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Deutscher Bundestag - 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21.

September 1949
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Was den Verlauf der heutigen Aussprache an-


langt, so werden gemäß Beschluß des Ältestenrats
die SPD-Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion und die
FDP-Fraktion sprechen. Mit Rücksicht darauf daß
das Kabinett um 18 Uhr in einer dringenden poli
tischen Angelegenheit eine Sitzung abhalten muß,
werden wir voraussichtlich um diese Zeit, wie ich
hoffe, unsere heutige Sitzung beenden können. Ich
bitte also, das bei der Zeitbemessung gebührend
berücksichtigen zu wollen.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann
zum einzigen Punkt der Tagesordnung:
Aussprache
über die Erklärung der Bundesregierung.
Als erstem erteile ich Herrn Abgeordneten Dr.
6. Sitzung Schumacher das Wort.
Dr. Schumacher (SPD): Meine Damen und Herren!
Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949. . Die Erklärung der Bundesregierung sollte nicht als
etwas Isoliertes betrachtet werden. Sie gehört zu-
Geschäftliche Mitteilungen 31B sammen mit der Politik der Parteien, die heute die
Bundesregierung bilden, mit den Parolen des Wahl-
Aussprache über die Erklärung der kampfs, mit den Deklarationen nach dem Wahl-
Bundesregierung: ergebnis, mit den Methoden der Kabinettsbildung
und mit der Zusammensetzung des Kabinetts.
Dr. Schumacher (SPD) 31C Wollte man den Kardinalsatz der Regierungs-
Dr. von Brentano (CDU) erklärung, daß die Bundesregierung die soziale Ge-
42D rechtigkeit zum obersten Prinzip ihrer Handlungs-
Dr. Schäfer (FDP) weise nehmen wolle, als das Programm der Regie-
49D rung voll akzeptieren, dann müßte man sagen: mit
Nächste Sitzung 56D diesem Programm hätte der Herr Bundeskanzler
am 14. August einen rauschenden Wahlsieg über die
Politik seines Wirtschaftsministers und seines Vize-
Die Sitzung wird um 14 Uhr 21 Minuten durch kanzlers davongetragen.
den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet. (Beifall bei der SPD. — Lachen in der
Mitte und rechts.)
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! Aber, meine Damen und Herren, Sozialpolitik ko-
Ich eröffne die 6. Sitzung des Deutschen Bundes- stet etwas, und der deutsche Besitz, der ja in seiner
tags. überwiegenden Mehrzahl hinter der neuen Bundes-
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe regierung steht, hat diese Regierung bestimmt nicht
ich einige Mitteilungen zu machen. Ich bitte zu- etabliert, um besonders große Aufwendungen für
nächst den Herrn Schriftführer, die Namen der be- das Volk zu machen.
urlaubten Mitglieder des Hauses bekanntzugeben. (Zuruf rechts: Sie schließen von sich auf
andere!)
Matthes, Schriftführer: Beurlaubt sind we- Die Bundesregierung ist jetzt mit einer Erklä-
gen Krankheit die Abgeordneten Kuhlemann, Marx, rung hervorgetreten, die eine Reihe sozialpoliti-
Zühlke, Wönner; auf Grund von Entschuldigungen scher, allerdings nicht genau akzentuierter Ver-
die Abgeordneten Eichler, Frühwald, Karpf, Frau sprechungen enthält. Am deutlichsten ist sie eigent-
Kipp-Kaule, Margulies, Schröter, Schütz, Frau lich bei dem Versprechen der Steuersenkung ge-
Thiele, Vesper. - worden. Nun ist auch unsere Meinung, daß die
Struktur des deutschen Steuerwesens stark umge-
Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren! baut werden sollte, daß sie nach Ertrag und Ratio-
Ich habe ferner amtlich folgende Mitteilung zu nalität nicht das ist, was unser Staatswesen nötig
machen. Der Herr Abgeordnete Dr. Eduard Edert hat. Wenn wir aber die Steuersenkung als Haupt-
gehört als Hospitant der CDU/CSU-Fraktion an. punkt, als Grundlage der wirtschaftlichen Erholung
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß der Be- betrachten wollten, dann käme die Steuersenkung
schluß des Bundestags Nr. 5/1 auf dem Stenogra- in eine Konkurrenz mit den sozialen Leistungen auf
phentisch wie üblich zur Einsichtnahme ausliegt. der einen und den Besatzungskosten auf der andern
Meine Damen und Herren! Wir treten zum Seite.
ersten Male seit Bestehen des Bundestags in eine (Sehr gut! bei der SPD.)
große politische Aussprache ein. Die Geschäftsord- Die sozialen Leistungen und die Steuersenkung zu-
nung haben wir erst gestern Mittag beschlossen; sammen dürften sich kaum verwirklichen lassen. In
sie wird naturgemäß uns allen noch nicht geläu- Erkenntnis dieser Tatsache hat der Herr Bundes-
fig sein. Um eine ordnungsgemäße Abwicklung kanzler die sozialen Leistungen bereits von einer
dieser Aussprache nach Möglichkeit zu sichern, Reihe von Bedingungen abhängig gemacht, von
erlaube ich mir den Hinweis, daß die wichtigsten denen nicht anzunehmen ist, daß sie schon in näch-
Bestimmungen für die Führung der Aussprache ster Zeit realisiert werden, nämlich von einer Wirt-
in den Abschnitten 12, 13 — Redeordnung —, 14 — schaftsblüte, von entsprechenden Steuererträgnis-
Ordnungsbestimmungen, §§ 81 und folgende — sen und ähnlichem mehr. So kommen wir wohl zu
enthalten sind. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit dar- dem Schluß, daß die Steuersenkung als nahe Wahr-
auf lenken. scheinlichkeit vor uns steht, die sozialen Leistun-
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(Dr. Schumacher)
gen aber auf den Weg der Vertröstung gleiten und die Begriffe des Obrigkeitsstaates scheinen
werden. noch in vielen Köpfen auch in diesem Hause sehr
(Zurufe in der Mitte: Abwarten!) lebendig zu sein.
— Wieso? Haben Sie so viel Zeit? (Lebhafter Beifall links. — Zurufe rechts.)
(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD.) Eine Opposition ist in ihren Qualitäten nicht dann
Eine gewisse Überraschung hat vielleicht der staatserhaltend, wenn sie eine wohlwollende Beur
idyllische Ton der gestrigen Regierungserklärung teilung durch die Bundesregierung oder durch ihre
hervorgerufen. Parteien findet. Wir haben eine in Sachen der Be-
(Sehr gut! bei der SPD. — Zurufe in der Mitte.) sitzverteidigung sehr unsentimentale Regierung,
und es wird die Aufgabe der Opposition sein, bei
Auf den Ton abgestimmt „es ist alles nicht so der Interessenvertretung der arbeitenden Bevölke-
schlimm", können wir nur antworten: es sieht so rung ebenso unsentimental zu sein.
aus, als ob alles sehr viel schlimmer wäre, als die
Regierungserklärung angedeutet hat. (Sehr gut! bei der SPD.)
(Sehr richtig! bei der SPD.) Der Egoismus liebt es, an das Gemeinschaftsgefühl
zu appellieren.
Schließlich ist doch der tatsächliche Kern, der Punkt,
bei dem ein eindeutiges Bekenntnis der Bundesre- (Sehr gut! bei der SPD und rechts.)
gierung vorliegt, die Erklärung, daß man am bis- Die Regierung und die Opposition werden ihre
herigen Kurs der Frankfurter Wirtschaftspolitik Qualität durch ihre Leistungen bestimmen. Aber,
festhalten wolle. werte Abgeordnete, der Grundsatz gilt für die Op-
(Zuruf von der CDU: Gott sei Dank!) position, daß die Bundesregierung sich die Mehrhei-
ten für ihre Gesetze aus den Reihen der Regie-
In Verbindung damit sind einige andere sehr reale rungsparteien zu schaffen hat.
Dinge angedeutet worden, als da sind: die Auf-
hebung der Zwangswirtschaft auch für die Güter, (Zuruf in der Mitte: Sie sind grundsätzlich
bei denen heute noch fixierte Preise vorliegen; und gegen alles!)
ähnliche Bemerkungen sind bei der Betrachtung — Verzeihung, Sie haben die Bemerkung gemacht:
über Wohnungswirtschaft und Mietpreisgestaltung „Grundsätzlich gegen alles". Ich glaube, darauf ant-
gemacht worden. worten zu müssen. Ich bin nicht in der Lage, in
Die Erklärung der Bundesregierung ist nicht nur drei Sätzen allés zu sagen, was ich zu sagen habe.
interessant durch das, was in ihr enthalten ist, son- (Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg: Dem
dern fast noch interessanter durch das, was sie Kanzler werfen Sie es vor!)
nicht genannt hat. — Nun, der Kanzler hat 82 Minuten gesprochen;
(Zuruf links: Sehr wahr!) das ist etwas länger.
Wir können uns ein demokratisches Staatswesen (Unruhe.)
nicht vorstellen, bei dem die Arbeiter eine so ge- Man kann also als Opposition nicht die Ersatzpar-
ringe Rolle spielen, daß die Regierungserklärung tei für die Regierung sein und die Verantwortung
das Wort „Arbeiter" nicht einmal erwähnt hat, für etwas übernehmen, wofür die Verantwortung
(Beifall bei der SPD.) zu übernehmen sich manche Regierungsparteien
gegebenenfalls scheuen werden.
und wir können uns einen funktionierenden sozia-
len Organismus auch nicht recht vorstellen, bei dem (Sehr richtig! bei der SPD.)
die Gewerkschaften unerwähnt bleiben. Die Opposition ist ein Bestandteil des Staatslebens
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) und nicht eine zweitrangige Hilfestellung für die
Regierung.
Es scheint mir eine schwere Undankbarkeit gegen- (Beifall links.)
über den Gewerkschaften und der Rolle dieser Or-
ganisationen zu sein, wenn man nicht anerkennt, Die Opposition ist die Begrenzung der Regierungs-
daß ohne diese Gewerkschaften die Situation des macht und die Verhütung ihrer Totalherrschaft.
deutschen Volkes nach innen und außen eine sehr Ihre Eindeutigkeit zwingt alle Parteien, die der
viel schlechtere sein würde. Opposition wie die der Regierung, ihr innerstes
Wesen an ihren Taten zu offenbaren.
(Lebhafter Beifall links.)
- (Erneuter Beifall.)
Und wir haben auch vermißt — bei aller Anerken-
nung der liebenswürdigen Ausflüge in das Gebiet Es wäre nämlich ein Fehler, weiter den Zustand der
der Nöte der unverheirateten Frauen — ein grund- Wesensunechtheit in der Propaganda der politi-
sätzliches Anerkenntnis der Gleichheit von Mann schen Parteien zu belassen. Tatsachen müssen spre-
und Frau vor dem Gesetz, wie das Bonner Grund- chen. Aber ebenso richtig ist, daß die Opposition
gesetz es gebracht hat. sich nicht in der bloßen Verneinung der Regie-
rungsvorschläge erschöpfen kann.
(Zustimmung links.)
(Zuruf in der Mitte: Gut!)
Aus dieser These nämlich resultiert für die Regie-
rung eine große Menge von Aufgaben, und wir Das Wesen der Opposition ist der permanente Ver-
hätten gerne gewußt, wie die Verwirklichung dieser such, an konkreten Tatbeständen mit konkreten
Aufgaben sich in den Augen der Regierung dar- Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den
stellt. positiven Gestaltungswillen der Opposition aufzu-
zwingen.
Nun, wir sind die Opposition, und was Opposition
ist, darüber hat sich eine unglaublich naive Dis- (Lebhafter Beifall links. - Zustimmung rechts.)
kussion in der deutschen Öffentlichkeit erhoben. Aus dem Wesen und der Zusammensetzung dieser
Die Wertung der Opposition und der Regierung, die Regierung heraus besteht die große Gefahr, daß
vorbehaltlose Überbewertung der Regierungsfunk- dieser neue Staat ein autoritärer Besitzverteidi-
tionudebsvrhaltoUnebwug gungsstaat werden kann.
der Oppositionsfunktion stammt aus dem Obrig- (Lachen in der Mitte.)
keitsstaat, Man hat doch in der Zusammensetzung der Regie-
(erneute Zustimmung) rung und den gestern vorgetragenen Tendenzen ge-
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(Dr. Schumacher)
sehen, daß die erste Periode von Weimar — wenn Wir haben bei der Organisation der Regierung
Vergleiche erlaubt sind — glatt übersprungen wor- eindeutig zu erklären, daß wir mehr Ministerien
den ist und wir bereits in einer zweiten Periode der erhalten haben, als vorher — gerade nach den Er-
absoluten Restauration mit stark vorweimarischen klärungen maßgebender Männer der Regierung —
Zügen sind. notwendig zu sein schien. Wir haben drei Mini-
(Lachen.) sterien zuviel! Wir haben außerdem Sorgen um
Das bringt die Gefahr der Entfremdung der ar- die innere Organisation der Ministerien. Der Herr
beitenden Menschen vom Staat. Das ist eine Gefahr, Bundeskanzler hat sich gestern zum Prinzip des
die wir als Opposition bekämpfen wollen. Wir kön- Berufsbeamtentums bekannt. Dieses Prinzip des
nen den heutigen politischen Machtzustand sich Berufsbeamtentums aber, das im Sinne der Lei-
nicht stabilisieren lassen. Es ist die Aufgabe der stung und im Sinne der Überwindung des Kasten
Opposition, die Dinge im Fluß im Sinne einer Ent- wesens änderungs- und entwicklungsbedürftig ist,
wicklungsmöglichkeit zum Demokratischen und So- hat dann einen großen politischen Sinn, wenn die
zialen zu halten. Beamtung ein vertrauenswürdiges Instrument für
Manches, was gestern gesprochen worden ist, war jede demokratische verfassungsmäßige Regierung
eine Schau nach rückwärts. Ich möchte eindeutig ist.
sagen, daß auch der wohlwollendste Ton der Er- (Sehr richtig! links. — Zurufe rechts.)
mahnung und die allmählich etwas abgestandene Wir betonen an dieser Stelle bei der Neuorgani-
Bemerkung, daß die Jugend . die Zukunft bedeute, sation der Behörden die Gleichberechtigung aller
der Jugend sehr wenig sagt. Die Jugend wünscht verfassungstreuen politischen Richtungen in der Be-
realen Boden, wünscht positive Lebensaussichten setzung der Beamtenpositionen.
durch eine soziale Politik,
(Beifall bei der SPD. — Aha! und Sehr gut!
(Zurufe: Gut!) rechts. — Zuruf: Siehe Schleswig-Holstein!)
und die Jugend wünscht, gleichberechtigt behandelt
zu werden. — Die Herren, die mir widersprechen, scheinen die
Tatsache ihrer Regierungsbeteiligung mit der an-
(Sehr richtig! in der Mitte.) deren Tatsache zu verwechseln, daß es große Stel-
Auf alles kann die Jugend verzichten, sogar auf lenvermittlungs-Organisationen gibt.
Moralpredigten und Ermahnungen. Nicht verzichten (Zustimmung links. — Zuruf rechts:
kann sie auf das Gefühl, als gleichwertiger Faktor Bei der SPD!)
im Staats- und Volksleben geachtet zu werden.
(Beifall links und Zurufe rechts.) Wir haben bei der Organisation der Regierung
ohne Zweifel der Position des Bundesfinanzmini-
Die Regierungsbildung ist eine notwendige Ab- sters ein besonderes Augenmerk zuzuwenden. Wir
rundung der Regierungserklärung; sie steht unter betonen, daß ein Bundesfinanzminister mit gleicher
dem Zeichen des 14. August. Allerdings hat sie län- Gerechtigkeit gegenüber allen Ländern Deutsch-
ger gedauert, als man damals annahm. Ihre Metho- lands die gleichen Prinzipien und den gleichen Wil-
den waren nicht so eindeutig wie nach den Ver- len zu zeigen hat.
sicherungen der Regierungsparteien das Wahlergeb-
nis des 14. August sein soll. Die Regierung steht (Sehr richtig! bei der SPD.)
eben unter dem Eindruck der Tatsache, daß der Wir dürfen nicht erleben, daß ein Bundesfinanzmi-
Rechtsruck im deutschen Volk bedeutsamer ist, als nister etwa der Verlockung einer praktisch betätig-
die Mandatszahlen des 14. August ausdrücken. Die- ten überstarken Heimatliebe unterliegt.
ser Druck von rechts kann bis tief in die Mitte hin-
ein lähmende und ändernde Wirkungen haben. Dar- (Zustimmung links. — Abg. Dr. Seelos: Das
um ist es schon verständlich, wenn man den Ge- wäre für einen Sozialisten furchtbar!)
fahren von allen Seiten dadurch entgegentreten — Was wissen Sie denn vom Sozialismus; buchsta-
will, daß man sich sehr stark in sozialen Versiche- bieren Sie einmal das Wort!
rungen gefällt. Unverständlich bleibt dann, warum (Lebhafter Beifall und Heiterkeit links.)
man in der Frankfurter Wirtschaftspolitik alles das
verhindert hat, was man jetzt als Zukunftsverspre- Ohne eine gleichmäßige gerechte Anwendung der
chungen an die arbeitenden Massen in Deutschland Finanzhoheit ist keine Hilfe für die schwachen
gibt. Die Dauer, die Methoden der Regierungsbil- - Länder, aber auch keine Möglichkeit der Bewälti-
dung und die Art, mit der die Macht im Staat auf gung der entscheidenden großen sozialen Fragen,
allen Gebieten verteilt worden ist, haben keinen keine Hilfe in der kardinalen Frage der Flücht-
sehr berückenden und beglückenden Eindruck auf linge gegeben. Die Wahlen in den steuerschwachen
das deutsche Volk gemacht. Ländern haben ja gezeigt, daß dort, wo die Armee
(Abg. Dr. Richter: Niedersachsen! — — der Flüchtlinge massiert und deshalb die Arbeits-
Weitere Zurufe rechts.) losigkeit überstark ist, die Chance für den Radi-
— Verzeihen Sie, Sie sind wohl mit Verspätung kalismus — das ist in der heutigen Situation der
als Kreuzfahrer aus Bayern hier in Bonn eingetrof- Rechtsradikalismus — vorhanden ist.
fen! (Zurufe: Aha! — Weitere Zurufe rechts.)
(Heiterkeit links.)
— Nun hören Sie mal! Sie werden doch von einem
Die Sache war zu geschäftig und geschäftlich be- demokratischen Deutschen keine Sympathie für den
trieben und hat zuviel politische Wahlarithmetik Rechtsradikalismus verlangen. Was wir dem Rechts
enthalten, als daß sie einen überzeugenden eindeu- radikalismus und dem Hypernationalismus in erster
tigen Eindruck auf die Bevölkerung machen könnte. Linie vorwerfen, das ist der Umstand, daß er in
Ich meine: wenn man all die Herren, denen man seinen Auswirkungen schlecht für Deutschland ist.
einen Ministerposten versprochen hat und die ihn
dann nicht bekommen haben, heute hier zu einer (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
Fraktion zusammenfassen würde. dann wäre das Gerade darum muß die Hilfe den steuerschwachen
nicht die kleinste Fraktion des Bundestags. Ländern zuteil werden, weil da die sozialen Pro-
(Lebhafter Beifall und große Heiterkeit.) bleme sich am stärksten auswirken.
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(Dr. Schumacher)
Interessant und etwas schmerzlich war uns, daß Und, meine Damen und Herren: wir brauchen
in der gestrigen Regierungserklärung kein Wort kein besonderes Ostministerium. Wir brauchten
von dem Finanzausgleich zu hören war auch nicht ein Staatssekretariat beim Bundeskanz-
(Hört! Hört! bei der SPD) ler. Wir brauchen eine Abteilung beim Innenmini-
und auch nichts von den Gemeinden, ihrer Selbst- sterium,
verwaltung, ihren großen Aufgaben, ihrer sozialen (Sehr gut! bei der SPD)
Belastung und dem ganzen Komplex, der doch die die konkreten Fragen im Verkehr zwischen der
praktisch jeden Tag an jeden deutschen Staatsbür- Bundesrepublik und zur Ostzone und außerdem
ger herantritt.
eine Menge von sozialen und verwaltungsmäßigen
Wir kündigen stärkste Gegnerschaft an für den Problemen auf diesem Gebiet zu behandeln hat. Wir
Fall, daß das Bonner Grundgesetz nach Sinn und sollten durch eine Abteilung beim Innenministe-
Buchstaben zugunsten betont überföderalistischer rium manifestieren, daß das Verhältnis der deut-
Regelungen seiner einheitstrebenden Tendenzen schen Bundesrepublik zur sowjetischen Besatzungs-
entkleidet wird. zone unter deutschem Blickwinkel ein innerdeut-
(Sehr wahr! bei der SPD.) sches Problem ist.
Wir wollen keine Revision des Bonner Grundgeset- (Händeklatschen bei der SPD.)
zes durch Verwaltungsorganisationen, durch Per- Es entstehen bestimmt nichtgewollte Gefahren da-
sonenauswahl, durch Schaffung von Vorgängen! durch, daß die Möglichkeit gegeben wird, durch die
Gefreut haben wir uns im ersten Augenblick, als Errichtung eines besonderen Ministeriums diese
wir das Wort von der Rechtsgleichheit in den elf Dinge auf der völkerrechtlichen Ebene zu diskutie-
deutschen Ländern hörten, bis dann der Gedanke ren. Die Sozialdemokratie hat schon 1945 ihre
kam, daß die Rechtsgleichheit ja nach verschiedenen Stimme für die deutsche Einheit erhoben. Sie war
Prinzipien geschaffen werden kann: nach dem Prin- auch die erste deutsche Partei, die — am 31. Mai
zip des am meisten fortgeschrittenen Landes und 1947 — den Versuch bejahte, auf der Grundlage der
nach dem Prinzip des am meisten zurückgebliebe- ökonomischen und administrativen Festigung der
nen Landes. Westzonen eine anziehende Kraft auf die Ostzone
(Lebhafte Zustimmung und Zurufe bei der auszuüben. Aber die Grundlinien dieser Politik
SPD.) können nicht in einem Ostministerium bestimmt
Wir dürfen da wohl die Hoffnung aussprechen, daß werden, sie sind eine gesamtdeutsche Angelegen-
wir von Regierungsseite zu diesem Punkt noch heit, unter voller Verantwortung des Chefs der Re-
einige Erklärungen bekommen werden. gierung und unter verantwortlicher Mitarbeit aller
Wenn wir die Organisation der Ministerien und Parteien dieses Hauses.
Behörden betrachten, so müssen wir sie als das Er- (Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD.)
gebnis opportunistischer Tagespolitik empfinden, Um Mißverständnissen, gewollten Mißverständ-
als das Resultat von Bemühungen, die eine Regie- nissen entgegenzutreten, möchte ich sagen: die deut-
rung zusammenbringen sollten und es nicht anders sche Einheit ist nur möglich auf der Grundlage der
konnten als mit diesen Methoden. Dadurch kann persönlichen und staatsbürgerlichen Freiheit und
die Entwicklung auf diesem Gebiete in falsche Bah- Gleichheit und der gleichen Wertung und Würdi-
nen gelenkt werden, zum Wildwuchs und Mißwuchs gung der Menschenrechte in allen Besatzungszonen.
der Behörden und der Ministerien.
(Bravorufe und Händeklatschen bei der
Ich sagte: Wir haben drei Ministerien zuviel. SPD und vereinzelt rechts.)
(Zuruf rechts: Ja, welche denn?) Aber die deutsche Einheit ist nicht möglich in der
— Wir brauchen keinen besonderen ERP-Minister! Form einer russischen Provinz oder eines sowjeti-
Warum denn? Entweder hat er nichts zu tun, schen Satellitenstaates.
oder er hat deswegen zuviel zu tun, weil er der (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und in
Überminister der Ökonomie ist, von dem alle an- der Mitte.)
deren ökonomischen, finanziellen und sozialen
Sparten abhängen. Nach der bisher nicht erfreuli- Wir haben im Verkehr der Parteien miteinander
chen Verwendung der Marshallplangelder auf hier schwere Hypotheken in allen Lagern, am
stärksten aus der Tatsache heraus, daß die Ober-
allen Gebieten schicht der heute formal noch bestehenden Christ-
(Sehr wahr! bei der SPD) lich-Demokratischen Union
fordern wir die Vorlage eines Planes und eines de- (Lachen in der Mitte und rechts)
taillierten, vom Parlament kontrollierten Nachwei- und der Liberaldemokraten in der Ostzone Regie-
ses ihrer Verwendung. rungspartei ist.
(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.) (Sehr gut! bei der SPD.)
Aber wir wollen keinen besonderen Minister. Wir Als Regierungsparteien sind sie voll verantwortlich
wünschen am allerwenigsten, die etwas fadenschei- für alles, was in der Ostzone geschieht.
nige Begründung diplomatischer Natur von der (Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD.)
Notwendigkeit der Vertretung deutscher Interessen Weil wir diese Verzerrung und Verquickung nicht
in Paris durch Männer in Kabinettsrang zu hören. wollen, — —
Das ist etwas antiquiert.
Wir brauchen auch keinen besonderen Minister (Zurufe rechts: Grotewohl! Dutzende!)
für den Verkehr mit dem Bundesrat. — Nun, wir haben Grotewohl hinausgeschmissen,
(Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe rechts.) (Lachen rechts)
Was soll denn ein Sonderminister mit dem Bun- aber ihr seid noch immer dieselben Nuschkoten!
desrat verkehren? Die Linie der Politik wird vom (Große Heiterkeit. — Bravorufe und Hände-
Bundeskanzler bestimmt; er hat zu ihrer Durchfüh- klatschen bei der SPD.)
rung seine Beamten. Das ist doch eine Konstruktion Wir müssen bei dieser Politik auch abrücken von
zur Anbindung einer Partei als Regierungspartei. einem Rückfall in die missionarische Illusion der
(Erneute lebhafte Zustimmung bei der SPD.) Brückentheorie. Das sind Illusionen, die 1933 aus
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(Dr. Schumacher)
der Hoffnung entstanden, mit einem totalitären lager: „Die Schumacherlinge müssen nicht nur mo
Gegner, der das Ganze will, zu einem Kompromiß ralisch, sondern auch physisch vernichtet werden!"
zu kommen, das einem die eigene politische Exi- (Hört! Hört! bei der SPD.)
stenz und Selbständigkeit läßt. Wir dürfen nicht in Ich würde die Herren von der Kommunistischen
eine Anerkennung der Blockpolitik hineinrutschen, Partei bitten, den arbeitenden Massen in Deutsch-
die in Wirklichkeit die Herrschaft der stärksten Re- land einmal diesen Zwiespalt der kommunistischen
gierungspartei und der hinter ihr stehenden Besat- Natur zu erklären.
zungsmacht ist. Wir sollten bei aller Anerkennung
der Tatsache, daß man sich nicht immer distanzie- (Abg. Reimann: Ich werde morgen darauf
ren kann von allem und jedem in Dingen des täg- antworten, Herr Dr. Schumacher!)
lichen Lebens, derartige Dinge wie die beiden — Herr Reimann, die politische Erfahrung lehrt:
Godesberger Gespräche unterlassen. es gibt nicht nur Wölfe im Schafspelz, es gibt auch,
(Sehr richtig! bei der SPD.) Schafe im Wolfspelz!
Ich verstehe, daß in den eisigen Stürmen des kal- (Große Heiterkeit und Händeklatschen.)
ten Krieges sich manche Leute in Deutschland den Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter, darf
Charakter erkältet haben. Einige dieser Herren
sind heute Mitglieder der Bundesregierung. ich einen Moment unterbrechen. Ich nehme an,
daß Sie mit Ihrer Bemerkung „Schafe im Wolfs-
(Hört! Hört! links.) pelz" kein Mitglied des Hauses gemeint haben.
Da sie aber bei der zweiten Godesberger Tagung (Heiterkeit.)
nicht dabeigewesen sind, dürfen wir die frohe Er-
wartung aussprechen, daß sie mit einem leichten Dr. Schumacher (SPD): Ich würde, Herr Präsi-
politischen Schnupfen davongekommen sind. dent, mit Ihrer Erlaubnis Herrn Reimann die Ent-
(Heiterkeit.) scheidung darüber überlassen.
(Erneute Heiterkeit.)
Die neue Linie der Kommunisten aber, für die
jeder Anreger solcher Tagungen nur ein Instrument Wenn wir die Frage der deutschen Einheit dis-
der sowjetischen Staatspolitik ist, ist nicht des- kutieren, dann können wir an der Frage Berlin
wegen interessant, weil sie von den deutschen nicht vorübergehen.
Kommunisten kommt, sondern deswegen, weil sie (Sehr gut!)
nur möglich ist als die Auftragserfüllung sowjet- Berlin wünscht keine Wohltaten und keine Wohl-
russischer Auftraggeber. Nun, werte Abgeordnete, täter-Allüren.
haben wir einer solchen Versuchung nicht mit pri- (Sehr gut!)
mitiven Anti-Deklamationen entgegenzutreten, son-
dern mit einer positiven Zeichnung des deutschen Die besondere Finanzhilfe für Berlin ist nicht eine
Staats- und Soziallebens. Nach der Ansicht der gan- Angelegenheit freiwilliger Zuwendungen, sondern
zen Sozialdemokratischen Partei ist der Boden, auf muß zu einem festen Bestandteil im Etat der deut-
dem ein erfolgreiches Bestehen dieser Angriffe am schen Bundesrepublik gemacht werden.
ehesten möglich ist, der Boden des demokratischen (Zuruf: So war es doch!)
Sozialismus. Man sollte auch nicht nur dieser Zuwendung von
(Händeklatschen bei der SPD. — Abg. Dr. Mitteln der Allgemeinheit zustimmen. Man muß
Freiherr von Rechenberg: Von Sozialismus in der Wirtschaftspolitik Berlin durch Vergebung
haben die drüben genug!) von Krediten und von Aufträgen mehr Hilfe lei-
Die Kommunisten versuchen es mit allen möglichen sten als bisher. Auf diesem Gebiet, wo egoistische
Mitteln. Wir haben dieses Liebeswerben schon mehr Interessen westlicher Produzenten mit Berliner
als ein Dutzendmal seit Bestehen der ersten deut- Produktionsinteressen konkurrieren können, ha-
schen Republik gehört. Auch jetzt macht es wenig ben wir als deutscher Westen für Berlin noch lange
Eindruck auf uns, die Pferde der trojanischen Ka- nicht das geleistet, was zu leisten unsere Auf-
vallerie galoppieren zu hören. Aber, meine Damen gabe ist.
und Herren, seien Sie sich darüber im klaren, daß (Sehr wahr!)
der Versuch, eine nationale Front zu errichten,- auf
der Grundlage der geistigen und politischen Ver- Man darf doch nicht vergessen, daß man den
wüstung von fast eineinhalb Jahrzehnten eine ge- Kampf der Berliner nicht für die deutsche Bundes-
fährlichere Bedrohung ist. Nicht die sozialrevolu- republik zu Buche schreiben und dann, wenn
tionäre, sondern die nationalrevolutionäre Parole eigene kleinere Interessen auf dem Spiel stehen,
des Ostens kann heute eine Gefahr für die deut- Berlins Lebensnotwendigkeiten irgend etwas ver-
sche Einheit und für die werdende Bundesrepublik weigern kann. Berlin hat den Willen, Produktions-
bilden. stätte und Steuerzahler zu werden. Aber um die-
(Sehr richtig! bei der SPD.) sen Willen zu realisieren, brauchen wir eine an-
Wir sind in einer Situation, in der das deutsche dere Linie der Wirtschaftspolitik, zum Teil auch
Volk bereits wieder soweit ist, auch große soziale die Einlösung von Versprechungen, die in diesem
Versager als Heizstoff für einen neuen Nationalis- Frühsommer von einem Herrn der Bundesregie-
mus und für einen Neofaschismus zu verwerten. rung in Berlin gemacht worden sind.
(Sehr richtig! bei der SPD.) (Sehr gut! bei der SPD.)
Dieser Gefahr muß entgegengetreten werden. Mögen nun viele Leute diesen Zustand der Spal-
Wenn übrigens die Herren von der Kommunisti- tung Deutschlands für relativ und vorübergehend
schen Partei die Freundlichkeit hatten, kürzlich bei zufriedenstellend erachten, wir Sozialdemokraten
der Wahl des Bundespräsidenten ihre Stimme für können das nicht. Die Frage der deutschen Einheit
mich abzugeben, so möchte ich sie auf einen pein- kommt hinein in jede andere politische Frage, die
lichen Gegensatz aufmerksam machen. Im Osten Deutschland berührt. Diese Frage kommt nicht
wird noch strikte die Parole befolgt, und ihre Nicht- mehr von der Tagesordnung. Wir können nieman-
befolgung füllt auch heute noch die Konzentrations- den als einen Freund des deutschen Volkes emp-
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(Dr. Schumacher)
finden, dessen praktische Politik die deutsche Ein- Begrüßenswert war ohne Zweifel das Denken
heit auf der demokratischen Grundlage verweigert an die Kriegsbeschädigten, aber etwas mehr Kon-
und behindert. kretisierung wäre wohl nötig gewesen.
(Sehr gut! bei der SPD.) (Sehr richtig! bei der SPD.)
Wir können uns auch nicht damit einverstanden 1945 ist das als soziale Leistung beachtliche Reichs-
erklären, daß die deutsche Einheit zum Agitations versorgungsgesetz durch einen Federstrich der
objekt oder zum Agitationsinstrument einer poli Alliierten, die damit wohl praktischen Antimilita-
tischen Richtung gemacht wird. Wir wünschen, daß rismus zu betreiben vermeinten, außer Kraft gesetzt
bei aller Verschiedenheit der Auffassungen sozia worden. Es wäre eine gute Sache, wenn die Bun-
ler, politischer und kultureller Natur die Ange desregierung sich entschließen könnte, ein neues,
legenheit der deutschen Einheit überall in Deutsch den geänderten Verhältnissen angepaßtes Reichs-
land die Angelegenheit der gleichen Herzenswärme versorgungsgesetz für die Schwerbeschädigten des
und der gleichen politischen Entschiedenheit wird. Krieges und für die Kriegerhinterbliebenen anzu-
(Beifall links und in der Mitte.) kündigen.
Wenn der Herr Bundeskanzler gestern mit Recht (Sehr richtig bei der SPD.)
der dankenswerten Arbeit ausländischer und in- Denn das Problem bei diesen so schmerzlich Ge-
ländischer Organisationen seine Achtung zollte, schlagenen ist doch, diese jungen Menschen heran-
dann begrüßen wir das. Wir hätten aber ge- zuholen an das Leben und heranzuholen an den
wünscht, daß der Herr Bundeskanzler bei diesem Staat.
Dank nicht nur so in den Vorstellungen seiner (Bravo! bei der SPD.)
eigenen Welt steckengeblieben wäre.
(Sehr gut! links.) Dazu gehört freilich eine Gesinnung warmer Ka-
meradschaft, die über die finanz- und gesetzes-
Ich habe dabei an die Arbeiterwohlfahrt und ihre technischen Manipulationen hinausgehen muß.
Leistungen denken müssen,
(Beifall bei der SPD.)
.

(Beifall bei der SPD)


ich habe an das grandiose Hilfswerk ausländischer Dagegen kann eine Unterlassung nicht unwider-
Arbeiterorganisationen denken müssen, sprochen bleiben: die deutschen Kräfte des Wider-
(Sehr gut! bei der SPD) standes und die deutschen Opfer des Faschismus
gehören doch zu den wenigen außenpolitischen
und ich habe auch an die Quäker, die Mennoniten Aktiven des deutschen Volkes und der deutschen
und Juden und ihre Hilfsorganisationen denken Außenpolitik.
müssen.
(Sehr richtig! bei der SPD.)
(Beifall links.)
Es mag dem Wesen der Politik entsprechen, geg- Von diesen Menschen ist gestern gar kein Wort
nerische Leistungen relativ gering einzuschätzen, gesagt worden. Man kann nicht gegen den Na-
und man kann es nicht übelnehmen, wenn sich zismus sein, ohne der Opfer des Nazismus zu ge-
die Gegner nicht zu gegenseitigen Propagandisten denken.
ihrer Leistungen machen; aber daß man beispiels- (Sehr gut! links.)
weise über den Kampf der deutschen Sozialdemo- Man kann sich nicht für die Hilfeleistung für ein-
kratie um die deutschen Kriegsgefangenen so ein- zelne Kategorien erwärmen — sie mögen noch so
fach hinweggegangen ist, nötig sein —, wenn man die Opfer des Nazismus
(Sehr richtig! bei der SPD) in einer selbstgewählten Rangordnung hinter die
Rechte anderer zurückstellt.
das ist auch nationalpolitisch von uns als nicht (Sehr gut! links.)
erfreulich empfunden worden.
Zu matt und zu schwach ist gewesen, was ge-
(Sehr wahr! bei der SPD.) stern die Regierungserklärung über die Juden und
Wir Sozialdemokraten danken von ganzem Her- über die furchtbare Tragödie der Juden im Drit-
zen für die ungeheure Leistung des amerikani- ten Reich gesagt hat. Resignierte Feststellungen
schen Volkes und des im amerikanischen- Staats- und der Ton des Bedauerns helfen hier nichts. Es
wesen organisierten amerikanischen Steuerzahlers ist nicht nur die Pflicht der internationalen Sozia-
n das deutsche Volk. Aber sogar für amerikani- listen, sondern es ist die Pflicht jedes deutschen
sche Ohren wäre gestern der Dank eindringlicher Patrioten, das Geschick der deutschen und der eu-
gewesen, wenn nicht die Tatsache einfach ignoriert ropäischen Juden in den Vordergrund zu stellen
worden wäre, daß auch der britische Steuerzahler und die Hilfe zu bieten, die dort notwendig ist.
und das englische Volk ohne Unterschied der Par-
(Beifall bei der SPD.)
teien und unter eigenen Opfern und Entbehrungen
Großes für das hilfsbedürftige deutsche Volk ge- Die Hitlerbarbarei hat das deutsche Volk durch
leistet hat. Ausrottung von sechs Millionen jüdischer Men-
(Beifall bei der SPD.) schen entehrt. An den Folgen dieser Entehrung
Ich bin zu meinem Bedauern gezwungen festzu- werden wir unabsehbare Zeiten zu tragen haben.
stellen, daß sehr viele Menschen im Ausland sehr Von 600 000 deutschen Juden leben heute im Ge-
viel mehr Verständnis für die sozialen Nöte der biet aller vier Zonen nur 30 000, meist ältere und
Deutschen gezeigt haben als mancher Deutsche. kranke Personen. Auch sie erleben immer wieder
beschämende und entwürdigende Vorfälle. In
(Sehr wahr! bei der SPD.) Deutschland sollte keine politische Richtung ver-
Es ist schmerzlich, aber es muß gesagt werden, gessen, daß jeder Nationalismus antisemitisch
daß die deutsche Sozialdemokratie nun einmal wirkt und jeder Antisemitismus nationalistisch
nicht in der Lage ist, einen Dank an die deutschen wirkt. Das bedeutet nämlich die freiwillige
Hortungsewilazpchn. Selbstisolierung Deutschlands in der Welt.
(Beifall und Heiterkeit bei der SPD.) (Zustimmung bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 37
(Dr. Schumacher)
Antisemitismus ist das Nichtwissen von den gro- ist doch ein Lastenausgleich, der weitgehend zu
ßen Beiträgen der deutschen Juden zur deutschen einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse und
Wirtschaft, zum deutschen Geistesleben und zur vor allem zu einer Veränderung der Einkom-
deutschen Kultur und bei der Erkämpfung der mensverhältnisse beiträgt. Ich glaube nicht, daß
deutschen Freiheit und der deutschen Demokratie. man mit der heutigen sozialen Graduierung der
Das deutsche Volk stände heute besser da, wenn Bevölkerung einen neuen lebensfähigen demokra-
es diese Kräfte des jüdischen Geistes und der jü- tischen Staat aufbauen kann. Wir haben jetzt ge-
dischen Wirtschaftspotenz bei dem Aufbau eines sehen, daß wir heute schon Reallöhne haben, die
neuen Deutschlands in seinen Reihen haben würde. unter den anderen Reallöhnen Europas liegen, was
(Beifall bei der SPD.) man bei den Realgewinnen der meisten Sachwert-
Nun ist durch den Vorgang der internationalen besitzer nicht sagen kann. Wir haben eine weitere
Abwertung eine neue Erschwerung eingetreten. Bedrohung der Reallöhne im kommenden Winter
Man hat den Eindruck, als ob man in Deutschland durch die Ankündigung der Aufhebung der rest-
und vielleicht auch sonst mancherorts nicht ganz lichen Bewirtschaftung, die sich vor allem
begreift, daß sich hier ein Schicksal zu vollenden bei der Bildung der Lebensmittelpreise und der
beginnt, das seit Jahrzehnten vorbereitet ist, her- Mieten geltend machen würde. In diese Situation
vorgerufen durch eine andere Verteilung der in- der geschwächten sozialen Position der arbeiten-
dustriellen Produktion, durch die Tatsache, daß den Menschen in Deutschland tritt nun die Abwer-
die anderen Kontinente, die früher Rohstoffe und tung. Wir sollten soviel Respekt vor den Tatsa-
Lebensmittel lieferten, heute selbst industriali- chen und der Ehrlichkeit haben, um zu sagen, daß
siert sind und damit das Ganze in Europa in eine eine Reihe von Trostpillen der letzten Tage nicht
besondere, geschwächte handelspolitische Situation aus guten Chemikalien gemacht worden ist. Die
gebracht haben. Diese überholte politische und radikale Trennung des äußeren valutarischen Wer-
ökonomische Struktur Europas ist der Grund der tes der D Mark von dem inneren Kaufkraftwert
-

Wehrlosigkeit, bei der die endgültige Heilung auch ist nicht vollständig, sondern nur recht beschränkt
durch große Dollartransfusionen nicht gebracht möglich; und selbst das auch nur dann, wenn be-
werden kann, so notwendig sie sind, um das Leben sondere Regierungsmaßnahmen eingeleitet wer-
für die nächste Zeit zu erhalten. den.
Wir sind, nachdem wir jetzt mehrere Jahre im (Sehr wahr! bei der SPD.)
toten Winkel lagen, auch in die europäische Wirt- Das gilt vor allen Dingen für die Preispolitik.
schaftsgemeinschaft hineingezogen worden, und der Man kann nicht das Volk auffordern zu sparen bei
erste Ausdruck war das Hineingezogenwerden — — steigenden Preisen. Spartätigkeit ist nur bei
(Zurufe von der CDU: Denken Sie an die festen oder möglichst sogar rückläufigen Preisen
sozialistischen Experimente Englands!) möglich. Man kann nicht diese Wirtschaftspolitik
betreiben und dann mit der anerkennenswert
Nein, Sie haben meine drei letzten Sätze nicht offenen, aber noch nicht die ganze Schwere auf-
verstanden. Lernen Sie sie bitte bis morgen aus- zeigenden Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers
wendig. weitergehen, die von „geringfügigen Veränderun-
(Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe.) gen im Lohn- und Preisgebäude" spricht. Ge-
Dieses Hineingezogenwerden hat sich jetzt zum ringfügig werden die Veränderungen nicht sein,
erstenmal bei der Abwertung geltend gemacht. wenn nicht staatliche Hilfe kommt. Aber die Mög-
Nun werden wohl Parallelen notwendig sein, Pa- lichkeiten der staatlichen Hilfe, besonders in der
rallelen über Gebiete, die eben auch der Zwischen- Form einer positiven Preispolitik, sind ja durch
ruf angedeutet hat und wo Sachkenntnis durch- die letzten 15 Monate deutscher Wirtschaftspolitik
aus heilend wirken könnte. zerschlagen worden.
(Sehr gut! bei der SPD. — Zuruf rechts: (Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf rechts.)
Hoffentlich!) — Die bessere Position Großbritanniens besteht
jetzt eben darin, daß es ein funktionierendes Sy-
Man braucht bloß die besondere Situation Groß-
britanniens und seine Möglichkeit, den inneren stem der Planwirtschaft
lohnpolitischen und preispolitischen Konsequenzen (große Heiterkeit rechts)
der Abwertung zu begegnen, mit der besonderen mit Investitionslenkung hat.
Situation Deutschlands zu vergleichen. Über den (Erneute große Heiterkeit und Zuruf rechts:
Rahmen der Anteilnahme am Verlust des Krieges Deshalb die Abwertung!)
hinaus sind breite Massen des deutschen Volkes - Meine Herren, Sie haben anscheinend von Plan-
heute gegenüber diesem Ereignis wehrloser als die wirtschaft und Investitionslenkung nur in den
arbeitenden Menschen irgendeines anderen euro- Formen wahlpropagandistischer Formulierungen
päischen Volkes. Und weswegen sind sie wehr- gelesen.
loser? Weil ihre soziale Polsterung durch die Ge- (Unruhe. — Abg. Dr. Freiherr von Rechenberg:
ringfügigkeit der Reallöhne und durch die Einsei- Die haben uns die Nazis vorgemacht!)
tigkeit bei der Währungsreform und den hinter- — Verzeihung, S i e waren doch zum großen Teil
triebenen Lastenausgleich sehr viel schlechter ist Nazis, und nicht Großbritannien, wenn ich mich
als bei irgendeinem Volk in Europa. Wenn der recht erinnere.
Bundeskanzler erklärt, nur eine blühende Wirt- (Lebhafter Beifall und Händeklatschen bei
schaft könne die Belastung aus dem Lastenaus- der SPD. — Unruhe und erregte Zurufe
gleich tragen, dann werden wir daraus folgern rechts: Unverschämtheit! Ordnungsruf! —
müssen, daß man in den entsprechenden Kreisen Glocke des Präsidenten.)
der Regierung den radikalen endgültigen Lasten-
ausgleich nicht gerade mit heißem Herzen will. Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Dr.
Das bedeutet die Verschiebung des Lastenaus- Schumacher, ich möchte Sie fragen: habe ich Sie
gleichs. Der Lastenausgleich, der notwendig ist, richtig verstanden, daß Sie eben zu einem Teil des
38 Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. B onn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Präsident Dr. Köhler)
Hauses gesagt haben: Sie waren Nazis, und doch Dr. Schumacher (SPD): Dann möchte ich feststel-
nicht Großbritannien! len, daß der Verlauf — —
Dr. Schumacher (SPD): Ein großer Teil, habe ich (Weitere Unruhe und Zurufe links. —
gesagt. Abg. Reimann: Sie glauben wohl, Herr
Köhler, Sie sind im Wirtschaftsrat?)
(Lebhafte Pfuirufe in der Mitte und rechts. —
Abg. Renner: Herr Präsident, kennen Sie nicht — Ich möchte feststellen, daß der Verlauf der
den Fragebogen verschiedener Abgeordneter? Sitzung
— Unruhe.) (Abg. Reimann: Das ist doch unerhört!)
ein reichlich unregulierter gewesen ist und daß es
Präsident Dr. Köhler: Herr Abgeordneter Schu- die Herren von der anderen Seite des Hauses für
macher, ich glaube, es dient dem ruhigen Ab- angemessen gehalten haben, permanent durch
lauf — — Randalieren und ungezügelte Zwischenrufe einen
(Zuruf rechts: Preußische Arroganz ist das! geordneten Ablauf der Debatte zu verhindern.
Weitere Zurufe.) Nun kommen wir aber wieder zur Sache! Ich
— Lassen Sie mich doch bitte ausreden. Herr Ab- möchte den Herren nicht die Gelegenheit nehmen,
geordneter Dr. Schumacher, ich möchte Sie darauf auch etwas zu lernen.
hinweisen — — (Lachen und Zurufe rechts.)
(Zurufe links.) Gerade der geringe Reallohn hat die deutsche
- Meine Damen und Herren, ich spreche jetzt und Wirtschaft und die arbeitenden Menschen in Deutsch-
bitte, mich nicht zu unterbrechen und diese Zwi- land gegen eine neuerliche Bedrohung besonders
schenrufe beizulegen. empfindlich gemacht. Es wäre gut, wenn sich alle
Kreise des Volkes dazu verstehen könnten, die
(Abg. Renner: Von wegen!) Quote der Abwertung geringer zu nehmen, als et-
Herr Abgeordneter Dr. Schumacher, Sie haben wa vom Gesichtspunkt interessierter Kreise von
einem Teil des Hauses den Vorwurf gemacht, es Importeuren und Exporteuren wünschenswert er-
seien Nazis. scheint. Großbritannien hat jetzt die Chance, die
(Abg. Reimann: Mit Recht!) Lohn-Preis-Spirale weitgehend zu vermeiden. Die
Ich mache darauf aufmerksam, daß diese Frage deutsche Chance ist gerade auf Grund der Frank-
durch die Entnazifizierungsgesetze — furter Wirtschaftspolitik eine sehr viel geringere.
Wir haben weiter in der Regierungserklärung
(große Heiterkeit bei der KPD und der
die Feststellung vermißt, daß in Deutschland nicht
SPD. — Zuruf: Sie waren es doch!)
nur binnenwirtschaftlich bestimmte Preise vor-
in juristischer Beziehung als erledigt gelten muß. handen sind, sondern auch Preise, welche von Le-
Es wird die Aussprache hier erschweren, wenn bensmitteln und Textilrohstoffen herrühren, die
derartige Kennzeichnungen erfolgen. Ich darf da- von außen eingeführt werden und darum in jedem
her, Herr Dr. Schumacher, an Sie appellieren, Fall auf die Lebenshaltung der Konsumenten ein-
diese Ausdrücke nicht zu wiederholen. wirken. Wir hätten gern gehört, was zur Abwehr
der schlimmen Konsequenzen dieser einfuhrab-
Dr. Schumacher (SPD): Ich akzeptiere selbstver- hängigen Preise getan wird. Wir hätten gern ver-
ständlich die Richtlinien des Herrn Präsidenten. nommen, wie die Dinge bei der Versorgung der
Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, daß minderbemittelten Schichten mit Brot und den
in diesem nicht sehr sinnvollen Zusammenhang sonstigen wichtigsten Lebensmitteln aussehen sol-
die Einführung des Begriffs Nazis durch Zwischen- len. Wir hätten gern etwas über ein Subventions-
rufe von jener Seite des Hauses (nach rechts) ge- programm gerade auf diesen Gebieten gehört.
schehen ist. Vielleicht können wir uns besser eini-
gen, wenn sich die Herren einmal dahin konzen- (Sehr gut! bei der SPD.)
trieren würden zu erkennen: erstens, daß wir vor Denn Sie können doch nicht glauben, daß das
Ihnen keine Angst haben, Schicksal der armen Leute immer tiefer herabge-
(Sehr wahr! bei der SPD. — Zurufe rechts) drückt werden kann und nicht nur der Reallohn,
sondern auch die Realrente im Uferlosen ver-
und zweitens, daß zu einer demokratischen Aus- schwindet.
einandersetzung auch eine gewisse Selbstzucht der (Sehr richtig! bei der SPD.)
Zuhörer gehört.
Nun, werte Abgeordnete, haben wir ja gewisse
(Beifall und Händeklatschen bei der SPD. — Reserven; wir haben gewisse Möglichkeiten, hier
Große Unruhe und Erregung rechts. Zuruf:
einzugreifen. Das ist die aktive Preispolitik. Das
Keine Beleidigungen, Herr Abgeordneter! —
ist der Kampf um die Minderung der Besatzungs-
Glocke des Präsidenten.)
kosten. Das ist ein mehr wirtschaftlicher Einkauf
Präsident Dr. Köhler: Herr Dr. Schumacher, ich von ausländischen Lebensmitteln.
muß Sie noch einmal unterbrechen. Es geht nicht (Sehr gut! bei der SPD.)
an, hier festzustellen, daß unter den Parteien des Dann gibt es die Chance einer zusätzlichen Aus-
Hauses etwa irgendeine Angst der einen oder der landshilfe auf dem Gebiet der Hilfe für die Flücht-
anderen wegen der Auseinandersetzung besteht. linge und Heimatvertriebenen.
Hier haben alle Fraktionen dasselbe Recht. Ich muß Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen,
deshalb diese Feststellung energisch zurückweisen nämlich die Wiederaufnahme der eigenen Han-
und bitte Sie, mir nicht noch einmal Gelegenheit delsschiffahrt. Sie dient zur Gewinnung von De-
zu geben, zu anderen Formen der Zurechtweisung visen und zur Entlastung der Zahlungsbilanz. Wir
zu schreiten. haben heute 25% der Marshallplangelder für See-
(Händeklatschen rechts. — Unruhe und transporte der deutschen Importe aufzuwenden.
Zuruf links: Unerhört!) (Hört! Hört! bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 39
(Dr. Schumacher)
Ich möchte die Aufmerksamkeit der Bundesre- Wir hätten gern gehört, wie der Ausnützung
gierung darauf lenken, daß jetzt die Gelegenheit einer rein privatwirtschaftlich aufgefaßten Kon-
ist, die Serien von Fischerei- und Frachtschiffen ejntugkrwdsol.Nach
freizubekommen, deren Größenklassen in London Kriegs-, Inflations-, Hortungs- und Demontage-
beschlossen worden sind. gewinnlern droht uns doch jetzt die Gefahr der
Nun, werte Abgeordnete, wir haben heute einen Wiederaufbaugewinnler.
Staat, den wir Sozialdemokraten als einen Staat (Zustimmung bei der SPD.)
der überwiegenden sozialen Restauration anse- Vielleicht können wir im Verlauf der Aussprache
hen. Wir haben einen Staat, von dem wir be- erfahren, welche Maßnahmen die Bundesregierung
fürchten, daß seine Führung, unter Ausnutzung dagegen anzuwenden bereit ist. Die Sozialisierung
gewisser Vorschriften des Grundgesetzes, gar zu ist ja nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein
leicht in Versuchung kommt, die Volksmassen als politisches Problem. Geld kann in einer funktio-
Objekte zu behandeln. Demgegenüber haben wir nierenden Demokratie, und gerade nach den Er-
unseren positiven sozialdemokratischen Gestal- fahrungen Deutschlands, auf dem Boden unseres
tungswillen auf allen Gebieten der Politik zu Landes nicht die entscheidende politische Macht
setzen. Zu dem gehören der Lastenausgleich und sein. Unser Volk erträgt das nicht, und die Idee
die Sozialisierung, die auch durch das Wahlergeb- und die Praxis europäischer Friedenspolitik ertra-
nis nicht von der Tagesordnung verschwunden ist. gen das auch nicht.
Wir hätten gern gewußt, wie dieser einsame, in
(Sehr richtig! bei der SPD.)
der Regierungserklärung so fremd dastehende Satz
von der Änderung der Besitzverhältnisse in den Man wird also auch mit den geheiligten Prinzipien
Schwerindustrien zu verstehen ist. des Eigentums in Auseinandersetzungen kommen,
in einem Ausmaß, das bisher nicht gekannt wor-
(Lebhafter Beifall bei der SPD.)
den ist. Das wirtschaftspolitische Bild gerade des
Deutlicher wäre es schon gewesen, wenn der Herr letzten Dreivierteljahres war durch eine Fülle von
Bundeskanzler von Eigentumsverhältnissen ge- falschen Prognosen und Prophezeiungen be-
sprochen hätte, herrscht. Man kommt aber in keinem Falle, man
(Sehr wahr! bei der SPD) möge von einer Auffassung ausgehen wie immer,
und am allerdeutlichsten, wenn er sich erklärt an der Tatsache vorbei, daß es die Einkommens-
hätte. wie er das nun eigentlich mit der Änderung entwicklung ist, die den Markt bestimmt, und zwar
der Besitzverhältnisse meint. Vielleicht eine Re- die Einkommensentwicklung der breiten Massen.
stauration der Besitzverhältnisse der alten Eigen- Bei schrumpfendem Sozialprodukt und zurückge-
tümer? Oder eine irgendwie abgeblaßte Form einer hendem Reallohn bei steigender Arbeitslosigkeit
Ersatzsozialisierung? Oder bestimmte Formen der ist die notwendige Konjunkturwende nicht mög-
fremden Kapitalbeteiligung? Ich habe hier eine lich.
katholische Tageszeitung der Schweiz, die „Neuen Wir haben in den letzten Monaten eine große
Zürcher Nachrichten". Da spricht der Herr Bun- Diskussion über zusätzliche Kredit- und Geld-
deskanzler über die Ruhrindustrie und über die schöpfung gehört. Ich möchte bei dieser Gelegen-
Notwendigkeit. sie mit Kredithilfe zu moderni- heit sagen, daß die orthodoxe Geldpolitik der
sieren. Er meint dazu: „Hier eröffnet sich die Bank deutscher Länder uns ein Hemmnis für un-
Möglichkeit einer ausländischen und damit franzö- sere wirtschaftliche Entwicklung zu sein scheint.
sischen Kapitalbeteiligung," (Sehr richtig! bei der SPD.)
(Hört! Hört! bei der SPD)
Nicht nur die personelle Besetzung in der Leitung,
„die nicht nur wirtschaftlichen Nutzen, sondern sondern auch die Organisation der Bank deutscher
wichtige Voraussetzungen für erhöhte Sicherheit Länder erscheint uns nicht geeignet, die deutsche
mit sich bringen wird." Volkswirtschaft zu fördern.
(Aha! bei der SPD.) Man sollte sich auch hüten, in Berechnungen für
Darüber hätten wir gern Genaueres vernommen. die Zukunft große Beträge freiwilliger Auslands-
Wir hätten auch gern gehört, wie das mit der hilfen einzusetzen. Wir haben, glaube ich, gewisse
Gründe zu der Befürchtung, daß die ausländischen
großen Politik der Wirtschaft ist, nämlich mit der
Beiträge kaum größer sein werden als das eigene
Arbeitsbeschaffung. Die Politik der Vollbeschäfti-
gung ist unlöslich mit jeder positiven Politik für deutsche Aufkommen.
Flüchtlinge und für den Wohnungsbau verbunden. (Sehr wahr! bei der SPD.)
(Sehr gut! bei der SPD.) Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist die Erhöhung
des Produktionsvolumens, grob geschätzt um zu-
Es ist nicht möglich, diese Dinge aus dem großen sätzlich ein Drittel der vorhandenen Produktion in
ökonomischen Komplex herauszunehmen. Eins ist Landwirtschaft, Industrie und Handwerk. Aber
vom anderen abhängig. Und auch die wichtigsten man kann ein solches Produktionsvolumen erfolg-
Probleme sind nur Teiläußerungen des kardinalen reich nur erhöhen, wenn die Senkung der Preise
Problems der Vollbeschäftigung. parallel geht. Das ist nur durch Konzentration der
(Sehr richtig! bei der SPD.) wirtschaftlichen Kräfte und der Rationalisierungs-
potenzen auf Massengüter möglich. Wenn nicht die
Auch da vergleichen Sie bitte einmal Großbritan- Preise gleichzeitig zurückgehen, würde die Erhö-
nien und das Deutschland der Frankfurter Wirt- hung des Produktionsvolumens nur zu einer über-
schaftspolitik. großen Lagerbildung mangels Kaufkraft führen.
(Sehr wahr! bei der SPD.) Zur Landwirtschaft gewandt möchte ich sagen:
Man kann nicht bauen und man kann den Flücht- auch hier fehlt manches. Ich bin nicht ungerecht ge-
lingen und den Armen nicht helfen ohne Planung nug, um die Fülle der Probleme in einer einzigen,
und Kontrolle. knapp anderthalbstündigen Regierungsdeklaration
40 Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Dr. Schumacher)
wiedergegeben zu sehen. Aber gewisse Linien soll- kanzlers soll die Regierung erinnert werden von
ten aufgezeigt werden — und nicht nur die negati- der Wiege bis zum Grabe.
ven Linien der Aufhebung der Bewirtschaftung (Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD.)
auch bei den Gütern, bei denen jetzt bei der Ab- Die Sozialdemokratische Partei hat der deutschen
wertung die Preise festgehalten werden müssen, Öffentlichkeit ihren Plan A: Bau von einer Million
wenn nicht das ganze Lohngebäude zusammenstür- Wohnungen in vier Jahren, vorgelegt. Und ich
zen soll. Die Landwirtschaft hat noch andere Pro- möchte bei dieser Gelegenheit noch auf eine Reihe
bleme. Wir haben immer noch nicht eine einheit- anderer Projekte insbesondere kommunaler Ver-
liche Bodenreform. Die Flurbereinigung ist noch einigungen, die durchaus beachtenswert sind, hin-
nicht verwirklicht. Wir haben wenig vom Ansiedeln weisen.
ostvertriebener Bauern auf ausgelaufenen Höfen
gesehen. Man kann die Wohnungsfrage nicht von der
(Sehr wahr! bei der SPD.) Frage der Vertriebenen trennen. Das Schicksal der
Vertriebenen ist von der Existenz einer Bundes-
Wir haben auch noch das Problem der Importkasse finanzhoheit abhängig. Die Länder werden dieses
positiv zu gestalten. Problem nicht lösen können. Ich warne vor einer
Das Problem der Erholung unserer Volkswirt- Politik, bei der von den Gemeinden her die Länder
schaft ist die Hebung der Massenkaufkraft durch Probleme aufnehmen, sie an den Bund weiterschie-
Preisverbilligung, Lohnerhöhung und völlige Ab- ben und der Bund sie dann der internationalen
kehr von der Produktion von Luxusgütern. Aber Hilfe empfiehlt. Internationale Hilfe ist not; aber
dazu ist Planung in der Reihenfolge der Wichtig- es gibt auch eine deutsche Gesamthaftung gegen-
keit der Güter nötig. Davon soll die Reihenfolge der über den Vertriebenen.
Kredite abhängen, die zur Verfügung gestellt wer- (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und
den. Die Sicherung der Kreditverwendung erfordert der KPD.)
jedoch ihrerseits wieder eine Kontrolle; sonst kom-
men wir nach den Erfahrungen der letzten 15 Mo- Kein Mensch wird uns einreden können, daß für
nate nur zur Schaffung zusätzlicher Anlagekapazi- die Vertriebenen das getan worden ist, was hätte
täten, die keinen volkswirtschaftlichen Nutzen brin- getan werden können. Ich warne auch davor, dieser
gen. großen Aufgabe der wirtschaftlichen und gesell-
(Sehr richtig! bei der SPD.) schaftlichen Einsiedlung der Vertriebenen in unser
Volksleben mit dem Hinweis auf die Oder-Neiße
Ich kann wegen der vorgeschrittenen Zeit ein sol- Linie auszuweichen. Man kann gegen die Oder
ches Kreditprogramm und eine solche Skala der Neiße-Linie nur angehen, wenn man vorher in un-
Reihenfolge im einzelnen nicht entwickeln. Zur serem Land seine soziale und menschliche Pflicht
Preispolitik muß gesagt werden, daß schlimmer als gegenüber den Vertriebenen getan hat.
jedes Preisdiktat irgendeiner noch so verabscheu-
ungswürdig geschilderten Bürokratie sich die Preis- (Beifall bei der SPD. — Zurufe.)
diktatur auf der Grundlage der Verabredung der Ein kritisches Wort ist zur Kreditversorgung der
großen Warenbesitzer und Produzenten ausgewirkt Flüchtlingsbetriebe zu sagen. Dem Ausland ist zu
hat. Die heutige Wirtschaftspolitik — so fürchte sagen, daß die jetzige Behandlung der Demontage-
ich — zielt aber nach unseren Erfahrungen auf Er- frage die Lösung des Flüchtlingsproblems außer-
haltung der monopolwirtschaftlichen Elemente ab, ordentlich erschwert.
und ich sehe die Gefahr der Entstehung neuer Mo- (Sehr richtig! links.)
nopole und Kartelle. Die Vertriebenen selbst werden freilich nicht als
(Zuruf in der Mitte: Sie werden sich isolierter Faktor ihre Wünsche durchsetzen können.
wundern!) Sie werden Bestandteile der deutschen Parteien und
— Das muß ja dann meine Sache sein! des deutschen politischen Lebens sein müssen. Eine
Hinwendung der Vertriebenen zum Rechtsradikalis-
Die Belebung des Baumarktes darf auch nicht in mus würde eine Abwendung von der sozialen Re-
erster Linie auf eine Politik des Anreizes des pri- alität zur nationalistischen Illusion bedeuten. Frei-
vaten Kapitals umgedrängt werden, wenn die Er- zügigkeit, Finanzausgleich zwischen den Ländern in
gebnisse der Bautätigkeit für die Mieter erträglich der Flüchtlingsfrage und Konzentration aller Kräfte
sein sollen. -
auf ein Problem, das wirklich ein deutsches Natio-
(Sehr richtig! bei der SPD.) nalproblem ist, das tut in dieser Frage not.
Der Wohnungsbau, der in erster Linie zu fördern Sicher haben Sie von der sozialdemokratischen
ist, ist der soziale Wohnungsbau. Entschließung in Dürkheim gehört. Sie haben die
16 Punkte kritisch würdigen können. Sie mögen
(Zustimmung bei der SPD.) ihnen im einzelnen zustimmen oder sie ablehnen —
Auch der Bau gewerblicher Einrichtungen hat in sie sind ein immanenter Bestandteil der Tätigkeit
den meisten Fällen hinter diesen sozialen Woh- der Sozialdemokratie als einer Oppositionspartei im
nungsbau zurückzutreten. Der gewerbliche Woh- neuen deutschen Staatswesen. Aber nicht geringer
nungsbau ist durch die bisherige Steuerpolitik und ist die wirtschaftspolitische und soziale Bedeutung
durch die Möglichkeit der Kompensation in der in- des gewerkschaftlichen Programms.
flatorischen Periode unserer jüngsten Vergangen- (Zuruf rechts.)
heit schon genügend gefördert worden. Nun haben
wir die Ankündigung einer solchen Wohnungsbau- Das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter erschöpft
politik, wie sie der Herr Bundeskanzler gestern sich für uns nicht in der Mitbestimmung im Be-
ausgesprochen hat. Aber er hat, bevor er Regie- trieb, sondern involviert die Mitbestimmung im
rungschef wurde, noch ein anderes Wort ausgespro- deutschen Wirtschaftsleben.
chen; er hat nämlich gesagt, daß die Bundesregie- (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf
rung jedem Deutschen ein Heim schaffen werde. rechts.)
Nun, die Frankfurter Wirtschaftspolitik hat ja auch
auf diesem Gebiet einen andern Weg eingeschlagen; Ich glaube, wenn wir einen Beitrag für die deutsche
aber an dieses Wort des jetzigen Herrn Bundes Einheit leisten wollen, dann sollten wir in der Linie
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 41
(Dr. Schumacher)
der sozialen Geltung und der ökonomischen Mitbe- auf das nackte Dasein das erste aller Rechte und
stimmung der arbeitenden Massen operieren. Ich steht weit vor dem gestern sorgfältig verschwie-
kann hier im einzelnen nicht das große sozialpoliti- genen Elternrecht. Ich glaube, ich kann eine Per-
sche Programm der Gewerkschaften aufzählen, das sönlichkeit zitieren, deren sittliche und religiöse
wohl in allen Punkten von der Sozialdemokratie Bedeutung auch vom Streit verschiedener Anschau-
vertreten wird; aber ich muß Ihnen sagen: wenn ungen nicht ergriffen werden kann. Ich meine Ma-
Sie für die deutsche Einheit sind, dann machen Sie hatma Gandhi, der sagte: „Den Armen erscheint
den deutschen Westen auch sozial und hinsichtlich Gott in der Gestalt von Brot."
der Geltung des arbeitenden Menschen zum Ma- (Sehr gut! bei der SPD.)
gneten! Wir. akzeptieren keine Regelung, die die Kon-
(Beifall bei der SPD.) junktur der Spaltung des deutschen Staatswesens
Die soziale Gestaltungskraft schafft die nationale ausnützt. Wir nehmen nur Regelungen an, die so
Einheit und das deutsche Staatsvolk, das Vertrauen getroffen sind, als ob sie für das ganze Deutschland
zu sich und seiner Zukunft in der Zusammenarbeit getroffen sind,
mit der Welt hat. (Bravorufe links)
Der Herr Bundeskanzler hat einen Teil seiner ge- und die die kulturellen und sozialen Wünsche und
strigen Ausführungen dem Verhältnis Deutschlands Überzeugungen des gesamten deutschen Volkes
zu den anderen Mächten gewidmet. Er hat aller- in allen vier Zonen ausdrücken.
dings keine Planung und keine Konzeption einer (Lebhafter Beifall links.)
vorwärtsschreitenden deutschen Außenpolitik ent- Wir haben bei der Prüfung des Verhältnisses zu
wickelt. anderen Ländern auch einiges über die Grenzen
Ich möchte gegenüber dem Besatzungsstatut sa gehört. Es ist an der Zeit, festzustellen, daß die
gen, daß mir sein größter Vorteil der zu sein Sozialdemokratische Partei 1945 längere Zeit die
scheint, daß seine baldige Revision in Aussicht einzige gewesen ist, die sich in Deutschland und
steht. vor der Weltöffentlichkeit gegen die Oder-Neiße
(Sehr wahr! links.)
Linie gewandt hat.
Ich würdige, daß der Ton dieses Dokumentes (Sehr richtig! bei der SPD. — Widerspruch
freundlicher ist als frühere. Ich erkenne durchaus in der Mitte.)
an, daß man mit diesem Besatzungsstatut operieren
kann. Schmerzlich empfinden wir aber den Mangel Aber, werte Versammlung, man kann nicht die
an konkreten Rechtsvorschriften in Rechten und Grenzprobleme einer Seite einseitig diskutieren.
Pflichten sowie die Arbeit mit noch sehr allgemei- Sogar die scheinbar kleineren Dinge der Grenz-
nen Generalformeln. korrekturen im Westen haben ihren bedeutsamen
Wir haben gestern auch nichts über die Ruhr- Wert über das Materielle hinaus, auch noch psy-
behörde gehört. Die Sozialdemokratische Partei hat chologisch-politisch. Ich meine, daß in keinem ein-
vom ersten Tag an erklärt, daß sie auf eine Um- zigen Fall durch solche Korrekturen ein so großer
wandlung der Ruhrbehörde tendiert, auf eine Um- Nutzen für einen anderen erzeugt werden kann,
wandlung, die keine Hindernisse in Sachen der So- daß er den Schaden aufwiegen könnte, der dem
zialisierung schafft, und die einen entscheidenden deutschen Volke in seinem Vertrauen gegenüber
Fehler aus der Welt schafft, nämlich den, daß in der internationalen Solidarität der Demokratie ent-
diesem Ruhrstatut alle möglichen materiellen Dinge steht. Wir haben das Gefühl: es ist in der Bezie-
geregelt sind, aber von den Menschen, die die hung der europäischen Völker untereinander zu-
Werte schaffen, nicht die Rede ist. viel von einem alten Anti-Europageist und zu we-
nig von dem Geist des wirklichen Neubaues
(Sehr gut! links.) „Europa", der allein uns die großen kontinental-
Wir empfinden es als einen schmerzlichen Mangel, ökonomischen und politischen Probleme bewältigen
daß im Ruhrstatut nicht die Geltung und das Ak- lassen kann.
tionsrecht der Gewerkschaften — sowohl der deut- Im Vordergrund der Aussprache steht jetzt das
schen wie der internationalen Gewerkschaften — Saargebiet. Trotz der Verfassung von 1947, über
eingebaut ist. die zu diskutieren wohl deutsches Interesse ist,
(Sehr gut! links.) - über die wir aber jetzt nicht diskutieren wollen,
Meine Damen und Herren, wir haben auch we- weil wir den Weg zur Verständigung nicht ver-
nig und nur abschließend ein oder zwei Sätze über sperren möchten, ist in dieser Saarfrage doch klar:
die Entwicklung der Kulturpolitik gehört. Wir ha- Der Wille des deutschen Volkes in seiner Gesamt-
ben mehr eine Generalformel vernommen. Nichts heit geht auf den politischen Verbleib des Saar-
haben wir von dem erfahren, was nach den Kämp- gebiets in Deutschland.
fen in Bonn und nach diesen Formen des Wahl- (Abg. Dr. Richter: Das haben Ihre Genos
kampfes zu vernehmen wohl durchaus notwendig sen im Saargebiet vergessen, Herr
ist. Es ist nicht möglich, sehr reale und veränder- Dr. Schumacher!)
liche Machtansprüche auf der Ebene zeitloser, ewig — Haben Sie dabei die Auseinandersetzung in
gültiger Sitten- und Glaubensgesetze durchzufech- München mit anderen Mächten im Auge?
ten. Wir müssen wissen, daß hier reale Wünsche
im Geiste gegenseitigen Entgegenkommens ausdis- (Erneute Zurufe.)
kutiert werden sollen. Aber uns macht besorgt, — Verzeihen Sie, diese SPS ist eine selbständige
daß man in letzter Zeit Formulierungen vernimmt, Partei, die nicht zur deutschen Sozialdemokratie
daß the christliche Sozialpolitik nur zur christlichen gehört. Sie haben ganz vergessen, daß die Saar-
Kulturpolitik gehöre, also ihr nachsteht. Nein, das regierung in erster Linie von einer Partei gebildet
soziale Element ist nicht irgendeinem anderen Ele- wird, die Ihnen näher steht als mir.
ment des menschlichen Zusammenlebens unterge- (Sehr gut! bei der SPD.)
ordnet. Nun, werte Abgeordnete, ich halte es nicht für
(Sehr richtig!) angebracht, mit dieser Methodik und auf dieser
Das soziale Element ist das ethische und das hu Ebene eine nationale Frage zu erörtern,
mane Element. Auch im Naturrecht ist das Recht (lebhafter Beifall bei der SPD)
42 Deutscher Bundestag - 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Dr. Schumacher)
bei der ich zwar nicht genau weiß, ob wir uns in Kriegshandlungen verteidigen, dann sind wir des-
vollem Umfang einig werden, aber bei der doch wegen doch nicht Nationalisten.
eine Einigung im Bereich des Möglichen und Er- (Sehr richtig! bei der SPD.)
strebbaren liegt. Die Schaffung eines selbständigen
Saarstaates und seine Vertretung im Europarat Man sollte es auch nicht auf die Ebene zu schie-
scheint mir ein bedrohliches Hemmnis für die Ent- ben versuchen, als ob die Deutschen bei dieser Ver-
wicklung der europäischen Zusammenarbeit zu teidigung den Versuch einer Kraftprobe mit den
sein. Wenn wir nämlich ein selbständiges Saar- Alliierten machen würden. Das ist eine Vergiftung
gebiet im Europarat tolerieren und — wie ich dies der Situation. Man sollte realistisch betrachten, um
aus den Worten des Herrn Bundeskanzlers heraus- welche Kapazitäten die Deutschen kämpfen. Es
zuhören vermeine — erst in Straßburg den Aus- sind doch nicht die Kapazitäten Hitler-Deutsch-
gleich dieser Frage diskutieren, haben wir ja be- lands, um die gerungen wird. Genau die 14 1/2 Mil-
reits eine vollendete Tatsache akzeptiert, lionen Produktionskapazität in der Stahlindustrie,
um die wir uns heute wehren, hatte Westdeutsch-
(Zustimmung bei der SPD) land — also die drei westlichen Zonen — in der
lie sehr schwer aus der Welt zu schaffen ist. Periode des sozialdemokratischen Kabinetts Her-
Grundsätzlich sollte die deutsche Außenpolitik mann Müller. Diese Diskussionsgrundlagen sollte
in allen diesen Fragen von der These ausgehen, daß man anerkennen. Man sollte auch akzeptieren, daß
man wegen der Eiligkeit eines Termins niemals wir zu der damaligen Bevölkerung 7 1/2 Millionen
materielle Dinge preisgeben sollte. Diese Eiligkeit Flüchtlinge zusätzlich haben. Man sollte einsehen,
ist ja wahrscheinlich auch eine fiktive. Die Sozial- daß die Größe des Wiederaufbaus, vor allem im
demokratie ist wegen ihrer Internationalität seit Wohnungsbau, auch einen außerordentlich starken
mehr als 80 Jahren angegriffen und meist sehr zu Stahlbedarf bedeutet. Schließlich sollte man uns
Unrecht angegriffen worden. Die Sozialdemokratie im europäischen Rahmen die Möglichkeit des Ex-
hat in einer Zeit, als keine andere Partei in ports von Stahl und Stahlwaren geben; denn wir
Deutschland das tat, nämlich in ihrem Heidelber- müssen schon aus der Bedrängnis unserer Lebens-
ger Programm von 1925, die Vereinigten Staaten mittellage heraus exportieren. Mit der Politik, wie
von Europa zu einem entscheidenden Bestandteil sie hier Teile des Auslands uns gegenüber ein-
ihrer Außenpolitik gemacht. schlagen, kombiniert mit der Frankfurter Wirt-
(Sehr gut! bei der SPD.) schaftspolitik, werden wir bei Ablauf des Jahres
Sie werden wohl von uns annehmen, daß wir 1952 ohne amerikanische Hilfe nicht in der Lage
Europa wollen. Sie werden auch gerade aus mei- sein, die deutsche Wirtschaft erfolgreich zu gestal-
nem Ökonomischen Exposé dasselbe entnommen ten.
haben. Aber, werte Abgeordnete, eine deutsch- (Sehr gut! bei der SPD.)
französische Verständigung, die so lebensnotwen- Wir haben schon 1945 offen über diese unsere Hal-
dig ist, kann doch nicht durch pathetische Schwüre tung gesprochen. Wir haben dieselbe Offenheit
geschaffen werden, sondern nur durch sachlichen jetzt gezeigt, und die Welt konnte darum nicht
demokratischen Austrag in der Diskussion der Pro- überrascht werden. Wir hoffen auf die Erreichung
bleme. Blankowechsel sollten wir auch hier nicht eines möglichen Kompromisses in allen diesen Fra-
geben. Das würde nur hegemoniale Tendenzen in gen, der allen Beteiligten Genüge tut. Wir müssen
Europa fördern und den guten Willen der breiten aber offen sagen: wir können und wir wollen aus
Massen des deutschen Volkes zu internationaler ökonomischen und politischen Gründen nicht auf
Kooperation schwächen. Europa heißt Gleichberech- Unverzichtbares verzichten.
tigung, meine Damen und Herren! Nun, verehrte Abgeordnete: Das ist in kurzen
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) Zügen gegenüber dem Programm der Regierung
Man sollte nichts akzeptieren, was die Vorweg- das Programm der Opposition. Nicht überall ist die
glatte Antithetik gegeben; sehr oft haben wir For-
nahme von Bestimmungen des Friedensvertrags be- derungen, die scheinbar im bisherigen Programm
deutet. Wir schwächen damit nicht nur unverant-
der Regierung noch keine Rolle spielen. Wir sind
wortlich unsere Position im Westen; wir schwächen nicht die bloße Negationserscheinung dieser Regie-
auch unsere Position im Osten. Jemand, der hier
auf dem Gebiet der Kompromisse in die Loslösung rung. Wir sind etwas Selbständiges. So wollen wir
- unsere Opposition führen, mit dem Ziel, für die
des Saargebietes aus dem politischen Gebiet Politik der sozialistischen Demokratie einmal in
Deutschlands hereinrutscht, verliert den festen Bo-
den des politischen Kampfes gegen die Oder-Neiße diesem Hause die parlamentarische Mehrheit zu
Linie. finden.
(Zustimmung.) (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
Dabei sollten wir auch die Diskussion über die Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat der Herr
Demontage wohl entschieden führen, sollten aber Abgeordnete Dr. von Brentano.
eine gewisse Bereinigung der Argumente auf allen
Seiten vornehmen. Man sagt uns, die Welt sei nach Dr. von Brentano (CDU) : Meine Damen und Her-
den Erfahrungen vieler Jahrzehnte deutscher Ge- ren! Ich glaube, niemand in diesem Hause wird
schichte um ihre Sicherheit besorgt. Das mag sein. sich dem Eindruck versagen können, den die letz-
Damit ist aber noch nicht der ganze Komplex illu- ten Tage und Wochen auf jeden von uns gemacht
striert. Wenn man um die Sicherheit besorgt ist, haben. In diesen letzten Tagen und Wochen, nach-
dann soll man auch offen sagen: um die Sicherheit dem das Grundgesetz in Kraft getreten war, ist
vor wem! Wir wollen im deutschen Volk politisch das erste neugewählte deutsche Parlament zusam-
und psychologisch Verständnis für die Sicherheits- mengetreten, um das Grundgesetz zu verwirkli-
bedürfnisse der nächsten Anrainer erwecken. Um- chen, um diesen Staat neu zu gestalten, um der
gekehrt müßte man aber einsehen, daß gewisse Bundesrepublik Deutschland den ersten Ausdruck
Methoden der Auseinandersetzung mit uns auch zu verleihen und um damit erstmalig wieder nach
nicht die richtigen sind. Wenn wir einen entschei- langen Jahren der erzwungenen politischen Absti-
dend wichtigen Teil unserer wirtschaftlichen Sub- nenz aktiv und handelnd in das deutsche Gesche-
stanz mehr als vier Jahre nach Einstellung der hen einzugreifen.
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 43
(Dr. von Brentano)
Ich glaube, es ist gut, wenn wir in einem sol- rung gehen wolle, dann kann ich nur feststellen:
chen Augenblick auch die Vergangenheit einmal auch mein Vorredner hat manches ausgelassen, und
vor unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen; auch ihm will ich den Zeitmangel zugutehalten.
denn es mag eine Eigenart der Deutschen sein, daß Aber die Wege, die er gehen will, hat auch er nicht
sie wohl ein starkes Gefühl für ihre kulturelle Tra- gezeigt!
dition haben, daß sie aber eine erstaunliche Scheu (Zurufe von der SPD: Doch! Wohnungs
haben, sich auch zu einer politischen Tradition zu bauprogramm!)
bekennen, vielleicht aus dem uneingestandenen Ge- Meine Damen und Herren, ich sagte: es ist gut,
fühl heraus, daß das deutsche Volk schon so häufig einen Rückblick auf die jüngste Vergangenheit zu
vor seiner eigenen Schicksalsentscheidung versagt werfen, und auch ein Rückblick auf die Weimarer
hat. Aber es ist gut und richtig, wenn wir uns der Republik scheint mir doppelt notwendig zu sein,
Vergangenheit erinnern; denn ein Blick auf die weil wir damals in den entscheidenden Jahren er-
Vergangenheit wird auch am ehesten mithelfen, lebt haben, daß diejenigen, die die Aufgabe hatten,
uns vor Fehlern zu schützen, die in der Vergangen- die deutsche Demokratie zu schützen und zu ver-
heit begangen wurden und die Deutschland nicht teidigen, sich gegenseitig bekämpft und darüber
nur einmal, sondern wiederholt auf einen schlech- hinaus geduldet haben, daß die Feinde der Demo-
ten Weg geführt haben. kratie sie besiegt haben. Das, meine Damen und
Wir sollten uns auch in diesem Zusammenhang Herren, darf und soll sich nicht wiederholen!
erinnern, daß es hundert Jahre her sind, als Deut- Mit Recht hat mein Vorredner erklärt, daß wir
sche in dem ernsten Bestreben, ein neues deut- vor der besonderen Gefahr stehen, die auch ich
sches, ein demokratisches Vaterland zu schaffen, für wesentlich halte, daß eine nationalrevolutio-
zusammenkamen, und wir sollten uns auch des red- näre Bewegung, die in der existentiellen Not wei-
lichen Bemühens erinnern, das die Deutschen im ter Kreise unseres Volkes im Osten ihre Nahrung
Jahre 1919 zusammengeführt hat, um nach einem
finden konnte, aber uns kommt. Wir werden sie
schweren politischen, wirtschaftlichen und militä- nicht bannen können — auch das ist gestern schon
rischen Zusammenbruch wieder eine eigene Ord- gesagt worden — mit den Methoden einer Denazi-
nung zu schaffen. fizierung.
Ich möchte hier gleich auf die Ausführungen
meines Herrn Vorredners eingehen und ihm ver- (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)
sichern: Die Bundesregierung, die gestern ihre Er- Dieses Unternehmen, Fragebogen auszuwerten, ist
klärung vor Ihnen abgegeben hat, hat nicht die Ab- restlos mißlungen, und manchem einsichtigen Deut-
sicht zu restaurieren, und ich glaube, Sie sollten schen war das schon vorher klar. Es kommt mir
nach dieser Erklärung dieser Regierung eine solche so vor, als wollte man einer künftigen Gefahr be-
Absicht auch nicht erst unterstellen. gegnen, indem man das Pentagramm auf die Tür-
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) schwelle zeichnet, vertrauend auf den guten Brauch
der Teufel, daß sie immer die gleiche Tür benutzen.
Meine Damen und Herren, es ist ein Wort ge- Wenn ich auch hoffen möchte, daß dieser Brauch
fallen: man müsse befürchten, diese Regierung sehe inzwischen nicht geändert wurde, so glaube ich,
ihre Aufgabe darin, zu restaurieren und einen au- daß man von der falschen Voraussetzung ausgeht,
toritären Besitzverteilungsstaat daß es der gleiche Ungeist wäre, der das Haus des
(Zurufe von der SPD: Besitzverteidigung!) Staates betreten könnte. Er mag in seiner Scheuß-
oder Besitzverteidigungsstaat wiederherzustellen. lichkeit dem Vorhergehenden ähneln wie tin Ei
Ich glaube, es ist nicht gut, wenn wir am Anfang dem andern, es ist aber nicht der gleiche. Deswegen
der politischen Auseinandersetzung bereits mit sol- sollten wir uns nicht in dieser Form der Polemik
chen Unterstellungen beginnen; gegen die jüngste Vergangenheit ergehen — ich
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts) sage, in dieser Form der mißlungenen Denazifizie-
denn wer die Regierungserklärung aufmerksam rung —, sondern sollten dafür sorgen, daß die Vor-
verfolgt und nicht an der Ehrlichkeit gezweifelt aussetzungen für einen neuen Einbruch in die De-
hat — und dazu liegt wohl kein Anlaß vor —, wird mokratie nicht mehr gegeben sind.
daraus nicht entnommen haben, daß die Regierung Da, meine Damen und Herren, habe ich auch et-
unseres Bundeskanzlers Dr. Adenauer die Absicht was zu den Ausführungen meines Vorredners zu
habe, einen Besitzverteidigungsstaat zu schaffen. sagen, der, als er auf die Rolle der Opposition zu
- sprechen kam, erklärte, es habe sich über die Rolle
(Erneute Zustimmung in der Mitte und der Opposition im Parlament eine reichlich naive
rechts. — Zuruf links: Frankfurter Kurs!) Diskussion in der Presse angebahnt. Ich nehme an,
— Ich werde auf den Frankfurter Kurs auch noch daß der Vorredner damit die Darstellungen von
zu sprechen kommen. den Aufgaben der Opposition meinte, wie sie aller-
(Zuruf links: Das wäre lehrreich!) dings in wiederholten, meiner Meinung nach durch-
Im Gegenteil: wenn ich mich an die Regierungs- aus nicht naiven Aufsätzen behandelt worden sind.
erklärung von gestern erinnere, die nach den Fest- Ich möchte sogar annehmen, daß mein Vorredner
stellungen meines Vorredners 82 Minuten in An- die Naivität dieser Auffassung nicht betont hätte,
spruch nahm, und mich seiner heutigen Ausfüh- wenn er auf der Regierungsbank säße, sondern daß
rungen auch wieder erinnere, die über 90 Minuten es ihm dann erwünscht wäre, wenn die Opposition
dauerten, dann muß ich sagen: gestern glaube ich diesen, wie er sagte, naiven Gedankengängen in
ein Programm gehört zu haben, etwa folgen wollte.
(Sehr wahr! in der Mitte und rechts) Ich persönlich bin der Meinung, daß die Oppo-
sition eine staatlich ebenso notwendige Aufgabe zu
heute habe ich eine Kritik gehört, die am Schluß erfüllen hat wie die Regierung selbst und die Re-
als Programm bezeichnet wurde. gierungsparteien. Aber ich bin auch der Überzeu-
(Lebhafte Zustimmung in der Mitte und gung, daß eine Opposition, die nur in der Negation
rechts.) bestünde, diese Aufgabe nicht erfüllen würde und
Wenn Ihnen der Vorredner sagte, die Regierungs- daß diejenigen, die die Opposition etwa um der
erklärung habe manches ausgelassen und habe ins- Opposition oder, sagen wir besser, um der Pro-
besondere nicht die Wege gezeigt, die die Regie paganda willen betrieben, sich am Geiste der De-
44 Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Dr. von Brentano)
mokratie und am Leben des deutschen Volkes ver- — Er wurde nicht von Herrn Adenauer empfan
sündigen würden. gen, sondern er hat sich zu Herrn Adenauer gesetzt.
(Sehr richtig!) (Abg. Heiland: In seinem Büro!)
Selbstverständlich verstehe ich, wenn der Herr — Sie können sich vielleicht mit Herrn Adenauer
Vorredner meinte, daß Wert und Unwert der Op- darüber unterhalten. — Sie wissen, daß Herr
position nicht etwa von der Begutachtung durch Nuschke nicht der Vertreter der CDU der Ostzone
Regierung oder Regierungsparteien abhängig sein ist, sondern daß der Vertreter der CDU in der Ost-
sollen. Ich glaube auch nicht, daß jemand auf den zone Herr Jakob Kaiser ist, der hier sitzt,
kühnen Gedanken käme, eine solche Forderung
aufzustellen. (Beifall in der Mitte)
Wie notwendig es ist, meine Damen und Herren der auch aus diesem Grunde das Ostministerium
— um darüber noch einige Worte zu sagen —, daß übernommen hat. Meine Damen und Herren, ich be-
wir in Deutschland die Aufgaben, die uns allen dauere eine solche Bemerkung um so mehr, als sie
durch die Wahlen gestellt sind, erkennen und im mich doch zu der Feststellung zwingt, daß nicht die
Rahmen des Möglichen gemeinsam zu lösen versu- CDU der Ostzone unter Jakob Kaiser die deutsche
chen, geht ja auch aus den Ausführungen des Herrn Einheit gefährdet hat, wohl aber das schmerzliche
Dr. Schumacher hervor, der mit Recht — und hier Versagen der Sozialdemokratischen Partei der Ost-
unterstreiche ich jedes Wort — gesagt hat, daß ins- zone.
besondere die außenpolitischen Aufgaben, die vor (Beifall in der Mitte und rechts. — Lebhaf
uns liegen, die Aufgabe, unser Verhältnis zum Aus- ter Widerspruch und Pfuirufe links.)
land neu zu gestalten, nur von uns allen gemein- — Lassen Sie mich ausreden.
sam gelöst werden dürfen. Hier gibt es vielleicht (Zuruf von der SPD: Die sitzen in den
Unterschiede über Weg, Methode, Zeitpunkt und Konzentrationslagern!)
Art des Handelns, es gibt aber sicherlich — auch — Damit mache ich nicht denen, die wir alle ken-
nach den Ausführungen meines Vorredners — hier nen, einen Vorwurf, nichts den zahllosen aufrechten
keine grundsätzlichen Unterschiede über das ge- Sozialdemokraten, die die Freiheit verteidigt haben,
meinsame Ziel.
Auch eine weitere Frage läßt sich — auch darin (Zuruf von der SPD)
stimme ich meinem Vorredner zu — nur lösen, aber Ihre Führerschicht hat elend versagt.
wenn wirklich alle, denen die deutsche Einheit (Zuruf von der SPD : Herr Kaiser im Block
mehr ist als ein Begriff, zusammenarbeiten. Ich des Ostens! — Weitere Zurufe.)
verstehe allerdings nicht — das muß ich sagen —, Lassen Sie, nachdem diese Äußerungen von mir
daß der Herr Vorredner für sich in Anspruch nötig waren, nach der Bemerkung, die leider ge-
nimmt, die SPD allein sei es gewesen, die zu- fallen war, mich zu der Sache zurückkommen.
erst den Ruf nach der deutschen Einheit erhoben Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß es gut
habe. Vielleicht mag es daran liegen, daß die So- sei, sich der Vergangenheit zu erinnern, und ich
zialdemokratische Partei die erste und vielleicht wiederhole es jetzt, wenn wir vom deutschen Osten
bisher die einzige war, die die beste und straffste sprechen. Denn nur wenn wir uns dieser Vergan-
Organisation hatte und deswegen am ersten für die genheit Deutschlands erinnern, haben wir auch die
gesamte deutsche Sozialdemokratie sprechen konn- innere Berechtigung, die deutsche Einheit zu ver-
te. Ich nehme aber nicht an, meine Damen und Her- langen. Zu jeder Zeit haben wir die Kontinuität des
ren, daß den Herren von der Opposition die Rufe deutschen Staates betont. Wir sind hier, um einen
und Wünsche der anderen politischen Parteien nach neuen Staat zu organisieren, aber nicht um einen
der deutschen Einheit etwa entgangen sein sollten. neuen Staat zu schaffen. Deswegen haben wir auch
(Sehr gut! in der Mitte.) das Recht, indem wir uns auf das Grundgesetz be-
Dann haben sie — das muß ich wirklich sagen — rufen, in dessen Präambel wir es uns zur Aufgabe
vielleicht die falsche Presse gelesen. gestellt haben, die nationale Einheit Deutschlands
(Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zu zu wahren, von der Wiederherstellung dieser Ein-
ruf links: Die lizenzierte!) heit zu sprechen, wobei es kaum der Unterstrei-
chung bedarf, daß auch wir uns eine deutsche Ein-
Ich halte es auch für abwegig, meine Damen und heit nur vorstellen können, wenn in diesem Ge-
Herren, wenn man jetzt den Versuch unternimmt,-
wenn wir die Frage der deutschen Einheit im Blick samtdeutschland die selbstverständlichen Voraus-
setzungen der Freiheit und der Gleichheit und die
auf den Osten besprechen, hier politische Meinungs- Respektierung der Würde des Menschen verbürgt
verschiedenheiten herausstellen. Ich glaube doch, sind. Deswegen haben wir auch, wie es gestern
daß die Äußerung des Herrn Dr. Schumacher von schon geschehen ist, heute und immer wieder An-
den „Nuschkoten" eine wenig gute Entgleisung laß und Recht, über die Zonengrenzen hinaus an
war. den Osten Deutschlands zu denken, dem heute
(Zuruf von der SPD: Das war eine Ant unser Gedenken und unser Gruß gelten und dem
wort, Herr Dr. von Brentano!) morgen auch unsere Arbeit gelten soll.
- Auch eine Antwort kann eine Entgleisung sein.
(Beifall in der Mitte.)
(Abg. Dr. Schmid: Dann ist es fair, den, der
die Antwort provoziert hat, auch zu rügen!) Weil wir der Meinung waren, daß hier eine ganz
besondere Aufgabe zu lösen ist, haben wir ja auch
— Ich weiß nicht, wer sie provoziert hat. ein Ostministerium geschaffen, um mich auch mit
(Abg. Dr. Schumacher: Darauf kommen wir diesem Einwand auseinanderzusetzen. Dieses Ost-
noch im Geschäftsordnungsausschuß zu ministerium ist nicht dazu da, um etwa völkerrecht-
sprechen!) liche Beziehungen zum Osten aufzunehmen, wie
Denn, meine Damen und Herren, wir wissen um vorhin angedeutet wurde; es soll vielmehr auch im
die Problematik der Politik im Osten, aber Sie Bewußtsein der Deutschen in der Ostzone die Tat-
wissen auch, daß Herr Nuschke nicht der Vertreter sache erscheinen, daß wir auch von der Regierung
der CDU ist. aus, von den Regierungsparteien aus und vom gan-
(Abg. Heiland: Er wurde aber von Herrn zen Haus aus die Einheit Deutschlands nicht nur
Adenauer empfangen, hier im Hause!) wünschen, sondern auch im Rahmen des Möglichen
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 45
(Dr. von Brentano)
vorzubereiten entschlossen sind, daß wir bereit gierungserklärung auseinandergesetzt. Er hat, wie
sind, nach der Ostzone hinzuhören, zu verfolgen, nicht anders zu erwarten war, zunächst einmal
was dort geschieht, und auch alle diese, ich möchte alles, was gesagt worden ist, als schlecht bezeichnet.
sagen, psychologischen und tatsächlichen Vorberei-
tungen zu treffen, die getroffen sein müssen, wenn (Zuruf von der SPD: Das ist nicht richtig!)
sich dieser Wunsch nach der Einheit verwirklicht. — Oder doch nahezu alles. — Ich glaube, daß diese
Denn wir können ja nicht etwa blind daran vorbei- Form der Auseinandersetzung nicht die richtige
gehen, daß sich drüben in der Ostzone unter der war. Wenn ich davon ausgehe, daß gesagt wurde,
Herrschaft der Sowjetunion soziologische, struktu- die Regierungserklärung sei in einem idyllischen
relle, wirtschaftliche Veränderungen vollzogen ha- Ton gehalten, dann kann ich nur sagen: ich glaube,
ben, die im Falle der Wiederherstellung der deut- daß viele einen anderen Eindruck hatten, daß viele
schen Einheit nicht etwa von heute auf morgen be- sich dem Ernst der Regierungserklärung in keiner
seitigt oder revidiert werden können. So glaube ich Weise verschlossen haben. Es ist nicht notwendig,
doch, daß dieses Ostministerium eine echte deut- daß eine Regierungserklärung etwa mit einem be-
sche, eine echte politische Aufgabe hat und daß sonderen Pathos vorgetragen wird, um eindringlich
wir unter keinen Umständen darauf verzichten zu wirken. Wer aber aus den Worten unseres Kanz-
durften, ein solches Ostministerium zu errichten, lers nicht die ehrliche Sorge um die Zukunft
von dem ich glaube sagen zu können, daß es in der Deutschlands herausgehört und nur den idyllischen
Person meines Freundes Jakob Kaiser den richtigen Klang vernommen hat, der, glaube ich, hat schlecht
Leiter gefunden hat. gehört.
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin ge- (Abg. Zinn: Lesen Sie die „Frankfurter
sagt, daß die Kritik in der Rede meines Vorredners, Neue Presse", Ihr Organ!)
die er selbst als ein Programm bezeichnet hat, all- — Mein Organ? — Ich glaube, das gehört zur über-
zusehr von dem Mangel an Vertrauen bestimmt parteilichen Presse, Herr Zinn.
Es war nicht anders zu erwarten, als daß der
(Zuruf links: Hat er Grund dazu!) Hauptangriff der Opposition der Wirtschaftspolitik
Ich glaube, es ist ein Fehler der deutschen Politik gelten würde. Ud es ist mit unmißverständlicher
schlechthin, aber ein besonderer Fehler der deut- Deutlichkeit schon in der Regierungserklärung zum
schen Nachkriegspolitik, daß wir uns daran ge- Ausdruck gekommen, daß wir entschlossen sind,
wöhnt haben, zunächst einmal mit Mißtrauen an den Kurs der Frankfurter Wirtschaftspolitik auf-
den anderen heranzugehen und den anderen min- rechtzuerhalten. Ich glaube, daß sich die Opposition
destens für nicht so ehrlich zu halten, als man selbst zunächst einmal mit dieser Tatsache abfinden sollte.
zu sein glaubt. (Lachen bei der SPD.)
(Abg. Dr. Schmid: Mancher kann manchmal
nicht so ehrlich sein, wie er möchte!) Zunächst einmal: wir sind nicht der Meinung, daß
die Argumente, die Herr Dr. Schumacher vorgetra-
— Haben Sie von sich gesprochen? gen hat, geeignet sind, uns von diesem Kurs zu
(Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid: Nein!) entfernen.
— Ich hoffe und wünsche für unsere politische Ar- (Zuruf von der SPD: Davon bin ich überzeugt!)
beit überhaupt, daß diese Schranken des partei-
politischen Mißtrauens, die letzten Endes im allge- Wir sind nicht der Meinung, daß die geplante Wirt-
meinen auf einem verrannten Doktrinarismus be- schaft, von der Sie sprachen, besser geeignet sei,
ruhen, einmal beseitigt werden. uns aus der wirtschaftlichen Notlage, in der wir
(Zuruf von der SPD: Das letzte Wahl- sind, zu befreien. Wenn Sie in diesem Zusammen-
plakat der CDU!) hang davon sprachen, daß die Volksmasse nicht als
Objekt behandelt werden dürfe, dann antworte ich:
— Ich spreche zu dem gesamten Haus. — Meine gerade weil wir das Volk und den einzelnen aus
Damen und Herren, haben Sie nicht alle den Ein- der unwürdigen Position, ein Objekt der Behand-
druck, daß wir, selbst wenn wir es wollten, uns der- lung zu sein, herausnehmen und zum Subjekt des
artige Formen der politischen Auseinandersetzung Handelns machen wollen, vertreten wir den Grund-
gar nicht leisten können? satz der Freiheit des Menschen auch in der Wirt-
Vorhin ist von der Jugend gesprochen worden. schaft.
Es ist gesagt worden, die Jugend verlange- nur
eines: die Anerkennung ihres gleichen Wertes. Ge- (Beifall rechts und in der Mitte.)
wiß, wir sind die letzten, die ihr das verweigern; Wir glauben auch, daß wir unserm deutschen Volk
im Gegenteil, ich hoffe, daß die Jugend viel an- besser dienen, wenn wir diesen Grundsatz der Frei-
spruchsvoller ist, und die Jugend, die ich kenne, ist heit der Wirtschaft
auch anspruchsvoller. Ich glaube sagen zu können: (Zuruf von der SPD: Die sozialen Span
die Jugend verlangt mehr als das. Sie verlangt ins- nungen!)
besondere eine Sauberkeit im politischen Leben. Sie
rückt ab von den Methoden einer gehässigen poli- — es kommt alles noch —, wenn wir diesen Grund-
satz aufrechterhalten, weil wir auch glauben, daß
tischen Auseinandersetzung. in der freien Wirtschaft gerade auch der einzelne,
(Sehr richtig! in der Mitte.) von dem Sie sprachen, besser bedient wird, als
In der Jugend steckt ein gesunder Wunsch und, wenn er dem diskretionären Ermessen irgendeiner
wie ich betone, ein gesunder Kern. Ein Wunsch Behörde unterworfen ist.
nach der Wiederherstellung einer echten Gemein-
schaft; nicht im Sinne dieses mißbrauchten Begrif- (Zuruf von der SPD: Ohne Bezugschein
fes der Volksgemeinschaft. Ich glaube, wir können muß er Geld haben!)
die Jugend auch nur ansprechen und zur Mitarbeit Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Zu-
gewinnen, wenn wir alles tun, um ihr den Weg in sammenhang dann kritisiert worden, daß in der
das politische Leben nicht durch solche Dinge zu Regierungserklärung besonders betont worden sei,
versperren. daß eine Steuersenkung erfolgen müsse, und daß
Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner man nicht betont habe, daß eine Produktionserhö-
hat sich im übrigen mit den Grundsätzen der Re- hung Voraussetzung einer Kostensenkung und da-
46 Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Dr. von Brentano)
mit einer allgemeinen Bedarfsdeckung sei. Ich Nehmen Sie ernstlich für sich das Monopol in An-
glaube, beides ist mißverstanden. Es ist betont wor- spruch, die soziale Ordnung Deutschlands allein
den, daß wir eine Steuerreform und eine Steuer- richtig herstellen zu können?
senkung brauchen, um wieder zur Bildung von (Sehr gut! rechts. — Zuruf von der SPD:
Sparkapital und von Investitionskapital zu kom- Wie können Sie das behaupten?)
men. Das ist ja auch von dem Herrn Vorredner
grundsätzlich anerkannt worden. Es ist aber nicht Glauben Sie nicht, daß wir uns mindestens ebenso
so, daß wir etwa glauben, eine Steuersenkung sozial verpflichtet fühlen? Und nicht etwa, wie ge-
durchführen zu können, die die Einnahmen ver- sagt wurde, indem wir darüber sprechen, sondern
ringert, so daß wir den sozialen Aufgaben nicht indem wir dazu handeln werden!
mehr gewachsen wären. Glauben Sie doch, meine (Sehr gut! und Händeklatschen, in der
Damen und Herren, daß die Regierungspolitik be- Mitte und rechts. — Unruhe und Zuruf
stimmt nicht so kurzsichtig sein wird, und glauben links: Ein fauler Wechsel! - Abg. Dr. Schmid:
Sie, daß die Regierung und die Regierungsparteien Es gibt einen gewissen Unterschied, Herr
es gerade mit den sozialpolitischen Aufgaben bitter von Brentano!)
ernst meinen. — Einen Unterschied gibt es gottlob, sonst wären
(Zuruf von der SPD: Das haben wir in Sie nicht in der Opposition.
Frankfurt gesehen! — Gegenruf rechts: (Abg. Dr. Schmid: Manche wollen eben den
Das Gegenteil könnt ihr nicht beweisen!) Leuten helfen und halten das für sozial! —
- Ich glaube, daß in Frankfurt, soweit ich unter Gegenruf von der CDU: Das ist nicht
richtet bin, außer dem Sozialanpassungsgesetz, das schlecht, wenn sie das wollen! — Abg. Dr.
ja wohl keine Verschlechterung der wirtschaftlichen Schmid: Das ist dann aber Caritas! — Ge-
Lage der Versicherten gebracht hat, irgendwelche genruf von der CDU: Ach was, „Caritas"!)
Maßnahmen zum Nachteil der Sozialversicherten
nicht beschlossen worden sind; ich lasse mich aber Präsident Dr. Köhler: Das Wort haben nicht die
gern belehren. Mitglieder des Hauses, das Wort hat der Herr Ab-
Mein Herr Vorredner meinte, daß es in der Re- geordnete von Brentano!
gierungserklärung in diesem Zusammenhang un-
terlassen worden sei, den arbeitenden Menschen, Dr. von Brentano (CDU) : Es wurde auch vermißt,
den Arbeitnehmer, anzusprechen. Ich stelle fest, daß die Regierungserklärung die Gewerkschaften
daß diese Unterlassung nicht vorliegt, sondern daß angesprochen habe. Ja, meine Damen und Herren,
die Regierungserklärung ausdrücklich davon müssen wir noch die Gewerkschaften ansprechen,
spricht, daß die sozialen und wirtschaftlichen Inter- wenn zwei Gewerkschaftsvertreter in der Regie-
essen in freier Selbstverwaltung den Verbänden rung sitzen?
überlassen sind und eine weitere Verständigung (Sehr gut! bei der CDU.)
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstrebt Haben Sie nicht daraus allein die Überzeugung ge-
werden muß. wonnen, daß wir den Wunsch haben, nicht gegen,
(Zuruf links: Ist das alles?) sondern mit den Gewerkschaften zu arbeiten?
(Sehr richtig!)
— Verzeihung! Es ist weiter gesagt worden, daß
im Zusammenhang mit der Sozialisierung die so- Und glauben Sie, den Gewerkschaften einen beson-
zial- und gesellschaftspolitische Anerkennung der ders guten Dienst zu erweisen, indem Sie sich im-
Arbeitnehmerschaft eine Neuordnung der Besitz- mer zum Sprecher der Gewerkschaften machen, die
verhältnisse in den Grundindustrien notwendig ja nicht nur aus Mitgliedern Ihrer Partei be-
mache. Aus dieser Erklärung glaubte Herr Dr. Schu- stehen?
macher schließen zu können, daß die Regierung et- (Beifall in der Mitte und rechts.)
wa bestrebt sei, Besitzverhältnisse früherer Besitzer Sie entwerten den Wert der Gewerkschaften
wiederherzustellen. (Sehr richtig! bei der CDU)
(Zuruf von der SPD: Wir wollten nur wis und Sie setzen sie im Bewußtsein der Öffentlichkeit
sen, was gemeint ist!) herab, wenn Sie glauben, die Gewerkschaften zum
— Ich glaube, daß, wer das liest, es gar nicht- miß- verlängerten Arm Ihrer Parteipolitik machen zu
verstehen kann, wenn er es nicht mißverstehen können.
will. (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
(Sehr richtig! rechts.) Ich glaube Ihnen auch sagen zu können: wenn Sie
Meine Damen und Herren! Wer unsere Wünsche das weiterhin versuchen, die Gewerkschaften wer-
und Auffassungen kennenzulernen wünscht, die ja, den Ihnen nicht folgen.
wie gesagt, in einer 82minutigen Regierungserklä- (Sehr richtig! bei der CDU. — Zuruf von
rung nicht erschöpfend enthalten sein können, der der SPD: Das überlassen Sie den Gewerk
soll das Ahlener Programm und die Düsseldorfer schaften! — Zurufe rechts.)
Leitsätze nachlesen. — Jawohl, das werde ich den Gewerkschaften über-
(Zuruf von der SPD: Wie paßt denn das lassen.
zusammen? — Abg. Dr. Schmid: Herr von Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Zu-
Brentano, die wurden nachträglich kom sammenhang von dem Herrn Vorredner mit Recht
mentiert!) und mit Nachdruck darauf hingewiesen worden,
- Ich glaube nicht, daß Sie dadurch, meine Damen daß die wirtschaftliche Gestaltung der neuen Bun-
und Herren, daß Sie jede Äußerung, die Ihnen desrepublik und damit die Erfüllung ihrer sozialen
nicht paßt, in ihrem Wahrheitsgehalt in Zweifel Aufgaben durch die jüngsten Ereignisse und nicht
ziehen, der Auseinandersetzung dienen und die zuletzt durch die Währungsumwertung, durch die
Auseinandersetzung fördern. Nehmen Sie denn Abwertung des englischen Pfundes erheblich ge-
ernstlich für sich das Monopol in Anspruch, sozial fährdet werde. Auch darin glaube ich mit dem
zu denken? Herrn Vorredner absolut übereinstimmen zu kön-
(Sehr gut! in der Mitte und rechts.) nen, daß eine Veränderung, eine Umwertung der
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 47
(Dr. von Brentano)
Parität der D-Mark, die einen internationalen va- die am 14. August bestimmt noch die Absicht hat-
lutarischen Kurs noch nicht besitzt, Auswirkungen ten, hier oben zu sitzen.
auf das gesamte Preisgefüge haben wird und muß.
Ich glaube Ihnen versichern zu können, daß auch (Sehr gut! in der Mitte. — Zuruf von der
die Bundesregierung diese Erkenntnis gewonnen SPD: Woher weißt du? — Zuruf von der
und sich mit diesem Problem bereits beschäftigt CDU: Wollte sogar Bundespräsident werden!)
hat. Zur Notwendigkeit des Ostministeriums habe ich
Es ist dann hier gesagt worden — und dem mich schon geäußert. Das ERP-Ministerium, dessen
glaube ich zunächst auch zustimmen zu können —, Notwendigkeit von uns und von der Regierung an-
daß sicherlich diese Verwicklungen insbesondere erkannt wird,
auf dem Gebiet der Währungspolitik nicht zuletzt (Zuruf von der SPD: Seit wann?)
auf die ökonomischen und strukturellen Verände-
rungen zurückzuführen sind, denen Europa in den hat besondere Aufgaben, die eben nicht im Wirt
letzten 15 oder 20 Jahren unterzogen war, den Jah- schaftsministerium zu lösen sind und auch nicht
ren, die allgemein einer Aufrüstung für den Krieg dort gelöst werden sollen. Und wenn wir ein Mi-
dienten und zum Teil dienen mußten und die dazu nisterium eingerichtet haben, das die enge Verbin-
geführt haben, daß nicht nur europäische, sondern dung zwischen der Bundesregierung und dem Bun-
auch außereuropäische Länder sich zu einer zu- desrat herstellen soll, so soll damit, wie es auch
nehmenden Autarkie entwickelten und damit Ab- gestern in der Regierungserklärung hieß, der ernste
satzmärkte verlorengingen. Um so notwendiger ist Wille zum Ausdruck kommen, daß die Bundesregie-
es — auch darin stimme ich dem Vorredner bei —, rung alles tun will und tun wird, um den föderati-
daß wir den europäischen Gedanken, so wie im ven Gedanken des Grundgesetzes zu verwirklichen.
Grundgesetz bereits zum Ausdruck gebracht, mit (Zuruf von der SPD: Durch einen Mann,
allen Mitteln zu fördern versuchen. Dabei unter- der das Grundgesetz ais Machwerk be
streiche ich auch hier das Wort des Vorredners, zeichnet hat!)
daß das Endziel heißen muß: Europa ist Gleich- Ich glaube, meine Damen und Herren, daß diese
berechtigung. Notwendigkeit heute größer ist denn je. Denn der
Ich glaube aber, wenn wir über die Wirtschafts- Tatsache können wir uns ja nicht entziehen, daß
politik, die wir zu betreiben gesonnen sind, und das westliche Deutschland sich in den letzten Jahren
über die Abwertung sprechen, sollten wir doch ge- in elf Ländern entwickelt hat, die je nach der Art
rade nicht ganz an der Tatsache vorübergehen — der Besatzung und je nach der Art der politischen
und Herr Dr. Schumacher selber hat Respekt vor Strukturierung eine sehr verschiedenartige Ent-
den Tatsachen verlangt —, daß diese Abwer- wicklung gehabt haben. Es wird des Schweißes vie-
tung des englischen Pfundes sicherlich auch durch ler Edler bedürfen, um diese Mannigfaltigkeit wie-
die wirtschaftlichen Experimente der dortigen Re- der zu einer Gemeinsamkeit zu gestalten. Es wird
gierung veranlaßt ist. auch des guten Willens sowohl des Bundes wie der
(Sehr richtig! rechts. — Abg. Heiland: Länder bedürfen. Es ist nicht so, daß daran etwa
Durch den Hitlerkrieg, Herr von Brentano!) übertriebene und überföderalistische Erwägungen
— Auch dadurch, Herr Kollege Heiland. Unzwei- schuld sind, die Sie, Herr Dr. Schumacher, glaube
felhaft hat England auch unter den Folgen eines ich, zu Unrecht befürchten.
verlorenen Krieges zu leiden. (Abg. Dr. Schumacher: Herr von Brentano,
(Zurufe und Heiterkeit.) wie wäre es mit einem Minister für unita
— Man kann schon beinahe sagen: eines verlorenen rische Tendenzen?)
Krieges. Aber wir wollen uns, der Tatsache wirk- — Damit würden Sie Sinn und Buchstaben des
lich nicht verschließen, daß die Wirtschaftspolitik Grundgesetzes allerdings verletzen. — Ich glaube
Englands ein gerüttelt Maß von Schuld an den heu- nicht, daß Sie derartige hyperföderative Gedanken-
tigen schwierigen wirtschaftlichen Zuständen trägt. gänge zu fürchten haben. Denn das Grundgesetz,
(Sehr richtig! rechts.) das ja auch mit den Stimmen Ihrer Partei Annahme
Deswegen sind wir ja auch nicht gewillt, gleiche gefunden hat, hat hier klare Abgrenzungen ge-
Experimente in Deutschland mit gleichem End- geben, die wir allerdings auch einzuhalten beab-
erfolg durchzuführen. - sichtigen, weil wir das Grundgesetz zu verwirk-
lichen gedenken. Es bedarf auch nicht Ihrer Sorge,
(Zuruf von der KPD: Was sagen Sie denn daß etwa im Wege der Personalpolitik Sinn und
morgen, wenn Ihre Regierung die Abwer- Buchstaben des Grundgesetzes verletzt werden
tung vornimmt? Wer ist dann daran könnten.
schuld? — Zuruf rechts: Die englische Re-
gierung! — Abg. Dr. Schumacher: Sie „ver- (Sehr richtig! bei der CDU.)
stärken" die Position des neuen deutschen Die Regierungserklärung hat sich gestern zu
Staates mit jedem Wort!) dem Grundsatz des Berufsbeamtentums bekannt.
Es ist im übrigen — auch darauf möchte ich ein- Wir bekennen uns auch in den Regierungsparteien
gehen — in Zusammenhang mit der Frage der zu diesem Grundsatz. Selbstverständlich wissen
Sparsamkeit und der Notwendigkeit, soziale Auf- wir, daß das Berufsbeamtentum nicht etwa in der
gaben zu bewältigen, auch die Frage angeschnitten Form wiedererstehen muß, in der es bestand. Das
worden, ob das Kabinett nicht zu stark besetzt sei. Berufsbeamtentum soll nicht etwa das werden,
In diesem Zusammenhang fiel auch die Bemerkung, was es vielleicht einmal gewesen sein mag, der
(Zuruf von der SPD: Es fehlte sogar ein Auswuchs oder der Ausfluß eines Berechtigungs-
Stuhl!) wesens.
daß man sogar unter Umständen aus denjenigen, (Zuruf links: „Staatsdiener" zu werden!)
die nicht Minister geworden seien, eine Fraktion zu- Wir wollen schon neue Grundlagen schaffen. Aber
sammenstellen könne. Ich weiß nicht, ob Herr Dr. wir brauchen, gerade wenn wir die Personalpolitik
Schumacher dabei an seine Fraktionskollegen ge- der letzten Jahre verfolgen, heute nötiger denn je
dacht hat, die Wiederherstellung eines echten, verantwor-
(Zuruf rechts: Wahrscheinlich! — Heiterkeit) tungsbewußten Berufsbeamtentums, von dem ich
48 Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Dr. von Brentano)
allerdings auch ein klares Bekenntnis zum Staat tigen, die in der ausschließlichen Zuständigkeit der
verlange. Länder liegen.
(Zuruf von der SPD: Ein kleines?) (Sehr richtig! in der Mitte.)
— Ein klares. ich betone: in der ausschließlichen Zuständigkeit,
(Zuruf rechts: Überparteiliches!) um jede falsche Vorstellung zu verwischen.
Und machen Sie sich keine Sorgen, daß etwa hier (Zuruf: Wir haben auch eine rheinisch
Stellenvermittlungsbüros aufgezogen würden. Es pfälzische Kultur und nicht eine deut
läge nahe zu antworten, daß ich nach eigenen Er- sche! — Abg. Dr. Schmid: Haben wir viel
fahrungen kaum ein besseres Stellenvermittlungs- leicht eine verschiedene Kulturpolitik?)
büro kenne als die Sozialdemokratische Partei. Im übrigen hat sich der Herr Vorredner mit der
(Lebhafte Zustimmung in der Mitte und Frage der Außenpolitik beschäftigt. Ich habe da-
rechts. — Zuruf: Damit ist jetzt Schluß!) rauf schon einiges erwidert und habe festgestellt,
Es ist noch dem Herrn Bundeskanzler vorge- daß wir in diesen Fragen nach meiner Auffassung
worfen worden - ich muß der Reihenfolge nach eine vollkommene Übereinstimmung unserer
vorgehen, damit nicht nachher etwa der Eindruck Grundhaltung feststellen und wohl auch zu einer
entsteht, ich hätte absichtlich einen Punkt über- völligen Übereinstimmung der Wege kommen kön-
gangen —, er habe sich nicht mit dem nötigen nen, die wir zu gehen entschlossen sind. Ich würde
Nachdruck auch der Kriegsopfer angenommen. Ich nichts mehr bedauern, als wenn auch die Frage
glaube, Sie haben den Passus übersehen, in dem der Außenpolitik durch die parteipolitische Aus-
es heißt: „Die Schaffung einer einheitlichen Ver- einandersetzung getrübt und ihre klare, sachliche
sorgungsgesetzgebung für das gesamte Bundes- Behandlung erschwert werden würde. Es gibt
gebiet ist nötig." Das entspricht genau dem von Fragen — das steht außer Zweifel —, bei deren
Ihnen vorgetragenen Wunsch, und ich bin glück- Beantwortung alle Teile des deutschen Volkes
lich, mich in diesem Punkt mit Ihnen einig zu mitwirken müssen. Wir können die Frage der
wissen. Außenpolitik ebensowenig wie die der deutschen
(Zuruf von der SPD: Aber materiell nicht!) Einheit und das Problem der Vertriebenen und
— Materiell in einer Regierungserklärung etwas Heimatlosen nicht gegeneinander, sondern nur
zu sagen, würde ja bedeuten, daß der Herr Kanzler miteinander lösen.
bereits sämtliche Gesetzentwürfe der nächsten (Sehr richtig! in der Mitte.)
Jahre auf den Tisch des Hauses hätte legen müssen, ich glaube, daß wir hier die Pflicht haben, alles
und Sie werden ihm nicht zumuten können, daß Trennende beiseite zu stellen und nicht dadurch,
er innerhalb weniger Stunden nach Kabinetts- daß wir uns bekämpfen, mögliche Lösungen, die
bildung bereits so weit vorgeschritten ist. Stellen im Interesse des gesamtdeutschen Volkes liegen,
Sie keine Ansprüche und Forderungen, von denen .
zu verhindern.
Sie selbst wissen, daß sie nicht verwirklicht werden Meine Damen und Herren! Ich habe eingangs
konnten! gesagt: Es war nicht Aufgabe und konnte nicht
Es ist weiter gesagt worden, die Regierungs- Aufgabe der Regierungserklärung sein, sich in
erklärung, die sich über andere wesentliche Punkte inem Abriß mit allen Problemen zu beschäftigen,
noch ausschweige, habe sich auch zu wenig mit der lie überhaupt dem deutschen Volk gestellt sind.
Tragik der im Dritten Reich Verfolgten und Ge- Dazu hätten Tage nicht gereicht; denn wir wissen
schädigten und mit der tragischen Lage der deut- alle so unzählige Probleme, wie wir sie zu lösen
schen und der deportierten Juden beschäftigt. laben werden, sind noch kaum einer Generation
Meine Damen und Herren, gerade zu dem Problem gestellt worden.
des Antisemitismus hat der Bundeskanzler ernste
Worte gefunden, und daß er zu dem Problem der (Zustimmung in der Mitte.)
politisch Verfolgten nicht noch ausdrücklich Das ist die unvermeidbare Folge dieses verhäng-
sprechen mußte, das dürfte daraus hervorgehen, nisvollen Regimes, das hinter uns liegt und das
daß solche politisch Verfolgte in seinem Kabinett dazu geführt hat, daß Deutschland ja nicht nur
sitzen. einen militärischen Zusammenbruch erlebt hat,
- sondern daß im Jahre 1945 die materiellen, die
(Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Renner:
Warum hat er überhaupt gesprochen?) politischen, die wirtschaftlichen und die ethischen
Werte Deutschlands zerschlagen und zerstört wur-
— Sie haben es ja gehört! — Daraus dürfen Sie den und daß es lange Zeit dauern wird, bis wir
wohl entnehmen, daß der Bundesregierung das diese Werte wieder schaffen können. Und es wird
tragische Schicksal der politisch Verfolgten hin- großer Sorgfalt bedürfen, um auch gegenüber dem
reichend bekannt ist. Ausland wieder das Vertrauen zu erwecken und
Es ist weiter gesagt worden, der Herr Bundes- dem Ausland zu beweisen, daß die Grimasse, die das
kanzler habe nicht über seine Kulturpolitik ge- deutsche Volk in den Jahren von 1933 bis 1945
sprochen. Meine Damen und Herren, ich glaube, zeigte, nicht das wahre Gesicht des deutschen Vol-
daß er das sehr bewußt unterlassen hat, weil er sich kes war, daß die echten, die sittlichen, die starken
vorher mit dem Inhalt des Grundgesetzes ein- Kräfte des deutschen Volkes nicht versiegt, son
gehend beschäftigt hat. dern nur verschüttet waren. Die letzten vier Jahre
(Sehr richtig! rechts.) dürften allerdings auch schon manchen Zweifler
überzeugt haben. Denn das, was das deutsche
Danach ist nämlich die Kulturpolitik Sache der Volk — an der Spitze der Arbeitnehmer, an der
Länder.
spitze die Massen der Arbeiter im Ruhrgebiet und
(Abg. Dr. Schumacher: Was haben Sie denn sonstwo — in diesen Jahren getan hat, um sich
im Wahlkampf und in Bonn gesagt?) wieder langsam in die Höhe zu schaffen, das ist,
— Wir haben im Wahlkampf das gleiche gesagt, meine Damen und Herren, wie ich glaube sagen
Herr Dr. Schumacher! — Es war nicht Aufgabe der können, beispiellos, und diese Haltung verdient
Bundesregierung, sich mit Aufgaben zu beschäf Anerkennung, die nicht nur vom Ausland, sondern
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 49
(Dr. von Brentano)
auch von jedem von uns aus vollem Herzen ge- Verantwortung übernommen haben, deswegen
zollt werden muß. herrschen könnten, sondern wir sind alle davon
(Beifall in der Mitte. — Abg. Renner: durchdrungen, daß diejenigen, die die Verantwor-
Mehr Lohn wäre besser!) tung tragen, erst recht dem gesamten Volk zum
Ich glaube nicht, daß alle Arbeitnehmer so primi- Dienen verpflichtet sind. Wir glauben, daß wir
tiv denken, wie dieser Zwischenruf zum Ausdruck mit dem Weg, den die Regierungserklärung zeigt,
bringt. den einzigen Weg gehen, der unser deutsches Volk
(Abg. Renner: Mindestens aber die, die wieder in eine bessere Zukunft führen kann. Glau-
nicht soviel haben, um leben zu können!) ben Sie nicht, meine Damen und Herren, wenn wir
von der Freiheit der Wirtschaft sprechen, daß wir
Die Feststellung, die ich eben traf, wird Ihnen die Freiheit schlechthin meinen. Freiheit schlecht-
zeigen — ich wiederhole es —, daß uns die Lösung
hin ist Anarchie.
der sozialen Frage im Wege der Zusammenarbeit
wirklich am Herzen liegt, daß sie auch für uns das (Zurufe.)
ist, was der Bundeskanzler sagte: der Leitstern Auch wir wissen, daß die Freiheit nur dann An-
unserer Arbeit. — Auch wenn wir in der Methode erkennung verdient, wenn sie im Substrat ver-
verschiedener Meinung sind! Wir sind nun einmal wirklicht wird, wenn derjenige, der sich auf die
der Auffassung, daß der dialektische Marxismus - Freiheit beruft, sich der Grenzen der Freiheit be-
staatsbiologisch gesehen —, ich möchte sagen: eine wußt ist,
Sturm- und Drangperiode in der evolutionären (Aha! links)
Entwicklung unseres Volkes war. Wir sind der die in der Bindung gegenüber der Gemeinschaft
Meinung, daß der Klassenkampf, den man künst- liegen.
lich zu beleben versucht, (Abg. Dr. Schmid: Wir haben da einige
(Lachen links) zweihundert Jahre Erfahrung!)
nicht das Mittel ist, um soziale Gegensätze zu be- Und auch das, meine Damen und Herren, gehört
reinigen. zu dem Wirtschafts- und Sozialprogramm, und ich
(Zuruf links: Weil Sie ihn nicht verstehen! — glaube, darüber hat der Wirtschaftsminister schon
Abg. Renner: Sie organisieren den Klassen einiges gesagt und wird Ihnen noch einiges sagen.
kampf!) Wir wissen alle, daß die Wirtschaftsepoche, die
Es liegt im Wesen des Kampfes, daß er destruktiv hinter uns liegt, nicht nur etwa den Konsumenten
ist. daß er niemals zu einer konstruktiven Lösung geschädigt, sondern auch den Produzenten ver-
führen kann. dorben hat, und daß es unendlich viele Produzen-
(Zuruf links.) ten gibt, die sich sogar unter dem staatlich gelenk-
ten Protektionismus, der Zwangswirtschaft, den
Wir wollen andere Wege gehen. Wir wollen den
garantierten Kontingenten und allem, was dazu
Weg gehen von dem ich sprach indem wir in
gehörte, viel wohler fühlten.
A chtung des Grundgesetzes die Freiheit und die
Würde des Menschen herstellen, indem wir den (Sehr richtig! in der Mitte.)
des staatlichen, poli-Menschzumitlpk Aber auch diesen, meine Damen und Herren, ha
tischen und wirtschaftlichen Lebens machen. ben wir den Weg in eine wirtschaftliche Freiheit
(Zuruf von der KPD Das hat kein Mensch gezeigt, auch wenn sie ihn ungern gehen wollen.
gehört!) (Abg. Dr. Schmid: Sie gehen ihn gern!)
Meine Damen und Herren wenn wir die Auf- — Glauben Sie es nicht! Es gibt viele, die sich
fassung vertreten daß die Substenz christlichen heute zu diesen Möglichkeiten zurücksehnen, wo
Denkens uns auf diesem Wege unterstützen wird. die eigene Verantwortung so gering und die Für-
haben wir wie ich glaube nicht unrecht. Ich sorge des nicht immer ganz unbestechlichen Appa-
möchte sogar annehmen, daß mein Vorredner das rats so groß war.
Wort eines so ernsten und sittlich lauteren Man- (Sehr richtig! in der Mitte.)
nes wie erstanden Wir gehen diesen Weg, meine Damen und Herren,
hat. Wenn Mehatma Gandhi sagte: , ,Dem Armen im Sinne der von uns geschaffenen, von uns an-
erscheint Gott im Brot", dann hat er es nicht - in erkannten und von der Bundesregierung beschwo-
Ausführungen demSingtchIre renen Verfassung im Bewußtsein der Verantwor-
entnehmen zu müssen glaube, tung vor Gott und den Menschen.
(Zuruf des Abg. Dr. Schumacher) (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)
im Sinn einer doch etwas primitiven Materialisie
-rung dVerinfachug. Präsident Dr. Köhler: Das Wort hat Herr Abge-
ordneter Dr. Schäfer.
(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr.
Schmid Herr von Brentano des war Dr. Schäfer (FDP): Meine Damen und Herren!
unter Ihrer Würde! - Zurufe links.) Der Herr Bundeskanzler hat gestern seine Dar-
Meine D am en un d Herren. ich habe versucht, die legungen mit dem Hinweis auf die historische Be-
Regierungserklärung noch vom Standpunkt mei- deutung des Augenblicks, auf die Tragweite dieser
ner Partei a us zu erläutern, und ich habe versucht, Tage begonnen, in denen ein neuer deutscher Staat
mit den A uffassungen der größten Oppo- mich zu leben beginnt. Das bedeutet ein besonderes Maß
sitionspartei auseinanderzusetzen. an Verantwortung und Verpflichtung. Das bedeu-
tet aber auch, daß man dabei von vornherein sich
(Zuruf von der KPD: Das war ein bißchen der Bedingungen und Bedingtheiten bewußt ist,
dünn!) unter denen dieses staatliche Leben nun zu wir-
Ich habe Ihnen gesagt: es ist unser ernster Wille, ken vermag. Das ist nicht zu ermessen unter ver-
diese Regierungserklärung nicht dem Wortlaut. einfachenden Begriffen. Das, was hier werden soll,
sondern auch dem Sinn nach zu erfüllen, und nie- ist nicht mit Restauration oder Revolution oder
mand von uns glaubt, daß wir, nachdem wir die ähnlichen Worten zu kennzeichnen, sondern wir
50 Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Dr. Schäfer)
müssen unter ganz bestimmten Voraussetzungen stern durch den Herrn Bundeskanzler ausgespro-
und Bedingungen aus dem, was im Grundgesetz an chen worden sind, abzuweichen.
staatlicher Form vorgezeichnet ist, nun staatlichen Meine Damen und Herren! Wir müssen von
Inhalt schaffen. einer Tatsache ausgehen: diese neue deutsche De-
Wir sollen eine Demokratie machen. Demokratie mokratie steht insofern unter einem ungünstigen
besteht nicht aus formalen Bestimmungen allein, Vorzeichen, als sie nicht das Ergebnis einer Staats-
besteht auch nicht aus Instrumenten äußerer Ge- umwälzung ist, die aus den inneren Kräften des
walt, sondern ihre innere Festigkeit und ihre Volkes durchgebrochen ist. Dieser neue Staat
innere Kraft bekommt sie in erster Linie durch kommt zustande im Gefolge einer militärischen
die Konvention, durch Brauchtum, durch Anerken- Auseinandersetzung und eines militärischen Zu-
nung wechselseitig verbindlicher Regeln für den sammenbruchs, der die Grundlagen und die Grund-
politischen Verkehr und die politische Auseinan- ordnung des gesamten staatlichen Lebens der Ver-
dersetzung. Das bedeutet allerdings auch, daß man gangenheit zerstört und zerrüttet hat. So steht —
den positiven Gehalt der politischen Auseinander- anders als in Weimar — die Regierung jetzt vor
setzungen, auch des Meinungsstreits, erkennt. Hier der Tatsache, daß sie von Grund auf überhaupt
gilt für die Politik, was auch für das persönliche den ganzen politischen Apparat, das gesamte Ge-
Leben gilt. In der Zwiesprache, in dem Wechsel- biet der Administration völlig neu aufzubauen hat.
spiel von Äußerung und Gegenäußerung wächst Gewiß sind einige Ansätze und Vorstufen vorhan-
die menschliche Erkenntnis. Da steigern sich den. Zuerst wurden die Gemeinden notdürftig
die Möglichkeiten, die eigenen Einsichten im- rekonstruiert, dann wuchsen darüber die Länder,
mer wieder zu prüfen, zu vertiefen und zu verfei- und nun entsteht über ihnen diese Bundesrepu-
nern. Das ist auch die Aufgabe der politischen blik. Aber noch ist dieser ganze Staat nicht voll
Auseinandersetzungen, die wir hier zu führen funktionsfähig.
haben. Wir haben mit ihnen dazu beizutragen, daß Meine Damen und Herren, das erste, was man
dieser werdende Staat festes Gefüge gewinnt, in- eigentlich daraus folgern sollte, wäre wohl, daß
dem er erlebnismäßig im Volksbewußtsein ver- man dieser Regierung einige Wochen Zeit lassen
wurzelt wird. sollte, damit sie nun praktisch anfangen kann, an
Dieses Sichtbarmachen einer Staatswirklichkeit, die politische Arbeit heranzugehen und zunächst
meine Damen und Herren, erfordert allerdings, daß einmal sich das organisatorische Instrument zu
wir uns die Auseinandersetzung nicht zu bequem schaffen, mit dem man überhaupt in Deutschland
machen. Es ist hier von den beiden Vorrednern Politik machen kann. Ich glaube, daß diese Arbeit
sehr viel von den Funktionen der Opposition ge- und diese Tätigkeit dem deutschen Volk viel mehr
sprochen worden. Ich will diese Funktionen nicht wert ist als soviele theoretische Bemühungen, ob
geringschätzen. Ich habe ja eben schon ihren Wert diese oder jene Entschlüsse so oder so mißdeutet
angedeutet, als ich vom Sinn der Zwiesprache und werden können. Dabei wird diese Regierung, eben
l ihrer Fähigkeit, Einsichten zu steigern und zu wegen der ungewöhnlichen Bedingtheiten der po-
vertiefen, gesprochen habe. Darüber hinaus aber litischen Verhältnisse, unter denen der Staat ent-
möchte ich doch einen Unterschied zwischen ver- steht, wesentliche Auseinandersetzungen zu füh-
ren haben. Sie hat alle die Realitäten, die sich
schiedenen Arten von Opposition machen, nämlich
um das Besatzungs- und das Ruhrstatut gruppie-
zwischen der einen, die getragen ist von dem Wil-
ren, in ihre Betrachtungen hineinzunehmen.
len, den Staat an sich und das Wechselspiel der
Meine Damen und Herren, nur einen Hinweis
Demokratie zu bejahen und funktionsfähig zu er- möchte ich in diesem Zusammenhange machen.
halten, und der anderen grundsätzlich staatsver- Entscheidend ist der Geist der Handhabung die-
neinenden Opposition. Diese hat nichts gemein mit
ser sogenannten Statuten. Daher liegt mir sehr
einer Opposition, die bemüht ist, an der Entwick- daran, noch einmal mit besonderem Nachdruck
lung des staatlichen Lebens konstruktiv Anteil zu auf das Begleitschreiben zu verweisen, das seiner-
nehmen. zeit der Parlamentarische Rat erhalten hat, als
(Zurufe links.) ihm der Entwurf des Besatzungsstatuts zur Kennt-
Der Herr Kollege Dr. Schumacher hat -als die nis gebracht wurde. Damals sind Richtlinien für
Aufgabe der Opposition und seiner Fraktion den die Beziehungen zwischen den Besatzungsmächten
Versuch bezeichnet, der Regierung und den Koa- und der werdenden Bundesrepublik ausgesprochen
litionsparteien durch ständige Beobachtung, auch worden, deren Verwirklichung allein überhaupt
durch kritische Mitwirkung allmählich ihren Wil- die Möglichkeit geben kann, daß unsere Bemü-
len aufzuzwingen. Dieser Versuch nun, meine Da- hungen um einen neuen, um einen echten, leben-
men und Herren, kann gemacht werden und sollte digen, im Volksbewußtsein verwurzelten Staat Er-
gemacht werden. Niemand von uns wird gegen folg haben.
diesen Versuch etwas einzuwenden haben. Ich weiß Dabei werden wir bei allen unseren ökono-
nur nicht oh die Ausführungen die wir vorhin mischen und sozialpolitischen Erwägungen immer
gehörtabn.dzueigtranhb,d wieder auch von der Tatsache auszugehen haben,
Überzeugung in uns zu stärken, daß wir bei die- daß wir dies politische Gebilde, das wir hier inner-
sem Versuch schon auf dem richtigen Weg sind. halb der drei westlichen Besatzungszonen als
Staatswesen beginnen, dieses Teilstück eines Ge-
(Zustimmung.) samtdeutschlands nur lebensfähig erhalten und
Denn, was ich in diesen Ausführungen gehört habe, seine Entwicklungsmöglichkeiten nur dann sicher-
blieben mehr oder weniger negative Anmerkungen, stellen können, wenn diese in den größeren Zu-
aber nicht die Versuche, nun wirklich zu überzeu- sammenhang einer europäischen Föderation ein-
gen, wirklich denen, die glauben, jetzt die Regie- münden. Hier werden besondere Aufgaben einer
rung tragen zu müssen, klarzumachen, daß sie an- Politik des Kabinetts vorliegen; sie sind wesent-
dere Wege einschlagen müssen oder daß echte licher als irgendwelche innerpolitischen Auseinan-
Gründe gegeben sind, von den Absichten, die ge dersetzungen. Ich glaube, hier darf es einen Zwie-
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 51
(Dr. Schäfer)
spalt zwischen einer staatsbejahenden Opposition Dabei müssen einige Überlegungen in den Vor-
und den Regierungsparteien überhaupt nicht ge- dergrund gerückt werden. Meine Damen und
ben. Herren, die Entwicklung der letzten Jahrzehnte
Wir haben nämlich mehr zu erreichen. Wir ste- hat in allen Ländern zu einer Hypertrophie der
hen doch vor einer ungeheuer tragischen Lage un- Staatsfunktionen geführt. Der Staat hat ein sol-
serer Geschichte. Das größte Unheil der Erbschaft, ches Maß von Aufgaben zugeschanzt bekommen,
die uns die fürchterlichen Jahre der Despotie hin- hat so viele Dinge an sich gerissen oder dafür die
terlassen haben, liegt darin: Es ist verkannt wor- entsprechenden Einrichtungen und Apparaturen
den, was schon in den Dreißiger Jahren in seinen schaffen müssen, daß die Gefahr besteht, daß
Entwicklungsansätzen durchaus sichtbar war, daß durch das Übermaß der Staatsfunktionen die De-
sich im Westen und im Osten zwei große neue mokratie in Wirklichkeit unwirksam gemacht
Gravitationszentren von epochebestimmender Kraft wird.
und Gewalt gebildet haben. Wir sind gegenwärtig, (Sehr richtig! bei der FDP.)
meine Damen und Herren — und das ist das
Schlimmste, was die rasenden Machtstreber hinter- Wenn ein Staat zuviel tut, wird er undurchsich-
lassen haben -, das Land, durch dessen Volksge- tig und unübersehbar. Die Wirksamkeit eines
biet der Graben zwischen zwei Welten gezogen ist. Parlaments hängt bis zu einem gewissen Grade
Den Folgen einer solchen Entwicklung entgegen- davon ab, daß die Staatsfunktionen auf das wirk-
zuwirken und die deutsche Einheit zurückzuge- lich Notwendige und Wesentliche begrenzt wer-
winnen, setzt ein hohes Maß politischer Konzen- den.
tration, setzt eine Anstrengung voraus, diesen (Sehr richtig! bei der FDP.)
Staat, den wir hier beginnen, zu einem echten Wird der Staatsapparat durch sein Übermaß un-
Kristallisationskern neuer deutscher Einheit zu durchsichtig, so daß nicht einmal ein Parlament
machen. Sie läßt nach meiner Meinung die Dinge ihn überwachen und durchschauen kann, dann
mag formal eine Demokratie vorhanden sein, in
,

diehutübrwgnzSpachekomn
sind, als Geringfügigkeit und Nebensächlichkeit er- Wirklichkeit regiert dann mit absoluter Gewalt
scheinen. eine Administration.
(Sehr richtig! bei der FDP.) (Abg. Dr. Baumgartner: Bei Ihrem Zentral
staat! Sie widerlegen sich selbst, Herr Ab
In diesem Zusammenhang möchte ich in Erwä- geordneter!)
gung dessen, was dazu seitens des Herrn Bundes- — Ich widerlege mich nicht! Ich habe von dem Um-
kanzlers erklärt worden ist, noch besonders zum fang der Staatsfunktionen gesprochen. Wo ich die
Ausdruck bringen, daß für uns die Notwendigkeit einzelnen Staatsfunktionen hinlege, in das Zen-
besteht, zu einer baldigen Friedensordnung zu ge- trum oder zu irgendwelchen Zwischengliedern, das
langen, daß auf der anderen Seite aber auch die ist eine Zweckmäßigkeitsfrage. Ich wüßte nicht,
Herstellung einer Friedensordnung für dieses zen- welche anderen Gründe ich haben könnte, bei der
traleuropäische Gebiet die Voraussetzung bildet, Beurteilung von Form und Konstruktion staat
um überhaupt den Weltfrieden herstellen, sichern lichen Lebens andere als Zweckmäßigkeitsgründe
und erhalten zu können. sprechen zu lassen.
(Sehr gut! bei der FDP.) (Lebhafte Zustimmung bei der FDP. —
Man wird sich dazu entschließen müssen, für die Abg. Dr. Baumgartner: Sie sprechen dau-
Beziehungen der Menschen und Völker wieder die ernd nur vom Staat statt vom Bunde! —
Vorstellung lebendig zu machen, daß diese Erde Heiterkeit.)
eigentlich Raum für alle hat und daß nur dann ein — Ich muß allerdings sagen, daß ich auf Grund
Frieden Wirklichkeit wird, wenn die Beziehungen des Grundgesetzes die Ihnen vielleicht merkwür-
und Zusammenhänge zwischen den Völkern eine dig erscheinende Auffassung habe: Bund und Bun-
echte gesellschaftliche Grundlage haben. Das ge- desrepublik und Staatswesen sind irgendwie doch
schieht aber nur dann, wenn zwischen den Men- identisch.
schen jenseits und diesseits der Grenzen, hüben (Sehr gut! bei der FDP. - Zurufe von
und drüben, echte, geistige, wirtschaftliche und der BP.)
auch persönliche Zusammenhänge wirksam -wer- Notwendig ist also, daß das Kabinett beim Auf-
den. So kann ich gar nicht anders, als in diesem bau der organisatorischen Einrichtungen des Staa-
Augenblick, da wir diesen Staat beginnen und uns tes, der Verwaltungen, von vornherein entschlos-
zu den besonderen Notwendigkeiten dieses Staates sen ist, äußerste Sparsamkeit walten zu lassen,
bekennen, wieder sagen, daß für uns, für diesen einmal aus finanziellen Gründen, weil es ange-
Staat, aber auch für das Gedeihen und für die Her- sichts der Fülle drängender Nöte gar nicht ver-
stellung des Friedens in aller Welt die entschei- antwortet werden kann, in den Verwaltungsfunk-
dende Voraussetzung ist, daß wir wieder zu einer tionen und Verwaltungseinrichtungen irgendein
weitgehenden, ja vollständigen Freizügigkeit und Übermaß eintreten zu lassen. dann aber auch, um
freien Beweglichkeit für Menschen, für Güter und die Durchsichtigkeit und Übersichtlichkeit des
für Gedanken gelangen. Staates für die kontrollierende Volksvertretung
(Bravo! bei der FDP.) nicht zu erschweren oder zu vernebeln. Hier gilt
Ich habe schon vorhin gesagt, daß das Kabinett die Konzentration auf das Wesentliche. Es wäre
bei der staatlichen Neuordnung vor schwierigeren an sich notwendig, hier Überlegungen zu wieder-
Aufgaben stehen wird als etwa die Regierung holen, die ich aber wegen der Kürze der Zeit im
nach der Verabschiedung der Verfassung in Wei- einzelnen nicht ausführen will, Gedanken, die im
mar. Wir müssen dem Kabinett eine gewisse An- Laufe der jahrzehntelangen Erörterungen über
laufzeit lassen. Wir können nicht ungeduldig nur Verwaltungsreform und verwandte Dinge ausge-
Forderungen stellen und Anträge einreichen. Es ist sprochen worden sind.
wichtiger, zunächst einmal die Staatseinrichtungen In diesem Zusammenhang wird natürlich auch
zu ordnen. die Personalpolitik eine Rolle spielen, und da
52 Deutscher Bundestag — 8. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Dr. Schäfer)
kann ich nur wiederholen und das unterstreichen, übergleitenden Entwicklung eingeschaltet gewe-
was der Herr Bundeskanzler hinsichtlich der Not- sen sind, all diese Gesetze und Bestimmungen, die
wendigkeit ausgeführt hat: die Bejahung eines im letzten aber auch bewirkt haben, daß Staats-
intakten und sorgfältig vorgebildeten Berufsbeam- bürger zweiter Klasse, Menschen verschiedenen
tentums. Wir haben nicht die Absicht, wir denken Rechts entstanden. Daß wir Verbrecher nicht
nicht daran, irgendeine Auslese parteipolitischer schützen, darüber dürfte wohl kein Zweifel beste-
Art bei der Besetzung von fachlichen Beamten- hen. Aber daß man Menschen bloß deshalb, weil
stellen zu begünstigen oder zu betreiben. sie als Opfer erlogener Darstellungen sich geirrt
(Händeklatschen bei der FDP. — Zurufe haben,
links.) (Abg. Rische: Auch Schacht?)
Wir denken 'vor allen Dingen nicht daran, meine weil sie darum geglaubt haben, eine bestimmte
Damen und Herren, etwa - das Berufsbeamtentum Entwicklung, die über uns gekommen ist, äußer-
zurückzudrängen zugunsten von Zwölfendern der lich mitmachen zu müssen, nun ständig als Staats-
Partei- und Berufsformationen. bürger zweiter Klasse behandelt, das ist mit dem
(Sehr gut! bei der FDP.) Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht vereinbar.
In diesem Zusammenhang wird — da eben der Das, meine Damen und Herren, ist gerade unter
Einwand gekommen ist, daß ich bei der Erörte- dem Gesichtspunkt, den der Herr Kollege Dr.
rung des Verwaltungsaufbaus die Länder nicht ge- Schumacher erwähnt hat, sehr wichtig. Er hat
nügend erwähnt habe — darauf hinzuweisen sein, — nach meiner Meinung übertreibend — von einer
daß durch den Aufbau des Bundes eine ganze nationalrevolutionären Gefahr gesprochen. Ich
Reihe von Funktionen, die bisher bei den Ländern sehe, offen gestanden. diese Gefahr nicht, und ich
lagen, von dem Bund übernommen werden und in- halte es auch nicht für geschickt und klug, sie da-
folgedessen auch sehr erhebliche Vereinfachungen durch interessant zu machen. daß man sie größer
in der Zusammensetzung der Länderkabinette darstellt, als sie in Wirklichkeit ist.
durchaus möglich sind. (Sehr richtig! bei der FDP. — Zurufe links.)
(Sehr richtig! bei der FDP.) Aber, meine Damen und Herren, wenn man ihr
Ich kann in diesem Zusammenhang nur auf das schon entgegentreten will, dann ist es zumindest
Beispiel von Württemberg-Baden verweisen und eine falsche Psychologie, nun noch an diesen Ge-
die Bitte und die Anregung aussprechen, diese setzen, Bestimmungen, Fragebogen und Einrich-
Weisheit in bezug auf Sparsamkeit und Verein- tungen festzuhalten, die nichts weiter bewirken,
fachung möge, ohne daß lange Erörterungen not- als Menschen, die innerlich sich keiner Schuld be-
wendig sind, nun auch in anderen Ländern Schule wußt sind, zu Staatsbürgern zweiter Klasse zu
machen. stempeln, damit zu deklassieren und hineinzutrei-
(Händeklatschen bei der FDP. — Zurufe ben in eine Bereitschaft, nun eben die eigene
links und rechts.) Chance nur noch in einer revolutionären Haltung
und Einstellung zu suchen.
Das Entscheidende aber, meine Damen und
Herren. für den Aufbau des Staates und für seine (Sehr richtig! bei der FDP.)
Reputation. möchte ich sagen, wird sein. daß wir Das schließt aber auf der anderen Seite wie-
nach anderthalb Jahrzehnten der Rechtlosigkeit derum nicht aus, daß wir uns auch ebenso zur
nun mehr und mehr diesen Staat wirklich wieder Wehr setzen
als Rechtsstaat aufziehen und daß wieder die Ver- (Zuruf links: Na also!)
pflichtung, nach Gesetz und Recht 7u handeln und Perlen einen Mißbrauch der staatsbürgerlichen
zu verfahren, nicht nur für die Beziehungen der Freiheit. Wir denken nicht daran, den Fehler zu
einzelnen Staatsfunktionäre zueinander maßge- wiederholen. den die Weimarer Republik begangen
bend wird, sondern auch entscheidend wird für das hat. Wer die Freiheit verneint, stellt sich außer-
Verhältnis von Regierung zu Verwaltung, von halb der Freiheitsrechte.
Bürger z u Staat und von Bürger 711 Bürger. Auch (Sehr richtig! bei de r FDP. Abg. Dr.
hierbei ist entscheidend — das d eckt sich wieder Baumgartner: Das gilt auch für die Länder!)
mit dem. was ich vorhin über die Notwendigkeit
einer Konzentration auf die entscheidenden Auf- Hier. meire Damen und Herren. wird es notwen
gaben des Staates ausgeführt habe — ein Ver- di g sein. ein wachsames Auge zu halten auf Be
ständnis für Sinn und Grenzen der Wirksamkeit des strebungen und Tendenzen, die darauf hinausge
Staates. Wenn wir zuviel Gesetze machen meine hen könnten. durch einen neuen Freiheitsmiß
Damen und Herren. und so entsetzlich viel Vor-- brauch die Festigung eines freiheitlichen Staats
schriften hab en. daß kein Mensch mehr weiß und weses zu stören. zu hemmen oder zu gefährden.
übersehen kann was denn eigentlich gestattet und (Zuruf rechts. Freiheit gilt auch für die
verboten ist dann erleben wir den Zustand . in kleinen Parteien! — Heiterkeit.)
den wir hineingekommen waren vor allen Dingen — Natürlich! Ich habe nicht die Freiheit der klei-
inde,ZtrwuchndeZagsirt. nen Parteien bestritten: aber die Freiheit der klei-
daß nämlich die Gesetzesübertretung zur allgemei nen Parteien kann ia nun nicht dahin führen, daß
nen Volksbelustigung wird. sie Privilegien erhalten.
(Lebhafte Zustimmung hei der FDP ) (Sehr richtig!)
Hier möchte ich noch einmal das Wort hervor Meine Damen und Herren! Das, was uns als die
heben. unte r denn unser Bundepräsident hie rin entscheidendste Aufgabe gilt, hat der Herr Bun-
diesem Hause sein Amt angetreten hat: daß G e deskanzler gestern zum Ausdruck gebracht, als er
rechtigkeit ein Volk erhöht. Das gilt meine Da , von der Notwendigkeit sprach, mit beherzter Ent-
aller-menudHern,auchfür
die Beseitigung schlossenheit an die sozialen Aufgaben unserer
Bestimmungen. die im Zu rre der stufenweisen Um- Zeit heranzugehen. Auch da haben wir wieder
stellung des staatlichen Lebens von der Desnotie mit dem traurigen Erbe der Vergangenheit zu
zu dieser allmählich in demokratische Formen schaffen. D i e soziale Frage unserer Zeit, wenig-
Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
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(Dr. Schäfer)
stens das Kernstück aller sozialen Fragen unserer notwendig ist, eine Normung, eine Schematisierung
Zeit ist das ungeheuerliche Schicksal, das die Mil- der menschlichen Lebensformen unter allen Um-
lionen der Menschen betroffen hat, die man aus ständen weitgehend vermeiden müssen.
ihrer Heimat, aus ihrer Existenz vertrieben hat.
Hier — das ist schon von den Vorrednern ausge- (Sehr richtig! in der Mitte.)
sprochen worden, und ich freue mich dieser weit- So vertreten wir die Ansicht gegenüber der Ent-
gehenden Übereinstimmung — besteht die Not- wicklung in den letzten Jahrzehnten, daß wir die
wendigkeit, dafür zu sorgen, daß die Lasten dieses deutsche Sozialversicherung wieder aus der Gefahr
Krieges nicht nur von den unmittelbar Betroffe- lösen müssen, in die sie hineingeraten war und ist,
nen getragen werden, sondern daß hier das große nämlich so etwas wie ein Geheimratsgewerbe zu
ethische Prinzip gilt, daß der eine des anderen sein. Wir sind vielmehr der Meinung, daß wir So-
Last zu tragen hat. Dabei sind wir aber nicht der zialversicherungsträger entwickeln müssen, die den
Meinung — das ganze Problem des Lastenaus- Versicherten selbst gehören,
gleichs in diesem Zusammenhang zu erörtern, (Sehr richtig! in der Mitte)
würde zu weit führen —, daß es damit getan ist, und daß auf diese Weise eine echte Selbstverwal-
etwa mit schematischen Rentenansprüchen eine tung — unter Anpassung an die verschiedenen und
Lösung dieser überaus schwierigen und verwickel- wechselnden Bedürfnisse der Vorsorge — ein le-
ten Frage zu suchen. Der individuelle Lasten- bendiges Verhältnis zwischen Versicherungsträger
ausgleich, der der Größe des Schadens nicht immer und Versicherten herbeiführen kann. Daß dabei
in vollem, aber in einem angemessenen und mög- notwendig ist, für ihre verlorenen Vermögen einen
lichen Umfange entspricht, scheint uns nach wie Ausgleich herbeizuführen, dürfte unbestritten sein.
vor die bessere und erstrebenswertere Lösung zu Es besteht nur die Frage, ob man ihn etwa in der
sein. Form von alljährlichen Dotationen herbeiführt
Damit ist es notwendig, sich nicht darauf zu be- oder ob man nicht von vornherein zum Ausgleich
schränken, daß man das Recht dieser vertriebenen der eingetretenen Verluste den Versicherungsträ-
deutschen Menschen auf ihre angestammten Hei- gern wenigstens teilweise Ausgleichsforderungen
matgebiete ausspricht. Wir dürfen uns auch nicht zur Verfügung stellt, um eine stetige und auch zur
etwa damit aus der Affäre ziehen, daß wir nun Sicherung der Anwartschaftsdeckung tragfähige
sagen, in diesen Dinge müsse sehr weitgehende Vermögensgrundlage zu geben.
ausländische Hilfe kommen, sondern das erste, was Es ist heute hier soviel von der Jugend gespro-
in dieser Angelegenheit zu geschehen hat, ist, daß chen worden. Meine Damen und Herren, entschei-
das Äußerste an Anstrengungen gemacht wird, um dend ist doch wohl, daß wir die nachgewachsene
zunächst aus eigenen Kräften und mit den eigenen Generation in das Arbeits- und Berufsleben unse-
Möglichkeiten diese schwierigste, diese entschei- res Staates und unserer Gesellschaft hineinbringen.
dende, diese eigentliche soziale Frage unserer Zeit Dafür, meine Damen und Herren, ist notwendig,
zu einer Lösung zu bringen. daß man dazu die Wege erleichtert. Dazu gehört
(Beifall bei der FDP.) die Schaffung von geeigneten Ausbildungs- und
In diesem Zusammenhang werden dann auch die Fortbildungsmöglichkeiten, dazu gehört auch eine
übrigen Opfer des Krieges, die Kriegsbeschädig- Form der Arbeitsvermittlung, die von wirklich
ten, eine besondere Wertung und Berücksichtigung betriebswirtschaftlich erfahrenen Persönlichkeiten
finden müssen. Im einzelnen wird über diese durchgeführt wird,
Dinge zu sprechen sein, wenn die einschlägigen (Sehr richtig! in der Mitte)
Gesetzentwürfe eingebracht werden und wenn die die die Eignung des einzelnen und seine Verwend-
Absicht verwirklicht werden kann, ähnlich der barkeit beurteilen können.
früheren Reichsversorgung eine feste und einheit- Das Wichtigste bei aller Sozialpolitik aber ist,
liche Rechtsgrundlage für die Versorgung aller meine Damen und Herren, daß wir uns nicht nur
Opfer dieses Krieges zu schaffen. über die Frage der Verteilung unterhalten, son-
Das Arbeitsrecht wird weiterzuentwickeln sein, dern daß wir die Frage in den Vordergrund rük-
denn, meine Damen und Herren, die sozialen Le- ken: wie kommen wir denn zu einer Mehrung der
bensformen, auch auf dem Gebiete des Arbeits- Güter und Werte? Denn man kann ja nur ver-
vertragsrechts, des Individualvertrages wie des teilen, was vorher geschaffen ist. So gesehen ist
Kollektivvertrages, sind verwickelter und kompli- eine leistungerhöhende, Werte und Güter mehren-
zierter geworden. Ich beschränke mich dazu heute de Wirtschaftspolitik eine im besten Sinne dyna-
auf diese Bemerkung: seinerzeit konnte die Wei- mische Sozialpolitik.
marer Republik für sich in Anspruch nehmen, daß (Sehr richtig! in der Mitte.)
sie das fortschrittlichste Arbeitsrecht der Welt ent-
Wer ehrlich und ernsthaft soziale Forderungen er-
wickelt hatte. Der Wille, daran wieder anzu- füllen will, wie ich sie ausgesprochen habe, auf
knüpfen, scheint mir zunächst einmal als allge- dem Gebiete des Lastenausgleichs, in der Verbesse-
meiner Ausdruck einer Absicht und eines Willens rung der Daseinsbedingungen der Kriegsbeschä-
ausreichend zu sein. digten, Kriegshinterbliebenen, Körperbehinder-
Hinzu tritt eine sehr wesentliche Aufgabe: die ten usw., wer die ganze Aufgabe der Wie-
Herstellung der sozialen Sicherheit mit den Mit- derherstellung und der Wiedergesundung der
teln der Sozialversicherung und der sozialen Für- deutschen Sozialversicherungseinrichtungen ver-
sorge. Eins scheint uns dabei entscheidend: daß wirklichen will, wer das Fürsorgewesen ver-
diese soziale Versicherung und daß dieses System bessern will, wer auf dem Gebiete der Gesund-
der Vorsorge für die Wechselfälle des Lebens nicht heitspolitik und der sozialen Hygiene fortschritt-
dazu führt, die unterschiedlichen Lebensformen der liche Entwicklungen anstrebt, der kann das nur
Menschen zu schablonisieren. Wir sind vielmehr mit einer Wirtschaftspolitik verwirklichen, die
der Überzeugung, daß wir, weil für unseren öko- dazu überhaupt die materiellen Voraussetzungen
nomischen Fortschritt eine wachsende Verschieden- schafft. Da sind wir allerdings der Überzeugung,
heit der Menschen, ihrer Fähigkeiten und Gaben daß mit einer Befehlswirtschaft, mit der Errich-
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(Dr. Schäfer)
tung von Kommandozentralen diese Möglichkeit liche Austauschbeziehungen abkapsele. Denn sonst
nicht gegeben ist. ist die Planung gar nicht richtig möglich.
(Sehr gut! in der Mitte.) (Zuruf: Siehe England! - Gegenrufe von
Wir stehen heute genau so wieder in einer der SPD.)
Situation, wie Völker etwa in dem Pionierzeitalter Das ist das eine. Wenn wir mit so primitiven -
gestanden haben, wo sie auch von vorne anzu- Begriffen arbeiten, die noch aus der Zeit etwa des
fangen hatten. Wir stehen in einer Situation, wie Vulgär-Marxismus des 19. Jahrhunderts stammen,
wir sie in Europa nach den Freiheitskriegen hatten, kommen wir ja nicht weiter.
damals, als auch so ein Tyrann über die Lande (Sehr richtig! rechts.)
gezogen war, als er auch gestürzt war: da waren Wie stellen Sie sich das bloß vor? Die entscheidende
auch die Städte verwüstet und der Verkehr lahm- Frage für uns ist, durch weltwirtschaftliche Ver-
gelegt und alles heruntergewirtschaftet. flechtung Einfuhren hereinzubekommen, weil ein-
(Abg. Dr. Schmid: Der hat die Gewerbe fach die Möglichkeit, im eigenen Lande aus eige-
freiheit eingeführt, Herr Kollege!) nen Erzeugnissen Ernährung, Bekleidung, Texti-
lien und Rohstoffe herbeizuschaffen, nicht ge-
— Richtig! Aber damals, Herr Kollege Dr. Schmid, geben ist.
hat man eins nicht gemacht: man hat an den An-
fang der Entwicklung des großen technischen Zeit- (Zuruf von der KPD: Was macht eigentlich
alters nicht Planungszentralen und Lenkungs- die Marshall-Behörde? — Dasselbe!)
bürokratie gestellt, sondern man hat den Merkanti- — Sie dürften wissen, daß der Marshallplan eine
lismus der absoluten Fürsten beseitigt, die Zünfte, zeitweilige Angelegenheit ist, die in einigen Jahren
all die Privilegien beseitigt, die die Berufstätigkeit ihre Erledigung findet. Dann entsteht für uns die
der Menschen, den Eigentumserwerb der Menschen entscheidende Frage, die Einfuhren, die wir drin-
einschränkten. Man hat die Menschen freigemacht, gend benötigen, selbst zu bezahlen. Einfuhren kann
sich nach dem höchsten Maße ihrer Leistungsfähig- man aber nur bezahlen, wenn ihnen Ausfuhren ge-
keit zu entfalten. genüberstehen. Das ist eine sehr einfache Regel,
(Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe die durch noch so viele Zwischenrufe nicht aus der
von der SPD.) Welt zu schaffen ist.
(Zuruf rechts: Hören Sie doch damit auf!
— Die Kehrseite der Medaille kenne ich auch. Wir wollen vernünftige Reden hören! Das
(Abg. Dr. Schmid: Sie kennen auch den sind lauter Wahlreden!)
Leitsatz: „Enrichez vous, Messieurs!" So
ganz einfach ist es nicht, Herr Kollege!) Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren,
der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer hat das Wort.
— Es ist wirklich nicht ganz einfach! Jeder hat die Freiheit zu reden. — Bitte, Herr
Aber entscheidend ist jetzt die Frage: wie ent- Abgeordneter, fahren Sie fort!
fessele ich die Antriebskräfte zu einer Wirtschaft,
die aufsteigt? — und nicht: wie bremse ich sie, Dr. Schäfer (FDP): Wenn wir diese Ausweitung
wie hemme ich sie, oder wie korrumpiere ich sie? unseres Außenhandels haben wollen, dann brau-
chen wir doch ein ungeheures Maß an vielseitiger
(Beifall in der Mitte und rechts. — Zurufe Initiative, und wir brauchen vor allen Dingen
links: Ihr seid doch die Wirtschaft! Wo Wagnis-Bereitschaft und Wagnis-Gesinnung. Nun,
sitzen denn die größten?) meine Damen und Herren, wie Sie Wagemut
— Ich muß sagen: das entzieht sich meiner Kennt- schaffen wollen, wenn Sie den Leuten sagen:
nis. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die so leicht „Schön, du kannst etwas wagen; wenn es schief
Schlechtes von jemand sagen, einfach weil sie von geht, dann hast du einen Verlust, aber wenn du
einer vorgefaßten Meinung ausgehen. Erfolg hast, dann wird dir alles weggenommen!"—,
(Abg. Schoettle: Wer zahlt denn die Korrup wie Sie unter solchen Bedingungen Wagemut
tionsgelder? Einer muß doch bezahlen, wenn schaffen wollen, weiß ich nicht. Meine psycholo-
der andere nimmt!) gische Einsicht reicht dazu nicht aus.
Aus diesen Erwägungen aber wird es notwendig
— Nach meinen Beobachtungen haben sehr viele sein, daß die Bundesregierung sich sehr bald be-
gezahlt. Ich kenne keinen Stand und keine Schicht, müht, ein System der auswärtigen Handelsvertre-
die sich nicht an diesen Dingen entweder passiv tungen für uns zu erreichen. Sie muß dabei gleich-
oder aktiv beteiligt hätte. zeitig anstreben, auch unsere Devisenlage dadurch
(Zuruf von der SPD: Die andern können es zu verbessern und zu erleichtern, daß mit Hilfe
besser als wir! - Gegenruf: Seien Sie nur eines deutschen Schiffbaues auch die Möglichkeit
nicht so bescheiden!) gegeben ist, wieder eine eigene deutsche Handels-
Meine Damen und Herren, es wäre sehr reizvoll, flotte zu betreiben.
nun diese ganzen Erörterungen fortzuspinnen. Die Im übrigen, meine Damen und Herren, besteht
Redezeit ist aber beschränkt, und ich kann mich wohl kein Zweifel darüber, daß das, was wir aus-
immer nur auf die grundsätzlichen Feststellungen zuführen haben, in erster Linie arbeitsintensiv her-
beschränken. Entscheidend für unsere Überlegun- gestellte Qualitätserzeugnisse sein müssen. Quali-
gen — um daran wieder anzuküpfen — ist, daß es tät aber ist gleichbedeutend mit dem Maß an gei-
darauf ankommt, die Auftriebkräfte der wirtschaft- stiger Energie, die hineingeformt wird in den Stoff.
lichen Entwicklung freizumachen, zu entfesseln, Weil dem so ist, wird sich die Bundesregierung
und daß es darauf ankommt, das Erfolgstreben auch sehr bald dafür interessieren müssen, daß
lebendig zu machen, damit mehr geschaffen wird. wissenschaftliche Einrichtungen zur Vervollkomm-
Denken Sie an unsere weltwirtschaftliche Ab- nung unserer technischen Methoden — namentlich
hängigkeit. Stellen Sie sich nur die Möglichkeit nach dem Verlust der gesamten gewerblichen
einer zentralen Planung vor. Was bedeutet denn Schutzrechte unseres Landes — geschaffen werden.
zentrale Planung? Sie bedeutet, daß ich zunächst Sie muß bemüht sein, gerade den wissenschaft-
einmal den Planungsraum gegen weltwirtschaft- lichen Instituten, die der technischen Entwicklung
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förderlich sein könnten, einen besonderen Vorrang gehen, daß wir die sozialen Verpflichtungen, die in
in ihrer Zielsetzung einzuräumen. ihrer Zahllosigkeit, in ihrer ungeheuren Größe und
Eines, meine Damen und Herren, möchte ich Vielgestaltigkeit auf uns lasten, nur dann erfüllen
dabei von vornherein erklären: wir werden uns können, wenn die gesamte Wirtschaftskraft der
nie damit befreunden können, daß man auf irgend- Bundesrepublik einheitlich zusammengefaßt und
einem Gebiet neue staatliche Monopole oder angesetzt wird. -
Monopolverwaltungen errichtet. Genau so, wie wir Dazu gehört, wie ich schon gesagt habe, auch eine
private Monopole ablehnen und gewillt sind, uns Art der Steuerpolitik und überhaupt eine Be-
für die baldige Verabschiedung eines Anti- messung der öffentlichen Abgaben, die verhindert,
Monopolgesetzes einzusetzen, genau so wehren wir daß der deutsche Mensch dahin gebracht wird,
uns aber auch gegen die Versuche, etwa durch die überhaupt nicht mehr an eine selbstverantwortliche
Errichtung neuer staatlicher Monopole wirtschaft- Sicherstellung seines eigenen Daseins zu denken.
liche Verfügungsmacht und administrative Gewalt Hier gilt es auch, eine Umkehr zu bewirken. Das
in einer Hand zu vereinigen Ziel muß sein, wieder solche Existenzbedingungen
(Sehr richtig! in der Mitte und rechts) für alle, für Arbeitnehmer und Arbeitgeber in glei-
und damit Machtzentralen in unserem staatlichen cher Weise, zu entwickeln, die sie in die Lage ver-
Leben aufzurichten, von denen aus die Demokratie setzen, am Ende ihres Arbeitslebens nicht von der
ausgehöhlt werden könnte. Fürsorge abhängig zu sein. Es ist ein Unfug, den
(Beifall in der Mitte und rechts.) Menschen vorher soviel wegzunehmen, daß sie
nachher unter allen Umständen auf öffentliche Für-
Mit dem Ausbau der Außenhandelsbeziehungen sorge angewiesen sind.
hat aber auch eine Steigerung aller Möglichkeiten
der Bedarfsdeckung aus dem eigenen Lande Hand (Sehr richtig! bei der FDP.)
in Hand zu gehen. Hier sind wir uns darüber klar, Dabei ist dann noch eine wichtige Überlegung
daß wichtiger und dringlicher als alle doktrinäre der Übgabenpolitik fur uns entscheidend: Kapital-
Wertung über landwirtschaftliche Betriebs- und bildung muß die Möglichkeit geben, nun für die
Besitzgrößen die Durchführung entschiedener Maß- Zwecke der Finanzierung in erster Linie auf echte
nahmen zur Produktionssteigerung ist. Dazu wird Rücklagen zurückgreifen zu können. Dazu gehört
die Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen für allerdings, daß eine Währungspolitik betrieben
eine schnelle Durchführung der Flurbereinigung wird, die das Vertrauen der Sparer in die Spar-
gehören. Dazu werden Meliorationen gehören, Er- einlage oder des Versicherten in seine Versiche-
schließung namentlich von gewissen Produktions- rungsrücklage nicht immer wieder in Frage stellt.
reserven, die noch in Nordwestdeutschland gegeben Hier entsteht eine große und sehr schwierige und,
sind. Es wird dazu ferner eine Schädlingsbe- ich glaube, sehr viel Takt erfordernde Aufgabe der
kämpfung gehören, die aber auch tatsächlich wirk- wirtschaftspolitischen Führung des Kabinetts.
sam wird und nicht nur an Symptomen herum Meine Damen und Herren! Meine politischen
kuriert; und es wird weiterhin notwendig sein, den Freunde im Parlamentarischen Rat haben sich nur
Hackfruchtbau zu begünstigen. sehr schwer die Bestimmungen des Grundgesetzes
Das Kernstück aber der ganzen wirtschaftspoliti- zu eigen gemacht, die sich mit der Aufteilung der
schen Arbeit sehen wir in der Durchführung des Steuern und der Ordnung der Finanzverwaltung
Wohnungsbaus. Deswegen begrüßen wir es, daß ein beschäftigen. Diese Bestimmungen sind nicht aus
besonderes Ministerium die Notwendigkeit des der Initiative dieser verfassunggebenden Versamm-
Wohnungsbau eigens hervorhebt, ja auch die lung, sondern sehr weitgehend unter fremden Ein-
Gewähr gibt, daß diese Aufgabe nicht als Neben- flüssen zustande gekommen. Wir möchten aus-
angelegenheit irgendeines Ressorts begonnen, son- drücklich hervorheben, daß mit den hierher ge-
dern als Gegenstand einer besonderen Verant- hörenden Bestimmungen des Grundgesetzes und
wortung in diesem Kabinett angesehen wird. An- mit den Gedankengängen, die für diejenigen mal-
gebracht wird dabei auch hier eine gewisse Wagnis- gebend gewesen sind, die diese Bestimmungen in
bereitschaft sein. Ich rede natürlich nicht etwa die Verfassung aufgenommen haben, das Äußerste
bedenklichen und gefährlichen inflationistischen an Zugeständnissen hinsichtlich der Zersplitterung
Experimenten das Wort. Aber notwendig wird es des deutschen Finanzwesens gemacht worden ist.
sein, doch den Mut zu haben zu einem gewissen, Wir möchten ausdrücklich hervorheben, daß wir
bedachtsamen Maß der Kreditausweitung, min- uns jedem Versuch, etwa im Sinne einer weiteren
destens um die dringenden Forderungen der Vor- Streuung, einer weiteren Aufgliederung oder
finanzierung befriedigen zu können. faktischen Schwächung der Finanzhoheit des Bun-
Dabei erkennen wir zugleich etwas, was ich dem des. die finanzpolitischen Bestimmungen des
Kabinett allerdings dringend als einen besonderen Grundgesetzes extensiv zu interpretieren, mit äu-
Wunsch meiner Freunde empfehlen möchte: die ßerster Entschiedenheit widersetzen werden.
strenge Koordinierung von Wirtschafts- und Finanz- (Beifall bei der FDP.)
politik. Denn es darf unter keinen Umständen hier
eine Zweigleisigkeit entstehen, und es darf vor al- In diesem Zusammenhang möchte ich die Bun-
len Dingen nicht geschehen, daß etwa durch Ressort- desregierung noch auf die dringende Notwendig-
partikularismus die Einheit der gesamten wirt- keit aufmerksam machen, sich mit größter Be-
schafts- und finanzpolitischen Aufgaben, ihre Zu- schleunigung der Frage der Besatzungskosten zu-
sammenhänge und ihre Verbundenheit gelockert zuwenden. So wie die Dinge bisher gelaufen sind,
und gelöst werden und sich dadurch Reibungen und kann es nicht bleiben. Dieses Anliegen muß
Hemmungen ergeben, die den wirtschaftspolitischen bald aus dem Stadium der theoretischen Betrach-
Leistungseffekt der Regierung beeinträchtigen. tungen herausgebracht werden. Denn alle Möglich-
Dabei haben wir außerdem den Wunsch: alle wirt- keiten, Etats aufzustellen, Haushaltsvoranschläge
schaftspolitischen Maßnahmen seien immer von zu machen, überhaupt über irgendwelche Anlagen
dem Gedanken getragen, daß das Gebiet der Bun- und Einnahmen zu disponieren, sind ausgeschlos-
desrepublik eine Wirtschaftseinheit ist. Alle wirt- sen, solange nicht wirklich eine verläßliche Begren-
schaftspolitischen Maßnahmen und Entscheidungen zung der Forderungen der Besatzungsmächte er-
müssen in erster Linie von dem Gesichtspunkt aus- folgt.
56 Deutscher Bundestag — 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949
(Dr. Schäfer)
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung gegenüber den Versuchen zum Ausdruck bringen,
ist eine Koalitionsregierung. Das bedeutet, daß po- etwa die Wirksamkeit und die Tragfähigkeit dieser
litische Parteien mit verschiedenen Auffassungen, Regierung dadurch fragwürdig zu machen, daß
mit Persönlichkeiten verschiedener politischer Her- man allzu stark auf die Tatsache hinweist, daß
kunft sich zusammengetan haben, um eine Regie- immerhin drei Parteien an dieser Regierungsbil-
rung zu bilden. Für mich und meine Freunde ist dung beteiligt sind.
bei dem Entschluß, diesen Weg zu gehen, die Über-
legung entscheidend gewesen, daß unter diesen (Abg. Dr. Schmid: Das hat doch niemand
den Staatsbeginn bestimmenden und bedingenden getan!)
Umständen und unter diesen Zeitverhältnissen, so- — Doch, das ist geschehen.
wie nach dem ganzen Ergebnis und dem Verlauf Ich möchte noch etwas Weiteres sagen. Es gibt
des Wahlkampfes eine andere als diese Koalition soviele Leute, die es ruhmvoll finden, die Kom-
gar nicht vorstellbar ist, um den Start der Bundes- promißlosigkeit zu preisen. In Wahrheit ist schöp-
republik durchzuführen. ferische Wirklichkeit in der Politik eigentlich
(Sehr gut! bei der FDP.) immer ein Kompromiß gewesen.
Es ist auch bisher angesichts der innenpolitischen
Kräfteverhältnisse in diesem Hause mit ernsten (Zuruf von der SPD: Es fragt sich nur,
was für eins!)
Begründungen nicht der Versuch gemacht worden,
eine andere Koalitionsmöglichkeit aufzuzeigen. Die schöpferische Politik, die gestaltende Politik
Es hat unter diesen Umständen auch gar keinen besteht eigentlich nie aus dem Wirksamwerden
Sinn, diese Koalition an sich zu bestreiten oder chemisch reiner Ideen, sondern immer aus der Ver-
anzuzweifeln. Koalitionen sind ihrem Wesen nach bindung von verschiedenen Denkelementen. Und
eben aus verschiedenen politischen Richtungen zu- dieser Wille zur Synthese in der praktischen poli-
sammengesetzt. Das bedeutet aber nicht, daß eine tischen Arbeit wird bei Wahrung der eigenen Aus-
Koalitionsregierung deswegen brüchig sein muß. gangsstellung und Grundhaltung in der nächsten
Vielmehr ist durch die gegenwärtige Lage eine Zeit unser Weg gegenüber dieser Regierung und
solche Fülle von dringenden und unbestreitbaren in diesem Hause sein.
Staatsnotwendigkeiten gegeben, daß über den Wil- (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)
len zur Verwirklichung dieser praktischen Ziele
zwischen den Koalitionspartnern überhaupt gar Präsident Dr. Köhler: Meine Damen und Herren!
keine Meinungsverschiedenheiten bestehen können. Gemäß der Abmachung im Altestenrat ist die heu-
Sie mögen von Fall zu Fall in Zweckmäßigkeits- tige Rednerliste als beendet anzusehen.
fragen bestehen, sie mögen in Nebenfragen be- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
stehen. Bei den Aufgaben, auf die es in der näch- Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 22. Sep-
sten Zeit, in der unmittelbaren Gegenwart und in tember 1949, 10 Uhr, ein und schließe die sechste
der nächsten Zukunft ankommt, befürchte ich bei Sitzung des Deutschen Bundestags.
allseitigem Willen zur loyalen Zusammenarbeit
keine Bestandsgefährdung. Das möchte ich hier (Schluß der Sitzung: 17 Uhr 56 Minuten.)

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