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Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1.

März 1950 1431

Dr. Arndt (SPD) 1445C


Dr. von Brentano (CDU) . . . 1446D
Löbe (SPD) 1447C

Erste Beratung des Entwurfs eines Ge-


setzes über eine vorübergehende Erwei-
- terung der Geschäfte der Hypotheken
und Schiffspfandbriefbranken (Druck-
sache Nr. 545) 1454C

Beratung des Mündlichen Berichts des


Ausschusses für Geschäftsordnung und
Immunität über den Antrag der Fraktion
43. Sitzung der BP betr. Streichung der Absätze 2
und 3 des § 103 der Geschäftsordnung
(Drucksachen Nr. 495 und 184) in Ver-
Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950. bindung mit der

Beratung des Antrags der Fraktion der


SPD betr. Streichung der Absätze 2 und
Geschäftliche Mitteilungen . . . 1432B, 1470D 3 des § 103 der Geschäftsordnung
(Drucksache Nr. 476) 1454C
Erste Beratung des von der Fraktion der
SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- Gengler (CDU), Berichterstatter . 1454D
setzes über die Versorgung der Fami- Sassnick (SPD), Berichterstatter . 1455B
lienangehörigen von Kriegsgefangenen
und Internierten (Drucksache Nr. 522) . 1432C Ritzel (SPD), Antrag
steller 1455D, 1459A
Erste Beratung des von der Fraktion der Dr. Seelos (BP) 1456D
SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- Dr. Schäfer (FDP) 1457A
setzes über die Festsetzung von Mindest-
Dr. Horlacher (CSU) 1457C
arbeitsbedingungen
(Drucksache Nr. 525) . . 1432D, 1449A Dr. Reismann (Z) 1458A

Ludwig (SPD), Antragsteller . . 1449A Euler (FDP) . . . . . . . . 1458C

Sabel (CDU) 1450A Kiesinger (CDU) . . . . . . . 1458D

Dr. Wellhausen (FDP) . . . . 1451A


Beratung des Mündlichen Berichts des
Dr. Etzel (BP) . . . . . . . 1452B Ausschusses für Geschäftsordnung und
Agatz (KPD) 1452D Immunität auf Änderung des § 104 der
vorläufigen Geschäftsordnung des Deut-
Walter (DP) 1453A schen Bundestages (Drucksache Nr. 528) . 1459B
Richter (Frankfurt) (SPD) . . . 1453B - Ritzel (SPD), Bericht
erstatter 1459C
Erste Beratung des Entwurfs eines Ge-
Dr. Miessner (DRP) 1460A
setzes zur Wiederherstellung der Rechts-
einheit auf dem Gebiet der Gerichts- Löbe (SPD) 1460B
verfassung, der bürgerlichen Rechts- Dr. Oellers (FDP) 1460C
pflege, des Strafverfahrens und des
Kostenrechts (Drucksache Nr. 530) . . 1432D Beratung des Mündlichen Berichts des
Dr. Dehler, Bundesminister der Ausschusses für Fragen des Gesundheits-
Justiz 1432D, 1447D wesens über den Antrag der Abgeord-
neten Dr. von Brentano und Genossen
Zinn (SPD) , 1440C
betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs zur
Renner (KPD) . 1441B Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
von Thadden (DRP) 1443A (Drucksachen Nr. 529 und 104) . . . . 1460D

Dr. Schmid (SPD) . . . . . . 1443C Pohle (SPD), Berichterstatter . . . 1460D

Euler (FDP) 1444C Beratung des Mündlichen Berichts des


Dr. von Merkatz (DP) 1445A Ausschusses für Post- und Fernmelde-
1432 D eutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950

wesen über den Antrag der Abgeord Dr. Ilk, Pannenbecker, Wittmann, Fisch. Ent-
neten Renner und Genossen betr. Be schuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Müller,
freiung von Rundfunkgebühren für Er Dr. Dr. Lehr, Lübke, Albers, Gockeln, Dr. Pferd-
werbslose (Drucksachen Nr. 509 und menges, Junglas, von Knoeringen, Frau Albertz,
Knothe, Böhm, Dr. Menzel, Dr. Nölting, Brandt,
205) . . . 1461B Neumann, Frau Schroeder, Dr. Suhr, Wagner,
Lange (SPD), Berichterstatter . . 1461B Dr. Middelhauve, Neumayer, Dr. Freiherr von
Rechenberg, Dr. Nowack, Eickhoff, Parzinger,
Beratung des Mündlichen Berichts des Loritz, Reimann, Frau Thiele, Oskar Müller, Dr.
Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Richter. Außerdem fehlt der Abgeordnete
Goetzendorff.
schaft und Forsten über den Antrag der
Fraktion der DP betr. landwirtschaft- Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
liches Pachtwesen (Drucksachen Nr. 535 Ich habe noch folgende Mitteilung zu machen.
und 230) 1462A Der Herr Bundesminister für Post- und Fern-
meldewesen hat dem Bundestag in Erledigung
Frey (CDU), Berichterstatter . . 1462A der Drucksache Nr. 336 betreffend amtliche Gra-
phik, Münzen, Siegel usw. des Bundes unter dem
Beratung des Mündlichen Berichts des 24. Februar einen Bericht zugeleitet. Der Bericht
Ausschusses für Wirtschaftspolitik über wird als Drucksache Nr. 597 vervielfältigt und
den Antrag der Fraktion der BP betr. den Mitgliedern des Hauses zugänglich gemacht
werden.
Stromlieferung (Drucksachen Nr. 547
Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein
und 226) 1462C, 1468B und kommen zu Punkt 1:
Etzel (CDU), Bericht Erste Beratung des von der Fraktion der
erstatter 1468C SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes über die Versorgung der Familien-
Dr. Decker (BP) . . . . . . . 1469C angehörigen von Kriegsgefangenen und
Stücklen (CSU) 1469D Internierten (Drucksache Nr. 522).
Die antragstellende Fraktion hat sich gestern
Wönner (SPD) 1470B im Ältestenrat bereit erklärt, auf eine Begrün-
dung zu verzichten, und wir haben uns darüber
Beratung des Antrags der Fraktion der verständigt, daß der Gesetzentwurf Drucksache
KPD betr. Gefallenenliste ehemaliger Nr. 522 ohne Aussprache sofort an den zustän-
deutscher Wehrmachtsangehöriger digen Ausschuß für Kriegsopfer und Kriegsge-
(Drucksache Nr. 480) 1462C fangenenfragen als federführend und weiter an
den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Für-
Renner (KPD), Antragsteller . . 1462D sorge überwiesen werden soll. Darf ich das Ein-
Dr. Ehlers (CDU) . 1464B, 1468B verständnis des Hauses mit dieser Überweisung
feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch; dann
Ewers (DP) 1466A ist demgemäß beschlossen.
Mende (FDP) 1466B Meine Damen und Herren, wir kommen damit
zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Pohle (SPD) . . . 1467C Erste Beratung des von der Fraktion der
SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
Übersicht über die vom Ausschuß für setzes über die Festsetzung von Mindest-
Petitionen erledigten Eingaben (Druck- arbeitsbedingungen (Drucksache Nr. 525).
sache Nr. 548) 1470C Ich höre eben von Herrn Abgeordneten Rich-
ter, daß die SPD-Fraktion bittet, diesen Punkt
Interfraktioneller Antrag betr. Überwei- - zurückzustellen, da der Herr Antragsteller noch
sung von Anträgen an die Ausschüsse nicht da ist. Ich nehme das Einverständnis des
(Drucksache Nr. 615) . . . . . . . 1470D Hauses damit an.
Meine Damen und Herren! Wir kommen da-
Nächste Sitzung 1470D mit zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Ge-
setzes zur Wiederherstellung der Rechts-
einheit auf dem Gebiet der Gerichtsver-
Die Sitzung wird um 13 Uhr 45 Minuten durch fassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet. Strafverfahrens und des Kostenrechts
(Drucksache Nr. 530).
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
Ich eröffne die 43. Sitzung des Deutschen Bun- Der Ältestenrat war sich darüber einig, daß der
destages und bitte zunächst den Schriftführer Bundestag lediglich die Begründung des Ge-
Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil, die Liste der setzes entgegennimmt und den Gesetzentwurf
abwesenden Mitglieder des Hauses zu verlesen. ohne Debatte dem zuständigen Ausschuß über-
weist.
Dr. Zawadil, Schriftführer: Abwesend sind fol- Zur Begründung des Gesetzentwurfs erteile ich
gende Damen und Herren des Hauses: Wegen Er- dem Herrn Bundesjustizminister das Wort.
krankung fehlen die Abgeordneten Frau Dr.
Rehling, Frau Dr. Gröwel, Schütz, Baur (Augs- Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Herr
burg), Hennig, Kalbfell, Schönauer, Bielig, Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ge-
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1433
(Bundesminister Dr. Dehler)
setz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf Reformarbeiten ausgedehnter Vorarbeiten, gründ-
dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürger- licher Erwägungen und Bearbeitung, der Aus-
lichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des sprache mit allen Beteiligten, mit der Wirtschaft,
Kostenrechts will, wie schon der Name sagt, der mit der Praxis und mit der Wissenschaft. Über
Rechtszersplitterung auf dem Gebiete der Zivil- das Ziel der Reformen muß erst in großen Zü-
und Strafrechtspflege entgegenwirken und die gen unter uns und mit den Beteiligten ein Ein-
verlorene Rechtseinheit wiederherstellen. Ein verständnis hergestellt werden. Es bedarf einer
Blick in den umfangreichen Katalog der zur Auf- eingehenden Rechtsvergleichung, der Beschaffung
hebung vorgeschlagenen landesrechtlichen Be- umfangreichen Materials, auch der Überlegung,
stimmungen zeigt Ihnen, wie stark sich die ein- welche Auswirkungen die Reformmaßnahmen auf
zelnen Länder des Bundes auf dem Gebiete der die Gerichtsorganisation, auf die Rechtsanwalt-
bürgerlichen und der Strafrechtspflege nach dem schaft, auf die Richterschaft und nicht zuletzt
Jahre 1945 auseinandergelebt haben. Wer als auch auf die Finanzen des Staates haben.
Richter oder als Rechtsanwalt täglich mit diesen
verwickelten Verhältnissen fertig werden muß, Ich erinnere Sie daran, daß die Straf rechts-
weiß, wie schwierig es geworden ist, festzustel- reform schon Gegenstand der Erwägungen fast
len, was eigentlich noch Rechtens ist, und wer in dreier Jahrzehnte ist, ohne daß sie einen sicht-
den vergangenen Jahren gezwungen war, einen baren Erfolg hatte, und daß selbst in dem autori-
Prozeß zu führen, möglicherweise als Hamburger tären Staat, der hinter uns liegt, dieses Problem
in Hessen oder als Westfale in Bayern oder um- trotz der ihm zustehenden Möglichkeiten nicht
gekehrt, hat erfahren müssen, wie von Land zu bis zu einem fertigen Entwurf gefördert werden
Land die Zuständigkeit der Gerichte, der Ver- konnte.
fahrensgang und der Instanzenzug verschieden Also ich meine, es wäre nicht zu verantworten,
geregelt sind. Besonders mißlich, ich möchte die Wiederherstellung der Rechtseinheit so lange
sagen: unheilvoll hat sich aber ausgewirkt, daß aufzuschieben, bis die notwendigen Reformen den
die oberste Spitze der Gerichtsbarkeit, daß ein gesetzgebenden Körperschaften zur Beratung zu-
oberstes Gericht fehlt, das die Rechtsprechung geleitet werden können. Ich will dabei gar nicht
führt, das die Rechtseinheit sichert. Die Rechts- prüfen und nicht entscheiden, meine Damen und
not unserer Zeit hat eine ihrer Wurzeln vor allem Herren, ob unsere Zeit wirklich den inneren Be-
in dieser Rechtsaufsplitterung, und sie zu besei- ruf zur Rechtserneuerung hat, ob die Erschütte-
tigen, ist nach meiner Meinung von außerordent- rung der Wertvorstellungen durch die Zeit hin-
licher Dringlichkeit. Jeder Monat, der ins Land ter uns schon so weitgehend überwunden worden
geht, ohne daß dieser unbefriedigende, unerträg- ist, daß wir diese innere Voraussetzung zu einem
liche Zustand beseitigt wird, erschwert den großen Gesetzgebungs -Reformwerk haben.
Rechtsverkehr und damit die wirtschaftlichen Ver- Auf jeden Fall: Reformen müssen reifen!
hältnisse und vergrößert die Rechtsunsicherheit.
Deswegen, meine Damen und Herren, ist das (Sehr gut! bei der CDU.)
3 Gesetz, das Ihnen vorliegt, nach meiner Über- Reformgedanken liegen in der Luft. Das ist
zeugung von besonderer Dringlichkeit, und ich nicht zu leugnen. Gerade die Berührung, die un
möchte Sie bitten, alles einzusetzen, um die sere Juristen mit dem angloamerikanischen Ge
rascheVbidungzrmölche. richtsverfahren der Militärgerichte genommen ha
ben, hat ihnen klargemacht, welche Vorzüge in
Meine Damen und Herren! Es kommt hinzu, diesem anders gestalteten Verfahren liegen. Ein
daß auf dem Gebiet des Verfahrensrechts auch gewisser Reiz ist entstanden, unser Strafverfah
noch Bestimmungen gelten, die typisch national- ren diesem Verfahren anzugleichen. Besonders
sozialistischen Charakter besitzen. Ich erinnere den Verteidigern ist die gesteigerte Machtfülle,
beispielsweise an das sogenannte Führerprinzip die der Verteidiger als Gegenspieler des Anklä
in der Gerichtsverwaltung und an die weitge- gers in diesem angelsächsischen Verfahren hat,
hende Beseitigung von Rechtsbehelfen gegen ge- sehr eingegangen. Sie kennen ja die großen Un
richtliche Entscheidungen. Außerdem besteht terschiede dieser beiden Verfahren. Im anglo
eine Reihe von Kriegsbestimmungen, deren Gül- amerikanischen Verfahren lernt . der Richter den
tigkeit zweifelhaft ist und deren Weiterbestand Sachverhalt erst in der Hauptverhandlung ken
sachlich keinesfalls gerechtfertigt werden kann. - nen. Er tritt dem Fall völlig unbefangen gegen
Die rasche Bereinigung auch dieser Probleme ist über. Die beiden Parteien — der Ankläger, der
unbedingt erforderlich. Angeklagte und sein Verteidiger -- entwickeln
Der Entwurf beschränkt sich nun aber, meine den Fall vor dem Richter. Der Richter schwebt
Damen und Herren, ganz bewußt auf die Wie- ais königlicher Richter über den Parteien.
derherstellung der Rechtseinheit in dem angedeu- Ganz anders das kontinentale System, damit
teten Sinne. Er verzichtet also -- und das ist auch das deutsche System, in dem der Vorsit-
wichtig — auf eine Reform des Rechtes der Ge- zende das Verfahren leitet, dem Angeklagten auf
richtsverfassung, der Zivilprozeßordnung und der Grund seiner Aktenkenntnis gegenübertritt, bei
Strafprozeßordnung; nicht etwa deswegen, weil dem Angeklagten vielleicht den Eindruck er-
ich nicht wüßte, daß Reformen, und zwar zum weckt, daß dort oben kein objektiver Richter
Teil weitgehende und grundlegende Reformen, sitzt, sondern jemand, der ihn überführen will.
nötig wären, und nicht deswegen, weil mir diese
nicht am Herzen lägen, sondern deswegen, weil Das sind Probleme, die auftauchen, und wir
beide Ziele, die sofortige Wiederherstellung der werden ihnen nicht ausweichen können. Vor-
Rechtseinheit und die Reformen, miteinander teile und Nachteile haben beide Systeme. Unser
nicht vereinbart werden können. Verfahren hat zweifellos den Vorzug, daß es
der Wahrheitsforschung im stärkeren Maße dient,
(Sehr wahr! in der Mitte.) während dem angelsächsischen Verfahren viel-
Die Wiederherstellung der Rechtseinheit ist das leicht immer noch etwas der Charakter des Pro-
dringende Gebot, und sie muß so rasch wie mög- zesses als Zweikampf anhaftet mit der Gefahr
lich geschaffen werden. Dagegen bedürfen die des sehr zufälligen Ergebnisses des größeren oder
1434 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn:, Mittwoch, den 1. März 1950
(Bundesminister Dr. Dehler)
geringeren Geschicks des einen oder anderen 1933. Es sind aber gerade in den Fragen, die da
Teils. mals schon als reformbedürftig angesehen wur-
Also wir werden reiflich zu erwägen haben, ob den, Neuerungen aus der Zeit nach 1933 über-
wir hier, nicht andere Wege gehen wollen. Aber, nommen worden, die kein Gedankengut des Na-
meine Damen und Herren, das würde einen tionalsozialismus enthalten, sondern die eine sach-
grundsätzlichen Umbau unseres gesamten Ver- gemäße organische Weiterentwicklung unseres
fahrenssystems erfordern, seiner Träger, der Rechts darstellen und die sich nach 1945 bereits
Richterschaft, der Staatsanwaltschaft, der Rechts- in einem Teil unseres Staates als geltendes Recht
anwaltschaft; und wenn nicht ein schädliches durchaus positiv bewährt haben. Das Gesetz, das
Flickwerk entstehen soll, muß man sich hier ich Ihnen vorlege, ist also dahin zu charakteri-
über das Grundsätzliche klarwerden. Auch diese sieren, daß es alles bis zum heutigen Tage inner-
Frage kann nicht im Handumdrehen entschieden halb des Bundes irgendwo geltendes Recht ver-
werden. arbeitet und, soweit es brauchbar ist, übernimmt,
daß allerdings nirgendwo ein Rechtsgedanke ein-
Auch au! dem Gebiet des Zivilprozesses kön- gebaut wurde, der bisher nicht irgendwo schon
nen Reformgedanken hochkommen, vor allem das Rechtens war. In diesem Sinne hat sich also die
Ziel der dreistufigen Gliederung unseres Verfah- Regierung Beschränkungen auferlegt und darauf
rens, das ungefähr so aussieht: Gericht des ersten verzichtet, Reformen vorzuschlagen, um dieses
Rechtszuges im großen Gerichtssprengel, darüber notwendige Vereinheitlichungsgesetz möglichst
Kollegialgericht des Berufungsgerichts und an rasch zur Verabschiedung zu bringen.
der Spitze das Revisionsgericht, etwa entspre- Ich will es mir versagen, auf einzelne Bestim-
chend der jetzigen Gliederung im arbeitsgericht- mungen einzugehen. Es muß das bei der Vielfalt
lichen Verfahren. Aber das ist im Augenblick dieser Bestimmungen der Beratung im Rechts-
einfach nicht durchzuführen. Das würde ge- ausschuß überlassen bleiben. Auf einige grund-
waltige Änderungen besonders auch im Tech- sätzliche Fragen darf ich aber wohl eingehen.
nischen — Verlegung von vielen Gerichten! —
bedeuten. Diese Reformen müssen aufgeschoben Einige Bemerkungen zunächst zum Gerichts-
werden. verfassungsgesetz. Dieses Gesetz enthält in seinem
ersten Teil Bestimmungen über das Richteramt,
Ich habe auch Bedenken gegenüber der sage- Bestimmungen, die vor allem der Sicherung der
nannten kleinen Justizreform, die von verschie- richterlichen Unabhängigkeit dienen. Diese Be-
denen Seiten empfohlen wird, nämlich gegen- stimmungen waren in der Vergangenheit weit-
über dem Vorschlag, noch viel mehr richterliche gehend durchlöchert worden. Der Richter auf
Aufgaben dem Rechtspfleger zu übertragen oder
Lebenszeit war und ist auch heute noch nicht die
in weitergehendem Maße, als es bisher geschah, Regel. Der Hilfsrichter ist eine weithin übliche
den Friedensrichter einzuführen. Sie wissen, daß
Figur geworden. Die Justizverwaltung konnte
in der freiwilligen Gerichtsbarkeit bereits der jeden Richter nach Gutdünken an irgendein Ge-
Rechtspfleger überwiegend an die Stelle des Rich- richt oder an eine Staatsanwaltschaft abordnen.
ters getreten ist. Ich halte es nun nicht für Die richterliche Unabhängigkeit scheint mir aber
richtig, die eigentlichen richterlichen Aufgaben nicht im Interesse des einzelnen, sondern im
des Zivilprozesses und des Strafprozesses zwischen
-

Interesse der unabhängigen Rechtspflege über-


dem Rechtspfleger und dem rechtskundigen Rich- haupt, also im Interesse des rechtsuchenden Bür-
ter zu teilen. Ich bin der Meinung, daß alle Auf- gers — so wesentlich zu sein, daß die Rechtsvor-
gaben des Zivil- und des Strafprozesses den voll schriften, die der Sicherung der richterlichen Un-
ausgebildeten Richter verlangen. Deswegen auch abhängigkeit dienen, wieder ausnahmslos her-
meine Bedenken gegen den Friedensrichter, wenn gestellt werden müssen. Das ist in dem Entwurf
wir auch bereit sind, hier insoweit Württemberg- geschehen. Ich bin mir darüber im klaren, daß
Baden, das auf Grund einer bisher vorhandenen alle diese Bestimmungen in Bälde aus dem Ge-
Ermächtigung den Friedensrichter eingeführt hat, richtsverfassungsgesetz herausgenommen und in
Konzessionen zu machen.
das Richtergesetz übergeführt werden müssen, das
Ich bin der Meinung, daß gerade unser streitiges Ihnen nach Artikel 98 Absatz 1 des Grundgesetzes
Verfahren keine grundsätzliche Änderung be- umgehend vorzulegen ist.
nötigt. Die Novellen der Jahre 1924 und 1933 ha- Im Entwurf wurde weiterhin der sogenannte
-
ben in Anlehnung an den österreichischen Zivil- Führergrundsatz in der gerichtlichen Verwaltung
prozeß alles Erforderliche gebracht. Man kann im beseitigt. An die Stelle der Landgerichtspräsiden-
Augenblick, glaube ich, hier etwas Wesentliches ten und der Oberlandesgerichtspräsidenten, die
nicht bessern. Das, was Ihnen vorliegt, stellt also, bisher in einem Teil der Länder noch die Ge-
wie gesagt, keine endgültige Regelung dar, die auf schäfte auf die Richter verteilten, über Ableh-
die Dauer berechnet ist. Es soll Ihnen vielmehr, nungsgesuche entschieden und da und dort die
das ist mein Wille, in absehbarer Zeit ich Besetzung einer Kammer für bestimmte Prozesse
rechne mit einer Frist von zwei, höchstens drei beeinflußten, soll künftighin wieder das Präsi-
Jahren — eine endgültige neue Gerichtsverfas- dium treten. Das erscheint mir als eine der grund-
sung, eine neue Zivilprozeßordnung und eine neue sätzlichen Bestimmungen unserer Gerichtsverfas-
Strafprozeßordnung vorgelegt werden. Die Vor- sung. Wenn in der Nazizeit die Rechtsprechung
arbeiten hierfür sind von mir bereits eingeleitet weitgehend gelenkt wurde, so nicht primitiv da-
worden und werden mit allen Mitteln gefördert durch, das man unmittelbar Einfluß auf die
werden. Rechtsprechung nahm, sondern dadurch, daß
Ein Wort zu dem Gesamtinhalt des Entwurfes, man Einfluß auf die Besetzung der Gerichte
der Ihnen vorliegt. Es wäre unrichtig zu sagen, nahm, daß nicht das Präsidium -- ich
man gehe in diesem Gesetz ganz allgemein auf möchte sagen, in demokratischer Weise —
den Zustand von 1933 zurück. Gewiß, weite Teile von vornherein genau feststellte, welche
des Gesetzes entsprechen inhaltlich dem Recht des Sache welchem Richter zukam, sondern daß man
Gerichtsverfassungsgesetzes von 1924, der Zivil- hier manipulierte. Solche Möglichkeiten sollen
prozeßordnung und der Strafprozeßordnung von ausgeschlossen werden. Diese Präsidialverfassung
Deutscher Bundestag 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1435
(Bundesminister Dr. Dehler)
soll — das ist neu — auch auf die größeren Amts- eine zweite Tatsacheninstanz und die Revisions-
gerichte ausgedehnt werden. instanz zuzulassen.
Der Entwurf sieht dann weiterhin die Mitwir- Mit dieser Frage komme ich zu der letzten wich-
kung von Laien in der Rechtspflege bei allen tigen Neuerung, die der Entwurf gegenüber der
wichtigen Strafverfahren vor: Schöffengerichte derzeitigen Rechtslage bringt. Der Entwurf sieht
bei den Amtsgerichten, die Besetzung der Straf- die Errichtung eines Bundesgerichtshofs als Nach-
kammern bei den Landgerichten mit Laien, folger des früheren Reichsgerichts vor. Es handelt
Schwurgerichte werden wieder eingerichtet und sich um das in Artikel 96 Absatz 1 des Grund-
einheitlich geordnet. Im Zuge dieser Neuordnung gesetzes vorgesehene obere Bundesgericht der or-
soll die Berufung der Schöffen und Geschworenen dentlichen Gerichtsbarkeit. In seiner Organisation
vereinfacht werden, indem an die Stelle der so- und in seiner Zuständigkeit wird bewußt an die
genannten Urliste die Vorschlagsliste treten soll. bewährte Ordnung des alten Reichsgerichts an-
Das ist eine bedeutsame Neuerung. Künftighin geknüpft, dessen Rechtsprechung sich mit
sollen es also die Gemeindevertretungen in der Recht nicht nur innerhalb unseres Volkes, sondern
Hand haben, durch Wahl besonders geeignete, be- in der ganzen Welt eines allgemeinen und hohen
sonders tüchtige Laien für die Mitwirkung in der Ansehens erfreute. Die besondere Funktion des
Strafrechtspflege zu präsentieren. Das Schwur- Bundesgerichtshofs als Wahrers der Rechtseinheit,
gericht soll in der Form der Emminger'schen Ver- als Trägers einer organischen, behutsamen und
ordnung des Jahre 1924 wiederhergestellt wer- umsichtigen Fortentwicklung des Rechts kann
den. Es soll also nicht das alte Schwurgericht mit schlechterdings nicht entbehrt werden. Der Sitz
der Trennung der Geschworenen- und der Richter- des Bundesgerichtshofs soll im Gesetz festgelegt
bank, wie es in Bayern geschehen ist, geschaffen werden. Ich werde Ihnen rechtzeitig schon im
werden. Für die vorgeschlagene Regelung spre- Ausschuß und zur zweiten Lesung das einschlägige
chen gerade die nach meiner Meinung ungünstigen Material vorlegen.
Erfahrungen, die man in Bayern mit diesem alten Das Grundgesetz sieht über den oberen Bundes-
Schwurgericht gemacht hat. Auf dem Gebiete des gerichten noch ein Oberstes Bundesgericht vor. In
Zivilprozesses sollen auch die Kammern für Han- Artikel 95 heißt es hierzu: „zur Wahrung der Ein-
delssachen in der Besetzung mit einem Berufs- heit des Bundesrechts", für Fälle, „deren Ent-
richter als Vorsitzendem und zwei Persönlichkeiten scheidung für die Einheitlichkeit der Rechtspre-
aus der Wirtschaft als Beisitzer wieder erstehen. chung der oberen Bundesgerichte von grundsätz-
Die Differenzierung der erstinstanziellen Zu- licher Bedeutung ist". Es wird zunächst davon ab-
ständigkeit in der streitigen Gerichtsbarkeit war gesehen, für dieses Oberste Bundesgericht Vor-
in den letzten Jahren — abgesehen von der bri- schläge zu machen. Nach meiner Meinung ist im
tischen Zone — weitgehend sinnlos geworden, weil Grundgesetz nicht festgelegt, daß das Oberste
sowohl beim Amtsgericht wie beim Landgericht Bundesgericht als organisatorisch selbständiges
nur e i n Richter entschied. Der Entwurf bringt Gericht zu errichten ist. Ich werde anregen.
daher wieder die Kammerbesetzung bei den dieses Oberste Bundesgericht aus Mitgliedern der
Landgerichten; die Zivilkammer muß wieder mit oberen Bundesgerichte zu bilden, die nach Bedarf
drei Richtern besetzt werden. Das ist eine Forde- zu einer Art großen Senats zusammentreten
rung, die nicht nur von den Richtern, sondern werden.
auch von den Rechtsanwälten und aus den Krei- Ich möchte diesen Überblick über die wich-
sen der Rechtsuchenden seit langem mit Nach- tigsten Probleme auf dem Gebiete der Gerichts-
druck erhoben worden ist. Diese Forderung ist verfassung nicht schließen, ohne darauf hinzu-
durchaus begründet; denn der Ausgang eines weisen, daß auf die Interessen der Länder in un-
Zivilprozesses, der über eine bestimmte Wert- serem Entwurf in gebührender Weise Rücksicht
grenze hinausreicht, entscheidet häufig über das genommen wird. Das bayerische Oberste Landes-
wirtschaftliche Schicksal eines Bürgers, über das gericht, das sich nach meiner Meinung dank seiner
Wohl und Wehe einer ganzen Familie. In solchen vorzüglichen Rechtsprechung eines berechtigten
Fällen muß dem Rechtsuchenden jede Garantie Ansehens erfreut und in der bayerischen Ge-
geboten werden, daß er zu seinem Recht kommt. schichte auf eine lange Tradition zurückblicken
Erfahrungsgemäß wird das nur dort gewähr- kann. wird in seiner alten Zuständigkeit erhalten.
leistet, wo eine kollegiale Beratung und eine kol- Für Württemberg-Baden — ich habe es schon er-
legiale Entscheidung stattfindet. wähnt — wurde ein Vorbehalt zugunsten der dort,
In diesem Zusammenhang ein Wort über die eingeführten Friedensgerichtsbarkeit gemacht,
Frage der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen trotz zahlreicher kritischer Stimmen, die gegen
Amtsgericht und Landgericht in vermögensrecht- die Brauchbarkeit dieser Einrichtung in ihrem
lichen Streitigkeiten. Die Frage ist sehr umstrit- augenblicklichen Umfang laut geworden sind.
ten; die Interessen sind widerstreitend. Der Ent- Bei der Verfolgung von Hochverrat, der sich
wurf schlägt vor. daß Sachen mit einem Streit- gegen die Länder richtet, ist den Wünschen der
wert über 1 000 D-Mark vor dem Landgericht zu Länder, diese Verbrechen unter Umständen selbst
verhandeln sin d. Die bisherige Streitwertgrenze. zu verfolgen, Rechnung getragen.
die nach 1945 2 000 D-Mark betrug und seit Auf- Die Ausbildung des juristischen Nachwuchses
hebung des Kontrollratsgesetzes Nr. 4 durch das — eine hochbedeutsame Frage, die an sich drin-
Gesetz Nr. 13 in einem Teil des Bundes 1 500 D- gend einer einheitlichen Ordnung bedarf — wurde
Mark beträgt, scheint bei der gegenwärtigen im Gesetz so elastisch formuliert, daß auch hier
Geldknappheit und bei der hohen Kaufkraft des den Ländern Raum bleibt, sie entsprechend ihren
Geldes bei weitem zu hoch zu sein. besonderen Wünschen zu variieren.
Der Instanzenzug in den Zivil- und Strafsachen So viel zur Frage der Gerichtsverfassung. Nur
ist im Entwurf gegenüber der bestehenden Rechts- ganz kurz einige Bemerkungen zu dem Gebiet der
lage wieder ausgebaut worden. Wer den Rechts- ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit, also des
staat ehrlich will, kann sich der Notwendigkeit Zivilprozeßverfahrens. Auch hier sind die Ziele:
nicht verschließen, in a llen Fällen grundsätzlich die Beseitigung der Kriegsgesetzgebung, die Wie-
1436 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Bundesminister Dr. Dehler)
derherstellung der Rechtseinheit, soweit sie nach Jahre 1933 vorgesehen war. Wir sind auch zum
1945 verlorengegangen ist, und die Wahrung der Eröffnungsbeschluß zurückgekehrt und haben da-
Rechtseinheit für die Zukunft. Auch hier gibt es mit den während der nationalsozialistischen Zeit
nur wenige Punkte, in denen Teile der Kriegs- eingeführten Grundsatz beseitigt, . daß der Staats-
gesetzgebung deswegen übernommen werden, weil anwalt im wesentlichen allein darüber entscheidet,
sie aus berechtigten Reformwünschen entsprungen ob es zur Hauptverhandlung kommen soll oder
sind, so beispielsweise der Amtsbetrieb im land- nicht. Ich sehe im Eröffnungsbeschluß, wenn er
gerichtlichen Verfahren oder die Beseitigung des nicht eine Formalie bleibt, wenn er vom Gericht
Güteverfahrens. Rechtseinheit durch die höchst- richtig gehandhabt wird, zu einem Filter der An-
richterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofes! klage wird, einen wesentlichen Rechtsschutz für
Insoweit ist das Problem entstanden, in welchem den Bürger; denn oft ist ja die Durchführung des
Umfange die Revision zum Bundesgerichtshof zu- Verfahrens schon eine schlimmere Strafe als der
gelassen werden soll. Wir schlagen Ihnen vor, daß Urteilsausspruch selbst. Wir haben weiterhin die
künftighin die Revision nicht nur nach dem seit 1931 in ständig steigendem Maße erlassenen
Streitwert zugelassen wird sondern daß für die Vorschriften über die Einschränkung der Rechts-
Zulässigkeit analog dem Verfahren im Arbeits- mittel wieder beseitigt und im wesentlichen die
gerichtsgesetz auch eine besondere Zulassung nach Rechtsmilgafn,wemJhr1924
dem Ermessen des Oberlandesgerichts — des Be- gegeben waren.
rufungsgerichts — möglich sein soll, wenn sie rot-
wendig erscheint infolge der rechtlichen Bedeu- Es gibt noch eine Fülle von Problemen, die zu
tung des Falles, so will ich einmal sagen. erörtern wären; aber es würde zu weit führen,
wenn ich darauf eingehen wollte. Ich beschränke
Hier sind seitens des Bundesrats abweichende mich auf das Gesagte.
Vorschläge gemacht worden. die Sie in den Druck-
sachen finden. Der Bundesrat schlägt vor, daß Wir wollen Gerichtsverfassungsgesetz, Zi vil-
neben dem positiven Ausspruch über die Zulas- prozeßordnung und Strafprozeßordnung neu fas-
sen, um der Praxis einwandfreie Texte an die
sung der Revision durch das Oberlandesgericht
auch eine Entscheidung über die Nichtzulassung Hand zu geben. Ursprünglich war vorgesehen. daß
erfolgns,udzwamiterMöglchk,'daß das Bundesjustizministerium dazu ermächtigt
gegen diesen Beschluß der Nichtzulassung sofor- wird. Ich habe aber gern die Anregung des Bun-
tige Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt desrats aufgenommen. daß Sie schon im Gesetz-
werden kann. Ich wende mich gegen diesen Vor- gebungsgang diese neuen Gesetze beschließen.
schlag nach den Erfahrungen, die wir im arbeits- (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
gerichtlichen Verfahren und jetzt auch in der bri- Meine Damen und Herren! Ich bin der Mei-
tischen Zone bei der Revision zum obersten Ge- nung daß das Ihren vorgelegte Gesetz, wenn es
richtshof der britischen Zone gemacht haben. Der beschlossen wird, den. Richtern. den Anwälten und
Vorschlag des Bundesrats würde zu einer erheb- Rechtsuchenden die Möglichkeit schafft. ordentlich
lichen Mehrbelastung des Bundesgerichtshofs zu arbeiten. Damit wird für die deutsche Justiz 0
führen, ohne daß damit ein sachdienliches Ergeb- viel erreicht sein. Aber es wird nicht das Ent-
nis verbunden wäre. scheidende erreicht werden; denn die Güte einer
Was das Strafverfahren anlangt, so haben wir Rechtsprechung hängt nicht so sehr von den tech-
es für nötig gehalten zunächst einmal das Straf- nischen Verfahrensvorschriften ab als von den
verfahren dem Grundgesetz hinsichtlich der Vor- Personen, die sie handhaben,
schriften über die Freiheitsentziehung, die Durch- (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien)
suchung und die Gleichstellung von Mann und
Frau anzupassen. Wir haben vor allem auch dafür vor allem von den Richtern. Der deutsche Richter
Sorge getragen, daß der Rechtsschutz auf dem steht gegenw ä rtig wieder im Scheinwerferlicht der
Gebiete der Untersuchungshaft und der vorläu- ffentlichen Betrachtung. Ich halte es für meine ö

figen Festnahme verstärkt wird durch die Ein- Pflicht. herzu ein Wort zu sagen. Wir haben
führung schärferer Voraussetzungen für die Ver- schon einmal nach dem Zusammenbruch des
hängung der Untersuchungshaft, durch die Ein- Kaiserreiches eine Zeit starker Angriffe gegen
schränkung der Fälle der Untersuchungshaft, vor das Richtertum. auch starker Angriffe gegen die
allem durch die Streichung einer Bestimmung. die nabhängigkeit des Richters erlebt. Man hat dem U

überaus gefährlich war und die mit dem Wesen Richter in den zwanziger Jahren politische Be-
der Untersuchungshaft gar nicht in Einklang ge- fangenheit vorgeworfen. Man hat ihm Abneigung
bracht werden konnte, — ich meine den Fall der gegen die Republik gegen den demokratischen
Verhängung von Untersuchungshaft. wenn ein Staat. Verletzung der Grundsätze der Gerechtig-
Mißbrauch der Freiheit zu neuen Straftaten zu keit in politischen Fragen vorgeworfen. Es wird
befürchten war. Wir haben das Haftnrüfungs- niemand den Mut haben. zu leugnen. daß in ienen
verfahren im früheren Umfange wieder ein- hren Fehlurteile gefällt worden sind, daß die Ja

geführt. Wir haben die generelle Entscheidungs- Weimarer Republik und ihre Symbole bei den
befugnis des Richters hinsichtlich des Vollzugs der Gerichten häufig nicht den erforderlichen Schutz
Untersuchungshaft wieder festgelegt. Während des fanden.
Krieges war ein Teil dieser Entscheidungsmacht (Zustimmung links. — Abg. Löbe:
weitgehend auf den Staatsanwalt oder auf den Und ihr Präsident!)
Anstaltsleiter übergegangen., Wir hab en die Vor- Man muß, wenn man zurückschaut. feststellen,
schrift über die vorläufige Festnahme dem Grund- daß unser Volk in jener Zeit das Vertrauen zur
gesetz angepaßt, haben weiterhin im Verfahren an Gerichtsbarkeit weitgehend verloren hatte: aber,
sich den Einfluß der Staatsanwaltschaft, der in der ich meine. nicht nur durch diese Urteile. die der
nationalsozialistischen Zeit überstark betont war, Kritik zugänglich waren, ich möchte fast sagen,
wieder zurückgedrängt, vor allem — auch das er- noch mehr durch eine übersteigerte Agitation und
scheint mir bedeutsam — durch die Wiederein- Polemik gegen die deutsche Justiz mit ihren nicht
führung der gerichtlichen Voruntersuchung im veranlaßten Verallgemeinerungen und mit ihren
wesentlichen in dem Umfange, in dem sie im oft tendenziösen Aufbauschungen. Ich halte mich
Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1437
(Bundesminister Dr. Dehler)
für verpflichtet zu sagen, daß nach meinen Er- sozialistischen Zeit nicht bewährt hätten, daß sie
fahrungen die deutschen Richter aus der Wei- versagt haben,
marer Zeit mit wenigen Ausnahmen gutgläubig, (Zurufe links)
gutwillig waren, daß sie ihre Pflicht aus dem eine Frage, die auch jetzt nachwirkt.
Willen zur Gerechtigkeit erfüllten und daß sie (Erneute Zurufe links.)
weit davon entfernt waren, das Recht zu beugen.
Wir haben schon im Parlamentarischen Rat dar
(Sehr wahr! rechts. — Zurufe links.) über gerechtet. Auch die Dinge müssen einmal zu
Ich verkenne keineswegs, daß viele dieser Rich- einer Klärung kommen, wenn die Justiz in unserem
ter mit dem damaligen ungeheuerlichen Umbruch Staat die Bedeutung haben soll, die unser Staat
aller gesellschaftlichen und staatlichen Verhält- braucht. In einem autoritären Staat — das muß
nisse innerlich nicht fertig geworden sind, jeder wissen — wird die Unabhängigkeit des Rich
(Unruhe und Zurufe links) ters ertötet. Ein autoritärer Staat benutzt die Ju
daß viele aus einer Art, ich möchte sagen. von stiz als Mittel für seine trüben. Zwecke. Das ist
Pseudo-Feudalismus dem neuen Staat abhold im Dritten Reich nicht anders geschehen. Aber
waren. Das war eine Minderheit, eine Minderheit, der, der der Justiz nahe stand, muß feststellen,
die es bei uns in Süddeutschland mit seiner ge- in welchem Umfange der deutsche Richter diesem
wachsenen Demokratie überhaupt nicht gab. ungeheuerlichen Druck Widerstand geleistet hat.
(Sehr richtig! bei der CDU. — (Lachen links.)
Zurufe links.) Ich halte es für meine Pflicht, zu sagen:
Man muß, wenn man die Dinge richtig beurteilen (Zuruf links: Haben Sie vor dem Volks
will, auch wissen, vor welche Aufgaben die deut- gericht gestanden? Freisler!)
schen Richter damals gestellt wurden, Aufgaben, die Fülle der Richter, die jetzt am Werke sind,
die teilweise von den Richtern gar nicht bewältigt verdienen Ihr Vertrauen, meine Damen und Her-
werden konnten. ren. Das sind hervorragende Männer mit lauterer
(Zuruf links: Da hätten sie Gesinnung, mit hoher Bildung, mit makellosem
verschwinden müssen!) Lebenswandel, die mit hervorragender Pflicht-
Meine Damen und Herren, es gibt in der ge- treue sich unter schwersten Umständen ihrer ho-
schichtlichen Entwicklung eines Volkes Vorgänge, hen Aufgabe hingeben.
die sich der Judifizierung entziehen, die man (Abg. Dr. Greve: Nicht ohne politischen
rechtlich gar nicht erfassen kann. Makel! — Unruhe.)
Gestern hat von diesem Platz unser Bundes- Ich will es mir versagen, auf Einzelheiten ein-
präsident an das Schicksal erinnert, das dem zugehen. Gewiß. hier liegt viel an Aufgaben vor
Reichspräsidenten Ebert widerfahren ist. Wer uns. Es gibt nicht mehr den vollsaftigen Richter,
denkt da nicht mit Abscheu und mit innerer Er- wie wir ihn uns wünschen, wie ich ihn noch als
regung an jene Vorgänge! Wenn man tiefer bohrt, junger Referendar erlebt habe. Unser Volk hat
dann erkennt man. daß der Richter am Ende doch
gar nicht in der Lage war, mit Rechtsbegriffen
— nicht nur auf dem Gebiet der Justiz -- viel an
Substanz verloren, und es muß viel geschehen, um
einen gewaltigen geschichtlichen Vorgang wie da- diese Substanz zurückzugewinnen,
mals die Vorgänge im Jahre 1918 zu erfassen und (Sehr richtig! rechts)
zu judifizieren.
auch beim Richtertum; das gestehe ich zu. Viele
(Unruhe und Zurufe links.) Richter. die fetzt im Amte sind. sind junge Men
Wir wollen über diese Dinge nicht rechten. schen oder Menschen. die lange durch Kriegs
(Erneute Zurufe links. — Abg. Renner: dienste und durch Gefangenschaft ihrer Aufgabe
Da konnten diese unabhängigen Richter ferngehalten waren. Viele sind vielleicht über
abtreten! — Glocke des Präsidenten.) altert; es fehlen die mittleren Jahrgänge. oder sie
-- Ich gehe weitgehend mit Ihnen einig. daß der sind auf jeden Fall dürftig besetzt. Hier muß
vieles anders werden, und vor Ihnen, meine Da
Richter viel eher zu einem non liquet hätte kom-
men müssen, wenn er die Grenzen des Richter- men und Herren, wird die große Aufgabe stehen,
tuns erkannt hätte. -
diesen Richter. den deutschen Richter, aus der
Herr Präsident, ich bitte mir das Recht aus, in Enge. aus der Kleinheit herauszuheben. Ein Rich
diesem Zusammenhang etwas zu sagen. Sie woll- ter. der in der Notdurft des Tages erstickt. hat
ten mich eben zum Schluß mahnen. Es ist mir nicht die Weite des Blickes, hat nicht die Über
nicht bekannt, daß eine bestimmte Zeit für meine legenheit, die von einem Richter verlangt wird.
Darlegungen vorgesehen war. Ich halte es für (Zurufe von der SPD. — Abg. Dr. Greve:
meine Pflicht, Der taugt aber auch nicht zum Richter!)
(Abg. Schoettle: Wir haben verabredet, daß Ich möchte bitten, Herr Präsident, daß ich in
nur . die Begründung entgegengenommen diesem Zusammenhange etwas sagen darf, was
wird! Wenn Sie so reden, ist die Aussprache ich für politisch wichtig halte. Wir müssen die
beinahe unvermeidlich!) Dinge bereinigen, wir müssen -- und der Anlaß
die Gelegenheit zu benutzen, Ihnen über die ge dazu ist gegeben — auch das aussprechen. was sich
genwärtige Lage des Richtertums im Zusammen jetzt um den Namen Hedler herum angesponnen
hang mit dem, was in den letzten Wochen ge hat.
schah, aus meiner Verantwortung etwas zu sagen, (Lebhafte Zurufe links: Aha!)
und ich bitte, mir diese Möglichkeit zu gewähren. Wir müssen es klären, wenn nicht unsere Justiz
(Zuruf links: Vorsichtig! Abg. Renner: schweren Schaden nehmen soll.
Dann Aussprache hinterher, da gibt es (Zuruf von der SPD: Hat sie
eine Debatte!) schon genommen!)
Lassen Sie mich ein Wort sagen. Man wirft un- Ich bedauere, wenn das mit Ihren jetzigen Dispo
seren Richtern vor, daß sie sich in der national sitionen nicht übereinstimmt, aber ich halte es
1438 Deutscher Bundestag - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Bundesminister Dr. Dehler)
für meine Pflicht, darüber heute, in dieser Stunde (Sehr wahr! links)
etwas zu sagen. und darüber müssen wir sprechen. Ich habe das
Unsere Richter haben schon vor dem Fall Hedler Recht, nachdem die Dinge in der Öffentlichkeit
Kritik erfahren. verhandelt worden sind, Ihnen meine Meinung da-
(Abg. Dr. Schmid: Es gab einige Urteile, zu zu sagen.
die waren nicht schön!) Was hat sich ereignet?
— Ihre Haltung in vielen politischen Prozessen (Zuruf links: Hedler wurde freigesprochen!)
ist — ich gebe Ihnen, Herr Kollege Schmid, Ein Abgeordneter hat im November vorigen
recht -- der Kritik unterzogen worden, teilweise Jahres eine Versammlung des Abgeordneten Hed-
vielleicht auch berechtigter Kritik. Aber es tut ler in Einfeld bei Neumünster besucht.
not, auch darüber einmal zu sprechen. Meine Da- (Lebhafte Zurufe links. —
men und Herren, das muß man aus der Nähe er- Glocke des Präsidenten.)
lebt haben, um zu wissen, wie gewaltig die Auf-
gabe eines Richters ist, der einen Vorfall, der vor Präsident Dr. Köhler: Herr Minister, ich darf
10 und mehr Jahren gespielt hat, klären und, was doch darauf aufmerksam machen: es handelt sich
noch viel schwieriger ist, die Schuld eines Men- nur um die Einbringung des Gesetzentwurfs. Ich
schen feststellen soll. Er muß ja das Maß der bitte, von weiteren solchen Ausführungen ab-
Schuld erfassen, um das Maß der gerechten zusehen.
Strafe feststellen zu können. Wie schwierig, die (Große Unruhe.)
Dinge zu rekonstruieren, die in dieser schauer-
lichen Zeit von 1938 und in der Folgezeit ge- Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Herr Prä-
schehen sind, wie namenlos schwer, festzustellen, sident, ich möchte doch bitten, mir die Gelegen-
aus welcher Haltung, unter welchem Druck, in heit zu geben.
welcher geistigen Verirrung der einzelne gehan- (Zuruf links: Sollte man das nicht dem
delt hat. Berufungsverfahren überlassen?!)
(Rufe links: Schluß! -- Abg. Dr. Greve: Ich werde mich sehr kurz fassen, diese brennende
Sie sprachen ja zum Teil in eigener Sache, Angelegenheit nur kurz darstellen.
Herr Bundesminister!) (Zuruf des Abgeordneten Löbe.)
Ich sage noch einmal: namenlose Schwierigkeiten! Das ist ja auch nicht außerhalb des Sachzusam-
Aber die Dinge haben sich jetzt konzentriert zum menhangs.
Fall Hedler, und der Fall Hedler droht sich wie (Große Unruhe. -- Glocke des Präsidenten.)
ein Meltau auf unsere junge deutsche Justiz zu
legen. Deswegen, Herr Präsident, bitte ich Sie und Meine Damen und Herren, was nützt es denn,
bitte ich das Haus, mir, der immerhin der Bundes- wenn wir
minister der Justiz ist, zu gestatten, ein Wort da- (Zuruf links: Ein schwebendes Verfahren!)
zu zu sagen. Das halte ich für geschichtlich not- die beste Gerichtsverfassung, die besten Ver
wendig; fahrensordnungen schaffen, und diese Justiz ist
(Zurufe links) genau so, wie Sie es sich vorstellen: es sind wirk
denn ich habe das Empfinden. daß die deutsche lich Richter am Werk, die ihre Pflicht verletzen
Justiz Schaden zu nehmen droht, und die am Ende das Recht beugen. Ich glaube, es
(Abg. Dr. Greve: Durch sich selbst!) ist geschichtlich notwendig, hier ein Wort der
Klärung zu sagen. Ich weiß nicht, Herr Präsident,
daß wieder einmal - ich habe deswegen daran ob Sie mir die Möglichkeit dazu geben wollen.
erinnert — wie vor 25 Jahren das zu beginnen
droht, was man eine Krisis des Vertrauens zur Präsident Dr. Köhler: Herr Minister, darf ich Sie
deutschen Justiz nennt. nur darauf aufmerksam machen: es ist jetzt in
Meine Damen und Herren! Ich erhalte Tag für erster Linie eine Frage des Zeitprogramms. Wir
Tag Briefe. Telegramme, Resolutionen von allen hatten einen ganz bestimmten zeitlichen Ablauf
möglichen Gruppen und von Einzelpersonen, die festgelegt.
sich mit oft diffamierenden Worten gegen die (Zuruf links: Jetzt muß debattiert werden!)
deutsche Justiz wenden: Worte wie ,.Schandurteil", -
.,faschistische Justiz" sind gang und gäbe. Man Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Ich gebe
hat das Gefühl, daß alle diese Proteste eine anheim, ich will das nicht erzwingen. Ich hielt
Quelle haben. mich nur vor meinem Gewissen verantwortlich,
(Zuruf von der KPD: Ja, die Quelle ein Wort zu dieser Frage zu sagen. Aber ich füge
des Volkes!) mich selbstverständlich der Entscheidung des
Aber .--- und das ist das Beängstigende — man Herr Präsidenten.
hat das Empfinden, bei Tausenden und aber Tau-
senden von Menschen nistet sich die Überzeugung Präsident Dr. Köhler: Ich habe es Ihnen eben
ein: Unsere deutsche Justiz ist anheimgestellt, Herr Minister.
(Zuruf links: Eine Farce der Demokratie!) Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Wenn das
dieses Staates nicht würdig, Haus einverstanden ist, dann bitte ich. mir die
(Sehr richtig! links) Möglichkeit einer konzentrierten Darstellung der
ist eine Justiz, die sich gegen unseren Staat Dinge zu geben, nicht um meinetwillen, sondern
richtet. Solche Auffassungen beweisen, wie not- wirklich um der Bereinigung willen.
wendig es ist, daß wir diese Dinge zu klären ver- (Abg. Dr. Greve: Wie wollen Sie denn in
suchen. ein schwebendes Verfahren eingreifen,
(Erneute Zurufe links: Sehr richtig!) Herr Minister!?)
Man behauptet, daß der Fall Hedler ein Symptom — Ich spreche über die Dinge, die offenkundig
des Versagens der deutschen Justiz sei, sind!
Deutscher Bundestag - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1439
(Bundesminister Dr. Dehler)
(Abg. Dr. Greve: Nein! Das können Sie Dr. Dehler Bundesminister der Justiz: Ich will
doch gar nicht wissen, was offenkundig mich sehr kurz fassen und Ihnen im Rahmen der
ist und was nicht! — Gegenruf rechts: augenblicklichen Lage der deutschen Justiz die
Wissen Sie es denn? — Abg. Renner: Sie Bedeutung dieses Falles dartun.
sprechen ihn zum zweiten Mal frei! Das Also: Anklageerhebung im wesentlichen auf
ist die Methode, mit der Sie hier an- Grund der Angaben dieses Abgeordneten. Dann
fangen! — Gegenruf rechts: Das ist doch die Verhandlung, in der — das darf man wohl
unerhört, den Justizminister so zu unter- feststellen,
brechen! — Anhaltende Unruhe. — (Zurufe links: Nein!)
Glocke des Präsidenten.)
und das wird auch der Herr Abgeordnete Greve
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! nicht bestreiten — eine Fülle von Zeugen ver-
Ich bitte jetzt noch einmal, Ruhe zu bewahren! nommen wurden und versucht. wurde, ein ge-
(Abg. Dr. Schmid: Ich glaube, es empfiehlt rechtes Urteil zu finden.
sich nicht, den Fall Hedler jetzt aufzurollen!) (Abg. Dr. Greve: Das bestreite ich schon,
Herr Minister!)
Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Meine Die Verhandlung vor diesem Gericht, das als
Damen und Herren! Es ist doch so, daß sich diese Strafkammer zusammengesetzt war aus drei Be-
Dinge wie ein Gift in unseren Volkskörper fres- rufsrichtern und zwei Schöffen, ergibt zumindest
sen, daß das Vertrauen unseres Volkes zu seiner erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der An-
Justiz schon wieder vernichtet wird. Was nützt gaben dieses Zeugen. Auf Grund genauer Prü-
denn hier die Technik der Gesetzgebung, wenn fung des Sachverhaltes — ich will, nachdem Re-
draußen alles zuschanden wird! vision eingelegt worden ist, wahrlich nicht in das
(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Verfahren eingreifen — kommt das Gericht im
Ich nehme Ihr Einverständnis damit an, daß ich wesentlichen zu dem Ergebnis: man kann das, was
Ihnen meine Stellung zu dieser Frage darlege. damals gesagt wurde, nicht feststellen. Der
(Unruhe und Widerspruch links.) größere Teil der Zeugen, darunter auch Zeugen,
die politisch gegnerisch zu dem Angeklagten ein-
Es handelt sich um die Versammlung des Herrn gestellt sind, bestätigen die Angaben des Bela-
Hedler in Einfeld bei Neumünster. Ein gegne- stungszeugen nicht. Das Gericht erklärt ausdrück-
rischer Abgeordneter, will ich einmal sagen, lich: Wenn wahr wäre, was dieser Mann gesagt
nimmt an dieser Versammlung teil. Es werden haben soll, wenn wahr wäre, was ihm unterstellt
Probleme erörtert, die ihm vielleicht wesensfremd worden ist,
sind,
(Zuruf links: „Wesensfremd" ist gut!) (Abg. Dr. Greve: „Wenn es wahr wäre!" —
Zuruf links: Unerhört!)
es wird die Judenfrage aufgeworfen, es wird die
Frage der Bewertung des Verhaltens der Wider- wenn diese Ungeheuerlichkeiten gegen die Juden,
standskämpfer erörtert, es werden Vorwürfe ge- gegen die Widerstandskämpfer, gegen die poli
gen politische Persönlichkeiten erhoben. Der Ab- tischen Persönlichkeiten wahr wären, dann wäre
geordnete macht sich Stichworte. Am nächsten der Angeklagte einer exemplarischen Strafe zu-
Tag fertigt er auf Grund dieser Stichworte einen geführt worden. Das Gericht spricht frei, im we-
sentlichen deshalb, weil ein Beweis nicht zu er-
Bericht an.
bringen war.
(Abg. Dr. Schmid: Es ist doch unmöglich,
hier den Fall Hedler zu erörtern! — Abg. (Abg. Dr. Greve: Traurig genug!)
Zinn: Herr Präsident, walten Sie Ihres Dann sollte man doch meinen, wir alle hätten
Amtes!) Anlaß, uns zu freuen, daß diese ungeheuerlichen
Auf Grund dieses Berichtes erfolgt die Aufhebung Dinge nicht bestätigt worden sind.
der Immunität, erfolgt Anklageerhebung. Soviel (Lachen und Zurufe links.)
nur in ganz kurzen Stichworten darüber, wie sich Statt dessen Angriffe, die in schärfster Weise
die Dinge abgespielt haben. gegen die Justiz geführt wurden!
(Erneute Unruhe und anhaltende Zurufe ((Abg. Dr. Greve: Die Straße saß auf der
links. Glocke des Präsidenten.) -
Tribüne in Gestalt der früheren Orts
Präsident Dr. Köhler: Herr Minister, darf ich gruppe der NSDAP, Herr Minister!)
einmal an Sie appellieren! Es war im Ältestenrat Meine Damen und Herren, da komme ich nicht
vorgesehen mit.
(Zuruf links: Das geht jetzt nicht mehr!) (Zuruf links: Wir auch nicht! — Abg. Dr.
-- Verzeihung, ich habe das vorhin bekannt- Greve: Auf der Tribüne war die Straße!)
gegeben! —,
In der Welt ist auf Grund dieser damals über-
(Abg. Dr. Greve: Die Vereinbarung stürzten Mitteilungen der Eindruck entstanden, in
ist sowieso vorbei!) Deutschland sei der Hitlergeist noch lebendig,
daß hier lediglich die Einbringung der Gesetzes- (Zuruf links: Eben das ist es!)
vorlage erfolgt und daß dann die Vorlage ohne
Debatte an den Ausschuß überwiesen wird. da würden die Verbrechen der Hitlerzeit verherr-
(Abg. Dr. Schmid: Das ist nicht mehr möglich!) licht, da sei der Neofaschismus am Werk! Ein Ge-
richt stellt -- nach meiner Überzeugung, soweit
— Ich bitte doch, sich nach diesem Grundsatz zu das ein Außenstehender überhaupt sagen kann,
richten. ehrlichen Bemühens — das Gegenteil fest. In die
(Lebhafter Widerspruch und Zurufe links.) Welt und in unser Volk dringt nicht die Über-
- Das wird sich ja nachher zeigen. zeugung: es ist nicht wahr, was Schauerliches be-
(Abg. Dr. Schröder: Weiter! — Abg. Frau Dr. hauptet wurde, sondern es stürzt sich die ganze
Weber: Für Ruhe sorgen!) Empörung, die wohlweislich aus dem Hintergrund
1440 Deutscher Bundestag - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Bundesminister Dr. Dehler)
gelenkt wird, auf die Richter und auf die deutsche Justiz wirklich zur Zitadelle der deutschen Demo-
Justiz. kratie wird.
(Lebhafte Rufe links: Hört! Hört! (Beifall bei der FDP und in der Mitte.)
Unerhört!)
Meine Damen und Herren, ich will über die Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
Sache nicht mehr sagen, da bereits zwei Wortmeldungen vorliegen, er-
(Zuruf links: Es reicht auch!) öffne ich die Aussprache. Als erster hat das Wort
Herr Abgeordneter Zinn.
aber das eine lassen Sie mich doch zum Ausdruck
bringen: Es besteht die Gefahr, daß auf diese Weise Zinn (SPD): Meine Damen und Herren! Ich
unser Staat untergraben wird, bevor er richtig zum glaube, daß in den letzten Jahren wohl niemals
Entstehen gekommen ist. Unsere Demokratie wird der deutschen Justiz und damit im Grunde auch
nicht bestehen können, wenn sie nicht getragen dem Recht ein schlechterer Dienst als durch die
ist von dem Vertrauen ihrer Bürger. Der Herr Ausführungen erwiesen worden ist, die soeben der
Bundespräsident hat als erstes Wort, das et als Herr Bundesjustizminister gemacht hat.
Staatsoberhaupt sprach, uns an die Mahnung des
Psalmisten erinnert: Gerechtigkeit erhöhet ein (Sehr richtig! bei der SPD.)
Volk. Das ist meine Überzeugung, Nach derartigen Ausführungen hätte ein Justiz-
(Zurufe links) minister in einem Land, zumindest in den süd-
deutschen Ländern, gewisse Konsequenzen er-
und dafür will ich kämpfen, nachdem ich dieses warten müssen. Er hätte damit rechnen müssen,
Amt übernommen habe. Die Gerechtigkeit allein daß er zum Rücktritt veranlaßt wird.
muß die tragende Idee unseres demokratischen
Staates sein, der Rechtsstaat das beherrschende (Abg. Euler: Wieso sprechen S i e das aus?)
Ordnungsprinzip und der Richter der Träger — Das ist meine Meinung. Der Herr Bundesjustiz-
dieser Gedanken! minister hat aus Anlaß der Begründung des Ge-
(Abg. Dr. Greve: Aber andere Richter!) setzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit die
Justizkrise, die in Deutschland permanent seit
Es ist nur die Idee des Rechtsstaates, die uns vom mehr denn einem Vierteljahrhundert vorherrscht,
Osten scheidet. zum Gegenstand einer neuen Erörterung gemacht,
(Lachen bei der KPD. — Abg. Dr. Greve: die weder seinem Ansehen noch dem Ansehen des
Diese Urteile sind der beste Weg zur deutschen Richters irgendwie dienlich gewesen
„Volksjustiz", Herr Bundesjustizminister!) ist.
Wir müssen das Volk lehren, den Gedanken des (Abg. Euler: Über dieses Ansehen entscheiden
Rechts wieder zu lieben. Wir müssen erreichen, Sie nicht allein!)
daß unser Volk sein Recht und seine Richter Der Herr Bundesjustizminister hätte gut daran
liebt und daß es bereit ist, für sein Recht zu getan, die Rede des Herrn Bundespräsidenten, die
kämpfen. Dieser Wille wird dadurch gelähmt, daß gestern an dieser Stelle gehalten worden ist, mit
man dem Richter die Vertrauenswürdigkeit ab- mehr Aufmerksamkeit zu verfolgen,
spricht. (Sehr gut! bei der SPD)
(Unruhe.)
dann wäre vielleicht manches in seinen Ausfüh-
Es scheint auch vielen Politikern nicht bewußt rungen unterblieben, manches von ihm nicht ge-
zu sein, daß es die wichtigste Aufgabe des Staates sagt worden, was er gesagt hat.
ist, dafür zu sorgen, daß jedem sein Recht wird Im Jahre 1946 haben wir in den süddeutschen
und daß Recht geschieht — gut, es gibt manches zu Ländern, so auch in Hessen, Verfassungen aus-
wünschen — daß aber Mißtrauen verdirbt und nur
,
gearbeitet. Auch damals haben wir uns mit den
Vertrauen erzieht. Wir wollen doch den Richter Problemen der Justiz, mit der Justizkrise, der
schaffen, der ein Recht spricht. das unser Volk Haltung der deutschen Juristen, insbesondere der
versteht und das es überzeugt. Der Weg, den wir deutschen Richterschaft in der Zeit von Weimar,
einzuschlagen drohen, führt von diesem Ideal aber auch danach beschäftigt. Es war kein ge-
weg. Hier ist vieles zu tun, und deswegen spreche ringerer als ein heute diesem Hause angehörender
ich im Zusammenhang mit der Neuordnung un- - führender Politiker der CDU, der dem Sinne nach
seres Gerichtsverfassungsrechts darüber. Niemand damals zum Ausdruck gebracht hat, daß ange-
weiß das besser als ich, der sich nach dem Zu- sichts der Haltung nicht vielleicht der Mehrheit,
sammenbruch des Nationalsozialismus dieser Auf- aber eines erheblichen Teils der deutschen Rich-
gabe verschrieben hat, den deutschen Staat zu terschaft sowohl vor 1933 als auch in der Nazi-
einem Rechtsstaat zu machen, nach seinen schwa- zeit einem die Schamröte in das Gesicht steigen
chen Kräften mitzuwirken, daß eine saubere, eine müsse, und dieser Politiker ist der Führer der
hochwertige, eine demokratische Justiz entsteht. Bundestagsfraktion der CDU, der Herr Abgeord-
Ich sage mit Bewußtsein demokratische Justiz, nete Dr. von Brentano.
denn da gehe ich mit Ihnen einig. Wer sich unter
den Richtern nicht zu dem bekennt, was wir als (Abg. Renner: Das ist schon 5 Jahre her!)
Ziel in unser Grundgesetz geschrieben haben, den Ich glaube von ihm, daß er auch heute noch zu
sozialen, den demokratischen, den republika- diesem Wort stehen wird.
nischen Rechtsstaat zu schaffen, der muß weichen. (Abg. Renner: Nein, das ist ein Irrtum!)
(Abg. Dr. Greve: 80 Prozent Mitglieder Ich will nur andeutungsweise auf die Ausfüh-
der NSDAP! Dann wären Sie bald allein, rungen hinweisen, die der bekannte katholische
Herr Bundesjustizminister!) Schriftsteller Hecker gemacht hat. Sie alle wis-
Wer den demokratischen Staat nicht vorbehaltlos sen, inwieweit die deutsche Richterschaft zu
bejaht, hat nicht das Recht, demokratischer Rich- mindest zu einem erheblichen Teil — an der
ter zu sein. Ich kann Ihnen in dieser Stunde nicht politischen Entwicklung der Vergangenheit ihr
mehr als das sagen: Was von mir aus möglich ist, Anteil Schuld trägt,
soll geschehen und geschieht, daß die deutsche (Sehr wahr! bei der SPD)
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1441
(Zinn)
beginnend mit dem Prozeß, der seinerzeit im her eine Krise dieser Klassenjustiz gegeben hat.
Jahre 1923 oder 1924 in München gegen Hitler Aus der Fülle des Materials aus dieser Periode
und Genossen durchgeführt wurde, bis zur Recht- nehme ich das skandalöse Urteil heraus, das in
sprechung des IV. Strafsenats des Reichsgerichts, der Periode der Bismarckschen Antisozialisten-
bis zu jenem Urteil — dem Magdeburger Ur- Gesetze gegen den bekannten Bergarbeiter Schrö-
teil —, von dem gestern der Herr Bundespräsi- der gefällt worden ist. Und die Justiz, die Sie
dent als einem Schandfleck der Weimarer Zeit in Ihrem „demokratischen" Staat mit einer Binde
gesprochen hat. Ich erinnere daran. daß es nicht vor den Augen darzustellen belieben, hat es im-
einzelne waren, sondern ein ganz erheblicher Teil mer fertiggebracht, durch die Binde oder unter
der deutschen Richterschaft, die in den Sonder- dieser Binde heraus klar zu erkennen, wer vor
gerichten, den Terrorinstrumenten des Dritten ihr steht; sie hatte eine geradezu erstaunliche
Reiches, mitgearbeitet haben. Gabe. zu unterscheiden, ob der zu Verurteilende
(Sehr wahr! bei der SPD.) ein Glied der herrschende Klasse war oder ob er
Es sollen ja auch in der heutigen Justiz, vor zur Klasse des unterdrückten Volkes gehörte.
die soeben der Herr Bundesjustizminister seinen Nun einen Sprung in die Jetztzeit. Wer hat
Schild zu halten versucht hat, solche ehemaligen eigentlich die Richter, die heute bei uns am-
Mitglieder der Sondergerichte — wenigstens in tieren, entnazifiziert? Deutsche Instanzen?
einigen Zonen und Ländern — in nicht allzu ge- (Abg. Paul: Die haben sich selbst
ringer Zahl tätig sein. entnazifiziert!)
Die Krise der Justiz zur Weimarer Zeit hatte Nein, sie wurden besonders in der britischen Zone
ihre Ursache darin, daß mancher zwar Richter -- natürlich auf Grund der von ihnen selbst ge-
in der Demokratie sein wollte, aber nicht De- lieferten Unterlagen — durch die Besatzungs-
mokrat in der Gerichtsbarkeit. Und dieses Wort, macht entnazifiziert, mit dem Ergebnis, daß unter
das hinsichtlich der Verhältnisse der damaligen den heute noch amtierenden Richtern 80 Prozent
Zeit Geltung hatte, gilt auch heute wieder. sitzen, die ehemals in irgendeiner Form der
Der Herr Bundesjustizminister ist auf den Fall NSDAP oder ihren Gliederungen bzw. Nebenor-
Hedler zu sprechen gekommen. Ich will im ein- ganisationen angehört haben. Ein Tatbestand. den
zelnen zu dieser Angelegenheit nicht Stellun Minister — etwa des Landes Nordrhein-Westfalen
nehmen. Ich habe aber den Eindruck, daß --- mehrfach ganz offen ausgesprochen haben.
er die Begründung — die ja vorliegende, (Zuruf links: Begrüßt haben!)
wörtliche Begründung, die in der Verhandlung — Nicht begrüßt haben! Ich muß zur Ehre eines
am Schluß gegeben wurde — nicht kennt. Der Ministers unseres Landes Nordrhein-Westfalen
Herr Bundesiustizminister bzw. das Kabirett sagen, daß er seiner Erbitterung darüber Aus-
oder die politischen Freunde des Herrn Mini- druck gegeben hat, daß bei der Entnazifizierung
sters haben sich seinerzeit gegen den Antrag dieser Richter deutsche Instanzen ausgeschaltet
oder die Erklärung. die wir in diesem Hohen worden sind; das ist der Innenminister Menzel
Hause abgegeben haben. mit der Begründung g e- von Düsseldorf.
wendet, sie sei ein Eingriff in ein schwebendes Vertrauen sollen wir zu dieser deutschen Justiz
Verfahren. Wenn sich schon jemand eines haben? Wäre die Frage nicht besser so zu stel-
griffs in ein schwebendes Verfahren enthalten len, daß die deutsche Justiz von heute dem deut-
sollte, darn sollte es in erster Linie ein Bun- schen Volk einmal dafür den Beweis erbringen
desjustizminister sein. müßte. daß sie das verkörpert, was der Herr Bun-
(Lebhafter Beifall links.) desjustizminister heute in die Formel gekleidet
Der Herr Bundesjustizminister hat davon g e- hat: „Verteidiger der deutschen Demokratie"? Wir
sprochen. daß die Erörterungen, die wir in den hören in den letzten Wochen so oft das Wort:
letzten Wochen aus Anlaß des Falles Hedler er- deutsche Demokratie. Ist das eine besondere, eine
lebt haben. die Meinung aufkommen lassen könn- spezielle, von dem Durchschnittsbegriff von De-
ten. daß die deutsche Justiz Schaden zu nehmen mokratie unterschiedene Demokratie?
drehe. Ich möchte eines sagen, Herr Bundes- (Abg. Kiesinger: Nein, aber von der russi
justizminister: Nicht darauf kommt es an, ob - schen Demokratie! — Abg. Dr. Gersten
die deutsche Justiz Schaden nimmt. sondern dar- maier: Von der Volksdemokratie!)
auf, daß das Recht in Deutschland keinen Scha- — Also ist es doch keine Demokratie schlechthin,
den nimmt. sondern die Demokratie, wie Sie sie auffassen,
(Erneuter lebhafter Beifall links.) (Widerspruch bei den Regierungsparteien)
Das Recht in Deutschland ist bedroht durch Rich- Ihre Demokratie, die Demokratie der Pferd-
ter wie einen Richter Paulick. und es ist auch be- menges und Konsorten.
droht durch Ausführungen, wie sie soeben der
Herr Bundesjustizminister gemacht hat. (Glocke des Präsidenten.)
(Lebhafter Beifall links.) Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Ren-
. ner, der Herr Abgeordnete Pferdmenges ist ein
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab- Mitglied dieses Hauses.
geordnete Renner.
Penner (KPD): Schön! Ich nehme also aus der
Penner (KPD): Meine Damen und Herren! Hier Fülle des Materials irgendeinen anderen Namen.
geht es um die Frage, ob in Westdeutschland eine Suchen Sie sich ihn selbst aus!
Justizkrise besteht oder nicht. Hier ist ausgeführt (Heiterkeit.)
worden. daß man von dem Bestehen einer solchen
Krise der Justiz etwa seit einem Vierteljahr- Ich ziehe also meine Apostrophierung Pferd-
hundert reden kann. Die alten Sozialisten in die- menges' zurück. Sie haben ja die freie Auswahl.
sem 'Kreise müssen mir recht geben, wenn ich Gucken Sie sich hier in diesem Hause nur um!
ausspreche, daß es bereits lange Jahrzehnte vor- (Erneute Heiterkeit.)
1442 Deutscher Bundestag --- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Renner)
Nun, was ist hier los? Die deutsche Justiz nicht abgestellt werden können. Der Herr Justiz-
leide Not, hat der Justizminister gesagt. Er hat minister höchstpersönlich sagt uns, daß er keine
sich hier im Falle Hedler zur Prüfungsinstanz auf- Richter dulden werde, die nicht Repräsentanten
geschwungen. Immer wieder ist uns in den letz- der deutschen Demokratie seien. Gut und schön,
ten Monaten gesagt worden, man dürfe in ein aber was will er denn mit denen machen, die das
schwebendes Verfahren mit keiner Kritik ein- nicht sind? Absetzen kann er sie doch gar nicht;
greifen, man müsse den Ausgang eines schweben- denn Sie haben doch die Absetzbarkeit des Rich-
den Verfahrens in der Berufungsinstanz abwar- ters an Bedingungen geknüpft, die praktisch ein-
ten. Der Herr Justizminister hat den Angeklag- fach unerfüllbar sind. Sie haben doch in Ihrem
ten Hedler, der im Berufungsverfahren steht, hier Grundgesetz den absolut unabsetzbaren Richter
eindeutig freigesprochen. Etwas anderes gibt es verankert. Ich erinnere an die Diskussion um
einfach gar nicht. Er hat ihn im voraus bereits diesen Punkt im Parlamentarischen Rat. Oder
für das Berufungsgericht freigesprochen. Er hat wollen Sie mir erzählen, daß irgendeine Möglich-
auch davon gesprochen, daß im Hedler -Prozeß keit gegeben ist, die in Ihrem Grundgesetz vor-
die Straße irgendwie in Erscheinung getreten sei. gesehene Richteranklage praktisch zum Tragen zu
Die Straße ist in Erscheinung getreten, verkör- bringen? So liegen doch die Dinge! Wir haben
pert durch die NSDAP-Ortsgruppe, deren Mitglied den Richter, den die bei uns herrschende Klasse
der Herr Hedler einmal gewesen ist oder — ich als den richtigen Richter anspricht. Wir haben
greife keiner Gerichtsentscheidung vor -- an deren den Richter, der nach genau denselben Prinzipien
Ort er heute ansässig ist. Die war da. und die hat Recht spricht. wie das unter dem Faschismus auch
die Straße repräsentiert. Von der Tribüne herab Mode war. Wir haben damit zu rechnen, daß der
wurde dem Richter Beifall geklatscht, als er die- Richter, der sich unter dem Faschismus so schnell
sen dubiosen Freispruch ausgesprochen hat. Und an die Gesetze des Faschismus angepaßt und sie
dann hat sich die Straße noch einmal dokumen- angewandt hat, sich an die heute geltenden, das
tiert. Auf der Straße hat sie den mangels Bewei- heißt die von der heute herrschenden Klasse auf-
sen Freigesprochenen, den man freigesprochen gestellten Prinzipien genau so schnell anpassen
hat, weil man sich aus den Zeugenaussagen die wird, wie das seinerzeit unter Hitler der Fall
herausgesucht hat, die das bewiesen haben, was war. So liegen die Dinge doch in Wirklichkeit.
man bewiesen haben wollte, mit einem Blumen- Niemand hat ja bisher hier in Deutschland
strauß empfangen, der in die Farben Schwarz- Richter gleich Richter gesetzt. Alle, die sich hier
weißrot gehüllt war. zu dem Thema geäußert haben, haben Ausnahmen
Ein anderes Wort! Hier ist von der aus dem gemacht. Sie haben anerkannt. daß diese Beur-
Hintergrund gelenkten Empörung gesprochen wor- teilung nur auf einen Teil, allerdings auf einen
den. Was meinen Sie damit, Herr Justizminister? erheblichen Teil der heute amtierenden Richter
Wer hat diese Empörung gelenkt? Wollen Sie zutrifft. Mehr will auch ich nicht sagen. Aber
sich einmal klar aussprechen? Offensichtlich ha- die Richter, ' die in der Nazizeit an den Son-
ben Sie in erster Linie die Sozialdemokraten ge- dergerichten „Recht" gesprochen haben -- Recht
meint; denn an deren Adresse haben Sie ja in in Gänsefüßchen gesetzt — und die heute noch
der Hauptsache Ihre Worte gerichtet. bei uns amtieren dürfen, lehnen wir und lehnt
das deutsche Volk ab. Und wir erlauben uns das
Aber kommen wir zum Schluß! Der Justiz- Recht der Kritik an der Urteilsfällung gerade
minister sprach davon, daß man eine Art Volks- dieser Richter. Ich sage nur ein Wort: Bielefeld!
vjerhuütnsm.iEzawrueh Ich gehe nicht nur vom Fall Hedler aus. Wir
leise, aber immerhin vom Osten geredet. Nun. haben in den letzten Monaten und Jahren viele,
was ist im Osten los? viele Fälle von Freisprüchen erlebt. die absolut
(Zuruf: Der Teufel ist los!) auf derselben Basis wie der Freispruch eines Hed-
Im Osten richten vom Volk gewählte Richter. ler zustande gekommen sind. Ich sage nur noch-
(Gelächter und Zurufe.) mals ein Wort: Bielefeld! Wie war es denn da
Ihrer Meinung nach ist das undemokratisch. Aber anders? Auch da haben sich gewisse Herren
bei anderer Gelegenheit. wenn Minister dieses Justizminister mit denselben Worten, die heute
Kabinetts von Herrn McCloy sprechen, reden sie Herr Dr. Dehler angewandt hat. eine Kritik ge-
von dem großen Bundesgenossen. Nun. im Hei- nereller Natur an dieser Richterschaft verbeten,
matland des Herrn Cloy werden die Richter auch und das kann man einfach nicht hinnehmen.
vom Volk, von seinen parlamentarischen Vertre- Recht ist nicht das. was die Richter. die dieser
tungen gewählt. Ihrer Klasse unterstehen und unterstellt sind, als
Recht aussprechen. Recht ist das, was der Ge-
(Zuruf rechts: Auf ganz andere Weise!) rechtigkeit entspricht, und da gibt es keine Deu-
-- Wieso auf ganz andere Weise? Volk ist Volk! tungen. Da gibt es keine Auslegungsmöglich-
Das sagen Sie uns doch immer. keiten, das ist ein klarer Begriff. Solche Richter
(Zuruf von den Regierungsparteien: müssen wir haben, die klare, ehrliche, gerechte
Freie Wahl!) Urteilssprüche fällen und keine Klassenurteile
-- Ach so, weil da freie Wahlen sind. Sie wer- aussprechen.
den von den parlamentarischen Körperschaften (Zuruf in der Mitte: Wie im Osten!)
gewählt, und die sind nach Ihrer Version in
Amerika so frei, wie sie im Osten in der Tat frei -- Ja, wie sie im Osten sind. Da gibt es keine
sind. Hedler -Sprüche.
(Lachen bei den Regierungsparteien.) (Lachen bei den Regierungsparteien.)
Und noch ein letztes und abschließendes Wort.
Es wird hier offen zugegeben, daß an der heu- Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Abge-
tigen Justiz manches beklagenswert ist: Darf ich ordnete von Thadden.
Sie daran erinnern, daß Sie durch Ihr Grund- (Zuruf links: Parteigenosse von Hedler! —
gesetz dafür gesorgt haben, daß diese Mängel Ironische Begrüßungsrufe von der KPD.)
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1443

von Thadden (DRP): Sie wollen mich doch nicht wie sie sich im Umkreis um diesen Prozeß ab-
etwa mit Beifall begrüßen, meine Herrschaften gespielt haben, in Zukunft noch weiter stattfin-
von links! den sollten. Und dagegen sollte sich das Haus
Meine Damen und Herren! Wir können die in seiner überwiegenden Mehrheit ganz ent-
Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers, schlossen und ganz energisch zur Wehr setzen.
die er vorhin gemacht hat, nur völlig unter- (Beifall bei der DRP. — Abg. Renner: Heil
schreiben. Hedler! Sie sind noch einmal davongekom
(Ironischer Beifall links. — Abg. Dr. Greve: men, Herr von Thadden!)
Damit leisten Sie der deutschen Justiz einen
großartigen Dienst, Herr von Thadden!) Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Dr. Schmid.
Präsident Dr. Köhler: Ich schlage vor, daß wir Ich nehme an, daß das Wort „Heil Hitler!"
alle Debatteredner möglichst ruhig anhören. Dann ironisch gemeint war.
kommen wir am schnellsten mit der Angelegen- (Zuruf links: Heil „Hedler"!)
heit zu Ende.
— Ach so!
von Thadden (DRP) : Wir stehen durchaus auf (Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Das kommt
dem Standpunkt, daß wir es verhüten müssen, daß auf eins heraus bei Herrn von Thadden!)
hier etwas Ähnliches wie eine sogenannte Volks-
justiz, die Herr Kollege Renner soeben pries, ein- Dr. Schmid (SPD): Meine Damen und Herren!
geführt wird. Wir sehen die große Gefahr, wenn Wenn man von Justizkrise spricht, meint man da-
wir uns auf diesen Weg begeben und wir es mit nicht etwa, daß unsere deutschen Richter
nicht in sehr scharfer Form verhindern, daß der- käuflich wären, daß sie in Prozessen zwischen
lei Dinge, wie sie im Zusammenhang mit diesem Meier und Schulze nicht unparteiisch entscheiden.
Prozeß vorgekommen sind, in Zukunft wieder ge- Man meint damit nicht, daß unsere Richter etwa
schehen. nicht genügend juristische Kenntnisse hätten, um
Meine Damen und Herren! Es ist völlig aus- gutes Recht zu sprechen. Man meint damit etwas
geschlossen, daß hier von solchem und solchem anderes. Man versteht darunter, daß unsere
Druck der Straße geredet wird. Als Druck der Richter nicht immer dem Anliegen, das das Volk
Straße und außerdem als ein Verbrechen an un- als Träger unseres Gemeinwesens an die Recht-
serer gegenwärtigen Wirtschaftslage bezeichne ich sprechung stellen darf, gerecht werden. In vielen
es, wenn irgendwelche Funktionäre einen Streik Fällen geschieht es; aber in einer Reihe von sehr
der Hanomag wegen dieses Hedler-Prozesses or- sichtbaren Fällen ist es nicht geschehen.
ganisieren, wo doch die Arbeitsleistung der Hano- Das Pathos des Richteramtes wird nicht dort
mag -Werke weiß Gott mit diesem Prozeß gar in Anspruch genommen, wo sich gleichgültige
nichts zu tun hat. Mutwillig werden dort von Leute vor der Richterbank um ihr Recht streiten.
o irgendwelchen Leuten 2500 Arbeitsstunden aufs Das Pathos des Richteramtes wird dort in An-
Spiel gesetzt. spruch genommen, wo „Richtersein" zu einer ge-
(Abg. Arnholz: Davon verstehen Sie nichts!) fährlichen Sache wird, dort also, wo der Richter
Solche Dinge müssen in Zukunft durch einen ent- den Schwachen gegen den Übermächtigen zu
sprechenden einschlägigen Paragraphen im Straf- schützen hat, dort, wo er sich mit seinem Urteil
gesetzbuch verhindert werden. gegen den Druck der Straße zu stemmen hat. Ja,
Herr von Thadden!
(Lebhafte Zurufe. — Abg. Arnholz: Das
könnte Ihnen so passen! Zuchthausgesetze! Aber der Druck der Straße nimmt in dieser
Sie sind der echte preußische Junker!) Zeit mannigfache Gestalt an. In Neumünster oben
war es nicht der Druck der Straße von irgend-
Der Vertreter der Nebenkläger, der Herr Kollege woher, sondern der Druck der Straße von Neu-
Greve, erklärte laut Pressemeldung, daß die Ge münster, der auf das Gericht gewirkt hat!
fahr bestünde, daß der Freispruch der ersten In
stanz in der Revisionsinstanz bestätigt würde und (Sehr richtig! bei der SPD.)
daß diese Gefahr sofort beseitigt werden müsse. Das Pathos des Richteramtes wird auch dort in
(Hört! Hört! bei der DRP.) - Anspruch genommen, wo sich der Richter gegen
die gängigen Meinungen seiner Standesgenossen
Meine Damen und Herren! Hier sehen wir, in stellen muß, wenn wirklich Recht gesprochen wer-
welcher Richtung dort marschiert wird. den soll, dort, wo er unter Umständen riskieren
(Abg. Dr. Greve: Das höre ich zum ersten muß, gesellschaftlich boykottiert zu werden,
mal! Beziehen Sie sich immer auf (Sehr gut! bei der SPD)
Zeitungsartikel?)
wenn er eine bestimmte Stellung einnimmt. Und
-- In diesem Falle ja! Gut für Sie, wenn es auch hier weist die jüngste Vergangenheit leider
nicht stimmt. Gottes einige böse Beispiel auf.
(Abg. Dr. Greve: Zeigen Sie mir das mal!) (Sehr richtig! bei der SPD.)
- Ich gebe es Ihnen gleich, ich habe es dort liegen.
In dem Wort Justizkrise ist noch ein weiterer
Es mehren sich in der letzten Zeit die Fälle, Vorwurf beinhaltet, nämlich der, daß viele Richter
wo man mit Druck und Terror und Streiks und dem Geist der Zeit -- ich meine das nicht im
Gewaltmaßnahmen erpresserischen Druck auf Ge- banalen Sinne, sondern in dem tiefen Sinn, in
richte, Behörden, Einzelpersonen und Organisatio- dem Hölderlin von „Zeitgeist" spricht -- dem
nen auszuüben versucht. Diese Dinge müssen in Geist der Zeit gegenüber nicht genügend „offen"
Zukunft ganz klar ausgeschaltet werden. sind, daß sie sich zu sehr in ihren Wertungen von
Das Recht — das möchten wir feststellen — ist Tafeln bestimmen lassen, die in ihrer Jugend
unserer Ansicht nach nicht, wie es Herr ,Kollege vielleicht „Geist der Zeit" gewesen sein mögen,
Zinn sagte, durch den Richter Paulick bedroht, die es aber heute nicht mehr sind. Das alles be-
sondern das Recht ist bedroht, wenn solche Dinge, inhaltet der Vorwurf, daß es eine Justizkrise gebe.
1444 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Dr. Schmid)
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß man stimmten Typus von Richtern, der durch den Wil-
diese Dinge schon sehr ernst nehmen sollte. Denn helminismus von vorgestern, gestern und heute
es geht dabei um mehr als um die Frage, ob eine leider Gottes sein Gepräge erhalten hat.
Säule unseres Staatsapparates auch integer ist oder Und dann glaube ich, daß die Diskussion des
nicht. Es geht dabei vielmehr um Charakter und Richterproblems letzten Endes — es kann heute
Wesen unseres neuen Staates selbst! hier nicht geschehen; ich weiß es — einmünden
Man kann schlechterdings die Rechtsprechung müßte in eine Diskussion des Problems des deut-
in diesem, Lande nicht Menschen anvertrauen, die schen Erziehungswesens, dessen große Gegen-
zu dieser unserer deutschen Republik keine posi- wartsaufgabe doch ist, uns endlich, endlich von
tive Einstellung haben! den Residuen des Wilhelminismus zu befreien.
(Sehr richtig! bei der SPD.) (Beifall bei der SPD.)
Es genügt nicht, neutral in Gänsefüßchen zu sein;
so einer ist weder Fisch noch Fleisch. Ein Richter Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab-
muß schon an die humanen, moralischen und geordnete Euler.
politischen Werte glauben, die in unserem Grund-
gesetz einen gesetzgeberischen Ausdruck gefun- Euler (FDP): Meine sehr verehrten Damen und
den haben, Herren! Ich pflichte dem Herrn Kollegen Schmid
(Sehr richtig! bei der SPD) völlig darin bei, daß die Aufgabe der H eran-
sonst gehört er nicht auf die Richterbank! bildung eines Richtertums, das erfüllt ist von dem
Geiste des demokratischen Rechtsstaates und das
(Sehr richtig! bei der SPD.) erfüllt ist von dem Willen, diesen demokratischen
Leider Gottes findet man aber da und dort noch Rechtsstaat zu schützen, im wesentlichen ein Pro-
— oder wieder? — Richter, die ganz anders sind, blem der Erziehung und der Bildung dieses
als wir es wünschen müssen. Man findet bei sehr Richtertums ist.
vielen von ihnen noch etwas, was ich die deutsch- (Zuruf des Abg. Renner.)
nationalen Eierschalen nennen möchte, sehr vieles
noch, was Residuum aus der Wilhelminischen Und, meine sehr verehrten Damen und Herren
Zeit ist, und man findet auch noch viel, was aus von der Sozialdemokratie, wenn Sie dieses Pro-
den Konventsreden auf den Stiftungsfesten blem immer so aufgefaßt und in dem Geist dar-
stammt. über gesprochen hätten, wie dies eben Herr Kol-
lege Schmid hier tat, so hätten Sie sich über
Ich glaube, daß das Problem des deutschen manche Fehlentwicklung im deutschen Richtertum
Richters im wesentlichen eine Erziehungsfrage ist. während der Zwanziger Jahre nicht zu beklagen
Ich fürchte, daß wir viel zuviele Richter haben. brauchen. Denn seien Sie doch nicht blind da-
Wahrscheinlich ist ein Volk von 45 Millionen nicht gegen, daß Sie viele Richter in eine falsche Rich-
imstande, in solcher Zahl Menschen zu produzie- tung hineingetrieben haben
ren, die alle Voraussetzungen erfüllen, die erfüllt
sein müssen, wenn einer Recht sprechen soll. (Aha! bei der SPD)
— jawohl, aus einem hervorgerufenen Trotz gegen 1
In unserem Richterkorps wie auch an anderen einAgtao,
Stellen unseres öffentlichen Lebens — es bildet
da keine Ausnahme nach unten! — findet sich bei (Hört! Hört! bei der SPD)
sehr viel gutem Willen und bei vieler ausgezeich- von der diese Richter sich persönlich nicht getrof-
neter fachlicher Tüchtigkeit leider noch viel Sub- fen fühlten,
alternität, und so glaube ich, daß das Problem des (Zurufe links: Schöne Richter!)
Richters im wesentlichen ein Bildungsproblem ist. von der sie sich aber als Stand zu Unrecht ge-
Der deutsche Richter hatte in der Welt -- und mit troffen fühlten.
Recht — einmal einen hohen Ruf. Ich denke nicht (Abg. Dr. Schmid: Sie verwechseln
nur an den Richter, an den der Müller von Sans- Ursache und Wirkung!)
souci appelliert hat. Ich denke auch an dieses
großartige Parlament, das es einmal im König- Sie haben Ausnahmen allzusehr verallgemeinert,
reich Preußen gab und das man einst ein bißchen und Sie haben ihnen ein propagandistisches Ge-
verächtlich das Kreisrichterparlament genannt wicht gegeben, das Fehlentwicklungen zur Folge
hat. Dort saßen wirklich Männer, die wußten, was - hatte, die wir alle im Interesse der Gemeinschaft
es heißt, Richter zu sein, Männer, die wußten, daß aufs tiefste zu bedauern hatten.
es in erster Linie heißt, Rückgrat zu zeigen -- (Abg. Dr. Schmid: Angefangen hat es anders!)
Rückgrat zu zeigen überall dort, wo einer versucht, Und, meine Damen und Herren, gerade auf dieser
es mit der Gewalt zu probieren, überall dort, wo Linie lag ja jetzt, neulich, Ihre Reaktion auf das
man versucht, an die Stelle des Urteilens das Vor- Hedler-Urteil, noch ehe irgend etwas Zuverlässi-
urteil, das Privileg oder die Stumpfheit des Pöbel- ges bekannt war,
sinns zu stellen. (Zuruf links: Das ist nicht wahr!)
(Zustimmung bei der SPD.) über die begründenden Ausführungen des Richters
Aber wie bei so manchem andern hat es auch dort bekannt war.
ein Dekrescendo gegeben. An die Stelle des (Abg. Dr. Greve: Das ist nicht wahr! Das
großen Geistes dieser Zeit ist der kleine Geist des ist eine Unterstellung, Herr Euler! Ich
Wilhelminismus getreten, und von ihm, von seinem habe Ihnen neulich schon gesagt: Sie ope-
Mangel an echtem Gefühl, an echter Humanität, rieren dauernd mit Unterstellungen!
an edler Bildung sind viele Richter unserer Zeit Unruhe.)
leider Gottes noch zu sehr bestimmt. Ich sage
nicht: alle; ich sage auch nicht: die Mehrheit. Wer Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Greve,
könnte hier mit Ziffern operieren? ich darf einmal bitten! Herr Abgeordneter Dr.
(Sehr richtig! in der Mitte.) Schmid ist im Hause lautlos angehört worden.
Aber es gibt bei uns in Deutschland einen be Dasselbe Recht hat Herr Abgeordneter Euler auch.
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1445
(Präsident Dr. Köhler)
(Abg. Schoettle: Wir brauchen uns nicht zum Ausdruck bringen möchte, es sollte möglichst
dauernd von Herrn Euler belehren zu wenig davon gesprochen werden. Es ist schon viel
lassen! — Weitere Zurufe links.) zu viel davon gesprochen worden, und dadurch,
daß soviel gesprochen worden ist, ist ja das ange-
Euler (FDP): Am Tage nach dem Urteil, noch richtet worden, was auch Sie, meine Herren, nun
ehe hier zuverlässige Berichte vorlagen, wollten zu der äußersten Empörung gebracht hat.
Sie bereits den Richter durch eine Erklärung die- (Sehr gut! bei der DP.)
ses Hauses schuldig erklärt haben. Wir sollten uns bei dem Prozeß unseres werden-
(Abg. Dr. Schmid: Nein, das ist gar den Staates eines zur Pflicht machen, das, was uns
nicht wahr! Das ist nicht richtig!) der Herr Bundespräsident gestern in seiner so
Das war leider damals der Tenor der Ent- eindrucksvollen Rede klargemacht hat: unsere
schließung, die Sie dem Hause vorgelegt haben. Vorurteile zu überwinden und das richtige Maß
(Abg. Dr. Schmid: Nein! „Bestrafung zu finden suchen.
der Schuldigen! ") (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ich glaube, die Erörterungen mit dem Ziel, ein
Richtertum republikanischen, rechtsstaatlichen Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab-
Geistes zu schaffen, werden in ein richtiges Fahr geordnete Dr. Arndt.
wasser geleitet, und wir brauchen nicht mit man Dr. Arndt (SPD): Meine Damen und Herren! Ich
chen unangenehmen Reaktionen im Richtertum habe 25 Jahre meines Lebens, ich kann damit
gegen propagandistische Entstellungen zu rechnen, eigentlich sagen, mein ganzes Leben, bisher im
wenn wir uns auf der Linie finden, die Sie, Herr Dienst am Recht gestanden, als Richter, als An-
Kollege Schmid, soeben hier eingeschlagen haben. walt, als Staatsanwalt und schließlich auch in der
(Beifall bei der FDP. --- Abg. Schoettle: Gesetzgebung. Ich bin daher der Ü berzeugung,
Sagen Sie auch etwas zu dem Herrn Justiz daß diese Fragen nicht parteipolitisch angesehen
minister, zu Ihrem Fraktionskollegen, werden sollten, wie es leider wieder einmal der
Herr Euler!) Herr Kollege Euler getan hat, mit dem Refrain:
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab- Die Sozialdemokratie ist an allem schuld. Wenn es
keine .Sozialdemokratie gegeben hätte, dann hätten
geordnete Dr. von Merkatz. sich die Richter nicht vor den Kopf gestoßen ge-
Dr. von Merkatz (DP): Herr Präsident! Meine fühlt, und dann wäre keine Justizkrise entstan-
Damen und Herren! Es ist eigentlich bedauerlich, den. Herr Kollege Euler, so kann man die Dinge
daß wir in die Erörterung eines so tiefen und so nicht ansehen. Es sollte selbst unter Ihrem Niveau
wichtigen Problems gewissermaßen nebenbei hin- sein, Ihr parteipolitisches Süppchen noch an dieser
eingeraten sind. Sache zu kochen.
(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Dr. (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der FDP.)
Schmid: Das war doch nicht zu vermeiden!) Ich muß auch der Auffassung entgegentreten,
Meine Fraktion begrüßt es, und ich persönlich als ob die Erklärung der sozialdemokratischen
darf es lebhaft begrüßen, daß Herr Professor Fraktion seinerzeit ohne Kenntnis des Sachver-
Schmid mit seinen Ausführungen in etwa die halts abgegeben worden wäre. Wir haben sehr
großen geschichtlichen und geistigen Horizonte ab- genaue und sehr zuverlässige Berichte über die
gesteckt hat, die hinter dieser Frage liegen. Es ist mündliche Urteilsbegründung im Falle Hedler ge-
vielleicht eine der wichtigsten Aufgaben unserer habt, ehe wir uns hier zu unserer Erklärung ent-
werdenden Demokratie — ich wiederhole hier den schlossen haben. Im übrigen ist es weiterer Irr-
Gedanken, der in einer großen deutschen Zeit- tum, anzunehmen, wir hätten beantragt, daß das
schrift zu dem hier zur Erörterung stehenden Fall Haus einen der Richter oder die Richter schuldig
zum Ausdruck gebracht wurde —, daß wir unsere sprechen solle. Nichts Derartiges ist geschehen.
Vorurteile überwinden. Dieses von Vorurteilen Wir haben einen Antrag überhaupt nicht gestellt,
und Ressentiments getränkte Wesen ist das Sub- sondern wir haben eine Erklärung abgegeben,
alterne, von dem Herr Professor Schmid gespro- und solche Erklärungen sind im Landtag von
chen hat. Schleswig-Holstein, im Landtag von Nordrhein-
Ich möchte namens meiner Fraktion aus diesem - Westfalen und im bayerischen Landtag abgegeben
Anlaß doch einen Angriff zurückweisen, der hier worden, dort übrigens von allen Parteien oder
gegen die Ausführungen des Herrn Justizministers jedenfalls von den Parteien, von denen man eine
gemacht worden ist. Es wurde davon gesprochen, staatstragende Tätigkeit erwarten kann — die
es handle sich um den Eingriff in ein schweben- anderen Parteien zählen für mich nicht —, wäh-
des Verfahren. rend hier in diesem Hause ein bedauerliches
Schweigen besonders in der Mitte herrschte. So
(Abg. Renner: Was war es denn anders?) sind ja die Dinge gewesen. Also nicht die Sozial-
Darum kann es sich überhaupt nicht handeln. Der demokratische Partei hat ohne Kenntnis des Tat-
Herr Justizminister hat die große prinzipielle bestandes ihre Erklärung abgegeben, sondern die
Frage unserer Auseinandersetzung angedeutet. Bundesregierung hat ohne Kenntnis der Sache
Das war nach meinem persönlichen Dafürhalten ihre Erklärung abgegeben.
im Rahmen der Darlegungen über die grund (Sehr richtig! bei der SPD. —
legenden organisatorischen Gesetze zur Wieder Zuruf des Abg. Hilbert.)
herstellung unserer deutschen Rechtseinheit durch
aus ein notwendiges und ein richtiges Wort, das — Wir haben, Herr Kollege Hilbert, 'im Ausschuß
gesprochen werden sollte. Ich habe sein Wort da zum Schutze der Verfassung von dem Herrn Bun-
hingehend verstanden, daß er eine Entgiftung der desinnenminister Heinemann gehört, daß er das amt-
Atmosphäre herbeizuführen gewillt war. Er hat liche Stenogramm der Urteilsgründe erst in dieser
nur von dem Prinzip gesprochen und kein Wort Sitzung, die ungefähr acht Tage nach der Regie-
zu dem Verfahren gesagt, ein Verfahren, von dem rungserklärung lag, in die Hand bekommen habe.
ich persönlich und im Namen meiner Fraktion nur (Hört! Hört! links.)
1446 Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Dr. Arndt)
Also dort ist diese Leichtfertigkeit geschehen und Dazu aber sagt das Gericht auf Grund der Ver
nicht auf unserer Seite. handlung folgendes:
Ich kann deshalb nicht verstehen, wie der Herr Der Angeklagte hat erklärt, daß er von einem
Bundesjustizminister sich an diesen Platz stellen deutschen Parteiführer erwarten müsse,
und im Namen der deutschen Richter sprechen daß er zuerst der fünf bis sechs Millionen
kann; denn auch ich bin durchaus mit dem Herrn deutscher Menschen gedenkt, die nach
Kollegen Dr. Schmid und dem Herrn Kollegen 1945 ermordet worden sind.
Zinn darin einig, daß man nicht etwa alle Richter Also das Gericht hat sogar noch den Toten ab-
in einen Topf werfen darf, daß man auch nicht gesprochen, daß sie Deutsche waren; denn unter
einmal von einer Mehrzahl sprechen darf. Aber diesen ermordeten Juden ist doch ein großer Teil
ich bin der Meinung, daß man gerade den deut- deutscher Menschen gewesen. Das Gericht fährt
schen Richter damit herabsetzt, wenn man die dann fort:
Richter, die in Neumünster das Urteil gesprochen Der Angeklagte hat weiter erklärt, daß da-
haben, typisch sein läßt und das zum Anlaß mals andere Mittel und Wege hätten gefun-
nimmt — wie es der Herr Bundesjustizminister den werden müssen, um das Judenproblem
getan hat —, um sich vor dieses Urteil zu stellen. zu lösen.
Dieses Urteil liegt Ihnen, meine Damen und Nämlich hinsichtlich des selbständigen Staates
Herren, ja in der mündlichen Begründung im Israel. —
amtlichen Stenogramm vor. Da der Herr Bundes- Gewiß, der Angeklagte, mag der Auffassung
justizminister es hier so hinzustellen beliebte, als sein — und diese Auffassung ist ja von vielen
sei das lediglich eine Beweisfrage gewesen, als sei vertreten worden —, daß die Judenfrage da-
das Gericht lediglich zu der Erkenntnis gekom- mals in Deutschland einer Lösung harrte und
men, es habe dies oder jenes nicht feststellen am besten gelöst worden wäre im Wege einer
können, so muß ich darauf erwidern: Das ist ja Auswanderung nach Palästina. Eine ganze
gar nicht wahr. Das Gericht hat zum Beispiel Reihe von Zeugen hat uns auch bekundet, daß
festgestellt: sie die Ausführungen des Angeklagten in
Nach den getroffenen Feststellungen hat der diesem Sinne verstanden hätten. Aber auch
Angeklagte nur von denjenigen Widerstands- eine derartige Stellungnahme würde weder
kämpfern im Zusammenhang mit Landesver- objektiv noch subjektiv eine Kundgabe von
rat gesprochen, die mit dem Ausland zusam- Mißachtung enthalten. Denn ein bloßes Nicht
mengearbeitet haben. anerkennen, ein bloßes Nichtgeltenlassen von
Menschen oder Menschengruppen ist noch
Es hat dies also festgestellt und ist nur mit der niemals eine Beleidigung gewesen.
Ausflucht darum herumgekommen, daß der Kreis
solcher Widerstandskämpfer nicht mehr identifi- (Entrüstete Rufe bei der SPD: Hört! Hört!)
zierbar sei. Als ob nicht heute jedes Kind in Es ist nicht vorstellbar, wie ein Gericht das
Deutschland wissen sollte, daß es die Offiziere Grundgesetz, das von der Gleichheit der Menschen
gegen Hitler gegeben hat, die Kreise der Be- handelt und sagt, daß niemand wegen seiner Her-
kennenden Kirche, die Kreise der katholischen kunft, Rasse, Religion oder aus sonstigen Gründen
Kirche, die Menschen, die aus diesem oder jenem bevorzugt oder benachteiligt werden darf, ärger
Grunde sich gegen die Tyrannei aufgebäumt ha- besudeln kann, als es in Neumünster geschehen
ben, die damals mit Recht Verbindung mit dem ist,
Ausland gesucht haben, um noch das Letzte vor (lebhafte Zustimmung bei der SPD)
dem Untergang durch den wahnsinnigen Ver- und zwar angesichts der noch offenen Gräber der
brecher zu retten! ermordeten Millionen, auch Deutscher, die das
(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.) Unglück hatten, jüdischer Rasse zu sein.
Wenn der Richter das nicht weiß und nicht an- Herr Justizminister! Sie sollten uns sagen, ob
erkennt, dann gehört er entweder in ein Tollhaus, Sie sich zu diesen Grundsätzen bekennen. Wenn
jedenfalls nicht auf die Richterbank. Sie das tun, dann kann ich Ihnen nur das eine zu-
(Erneute lebhafte Zustimmung bei der SPD.) rufen: Um Gottes willen, gehen Sie!
- (Stürmischer, sich wiederholender Beifall
Das Gericht in Neumünster hat also festgestellt, bei der SPD. — Händeklatschen
daß der Vorwurf des Landesverrats gebraucht bei der WAV.)
worden ist, und es hat ganz genau wie im Falle
Ebert, den der Herr Bundespräsident gestern in
so eindringlicher Weise dargelegt hat, wiederum Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab-
einmal die Hand dazu geboten, daß die besten geordnete Dr. von Brentano.
Kräfte des deutschen Volkes, die alles getan ha- (Zuruf von der SPD: Dehler schweigt!)
ben, um das deutsche Volk vor dem Untergang zu
bewahren, in Neumünster diffamiert worden sind. Dr. von Brentano (CDU): Meine Damen und
(Sehr richtig! bei der SPD.) Herren! Ich glaube, es war nicht gut, daß wir
Noch in einem andern und für uns alle sehr heute die Einbringung einer Gesetzesvorlage zu
traurigen Punkt hat sich das Gericht zu Auffas- einer solchen Diskussion auswachsen ließen.
sungen bekannt, bei denen es mir unbegreiflich (Sehr richtig! rechts. — Zuruf links: Da
ist, wie der Herr Minister, dem im Kabinett das sitzt der Verantwortliche!)
Recht anvertraut ist, hier auch nur ein Wort dafür Ich bedauere es um so mehr, als diese Diskussion
hat finden können. Wir wissen doch wirklich alle, sich wieder mit einem noch nicht abgeschlossenen
was es bedeutet, daß von Verbrechern angeblich Verfahren beschäftigt hat. Ich stehe nicht an zu
im deutschen Namen fünf bis sechs Millionen Ju- erklären, daß auch mich die Lektüre dieser Ur-
den vergast worden sind. teilsgründe tief erschüttert hat.
(Sehr wahr! bei der SPD.) (Sehr richtig!) ..
Deutscher Bundestag 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1447
(Dr. von Brentano)
Aber ich lehne es für meine Person und für meine der SPD. — Abg. Renner: Statt Klassen
Fraktion trotzdem ab, heute zu dem konkreten staat und Klassenjustiz!)
Fall des Urteils von Neumünster Stellung zu
Nehmn,wilcgaubrsotenichu. Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr Ab-
Wir sollten ein für allemal zu einem noch nicht geordnete Löbe.
abgeschlossenen Verfahren nicht Stellung nehmen.
Die Folgen eines anderen Verhaltens können wir Löbe (SPD): Meine Damen und Herren, ge-
nicht absehen. statten Sie mir, dab ich bei einer recht unerwar-
(Zurufe links. — Abg. Dr. Schmid: Zum teten Aussprache, die leider der Herr Justiz-
Verfasser der Gründe kann man Stellung minister an ebenso unpassender Stelle begonnen
nehmen! — Abg. Renner: Das gilt aber hat,
nicht für den Justizminister!) (Sehr richtig! bei der SPD)
Ich bin mit den meisten meiner Vorredner der mich mit zwei Sätzen an den Herrn Kollegen
Meinung, daß die ungeheuer ernste Frage der u
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Justiz und der Justizkrise nicht so nebenher im druck gegeben, daß unzweckmaßige Kritik der
Zusammenhang mit einem anderen Thema er- Sozialdemokraten bei den Richlern jenes Ver-
örtert werden kann. halten bestarkt habe, das die weit verbreitete Un-
zurriedenhelt mit aer deutschen Justiz zeitigte.
Der Herr Kollege Zinn hat mich an eine De- Herr Abgeordneter Euler, ich wollte Sie an einen
batte erinnert, die wir in Wiesbaden geführt ha- Reichskanzler Wiuheim Marx erinnern, der wegen
ben. Es ist selbstverständlich, daß ich heute noch der Schmahungen, .die ihm politische Gegner zu-
unverändert zu dem stehe, was ich damals ge- teil werden ließen, öfter die Hilte deutscher Ge-
sagt habe. richte anrufen muhte und der eines Tages — ich
(Bravo! bei der SPD.) habe die Sitzung selber präsidiert, desnalb ist sie
Ich bin mir klar, daß wir heute das tun müssen, mir in so guter Erinnerung — von seinem Kanz-
was wir vielleicht vor 20 Jahren versäumt haben. lerplatz, als der letzte derer, die ihn beschimpft
(Sehr gut! bei der SPD.) hatten, zu 75 Mark Geldstrafe verurteilt war, er
Im Interesse unseres Staates und im Interesse klarte: Ich werde niemals wieder eine Klage vor
der zahlreichen guten, einwandfreien Richter deutschen Gerichten erheben nach den Erfah-
müssen wir alles daran setzen, rungen, die ich mit ihnen gemacht habe.
(Sehr richtig! bei der SPD) (Hört! Hört! bei der SPD.)
eine Justiz zu schaffen, die mit unserem Staat Der Reichskanzler Wilhelm Marx, der höchsten
auch innerlich verbunden ist. Juristenkreisen entstammte, hat damals so deut-
lich gesprochen, wie es heute drei sozialdemokra-
(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungs-tische Juristen zusammen nicht getan haben.
parteien und der SPD.)
(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg.
Herr Kollege Schmid hat mit Recht darauf hin- Renner: Das genügt! Herr Marx war Jurist!)
gewiesen, und Sie, Herr Kollege Euler, haben es
bestätigt, daß das auch eine Frage der Auswahl Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
und der Ausbildung der Richter ist, Bundesjustizminister.
(Abg. Dr. Schmid: Bildung, habe ich
gemeint!) Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz: Meine
— der Auswahl und Ausbildung und Bildung, der Damen und Herren! Wir würden uns nicht ver-
Herzens- und Gewissensbildung der Richter. stehen, wenn Sie kein Gefühl dafür haben, daß
Dieser Frage sollten wir uns annehmen, und wir ich aus einer bangen Sorge gesprochen und die
sollten diese Frage dann auch ohne jede partei- Frage des deutschen Richters angeschnitten habe.
politische Leidenschaft diskutieren. Denn das Ich habe das doch alles schon einmal erlebt. Ich
Problem geht uns alle gleichmäßig an, denen das bin als junger Jurist ins politische Leben, in das
Schicksal unseres deutschen Vaterlandes am Her- Leben des Rechtsstaates eingetreten und habe all
-das miterlebt, wovon man heute gesprochen hat,
zen liegt.
und habe erlebt, wie der Staat nicht nur dadurch
(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien Schaden nahm, daß der Richter versagte — man-
und bei der SPD.) ches ist richtig, was gesagt wurde —, sondern auch
Ich bin überzeugt und möchte das ausdrücklich dadurch, daß man ihm von vornherein mißtraute,
sagen, daß diesem Problem auch der Bundes- daß man ihn nicht leben ließ, daß man ihn nicht
justizminister seine ernste und volle Aufmerk- als einen Richter der Demokratie haben wollte.
samkeit zu schenken bereit ist und daß vielleicht (Abg. Dr. Schmid: Aber die Urteile
auch manche — erlauben Sie mir das zu sagen, gingen doch voraus!)
Herr Bundesjustizminister — mißverständliche — Das ging Hand in Hand, Herr Kollege Schmid,
Äußerung von heute in mir und meinen Freun-
den, und ich glaube, auch in der Mehrheit dieses (Abg. Dr. Schmid: Nein!)
Hauses nicht die Gewißheit zerstört, daß Sie sich und die Dinge wiederholen sich jetzt wieder. Das
auch darüber im klaren sind, daß es die Aufgabe ist der Grund, warum ich sprach, wirklich nicht,
eines Bundesjustizministers und jedes Landes- um jemanden anzuklagen, nicht, um Sie anzu
justizministers ist, klagen, sondern um darum zu ringen, daß wir ge
meinsam den richtigen Weg finden. Ich meine,
(Abg. Dr. Schmid: Das war unbarmherzig!) manches hat sich in der Aussprache geklärt. Ich
Justiz und Staat zusammenzubringen, nicht gegen- habe Anlaß, zu vergessen, was der Abgeordnete
einanderzuführen, damit wir, bevor wir eine echte Zinn sprach, der mein Freund ist und hoffentlich
Justizkrise haben, die Voraussetzungen beseitigen, bleiben wird, und zu vergessen, was der Abge
daß sie entstehen könnte. ordnete Arndt mir mit, na, wutverzerrtem Gesicht
(Beifall bei den Regierungsparteien und (Lebhafte Zurufe hei der SPD: Nein!)
144e Deutscher Bundestag - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Bundesjustizminister Dr. Dehler)
hier entgegenhielt, und ich will an das glauben, Tag bekomme. Ja, hat man da nicht das Gefühl,
was der Abgeordnete Schmid als Ziel aufstellte. verantwortungslos zu sein? Jedes Grüppchen, das
Der gute Richter! Der gute deutsche Richter fällt sich irgendwo zusammensetzt, fühlt sich befugt,
uns nicht in den Schoß! Der ist mehr Aufgabe, ich von einem Schandurteil zu sprechen, ohne das Ur-
will sagen, der ist Aufgabe und nicht Erfüllung. teil zu kennen.
Aber verderben Sie nicht, was an Gutem vor- (Abg. Renner: Die Grüppchen sind
handen ist! Bürger für Sie!)
Man sagt, ich habe in ein schwebendes Ver- Das ist ja das Schlimme: die andern tun es, sie
fahren eingegriffen. halten sich für befugt, das, was in Neumünster
(Abg. Renner: Ein Urteil gefällt!) geschah, angeblich geschah, auf die deutsche Justiz
— Ich habe nicht gewertet. auszuweiten. Dazu soll ich schweigen? Ich würde
, (Abg. Dr. Schmid: Doch, Sie haben meine Pflicht verletzen,
Zeugenaussagen gewertet!) (Sehr richtig! in der Mitte und rechts)
Ich habe nur das, was mir bekannt war, Ihnen weil ich weiß, daß die deutschen Richter besser
wiedergegeben. Es ist nicht richtig, wenn der Herr sind, als sie hier dargestellt werden.
Abgeordnete Arndt annimmt, weil der Innen- .(Lebhafte Zustimmung rechts
minister Heinemann die stenographisch fest- und in der Mitte.)
gehaltenen Urteilsgründe in der Sache Hedler Ich habe das Recht, darüber zu sprechen. Ich
nicht gekannt habe, mir seien sie nicht bekannt habe damals, 1945, das Richtertum eines Ober-
gewesen, als die Erklärung der Regierung erfolgte. landesgerichtsbezirks mit aufgebaut. Ich kenne
Selbstverständlich waren sie mir bekannt. jeden Richter in meinem Bezirk und weiß, wes
(Abg. Dr. Schmid: Sie haben sie bestätigt!) Geistes er ist, und weiß, auch wenn er einmal Pg
— Ich habe sie nicht bestätigt, und wir denken war: ich habe ihn geprüft und weiß, daß er ein
nicht daran, sie zu bestätigen! anständiger, sauberer, gutwilliger Mensch ist. Ich
weiß allerdings auch, wieviel auf das Beispiel an-
(Zurufe links: Na also!) kommt.
Aber wie sind denn die Dinge? In Deutschland (Zuruf von der SPD: Wir können Ihnen
und in der Welt klagt man die deutsche . Justiz auch andere Beweise liefern!)
an, daß sie ungeheuerliche Vorwürfe verteidige,
daß sie sie billige, daß sie sich hinter das, was Ich habe das Empfinden: solange ich an der Spitze
man Hedler vorwarf, stelle. meines Oberlandesgerichts stand, war ich für
jeden Richter eine Verpflichtung; der wußte, was
(Abg. Dr. Schmid: Nein, die Sätze ich mir als demokratisches Rechtsziel vorstellte.
in der Urteilsbegründung!) und ich hatte die Überzeugung, er orientierte sich
— Ach Gott, die sind doch von dem Herrn Kol- an diesem Wollen. Darauf kommt es an, wie über-
legen Arndt mehr oder minder aus dem Zu- all im Leben: Beispiel zu sein! Aber die Dinge
sammenhang gerissen. müssen ausgesprochen werden, wenn nicht das
(Lebhafter Widerspruch links. — Große Richtertum und wenn nicht damit unser Staat
Unruhe und Klappen mit den Pultdeckeln. — Schaden nehmen soll!
Zurufe.) Meine Damen und Herren, es gab eine Kabi-
— Das ist ja nicht wahr! nettsjustiz, höchste Bedrohung der Justiz, wesens-
(Abg. Renner: Also doch eine Bewertung!) fremd dem Begriff der Gerichtsbarkeit, die nur
bestehen kann, wenn sie unabhängig ist, wenn sie
Meine Damen und Herren, es ist nicht schön, ihre Impulse erhält aus einer höchsten Moral, aus
wenn man von sich selber sprechen muß, aber dem Gewissen. Es gibt eine andere Gefahr: es
immerhin: wenn einer angegriffen wurde von gibt auch die Gefahr der Parlamentsjustiz,
dem, was man Hedler vorwarf, na, dann vielleicht (Sehr richtig! in der Mitte
ich! Ich habe zu einem Widerstandskreis gehört, und rechts)
einem Widerstandskreis, dessen Angehörige ihr
Leben gelassen haben. Meine Verwandten, die es gibt auch die Gefahr der Parteijustiz.
Verwandten meiner Frau, sind ums Leben ge- (Erneute lebhafte Zustimmung
kommen, weil sie Juden waren. Hunderte meiner in der Mitte und rechts.)
Freunde haben ihr Leben in Auschwitz oder Ich beschuldige niemanden, ich sage nur: es gibt
sonstwo verloren! Meinen Sie, das ist mir gleich- die Gefahr, und ihr können wir nur dadurch be-
gültig, was in Neumünster verhandelt wurde? gegnen, daß wir diese Dinge aussprechen und die
Aber ich werde doch dadurch nicht berührt. Gefahr zeigen.
(Zurufe von der KPD) Darum, wenn viele gemeint haben, es sei nicht
wenn ich immerhin einen Teil der deutschen Justiz am Platze gewesen, über die Dinge zu sprechen.
in meiner Verpflichtung weiß, wenn ich das Ge- es war höchste Zeit, darüber zu sprechen. Ich
fühl habe, ich muß dafür sorgen, daß Recht Recht glaube, meine Damen und Herren, von links bis
bleibt, rechts können wir uns in dem Willen finden: wir
wollen alles tun, um den Richter zu schaffen, den
(Abg. Dr. Schmid: Und daß Unrecht als wir brauchen, weil die Demokratie sonst nicht
Unrecht bezeichnet wird!) mehr besteht, und es soll der Tag kommen, an
daß man nicht aus Animosität handelt und ent- dem es in Deutschland wieder heißt: Ilya des
scheidet. Ich muß dafür sorgen, daß der Richter juges à Berlin.
nicht das Gefühl hat, verloren zu sein und An- (Lebhafter Beifall in der Mitte
griffen schutzlos ausgesetzt zu sein. und rechts.)
(Abg. Rische: Die Demokratie ist verloren!)
Ich habe Ihnen gesagt, meine Damen und Her- Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
ren: ich bin zutiefst empört über das, was mir aus weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
den Zuschriften entgegenschlägt, die ich Tag für Ich schließe die Aussprache über Drucksache Nr.
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch,, den 1. März 1950 1449
(Präsident Dr. Köhler)
0 530 und darf das Einverständnis des Hauses an- schaften, Vereinigungen von Unternehmern und
nehmen, daß der Gesetzentwurf als an den zu- oberste Arbeitsbehörden sind vor der Entscheidung
ständigen Ausschuß für Rechtswesen und Verfas- zu hören. Wenn die Zulassung beschlossen wird,
sungsrecht überwiesen gilt. tritt ein Festsetzungsausschuß in Aktion. Für
Darf ich die Fraktion, die den Gesetzentwurf jeden Wirtschaftszweig und jede Tätigkeit, für die
unter Punkt 2 der Tagesordnung eingebracht hat, Mindestarbeitsbedingungen festzusetzen sind, muß
fragen, ob der Referent zur Einbringung des Ge- ein Festsetzungsausschuß errichtet werden. Zu-
setzentwurfes bereits anwesend ist? ständig ist hier entweder die oberste Arbeits
(Zurufe: Jawohl!) behörde oder, wenn ihr Bereich überschritten wird,
der Bundesarbeitsminister. Diese Ausschüsse sol-
-- Dann, meine Damen und Herren, kehren wir len aus drei bis fünf Mitgliedern und einem un-
zu Punkt 2 der Tagesordnung zurück: parteiischen Vorsitzenden bestehen.
Erste Beratung des von der Fraktion der Die Mindestarbeitsbedingungen gelten unmittel-
SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes bar und zwingend für Arbeitnehmer und Ar-
über die Festsetzung von Mindestarbeits- beitgeber des Geltungsbereichs. Günstigere tarif-
bedingungen (Drucksache Nr. 525). liche Bestimmungen werden nicht berührt. Ein
Ich mache darauf aufmerksam, daß im Ältesten- Verzicht auf Rechte kann nur durch Vergleich
rat -- abgesehen von der Begründung, für die 10 möglich gemacht werden, und zwar auch nur nach
Minuten in Aussicht genommen sind — für die Billigung durch die oberste Arbeitsbehörde. Aus-
allgemeine Aussprache eine Redezeit von 60 Minu- schlußfristen zur Geltendmachung von Rechten .
ten vorgesehen worden ist. Darf ich das Einver- können nicht rechtswirksam vereinbart werden.
ständnis des Hauses zu diesem Vorschlag des Es soll also hier insbesondere die Schwäche der
Ältestenrats feststellen? -- Ich höre keinen Wider- Position dieser Gruppen berücksichtigt werden.
spruch; es ist demgemäß beschlossen. Nach Ablauf der Aufhebung der Mindestarbeits-
bedingungen gelten diese weiter, bis eine andere
Das Wort hat als Antragsteller Herr Abgeord- Regelung getroffen ist.
neter Ludwig.
§ 11 fordert eine wirksame Überwachung, was
Ludwig (SPD), Antragsteller: Meine Damen und ebenfalls in Anbetracht der Schwäche dieser
Herren! Mit dem Gesetzentwurf Drucksache Nr. Gruppen erforderlich ist. Die Unternehmer kön-
525 gestatten wir uns, Ihre Aufmerksamkeit auf nen durch die oberste Arbeitsbehörde zur Ein-
eine Gruppe des schaffenden Volkes zu lenken, die haltung aufgefordert werden. Das Land kann
eines besonderen Schutzes bedarf. Wir denken da- durch die oberste Arbeitsbehörde Nachzahlungen
bei an Hausangestellte, Heimarbeiter, gewisse an die Berechtigten gerichtlich geltend machen.
Schichten von Gelegenheitsarbeitern, unständig Die Aufsicht über die Geschäftsführung des
Beschäftigte, Land- und Forstarbeiter und Men- Hauptausschusses führt der Bundesarbeitsminister.
schen mit unbestimmtem Arbeitsverhältnis. Die Kosten für diesen Hauptausschuß trägt das
Normal werden die Tarifverträge nach freien Arbeitsministerium; für die F estsetzungsausschüsse
Verhandlungen der beiden Organisationen der die für die Errichtung zuständige Stelle.
Arbeitnehmer und Arbeitgeber abgeschlossen, und Beide Ausschüsse beraten nicht öffentlich. Die
wir wollen auch in Zukunft an dieser Regelung Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefaßt,
festhalten. Bei den genannten Gruppen handelt bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende.
es sich aber um solche, bei denen der Partner auf Das Beisitzeramt ist selbstverständlich Ehrenamt.
der Arbeitgeberseite fehlt. Niemand kann zu- Es besteht nach diesem Vorschlag eine Aus-
lassen oder wünschen, daß wertvolle Arbeit- kunftspflicht gegenuber allen befaßten Steilen.
nehmerschichten arbeitsrechtlich benachteiligt sind. Das schließt auch das Recht auf Betriebsbesichti-
Deshalb war es notwendig, ein Gesetz über die gung und auf Verlangen entsprechender Unter-
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vor- lagen in sich.
zulegen. Es soll in einer Weise verfahren werden,
die es möglich macht, nicht nur beide Teile ein- Die Entscheidungen über Festsetzung oder Auf-
gehend zu hören, sondern auch Arbeitgeber und hebung bedürfen einer öffentlichen Bekannt-
Arbeitnehmer in paritätischer Zusammensetzung - machung. Die Mindestarbeitsbedingungen sind auch
entscheiden zu lassen. ins Tarifregister einzutragen, genau wie die an-
deren Tarifverträge. Sie sind im Betrieb auszu-
Es wird vorgeschlagen, einen Hauptausschuß zu hängen oder den Beschäftigten in anderer Weise
errichten. Bei dieser Gelegenheit gestatte ich mir, zugänglich zu machen.
darauf hinzuweisen, daß in § 2 Absatz 2 letzte
Zeile ein Druckfehler unterlaufen ist, der zu be- Ich möchte noch besonders darauf hinweisen,
richtigen wäre. Es muß dort statt „Stellenplan" daß durch die paritätische Besetzung der Aus-
heißen „Stellvertreter". Es soll also durch das schüsse und durch die Möglichkeit, auch Vertreter
Bundesarbeitsministerium ein Hauptausschuß er- der Beteiligten zu hören, diese Mindestarbeits-
richtet werden, der aus sechs Vertretern der bedingungen nicht den Charakter der Tariford-
Spitzenverbände, und zwar der Arbeitgeber und nungen haben, wie wir sie im Nazireich gekannt
der Arbeitnehmer, besteht, und dieser Ausschuß haben. Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß es
soll auf drei Jahre gewählt werden. Arbeitgeber in verschiedenen Ländern bereits ähnliche Vor-
und Arbeitnehmer können bei ihm Anträge stel- schriften gibt, die zum Teil noch weitergehen als
len auf Einführung oder Aufhebung schon ein- das, was wir hier vorschlagen. Ich erinnere
geführter Mindestarbeitsbedingungen; im letzteren nur an den gesetzlichen Mindestlohn in Ame-
Fall, wenn die Voraussetzungen in Wegfall ge- rika, der zweifellos diese Vorschläge weit über-
kommen sind. Solche Mindestarbeitsbedingungen schreitet. Wir werden also überall, wo es geht,
sollen festgesetzt werden, wenn eine Sicherung selbstverständlich an den Tarifverhandlungen der
angemessener Löhne zur Befriedigung der wirt- Arbeitgeber und Arbeitnehmer festhalten, also an
schaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der selbständigen Zusammenarbeit der Beteiligten
erforderlich erscheint. Die betroffenen Gewerk- zur Schaffung von Tarifverträgen. Wir müssen
1450 Deutscher Bundestag 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Präsident Dr. Köhler)
aber auch diejenigen schützen, für die es nicht in England und Amerika fürchten das
möglich ist, einen Partner auf der Unternehmer- nicht, Herr Sabel!)
seite zu finden. Eine rasche Beratung und Verab- — Ich weiß nicht. In England liegen die Verhält
schiedung wäre notwendig. Für gewünschte Ver- nisse — letzten Endes auch auf dem Arbeitsmarkt
besserungen werden wir uns jederzeit gern ein- im Augenblick — etwas anders. Ich glaube, das
setzen. sind Dinge, die hier auch berücksichtigt werden
(Beifall bei der SPD.) sollten. --

Ich möchte bei der Gelegenheit allerdings auch


Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der sagen, den landwirtschaftlichen und hauswirt-
Herr Abgeordnete Sabel. Sie haben 12 Minuten. schaftlichen Betrieben muß es angelegen sein, da-
für Sorge zu tragen, daß schon aus dem Grund
Sabel (CDU): Meine Damen und Herren! Der erträgliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden,
vorliegende Gesetzentwurf behandelt eine sehr damit diese Betriebe brauchbare Arbeitskräfte er-
schwierige Materie. Die Prüfung scheint mir not- halten. Wir stellen ja doch allzuoft fest, daß die
wendig, ob wirklich eine gesetzliche Regelung die- besten Kräfte aus der Landwirtschaft abwandern
ser Frage erforderlich ist. Die Regelung soll, wie und versuchen, in der Industrie unterzukommen,
ich den Entwurf verstehe, zur Absicht haben, dort und daß auch die Betätigung in der Landwirt-
einzugreifen, wo der Abschluß von Tarifverträgen schaft dadurch in ihrer Wertschätzung oft herab-
schwierig oder oft sogar aus den verschiedensten gemindert wird. Diese Betätigung wird oft als der
Gründen unmöglich ist. Die Art der Arbeitsver- letzte Ausweg betrachtet. Deswegen ist es not-
hältnisse ist nicht näher umschrieben, aber man wendig, zu' vernünftigen Arbeitsbedingungen zu
kann wohl annehmen, daß die Arbeitsverhältnisse kommen, damit der Arbeitnehmer in der Land-
in der Landwirtschaft, in der Hauswirtschaft, auch wirtschaft auch sein Auskommen findet und stär-
die der Heimarbeiter wenigstens im wesentlichen ker als bisher respektiert wird. Ich möchte darauf
gemeint sind. Bezüglich der Regelung für Heim- hinweisen, daß die Schwierigkeit der Vermittlung
arbeiter möchte ich namens meiner Freunde sagen, von Arbeitskräften für die Landwirtschaft und
daß wir die Vorlage des Heimarbeitsgesetzes er- teilweise auch für die Hauswirtschaft doch auch
warten. Das Arbeitsministerium hat die Vorlage dadurch bedingt ist, daß eben die Verhältnisse
in aller Kürze angekündigt, und wir sind nach wie nicht so sind, wie sie sein müßten. Man kann auf
vor der Auffassung, daß die Frage der Entgelts- diesem Gebiet eine Vermittlung auch, nur dann
regelung in dem Heimarbeitsgesetz verbleiben soll. durchführen, wenn entweder Tariflohn oder doch
Nun ist die Frage, ob eine Regelung für die Land- zumindest der ortsübliche Lohn gezahlt wird. Ich
wirtschaft und für die Hauswirtschaft notwendig darf auch auf die Schwierigkeiten hinweisen, die
ist. Ich glaube, man kann das Bedürfnis hierfür auch durch die Konkurrenz der landwirtschaft-
nicht abstreiten. lichen Betriebe entstehen können, wenn hier die
(Hört! Hört! links.) Lohnverhältnisse sehr stark 'differenziert sind.
Dabei muß allerdings in der Diskussion darauf ge- Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß
achtet werden, daß die Verhältnisse in diesen darauf zu achten ist, daß die freie Vereinbarung
Wirtschaftszweigen stark differenziert sind, daher der Arbeitsbedingungen zwischen den Sozial-
ist die Regelung ungemein schwierig. Es wäre partnern, zwischen den Arbeitnehmern und Ar-
falsch, hier ganz allgemein von unerträglichen beitgebern, nach wie vor die Norm bleiben muß.
Lohn- und Arbeitsbedingungen zu reden. Ich weiß, Die Anwendung eines eventuell zu schaffenden
daß hier manches im Argen ist. Aber wir sollten Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeits-
auch hier nicht zu einer Verallgemeinerung kom- bedingungen darf sich meines Erachtens und auch
men. Wir stellen ja oft fest, daß bei der Gegen- nach der Auffassung meiner Freunde nur auf
überstellung der Löhne Deputatleistungen nicht solche Ausnahmen beschränken, in denen die
erwähnt oder doch nicht ihrer Bedeutung nach Schaffung von Tarifverträgen insbesondere auch
eingeschätzt werden. Wir müssen auch die doch dadurch oft nicht möglich ist, daß entsprechende
ganz verschiedenartige Leistungsfähigkeit land- Tarifkontrahenten nicht vorhanden sind oder daß
wirtschaftlicher Betriebe und auch der Haushal- man, wie das ja auch manchmal geschieht, eben
tungen in Rechnung stellen. -nicht tariffähig sein will. Ich möchte aber auch hier
(Zuruf von der SPD: Das hat doch mit die Meinung zum Ausdruck bringen, daß ein
dem Gesetz nichts zu tun!) solches Gesetz nicht dazu führen darf, daß die
Selbstverantwortung der Beteiligten eingeengt
Es ist also schwierig, und es muß die Sorge sein, wird, daß man vielleicht aus Bequemlichkeit und
Regelungen zu finden, die allgemein als gerecht aus anderen Gründen hier Regelungen in Anspruch
betrachtet werden können und die schließlich nimmt und nicht selbst genügend Versuche macht,
letzten Endes nicht mehr Schaden anrichten, als um zu Regelungen in freien Vereinbarungen zu
sie Nutzen stiften. kommen.
Auf eines möchte ich, gerade meine Freunde aus
den Gewerkschaften hinweisen. Es besteht eine Zu den Einzelheiten des Entwurfs möchte ich
gewisse Gefahr, daß Mindestentgelte, wenn sie nur ganz wenig sagen. Ich möchte sagen, daß bei
festgelegt werden, dann als Normalentgelte be- uns gegen die vorgeschlagene Organisation Be-
trachtet werden — das ist eine Gefahr - und daß denken bestehen. Wir sind der Meinung, daß der
man sich dort nun zu stark nach den Mindestent- Erlaß dieses Gesetzes keinesfalls zur Einrichtung
gelten richtet, wo schon bessere Arbeitsbedingun- eines übersetzten Verwaltungsapparates führen
gen vorhanden sind. darf; wir sind der Meinung, daß Arbeitnehmer
und Arbeitgeber an den Stellen beteiligt sein
(Widerspruch links.) müssen, die sich mit der Festsetzung der Mindest-
— Ich habe diese Erfahrungen schon gemacht, es arbeitsbedingungen beschäftigen. Es ist allerdings
ist ja an sich nichts ganz Neues, und ich bitte eine entsprechende Einschränkung in der zahlen-
doch, diese Gefahr nicht ganz leicht zu nehmen. mäßigen Besetzung notwendig. Es ist auch zu
(Zuruf von der SPD: Die Gewerkschaften prüfen, ob sich nicht durch die bestehenden
Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1451
(Sabel)
Schlichtungsinstanzen, die eingesetzt werden kön- eine Vereinigung der Arbeitgeber fehlt —, nach
nen, andere Einrichtungen vermeiden lassen. dem Willen der Antragsteller anscheinend auch
Nochmals die Feststellung: Tarifverträge zwi- noch andere Gründe, über die man im Ausschuß
schen den Tarifparteien, zwischen den Partnern sehr erheblich reden müßte; denn grundsätzlich
des abgeschlossenen Arbeitsvertrages müssen vor davon auszugehen, daß in den Fällen, in denen
einer autoritären Kollektivregelung den Vorrang eine tarifvertragliche Regelung durch die Gewerk-
haben. schaft — wie es mit einer gewissen Einseitigkeit
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß eine heißt — deshalb nicht erfolgt, weil die Gewerk-
sorgfältige Überprüfung des vorgelegten Ent- schaft zu einer solchen Regelung nicht bereit ist,
wurfes notwendig ist. Ich beantrage daher die das ist doch wahrscheinlich oder hoffentlich nicht
Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß im Sinne der Antragsteller. Ich erwähne diesen
für Arbeit. Punkt, weil mir da zwischen dem von mir schon
(Beifall in der Mitte.) erwähnten seinerzeitigen Initiativantrag der-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der selben Partei im Wirtschaftsrat und dem vor-
Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen. liegenden Antrag eine Verschiedenheit aufgefallen
ist und weil ich die Zweifel, die ich aufgeworfen
Dr. Wellhausen (FDP): Meine Damen und Her- habe, gerne geklärt und bereinigt wissen möchte.
ren! Meine Freunde sind mit einer Verweisung Davon abgesehen fragt es sich nun, wo denn bei
des Antrags an den Ausschuß einverstanden. In der heutigen Sachlage in der Tat noch ein Be-
Vorbereitung der dortigen Beratungen erlauben dürfnis besteht, sich tarifunfähig zu machen. Das
Sie mir, zu einigen grundlegenden Gesichts- ist ja Gott sei Dank eine verschwindende Aus-
punkten kurz Stellung zu nehmen. nahme geworden. Also wo ist noch ein Bedürfnis
Wie einige von Ihnen wissen, hat dieses Initia- vorhanden, von dem mit vollem Recht und zu un-
tivgesetz der SPD eine ziemlich große Vor- serer Befriedigung und sicherlich auch mit Absicht
geschichte. In ähnlicher — meines Erachtens in in § 1 Absatz 1 hervorgehobenen Grundsatz der
einigen Punkten besserer — Form wurde der Tarifvertragshoheit der Sozialpartner abzuweichen
Gesetzentwurf schon im Wirtschaftsrat ein- oder, wie ich sagen möchte, ihn geradezu zu ver
gebracht. Nachdem man über einen dort zunächst -letzen? Diese Frage wird in erster Linie durch
von der KPD eingebrachten Antrag, schlechthin den Hinweis auf die Heimarbeit beantwortet. Da-
und etwas grob — ich meine, in den Ausmaßen zu hat der Kollege Sabel schon das Nötige gesagt.
grob — einen Mindestlohn von 50 Pfennig fest- Wir rechnen damit, daß das Heimarbeitsgesetz,
zusetzen, das ja leider im Wirtschaftsrat auch an der Ver-
(Abg. Rische: Das ist heute noch sagung der Genehmigung durch die Alliierten ge-
viel zu wenig!) scheitert ist, nun schnellstens eingebracht wird;
— ich spreche ja nur von dem System — nachdem denn dafür besteht zweifellos eine dringende Not-
man über diesen Antrag nicht zu einer Einigung wendigkeit. Das Gesetz von 1934, das noch in der
gekommen war, weil man sich im Gegenteil, ich Vornazizeit vorbereitet worden ist, hat an sich
glaube auch bei den Antragstellern, darüber einig gute Grundlagen für die Regelung der Heimarbeit
war, daß man es auf diese Weise nicht gut machen geschaffen. 1939 sind dann die Treuhänder der
könne, hat sich eine Unterkommission des Wirt- Arbeit in das Gesetz eingefügt worden. Die gibt es
schaftsrates in langen Sitzungen damit beschäftigt, nicht mehr, und dadurch hat das Gesetz seine
aus dem Entwurf der SPD etwas Gutes zu machen. Möglichkeiten verloren. Ich nehme das, was der
Schließlich wurde ein Entwurf im Plenum des Kollege Sabel gesagt hat, als eine Bestätigung da-
Wirtschaftsrates behandelt und abgelehnt. Ich be- für, daß das Haus in der Tat die baldige Vorlage
tone das besonders, weil es, wenn ich mich recht eines Heimarbeitsgesetzes zu erwarten hat. Wenn
erinnere, der einzige Gesetzentwurf auf arbeits- man das unterstellt, dann bleiben tatsächlich nur
vertragsrechtlichem Gebiet war, der von der da- noch wenige Gruppen, vielleicht überhaupt nur
maligen gesetzgebenden Körperschaft abgelehnt noch eine übrig, in denen ein Bedürfnis auftreten
wurde. Alle anderen wurden genehmigt, und wenn kann, und ob die nun gerade für die Regelung von
sie nicht Gesetz wurden, dann lag es an der Mili- Mindestarbeitsbedingungen prädestiniert sind,
tärregierung. Aber hier erfolgte eine Ablehnung. möchte ich bezweifeln. Ich möchte jedenfalls auf
Das möchte ich vorausschicken und nun darauf - diesen Gedanken in Vorbereitung der Ausschuß-
eingehen, daß es sich — das ist bereits von meinen beratungen heute schon hinweisen.
Vorrednern gesagt worden — ausschließlich um Ich möchte Sie weiter darauf aufmerksam
ein Organisationsgesetz handelt. Es stehen weder machen, daß in dem Tarifvertragsgesetz, welches,
die Mindestbedingungen selbst in dem Gesetz noch ich glaube, im April 1949 vom Wirtschaftsrat ver
ist gesagt worden, nach welchen Grundsätzen sie abschiedet worden ist, die Möglichkeit geschaffen
in etwa festgelegt werden sollen. Ich sage gleich, ist, daß auch mit einem einzelnen Arbeitgeber
daß ich das als einen Vorteil des Gesetzes ansehe; Tarifverträge abgeschlossen werden, so daß not-
denn es ist ja völlig unmöglich, dafür nun Ge- falls die andere Seite, die Arbeitnehmerseite, in
setzesparagraphen zu schaffen. Es ist schon im der Lage ist, soziale Notstände durch Abschluß
ersten Paragraphen die Rede davon, in welchen eines Tarifvertrages auch dort zu überwinden oder
Fällen Mindestarbeitsbedingungen erlassen werden das sogar zu erzwingen, wo es an einer Vereini-
sollen. Wenn Sie nachschauen wollen, es heißt in gung von Arbeitgebern fehlt.
§ 1 Absatz 2: sie können festgelegt werden, „wenn Zum Schluß erlauben Sie mir bitte zu unter-
eine tarifvertragliche Regelung durch die Gewerk- streichen, was ich vorhin schon erwähnte, daß es
schaften nicht erfolgt." Dieses absolute „nicht er- uns bedenklich, vielleicht sogar gefährlich er-
folgt" stößt auf Bedenken. Es folgt dann zwar die scheint, von dem Grundsatz der Tarifvertrags
Aufzählung einiger Fälle, in denen oder aus denen hoheit ohne Not abzuweichen. Wir sind bekanntlich
das Nichterfolgen der Regelung begründet ist, aber erst seit wenigen Monaten im Nachkriegsdeutsch
es heißt dabei „insbesondere". Es gibt also außer land in der Lage, Lohn- und Arbeitsbedingungen
den Gründen, die da stehen — zum Beispiel wenn zwischen den Sozialpartnern wieder frei und un-
1452 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn. Mittwoch. den 1. März 1950
(Dr. Wellhausen)
beeinflußt abzuschließen. Ich glaube nicht, daß es Wirtschaft zu Ausbildung und Arbeit erschwert
ein Zeichen des Vertrauens in dieses Recht, das wird.
von der Rechten wie von der Linken gleich hoch (Zuruf links: Das ist ein weiter Sprung!)
gehalten wird, sein würde, wenn man nun auto-
ritäre Lohnabsprachen oder Lohnregelungen in Weiterhin hat — darauf legt meine Partei ent-
diesem Fall als unabweisbar — — scheidendes Gewicht — jede zentralistische und
schematisierende Normierung zu unterbleiben.
(Abg. Dr. Mommer: Ein Gesetz durch welche die in den letzten Jahrzehnten allzu
ist doch nicht autoritär!) weit vorgetriebene Nivellierung der Preis- und
— Sie schaffen Behörden, Herr Mommer, und dar- Lohnverhältnisse vollendet würde. Diese Nivellie-
über ist genug geredet worden, wie diese sich rung ist mit eine der wesentlichen Ursachen der
dann im Ernstfall verhalten. traurigen Tatsache, daß Bayern die weitaus
höchste Arbeitslosenziffer aufzuweisen hat, unter
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter, der die bayerische Wirtschaft und der bayerische
Ihre Redezeit ist vorbei. Arbeiter in gleicher Weise leiden. Der Verein der
bayerischen metallverarbeitenden Industrie hat in
Dr. Wellhausen (FDP): Ich bin gleich fertig. seiner vor kurzem erschienenen Denkschrift
Noch dazu aber, wenn Sie das wollen, in einem (Zuruf links: Der ist zuständig!)
Ausmaß, wie ich das vorhin bei der Hervorhebung mit aller Eindringlichkeit auf die weittragenden
von § 1 Absatz 2 über das Scheitern von Lohn- Folgen jener Einebnung hingewiesen.
vertragsabreden an dem Widerspruch der Ge-
werkschaften erläutert habe. Ich meine, wir soll- Unannehmbar wäre für meine Partei jede Rege-
ten in der heutigen Zeit froh sein, daß wir den lung, welche den Versuch darstellen oder die
vor 1933 herrschenden Zustand der verbindlichen Wirkung haben sollte, daß auf dem Wege eines
Schiedssprüche überwunden haben — ich will ein- staatlichen autoritären Interventionismus die Ta-
mal vorsichtig sein: überwunden zu haben rifhoheit und Vertragsfreiheit der Sozialpartner,
scheinen —, und wir sollten nicht in ein über- ihre Selbstverantwortung und Selbstverwaltung
holtes System zurückfallen, das sicherlich dem aufgehoben oder wesentlich eingeschränkt und die
Interesse an unmittelbarer Regelung der Bezie- Bahn für eine kollektivistische Gesellschafts- und
hungen zwischen den beiden Sozialpartnern zu- Wirtschaftsordnung geöffnet wird. Soweit ein le-
widerläuft. Dies Bestreben sollten wir alle fördern gitimes Bedürfnis oder Lebensinteresse eine zwin-
und unterstützen. Es könnte auch sein, daß beide gende Gestaltung der Arbeitsbedingungen erfor-
Partner in eine gewisse Gleichgültigkeit hinüber- dert, bietet nach meiner und meiner Fraktion Auf-
wechseln, weil sie sagen: letzten Endes schafft ja fassung die nach dem Tarifvertragsgesetz vom
dies Gesetz eine zwangsweise Regelung für Min- April 1949 zugelassene und vorgesehene Allge-
destarbeitsbedingungen, und eine solche Gleich- meinverbindlichkeitserklärung die Möglichkeit
gültigkeit sollte meines Erachtens sowohl die einen und Handhabe hierzu.
wie die anderen Sozialpartner bedenklich stimmen. Die westdeutsche Wirtschaft steht in einer
(Beifall bei der FDP.) schweren konjunkturellen und strukturellen Krise.
Massen unglücklicher Menschen sind arbeitslos.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Die soeben eingeleiteten Bemühungen, durch
Herr Abgeordnete Dr. Etzel. planmäßige Verstärkung der Investitionstätigkeit
die unhaltbaren Verhältnisse zu bessern und
Dr. Etzel (BP): Herr Präsident! Meine Damen und durch eine Initialzündung den deflatorischen Cha-
Herren! Die Fraktion der Bayernpartei begrüßt rakter der Gesamtlage zu beheben, müßten durch
und unterstützt jede berechtigte soziale Fortent- gewagte und unzeitgemäße soziale Experimente
wicklung, deren Ziel nicht nur der Schutz der sozusagen in der Stunde der Geburt scheitern.
menschlichen Arbeitskraft vor Ausbeutung, Be- Hinzu kommt, daß für die Zeit nach dem 30.
triebsgefahren und sonstigen, durch den Betrieb Juni dieses Jahres eine einschneidende Änderung
verursachten oder drohenden gesundheitlichen des ,gesamten Bewirtschaftungssystems, der Preis-
Schädigungen, sondern darüber hinaus die all- politik, der Subventionen usw. zu erwarten ist.
mähliche allgemeine Verbesserung des Lebens-
standards der arbeitenden Menschen ist. Wir sind - Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter,
bereit. bei der Beratung des vorliegenden Gesetzes- Ihre Redezeit ist um.
vorschlags im zuständigen Ausschuß in der posi-
tivsten Weise mitzuarbeiten. Dr. Etzel (BP): Es wird also bei der Beratung
Ein echter sozialer Fortschritt setzt aber voraus. des vorliegenden Gesetzesvorschlages einer beson-
daß nicht durch die Art und den Umfang sozialer nenen Behutsamkeit bedürfen, um eine Regelung
und sozialpolitischer Maßnahmen oder durch die zu erreichen, durch welche die angedeuteten, in
Wahl eines hierfür ungeeigneten Zeitpunktes die ihm und in der Wahl des Zeitpunktes seiner Ein-
Grundlagen und Ertragsmöglichkeiten der Wirt- bringung enthaltenen Gefahren vermieden werden.
schaft selbst angetastet oder gefährdet werden.
Überspannungen würden erfahrungsgemäß un- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
weigerlich gefährliche Rückschläge auslösen. deren Herr Abgeordnete Agatz.
Auswirkungen die arbeitenden Menschen selbst zu
tragen hätten. Gesetzgeberische Regelungen dürfen Agatz (KPD): Meine Damen und Herren! Der
auf keinen Fall dazu führen, daß durch sie die vorliegende Gesetzentwurf betrifft Arbeitnehmer-
Fähigkeit oder auch nur die Neigung der Unter- gruppen, die auf das höchste zu bedauern sind.
nehmungen und Gewerbebetriebe, Arbeitskräfte, Ich will sie hier nicht weiter ansprechen, aber
besonders auch ältere, weiter zu beschäftigen oder Tatsache ist, daß bei den Heimarbeitern oder
neu einzustellen, vermindert wird. Vor allem muß Wald- und Forstarbeitern und noch einigen ande-
verhindtw,aßucsiedrÜbgn ren Gruppen solche Bedingungen bestehen, die
(der schulentlassenen Jugend in die Berufe der wir als menschenunwürdig bezeichnen müssen.
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1453
(Agatz)
Diesen Gruppen wird nicht geholfen, wenn man der bereits im September des vorigen Jahres ge
hier schöne Erklärungen abgibt, sondern da muß stellt wurde und in dem die SPD die Bundesre-
schon etwas getan werden. Wir begrüßen, daß gierung ersucht hat, beschleunigt ein Heimarbei-
dieser Entwurf diese Absicht verfolgt. terschutzgesetz vorzulegen, bekannt sein. Diesem
Es sollte heute nicht mehr möglich sein, daß Antrag haben Sie zugestimmt. Dieser Antrag ist
man arbeitet, ohne dafür mindestens 50 Pfennig bis jetzt von der Bundesregierung leider noch
die Stunde zu bekommen. Die Alliierten selbst nicht erfüllt worden. Nach meiner Meinung
haben das einmal bestimmt. Aber leider hapert wäre dies sehr wohl möglich gewesen, da ein
es damit selbst noch in Textilbetrieben und an- Heimarbeitsschutzgesetz, wie auch Herr Kollege
dernorts. Das müßte auch bei Behandlung dieses Dr. Wellhausen und Herr Kollege Sabel und an-
Antrages berücksichtigt werden. Es muß unserer dere erwähnt haben, bereits im Wirtschaftsrat
Meinung nach dahin führen, daß den hier betrof- einmütig verabschiedet worden war. Das Gesetz
fenen Gruppen solche Mindestarbeitsbedingungen ist nur deshalb nicht in Kraft getreten, weil die
gewährt werden, deren wir uns als ein zivilisier- Militärregierungen ihre Zustimmungen nicht ge-
tes Volk nicht zu schämen brauchen. geben haben. Dieses Heimarbeitsschutzgesetz hat
Wir als kommunistische Fraktion werden diesen aber unmittelbar mit dem Gesetz zur Regelung
Antrag unterstützen. Wir werden auch in den von Mindestarbeitsbedingungen nichts zu tun.
Ausschüssen daran mitarbeiten. Es sind dabei (Sehr gut! bei der SPD.)
einige sachliche Dinge noch zu regeln, die wir Es hat in erster Linie die Aufgabe, die in der
dann aber durch entsprechende Anträge vorbrin- Heimarbeit tätigen Ärmsten der Armen zu schüt-
gen werden. zen, Bestimmungen zu schaffen, daß die allge-
meinen und besonderen Arbeitsschutzbestimmun-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
gen der Gewerbeordnung usw. auch für die Heim-
Herr Abgeordnete Walter. arbeit in Betracht kommen. Das ist maßgebend so-
Walter (DP): Meine Damen und Herren! Meine wohl für die Kinderarbeit wie für die Arbeitszeit,
Fraktion ist immer bereit, mitzuarbeiten und mit- wie für die Frage der Feiertags- und Sonn-
zuhelfen, wenn es darum geht, den wirtschaftlich tagsarbeit und derartiges mehr. Hier handelt
Schwachen in unserem Volke zu helfen. Ich es sich in erster Linie darum, daß für an
fürchte nur, die Herren Antragsteller haben mit sich wirtschaftlich schwache und gewerkschaft-
ihrem Antrage gerade das Gegenteil von dem er- lich schwer zu betreuende Arbeitnehmergrup-
reicht, was sie erreichen wollen, wenn wir den pen oder ihnen gleichzusetzende Personengrup-
wirtschaftlich Schwachen schnell helfen wollen. pen Möglichkeiten geschaffen werden, nach denen
Dieser Gesetzentwurf ist unklar, und der Begrün- ihre Arbeitsbedingungen und ihr Arbeitsentgelt
der desselben hat selbst zugeben müssen, daß es so gestaltet sind, daß sie ein menschenwürdiges
besser sei, beim Alten zu bleiben, das heißt bei Dasein führen können.
den Tarifverträgen. Ich möchte darauf hinwei- Daß wir für den Tarifvertrag sind, brauche ich
sen, daß eine gewisse Gefahr besteht, wenn die- nicht besonders zu betonen; denn in § 1 Absatz 1
ser Gesetzentwurf Anwendung finden sollte, eine unseres Antrages wird dieser Grundsatz aus-
Gefahr, die darin liegt, daß man die Tarifverein- drücklich klar und unmißverständlich zum Aus-
barungen verletzt. Es ist daher erforderlich, daß druck gebracht. Der Herr Kollege Dr. Wellhau-
wir in Zukunft weniger darauf bedacht sind, sen kann auch mit seiner Kritik an § 1 Absatz 2
durch lange Gesetzesvorlagen etwas sagen zu wol- beruhigt sein. Denn wenn es so sein sollte, daß
len, als darauf, daß wir den wirtschaftlich Schwa- eine Gewerkschaft oder ein Arbeitgeberverband
chen tatsächlich helfen. Diese Hilfe wird darin oder ein Arbeitgeber einfach nicht wollte und des-
bestehen, daß uns das Ministerium das Gesetz halb ein Tarifvertrag zur Regelung der Lohn-
für die Heimarbeit bald unterbreitet, damit es und Arbeitsbedingungen nicht zustande kommen
zur Verabschiedung kommen kann. Wir müssen würde, ist es meiner Ansicht nach irrig anzuneh-
uns möglichst einfach und klar in unserem An- men, daß dann schon Mindestarbeitsbedingungen
sprechen des Volkes bewegen und nicht etwas durch dieses Gesetz entstehen können. Denn
kompliziert machen, was an sich sehr einfach ist. nach § 2 Absatz 2 bedarf es ja erst der Zustim-
Das Volk begreift sehr wohl, ob man nur etwas mung des Hauptausschusses, ob Mindestarbeits-
sagen will oder ob man tatsächlich bereit ist zu
helfen. Wir wollen helfen; das ist unsere Absicht. - bedingungen für die betreffende Gruppe von Ar-
beitnehmern oder sonstige Personen in Betracht
Wir werden daher im Ausschuß, dem dieser Ge- kommen oder nicht. Wenn der Hauptausschuß,
setzentwurf überwiesen werden soll, unsere Mei- der ja paritätisch aus Vertretern der Gewerkschaf-
nung sagen, die dahin geht, daß wir den wirt- ten und Arbeitgebervereinigungen — an dessen
schaftlich Schwachen tatsächlich helfen wollen. Spitze ein vom Bundesarbeitsminister bestellter
(Zuruf links: Und das Kontrollratsgesetz? Unparteiischer steht — zusammengesetzt ist, nicht
— Beifall bei der DP.) zustimmt, also keine Mehrheit sich dafür findet,
kann ein Erlaß von Mindestarbeitsbedingungen
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmeldun- überhaupt nicht erfolgen. Meiner Auffassung nach
gen liegen nicht vor. würde es der Hauptausschuß sicherlich ablehnen,
(Abg. Schoettle: Das stimmt nicht, es liegt wenn auf der einen oder auf der anderen Seite
noch eine Wortmeldung vor!) bewußtes Verhindern einer tarifvertraglichen Re-
— Eine Wortmeldung? — Herr Abgeordneter Rich- gelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen vor-
ter, bitte! Ich bitte um Entschuldigung, ich habe liegen würde. Wir können auch das Tarifvertrags-
Ihre Wortmeldung nicht bemerkt. gesetz für diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht
anwenden, weil die Voraussetzungen für die All-
Richter (Frankfurt) (SPD): Herr Präsident! gemeinverbindlichkeitserklärung einer tarifver-
Meine Damen und Herren! Daß die SPD für traglichen Regelung nicht gegeben sind, das heißt
die Regelung des Heimarbeiterschutzes ist, dürfte die Anwendung eines Tarifvertrages auch auf die
dem Hohen Hause noch aus dem Antrag der SPD, Außenseiter nicht möglich ist.
1454 Deutscher Bundestag - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Richter, Frankfu rt)
1 Wir müssen uns weiter darüber klar sein, daß ter diese soziale Maßnahme zu stellen, die der
es sich hier um die Schaffung von Mindestrecht Hebung des Niveaus der Ärmsten der Armen
handelt. Aber ich teile nicht die Befürchtung mei- unter den Arbeitnehmern dient.
nes verehrten Kollegen Sabel, daß nur dieses (Beifall bei der SPD.)
Mindestrecht in der Praxis angewandt wird, das
heißt, daß bessere Lohn- und sonstige Arbeits- Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmeldun-
bedingungen nicht möglich wären. Es kann so gen liegen nicht vor. Es ist der Antrag gestellt,
sein, aber es muß und es braucht nicht so zu sein. die Drucksache Nr. 525 dem Ausschuß für Arbeit
Wir wollen in erster Linie damit doch erreichen, zu überweisen. — Widerspruch erhebt sich nicht.
daß dieses Mindestrecht ein soziales Recht ist, Es ist so beschlossen.
das als Mindestrecht angesehen und angesprochen
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
werden muß und für all die Menschen. die zu
diesen Arbeitnehmergruppen gehören, ein sozia- Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
les Existenzminimum garantiert. über eine vorübergehende Erweiterung der
Aus diesen Erwägungen haben sich auch die Ge- Geschäfte der Hypotheken- und Schiffs
werkschaften positiv zu diesem Gesetz geäußert, pfandbriefbanken (Drucksache Nr. 545).
und der Gewerkschaftsrat hat bereits unter dem Es liegt eine schriftliche Begründung des Ge-
4. Juni 1949 geschrieben — Herr Präsident, ich setzentwurfs vor. Ich glaube, daß die schrift-
darf den Absatz vorlesen —: liche Begründung als Einbringung gelten kann. ---
Der Gewerkschaftsrat hält es für dringend ge- Widerspruch erhebt sich nicht. Die Drucksache ist
boten, daß der Wirtschaftsrat vor der Be -
an den Ausschuß für Geld und Kredit zu ver-
endigung seiner Tätigkeit noch ein Gesetz weisen. — Es scheint allgemeine Übereinstimmung
über die Regelung von Mindestarbeitsbedin- zu herrschen. Es ist so beschlossen.
gungen beschließt. Ich rufe die Punkte 5 und 6 der Tagesord-
Die Gewerkschaften stehen auch heute noch auf nung auf:
diesem Standpunkt. Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
Auch die Arbeitsminister der Länder haben in schusses für Geschäftsordnung und Immu-
ihrer Sitzung vom 4. September 1949 den Be- nität über den Antrag der Fraktion der BP
schluß gefaßt, in ihrer Aufstellung der Sofort- betreffend Streichung der Absätze 2 und 3
gesetze nicht nur das Heimarbeitsschutzgesetz, son- des § 103 der Geschäftsordnung (Druck-
dern unter Nr. 11 auch ein Gesetz über Mindest- sachen Nr. 495 und 184) und
arbeitsbedingungen anzuführen. Sie sehen, nicht Beratung des Antrags der Fraktion der
nur die Gewerkschaften, sondern auch die Ar- SPD betreffend Streichung der Absätze 2
beitsminister aller Länder, die seit 1945 die So- und 3 des § 103 der Geschäftsordnung
zialpolitik zu betreuen haben, sind dieser Auf- (Drucksache Nr. 476).
fassung. Es handelt sich um dieselbe Materie. Deswe-
Aber auch das Internationale Arbeitsamt in gen rechtfertigt sich der Vorschlag, beide Punkte
Genf hat bereits in seiner 11. Tagung vom in einer Beratung zu erledigen.
30. Mai bis zum 16. Juni 1928 den Entwurf eines Der Ältestenrat hat Ihnen bezüglich der Rede-
Übereinkommens Nr. 26 über die Einrichtung von zeit folgenden Vorschlag zu machen. Die beiden
Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen ge- Berichterstatter zu Punkt 5 sollen je 5 Minuten
schaffen. Dort heißt es in Artikel 1: sprechen, die Fraktion, die den Antrag unter
Jedes Mitglied der internationalen Arbeits- Punkt 6 der Tagesordnung einbringt, soll 10 Mi-
organisation, das dieses Übereinkommen ra- nuten Redezeit haben. Die Redezeit im ganzen
tifiziert, verpflichtet sich, Verfahren einzurich- unter Einbeziehung des Schlußwortes soll 60 Mi-
ten oder beizubehalten, die es gestatten, Min- nuten betragen. Erhebt sich dagegen Wider-
destlöhne für die Arbeitnehmer in gewissen spruch? -- Das ist nicht der Fall. Diese Beschrän-
Gewerben oder Teilen von Gewerben fest- kung der Redezeit ist also beschlossen.
zusetzen, in denen keine wirksamen Ein-
richtungen für Festlegung der Löhne, sei es Ich bitte Herrn Abgeordneten Gengler, als Be-
durch Gesamtarbeitsvertrag richterstatter das Wort zu nehmen.
-- das heißt Tarifvertrag — -
Gengler (CDU), Berichterstatter: Meine Damen
oder auf anderem Wege,. bestehen und in de- und Herren! Der Bundestag hat in seiner 14. Sit-
nen die Löhne außergewöhnlich niedrig sind. zung am 3. November 1949 beschlossen, dem
Ich glaube, Sie sind mit mit der Meinung, daß § 103 der Geschäftsordnung folgende Absätze 2
wir alles daranzusetzen haben, um in dieser in- und 3 anzufügen:
ternationalen fortschrittlichen Organisation, wie
sie das Internationale Arbeitsamt unbestreitbar (2) Auf Antrag von mindestens 70 anwesenden
Mitgliedern kann die geheime Abstimmung
ist, wieder Mitglied zu werden und wieder aktiv beschlossen werden. Sie findet in der Weise
mitarbeiten zu können. Daraus ergibt sich aber statt, daß die Mitglieder auf weißen und un-
auch die Verpflichtung, daß wir ein Übereinkom- beschriebenen Karten die Fragestellung des
men, das in einer Zeit abgeschlossen wurde, als Präsidenten beantworten. Diese Karten wer-
wir Mitglied waren, im Jahre 1928, wahrscheinlich den von den Schriftführern in Urnen gesam-
mit den Stimmen unserer dortigen Vertreter der melt. Im übrigen gilt für diese Abstimmung
Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der Re- § 105 der Geschäftsordnung entsprechend.
gierung, jetzt auch realisieren.
(3) Auf die Abstimmung über Gesetzesvorlagen
Ich bitte Sie deshalb, nicht nur den Antrag mit findet diese Bestimmung keine Anwendung.
all dem Wenn und Aber, das — verzeihen Sie
mir -- meine verehrten Herren Vorredner der Äußerer Anlaß zur Aufnahme dieser Ergän-
verschiedenen Parteien hatten, dem Ausschuß für zung des § 103 der Geschäftsordnung waren die
Arbeit zu überweisen, sondern sich positiv hin- aus Anlaß der Erörterung über den Bundessitz
Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch. den 1. März 1950 1455
(Gengler)
aus dem Hause gestellten Anträge auf geheime Gegensatz zu der hier und im Ausschuß vertre-
Abstimmung. Es handelte sich um einen Sonder- tenen Ansicht des Herrn Kollegen Gengler zu der
fall. Solchen etwa auftretenden Sonderfällen Rech- Drucksache Nr. 184 steht die Meinung einer Min-
nung zu tragen, ist der Sinn der Zulassung einer derheit des Ausschusses für Geschäftsordnung und
geheimen Abstimmung. Ich habe als Bericht- Immunität, der ich hier Ausdruck zu verleihen
erstatter darauf hinzuweisen, daß Absatz 3 eine habe.
sehr wesentliche Beschränkung der Zulassung der Die Absätze 2 und 3 des § 103 der vorläufi-
geheimen Abstimmung enthält, indem bei einer gen Geschäftsordnung, die eine geheime Abstim-
Abstimmung über Gesetzesvorlagen diese Bestim- mung zulassen, wurden seinerzeit bei der Be-
mung keine Anwendung findet. In dieser star- schlußfassung über den vorläufigen Sitz der Bun-
ken Einschränkung liegt auch die Anwendung als desorgane aus zweckbestimmten Gründen von
Sonder- und Ausnahmefall. einer Mehrheit dieses Hohen Hauses durchgesetzt.
Unsere Geschäftsordnung kennt die geheime Man kann daher von einer „lex specialis Bon-
Abstimmung sonst noch bei Personenwahlen. Diese nensis", von einem Spezialgesetz zugunsten Bonns
ist nicht bestritten. sprechen.
Gegenüber einer geheimen Abstimmung nach (Zustimmung bei der SPD.)
§ 103 Absatz 2 und 3 der Geschäftsordnung wurde Die immerhin beachtliche Minderheit des Aus-
im Ausschuß eingewendet, daß der Abgeordnete schusses schloß sich einer im Ausschuß vertrete-
für seine Haltung durch öffentliche Abstimmung nen Auffassung an, daß geheime Abstimmungen
einzustehen habe. Demgegenüber wurde im überhaupt zu vermeiden sind. Das Parlament
Ausschuß darauf hingewiesen, daß die Unab- darf sich bei seinen Beschlußfassungen nicht hin-
hängigkeit und Verantwortlichkeit der Abgeord- ter einen undurchsichtigen Vorhang begeben.
neten gegenüber einem Druck von Interessenten, (Sehr richtig! bei der SPD.)
gegenüber einem Druck der Straße oder auch nur Der einzelne Abgeordnete soll sich nicht hinter
bei einem Fraktionszwang die Zulassung einer ge- der Wand der Anonymität verstecken.
heimen Abstimmung als Ausnahmefall erforder-
lich machen könne. In verschiedenen parlamen- (Zustimmung bei der SPD.)
tarischen Geschäftsordnungen, darunter in der des Alle Wählerinnen und Wähler haben das absolute
Nationalrats der Schweiz, eines anerkannt demo- Recht, jederzeit über die Stellungnahme und Hal-
kratischen Staates und Parlaments, ist die ge- tung jedes einzelnen Abgeordneten orientiert zu
heime Abstimmung enthalten, zum Teil weit- sein. Das ist aber nur möglich, wenn jede ge-
gehender als bei uns. heime Abstimmungsform ausgeschaltet wird. Wie
Außerdem wurde im Ausschuß erklärt, daß, soll das Vertrauen zum Parlament auch anders
nachdem diese Bestimmung erst im November geweckt und gefestigt werden als durch vollste
1949 beschlossen worden sei, man fetzt nicht schon Offenheit und Klarlegung der Haltung des ein-
wieder ohne direkt zwingenden Grund eine Ä n- zelnen Abgeordneten wie der Gesamtbeschluß-
derung der Geschäftsordnung vornehmen solle. fassung!
(Zuruf: Die Frage Bonn—Frankfurt ist Die Ausschußminderheit lehnte daher den An-
ja erledigt!) trag des Herrn Kollegen Gengler ab, die Beratung
über die Drucksache Nr. 184 bis zu einer späte-
Man meinte, eine gewisse Beständigkeit sei hier ren Behandlung der endgültigen Geschäftsord-
am Platze. nung zurückzustellen, und tritt für die sofortige
(Zustimmung.) Annahme des Antrages auf Streichung der Ab-
Zudem hat der Geschäftsordnungsausschuß sätze 2 und 3 des § 103 der Geschäftsordnung ein.
-- was besonders festgestellt wurde -- die Auf- Diese Haltung empfiehlt sie auch dem Hohen
gabe, eine neue Geschäftsordnung auszuarbeiten. Hause.
Gerade im Hinblick auf diese Arbeit des Ge- (Beifall bei der SPD.)
schäftsordnungsausschusses war die Mehrheit des
Ausschusses der Meinung, man solle die Be- Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn
schlußfassung über den Antrag auf Aufhebung Berichterstatter.
der Absätze 2 und 3 des § 103 bis zur Beratung Das Wort zur Begründung der Drucksache Nr.
der endgültigen Geschäftsordnung zurückstellen. 476 hat der Herr Abgeordnete Ritzel.
Zu dem Antrag der Bayernpartei ist nach den
Ausschußberatungen noch ein gleichlautender An- Ritzel (SPD), Antragsteller: Herr Präsident!
trag der SPD auf Drucksache Nr. 476 hinzuge- Meine Damen und Herren! . Als am 3. Novem-
kommen. Hätte er vorgelegen, dann wäre er ber 1949 die Fraktion der CDU in diesem Hohen
natürlich sachlich in den Ausschußantrag einzu- Hause den Antrag stellte, um den es sich hier
gliedern gewesen. handelt und der der Geschäftsordnung einverleibt
Namens des Geschäftsordnungsausschusses be- worden ist, waren wir wirklich der Auffassung,
antrage ich die Zustimmung zu dem Antrag es handele sich um eine lex specialis. Aber schon
Drucksache Nr. 495: die Beschlußfassung über den in der Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses,
Antrag der Fraktion der Bayernpartei — Nr. 184 in der der Antrag der Bayernpartei auf Auf-
der Drucksachen — bis zur Beratung der end- hebung dieser beiden Absätze des § 103 zur Dis-
gültigen Geschäftsordnung zurückzustellen. kussion stand, und heute zu meinem Erstaunen
wiederum durch den Herrn Berichterstatter, den
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn Herrn Kollegen Gengler, wurde eine prinzipiell
Berichterstatter. andere Haltung eingenommen. Der Herr Kollege
Das Wort, wiederum als Berichterstatter, hat Gengler gab zu, daß es sich hier um einen Son-
der Herr Abgeordnete Sassnick. derfall handele, also sagen wir: um den Fall
Bonn—Frankfurt, der, wie ich gehört habe, den
Sassnick (SPD), Berichterstatter: Meine Damen lang verstorbenen Frankfurter Lokaldichter Stolze
und Herren! Ich kann mich sehr kurz fassen. Im am Abend dieser Abstimmung veranlaßt haben
1456 Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Ritzel)
soll, sich im Grabe herumzudrehen und zu er- lichen Kritik auszusetzen. Ich glaube, es ist ein
klären: Wesensfaktor von entscheidender Bedeutung, daß
Des will mir net in den Kopp hinei; der Abgeordnete sich mit der öffentlichen Kritik
Des kann ka Demokratie mehr sei. und vor allem mit seinen Wählern und seinem
Wahlkreis auseinandersetzt und sich. dort für das
(Heiterkeit.) verantwortet, was er getan oder was er unter-
Aber daß nun die Fraktion der CDU entgegen lassen hat. Ich gebe zu, es bedarf dazu des Mu-
anderen Informationen offensichtlich doch gewillt tes, es bedarf dazu des Verantwortungsbewußt-
ist, an dem ergänzten § 103 festzuhalten, macht seins. Ich unterstelle, daß wir alle diesen Mut
uns stutzig. Bei allem Verständnis für die da- und dieses Verantwortungsbewußtsein haben. Wir
malige Situation glauben wir doch. daß aus prin- wollen, wenn wir unse re r Pflicht genügen, nicht
zipiellen Gründen unter keinen Umständen eine den Kopf in den Sand stecken, wir wollen keine
derartige Bestimmung in der Geschäftsordnung Vogel-Strauß-Politik machen, wir wollen zu dem
des Bundestages erhalten bleiben sollte; denn stehen, was wir übernommen haben zu tun, und
praktisch wäre damit die Möglichkeit gegeben, wir wollen das Rechte tun.
alle sachlichen Abstimmungen durch eine Mehr-
Aus diesem Grunde ist es klug, wenn auch die
heit des Hauses der öffentlichen Abstimmung zu Mehrheit dieses Hauses, die Regierungsmehrheit,
entziehen und eine geheime Abstimmung zu voll-.
ziehen. von dem damaligen Notausgang keinen Gebrauch
mehr macht und es auch gar nicht darauf ankom-
Wir von der sozialdemokratischen Fraktion sind men läßt, daß eventuell in eine Prüfung der Frage
der Auffassung, daß kein Beispiel eines demo- eingetreten wird, ob bei weiter Interpretation
kratischen Staates. auch wenn es so sein sollte, nicht unter Umständen sogar eine Verletzung des
wie der Herr Kollege Gengler von der Schweiz Artikel .42 des Grundgesetzes mit dem Beschluß
berichtete — was sich meiner Kenntnis im Augen- vom 3. November vorliegt. Ich hebe darauf heute
blick entzieht —, dazu verleiten darf, eine Ab- nicht ab, sondern ich erkläre nur namens meiner
stimmung in wichtigen Sachangelegenheiten der Fraktion: nachdem eine Mehrheit. die sich aus den
öffentlichen Kontrolle zu entziehen. Regierungsparteien zusammensetzte, im Ge-
(Zustimmung bei der SPD.) schäftsordnungsausschuß bei Behandlung des An-
Ich glaube sagen zu dürfen, daß das Recht des trags der Bayernpartei für die Aufrechterhaltung
Volkes unter anderem auch darin besteht, zu wis- einer Geschäftsordnungsbestimmung für den Son-
sen, wie die Abgeordneten des Bundestages zu derfall Bonn—Frankfurt für längere Zeit gestimmt
dieser und jener Frage Stellung nehmen, hat, erst dann haben wir es für notwendig, und
(Sehr richtig! bei der SPD) zwar zwingend notwendig erachtet, einen eigenen
Antrag einzubringen. Ich bitte Sie, nicht auf den
und die Stellungnahme vollzieht sich nicht nur Ausweg zu verfallen, nun diesen Antrag etwa
in Reden und Zwischenrufen, sondern entschei- auch noch dem Ausschuß für Geschäftsordnung
dend in der Abstimmung. und Immunität zu überweisen, sondern durch eine
(Sehr wahr! bei der SPD.) _klare und offene Abstimmung hier und heute zu
Aus diesen Gründen sind wir der Meinung: diese bekennen, ob Sie gewillt sind, den Notausgang zu
Bestimmung m u ß fallen! verschließen, den Sie aus Anlaß der Entscheidung
Wir haben unseren Antrag erst dann gestellt, Bonn—Frankfurt gewählt haben, und ob Sie ge-
als sich im Geschäftsordnungsausschuß eine willt sind, zu einer ordentlichen Behandlung und
Mehrheit fand, die für eine Vertagung der Ent- dementsprechend offenen Abstimmung in Sach-
scheidung bis zur Neuregelung der Geschäfts- fragen zurückzukehren, oder ob Sie wirklich wün-
ordnung überhaupt eintrat und dementsprechend schen, daß die Entscheidung bis zu der noch Wo-
beschloß. chen - wir wissen nicht, wieviel Wochen
dauernden Neuregelung der Geschäftsordnung zu-
Meine Damen und Herren, die Auffassung, die rückgestellt wird, von der wir dann erst recht
ich Ihnen vortrage, ist weithin im deutschen Volk nicht wissen, ob nicht wieder eine Mehrheit des
vertreten. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Hohen Hauses bereit ist, diesen Paragraphen zu
Herr von Brentano, hatte ja Gelegenheit, in den verewigen.
Auseinandersetzungen mit der Deutschen Wähler-
(Beifall bei 'der SPD.)
gesellschaft entsprechende Informationen einzu-
holen. Ich glaube, es wäre nützlich, wenn sich
die Parteien, die am 3. November diesem Antrag Vizepräsident Dr. Schmid: Ich eröffne die Aus-
zum Erfolg verholfen haben, heute darauf besin- sprache.
nen würden, daß man dieses Spiel nicht fort- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
setzen sollte. Es ist die Aufgabe jedes Abgeord-
neten jeder Fraktion, die Verantwortung, die der Dr. Seelos (BP): Meine Damen und Herren! Dem
einzelne in sich trägt, die er spürt, auch so zum Bundestag ist es bisher nicht gelungen, draußen
Ausdruck zu bringen, daß daraus keine Geheim- im Land ein günstiges Echo zu finden. Nun ist
politik bei den Abstimmungen gemacht wird. Das es für jedes Parlament heutzutage schwer, etwa
Volk hat ein Recht darauf, zu wissen, wie der gar populär zu sein. Aber man braucht nicht so
von ihm gewählte Abgeordnete in ganz bestimm- weit zu gehen, um alle Ressentiments gegen ein
ten Sachfragen urteilt, wie er stimmt; denn der Parlament draußen im Volk zu wecken, und das
Abgeordnete, der sich in die Anonymität hüllt, ist nirgends so gelungen wie durch die Annahme
kann nachher leicht sagen: ich war dafür oder dieses Antrages auf geheime Abstimmung ad hoc,
dagegen. Kein Mensch kann ihm das beweisen. zu dem Zwecke der Wahl einer Hauptstadt. Man
Der Wähler aber hat ein Recht darauf, zu wis- sagt immer, man will die Jugend zur Demokratie
sen, was der Abgeordnete in Tat und Wahrheit erziehen. Gerade die Jugend will Offenheit, Ent-
getan hat. schlossenheit, Verantwortungsbewußtsein, und
Eine Abstimmung enthält schließlich vor allem dies alles ist durch den Beschluß dieses Hauses
auch das Element des Willens, sich der öffent- schwer verletzt worden.
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1457
(Dr. Seelos)
Ich möchte nicht die Argumente, die bei der geheime Abstimmung beantragt, und auch wieder
letzten Debatte schon vorgebracht und auch heute von seiten der SPD!
wieder angeklungen sind, nochmals wiederholen; (Hört! Hört! in der Mitte und rechts.)
das würde nur das, was man dem Parlament im- Also, meine Damen und Herren, warum sind Sie
mer vorwirft, bestätigen, daß nämlich zuviel ge- so schrecklich bescheiden, nun, sagen wir einmal,
redet wird. Das meiste ist schon gesagt worden. das Recht der Priorität auf dem Gebiete der Er-
Hier geht es nicht darum, jetzt noch zu reden, findung geheimer Abstimmungen so weit von sich
sondern abzustimmen und sich zu entscheiden. zu weisen?
Ich habe schon bei der ersten Debatte dafür plä-
diert, daß man die Sache nicht an den Ausschuß (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
verweist, sondern gleich entscheidet, weil es sich
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Herr
doch um eine politische Entscheidung handelt.
Das hat sich heute bestätigt; denn es ist ein Abgeordnete Dr. Horlacher.
Mehrheits- und ein Minderheitsvotum zustande
gekommen, über das wir nun doch politisch ent- Dr. Horlacher (CSU): Meine verehrten Damen
scheiden müssen, und das bitte ich, heute zu tun, und Herren! Über Bonn und über die seiner-
um die damalige falsche Stellungnahme zu kor- zeitige Bestimmung des Sitzes des Bundestages
rigieren und offen, und zwar heute gleich, für die und .der Bundesregierung ist das Notwendige jetzt
Abschaffung dieser geheimen Abstimmung einzu- gesagt worden; ich will mich damit nicht mehr
treten. Dazu beantrage ich namentliche Abstim- aufhalten. Ich möchte aber heute feststellen, daß
mung und bitte um die Unterstützung von 50 mir seinerzeit — ich darf doch offen mit dem
Mitgliedern. Hause reden — die geheime Abstimmung etwas
gegen den Strich gegangen ist. Eine geheime
(Zurufe: Gar nicht nötig!) Abstimmung sollte sich beschränken auf Abstim-
mungen über die Wahl von Personen,
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Dr. Schäfer. (Sehr richtig! bei der SPD)
so wie das in der Geschäftsordnung. vorgesehen
Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren, ist. Das Hausgesetz hier, die Geschäftsordnung
vorweg zu dem Antrag auf namentliche Abstim- muß so unabhängig und so objektiv gestaltet wer-
mung: ich glaube, das ist eine Übertreibung. Denn den, daß' sie in ihrem Aufbau, unabhängig von
es sind vermutlich nicht sehr viele Mitglieder der Zusammensetzung irgendwelcher Regierungs-
dieses Hauses, die geneigt sind, mit der Emphase koalitionen, wirklich den Bedürfnissen der De-
für die Aufrechterhaltung der geheimen Abstim- mokratie und der Gestaltung, dem Ansehen und
mung einzutreten, wie sie aufgewandt worden der Würde dieses Hauses entspricht. Das ist
ist, um die Beseitigung dieser Einrichtung zu be- meine Meinung.
gründen. (Abg. Dr. Seelos: Das hätten Sie damals
In Wirklichkeit sind die Gegensätze gering. Im
Grunde genommen sind wir uns völlig einig, daß
sagen sollen; den Mut hätten Sie damals
aufbringen sollen!)
a
wir von dieser Einrichtung keinen Gebrauch ma-
chen. Ob man diese Bestimmung aufhebt, oder Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter
ob man von ihr einfach keinen Gebrauch macht, Dr. Seelos, bitte keine Dialoge!
(Heiterkeit)
indem man keine Mehrheit in diesem Hause für Dr. Horlacher (CSU): Ich fahre viel draußen
eine geheime Abstimmung findet, kommt auf das- herum und habe nirgends gefunden, daß diese
selbe hinaus. Frage der Abschaffung der Absätze 2 und 3 des
(Erneute Heiterkeit.) § 103 der Geschäftsordnung bei der Wählerschaft
Nun, meine Damen und Herren, da Sie sich so eine so weltbewegende Frage wäre.
freuen, will ich noch ein wenig Ihr Gedächtnis (Lebhafte Zustimmung.)
unterstützen. Der Herr Kollege Ritzel hat näm- Wenn ich nicht selbst darauf hingewiesen hätte,
lich immer vom 3. November gesprochen und so kein Mensch hätte sich darum gekümmert!
getan, als sei die Einrichtung der geheimen Ab- (Zurufe von der SPD: Na, na!)
stimmung damals im deutschen Parlament erst- Die Sache mit Bonn ist inzwischen erledigt. Aber
malig erfunden worden. warum, meine Damen und Herren, sollen wir
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) nicht jetzt die reinen Grundsätze einer ver-
In Wirklichkeit ist die Sache ganz anders: erst- nünftigen geschäftsordnungsmäßigen Handhabung
malig ist die Sache erfunden worden bei der Ab- gestalten? Ich bin dafür, daß wir uns da gar
stimmung über den Bundessitz im Parlamenta- nicht weiter aufregen, besonders da eine große
rischen Rat, und damals war es die SPD, die Mehrheit dieses Hauses diese geheime Abstim-
den Antrag gestellt hat, mung wieder abschaffen will.
(lebhafte Rufe: Hört! Hört! und große (Bravorufe und Händeklatschen links.)
Heiterkeit) Dazu brauchen wir auch keine namentliche Ab-
die Abstimmung über den Bundessitz in der Form stimmung. Meines Erachtens kann das hier mit
einer geheimen Abstimmung zu machen. einer. solchen Mehrheit geschehen, daß dieser
(Erneute lebhafte Rufe in der Mitte und Schmerz unseres Parlamentarismus wieder be-
rechts: Hört! Hört!) seitigt ist und die Gemüter sich wieder beruhigen
dürfen, nachdem jeder offen seine Meinung zum
Dann, meine Damen und Herren, darf ich zum
zweiten daran erinnern: als es hier darum ging, Ausdruck bringen darf.
zu beschließen, daß ein Ausschuß in diesem Hause (Lebhafter Beifall.)
sich nochmal mit der Bundessitzfrage beschäftigen
solle -- also bei der Abstimmung über die Über- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
weisung an den Ausschuß —, wurde sogar eine Herr Abgeordnete Dr. Reismann.
1458 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950

Dr. Reismann (Z): Meine sehr verehrten Damen greifend und vorweggreifend eine b es ondere
und Herren! Meine Fraktion ist mit dem Antrag Regelung zu beschließen.
des Ausschusses einverstanden, die Sache bis zur (Beifall im Zentrum.)
Regelung durch die endgültige Geschäftsordnung
zurückzustellen. Das scheint mir richtig zu sein. Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Herr
Ich möchte aber doch auf einige Argumente Abgeordneter Euler.
aufmerksam machen, die nach meiner Meinung
dabei eine Würdigung verdienen. Es wurde soeben Euler (FDP): Als der Abgeordnete, auf dessen
gesagt, daß diese Bestimmung über die geheime Antrag hin die Vorschrift über die namentliche
Abstimmung der Schmerz unseres Parlamentaris- Abstimmung in die Geschäftsordnung aufgenom-
mus sei. Das vermag ich wirklich nicht einzu- men wurde, gebe ich meiner besonderen Genug-
sehen, nachdem die Bestimmung nur einmal an- tuung darüber Ausdruck, daß es möglich zu sein
gewendet worden ist. Aber daß sie vorhanden scheint, die geheime Abstimmung in diesem Hause
ist, kann unter Umständen doch von Bedeutung wieder verschwinden zu lassen. Weiterhin gebe
sein. Stellen wir uns einmal vor, es gäbe sie ich die Auffassung meiner Freunde bekannt, die
nicht, so eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten dahin geht, daß es besser ist, sie schon heute zum
für die Partei- und Fraktionsbürokratie, auf die Verschwinden zu bringen, als erst dann, wenn die
Abgeordneten einzuwirken. Und gerade daß es neue Geschäftsordnung für das Haus fertiggestellt
bei einigen Fraktionen - nebenbei bemerkt, und wird; denn wir sind uns darüber im klaren, daß
das sage ich ausdrücklich : nicht in unserer diese neue Geschäftsordnung erst noch, ausreifen
Fraktion --- das Institut des Fraktionszwanges muß. Bis zu diesem Zeitpunkt, der möglicher-
gibt, ist nach meiner Meinung ein notwendiges weise noch Monate auf sich warten läßt, ist es
Korrelat dazu, daß es auch die Möglichkeit der doch immerhin wichtig, daß dieses Parlament vor
geheimen Abstimmung gibt. aller Öffentlichkeit bekundet, sich von der
(Sehr richtig! beim Zentrum.) Anonymität der Abstimmung völlig freimachen zu
wollen.
Natürlich hat das Volk ein Recht darauf, zu er- In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein
fahren, wie die Abgeordneten gestimmt haben. Es Wort zu dem von Herrn Kollegen Reismann vor-
ist aber die Frage, ob der Wunsch und der Wille, gebrachten Gegenargument sagen. Es hat einen
das, was hier geschieht, auch öffentlich zu ver- Anschein von Richtigkeit für sich, wenn gesagt
treten und zu verantworten, der Richtigkeit vor- wird, die Möglichkeit geheimer Abstimmung
geht oder ob die Richtigkeit und die Gewissens-
mäßigkeit der Öffentlichkeit vorgehen. Da bin ich müsse solange bestehen, als es noch einen
Fraktionszwang gebe. Aber, meine sehr geehrten
persönlich allerdings der Ansicht, daß die Richtig- Damen und Herren, bei anonymer Abstimmung
keit der Öffentlichkeit vorgeht. Denn es läßt sich ist überhaupt nicht festzustellen, inwieweit
nicht leugnen: die Gefahr ist einigermaßen er- Fraktionszwang angewandt bzw. erfolgreich
heblich, daß mit der Öffentlichkeit ein Mißbrauch geltend gemacht wurde. Gerade die Öffentlichkeit
getrieben wird in Fällen, in denen Interessenten- der Abstimmung gibt den breiten Bevölkerungs-
kreise besonderer Art hinter einer bestimmten schichten erst die Möglichkeit, zu erkennen, in-
Frage stehen. Das Wort von dem Druck 'der wieweit Fraktionen ständig geschlossen stimmen.
Straße ist nach meiner Meinung zu abgegriffen, Gerade über die offentlichkeit der Abstimmung
als daß ich es hier gebrauchen möchte, aber der wird der Bevölkerung erst die Möglichkeit ge-
Druck von Interessentenkreisen ist schlechterdings
geben; sich ihr Urteil über die Fraktionen zu
gar nicht wegzuleugnen. Dieser Druck besteht, bilden, die immer oder wenigstens bei allen
und die Möglichkeit, einem solchen Druck durch wichtigeren Fragen Fraktionszwang anwenden.
die geheime Abstimmung auszuweichen, trägt nur Deswegen glaube ich, daß gerade Ihr Argument,
einer allgemein menschlichen Erfahrung Rech- Herr Kollege Reismann, Ihr Absehen auf den
nung, daß nicht alle Menschen Engel sind, son- Fraktionszwang, wohlverstanden, zu der Ent-
dern daß sie unter Umständen einem solchen scheidung führen muß, die Anonymität der Ab-
Druck aus propagandistischen oder aus anderen stimmung gänzlich zu beseitigen.
Gründen einmal nachgeben. Eventuell genügt
schon die Möglichkeit, daß diese Bestimmung da -
ist, um sie möglichst wenig zur Anwendung zu Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
bringen. Herr Abgeordnete Kiesinger.
Aus allen diesen Gründen möchte ich doch der Kiesinger (CDU): Meine Damen und Herren! Ich
Auffassung widersprechen, daß diese Bestimmung will die Argumente für und wider die Beibe-
ein Scheusal sei, das man in die Wolfsschlucht haltung oder Abschaffung der Möglichkeit einer
werfen müsse. Diese Frage soll man in aller geheimen Abstimmung nicht wiederholen. Es
Ruhe, und nicht aus dem Zusammenhang heraus- läßt sich sehr viel für die Beibehaltung einer ge-
gerissen, mit den anderen Fragen der Geschäfts- heimen Abstimmung sagen, und die Stellung-
ordnung zur Beratung und Abstimmung stellen. nahme der Mehrheit des Ausschusses, die dahin
Ich halte überhaupt die Gelegenheitsgesetzgebung ging, die Dinge in aller Ruhe zu überdenken und
in puncto Geschäftsordnung nicht für wünschens- dann in einer endgültigen Geschäftsordnung
wert. Man soll, da wir uns zur Zeit noch im niederzulegen, hat eine ganze Menge für sich. Auf
Stadium der Entwicklung der Geschäftsordnung der anderen Seite sind aber viele meiner poli-
befinden, diese Entwicklung auch in Ruhe ab- tischen Freunde der Auffassung, daß die anderen
warten. Der Fall der geheimen Abstimmung ist Interessen, die für die Öffentlichkeit jeder Ab-
seit Bonn nicht wieder akut geworden. Wir haben stimmung sprechen, eben doch so stark sind, daß
also kein besonderes Bedürfnis, und wir haben man heute schon eine Abstimmung über diesen
bisher auch keine besonderen Erfahrungen ge- Punkt herbeiführen sollte.
macht, die es rechtfertigen. in die normalen Be- Ich kann also für meine Fraktion nicht etwa
ratungen des Geschäftsordnungsausschusses ein erklären, daß sie unbedingt auf der Beibehaltung
Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1459
(Kiesinger)
der geheimen Abstimmung besteht. Es wird bei Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Ritzel.
uns jeder so stimmen, wie er es für richtig hält. Ich mache noch bekannt, daß seitens der
Ein ganzer Teil meiner Freunde ist für die Auf- Fraktion der FDP ein Änderungsantrag eingekom-
hebung der geheimen Abstimmung, ein anderer men ist, wonach in dem Antrag des Ausschusses
Teil für die Beibehaltung. Das ist das gute Recht in Absatz. 1 Satz 3 die Worte „oder auf Antrag
jedes Abgeordneten. von mindestens 30 Abgeordneten" gestrichen wer-
Das ist die Klarstellung, die ich noch geben den sollen.
wollte. Man hat sich im Ältestenrat geeinigt, das Ganze
in 20 Minuten Redezeit abzutun. Ich bitte,
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und darauf Rücksicht zu nehmen.
Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Seelos hat so-
eben mitgeteilt, daß er den Antrag auf nament- Ich erteile dem Herrn Berichterstatter das Wort.
liche Abstimmung zurückziehe. Ritzel (SPD), Berichterstatter: Herr Präsident!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ritze]. Meine Damen und Herren! Ich kann die Bericht-
Ritzel (SPD) : Meine Damen und Herren! Ich erstattung über diesen Tagesordnungspunkt kurz
freue mich über die Tatsache, daß der Abgeordnete fassen. Ich halte mich hauptsächlich an das Aus-
Dr. Horlacher eine Bresche in die bisher etwas schußprotokoll vom 3. Februar 1950. Der Ausschuß
versteifte Front geschlagen hat, möchte mich aber hatte in seiner 7. Sitzung vom 14. Dezember 1949
ganz kurz äußern zu den Feststellungen des Herrn durch die Änderung des § 104 der vorläufigen Ge-
Abgeordneten Dr. Schäfer in bezug auf die Sün- schäftsordnung die Einführung des sogenannten
den, die angeblich oder tatsächlich Hammelsprungs beschlossen. Das Wort Hammel-
sprung ist nicht schön, aber wir haben bis jetzt
(Zurufe in der Mitte und rechts) noch kein besseres gefunden. Der mündliche Be-
die sozialdemokratische Fraktion des Parlamen- richt hierüber wurde nicht an das Plenum geleitet,
tarischen Rates vor Jahr und Tag begangen da der Präsident des Bundestags in einer Be-
haben soll. Jedenfalls waren Sie dieser Sünden sprechung mit dem Vorsitzenden des Ausschusses
teilhaftig, Herr Kollege Dr. Schäfer, und nachdem am 12. Januar 1950 bekanntgegeben hatte, daß die
sich nun in diesem Hohen Hause offensichtlich Absicht bestehe, eine technische Abstimmungs-
eine Wandlung zu vollziehen beginnt, glaube ich, anlage in den Sitzungssaal einbauen zu lassen, wo-
darf man für den Beschluß — — durch sich der Hammelsprung erübrigen würde.
(Abg. Hilbert: Aber bei Ihnen hat Auf Grund des Beschlusses über die Einführung
es angefangen!) des Hammelsprungs und der Erfahrungen in der
— Na ja, ich nehme niemanden aus! — Ich möchte Plenarsitzung vom 2. Februar 1950 beauftragte
nur feststellen, wenn von den Beschlüssen des jedoch der Ausschuß den Vorsitzenden, darauf
Parlamentarischen Rats bis zu dem heute zu hinzuwirken, daß der Antrag auf Änderung des
fassenden Beschluß eine Wandlung zu vollziehen § 104 zur satzungsgemäßen Einführung des be-
l ist, dann gilt für alle die, die sich dieser Wand- reits geübten Hammelsprungs schon jetzt vom
lung anschließen, der schöne Satz: Plenum verabschiedet werde.
Die vom Irrtum zur Wahrheit reisen, Wir alle haben ja selbst die mehrfache An-
Das sind die Weisen. wendung dieses Hammelsprungs erlebt. Die
Die im Irrtum beharren, Formulierung des § 104, wie ihn der Ge-
Das sind die Narren! schäftsordnungsausschuß Ihnen vorschlägt, finden
(Heiterkeit.) Sie in der Drucksache Nr. 528 in Ihrer. Mappe.
Ich höre eben, daß zu diesem Vorschlag ein Er-
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich nehme an, Herr gänzungsantrag eingereicht worden sei. „Auf An-
Abgeordneter Ritzel, daß Sie damit Vorgänge aus ordnung des Sitzungsvorstandes oder auf Antrag
der Vergangenheit meinen von mindestens 30 Abgeordneten erfolgt die
(Abg. Ritzel: Ich habe keinen Zählung in folgender Weise" soll geändert wer-
Abgeordneten gemeint!) den, indem lediglich stehenbleiben soll „Auf An-
ordnung des Sitzungsvorstandes". Also die Antrag-
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. -stellung von 30 Abgeordneten soll fallen. Zu
Wir kommen zur Abstimmung. Am weitesten diesem Abänderungsantrag hat der Geschäfts-
geht der Antrag des Ausschusses auf Drucksache ordnungsausschuß noch nicht Stellung genommen;
Nr. 495, auf Grund dessen die Beschlußfassung ich kann daher darüber auch nicht berichten.
über den Antrag zurückgestellt werden soll. Wer Im ganzen möchte ich sagen, daß die statuten-
für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu mäßige Einführung des Hammelsprungs besonders
erheben. — Gegenprobe. — Das letztere ist ohne im Hinblick darauf, daß es vermutlich noch weite
Zweifel die Mehrheit. Danach ist über die An- Wege haben wird, bis eine technische Abstimmung
träge Drucksache Nr. 184 und Drucksache Nr. 476 in diesem Hause durchgeführt sein wird, die auch
abzustimmen, die beide der Substanz nach gleich erhebliche Kosten verursachen würde, eine Not-
sind: die Absätze 2 und 3 des § 103 der Geschäfts- wendigkeit bedeutet. Heute ist die Anwendung
ordnung zu streichen. Wer für die Streichung ist, des Hammelsprungs in der Geschäftsordnung
den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegen- nicht vorgesehen. Es ist nur ein Akt der Ord-
probe. — Offenbar ist die Mehrheit für Streichung. nung, wenn wir den § 104 entsprechend in die
Es ist so beschlossen. Die Absätze 2 und 3 des § Geschäftsordnung einbauen. Ich will nur darauf
103 der Geschäftsordnung sind damit gestrichen. hinweisen, daß bei der praktischen Übung, die
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung: wir hinter uns gebracht haben, eine Änderung
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus gegenüber dem vorgeschlagen ist, was analog den
schusses für Geschäftsordnung und Immuni Bestimmungen der Geschäftsordnung des Deutschen
tät auf Änderung des § 104 der vorläufigen Reichstags in dem hier zur Diskussion und Ab-
Geschäftsordnung des Deutschen Bundes stimmung stehenden § 104 enthalten ist. Es heißt
tages (Drucksache Nr. 528). hier, daß die Abstimmung sich vollzieht, indem
1460 Deutscher Bundestag - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Ritzel)
die Mitglieder entweder durch die Ja -Tür — Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
rechts gedacht vom Präsidenten aus, also hier —, Herr Abgeordnete Dr. Oellers.
durch die Nein-Tür — links, also dort — oder,
wenn sie sich der Stimme enthalten wollen, durch Dr. Oellers (FDP): Herr Präsident! Meine Da-
die dem Vorstandstisch gegenüberliegende Tür in men und Herren! Meine Fraktion hat sich mit
den Saal eintreten und von den Schriftführern laut dem von uns gestellten Abänderungsantrag prak-
gezählt werden. Die Enthaltemich -Tür wäre also tisch nur zum Sprecher der Auffassung gemacht,
in der Mitte. Bis jetzt hat sich die Sache so ab- die alle Fraktionen im Ältestenrat vertreten ha-
gespielt, daß die eine Tür und die Mitteltür be- ben. Wir sind der Ansicht, daß man den Hammel-
nutzt wurden und diese hier als Enthaltemich- sprung nur auf Anordnung des Sitzungsvorstandes
Tür. Ich glaube, aus der Erfahrung des Deutschen durchführen lassen sollte, nicht aber auch auf
Reichstags in Erinnerung zu haben, daß man nicht Wunsch von 30 Abgeordneten, was ja gegebenen-
ohne Grund die Ja-Tür und die Nei n-Tür ziemlich falls zu sehr unangenehmen Konsequenzen führen
weit auseinandergelegt hat, und ich glaube, daß könnte. Ich glaube, einen Hammelsprung auf An-
es nützlich wäre, diese Übung in dem Hohen trag aus dem Hause vorzusehen, wird nicht not-
Hause durch eine entsprechende Fixierung in der wendig sein.
Geschäftsordnung beizubehalten. Abgesehen also
von dem Abänderungsantrag der FDP, über den Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter
ich nicht berichten kann, schlage ich Ihnen vor, Miessner, ich glaube, Sie können auf Ihren An-
den § 104 in der vorliegenden Fassung gemäß trag wirklich verzichten. Genau sowenig wie wir
dem Antrag des Geschäftsordnungsausschusses an- eine Bestimmung in der Geschäftsordnung haben,
zunehmen und nicht abzuwarten, bis eine tech- daß niemand zweimal abstimmen darf, genau so-
nische Einrichtung die Abstimmung in einer wenig brauchen wir diese Bestimmung; sie ver-
anderen Weise regelt. steht sich doch von selbst.
(Abg. Frau Dr. Weber: Ja!)
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn
Berichterstatter und eröffne die Aussprache. – Keine Wortmeldungen? — Wir treten in die
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miessner. Abstimmung ein. Ich lasse zunächst über den
Antrag des Abgeordneten Dr. Schäfer und Frak-
Dr. Miessner (DRP): Meine Damen und Herren! tion abstimmen, in dem Antrag des Ausschusses
Ich habe bei diesem Hammelsprung als Schriftführer Drucksache Nr. 528 die Worte „oder auf Antrag
regelmäßig das Amt eines Zählers. Ich möchte aus von mindestens 30 Abgeordneten" zu streichen.
der Praxis vorschlagen, eine Bestimmung darüber Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand
einzufügen, daß während der Abstimmung durch zu erheben. — Gegenprobe. — Die große Mehr-
den Hammelsprung kein Abgeordneter, der be- heit ist für Streichung.
reits in den Saal hereingekommen ist, ihn wieder Ich lasse weiter über den Abänderungsantrag
verlassen darf. des Abgeordneten Dr. Miessner abstimmen:
(Abg. Löbe: Das ist selbstverständlich!) Während der Abstimmung dieser Art darf
Dies wird notwendig sein, denn sonst besteht kein Abgeordneter den Saal verlassen.
theoretisch die Möglichkeit, daß einer hinausgeht Das wäre wohl einzufügen hinter „von den
und zum zweiten Male wieder hereinkommt. Ich Schriftführern laut gezählt".
bitte daher den Herrn Präsidenten, diese Sache (Zustimmung.)
zur Diskussion zu stellen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu er-
heben. — Gegenprobe. — Es ist wirklich nur der
Vizepräsident Dr. Schmid: Haben Sie den An- Antragsteller dafür gewesen. Der Antrag ist ab-
trag schriftlich eingereicht? gelehnt.
(Abg. Dr. Miessner: Nein!) Ich lasse nunmehr über den Antrag auf Druck-
— Das müssen Sie. Es ist sonst gegen die Ge- sache Nr. 528 in der geänderten Fassung ab-
schäftsordnung. stimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand
zu erheben. — Gegenprobe. — Einstimmig an-
Dr. Miessner (DRP): Ich habe den Antrag nicht genommen.
schriftlich; er hat sich eben aus der Diskussion
ergeben. Ich werde ihn sofort schriftlich stellen Ich rufe nunmehr Punkt 8 der Tagesordnung
und dem Herrn Präsidenten einreichen. auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der schusses für Fragen des Gesundheitswesens
Herr Abgeordnete Löbe. über den Antrag der Abgeordneten Dr. von
Brentano und Genossen betreffend Vorlage
Löbe (SPD): Meine Damen und Herren, ich eines Gesetzentwurfs zur Bekämpfung der
glaube, es bedarf gar keines Antrages. Es ist ja Geschlechtskrankheiten (Drucksachen Nr. 529
ganz selbstverständlich, daß während der Dauer und 104).
einer Auszählung kein Abgeordneter diesen Saal
verlassen darf. Denn welche Unsicherheiten Ehe ich dem Herrn Berichterstatter das Wort
kämen sonst in die Auszählung; selbst reine Ver- erteile, möchte ich bekanntgeben, daß der
geßlichkeit kann bei lang hingezogenen und Ältestenrat der Meinung war, man solle sich darauf
wiederholten Abstimmungen das Resultat ver- einigen, diesen Punkt in 15 Minuten zu erledigen.
ändern. Ich glaube, es ist ein allgemein aner- Als Berichterstatter hat das Wort der Herr Ab-
kannter Grundsatz: alle Abgeordneten verlassen geordnete Pohle.
den Saal, und wenn die Abstimmung begonnen
hat, muß jeder drinnen bleiben, bis sie beendet Pohle (SPD), Berichterstatter: Meine Damen und
ist. Das sollte ohne Antrag als Anschauung des Herren! Da im Ausschuß bei der Verabschiedung
Präsidiums und des Bundestags gelten. des Antrags vollkommene Einmütigkeit bestand,
(Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!) hoffe ich, daß dieser Antrag bzw. dieser Münd-
Deutscher Bundestag -- 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1461
(Poh le)
liche Bericht in diesem Hohen Hause, wenn mög- für Post- und Fernmeldewesen, dem Ausschuß
lich ohne eine Debatte, ebenfalls einmütig ver- für Sozialpolitik und dem Ausschuß für Fragen
abschiedet werden kann. der Presse, des Rundfunks und .des Films unter
Es gab in Deutschland nach der Schaffung des Federführung des erstgenannten Ausschusses
Gesetzes von 1927 eine Zeit, in der es den Uni- überwiesen worden.
versitätsprofessoren schwer fiel, ihren Studen- Da die Militärregierungen in den verschiedenen
ten gewisse Spielarten der Geschlechtskrankheiten Besatzungszonen die Funkhoheit privaten Rund-
vorzuführen. Der fürsorgerische und aufklärende funkgesellschaften übertragen haben und somit
Gedanke, der im Gesetz von 1927 verankert war, die Post und damit das Bundespostministerium
hatte seine Bewährungsprobe durchaus bestanden. unmittelbar keinen Einfluß auf die Befreiung
Während des Krieges schon und nach dem Kriege von Rundfunkgebühren nehmen kann --dadurch:
waren wir alle über die ungeheuerlich ansteigende daßesvonichutdesrA-
Kurve der Geschlechtskrankheiten erschrocken. schuß für Post- und Fernmeldewesen zu der Auf-
Neben dieser ansteigenden Kurve haben wir auch fassung gekommen, daß die Regierung ersucht
eine Fülle von Gesetzen und Verordnungen auf werden soll, mit den Rundfunkgesellschaften Ver-
diesem Gebiete erlebt, die das Gesetz von 1927 handlungen aufzunehmen mit dem Ziel, den Pro-
durchlöchert haben. Kriegsrecht und Besatzungs- zentsatz des von der Gebührenzahlung befreiten
recht haben sich miteinander gemischt; wir haben Personenkreises zu erhöhen und einheitlich für
eine wilde Zeit hinter uns gebracht. Ihnen allen das gesamte Bundesgebiet festzulegen. Die Be-
sind noch die widerwärtigen Augenblicke be- freiung von der Gebührenzahlung soll auf An-
kannt, als wahre Menschenjagden stattgefunden trag nach Prüfung der Bedürftigkeit erfolgen.
haben, als die Arbeiterfrau mit grauen Haaren, Es erscheint mir wesentlich, hier noch darauf
die mehreren Kindern das Leben geschenkt hat, hinzuweisen, daß der Kreis der von der Zahlung
als die Frau Generalsuperintendentin zusammen der Rundfunkgebühren Befreiten in der französi-
mit den leichten Mädchen auf einem Lastwagen schen Besatzungszone 3 Prozent der Rundfunk-
verladen wurden. Von all diesen wilden Zu- teilnehmer, in der britischen und amerikanischen
ständen wollen wir einmal wieder los. Wir wollen Zone 5 Prozent ausmacht. Der Ausschuß hält es
zu friedlichen Verhältnissen kommen, und wir für wichtig, daß der Prozentsatz des von der
wollen durch dieses Gesetz, das wir Ihnen Gebührenzahlung befreiten Personenkreises für das
vorschlagen und das die Regierung vorlegen gesamte Bundesgebiet einheitlich festgelegt wird.
und dessen Grundlage das Gesetz von 1927 Ich will nicht verfehlen, die uns mitgeteilten
bilden soll, erreichen, daß wir hier wieder Beschlüsse der Ausschüsse für Sozialpolitik einer-
die Gründlichkeit einer fürsorgerischen, einer seits und für Fragen der Presse, des Films und
vorbeugenden Betätigung ermöglichen, wobei Rundfunks andererseits bekanntzumachen.
vor allen Dingen der Polizeicharakter von
diesem Gesetz weit ferngehalten werden Der Ausschuß für Sozialpolitik bejaht eine Be-
soll. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, der Re- freiung von der Verpflichtung zur Zahlung der
gierung den Auftrag zu erteilen, ein Gesetz Rundfunkgebühren für einen bestimmten Per
vorzulegen, das auf der Grundlage des Gesetzes sonenkreis und hat folgenden Beschluß gefaßt:
des Jahres 1927 basiert. Wir wollen die zwanzig- Der Ausschuß empfiehlt der Bundesregierung,
jährige Erfahrung dabei mitberücksichtigen, und bei den zuständigen Stellen darauf hinzuwir-
wenn die Regierung diesen Entwurf vorlegt und ken, daß hilfsbedürftige Rundfunkhörer,
das Plenum dem Ausschuß den Auftrag gibt, deren Einkommen nicht ü ber die Fürsorge-
diesen Gesetzentwurf zu beraten, so werden wit sätze geht, von den Rundfunkgebühren be-
unsdierAfgabunmitGrüdlchke freit werden.
unterziehen, weil wir glauben, damit einen wert- Der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rund-
vollen Beitrag zur Erhaltung bzw. Wiedergewin- funks und Films hat beschlossen, sich einmal
nung der Volksgesundheit auf diesem Gebiet zu der Stellungnahme des Ausschusses für Post- und
leisten. Fernmeldewesen anzuschließen, darüber hinaus
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn aber zur Erwägung zu geben, ob es nicht zweck-
Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. - mäßig wäre, erstens die Rundfunkgesellschaften
Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag des zu ersuchen, die bisherigen Kontingente von der
Ausschusses auf Drucksache Nr. 529 ist, den bitte Gebührenzahlung befreiter Personen zu erhöhen.
ich, die Hand zu erheben. — Die Gegenprobe! — Damit deckt sich. die Auffassung dieses Aus-
Er ist einstimmig angenommen. schusses mit der desjenigen, für den ich referiere.
Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung Vielleicht ist auf diese Weise auch eine Erhöhung
der Einkommensgrenze für die Bedürftigkeit in
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- dieser Hinsicht möglich. Der Ausschuß regt zwei-
schusses für Post- und Fernmeldewesen tens an , zur Erleichterung des technischen Ver-
über den Antrag der Abgeordneten Renner fahrens den Arbeitslosen bei der Auszahlung der
und Genossen betreffend Befreiung von Arbeitslosenunterstützung einen Gutschein auszu-
Rundfunkgebühren für Erwerbslose (Druck- händigen, den sie an Stelle der Rundfunkgebühr
sachen Nr. 509 und 205). beim nächsten Inkasso abgeben.
Hier hat der Ältestenrat den Vorschlag zu
machen, den Punkt in 10 Minuten zu erledigen. Meine Damen und Herren! Wir haben in un-
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Lange als serm Antrag bewußt darauf verzichtet, nur von
Berichterstatter das Wort. Erwerbslosen zu sprechen, weil wir der Ansicht
sind, daß neben den Erwerbslosen noch eine ganze
Lange (SPD), Berichterstatter: Meine Damen Reihe bedürftiger Kreise vorhanden ist, die vor
und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 205 der allem bei den sozial Bedrängten, den Ver-
Abgeordneten Renner und Genossen betreffend sicherungsempfängern, Rentenempfängern usw. zu
Befreiung von Rundfunkgebühren für Erwerbs- suchen sind. Deshalb bitten wir dieses Hohe Haus,
lose ist von diesem Hohen Hause den Ausschüssen sich dem Antrage des Ausschusses mit der Maß-
1462 Deutscher Bundestag 43. Sitzung. Bonn. Mittwoch. den 1 März 1950
(Lange)
gabe anzuschließen, .daß die Bundesregierung mit dieser Drucksache Nr. 230 folgender Beschluß zur
den Rundfunkgesellschaften entsprechende Ver- Annahme empfohlen wird, der also, wie gesagt,
handlungen aufnimmt, um den Prozentsatz des von den beiden Ausschüssen einstimmig beschlos-
von der Gebührenzahlung befreiten Personen- sen worden ist, wie er in der Drucksache Nr. 535
kreises zu erhöhen und, wie vorhin schon er- vorliegt. Er heißt:
wähnt, für das gesamte Bundesgebiet einheitlich Der Bundestag wolle beschließen:
festzusetzen. Ich bitte also, diesem Antrag zu-
zustimmen. Die Bundesregierung wird ersucht, beschleu-
nigt eine Gesetzesvorlage zur Regelung des
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn landwirtschaftlichen Pachtwesens einzubrin-
Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor. gen.
Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag des
Ausschusses auf Drucksache Nr. 509 ist, den bitte Vizepräsident Dr. Schäfer: Ich danke dem Herrn
ich, die H and zu erheben. — Gegenprobe! — Ein- Berichterstatter. Wortmeldungen liegen nicht vor.
stimmig angenommen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung: Antrag Drucksache Nr. 535 betreffend landwirt-
schaftliches Pachtwesen ist, den bitte ich, die
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Es ist
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und also so beschlossen.
Forsten über den Antrag der Fraktion der
DP betreffend landwirtschaftliches Pacht- Ich rufe nunmehr Punkt 11 der Tagesordnung
wesen (Drucksachen Nr. 535 und 230). auf:
Für diesen Punkt sollen maximal 20 Minuten Beratung des Mündlichen Berichts des Aus
verwendet werden. schusses für Wirtschaftspolitik über den An
trag der Fraktion der BP betreffend Strom
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Frey lieferung (Drucksachen Nr. 547 und 226).
als Berichterstatter das Wort.
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Ab-
Dr. Frey (CDU), Berichterstatter: Herr Präsident! geordneter Etzel. — Da der Herr Berichterstatter
Meine Damen und Herren! Die Drucksache zur Zeit nicht anwesend ist, stelle ich die An-
Nr. 230 ist vom Plenum dem Ausschuß für gelegenheit zurück.
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über- Ich rufe nunmehr Punkt 12 der Tagesordnung
wiesen worden. Nach eingehender Aussprache auf:
ist der Ausschuß zu der Auflassung ge- Beratung des Antrages der Fraktion der
kommen, daß das heute bestehende Pacht- KPD betreffend Gefallenenliste ehemaliger
recht einer Revision, und zwar einer durch- deutscher Wehrmachtsangehöriger (Druck-
greifenden Revision bedarf. Durch Gesetze, Not- sache Nr. 480).
verordnungen, Sperrmaßnahmen usw., die in der
Zeit des Dritten Reiches vorgenommen sind, dar- Das Wort zur Begründung hat als Antragsteller
über hinaus aber noch durch die verschiedenen der Herr Abgeordnete Renner.
Maßnahmen und Verordnungen der Militärre-
gierungen nach 1945 ist in dem gesamten Pacht- Renner (KPD), Antragsteller: Meine Damen und
recht und im Pachtwesen ein Wirrwarr entstan- Herren! Meiner Fraktion kam es, als wir diesen
den, der selbst geübten und guten Juristen ein Antrag überlegten, darauf an, Klarheit zu schaf-
Durchfinden sehr erschwert. Vor allem aber fen über die tatsächlichen Verluste an Menschen-
ist durch die aufgezeigten Mängel jedes Gefühl leben, die dem deutschen Volke durch diesen ver-
für Treu und Glauben in das Pachtrecht verloren- brecherischen Hitlerkrieg an der Front entstan-
gegangen, und es besteht die bemerkenswerte den sind. Über diese Zahl gibt es keine Klarheit,
Tatsache, daß heute die Pachtschutzbestimmungen ebensowenig wie es Klarheit darüber gibt, wie-
sich geradezu ins Gegenteil umgekehrt haben, in- viel Personen als ehemalige Angehörige der deut-
dem eben für die Verpächter kein Grund und schen Wehrmacht sich zur Zeit noch in Kriegsge-
Wille mehr besteht, ihr Eigentum zu verpachten, fangenschaft befinden.
während eben die Pächter durch diese ganzen - Lassen Sie mich zur letzten Frage auf etwas
Unsicherheiten auch in jeder Weise gefährdet sind. hinweisen. Das einzige wirklich amtliche Ma-
Das ist der Grund, weshalb auf dem gesamten terial über die Zahl der Kriegsgefangenen ist
Pachtwesen geradezu eine Erstarrung eingetreten eine Mitteilung des Bundesministers für Arbeit,
ist. Das kann gerade für die volkswirtschaftlich die am 1. Dezember 1949 dem Herrn Vorsitzen-
wichtigen Dinge des Pachtrechtes nicht hingenom- den des Ausschusses des Bundestages für Kriegs-
men werden. Unter Würdigung all dieser Ge- opfer- und Kriegsgefangenenfragen, dem Herrn
sichtspunkte ist der Ausschuß zu dem einstim- Abgeordneten Leddin, zugegangen ist, aus der zu
migen Beschluß gekommen, die Drucksache Nr. ersehen ist, daß die Länderregierungen am 1. Sep-
230 an das Hohe Haus zurückzuverweisen mit der tember 1949 die Zahl der noch zu erwartenden
Empfehlung, die Regierung aufzufordern, be- Heimkehrer auf 244 500 geschätzt haben. Für die
schleunigt eine Gesetzesvorlage zur Neuregelung Zwischenzeit liegen Zahlen vor, die beweisen, daß
des landwirtschaftlichen Pachtwesens einzu- allein aus der Sowjetunion eine weitaus größere
bringen. Anzahl von Kriegsgefangenen bereits zurückge-
Die Drucksache hat ebenso dem Ausschuß für kommen ist, als das in den 244 500 zum Aus-
Bau- und Bodenrecht, für den ich die Ehre habe, druck kommt.
hier ebenso zu berichten, vorgelegen. Dieser Aus- Nun gibt es aber eine Möglichkeit, ungefähre
schuß hat sich auch einstimmig dem Beschluß des Gewißheit über die tatsächlichen Kriegsverluste zu
Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und bekommen. Während des Krieges bestand in
Forsten angeschlossen. Von einer Festlegung von Berlin-Schöneberg in der Hohenstaufenstraße
einzelnen Richtlinien, wie sie der Antrag Nr. 230 eine sogenannte Wehrmachtsauskunftsstelle für
vorsieht und vorschlägt, ist abgesehen worden, so Kriegsgefallene und Kriegsverluste. Zu Beginn des
daß also heute dem Hohen Hause in Abänderung Krieges gingen bei dieser Stelle sämtliche Ver-
Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1463
(Renner)
lustmeldungen der Wehrmacht ein. Sie wurden Vor der Besetzung Saalfelds in der Nacht vom 1
statistisch erfaßt, täglich zu Verlustlisten zusam- ersten auf den zweiten Osterfeiertag 1945 haben
mengestellt und in siebenfacher Ausfertigung an einige Offiziere und Beamte nachweisbar be-
die übergeordneten Dienststellen weitergegeben. fehlsgemäß bei der Saalfelder Dienststelle la-
Über diese Vorgänge, über die Arbeitsmethoden gernde wichtige Akten und statistisches Material
bei dieser Dienststelle, über das Schicksal, das und Listen verbrannt. Am 20. April 1945 wurde
das dort aufgespeicherte Material erfahren hat, das deutsche Personal durch die Amerikaner aus
gibt es heute, wenn man nur will, nachprüfbare der Dienststelle ausgewiesen. Als am 1. Juli 1945
Zeugenaussagen von deutschen Personen, die ehe- sich die Amerikaner aus Thüringen und damit
dem in dieser Dienststelle beschäftigt waren. Man auch aus Saalfeld zurückzogen, nahmen sie mit
braucht nur den Willen aufzubringen, diesem Be- einem Teil der Angestellten auch die gesamte
weismaterial nachzugehen. Nun, das Herz dieser Kartei mit sämtlichen Unterlagen mit sich und
Auskunftsstelle bildete die Kartei, die einen un- transportierten alles zunächst einmal nach Kassel.
geheuren Umfang hatte und um die es heute in Im April 1945 lagen bei der Auskunftsstelle noch
unserem Antrag geht. rund eine Million offizieller Totmeldungen von
Zu Beginn des Krieges erreichten die Verlust- deutschen Wehrmachtsangehörigen vor, für die
meldungen diese Dienststelle regelmäßig. Ein den Angehörigen noch keine Benachrichtigung
.

Wandel trat erst nach der Schlacht von Stalin- zugeschickt worden war. Die Amerikaner sind
grad ein, als die Zeit der „erfolgreichen" Absetz- heute noch im Besitz dieser Kartei der ehemaligen
bewegungen, der Frontbegradigungen, als die Wehrmachtsverluste von Kriegsgefallenen. Als
Periode der sogenannten Ausweichoffensiven be- Beweismaterial dafür zitiere ich eine Meldung aus
gann. Damals steigerten sich die Verluste ins den letzten Tagen:
Unermeßliche, vor allen Dingen auch die Ausfälle Die französische Militärregierung in Berlin
infolge Entkräftung. Von den Soldaten, die da- hat die unter ihrer Kontrolle stehende Aus
mals von ihren Truppenteilen zurückgelassen kunftsstelle der ehemaligen Deutschen Wehr
werden mußten, ist ein außerordentlich hoher macht, Berlin-Halensee, Kurfürstendamm 96,
Prozentsatz nicht mehr lebend in Gefangenschaft angewiesen, alle in der französischen Frem
geraten. denlegion gefallenen ehemaligen deutschen
Am 20. August 1943 wurde dann infolge der Kriegsgefangenen als Tote der ehemaligen
sich steigernden Zahl der amerikanischen Bom- Wehrmacht zu registrieren. Die Angehörigen
benangriffe auf Berlin die Dienststelle nach Thü- der ehemaligen deutschen Soldaten werden
ringen verlegt, und zwar nach Meiningen und vom Office des Intérêts Français et des
Saalfeld. Noch während des Umzuges wurde die Affaires Consulaires, Berlin -Frohnau, Edith
Cawell-Straße 40/41, lediglich vom Ableben
Hohenstaufenstraße in Berlin bombardiert. Dabei
der Gefallenen benachrichtigt. Eine genaue
sind erstmalig wertvolle Listen und andere auf- Todesursache und Todesdatum werden nicht
schlußreiche Materialien verbrannt.
angegeben.
(Zuruf rechts.)
Wie kann man, wenn diese Totenlisten, diese Kar-
In Saalfeld wurde die ordnungsmäßige Kontrolle tei, wie behauptet wird, den deutschen Stellen
der Verluste durch das sich ständig vergrößernde übergeben worden ist, vor etwa drei Wochen noch
Chaos an den Fronten außerordentlich erschwert. eine derartige Dienstanweisung herausgeben? In
Bis Mitte des Jahres 1945 wurden ungefähr dieser Kartei, von der wir reden, sind Unter-
2 1/2 Millionen Tote und 5 Millionen Verwundete lagen über den Verbleib von mindestens einer
gezählt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Million deutscher Soldaten enthalten. Die Ameri-
Verlustmeldungen nur noch sehr unvollständig kaner halten diese Kartei aus Gründen, die offen-
nach Saalfeld gelangten. Ganze Fronttruppenteile sichtlich sind, zurück.
waren vollständig aufgerieben worden; ganze Ein- Die amerikanischen Militaristen wollen uns
heiten verschwanden spurlos, und die Verlust- Deutsche glauben machen, in der Sowjetunion
listen der Truppen, soweit sie überhaupt weiter-
geleitet worden waren, fielen teilweise auf dem seien heute noch Hunderttausende von Kriegsge-
Weg nach Saalfeld durch Bombenangriffe oder fangenen verschwunden.
durch andere Umstände der Vernichtung anheim. - (Zuruf rechts.)
Besonders schwer waren die Verluste bei der Richtig! Es gibt in diesem Hause, es gibt bei
Marine, vor allem in dem sogenannten Übersetz- den Parteien in Westdeutschland auch Kräfte ge-
verkehr, festzustellen: bei den Übersetzarbeiten nug, die dieses Spiel mitmachen:
von der Krim nach Odessa, von Afrika nach (Lachen und Zurufe rechts.)
Italien, von Leningrad nach Stettin. Niemand ist Der Zweck ist offensichtlich. In uns Deutschen
in der Lage, die Namen, ja nicht einmal die soll der Haß und die Empörung gegen Sowjet-
Truppenteile der auf diesen versenkten Schiffen rußland erzeugt werden mit dem Ziel, noch ein-
oder Fähren ums Leben gekommenen deutschen mal die deutsche Jugend willig zu machen, gegen
Soldaten anzugeben. Etwas anderes tritt hinzu: die Sowjetunion im Interesse des amerikanischen
Auf höheren Befehl wurde schon frühzeitig an- Monopolkapitals zu marschieren.
gewiesen, daß bei besonderen Anlässen die Be-
nachrichtigung der Angehörigen Gefallener ge- (Zuruf rechts.)
stoppt werden müsse. Solche Anlässe waren Hitler hat während des Krieges dieselbe Politik
Massenverluste, wie beispielsweise die enormen betrieben. Er hat die Gefallenenziffern verheim
Verluste bei Stalingrad, bei Orel im August 1943, licht, um die Aufrechterhaltung der Kriegsbereit-
bei der Winteroffensive im Westen im Dezem- schaft und damit die Verlängerung des Krieges
ber 1944, der sogenannten Ardennenoffensive. Je gegen die Sowjetunion psychologisch zu unter-
mehr die Alliierten auf 'deutschen Boden ein- mauern. Die Zurückhaltung der Kriegsgefallenen
drangen, desto mehr stoppten die Zugänge von listen und Ihre Bejahung dieser Zurückhaltung
Verlustmeldungen, und wurde auch die Benach- dient heute demselben Zweck.
richtigung der Angehörigen erschwert. (Sehr wahr! bei der KPD.)
1464 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Renner)
Die Schaffung der nötigen Bereitschaft soll be- Truppen erbeutet worden ist. Ich bin darüber
wirken, auf den von den USA und den Imperia- unterrichtet, daß der Herr Innenminister, wenn er
listen gewünschten Weltkrieg einzugehen. Das nicht durch eine Landtagssitzung in Düsseldorf
deutsche Volk soll nicht erfahren, was der letzte abgehalten worden wäre, hierzu eine Erklärung
Weltkrieg an Blutopfern gekostet hat. Darum ist abgegeben hätte.
auch unsere Regierung interessiert, die Ange- (Lachen bei der KPD.)
hörigen der Gefallenen in Ungewißheit zu er-
Diese Erklärung, Herr Renner, würde nach meiner
halten. Diese Taktik nämlich soll ihr helfen, Kenntnis beinhaltet haben, daß nach den uns vor-
(Zuruf rechts: Unerhört! — Große Unruhe) liegenden Unterlagen solche zunächst allerdings
heute ihre Remilitarisierungspläne vorwärtszu- von den Amerikanern erbeuteten Unterlagen nach
treiben — — der Räumung Thüringens an die Sowjetunion, an
(Schluß-Rufe rechts. — Unruhe.) die sowjetrussischen Truppen herausgegeben wor
— Sie bestreiten das Vorliegen der Remilitari- den sind.
sierungspläne? (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.
(Lebhafte Rufe rechts: Ja!) Lachen bei der KPD. — Abg. Renner:
Das ist neu!)
— Dann lassen Sie sich einmal von Herrn Dr.
Konrad Adenauer erklären, was seine Unter- — Das ist allerdings neu, Herr Renner, und be-
redungen mit den Generälen von gestern zum leuchtet das, was Sie vorgetragen haben, ein-
Ziele haben. deutig.
(Unerhört! und Schluß-Rufe rechts. — (Zuruf von der KPD: Sie haben es nötig,
Unruhe.) die amerikanischen Interessen zu
Wir verlangen von dieser Adenauer-Regierung verteidigen!)
nicht mehr und nicht weniger, als daß sie bei der Ich möchte noch darauf hinweisen, daß es mir
Hohen Kommission vorstellig wird, um die Her- — und vielleicht nicht mir allein — auffällig ge-
ausgabe dieser Kriegsgefallenenlisten zu er- wesen ist, daß in dieser doch immerhin hoch-
zwingen. bedeutsamen Frage Herr Kollege Renner, der ja
(Sehr gut! bei der KPD.) durchaus über die Möglichkeit der freien Rede
Wir sind der Meinung, daß mit der Veröffent- verfügt, sich in einer erstaunlichen Weise an sein
lichung dieser Listen, die vorhanden sind, den Manuskript gehalten hat.
Angehörigen dieser Gefallenen viel Leid und viel (Zuruf von der Mitte: Woher kommt das?)
Schmerz . erspart werden könnte, indem man ih- — Woher das kommt, frage ich mich auch.
nen Gewißheit über das Ergehen ihrer Angehöri-
gen gibt. Wir sind der Auffassung, daß die Ich glaube, 'daß hier Dinge zur Debatte stehen,
Erkämpfung der Freigabe dieser Listen im deut- die nach verschiedenen Seiten ein Gewicht haben.
schen Interesse liegt und daß das deutsche Volk Ich weise einmal auf das hin, was ich über dieses
ein Anrecht darauf hat, daß die Listen freigegeben Karteimaterial gesagt habe. Ich kann nur den
werden. Sollten Sie anderer Meinung sein, dann Wunsch der KPD unterstreichen, daß wir mög-
steht hinter dieser Ihrer anderen Meinung die lichst bald in die Lage versetzt werden, von die-
Ursache, die ich hier klar zum Ausdruck gebracht sem Karteimaterial ausreichenden Gebrauch zu
habe: machen. Leider ist uns das bisher nicht möglich
gewesen, aus Gründen, die uns allen bekannt
(Pfui -Rufe und Unruhe in der Mitte sind.
und rechts.) (Hört! Hört! in der Mitte.)
Sie wollen diese Ungewißheit, weil Sie im Schat-
ten dieser Ungewißheit Ihre Kriegspläne besser Das zweite, was in der Drucksache Nr. 480
vorwärtstreiben können. steht, ist der Wunsch nach einem Auftrag an die
Bundesregierung, bei dem Hohen Kommissar der
(Beifall bei der KPD.) Regierung Frankreichs ' Unterlagen über die Zahl
der ehemaligen deutschen .Kriegsgefangenen anzu-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Wir kommen jetzt fordern, die in die Fremdenlegion übergeführt
zur Aussprache. Der Ältestenrat hat für die Aus- - worden sind
sprache insgesamt eine Redezeit von 60 Minuten (Zuruf von der KPD: Gepreßt worden sind!)
vorgesehen. Ich nehme Ihre Zustimmung zu die-
ser Regelung an. und auf den Schlachtfeldern Indochinas Leben und
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehlers. Gesundheit gelassen haben. Ich glaube, es be
steht in diesem Hause Einmütigkeit darüber, daß
dieser Ausfluß deutscher Not und 'diese Nach
Dr. Ehlers (CDU): Herr Präsident! Meine Damen
wirkung der Kriegsereignisse, , die, wie wir gestern
und Herren! Dieses Hohe Haus hat zu dieser in der Zeitung gelesen haben, dazu führt, daß
Frage schon wiederholt Stellung genommen. sich täglich 50 heimatlose deutsche Jugendliche bei
(Abg. Renner: Bisher nicht ein einziges Mal!) der Fremdenlegion melden, ein Zustand ist, — --
— Herr Renner, ich habe mir das Protokoll vom (Abg. Renner: Woher wissen Sie das?)
27. Januar 1950 vorgenommen, in . welchem Sie
ausführen, es sei nötig, daß diese Frage aus der — Das habe ich in der Zeitung gelesen, und ich
Atmosphäre der Hetze herausgenommen und lang- bin der Meinung, Herr Renner, daß manchmal
sam einer sachlichen Behandlung zugeführt werde. das, was in der Zeitung steht, zutreffend ist.
Ich kann mir diese Ihre Meinung, die Sie am ,(Zuruf von der KPD: Unsere Regierung
27. Januar vertreten haben, nur zu eigen machen. weiß es komischerweise nicht!)
(Sehr gut! in der Mitte.) — Doch, die lesen auch Zeitung, Herr Renner.
In dem Antrag der Kommunistischen Partei — Diese Tatsache ist außerordentlich bedauerlich,
geht es vordergründig um das Material, das nach und wir empfinden die Not, die darin liegt,
der Drucksache Nr. 480 von den amerikanischen schwer.
Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1465
(Dr. Ehlers)
Ich bin darüber unterrichtet, daß der Herr — Herr Renner, über die Richtigkeit oder Un-
Bundesinnenminister, wenn er dazu Stellung ge- richtigkeit solcher „Romane" werden wir uns viel-
nommen hätte, darauf hingewiesen hätte, daß leicht noch einmal unterhalten.
die französische Regierung über die im Dienst (Abg. Renner: Nennen Sie die Personen!)
der Fremdenlegion gefallenen Deutschen aus- — Im Augenblick liegen Berichte vor von Män-
reichend und beschleunigt Auskunft gegeben hat nern, die diese Dinge miterlebt und mitgemacht
und daß ein Antrag der Bundesregierung an die haben.
Hohen Kommissare in dieser Richtung nicht er-
forderlich ist. (Abg. Renner: Die bleiben anonym!)
— Es ist die billigste Methode, alles das, was
Da ich somit der Auffassung bin, daß der In- Ihnen nicht paßt, als Lüge abzutun.
halt der Drucksache Nr. 480 sachlich erledigt ist, (Abg. Renner: Die beiden „Kriegsgefangenen",
kann ich nur beantragen, über diese Drucksache die wir hier erlebt haben!)
zur Tagesordnung überzugehen.
Ich weise auf diese Dinge hin , mein Damen
(Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf von und Herren. Unserem Volke muß wirklich zur
der KPD: Sehr billiges Argument!) Kenntnis kommen, daß die Gefangenen dieser
Ich möchte aber noch etwas anderes hinzufügen. Lager in Zellen in Untersuchungshaft gebracht
Ich habe davon gesprochen, daß diese Angelegen- wurden. Ich habe die Beschreibung einer sol-
heit zwei Seiten hat. In dem gleichen Augen- chen Zelle, i n der der Mann, der sie beschreibt,
blick, in dem dieser Antrag gestellt wird und der selbst gesessen hat. Es war ein Raum von 30 qm
Versuch gemacht wird, den Alliierten oder der mit einem Fenster, und in diesem Raum waren
deutschen Bundesregierung, die sich nicht hin- 20 bis 30 Häftlinge untergebracht. Der Raum
reichend darum bemüht habe. die Schuld für die hatte einen Tisch und Sitzgelegenheiten für acht
Ungewißheit über das Schicksal unzähliger deut- Personen und einen Eimer. Ich brauche nicht
scher Kriegsgefangener zuzumessen. werden wir weiter auszumalen, wie es in diesem Raum aus-
darüber unterrichtet, daß sehr zahlreiche deut- gesehen hat.
sche Kriegsgefangene, die sich heute noch in (Zuruf rechts: Da hört das Lachen auf. —
russischer Kriegsgefangenschaft befinden, in einer Zurufe von der KPD.)
Weise behandelt werden, die allerdings unsere Ich bringe einen Bericht aus einem ganz be-
Aufmerksamkeit in stärkster Weise verlangt. stimmten Lager nach dem letzten Abtransport,
aus einem Lager mit einer Nummer über 7000.
(Abg. Renner: Woher wissen Sie denn das?) Das läßt ja darauf schließen, daß es nicht wenige
- Darüber, Herr Renner, habe ich mir vorlie- solcher Lager gibt. Nach dem letzten Heimtrans-
gende Berichte von Leuten. die merkwürdiger- port am 22. Dezember 1949 befanden sich dort
weise und glücklicherweise den Möglichkeiten die- noch 550 Soldaten, davon 450 in einer Sonder-
ser Verurteilung haben entgehen können. verwahrung, in Untersuchungshaft. 100 noch in
der Gefangenschaft, wenn man das so nennen I
(Abg. Renner: Die Regierung weiß davon darf, auf freiem Fuß. Diese Soldaten werden ver-
nichts, sie ist dümmer; das werde ich gleich urteilt auf Grund irgendwelcher Bestimmungen
beweisen!) des russischen Strafgesetzbuches, das sie nicht
— Darauf warte ich, Herr Renner. — Ich darf nur kennen und gegen das sie sich praktisch nicht
darauf hinweisen, daß mir neben anderen aus- wehren können. Nach einem mir besonders zu-
führlichen Berichten ein Bericht vorliegt, , der eine gegangenen Bericht ist in einem belegten Fall ein
große Zahl deutscher Soldaten betrifft. die von Regimentskommandeur deswegen verurteilt wor-
der Heeresgruppe Kurland in russische Gefangen- den, weil er einer Division angehörte, die sich in
schaft geraten sind. Ich entnehme diesem Bericht, einem bestimmten Gebiet befunden hat, von dem
daß von September —Oktober 1949 an in ständig behauptet wird, daß dort Gewalttaten vorgekom-
steigendem Maße deutsche Soldaten und Offiziere, men seien; dieses Gebiet hat die Größe von zwei
besonders solche, die sich in irgendwelchen maß- Provinzen.
geblichen Positionen befunden haben, russischen Angesichts dieser Tatsachen sind wir der Mei-
Verfahren unterworfen worden sind: die durch- nung, daß es sich in gar keinem Fall darum
aus mit dem korrespondieren, was wir im eigenen - handelt, etwa tatsächlich vorgekommene Ver-
Land an Gewaltmaßnahmen und Rechtlosigkeit brechen oder Gewalttaten zu ahnden, sondern
erfahren haben. darum, eine ganz wesentliche, sicher in die Hun-
derttausend gehende Zahl von deutschen Kriegs-
(Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.) gefangenen aus politischen Gründen unschädlich
Man nimmt zur Kenntnis, daß steigend mit dem zu machen.
Herannahen des Termins der zugesagten endgül- (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungs
tigen Entlassung deutscher Kriegsgefangener rus- parteien.)
sische Kommissionen Vernehmungen in einem Das sind meines Erachtens die Fragen, die das
Lager mit einem Personal von 40 Mann. soweit deutsche Volk heute interessieren.
es sichtbar wurde, durchgeführt haben. Diese Ver- (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)
nehmungen wurden zu irgendwelchen Anklagen
Das sind die Dinge, die wir vor dem Weltge-
verdichtet, dann wurden ganz summarisch etwa
30 deutsche Soldaten vor ein Tribunal geladen. wissen aussprechen müssen.
formell zur Sache vernommen und wieder hin- (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
ausgeschickt. Dann fand die nächste Einvernahme Wenn ich nicht wüßte, daß die Bundesregierung
statt, und nachdem das geschehen war, wurde in Fühlung mit den Hohen Kommissaren steht,
ohne weiteres .ein Urteil verkündet. das im Zwei- um den Versuch zu machen,
fel auf 25 Jahre Zwangsarbeit lautete. (Abg. Rische: Steht sie immer!)
(Zuruf von der KPD: Das ist ein Roman! durch Einflußnahme auf die Regierungen, die die
— Zurufe rechts: Unerhört!) Hohen Kommissare entsenden, eine Einwirkung
1466 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Dr. Ehlers)
auf die Sowjetunion zu erreichen, damit sie die Ich will vielmehr auf die sachlichen Unrichtig-
über die Behandlung von Kriegsgefangenen ge- keiten dieses Antrages kurz eingehen.
troffenen alliierten Abmachungen innehält, wenn (Abg. Rische: Ritterkreuzträger!)
ich nicht ebenfalls wüßte, daß die Bundesregierung
sich darum bemüht, die Mitgliedstaaten der Gen- — Sie haben drüben noch ganz andere. ich
fer Konvention, zu denen ja neuerdings auch. Ruß- komme noch darauf. — Es heißt hier in Ziffer 1,
land gehört, zu einem Eingreifen zu veranlassen, daß
dann würde ich das zu einem besonderen Antrag nicht erst während der letzten Kriegsereig-
erheben. Mir ist bekannt, daß die Bundesregierung nisse, sondern schon seit 1941 die deutschen
diese Bemühungen aufgenommen hat. Wir müs- Verluste verheimlicht und zweitens schon seit
sen wünschen, daß diese Bemühungen zu einem jener Zeit die Angehörigen der Gefallenen
Erfolge führen, damit nicht Zehntausende und zum großen Teil nicht mehr benachrichtigt
Hunderttausende deutscher Männer, die einem wurden. Es ist den Kommunisten anscheinend
solchen aller Gerechtigkeit hohnsprechenden Ver- nicht bekannt. in welcher Form das Gefallenen
fahren unterworfen und für ein Vierteljahrhun- wesen gehandhabt wurde.
dert größtenteils in Zwangsarbeit gebracht wur- (Abg. Renner: Leider so bekannt wie Ihnen!)
den, auf diese Weise fünf Jahre nach Kriegsende
praktisch ermordet werden. Seit Kriegsbeginn war es üblich, daß beim Tode
eines Soldaten der Einheitsführer die Angehöri-
(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungs- gen direkt benachrichtigte, gleichzeitig aber auf
parteien.) dem Dienstwege an die Wehrmachtsauskunfts-
Bei dieser Beurteilung der Lage und unter die- stelle die halbe Erkennungsmarke übersandt
sen Gesichtspunkten beantrage ich, über den An- wurde und diese Dienststelle in Berlin nachher
trag der Kommunistischen Partei zur Tagesord- die Aufgabe hatte, die amtlichen Unterlagen zur
nung überzugehen. Berichtigung des Personenstandsregisters zu lie-
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs- fern. Daraus geht eindeutig hervor, daß das OKW
parteien. — Zurufe von der KPD.) gar keine Möglichkeit hatte und auch absolut
keinen Gebrauch davon gemacht hat, etwa die
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Herr Einheitsführer unten zu beeinflussen, was prak-
Abgeordnete Ewers. tisch auch gar nicht möglich gewesen wäre, da in
jedem Verband die Umgebung des Gefallenen bei
Ewers (DP): Herr Präsident! Meine sehr geehr- den Urlauben jederzeit Gelegenheit hatte, den
ten Damen und Herren! Die Ausführungen mei- Angehörigen die tatsächlichen Verhältnisse zu
nes Herrn Vorredners haben über die tatsäch- schildern.
liche, für alle Deutschen entsetzliche Lage un- (Zurufe von der KPD.)
serer Landsleute, denen es bis heute noch nicht Ich muß also feststellen, daß die Fassung, wie
vergönnt ist, ihre Heimat wiederzusehen, die sie im Absatz 1 von den Kommunisten formuliert
R)nötige Klarheit gebracht. Meine Fraktion ver- wurde, den tatsächlichen Verhältnissen nicht ent
tritt den Standpunkt der weit überwiegenden sprechen kann und auch nicht entspricht.
Mehrheit dieses Hohen Hauses und lehnt es ab, (Abg. Rische: Sprechen Sie mal vom
zu der schwersten, uns alle belastenden Schick- Ostfeldzug!)
salsfrage unserer Nation an der Hand kommu-
nistischer Zweckanträge Stellung zu nehmen. Allerdings hat es nach dem Spätsommer des
Jahres 1944 für einzelne Gebiete keine Möglich-
(Zustimmung bei der DP.) keit mehr gegeben, die Angehörigen Gefallener
Der Antrag, der uns heute vorliegt, hat allein zu benachrichtigen. Nach der Einnahme Aachens
die Tendenz, auf die amerikanische Militärre- und nach der Besetzung des westdeutschen
gierung wegen angeblich hinterhältiger Methoden Raums galt das für den Westen, und nach dem
einen Verdacht zu werfen. Die Militärregierung Verlust ostdeutscher Gebiete galt das ebenso für
kann sich selbst schützen. Wir aber haben die den Osten. Es kann sich also lediglich um die
Aufgabe, zu erkennen, daß unser für die Kriegs- Zeit handeln, da die Angehörigen nicht mehr be-
gefangenen blutendes Herz nicht in eine politische nachrichtigt werden konnten.
Linie getrieben und dazu mißbraucht wird, um (Erneuter Zuruf des Abgeordneten Rische.)
angesichts des beklagenswerten Loses unserer -
armen Brüder im Ausland eine Politik zu be- Auch hier — das werden Sie nicht wissen, Herr
günstigen, die nach dem Motto: „Haltet den Dieb!" Rische — haben sich in den Gefangenenlagern
von der wahrhaften Schuld, von den tatsächlichen alle zusammengetan, die etwas von dem Schicksal
Verbrechen uns absehen lassen möchte. eines gefallenen Kameraden wußten, und es sind
viele auf diesem privaten Wege benachrichtigt
(Sehr wahr! rechts.) worden, so daß die von Ihnen genannte Zahl ab-
Die einzige Möglichkeit, solche Mißbrauchsanträge solut nicht den Tatsachen entsprechen kann, so-
wie es dieser ist, zu behandeln, ist der von weit sie die Zeit von 1944 bis zum 5. oder 9.
meinem Herrn Vorredner beantragte Übergang Mai 1945 betrifft.
zur Tagesordnung. Aber noch etwas anderes muß ich erwähnen.
(Beifall rechts. — Abg. Rische: Ich glaube, Sie machen sich keine Vorstellung,
Die Stimme Amerikas!) mit welcher Korrektheit die katholischen und
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Herr evangelischen Feldgeistlichen, die Gräberoffiziere
Abgeordnete Mende. und Gräberunteroffiziere das Gefallenenwesen
draußen im Felde gehandhabt haben, soweit es
Mende (FDP): Meine Damen und Herren! Ich immer möglich war.
will hier nicht die Frage ventilieren, welche Legi- (Zurufe von der KPD. — Abg. Renner: So
timation ausgerechnet die kommunistische Frak- weit es immer möglich war!)
tion hat, einen solchen Antrag einzureichen. Ich muß diese Feststellung treffen, weil dieser
(Abg. Rische: Mehr als Ihre!) Antrag und die Formulierung der Absätze 1 und 2
Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1467
(Mende)
den Eindruck erwecken könnten, als ob hier mit -- Das zu beweisen ist sehr einfach.
einer Verantwortungslosigkeit vorgegangen wurde, (Abg. Rische: Lesen Sie doch einmal die
was ich zurückweisen muß. Inschriften der Grabsteine! — Gegenrufe in
(Abg. Rische: Denken Sie doch einmal der Mitte: Ruhe!)
logisch weiter!) — Lieber Herr Rische, mit Lautstärke können Sie
diese für Sie peinliche Situation nicht verändern!
Nun zu der Frage des Antrags selbst: Ich
glaube, man könnte über das Problem, das mein (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Renner:
Herr Vorredner erwähnte -- die Zwangsverur- Aber auch nicht mit Schwindel! — Abg.
teilungen in der Sowjetunion —, eine ganze Ple- Rische: Verleumdung! Die Rote Armee
narsitzung mit Stoff und namentlichen Angaben mordet nicht!)
füllen. Es würde die erschütterndste Anklage sein, Ich wiederhole meine Anregung an Sie: erstens
und es würde hier vielleicht eines der größten die Herausgabe einer Liste der noch in Sowjet-
Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekannt rußland lebenden Deutschen zu erwirken, auf
werden, das sich in diesen Tagen in den Lagern Grund Ihrer besonderen Beziehungen.
des Ostens und Südostens vollzieht. (Bravorufe und Händeklatschen in der
(Sehr gut! bei den Regierungsparteien und Mitte und rechts)
rechts. Zurufe von der KPD.) und zweitens durch eine Petition an die Sowjet
regierung, die Sie vielleicht durch ehemalige Ruß
Aber wie gesagt, wenn die Registrierung im März landemigranten persönlich überreichen lassen
durchgeführt ist es bedarf übrigens gar nicht — vielleicht macht es sogar Herr Plievier oder
des Wartens bis zum März, ich wäre jetzt schon ein anderer, vielleicht macht es Herr Markgraf —,
in der Lage. die groteskesten Verurteilungen mit zu erreichen, daß ein Teil der Zwangsverurteilten
Ort, Zeit und Lagernummer bekanntzugeben. oder die zwangsverurteilten und zurückgehaltenen
(Abg. Rische: Tun Sie es doch!) Arbeitersöhne nach Hause können!
— Sie können nachher mit mir darüber sprechen, (Bravorufe und Händeklatschen in der
ich werde Ihnen Einsicht in mein Material geben. Mitte und rechts und bei der SPD.)
Ich rate Ihnen, zu Herrn Pfarrer Mertens zu Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr
gehen, der Ihnen seitenweise Lagernummern und Abgeordneter Pohle.
Namen geben kann.
(Abg. Renner: Der Reigen schließt sich!)
(Unruhe und Zurufe von der KPD.)
Ich muß mit aller Entschiedenheit zurückwei- Pohle (SPD) : Meine Damen und Herren! Aus-
sen, was Herr Renner gesagt hat, in diesem Hause gerechnet hier irrt sich einmal mein Freund Ren-
würde man eine Bejahung der Zurückhaltung der ner, denn hier schließt sich der Reigen nicht.
Listen beobachten können, und eine solche Be- (Ab. Renner: Das sollte mich wundern!)
jahung würde kriegstreiberische Politik sein. Herr Nach meiner Ansicht und nach der meiner
Renner, Sie sprachen von Leuten, die schon wie- Fraktion hätte der Verlauf der Debatte etwas
der Uniform anziehen wollen. Es gibt Leute, die anders gestaltet werden können. Wir halten es
haben sie längst wieder an. Ich kenne sie sogar, für unbedingt notwendig, daß der Herr Innen-
es sind Herr Bechler, Herr Markgraf, Herr Latt- minister zu diesem Antrag Stellung nimmt. Dem
mann, Herr Vinzenz Müller! Ich glaube, wenn Herrn Innenminister ist bekannt, wie das Materi-
Sie da ein Wort an Ihre Kollegen drüben richteten, al auch mit Hilfe deutscher Stellen ausgewertet
würden Sie den Kern der Sache besser treffen, als worden ist. Es muß unter allen Umständen ver-
Sie uns eben erzählten. mieden werden, daß durch diesen kommunisti-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — schen Antrag irgendwo in der Welt oder in
Zurufe von der KPD.) Deutschland die Meinung aufkommt: es wird uns
doch etwas vorenthalten, man könnte uns die
Darf ich Ihnen zum Schluß noch eine Anregung Namen unserer Toten sagen. Ich glaube, auch ein
mit auf den Weg geben. Ich glaube, Sie würden Vertreter des Herrn Ministers hätte heute zu die-
sich ein großes Verdienst erwerben können, wenn sem Antrag Stellung nehmen können.
Sie von Ihrem großen roten Bruder die Heraus- -
gabe einer Liste der noch Lebenden in der Ich beantrage deshalb für die SPD-Fraktion:
Sowjetunion erwirken könnten. Der Bundestag möge beschließen:
(Sehr richtig! bei den Regierungsparteien Der Herr Bundesinnenminister wird ersucht,
und bei der SPD.) zu dem Antrag der KPD-Fraktion, Druck-
sache Nr. 480, dem Hause eine schriftliche
Sie werden leider nicht in der Lage sein, dem Mitteilung über die Auswertung des in
deutschen Volke eine Liste der Toten mitzuteilen, Saalfeld vorgefundenen Materials über ge-
und zwar deswegen, weil Totenlisten nicht ge- fallene deutsche Wehrmachtsangehörige zu-
führt werden und bis 1948 die Sterblichkeits- gehen zu lassen.
ziffern in den russischen Gefangenenlagern gar Meine Damen und Herren, jetzt aber noch ein
nicht registriert werden durften.
anderes, und das nun von der rein menschlichen
(Abg. Renner: Unsinn!) Seite zu meinem Kollegen Renner. Ich möchte
Sie werden auch deswegen dazu nicht in der Lage Ihnen ganz ehrlich die Frage vorlegen, Herr
sein, weil, wie uns bekannt ist, ein großer Teil Kollege Renner: Fühlen Sie sich denn in diesem
der mit viel Pietät gepflegten Gräber aller Ge- Augenblick wohl, wenn Sie hier von diesem Pult
fallenen, auch Ihrer Freunde, auch der Kämpfer zu dieser Frage Stellung nehmen?
der Roten Armee, eingeebnet wurden und 2 Mil- (Sehr richtig! bei der SPD und in der
lionen Gräber in Rußland nie mehr festgestellt Mitte. — Abg. Renner: Sehr viel wohler
werden können. als Sie, sehr viel wohler als diese Hetzer
(Abg. Rische: Womit wollen Sie das von drüben! Hier kommt es auf
beweisen?) Klarheit an!)
1468 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Pohle)
Hier hat die Politik zu schweigen und an deren Antrag der Fraktion der BP betreffend
Stelle die Menschlichkeit zu treten! Stromlieferung (Drucksachen Nr. 547 und
(Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD, 226).
in der Mitte und rechts.) Das Wort hat als Berichterstatter Herr Abge-
Wir, die wir seit Jahren in der Heimkehrer- ordneter Etzel.
betreuung arbeiten, wir brauchen keine Beweise
Etzel (CDU), Berichterstatter: Meine Damen
und keine Dokumente. Die Zurückgekehrten sind,
uns Beweis genug. und Herren! Am 24. Oktober 1949 hat die
Fraktion der Bayernpartei einen Antrag betref-
(Erneuter lebhafter Beifall.) fend Stromlieferung an den Bundestag gestellt.
Ich möchte Ihnen ein Weiteres sagen. Wir wür- Der Antrag hat gelautet:
den Ihren Antrag vollinhaltlich unterstützen, Der Bundestag wolle beschließen:
wenn wir wüßten: irgendwo ist noch eine ameri-
kanische, eine französische oder eine englische Die Bundesregierung wird beauftragt
Stelle, die Material darüber hat und sagen könnte, 1. den Zentrallastverteiler anzuweisen, daß er
Weser und jener sei gefallen. Wir wissen um den das Energie-Notgesetz (Zentrallastverteilungs-
Schmerz der Mütter. Einen Toten kann man be- gesetz) in vollem Umfange durchführt und die
weinen, aber dauernd in dieser Hoffnung und in einseitige Benachteiligung der Wirtschaft ein-
dieser Zerrissenheit zu leben, das ist das Furcht- zelner Länder, durch welche deren gleich-
bare! Wenn Sie, Herr Renner, uns auf diesem mäßige und volle Entwicklung nach Maß-
Weg der Wiederherstellung der Menschlichkeit gabe ihrer wirtschaftlichen Eigenart gefähr-
folgen wollen, dann mögen Sie, fordere ich Sie det wird, unterläßt, vor allem auch die
auf, Ihre Verbindungen dazu ausnutzen, der Bayern diskriminierende Kürzung der Zulie-
Sowjetunion zu empfehlen, nur eines zu tun: den ferung von 180 000 Kilowatt auf 130 000 Kilo-
Eltern und den Frauen und Kindern die Namen watt sofort rückgängig macht,
der Toten zu nennen, derjenigen, die in der So- 2. bei den Besatzungsmächten Schritte zu unter-
wjetunion verstorben sind. nehmen, um zu erwirken, daß die Strom-
(Lebhafter Beifall.) lieferung Bayerns an Länder außerhalb des
Bundes in Zeiten knapper Wasserführung ge-
Vizepräsident Dr. Schäfer: Weitere Wortmel- kürzt oder erforderlichenfalls ganz eingestellt
dungen liegen nicht vor. wird.
(Zuruf.) Dieser Antrag ist seinerzeit dem Ausschuß für
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Ab- Wirtschaftspolitik zur Prüfung überwiesen wor-
geordneter Dr. Ehlers. den. Ihm lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 9. November des vergangenen Jahres muß-
Dr. Ehlers (CDU): Ich habe bereits darauf hinge ten die Strombezüge der süddeutschen Länder
-wiesn,daßrHImistenchr Bayern, Baden-Württemberg, Württemberg-Ho
hier ist, nicht, weil er nicht zu diesem Antrag henzollern, Südbaden, Rheinland-Pfalz und Süd-
Stellung nehmen wollte, sondern weil er durch hessen
eine dringende Landtagssitzung in Nordrhein- (Abg. Hilbert: Südbaden gibt es nicht!)
Westfalen verhindert ist. Ich halte es für un-
zweckmäßig, den Herrn Innenminister zu ersu- zur Schonung der Wasservorräte in Vorarlberg
chen, schriftlich Stellung zu nehmen, weil das und im Schwarzwald zurückgesetzt werden. Die
den Eindruck erwecken könnte, als ob er sich zur Aufrechterhaltung des Verbundbetriebes un-
entbehrlichen großen Speicher waren im damali-
einer solchen Stellungnahme habe entziehen wol-
gen Zeitpunkt so weit entleert, und zwar bis auf
len. Ich beantrage Unterbrechung der Aus- 15 Prozent ihres Inhalts, daß in Kürze mit ihrem
sprache und Vertagung auf morgen, um dem völligen Ausfall gerechnet werden mußte.
Herrn Innenminister Gelegenheit zu geben, zu
diesem Antrage Stellung zu nehmen. Die Situation ist in solchen Fällen folgende:
Die gesetzliche Grundlage für Maßnahmen des
Vizepräsident Dr. Schäfer: Meine Damen und Bundeswirtschaftsministeriums bei eintretenden
Herren, Sie haben den Antrag gehört. Der Herr - Schwierigkeiten ist das Energie -Notgesetz vom
Abgeordnete hat beantragt, die Aussprache über 10. Juni 1949. Die betrieblichen Aufgaben der
diesen Punkt der Tagesordnung abzubrechen und Stromversorgung und auch des Stromaustausches
morgen fortzusetzen und selbstverständlich dann zwischen den Energiebezirken und den Ländern
auch abzustimmen, damit dem Herrn Innenmini- wickeln sich normalerweise auf privatwirtschaft-
ster Gelegenheit geboten werden kann, Stellung licher Grundlinie ab. Wenn Versorgungsschwie
zu nehmen. Ich bitte diejenigen, die für diesen rigkeiten eintreten, die als Kriegsfolgen heute im-
Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte mer noch bestehen und immer wieder eintreten
um die Gegenprobe. Das erstere war zweifel- können, dann ist hier mit Hilfe des Energie -Not-
los die Mehrheit. — Nein, der Antrag scheint gesetzes eine Möglichkeit zum Eingreifen ge-
sogar einstimmig angenommen zu sein. geben; es sind dann entsprechende Maßnahmen
(Abg. Renner: Aber die Aussprache nötig. Hierbei sollen nach den gesetzlichen Be-
geht weiter!) stimmungen die Länder eine möglichst gleich-
mäßige Behandlung erfahren, das heißt, soweit
— Nein, die Aussprache geht damit jetzt nicht das nach den technischen Anlagen und den phy-
weiter, sondern sie wird unterbrochen und mor- sikalischen Voraussetzungen möglich ist. Die Er-
gen fortgesetzt. zeugungsmöglichkeiten für elektrische Energie
(Zustimmung.) sind nun einmal nach oben begrenzt durch die je-
Ich rufe also nunmehr den eben zurückgestellten weilige Kraftwerkskapazität, die wiederum
Punkt 11 der Tagesordnung auf: Schwankungen infolge von Störungen, Maschinen-
Beratung des Mündlichen Berichts des ausfällen, wechselnder Wasserdarbietung usw.
Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den unterliegt.
Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950 1469
(Etzel)
Es ist gelungen, im vergangenen Jahr 1949 die veranlaßt haben, an die Verwaltung für Wirt-
Leistungsfähigkeit um 20 Prozent, das heißt um schaft in Frankfurt am Main-Höchst folgendes
1 Million Kilowatt zu erhöhen, und auf Grund Schreiben zu schicken:
dieser Erhöhung sind die Verbrauchsrichtwerte :Stromversorgungslage in Bayern. Das Mini-
entsprechend verbessert worden. Dabei hat das sterium dankt für die ausführliche Darlegung
Land Bayern einen Anteil bekommen, der bei der Stromversorgungslage und die Bereit-
einer wöchentlichen Kapazität von 530 Millionen schaft der VfW, alle technischen Möglichkei
Kilowatt für Bayern 93 Millionen Kilowatt be- ten für eine verstärkte Aushilfe für Bayern
trug. Diese Stromaufteilung ist für den Fall auf- wahrzunehmen. Es hofft, daß die Inbetrieb-
tretender Versorgungsschwierigkeiten festgesetzt nahme der 200-Kilowatt-Leitung die Möglich-
worden, und zwar im Rahmen des Energie -Not- keit zu einer weiteren Verbesserung der Ver-
gesetzes durch den Länderausschuß, einen Aus- hältnisse bieten wird.
schuß, der vor der damaligen Schwierigkeit zum
letzten Mal am 11. Oktober 1949 getagt hatte. Wir Angesichts dieser Sachlage hat der Ausschuß für
haben bei der Untersuchung im Ausschuß für Wirtschaftspolitik beschlossen, Ihnen vorzu-
Wirtschaftspolitik festgestellt, daß eine Benachtei- schlagen:
ligung des Landes Bayern im Zuge der damals Der Bundestag wolle beschließen:
notwendigen Restriktionen nicht eingetreten ist. den Antrag der Fraktion der Bayernpartei
Es ist aus Zufuhrgebieten, insbesondere aus den Nr. 226 der Drucksachen für erledigt zu er-
norddeutschen Gebieten, dauernd die Strommenge klären.
geliefert worden, die nach der vorhandenen Lei-
tungskapazität geliefert werden konnte, und zwar Vizepräsident Dr. Schäfer: Ich danke dem Herrn
sind die Leitungen monatelang Tag und Nacht in Berichterstatter. Wir kommen zur Aussprache.
einem betrieblich kaum zu vertretenden Aus- Der Ältestenrat hat hierfür eine Gesamtzeit von
maß überlastet worden,. 25 Minuten vorgesehen. Ich bitte, sich danach
Kurz nach der Stellung dieses Antrages ist einzuteilen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete
dann zusätzlich eine Leitung zwischen Frankfurt Dr. Decker.
und Nürnberg in Betrieb genommen worden in
einer Stärke und Leistung von 220 000 Volt. Die Dr. Decker (BP): Herr Präsident! Meine Damen
Zurücksetzung der bayerischen Wirtschaft von und Herren! Zu der Darstellung ist nur kurz
180- auf 150 000 Kilowatt ist praktisch kaum in Er- folgendes zu sagen. Bayern ist ganz bestimmt
scheinung getreten, weil es damals durch be- als einziges Land im Dezember vorigen Jahres in
sondere Verhandlungen gelungen ist, das Ham- der „glücklichen" Lage gewesen, abschalten zu
burger Elektrizitätswerk über die Ostzone ein- müssen, während sämtliche anderen Länder das
zuschalten und so die bayerische Wirtschaft in nicht gebraucht haben. So müßte man eigent-
einem Maße zu versorgen, daß dieser Rückfüh- lich nach der vorhergehenden Darstellung sagen;
rungsbeschluß praktisch nicht durchgeführt zu denn nach dieser ist doch Bayern überhaupt nicht
werden brauchte. benachteiligt worden. Tatsache ist aber, daß im
Trotz dieser geschilderten Lage ist aber auch Dezember in Bayern die Stromversorgungslage
insgesamt Bayern nicht benachteiligt worden. wieder die gleiche Entwicklung zu zeigen anfing
Bayern hat in den ersten 11 Monaten des vergan- wie im Jahre vorher und im vorvergangenen
genen Jahres 1949 einen Verbrauch von 4 138 Jahr.
Millionen Kilowattstunden gehabt gegenüber Eine zweite Darstellung dürfte auch nicht ganz
3 449 Millionen Kilowattstunden im gleichen richtig gewesen sein, nämlich die, daß die Lei-
Zeitabschnitt des Jahres 1948. Es hat tungen voll ausgenützt Strom nach Bayern ge-
damit die Steigerung erfahren, die der mittle- bracht haben. Richtig, sie waren voll ausgenützt,
ren Steigerung im Bundesgebiet entspricht. Diese sie wurden aber, bevor die volle Energie des
Steigerung ist zugunsten von Bayern durchge- Stromes nach Bayern kam, schon in Württemberg
führt worden, obwohl Bayerns eigene Wasser- angezapft.
stromerzeugung in der gleichen Zeit um 400 Mil- Das waren zwei der Gründe, warum wir im
lionen Kilowattstunden niedriger gewesen ist als ersten Abschnitt unseres Antrags eine Aufhebung
im Jahr zuvor. Das Mittel liegt etwa bei 20. Schles- - der einseitigen Strombenachteiligung in Bayern
wig -Holstein hat damals von der Steigerung zu- gefordert haben. Sie ist ja nun behoben, und
sätzlich bekommen 6,9 Prozent, Hamburg 9, damit ist der erste Punkt hinfällig geworden.
Niedersachsen 10,9, Nordrhein-Westfalen 27,7, Zum zweiten Punkt ist zu sagen, daß durch die
Bremen 19,1, Hessen 22,7, Württemberg-Baden 19, Kürzung, die Bayern gerade infolge der Liefe-
Bayern 20 und die Länder der französischen Zone rungen nach Österreich erfahren hat — es muß-
20,5 Prozent. Es ist ,also festzustellen, daß weder ten 30 000 Kilowatt laufend geliefert werden —,
tatsächlich noch anordnungsmäßig irgendwelche jedes Mal, wenn durch mangelnde Wasserführung
diskriminierenden Maßnahmen gegenüber Bayern Stromknappheit war, eine besondere Benachteili-
durchgeführt worden sind. gung entstanden ist und infolgedessen die baye-
Was den zweiten Teil des Antrages der Bayern- rische Stromversorgung am Zusammenbruch war.
partei anlangt, so sind schon seit längerer Zeit Nun ist aber auch dieses aufgehoben worden.
Verhandlungen über eine Zurücksetzung des Statt der 30 000 Kilowatt nach Österreich wird
Exports der Bundesrepublik geführt worden, die Kohle geliefert. Damit hat der Antrag seinen
auch bereits zu günstigen Ergebnissen geführt Zweck erreicht, und die Bayernpartei schließt
haben. Ich will es mir angesichts der Tatsache, sich dem Vorschlag des Ausschusses an.
daß die praktischen Dinge sehr weit zurückliegen,
ersparen, die Einzelheiten dem Hohen Hause vor- Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Herr
zutragen und damit seine Zeit aufzuhalten. Ich Abgeordnete Stücklen.
darf nur darauf hinweisen, daß die so geschil-
derten Verhältnisse das Bayerische Staatsministe- Stuckten (CSU): Herr Präsident! Meine Damen
rium für Wirtschaft schon am 5. Dezember 1949 und Herren! Die Schwierigkeiten, die bei der
1470 Deutscher Bundestag — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 1. März 1950
(Stücklen)
Stromversorgung Bayerns im November und De- Darum dreht es sich aber im Augenblick nicht,
zember aufgetreten sind, sind heute längst über- sondern wir halten es für notwendig, die Regie-
holt. Diese Schwierigkeiten waren durch den rung darauf hinzuweisen, daß für die künftigen
augenblicklichen Mehrstrombedarf in dieser Jah- Winter die Stromversorgungssituation Bayerns
reszeit und durch den Weihnachtsbedarf gegeben. grundlegend geändert werden muß.
Wir wollen heute unseren württembergischen Zu den Ausführungen des Berichterstatters
Freunden nicht mehr den Vorwurf machen, daß möchte ich gar nichts sagen, obwohl sie auch
sie unsere Leitungen vor Erreichung der baye- nicht in allen Einzelheiten unseren Vorstellungen
rischen Grenze abgezapft haben. Die Tatsache ist entsprechen, weil die politischen Stromabschal-
heute die, daß die Stromversorgung ausreicht. Die tungen in Bayern den Beratungen des Ausschus-
Tatsache ist weiter die, daß die Stromversorgung ses offenbar nicht ausreichend als Grundlage ge-
auch im Monat März unserer Voraussicht nach dient haben.
keine Unterbrechungen erfahren wird, da unsere
Laufwasserversorgung sich weitestgehend gebes- Vizepräsident Dr. Schäfer: Weitere Wortmeldun-
sert hat. Ich möchte hier feststellen, daß unsere gen liegen nicht vor. Die Aussprache ist damit
Dampfkraftstromerzeugung augenblicklich nur zu geschlossen. Wir stimmen über die Drucksache
60 Prozent ausgenutzt ist und daß wir keine Ver- Nr. 547 — Antrag des Ausschusses — ab. Wer
anlassung haben, Bedenken zu haben, daß die für den Ausschußantrag ist, den bitte ich, die
Stromversorgung noch einmal zusammenbrechen Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die Mehr-
könnte. heit. Es ist so beschlossen.
Ich möchte es nicht versäumen, den Dank an Wir kommen nunmehr zu Punkt 13 der Ta-
die Länder Norddeutschlands und an das Bundes- gesordnung:
wirtschaftsministerium zum Ausdruck zu bringen, Übersicht über die in der Zeit vom 12. bis
die Bayern in der schwierigen Lage der Strom- 31. Januar 1950 vom Ausschuß für Petitio-
versorgung weitestgehend unterstützt haben. Ich nen erledigten Eingaben (Drucksache Nr.
glaube auch, daß durch die Tatkraft der bayeri- 548).
schen Staatsregierung, die weitestgehende Pla-
nungen und Projekte der Stromversorgung in Der Ausschußantrag liegt Ihnen vor. Das Wort
Angriff genommen hat, Bayern im nächsten Jahr wird nicht gewünscht. — Wir kommen zur Ab-
in der Lage sein wird, die Stromversorgung durch stimmung. Wer für den Antrag ist, den bitte ich,
eigene Kraft aufrechtzuerhalten. die Hand zu erheben. — Das ist zweifellos die
Mehrheit. Es ist so beschlossen.
(Beifall in der Mitte.)
Wir kommen nunmehr zu Punkt 14 der Ta-
gesordnung:
Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Herr
Abgeordnete Wönner. Interfraktioneller Antrag betreffend Über-
weisung von Anträgen an die Ausschüsse
Wönner (SPD): Meine Damen und Herren! Die (Drucksache Nr. 615).
Ausführungen meines Vorredners veranlassen Ich stelle allseitiges Einverständnis fest. Ich
mich, einige Worte zu dem Thema zu sagen. Es bitte diejenigen, die für die Überweisung sind,
ist und bleibt nun einmal eine Tatsache, daß wir die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit.
es in diesem Jahre dem Wettergott zu danken Es ist so beschlossen.
haben, daß wir nicht wieder so wie in den Vor- Damit, meine Damen und Herren, stehen wir
jahren kritische Energieversorgungslagen in am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich bin
Bayern gehabt haben. Es ist auch nicht ganz noch gebeten worden, bekanntzugeben, daß die
so, daß alle Schwierigkeiten für den Augenblick FDP-Fraktion um 20 Uhr und die CDU/CSU-
schon beseitigt sind. Ich habe mich heute noch Fraktion sofort Fraktionssitzungen haben. — Wei-
beim Landeslastenverteiler für Bayern über die tere Mitteilungen liegen nicht vor.
Situation erkundigt und von ihm folgende Mit-
teilung erhalten: „Die derzeitige Stromversor- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
gungslage in Bayern kann ohne größere Schwie- Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 2. März
rigkeit aufrechterhalten werden, unter der Vor- 1950, 13 Uhr 30 Minuten.
aussetzung, daß der seit gestern eingetretene Damit ist die 43. Sitzung des Deutschen Bun-
Frost nicht sehr lange dauert." Also immerhin destags geschlossen.
eine Einschränkung, die daran geknüpft wer-
den muß. (Schluß der Sitzung: 18 Uhr 39 Minuten.)

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