Sie sind auf Seite 1von 20

Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27.

September 1949 137

Präsident Dr. Köhler: Der Herr Abgeordnete


Zühlke ist da.
Dr. Miessner, Schriftführer: Auf Grund von Ent-
schuldigungen fehlen die Abgeordneten Dr. Brill,
Jahn, Pohle, Kern.
(Zuruf: Jahn ist hier!)
Präsident Dr. Köhler: Der Herr Abgeordnete
Jahn ist anwesend.
Dr. Miessner, Schriftführer: Dirscherl, Fröhlich,
Dr. Horlacher, Meyer, Farke, Klinge, Wallner,
Klabunde, Dr. Oellers, Blachstein, Dr. Reif,
Brandt, Dr. Suhr, Neumann, Reimann, Fisch, Kurt
Müller, Rische, Nuding. Außerdem sind noch als
erkrankt gemeldet die Abgeordneten Vesper und
Agatz.
Präsident Dr. Köhler: Ich habe mir erlaubt, den
8. Sitzung Fraktionen im Laufe des Vormittags die Redner-
folge mitzuteilen. Da mir keine Widersprüche da-
gegen bekannt geworden sind, nehme ich an, daß
Bonn, Dienstag, den 27. September 1949. sie so gebilligt wird.
Mir liegt eine Meldung zur Geschäftsordnung vor,
und zwar von Herrn Abgeordneten Dr. Reismann.
Antrag der Zentrumsfraktion, betreffend Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Reismann das
Unterrichtung des Ältestenrats über den Wort zur Geschäftsordnung.
Stand der Abwertungsfrage:
Dr. Reismann (Z): Die Zentrumsfraktion des Deut
Dr. Reismann (Z) (zur Geschäftsord- schen Bundestags beantragt:
nung) 137C Der Bundestag wolle vor und außerhalb der
Fortsetzung der Aussprache über die Erklä Tagesordnung des heutigen Tages beschließen:
rung der Bundesregierung . . . 137 B, 138 A Die Bundesregierung wird ersucht, den Älte-
stenrat über den Stand der Abwertungsfrage
Etzel (CDU) 138A
zu unterrichten und sich mit ihm darüber zu
Dr. Frey (CDU) 141D beraten,
Dr. Kather (CDU) . . . . . . . 143C Nicht nur die Mitglieder des Hohen Hauses, son-
dern — wir haben es gerade jetzt, als wir über
Euler (FDP) 146C Sonntag in unserer Heimat waren, erfahren —
weite Kreise der Bevölkerung im Lande empfinden
Dr. Mühlenfeld (DP) 146D es als höchst ungewöhnlich, daß über eine so wich-
Dr. Besold (BP) 149D tige und einschneidende, für das ganze Volk be-
deutungsvolle Maßnahme —
Unterbrechung der Sitzung . . 152B
—PräsidentDr.Köhler:
Herr Abgeordneter, darf ich
Löfflad (WAV) 152C Sie einen Moment unterbrechen. Nach § 83 der Ge-
Dr. Miessner (NR) 153A schäftsordnung dürfen sich die Bemerkungen zur
Geschäftsordnung nur auf den zur Verhandlung
Dr. Ott (Parteilos) 155A stehenden oder unmittelbar vorher behandelten
Gegenstand oder den Geschäftsplan des Hauses
Nächste Sitzung 156 C beziehen. Insofern gehen Ihre Ausführungen über
den Rahmen einer Bemerkung zur Geschäftsord-
nung hinaus. Wenn Sie einen Antrag haben,
Die Sitzung wird um 15 Uhr 10 Minuten durch dann bitte ich; ihn mir einzureichen.
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
Dr. Reismann (Z): Den Antrag habe ich hier.
Präsident Dr. Köhler: Ich eröffne die 8. Sitzung
des Deutschen Bundestags. Der einzige Punkt der (Zuruf: Diese Form ist nicht zulässig!)
Tagesordnung ist die - Ich begründe den Antrag, und ich bitte, ihn jetzt
Fortsetzung der Aussprache über die zu behandeln.
Erklärung der Bundesregierung. (Zurufe.)
Ich habe zunächst einige Mitteilungen zu ma- — Das gehört nach meiner Meinung zur Geschäfts-
chen. Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Na-- ordnung.
men der abwesenden Mitglieder des Hauses ver- (Widerspruch.)
lesen zu wollen.
President Dr. Köhler: Dann hätten Sie vorher bei
Dr. Miessner, Schriftführer: Beurlaubt sind mir einen Antrag einreichen müssen, den ich ent-
wegen Krankheit die Abgeordneten Professor Dr. weder von mir aus oder nach vorheriger Verständi-
Baur, Marx, Zühlke, Kuhlemann. gung mit dem Ältestenrat auf die Tagesordnung
(Zuruf: Abg. Zühlke ist da!) gesetzt hätte,
138 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949

Dr. Reismann (Z): Ich werde Ihnen, Herr Präsi- Ich darf aber in aller Bescheidenheit darauf hin-
dent, also den Antrag überlassen. Ich bitte zu be- weisen, daß auch die Wähler der Abgeordneten der
schließen, daß diese wichtige Angelegenheit, sobald Regierungsparteien zur arbeitenden Bevölkerung
es geschäftsordnungsmäßig möglich ist, zur Erörte- gehören. Selbst wenn der Herr Abgeordnete Dr.
rung kommt. Schumacher unter „arbeitender Bevölkerung" hier
diehanrbtBvölkugeminthab
Präsident Dr. Köhler: Ich nehme den Antrag zur sollte, so muß ich mit aller Festigkeit aussprechen,
Kenntnis. daß auch wir große Schichten dieser Bevölkerung
vertreten und daß die Opposition kein Monopol auf
Meine Damen und Herren, wir treten in die Aus- soziale Gesinnung und auf alleinige Wahrung
sprache ein. Zunächst hat Herr Abgeordneter Etzel sozialer Interessen hat.
das Wort.
(Zustimmung bei der CDU.)
Etzel (CDU): Meine Damen und Herren! Im Rah- Wir haben Selbstbewußtsein genug, zu behaupten
men der Debatte zur Regierungserkl äru ng ist an und zu beweisen, daß unsere Vorstellung von
dieser Stelle wiederholt zum Ausdruck gebracht Sozial- und Wirtschaftspolitik zwar sehr wenig für
worden, daß man sie hätte abkürzen und dafür der anonyme Kollektive und ihre Funktionäre übrig
Regierung Zeit für ihre Arbeit geben sollen. So hat, dafür aber um so bessere Lösungen für den
richtig solche Meinungsäußerungen an sich sind, so Arbeiter als Menschen und die Besserung der Stel-
darf doch nicht übersehen werden, daß in einem lung der sozial Schwachen bietet. Wir sind von dem
jungen Parlament der Wert solcher Debatten darin Glauben erfüllt, daß die Lösung der sozialen Frage
liegt, daß es sich profiliert und erste Stand- die politische Aufgabe dieser Jahre ist, und wir
punkte abgetastet werden, welche für die weitere werden danach handeln. Wir glauben aber nicht,
Arbeit wertvoll sind. In diesem Sinne bejahe ich daß man das Los der Arbeiter und der sozial
ganz besonders die Ausführungen des Abgeordneten Schwachen durch Gründung kollektiver Macht-
enhauer vom vergangenen Freitag. Ich stimme Ol positionen, Machthäufung beim Staate und Anwen-
ihm zu, daß wir hier nicht den Versuch machen dung überlebter Theorien bessern kann.
sollten, uns gegenseitig zu überzeugen. Das wäre im Herr Dr. Schumacher hat weiter ausgesprochen,
gegenwärtigen Augenblick verfehlt. Wir sollten der Herr Bundeskanzler habe die soziale Leistung
aber versuchen, den andern zu hören und zu prüfen, von einer Wirtschaftsblüte abhängig gemacht, die
ob sich auf der andern Seite nicht vielleicht doch nicht schnell realisiert werden könne. Wir räumen
Wertvolles und vielleicht auch Gemeinsames findet. der Wirtschaft kein Primat vor der sozialen Ge-
Die Ollenhauerschen Ausführungen erscheinen so rechtigkeit ein. Ich muß aber unsere wiederholt
als ein wertvolles Symptom dafür, daß die Oppo- ausgesprochene Meinung dahin nachdrücklich unter-
sition vielleicht doch konstruktiv geführt werden streichen, daß eine gute Wirtschaftspolitik die beste
kann. Sozialpolitik ist; denn niemand kann auch in
Gestatten Ake mir zunächst einmal einige all- Deutschland mehr verteilen, als laufend erzeugt
gemeine Bemer kungen. Herr Dr. Schumacher hat wird. Der wesentliche Grund der englischen Krise
ausgesprochen, wir seien in einer Situation, in der liegt schließlich in der Tatsache, daß der britische
große soziale Versager Heizstoffe für einen neuen Wohlfahrtsstaat mehr verteilt hat, als erzeugt
Nationalismus und für einen Neofaschismus ab- wurde.
geben könnten. Ich stimme ihm darin zu. In dieser (Sehr richtig! bei der CDU. Unruhe und
Erklärung liegt aber eine sehr große Verantwor- Zurufe links.)
tung eingeschlossen, die Herr Dr. Schumacher Der Übergang zur Marktwirtschaft war deswegen
zuübershncit.Sdue,aßjrin auch eine soziale Tat, weil er die Produktion nach-
diesem Hause, dem es ernst ist mit seiner Verant- haltig gesteigert hat. Selbst unter Abrechnung der
wortung für unseren jungen demokratischen Staat, seit der Währungsreform vorgenommenen Selbst-
verpflichtet ist, echtes soziales Wollen überall anzu- finanzierung kann schließlich von niemand geleug-
erkennen, wo es sich findet. Jeder Versuch, echte net werden, daß seit dieser Zeit an Konsumgütern
soziale Tatbestände zu leugnen und in ihr Gegenteil erheblich mehr für die Lebenshaltung des Volkes
umzudeuten, nur weil sie vom politischen Gegner zur Verfügung gestellt worden ist als vorher.
kommen, ist eine Sünde an diesem Staat. Mit dieser zweiten allgemeinen Bemerkung bin
(Sehr richtig! bei der CDU.) ich aber schon mitten in der entscheidenden Aus-
einandersetzung. Die Opposition will nicht wahr-
Denn es liegt im Wesen des Politischen, daß solche haben, daß der 14. August der Regierung und den
Versuche immer Gläubige finden, die sich dann Regierungsparteien ein klares Mandat für die Fort-
nicht in erster Linie gegen die jeweiligen politischen setzung der Frankfurter Wirtschaftspolitik gegeben
Machthaber, sondern in der Mehrzahl der Fälle hat.
gegen den Staat und damit gegen das richten, was (Zurufe links.)
allen guten Demokraten ein gemeinsames Anliegen
sein soll. Ich wehre mich aus solcher Überlegung Die Ehrlichkeit sollte gebieten, meine Damen und
sehr energisch gegen die Ausführungen des Herrn so ist. Hern,azukdßs
Abgeordneten Dr. Schumacher, in denen er so tut, Herr Dr. Schumacher hat als die Aufgabe, vor der
als ob die Interessen der arbeitenden Bevölkerung wir stehen, die Erhöhung des Produktionsvolumens
nur bei der Opposition gewahrt würden, um grob geschätzt ein Drittel bezeichnet.
(Sehr richtig! bei der CDU) IchwilmeraufknZhlstg,aberim
Prinzip ist die Aufgabenstellung völlig richtig ge-
und wenn er behauptet, die Zusammensetzung der sehen. Es bleibt nun ein Geheimnis der Opposition,
Regierung berge die Gefahr in sich, daß der neue warum sie die Frankfurter Wirtschaftspolitik ver-
Staat ein autoritärer Besitzverteidigungsstaat urteilt, obwohl dieselbe den Weg der Produktions-
werde. Mit solchen Ausführungen tut man diesem erhöhung seit dem ersten Tage Monat für Monat
neuen Staat keinen guten Dienst. gegangen ist, obwohl sie die Produktion mehr als
(Zustimmung bei der CDU.) verdoppelt hat und immer steigend im August 1949
Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 139
(Etzel)
bei 91 Prozent der Produktion von 1936 angelangt Reihenfolge der Wichtigkeit der Güter verlangt
ist. wird? Heute wird in Deuschland jede Nachfrage
(Unruhe und Zurufe links.) auch nach Massengütern abgedeckt. Wo heute die
Inwiefern Herr Dr. Schumacher bei solchem Tat- Marktwirtschaft herrscht, dort allein gibt es Preis-
bestand in seiner großen Rede vom schrumpfenden rückgänge und keinen schwarzen Markt. Wo aber
Sozialprodukt redet, bleibt sein Geheimnis. an der Bewirtschaftung festgehalten worden ist,
(Sehr gut! bei der CDU.) liegen auch die Preise fest und gibt es auch noch
einen schwarzen Markt. Man zeige uns doch nur
Es kann weiter nicht geleugnet werden, daß der ein einziges Land in der Welt, wo die Planwirt-
Reallohn, der weiß Gott für bestimmte Schichten schaft sich bewährt hätte! Nein, meine Damen und
immer noch niedrig genug ist, seit der Währungs- Herren, die soziale Marktwirtschaft hat die Zukunft
reform ganz unverkennbar bedeutend gestiegen ist. für sich, nicht aber das Museumsstück der gelenk-
(Lachen links.) ten Planwirtschaft. Es wird allerdings von unseren
Die Entgleisungen infolge einer fehlerhaften Wäh- Gegnern immer wieder mit Fleiß versucht, das
rungsreform sind seit der Jahreswende weitgehend Wesen der sozialen Marktwirtschaft umzudeuten.
aufgefangen. Das Ausmaß der Lebenshaltungs- Mein Fraktionsfreund Blank hat am Freitag sehr
kostensenkung seit der Jahreswende bis August deutlich dargetan, was wir unter solcher Markt-
1949 beträgt 6 Prozent, wozu noch die seit diesem wirtschaft verstehen. Ich kann mich hier ganz
Zeitpunkt erfolgte Erhöhung des Nominallohns wesentlich auf ihn beziehen und möchte nur ergän-
kommt. Auch hier muß ich beanstanden, daß Herr zend und unterstreichend folgendes z u. dem Thema
Dr. Schumacher vom sinkenden Reallohn spricht. sagen.
Hier haben wir wieder eine unrichtige Behauptung, In der von uns vertretenen sozialen Marktwirt-
die ich aus dem Munde des Parteivorsitzenden der schaft haben wir eine Wettbewerbsordnung her-
zweitgrößten Partei nicht gern höre. gestellt, in der ein echter Leistungswettbewerb bei
Die Opposition scheint, wenn ich die Herren gleichen Chancen und fairen Wettkampfbedingun
richtig verstanden habe, das Problem dadurch lösen gen in freier Konkurrenz die bessere Leistung her-
zu wollen, daß durch eine Preisverbilligung die vorbringt und in der besseren Leistung belohnt
Massenkaufkraft gehoben wird. Das ist eine sehr wird. Wir legen den Ton auf bessere Leistung und
schöne Forderung, der man sehr begeistert zu- sind der Meinung, daß gerade unser Volk ein sehr
stimmen wird. Man muß aber auch sagen, wie feines Organ dafür hat, darauf angesprochen zu
man das machen will. Das Mittel des Herrn Abge- werden, daß wir in erster Linie durch Arbeit und
ordneten Dr. Schumacher lautet: Konzentration der Leistung aus unserer Not herauskommen müssen.
wirtschaftlichen Kräfte und der Rationalisierungs- In einer solchen Wirtschaft bedarf es allerdings
potenzen auf Massengüter, Planung in der Reihen- wie in jeder Wirtschaft eines Ordnungsprinzips,
folge der Wichtigkeit der Güter, völlige Abkehr welches das Zusammenwirken aller Beteiligten
von der Produktion von Luxusgütern, Kontrolle regelt. Dieses Steuerungsmittel ist der markt-
und Lenkung der Rohstoffe und Kontrolle der gerechte Preis, der dadurch entsteht, daß Kaufkraft O
Kreditverwendung. und angebotene Gütermenge auf dem Markt zum
Der Abgeordnete Ollenhauer hat diese Gedanken- Ausgleich gebracht werden. Nicht eine lenkende
gänge unterstrichen. Ich finde in solcher Vorstel- Behörde, nicht Bezugscheine, nicht Beschlagnahme,
lung vom richtigen Wege zur Preisverbilligung als auch nicht Kontrolle und Straforgane sollen Pro-
Mittel der Produktionserhöhung nichts als das duktion und Verteilung lenken, sondern das soll
Herausholen alter Ladenhüter aus der glücklich nach unserer Meinung der Verbraucher selber tun.
gerade hinter uns gebrachten Zeit. Das ist doch ein Er soll in einer echten demokratischen Abstim-
so tiefer Eingriff in die gerade zurückgewonnene mung, dargestellt durch die vielen Hunderttausende
wirtschaftliche Bewegungsfreiheit, daß wir auf die- täglicher Kaufabschlüsse, bestimmen, was er ver-
sem Wege im Handumdrehen wieder bei der Plan- brauchen will, und damit indirekt auch, was produ-
wirtschaft aus der Zeit vor der Währungsreform ziert werden soll. Die von der Opposition ange-
angelangt sein würden, wenn auch der Abgeordnete sprochenen breiten Massen bestimmen damit selber,
011enhauer erklärt hat, daß er das gerade nicht was sie für Bedürfnisse haben und wo die Grenze
will. Meine Damen und Herren, gehört angesichts für die Produktion von Luxusgütern liegt.
der eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet und Meine Damen und Herren, denken Sie bitte auch
angesichts des Debakels, das zur Zeit in England einmal daran, daß keine Lenkung der von Ihnen
offenbar wird, nicht geradezu der Mut der Ver- gewünschten Art den Staatsanwalt und die Polizei
zweiflung dazu, uns hier erneut solche Empfehlun- entbehren kann. Je mehr der Staat lenkt und plant,
gen zu machen? Die Pfundabwertung bedeutet doch um so mehr muß er seine Polizeigewalt aufbauen.
gar nichts anderes, als daß die Kosten des eng-
lischen Wohlfahrtsstaates zu einem 'Teil auf das Wichtige Vorbedingung dafür, einen marktgerech-
Ausland abgewälzt werden. ten Preis herbeizuführen, ist ein geordnetes Geld-
wesen. Alle Versuche, die Funktionsfähigkeit des
(Sehr richtig! in der Mitte.)
Preises abzubauen oder gar unser Geldwesen in
Wenn das Realeinkommen und damit der deutsche Unordnung zu bringen, werden daher immer unse-
Lebensstandard durch die Abwertung beeinträch- rer schärfsten Ablehnung begegnen. Der echte Lei-
tigt werden sollten, dann möge sich die deutsche stungswettbewerb funktioniert durch Belohnung
Bevölkerung der Tatsache bewußt sein, daß sie da- der guten und der besseren Leistung gemäß der
mit zur Tragung der Kosten des von der Opposition- Entscheidung der Verbraucher, nicht aber durch
uns so angepriesenen Wirtschafts- und Sozialexperi- planwirtschaftlichen Befehl von oben oder gar
ments beiträgt. Wir in Deutschland hatten keine durch Verleihung einer goldenen Fahne oder durch
Abwertung nötig. Wir haben gearbeitet und nicht das Hennecke-System. Im Rahmen des echten Lei-
mehr verbraucht, als da war. stungswettbewerbs steigt die Produktion. Mit stei-
Was heißt es denn überhaupt, wenn von der gender Produktion kann bei richtiger Geldpolitik
Opposition eine Konzentration der wirtschaftlichen Preissenkung und damit Erhöhung des Reallohns
Kräfte auf Massengüter und eine Planung in der erreicht werden.
140 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Etzel)
Der Leistungswettbewerb ist aber nicht das ein- waltet werden. Wenn der Herr Bundeskanzler
zige Mittel der sozialen Marktwirtschaft. Die soziale daher erklärt hat, daß eine Neuordnung der Besitz-
Marktwirtschaft will keinen Rückfall in die freie verhältnisse in den Grundindustrien notwendig sei,
Wirtschaft alter Art. Um das zu erreichen, ist zur so hat die CDU mit der Aufstellung ihres Machtver-
Sicherung des Leistungswettbewerbs die unabhän- teilungsprinzips bereits vor zwei Jahren im Ahlener
gige Monopolkontrolle nötig. Denn so wenig wie Programm den Weg gewiesen.
der Staat oder halböffentliche Stellen die gewerb- Der Herr Abgeordnete Ollenhauer hat nun hier
liche Wirtschaft oder einzelne Märkte lenken sollen, zum Ausdruck gebracht, daß in allen Lagern in der
dürfen Privatpersonen oder private Verbände der- Frage der Sozialisierung verschiedene Auffassun-
artige Lenkungsaufgaben übernehmen. Der Herr gen bestehen. Ich halte diese Erklärung, deren In-
Abgeordnete Dr. Schumacher und die Abgeordnete halt mir nicht fremd ist, für wesentlich. Sie bietet
Frau Wessel haben hier an dieser Stelle ihr Miß- die Möglichkeit zu Gesprächen.
trauen geäußert, ob es zu einem Antimonopolgesetz (Zuruf von der KPD: Nach 18` habt ihr auch
kommt. Ich glaube mich hier mit dem Herrn Wirt- gesprochen!)
schaftsminister einig, wenn ich erkläre, d aß dem
Hohen Hause ein solches Gesetz sehr bald vorgelegt Was die besonders von den Gewerkschaften
werden wird. geforderte Mitbestimmung in der Wirtschaft an-
Die soziale Marktwirtschaft bejaht weiter aber langt, so hat der Herr Bundeskanzler gefordert,
auch die planvolle Beeinflussung der Wirtschaft mit daß die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern
den organischen Mitteln einer umfassenden Wirt- und Arbeitgebern zeitgemäß neu geordnet werden.
schaftspolitik auf Grund einer elastischen Markt- In der Bestätigung der Koalitionsfreiheit liegt auch
beobachtung. Diese Wirtschaftspolitik führt in sinn- die Anerkennung der Gewerkschaften eingeschlos-
voller Kombination von Geld-, Kredit-, Handels-, sen. Ich erkenne gern an, daß die Gewerkschaften
Zoll-, Steuer-, Investitions- und Sozialpolitik sowie bei den Preissteigerungen des vergangenen Winters
anderen Maßnahmen dazu, daß die Wirtschaft in mit Ausnahme eines Sonderschrittes ein großes
Erfüllung ihrer letzten Zielsetzung der Wohlfahrt Maß von Einsicht und guter Disziplin gehalten
und der Bedarfsdeckung des ganzen Volkes dient. haben.
Sie sehen, meine Damen und Herren, der entschei- (Sehr richtig! in der Mitte.)
dende Unterschied unserer Auffassung gegenüber Soweit ihnen in Zukunft Mitverantwortung in der
unserer Wirtschaftsordnung alter liberaler Prägung Wirtschaft übertragen wird, muß sie übernommen
ist absolut vorhanden. Wir lassen den einzelnen, werden im Rahmen der Mitverantwortung anderer
Produzent und Verbraucher, frei; aber wir pflegen gleichgeordneter Wirtschaftsverbände wie Arbeit-
den Garten unserer Volkswirtschaft, in dem beide geberverbände, Organisationen des gewerblichen Mit-
wurzeln. telstandes, freie Berufe usw. Es muß aber ganz klar
Gestatten Sie mir, an dieser Stelle etwas zur ausgesprochen werden, daß alle politischen Ent-
Eigentumsordnung, zur Gewinnbeteiligung und zur scheidungen eindeutig beim Parlament bleiben
) Mitbestimmung in den Grundstoffindustrien zu müssen. Hier hat der Arbeitnehmer die gleichen
sagen. Ich glaube feststellen zu dürfen, daß sich Rechte wie jeder andere Staatsbürger, die er durch
unser wirtschaftspolitisches Denken in einem sehr den Stimmzettel ausübt.
entscheidenden Punkte sehr wesentlich geändert
Soziale Marktwirtschaft mit echtem Leistungs-
hat. Das Sozialprodukt kommt nicht nur durch die wettbewerb, mit Monopolkontrolle, mit planvoller
Leistung des Kapitalisten zustande - diese Auf-
Beeinflussung der Wirtschaft und den organischen
fassung beherrscht noch das geltende Aktien-
Mitteln einer umfassenden Wirtschaftspolitik, Be-
recht —; das Sozialprodukt entsteht aus dem Zu- teiligung am Gewinn, Mitbestimmung im Betrieb
sammenwirken von Kapital, Arbeit und Unterneh-
und die Mitbestimmung der Gewerkschaften und
merleistung. Auf keine dieser drei Kräfte kann ver-
Verbände in der Selbstverwaltung das sind
zichtet werden; sie sind alle gleichermaßen not-
wendig und stehen auch in keinem Gegensatz unsere Mittel einer Wirtschafts- und Sozialpolitik,
zueinander. Wenn dem aber so ist, meine Damen von der niemand, der es ernst mit seiner Verant-
und Herren, dann haben alle drei Kräfte einmal wortung in Regierung und Opposition meint, be-
Anspruch auf Anteil am Gewinn und zum andern haupten kann, daß sie nicht in einem hohen Maße
das Recht auf Mitbestimmung, Mitberatung und die sozialen Interessen der arbeitenden Schichten
Mitwirkung bis zu der selbstverständlichen Grenze, mit einer geradezu revolutionären Gestaltungskraft
daß die echte Unternehmerverantwortung gewahrt vertrete.
und gesichert wird. Es kommt hier allerdings auf Lassen Sie mich hier etwas zum Problem der
ein echtes Mitbestimmungsrecht betriebszugehöri- Vollbeschäftigung im Rahmen der kurzen mir zur
ger Arbeiter, nicht aber auf das Mitbestimmungs- Verfügung stehenden Zeit sagen. Auch wir bejahen
recht betriebsfremder Funktionäre an. die Notwendigkeit, die Wirtschaft in einem Zustand
der Vollbeschäftigung zu erhalten. Für uns ist aber
(Sehr gut! in der Mitte.) die Vollbeschäftigung nicht ein ökonomisches Prin-
Die Stellung des Eigentümers in der Großwirt- zip, sondern sie ist ein volkswirtschaftliches Ziel.
schaft bekommt bei solchem Denken einen ganz Auf unsere Lage übertragen bedeutet das, daß nicht
andern Inhalt. Der Hauptangriff gegen das Groß- die Erhaltung des seit der Währungsreform unge-
kapital ging gegen seine Machtstellung; Monopol- fähr gleichbleibenden Beschäftigungsstandes, son
kontrolle und Aufteilung der gesellschaftlichen-dern seine nachhaltige Ausweitung die Aufgabe ist.
Rechte haben dem Kapital bereits seine wesentliche Eine Ausweitung der Produktion aber ist nicht mit
Machtstellung genommen. Wir dürfen und können den Mitteln bloßer Planung und Kontrolle der
sie aber nicht dadurch neu entstehen lassen, daß Investierungen, sondern nur mit der Aufbringung
wir einen neuen Monopolkapitalismus beim Staate zusätzlicher Mittel für die Investierungen zu schaf-
schaffen. Für eine solche Form der Neuordnung fen. Die Vollbeschäftigung in dieser dynamischen
bietet auch der englische Vorgang ein sehr Auffassung führt also zum Kapitalproblem. Die
schlechtes Beispiel. Es darf auch nicht durch Son- Neubeschaffung von Arbeitsplätzen für die Millio-
dervermögen gebildet und durch Treuhänder ver- nen von Vertriebenen ist nicht zuletzt eine Kapital-
Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 141
(Etzel)
irage. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister gen zu kürzen und nicht zu weite Ausführungen
von Schleswig-Holstein, Herr Preller, hat die machen zu müssen. Wir stimmen aber dem Herrn
Kosten für die Schaffung eines einzigen Arbeits- Bundeskanzler sehr überzeugt zu, wenn er aus-
platzes zur Aufnahme eines Vertriebenen auf 5000 gesprochen hat, daß sich das private Kapital wieder
DM beziffert. des Wohnungsbaus bemächtigen muß. 95 Prozent
Der Zustand der Vollbeschäftigung ist zur Zeit der vorhandenen Wohnungen sind einst von pri-
nicht erreicht. Damit komme ich zur Arbeitslosig- vatem Kapital erstellt worden. Das sollte man nicht
keit. Das Steigen der Arbeitslosenziffer ist nicht vergessen. Es gehört auch zu dem kleinen volks-
gleichbdutnmrSpfgdesBchä- wirtschaftlichen Einmaleins, daß die wichtigste Vor-
tigungsstandes. Die Zahl der Beschäftigten seit der aussetzung für die Errichtung von Wohnungen
Währungsefomitßundgazelich darin besteht, daß wir für Neubauten auf eine
geblieben. Die Gesamtzahl der Arbeitnehmer ist Miete kommen, welche die Kosten deckt. Darauf
dagegen um rund 750 000 gestiegen. Ein großer Teil kann kein Bauherr verzichten, sei er eine öffent-
der Arbeitslosigkeit ist in der Flüchtlingsfrage liche Körperschaft, sei er ein gemeinnütziges Woh-
begründet, als solche bedingt durch Wohnungs- nungsunternehmen, sei er ein Privatmann. Wollte
mangel und fehlende Freizügigkeit. Auf der anderen man statt dessen den Wohnungsbau subventionie-
Seite muß festgestellt werden, daß in dem Wirt- ren, wie es offenbar viele wollen, dann müßten
schaftsbereich, der freigegeben wurde, 600 000 Ar- die Mittel hierfür aus den gleichen Quellen auf-
beitnehmer zusätzlich in Arbeit kamen, während gebracht werden wie die Mieten, nämlich aus den
in dem Bereich, der noch der Bewirtschaftung breiten Schichten unseres Volkes. Ich halte Sub-
unterliegt, eine gleiche Menge freigestellt worden ventionen lediglich bei der Seßhaftmachung der
ist. Vertriebenen für möglich und auch für nötig.
Herr Dr. Schumacher hat nun weiter die ortho- Wesentlich erscheint mir hier auch die Erhöhung
doxe Geldpolitik der Bank deutscher Länder kriti- nma derkan Ballkapazitäten
Gebit Auf diesem
siert. Ich gebe zu, daß in einer zu orthodoxen Hand- übrigens überraschende Feststellungen machen. Das
habung der Geldpolitik Gefahren liegen können. Münchner Institut für Wirtschaftsforschung hat
Eine aktive Konjunkturpolitik kann aber niemals jüngst 100 000 Wohnbaustellen bei der Bauarbeit
ein Allheilmittel sein. Die Grenze liegt hier in der statistisch ermittelt. Das sind 200 000 Wohnungen,
Gleichschaltung von Nominaleinkommen und Güter- davon die Hälfte Neubauten. Hier haben wir die
produktion. Ich verweise an dieser Stelle auf das überraschende Bestätigung der Überlegenheit der
neueste Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates privaten Initiative; denn alle Planungen für dieses
der Verwaltung für Wirtschaft, dessen Ausführun- Jahr bei den Gewerkschaften, den gemeinnützigen
gen ich voll unterstreiche. Wer das Rezept der Kre- Wohnungsbauunternehmungen und auch bei allen
ditausweitung empfiehlt, darf aber auch nicht ver- politischen Parteien haben nur eine Kapazität von
schweigen, daß es nur bei einem rigorosen Lohn- 150 000 Wohnungen als erreichbar bezeichnet. Wir
top funktionieren kann; sonst bilden sich die fordern vor allen Dingen auch die Beseitigung der
nflationistische Kaufkraftaufblähung und der auf- bürokratischen Erschwerungen des Wohnungsbau
gestaute Kaufkraftüberhang, und es wird auch der und der Verteurung durch Sondersteuern, Gebühren
Opposition bestimmt nichts daran gelegen sein, und Abgaben. Im Altbau ist weitgehend eine
uns das Gespenst des Herrn Dr. Schacht hier neu Lockerung der Zwangswirtschaft anzustreben. Die
zu empfehlen. heutige Zwangswirtschaft einschließlich der Art der
Also das Problem bleibt, welche Kapitalmittel der Mietpreisbildung ist zu einer völlig unsozialen Ver-
deutschnVolkwirafzueügnstl zerrung der Wohnungsverteilung geworden. Wir
werden können. Entscheidend für die Höhe der uns werden auch hier sehr bald mit konkreten Vor-
zur Verfügung stehenden Investitionsmittel ist die schlägen hervortreten.
Kapitalbildung durch echtes Sparen. Auch Herr Dr. Meine Damen und Herren, das ist es, was ich im
Schumacher hat darauf hingewiesen, daß an aus- Rahmen der knappen mir zur Verfügung stehenden
ländischen Krediten kaum etwas zu erwarten ist, Zeit zu sagen habe.
wenn nicht mindestens die gleichen Beträge aus (Zuruf links: Abgelesen!)
eigener Kraft aufgebracht werden. Darin unter-
scheiden wir uns dann allerdings, daß wir diese — Entschuldigen Sie, das hat Herr Dr. Schumacher
Kapitalbildung weitgehend in die Hand des Ver- auch getan!
brauchers und Sparers, nicht aber über den Steuer- Wir sind entschlossen, den Weg der sozialen
tarif und andere Zwangsmaßnahmen in die Hand Marktwirtschaft weiterzugeben. Wir sehen in Pro-
des Staates legen wollen. Dieser Weg ist uns zu fessor Erhard den echten Vertreter einer euro-
teuer und zu schwerfällig und er betrügt den päischen Wirtschaftspolitik,
Steuerzahler um Vorteile, die er als Sparer für die (Lachen links)
Aufbringung der gleichen Beträge erhält. weil nur ein echter Leistungswettbewerb die An-
Auch in diesem Zusammenhang lautet daher gleichung der europäischen Wirtschaften ermöglicht,
unsere Forderung nicht nur auf Umbau unseres während eine nationale wohlfahrtsstaatliche Wirt-
Steuersystems, sondern auf nachhaltige Senkung schaft eine gesunde internationale Arbeitsteilung
unserer Steuersätze. Unsere heutigen Steuersätze ausschließt. In diesem Sinn waren die Wahlen vom
bestrafen die Leistung und hemmen damit die Er- 14. August 1949 ein erfreuliches Bekenntnis.
höhung unserer volkswirtschaftlichen Produktion. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)
Wer eine solche Erhöhung will, muß die Fesseln
des überhöhten Steuertarifs lockern. Wer über - Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Steuerunehrlichkeit klagt, sollte sich vor Augen Abgeordnete Dr. Frey.
halten, daß der Staat diejenigen als Steuerzahler
hat, die er nach der Gerechtigkeit seines Steuer- Dr. Frey (CDU): Meine Damen und Herren!
systems verdient. Gegen alle wirtschaftliche Vernunft ist das deut-
Wir bejahen auch den sozialen Wohnungsbau. Ich sche Volk durch die Abtrennung seiner fast rein
kann auch hier in vollem Umfang auf unsere Düs- landwirtschaftlichen Provinzen östlich der Oder
seldorfer Leitsätze verweisen, um meine Darlegun- Neiße-Linie und durch die Vertreibung der dort
142 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Dr. Frey)
seit Jahrhunderten ansässigen Bevölkerung und papierenen Verordnungen steht, kann das Problem
ihre Zusammendrängung auf dem verbliebenen keinesfalls lösen.
Gebiet in Bedingungen versetzt, die im bisherigen Zur Lösung des Problems bedarf es vor allen
Verlauf der Geschichte — so kamt man wohl Dingen einer sinnvollen Regelung der Importe, und
sagen -- ohne Beispiel sind. Durch diese Situation es muß meines Erachtens eine der vordringlichsten
hat Deutschland etwa den gleichen Zuschußbedarf Aufgaben der Mitglieder dieses Hohen Hauses sein,
an Nahrungsmitteln wie Großbritannien. Wenn nun die bestehende Agrargesetzgebung baldigst im
England als Kern eines breit gelagerten Weltreichs Sinne eines produktionsfördernden Anreizes zu re-
Schwierigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung vidieren und neu zu gestalten. Diese Produktions-
hat und gewaltige Anstrengungen zur Erhöhung steigerung gewinnt auch heute im Zeichen der
der eigenen Produktion macht, wieviel bedrohlicher Währungsabwertung und des verteuerten Kaufs im
muß dann jedem klar denkenden Deutschen unsere Ausland eine besondere Bedeutung. Hierhin gehört
eigene Lage erscheinen! ebenso eine sinnvolle Gesetzgebung zur Rege-
Die Nahrungsmittelversorgung Westdeutschlands lung des inneren Marktes auf der Basis einer frei-
ist abhängig von dem Ausfall der Ernten in den willigen Ordnung, etwa im Sinne der Milchver-
Vereinigten Staaten und von der Bereitwilligkeit wertungsgesetzgebung vom Jahre 1928 und vom
des amerikanischen Kongresses, Etatmittel für Jahre 1932. Solange aber der Weltmarkt in Teil-
unsere Nahrungsmitteleinfuhr zur Verfügung zu märkte mit ganz verschiedenem Preisniveau zer-
stellen, und von den Entscheidungen der leitenden rissen ist und noch einzelstaatlichen Planungen
Männer des Marshallpians. Meine Damen und Her- unterliegt, die durch politische Ziele und die devi
ren, das ist auf die Dauer ein unerträglicher Zu- senwirtschaftliche Zwangslage bestimmt sind, kön-
stand. Es geht nicht an, daß ein ganzes Volk durch nen normale Bedingungen für das innerdeutsche
etwaige plötzliche Veränderungen in seiner politi- Angebot nur hergestellt werden, wenn jene Störun-
schen und wirtschaftlichen Umwelt in lebensbedroh- gen von außen, die bald die Produzenten, bald die
lichen Hunger gestürzt werden kann. Diese Gefahr Konsumenten benachteiligen, durch eine Einfuhr-
abzuwenden, muß die dringendste Aufgabe der regelung im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft
deutschen Staatsführung sein. neutralisiert werden. Denn, meine Damen und Her-
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regie- ren, für die Konsumenten ist das eigene Brot, auf
rungserklärung bereits aufgezeigt — und das ist eigener Scholle gewachsen, auf die Dauer immer
auch hier und dort bei allen übrigen Kollegen in das sicherste und dann sicher auch das billigste.
ihren Reden angeschnitten worden —, daß uns in (Sehr richtig!)
dieser bedrohlichen Lage letztlich nur die Aus- Die Handelspolitik in bezug auf die Landwirt-
schöpfung aller noch zur Verfügung stehenden Re- schaft muß in neue Wege geleitet werden. Während
serven in der Land- und Forstwirtschaft, das heißt wir gegenüber unserem Hauptlieferland, den USA,
also eine intensive landwirtschaftliche Produktions- ein Dollardefizit haben, das nicht ausgeglichen wer-
steigerung retten kann. Daraus aber, meine Damen den kann, versuchen unsere Nachbarländer, ihre
und Herren, ergeben sich eine ganze Reihe von Käufe von uns mit ihren Verkäufen an uns auf-
Prinzipien für eine konstruktive Agrarpolitik und einander abzustimmen. Das bedeutet aber eine viel
Erfordernisse und Voraussetzungen, die unbedingt stärkere Verkoppelung von Industrieausfuhr und
vorher erfüllt sein müssen. Agrareinfuhr in Europa, als sie jemals früher
Das erste Erfordernis ist ein gut funktionierendes bestanden hat. Der kürzlich getätigte Handels-
Preissystem. Die Landwirtschaft will durchaus kein vertrag mit Holland ist in seiner Auswirkung das
Sonderrecht für sich in Anspruch nehmen, aber sie gerade Gegenteil zum Anreiz einer deutschen land-
erwartet doch mit aller Entschiedenheit, daß ihr wirtschaftlichen Erzeugungssteigerung. Er ist viel-
dieselben Bedingungen und Voraussetzungen zu- mehr der Weg zur Verelendung unseres gesamten
erkannt werden wie jedem anderen Wirtschafts- hochintensivierten westdeutschen Obst- und Ge-
zweig auch. Dazu gehört, daß die Preise der Pro- müsebaus. Die heutige handelspolitische Tendenz
duktionsmittel und besonders auch die Kosten der geht überhaupt dahin, die Einfuhren von Verede-
Arbeitskräfte für die Landwirtschaft im Preis der lungsprodukten der Viehwirtschaft und von Obst
landwirtschaftlichen Produkte wieder hereinkom- und Gemüse aus unseren Nachbarländern zu ver-
men. Für die Arbeitskräfte beansprucht die Land- mehren. Wir werden immer mehr mit den Produk-
wirtschaft dieselben sozialen Bedingungen, vor ten beliefert, die wir leicht und gut selbst produ-
allem auch für die Arbeiter dieselben Löhne wie zieren könnten, und der bäuerlichen Wirtschaft
in der einschlägigen Industrie. Preisgerechtigkeit — das ist sehr wichtig — wird immer mehr ihr
und richtige Preisrelation müssen also gegeben Arbeitseinkommen entzogen.
sein. Nichts erträgt die Landwirtschaft schlechter (Beifall in der Mitte.)
als ein Auf und Ab der Preise. Was sie zu ihrer
Erzeugung am dringendsten braucht, ist eine ge- Die gegenteilige Tendenz muß zum Zug kommen.
wisse Stetigkeit im Preis und damit auch eine nämlich erhöhte Einfuhr von Futtergetreide und
Stetigkeit in der Betriebsführung, da sich ihre Futtermitteln, damit wir selber veredeln können,
Produktion ja immer über einen langen Zeitraum um damit Devisen für die teueren Veredlungs-
erstreckt und sie ihre Produktion nicht nach der produkte zu sparen, vor allem aber, um unsere
jeweiligen marktbedingten Lage von Monat zu Grundnahrungsmittel für das Volk — nämlich Brot-
Monat ändern kann. Ohne die Erfüllung dieser Be- getreide und Kartoffeln — aus dem landwirtschaft-
dingungen gibt es keine Mehrerzeugung von Nah-- lichen Betrieb herauszuholen und sie vor dem Fut-
rungsmitteln. Darüber muß man sich vollends im tertrog zu bewahren.
klaren sein. Die Erfüllung dieser Vorbedingung Meine Herren Abgeordneten! Das sind im wesent-
aber steht in keinem Verhältnis zu den volkswirt- lichen die Grundsätze einer Agrar- und Wirtschafts-
schaftlichen Notwendigkeiten und zu den techni- politik, die der notwendigen landwirtschaftlichen
schen Möglichkeiten einer landwirtschaftlichen Pro- Intensivierung Raum und Möglichkeiten geben. Die
duktionssteigerung. Ein staatliches Bewirtschaf- Hebung des Leistungsdurchschnitts der Landwirt-
tungssystem, das selbst ohne Vertrauen zu seinen schaft ist bekanntlich sehr schwierig.
Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 143
(Dr. Frey)
In einem Beruf, in. dem sich schon in normalen uns darüber klar sein, daß wir ganz erhebliche
Zeiten das investierte Kapital nur mit 2 1/2 Prozent Mittel für die Intensivierung anfordern müssen,
verzinst, fehlen der Anreiz und das Kapital wenn wir bei der Beendigung des Marshallplans
für eine weitere Intensivierung. Eine wohldurch- nicht verhungern wollen. Dies hat nichts mit den
dachte und ins einzelne gehende Beratung und früheren Subventionierungen zu tun, sondern liegt
Förderung muß deshalb einsetzen, um heute eine unseres Erachtens auf derselben Linie wie die
Produktionssteigerung, und zwar bei allen Betriebs- öffentlichen Förderungsmaßnahmen, die der Staat
größen, zu erreichen. Es muß aber eine Beratung auch anderen nationalen Produktionszweigen, zum
gefordert werden, die vom Vertrauen der Bauern Beispiel dem Bergbau, zukommen läßt Ich glaube
getragen ist. Voraussetzung für dieses Vertrauen nicht, daß für Intensivierungsbeihilfen, auf den
ist, daß die Beratung nur privatwirtschaftlich rich- Kopf der Bevölkerung gerechnet, zehn Mark aus-
tige Ratschläge gibt und daß sie technisch richtig reichen werden. Aber diese Beträge werden viel-
aufgezogen ist. Privatwirtschaftlich richtig, sagte fältig aus dem deutschen Boden zurückfließen und
ich. Meine Damen und Herren, hören wir doch end- der gesamten deutschen Wirtschaft und dem gesam-
lich auf, ernährungs- oder volkswirtschaftliche Not- ten Volk zugute kommen.
wendigkeiten nur über die Beratung erreichen zu (Beifall.)
wollen! Der einzige Motor für wirtschaftliche Lei-
stung ist der wirtschaftliche Erfolg. Wir müssen Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Ab-
in der gesamten Agrarpolitik dem Grundsatz zum geordnete Dr. Kather.
Durchbruch verhelfen, daß das, was volkswirt-
schaftlich notwendig ist, auch privatwirtschaftlich Dr. Kather (CDU): Meine Damen und Herren!
richtig sein muß. Wenn diese Voraussetzung ge- Das Flüchtlingsproblem hat sowohl in der Regie
schaffen ist, werden wir mit einer technisch richti- rungs klärung als auch in der anschließenden
gen Beratung auch Erfolg haben. Zu diesem Zwecke Debatte einen verhältnismäßig breiten Raum einge-
sind für bestimmte Maßnahmen staatliche Zu- nommen. Ich möchte das als erfreulichen Auftakt
schüsse erforderlich. für die Arbeiten dieses Parlaments und auch der
(Zuruf links: An wen? ) Bundesregierung hinstellen. Ich kann auf eine
weitere erfreuliche Tatsache hinweisen. Der Bun-
Der Berater stößt dann nicht mehr auf die unüber- destag ist das erste Parlament, in das die Ver-
windliche Schwierigkeit, daß zur Durchführung triebenen mit einer Zahl von Abgeordneten einge-
seiner Ratschläge die Mittel fehlen. Solche Maß- zogen sind, die ungefähr ihrem Anteil an der Ge-
nahmen, die ich Sofort-Produktiv-Beratung nennen samtbevölkerung entspricht.
will und die durch Beihilfen gefördert werden (Beifall.)
müssen, sind vor allem die Erhaltung der Boden-
fruchtbarkeit durch Bodenuntersuchungen und auf Etwa sechzig Heimatvertriebene und Flüchtlinge
Grund dieser Untersuchungen notwendige Gesund- sitzen in den Reihen dieses Hohen Hauses. Wenn
-
düngungen, genossenschaftliche Getreidereinigungs man sich vor Augen hält, daß beim ersten Zusam-
und -beizanlagen sowie eine durchgreifende Schäd- mentritt des Wirtschaftsrats unter 52 Abgeordneten
lingsbekämpfung. Ein besonders wichtiges Kapitel nicht ein Heimatvertriebener war, und daran
ist die Bekämpfung der Rindertuberkulose, der denkt, daß auch im Parlamentarischen Rat unter
Unfruchtbarkeit des Rindes und die Durchführung 70 Abgeordneten nur ein Flüchtling zu finden
der freiwilligen Milchleistungskontrolle - Flur- war, so muß man hier doch einen sehr erfreu-
bereinigung und Meliorationen sind hier schon des lichen Fortschritt und ein politisches Novum
öfteren genannt worden —, Wiederaufforstung von höchst bedeutsamer Art feststellen. Die Augen der
Kahlflächen bzw. ungenügend bewirtschafteten Vertriebenen sind auf Bonn gerichtet. Gerade diese
Waldflächen, Gründung genossenschaftlicher haus- Ärmsten unseres Volkes erwarten sehr viel vom
wirtschaftlicher Gemeinschaftsanlagen, um das Parlament, von der Bundesregierung und auch von
harte Los unserer Bäuerin zu verbessern. ihren eigenen Abgeordneten. Von diesen erhoffen
Auch die Bodenreform, die der Herr Abgeordnete sie sich insbesondere, daß sie sich über alle Partei-
Dr. Schumacher in der Regierungserklärung ver- schranken hinweg zu gemeinsamer Arbeit für das
mißt hat, wie er sagte, muß als wichtiges bevölke- Wohl ihrer Schicksalsgefährten zusammenfinden.
rungs- und wirtschaftspolitisches Problem sinnvoll Diese Hoffnung ist auch in einer Entschließung des
in den Rahmen der allgemeinen landwirtschaft- Zentralverbandes der vertriebenen Deutschen zum
lichen Produktionssteigerung eingegliedert werden. Ausdruck gekommen, und ich glaube sagen zu kön-
Wir sind der Meinung, daß diese Frage von einer nen, daß dieser Wunsch auch von den Flüchtlings-
so eminent soziologischen und wirtschaftlichen Be- abgeordneten selber einmütig geteilt wird. Schon
deutung ist, daß sie einmal im Plenum gesondert die Vorbesprechungen im kleineren Kreise haben
behandelt werden muß. ergeben, daß der Wille zu dieser sachlichen Arbeit
Das sind die Maßnahmen, deren Förderung ich überall vorhanden ist, und ich kann eine solche
für äußerst dringlich halte. Ich möchte aber, daß Arbeitsgemeinschaft, die sich den parlamentarischen
alle Mittel, die zur Verfügung stehen, konzentriert Gepflogenheiten anpassen und sich ohne feste
auf diese wenigen Aufgaben verwandt und unter Organisation von Fall zu Fall zu gemeinsamer Ar-
keinen Umständen verzettelt werden. Ihnen, meine beit zusammenfinden wird, schon jetzt in sichere
Herren Abgeordneten, mögen solche Forderungen Aussicht stellen.
angesichts unserer allgemeinen Not vielleicht über- (Beifall.)
trieben erscheinen. Ich behaupte, daß es angesichts- Ich meine, es wird für die ganze Arbeit des Parla-
unserer Not Mindestforderungen sind. Wenn es uns ments von Nutzen sein, wenn sich eine so große
in Westdeutschland gelingt, die landwirtschaftliche Zahl von Abgeordneten aus den Kreisen der Ver-
Erzeugung nur um zehn Prozent zu steigern, wer- triebenen zur Arbeit zusammenfinden und sie sich
den wir eine Milliarde an Devisen sparen. Ich auf diese Weise näherkommen.
glaube, daß dieses Ziel jeden Einsatz lohnt und Der Herr Abgeordnete Zawadil hat zum Aus-
jeder anderen Maßnahme vorangehen muß, so druck gebracht, und zwar mit Recht, daß wir in
bitter notwendig sie auch sein mag. Wir müssen erster Linie Deutsche sein wollen und dann Flücht-
144 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Dr. Kather)
linge.Abrchdafzuügen,ßiArbtf bene Versprechen der Militärregierung erfüllt
unsere Leidensgefährten der stärkste Antrieb wird.
unserer politischen Tätigkeit und ihre Interessen Wir müssen auch fordern, daß man den aus dem
die oberste Richtschnur für unser politisches Han- Osten verdrängten Beamten die ihnen nach dem
deln sein müssen. Das Vertrauen der Heimatver- Beamtengesetz zustehenden Wartegelder nicht
triebenen wird auf die Dauer nur der behalten, weiter vorenthält. Wir müssen fordern, daß man
der niemals bereit ist, ihre berechtigten Interessen den Kündigungsschutz erweitert. Die Angestellten
parteitaktischen Erwägungen oder Anforderungen und Beamten aus dem Osten sind naturgemäß die
hintanzustellen. ersten Opfer jeder Kündigung, die aus Gründen
Es ist hier im Laufe der Debatte mehrfach der Ersparnis oder aus anderen Gründen notwen-
gegen den drohenden Radikalismus im Lager der dig wird: sie sind zuletzt gekommen und werden
Heimatvertriebenen gesprochen worden. Wer die zuerst entlassen. Wir wissen, daß der Anteil der
Entwicklung der letzten Jahre auf diesem Gebiet Heimatvertriebenen an der Arbeitslosigkeit drei-
aufmerksam verfolgt hat, kann sich eigentlich nur mal so groß ist wie der der einheimischen Bevöl-
wundern, daß der Radikalismus nicht noch viel kerung. Wir erwarten daher, daß man auf diese
weiter vorgeschritten ist. Das Unrecht hat an der besondere Situation auch bei der Bildung der
Wiege unseres Problems gestanden, und es ist den Bundesregierung Rücksicht nimmt. Es entspricht
davon Betroffenen treu geblieben bis auf den heu- der Gerechtigkeit, daß man in erster Linie an die
tigen Tag. Es begann mit der Ausweisung von aus dem Osten gekommenen Angestellten und
Millionen unschuldiger Menschen aus der ange- Beamten denkt, die noch immer keine Beschäfti-
stammten Heimat und setzte sich fort hier im gung gefunden haben.
Westen mit Benachteiligungen und Zurücksetzun- Ganz besonders möchte ich die Aufmerksamkeit
gen aller Art. der Bundesregierung auf eine weitere Gruppe len-
Ich sehe durchaus die Gesamtnot des deutschen ken: das sind die aus dem Osten verdrängten
Volkes. Das ist ja gerade das Furchtbare an dem Bauern und Landwirte. Hier handelt es sich um
Schicksal der Vertriebenen, daß sie hineingestellt eine Art von Menschen, die sich nur sehr schwer
sind in ein zerrissenes, zerstückeltes und zerstörtes, einem anderen Berufe zuwendet, die auch nicht
ohnmächtiges Vaterland. Wir wissen auch, daß wir die nötige Wendigkeit besitzt, um sich selbst
in zahlreichen Fällen echter Menschenliebe und irgendwie zu helfen, vor allem aber eine Gruppe,
Menschenfreundlichkeit begegnet sind und daß die den Verlust der Heimat doppelt schmerzlich
viele Menschen und Stellen sich die größte Mühe empfindet und für die bisher nach meinen Erfah-
gegeben haben, unser Los zu bessern. Aber ich rungen am allerwenigsten getan worden ist. Was
muß doch sagen, daß das leider Ausnahmen sind man bisher von Aktionen mit wüsten und auslau-
und daß wir großen allgemeinen Unrechtstatbe- fenden Höfen und ähnlichem gehört hat, kann
ständen gegenüberstehen, die wir anklagen müs- man noch nicht einmal als Tropfen auf den heißen
sen. Es hätte auch bei der trostlosen Gesamtlage Stein bezeichnen.
unseres Volkes sehr viel mehr geschehen können.
Wenn heute noch Hunderttausende in Lagern und (Sehr richtig! in der Mitte.)
in Bunkern menschenunwürdig hausen müssen, so Ich muß verlangen und erwarten, daß die Bundes-
hätte das nicht mehr zu sein brauchen. Wenn man regierung gerade dieser Frage ihre besondere
vielerorts weniger darauf bedacht gew esen wäre, Aufmersamkeit zuwendet, ein wirklich großzügi-
die guten Stuben zu bewahren, und mehr Wert ges Siedlungsprogramm in die Tat umsetzt und
darauf gelegt hätte, das gute Herz zu zeigen, auch die dafür erforderlichen Geldmittel bereit-
(lebhafte Zustimmung) stellt.
dann hätten wir das wahrscheinlich schon über- Denken Sie an das weitere Unrecht, das sich in
wunden. der Art und Weise kennzeichnet, wie das Sofort-
programm gestaltet und gestartet worden ist. Acht
Die Ostvertriebenen sind die einzige Volks- Monate haben die Besatzungsmächte die Durch-
gruppe, deren Angehörige bei der Währungs- führung dieser wirklich dringenden Notmaßnah-
reform vollkommen leer ausgegangen sind. Vor men hinausgezögert, ehe sie sie in Kraft setzten;
einigen Tagen hat hier ein Abgeordneter darüber eine merkwürdige Art der Sachbehandlung, die
geklagt. daß die Sparguthaben nur mit 6,5 Prozent wirklich geeignet war, den Vertriebenen auch das
aufgewertet worden sind. Ich muß ihm entgegen- letzte Vertrauen zu nehmen. Und was ist bei der
halten, daß unseren Schicksalsgenossen auch diese Sache denn eigentlich herausgekommen? Doch nur
6,5 Prozent vorenthalten worden sind, eine ziemlich unerhebliche Erhöhung der bisher
(Sehr richtig!) gezahlten Unterstützungen! Dieses Sofortpro-
daß sie bis heute noch nicht die geringste Aufwer- gramm, dem man ja auch den Namen „Lastenaus-
tung für ihre Sparguthaben bekommen haben. Das gleich" mit Recht entzogen hat, hat mit dieser
mutet besonders merkwürdig an, wenn man sich Maßnahme wirklich nichts mehr zu tun. Es ist
vergegenwärtigt, daß sich auch hier wieder ein nichts anderes als ein vorweggenommener Finanz-
Unrecht gegen die richtet, die ohnehin schon alles ausgleich. Das Betrübliche daran ist zudem, daß
verloren haben. Wir erwarten von der Regierung, die Beträge, die dafür aufgewendet werden, den
daß eine ihrer ersten Maßnahmen sein wird, die- Ostverdrängten und den anderen Krieggeschädig-
sem Unrecht ein Ende zu setzen. ten verlorengehen, und wir müssen uns dagegen
Wir haben mit Genugtuung aus der Erklärung verwahren, daß aus diesen Mitteln die Wohl-
des Kanzlers gehört, daß ein weiteres Unrecht, fahrtsetats der Länder, Kreise und Gemeinden
nämlich in der Behandlung der Ansprüche unserer allein auf Kosten der Kriegsgeschädigten entlastet
Pensionäre und Hinterbliebenen, endlich ein Ende werden. Das sind Aufgaben, die die Allgemeinheit
finden soll. Der Zonenbeirat hat schon am 14. Ja- zu tragen. hat, die aber mit dem Lastenausgleich
nuar 1948 die Militärregierung einstimmig gebe- nicht das geringste gemein haben.
ten, diesem Unrecht ein Ende zu setzen, und es ist Ein weiteres schweres Unrecht ist die Art und
wirklich allerhöchste Zeit, daß das damals gege- Weise, wie man unsere Organisationen behandelt
Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 145
(Dr. Kather)
hat. Es ist doch ein grotesker Zustand, daß man großen sozialen Spannungen, die auf die Dauer
dieser am meisten geschädigten Volksgruppe seit nicht bestehen bleiben können,
Jahr und Tag noch die Möglichkeit genommen hat, (Zuruf von der KPD)
sich zu gegenseitiger Hilfe zusammenzuschließen. durch einen gerechten Lastenausgleich überwin-
Daher is es kein Wunder, meine Damen und Herren, den. Auch derjenige, der noch einen Besitzstand
wenn der Ruf nach der Flüchtlingspartei immer zu verteidigen hat, sollte sich sagen, daß selbst
lauter geworden ist. Dieses Mal ist noch ein Erd- ein schmerzhafter Eingriff in die Vermögenssub-
rutsch verhindert worden, weil die Lizenz fehlte, stanz leichter zu ertragen ist als ein Zustand, der
weil die maßgeblichen Männer sich gegen diese geschaffen würde, wenn die verzweifelten Mil
Entwicklung gestemmt haben und weil insbeson--lionen zur Selbsthilfe greifen würden.
dere der Zentralverband davor gewarnt hat, den
Weg der unabhängigen Kandidatur zu gehen. Es (Sehr richtig! in der Mitte.)
handelt sich hier um ein Problem von einer sehr Das deutsche Volk hat hier seine große Bewäh-
erheblichen Größenordnung. 7,8 Millionen Flücht- rungsprobe abzulegen und mit dem deutschen Volk
linge haben wir im Bundesgebiet. Das ist eine auch der deutsche Bundestag.
Masse, die, wenn sie zusammengefaßt wird, sehr Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß wir zur
wohl in der Lage ist, das politische Bild vollkom- Lösung unserer Frage internationale Hilfe in An-
men zu verändern. spruch nehmen müssen. Darin kann man ihm nur
beipflichten. Es wird insbesondere die Aufgabe
(Zuruf: Das will man ja verhindern, man des Herrn Flüchtlingsministers sein, seine Tätig-
macht sie ja mundtot!) keit gerade nach dieser Richtung hin zu intensi-
Es gibt nur eins, was diese Entwicklung überhaupt vieren. Aber es ist schon von anderer Seite gesagt
noch aufhalten kann — und ich richte einen Appell worden, und ich möchte es doch noch einmal sagen:
man kann ausweAeHärsntrsdpaitulcfgh
an die Bundesregierung —: die Notmaßnahmen,
die ich hier aufgezeigt habe, nunmehr unverzüg- nehmen, wenn man selbst die notwendigen eige-
lich in Kraft zu setzen. Mit Drucksache Nr. 29 nen Anstrengungen gemacht hat. Ich entnehme
haben wir einen solchen Antrag bereits einge- auch daraus eine Unterstützung des Appells, den
reicht. Wir erwarten, daß die Bundesregierung ich eben an die Bundesregierung gerichtet habe.
von der Möglichkeit des Artikels 119 Gebrauch Ich bin aber auch der Auffassung, daß selbst mit
macht und alle diese Maßnahmen im Wege der internationaler Hilfe eine wirkliche und echte Lö-
Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats in sung des Flüchtlingsproblems nicht möglich sein
Kraft setzt. wird. Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht ge-
sagt, daß 50 Prozent unseres Nahrungsmittelbe-
(Abg. Hilbert: Das können Sie aber nur mit darfs oder noch mehr eingeführt werden müßten;
großen Parteien erreichen, nicht mit einer er hofft, bis zum Jahre 1950 durch Intensivierung
Flüchtlingspartei!) der Landwirtschaft einen Ausgleich der deutschen
Ich habe auch nicht der Flüchtlingspartei das Wirtschaft herbeizuführen. Nach dem, was der
Wort geredet, was Sie festgestellt haben müßten, Herr Vorredner hier eben gesagt hat, daß durch
wenn Sie meine Ausführungen mit Aufmerksam- zehnprozentige Erhöhung unserer Erzeugung eine
keit verfolgt hätten, sondern ich habe nur auf eine Milliarde erspart werden könnte, bin ich nicht so
Gefahr hingewiesen, der wir absolut ins Auge optimistisch wie der Herr Bundeskanzler. Wir
sehen müssen. brauchen weit über drei Milliarden, und ich glaube
nicht, daß es möglich sein wird, unsere landwirt-
Wir müssen vor allem auch erwarten — und schaftliche Erzeugung derart zu steigern, und eben-
darin stimme ich mit dem Herrn Bundeskanzler sowenig glaube ich, daß man uns einen Export
überein —, daß der endgültige Lastenausgleich in diesem Ausmaße gestatten wird. Wir können
unverzüglich in Angriff genommen wird. Auch ich diese Spanne verringern, aber nicht beheben, und
bin der Meinung, daß er leichter von einer blü- müßten also auf die Dauer Kostgänger der Alliierten
henden Wirtschaft zu tragen sein wird, keinesfalls bleiben.
aber aus den Erträgnissen der Wirtschaft. Wir Es gibt nur eine wirkliche und echte Lösung: das
verlangen eine gerechte Neuverteilung der Lasten, ist die Rückgabe unserer Ostprovinzen. Es ist die
die die Zufallsentscheidung des Krieges mit sich Aufgabe der Bundesregierung, diese Erkenntnis,
gebracht hat, aber diese gerechte Neuverteilung die dahin geht, daß Deutschland ohne diese Ost-
ist ohne Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht provinzen, ohne diese seine Kornkammer immer
durchführbar. ein wirtschaftlicher Torso bleiben wird, der gan-
zen Welt zum Bewußtsein zu bringen und darauf
(Sehr richtig! in der Mitte.) hinzuweisen, daß es ein wahnwitziger Zustand ist,
Dem, der die Dinge etwas tiefer sieht, ist es wenn 18 Millionen Polen weit mehr Ackerfläche
völlig klar, daß in der ganzen Entstehung und Be- zur Verfügung haben als 70 Millionen Deutsche.
handlung des Flüchtlingsproblems vom Osten her Auf einer derartigen Grundlage kann man kein
eine bestimmte politische Absicht erkennbar ist. gesundes und glückliches vereinigtes Europa auf-
Man hat uns unsere Ernährungsgrundlage genom- bauen.
men, man hat die 10 Millionen Menschen in das Das Recht auf die Heimat ist von anderen Red-
schon übervölkerte Westgebiet hineingepreßt, und nern schon genügend unterstrichen worden. Dieses
durch die Zustände in der Sowjetzone sorgt man Recht erkennen wir selbstverständlich auch unse-
dafür, daß dieser Flüchtlingsstrom nicht versiegt; ren sudetendeutschen Freunden zu. Aber es war
meiner Auffassung nach alles in der offenkun- völlig unmöglich, etwa vom Kanzler zu verlangen,
digen Absicht, bei uns unmögliche Zustände zu daß er in seiner Regierungserklärung Anspruch
schaffen, einen ewigen Unruhe- und Zersetzungs- auf Gebiete erhebt, die vor 1937 nicht zum Deut-
herd zu unterhalten und dadurch Westdeutschland schen Reich gehört haben. Wer etwas Derartiges
langsam, aber sicher für den Bolschewismus reif verlangt; dem fehlt das erforderliche Finger-
zu machen. Dieser Gefahr werden wir nur be- spitzengefühl.
gegnen können, wenn wir die nicht zu leugnenden (Sehr gut! links und in der Mitte.)
146 Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Dr. Kather)
Aber eines müssen und können wir fordern. Wir mehr anzusprechen; sie wollen endlich Taten
fordern, daß das Sudetenland, das seit uralten sehen, und nur diese werden sie anerkennen.
Zeiten deutsch war, seinen deutschen Bewohnern (Beifall in der Mitte und rechts.)
zurückgegeben wird. Das ist eine Forderung, hin-
ter die sich jeder stellen kann. Wir fordern auch Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der
die Wiedergutmachung für unsere sudetendeut- Herr Abgeordnete Euler.
schen Freunde, und wir wollen hoffen,
Euler (FDP): Meine sehr geehrten Damen und
(Zuruf von der KPD: Ein neuer Henlein!) Herren! Schon eine ganze Reihe von Rednern hat
daß es nicht allzulange dauern wird, bis auch die hier den Worten die Taten gegenübergestellt, ohne
Bewohner des Sudetenlandes wieder in ihrer daß doch aus dieser Gegenüberstellung die not-
altenHimsz, Europaindem wendigen Konsequenzen gezogen worden wären.
Grenzen nicht mehr die Rolle spielen, die sie in Wir verkennen nicht, daß die heute so populäre
der Vergangenheit gespielt haben. Alternative von Worten und Taten ein großes
Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Frage des demokratisches Mißverständnis in sich birgt.
Flüchtlingsministeriums sagen. Die Errichtung des Trotzdem ist die Ungeduld unserer Bevölkerung
Flüchtlingsministeriums hat in der Debatte allge- gerechtfertigt, und wir sollten uns keinem Zwei-
mein Zustimmung gefunden. Ich habe kein Wort fel darüber hingeben, daß gerade acht Tage Dis-
der Kritik gehört. Die Bedenken, die vorher, ins- kussion einer Regierungserklärung zu Beginn der
besondere auch vom Organisationsausschuß laut Arbeit der ersten deutschen Regierung nicht das
geworden sind, sind uns bekannt; sie mußten aber geeignete Mittel sind, um die aus dem tragischen
zurückgestellt werden. Worauf es uns ankommt, Schicksal Deutschlands resultierende vorsichtige
ist, daß einer von uns als verantwortlicher Mini- Einstellung großer Bevölkerungsschichten zur
ster im Kabinett sitzt und dafür sorgen kann, daß Demokratie zu überwinden. Deswegen ist es uns
man uns nicht mehr vergißt. Es wird Sache der ein Bedürfnis, ein Beispiel zu geben, von dem wir
Bundesregierung sein, insbesondere auch des Bun- hoffen, daß sich ihm noch andere Parteien an-
deskanzlers, dem Flüchtlingsminister jede Unter- schließen werden. Dieses Beispiel besteht darin,
stützung zuteil werden zu lassen. Es handelt sich daß wir in der dritten Runde, die wir ohnehin
hier um das Problem Nummer 1. Leider Gottes schon für unnötig gehalten hatten - wir hatten
verdient dieses Problem diese Bezeichnung auch uns in der vorigen Woche gegen die Abhaltung
im Hinblick auf seine Dauerhaftigkeit. Es werden diesrtnRuagpoche—ufds
noch sehr viele Jahre vergehen, ehe wir dieser Wort verzichten.
Schicksalsfrage des deutschen Volkes Herr gewor- (Beifall in der Mitte und rechts.)
den sind. Mit Rücksicht auf die Bedeutung und
den Umfang bitte ich auch, von einer Sparsamkeit Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr
I am falschen Platze abzusehen und gerade für die- Abgeordneter Dr. Mühlenfeld.
ses Ministerium die erforderlichen Mittel bereit-
zustellen, damit es die notwendige Arbeit im Dr. Mühlenfeld (DP): Herr Präsident! Meine
Interesse der Vertriebenen leisten kann. Wir sind Damen und Herren! Auch meine Fraktion ist der
der Meinung, daß zur Unterstützung dieser Arbeit Auffassung, daß der Worte genügend gewechselt
in jedem Ministerium, das in Betracht kommt, sind
eine besondere Abteilung für Flüchtlinge gebildet (Beifall rechts und in der Mitte)
werden sollte, die gerade die einschlägigen Fragen und daß man jetzt zur Tat schreiten sollte.
unter die Lupe zu nehmen hat. (Erneuter Beifall und Zurufe.)
Wir von den Flüchtlingsorganisationen begrüßen - Meine Damen und Herren, diesem Gedanken wür-
es, daß einer von uns an dieser Stelle steht. Ich den wir voll Rechnung tragen, und ich würde die-
kann dem Herrn Minister die Erklärung abgeben, sen Platz sofort verlassen, wenn uns eines aus der
daß wir seine Arbeit in jeder Weise unterstützen Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nicht nach-
werden; und da er selbst einer von uns ist, auch denklich gestimmt hätte. Meine Fraktion sieht sich
einer von der Organisation her, sind wir einer daher veranlaßt, ganz kurz auf einige Dinge ein-
vertrauensvollen Zusammenarbeit sicher. Wir er- zugehen.
warten andererseits auch, daß man endlich mit der Wir haben aus dem Munde des Herrn Bundes-
Diffamierung und Zurücksetzung der Organisatio- kanzlers mit allergrößtem Interesse vernommen,
nen ein Ende macht, daß man endlich unsere Ar- daß die Aufgaben des Ministeriums für Landwirt-
beit, die wir jahrelang unter den schwersten Be- schaft und Ernährung einen anderen Charakter
dingungen für die Allgemeinheit getan haben, an- tragen sollen, als das bisher der Fall war. Im Vor-
erkennt und ihr die notwendige Unterstützung zu- dergrund sollen Verbesserung und erhebliche Stei-
teil werden läßt. gerung der Produktion durch weiteren Abbau der
Meine Damen und Herren, die Situation ist Zwangswirtschaft, durch Schaffung gesicherter
ernst. Es wird von der Politik der Bundesregie- und ausgeglichener Produktions- und Absatzver-
rung und auch dieses Hohen Hauses abhängen, ob hältnisse stehen, die die Produktionskosten gut
es gelingt, die Flüchtlinge von dem Wege der poli- arbeitender Durchschnittsbetriebe decken. Meine
tischen Absonderung abzuhalten. Ich sage noch Damen und Herren, das sind an sich Erkenntnisse,
einmal: ich würde das für ein Unglück ansehen. die nicht neuesten Datums sind. Diese Dinge
Bei der augenblicklichen Situation und Stimmung waren schon bei der VELF keine Geheimwissen-
kann eine solche politische Neubildung nur in ein schaft mehr, und lange vor Bestehen der VELF
radikales Fahrwasser kommen, und die maßvollen war man sich über diese Angelegenheiten, über
Persönlichkeiten aus dem Flüchtlingslager würden die Notwendigkeiten der Existenzgrundlage der
dann wahrscheinlich nicht maßgebend sein. Es Landwirtschaft durchaus im klaren.
hängt von den Erfolgen ab, die wir in den Nun, man hat sich nach dieser Erkenntnis nicht
nächsten Wochen und Monaten aufzuweisen gerichtet; die praktische Anwendung unterblieb.
haben. Mit Worten sind die Vertriebenen nicht Nach den Erfahrungen, die wir gerade in Frank-
Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 147
(Dr. Mühlenfeld)
furt gemacht haben, haben wir die allergrößte und durch das dadurch erhöhte Steuerauf-
Sorge, daß bei der in der Regierungserklärung kommen.
verkündeten Weiterverfolgung der in Frankfurt In der deutschen Volkswirtschaft, die in den
begonnenen Wirtschaftspolitik der Landwirtschaft letzten drei, vier Generationen weit überwiegend
und dem Gartenbau auch für die Zukunft eine nach der gewerblichen Seite orientiert ist, wo die
untergeordnete Rolle innerhalb der gesamten Landwirtschaft also ihrem Umfang nach sich in
deutschen Wirtschaftspolitik zugewiesen werden einer Minderheit befindet - die Entwicklung wird
könnte. ja in dieser Richtung weitergehen —, muß die Re-
(Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) gierung alles daran setzen, daß die Landwirtschaft
nicht wie bisher in einer hoffnungslosen Minder-
Meine Damen und Herren, soll die noch immer heit verbleibt. Die hinter uns liegenden Jahre des
bestehende Zweigleisigkeit nach Fr an kfurter Hungers, die Zwangslage, 50 Prozent der notwen-
Muster in der gesamten Wirtschaftspolitik fortge- digen Lebensmittel einführen zu müssen, und die
setzt werden, diese Zweigleisigkeit, die doch zum Tatsache, daß eine gesunde Landwirtschaft den
geringeren Teil in der unterschiedlichen Markt- sichersten Absatzmarkt unserer eigenen .gewerb-
ordnung, viel mehr aber in der Unterschiedlich- lichen Produktion darstellt, daß die Landwirt-
keit der Preispolitik begründet ist? Diese Frage schaft wertmäßig einen hohen Anteil am Sozial-
wird nicht dadurch gelöst, daß man die Produk- produkt leistet bei gleichzeitig hohen Investitionen,
tionskosten gut arbeitender Betriebe zugrunde wie sie wohl keine Produktion der deutschen
legt, ohne daß man darin der Arbeit, und zwar Volkswirtschaft aufzuweisen hat, ferner die Tat-
der schwersten körperlichen Arbeit, und ihrer Ent- sache, daß die Landwirtschaft die breiteste Schicht
lohnung als Kostenelement die gleiche Bewertung selbständiger Existenzen enthält, ferner das bevöl-
zumißt wie im Bergbau und in der Schwerindu- kerungs- und staatspolitische Gewicht zwingen
strie. Nach unserer Auffassung liegt hier einer der uns allein schon zur Anerkennung des Grundsatzes
neuralgischen Punkte der Agrarpolitik Ober- der absoluten Gleichberechtigung der Agrarpolitik
haupt. Während man bereit ist, die Industrielöhne, gegenüber der übrigen Wirtschaftspolitik.
so gut es geht, zu stützen, läßt man eine totale Ich muß noch einmal mit allem Ernst wieder-
Unterbewertung der Landarbeit zu. Das gilt für holen: wir können leider aus der vergangenen
den Landarbeiter wie für den Bauern und seine Frankfurter Wirtschaftspolitik nicht feststellen,
im Betrieb tätigen Familienmitglieder, innbeson- daß der Landwirtschaft und der ihr verbundenen
dere für seine Ehefrau. Auf diese Weise ist es Wirtschaft diese gleichberechtigte Stellung einge-
doch bis auf den heutigen Tag praktisch möglich räumt worden wäre. Insofern wünschen wir uns
gewesen, die gesamte deutsche Volkswirtschaft aus eine gründliche Änderung der in Frankfurt be-
den der Landwirtschaft — es handelt sich hier um gonnenen Politik, die sich vornehmlich darin aus-
eine der härtesten körperlichen Arbeiten, die wir zudrücken hat, daß eine auf die Erfordernisse der
kennen -- vorenthaltenen Erlösen zu subventio- Landwirtschaft eingestellte Handels- und Wirt-
nieren, also nicht etwa aus einer normalen Ver- schaftspolitik betrieben wird.
zinsung des hochgradig investierten Kapitals oder
gar aus dem Unternehmergewinn; denn beide sind Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit
nachweislich nicht mehr vorhanden. einer Zusammenarbeit der europäischen Teil-
nehmerländer im Rahmen des Marshallplans und
Im Mittelpunkt unseres agrarpolitischen Inter- der Bildung eines einheitlichen europäischen
esses sollte auch hier der Mensch stehen: der Marktes — wir bekennen uns zu dem Grundsatz,
Mensch als Betriebsinhaber, als Bauer und der daß das europäische Preisgefälle wiederhergestellt
Mensch als Landarbeiter. Hier sollte mit der werden muß — können wir nicht zusehen, daß
Bauernbefreiung schleunigst begonnen werden. Außenhandelsverträge abgeschlossen werden, die
Die Landwirtschaft muß in die Lage versetzt wer- plötzlich und unvorbereitet übermäßige Einfuhren
den, ihren getreuen Mitarbeitern auskömmliche von solchen Ernährungsgütern zulassen, die auch
Löhne zu zahlen. Die Bundesregierung sollte sich in Deutschland sehr gut selbst erzeugt werden und
die Abwanderung von Landarbeitern in die Stadt die dadurch, daß sie stoßweise und in unproportio-
zu einer ernsten Warnung dienen lassen. Erst nierten, unregelmäßigen Mengen bei uns auf-
wenn eine rechte Bewertung der Landarbeit er- treten, an der Existenzgrundlage unserer Erzeuger
reicht ist, haben wir für die Produktionssteigerung rütteln. Die Vorgänge auf dem Gemüse- und Obst-
eine der wichtigsten Grundlagen geschaffen. Die markt, die die einheimische Produktion zum
Aufrechterhaltung der jetzigen Hackfruchtanbau- großen Teil in den Viehstall und auf den Kom-
fläche — bekanntlich sind die Hackfrüchte in ihrer posthausen wandern ließen, sind mit auf eine schäd-
Leistung grundsätzlich allen anderen Früchten liche Politik von Frankfurt zurückzuführen. Mir
überlegen — wird, um nur ein Beispiel zu nennen, scheint - ich spreche da in memoriam der Zeiten
zu einem grundlegenden und besonders ernsten des Wirtschaftsrates —, daß das Fehlen des Aus-
Problem, wenn die Frage der gerechten Entloh- schusses für Landwirtschaft und Agrarpolitik über-
nung nicht zufriedenstellend gelöst wird. Dazu ge- haupt in Frankfurt sich doch drastisch bemerkbar
hört auch die Lösung des Problems, das den Titel macht. Denn nun ist kein neugieriger Abgeord-
„landwirtschaftlicher Werkwohnungsraum" trägt. neter mehr da, der einmal einige interessante
Weil es sich um die Produktionssteigerung an Fragen an die verantwortlichen Männer der Agrar-
sich handelt, darf ich dem Herrn Bundesminister politik stellen könnte; zum Beispiel warum bei
für Landwirtschaft und Ernährung im Zuge der ausreichenden saisonbedingten Auftrieben auf den
Importausgleichspolitik nachdrücklichst empfehlen, deutschen Schlachtviehmärkten in demselben Mo-
keine Erhöhung der Preise für Kunstdünger zuzu- ment große Mengen Walfleisch, das den Englän-
lassen. Wenn irgendwo, so macht sich doch gerade dern wegen seiner minderwertigen Qualität nicht
hier eine Subvention bestens bezahlt. Denn die zusagt, gekauft und eingeführt werden; oder
Erträge aus der Subvention werden zum größten warum die VELF mit Italien verhandelt, um die
Teil an den Staat zurückfließen: aus der mit er- Obst- und Gemüseeinfuhr von 12 Millionen auf
höhten Kunstdüngergaben erhöhten Produktion 22 Millionen Dollar zu erhöhen, und warum die
148 Deutscher Bundestag — E. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Dr. Mühlenfeld)
Gemüseeinfuhr aus Holland auf 250 000 Tonnen schaffung des Ausnahmerechts für die Landwirt-
erhöht wird. Das ist meinem Erinnern nach die- schaft gefordert habe, so gehört dazu auch die
selbe Menge, die vor 1938 in das gesamte deutsche Wiederherstellung des Verfügungsrechts über den
Reichsgebiet eingeführt wurde. bäuerlichen Besitz für den Eigentümer selber. In
(Zuruf von der SPD: Weil es so teuer ist!) dieser Beziehung ist von Gesetzes wegen die totale
— Nein, so liegen die Dinge leider nicht, sonst Herrschaft des Staates aus einer vergangenen Zeit
wäre es noch verständlich. ausschließlich für einen einzelnen Stand aufrecht-
Es sind noch mehr solche unverständliche Dinge erhalten worden. Ich verkenne durchaus nicht, daß
im Laufe des letzten Jahres geschehen, unver- einstweilen noch eine gewisse Kontrolle beim
ständlich deshalb, weil nach unserer Meinung alles Übergang bäuerlichen Eigentums auf einen ande-
daran gesetzt werden muß, bei steigender Agrar- ren Eigentümer nicht zu entbehren ist. Hierzu
erzeugung die Nahrungsmittelimporte zu senken brauchen wir aber ein Gesetz, das die wenigen
mit dem Ziel, Devisen und noch einmal Devisen Fälle der Eigentums- und Besitzveränderung, die
zu sparen, mit denen wir Rohstoffe auf dem Welt- noch zu regeln sind, aufzählt. In diesen Fällen
markt für unsere Industrie kaufen können; und kann die Genehmigung versagt werden, so zum
somit hilft unsere Landwirtschaft, das Export- Beispiel, wenn Grund und Boden oder der Betrieb
volumen zu vergrößern, sie hilft, zusätzliche Ar- ganz oder teilweise der Nutzung für die Volkser-
beitsplätze in den Fabriken und Werkstätten zu nährung entzogen werden soll. Wichtig ist aber
schaffen und damit die städtische Kaufkraft zu vor allem, daß eine starre Preisbindung beseitigt
heben. wird und die Kontrolle sich auf die Verhinderung
von Auswüchsen nach oben sowie nach unten be-
Wir begrüßen die bekundete Absicht, die schränkt. Eine Revision des geltenden Rechts im
Zwangswirtschaft weiter abzubauen. Diese totale Grundstücksverkehr wird sich ebenfalls in Rich-
Zwangs- und Planwirtschaft - das ist ja wohl tung auf eine Produktionssteigerung auswirken.
kein Geheimnis mehr — hat zusammen mit dem
totalen Erfassungssystem in den vergangenen Zei- Damit komme ich zu einem sehr wichtigen Ka-
ten die Produktion ganz erheblich benachteiligt. pitel der Agrarpolitik, das mir sehr am Herzen
Man kann wohl sagen, wir können uns dazu gra- liegt und das einer gründlichen Überholung be-
tulieren, daß der Zwang zur Erhaltung ihrer per- darf, nämlich zu dem Pachtrecht. Das Pachtrecht
sönlichen und betrieblichen Existenz die Gesamt- war einst das hervorragendste, das vornehmste In-
heit des deutschen Volkes, Erzeuger wie Verbrau- stitut des sozialen Aufstiegs in der Landwirtschaft,
cher, veranlaßt und gezwungen hat, die Plan- und sei es, daß komplette Betriebe durch kapital-
Zwangswirtschaft, soweit es ging, zu umgehen. schwache Landwirte übernommen wurden, sei es,
Wäre das nicht der Fall gewesen, dann wäre sie zu daß unwirtschaftliche oder kleine Betriebe durch
einer ausgemachten Katastrophe ausgeartet; dar- Zupachtung einzelner geeigneter Flächen lebens-
über besteht wohl bei all denjenigen, die sehen fähig gemacht werden konnten, oder sei es auch,
und hören wollen, gar kein Zweifel. Sicher ist, daß daß eine in der Führung des Betriebes zeitweilig
sich die alte Planwirtschaft selber ad absurdum eingetretene Lücke überbrückt werden konnte. In
geführt hat. Aber eine marktmäßig gelenkte allen diesen Fällen übte das alte Pachtrecht eine
Wirtschaft wird nicht zu entbehren sein, und zwar gesunde soziale Funktion aus. Diese Funktion des
unterschiedlich für die einzelnen landwirtschaft- Pachtrechts wiederherzustellen ist eine durch die
lichen Erzeugnisse, nur mit dem Unterschied, daß Entwicklung der jüngsten Zeit notwendig gewor-
wir das nicht aus dogmatischer Rezeptmacherei dene Angelegenheit. Auf dem Pachtmarkt ist es
tun, sondern nach den jeweiligen Erfordernissen still, sehr still geworden. Den Schaden davon
des praktischen Lebens von Fall zu Fall. Für uns haben Pächter wie Verpächter und auch Heimat-
hängt die Seligkeit davon nicht ab. Im Rahmen vertriebene in gleichem Maße. Eine Lockerung.
der uns auferlegten sozialen Verpflichtungen eine zeitgerechte Gestaltung des Pachtschutzrechts,
haben wir gerade auch hier eine soziale Markt- vor allen Dingen eine Wiederherstellung der Ver-
ordnung Wirklichkeit werden zu lassen. Im Rahmen tragstreue und, was wohl das Wichtigste ist, die
der zu ergreifenden marktorganisatorischen Maß- ausdrückliche Anerkennung des Verpächters als
nahmen wird die Errichtung von Marktverbänden Eigentümer — was durch die Diskussion um die
ich denke hier vor allen Dingen an die Zucker- Bodenreform leider gründlich mißlungen ist --
und Milchwirtschaft — ein dringendes Anliegen würden den Pachtmarkt wieder beleben und unter
der Verbraucher, der Erzeuger und Verarbeiter Beibehaltung eines vernünftigen Pachtschutzes der
sein. großen Zahl von pachtwilligen Heimatvertriebe-
Ich darf mir auch erlauben, die Regierung um nen und einheimischen Bauern wieder eine
beschleunigte Vorlage eines Gesetzes über die Im- Existenz geben. Wenn wir diese Probleme nicht
portausgleichsstelle zu bitten. Das Gesetz ist be- angreifen, glaube ich nicht, daß das Flüchtlings-
reits vom Wirtschaftsrat beschlossen worden, hat siedlungsgesetz den Erfolg haben wird, den wir
aber nicht die Genehmigung der Militärregierung ihm alle wünschen.
gefunden. Durch die Verzögerung wird die Erzeu- Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir,
gung in Mitleidenschaft gezogen. Ich hoffe, daß daß ich noch auf einen Punkt hinweise, der mir
auch in diesem Gesetz eine angemessene Heran- gerade in den letzten Wochen sehr augenfällig ge-
ziehung der berufenen Vertretung der Landwirt- worden ist. Ich bin der Überzeugung — und es
schaft vorgesehen werden wird. werden viele in diesem Hause mit mir dieser
In diesen Zusammenhang gehört noch die bal- - Überzeugung sein —, daß der Kreditbedarf der
dige gesetzliche Regelung von Vorratsstellen für Landwirtschaft nicht genügend berücksichtigt wird.
landwirtschaftliche Erzeugnisse aus eigener Pro- Der lang- und mittelfristige Bedarf ist von der
duktion und aus Importen, damit eine gleich- Verwaltung für Ernährung, Landwirtschaft und
mäßige Versorgung und Preisregelung zugunsten Forsten auf 524 Millionen D-Mark für 1949 an-
der Verbraucher und der Erzeuger möglich wird. gegeben worden. Und was ist geschehen? Die Ver-
Meine Damen und Herren! Wenn ich von einer waltung für Wirtschaft, in den Angelegenheiten
Bauernbefreiung gesprochen und damit die Ab der Kreditpolitik federführend, hat von diesen 524
Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 149
(Dr. Mühlenfeld)
Millionen D-Mark 290 Millionen aner-
D-Mark Abteilung im Ministerium zugebilligt wird. Die
kannt und in ihren Planübernommen. Um das Leistungen der Fischwirtschaft prägen sich nicht
Unglück vollständig zu machen, erkennt von die- besser aus und lassen sich nicht besser darstellen
sen nun noch verbliebenen 290 Millionen D-Mark als in einer kleinen Formel. 181 Fischdampfer
die Militärregierung nur 48 Millionen D-Mark an, leisten, über die Relation des Eiweißprozentsatzes
wobei allein 16 Millionen D-Mark für die Landes- umgerechnet, das, was 1 700 000 landwirtschaftliche
kulturkredite, für Wasserwirtschaft, Flurbereini- Betriebe an Fleisch leisten. 80 000 Menschen
gung usw., reserviert werden. Auch in diesem hängen direkt oder indirekt von dem Gedeihen
Punkte wünschen wir uns eine Änderung der der deutschen Fischwirtschaft in unseren Küsten-
Frankfurter Wirtschaftspolitik und keine Vernach- gebieten ab. Das sollte uns allein schon genügen,
lässigung der Landwirtschaft in der Kreditver- um der Fischwirtschaft innerhalb der Organisation
sorgung. des Ministeriums die gebührende Stellung einzu-
In diesem Zusammenhang sei mir ein Hinweis räumen.
auf die Verbundenheit von Handwerk, Handel Lassen Sie mich zum Schluß noch einer ganz
und Landwirtschaft gestattet, die sich aus Betrach- besonderen Sorge Ausdruck geben, die ebenfalls
tungen gerade einer gesunden Kreditpolitik und unsere Küstengebiete betrifft. Es handelt sich hier
deren öffentlich-rechtlichen und genossenschaft- um den Wiederaufbau der deutschen Handels-
lichen Trägern ergibt. Diese Verhältnisse empfehle flotte, um die Freigabe von Seefrachtern bis zu
ich ebenfalls der Aufmerksamkeit der Bundesre- 3000 Tonnen. Es ist schlechterdings nicht zu ver-
gierung. Die Bedeutung und das volkswirtschaft- treten, daß wir von unserer Landwirtschaft die
liche Leistungsvermögen erfordern die Schaffung höchsten Anstrengungen verlangen, um Devisen
eines Staatssekretariats für die mittelständische zu sparen, und auf der andern Seite zusehen, daß
Wirtschaft mit Abteilungen f r Hand e l und Hand 26 Prozent der Devisen die uns nach dem M ar-
-werk.GadvongplitscheSau shallplan zustehen, für Seefrachten ausgegeben
kann uns die Position und das Schicksal des Hand- werden. Die Leistungssteigerung der Landwirt-
werks und des Handels nicht gleichgültig sein. schaft muß hier durch Ersparnisse an Devisen in
Allein das niedersächsische Handwerk beschäftigt den Seefrachten ergänzt werden. Außer durch die
fast 400 000 Personen; unter Einbeziehung der Förderung der Seefischerei kann durch Aufbau
Familienmitglieder sind es weit über 1 Million einer Handelsflotte die Wirtschaft der küsten-
Personen. Das sollte uns schon einen Aufschluß nahen Gebiete gerettet werden. Die Werften haben
über die Bedeutung des Handwerks geben. Daraus keine Aufträge mehr, und Entlassungen der Ar-
ergibt sich die Wichtigkeit der Einräumung einer beiter sind an der Tagesordnung. 60 000 deutsche
besonderen Position, einer besonderen Abteilung Seeleute und Werftarbeiter sind arbeitslos. Die
innerhalb des Aufbaus des Ministeriums für Wirt- Zulieferungsindustrien für den Schiffsbau und für
schaft. die Reparaturanstalten sind zu nachhaltigen Be-
Meine Damen und Herren! Ich kann nicht um- triebseinschränkungen gezwungen.
hin, eine weitere wichtige Angelegenheit einer er- Ich glaube noch einmal zusammenfassend der
höhten Beachtung und Fürsorge unserer Regie- Bundesregierung sagen und mit allem Nachdruck
rung zu empfehlen. Es handelt sich hier um zwei darauf hinweisen zu müssen, daß. wir aus den an-
Stiefkinder der deutschen Wirtschaftspolitik, um gegebenen Gründen einer automatischen Fort-
zwei Stiefkinder, mit denen wir uns im Wirt- setzung der in Frankfurt begonnenen Wirtschafts-
schaftsrat in monatelanger eingehender Arbeit be- politik nicht unsere Zustimmung geben können.
schäftigt haben, nämlich um die deutsche Küsten- Hier bedarf es einer eingehenden Revision. Meine
und Hochseefischerei. Der Wirtschaftsrat hatte sich Damen und Herren, erkennen wir nun, daß wir
bemüht, hier einem nationalen Notstand abzu- eine Gesundung unseres gesamten deutschen Wirt-
,

helfen; aber leider ist den damaligen Arbeiten ein schaftslebens nicht erreichen können, wenn der
befriedigender Erfolg versagt geblieben. Wir kön- deutschen Landwirtschaft nicht die ihr gebührende
nen feststellen, daß sich im gesamten Küstengebiet gleichberechtigte Stellung in der deutschen Wirt-
ein Strukturwandel vollzieht, der sich für alle Be- schaftspolitik eingeräumt wird.
teiligten — und das ist nahezu wohl die Gesamt- (Beifall bei der DP.)
heit der Bevölkerung in den Küstengebieten —
sehr nachteilig auswirkt. Wir sollten von der Vizepräsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Herr
Bundesregierung erwarten, daß das Entgegenkom- Abgeordnete Dr. Besold.
men der Besatzungsmächte hinsichtlich des Fisch-
dampferneubaus durch eine einsichtige deutsche Dr. Besold (BP): Meine Damen und Herren!
Politik zu einem Erfolg wird. Dieses Parlament müßte es zu seiner vornehmsten
Aufgabe machen, Auseinandersetzungen zwischen
In Anbetracht der Bedeutung der deutschen den Parteien auch in vornehmer Weise durch-
Fischwirtschaft, vor allen Dingen in der Form der zuführen. Wenn am letzten Freitag am Ende dieser
Urproduktion, der Fischerei, sei es Küstenfischerei Debatte von dem Herrn Abgeordneten Götzendorff
oder Hochseefischerei, gebührt dieser Fischwirt- ein Artikel der „Bayerischen Landeszeitung" zitiert
schaft eine besondere Abteilung im Ministerium. worden ist — das ist sein Recht — mit dem Zusatz,
Meine Damen und Herren, wir haben bislang dar- daß die Bayernpartei damit eine neue Art des
unter gelitten, und wir werden weiter darunter Rassenhasses pflege, so ist das eine Beleidigung
leiden, daß wir nach der bisherigen Organisation einer Partei, die vom Präsidenten hätte gerügt
— und nach den Empfehlungen der Ministerpräsi- werden müssen. Wir bedauern dies.
denten soll es so bleiben — nur eine Lenkungs- Meine Damen und Herren! Auch die Bayernpartei
stelle haben, unter der ein Referat Fische aufge- hat sich rückhaltlos dafür erklärt, daß auf Bundes-
führt ist. Meine Damen und Herren, es handelt ebene das Flüchtlingsministerium errichtet wird,
sich hier um einen Wirtschaftszweig sui generis obwohl Flüchtlingsangelegenheiten nach der kon-
mit ganz anderen technischen und volkswirtschaft- kurrierenden Gesetzgebung zunächst noch Sachen
lichen Voraussetzungen. Deshalb ist es unbedingt der Länder sind. Wir haben es deshalb getan, weil
notwendig, daß der Fischwirtschaft eine besondere wir die große Not der Flüchtlinge kennen. Wir
150 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Dr. Besold)
haben uns auch für einen Flüchtlingsausgleich nicht Volkes, sondern auch der einzelnen Stände zerstört
bloß im Interesse der einzelnen Länder, sondern worden ist?
auch im Interesse der Flüchtlinge eingesetzt. Auch (Zurufe links.)
andere Länder haben das getan. Wir haben das Wir sagen, daß es sich hier um eine historische
Flüchtlingsministerium auch deshalb betont, weil Feststellung handelt, um eine historische Fest-
wir wissen, daß wir nicht allein in der Lage sind, stellung, an der man in der Geburtsstunde eines
diese Frage zu lösen, sondern daß hier auch die neuen Bundes, eines neuen Deutschland nicht vor-
ausländische Hilfe notwendig ist, die auf der Bun- übergehen kann. Man kann diese Dinge auch nicht
desebene leichter erreicht werden kann. Es ist nur mit zwei Sätzen streifen, weil es sich um
richtig, gegen eine Art von Flüchtlingen haben elementare, lebenserhaltende oder lebensvernei-
wir uns gewandt, die aber keine Flüchtlinge sind. nende Entscheidungen für einen Bund handelt.
Wir wissen, daß gerade in den letzten Monaten Wir wissen doch selbst aus unserer Geschichte
und vielleicht auch vor längerer Zeit — das möchte folgendes. Das Reich von 1871 war zunächst födera-
ich hier betonen — unter diesem Deckmantel und listisch. Je mehr den einzelnen Ländern ihre Rechte
unter Ausnützung der Armut und der Not dieser genommen, je mehr die einzelnen Länder auf wirt-
Flüchtlinge aus dem Osten Leute hereingekommen schaftlichem und auf staatspolitischem Gebiet aus-
sind, die nicht vertrieben worden sind, sondern ihr gehöhlt und in ihren Rechten zurückgesetzt worden
Dasein auf diese Weise zur politischen Wühlarbeit sind, je mehr sich eine zentralistische Staatsaus-
benützen, und dagegen wenden wir uns. weitung geltend gemacht hat, um so sicherer sind
(Zuruf: Das stand doch nicht in dem Artikel!) wir in internationale Konflikte gekommen. Zum
erstenmal geschah das 1914. Der Krieg wurde ver-
Lassen Sie mich nun noch einige Worte zur loren. Es kam eine Revolution. Aber, meine Damen
Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers und Herren, das war keine Revolution!
sagen! Der Herr Bundeskanzler hat davon ge-
sprochen, daß der Wahlkampf von der Parole be- (Lachen links.)
herrscht war „hie soziale Marktwirtschaft — dort Das Kernübel, nämlich die zentralistische Aus-
Planwirtschaft". Sicherlich haben die Bundesregie- richtung, wurde nicht beseitigt. Man hat am Alten
rung und der Herr Bundeskanzler einen großen wieder neu begonnen. In der Weimarer Verfassung
Auftrag der Wähler erkannt, und sicherlich ist die hat man das, was zunächst föderalistisch gedacht
Bundesregierung auch gewillt, auf wirtschaftlichem war, nunmehr zentralistisch niedergelegt und so
Gebiet gemäß dem Auftrag ihrer Wähler eine die Brücke zum exzentrischsten Zentralismus, näm-
Lösung anzustreben und zu finden. Darüber hin- lich zum Nationalsozialismus, geschlagen.
aus ist aber eine weit größere und vielleicht ent- (Zurufe.)
scheidungsschwerere Frage mit nur wenigen Sätzen Nicht daß es die Parteien zuvörderst gewesen sind,
in der Regierungserklärung betont worden: es ist meine Damen und Herren, sondern es ist die staats-
die Frage des föderalistischen oder zentralistischen politische Auffassung des 19. und 20. Jahrhunderts,
Staatsaufbaus. die Europa vernichtet hat. An dieser Feststellung
Wenn der Herr Bundeskanzler erklärt hat, daß dürfen wir am Beginn eines neuen Deutschland
der Wiederaufbau unserer Wirtschaft die vor- nicht vorübergehen.
nehmste, ja die einzige Grundlage für jede Sozial- Wenn man immer wieder hört, daß wir in der
politik und für die Eingliederung der Ausgewie- Bayernpartei sagen, das sei eine bayerische Sache,
senen ist, so können wir diesen Standpunkt nicht dann muß ich sagen: freilich ist es eine bayerische
teilen. Wohl ist die Lösung der wirtschaftlichen und Sache, weil diese föderalistische Auffassung bei uns
der sozialen Fragen vordringlich, weil sie auch die am meisten verkörpert ist,
spürbarsten Aufgaben in sich schließen; aber nicht (Lachen und Zurufe)
immer sind die spürbarsten Dinge die ent- aber es ist nicht nur eine bayerische, sondern es ist
scheidenden. eine deutsche, ja eine europäische Angelegenheit.
Wenn der Herr Bundeskanzler in seiner 19 Seiten (Sehr richtig! rechts und in der Mitte. —
langen Regierungserklärung nur mit zwei Sätzen Zurufe links.)
das Problem „Föderalismus oder Zentralismus" be-
rührt hat, so entspricht dies nicht der Bedeutung Ich glaube, daß sich gerade in dieser Stunde eine
dieser Frage. Wenn unsere Generation nicht er- Auseinandersetzung über diese Frage lohnen muß,
kannt hat, daß es das ewig deutsche, ja vielleicht weil auch eine blühende Wirtschaft, die der Herr
europäische Leid und das Leid der Welt ist, daß Bundeskanzler in Aussicht gestellt hat, nur dann
der Anfang der Blüte einer Wirtschaft immer wie- auf längere Zeit friedensmäßig gesichert ist, wenn
der durch zentralistische Machtkonzentrationen zer- endlich mit diesen Machtkonzentrationen in den
stört worden ist, dann kann es kaum eine andere zentralistischen Staaten Schluß gemacht wird.
Generation verstehen. (Sehr wahr! rechts.)
(Lachen links.) Wenn auch am nächsten Tag der Abgeordnete
Blank noch einmal eine Erklärung in födera-
— Sie lachen! Sie kennen vielleicht die Geschichte listischer Hinsicht geben wollte und dabei gesagt
nicht. Auch verstehe ich nicht, warum gerade die hat: wir wollen keinen Einheitsstaat, wir wün-
Linke lacht. schen, daß dem Menschen seine persönliche Frei-
(Zurufe.) heit erhalten bleibt und er nicht zum Sklaven eines
totalitären Staates gemacht wird, so habe ich dazu
Sprechen Sie nicht ein Jahrhundert vom Sozialis-- zu sagen, daß hierin keinerlei Sicherung für eine
mus und predigen Sie ihn nicht? Sie haben auch föderalistische Entwicklung enthalten ist; denn
auf dem Gebiet der sozialen Lohnwirtschaft Erfolge es geht nicht nur darum — selbstverständlich geht
erzielt. War es aber nicht so, daß in einer Gene- es auch darum —,
ration zweimal zentralistische Machtkonzentratio-
nen Ihre Arbeiter die eigenen Mordwerkzeuge (Heiterkeit)
haben konstruieren lassen? Und war es nicht so, daß den Menschen ihre persönliche Freiheit ge
daß damit nicht nur die Existenz des deutschen sichert ist, sondern daß auch den einzelnen Ländern
Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 151
(Dr. Besold)
die Freiheit gesichert wird und daß wir nicht Wir erwarten sie ja von der Regierung, aber wir
Sklaven nur eines totalitären, sondern eines zentra- wissen auch, daß das Fehlen verschiedener Grund-
listisch ausgerichteten Staates werden. sätze in der vergangenen und auch in der aller-
(Heiterkeit.) jüngsten Zeit alle Versprechungen, die bisher ge-
macht worden sind, immer wieder zu Tode ge
Meine Damen und Herren, es kommt mir fast so ritten hat.
vor, als ob Sie über Ihr Unglück selbst lachen
würden, (Zurufe: Oho!)
(Lachen)
Die Wahrheit ist nicht nur aus dem gesellschaft-
als ob Sie mit verschlossenen Augen an der Ver- lichen, sie ist auch aus dem politischen Leben ver-
gangenheit und an dem letzten Jahrhundert vor schwunden. Erinnern wir uns zurück: Hat man
übergeben würden und als ob Sie aus Bosheit nicht nicht gerade in der jüngsten Zeit, in den letzten
erkennen möchten, wo der richtige Weg ist. zehn, zwanzig Jahren von Sozialität und Sozialis-
(Erneutes Lachen.) mus gesprochen, und ist in Wirklichkeit nicht in
Wir wissen, daß in diesem Hause wenig Verständ- Ausrichtung der zentralistischen Staaten der
nis für eine föderalistische Staatsrichtung ist. Stacheldraht geschaffen worden? Aber auch nach
1945, als uns versprochen worden ist, daß die De-
(Zurufe: Oho!) mokratie geboren wird! Hat man nicht von Volks-
Wir wissen es, und wenn auch hier wenig Ab- gemeinschaft gesprochen? Und in Wirklichkeit hat
geordnete sind, die sich dazu bekennen, so ver- man Haß, Neid, Zwietracht und Denunziation hoch-
gessen Sie nicht, daß sich ein großes Land dazu gezüchtet. Und dieses süße Mittel der Denunziation
bekennt, und zwar deshalb, weil seine ganze jahr- ist auch bei der Rechtsgestaltung nach 1945 sogar
hundertlange Entwicklung darauf hinzielt. gefördert worden, und man hat wieder davon Ge-
(Anhaltende Unruhe.) brauch gemacht. Man hatte uns versprochen,
daß eine neue Demokratie gegründet wird. Ich
Man soll nicht über etwas lachen, was man in der brauche Ihnen nicht zu sagen -- das wissen Sie
Geschichte vielleicht nicht selbst erlebt hat! ja —, daß die Demokratie aus dem wirklichen
(Hört! Hört! und Heiterkeit.) Willen des Volkes heraus geboren wird. Hat
man nicht im gleichen Atemzug in diesem Grund-
Glauben Sie es: das ist eine Staatsauffassung, die gesetz, in dieser neuen Demokratie verankert, daß
in diesem Lande auf Grund seiner Fähigkeiten, auf dieses Grundgesetz nicht der freien Entscheidung
Grund seiner Geschichte verankert und verwurzelt des Volkes entspringt? Ich sage: die Wahrheit muß
ist. Das bayerische Volk ist zum größten Teil ein auch im politischen Leben zurückkehren; denn
kulturschöpferisch ausgerichtetes Volk, und das hat sonst kommt kein Vertrauen zustande. Wo die
es in seiner Kulturgeschichte gezeigt. Ein Volk, das Wahrheit nicht ist, gibt es auch keine Gerechtigkeit.
kulturschöpferisch ausgerichtet ist, braucht auch Man hat den Mißbrauch des Rechts in der natio-
im staatspolitischen Aufbau seine Freiheit und nalsozialistischen Zeit angeprangert. Haben wir
seine Rechte, und darum — nicht aus Eigenbrötelei, nicht nach 1945 zu gleicher Stunde erlebt, daß wie-
meine Damen und Herren -- hat das bayerische der Mißbrauch mit dem Recht getrieben worden
Volk auch in früheren Verfassungen schon immer ist in der Lenkung des Rechts im politischen
Vorrechte gehabt. Sinne? Ich spreche nicht für .und nicht gegen die
(Zurufe und Lachen.) Nazis,
Ich sage Ihnen, Sie werden an dem bayerischen (Lachen)
Volk und Land den treuesten Partner in einem
neuen Deutschland haben, ich spreche allein vom Standpunkt des Rechts
aus und möchte dabei herauskehren, daß
(ironische Bravorufe) auch unter der Führung der Demokratie
wenn Sie diese kulturpolitische Bedingtheit und das Recht mißbraucht werden kann, wenn
diese staatspolitisch ausgerichtete Sinnesart im nicht sittliche Grundsätze in den Vordergrund
Aufbau des neuen Deutschland berücksichtigen. gestellt werden. Denn wo die Wahrheit nicht ist,
(Unruhe. - Glocke des Präsidenten.) finden Sie auch nicht die Gerechtigkeit und die
Liebe, die Menschenachtung und die Menschen-
Wenn der Herr Bundeskanzler in dieser Stunde der würde. Daß dieses Jahrhundert sich an der Men-
Entstehung eines neuen Deutschland das Primat schenachtung und -würde versündigt hat, dafür
der Wirtschaft wieder in den Vordergrund gerückt haben Sie erst in den letzten Tagen noch ein Zeug-
hat, so mit Recht. Aber daß er neben der sozialen nis erhalten, als ein Mann aus den östlichen Ge-
Einstellung der Regierung nichts von dieser ide- bieten hier aufgetreten ist. Die Menschenachtung
ellen Ausrichtung gesagt hat, das hat uns ebenso und die Menschenwürde müssen oberstes Gesetz
verwundert. Wir wissen es, und Sie alle wissen es, sein. Man sage nicht, daß die Verletzung des
daß der beste Staatsmann und das beste Wirt- Menschenrechtes, der Menschenachtung und der
schaftsprogramm nicht zu einer glücklichen Zu- Menschenwürde eine deutsche Angelegenheit ist!
kunft führen kann, wenn nicht zugleich auch eine Sie ist eine Angelegenheit der zentralistischen
geistige und sittliche Erneuerung des Volkes an- Staatsausrichtung, die immer zum Mißbrauch des
gestrebt wird. Und gerade von dieser Regierung Rechts geführt hat,
hätten wir diesbezüglich eine Erklärung erwartet.
In diesem Hause ist schon von verschiedenen Red- (Heiterkeit)
nern der Mißbrauch des Rechts betont worden. -
zum Mißbrauch des Rechts im exzentrischsten
(Zuruf: Die Regierung greift nicht in die Zentralismus des Nationalsozialismus, zum Miß-
Rechte der Länder ein!) brauch des Rechts in diesen totalitären Staats-
Das ist kein Eingriff in die Rechte der Länder, gebilden, wie wir sie drüben im Osten sehen. Aber
wenn zum Neubeginn eines neuen Deutschland ob es sich um Vergasung oder Hungerlager handelt,
auch eine geistige Ausrichtung gegeben wird! man hat diese Erscheinungsformen in der Ge-
(Große Unruhe.) schichte immer und immer wieder in zentra-
152 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Dr. Besold)
listischen Machtzusammenballungen und ihrem Die Sitzung wird um 17 Uhr 51 Minuten wieder
Mißbrauch gefunden. aufgenommen.
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
(Zurufe.) Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Deshalb — und nicht aus rein bayerischen Inter- Auf Grund einer Aussprache im Ältestenrat hat
essen — bekennen wir uns zu einer konsequen- dankenswerterweise ein Austausch in der Reihen-
ten föderalistischen Staatsauffassung. Wir hätten folge der beteiligten Fraktionen stattgefunden.
in der Regierungserklärung gerne gehört, inwie- Es werden jetzt noch sprechen: für die WAV
weit die Bundesregierung gesonnen ist — anschei- der Abgeordnete Löfflad, für die Nationale Rechte
nend will sie von der konkurrierenden Gesetz Abgeordneter Dr. Miessner und der unabhängige
gebung des Artikels 74 sehr weitgehenden Ge- Abgeordnete Dr. Ott.
brauch machen —, in strengster föderalistischer Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten
Auffassung oder zum Zentralismus hinneigend die Löfflad.
Voraussetzungen des Artikels 72 zu prüfen. Löfflad (WAV): Meine sehr verehrten Damen
Meine Damen und Herren, mögen Sie darüber und Herren, Hohes Haus! Die WAV steht nach
lachen, wie vor auf dem Standpunkt, endlich Schluß
(Gelächter) mit der Debatte zu machen, um der Regierung
daß sich dieses Haus mit diesen Fragen ausein- keine Zeit wegzunehmen, an die Arbeit zu gehen
andersetzt. Die Vergangenheit hätte Sie zu ern- und dem Volke gegenüber eine produktive Arbeit
steren Mienen veranlassen müssen. zu leisten.
(Bravo!)
(Lachen und Zuruf links: Das kommt auf Gestatten Sie mir jedoch
Sie an!) (Heiterkeit)
Ich möchte Ihnen zum Schluß meiner Ausführun- als jüngstem Abgeordneten des Hohen Hauses,
gen nur zurufen: Meine Damen und Herren, deut- einige Worte an Sie zu richten.
sche Männer und deutsche Frauen, rettet Deutsch- Die Jugend ist grundsätzlich zu jeder Mitarbeit
land und Europa durch eine echte und wahre bereit. Ich bedauere es nur, daß ich in den Reihen
föderalistische Staaten- und Völkergemeinschaft! des Hohen Hauses sehr wenig junge Vertreter
(Beifall bei der BP. - finde. Sei 'n Sie davon überzeugt, daß gerade die
Zuruf: In Bayern anfangen!) Jugend es ist, die jedem Vertreter, gleich aus wel-
chen Reihen er kommen mag, den guten Willen
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! unterstellt; denn es geht dabei nicht um leere
Ich habe Ihnen zunächst eine Mitteilung zur Ge- Schlagworte und Debatten. Letzten Endes sind
schäftslage zu machen. Es war ursprünglich vor- wir ja als Vertreter des deutschen Volkes in den
gesehen, daß jetzt ein Abgeordneter der KPD Bundestag gewählt worden. Die Jugend hat aller-
und anschließend ein Abgeordneter der WAV dings auch einen berechtigten Grund, in gewis-
sprechen sollte. Die von den genannten Parteien sen Dingen skeptisch zu sein; denn mancher Ver-
für diesen Zweck bestimmten Herren sind, wie mir treter, der schon vor 1933 im Reichstag gesessen
die Vorsitzenden der beiden Fraktionen eingangs hat, hat nichts dazu beigetragen, das Wohl des
der Sitzung mitgeteilt haben, vorübergehend er- deutschen Volkes zu fördern. Doch wollen wir
krankt und nicht in der Lage, heute nachmittag annehmen, daß diese Herren aus ihren alten Feh-
zu sprechen. Ein Ersatz dafür war nicht ohne lern gelernt haben. Seien wir doch nicht auf die
weiteres ausfindig zu machen. Ich habe dann Regierungsparteien wegen ihrer Posten neidisch;
den Versuch gemacht, einen Austausch mit den wollen wir uns doch nicht streiten! Denn dar-
beiden kleinen Fraktionen herbeizuführen, die für über dürfen wir uns wohl im klaren sein, daß
morgen vorgesehen waren. Aber auch da hat sich die Verantwortung eine ungeheure ist. Und wol-
keine Austauschmöglichkeit ergeben. Ich spreche len wir doch nicht diese schwere Aufgabe jetzt
wohl in Ihrer aller Sinn, daß wir den Versuch dadurch behindern, daß wir die Regierungserklä-
machen sollten, die Debatte heute noch etwas fort- rung zum Anlaß uferloser Debatten nehmen. Wol-
zusetzen, damit sie morgen nicht zu lange dauert. len wir auch als Oppositionspartei dazu beitragen,
Ich möchte deshalb vorschlagen, damit einverstan- daß wir unseren Wählern gegenüber bestehen
den zu sein, daß ich die Sitzung für etwa 20 Mi- können; denn auch als Oppositionspartei hat man
nuten unterbreche und wir im Ältestenrat einen den Wählern gegenüber eine Pflicht und Schul-
Ausweg zu finden suchen. — Ich nehme das Ein- digkeit.
verständnis des Hauses mit dieser Regelung an. Diese besteht meiner Meinung nach darin, daß
wir uns vorläufig abwartend verhalten und auch
(Zuruf.) den Männern der Regierung. den guten Willen
— Ich höre eben, der Herr Vertreter der Gruppe unterstellen. Wenn dann die Regierung in drei,
der Nationalen Rechten würde jetzt sprechen. vier Monaten nicht gezeigt hat, daß sie in der
Trotzdem würde ich gerne noch eine Dame oder Lage ist, eine produktive Arbeit zu leisten, dann
einen Herrn einer zweiten Fraktion sprechen lassen ist immer noch Gelegenheit und Zeit genug vor-
und daher bei meinem Vorschlag bleiben, die Sit- handen, in die Opposition einzutreten und rück-
zung für 20 Minuten zu unterbrechen, um den sichtslos die Fehler aufzuzeigen, aber gleichzeitig
heutigen Tag noch ausnutzen zu können. auch mit konkreten Vorschlägen zu kommen, wie
man es besser machen könnte und müßte.
Ich unterbreche jetzt die Sitzung und lasse Sie-
(Beifall bei der WAV.)
nach etwa 20 Minuten wieder zusammenrufen. Ich stehe hier nicht nur als Vertreter der Ju-
Ich bitte die Mitglieder des Ältestenrats in den gend, sondern gleichzeitig als Schwerbeschädigter.
Roten Salon. Als Schwerbeschädigter habe ich auch eine Bitte an
die Regierung, daß nämlich das Problem der
(Unterbrechung Schwerversehrten, der Kriegsrentner usw. schnell-
der Sitzung um 17 Uhr 13 Minuten.) stens einer Lösung zugeführt wird, daß es nicht
Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 153
(Löffla d)
nur bei Hungerunterstützungen und Hungerren- agitatorischen Forderungen auf Bevorzugung die-
ten bleibt. Ich glaube, wenn die Regierung da ser oder jener Bevölkerungsgruppe zu kommen.
eingreift und Geld abschöpft, wo Geld vorhan- Außerdem bliebe uns da nicht viel mehr übrig;
den ist, nämlich bei den Großschiebern und Wäh- denn soweit ich mich erinnern kann, ist gerade
rungsgewinnlern, dann kann auch diesen Menschen auf dem Gebiet des Wohnungsbaues für jeden
geholfen werden. bereits eine komplette Wohnung gefordert wor-
(Bravorufe bei der WAV.) den, einschließlich der Frauen mit und ohne Kin-
Ich möchte mich, wie ich eingangs betont habe, dern usw. Wenn wir dazu noch etwas tun woll-
der Auffassung der WAV anschließen und Schluß ten, könnten wir eigentlich nur noch für jeden Ju-
mit der Debatte machen. Ich möchte an Sie alle gendlichen ein Eigenheim verlangen, und die
appellieren: Sie sind es Ihren Wählern schuldig, Finanzierungsfrage müßte selbstverständlich in
daß Sie meinem Vorschlag folgen und nicht mehr der Weise gelöst werden, daß man die Steuern
lange debattieren. Denn wir alle miteinander, ob restlos beseitigt.
es nun Männer aus den Reihen der Regierungs- (Lachen und Zurufe in der Mitte.)
parteien oder aus den Reihen der Opposition sind, Meine Damen und Herren, einen solchen oder ähn-
wollen und wünschen, daß es mit unserem anstän- lichen Antrag werden Sie vielleicht von uns als
digen und armen deutschen Volk und Vaterland der Partei, die am weitesten rechts steht, erwartet
endlich wieder besser wird. Wenn wir zusammen- haben.
halten, dann werden wir wieder glücklicheren Nun zur Sache!
Zeiten entgegengehen.
(Beifall bei der WAV und rechts.) (Heiterkeit.)
Das Wohnungsproblem ist, wie mehrfach hervor-
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr gehoben worden ist, ein Finanzproblem. Wir
Abgeordnete Dr. Miessner. möchten aber nicht dabei stehenbleiben. Es
könnte sein, daß es in gewissem Sinne auch ein
Dr. Miessner (NR): Meine Kolleginnen und Kol- Organisationsproblem ist, nämlich wenn man be-
legen! Lassen Sie mich zur Abwechslung einmal denkt, daß es sich vielfach um freie Arbeitskräfte,
diese Anrede zum Zeichen dafür gebrauchen, also Arbeitslose handelt, die ja selbst Wohnung-
daß wir hierhergekommen sind, um zusammen- suchende sind. Immer wieder haben wir von
zuarbeiten. Im übrigen habe ich wie meine Her- den Arbeitslosen gehört, warum es denn nicht
ren Vorredner über das Wochenende festgestellt, möglich sei, daß sie mit ihrer eigenen Arbeits-
daß der Eindruck, den dieses Haus bisher ge- kraft irgendwie eingeschaltet würden, selbst un-
macht hat, nicht überall ein guter ist. Ich meine ter Verzicht auf irgendeinen Bauhandwerkerlohn.
damit aber nicht so sehr die Tumultszenen, die sich Sie meinen, man sollte ihnen nach wie vor die
hier abgespielt haben, als vielmehr die Art der Arbeitslosenunterstützung geben, und sie würden
Reden. dann vielleicht einen halben oder dreiviertel Tag
Ich bin nicht ganz mit meinem direkten Vor- nur für die Arbeitslosenunterstützung arbeiten
redner der Ansicht, daß wir nun überhaupt nicht und insoweit schon zum Wohnungsbau und insbe-
mehr sprechen sollten; denn schließlich wäre das sondere zur Verbilligung des Wohnungsbaues bei-
ja eigentlich das Gegenteil von dem, was ein Par- tragen. Ich muß sagen, daß es einem schwerfällt,
lamentarier zu tun hätte. diese Wünsche einfach damit abzutun, daß man
(Abg. Dr. Baumgartner: „Parlament" kommt ihnen sagt, damit wäre die Finanzierung nicht ge-
von parlare! --- Heiterkeit.) löst. Es ist zwar richtig, daß die Kosten eines
Ich glaube, der Grund, weshalb wir in so kurzer Hauses sich nicht nur aus Arbeitslohn, sondern in
Zeit bereits einiges Ansehen verspielt haben, liegt sehr starkem Maße auch aus Materialkosten zu-
darin, daß hier zum großen Teil Wahlreden gehal- sammensetzen; aber ich meine, man sollte doch,
ten wurden, und ich meine, wir sollten in dieser wenn man hier soviel gutem Willen begegnet
Richtung Selbstdisziplin halten und möglichst — die eigene Arbeitskraft sogar unentgeltlich zur
schnell dazu übergehen, zwar nicht völlig zu Verfügung zu stellen —, sehr ernsthaft darüber
schweigen, aber, wenn wir schon reden, möglichst nachdenken, welche Wege man in dieser Richtung
sachlich konkrete Vorschläge zu machen. organisatorisch wohl finden könnte. Insoweit
meine ich, daß das in gewissem Sinne auch ein
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, darf Organisationsproblem ist. Ganz spezielle Vor-
ich Sie einen Moment unterbrechen. Sie haben schläge können wir dazu naturgemäß im Augen-
eben gesagt, es seien hier Wahlreden gehalten blick noch nicht machen.
worden. Ich glaube, jede Partei kann den An- (Lachen bei der CDU.)
spruch für sich erheben, eine politische Rede zu Im übrigen ist natürlich das Wohnungsbaupro-
halten, ohne daß sie als Wahlrede zu bezeichnen blem ein Finanzproblem, und zwar einmal priva-
ist. Es ist meines Erachtens nicht zulässig, ein der- ter Art und zum anderen öffentlicher Natur. Pri-
art allgemeines Urteil über sämtliche Fraktionen vater Art ist es insofern, als es auch in normalen
des Hauses abzugeben. Ich bitte Sie deshalb, von Zeiten immer üblich war, daß ein Haus nicht aus
dieser Charakterisierung abzusehen. eigenen Mitteln, sondern im wesentlichen mit
Fremdkapital finanziert wurde. Etwa 60 Prozent
Dr. Miessner (NR): Lassen Sie mich zu meinem Hypothekenkredite waren immer erforderlich.
Thema, zum Wohnungsbau und dessen Finan-- Diese Hypothekenkredite wurden in der deutschen
zierung kommen. Die „Nationale Rechte" hat zu- Wirtschaft zumeist von Hypothekenbanken und
nächst keinen Anlaß, den guten Willen der Regie- Sparkassen gegeben.
rung im Hinblick auf ihr Wohnungsbauprogramm (Zuruf von der CDU: Stimmt das?)
zu bezweifeln oder ihr heute mit Belehrungen zu Diese wiederum besorgten sich die Mittel dazu
kommen. Wir halten es auch nicht gerade für durch ihr sogenanntes Passivgeschäft am Pfand
geschmackvoll, jetzt, nachdem die Regierung erst briefmarkt oder durch die Spareinlagen. Beides
vor ein paar Tagen zusammengetreten ist, mit liegt heute darnieder. Es wäre daher zu erwägen,
154 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Dr. Miessner)
ob man nicht das Ansehen des Hypothekenkredits, Augenblick, wo der Staat eine Reihe sozialer Auf-
der ja beim Hausbau eine ganz wesentliche Rolle gaben zu erfüllen hat, funktionieren muß, in die-
spielt, wieder stärken müßte, und da möchte ich ser Weise, wie es in Artikel 108 zum Ausdruck
den ganz konkreten Vorschlag machen, daß man kommt, praktisch lahmgelegt wird. Es sind be-
die Abwertung, die hypothekengesicherte Darlehen stimmt nicht die vielen Lohn- und Gehaltsempfän-
erfahren haben, günstiger regelt als die Abwer- ger; denn diese zahlen mehr oder weniger un-
tung der übrigen Geldkonten. So war es übri- freiwillig und ganz von selbst den vollen Steuer-
gens auch bei der Wiederaufwertung nach 1918. satz und sie haben nur das eine Interesse, daß
Bei der Frage, durch welche Stellen eventuell eine schlagkräftige Verwaltung da ist, die so billig,
die vom Staat gegebenen Gelder geleitet werden sicher und gleichmäßig wie nur möglich arbeitet.
sollen, hört man vielfach von neuen Institutionen Die Wirtschaft selbst dürfte auch kein Interesse
sprechen. Ich möchte hier an die eingespielte daran haben, die Finanzverwaltung wieder auf den
Arbeit der Hypothekenbanken und Sparkassen Stand der Zeit vor 1919 zurückzubringen. Die
erinnern. Diese Institute arbeiten in diesen Wirtschaft ist auch froh darüber, daß es nicht mehr
Fragen seit langen Jahrzehnten. Es ist deshalb, in einzelnen Ländern Steueroasen gibt, in die sie
wie ich glaube, nicht unbedingt erforderlich, neue ihre Syndizi schicken muß, um hier oder dort
Instanzen zu schaffen. eine neue Aktiengesellschaft zu gründen, damit
Ich komme nun zu dem Finanzproblem auf dem man ja einen Steuervorteil, der irgendwo in einem
staatlichen Sektor. Hier möchten wir zunächst das Land besteht, für sich in Anspruch nehmen kann.
ablehnen, was augenblicklich in Niedersachsen in Ich glaube, auch die Ausführungen des Herrn Frak-
der Stadt Hannover gemacht wird, wo man Mittel tionsvorsitzenden einer Regierungspartei, nämlich
zum Wohnungsbau durch eine sogenannte Wohn- der FDP, waren in dieser Hinsicht ziemlich auf-
bauabgabe beschafft. Es ist doch eigentlich von schlußreich. Sie setzten sich in gewisser Weise
allen unbestritten, daß sowohl der Hausbesitz als von den Erklärungen anderer Regierungsparteien
auch die Mieter bis an die Grenze ihrer Leistungs- ab, indem sie eine starke zentrale Regelung auf
fähigkeit belastet sind. Ich muß schon sagen: ich diesem Gebiet forderten. Wer aufmerksam dabei
empfinde es als mehr als das Ei des Kolumbus, zugehört hat, dem wird das bei der Rede des
wenn man nun einfach sagt: die Mieter zahlen Herrn Dr. Schäfer nicht entgangen sein.
rund noch zehn Prozent drauf — so ist es in Han- Schließlich hat auch die Finanzverwaltung selbst
nover —, führen dies an den Hauswirt ab, und kein Interesse an einer Zerschlagung. Wenn man
dieser führt es dann weiter an die Stadt ab. Das die Finanzbeamten fragt, so hört man, daß sie
bedeutet eine Verteuerung der Lebenshaltung für noch heute sehr darunter, leiden, daß die Finanz-
sämtliche Schichten des Volkes, die gerade für die verwaltung in den Jahren seit 1945 praktisch in
sozial Schwachen unseres Erachtens nicht tragbar Länderverwaltungen zerschlagen war und daß es
ist. Im übrigen ist das praktisch auch nichts an- an einer einheitlichen Lenkung fehlte. Wenn sie
deres als eine zusätzliche Steuer, denn die Grund- Auskunft geben oder Entscheidungen treffen soll-
steuer ist zum Beispiel in Hannover um 50 Prozent ten, konnten sie das einfach nicht tun, weil An-
erhöht worden. Der Hinweis, daß diese Beträge weisungen von oben nicht vorhanden waren. Wir
s teuerfrei gespart werden könnten, da sie als Spar- werden daher immer wieder unseren Finger auf
einlagen gelten, ist nicht stichhaltig; denn man diese Wunde legen. Ich glaube auch, daß uns diese
kann derartige Zwangsabgaben nach dem Gesetz Frage im Laufe der nächsten Jahre noch mehr
nicht als freiwillige Sparbeträge ansehen, die nach zu schaffen machen wird. Wir möchten es auch
dem Einkommensteuergesetz steuerbegünstigt von seiten der „Nationalen Rechten" durchaus be-
sind. zweifeln, ob es richtig war, für den Preis des In-
Ein weiteres Mittel, das Finanzproblem staat- krafttretens des Grundgesetzes die Zerschlagung
licherseits zu lösen, ist das der Kreditausweitung. der Finanzverwaltung hinzunehmen.
Dazu ist aber nicht viel zu sagen. Dieses Mittel ist (Zuruf aus der Mitte: Sie lebt noch!)
gefährlich, wie wir alle wissen, und es kann auch
stets nur bis zu einem gewissen Grade helfen, Zusammenfassend möchte ich erstens sagen: der
das Problem zu lösen. arbeitslose Wohnungsuchende muß seine unent-
Ich möchte aber auf ein drittes Mittel kommen, geltliche Arbeitsleistung mit in die Waagschale
und zwar nicht das Mittel einer Steuererhöhung, werfen können, um sich damit ein Anrecht auf
sondern man sollte einmal daran denken, daß der Wohnung zu sichern; zweitens: das Vertrauen zum
Staat Steuergelder, und zwar reichlich Steuer- Hypothekenkredit muß durch bessere Aufwertung
gelder, auch dann bekommt, wenn die Finanzver- von Hypothekendarlehen wiederhergestellt wer-
waltung als solche gut arbeitet. Ich bin mir be- den; drittens: staatliche Mittel sollten nicht über
wußt, daß ich hier sicherlich etwas Unpopuläres neue Stellen, sondern über die bewährten Insti-
ausspreche, wenn ich dazu auffordere, die Fi- tute wie Hypothekenbank und Sparkasse verteilt
nanzverwaltung schlagkräftig zu machen. werden; viertens: die großen sozialen Aufgaben
der Regierung sind nur bei einer schlagkräftigen,
(Abg. Dr. Baumgartner: Was heißt einheitlichen Bundesfinanzverwaltung zu erfüllen.
„schlagkräftig"?)
Wir bitten daher, die Verwaltung der Einkommen-
In diesem Zusammenhang ist aber leider auf Ar- und Umsatzsteuer auf jeden Fall personell in die-
tikel 108 des Grundgesetzes einzugehen. Danach selbe Hand zu legen. Es ist ja leider nach dem
ist die Regelung so getroffen, daß die Verwaltung Grundgesetz vorgesehen, daß nur die Umsatzsteuer
der Umsatzsteuer und der einmaligen Vermögens- vom Bund verwaltet wird und die Einkommen-
abgaben dem Bund, die Verwaltung der übrigen und Körperschaftsteuer von den Ländern. Fra-
Steuern den Ländern obliegt. Wir erinnern uns gen Sie mal einen Finanzbeamten, dem sträuben
ja noch alle an den bekannten Streit vor einigen sich jetzt schon die Haare bei dem Gedanken, daß
Monaten, bei dem diese Frage im Brennpunkt des der eine Beamte die Umsatzsteuer veranlagt und
öffentlichen Interesses stand. Man sollte sich ein- der andere die Einkommensteuer. Denn wer etwas
mal fragen, wer eigentlich ein Interesse daran hat, von diesen Dingen versteht, der weiß, daß sich die
daß die Finanzverwaltung, die gerade in diesem Einkommensveranlagung unmittelbar auf der Um-
Deutscher Bundestag - 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949 155
(Dr. Miessner)
satzfeststellung aufbaut. Es wäre also eine Mehr- denn nach unserer Auffassung ist es mit eines
arbeit und eine schlechtere Arbeit, die allein bei der verantwortungsvollsten Ministerien.
einer Trennung herauskommen würde. Wenn also Da bitte ich vor allem den Herrn Minister Lu-
die Regierung hier durch den Artikel 10.8 festgelegt kaschek, daß er die Familien wieder zusammen-
ist, so bitten wir doch immerhin, die Sache in kommen läßt, daß endlich einmal diese Zuzugs-
irgendeiner Weise so zu regeln, daß wenigstens bestimmungen, wenn nicht beseitigt, so doch ge-
personell entweder der Bundesbeamte die Aufga- lockert werden, daß, wenn heute ein Vater oder
ben des Landesbeamten mitmacht oder umgekehrt. eine Mutter die Kinder findet oder umgekehrt die
Das läßt sich ja als Auftragsangelegenheit regeln. Kinder die Eltern, sie nicht durch diese wirklich
Im übrigen wollen wir es hinsichtlich der Re- oft verdammungswürdigen Zuzugsbestimmungen
gierungserklärung mit dem schönen Bibelspruch am Zusammenkommen gehindert werden. Meine
von Herrn Loritz halten, den wir gleich konkre- Auffassung ist: Wenn ein Vater oder ein Sohn
tisieren, indem wir der Regierung zurufen: „An einer Familie eine Wohnung gefunden hat, wenn
ihren Häusern wollen wir sie erkennen". er Arbeit gefunden hat, dann soll er tatsächlich
mit seinen Angehörigen ein Familienleben führen
können.
Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat jetzt der
herr Abgeordnete Dr. Ott. (Sehr richtig!)
Was die Soforthilfe anlangt, so wünsche ich,
Dr. Ott (Parteilos): Meine Damen und Herren! daß sie nicht ein Schaden für unser Volk sein
Viel Bejahung, viel Verneinung und viel Ergän- möchte, wie sie sich nun tatsächlich auswirkt,
zung hat die Regierungserklärung unseres Herrn sondern daß sie eine Tathilfe sein möchte. Da
Bundeskanzlers erfahren. Ich will nur ganz kurz kommen wir zum Lastenausgleich. Wir reden
zwei Punkte herausgreifen. dauernd vom La stenausgleich. Bringen wir end
Der Bundeskanzler hat gesagt, er werde die Ra- lich einmal dem Volk diese ausgleichende Ge-
dikalisten von links bis rechts mit allen zu Gebote rechtigkeit auf allen Gebieten!
stehenden Mitteln bekämpfen. Ich stimme damit Zum Ministerium Dr. Erhard kurz folgendes;
überein, wenn er meint, daß er all die Zustände, Man möge sich nicht dem leichten Optimismus
die zu Radikalismus führen, wirklich mit allen zu hingeben und sagen, bei der letzten Wahl, am 14.
Gebote stehenden Mitteln bekämpfen wird. Die August, hätte das Volk diese Wirtschaftspolitik
armen Volksmassen, die vor überfüllten Schau- bejaht. Dieser Meinung bin ich nicht ganz. Denn
fenstern stehen und sich auch heute noch nicht ich komme zu vielen Wählern, die gerade CDU
das zum Leben Notwendige kaufen können,- das ist und CSU gewählt haben und mir — auch jetzt
ein Zustand, der unter allen Umständen zum Ra- am Sonntag wieder — erklärt haben: Wir sind
dikalismus führen muß. Wenn er diese Zustände unserem Gewissen gefolgt, haben damit aber nicht
bekämpfen wird, dann wird er wirklich die Zu- eventuell die Wirtschaftspolitik bejaht. Wenn das
stimmung all der Wähler haben, die mich gewählt arme Volk vor den überfüllten Schaufenstern
haben. Wenn er aber diejenigen Personen meint, steht — ich komme gerade als Geistlicher immer
die sich der armen Volksmassen in diesem tief- wieder zu diesen Armsten der Armen — und sich
traurigen Zustand annehmen, dann allerdings, nicht das Lebensnotwendigste kaufen kann -
Herr Bundeskanzler, garantiere ich dafür, daß wir
mit um so größerer Hartnäckigkeit unseren Kampf (Zuruf: Als Geistlicher in SA-Uniform!)
für die Belange der Armsten unseres Volkes fort- — Dazu will ich auch, wenn es sein muß, Stellung
setzen werden. nehmen. Ich war damals, als ich gezwungen wurde,
Ein zweiter Punkt: Nationalismus. Wer gibt wie so viele andere Sudetendeutsche, über die
denn eigentlich dem Ausland die Voraussetzungen, Grenze zu eilen — —
daß wir deutschen Menschen dauernd als „Na- (Zuruf : Kein Geistlicher ist in der SA-Uniform
tionalisten" verschimpft werden? Nach meiner gegangen!)
Auffassung sind wir es selbst; wir beschmutzen — Ich bin auch nicht in SA-Uniform gegangen,
uns dauernd, und wenn die Idealisten kommen sondern in Freibund-Uniform, in kurzer Hose und
und sich gegen Selbstbeschmutzung wehren, dann Hemd, weil ich fliehen mußte, wenn ich nicht
sind das die „Nationalisten". Ja, meine Damen erschlagen werden wollte.
und Herren, so , ist es wirklich. Wenn man Ge- Wenn heute gesagt wurde, die Regierung hätte
schichte studiert und wenn man vor allem während keine Idee gegeben, dann möchte ich den Ver-
des Krieges mit anderen Völkern zusammenge- tretern der Bayernpartei nur sagen: es hat ge-
kommen ist, dann hat man die Feststellung ma- heißen, wir bekennen uns zur christlich-abend-
chen können — besonders wir, die wir aus den ländischen Kultur. Ich glaube, daß diese Idee
östlichen Ländern und aus Prag kommen, und be- wirklich ausreicht, um unserm Volk alles zu geben.
sonders im Priesterseminar habe ich das immer Mag einer zu diesen Problemen eine Einstellung
wieder festgestellt —, daß alle andern Völker, be- wie auch immer haben, Christus ist und bleibt
sonders alle slawischen Völker, mehr Nationalbe- die Grundlage der Rettung der Welt und auch
wußtsein haben als gerade wir Deutschen. Nie- des deutschen Volkes. Gerade vom praktizieren-
mand braucht also Angst zu haben vor unserem den Christentum aus gesehen haben wir Deutsche
sogenannten Nationalismus; im Gegenteil, wir hät-
eine große Sendung für die ganze Welt.
ten alle Grund genug, unser Volk wieder mehr
volksbewußt zu erziehen. Zum Schluß möchte ich noch ganz kurz zur
-
Frage der Steuerreform Stellung nehmen. Auch
(Zustimmung.) da müßte ein Unterschied gemacht werden. Ja-
Was des Flüchtlingswesen anlangt, so haben wohl, wir brauchen eine Steuerreform, aber man
sich alle Ausgewiesenen aus innerstem Herzen ge- möge nicht schablonenmäßig vorgehen, sondern
freut. Aber wir Ausgewiesenen schauen wirklich die Ärmsten der Armen berücksichtigen, die Flie-
mit scharfen Augen auf dieses Ministerium. Möge gergeschädigten, die Ausgewiesenen, die jetzt vor
es nicht ein Ministerium der Beschaulichkeit sein, einem neuen Anfang stehen.
156 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 27. September 1949
(Dr. Ott)
Alles in allem: zur Regierungserklärung ist ge- Ich berufe die nächste, 9. Sitzung des Deut-
nug gesagt worden. Ich möchte abschließend nur schen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 28.
den einen Satz zitieren: Wir brauchen freiwillige September 1949, 14 Uhr 30 Minuten ein.
und entsagende Liebe zu unseren Brüdern und Die Fraktion der FDP hat mich gebeten bekannt-
Schwestern, die Kraft und Gnade aus der ewigen zugeben, daß sie morgen vormittag 9 Uhr 30 Mi-
Liebe Gottes schöpft. nuten Fraktionssitzung hat.

Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! Die 8. Sitzung des Bundestags ist geschlossen.
Die gemäß Vereinbarung des Ältestenrats für heute
nachmittag vorgesehene Rednerliste ist erschöpft. (Schluß der Sitzung: 18 Uhr 25 Minuten.)

Das könnte Ihnen auch gefallen