweckt ist, son-
dern durch die Methode, mit der sie behandelt
(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.) werden soll, geweckt werden wird.
Präsident Dr. Köhler: Der Herr Abgeordnete Lin (Sehr wahr! in der Mitte und rechts. —
nert hat einen Antrag zur Geschäftsordnung ge- Zurufe links.)
stellt, sofort einen Ausschuß zu bilden. — Meine Damen und Herren, ich begründe meinen
Zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Antrag auf Ueberweisung der Sache an einen
Zinn das Wort. Ausschuß und bitte Sie, mich bei der Begründung
nicht zu unterbrechen.
Zinn (SPD): Wir bitten, diesen Antrag auf Ver- (Zuruf links: Spricht er nun zur Begründung
weisung in einen Ausschuß abzulehnen. Jeden- seines Antrags oder zur Geschäftsordnung?)
falls wird meine Fraktion gegen eine Verweisung — Ich spreche zur Begründung des von mir ein-
in den Ausschuß stimmen. gebrachten Antrags.
(Zuruf von der CDU: Also gegen die (Fortgesetzte Zurufe.)
sachliche Prüfung!) Herr Präsident! Wollen Sie mir Ruhe im Hause
— Nein, sondern deshalb, weil wir glauben, verschaffen, oder soll ich nicht weitersprechen?
(Zuruf: Weil Sie Angst vor der Wahrheit
haben!) Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Dr.
daß eine unverzügliche Entscheidung getroffen Bucerius, Sie haben einleitend Ihren Antrag be-
werden muß. Herr Abgeordneter Dr. Linnert hat gründet.
erklärt, daß das Hohe Haus mit Zahlen usw. über- Dr. Bucerius (CDU): Nein, das habe ich noch nicht.
schüttet worden sei. Ich glaube, daß sich an
diesem Zustand auch nichts ändern wird, wenn Ich bin erst dabei, es zu tun. Ich habe nur meinen
nomals eine Ausschußberatung stattfindet. Antrag vorgelesen.
(Zuruf: Aber prüfen wollen wir die Zahlen!) Präsident Dr. Köhler: Ich bitte fortzufahren.
Sie werden nie feststellen können, was die Ge- (Abg. Renner: Aber mit welchem Recht be-
schichte in Bonn genau kostet. gründet er denn jetzt seinen Antrag? Ich
Gleichzeitig möchte ich aber zur Geschäftsord- habe eben versucht, im Zuge einer Ge-
nung einen weiteren Antrag stellen, nämlich über schäftsordnungsdebatte einen Antrag einzu-
die Anträge zu den Ziffern 9 und 10 der Tages bringen, da bin ich vom Tisch herunter-
ordnung, das heißt über den Antrag meiner Frak- gefegt worden! Gleiches Recht für alle!)
tion, Drucksache Nr. 4, und den Antrag Hilpert
und andere, Drucksache Nr. 19, in geheimer Ab- Dr. Bucerius (CDU): Meine Damen und Herren,
stimmung abzustimmen, notfalls gemäß § 105 der wir dürfen die Augen vor der Tatsache nicht ver-
Geschäftsordnung. schließen, daß das Geringe, was sich in dem de-
mokratischen Gefühl gegenüber dem neuen Staat
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren, in Deutschland entwickelt hat; nun einmal mit-
der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius hat jetzt das dem Ort Bonn verknüpft ist.
Wort zur Geschäftsordnung. (Zurufe li nks.)
Dr. Bucerius (CDU) : Meine Damen und Herren!
Wenn wir uns entschließen, diese Stadt aufzu-
Einige Freunde aus der DP, FDP und CDU/CSU geben und mit einer anderen zu vertauschen, so
wollen dem Antrag auf Ueberweisung an einen
hat das deutsche Volk Anspruch darauf, daß diese
Ausschuß zustimmen, und zwar in folgender Form, Entscheidung sachlich nachgeprüft und von denen,
die ich Ihnen vorzulesen habe: die sie treffen wollen, wirklich verantwortet wer-
den kann.
Abänderungsantrag zum Antrag Nr. 4 und (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)
zum Antrag Nr. 19:
Ich empfinde es als eine Zumutung, wenn von
Der Bundestag wolle beschließen: uns, die wir mit der Materie nicht vertraut sein
Die Anträge Nr. 4 und Nr. 19 werden können, weil uns von den beteiligten Seiten nur
einem sofort zu bildenden, mit 21 Abgeord- einige Drucksachen zugeschickt worden sind, ver-
neten zu besetzenden Ausschuß überwiesen, langt wird, daß wir eine Entscheidung treffen sol-
der innerhalb drei Wochen die Eignung der len, ohne vorher in die Prüfung der Sache selbst
Städte Bonn und Frankfurt als vorläufigen eingetreten zu sein, und das verlangen wir von
Sitz der leitenden Bundesorgane zu prüfen Ihnen, daß die Sache geprüft wird.
und darüber dem Hause zu berichten hat. (Beifall in der Mitte und rechts.)
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 253

Präsident Dr. Köhler: Das Wort zur Geschäfts- finden, und infolgedessen ist es doch nicht zu ver-
ordnung hat der Herr Abgeordnete Euler. antworten, ohne eine Untersuchung und ohne
gründliche Prüfung die komplizierten Details zu
Euler (FDP): Meine sehr geehrten Damen und entwirren. Ich habe im Ausschuß für die Bundes-
Herren! Es war bereits ein Eventualantrag, der sitzfrage im Parlamentarischen Rat gesessen, und
meine Unterschrift trägt, eingebracht. Wir hatten weiß, wie ungeheuer verwickelt und undurchsich-
nämlich für den Fall der Ausschußverweisung des tig die Materie ist und wie schwer es ist, sich
Antrags Nr. 4 beantragt, einen aus vierzehn Mitglie- überhaupt zu einer Entscheidung in diesen Dingen
dern bestehenden Ausschuß einzusetzen, der seine durchzuringen. Ich bitte Sie darum dringend, der
Tätigkeit sofort aufzunehmen und innerhalb von Überweisung an einen Ausschuß zuzustimmen.
vierzehn Tagen dem Hause zu berichten hat. Ich
bin der Auffassung, daß nach den vorliegenden Ma- Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
terialien und in Anbetracht der Dringlichkeit, Ich glaube, jetzt ist von beiden Seiten zu den
mit der der Ausschuß die Frage zu prüfen hat, der Möglichkeiten der Entscheidung nach der einen
Bericht an den Bundestag innerhalb von vierzehn und anderen Seite genug gesprochen worden, wenn
Tagen erwartet werden kann. Im übrigen möchte ich mir das einmal erlauben darf auszusprechen.
ich in diesem Zusammenhang noch einmal darauf
hinweisen, daß gerade die Regierungsparteien ein Es liegen zwei Anträge vor. Der eine Antrag
Interesse daran haben, daß die Exekutive möglichst lautet — und zwar in der ursprünglichen Reihen-
schnell in einen leistungsfähigen Stand kommt. folge von Ihnen und später der Sache nach von der
Da ist nun die leider — wenn Sie so wollen — CDU usw. — auf Einsetzung eines Ausschusses,
unbestreitbare Tatsache vorhanden, daß in Frank- der innerhalb von drei Wochen den nötigen Be-
furt alle Räume für die Unterbringung der Mi- richt zu erstatten hat. Der andere Antrag seitens
nisterien zur Verfügung stehen, während das hier der SPD bzw. der Abgeordneten Zinn und Ollen-
nicht der Fall ist. hauer geht dahin, daß über die Anträge Druck-
(Zurufe.) sachen Nr. 4 und 19 sofort, und zwar geheim ab-
gestimmt wird. Darüber, in welcher Form über
Präsident Dr. Köhler: Das Wort zur Geschäfts- die Einsetzung des Ausschusses abgestimmt werden
ordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Linnert. soll, liegen wohl keine Anträge vor.
(Zurufe: Doch! 011enhauer!)
Dr. Linnert (FDP): Ich ziehe meinen Antrag zu-
gunsten des Antrags Bucerius zurück. Auch über den Ausschuß!
Meine Damen und Herren, dann haben wir zu-
Präsident Dr. Köhler: Das Wort zur Geschäfts- nächst folgende Frage zu entscheiden
ordnung hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer. (Unruhe und Zurufe)
— lassen Sie mich doch bitte jetzt reden! —, wel-
Ollenhauer (SPD): Meine Damen und Herren! ches der weitergehende Antrag ist: der der sofor-
gesagt, daß wirMeinKolgZhatbrs tigen Entscheidung
gegen die Überweisung des Antrags an einen Aus-
schuß sind. Wir sind der Überzeugung, daß die (erneute Unruhe)
Entscheidung über diesen Antrag schon eine sach- — einen Augenblick bitte, ich bin dabei, die Frage
liche Entscheidung über den Inhalt des Antrags zu stellen; darf ich das vielleicht tun? — oder
darstellt. Wir beantragen deshalb, daß über den der Antrag auf Einsetzung eines Ausschusses. Der
Antrag auf Ausschußberatung ebenfalls geheim Sache nach bin ich der Meinung, daß der Antrag
abgestimmt wird. auf Einsetzung eines Ausschusses insofern weiter-
gehend ist, als er eine gründlichere Durchdringung
Präsident Dr. Köhler: Zur Geschäftsordnung hat des Problems ermöglicht.
das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.
(Erneute Unruhe.)
Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren! Es Meine Damen und Herren, die Auslegung darüber,
wird hier so getan, als ob es ein ganz einfacher welcher Antrag der weitergehende ist, pflegt beim
Vorgang sei, daß man einen legal zustandegekom- Präsidenten zu liegen.
menen Beschluß über den Sitz des Bundes und
seiner Organe umwirft und beseitigt. Das ist doch (Abg. Dr. von Brentano: Zur Geschäftsordnung!) -
wirklich eine sehr entscheidende Angelegenheit.
Dr. von Brentano (CDU): Ich möchte nur das
(Abg. Dr. Schumacher: Zur Geschäftsordnung!) Hohe Haus und den Herrn Präsidenten daran er-
— Jawohl, ich rede, wie die Vorredner, zur innern, daß er vor etwa einer Stunde, ohne Wider-
Geschäftsordnung, um zu begründen, daß die Ver- spruch zu finden, festgestellt hat, daß der Antrag
weisung an einen Ausschuß unbedingt notwen- auf Verweisung dem Antrag auf Sachentscheidung
dig ist. vorgeht. Das war vor etwa einer Stunde im Zu-
sammenhang mit dem Antrag der KPD über die
(Zurufe: Zur Sache! — Abg. Renner: Herr Ab Demontage. Ich glaube, daß diese Feststellung des
geordneter, „wie ich die Geschäftsordnung Präsidenten auch jetzt noch gilt.
auffasse"! Da sieht man mal wieder: alles
ist flexibel!) Präsident Dr. Köhler: Also, meine Damen und
Meine Damen und Herren, es handelt sich um Herren, wir haben jetzt demnach zunächst über den
eine Entscheidung von großer Tragweite. Es han- Antrag abzustimmen, und zwar über den Antrag
delt sich um den ungewöhnlichen Vorgang, daß ein der CDU dahingehend, daß ein Ausschuß aus
Parlament die Beschlüsse einer vorausgegangenen 21 Abgeordneten eingesetzt wird, der innerhalb von
Institution wieder aufhebt und beseitigt. Es han- drei Wochen die Eignung der Städte Bonn und
delt sich also um eine Art Wiederaufnahmever- Frankfurt als vorläufigen Sitz der leitenden Bundes-
fahren. In solchen Fällen muß doch mindestens organe zu prüfen und darüber dem Haus zu be-
eine sorgfältige Prüfung des Sachverhalts statt richten hat.
254 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949
(Präsident Dr. Köhler)
Abstimmung! Wer für diesen Antrag ist, — — habe, über den Antrag auf Einsetzung eines Aus-
(Unruhe und Zurufe.) schusses offen abstimmen.
— Nein? Was ist denn los? (Oho!)
(Erneute Zurufe.) — Bitte, ich habe mir eben den Vorschlag erlaubt,
daß ich erst über den Antrag, ob geheim abge-
— Es war geheime Abstimmung beantragt. stimmt werden soll, abstimmen lasse. Es ist der
(Abg. Dr. Linnert: Es gibt keine geheime lebhafteste Protest aus Ihren Reihen erschollen.
Abstimmung, nur eine namentliche!)
Ich frage Sie jetzt: Wer dafür ist, daß über den
Meine Damen und Herren, es ist der Antrag ge- Antrag auf Einsetzung eines Ausschusses geheim
stellt worden — das ist richtig —, auch über den abgestimmt werden soll, den bitte ich, die Hand zu
Antrag auf Ausschußeinsetzung geheim abstimmen erheben. — Wir müssen auszählen.
zu lassen.
(Abg. Linnert: Das ist ein Irrtum! Es gibt nur Ich bitte, den Herren Schriftführern das Aus-
namentliche Abstimmung!) zählen nach Möglichkeit zu erleichtern.
Der Begriff der geheimen Abstimmung entspricht (Während der Auszählung erheben auch die
dem § 105 über namentliche Abstimmung. Abgeordneten der CDU/CSU, die vorher die
Hand nicht erhoben hatten, die Hände. —
(Zuruf von der CDU: „Namentlich" ist doch nicht
geheim!) Lebhafter Beifall.)
Die namentliche Abstimmung im Sinne des § 105 — Meine Damen und Herren! Ich sehe, daß über
dokumentiert sich lediglich darin, daß die Namen diese Frage eine Verständigung zustande gekom-
später in das Protokoll eingetragen, aber nicht men ist, indem eine überwältigende Mehrheit sich
publiziert werden. Insofern ist die namentliche Ab- für die geheime Abstimmung ausgesprochen hat.
stimmung im Sinne des § 105 nach außen hin im (Lebhafter Beifall.)
Grunde genommen nichts weiter als eine geheime Damit ist der Fall erledigt.
Abstimmung.
Wir werden nunmehr die Urne hier vorn auf-
(Widerspruch und Zurufe.) stellen. Sie finden in Ihren Pulten die Zettel. Ich
— Bitte, dann stellen Sie den Antrag auf nament- bitte, darauf „Ja" oder „Nein" zu schreiben.
liche Abstimmung. Ich stelle Ihnen das anheim. „Ja" bedeutet Zustimmung zum Antrag auf Ein-
Geheime Abstimmung gibt es nicht. setzung eines Ausschusses, „Nein" bedeutet Ableh-
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Ab- nung dieses Antrages.
geordnete Dr. Becker. ° (Zuruf: Zur Geschäftsordnung!)
— Sie wollten zur Geschäftsordnung sprechen?
Dr. Becker (FDP): Meine Damen und Herren!
Nachdem hier Fragen der Geschäftsordnung streitig (Zuruf: Wir sind in der Abstimmung!)
sind, erstens darüber, welcher Antrag den Vorzug Ich kann Ihnen jetzt in der Abstimmung das Wort
bei der Abstimmung hat, beim besten Willen nicht mehr geben.
(Zurufe) (Andauernde Unruhe.)
zweitens ob es eine geheime Abstimmung gibt und Meine Damen und Herren, ich bitte, jetzt Ruhe
in welcher Prozedur, stelle ich den Antrag, die zu bewahren. Wir rufen die Namen der einzelnen
Sitzung zu unterbrechen und den Aeltestenrat zur Mitglieder auf, die dann, bitte, nach vorn kommen
Prüfung dieser Frage einzuberufen. und ihren Stimmzettel abgeben.
(Lebhafter Widerspruch.) (Zurufe.)
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! — Im Umschlag, bitte!
Ich muß über diesen eben zur Geschäftsordnung Die Abstimmung beginnt.
gestellten Antrag, die Sitzung dieserhalb zu unter- (Der Namensaufruf erfolgt.)
brechen, ordnungsgemäß abstimmen lassen.
Wer für diesen Antrag des Abgeordneten Dr. Meine Damen und Herren! Ich mache darauf
Becker ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. aufmerksam, daß wir noch eine zweite und dritte
Urne aufgestellt haben. Frau Albertz steht an der
(Zurufe.) linken Urne. — Herr von Aretin, Sie sind Schrift--
— Findet. der Antrag Unterstützung? — Nein! Der führer; haben Sie die Liebenswürdigkeit, sich an
Antrag ist abgelehnt. die andere Urne zu stellen und dort die Stimm-
(Beifall.) zettel entgegenzunehmen.
Die Geschäftsordnungsdebatte hat ergeben, daß (Der Namensaufruf wird fortgesetzt.)
es eine geheime Abstimmung im Sinne des § 105
nicht gibt. Wir haben nur bei Wahlen geheim ab- Meine Damen und Herren, ich frage, ob irgend-
zustimmen, und zwar durch Wahlzettel. Es gibt jemand der anwesenden Abgeordneten bei dem
also nur eine Form der geheimen Abstimmung, in- soeben erfolgten Aufruf nicht genannt worden ist.
dem man sinngemäß die Zettelwahl auf diesen An- — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann er-
trag anwendet. Da der Antrag nun einmal gestellt kläre ich die Abstimmung für beendet und bitte
ist, muß ich zunächst darüber abstimmen lassen, ob die Herren Schriftführer, die Urnen hier oben
die Abstimmung geheim oder nicht geheim sein zu entleeren und mit der Auszählung zu be-
soll. ginnen.
(Das Ergebnis wird ermittelt.)
(Unruhe. — Zuruf: Der Antrag ist geschäfts
ordnungsmäßig unzulässig.) Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
Wer dafür ist, — — Herren, ich habe Ihnen das Er g e b n i s der Ab-
(Fortdauernde Unruhe.) stimmung bekanntzugeben. Von insgesamt 368
— Meine Damen und Herren! Wenn Sie so nicht Abstimmenden haben mit Ja 196 gestimmt.
wollen, lasse ich sofort, wie ich vorhin entschieden (Beifall rechts.)
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. September 1949 255
(Vizepräsident Dr. Schmid)
Mit Nein haben 169 Abgeordnete gestimmt; ent- ohne jeden Unterschied dringend interessiert sind,
halten haben sich 3. Damit ist der Antrag Dr. auch die Gruppen des Hauses vertreten sind. Das
Bucerius-Alberts, wonach der Antrag der SPD würde wohl erreicht werden können, wenn wir aus
und der Antrag Hilpert und Genossen an einen dem 27er-Ausschuß, Herr Dr. Holzapfel, einen
Ausschuß zu überweisen sind, angenommen. 28er-Ausschuß machen.
Der Ausschuß, für den Sie eben gestimmt haben, (Abg. Dr. Holzapfel: Mit beratender Stimme!)
ist in dem Antrag mit 21 Abgeordneten vorgesehen. — Da nehmen wir sie mit beratender Stimme hin-
Ich erlaube mir, die strikten Befugnisse des Prä- ein und erreichen genau das gleiche wie im an-
sidenten überschreitend, Ihnen einen Vorschlag zu dern Fall.
machen. Ich glaube, daß es sinnvoll wäre, in die-
sem Ausschuß, der wohl nach dem d'Hondtschen Vizepräsident Dr. Schmid: Das sollte auch mein
System zu besetzen ist, möglichst alle Fraktionen Vorschlag sein. Wir erhalten also einen 27er-Aus-
vertreten sein zu lassen. Ich würde Sie darum bit- schuß nach dem d'Hondtschen System, zu dem die
ten, statt eines 21er-Ausschusses einen 27er-Aus- Gruppe Nationale Rechte einen Vertreter mit be-
schuß zu akzeptieren. Sie haben zwar schon für ratender Stimme entsendet. Ich schlage vor, die
den 21er-Ausschuß gestimmt — ich möchte das Mitglieder des Ausschusses nicht schon hier zu
feststellen —, aber ich möchte Ihnen trotzdem den benennen. Die Fraktionen mögen nach dem
Vorschlag machen, über diese Abstimmung hin- d'Hondtschen System — sagen wir: bis Dienstag —
wegzugehen und sich auf einen 27er-Ausschuß zu dem Präsidium die Namen der Abgeordneten mit-
einigen, wobei ich bemerken möchte, daß der teilen, die sie in diesen Sonderausschuß senden
Widerspruch eines einzigen Mitglieds genügt, um wollen. Besteht mit diesem Vorschlag Einver-
diesen Vorschlag gegenstandslos zu machen. ständnis?
Herr Dr. Höpker-Aschoff! (Zurufe: Jawohl!)
— Ich danke Ihnen.
Dr. Höpker-Aschoff (FDP': Herr Präsident, ich
würde Sie bitten, Ihren Vorschlag noch dahin zu Damit sind die Punkte 9 und 10 der Tagesord-
ergänzen, daß diesem Ausschuß weder Vertreter nung erledigt.
des Landes Nordrhein-Westfalen noch Vertreter (Abg. Renner: Nein!)
des Landes Hessen angehören sollen. Herr Abgeordneter Renner!
(Bravo!) Renner (KPD): Ich bitte, noch über unsern Antrag
abzustimmen. Der ist noch nicht erledigt.
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich glaube, daß wir
über diesen Antrag, der wohl kein Antrag im Vizepräsident Dr. Schmid: Sie haben recht. Es
Sinne der Geschäftsordnung sein sollte, nicht ab- steht noch der Antrag der KPD auf Drucksache
stimmen sollten; ich meine vielmehr, daß wir die Nr. 9 zur Abstimmung.
Verwirklichung der Anregung der Vereinbarung
nicht nur der Fraktionen, sondern innerhalb der (Abg. Hilbert: Zur Geschäftsordnung!)
Fraktionen überlassen sollten. Herr Abgeordneter Hilbert!
(Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)
Hilbert (CDU) : Meine Damen und Herren, der
Ich betrachte Ihren „Antrag" lediglich als einen Einfachheit halber schlage ich vor, auch diesen An-
Vorschlag, als eine Anregung. trag der KPD dem Ausschuß, der soeben gebildet
Darf ich nun fragen, ob jemand sich dagegen worden ist, zu überweisen.
wehrt, daß der beschlossene 21er-Ausschuß als (Abg. Renner: Zur Geschäftsordnung!)
27er-Ausschuß gebildet wird. — Das ist nicht der
Fall. Ich glaube also, ich kann das Einverständnis Vizepräsident Dr. Schmid: Zur Geschäftsordnung
sämtlicher stimmberechtigter Mitglieder hier an- hat das Wort der Herr Abgeordnete Renner.
nehmen — —
(Abg. Dr. Bucerius: Darf ich noch ein Wort dazu Renner (KPD): Dieser unser Antrag hat mit der
sagen?) Fragestellung Bonn — Frankfurt direkt nichts zu
tun. Deshalb ist es nicht sinnvoll, ihn diesem Aus-
Herr Abgeordneter Dr. Bucerius! schuß zur Weiterbearbeitung zu überweisen. Un-
ser Antrag soll den Menschen zugute kommen,
Dr. Bucerius (CDU): Wir würden dann empfehlen,
die heute bereits und in den kommenden Tagen
daß möglichst alle Gruppen des Hauses auch im im Zuge der Evakuierung Bonns von den Ange-
Ausschuß vertreten sind. hörigen der belgischen Besatzungsmacht ihre Woh-
(Abg. Renner: Sind doch drinnen nach der nungen verlieren. Ich darf darauf hinweisen, daß
Koalition!) die Ausweichorte sich über den ganzen Westen
— Nein, die Koalition ist in diesem Falle nicht groß des Landes Nordrhein-Westfalen bis nach Lüden-
genug. scheid hin erstrecken. Ich darf darauf hinweisen,
laß Delegationen' von Einwohnern der bedrohten
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich bitte doch, den Dörfer, Delegationen, die im wesentlichen aus An-
Redner ausreden zu lassen. gehörigen der CDU zusammengesetzt waren. hier
schon an die Türe geklopft haben und bei Herrn
Dr. Bucerius (CDU): Ich freue mich, daß ich in Adenauer vorstellig geworden sind.
diesem Hause auch einmal den Schutz des Präsi- Es handelt sich hier um die Beseitigung einer
denten genieße. dringenden augenblicklichen Notlage, und ich
(Heiterkeit.) fürchte, daß, wenn der Antrag an den Ausschuß
verwiesen wird, noch weitere Exmittierungen er-
Uns liegt also daran, daß in dieser wichtigen folgen werden. Unser Antrag verlangt konkret,
Frage, an der alle Teile des deutschen Volkes daß die Bundesregierung dem Einhalt gebieten soll.
256 Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. Bonn, Freitag, den S0. September 1949
(Renner)
Ich sehe nicht ein, was dadurch erreicht werden Es ist wohl nicht notwendig, daß dieser Antrag
soll, daß man die Entscheidung darüber um drei besonders begründet wird. — Widerspruch erhebt
oder vier Wochen hinauszögert. Die Not der zu sich nicht.
Evakuierenden und der bereits Evakuierten zwingt (Abg. Dr. von Brentano: Ich möchte Über-
wirklich zu einer sofortigen Lösung dieser Frage weisung an den Ausschuß beantragen!)
im Sinne der Bejahung unseres Antrags. Ich bitte Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
Sie, für unseren Antrag zu stimmen.
Loritz (WAV): Meine Damen und Herren! Ich
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wert hat der Herr bitte, die Entscheidung im Plenum zu treffen, weil
Abgeordnete Dr. Hilpert. der Termin in wenigen Tagen stattfindet und die
Dr. Hapert (CDU): Es hätte wohl des Antrags Angelegenheit auf dem Umweg über den Ge-
schäftsordnungsausschuß sonst nicht rechtzeitig zur
der KPD nicht bedurft, um die zuständige Landes- Erledigung kommen kann. Ich möchte das Haus in-
regierung Nordrhein-Westfalen darauf aufmerksam formieren, worum es sich handelt. Es handelt sich
zu machen, daß selbstverständlich alles getan wer- um den Revisionstermin in einem Verfahren, in
den muß, was im Rahmen der Möglichkeit liegt, dem ich in erster Instanz in der Hauptsache frei-
um Wohnungen für die hier infolge der Räumung gesprochen worden bin. Der Staatsanwalt hat jetzt,
zu evakuierenden Personen zu schaffen. Ich nachdem das Haus neulich im Plenum die Aus-
glaube, deshalb wird diese Maßnahme ebenso- setzung wegen verleumderischer Beleidigung be-
schnell durchgeführt, selbst wenn wir diesen An- schlossen hat, ein Revisionsverfahren beantragt und
trag dem jetzt gebildeten Ausschuß überweisen, auf diese Art und Weise versucht, einen Termin
als wenn wir hier ad hoc dem Antrag zustimmen gegen mich zur Ansetzung zu bringen. Mit Rück-
würden, weil ich noch einmal betonen will, daß sicht auf die Dringlichkeit bitte ich, daß über den
die Regierung Nordrhein-Westfalen, wie mir eben Antrag jetzt vom Plenum entschieden wird.
zuverlässig versichert worden ist, alle Maßnahmen,
die irgend möglich sind, ergriffen hat und noch er- Vizepräsident Dr. Schmid: Zur Geschäftsordnung
greifen wird, um diesen Menschen Unterkunft zu hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano das
bieten, wenn Bonn Bundeshauptstadt bleibt.
Wort.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr Dr. von Brentano (CDU): Mit Rücksicht darauf,
Abgeordnete Paul. daß die Sache dringlich ist, ziehe ich meinen An-
trag auf Überweisung an den Ausschuß zurück.
Paul (KPD): Meine Damen und Herren! Ich bin
nicht davon überzeugt, daß die Landesregierung Vizepräsident Dr. Schmid: Wer für diesen An-
Nordrhein-Westfalen alles getan hat, um diesen trag ist, den bitte ich, die H an d zu erheben.
Zustand abzuwenden, sondern ich sehe in dem (Zuruf: Überweisung an den Ausschuß?)
Vorwärtstreiben der Arbeiten hier weitere Ver-
suche, die Menschen aus ihren Wohnungen heraus- — Dieser Antrag ist eben von Herrn von Brentano
zubringen, um Räume freizumachen. zurückgezogen worden; ich brauche also nicht über
ihn abstimmen zu lassen. Ich lasse abstimmen
(Zuruf rechts: Gehen Sie nach dem Osten!) über den Antrag Drucksache Nr. 49. Ich habe Sie
Die Bevölkerung dieser Orte wünscht auf jeden vorher gefragt, ob der Antrag ausdrücklich be-
Fall, daß dem Einhalt geboten wird. gründet werden soll, und Sie waren damit ein-
(Zuruf: Täglich kommen Tausende aus der verstanden, daß dies nicht zu geschehen hat. Nun-
Ostzone, die wir auch unterbringen müssen!) mehr lasse ich über den Antrag Drucksache Nr. 49
— Ich spreche hier nicht über die Ostzone. abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, der möge
die Hand erheben. — Die Gegenprobe! — Das ist
(Zuruf rechts: Über die Ostzone können gegen einige wenige Stimmen die überwältigende
Sie auch gar nicht sprechen!) Mehrheit; es ist so beschlossen.
Sie wollen sich nur um eine klare Entscheidung
in dieser Frage drücken; aber die Bevölkerung im Wir kommen nunmehr zu Ziffer 12 der Tages-
Lande Nordrhein-Westfalen wünscht, daß endlich ordnung:
mit den Wohnungsbeschlagnahmungen Schluß ge- Beschlußfassung über die Überweisung von
Anträgen an Ausschüsse ohne Aussprache. -
macht wird. Sollten Sie unseren Antrag ablehnen,
fällt die ganze Verantwortung auf Sie selbst Es sind hier von den Fraktionen in insgesamt
zurück. 14 Fällen Anträge auf Überweisung unmittelbar
an die Ausschüsse gestellt. Ich lasse der Klarheit
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel- halber über jeden einzelnen dieser Anträge ab-
dungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Ab- stimmen und gleichzeitig den Ausschuß bestim-
stimmung. men, an den der Antrag verwiesen werden soll.
Ich lasse über den Antrag abstimmen, den An- Wir kommen zuerst zu Drucksache Nr. 13: An-
trag Drucksache Nr. 9 an den eben gebildeten Aus- trag der Fraktion der DP, betreffend Entnazifizie-
schuß zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, rungsgesetz. Er ist an den Ausschuß für Rechts-
die Hand zu erheben. — wesen zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte
(Abg. Paul: Wir werden uns in der Öffent ich, die Hand zu erheben. — Die Gegenprobe! —
lichkeit wieder sprechen !) Es ist so beschlossen.
Die Gegenprobe! — Das erstere war unzweifelhaft Wir kommen zu Drucksache Nr. 20, Antrag der
die große Mehrheit. Der Antrag ist angenommen; Fraktion des Zentrums, betreffend Wartegeld und
er ist überwiesen. Pensionen der ostvertriebenen Beamten.
(Zuruf von der KPD.) Für die Behandlung des Antrages kommen drei
Wir kommen zu Ziffer 11 der Tagesordnung: Ausschüsse in Frage: der Ausschuß für Heimat-
Antrag des Abg. Loritz betr. Aussetzung vertriebene, der Ausschuß für Finanz- und Steuer-
eines Gerichtsverfahrens (Drucksache Nr. 49). fragen und der Ausschuß für Beamtenrecht. Ich
Deutscher Bundestag — 11. Sitzung. B onn Freitag, den 30. September 1949 257
,

(Vizepräsident Dr. Schmid)


schlage vor, den Ausschuß der Heimatvertriebenen ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
mit der Federführung zu beauftragen. Wer für die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
sen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Es kommt Drucksache Nr. 30, Antrag der Abge-
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so be- ordneten Ollenhauer und Genossen, betreffend:
schlossen. Vorlage eines Gesetzentwurfes über die Regelung
Wir kommen weiter zu Drucksache Nr. 21, An- der Versorgung der Körperbeschädigten .und Hin-
trag der Fraktion des Zentrums, betreffend Staats- terbliebenen durch Kriegsfolgen.
sekretariat für Handwerk und gewerblichen Mittel- Für diesen Antrag wird wohl der Ausschuß für
stand. Sozialpolitik in Betracht kommen.
Dieser Antrag ist an den Ausschuß für Wirt- (Zuruf: Wir haben ja einen Ausschuß für
schaftspolitik und an den Haushaltsausschuß zu Kriegsopfer!)
überweisen. Federführend ist der Ausschuß für
Wirtschaftspolitik. Wer dafür ist, den bitte ich, die — Es ist beantragt, den Antrag an den Ausschuß für
Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. Kriegsopfer zu verweisen. Ich bitte um ein Hand-
— Es ist so beschlossen. zeichen. — Danke! Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Drucksache Nr. 22, Antrag der Wir kommen zu Drucksache Nr. 31, Antrag der
Fraktion der Bayernpartei, betreffend Vergebung Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, be-
der Aufträge des Bundes. Der Antrag ist an den treffend: Jugendwohlfahrtsgesetz vom 9. Juli 1922.
Haushaltsausschuß zu verweisen. Wer dafür ist, den Der Antrag ist an den Ausschuß für Fragen der
bitte ich, die Hand zu erheben. — Es ist so be- Jugendfürsorge zu verweisen. Wer dafür ist, den
schlossen. bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Es ist
Wir kommen zu Drucksache Nr. 23, Antrag der so beschlossen.
Fraktion der Bayernpartei, betreffend Aufteilung Wir kommen zu Drucksache Nr. 32, Antrag der
der Heimatvertriebenen. Dieser Antrag ist an den Fraktion der SPD, betreffend: Entlassungen bei
Ausschuß für Heimatvertriebene zu verweisen. Wer der Bundesbahn.
dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Es Zuständig dafür sind der Ausschuß für Verkehrs-
ist so beschlossen. wesen und der Ausschuß für Arbeit. Ich schlage vor,
Es kommt jetzt Drucksache Nr. 24, Antrag der daß der Ausschuß für Verkehrswesen die Feder-
Fraktion der Bayernpartei, betreffend Ausschuß führung hat. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand
bayerisches Notstandsgebiet. zu erheben. — Danke! Es ist so beschlossen.
Ich habe Bedenken, ob dieser Antrag an den Aus- Wir kommen zu Drucksache Nr. 33, Antrag der
schuß für Grenzlandfragen zu verweisen ist. Abgeordneten Ollenhauer und Genossen, betref-
(Zuruf: An den Wirtschaftsausschuß! — Gegen fend: Maßnahmen zur Bekämpfung der Notstände
ruf: An den Ausschuß für Heimatvertriebene!) bei den Vertriebenen.
Man kann darüber streiten, welcher Ausschuß hier Der Antrag ist an den Ausschuß für Heimatver-
der richtige ist. Jedenfalls scheint mir der Ausschuß triebene zu verweisen. Ich bitte um ein Hand-
' für Grenzlandfragen nicht der richtige zu sein, da zeichen. — Es ist so beschlossen.
er sich ja im wesentlichen mit den sogenannten Weiter liegt vor Drucksache Nr. 34, Antrag der
Grenzkorrekturen zu befassen haben wird. Abgeordneten Dr. Holzapfel und Genossen, betref-
(Zuruf: Nein, das sind Fragen allgemeiner Art! fend: Gesetz über die Liquidation des ehemalig
Der Ausschuß für Heimatvertriebene ist der reichseigenen Filmeigentums.
richtige!) Der Antrag ist wohl an den Ausschuß für Wirt-
— Es ist Verweisung an den Ausschuß für Heimat- schaftspolitik und an den Ausschuß für Film- und
vertriebene beantragt. Rundfunkwesen zu überweisen. Die Federführung
(Zuruf: Er hat damit nichts zu tun, sondern hat der Ausschuß für Wirtschaftspolitik. Wer
der Wirtschaftsausschuß!) dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
— Ich schlage vor, daß m an sich auf die Verwei- Danke! Es ist so beschlossen.
sung an den Wirtschaftsausschuß einigt. Dieser kann Weitere Anträge zu Ziffer 12 der Tagesordnung
sich ja dann mit den anderen Ausschüssen in Ver- liegen nicht vor.
bindung setzen. Wer dafür ist, den bitte ich, die (Zuruf: Doch, der Amnestie-Antrag!)
Hand zu erheben. — Danke schön! Es ist so be-
schlossen. — Der ist hier gestrichen. Das ist kein bloßer -
Antrag. Es handelt sich um eine Gesetzesvorlage.
Wir kommen zu Drucksache Nr. 26, Antrag der Hier kann auf die erste Lesung nicht verzichtet
Fraktion der WAV, betreffend: Erlaß einer werden.
Amnestie.
Die Abgeordnete Frau Kalinke hatte um das
Dieser Antrag ist an den Ausschuß für Rechts- Wort zu einer persönlichen Bemerkung gebeten.
wesen zu verweisen. Wer dafür ist, den bitte ich,
die Hand zu erheben. — Danke!' Es ist so be- (Abg. Frau Kalinke: Ich hatte um das Wort
schlossen. nach der Berlin-Debatte gebeten! Jetzt ver-
zichte ich!)
Es kommt nun Drucksache Nr. 27, Antrag der
Fraktion der WAV, betreffend: Erlaß einer Gene- — Die Abgeordnete Frau Kalinke verzichtet auf
ral-Amnestie für Mitläufer und Minderbelastete. das Wort.
Dieser Antrag ist ebenfalls dem Ausschuß für Ich darf noch bekanntgeben, daß die nächste
Rechtswesen zu überweisen. Wer dafür ist, den Sitzung des Bundestags nach einem Uebereinkom-
bitte ich, die Hand zu erheben. Danke! Es ist so men im Ältestenrat voraussichtlich nicht in der
beschlossen. nächsten Woche stattfinden wird. Der genaue Ter-
Wir kommen zu Drucksache Nr. 29, Antrag der min des nächsten Zusammentritts des Bundes-
Fraktion der CDU/CSU, betreffend: Behebung drin- tags wird vom Ältestenrat am Dienstag, dem 4.
gender Notstände bei den Vertriebenen. Oktober, festgesetzt werden.
Dieser Antrag ist an den Ausschuß für Heimat- Ich schließe die Sitzung.
vertriebene zu verweisen. Wer dafür ist, den bittè (Schluß der Sitzung: 20 Uhr 45 Minuten.)

Das könnte Ihnen auch gefallen