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2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4.

Februar 1954 325

Fortsetzung der ersten Beratung des Ent-


wurfs eines Gesetzes über die Inanspruch-
nahme eines Teils der Einkommensteuer
und der Körperschaftsteuer durch den
Bund im Rechnungsjahr 1954 (Druck
sache 201) 332 C
Schoettle (SPD) 332 D
Dr. Krone (CDU/CSU) 346 A
Dr. Dehler (FDP) 350 B
Dr. Vogel (CDU/CSU) 361 B
Weiterberatung vertagt 368 C
Nächste Sitzung 368 C

12. Sitzung Die Sitzung wird um 9 Uhr 31 Minuten durch


den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954.
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und
Herren! Ich eröffne die 12. Sitzung des Deutschen
Geschäftliche Mitteilungen 325 C, 326 B, Bundestages. Ich bitte um Bekanntgabe der Namen
der entschuldigten Abgeordneten.
346 A, 368 C

Glückwünsche zum Geburtstag des Bundes- Karpf, Schriftführer: Es suchen für längere Zeit
präsidenten Dr. Heuss und zu den Geburts- um Urlaub nach die Abgeordneten Frau Dr. Stein-
tagen der Abg. Raestrup, Gaul, Schneider biß für acht Wochen und Dr. Kopf für vier Wochen
(Hamburg) und Dr. Baade 325 D wegen dienstlicher Inanspruchnahme, die Abgeord-
neten Hermsdorf für sechs Wochen, Hahn für
Nächste Fragestunde - 326 A vier Wochen, Görlinger für drei Wochen, Lemmer
für zwei Wochen, Frühwald für zwei Wochen und
Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Donhauser für weitere zwei Wochen wegen
Anfragen 16 betr. Erstattung der Fahrt- Krankheit.
mehrkosten an Arbeiter und Schüler im
Zonengrenzgebiet (Drucksachen 148, 225) Präsident D. Dr. Ehlers: Ich darf annehmen, daß
und 20 betr. Ladenschlußgesetz (Druck- das Haus mit der Erteilung dieses Urlaubs einver-
sachen 179, 219) 326 A standen ist. — Das ist der Fall.

Vorlage der Übersicht über die über- und Karpf, Schriftführer: Der Präsident hat für zwei
außerplanmäßigen Haushaltsangaben im Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Dollin-
Rechnungsjahr 1952 (Drucksache 176) . . 326 A ger, Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn), Dr. Bürkel,
Dr. Wiedeck, Eckstein, Raestrup, Vizepräsident
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion Dr. Jaeger, Ollenhauer, Dr. Werber, Dr. Gülich,
der FDP betr. Regelung der verbrieften Brandt (Berlin), Dr. von Brentano, Neumann und
Reichsschulden (Drucksache 95) in Verbin- Wehner.
dung mit der
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion erteilt den Abgeordneten Frau Niggemeyer, Even,
der SPD betr. Regelung der Anleihen des Dr. Graf, Fassbender, Leibfried, Gockeln, Dr. Mocker,
Deutschen Reiches und des Landes Preußen Dr. Miessner, Lücke, Majonica, Ehren und Frau
(Drucksache 140, Umdruck 10) 326 B Dr. Rehling.
Dr. Atzenroth (FDP), Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und
Anfragender 326 B, 331 A Herren! Ich habe namens des Deutschen Bundes-
Präsident D. Dr. Ehlers 328 A tages, auch wenn es in der Presse nicht überall zu
Seuffert (SPD), Anfragender . 328 B, 330 C lesen war, am 31. Januar dem Herrn Bundes-
Schäffer, Bundesminister der Finanzen 329 D präsidenten die herzlichsten Glückwünsche zu
331 B seinem 70. Geburtstage ausgesprochen. Ich darf
Dr. Gille (GB/BHE) mich auch hier zum Sprecher des Hauses machen,
Scharnberg (CDU/CSU) 332 B wenn ich vor dem Plenum diese Glückwünsche
ausdrücklich und herzlich wiederhole.
Überweisung des Antrags Umdruck 10 an
den Ausschuß für Geld und Kredit und (Lebhafter Beifa ll.)
an den Ausschuß für den Lastenausgleich 332 C
Ich habe weiterhin zu folgenden Geburtstagen
Fortsetzung der ersten Beratung des Ent- zu gratulieren, und zwar wieder in der Reihenfolge
wurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Alters:
des Bundeshaushaltsplans für das Rech- zum 74. Geburtstag dem heute leider nicht an-
nungsjahr 1954 (Haushaltsgesetz 1954) wesenden Herrn Abgeordneten Raestrup,
einschließlich Ergänzungsvorlage (Druck-
sache 200) in Verbindung mit der (Beifall)
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(Präsident D. Dr. Ehlers)
zum 65. Geburtstag am 1. Februar dem Herrn lamentarische Institution der Großen Anfrage
Abgeordneten Gaul, mehr oder weniger entwerten.
(Beifall) (Abg. Mellies: Es steht ja auch einiges
zum 62. Geburtstag am 26. Januar dem Herrn darüber in der Geschäftsordnung!)
Abgeordneten Schneider (Hamburg). Es handelt sich um eine Wiederholung unserer
(Beifall) Anfrage, die wir bereits am 2. Juni 1953 vor dem
ersten Bundestag begründet haben. Wir haben
und zum 61. Geburtstag am 23. Januar dem damals den Herrn Bundesfinanzminister gefragt,
Herrn Abgeordneten Dr. Baade.
1. ob er bereit ist, eine Aufwertung der Anleihen
(Beifall.) der öffentlichen Hand vorzunehmen,
Ich weise darauf hin, daß die nächste Frage- 2. ob er weiterhin bereit ist, den Gläubigern
stunde am Donnerstag, dem 25. Februar, um dieser Anleihen im Rahmen des Altsparergesetzes
9.30 Uhr stattfindet. Die Sperrfrist für eingehende auch eine zusätzliche Entschädigung zu gewähren,
Fragen ist Donnerstag, 18. Februar, 12 Uhr. und
3. ob er unserem Vorschlag folgen will, zur Fi-
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne nanzierung dieser Aufwendungen Mittel aus dem
Verlesung ins Stenographische Protokoll aufge- gewerblichen Vermögen der öffentlichen Hand zu
nommen. nehmen.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem Der Herr Bundesfinanzminister hat damals die
23. Januar 1954 die Kleine Anfrage 20 der Fraktion der beiden ersten Punkte, zwar mit den üblichen Ein-
DP betreffend Ladenschlußgesetz — Drucksache 179 — be-
antwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 219 verviel- schränkungen, aber doch, wie es das Haus wohl
fältigt. allgemein verstanden hat, positiv beantwortet,
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem wogegen er über den dritten Punkt geschwiegen
27. Januar 1954 die Kleine Anfrage 16 der Abgeordneten hat. Ich darf vielleicht einen Teil seiner Antwort
Dr. Arndt, Freidhof. Dr, Preller und Genossen betreffend Er-
stattung der Fahrtmehrkosten an Arbeiter und Schüler im aus dem damaligen Protokoll in Erinnerung brin-
Zonengrenzgebiet — Drucksache 148 — beantwortet. Sein Schrei- gen. Er sagte damals:
ben wird als Drucksache 225 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem Es wird . . . angestrebt, schon im Hinblick auf
30. Januar 1954 unter Bezugnahme auf § 33 Absatz 1 der den erwähnten, zugunsten der ausländischen
Reichshaushaltsordnung eine Ubersicht über die über- und
außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im Rechnungsjahr 1952 Reichsmark-Gläubiger in London vereinbarten
zur Kenntnisnahme überreicht, die als Drucksache- 176 verteilt Termin,
wird.
— das war nämlich der 31. Dezember 1953 —
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß die noch dem derzeitigen Kabinett
heutigen Beratungen wegen der zahlreich ange — also dem ersten Bundeskabinett —
setzten Ausschuß sitzungen um 15 Uhr beendet den Entwurf über eine gesetzliche Regelung
werden sollen. Falls wir mit der Tagesordnung der verbrieften Schulden des Reiches, der
dann noch nicht am Ende sind, soll die Beratung Reichsbahn, Reichspost und des ehemaligen
der heutigen Tagesordnung morgen 9 Uhr 30 vor Landes Preußen vorzulegen.
der morgigen Tagesordnung fortgesetzt werden.
Ich bitte, sich freundlichst darauf einzurichten. Das ist nicht geschehen. Das derzeitige Kabinett
ist durch ein neues abgelöst worden; aber auch die-
Ich rufe zunächst auf Punkt 1 a) und 1 b): sem neuen Kabinett ist die Vorlage bis heute nicht
zugegangen. Eine solche Verzögerung ist uner-
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion träglich, nicht nur im Hinblick auf die betroffe-
der FDP betreffend Regelung der verbrief- nen Kreise, sondern auch wegen der möglichen
ten Reichsschulden (Drucksache 95); Folgen gegenüber den Auslandsgläubigern.
b) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion Und nun zur Sache selbst.
der SPD betreffend Regelung der Anleihen
des Deutschen Reiches und des Landes Bei der Währungsreform sind die Gläubiger des
Preußen (Drucksache 140). Reichs, des Landes Preußen, der Bundesbahn, der
Bundespost und noch einige andere Gläubiger leer
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth. ausgegangen. Sie waren die einzigen Forderungs-
berechtigten, die keine Aufwertung erfahren haben.
Dr. Atzenroth (FDP), Anfragender: Meine Damen Die Bundesrepublik aber, zum Teil allerdings auch
und Herren! Ich muß zunächst unserem Bedauern die Länder, haben desungeachtet es als selbstver-
darüber Ausdruck geben, daß wir erst heute Ge- ständlich angesehen, die Vermögenswerte des
legenheit erhalten, diese Anfrage vor dem Hohen Reichs, der Reichsbahn und der Reichspost zu über-
Hause zu begründen, eine Anfrage, die das Datum nehmen. Sie haben aber nichts getan, um auch die
des 1. Dezember 1953 trägt und die nach ihrem Verpflichtungen dieser Vermögensträger einzu-
ganzen Inhalt eigentlich noch im vergangenen lösen.
Jahre hätte behandelt werden müssen. Mir sind In § 30 des Währungsgesetzes ist eine Regelung
die Gründe nicht bekannt, die den Herrn Präsi-
denten bewogen haben, diesen Punkt erst jetzt auf der Entschädigungsansprüche für Wertpapiere, die
die Tagesordnung zu setzen. Wenn es aber auf Rechte gegen das Reich verbriefen, ausdrücklich
Wunsch der Bundesregierung geschehen sein sollte, vorgesehen. Gegenüber den Auslandsgläubigern
hat die Bundesregierung solche Ansprüche auch
so müßte man gegen ein solches Verfahren Ein- ausdrücklich anerkannt; denn in einem Schreiben
spruch einlegen.
des Herrn Bundeskanzlers an die Alliierte Hohe
(Abg. Mellies: Hört! Hört!) Kommission vom 6. März 1951 heißt es:
Es kann nicht derjenige, der gefragt wird, den Die Bundesregierung bestätigt hiermit, daß sie
Zeitpunkt bestimmen, an dem er diese Frage für die äußeren Vorkriegsschulden des Deut-
beantworten will; denn damit würden wir die par schen Reiches haftet.
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(Dr. Atzenroth)
Die Bundesbahn und die Bundespost haben bereits Man muß sich noch darüber unterhalten, ob nicht
seit längerem die Absicht bekundet, die Verbind- auch eine Anpassung an die Entschädigung not-
lichkeiten der Reichsbahn und der Reichspost zu wendig ist, die das Hohe Haus seinerzeit einstim-
regeln, und auch der Herr Bundesfinanz mig den Altsparern zugebilligt hat. Denn zumindest
min ister hat wiederholt seine Bereitschaft zur bei jenen Anleihegläubigern, die ihre Papiere über
Regelung dieser Fragen erklärt. Er hat sich dabei die ganze Zeit des Krieges hinweg durchgehalten
im Herbst 1950 anläßlich der Diskussion über den haben, liegen die gleichen Voraussetzungen wie
Lastenausgleich ausdrücklich für eine quotale — bei den Altsparern vor.
ich bitte, das Wort zu beachten: quotale — Rege- Nun scheint der Herr Bundesfinanzminister in
lung dieser Umstellung ausgesprochen. der langen Zeit, die seit der Besprechung unserer
Am 2. Juni hat er bei der Behandlung der Gro- ersten Anfrage vergangen ist — also mehr als
ßen Anfrage unter Verweisung auf die im Lon- ein halbes Jahr —, allmählich auf den Gedan-
doner Schulden abkommen und im D-Mark-Bilanz- ken gekommen zu sein, diesen Fragenkomplex mit
gesetz vorgesehenen Fristen auf die Dringlichkeit anderen Problemen zu verbinden, die sich schon bei
dieses Problems hingewiesen. Auch aus dieser Rede der Einbringung des Lastenausgleichsgesetzes ge-
darf ich noch einmal zitieren. Er sagte: zeigt haben. Dem muß aber mit aller Entschieden-
heit widersprochen werden. Man kann nicht Dinge
Es ist für die bilanzierenden Kaufleute von miteinander verkoppeln, die nichts miteinander zu
wesentlicher Bedeutung, baldmöglichst einen tun haben. Die hier zur Aussprache stehenden
Überblick zu erhalten, in welchem Umfang Forderungen gehören einmal in die Währungs-
ein solcher Ausgleich durch Umstellung der gesetzgebung und zum andern — eventuell — in
Forderungen gegen das Reich erfolgen kann. die Gesetzgebung betreffend die Altsparer. Sie
Also eine Fülle von Versprechungen, aber es ist müssen also auch eine dementsprechende Regelung
nichts geschehen. finden. Auf keinen Fall können sie in einem Sam-
Bei dem betroffenen Personenkreis handelt es melgesetz behandelt werden, das ganz andere
sich — zum Teil wenigstens — um Menschen, die Grundlagen hat und das — wir müssen wohl aus
sich in bitterer Not befinden. Gewisse Kreise, ins- unseren Erfahrungen sagen — noch sehr, sehr
besondere aus den freien Berufen, hatten solche lange auf sich warten lassen wird. Wir haben ja
Wertpapiere in der Absicht gekauft, sich damit einige Erfahrungen mit dem Lastenausgleichsgesetz
einen Rückhalt für ihren Lebensabend oder für hinter uns.
Zeiten der Not zu sichern. Diese Menschen- weisen Merkwürdigerweise ist bisher noch niemals die
heute mit Recht auf die große Ungerechtigkeit hin, Behauptung aufgestellt worden, die von uns an-
die ihnen widerfahren ist. Während der Beamte gestrebte Regelung sei für die Bundesrepublik
seine Pensionsansprüche über die Währungsreform finanziell untragbar. Eine solche Behauptung wäre
hinweg behalten hat und während die Renten aus im Hinblick auf die Haushaltslage und die For-
der Sozialversicherung doch im wesentlichen im derungen nach Steuersenkung verständlich und
Verhältnis 1 zu 1 umgestellt worden sind und würde gerade von uns unterstützt werden. Dabei
nachdem man auch einem weiteren Personenkreis darf aber darauf hingewiesen werden, daß der bei
durch das Altsparergesetz zusätzliche Hilfe hat weitem größte Teil der gewaltigen Summe von
zukommen lassen, haben diese Kreise noch nicht 400 Milliarden Reichsmark Reichsanleihen sich in
einmal eine Aufwertung ihrer Forderung erfahren. den Händen von Banken und öffentlichen Körper-
Man kann nun nicht einwenden, die von ihnen schaften befand, die durch Ausgleichsforderungen
seinerzeit hergegebenen Mittel hätten zum größten befriedigt wurden. Wir haben schon im Zusammen-
Teil der Kriegsfinanzierung gedient. Darauf hang mit unserer ersten Anfrage darauf hinge-
hatten diese Menschen ja keinen Einfluß. Wenn es wiesen, daß man keine Mittel aus dem Haushalt in
unter ihnen solche gegeben hat, die die Kriegs- Anspruch zu nehmen braucht. Aus den Mitteln, die
finanzierung bewußt unterstützen wollten, so darf die Gläubiger dieser Anleihen aufgebracht haben,
man daran erinnern. daß auch Beamte ihre Pension sind damals zum Teil Anlagen und Werke ge-
weiter erhalten, die dem damaligen Regime aus schaffen worden, die heute im Besitz des Bundes
Überzeugung gedient haben, und daß sich unter und der Länder sind oder an denen sie wenigstens
den Empfängern von Sozialrenten auch führende beteiligt sind. Was liegt also näher, als diese wer-
Mitglieder der früheren Deutschen Arbeitsfront benden Vermögen zur Abdeckung der Verpflich-
befinden. tungen des Bundes zu verwenden? Es ist nicht zu
befürchten, daß eine Veräußerung mit Verlust für
Nein, der Anspruch der Gläubiger von Anleihen die öffentliche Hand notwendig wird. Die Gläu-
der öffentlichen Hand kann nicht bestritten wer- biger von Wertpapieren des Reiches können mit
den, und er wird ja auch dem Grunde nach nicht Wertpapieren entschädigt werden, die sich auf
bestritten. Nur über das Wie und über die Höhe diese Vermögenswerte beziehen. Dabei käme es
der Entschädigungsansprüche scheinen Meinungs- auch nicht zu irgendwelchen Zusammenballungen
verschiedenheiten mit dem Herrn Bundesfinanz- von neuer wirtschaftlicher Macht; denn die
minister zu bestehen. Dabei kann doch eigentlich Streuung des Anleihebesitzes ist ganz erheblich.
kein Zweifel darüber vorhanden sein, daß — aus
dem Charakter dieser Forderung — zunächst ein- Einer Diskussion über diese Vorschläge hat sich
mal die Einbeziehung in die Währungsgesetz- der Herr Bundesfinanzminister bisher leider ent-
gebung eine zwingende Notwendigkeit ist. Es darf zogen. Aber auch wenn man diesen Vorschlägen
unter keinen Umständen ein Unterschied gemacht nicht folgen will, besteht immer noch die Mög-
werden zwischen den Gläubigern von Bankgut- lichkeit einer Befriedigung der Gläubiger durch
haben, die auf dem Umweg über Ausgleichsforde- Gewährung neuer Schuldtitel. Nach den mir vor-
rungen über die Banken quotal befriedigt worden liegenden Zahlen handelt es sich um rund 26 Mil-
sind, und denjeni g en, die ihr Geld dem Staate liarden Reichsmark, die auf Publikumsgläubiger
direkt gegeben haben. Sie leiden sowieso unter entfallen, davon 14 Milliarden Reichsmark auf die
dem Nachteil, jetzt schon sechs Jahre ohne Be- Sozialversicherungsträger. Es bleibt also ein Rest
friedigung warten zu müssen. von 12 Milliarden Reichsmark umzustellen. Wir
328 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Atzenroth)
würden gern dem Haushalt auch die Zinsen von den des Reichs, des Landes Preußen und die ande-
diesen 1,2 Milliarden DM ersparen; aber diese ren Schulden, die in diesem Zusammenhang gleich-
müßten, wenn man unseren Vorschlägen nicht fol- zustellen sind. Die Dringlichkeit der Regelung,
gen will, doch aufgebracht werden. Vielleicht legt nach der hier gefragt ist, brauche ich nach den
der Herr Bundesfinanzminister dem Hause noch Ausführungen meines Herrn Vorredners und nach
bessere Vorschläge vor. Das muß jedoch jetzt sofort den Erklärungen der Regierung in der vergan-
geschehen. Wir können damit nicht auf das Kriegs- genen Zeit nicht näher zu begründen. Sie ergibt
folgenschlußgesetz warten. Die Regelung dieser sich aus dem Londoner Schuldenabkommen, sie
Aufwertung ist nicht nur im Hinblick auf die zum ergibt sich aus der Tatsache, daß diese Posten in
Teil schon abgelaufenen Fristen, sondern vor allem den D-Mark-Bilanzen immer noch ungeregelt
im Hinblick auf die Notlage der betroffenen Kreise stehen; wir möchten auch über die Auswirkung
dringend. dieser Dinge auf die Umstellungsrechnung der
Bei der Behandlung der ersten Anfrage ist zum Kreditinstitute endgültig Bescheid wissen. Die
Schluß ein Antrag des Abgeordneten Dr. Bertram Dringlichkeit steht, wie gesagt, außer Frage. Sie
angenommen worden, die Bundesregierung zu er- ist von der Regierung selbst betont worden, und
suchen, dem Hause alsbald einen Gesetzentwurf die Verzögerung der Regelung kann deshalb nur
auf der Grundlage dieser Anfrage vorzulegen. Erstaunen hervorrufen. Dem wollten wir mit un-
Dieser Antrag ist bedauerlicherweise völlig ver- serer Anfrage Ausdruck geben.
pufft. Leider ist es uns nach der neuen Regelung Ich glaube, es wäre auch gut, wenn der Herr
der Geschäftsordnung nicht mehr möglich, wieder Bundsfinanzminister so bald wie möglich den Satz,
einen solchen Antrag einzubringen. Ich möchte des- den er für die Verbindlichkeiten, die nach Wäh-
wegen mit noch größerer Eindringlichkeit an den rungsrecht noch nicht umgestellt sind, vorschlagen
Herrn Bundesfinanzminister appellieren, daß er will, bekanntgeben würde. Erstens einmal beziehen
diesen Gesetzentwurf nun endlich vorlegt. Wir sich auf die Höhe dieses Satzes einige Probleme,
sind sonst bereit, die Frage durch Vorlage eines auf die sich sowohl die Öffentlichkeit wie die
Initiativgesetzentwurfs, der schon paraphiert vor- parlamentarischen Instanzen so bald wie möglich
liegt, vorwärtszutreiben. vorbereiten sollten. Dann aber sollten von vorn-
(Beifall bei der FDP.) herein Spekulationen irgendwelcher Art in dieser
Beziehung so bald wie möglich unterbunden
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und werden.
Herren, Sie haben die Begründung der Großen An- In den letzten Verlautbarungen der Bundes-
frage gehört. Herr Abgeordneter D r. - Atzen
regierung ist angekündigt worden, daß man beab-
roth hat mit einem deutlichen Unterton der Kri- sichtige, die durch die Anfragen hier angespro-
tik seinem Erstaunen darüber Ausdruck gegeben, chenen Probleme in einem großen Kriegsschäden-
daß ich diese Große Anfrage erst heute auf die schlußgesetz zusammen mit allerhand allerdings
Tagesordnung gesetzt habe. Ich darf den Herrn Ab- auch noch ausstehenden Fragen wie Entschädigun-
geordneten Dr. Atzenroth daran erinnern, daß gen für Auslandsvermögen, Demontagen und was
seine Anfrage am 1. Dezember eingegangen ist. Ich in diesem Zusammenhang noch alles genannt wird,
habe sie am 2. Dezember an den Herrn Bundes- zu behandeln. Dem Erstaunen und dem Wider-
kanzler weitergeleitet. Er hat mir am 4. Dezember spruch, die mein Herr Vorredner in dieser Bezie-
bestätigt, daß die Große Anfrage eingegangen ist. hung zum Ausdruck gebracht hat, kann ich mich
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat mir nur voll anschließen. Ich sehe auch nicht ein,
am 18. Dezember mitgeteilt, daß er bereit sei, in warum eine solche Verkettung stattfinden sollte,
einer nach dem 1. Januar anberaumten Sitzung des und ich möchte den Herrn Bundesfinanzminister
Deutschen Bundestages zu antworten. Über Weih- sehr bitten, uns zu erklären, warum man denn
nachten fanden bekanntlich keine Sitzungen statt. eigentlich auf eine solche Idee gekommen ist. Ent-
Der Deutsche Bundestag hat, da die Termine vom schädigungen und die Bezahlung von Verbindlich-
14. und 15. Januar besetzt waren — Sie wissen, keiten sind doch zwei sehr verschiedene Dinge. Ich
durch wichtige andere Debatten —, diesen Punkt möchte nur ganz in Parenthese an die Probleme
auf die Tagesordnung vom 22. Januar gesetzt, und erinnern, die wir bei der Behandlung des Lasten-
zwar im Einvernehmen mit allen Fraktionen. Vor ausgleichs und der ihm verwandten Gebiete in
der Sitzung am 22. Januar sind auf Grund einer diesem Hause auseinanderzuhalten hatten.
interfraktionellen Vereinbarung beide Punkte, so- Ich glaube also, daß es nicht richtig wäre, auf ein
wohl die Anfrage der FDP wie die der SPD, ab- solches allgemeines Gesetz zu warten, sondern daß
gesetzt und im Einvernehmen mit allen Fraktionen das Problem der Regelung und der währungsmäßi-
auf die heutige Tagesordnung gesetzt worden. Mir gen Umstellung dieser Verbindlichkeiten vorweg
scheint daher die Kritik des Herrn Abgeordneten und dringlich zu behandeln wäre.
Dr. Atzenroth fehlzugehen. Die Anfrage bezieht sich zunächst auf die ver-
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, brieften Verbindlichkeiten. Diese Verbindlichkeiten
daß wir zunächst die Begründung der Großen An- sind bereits in der Aussprache des Bundestages in
frage der Fraktion der SPD betreffend Regelung der vorigen Wahlperiode vom Herrn Bundesfinanz-
der Anleihen des Deutschen Reiches und des Landes minister selbst unmittelbar im Zusammenhang mit
Preußen entgegennehmen und dann die gemein- den unverbrieften Verbindlichkeiten des Reichs
same Beantwortung durch den Herrn Bundes- und der anderen Körperschaften, die hier in Frage
finanzminister. — Herr Abgeordneter Seuffert, kommen, behandelt worden. Ich würde es des-
bitte! wegen begrüßen, wenn man auch hier auf einige
Fragen gleich Antwort erteilen würde. Die unver-
Seuffert (SPD), Anfragender: Herr Präsident! brieften Verbindlichkeiten insbesondere des Reichs
Meine Damen und Herren! Unsere Große Anfrage sind natürlich sehr verschiedenen Inhalts, und man
bezieht sich zunächst ebenso wie die Große Anfrage kann nicht auf alle eingehen. Es gibt auch eine
der Freien Demokraten auf die verbrieften Schul- ganze Reihe, die wohl überhaupt keiner Regelung
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(Seuffert)
mehr bedürfen, weil sie ephemerer Natur sind und Bundesregierung gut daran täte, ihre Absichten
einen Bagatellcharakter tragen, so daß sie jetzt in dieser Beziehung klar und unmißverständlich
ruhig unter den Tisch fallen können. bekanntzugeben, damit der hier herrschenden Un-
Aber auf einige besondere Komplexe möchte ich sicherheit ein Ende gemacht wird.
doch kurz eingehen. Der eine dieser Komplexe sind Ein ganz anderer Komplex von Verbindlichkeiten
die Verbindlichkeiten aus den Rüstungsaufträgen. des Reichs, auf den ich auch noch ganz kurz zu
Ich will hier nicht auf die Frage eingehen, ob sie sprechen kommen möchte, sind die Verbindlichkei-
etwa in moralischer oder politischer Hinsicht ten aus dem Rückerstattungsgesetz. Ich spreche
besonders zu bewerten wären. Es ist richtig, daß hier nicht von den Entschädigungsgesetzen, die wir
diese Verbindlichkeiten wenigstens zu einem Teil geschaffen haben, sondern ich spreche von den
aus Forderungen auf Auszahlung von Rüstungsge- Verbindlichkeiten aus dem Rückerstattungsver-
winnen herrühren. Aber ich glaube, daß diese Frage fahren, aus Entziehungen, die durch das Deutsche
durchaus als zweitrangig angesehen werden kann. Reich bzw. durch die von ihm beauftragten Stellen
Wichtiger ist die besondere Behandlung, die gerade oder Stellen, für die es verantwortlich war, vor-
diese Verbindlichkeiten bereits erfahren haben. genommen worden sind. Diese Verbindlichkeiten
§ 21 Abs. 4 des Umstellungsgesetzes hat den Gläu- sind zwar nicht in Schuldverschreibungen verbrieft,
bigern solcher Verbindlichkeiten ein Leistungs- aber sie sind zunehmend in rechtskräftigen Ge-
verweigerungsrecht gegenüber ihren Vorlieferan- richtsurteilen verbrieft. In zunehmendem Maße er-
ten eingeräumt, durch das sie zum allergrößten gehen Urteile, in denen festgestellt wird, daß das
Teil den Verlust aus diesen Forderungen, soweit Deutsche Reich die und jene Rückerstattungsver-
er nach der Währungsumstellung noch übrig blieb, bindlichkeit zu erfüllen, die und jene Zahlung zu
auf ihre Vorlieferanten abwälzen konnten. Auch leisten habe, falls es einmal dazu käme, seine
diese konnten ihn weiterwälzen. Der Umfang dieses Schulden zu regeln. Diesem Zustand muß einmal
Leistungsverweigerungsrechts, die Anwendung ein Ende gemacht werden. Ich glaube, daß diese
dieser Klausel z. B. auf Bankkredite, ist Gegen- Verbindlichkeiten allerdings einer besonderen mo-
stand einer Reihe von höchstrichterlichen Entschei- ralischen Bewertung im positiven Sinne bedürfen.
dungen. Die Frage darf als mehr oder weniger Hier liegen nicht nur rechtliche, sondern auch
geklärt betrachtet werden. moralische Verbindlichkeiten vor. Es darf nicht
Neben diesem Leistungsverweigerungsrecht — dabei bleiben, daß, wie man hört, neuerdings in
das nach der gesetzlichen Regelung allerdings zu- einzelnen Härtefällen solche rechtskräftige Urteile
nächst nur einen zeitweiligen Charakter trug, das gegen das Reich auf irgendeine Weise bedient wer-
-
aber, weil natürlich ein wirtschaftliches Interesse den. Wir bitten deshalb den Herrn Bundesfinanz-
an endgültigen Regelungen bestand, durch Verein- minister, auch zu sagen, ob er dafür Vorsorge
barungen zwischen den Beteiligten, Vorlieferanten treffen will, daß hier möglichst bald die Schulden
und Hauptlieferanten, sehr oft einen endgültigen bereinigt werden.
Charakter angenommen hat — stand von Anfang (Beifall bei der SPD.)
an die Möglichkeit der Vertragshilfe, die durch den
§ 21 Abs. 2 des Umstellungsgesetzes und sodann Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Beantwortung beider
durch das Vertragshilfegesetz gerade für diese Großer Anfragen der Herr Bundesminister der
Fälle eingeräumt worden ist. Die meisten der Fälle Finanzen.
dürften eine Regelung gefunden haben. Einige
besonders schwierige, man kann aber auch sagen, Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Herr
besonders hartnäckige, widersetzen sich offenbar Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage
der Regelung. Immer wieder macht man die Beob- der Fraktion der SPD stammt vom 10. Dezember,
achtung, daß die Erwartung einer andersartigen die Anfrage der Fraktion der FDP vom 1. Dezem-
gesetzlichen Behandlung dieses Komplexes, als sie ber 1953. Ich bin überrascht, daß es in diesem
bisher vorliegt, alle diese Verfahren in ihrem Ab- Hause nicht bekanntgeblieben ist, daß die Vorlage,
lauf hemmt. Die Unsicherheit der Gerichte, beson- nach der gefragt wurde, am 11. Dezember 1953
ders der Vertragshilfegerichte, in diesen Fragen ist bereits Gegenstand einer Kabinettssitzung gewesen
auffallend. ist, im Kabinett grundsätzlich genehmigt worden
Ich glaube, man sollte zu diesem Komplex ein ist und sich heute in Ressortbesprechungen befin-
Wort sagen, um Klarheit zu schaffen. Man könnte det, damit die Einzelheiten dieses großen Gesetz-
wohl volles Verständnis dafür haben, wenn man gebungswerkes nach den Wünschen der verschie-
mit den bisherigen Rechtswohltaten, die die Gläu- denen Kreise abgestimmt werden können. Wir
biger solcher Verbindlichkeiten erfahren haben, die haben damals absichtlich Wert auf die Veröffent-
Sache für abgeschlossen betrachtete und diesen lichung gelegt und haben über den wesentlichen
Komplex keiner weiteren gesetzlichen Regelung Inhalt bereits im November im Bulletin einen
zuführte, sondern es mit den Möglichkeiten der Artikel gebracht. Ich habe außerdem in der Etat-
Weiterwälzung und der Behandlung im Vertrags rede vom 22. Januar dieses Jahres über den mate-
hilfeverfahren sein Bewenden haben ließe, zumal riellen Inhalt und die Grundlinien dieses Gesetz-
ja, wie gesagt, die meisten Fälle zwischen dem entwurfes bereits gesprochen.
Gläubiger und seinen Gläubigern inzwischen so Ich möchte zu der Sachlage noch folgendes bemer
weit geregelt worden sind, so daß es nicht gerade ken. In der Bundestagssitzung vom 2. Juni 1953
immer die würdigsten, sondern eher gerade die habe ich die heute vorn Herrn Kollegen Atzenroth
hartnäckigsten Schuldner — ihren Gläubigern zitierte Erklärung abgegeben. Damals war geplant,
gegenüber — sein würden, die von einer solchen daß ein eigenes Gesetz über die Regelung der alten
nachträglichen Regelung Vorteile hätten. Ich Reichsschulden ergehen sollte. In der Zwischenzeit
glaube, man kann hier nicht noch nachträglich ein- — ich bitte das Hohe Haus, das zu verstehen —
greifen, sondern man sollte diesen Komplex im sind' die Pläne für die Finanz- und Steuerreform
Vertragshilfeverfahren je nach dem Einzelfall ab- geboren worden. Im Zusammenhang mit der
laufen lassen. Auf jeden Fall — welcher Meinung Finanz- und Steuerreform ist es notwendig, daß
man sonst auch sein mag — glauben wir, daß die der Gesetzgeber, der die Finanz- und Steuerreform
330 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
verantwortet, gleichzeitig ein Bild über die Seuffert (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
gesamte Ausgabenbelastung hat, die voraussicht- und Herren! Es war den Antragstellern in der Tat
lich in derselben Zeit an die deutsche Bundes- bekannt, daß eine Vorlage für ein Kriegsschäden-
republik herantritt. Aus dieser Überlegung schlußgesetz im Kabinett behandelt worden war.
heraus war es notwendig, sich nicht allein mit Auch die Veröffentlichungen der Bundesregierung
dem Thema der verbrieften Schulden, also der und des Bundesfinanzministers darüber waren uns
alten Reichsschuldverschreibungen, zu befassen, bekannt. Aber gerade der Umstand, daß nach den
sondern alle zusammenhängenden Fragen mitein- Ankündigungen die Regelung der Verbindlich-
ander aufzuwerfen und möglichst in einem keiten mit der Behandlung einer Reihe von Ent-
Ganzen zum Abschluß zu bringen. Dazu gehören schädigungsfragen in diesem Kriegsschädenschluß-
auch die Restitutionsgesetze, von denen übrigens gesetz verbunden werden sollte, war für uns der
bekannt ist, daß ihre Höhe allein in den Verträgen Hauptgrund dafür, diese Anfrage aufrechtzuerhal-
von Mehlem mit 1,5 Milliarden DM umrissen ist. ten und sie heute zur Debatte zu stellen. Auf der
Daß es sich bei aller vorsichtigen Behandlung um einen Seite scheinen uns gerade in dieser Verknüp-
Beträge handelt, die bestenfalls mit Hunderten von fung Gründe für die Verzögerung der Regelung
Millionen die nächsten Haushaltsjahre belasten, zu liegen, deren Berechtigung wir nicht anerkennen.
dürfte dem Hohen Hause bei dem Riesenkomplex, Zum andern befürchten wir, daß hier Dinge mit-
um den es sich handelt, von vornherein verständ- einander verknüpft werden, die nichts miteinander
lich sein. zu tun haben. Die Regelung der Reichsverbindlich-
Ich darf auf das, was ich über dieses Thema keiten ist eine Frage der Ergänzung des Währungs-
am 22. Januar gesagt habe, Bezug nehmen. Ich rechts, eine Frage der wirklichen Verbindlichkeiten,
darf allerdings auch an einen Satz erinnern, den bei denen wir von Anfang an anerkennen müssen,
ich dort gesprochen habe: daß es ein Irrtum und daß in erster Linie quotale Gesichtspunkte, juristi-
eine Irreführung der Öffentlichkeit wäre, wenn sche Gesichtspunkte und Gesichtspunkte der Zah-
man annehmen würde, es sei möglich, die Wäh- lungsfähigkeit im Vordergrund stehen müssen.
rungsumstellung in ihren Auswirkungen heute Die Frage der Entschädigungen ist etwas ganz
wieder aufzuheben. Das ist, wenn ich die neuge- anderes. Hier kommen andere Gesichtspunkte in
schaffene Währung halten will, ein Ding der Un- Betracht. Mit Recht hat der Herr Bundesfinanz-
möglichkeit. Was geschehen wird und muß, habe minister gesagt, daß die Regelung, wenigstens die
ich am 22. Januar umrissen. Ich darf es wieder- „Konsolidierung" der alten Reichsverbindlichkeiten
holen, weil es sich hier um eine Anfrage spezieller mit der ganzen Finanz- und Steuerreform zusam-
Art handelt. Es ist das selbstverständliche Bemü- menhängt, ich beschränke mich auf diesen Aus-
hen, alle Geschädigten in ähnlichen Fällen mög- druck „Konsolidierung", um deutlich zu machen,
lichst gleichartig zu behandeln. Wir haben gewisse daß auch wir uns nicht getrauen möchten, über-
Komplexe, z. B. „Berliner Uraltkonten" und „Alt- triebene Vorstellungen und Illusionen zu erwek-
sparergesetz" geregelt. Alle diese Schadensregelun- ken. Dagegen sind Entschädigungsfragen etwas an-
gen werden sich ungefähr in denselben Richt- deres. Es handelt sich also um zweierlei: ob, wie
linien bewegen müssen, um nicht eine Gruppe in einer ganzen Reihe von Entschädigungsfällen,
schlechter zu stellen als die andere. Damit wird durch Kredite aller Art Vorwegregelungen erfolgt,
der Rahmen etwa abgesteckt sein. Vorweghilfen gegeben worden sind oder ob solche
Ich möchte unter diesen Gesichtspunkten die Hilfen z. B. den Gläubigern der alten Reichsver-
Anfrage in den drei Punkten wie folgt beant- bindlichkeiten — mit Ausnahme der Rüstungsforde-
worten. rungen usw., die ich erwähnt habe — nicht gegeben
worden sind. Gerade in dieser Beziehung haben
Erstens. Die Bundesregierung ist nach wie vor mich die Ausführungen des Herrn Bundesfinanz-
der Auffassung, daß die Behandlung aller noch ministers, die darauf hinausliefen, daß alle Geschä-
offenen Fragen aus der finanziellen Liquidation digten gleichartig behandelt werden müßten und
des Krieges und des Zusammenbruchs, also auch daß bei allen Entschädigungsfragen die gleichen
die Regelung der verbrieften Schulden des Reichs Gesichtspunkte maßgeblich sein sollten, mit einiger
und des ehemaligen Landes Preußen, vordringlich Beunruhigung erfüllt. Denn hier ist zu unter-
ist und keinen Aufschub duldet. Die Dringlichkeit scheiden zwischen Rechtsfragen, Währungsfragen
ergibt sich insbesondere auch im Hinblick auf die und Entschädigungsfragen. Ich glaube, diese Dif-
bevorstehende große Steuerreform. ferenz, die sich auch die Bundesregierung bei ihren
Zweitens. Der in Vorbereitung befindliche Ge- Beratungen im Kabinett und in den Ressorts noch
setzentwurf wird voraussichtlich in einigen Wochen einmal überlegen sollte, ist so wichtig, daß man sie
den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet wer- wohl zum Gegenstand einer Besprechung im Aus-
den können. Ich nehme an, daß die Ressortbespre- schuß für Geld und Kredit machen sollte.
chungen in etwa vier Wochen abgeschlossen sind.
Drittens. Die Bundesregierung wird in ihrem Ge- Ich stelle deswegen den Antrag:*)
setzentwurf vorschlagen, die Regelung der ver-
Der Bundestag wolle beschließen:
brieften Schulden des Reichs und des ehemaligen
Landes Preußen in Anlehnung an Gesichtspunkte Die Bundesregierung wird aufgefordert, die
der Altsparergesetzgebung durchzuführen. Regelung der Verbindlichkeiten des Reiches,
des Landes Preußen und der anderen nicht
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und umgestellten Verbindlichkeiten unabhängig
Herren, Sie haben die Beantwortung der Großen von der Lösung anderer Kriegsfolgen-Ent-
Anfrage gehört. Ich frage: Sind Abgeordnete vor- schädigungsfragen beschleunigt durchzuführen.
handen, die die Aussprache über die Große An-
frage wünschen? — Das sind mehr als 30. Die Aus- Ich bitte Sie, diesen Antrag dem Ausschuß für
sprache findet statt. Geld und Kredit zur Beratung zu überweisen.
Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter
Seuffert! *) Siehe Umdruck 10
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 331

Präsident D. Dr. Ehlers: Darf ich den Antrag Komplexen auf diesem Gebiet vorliegt, in einem
haben, Herr Abgeordneter Seuffert? Gang zu erledigen und in Ordnung zu bringen. Wir
Herr Abgeordneter Atzenroth, bitte! sind der Meinung, daß man doch zumindest das
eine konzedieren sollte, daß es nicht möglich ist,
Dr. Atzenroth (FDP): Herr Präsident! Meine
einen solchen Komplex völlig ohne Rücksicht auf
Damen und Herren! Auch wir sind beunruhigt über andere noch unerledigte Komplexe zu behandeln
die Antwort, die uns der Herr Bundesfinanz-
minister auf die beiden Anfragen gegeben hat. Aus und zu regeln. Wir haben volles Verständnis dafür,
daß der Herr Bundesfinanzminister erst einmal
ihr ist ersichtlich, daß er seine Meinung seit dem
2. Juni 1953 bis heute grundlegend geändert hat. einen Überblick darüber gewinnen will, was an
Denn damals war keine Rede davon, daß die Rege- Forderungen dieser Art noch auf uns zukommen
lung der Ansprüche gegen den Bund in einem kann. Ob diese ganzen Materien dann in einem
großen Sammelgesetz zusammengefaßt werden Gesetz oder in zwei oder drei behandelt werden,
sollte, sondern damals handelte es sich ganz ein- ist dann doch wohl eine mehr technische Frage. Es
kann doch sein, daß die eine Materie in gesetzes
deutig um die Aufwertung von Anleihen, also, wie
Herr Seuffert mit Recht gesagt hat, in erster Linie technischer Hinsicht eher als eine andere erledigt
um ein Rechtsproblem, während das zweite Pro- werden kann; aber der Grundsatz, daß es not-
blem, die Anpassung an die Altsparergesetzgebung, wendig ist, erst einmal einen möglichst vollstän-
digen Überblick über alles das zu gewinnen, was
ein soziales Problem war. Damals konnte man aus auf uns zukommt, scheint uns unerläßlich zu sein.
den Antworten des Herrn Bundesfinanzministers
mit aller Deutlichkeit herauslesen, daß er die Be- Die beiden Redner, die das Wort zur Begründung
deutung dieses Rechtsproblems in dem Sinne an- ihrer Großen Anfragen genommen haben, haben
erkannte, wie wir es vorgetragen haben. die Unterscheidung zwischen Rechtsproblemen
und Sozialproblemen gemacht. Herr Seuffert sprach
Das muß schon im Zusammenhang mit den von „wirklichen Verbindlichkeiten", wozu zu sagen
Forderungen der Auslandsgläubiger gegen uns ist, daß man dann wohl auch, wenn man will, von
erwähnt werden. Diese werden sich zweifellos nicht unwirklichen oder nicht voll begründeten Verbind-
mit einer Regelung einverstanden erklären, die lichkeiten sprechen kann. Diese Unterscheidung
auch für andere Schadensarten eine gleiche Be- scheint mir aber nicht richtig zu sein. Auf dem
handlung vorsieht. Und daß man die Gläubiger Boden des rein Rechtlichen lassen sich die Dinge
der öffentlichen Anleihen unterschiedlich behan- nicht regeln. Ich glaube, das hat die Vergangenheit
deln kann, je nachdem ob es sich um Auslands- schon zur Genüge bewiesen, und wenn noch etwas
besitz oder um Inlandsbesitz handelt, das wird ja dazu hinzuzufügen war, dann hat es vielleicht
wohl auch der Herr Bundesfinanzminister - nicht das Karlsruher Verfassungsgericht getan, indem es
vertreten wollen. sein diesbezügliches Urteil ausgesprochen hat. Wie
Ich darf noch auf eines aufmerksam machen. Der man bei einer solchen Situation glauben kann, daß
Herr Bundesfinanzminister hat von der gewaltigen es möglich sei, alle diese Fragen auf dem Boden
Summe gesprochen, um die es sich in seinem rein rechtlicher Auseinandersetzung zu klären, ist
Kriegsfolgenschlußgesetz handeln wird. Aus den mir nicht recht verständlich.
Erfahrungen, die wir insbesondere mit dem Lasten-
ausgleichsgesetz gemacht haben, wissen wir, daß Zwei weitere Schadensgebiete sind heute noch
die Feststellung des Umfangs dieser Schäden — na, nicht angesprochen worden, obwohl sie in diesen
ich möchte sehr vorsichtig sein — ein Jahr in An- Komplex hineingehören. Es gibt im Raum Schles-
spruch nehmen wird. Die Höhe der Forderungen, wig-Holsteins eine ganz beträchtliche Zahl von
die zusätzlich an uns gestellt werden, ist noch nicht Besitzern von Grund und Boden, denen bei Aus-
einmal annähernd bekannt. Dagegen handelt es gang des Krieges Ländereien von der Wehrmacht
sich hier um ein Problem, das im Rahmen der ohne Einhaltung von Formalien einfach weg-
Wertpapierbereinigung verhältnismäßig schnell genommen worden sind. Bis zum heutigen Tag ist
gelöst werden kann. Es liegt also kein zwingender keinerlei Entschädigung dafür gezahlt worden.
Grund vor, alle diese Ansprüche in einem Ge- Aus nicht verständlichen Gründen hält aber die
setz zu regeln. Bundesvermögensverwaltung all diese Ländereien
Nun zeigten die Schlußworte des Herrn Bundes- heute noch in ihrem Besitz und zieht dafür Pacht-
finanzministers allerdings einen Lichtblick. Der zinsen, ohne die eigentlichen Empfangsberechtigten
Herr Bundesfinanzminister hat in seinem letzten bis zum heutigen Tage auch nur mit einem Heller
Satz gesagt, er werde für eine mit dem Altsparer- dafür entschädigt zu haben. Mir ist bekannt, daß
gesetz gleiche, parallele Regelung eintreten. Das diese Tatsache in den Westkreisen des Landes
Altsparergesetz hat eine Währungsumstellung zur Schleswig-Holstein — an den Westküsten — sehr
Voraussetzung. Ich darf also die Äußerung des viel Unwillen hervorgerufen hat, und eine Fülle
Herrn Bundesfinanzministers so auffassen, daß von Verwaltungsstreitigkeiten hat sich daraus im
zunächst die Währungsumstellung erfolgt — die Laufe der Zeit ergeben.
ja die Voraussetzung für das Altsparergesetz ist — Der andere Komplex, der auch heute noch nicht
und daß dann anschließend auch noch die soziale angesprochen worden ist, der aber in seiner Be-
Entschädigung nach dem Altsparergesetz vorge- deutung und in seinem Ausmaß im Augenblick
nommen wird. Wenn ich so die Worte des Herrn noch gar nicht zu übersehen ist, betrifft die Ge-
Bundesfinanzministers recht verstanden habe, schädigten, denen die Erfüllung von Restitutions-
dann hoffe ich, daß die Bedenken, die wir vorher ansprüchen auferlegt worden ist. Meine Damen
gehabt haben, hinfällig sind. und Herren, das mag vielleicht etwas merkwürdig
Präsident D. Dr. Ehlers: Herr Abgeordneter Dr. klingen; ich will Ihnen aber zwei Beispiele dafür
Gille, bitte! nennen, was da an unverschuldeter neuer Rechts-
Dr. Gille (GB/BHE): Herr Präsident! Meine not heranwächst. Ein Rückerstattungsberechtigter
Damen und Herren! Die beiden Redner der FDP verlangt sein Grundstück zurück. Er bekommt es
und SPD haben mit besonderem Nachdruck Wert auch verhältnismäßig sehr schnell. Inzwischen hat
auf die Feststellung gelegt, daß die Bundesregie- aber dieser Grundbesitz mehrfach den Besitzer ge-
rung beabsichtige, alles, was noch an ungeregelten wechselt, und der jetzige Eigentümer ist in keiner
332 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Gille)
Weise mehr an den Vorgängen der sogenannten Antrag der sozialdemokratischen Fraktion und sei-
Arisierung — und wie diese Worte alle heißen — ner Überweisung an den Ausschuß für Geld und
beteiligt. Er findet aber nicht mehr einen Vor- Kredit zu.
besitzer, der ihm für den Schaden, der ihm nun
erwächst, geradestehen kann. Es geht hier darum, Präsident D. Dr. Ehlers: Weitere Wortmeldungen
daß Existenzen in verhältnismäßig kurzer Zeit ein- liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache ge-
fach ihre Grundlage entzogen bekommen und echte schlossen.
Notstände erwachsen. Meine Damen und Herren, Sie haben den An-
Mir ist gerade in den letzten Tagen folgender trag, den Herr Abgeordneter Seuffert namens der
Fall bekanntgeworden. Der Grundbesitz eines sozialdemokratischen Fraktion gestellt hat, gehört.
Rückerstattungsberechtigten war erstmals formal Es ist Überweisung dieses Antrages an den Aus-
in der Hand des Reichs. Das Reich hat ihn an eine schuß für Geld und Kredit beantragt worden.
Stadt weiterverkauft, und die Stadt hat den Besitz
im Jahre 1949 einem heimatvertriebenen Gewerbe- (Abg. Kunze [Bethel]: Und Lastenausgleich!)
treibenden vermietet bzw. verpachtet. Dort sind — Herr Abgeordneter Kunze schlägt auch den
mit nicht unerheblichen Mitteln Investierungen Ausschuß für Lastenausgleich vor. Ist das die Auf-
vorgenommen worden. Ein durchaus rentabler, fassung des Hauses?
blühender Gewerbebetrieb ist entstanden. Jetzt (Zustimmung.)
kommt der Rückforderungsanspruch: Das Grund-
stück muß herausgegeben werden, ebenso muß der — Offenbar. Also, meine Damen und Herren, feder-
Besitz des jetzigen Mieters aufgegeben werden. führend Ausschuß für Geld und Kredit und mit-
Mit rechtlichen Begründungen gegenüber den Vor- beratend Ausschuß für den Lastenausgleich. Die
gängern sind diese Probleme gar nicht zu lösen. Überweisung ist erfolgt. Damit ist Punkt 1 der
Tagesordnung erledigt.
Ich spreche diese Frage, Herr Bundesfinanz-
minister, deshalb etwas ausführlich an, weil ich Ich rufe auf Punkt 2:
der Meinung bin, durch rechtzeitige Vorsorge,
meinetwegen auch im Wege der Darlehensgewäh- a) Fortsetzung der ersten Beratung des Ent-
rung, kann verhindert werden, daß sich diese wurfs eines Gesetzes über die Feststellung
Schäden eines Tages doch erheblich auswachsen. des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungs-
Ich habe im Bundesfinanzministerium zu erkunden jahr 1954 (Haushaltsgesetz 1954) einschließ-
versucht, ob derartige Vorsorgen schon erwogen lich Ergänzungsvorlage (Drucksache 200);
werden. Ich habe eine verneinende Antwort - be- b) Fortsetzung der ersten Beratung des Ent-
kommen. Ich bitte den Herrn Bundesfinanzminister, wurfs eines Gesetzes über die Inanspruch-
vielleicht nach Feststellung der Fälle, die heute nahme eines Teils der Einkommensteuer und
in der Praxis bereits sichtbar geworden sind, doch der Körperschaftsteuer durch den Bund im
einmal zu erwägen, ob nicht in einem Vorgriffs Rechnungsjahr 1954 (Drucksache 201).
verfahren durch Darlehensgewährungen die Gefahr
der Vernichtung von Existenzen und damit des Wir hatten vereinbart, daß, nachdem die Regie-
Entstehens eines sehr weiten Schadens rechtzeitig rung beide Gesetzentwürfe vor zwei Wochen be-
zu beseitigen ist. gründet hat, heute die Aussprache der ersten
Beratung stattfinden soll.
Im übrigen noch eine Frage an den Herrn Bun-
desfinanzminister. In seiner Etatrede hat der Herr Ich eröffne die Aussprache. — Herr Abgeord-
Bundesfinanzminister als Grundsatz für die Rege- neter Schoettle, bitte schön!
lung dieses ganzen Komplexes gesagt, er werde
Schoettle (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
diese Dinge nach den Grundsätzen der Währungs-
und Herren! Die Aussprache über den Bundeshaus-
gesetze und des Lastenausgleichs anpacken. Das halt 1954 eröffnen heißt das Risiko auf sich neh-
zweite Wort habe ich heute nicht mehr von ihm
gehört. Wie ich meine, dürfte sich das Haus doch men, mit ungleichen Waffen zu kämpfen. Denn der
sicherlich darüber einig sein, daß insbesondere die Herr Bundesfinanzminister — er möge mir das
nicht übelnehmen — ist mit der ganzen schweren
verbrieften Schulden, bei denen die Zahl der wirk-
lichen Einzelbesitzer nach meiner Auffassung ge Rüstung, die ihm sein Ministerium verleiht, in die
ring ist — die Hauptmasse der Gläubiger werden Schranken geritten, während wir armen Angehöri-
doch wahrscheinlich die Banken und die Sparkassen gen des gouvernementalen Fußvolks — und die
Opposition rechnet sich in diesem Sinne, im angel-
sein, die, wie Sie schon richtig sagten, zum großen
Teil durch die Ausgleichsforderungen befriedigt sächsischen Sinne, auch zum government — ge-
sind —, nicht einfach unter dem Gesichtspunkt zwungen sind, mit etwas weniger Armatur auf den
einer gleichmäßigen Entschädigung à la Altsparer- Plan zu treten. Wir sind nicht in alle Geheimnisse
gesetz oder Währungsumstellungsgesetze geregelt eingeweiht. Wir kennen nicht all die kleinen, etwas
werden können. Hier wird doch zweifellos ein quo- verspinnwebten hinteren Kämmerchen des fiskali-
taler Maßstab eine Rolle spielen müssen. schen Haushalts, und wir müssen deshalb in vielen
Fragen spekulieren oder uns dem guten Glauben
Präsident D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Ab- anvertrauen, daß der Herr Bundesfinanzminister —
geordnete Scharnberg. entgegen der geschichtlichen Erfahrung mit Finanz-
ministern — hier in diesem Hause die volle Wahr-
Scharnberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine heit sagt und alle seine Karten auf den Tisch
Damen und Herren! Meine Fraktion ist der Auf- legt.
fassung, daß es sich hier in der Tat um eine sehr (Heiterkeit.)
komplizierte Materie handelt, die eine soziale und Nach dieser etwas vom Thema abweichenden
rechtliche, aber auch eine kapitalmarktpolitische Einleitung möchte ich mich der Sache selber zu-
Seite hat. Wir glauben, daß sich der Bundestag wenden. Die erste Beratung eines öffentlichen
sehr eingehend und schnellstens mit der Materie Haushalts ist in der Regel eine Gelegenheit zu
befassen sollte. Infolgedessen stimmen wir dem allgemeinen Stellungnahmen. Man soll indessen die
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 333
(Schoettle)
Dinge nicht zu weit treiben und nicht von Gott und und daß das, was er da angekündigt hat, nicht un-
der Welt reden, wenn es sich um eine so nüchterne bedingt der Weisheit letzter Schluß sein dürfte.
Sache handelt wie den Haushalt der Bundesrepublik. Daß außerdem der jetzt so oft besprochene Fehl-
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede betrag bei der Post möglicherweise gar nicht ein
anläßlich der Einbringung des Haushalts vor eigentlicher, echter Fehlbetrag, ein Kassenfehlbe-
14 Tagen eine Reihe von Bemerkungen gemacht, trag sei, sondern daß es sich hier um eine Konse-
die beinahe den Charakter von Grundsatzerklärun- quenz der Bindung der Postverwaltung an haus-
gen hatten. Wir Sozialdemokraten, die wir in die- haltsrechtliche Vorschriften handle, die einem wirt-
sem Hause die einzige Opposition sind — es sei schaftlichen Betrieb wie der Post Schranken auf-
denn, daß wir innerhalb der Regierungskoalition erlegen, die vielleicht in anderen Wirtschaftsunter-
von Zeit zu Zeit einen oppositionellen Flügel ent- nehmungen nicht vorhanden sind und die es der
decken — , Post verwehren, ihren Wirtschaftsplan so in Ord-
(Heiterkeit) nung zu halten, daß nicht nur kein rechnerischer
Fehlbetrag, sondern überhaupt kein Fehlbetrag
wir möchten diese Gelegenheit nicht vorübergehen
herauskommt, darüber müßte sich im einzelnen
lassen, ohne uns mit einigen der prinzipiellen Fest-
noch reden lassen. Ich will das hier nur andeuten.
stellungen des Herrn Bundesfinanzministers zu
beschäftigen. Eine andere starke Beunruhigung — man muß
das offen aussprechen — entsteht aus dem ver-
Zunächst eine allgemeine und auch grundsätz- schiedentlich geäußerten Gedanken, die Wohnungs-
liche Bemerkung. Wir stimmen vorbehaltlos zu, mieten neu zu regeln. Wir bestreiten gar nicht, daß
wenn der Herr Minister sich zur Gesunderhaltung auf diesem Gebiet einiges zu regeln ist. Wir sind
der Währung bekennt. Das ist in der Tat ein fun- aber der Meinung, daß jede Lösung, die die sozia-
damentaler Grundsatz, auf den sich alle diejenigen len Spannungen verschärft, von keinem verant-
einigen sollten, die wünschen, daß sich dieses Land wortet werden kann, der wirklich wünscht, daß
nach einer Periode des Suchens nach einer Lebens- sich das innerpolitische Klima einigermaßen ver-
form wirklich auf der Straße der Demokratie zu nünftig entwickelt, und der weiß, wie stark unge-
einem klar und eindeutig erkannten Ziel vorwärts- löste soziale Spannungen in unserem Grenzland
bewegt. Aber die Gesunderhaltung der Währung zwischen Ost und West auch zu politischen Konse-
ist ja ein Axiom, das nur einen Sinn hat, wenn quenzen führen können, die wir alle nicht wollen.
man dabei gleichzeitig auch einige andere Dinge
(Beifall bei der SPD.)
sicherstellt, so z. B. — und das ist gerade vom
Standpunkt der Sozialdemokratie und vom Stand- Erheblichen Nachdruck hat der Herr Bundes-
punkt weiter Schichten unseres Volkes wesent- finanzminister in seiner Rede auch auf die Fest-
lich —, daß das Preisgefüge oder, besser gesagt, das stellung gelegt, daß die Finanzpolitik der Regie-
Preisniveau und die innere Kaufkraft des Geldes rung das Ziel habe, eine Erhöhung der Steuerlast
in einem vernünftigen Verhältnis zueinander zu vermeiden und bei Wahrung der finanziellen
stehen. Ordnung doch die Voraussetzungen für eine Milde-
Das ist erstens bei uns in der Bundesrepublik rung der Steuerlast zu schaffen. Ich bin in der
keineswegs der Fall. Mindestens gehen die Mei- peinlichen Lage, daß ich zu diesem Thema nicht
nungen darüber, ob die Relation Preis — Einkom- sprechen kann und nicht sprechen will und daß
men in der Bundesrepublik richtig sei, weit aus- mein Freund Professor Dr. Gülich, der eigentlich
einander. Wir werden darüber im Laufe der kom- die Aufgabe übernommen hatte, im Zusammen-
menden vier Jahre noch des öfteren zu reden hang mit dem Inanspruchnahmegesetz und ähn-
haben. Außerdem gibt es einige Anzeichen dafür, lichen Fragen auch zur wieder einmal hinaus-
daß das Preisgefüge wieder einmal in Bewegung geschobenen Steuerreform zu sprechen, erkrankt
gerät. Zum mindesten sind bestimmte Gebiete ist, so daß ich mich also mit einigen Randbemer-
kungen begnügen muß.
unseres Wirtschaftslebens jetzt schon in Bewegung.
Wenn wir auch offen erklären, daß wir für einige Das Ziel, das der Herr Bundesfinanzminister in
der Veränderungen gar nicht die Bundesregierung seiner Rede umschrieben hat, ist sicher sehr schön.
und ihre Politik verantwortlich machen wollen und Es ist ein Ziel, mit dem die Opposition ebenfalls
können, weil ja Rückwirkungen von den Welt- übereinstimmt, allerdings unter der Voraussetzung,
märkten her nicht restlos an den Grenzen Deutsch- daß der Staat, wenn er diesem Ziele nachgeht, nicht
lands aufgefangen werden können, so müssen wir Aufgaben vernachlässigt, die ihm, ob er will
doch sagen, daß einige andere Dinge außerordent- oder nicht, aus der ganzen modernen Entwick-
lich bedenklich sind und zu großen sozialen Span- lung unseres Gesellschaftslebens zuwachsen. Herr
nungen führen können. Die Tatsachen im ganzen Schäffer hat in diesem Zusammenhang den
bleiben bedrohlich genug vom Standpunkt der Versuch gemacht, die Finanztheorien der Vergan-
Stabilität der Entwicklung im Innern und der Ent- genheit, wie er es genannt hat, zu revidieren. Ich
spannung unseres sozialen Lebens. habe nicht den Eindruck, daß dieser Versuch restlos
gelungen ist. Ich habe vielmehr das Gefühl, daß
Ich will die zwei Punkte nennen, an die ich zu- der Herr Bundesfinanzminister aus einer schein-
nächst gedacht habe, wenn ich sagte, daß wir hier baren Not — nämlich aus der Not, den Haushalt
die Verantwortlichen nicht von Weltmarktgesichts- wenigstens auf dem Papier auszugleichen — eine
punkten aus entschuldigen können. Es ist eine ebenso scheinbare Tugend gemacht hat. Sein neuer
Erhöhung der Postgebühren angekündigt; sie ist Glaubenssatz, daß die öffentliche Hand ihre Aus-
noch nicht praktisch. Ich habe Stimmen gehört, die gaben nach den Einnahmen richten müsse, hört
von Leuten kommen, die es eigentlich wissen sich zwar für manche Leute, die das gern haben
müssen; die sind der Meinung, daß dabei der neue wollen — ich glaube, der Bund der Steuerzahler
Herr Bundespostminister etwas weit über seine und seine leitenden Männer gehören in diese
derzeitigen Einsichten — er ist ja noch ein Neu- Kategorie —, außerordentlich schön an. Aber dieser
ling auf diesem Gebiet — hinausgestoßen sei Satz hat einen sehr beträchtlichen Pferdefuß — ich
(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!) hoffe, daß das, was ich jetzt sage, nicht als Rede-
334 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Schoettle)
blüte in die Protokolle eingeht! —, einen Pferde- angesichts der Abhängigkeit des außerordentlichen
fuß, der sofort sichtbar wird, wenn man den Bun- Haushalts von den Möglichkeiten des Kapital-
deshaushalt in seinen einzelnen Teilen mit den markts will uns diese Methode eher als ein Un-
Notwendigkeiten unserer Lage vergleicht. sicherheitsfaktor bei der Befriedigung wichtigster
Meine Damen und Herren, ich will in diesem Bedürfnisse erscheinen
Augenblick noch nicht auf Einzelheiten eingehen; (Sehr wahr! bei der SPD)
ich begnüge mich damit, ein einziges Stichwort zu als als echter Versuch, den Haushalt auszu-
nennen, bei dem die Diskrepanz zwischen dem, balancieren.
was der Herr Bundesfinanzminister für möglich
hält, und dem, was alle Sachverständigen für not- In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht gleich
wendig halten, geradezu in die Augen springt. Das die Frage stellen, wie der Herr Bundesfinanz-
ist das Stichwort: Verkehrspolitik. minister seine Ankündigung verwirklichen will,
(Sehr richtig! bei der SPD.) daß die gesamte für den Wohnungsbau im außer-
ordentlichen Haushalt veranschlagte Summe mit
Ich komme noch darauf zu sprechen. Es gäbe noch Sicherheit zur Verfügung steht und daß diese Summe
andere, ähnliche Stichworte aus dem Bereich des schon jetzt verplant werden kann. Diese Ankün-
Sozialhaushalts, bei denen man sagen könnte, daß digung wird jeder, der die Dringlichkeit des Woh-
sie sogar noch größeres Gewicht haben und daß nungsbaues anerkennt — und ich glaube, es gibt
auch hier die Notwendigkeiten mit den vom Herrn wenige in diesem Hause, die das nicht tun —, sehr
Bundesfinanzminister anerkannten Möglichkeiten gerne hören. Aber bei der Ungewißheit bezüglich
in einem außerordentlichen Widerspruch stehen. der Ergiebigkeit des Kapitalmarkts und bei dem
Die Wahrheit ist — daran kommt auch Herr Mangel an Reserven im Haushaltsplan, auf den der
Schäffer mit seinen zweifellos sehr klugen Mit- Herr Bundesfinanzminister selber so nachdrücklich
arbeitern im Bundesfinanzministerium nicht vor- hingewiesen hat, ist doch die Frage erlaubt: Hat
bei —, daß eine echte Senkung der Ausgabenseite Herr Schäffer dabei vielleicht noch andere
und damit eine Entlastung auf der Einnahmenseite Finanzierungsquellen im Auge, über die er bis jetzt
nur möglich ist, wenn Aufgaben wegfallen, weil sie geschwiegen hat? Denkt er vielleicht — die Sum-
tatsächlich nicht mehr existieren, nicht weil man men sind so merkwürdig ähnlich — daran, die
sie verschleiert oder sie auf andere abschiebt, die 512 Millionen DM, die er der Bundesanstalt für
ja dann auch bezahlen müssen. Da die anderen in Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung
irgendeiner Weise auch zu dem großen Kreis der abknöpfen möchte, auf diesem Wege dem Woh-
Steuerzahler gehören, zahlen die Steuerzahler auf nungsbau zuzuführen?
jeden Fall, ob sie nun auf der Bundes-, auf der (Zuruf von der SPD: Die er noch nicht hat!)
Länder- oder der Gemeindeebene zahlen oder ent-
Er hat sie auch noch nicht, denn darüber ist zwi-
behren müssen.
schen ihm und der Bundesanstalt noch kein Über-
(Zustimmung bei der SPD.) einkommen getroffen worden.
Man kann also nicht so tun, als ob wir in einer
neuen Situation wären, die neue haushaltsrecht- Man könnte sagen, das sei ein denkbarer Weg
liche und haushaltspolitische Gesichtspunkte sozu- und eine nützliche Anwendung der Zwangsanleihe,
sagen aus dem Nichts gebären lassen könnte. die er da im Auge hat — denn bei aller Freiwillig-
keit der Vereinbarung wird es doch letzten Endes
Im übrigen erscheint die Anwendung des Prin- darauf hinauslaufen —; aber es ist doch ein Um-
zips, das Herr Bundesfinanzminister Schäffer ent- weg. Da ja nicht nur die Bundesanstalt, sondern
wickelt hat, auf den gegenwärtigen Bundeshaus- auch die Sozialversicherungsträger selber in der
halt nicht, ganz zweifelsfrei gelungen zu sein. Es Schußlinie sind, kann man sogar befürchten, daß
ist zwar richtig, daß die Endsummen des Haus- eine Reihe von Möglichkeiten, die die Sozialver-
halts 1954 um rund 700 Millionen DM niedriger sicherungsträger bei der Anlage ihrer eigenen Mit-
sind als die des Vorjahres. Wenn man aber die tel haben, verbaut wird, nur damit der Herr Bun-
Sache etwas genauer betrachtet — und hier muß desfinanzminister mit den 512 Millionen dann auf
ich dem Bundesrat folgen, dem ich sonst nicht in einem Umweg wieder als Wohltäter auf dem Woh-
allen Teilen bei seiner Kritik am Bundeshaushalt nungsbaumarkt erscheinen kann.
folgen möchte —, dann sieht man, daß die optische (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
Senkung des Haushaltsvolumens in erster Linie
daher kommt, daß der ERP-Haushalt, der früher Wir sind ja gar nicht neugierig; aber wir möchten
als durchlaufender Posten im Haushalt erschien, das gerne wissen.
jetzt nicht mehr dort erscheint, sondern dem Haus- Das Bundesfinanzministerium — damit komme
halt als Anlage, als Wirtschaftsplan beigegeben ist, ich zu einem anderen Punkt — hat sich in diesem
aber bei der Endaufrechnung nicht zählt. Das sind Jahr außerordentlich bemüht — man muß das ohne
immerhin 875 Millionen DM im vorigen Jahr; und weiteres anerkennen —, den Haushaltsplan durch
wenn Sie nun 700 Millionen DM Senkung und Lieferung von aufhellendem Drucksachenmaterial
875 Millionen DM „Verdunstung" miteinander in verständlich zu machen. Für die Abgeordneten, die
Vergleich setzen, dann bleibt immerhin noch etwas Zeit haben, vor allem diejenigen, die gezwungen
auf der negativen Seite übrig. sind, sich damit zu beschäftigen, mag das eine gute
(Abg. Dr. Menzel: Sehr gut!) Hilfe sein. Wir begrüßen es z. B., daß der Brauch
Dabei hat der Herr Bundesfinanzminister seinen der „Vorbemerkungen" wieder aufgenommen wor-
ordentlichen Haushalt ja noch dadurch entlastet, den ist, denn darin wird doch eine ganze Menge
daß er 576 Millionen DM für den Wohnungsbau in aufgehellt. Man wird es also in mancher Hinsicht
den außerordentlichen Haushalt transferiert hat. leichter haben. Das Bundesfinanzministerium hat
auch einen „Wegweiser" — so nennt sich das
(Abg. Heiland: Sehr gut!) Druckwerk — herausgebracht. Das ist eine Neue-
Dieser außerordentliche Haushalt ist zwar um rung, von der uns gesagt worden ist, sie sei in
1225 Millionen niedriger als der vorjährige, aber erster Linie zur Abkürzung der Haushaltsberatun-
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 335
(Schoettle)
gen erfunden worden. Warum sie dann gleich so Ich denke noch jetzt mit Schrecken an die Prozedur
erscheinen mußte, daß man sie möglicherweise im beim letzten Haushalt und vor allem an die zähen
Buchhandel verbreiten und zur Popularisierung Verhandlungen im Vermittlungsausschuß, die uns
des noch gar nicht verabschiedeten Haushalts ver- vermutlich auch dieses Mal wieder bevorstehen.
wenden kann, vermag ich nicht ganz einzusehen. Noch ein Wort zu unserer eigenen, sozialdemo-
Aber das ist eine Nebenbemerkung, die ich nicht kratischen Haltung zu der Frage der Erhöhung des
tragisch zu nehmen bitte. Im übrigen bin ich nicht Bundesanteils, in diesem Zeitpunkt, will ich hinzu-
ganz sicher, ob mit diesem Heft der vorgesehene fügen. Wir werden diese Erhöhung ablehnen, und
Zweck erfüllt wird, die Beratungen des Haushalts- zwar aus guten politischen Gründen, auf die ich
planes in diesem Hause abzukürzen. Man hat uns jetzt nicht eingehen will; denn beim Inanspruch-
gesagt, es enthalte eine romanhafte Darstellung nahmegesetz werden wir darüber noch zu reden
der Haushaltstatsachen. Nun, ich habe — zugegebe- haben. Wir sind ganz gewiß der Meinung, daß der
nermaßen — schon interessantere Romane gelesen, Bund haben soll, was er braucht. Wir glauben aber,
aber man kann es vielleicht auch auf diese Weise daß im Bundeshaushalt insgesamt einige Positio-
machen. nen sind, die es nicht unbedingt notwendig er-
(Abg. Dr. Menzel: Ohne Happy-End! - scheinen lassen, daß der Bund jetzt seinen eigenen
— Zuruf: Kriminalroman!) Anteil zu Lasten der Länder erhöht. Ob sich der
— Nein, ein Kriminalroman ist es nicht; da muß Herr Bundesfinanzminister übrigens sein Spiel mit
ich Sie enttäuschen! seinen Länderkollegen dadurch erleichtert hat, daß
(Erneuter Zuruf von der SPD: Aber ohne er in den Entwurf dieses Haushaltsplans eines der
Morde!) mit Recht so beliebten Junktims eingebaut hat,
nämlich das Junktim zwischen Heimkehrerentschä-
— Es gibt da keine offensichtlichen Morde! digung, Hilfe für die Zonengrenzgebiete, an denen
(Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf: Aber die Länder interessiert sind, und Erhöhung des
Entführungen!) Bundesanteils, das möchte ich erst einmal ab-
— Ich war bei einem anderen Thema, meine warten. Wir werden ja sehen.
Herren, und ich bitte Sie, mir die Sache nicht zu (Abg. Dr. Dresbach: Das ist im Sinne des
schwer zu machen. Ich habe es sowieso schon Grundgesetzes!)
schwer genug gegenüber diesem Bundesfinanz- — Ich will mich jetzt auf einen solchen Zwischen-
minister. ruf nicht einlassen. Wir werden darüber reden,
(Heiterkeit und Händeklatschen bei den ob das im Sinne des Grundgesetzes ist oder nicht.
Regierungsparteien.) Ich bin jetzt im Augenblick offen gestanden über-
Ich möchte nun noch einen Schritt weitergehen fordert, wenn Sie von mir verlangen, daß ich da
und die Frage behandeln, ob der Haushaltsplan einsteigen soll.
1954 rechtzeitig, d. h. mit dem Ablauf des alten Auf jeden Fall erscheint es mir — und damit
Haushaltsjahres, verabschiedet und in Kraft ge- komme ich auf die Frage zurück, die ich vorhin
setzt werden kann. Da muß ich schon sagen, angeschnitten habe — unmöglich, daß der Haus-
für die Eingeweihten, für die kundigen Thebaner haltsausschuß des Bundestages das Tempo der Be-
gehört etwas mehr als der fröhliche Optimismus ratungen des Entwurfs dieses Haushaltsplans auf
des Herrn Bundesfinanzministers dazu, an Kosten der Gründlichkeit steigert. Ich will auch
ein solches Wunder zu glauben. Es wäre hier offen aussprechen, was ich schon der Presse
in der Tat ein Wunder, wenn es dem gegenüber auf Befragen gesagt habe: wir sollten
Haushaltsausschuß, dem Hohen Hause selber, das froh sein, wenn wir durch die gemeinsamen An-
ja auch noch etwas von der Sache haben will, und strengungen aller Beteiligten diesen Haushaltsplan
dem Bundesrat, der nach dem Grundgesetz für den vor Ostern unter Dach und Fach haben. Die sozial-
zweiten Durchgang drei Wochen zur Verfügung demokratische Opposition wird auf jeden Fall dar-
hat, gelänge, dieses gewaltige Stück Arbeit bis auf bestehen, daß keine Frage, die der Entwurf
zum 31. März dieses Jahres zu bewältigen. Dabei dieses Haushaltsplans aufwirft, unbeantwortet
ist der Herr Bundesfinanzminister selber sich wohl bleibt. Sie wird aber auch von sich aus alles tun,
darüber tim klaren, daß einer seiner dubiosen das will ich hinzufügen, um die Beratungen zu
Posten beim Haushaltsausgleich, nämlich die vier- fördern und so früh wie möglich abzuschließen. So
prozentige Erhöhung des Bundesanteils an der Ein- früh wie möglich! Nicht so früh, wie der Herr
kommen- und Körperschaftsteuer, vermutlich Bundesfinanzminister es gewünscht hat. Er hat
schon ein recht beträchtliches Hindernis für die nämlich gewünscht, daß wir bereits am 5. März
rechtzeitige Abwicklung der Haushaltsberatungen mit den Beratungen fertig sein sollten, damit der
in beiden Häusern sein dürfte. Daß es darüber Bundesrat im Rahmen dieses Haushaltsjahrs seine
noch zu einer recht harten Auseinandersetzung mit drei Wochen konsumieren kann. Ich glaube, diesen
den Länderfinanzministern kommen wird, scheint Gefallen können wir Herrn Schäffer, so leid es uns
ziemlich sicher, vor allem nachdem der Partei- tut, nicht erweisen.
freund von Herrn Schäffer — ich nehme an, daß (Abg. Mellies: Das wäre ja das reine
zwischen CSU und CDU mindestens in diesem Hennecke-System!)
Punkte eine gewisse Identität besteht, so daß ich
von Parteifreund sprechen kann —, — So weit sind wir Gott sei Dank hier in
der Bundesrepublik noch nicht. Wenn sich aus
(Heiterkeit) der Notwendigkeit einer gründlichen Beratung
nämlich Herr Dr. Fleck en, der Finanzminister in anderer Hinsicht Schwierigkeiten ergeben
des Landes Nordrhein-Westfalen, so unzweideutig sollten, so sind wir gern bereit, an ihrer
sein „Nein, niemals!" in die Welt gerufen hat. Da Überwindung mitzuhelfen; denn wir sind mit dem
muß man schon sagen: unter solcher Führung wer- Herrn Bundesfinanzminister durchaus einer Mei-
den sich die Finanzminister aller Länder bestimmt nung, wenn er sagt, daß die finanzwirtschaftliche
vereinigen. Ordnung und ihre Aufrechterhaltung ein gemein-
(Erneute Heiterkeit.) sames Anliegen aller sei, die mit dem Herzen bei
336 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Schoettle)
der Demokratie sind, und — das hat er nicht ge- diese Weise ohne Rücksicht auf Theorien und Ideo-
sagt, aber das sage ich — es gibt ja auch Demo- logien eine neue Funktion, die er früher—vielleicht
kraten, die nur mit den Beinen auf dem Boden kann man sagen: in manchen glücklicheren Zeiten
der Demokratie stehen und mit dem Herzen ganz — nicht gehabt hat. Seine Einnahmewirtschaft
woanders. dient nicht mehr allein der Befriedigung von Ver-
(Beifall bei der SPD.) waltungsbedürfnissen; sie wird, ob es uns lieb ist
Gerade wenn man aber mit dem Herzen bei der oder leid, ein Instrument der Wirtschafts-, der
Demokratie ist, kann man in einer Reihe von sehr Konjunkturpolitik, und auf weiten Gebieten —
wichtigen Fragen, die der Herr Bundesfinanz- meine Damen und Herren, das wissen Sie alle sel-
minister in seiner Haushaltsrede aufgeworfen hat, ber — ist der Staat als Auftraggeber aus der mo-
völlig anderer Meinung sein als er und die Bundes- dernen Wirtschaft überhaupt nicht mehr wegzu-
regierung, deren Finanzpolitik er vertritt. denken. Nicht ohne Grund hat der Herr Bundes-
finanzminister selber in seiner Haushaltsrede dar-
Ich kann mich nicht auf das ganze weite Feld auf hingewiesen, daß in dem Augenblick, in dem
der Meinungsverschiedenheiten zwischen Regie- man die Haushaltssumme auf beiden Seiten senkt,
rung und Opposition begeben. Ich muß mich da aus der Wirtschaft der Schrei nach vermehrten
mit Stichproben begnügen. Aber einen Punkt, und Staatsaufträgen ertönt. Die Rufer wissen genau,
zwar nach meiner Meinung einen entscheidenden wo sie der Schuh drückt. Sie schreien nicht nur,
Punkt, möchte ich jetzt herausgreifen, um zu zei- weil sie schreien wollen, sondern weil tatsächlich
gen, daß man anderer Meinung sein kann, daß wir jedes Nachlassen staatlicher Auftragsgebung sofort
Sozialdemokraten anderer Meinung sein müssen in einer Reihe von Gebieten der Wirtschaft Lücken
als der Herr Minister und daß hier eine der ent- reißt, Schwierigkeiten schafft, Existenzen gefähr-
scheidenden Wurzeln unserer Gegnerschaft — nicht det.
unserer Feindschaft — liegt. Ich glaube, wir kön- Wir Sozialdemokraten sehen in dieser Tendenz
nen und sollten uns angewöhnen, wenn wir von zur Ausweitung der öffentlichen Haushalte — um
politischer Gegnerschaft sprechen, darin nicht zu- da gar kein Mißverständnis aufkommen zu lassen
gleich auch noch den Kern menschlicher Feind- — nicht nur einen Fortschritt, wie ja überhaupt
schaften zu sehen. geschichtliche Entwicklungen nicht nur unter dem
(Beifall im ganzen Hause.) Gesichtspunkt betrachtet werden können, ob sie
Ich sage also: die sozialdemokratische Fraktion zufällig in ein theoretisches Konzept passen oder
ist mindestens in einem entscheidenden Punkt
- — nicht; sie sind häufiger eine Last als eine Freude.
ich lege Wert auf das „mindestens", es gibt also (Beifall rechts.)
doch noch eine ganze Menge anderer — wesentlich
anderer Meinung als der Herr Minister. Er hat in Wir sehen also nicht nur einen Fortschritt in die
seiner Rede die These aufgestellt, daß der Staat ser Entwicklung. — Klatschen Sie nicht zu früh;
in diesem Zeitpunkt und von jetzt an offenbar (Heiterkeit)
lediglich die Aufgabe habe, Hilfsstellung zu leisten,
damit die private Wirtschaft ihre Aufgaben er- es ist manchmal ein Fehler, und vielleicht kommt
füllen könne. Uns will scheinen, daß diese Auf- mancher erst bei längerem Nachdenken darauf,
fassung des Herrn Ministers an der geschichtlichen was gemeint ist.
Entwicklung einfach vorbeigeht. (Erneute Heiterkeit.)
(Abg. Mellies: Sehr richtig!) — Ich sage das an die Adresse der Herren
Klatscher;
Es ist ja nicht eine deutsche Spezialität, daß die
öffentlichen Haushalte eine Tendenz zum Wachsen (Abg. Albers: Das war rechts!)
zeigen. Man kann diese Tendenz in allen modernen ich warne nur Neugierige! — Wir sehen auch die
Industrieländern beobachten. Sie ist nicht das Er- Nachteile dieser Entwicklung, vor allem sehen wir
gebnis theoretischer Überlegungen. Man braucht das Wachsen bürokratischer Verwaltungsmethoden
dazu nicht an den Genfer See zu gehen, um Auf- und -praktiken, und das empfinden wir genau so
klärung über moderne Entwicklungstendenzen zu wie viele andere als eine Last. Trotzdem glauben
bekommen. Es genügt schon ein Studium unserer wir nicht, daß man aus diesen Nachteilen nun die
eigenen gesellschaftlichen Entwicklung als Folge extreme Forderung ableiten kann: Weg mit dem
der grundlegenden Strukturwandlungen, die die staatlichen Einfluß auf allen Gebieten, weg mit
modernen Nationen in den letzten 50, 60, 100 Jah- den staatlichen Interventionen! Sie mögen zwar
ren im Zuge der industriellen Revolution erlebt auch eine Last sein, aber sie sind ebenso sehr eine
haben. Einer der entscheidenden Gründe ist die Notwendigkeit. Und Notwendigkeiten soll man
wachsende Zahl der abhängigen Existenzen und vollstrecken, man soll sich nicht um sie herum-
die Ausweitung der industriellen Wirtschaft mit drücken, zumal in Deutschland, wo wir die Auf-
der Verschiebung des Schwergewichts von der gabe durchzuführen haben, die Erbschaft von zwei
agrarischen zur industriellen Bevölkerung, kurzum Weltkriegen und zwei Zusammenbrüchen zu liqui-
alles das, was wir eben in einem modernen dieren. Wir werden auf absehbare Zeit ohne staat-
Industriestaat sehen. In Deutschland wird diese liche Interventionspolitik auf weiten Gebieten
Situation nach zwei Weltkriegen noch verschärft nicht auskommen, trotz aller schönen Begründun-
durch alles, was der öffentlichen Hand durch die gen für das, was man heute die „soziale Marktwirt-
Liquidation der Kriege und ihrer Folgeerscheinun- schaft" nennen mag, wobei noch die Frage zu über-
gen an Aufgaben zuwächst. In demselben Maße legen wäre, wieweit denn diese Theorien, die an-
aber, wie man diese Entwicklung nicht nur theo- geblich neu sind, heute in der Praxis angewandt
retisch zur Kenntnis nehmen, sondern praktische werden und wieweit nicht bereits heute weite Ge-
Konsequenzen aus ihr ziehen muß — gezwungen biete unseres Wirtschaftslebens von dieser „sozia-
ist, sie zu ziehen —, wächst die Notwendigkeit len Marktwirtschaft" ausgenommen sind.
öffentlicher Leistungen und damit der Finanzbe-
darf der öffentlichen Hand. Der Staat gewinnt auf (Sehr wahr! bei der SPD.)
2. Deutscher Bundestag — 12, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 337
(schoettle)
Ich habe dieser Tage eine Rede des neuen Herrn Mi- Haushaltsplans erblickt hat, schon alles, was drin-
nisters für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten steht.
gehört, und ich muß sagen, ich sah mich da auf (Zustimmung bei der SPD.)
ganz verwandten Gebieten. Ich fand, daß es nicht Ich habe d e n Bundesfinanzminister noch nicht
in das Konzept des Herrn Kollegen Erhard von kennengelernt und werde ihn vermutlich wäh
der Wirtschaft paßt, und ich habe mich gefragt, rend der Geltungsdauer des Grundgesetzes nicht
wie denn das alles im Rahmen einer doch ziemlich kennenlernen, der wegen eines solchen Verstoßes
festgelegten Politik realisiert werden soll. Auch der gegen das Budgetgeheimnis, etwa weil er 10 Mi-
Herr Ernährungsminister selber hat keine vollstän- nuten vor seiner Rede einen Journalisten infor-
dige Antwort auf diese Frage gegeben. Das kann miert hat, in die Wüste geschickt wird, wie es sei-
man ihm nicht übelnehmen. Ich wollte nur in nerzeit dem englischen Schatzkanzler ging.
diesem einen Falle schon darauf hingewiesen ha-
ben, wie sehr Theorie und Praxis — man kann (Beifall bei der SPD.)
auch sagen, wie Propaganda und Praxis — manch- Worauf geht es denn hinaus? Wir reden über
mal auseinanderlaufen. den Art. 113 und seine segensreiche Wirkung. Auf
der anderen Seite verzichten wir aber auf das
(Beifall bei der SPD.) Äquivalent dieser der Bundesregierung gegebenen
Befugnis, in Finanzfragen mit bindender Kraft
Ich sagte, wir sind überzeugt, daß wir auf ab- nein zu sagen. Wir verzichten nämlich auf die Er-
sehbare Zeit ohne staatliche Interventionen auf gänzung, daß eine Regierung, deren Mehrheit sie
weiten Gebieten nicht auskommen. Aber wir wol- in entscheidenden finanziellen Fragen im Stiche
len nicht leugnen, daß es eine Aufgabe der Demo- läßt, zu gehen hat und das Parlament aufzulösen
kratie und der Demokraten ist, die Grenzen des ist. Das gibt es bei uns im Grundgesetz nicht.
staatlichen Einflusses zu bestimmen und die freie
Entscheidungsfähigkeit des Bürgers gegen ein (Erneute Zustimmung bei der SPD.)
Übermaß von Bevormundung und Staatsaufsicht Die Väter unseres Grundgesetzes wollten — wie
zu verteidigen. . man bei uns im Süden und vielleicht auch ander-
wärts sagt — die Decke bei sämtlichen Zipfeln
In diesem Zusammenhang muß ich noch eine nehmen. Deshalb haben sie die Regierung unstürz-
andere Frage berühren, die der Herr Bundes- bar gemacht. Das mag seine guten Seiten haben;
finanzminister in seiner Rede aufgeworfen hat. ich will darüber gar nicht rechten. Aber daß gleich-
Er hat vom Budgetrecht des Parlaments- gespro- zeitig das Parlament praktisch völlig entmachtet
chen und von der Notwendigkeit, dieses Budget- wird, ist eine Zutat zu dieser Sicherung der Kon-
recht zu verteidigen. Wir stehen da in einer Front, tinuität, die noch sehr, sehr schädliche Konsequen-
so hoffe ich, bin aber dessen nicht so ganz sicher, zen haben kann. Denn das Parlament ist dadurch
wie ich es gern sein möchte. Das Budgetrecht des praktisch auf den Umfang des Budgetrechts be-
Parlaments und die im Grundgesetz etablierte Be- schränkt, den ihm Regierung und Bundesfinanz-
fugnis der Bundesregierung, mit Hilfe des Art. 113 minister gnädigst bewilligen. Um Ihnen zu bewei-
das Gleichgewicht des Bundeshaushalts zu sichern, sen, daß das keine Behauptung eines böswilligen
enthalten nämlich ein gerütteltes Maß von echten Oppositionsmannes ist — dazu kennen mich die
Problemen. Wir sind bisher kaum darauf gestoßen, Damen und Herren, die seit längerer Zeit hier
weil der Herr Bundesfinanzminister und die Bun- in diesem Hause tätig sind, zu genau —, will ich
desregierung es vorgezogen haben, den Art. 113 Ihnen die Antwort an Hand der Praxis des Bundes-
sozusagen wie das Schwert in der Scheide zu be- tages und des Haushaltsausschusses geben. Wie
wahren und nur gelegentlich mit dem Instrument steht es denn überhaupt um das Budgetrecht des
zu winken, ohne es je zu gebrauchen. Ich verstehe Bundestages? Der Herr Bundesfinanzminister hat
durchaus, daß Herr Minister Schäffer den Art. 113 es selbst ausgesprochen. Er hat gesagt, daß mehr als
als ein sehr praktikables Instrument in seinen 90 % des gesamten Haushaltsvolumens fixe Posten
Händen begrüßt; er wäre ja sonst nicht Finanz- sind. Das ist zum Teil ein Resultat der unglückseli-
minister. Aber, meine Damen und Herren, die Sta- gen Geschichte unserer Nation. Wir müßten ja
bilität der Finanzen in allen Ehren, und wir sind auch nicht unbedingt im Haushalt Besatzungskosten
der Meinung, daß das ein großes Gut ist, das man und Verteidigungslasten von der Art, wie sie jetzt
erhalten soll; nur sollte man bei der Erwähnung etatisiert sind, haben, wenn wir nicht einige große
des Art. 113 mit staatsrechtlichen Vergleichen und Unglücksfälle in der Geschichte unserer Nation ge-
mit Blicken nach anderen Ländern, z. B. nach habt hätten.
England mit seinem House of Commons, sehr vor- (Sehr gut! in der Mitte.)
sichtig sein. Gewiß, in England hat das Unterhaus,
wenn man so will, gar kein eigentliches Budget- Auf der anderen Seite sind selbstverständlich auch
recht in dem Sinne, daß es die Höhe der Einnah- die Soziallasten fixiert durch Gesetze, durch Bin-
men und Ausgaben wesentlich beeinflussen könnte. dung von Mitteln im Bundeshaushalt. Darüber
Da öffnet der Schatzkanzler am budget day seine kann man nicht reden, wenigstens nicht im Rah-
rote Mappe, und alle Welt wartet auf seine Über- men des Haushaltsplans, der ja die gesetzlichen
raschungen. Dann gibt es im House of Commons Verpflichtungen nur in haushaltsrechtliche Form
eine Debatte. Aber sie endet in der Regel damit, bringt. Aber der Rest ist doch auch nur noch in
daß der Schatzkanzler recht behält. Das liegt in sehr engen Grenzen interessant. Der Haushalts-
der Natur der englischen Konstitution, die unge- ausschuß — ohne Unterschied der politischen
schrieben ist, die aber doch über sehr, sehr starke Farbe — und dieses Hohe Haus selbst haben weder
und stabile Grundsätze verfügt. Und wie ist es einen nennenswerten Einfluß auf das Haushalts-
denn bei uns? Bei uns kommt nicht der Herr volumen, noch auf die Gewichtsverteilung inner-
Bundesfinanzminister mit der roten Mappe, sondern halb des Haushalts. Das ist eine Feststellung, der,
da weiß die Presse — und weiß Gott wer noch — glaube ich, niemand in diesem Hause widerspre-
längst, ehe das Parlament auch mir eine Ziffer des chen kann, der die Tatsachen kennt.
838 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Schoettle)
Was heißt hier Budgetrecht? Das heißt hier Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner
offenbar, im großen und ganzen ja zu dem zu sa- Rede schließlich erklärt, daß er es begrüßen würde,
gen, was der Herr Bundesfinanzminister nach lan- wenn das Zusammenwirken aller Beteiligten im
gen Kämpfen mit den Ressorts und schließlich Sinne des Art. 113 gesetzlich oder in der Geschäfts-
unter Abwägung aller Möglichkeiten für richtig ge- ordnung des Bundestags gesichert würde. Dazu
halten hat! haben wir nur eines zu sagen. Wir werden uns
Das Gesamtbild ändert sich auch dann nicht, einer solchen Bindung des Parlaments widersetzen.
wenn wir im Haushaltsausschuß auf Anträge aus Sie liefe praktisch darauf hinaus, daß der Bundes-
dem Hause oder von Ausschußmitgliedern versu- tag vollends an die Kette gelegt würde. Wenn es
chen, mal da eine dreistellige oder dort eine vier- die Bundesregierung nicht fertigbringt, ihre Mehr-
stellige oder gar eine fünfstellige Zahl — aber das heit bei der St ange zu halten, wenn es um finanz-
ist das höchste der Gefühle — von einem Titel zum politische Entscheidungen geht, .so sehen wir nicht
anderen zu transportieren. Das kostet dann einen ein, daß wir dazu auch noch grundgesetzliche Ände-
ungeheuren Aufwand an Kraft, Nerven und Über- rungen und Änderungen in unserer Geschäfts-
redungskünsten gegenüber denen, die opfern sol- ordnung vornehmen sollen. Das ist doch eine
len, während die anderen, die bekommen sollen, Frage der politischen Überzeugungsfähigkeit
natürlich immer bereit sind, das zu nehmen; doch zwischen Regierung und Mehrheit und nicht
ist es meist nicht genug. Sache einer gesetzlichen Regelung. Vom Stand
Der Art. 113 hat also auch eine andere Seite punkt einer echten Erziehung zur Demokratie
oder, kann man sagen, mehrere andere Seiten als ist ein solcher Zustand auf die Dauer uner-
die „segensreiche" Wirkung, das Parlament daran träglich. Die Staatsbürger würden darin bestimmt
zu hindern, Ausgaben zu beschließen. Ja, wenn es nicht eine Aufforderung erblicken, vor dem Parla-
nur diese Wirkung hätte! ment mehr Achtung zu haben, als dieses sowieso
schon genießt.
Aber da komme ich auf ein schmerzliches Kapi- Wir wissen als sozialdemokratische Opposition in
tel in der Geschichte des Art. 113 in der Praxis. diesem Hause, daß wir nicht in der Lage sind., eine
Die Bundesregierung hat ja, wie ich schon sagte, Änderung dieses Zustandes herbeizuführen. Es ist
kaum davon Gebrauch gemacht. Sie hat sich mit zweifelhaft, ob sich überhaupt in diesem Hause
Drohungen begnügt. Und je näher der Wahltag eine Mehrheit fände, die bereit wäre, die Rechte
kam, meine Damen und Herren, um so weniger des Parlaments gegenüber. der Regierung wirklich
wirkten die Drohungen; denn sie haben ja nicht energisch zu vertreten, d. h. das Grundgesetz nicht
gegenüber der Opposition, die in der Minderheit in einem Sinne zu ändern, wie es der Herr Bun-
ist, sondern nur gegenüber der Regierungsmehr-
- desfinanzminister will, um die Kette noch zu ver-
heit einen Sinn. Ihre Klagen, sehr verehrter Herr stärken, sondern dem Parlament die Budgethoheit
Bundesfinanzminister, im Wahlkampf und nachher zu geben, die ihm zukommt.
über die ungehemmte Bewilligungsfreudigkeit des (Abg. Arndgen: Auch für die Deckung?)
Parlaments mußten sich doch in erster Linie an die
Mehrheit richten. — Herr Kollege Arndgen, wie oft haben Sie sich
vor dem Wahlkampf den Kopf über die Deckung
(Zustimmung bei der SPD. — Zuruf des von Ausgaben zerbrochen, die Sie mit beschlossen
Abg. Bausch und weitere Zurufe von der haben! Ich glaube, da sollten wir alle, die wir im
Mitte.) Glashaus sitzen, uns nicht allzusehr mit Steinen
Ich weiß nicht, ob die Damen und Herren, nach- bewerfen.
dem der Wahltag vorüber ist, in sich gegangen (Beifall bei der SPD. — Abg. Arndgen: Sie
sind und für die Zukunft Besserung gelobt haben; sitzen mit im Glashaus! — Abg. Mellies:
wir können es abwarten. Sie sitzen mehr drin als wir! Das verges-
(Erneute Zurufe von der Mitte.) sen Sie bitte nicht!)
— Ich hoffe, wir begegnen einander im Haus- Und nun, meine Damen und Herren, Spaß bei-
haltsausschuß; da können wir privatim einiges mit- seite! Was ich bis jetzt gesagt habe, war kein Spaß.
einander reden. Jedenfalls mußten Sie sich an Ihre Ich bin überzeugt, daß in diesen Ausführungen
Mehrheit wenden, Herr Finanzminister; denn diese einige sehr ernste Dinge stecken, über die wir uns
Mehrausgaben sind beschlossen worden, nicht nur alle Gedanken machen sollten.
weil die Opposition die Mehrausgaben gefordert Zum Entwurf des Haushaltsplans selbst. Es ist
hat — das haben wir getan, das ist unser gutes selbstverständlich nicht meine Aufgabe, hier alle
Recht, und wir werden uns davon nie abhalten las- Einzelheiten des Entwurfs zu durchleuchten. Dazu
sen —, sondern weil Ihre Mehrheit Sie im Stich ge- haben wir die Beratungen im Ausschuß, dazu
lassen hat. In dem einen Fall, Herr Bundesfinanz- haben wir die zweite und dritte Lesung, und meine
minister, in dem Sie schließlich mehr oder weniger Fraktion wird sich nicht scheuen, entsprechende
vor dem öffentlichen Druck haben kapitulieren Anträge zu stellen, wo sie es für notwendig hält.
müssen, nämlich in dem Fall des Heimkehrerent- Ich wende mich auch nicht So sehr mit Zahlen ab-
schädigungsgesetzes, haben Sie sich ja gar nicht plagen wie der Herr Bundesfinanzminister, der das
des Art. 113 bedient, sondern Sie haben sich viel- zur Begründung seines Entwurfs auch wirklich
mehr hinter eine sehr extensive und außerordent- nötig hatte. Wenn ich Zahlen verwende, dienen sie
lich fragwürdige Interpretation der Verkündungs- nur der Illustration des von mir vertretenen Stand-
pflicht der Bundesregierung im Hinblick auf rechts punkts.
gültig beschlossene Gesetze geflüchtet. Darüber Herr Schäffer hat seinen Entwurf als einen
wird man ja noch reden müssen, ob es die Bun- Haushalt der Sparsamkeit bezeichnet. Sparsamkeit
desregierung in der Hand hat, je nach Bedarf, Ge- ist eine Tugend. Aber sie kann auch am falschen
schmack, Laune oder politischen Erwägungen die Ort angewandt werden. Dann wird sie zur Un-
Fristen für die Verkündung eines rechtsgültig be- tugend, dann wird sie nämlich zur Vernachlässi-
schlossenen Gesetzesauszudehnen; das ist eine gung von Aufgaben, die man nicht vernachlässigen
Frage, die wir klären müssen. dürfte. Ein typisches Beispiel — ich habe davon
(Beifall bei der SPD.) schon gesprochen — ist der Verkehrshaushalt, ein
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 339
(Schoettle)
sehr gewichtiger Posten im Gesamthaushalt der Meine Damen und Herren, diese Bemerkungen
Bundesrepublik. Der Verkehrshaushalt, den ich sind nur als ein ganz bescheidener Beitrag zum
hier gar nicht im einzelnen analysieren will, ent- Thema „Sparsamkeit des Haushalts", eben nur im
hält einige Positionen, die heute draußen in der Rahmen dieser ersten Lesung, aufzufassen. Wir
Öffentlichkeit Gegenstand allgemeiner Aufmerk- werden die Einzelberatung im Haushaltsausschuß
samkeit sind. Ich brauche nur Stichworte zu er- dazu benutzen müssen, alle diese Dinge unter die
wähnen: Bundesbahndefizit, Bundesbahnschwierig- Lupe zu nehmen, so daß bei der zweiten und drit-
keiten, Straßenbauprobleme, der Konflikt Schiene ten Beratung hier im Plenum dann tatsächlich alle
-Straße. die Teile des Haushalts so abgewogen sind, daß
man ein Gesamtbild davon bekommt, inwieweit die
In welcher Weise finden alle diese Dinge ihren vom Herrn Bundesfinanzminister ausgesprochenen
Niederschlag im Haushalt des Verkehrsministe- allgemeinen Grundsätze in diesem Haushaltsplan
riums? Von der Antwort auf diese Frage ist man Berücksichtigung gefunden haben.
einigermaßen enttäuscht. Gewiß, der Entwurf sieht
vor, daß die Bundesbahn mit Hilfe von Darlehen Nun zu einigen anderen Einzelplänen, ohne daß
gewisse Überbrückungsmöglichkeiten erhält. Ge- ich auch hier auf die Details eingehe. Nach dem
wiß, z. B. der Straßenetat enthält eine Summe von, Grundgesetz bestimmt der Herr Bundeskanzler
wenn ich recht im Bilde bin, rund 315 Millionen die Richtlinien der Politik. Es steht also hier die
DM für 'dieses Haushaltsjahr. Aber, meine Damen Gesamtpolitik der Bundesregierung mit zur De-
und Herren, gerade wenn man sich die Frage über- batte. Da der Herr Bundeskanzler außerdem noch
legt, wie denn das Problem Schiene-Straße entwirrt immer sein eigener Außenminister ist, wäre auch
werden soll, kommt man doch zu einigen sehr be- die Außenpolitik einer kritischen Beleuchtung zu
denklichen Ergebnissen hinsichtlich dieses „spar- unterziehen. Sie werden verstehen, daß ich im Hin-
samen" Bundeshaushaltes 1954. Ich weiß, der Herr blick auf die gegenwärtig schwebenden Verhand-
Bundesverkehrsminister wird, wenn nicht eine ge- lungen der Vier Mächte in Berlin gerade dieses
samtpolitische Entscheidung innerhalb der Bundes- Thema nicht berühre.
regierung erfolgt — und ich sehe sie bisher noch (Sehr richtig! in der Mitte.)
nicht einmal recht in Umrissen—, noch auf lange Zeit Ich glaube, wir werden sowieso einer außenpoli-
einen sehr schweren Kampf mit dem Herrn Bun- tischen Debatte in absehbarer Zeit nicht entgehen
desfinanzminister über die Ausstattung seines Etats können, und da mag dann alles das gesagt werden,
zu kämpfen haben. Aber wenn wir uns überlegen, was zu diesem Thema gesagt werden muß. Daß
was diese 315 Millionen DM für alle Aufgaben- des Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung
Straßenhaushalts der Bundesrepublik — von den und Opposition in dieser Frage bestehen, ist kein
Ländern rede ich in diesem Zusammenhang nicht Geheimnis. Sie sind nicht wesentlich abgeschwächt
— bedeuten, dann kommen wir zu folgendem Er- worden; aber ich nehme an, daß wir darüber, wie
gebnis. Die Schätzungen der Sachverständigen über gesagt, reden werden.
die Kosten der Instandsetzung unseres Straßen-
netzes, so daß es einigermaßen den modernen Ver- Ich will einige Bemerkungen zur innenpolitischen
kehrsbedürfnissen entspricht, liegen, wenn ich mich Atmosphäre machen. Wir haben eine Bundestags-
recht erinnere, zwischen 12 und 15 Milliarden DM wahl gehabt. Nach dem Zusammentritt des Bun-
— in dieser Größenordnung etwa —. Und zwar destages mochte es vielen scheinen, als ob die Tem-
sind die Leute, die es wissen müssen, der Meinung, peratur der Auseinandersetzungen hier in diesem
daß man das nicht auf viele Jahre aufschieben Haus und in der Öffentlichkeit erheblich gesun-
kann, sondern daß heute bereits die Grenzen des ken sei. Ich habe mehr das Gefühl, daß das der
Erträglichen erreicht sind, was das Verhältnis des Tatsache zu verdanken ist, daß dieser Bundestag
Zustandes der Straßen zu ihrer Inanspruchnahme in den ersten Monaten seiner Tätigkeit noch nicht
durch den modernen Kraftfahrzeugverkehr be- die richtige Wärme gefunden hat, noch nicht den
trifft. Nach dem Tempo, das der jetzige Verkehrs- Kontakt miteinander und auch noch nicht den
haushalt andeutet — nämlich alles in allem 315 Kontakt mit der praktischen Arbeit, so daß es nicht
Millionen DM in diesem Jahr —, würden wir ver- so viele Gelegenheiten gab, die Klingen zu kreuzen.
mutlich etwa 50 Jahre brauchen, bis wir den Das sich das alles im Laufe der Zeit noch finden
Straßenzustand hergestellt hätten, der dem heuti- wird, davon bin ich fest überzeugt.
gen Verkehr, der heutigen Verkehrsdichte ent- Schließlich will ich noch ein Wort zum Wahl-
spricht, wobei man annehmen darf, daß der Ver- kampf sagen. Befürchten Sie nicht, daß ich ihn hier
kehr inzwischen weiter gewachsen wäre. wieder aufleben lasse. Gegenwärtig werden ja die
Entgleisungen des Wahlkampfs von den Gerichten
Das ist eine rohe Berechnung. Ich gebe das zu; oder durch außergerichtliche Vergleiche korrigiert.
sie ist wirklich über den Daumen gepeilt. Aber ob
(Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Abg.
Sie 50 oder 40 Jahre nehmen, ist schließlich ange-
Heiland: Oder durch Amnestieversuche!)
sichts der Dringlichkeit der Aufgabe gar nicht so
sehr wichtig. Es kommt darauf an, daß die Be- — Das ist Ihr Beitrag zu meiner Rede. — Ich will
träge, die der Herr Bundesfinanzminister unter darauf nicht eingehen. Man hätte vielleicht klüger
Abwägung aller Gesichtspunkte glaubt zur Ver- getan, diese Entgleisungen gar nicht erst passieren
fügung stellen zu können, weit hinter dem zurück- zu lassen und manches nicht zu sagen, was man
bleiben, was notwendig wäre, um auch nur in nachträglich dann vor den Gerichten und mit Hilfe
einem Jahr die Winterschäden zu beheben und von Anwälten aus der Welt schaffen muß. Aber da
das bißchen Neubau und Fortführung des Ausbaus wir nun allzumal Menschen sind, möge das als ein
unserer Straßen zu bewerkstelligen, das notwendig Nachtusch betrachtet werden. Ich will die Debatte
ist. Vielleicht ergäbe sich auf diese Weise und bei über dieses ganze Thema nicht weiter vertiefen.
diesem Tempo eine Lösung des Problems Schiene Die innerpolitische Atmosphäre, von der ich
Straße; aber ich fürchte, daß es nicht die richtige sprach, wird vielleicht durch nichts besser gekenn-
Lösung sein würde, sondern daß wir dabei alle- zeichnet als durch den Umstand — und ich fühle
samt eines Tages noch sehr draufzahlen müßten. mich verpflichtet, das hier zur Sprache zu brin-
340 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Schoettle)
gen —, daß sich neuerdings sogar sehr prominente — Ja, man weiß allmählich gar nicht mehr, wie
Vertreter der Regierungskoalition über das kühle man die Titel alle abwägen soll! Wir kommen bald
Verhältnis der Bundesregierung zum Parlament zu in die Gegend von Kotzebues „Deutsche Klein-
wundern beginnen, — um es milde auszudrücken. städter", wenn das so weitergeht.
Ich will keine Geheimnisse verraten, aber ich will Ich glaube, das war eine schlechte Visitenkarte.
so viel sagen: Dieser Tage wurde in einem Gre- Sie war deshalb schlecht, weil sie von einem großen
mium dieses Hohen Hauses neben anderen Fehl- Unverständnis zeugt für die wirklichen politischen
leistungen die Tatsache beklagt, daß im Bulletin Probleme des Deutschlands neun Jahre nach
der Bundesregierung — wir haben ja eine recht dem großen Kladderadatsch von 1945, und für ein
umfängliche Verwaltung für Presse- und Informa- geringes Einfühlungsvermögen in das, was die
tionsangelegenheiten, und eines der Extrakte der Menschen draußen denken, was sie fühlen, worauf
Tätigkeit dieser Verwaltung ist das, was man heute sie reagieren.
mit einem schönen deutschen Wort „Bulletin"
nennt, oder wie Sie es aussprechen wollen — Dieser Fehlgriff war symptomatisch und ließ
Befürchtungen bezüglich der Zukunft auftauchen.
(Heiterkeit) Ich will diese Befürchtungen hier im einzelnen gar
die Existenz des Bundestages als einer Quelle der nicht ausführen. Ich möchte auch keine Gespenster
Gesetzgebung überhaupt nicht zur Kenntnis ge- an die Wand malen. Das liegt mir nicht. Aber ich
nommen werde. möchte warnend sagen, meine Damen und Herren:
(Hört! Hört! bei der SPD.) Wir wünschten sehr, daß wir nicht erst fünf Mi-
nuten nach zwölf entdecken, daß man der Demo-
Ich habe den Versuch gemacht, diese Behauptung kratie Bärendienste leistet, wenn man unser Volk
zu prüfen. Ich habe mir das Register für das zweite daran hindert, nüchtern und ungeschminkt seiner
Halbjahr 1953 des Bulletins vorgenommen, und in eigenen Vergangenheit in die Augen zu blicken.
der Tat, in diesem Register kommt das Wort Deut-
scher Bundestag überhaupt nicht vor. (Beifall bei der SPD.)
(Hört! Hört! und Lachen bei der SPD.) Der Film mag technisch schlecht gewesen sein,
Mit anderen Worten: von der gesetzgebenden Herr Bundesminister. Ich habe ihn selber gesehen,
Körperschaft wird im Sprachrohr der Bundesregie- und ich fand ihn nicht gerade berauschend.
rung überhaupt nicht Notiz genommen; sonst hätte (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen] : Im
es ja irgendwann mal auftauchen müssen. Gegenteil, schlecht!)
Meine Damen und Herren, es handelt- sich gar — Ich meine: nicht berauschend gut, nach der tech-
nicht um Protokollfragen. Das wäre die Sache nischen Seite.
etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen. (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Ganz
Hier handelt es sich doch um die wirkliche Stel- schlecht!)
lung des Parlaments innerhalb der gesamten staat Er mag uns manches nicht gegeben haben, was man
lichen Ordnung. in diesem Zusammenhang geben müßte. Aber
(Beifall bei der SPD und FDP. — Zurufe von sicher war das Verbot ein untaugliches Mittel, das
der SPD.) Problem zu lösen, das dieser Film aufgerollt hat.
Ich stelle die Frage, ob wir wenigstens in diesem — Nur soviel zu diesem Thema.
Hause und wenigstens auf diesem einen Gebiete an Da ich gerade beim Bundesinnenministerium bin,
einem Strang ziehen könnten, damit endlich auch für will ich einige Klagen vorbringen, die mir zuge-
gewisse Leute — vielleicht sind sie sogar Mitglieder tragen worden sind, die in der zweiten Lesung
dieses Hauses, aber sie haben andere, offiziellere irgendwie behandelt werden müssen und die auch
Eigenschaften —, denen es richtig erscheint, eine in den Beratungen des Haushaltsausschusses einen
gewisse Distanz zwischen das Parlament und sich Niederschlag finden sollten. Das Bundesinnenmini-
zu legen, das Parlament in der parlamentarischen sterium — und das ist sicher nicht die Schuld des
Demokratie, wie sie das Grundgesetz etabliert hat, Ressorts, sondern die Schuld der Umstände und der
tatsächlich den Rang und die Würde bekommt, die Hartnäckigkeit des Herrn Bundesfinanzministers
ihm zukommen, und seiner Referenten — hat eine Reihe von Titeln
(Beifall bei der SPD, bei Abgeordneten der im Etat, die nach unserer Meinung nicht gerade
CDU/CSU und rechts) zulänglich ausgestattet sind. Das Gesundheitswesen
und damit es nicht sozusagen unter „ferner liefen" ist im wesentlichen Sache der Länder. Aber der
registriert wird. Bund hat auch auf diesem Gebiet eine Menge Ver-
Zur inneren Politik selber. Es wäre da viel zu pflichtungen, die er erfüllen und für die er ent-
sagen, aber es genügt die Bemerkung, daß sich der sprechende Mittel bereitstellen sollte.
neue Herr Innenminister nicht gerade glänzend (Sehr richtig! bei der SPD.)
eingeführt hat. Es tut mir fast leid um ihn; denn Insgesamt stehen für das Gesundheitswesen etwa
er ist einer der — nun, ich will niemanden be- 6 Millionen DM im Haushalt. Davon entfällt
leidigen — nettesten Erscheinungen auf der Regie- 1 Million DM auf allgemeine Ausgaben, d. h.
rungsbank. Unterstützung einer ganzen Reihe von Institutio-
(Große Heiterkeit.) nen und Organisationen. Manchmal kann man
Man hätte ihm eigentlich ein besseres Debut ge- wirklich fragen, ob Organisationen nur dann leben
wünscht als das mit den „5 Minuten nach 12". können, wenn ihnen der Bund einen Zuschuß gibt.
(Lachen bei der SPD.) (Heiterkeit und Zustimmung.)
Ich will gar nicht verschweigen, daß da auch Leute Vielleicht gehen wir auf diesem Gebiet gelegent-
meiner eigenen Couleur recht erheblich daneben lich etwas zu weit; wir sollten uns das etwas ge-
getappt sind unter gütiger Anleitung ihres Bundes- nauer ansehen.
regierungskollegen. Aber das Bundesgesundheitsamt selbst mit
(Zuruf von der Mitte: Oberkollegen!) seinem Etat von 5 Millionen DM ist auch nicht all-
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 341
(Schoettle)
zu üppig dotiert. Die Mittel zur Bekämpfung von es sei denn der, daß der Herr Bundesfinanzminister
ernsthaften Epidemien oder von Katastrophen, die sparen wollte. Aber hier ist nach unserer beschei-
wirnchtaekö,vodnwirabe denen Meinung wieder einmal Sparsamkeit zur
immerhin annehmen müssen, daß sie einmal kom- Untugend geworden.
men könnten, sind einfach ungenügend. Ich sage Es besteht auch eine Gefahr, daß die 10 Milli-
das ohne jede Polemik, sondern stelle es nur fest, onen DM, die im Haushalt für Schwerpunkt-
weil ich glaube, daß man sehr ernsthaft darüber forschung ausgesetzt sind, ebenfalls noch gekürzt
sprechen müßte, wie man diese im allgemeinen werden. Sie werden betroffen von der vier-
gar nicht so sehr zählenden Positionen des Haus- prozentigen Kürzung, die der Herr Bundesfinanz-
halts, die aber für seine Atmosphäre selber etwas minister für alle Ressorts insgesamt verordnet hat
besagen, in Ordnung bringen kann. — das steht im Entwurf —, und sie werden mög-
Ein anderes, ähnliches Kapitel! Der Herr Bundes- licherweise — und das ist eine Frage an den Herrn
finanzminister hat sich sehr stolz auf eine Zusam- Bundesinnenminister und seinen Kollegen von der
menstellung der Leistungen des Bundeshaushalts Finanz — noch dadurch gekürzt, daß der Bund, wie
für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung ich höre, die Absicht hat, einer internationalen
berufen. 71 Millionen DM, sagt er, stehen dafür Konvention zur Förderung der Kernphysik-
im Bundeshaushalt. Ich muß sagen, Herr Bundes- forschung beizutreten und daß die 3 Millionen, die
finanzminister, da haben Ihre Experten aber wirk- er zum Aufbau eines Atommeilers — ich glaube, in
lich den letzten Rest an bundeseigenen Instituten Genf — beitragen soll, möglicherweise von diesen
zusammengekratzt, um auf diese Summe zu 10 Millionen für die Förderung der Schwerpunkt-
kommen. forschung abgesetzt werden sollen. Ich würde das
(Heiterkeit.) für eine sehr untaugliche Methode halten. Man
sollte dem Hause gleich davon Kenntnis geben, ob
Ich glaube nicht, daß bei näherer Betrachtung all das wirklich beabsichtigt ist. — Ich bin dankbar,
die Institute, die der Bund zur Erfüllung seiner wenn das verneint wird. Aber ich wollte zu Pro-
laufenden Aufgaben auf diesem oder jenem Gebiet tokoll gegeben haben, daß darüber geredet wird.
geschaffen oder übernommen hat, unter dem Je beruhigender die Nachrichten von der Regie-
Rubrum „Förderung der wissenschaftlichen For- rungsbank klingen, um so besser ist es.
schung" zusammengefaßt werden können. So ein-
fach sollte man sich die Sache nicht machen. Tat- Ich komme zu einem anderen Kapitel — einem
sache ist, daß die wissenschaftliche Forschung in düsteren Kapitel, möchte ich sagen. Ich bitte, dabei
der Bundesrepublik mit dem, was sie vom Bund nicht gleich zu erschrecken, wenn der Vertreter
erhält, noch immer weit unter dem liegt, was not- der Opposition von „düsteren Kapiteln" im
wendig wäre, damit wir auch nur einigermaßen Bundeshaushalt spricht.
wieder gleichziehen können. Meine Damen und Luftschutz! Jedermann wird mir zugeben, daß
Herren, das ist ja nicht hinausgeworfenes Geld. das keine freudige Angelegenheit ist. Luftschutz
(Zustimmung bei der SPD und bei den — nun, die Zeiten scheinen danach zu sein, daß
Regierungsparteien.) man ernsthaft an den Schutz der Menschen vor der
Genialität ihrer eigenen Wissenschaftler und ihren
Das ist doch geradezu die Voraussetzung für künf- Konsequenzen denken könnte. Es ist nur merk-
tige praktische Entwicklungen in der Wirtschaft. würdig: ehe man wirklich den Schutz der Menschen
Die Wissenschaft ist ja nicht im luftleeren Raum, organisiert, weil man eine Gefahr für gegeben hält,
und sie soll es auch nicht sein; sie soll im Leben organisiert man die Organisation des Schutzes und
stehen. Trotzdem gibt es eine Reihe von Gebieten gibt dafür schon eine ganze Menge Geld aus, ohne
der Forschung, von denen man zwar nicht sagen daß bewiesen wäre, daß diese Organisation des
kann, daß sie unmittelbar praktischen Gewinn ab- Schutzes tatsächlich ein Schutz wäre. Man kann
werfen, von denen man aber sagen muß, daß der sogar sagen — das gilt nicht nur für die Bundes-
Staat ouch sie nicht vernachlässigen darf. republik, das gilt sogar für ein so großes Land
Ich denke da z. B. an die Förderung der Geistes- wie Amerika —, daß das, was man heute unter
wissenschaften. Gewiß sind etwa auf dem Gebiete vorbeugendem Schutz der Zivilbevölkerung ver-
der Universitätsbildung weitgehend die Länder zu- steht, der Zivilbevölkerung im Ernstfall kaum zu-
ständig. Aber der Bund ist ja heute mehr als je- gute kommen wird.
mals die Visitenkarte dieses Teiles Deutschlands, er (Sehr wahr! bei der SPD.)
ist die Repräsentanz dieses Gebietes, und er sollte Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man feststellt,
gerade für die Förderung der deutschen Wissen- daß das, was angesichts der Entwicklung der Atom-
schaft, bei der durch politische Fehlentscheidungen waffentechnik an Luftschutz notwendig wäre,
der letzten Jahrzehnte so vieles vernachlässigt weder durch irgendeine öffentliche Hand in irgend-
oder in falsche Richtung gedrängt worden ist, das einem Land noch durch private Anstrengungen
Seine tun, um der Wissenschaft im Leben unserer finanziert werden könnte und daß, wenn der Ernst-
Nation zu dem Rang zu verhelfen, der ihr gebührt. fall eintreten würde, zwar möglicherweise die-
Wenn man sich die Wirklichkeit ansieht, dann jenigen geschützt wären, die den Krieg zu führen
bleibt es nicht bei den 71 Millionen — wir liegen haben, aber nicht diejenigen, die ihn zu erdulden
sowieso nicht ganz richtig, wenn wir das so zu- haben.
sammenkratzen —; dann sieht man, daß z. B. der (Beifall bei der SPD.)
Beitrag des Bundes an die Forschungsgemeinschaft Ich möchte auf dieses Mißverhältnis, ohne daß
der deutschen Wissenschaft nicht unbeträchtlich ge- ich irgend jemandem die Schuld zuschreibe, hin-
kürzt worden ist unter Berufung darauf, daß die gewiesen haben, weil ich glaube, daß hier eine
Länder mehr geben. Ja, die Länder geben zwar ernsthafte Aufgabe liegt. Schließlich, meine Damen
etwas mehr; aber die Kürzung, die der Bund vor- und Herren: wir haben ja durch die strategische
genommen hat, gleicht das nicht nur aus, sondern Planung der westlichen Alliierten auf dem Gebiet
stellt die Forschungsgemeinschaft wahrscheinlich der Bundesrepublik neuerdings Atomkanonen be-
im kommenden Haushalt sehr viel schlechter als kommen. Es ist mir gesagt worden — ich kann es
im vergangenen. Ein Grund ist nicht einzusehen, nicht beweisen und will auch gar keine Anstren-
312 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Schoettle)
gungen machen, es zu beweisen —, daß diese Atom- Dann würde man nicht nur den Verbrauchern in
kanonen nur 32 km weit tragen — das mag viel- ihrer Gesamtheit etwas von dem zurückgeben, was
leicht nur der augenblickliche Stand der Technik man ihnen mit der Abschöpfung nimmt, man
auf diesem Gebiet sein —, daß sie aber nicht rechts- würde darüber hinaus der Landwirtschaft eine
rheinisch eingesetzt werden dürften, sondern nur große Sorge hinsichtlich des Milchabsatzes ab-
linksrheinisch. Wenn also einmal mit diesen Din- nehmen; auch eine verdienstvolle Leistung!
gern geschossen werden müßte, dann könnte man Ich will in diesem Zusammenhang gleich einen
sich vorstellen, wo die Wirkungen erzielt werden. Punkt streifen, der ebenfalls mit dem Haushalt
Ich sage das nicht um Panik zu machen, sondern des Ernährungsministeriums im Zusammenhang
nur um darauf hinzuweisen, an welchem Punkt steht. Sehr erhebliche Summen fordert nämlich die
wir denn überhaupt halten, wenn von Rüstung Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen. Dazu
oder von militärischen Anstrengungen gesprochen muß eine kritische Bemerkung gemacht werden.
wird. Da kommt man doch zwangsläufig auf die Sie sollte von niemandem als ein Angriff auf
Frage: Was hat denn all das an Rechnerischem auf die Marktordnung aufgefaßt werden, zu der sich
dem grünen Tisch mit Divisionen und Ausrüstun- meine Fraktion nach wie vor bekennt. Aber es
gen usw. praktisch zu bedeuten angesichts der Tat- scheint mir, daß hier einmal wirksamer, als es im
sache, daß man heute mit einer Atombombe nicht ersten Bundestag leider möglich war, untersucht
mehr 15 000 t Dynamit abwirft, sondern vielleicht werden sollte — und zwar unvoreingenommen —,
100 000 oder 200 000 t, wie die neuere Wissenschaft welche Mittel eingespart werden können. Ange-
feststellt? Das verändert doch all die Probleme, sichts der Tatsache, daß für die allerseits aner-
über die wir in den vergangenen Jahren so mit kannten dringenden Aufgaben der Landwirtschaft
leichter Hand debattiert haben; und man sollte wie z. B. Flurbereinigung und vor allem Tbc-Be-
gerade, wenn es sich um den Schutz der Zivil- kämpfung beim Milchvieh nur absolut unzu-
bevölkerung handelt — der spielt ja beim Luft- reichende Mittel zur Verfügung stehen, besteht alle
schutz im Haushalt des Innenministeriums eine be- Veranlassung, den Haushalt des Landwirtschafts-
trächtliche Rolle —, daran denken, daß die Bevöl- ministeriums 'gründlich auf alle Möglichkeiten
kerung wirklich geschützt werden muß und daß einer wirksameren Konzentration der Mittel auf
man nicht so tun soll, nur damit die Herren Luft- die vordringlichen Aufgaben zu untersuchen.
schutzwarte der Vergangenheit vielleicht eine Das gilt nicht zuletzt auch für Beträge, wie sie
Wiederbelebung ihrer ehemaligen Tätigkeit er- für Förderungsmaßnahmen und für Forschungs-
leben. zwecke eingesetzt sind. Ich sage dies nicht, um ab-
(Beifall bei der SPD.) zuschwächen, was ich vorhin über die Förderung
Ich bedauere, meine Damen und Herren, daß ich der wissenschaftlichen Forschung gesagt habe, son-
Sie noch einige Momente aufhalten muß, weil mir dern um darzutun, daß es nicht nur um die quanti-
ein Teil der Aufgabe zugefallen ist, die mein tative Erhöhung der Mittel, sondern auch um ihre
Parteifreund Gülich hier hätte übernehmen sollen. zweckmäßige Verwendung geht. Denn manchmal
Ich möchte noch einige Blicke auf den Haushalt werden Mittel ausgegeben, nicht weil es notwendig
des Ernährungsministeriums werfen. Der Ernäh- ist, bestimmte wissenschaftliche Arbeiten zu för-
rungshaushalt ist ebenfalls einer der sehr gewich- dern, sondern weil irgend jemand ein Institut auf-
tigen Teile des Bundeshaushalts. Da sind zum Bei- gemacht hat, an dessen Förderung bestimmte Leute
spiel aufgeführt — auch das nur ein Stichwort und ein Interesse haben. Da muß dann ein Betrag ent-
eine Illustration — annähernd 200 Millionen DM — weder zu Lasten anderer Institute abgezweigt wer-
genauer: 198,2 Millionen DM — als Einnahme. den, weil man den Gesamtansatz nicht erhöhen
Warum kritisiert der Vertreter der Opposition will, oder es wird dann eben noch etwas hinzuge-
einen Einnahmeposten? Meine Damen und Herren, buttert, was — gemessen an der Wirksamkeit der
es ist eben eine unerfreuliche Art von Einnahme; Aufwendungen — ganz und gar nicht notwendig
denn um diesen Betrag sollen eingeführte Lebens- wäre. Deshalb mache ich diese Bemerkung.
mittel verteuert werden. Es ist gar nicht zu be- Ich will mich im übrigen bei dem Kapitel Er-
streiten, daß diese Maßnahme notwendig ist, wenn nährungspolitik auf diese Bemerkungen beschrän-
man das innerdeutsche landwirtschaftliche Preis- ken, aber noch einmal die Frage aufwerfen, wie
gefüge aufrechterhalten will; und das wollen auch sich denn die neue Agrarpolitik des Herrn Mini-
wir von der sozialdemokratischen Opposition. Aber sters Lübke in den Rahmen der Gesamtwirtschafts-
bei aller grundsätzlichen Zustimmung zur Markt- politik der Bundesregierung einfügt. Ich will klar
ordnung, auf welche die deutschen landwirtschaft- sagen, , daß wir im großen ganzen mit dem überein-
lichen Erzeuger bestimmt nicht verzichten können stimmen, was Herr Dr. Lübke zur Erreichung seiner
und auch nicht verzichten sollen, müssen wir doch Ziele betreffend die Umstellung der landwirt-
aussprechen, daß lebenswichtige Nahrungsmittel schaftlichen Erzeuger auf ihre neuen Aufgaben und
um diese außerordentlich hohe Summe zu Lasten auf ihre neue Situation für notwendiggehalten
der Verbraucher verteuert werden; und da die hat. Er wird dabei auf weite Strecken in der
Marktordnung bekanntlich beiden Seiten, dem sozialdemokratischen Opposition einen Bundesge-
Verbraucher und dem Erzeuger, dienen soll, ergibt nossen haben. Wir wünschen nur, daß er seine
sich nach der Meinung der Sozialdemokratie die Bundesgenossen nicht nur ,aus der sozialdemokra-
zwingende Notwendigkeit, diesen Betrag oder min- tischen Opposition bekommt,
destens sehr wesentliche Teile davon dem Ver- (Beifall bei der SPD. — Lachen bei den
braucher wieder zuzuführen, natürlich nicht auf
eine Weise, die der Landwirtschaft schadet. Daran Regierungsparteien)
mitzuwirken wäre auch Aufgabe der sozialdemo- sondern sie auch in seinem eigenen Lager und ins-
kratischen Opposition, der wir uns gern unter- besondere bei den Herrschaften von der Grünen
ziehen wollen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn Front findet, denn die haben damals bei seinem
man aus diesen Mitteln eine großzügige Schul- Vortrag bemerkenswerterweise völlig geschwiegen.
milchversorgung finanzieren wollte? Ein weites Feld wäre ferner die Wirtschaftspoli-
(Sehr gut! bei der SPD.) tik. Ich will hier nur kurz auf den — vom Stand-
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 343
(Schoettle)
punkt der Opposition — amüsanten Streit zwi- Wie gesagt, Herr Schäffer hat gut daran getan,
schen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister Dr. das zu korrigieren. Wenn man diese Korrektur
Erhard und seinen Freunden aus der Industrie hin- akzeptiert und die Zahlen genau ansieht, kommt
weisen, den Streit um die Kartelle. Wir werden man zu dem Ergebnis, daß die Endsummen des
uns in diesem Hause ja noch damit zu beschäftigen sogenannten Sozialhaushalts im Jahre 1954 nicht
haben. Es ist immerhin bemerkenswert, daß es höher, sondern niedriger als im Vorjahre sind.
einen solchen Streit gibt. Vielleicht kommt sogar, Auch das nur eine Feststellung nebenbei, aus der
wenn sich die beiden prügeln, zum Schluß doch ich die Folgerung ziehe, daß die schlecht Wegge-
noch etwas Vernünftiges dabei heraus, was auch kommenen und die nicht Mitgekommenen aus den
andere akzeptieren können. Denn so viel ist sicher: vergangenen vier Jahren ihre alten Forderungen
man kann nicht ungestraft die freie Marktwirt- noch immer mit Recht anmelden.
schaft predigen, man muß dann auch konsequent (Beifall bei der SPD.)
sein und muß bis zu einem Punkte gehen, an dem
wirklich der freie Wettbewerb für alle garantiert Das gilt auch für die Kriegsopfer und für die
ist. Heimkehrer. Von den letzteren war schon im Zu-
sammenhang mit der Behandlung des Entschädi-
(Sehr wahr! bei der SPD.) gungsgesetzes die Rede. Ich will das hier nicht ver-
Dann gibt es eben keine geschützten Ecken. Aber tiefen, ich möchte nur ankündigen, daß wir im
die Konsequenzen sollte man dann auch ganz nüch- Haushaltsausschuß gerade diesem Kapitel der
tern und vor vollbrachter Tat allen Beteiligten vor Kriegsopferversorgung und ihrer Behandlung im
Augen führen, damit sie nicht erst nachher ent- Haushalt unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
decken, wie sie angeschmiert worden sind. Ich müßte noch sehr viel zu dem Thema Finanz-
(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: „Ange politik und Finanzministerium selbst sagen. Ich
schmiert"!) muß mich auch hier beschränken, weil meine Rede-
zeit offenbar über das hinausgeht, was mir eigent-
— Bitte entschuldigen Sie, Frau Kollegin Weber, lich zugestanden hätte. Ich konsumiere aber gleich
wenn ich mal ein Wort aus der Volkssprache .be- einen Teil der Redezeit, die meinem Freund Gülich
nütze. Ich bin ja schließlich ein ehemaliger Ar- zusteht.
beiter, und ich bin heute noch stolz darauf.
Was die Finanzpolitik angeht, so hat der Herr
(Beifall bei der SPD.) Bundesminister Schäffer davon gesprochen — und
auch in der Presse stand es zu lesen —, daß dieser
Nun noch eine Bemerkung zu einem -anderen Bundeshaushalt 1954 solider sei als die vergangenen.
Kapitel, nämlich zum Sozialhaushalt. Der Herr Es kommt ganz darauf an, was man unter einem
Bundesarbeitsminister verwaltet ja einen großen solchen Begriff versteht. Der Versuch, den Bundes-
Teil der Mittel, die im Bundeshaushalt für soziale haushalt zu konsolidieren, ist gemacht worden;
Aufwendungen ausgebracht sind. Infolgedessen ist das kann nicht bestritten werden. Aber sehr muß
es zweckmäßig, bei seinem Etat einige Bemer- bestritten werden, daß er gelungen ist. Denn die
kungen — wenigstens vorläufiger Art —dazu zu Dubiosen. von denen ich schon sprach, sind zweifel-
machen. Wir erklären ganz offen, daß wir der los so erheblich, daß von einem echten Ausgleich
Absicht widersprechen, noch einmal die Träger der des Etats, d. h. anders als auf dem Papier, eigent-
Sozialversicherung und insbesondere die Bundes- lich nicht gesprochen werden kann. Ich will gleich
anstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen- vorweg sagen: ich finde bei näherem Zusehen, es
versicherung mit einer Entnahme von 512 Millionen war nicht schön, daß der Herr Bundesfinanzmini-
DM zu belasten, wenn auch in der Form einer An- ster noch einmal von der Möglichkeit Gebrauch
leihe, wie sie diesmal im außerordentlichen Haus- gemacht hat, durch Haushaltsgesetz die Veran-
halt untergebracht worden ist. schlagung der Haushaltsdefizite der vergangenen
(Zuruf von der SPD: Zwangsanleihe!) Jahre hinauszuschieben. Nun, es ließe sich darüber
reden. Ich bin überhaupt überzeugt, daß es durch-
Bis jetzt hat sich die Bundesanstalt offenbar nicht aus nicht als ein Evangelium angesehen werden
bereit gefunden, diesem Zugriff zuzustimmen. muß, daß der Haushaltsausgleich innerhalb eines
Im übrigen bin ich dem Herrn Bundesfinanz- Haushaltsjahres erfolgen muß. Das Grundgesetz
minister dafür dankbar, daß er selber einen Irrtum legt uns da Verpflichtungen auf. Aber es gibt Län-
aufgeklärt hat, der aus bestimmten Stellen in den der und es gibt Haushaltspraktiker, die der
Vorbemerkungen sehr leicht hätte entstehen kön- Meinung sind, man könne da auch an eine mehr-
nen. Da war nämlich von einem Sozialetat die jährige Periode denken. Das würde dem Finanz-
Rede, der weit über 10 Milliarden DM lag. Der minister — es ist nicht meine Aufgabe,
Herr Bundesfinanzminister hatte ja dann schon in ihm das Leben zu erleichtern — bestimmt das
seiner Haushaltsrede einen erheblichen Betrag ab- Leben etwas leichter machen. Man kann darüber
gestrichen, wie es nur Rechtens war. Dieses Miß- reden. In der Praxis handelt er ja so. Das heißt,
verständnis kann also bestimmt nicht auf den er bricht eigentlich mit seinen eigenen theore-
Herrn Bundesfinanzminister zurückgeführt werden. tischen Überzeugungen.
Aber lassen wir das dahingestellt und reden
(Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt wir von den fragwürdigen Positionen. Es sind eine
den Vorsitz.) ganze Anzahl; ich will nur einige nennen. Frag-
würdig ist zunächst einmal die Grundannahme in
Aber wer weiß, ob nicht draußen im Lande irgend diesem Haushalt, daß das Sozialprodukt in der
jemand mal anstatt mit den rund 8 Milliarden mit Bundesrepublik auch im Jahre 1954 noch einmal
den 10 Milliarden operiert, die hier deshalb ausge- eine fünfprozentige Steigerung erfahren werde.
wiesen sind, weil in der Hauptsache die Leistun- Das ist mindestens eine von dem fröhlichen Opti-
gen aus dem Lastenausgleich auch unter „Sozial- mismus des Herrn Bundesfinanzministers getragene
aufwendungen" gebucht werden, wo sie nicht hin- Schätzung. Man könnte nun sagen, ein Finanzmini-
gehören. ster dürfe von Fall zu Fall und wie es gerade trifft,
344 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Schoettle)
auch optimistisch sein. Aber wenn man unterstellt, Dazu die Besatzungslasten. Sie weisen einen be
daß es der erste wirkliche Normalhaushalt seit der trächtlichen Überhang auf. Darüber sind wir infor-
Gründung der Bundesrepub lik ist, dann muß ich miert worden. Es ist keine boshafte Frage, sondern
sagen, es wäre besser gewesen, man wäre nicht an nur etwas, das meiner Neugier entspringt, wenn
all den Anzeichen einer leichten Konjunkturab- ich sage: Herr Minister Schäffer, Sie haben mit
schwächung in der ganzen Welt vorbeigegangen, Recht beklagt, daß die westlichen Besatzungs-
man hätte sich nicht zu sehr darauf verlassen, daß mächte sich bisher noch nicht bereit gefunden ha-
drüben über dem großen Teich schließlich durch ben, einen Zahlungsplan für das vorzulegen, was
die Interventionspolitik der amerikanischen Regie- Sie Besatzungskostenüberhang nennen. Wenn die
rung doch noch alles gut gehen wird, sondern hätte Leute, wie Sie selber sagten, bereits diese ganze
sich mit seinen Schätzungen vielleicht etwas mehr Summe verplant haben, dann weiß ich nicht, wo
nach der unteren Grenze hin bewegt. Dann wäre die Schwierigkeit liegen soll, denen, die zahlen
man der Realität etwas näher gekommen. Diesen sollen und über deren Häuptern der Abruf dieses
Einwand gegen die Annahme einer fünfprozen- Besatzungskostenüberhangs wie ein Damokles-
tigen Steigerung des Sozialprodukts bitte ich nicht schwert hängt, schon heute einen Zahlungsplan
als einen gegen den Herrn Bundesfinanzminister vorzulegen. Ich weiß, Sie sind ein zäher Unter-
mit Heftigkeit , abgeschossenen Pfeil zu betrachten, händler, aber ich kann mir die Bemerkung nicht
sondern als eine Warnung vor dem Optimismus, verkneifen, daß ich glaube, daß Sie in diesem
dem man sich nur allzu leicht hingibt, wenn man Punkt doch vielleicht etwas zu schnell den Stand-
beim Aufrechnen der Haushaltsendzahlen noch punkt der Organe der Besatzungsmächte akzeptiert
irgendwo ein Loch entdeckt und die Frage prüft, haben, sie seien nicht in der Lage, einen solchen
wie man dieses Loch füllen kann. Der andere sehr Zahlungsplan vorzulegen. Schließlich müssen wir
fragwürdige Teil des Haushaltsausgleichs ist, wie ja einmal Gewißheit haben, was denn nun daraus
ich schon sagte, der vierprozentige Bundesanteil. werden soll. Es kann ein Punkt kommen, an dem
Sie einfach sagen müßten: Meine Herren, jetzt ist
Noch eine , andere Frage. Sie betrifft die Kassen- bei mir der Bart ab; jetzt gibts nichts mehr. Ewig
lage und die Verteidigungslasten. Vielleicht werden können die Leute ja nicht im Unklaren darüber
wir im Laufe dieser Debatte mal von einem Ange-
sein, wie sie das Geld, das in unserem Haushalt
hörigen der Mehrheit des Hauses die Frage beant- verplant ist, ausgeben wollen, oder uns wenigstens
wortet bekommen, wie man, wenn man die Politik
nicht in Unklarheit darüber lassen. Ich sehe also
der Bundesregierung für richtig hält, nämlich dem
bei den Verteidigungslasten noch einige Reserven;
Aufbau einer Wehrmacht zuzustreben, auch im
Rahmen einer europäischen Organisation- glaubt, aber ich muß zugeben, daß die Haltung zu dieser
Frage allmählich schon mehr Glaubenssache ge-
auf die Dauer mit der Behauptung auskommen zu
,
worden ist; denn der eine glaubt, daß es noch ernst
können, daß die Schaffung einer solchen Verteidi- wird, und der andere glaubt es eben nicht. Ich
gungsmacht — so wollen wir sie nennen — auf kann diesen Zwiespalt hier nicht lösen.
lange Sicht ohne die Steigerung der öffentlichen
Lasten möglich sei. Ich glaube nicht, daß wir eine Noch eine Frage zum Schluß, Herr Minister, auch
überzeugende Antwort bekommen werden. Wir nur Neugierde, keineswegs eine bösartige Absicht:
haben sie in der Vergangenheit nicht bekommen. Wie hoch sind, wenn man das erfahren kann, die
Wir müssen diese Frage immer wieder stellen, weil Zinsgewinne aus der Anlage von Kassenmitteln,
j a die Verteidigungslasten in unserem Haushalt ein die Sie ja doch immer wieder einnehmen? Niemand
so beträchtliches Maß angenommen haben. Und wird Ihnen einen Vorwurf daraus machen, daß Sie
wer weiß, ob es bei den angesetzten 9 Milliarden Geld, das in Ihrer Verfügungsgewalt ist, so lange
bleibt. Herr Minister Schäffer hat selber einen zinsbringend anlegen oder auf einem Umweg zins-
leisen Zweifel aufkommen lassen, als er von den bringend anlegen, als Sie es nicht ausgeben müs-
Verhandlungen sprach, die nach dem Ablauf der sen. Wird man das bei der Rechnung erfahren?
jetzigen Abmachungen geführt werden müssen. Das ist ein etwas langwieriger Prozeß. Oder wird
man das schon früher, wenigstens schätzungsweise,
Gewiß haben die anderen Länder ihre Verteidi- erfahren können? Die Frage ist deshalb nicht ganz
gungslasten gesenkt. Es besteht eine offenkundige ohne Interesse, weil sie auf eine der Möglichkeiten
Tendenz, überall, wo dies Problem auftaucht, zu- des Bundesfinanzministers hinführt, zu rangieren,
nächst einmal die Frage zu stellen, ob denn der sich aus Schwierigkeiten herauszuhelfen. Da
soziale Standard nicht durch das herabgedrückt möchte man doch auch gern wissen, wie er das
werde, was nach der Seite der Rüstung hin ver- macht.
schoben wird. Man hat sich dann in der Regel (Abg. Dr. Vogel: Ohne kleine Fettpolster
entschlossen, den sozialen Standard zu Lasten der kann kein Mensch leben!)
Rüstung zu verteidigen, und wir möchten dieses
Prinzip als einen der Ausgangspunkte unserer — Die kleinen Fettpolster, Herr Vogel, wir haben
sie ja beide!
sozialdemokratischen Politik auch hier in diesem
Hause festgehalten wissen. (Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Der
(Beifall bei der SPD.) eine mehr, der andere weniger!)
Dann muß ich leider noch ein Wort zu der Ver-
Übrigens sind diese 9 Milliarden im Bundeshaus- größerung des Bundeskabinetts sagen. Wir haben
halt bis auf weiteres in den Augen der sozial- ja bisher keine Gelgenheit dazu gehabt, es sei denn
demokratischen Opposition noch etwas von der bei der Regierungserklärung. Aber hier beim Haus-
Reserve, von der der Herr Bundesfinanzminister halt taucht die Frage umgerechnet in Mark und
gesagt hat, daß er über sie nicht verfüge. Wir Pfennig auf, wenn es auch nur 1,3 Millionen DM
wissen nicht, wie die Dinge gehen. Ich gedenke sind, die für die Etablierung der fünf neuen
mich hier nicht etwa in den Mantel eines Prophe- Ministerien aufgewandt werden.
ten zu hüllen, aber solange Herr Minister Schäffer
diese 9000 Millionen nicht ausgeben muß, sind sie (Zuruf des Abg. Dr. Greve.)
in seinem Besitz, und sie stehen im Haushalt, sagen Es sind also fünf neue Ministerien, darunter das
wir, als eine ungeklärte Größe. Ministerium, das unser hochverehrter Herr Kollege
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 345
(Schoettle)
Dr. Wuermeling, den wir aus dem Haushalts- Ihrem Wahlprogramm, daß Sie eine solche Aus-
ausschuß alle kennen und aus mancher Rede- weitung der Regierung herbeiführen würden. Ihre
schlacht hier im Hause, Wähler haben das sicher auch nicht erwartet. Diese
(Abg. Heiland: Er redet irgendwo draußen!) kleine Bosheit bitte ich mir nachzusehen.
verwaltet, das Familienministerium. Wir wissen Zum Schluß eine Bosheit gegen den Bundesrat,
von der Tätigkeit des Herrn Kollegen Dr. Wuerme- der — abgesehen von der zweiten Reihe — nicht
ling zunächst nur, was er redet. Und daß er gerne vertreten ist. Der Bundesrat hat zum Haushalts-
redet, den Eindruck konnte man in der letzten plan bevorzugt Stellung genommen, ehe wir ihn
Zeit wirklich gewinnen. gesehen haben. Ich habe aus dem, was der Bun-
desrat zum Haushalt gesagt hat, den Eindruck, daß
(Heiterkeit.) er sich die Sache in vielen Fragen verhältnis
Ich möchte nicht in alle Einzelheiten dessen ein- mäßig leicht gemacht hat. Ich sage das deshalb,
steigen, was der Herr Bundesminister für Fami- weil ich die sozialdemokratische Opposition in die-
lienfragen in der Öffentlichkeit sagt. Aber ich sem Hause davor bewahren möchte, als Sprecher
werde die Frage stellen — wir haben ja da einige der Opposition des Bundesrates gegen den Herrn
Erfahrungen in der Vergangenheit —, ob auf Bundesfinanzminister zu erscheinen.
Herrn Dr. Wuermeling die Sammelaufgabe über- (Sehr richtig! bei der SPD.)
gegangen ist, der Sonntagsredner der Bundesregie-
rung zu werden. Das ist nicht unsere Aufgabe, und deshalb be-
(Große Heiterkeit und Beifall dauere ich, daß der Bundesrat es möglicherweise
bei der SPD.) nicht für notwendig hält, seinen in vielen Punkten
doch sehr interessanten, wenn auch abweichenden
— Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, und nicht immer gut begründeten Standpunkt auch
wir haben kürzlich hier eine Art Retourkutsche einmal in diesem Hause in der ersten Lesung zu
erlebt bei einer Fragestunde, als der Herr Bundes- begründen,
minister des Innern erklärte, was der Herr Mi- (erneute Zustimmung bei der SPD)
nister für Familienfragen gesagt habe, sei nicht
die Auffassung der Bundesregierung. So oder ähn- so daß wir mit einer begründeten Ansicht des Bun-
lich sagte er. Aber, meine Damen und Herren, es desrates ausgestattet in den Haushaltsausschuß ge-
gibt doch so etwas wie eine Geschäftsordnung der hen können und nicht einfach sagen müssen: Das
Bundesregierung, wollen wir schon gar nicht zur Kenntnis nehmen,
(Sehr richtig! bei der SPD) - denn darüber hat niemand mit uns geredet. Hier
wäre der Ort, an dem der Bundesrat auch einmal
in deren § 12 steht, daß Reden, die die Minister sagen könnte, wie er sich zu der Haushaltspolitik
in der Öffentlichkeit halten, den Richtlinien der des Herrn Bundesfinanzministers und der Bundes-
Politik entsprechen müssen, die der Herr Bundes- regierung stellt. Das geht an die Adresse des Bun-
kanzler bestimmt. Das können Sie im § 12 der desrates.
Geschäftsordnung der Bundesregierung nachlesen.
Ich frage mich also, ob nun Herr Dr. Schröder mit (Beifall bei der SPD und den Regierungs
seiner Antwort auf die Frage meines Kollegen parteien.)
Menzel recht gehabt hat, ob die Geschäftsordnung Ich möchte zum Schluß kommen. Wir Sozial-
schließlich recht behält und wer überhaupt maß- demokraten sind in diesen vergangenen Jahren in
gebend ist, wenn Minister Sonntagsreden halten. Opposition zur Bundesregierung gestanden. An die-
Wenn Sie uns sagen, daß Herr Dr. Wuermeling ser Haltung hat sich nichts geändert. Das ist nicht
eine reine Privatperson sei und in dieser Eigen- einfach der Ausfluß von Animosität, sondern das
schaft reden könne, was er wolle, dann muß ich Resultat echter Meinungsverschiedenheiten, gegen-
fragen, wie Sie die Trennung zwischen Amt und sätzlicher Standpunkte, ja des Interessengegensat-
Privatperson auf die Dauer aufrechterhalten wol- zes, der politische Parteien als Repräsentanten von
len angesichts einer solch klaren Regelung, wie gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen
sie die Geschäftsordnung der Bundesregierung Strömungen voneinander trennt. Deshalb möchte
enthält. ich an den Schluß ein Zitat aus den Formulierun-
(Abg. Mellies: Oder man soll den Para gen setzen, die eine wirklich repräsentative sozial-
graphen in der Geschäftsordnung demokratische Körperschaft vor mehr als einem
streichen!) Jahr beschlossen und veröffentlicht hat. Denn diese
Auffassung ist der Ausgangspunkt unserer Kritik
Abschließend noch ein Wort zu den übrigen am Bundeshaushalt, unserer Kritik an der Gesamt-
neuen Ministerien, den vier Sonderministerien. Ich politik der Bundesregierung und der Leitstern für
will keinem der Herren zu nahe treten, ich mag unsere Arbeit am Bundeshaushalt. Dieses Zitat
sie alle ganz gern leiden, wenn sie nicht oben möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, weil es in
auf der Ministerbank sitzen würden. vielem das präzisiert, was ich zu Anfang zu den
(Große Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.) grundsätzlichen Bemerkungen des Herrn Bundes-
Herr Tillmanns sitzt gerade vor mir, und da er so finanzministers gesagt habe:
nett dasitzt, muß ich ihm das sagen: wir haben Das grundsätzliche Problem — so haben wir
diese vier Posten zunächst einmal für völlig über- da programmatisch gesagt, und das gilt noch immer
flüssig gehalten und sind uns völlig klar darüber, —, ob es zweckmäßig und notwendig ist, öffentliche
daß wir darin auf dieser Seite des Hauses viele Mittel zur Erreichung wirtschafts-, sozial- oder
Freunde haben. Zum andern wissen wir diese bevölkerungspolitischer Ziele einzusetzen, ist ein-
Herren nicht anders zu definieren, als daß sie deutig entschieden, seitdem sich in den letzten
Fraktionssekretäre mit Kabinettsrang sind. Jahrzehnten die Auffassung durchgesetzt hat, daß
(Beifall bei der SPD. — Heiterkeit.) Finanzpolitik zunehmend im Dienste nichtfiskali-
scher Zwecke stehen muß und infolgedessen finanz-
Das ist nicht sehr schmeichelhaft, was ich da sage, politische Maßnahmen verstärkt Einfluß auf Wirt-
aber ich muß es sagen, denn es stand ja nicht in schaftsablauf und Sozialstruktur gewinnen. Diese
346 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Schoettle)
Entwicklung beruht auf bestimmten sozialen und so wichtigen Ausschusses führt ein Vertreter der
wirtschaftlichen Daten, die durch die Kriegsfolgen Opposition. Ich halte es für gut, daß wir bei der
in der Bundesrepublik ungeheuer verschärft wor- Verteilung der Ausschußvorsitze dahin gekommen
den sind. sind, daß gerade in der Hand der Opposition
die Führung dieses Ausschusses liegt, der ja doch
Von diesen Auffassungen werden wir uns bei
letzten Einblick in all die Fragen des Haushalts
der Mitarbeit am Haushalt leiten lassen; sie be- unseres Staates gewährt.
stimmen auch unsere Haltung zu all den Fragen,
die ich hier nur im Vorbeigehen streifen konnte. Da ich dabei bin, von Ihnen, Herr Kollege
In diesem Sinne werden wir mitarbeiten, wie wir Schoettle, zu sprechen, will ich auch hinzufügen —
in der Vergangenheit mitgearbeitet haben, als das kann ich aus der Mitarbeit im Haushaltsaus-
parlamentarische Opposition gegenüber einer Re- schuß, wenn sie auch einige Zeit zurückliegt,
gierung, von der wir sagen müssen, daß ihre sagen —, daß, glaube ich, alle Mitglieder des Haus-
Politik in wesentlichen Teilen nicht mit unseren haltsausschusses wissen, daß Sie nicht nur ein sehr
Ansichten übereinstimmt, und von der wir zum fachkundiger und kluger Mann sind, sondern die
andern befürchten, daß sie Wirkungen haben kann, Führung der Geschäfte dieses Ausschusses auch so
die für unsere Nation sehr schädlich sein können. handhaben, daß man Ihnen das Prädikat einer
sachlichen, korrekten und unparteiischen Führung
(Beifall bei der SPD.) geben muß.
Vizepräsident Dr. Schmid: Ehe ich weiter das (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Wort erteile, gebe ich bekannt, daß die für heute Wenn ich so zu Beginn meiner Ausführungen
15 Uhr 30 vorgesehene Sitzung des Ausschusses dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses eine
für Wahlprüfung und Immunität in Zimmer 204 Anerkennung ausspreche, so will ich gleich ein
Süd auf 16 Uhr vertagt wird. anderes Wort der Anerkennung hinzufügen. Hier
muß ich es noch etwas erweitern, will es aber, da
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone. es sich um einen Herrn handelt, der auf der Mi-
nisterbank sitzt und aus unseren Reihen kommt,
Dr. Krone (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wir haben soeben eine Rede mit weniger Worten sagen. Ich will darauf hinwei-
sen, daß der Bundesfinanzminister, diese so eigen-
gehört, die sich auf den Haushalt des Jahres
willige und sehr oft schwer zu nehmende Persön-
1954/55 bezogen hat. Sie ist mit Ausführungen über
lichkeit, doch dann, wenn er vor dem Volke spricht
die Politik der Bundesregierung verbunden gewe-
sen. Ich begrüße es, daß Kollege Schoettle seine und seine Grundsätze darlegt, dafür, daß er jeden
- Pfennig, der ausgegeben werden soll, aufs schärfste
Ausführungen nicht auf die rein haushaltsmäßigen
Fragen beschränkt, sondern den Rahmen seiner verteidigt, gerade im Volke Anklang und Sympa-
Darlegungen erweitert und damit eine alte, gute thie findet.
Tradition der parlamentarischen Demokratie wie (Beifall bei den Regierungsparteien.)
der aufgenommen hat. Meine Fraktion hat mich beauftragt, dem Herrn
Bundesfinanzminister den Dank für seine Arbeit
Herr Schoettle hat eine gute Rede gehalten. Nur
mit dem letzten Satz bin ich nicht ganz einver- und darüber hinaus auch ihr volles Vertrauen aus-
zusprechen.
standen.
(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Abg. Schoettle: Das wäre ja auch ein Wunder! —
Lachen bei der SPD.) Ich werde mich in meinen Darlegungen, Herr
Kollege Schoettle, auf das beschränken, was poli-
— Ich möchte darum bitten, daß Sie meine Aus- tisch zu sagen ist. Nachher wird noch von anderer
führungen nicht so billig beantworten. Ich meine Seite aus meiner Fraktion etwas zum Haushalt
den Satz, daß die Politik der Bundesregierung dem gesagt werden.
deutschen Volk Sch aden zufüge.
Sie haben eine sehr gute und kluge Differenzie-
(Zuruf von der SPD: Er hat nur von der rung vorgenommen, als Sie sagten, Sie stünden
Möglichkeit gesprochen!) hier nicht als Feind des Herrn Finanzministers und
— Gut, wenn wir uns auf diesem Mittelweg ver- nicht als Feind der Bundesregierung, sondern als
ständigen können, bin ich schon eher mit diesem ihr Gegner. Ich glaube, daß Sie damit das um-
Satz einverstanden; sonst, würde ich sagen, sollte schreiben, was die Aufgabe der Opposition über-
man sich doch gerade in dieser Stunde, in der wir haupt ist, daß Regierung und Opposition, Regie-
stehen, davor hüten, davon zu sprechen, daß die rungsmehrheit und Minderheit zueinander geord-
Politik der Bundesregierung dem deutschen Volk net sind und nicht gegeneinander stehen sollten,
Schaden zufüge. daß es sich hier um zwei Pole handelt, die Wesens-
bestandteile für das Funktionieren der Demokratie
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. überhaupt sind.
Mellies: Das gilt aber auch umgekehrt, Herr
Kollege!) (Sehr gut! in der Mitte.)
Diese Bemerkung des Kollegen Schoettle hindert Herr Kollege Ollenhauer hat in seiner ersten Rede
mich also nicht, seine Rede als eine gute Haus- davon gesprochen, die SPD werde darauf achten, ob
haltsrede zu betrachten. die Regierung dies als die Funktion der Opposition
auch ansehe oder nicht. Ich glaube, die letzten vier
Ich möchte davon ausgehen, daß hier der Vor- Monate hier im Hause können für die Regierung,
sitzende des Haushaltsausschusses gesprochen hat, aber auch für die Regierungsmehrheit den Nach-
jenes Ausschusses, der wohl als der wichtigste Aus- weis dafür erbringen, daß wir uns dieser Funktion
schuß — die anderen Ausschußvorsitzenden mögen der Opposition bewußt sind.
mir verzeihen, wenn ich das so sage — eines parla-
mentarischen Systems bezeichnet werden muß, weil (Zuruf von der SPD: Hoffentlich bleibt's so!)
ja durch seine Hand all das Geld geht, das der — Das wäre eine Anerkennung, verehrter Herr
Bund einnimmt und ausgibt. Den Vorsitz dieses Kollege, wenn Sie mir das entgegenrufen. Ich
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 347
(Dr. Krone)
möchte erwarten, daß dann auch das Wort wahr Es scheint mir kein Fortschritt zu sein, wenn
bleibt, das Sie selber zu dieser Frage gesprochen gesagt wird, daß die Ausweitung von Staatsauf-
haben. gaben einfach naturnotwendig sei.
Ich bin in vielem durchaus einig mit dem, was (Abg. Schoettle: Das habe ich auch nicht
vorhin gesagt worden ist. Zu dem, was über die behauptet, Herr Krone!)
Sicherung der Währung gesagt worden ist, ist kein — Ich glaube, Herr Kollege Schoettle, daß wir uns
Wort zu verlieren. Weiter ist gesagt worden, wir in diesem Punkte treffen können, doch scheint mir,
müßten uns vor einer Vergrößerung der sozialen in Ihren Ausführungen lag das Gewicht zu sehr
Spannungen hüten. Nun, ich meine, Herr Kollege darauf, daß hier eine Notwendigkeit vorliege, der
Schoettle, es ist doch in den letzten vier Jahren wir eben nicht entgehen könnten. Weit eher sollten
vieles für den Abbau der sozialen Spannungen wir zu einer Durchgliederung des Aufgabengebiets
getan worden. kommen und dem Staat, dem Bund, das geben,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) was ihm zusteht. Ich kann mir durchaus vorstellen,
daß man mehr darauf achten muß, daß Aufgaben,
Man braucht nur in das Volk hineinzuhorchen, um
die in der Gemeinde gelöst werden können, auch
festzustellen, ob das, was ich eben gesagt habe,
dorthin verlegt werden,
nicht doch der Wahrheit entspricht.
(Beifall bei den Regierungsparteien)
(Sehr richtig! in der Mitte.)
daß weit mehr Aufgaben, die das Land bewältigen
Ihr Hinweis darauf, daß wir hier Grenzland kann, vom Lande gelöst werden müssen, wo sie
seien, daß wir hier zwischen Ost und West stünden, überschaubarer sind als in der Zentrale.
war meines Erachtens aus diesem Grunde nicht
am Platze. (Abg. Schoettle: Dann müssen aber auch die
Mittel und die Steuerquellen so aufgeteilt
(Zustimmung in der Mitte. — Abg. Schoettle: werden!)
Wieso nicht? Es ist doch nur eine Tatsachen
— Diese Konsequenz entsteht dann, selbstver-
feststellung!)
ständlich.
— Wenn Sie es rein geographisch meinen, Herr (Abg. Schoettle: Richtig!)
Kollege Schoettle, sind wir einverstanden. Aber Die Wahrung dieses Subsidiaritätsprinzips muß
ich glaube, daß die vier Jahre Politik, und zwar
heute betont werden, und wir betonen es auch.
wirtschaftlich wie sozial gesehen — ich wiederhole
Das scheint mir die Aufgabe der Staatsreform zu
es noch einmal —, viel dazu beigetragen haben,
- sein, vor der wir stehen.
daß Spannungen, die vorher bestanden haben, jetzt
doch abgebaut worden sind. Ich habe vorhin schon gesagt, daß es sich bei
dem, was wir erörtern, auch um eine Reihe von
Sie haben dann Ausführungen über den Schutz politischen Fragen handelt. Ich glaube, wir haben
der zivilen Bevölkerung gemacht. Ich bin der Mei- gut daran getan, daß wir eine alte parlamentarische
nung, daß diese Ausführungen besser nicht gemacht Gepflogenheit aufgenommen haben, indem nach
worden wären. dem Sprecher der Regierung zunächst der Sprecher
(Zustimmung in der Mitte.) der Opposition sprach. Bei der ersten großen De-
Ich kann mir kein Bild darüber machen, ob das, batte des zweiten Bundestags im Oktober vorigen
was Sie gesagt haben, sachlich berechtigt ist. Wenn Jahres haben wir von dieser auch von mir aner-
ich Sie recht verstanden habe, haben Sie selber kannten Regel Abstand genommen. Damals sprach
auch davon gesprochen, daß nur nach Ihrer Kennt- der Vertreter der größten Regierungspartei zuerst.
nis — ganz allgemein gesagt — die Frage aufge- Der Grund dafür lag nicht nur darin, daß der neue
worfen werden müsse, ob das genügt, was da Bundestag zum erstenmal vor das deutsche Volk
geschieht. Wir sollten im Interesse der Sache, aber trat; es geschah auch nicht deshalb, weil wir Wert
auch zur Beruhigung — oder, besser gesagt, damit darauf legten, daß gerade die größte Koalitions-
keine Unruhe entsteht — solche Fragen eben nur fraktion zuerst zu dem Stellung nehmen sollte, was
in einer Form erörtern, die unbegründete Beunru- über die Politik der vier vor dem Bundestag lie-
higungen ausschließt. genden Jahre zu sagen war und was sie darüber
dachte. Es geschah deshalb, weil gerade nach den
(Abg. Blachstein: Sie wollen einschläfern, Wahlen eine Unzahl von Vermutungen und Ver-
Herr Krone!) dächtigungen aufgekommen waren — ich will sie
— Nicht im geringsten, Herr Blachstein! Ich glaube, im einzelnen gar nicht wiederholen — und weil
daß der Sinn unserer ganzen Politik der ist, daß damals gesagt worden war, daß das Wahlergebnis
der Friede erhalten bleibt, und nichts anderes. des 6. September dazu angetan sein könne, in
Deutschland wieder einen ganz anderen Kurs in
(Beifall bei den Regierungsparteien.) die Wege zu leiten. Es wurde gesagt, die nächsten
Ich will dann ein Wort zu dem sagen, was Sie Monate müßten beweisen, ob nicht der Sieg vom
über den Staat und seine Funktionen gesagt haben. 6. September der Anfang einer totalitären Bewe-
Auch wir sind uns dessen bewußt, daß dem Staat gung sei. Wir haben damals mit Sorge darauf hin-
heute weit mehr Aufgaben zufallen, als es vor gewiesen, daß solche Äußerungen nicht nur im
Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Wir wissen, daß Inlande, sondern auch im Auslande zu lesen und
gerade unser deutscher Staat nach zwei Kriegen, zu hören waren. Ich möchte hier feststellen — und
deren Opfer noch heute unter uns sind, Aufgaben ich möchte glauben, daß das, was Sie, Herr Kollege
übernehmen mußte, die früher überhaupt nicht Schoettle, gesagt haben, ein Beweis für meine Be-
vorhanden gewesen sind. Ich bin aber der Mei- hauptung ist —, daß die bisherige Arbeit hier im
nung — und ich glaube, meine Freunde mit mir —, Parlament zu solchen Verdächtigungen und zu sol-
Herr Kollege Schoettle, daß wir jede unbegründete chen Besorgnissen in keiner Weise Anlaß gegeben
oder falsche Ausweitung der Staatsaufgaben nur hat.
mit Sorge beobachten können. (Beifall bei den Regierungsparteien. —
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Zurufe von der SPD.)
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(Dr. Krone)
Ich füge hinzu, daß nach unserem Wunsche das — Ich glaube, dieses Ihr Wort geht doch zu weit.
auch so bleiben soll. Wir müssen alles tun, um im Sie können keinem unserer Herren, auch nicht dem
deutschen Volke den Sinn für das Demokratische, Bundesinnenminister, auch nur im entferntesten
für die großen Aufgaben unseres Volkes im Appell nachsagen, daß mit dem damaligen Verbot solche
an den einzelnen Menschen und seine Selbstverant- Tendenzen verknüpft gewesen sind.
wortung zu wecken und dem hier im Bundestag (Abg. Dr. Menzel: Aber warum ist er denn
Raum zu geben. verboten worden?)
Damals fiel auch das Wort, daß man die Demo- — Herr Kollege Menzel, weil man meinte, das sei
kratie auf kaltem Wege töten könne, in der Stick- aus außenpolitischen Gründen das richtigste.
luft der Korruption und in der Muffigkeit kulturel- (Abg. Dr. Menzel: Das ist doch ein Wort! —
ler Reaktion. Ich freue mich, daß solche Worte in Weitere Zurufe.)
der Rede des Oppositionssprechers nicht gefallen
sind, und ich hoffe, daß auch seine Ausführungen Herr Kollege Schoettle hat sodann von der Aus-
über das Familienministerium keinen Anlaß dazu weitung des Kabinetts gesprochen. Er hat es nicht
geben, anzunehmen, das Ja, das wir zu diesem nur als richtig empfunden, zu sagen, daß nach
Ministerium sagen, sei nicht aus der letzten Ver- seiner Meinung eine Reihe von Posten überflüssig
antwortung, aus letzten tiefen, ethischen Gesichts- seien, sondern er hat darüber hinaus auch geglaubt,
punkten für die Sicherung und den Bestand der die Aufgabe dieser Minister doch sehr despektier-
deutschen Familie geboren. Ich halte es nicht für lich herabsetzen zu können. Wir sind der Meinung,
würdig, daß man diese Dinge so mit billigen Wor- Herr Kollege Schoettle, daß, wenn es sich um das
ten und mit billigen Bildern abtut, die an dem höchste Gremium unseres Staatsaufbaus, um die
Sinn dieser Aufgabe völlig vorbeigehen. Regierung. handelt, wir die Verpflichtung haben,
für dort anfallende neue wichtige Aufgaben,
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der gerade wenn sich das über den Rahmen der bis-
SPD. — Gegenrufe von der CDU/CSU.) herigen Ministerien hinaus erstreckt, Minister ein-
— Ich möchte auf dieses Wort nicht eingehen. Ich zusetzen. Ich füge hinzu, daß es uns angesichts der
glaube, die, die das eben sprachen, versündigen sich großen politischen und außenpolitischen Aufgaben,
an den Aufgaben, die das Ministerium Wuermeling wie sie jetzt mit der Berliner Konferenz zusam-
zu leisten haben wird. Man kann die Dinge, um menhängen, auch darauf ankam, in das Kabinett
die es hier geht, doch nicht mit so billigen Worten einen Kollegen zu setzen, der neben dem Minister
und Scherzen abtun. für gesamtdeutsche Fragen gerade diese Aufgaben
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
- der Zone, des Ostens und Berlins vertritt. Wir
Wenn Sie es tun, dann ergibt sich daraus zwischen sind der Meinung, daß es sich nicht darum handeln
Ihnen und uns eine Kluft, eine weltanschauliche kann, diese Ministerien auszubauen; ich glaube,
Diskrepanz. dafür ist die Gewähr auch gegeben. Wir haben
vielmehr den Wunsch, daß diese Ministerien sich
(Abg. Schoettle: Ich würde hier nicht auf einige wenige Arbeitsgebiete beschränken. Wir
verallgemeinern, Herr Kollege Krone!) sind durchaus für die Einrichtung dieser Ministe-
— Nein? — Sie haben gesagt, ich möchte nicht rien für Sonderaufgaben.
verallgemeinern. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie (Abg. Blachstein: Was macht denn dann jetzt
also von diesem Wort abrücken. Herr Minister Kaiser? — Abg. Meitmann:
(Abg. Kriedemann: Es geht nicht um die Das ist doch seine Aufgabe!)
Familie, es geht um den Minister! — Abg. — Herr Kollege Blachstein, ich habe eben schon
Dr. Menzel: Das steht doch in der „Welt" gesagt: es handelt sich hier um so eminent wichtige
drin! — Weitere Zurufe. — Unruhe.) Fragen, daß nach unserer Meinung eine Verstär-
Meine verehrten Damen und Herren, in diesem kung durchaus am Platze ist.
Zusammenhang auch ein Wort, das der Herr Kol- Ein Wort muß dann noch zum Ministerium für
lege Schoettle an die Adresse des Bundesinnen- Familienfragen gesagt werden. Auch von diesem
ministeriums gerichtet hat. Er sprach von dem Ministerium, Herr Kollege Schoettle, haben Sie
Film „5 Minuten nach 12". Ich habe ihn auch nicht geglaubt, daß es überflüssig sei. Wir sind gerade
gesehen, ebensowenig wie er. der gegenteiligen Meinung. Wenn man schon davon
(Abg. Schoettle: Ich habe ihn gesehen, doch!) ausgeht, daß die Familie als die Urzelle der Gesell-
schaft und des Staates heute weithin in Gefahr ist,
Ich freue mich, daß Herr Kollege Schoettle selber
zugab, daß auch Minister, die aus seinen Reihen dann sollte man auch von Staats wegen alles tun,
kommen, mit zugestimmt haben, diesen Film zu was dem Wohl und der Sicherung der Familie
dient.
verbieten. Ich persönlich habe nie ein Hehl daraus
gemacht, daß es sich nach allem, was ich von den (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
verschiedensten Seiten über diesen Film gehört Es ist zu billig, Herr Kollege Schoettle, wenn Sie
habe, in der Tat um einen Fehlgriff gehandelt hat. die Arbeit des Herrn Dr. Wuermeling damit abtun
Aber, Herr Kollege Schoettle, Sie haben gesagt, wollen, daß er sich in Reden erschöpfe.
dieser Fehlgriff sei symptomatisch. Wofür symp- (Zuruf von der SPD: Sonntags!)
tomatisch? Für einen Kurs der Reaktion, Herr
Kollege Schoettle, oder wofür? Ich glaube schon, daß es notwendig ist, im deut-
schen Volke für diese Aufgaben weit mehr Ver-
(Abg. Schoettle: Ich bin bereit, darauf zu ständnis als bisher zu wecken.
antworten!)
(Zustimmung bei der CDU.)
Für einen Kurs der Reaktion, politisch gesehen?
Die Auffassung, daß hierin eine eminent wichtige
(Abg. Dr. Menzel: Warum ist er denn verbo Aufgabe für unser Volk liegt, ist noch gar nicht
ten worden? — Weiterer Zuruf von der weit genug in das Denken weiter Kreise unseres
SPD: Weil Sie die Wahrheit nicht hören Volkes eingedrungen. Wir sollten auch den Mut
wollen!) haben, einmal über die rein klassischen Ministe-
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 349
(Dr. Krone)
rien hinauszugehen und, wenn neue Aufgaben an- nicht mehr in der Weise die Frage der Arbeiter
fallen, diese neuen Aufgaben auch in die Hand schaft ist, wie das früher der Fall gewesen ist,
zu nehmen.
(Abg. Albers: Sehr richtig!)
(Abg. Schoettle: Herr Schäffer war bei der
daß es heute ganz andere Stände sind, deren Not-
Regierungsbildung etwas anderer Meinung
lage gesehen werden muß. Ich denke hier an die
als Sie!) Heimatlosen, an einen großen Teil der Vertriebe-
— Herr Schäffer hat gerade hier gesagt, er müsse nen, ich denke an unsere Alten und Invaliden und
diesem Ministerium nachsagen, daß es sich finan- bin mit meiner Fraktion der Meinung, daß für die
ziell in einem ganz engen Rahmen halte — eine Rentenbezieher etwas geschehen muß.
Anerkennung der Arbeit des Ministeriums, glaube (Beifall bei der CDU/CSU.)
ich.
Ich denke hier auch an unsere Jugend, deren Aus-
(Abg. Schoettle: Als Mitglied des Kabinetts
sicht vielfach verdunkelt ist, weil ihr die Möglich-
mußte er post festum so etwas sagen!)
keit, Stellung zu finden, nicht gegeben ist. Ich
Nein, ich glaube nicht, Herr Kollege Schoettle, daß denke hier auch an einen großen Teil der jungen
diese Aufgaben nur so zu sehen sind, wie Sie sie Akademiker, an Menschen also, deren Bezahlung
sehen, sondern es handelt sich hier wirklich um in ihren jungen Jahren so ist, daß sie nicht daran
große Aufgaben unseres Volkes. Wir meinen, dieses denken können, eine Familie zu gründen. Hier lie-
Ministerium sollte seine Aufgabe darin sehen, nicht gen noch ganz neue und große Aufgaben sozialer
die Familie zu bevormunden, also nicht in die Fa- Art, die gesehen werden müssen und von uns auch
milie hineinzureden, sondern der Familie im Auf- gesehen und in Angriff genommen werden.
bau unseres Volkes die Sicherheit zu geben, die (Zuruf von der SPD: Wann?)
sie braucht. Nach unserer Meinung liegt die Auf-
gabe dieses Ministeriums darin, dafür zu sorget, Wir sind weiter der Meinung, daß von seiten der
daß bei allen Gesetzen das Prinzip der Sicherung Regierung und von seiten des Bundestages alles
der Familie gewahrt wird. Hier liegt das Bemühen getan werden muß, um eine Sicherung unseres
um die Familienausgleichskasse; hier liegt die Auf- wirtschaftlichen Aufstiegs zu gewährleisten. Wir
gabe, eine gerechte Steuerreform auch unter dem müssen die weitere wirtschaftliche Entwicklung
Gesichtspunkt der Familie und der kinderreichen mit Sorgfalt beachten, nicht nur im Interesse
Familie durchzuführen. Hier liegt die Aufgabe des derer, die aktiv in der Wirtschaft stehen, sondern
-
Wohnungsbaues für die Familie und besonders für gerade auch derer, die aus dem Wirtschaftsprozeß
die kinderreiche Familie. Diese Aufgaben anzu- ausgeschieden sind; eine Zahl von Menschen, die in
packen, scheint uns im Interesse des Volksganzen den nächsten Jahren noch steigen wird, also eine
eine Notwendigkeit zu sein, und darum unser Ja neue Hypothek, die auf allen denen liegt, die noch
zu diesem Ministerium. im Wirtschaftsleben stehen.
Hier liegt die enge Verbindung zwischen Wirt-
In der Rede, 'die der verstorbene Kollege schaftspolitik und Sozialpolitik. Ich wiederhole,
Dr. Schumacher im Jahre 1949 hier im Hause
was ich vorhin schon ausgeführt habe: Wir sollten
gehalten hat, hat er die Hoffnung auf den Sieg
der sozialistischen Demokratie ausgesprochen. Nun, hierbei zu einer guten Ordnung in der Aufgaben-
das Jahr 1953 hat anders entschieden. Ich glaube stellung zwischen Gemeinde, Land und Bund kom-
men. Wir sollten hier dahin kommen, daß nichts
überhaupt, daß all das, was bisher mit dem Wort
„sozialistisch" bezeichnet worden ist, gerade auch von einer höheren Instanz übernommen wird, was
in Ihren eigenen Reihen einer Kritik unterworfen eine niedere leisten kann.
wird und daß dieses Wort im Denken unseres Vol- Ich meine auch, daß wir dieses Prinzip auf unsere
kes bei weitem nicht mehr den Anklang hat, wie Familie selber anwenden sollten. Man sollte der
das früher der Fall gewesen ist. Familie so weit wie nur möglich den Raum eige-
(Zuruf bei der SPD: Abwarten!) nen Schaffens und Sorgen geben, dann aber auch
dafür sorgen, daß die Familie, der Vater und die
Ich will nur darauf hinweisen, daß Herr Kollege Mutter, die ihr obliegende und zufallende Aufgabe
Ollenhauer in seiner Rede nach der Regie- auch leisten kann. Hier liegen die Aufgaben auf
rungserklärung Ausführungen über die Wirt- dem Gebiet der Wohnungspolitik, des Arbeits-
schaftspolitik gemacht hat, die Herrn Kollegen platzes und der Sicherung des Alters. Daher auch
Dehler veranlaßt haben, zu sagen, daß hier die unsere Forderung, von uns aus alles zu tun, um
richtige Einsicht vorhanden sei, aber nur der Mut den Prozeß des Absinkens in das Kollektiv so weit
fehle, diese Einsicht zu realisieren. Meine Damen wie nur möglich zu unterbinden.
und Herren, wenn selbst in Ihren Reihen diese
Auffassung vertreten wird und wenn darüber hin- (Beifall bei der CDU/CSU.)
aus die Erfolge der letzten vier Jahre den Beweis Hier liegen die Aufgaben der deutschen Eigen-
dafür erbringen, daß wir mit dieser unserer Po- tumspolitik: die Zahl der Eigentümer so weit wie
litik auf dem richtigen Wege sind, haben wir kei- möglich zu vermehren und — auch im Interesse der
nen Anlaß, heute von diesem Wege abzuweichen. Sicherung unseres Volksganzen — Wege zu die-
Es liegt mir nicht daran, hier mit Zahlen aufzu- sem Ziel zu beschreiten, die gangbar sind. Die
warten. Aber darauf möchte ich doch hinweisen, Wirtschaftspolitik wird von uns vor allen Dingen
daß wir, wenn wir diesen Weg unserer Wirtschafts- bejaht, die dieser Aufgabe der Sicherung unserer
politik fortsetzen, auch in der Lage sind und sein Familie am besten dient. Man gebe gerade der Fa-
müssen, all die Sorgen noch zu beheben, die auch milie die Chance, sich selber wieder zu helfen.
jetzt noch in unserem deutschen Volke vorhanden Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zu
sind. einem Kapitel, das ich heute ebenso wie der Herr
Ich bin der Meinung, daß die soziale Frage von Kollege Scho et tle nur kurz streife. Er hat ge-
heute ein anderes Gesicht bekommen hat, daß sie meint, zwischen der Opposition und der Regie-
350 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Krone)
rungskoalition seien nach wie vor in der Außen- sehen Strömungen der Zeit Stellung zu nehmen,
politik Gegensätze vorhanden. Er hat allerdings ihre politischen Vorstellungen, Wünsche und Ziele
hinzugefügt, sie seien etwas gemildert. Ich möchte darzulegen. Mit Recht hat Herr Schoettle gesagt,
auf dieses Wort von der Milderung der Gegensätze bei der ersten Lesung des Haushalts stehe die
abheben. Heute richten sich doch die Wünsche und Gesamtpolitik der Bundesregierung, die Gesamt-
die Hoffnungen von 18 Millionen Menschen auf die politik unseres Landes zur Debatte.
Berliner Konferenz. Wie die Zone drüben denkt, Wir müssen uns bei diesem Anlaß Gedanken
haben wir am 17. Juni erfahren. Nun ist vorgestern über die Entwicklung unseres Staates machen. Wir
im Auswärtigen Ausschuß zu meiner Freude ein müssen uns vergegenwärtigen, wo wir stehen, was
Beschluß gefaßt worden, der von allen Seiten die- uns fehlt, welche Forderungen noch zu erfüllen sind.
ses Hauses gebilligt wurde. Wir stehen in dem schmerzlichen Prozeß des Wer-
(Beifall in der Mitte.) dens eines neuen deutschen Staates, zum zweiten
Mal nach einem fürchterlichen Zusammenbruch. Die
Dieser Beschluß zeigt doch, daß unser Volk und letzten Jahre waren ein Leidensweg. Sie kennen
wir in der Repräsentation unseres Volkes im Bun- die Entwicklung, die zugeteilte, die kontingentierte
destag in den wesentlichen und entscheidenden Demokratie auf der Stufe der Gemeinden, der
Fragen der deutschen Außenpolitik einiger sind, Länder — zum Teil künstlich geschaffener Län-
als es manchmal in der Öffentlichkeit aussieht. der —, der Zonen. Sie kennen die bittere Tatsache,
(Abg. Mellies: Wenn Sie den Industrie daß es eine Demokratie war, die zum Teil nach
Kurier von heute lesen, wissen Sie, an dem Geschmack der anderen, nach dem Geschmack
wen Sie Ihre Mahnungen zu richten ha der Besatzungsmächte geformt wurde. Seit jetzt
ben! — Abg. Albers: Damit haben wir ja fünf Jahren leben wir nach einem Grundgesetz,
nichts zu tun! — Gegenrufe von der SPD: das nicht restlos unseren Wünschen entspricht, ein
Hört! Hört!) Grundgesetz, das aber besser ist als sein Ruf, das
in fast allen Punkten unseren staatsbildenden Wil-
— Das habe ich nicht gelesen! — Herr Kollege len darstellt und das gerade in den Punkten ver-
Mellies, ich kann nur wünschen, daß diese Linie sagt, in denen der Wille der Besatzungsmächte
des Gemeinsamen in diesem Hause weiterhin ver-
seinen Niederschlag gefunden hat.
treten wird und daß wir die Stunde erkennen, die
heute für unser Volk schlägt. Große und kluge (Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt
Völker haben es in allen Schicksalsfragen verstan- den Vorsitz.)
den, den Weg der Einigkeit zu gehen. -
(Bravo-Rufe bei den Regierungsparteien.) Gerade heute haben eine Tageszeitung und eine
Diese Bitte und diese Aufforderung richte ich, Herr Wochenzeitung, die „Frankfurter Allgemeine Zei-
Kollege Mellies, an das ganze Haus; ich tue es im tung" und „Die Zeit", ernste Betrachtungen über
Interesse gerade der Menschen, die auf Berlin ihre 'die Frage angestellt, ob es uns gelungen ist, mit
große Hoffnung setzen. Wir haben im Bundestag dem Grundgesetz ein funktionsfähiges Instrument
in einer Reihe von Beschlüssen unsere grundsätz- zu schaffen, und ob dieser Staat richtig funktio-
lichen Forderungen festgelegt. Sie gipfeln in der niert. Es ist ein ganz falscher Schluß, wenn man
Forderung, das deutsche Volk hier und drüben glaubt, in dem Umstand, daß wir zur Entscheidung
soll selber sein Schicksal in die Hand nehmen. von Verfassungsstreitigkeiten ein Bundesverf as-
sungsgericht berufen haben und daß dort auch tat-
(Beifall bei der CDU/CSU.) sächlich Fragen entschieden werden, einen Beweis
Wir sind uns darin einig, daß wir nicht mehr das für ein schlechtes Funktionieren unseres Staates zu
Jahr 1945, sondern das Jahr 1954 schreiben und sehen. Das Gegenteil ist richtig. Hier öffnet sich ein
daß es deshalb auch kein Zurück zu Potsdam mehr Ventil. In anderen Staaten, die diese Verfassungs-
geben kann. gerichtsbarkeit nicht kennen, werden die Span-
nungen politisch ausgetragen, im Zweifel durch
(Bravo-Rufe bei der CDU/CSU.) Mehrheitsabstimmung. Es ist doch nicht so, daß
Wir wissen nicht, was die nächsten Tage uns brin- die Politik eine Rechenaufgabe ist, die immer auf-
gen werden. Vielleicht erleben wir in Berlin jetzt geht. Das Gegenteil ist der Fall, und die Frage ist
bald den Höhepunkt und die Entscheidung. Wir nur, w i e die Spannungen ausgetragen werden.
können nur den Wunsch aussprechen, daß sich die Ich glaube, wenn wir zurückblicken, können wir
Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes und vor feststellen, daß sich im Rahmen des Grundgesetzes
allen Dingen der 18 Millionen Menschen drüben unsere staatlichen, unsere parlamentarischen Ver-
in der Zone auf Wiedervereinigung und auf Frei- hältnisse in einer erfreulichen Weise konsolidiert
heit recht bald verwirklichen. haben.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Sehr richtig! in der Mitte.)
Das können wir feststellen, wenn wir an die poli-
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ab- tischen Sorgen anderer Länder, etwa Frankreichs
geordnete Dr. Dehler. oder Ita li ens, denken. Wir können feststellen, daß
bei uns die destruktiven politischen Elemente weit-
Dr. Dehler (FDP): Herr Präsident! Meine Damen gehend ausgemerzt sind. Das ist ein großer Ge-
und Herren! Die Beratung des Haushalts und die winn für die Wirksamkeit unserer Demokratie im
damit verbundene Finanzkontrolle sind das vor- Innern und nach außen. Ich meine, man kann
nehmste Recht des Parlaments. Man kann über sagen, daß der Ungeist des Nationalsozialismus —
den Haushalt nur im gesamtpolitischen Zusammen- auch das ist ein Effekt der Abstimmung unseres
hang entscheiden. Es wird zum Stil unserer Arbeit Volkes in der Wahl vom 6. September — nun
gehören, daß die erste Lesung des Haushalts das weitgehend ertötet worden ist. Gibt es noch eine
große politische Ereignis des Jahres ist, daß jede ernste Gefahr einer Restauration des Rechtsradi-
politische Gruppe die Beratung des Haushalts da- kalismus, etwa 'des Geistes, der in der Harzburger
zu benutzen wird, Kritik zu üben, zu den politi- Front seinen Niederschlag gefunden hat? Ich glaube
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 351
(Dr. Dehler)
es nicht. Noch vor ein, zwei Jahren haben wir uns rufen werden kann, daß nur das sogenannte kon-
Sorgen wegen der sogenannten Partisanenaffäre struktive Mißtrauensvotum — im allgemeinen
gemacht. Noch vor einem Jahr haben wir unseren wenigstens — zu diesem Ergebnis führen könnte.
Blick auf solche Übergangsvorgänge gerichtet, und Darin liegt auch eine Gefahr, die Gefahr einer
das, was um den Goebbels-Staatssekretär Nau- Überheblichkeit der Bundesregierung, die Gefahr,
mann spielte, war für uns ein ernster Anlaß, ein daß man den Wert und die Bedeutung des Bundes-
Symptom. tages nicht richtig einschätzt. Ich werde häufig an
ein mir politisch wichtig erscheinendes Gespräch
(Abg. Behrisch: Wie es die FDP in Wies
erinnert, das der geniale Wissenschaftler und Poli-
baden treibt!)
tiker Max Weber im Frühjahr des Jahres 1919 mit
— Da, Kollege Behrisch, setzen Sie sich mal mit Ludendorff, mit dem eben gestürzten Diktator, ge-
Ihren Freunden in Wiesbaden auseinander. So führt hat. Da fragt Ludendorff, ob denn die Demo-
billig wollen wir es uns doch nicht machen, Herr kratie, die man jetzt praktiziere, richtig sei. Max
Behrisch, .daß Menschen, die auch im Dritten Weber hat das sehr nachdrücklich abgelehnt und
Reich gelebt und gewirkt haben, für alle Zeiten hat seinen Standpunkt, seine Vorstellung von der
abgeschrieben werden müßten und nicht mehr nach Demokratie so umschrieben: „In der Demokratie
dem Wert ihrer Persönlichkeit zur Wirksamkeit wählt das Volk seinen Führer, dem es vertraut.
kommen dürften. Von dieser Seite habe ich Sie Dann sagt der Gewählte: ,Nun haltet den Mund
noch nicht kennengelernt, Herr Behrisch. Wir wol- und pariert; Volk und Parteien dürfen mir nicht
len uns doch überlegen, daß die unheilvolle Art hineinreden. Nachher kann das Volk richten. Hat
der Entnazifizierung eines der großen Hemmnisse der Führer" — so sagt Max Weber — „Fehler ge-
unserer Staatsbidung in den letzten Jahren war, macht, dann an den Galgen mit ihm!" — Nun, ich
(Beifall bei der FDP) halte nicht viel von der Prozedur des Aufknüpfens;
ich halte aber auch diese Form ,der Demokratie für
und wir wollen froh sein, daß wir mit dieser trau- falsch, als dem Wesen der repräsentativen Demo-
rigen Periode, diesem untauglichen Versuch, mit kratie widerstreitend. Ich glaube, man soll die Bun-
der Vergangenheit im Wege von Gerichtsverfahren desregierung trotz der Machtfülle, die sie hat, da-
fertig zu werden, endlich zu Ende gekommen sind. vor warnen, eine solche Demokratie verwirklichen
(Zurufe.) zu wollen.
— Nein, der Herr Naumann hat sich jetzt in einen (Zuruf von der Mitte: Sollen wir es
Schlupfwinkel verkrochen, und von unserer akti- machen, wie es in Frankreich ist?)
- mehr
ven Leistung hängt es ab, daß er es niemals
— Wir wollen nicht, daß die Fehlentwicklungen,
wagen wird, ans politische Tageslicht zu kommen.
wie sie in Frankreich und Italien, das sich jetzt ja
(Beifall bei der FDP.) in solchen Krisen wieder schmerzlich bewegt, zu
Herr Kollege Scho et tle hat eine ernste Frage verzeichnen sind, bei uns eintreten. Dafür haben
angeschnitten, die die Solidität unseres Staates, das wir im Parlamentarischen Rat gesorgt. Nein,
Ausgewogensein der Funktionen des Staates be- worum es mir geht, ist, daß die Regierung engste
rührt. Er sprach von dem geringen Ansehen des Fühlung mit dem Parlament hat, daß die Willens-
Bundestages und seiner Arbeit. Er hat mit Be- bildung im Wesentlichen, im Grundsätzlichen beim
dauern festgestellt, daß , das so weit geht, daß man Parlament liegt und von der Regierung geachtet,
selbst in dem amtlicher Bulletin der Bundesregie- respektiert wird. Daß dieses Verhältnis zwischen
rung monate-, vierteljahrelang die Tätigkeit des Exekutive und Parlament nicht restlos glücklich
Bundestages und seine Existenz nicht erwähnt fin- und harmonisch ist, das ist ja heute schon aufge-
det und daß dann in der Öffentlichkeit der Ein- klungen.
druck ,des „schwachen Bundestages" entsteht sowie Herr Schoettle meint zwar, das Ideal sei, wie
die Auffassung, daß der Bundestag durch einzelne der englische Schatzkanzler mit der roten Mappe
Persönlichkeiten der Bundesregierung, durch den ins Parlament komme und vorher das Geheimnis
Bundeskanzler, durch den Bundesfinanzminister, seines Bud gets nicht lüfte. Nun, , die Dinge sind bei
um dessen Person sich unsere heutige Debatte be- uns anders, und ich empfinde gerade den entgegen-
sonders bewegt, überdeckt wird und in ihrem gesetzten Mangel, daß Gesetze beraten werden, von
Schatten steht. Ich gehe mit Herrn Kollegen deren Referentenentwürfen Gott und die Welt
Schoettle durchaus einig, daß das nicht sein darf. Kenntnis haben, deren Entwürfe mit den Verbän-
Die Souveränität unseres Volkes ist dem Bundes- den und mit den Landesregierungen erörtert wer-
tag, dem Parlament, ,der Volksvertretung über- den, und daß wir dann vor relativ vollendete Tat-
tragen. Ich sage das durchaus bewußt auch aus sachen gestellt werden. Man braucht sich nur der
meiner Erfahrung und aus der Sicht, die ich in den Tatsache bewußt zu werden, daß die pressure
letzten vier Jahren von dem Podium des Minister- groups nicht mehr in die lobbies des Parlaments
sessels her hatte. gehen, sondern daß sie die Klinken der Referenten-
(Abg. Blachstein: Eine Polemik gegen den türen in den Ministerien putzen, um zu wissen,
ehemaligen Minister?) welche Verschiebung der Machtfülle sich ergeben
hat.
— Nun, ich gehe mit meinem väterlichen Freund
(Beifall bei der FDP.)
Adenauer darin einig, daß man immer etwas ler-
nen kann. Das ist das Wertvolle, daß man die Das darf nicht sein.
Dinge auch einmal von der anderen Seite sieht und In diesem Zusammenhang bitte ich, daß das ge-
vielleicht die Qualität gewinnt, sie ins rechte Lot schieht, was ich auch als Justizminister immer für
zu bringen. richtig gehalten habe: von vornherein bei Gesetz-
(Heiterkeit.) gebungsprojekten die zuständigen Vertreter der
Wir haben die Regierung unglaublich stark ge- Fraktionen, die Fachreferenten des Bundestags zur
macht dadurch, daß der gewählte Bundeskanzler Diskussion zuzuziehen. In meiner Fraktion ist ein-
praktisch während ,der Wahlperiode nicht abbe- mal bei der Kritik dieser Dinge der Gedanke hoch-
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(Dr. Dehler)
gekommen, im Wege einer Änderung des Grund- Waffe in der Hand der Bundesregierung ist, ist
gesetzes der Bundesregierung das Initiativrecht für zuzugestehen, aber eine richtige Waffe, die nur
Gesetze zu entziehen und zu sagen, nur dann wird geschwungen werden muß, wenn das Parlament
auf dem Gebiet der Gesetzgebung richtig vorge- seine Verpflichtung, keine Ausgabe ohne Deckung
gangen, wenn ausschließlich das Parlament das zu beschließen, mißachtet hat. Kollege Schoettle ist
Initiativrecht hat. Das wäre eine sehr radikale Kur. der Meinung, das Budgetrecht des Parlaments sei
Aber wenn man sich vergegenwärtigt, wie in zu- durch diese Bestimmung weitgehend ausgehöhlt.
nehmendem Maße das Schwergewicht der Entwick- Ich bin anderer Meinung. Selbstverständlich unter-
lung bei den Ministerien, bei der Ministerialbüro- steht auch das Parlament dem Grundgesetz und
kratie liegt und wie der Einfluß des Parlaments der grundgesetzlichen Verpflichtung, daß der Haus-
immer mehr zurückgedrängt wird, dann muß man halt ausgeglichen sein muß. Nicht nur der Bundes-
sich ernstlich überlegen, wie man diese Entwick- finanzminister, sondern auch das Parlament würde
lung kupieren kann. seine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen ver-
(Abg. Dr. Vogel: Wie wollen Sie das technisch letzen, wenn es sich über diese Forderung des
machen?) Grundgesetzes hinwegsetzte. Es ist die Frage: Soll
die Pflicht des Parlaments, keine Ausgabenmeh-
— Wir haben schon viele Möglichkeiten — bei- rung und keine Einnahmenminderung ohne die
spielsweise den Dokumentardienst — erwogen. Vor entsprechende Deckung zu beschließen, im Grund-
allen Dingen muß — ich habe das schon gefordert gesetz, in der Geschäftsordnung ausdrücklich fest-
— die Regierung in dauerndem Kontakt mit uns gelegt werden? Man kann darüber verschiedener
sein. Was die Verbände 'draußen wissen, das müs- Meinung sein. Ich meine, es bedarf gar nicht der
sen wir schon längst vorher wissen. Festlegung. Der § 96 der Geschäftsordnung ist in
(Beifall bei den Regierungsparteien und diesen Bestimmungen vom Bundesverfassungsge-
bei der SPD.) richt aufgehoben worden. Es ist ein Urteil, das
mich nicht überzeugt hat, ich bedauere es; die Be-
Ich möchte diesen Rat auch ein klein bißchen in das stimmung hätte ausgereicht. Aber abgesehen von
Kabinett für dessen interne Arbeit hineinreichen. jeder Bestimmung im Grundgesetz und in der Ge-
Das heute schon erwähnte Kriegsschädenschlußge- schäftsordnung besteht diese Verpflichtung. Daß
setz, ein derart wichtiges Gesetz, an das sich die die Würde des Parlaments auch weitgehend von
Hoffnungen und die Befürchtungen von Millionen seiner Selbstzucht abhängt, ist uns bewußt.
von Menschen heften, wird ängstlich von den Ref e-
renten eines Ministeriums erwogen, um es als Nun zur Platow-Amnestie, um dem Minister
Knalleffekt auf den Tisch zu legen und Milliarden für besondere Aufgaben, Herrn Strauß, zu ent-
von Werten — von fiktiven und vielleicht auch von sprechen, auch für die besondere Aufgabe, die
realen Werten — zu vernichten. Hier muß es die bajuwarische Verbindung mit mir zu pflegen.
Demokratie auch in den kleineren Gremien geben. (Heiterkeit.)
So große Aufgaben können nur im Zusammenwir-
ken gelöst werden. Ich stehe hier — es ist psychologisch ganz inter-
essant — so mitten im Feuer. Ich habe diese
Ich spreche von den Sp an nungen zwischen Bun- Platow-Amnestie nicht ausgefertigt,
desregierung und Bundestag. Sie sind doch mehr-
fach aufgetreten. Im empfinde es immer noch — das (Bravo-Rufe rechts)
muß ich wieder einmal sagen — als unverständlich, weil ich sie für verfassungswidrig halte. Das ist
daß der wiederholte Beschluß des Bundestages, den auch heute noch meine Meinung. Ich bin der An-
Bundesgrenzschutz auf 20 000 Mann zu erhöhen — sicht, daß die Verfassungswidrigkeit auch nicht da-
nach meiner Meinung eine wirklich echte staatliche durch beseitigt würde, daß diese „Amnestie" in ein
Pflicht —, nicht erfüllt worden ist aus Gründen, die allgemeines Amnestiegesetz, aber doch wieder auf
ich nicht recht einsehe. Dafür konnte es keine diese Fälle beschränkt, eingebaut würde.
finanziellen Hemmungen geben. (Sehr gut! rechts.)
(Beifall bei der FDP. — Abg. Strauß:
Platow-Amnestie! — Heiterkeit.) Ich habe die Gegenzeichnung verweigert. Meiner
Unterschrift bedurfte es übrigens nach dem Grund-
— Mein Lieber Freund Franz-Josef, da bleibt nichts gesetz und der Geschäftsordnung nicht; denn es
erspart! genügt die Unterschrift des Herrn Bundeskanzlers.
(Erneute Heiterkeit.) Der Ressortminister ist für die Promulgation nicht
Zunächst einmal das nicht eingelöste Versprechen vonnöten. Ich habe bei der Behandlung dieses Ent-
der Reform des Rentenwesens. Diese brennende wurfs im Vermittlungsausschuß klar erklärt — das
Frage muß doch gelöst werden. Wir haben nur Ver- wußte der Bundestag, das wußte der Bundesrat —:
sprechungen und keine wirklich konstruktiven Vor- Ich werde dieses Gesetz niemals unterschreiben. Ich
schläge erhalten. Weiter das Kriegsgefangenenent- will jetzt nicht darüber rechten, ob ich dazu befugt
schädigungsgesetz und damit das ganze Problem, bin.
das der Herr Kollege Schoettle — ich hätte ihn (Abg. Mellies: Es wäre aber interessant! Das
gern ein bißchen als Gesprächspartner hier ge- ist nämlich die entscheidende Frage!)
habt — Ich habe als Minister nie ein Gesetz unterschrieben,
(Abg. Mellies: Er kommt gleich zurück!) das ich für verfassungswidrig hielt. Wenn ich je-
mals wieder in diese Situation käme, würde ich es
angeschnitten hat, — eine wichtige Frage. wieder so halten. Aber die Frage ist, wie dieser
Wir haben der Bundesregierung mit vollem Be- Konflikt auszutragen ist. Ich habe es in diesem
dacht die Waffe des Art. 113 des Grundgesetzes ge- Hause schon einmal gesagt. Ich bin allerdings der
geben. Mein verstorbener Parteifreund, der Präsi- Meinung, das ist ein echter politischer Konflikt.
dent des Bundesverfassungsgerichts, Höpker- Man kann keinem der Beteiligten — Bundestag,
Aschoff, ist der Vater dieser Bestimmung. Ich halte Minister — zumuten, zum Bundesverfassungs-
sie nach wie vor für richtig. Daß das eine starke gericht zu gehen. Es besteht auf jeden Fall kein
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 353
(Dr. Dehler)
Zwang. Ich bin der Meinung, daß der Ressort- ist. Auf jeden Fall ein schwarzer Tag, an dem es
minister, der in diesem Konflikt mit dem Parla- beschlossen wurde.
ment steht, wenn der Konflikt nicht ausgetragen (Heiterkeit.)
wird, die Konsequenzen ziehen und zurücktreten Ich glaube, es wird nicht wiederkehren.
muß.
(Zurufe von der SPD: So ist es richtig! — Ein anderes Problem, das hochkommt und das
Weitere Zurufe links.) nicht nur mit den Rechten des Bundestags, sondern
mit den Rechten des Staates überhaupt im engen
Daß ich diese Konsequenz auch gezogen hätte, Zusammenhang steht. Wir müssen, glaube ich, ein-
dessen dürfen Sie gewiß sein. mal darüber sprechen, nämlich über das Verhältnis
Das sind Fälle der richtigen, echten Konflikte von Staat und Kirche, über die Frage, wo die Gren-
zwischen Bundestag und Bundesregierung, und ich zen des Staates, die Grenzen seiner Gesetzgebungs-
meine, die Bundesregierung hätte allen Anlaß, macht, die Grenzen der Aufgaben des Staates
ihrerseits alles zu tun, was die Würde und das enden, wo die der Kirche beginnen. Viele sind in
Ansehen des Parlaments, des Bundestags, steigert. letzter Zeit hochgekommen: Reform des Ehe-
Dem Bundestag droht noch von einer anderen gesetzes; die Forderung auf Erschwerung der Ehe-
Exekutive her eine erhebliche Gefahr: vom scheidung; die Beseitigung der obligatorischen
Bundesrat, der nichts anderes ist als Länderexeku- standesamtlichen, zivilen Trauung. Das sind alles
tive, Zusammenfassung der Länderregierungen. Es die res mixtae, gemeinsame Angelegenheiten der
ist auch eine unglückliche Entwicklung der letzten Kirche und des Staates, die eine Lösung erfahren
Jahre, daß die Macht und auch die Machtansprüche müssen. Man kann das Problem nicht nebenbei
des Bundesrats fortgesetzt gesteigert worden sind. behandeln,
Sie kennen das schwierige Problem. An sich sollte (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Nein, das
doch der Bundesrat kein echtes Parlament sein; er kann man nicht!)
ist es ja auch nach seiner Struktur nicht. Der
Bundesrat sollte nur die Interessen der Länder in Aber es ist, glaube ich, des Bestrebens der Edelsten
der Bundesgesetzgebung, in der Verwaltung des in diesem Hause wert, hier klare Verhältnisse zu
Bundes sichern. In Wirklichkeit ist er schon weit- schaffen. Wir leben in einem säkularisierten
gehend ein zweites Parlament geworden, Staate, in einem Staate mit mehreren christlichen
Kirchen. Die Zeiten der Vermengung der kirch-
(Sehr richtig! rechts) lichen und der staatlichen Sphäre sind weit von uns
d. h. unsere gesamte Gesetzgebung ist von der Zu- entfernt und werden nicht wiederkehren. Man
stimmung dieser Exekutive abhängig. Eine - merk-
sollte auch meinen, wenn sich der Staat darauf be-
würdige Fehlentwicklung! Sie wissen, wie das ge- schränkt, Ordnung zu stiften und Ordnung zu be-
laufen ist. Ich bin leider nicht ganz schuldlos daran. wahren, wenn er vollkommen davon Abstand
Man hat sich auf den Standpunkt gestellt, wenn nimmt, in die Ordnungen der Kirche einzugreifen,
auch nur eine Bestimmung eines Gesetzes der Zu- müßte dieser unselige Streit zwischen Staat und
stimmung des Bundesrates bedarf, muß das ganze Kirche, der unsere Geschichte so erschwert hat, zu
Gesetz diese Zustimmung erhalten, und wenn Ende sein. Dann könnte es doch keine Forderungen
hinterher irgendeine Bestimmung eines solchen mit der Kirchen mehr geben, die ja die Möglichkeit der
Zustimmung des Bundesrates angenommenen Ge- vollen Religionsfreiheit haben, denen das Feld zur
setzes geändert werden soll, muß wiederum die Betreuung der Gläubigen, das Feld zur geistigen
Zustimmung des Bundesrates eingeholt werden, ob- Freiheit völlig freigegeben ist. Aber die Wirklich-
wohl die zu ändernde Bestimmung mit den Rechten keit ist anders, ist mit Recht anders. Denn
des Bundesrates und der Länder gar nichts zu tun das Glaubensbekenntnis beschränkt sich ja
hat. In Kürze wird es also gar kein Gesetz mehr nicht auf die Beziehungen der einzelnen
geben, das nicht von der Zustimmung des Bundes- Seele zu Gott und mit Gott; es lebt in
rates abhängig ist. Eine sehr unglückliche Ent einer Gemeinschaft der Gläubigen. — Dadurch ent-
wicklung, die wir nach meiner Meinung abstoppen stehen die Reibungsflächen mit dem Staate. Denn
müssen, wenn nicht die Rechte dieses Hauses weit- der Staat ist eine öffentliche Organisation, und die
gehend beschränkt werden sollen. Kirche ist es nicht minder. Hier klare Verhältnisse
(Beifall bei den Regierungsparteien.) zu schaffen, erscheint mir unbedingt erforderlich,
Wir dürfen aber auch nicht den Fehler begehen, auch als die Voraussetzung einer richtigen Dis-
unsere Rechte noch selber weiterhin zu be- kussion von morgen, für die Auseinandersetzung
schneiden. Wenn man vom Bundeswirtschaftsrat über das Problem der Gleichberechtigung von
als einer notwendigen Institution träumt, so möchte Mann und Frau in der Ehe. Die Kirchen, glaube
ich nur warnen; er würde doch nur Funktionen auf ich, dürfen den Staat nicht überfordern. Die sakra-
Ihre Kosten, auf Kosten des Parlaments bekommen. mentalen Bindungen einer Ehe — als Beispiel —
(Beifall in der Mitte und rechts.) können nicht vom Staat sanktioniert werden. Das
ist nicht die Aufgabe des Staates, im Gegenteil. Das
Viele Gefahrenmomente der letzten Jahre, die die wäre doch eine Entwertung der religiösen, sakra-
Rechte des Staates und des Parlaments bedrohten, mentalen Bindung des Gläubigen, wenn diese Bin-
sind, glaube ich, gebannt. Es wird nicht wieder- dung unter den staatlichen Schutz gestellt würde.
kommen, daß die Gewerkschaften oder daß irgend-
welche anderen Verbände aufmarschieren, Druck (Zuruf von der Mitte: Das ist Sophismus!)
ausüben, Ihre Willensentscheidung zu beeinflussen — Nein, das ist kein Sophismus. Das ist der ehr-
versuchen. Denken wir an das, was mit dem un- liche Wille, eine klare Form zu finden und eine
glückseligen Gesetz über die Mitbestimmung auf Grenze zu ziehen. Da dürfen Sie mir nicht mit
dem Gebiete von Eisen und Kohle geschah. In jeder einem solchen Vorwurf begegnen. Wer dieses
Beziehung ein schwarzes Gesetz! Problem nicht erfaßt, erkennt eine bedeutsame ge-
(Abg. Sabel: Warum? — Weitere Zurufe.) sellschaftliche und politische Tatsache der Zeit
— Ja, ein gefährliches, vieldeutiges Wort! Man nicht!
kann gar nicht sagen, wie schwarz dieses Gesetz (Beifall bei der FDP.)
354 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Dehler)
Daß nicht der Wille besteht, den kirchlichen Ein- Für mich ist das Symbol der Fehlentwicklung
fluß zu mindern, haben, wie ich glaube, meine der Wirtschaft und des Rechts das, was die beiden
Freunde in den Verfassungen der Länder und im zusammenfaßt, das Wirtschaftsstrafrecht. Wir de-
Grundgesetz bewiesen. Wir haben den Kirchen battieren gerade über die Beseitigung des Wirt-
volle Wirkungsmöglichkeit gegeben, und zwar in schaftsstrafgesetzes. Ich meine, man sollte es so
einem Maße, wie sie die Kirche noch niemals in der rigoros, wie man nur kann, aus dem Körper
Geschichte hatte. unseres Rechtes und unserer Wirtschaft aus-
(Beifall bei der FDP. — Abg. Dr. Lenz schneiden.
[Godesberg]: In der modernsten Geschichte (Sehr richtig! rechts.)
nicht hatten!) Wenn der Strafrichter, wenn das Strafgesetz rich-
Ich sage ja, das sind echte Fragestellungen, an die tiges Wirtschaften erzwingen sollen, dann ist die
heranzugehen wir den Mut haben müssen. Wirtschaft krank,
(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Den haben (Beifall rechts)
wir auch!) dann bürdet man dem Recht eine Aufgabe auf, die
Es sind in der letzten Zeit z. B. von dem Bischof ihm nicht zukommt. Richtiges Wirtschaften muß
Dibelius Besorgnisse wegen der Allmacht des sich aus den Gesetzen der Wirtschaft ergeben. Daß
Staates geäußert worden. Das berührt sich auch man den Gedanken des Wirtschaftsstrafrechtes
mit diesem Problem. Wir lehnen es durchaus ab, haben konnte, daß man mit mittelalterlichen Vor-
daß der Staat allmächtig ist, durchaus ab, daß der stellungen wie dem justum pretium, dem gerechten
Staat das Recht haben soll, in die letzten mensch- Preis, operierte, dem Kostenpreis, daß man alle Ge-
lichen Beziehungen hineinzureichen, da es mensch- setze des echten Wirtschaftens vollkommen miß-
liche Gemeinschaften gibt, die gerade ihre Würde achtete, ist ein Zeichen einer Fehlentwicklung
und ihren Wert behalten, wenn der Staat vor ihnen unserer Wirtschaft und unseres Rechtes.
zurückgehalten wird und wenn er nicht die Mög-
lichkeit des Einflusses hat. Wir bejahen den Staat. Das ist mein Bekenntnis,
das immer und immer wieder zu sagen. Ich halte
Wenn man dieses echte Problem, das Bischof es für so wichtig, daß dieser Staat, daß unser Staat
Dibelius aufwirft, durchdenkt, muß man fragen, wo Würde und Ansehen hat, daß es ein Staat ist, der
vor allem die Gefahr liegt, daß die Macht des von dem freien Willen seiner Bürger getragen und
Staates übermächtig wird. — Wieder vermisse ich bejaht wird. Es wäre viel darüber zu sagen, was
den Herrn Schoettle als den Mann, den ich gern hier fehlt. Schlimmster Fehler, meine Damen und
ansprechen würde. — Dann sollte man wieder in Herren, ist, wenn man diesen Staat mit Aufgaben
die Geschichte der letzten Jahrzehnte zurückgehen überlastet, die ihm nicht zukommen. Es ist sehr
und fragen, worin die Ursachen liegen, daß sich interessant, was Herr Schoettle insoweit gesagt hat,
die Staaten mißentwickelt haben, daß sie zu tota- was er nochmals wie in einer Apotheose in seinem
litären Formen gelangt sind. Ich habe schon einmal
letzten Satz — aus dem Dortmunder Programm,
darzulegen versucht, was die tiefere, die geistige, wenn ich nicht irre — zusammengefaßt hat, in dem
die politische Ursache dieser Fehlentwicklungen er den Satz des Bundesfinanzministers Schäffer,
war. Ich sehe in einer geistigen Krisis die Ursache der Staat habe nur Hilfsstellung im Wirtschaft-
der Entwicklung zum Faschismus, zum Bolsche- lichen und im Sozialen zu leisten, bekämpfte und
wismus, zum Nationalsozialismus, im Erschlaffen meinte, in den letzten hundert Jahren hätten sich
des liberalen Gedankens — eng verbunden mit der so gewaltige Strukturwandlungen vollzogen, die
Lähmung des rechtsstaatlichen Denkens. abhängigen Existenzen hätten so gewaltig zuge-
Wenn wir fragen, welches der richtige Weg, der nommen, der Übergang von der Agrarwirtschaft
geistige Weg in die Zukunft ist, dann müssen wir zur gewerblichen, zur industriellen Wirtschaft habe
hier wieder anknüpfen. Man könnte sagen, daß solche Strukturumbrüche bedeutet, verbunden mit
ein Satz, den Anatole France einmal ge- den gewaltigen Erschütterungen der beiden Welt-
sprochen hat, demonstriert, wo die geistige Fehl- kriege, daß die Finanzpolitik ein Instrument der
entwicklung der letzten 50, 80 Jahre begonnen hat. Wirtschaftspolitik sein müsse.
Dieser Satz wird gerne von Sozialisten und Sozial- Ich lehne diesen Satz als grundsätzlich irrig ab
reformern zitiert. Er ironisiert den Grundsatz der und sehe in ihm beinahe das, was uns scheidet, das,
Gleichheit vor dem Gesetz, diesen „majestätischen was zwischen Ihnen und uns steht, wenn Sie
Grundsatz, nach dem Armen und Reichen verboten glauben, man müsse mit Mitteln der Finanzpolitik
ist, unter Brücken zu schlafen, Brot zu stehlen und Wirtschaftspolitik treiben. Wir kennen die Tat-
auf den Straßen zu betteln". Meine Damen und sachen, die wollen wir nicht negieren. Wir wissen,
Herren, das war ein Satz, der einer ganzen Gene- daß Einflüsse vorhanden sind, und wir kennen die
ration von Menschen das Wesen des Staates, das Struktur der öffentlichen Hand. Aber das können
Wesen des Rechtes, das Wesen der richtigen Wirt- wir doch nicht bejahen und hinnehmen, sondern
schaft verdorben hat; nur als Folgen einer Fehlentwicklung registrieren
(Sehr gut! links.) und uns überlegen, wie wir diese Tatsachen be-
denn das war ja das Anzweifeln des Rechtes, das seitigen.
für alle gilt, das war das Herunterreißen der Binde (Abg. Schoettle: Herr Kollege Dehler, ich
von der Justitia, das war das Überbürden der Auf- bin jetzt da!)
gabe, Ungleiches auszugleichen, auf den Staat, auf — Ja, ich hätte Ihnen schon so viel Schönes zu
die Gemeinschaft, und zwar in der Form des Ein- Ihrer Belehrung sagen wollen; denn ich weiß, Sie
greifens in das Recht, des Eingreifens in Eigentum, sind auf dem rechten Wege.
in Vertragsfreiheit. Wenn der Staat beginnt, Un-
gleichheiten, Ungerechtigkeiten auszugleichen, (Große Heiterkeit.)
dann kann er ja nicht halt machen vor der Rechts- Ich spreche gerade über Ihre Meinung, die
sphäre des einzelnen. Dann bricht er in sie ein, und Strukturwandlung der letzten hundert Jahre be-
damit brechen die Stützen einer gesunden Gesell- dinge die Notwendigkeit, von der Finanzpolitik
schaft, bricht das Recht. her wirtschaftspolitisch zu wirken. Sie müssen sich
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 355
(Dr. Dehler)
einmal das Groteske der Entwicklung unseres poli- Sie sagen, das Preisgefüge sei in Bewegung, und
tischen und wirtschaftlichen Lebens, nun, seit wann, sprechen davon, wie notwendig es sei, ein richtiges
seit der französischen Revolution vorstellen. Da- soziales Klima zu schaffen, gerade im Hinblick
mals begann doch ein Unheil. Wenn man den darauf, daß die Bundesrepublik zwischen Osten
Gründen nachgeht, dann erkennt man wieder ein- und Westen liege, etwas Besonderes zu tun. Ja,
mal die Ironie unserer Geschichte. Warum der was wollen Sie denn wieder „Besonderes"? Be-
Sturm auf die Bastille unter diesem doch so braven, hördliche Maßnahmen! Etwas anderes können Sie
ordentlichen König Ludwig XVI., der niemandem ja nicht wollen. Aber damit verderben Sie, Herr
auch nur ein Haar krümmte, unter relativ sehr Schoettle, Sie wackerer Schwabe, die richtige
günstigen wirtschaftlichen und sozialen Verhält- Wirtschaft!
nissen? Der Sturm auf die Bastille ging darauf zu- (Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Ist auch eine
rück, daß die Regierung genötigt war, wegen der schöne Wirtschaft!)
Feldzüge in Amerika die Steuern in ganz geringem Ich will Ihnen hier nicht Ihre Sünden vorhalten.
Umfang zu erhöhen. Und die Entwicklung, meine Sie haben Herrn Schäffer vorgeworfen, er habe
Damen und Herren, hat damit geendet, daß wir sich bei der Unterstellung, daß das Sozialprodukt
jetzt Steuern zahlen, die der Konfiskation des Ein- wieder um 5 Prozent steigen werde, zu optimistisch
kommens gleichkommen. verhalten. Wenn einer nicht optimistisch ist, dann
(Beifall.) er! Ich weiß das doch aus den Beratungen der
Da sehen Sie die Fehlentwicklung, Herr Kollege Haushalte im Kabinett! Wir haben ihm unseren
Schoettle. Es wäre mir sehr interessant, mit Ihnen Optimismus immer — na, das darf ich vielleicht
einmal darüber zu debattieren, ob diese Entwick- nicht sagen — suggeriert!
lung glücklich oder unglücklich ist und ob man (Heiterkeit.)
sie nicht mit allen Mitteln beseitigen muß. Wir haben ihn gezwungen, optimistisch zu sein,
Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß und das hat sich auch rentiert.
die Interventionspolitik der Roosevelt-Regierung (Abg. Schoettle: Fragt sich nur, für wen!)
glücklich war, daß das New Deal, das Fair Deal
genützt haben? Die Erkenntnis ist doch in Amerika Aber Sie, lieber Herr Schoettle, Sie leben im
allgemein vorhanden, daß diese Interventions- Pessimismus.
politik vom Übel war. Und solange ich im Kabinett (Lachen bei der SPD.)
war und es wurden Interventionen beschlossen, Das war schon im Wirtschaftsrat der Fall. Ich habe
es wurden Subventionen beschlossen, — ach, nach es mir nur erzählen lassen; aber die anwesenden
-
einem halben Jahr hat sich immer herausgestellt, Herren von Wellhausen bis Mellies waren doch
daß die Dinge ganz anders liefen, als der Ressort- in Frankfurt und wissen es doch noch!
minister es sich vorgestellt hatte, daß alle Dinge
ins Gegenteil umgeschlagen sind. Ich brauche Ihnen (Abg. Mellies: Ich habe aber nichts
nur in Erinnerung zu rufen, wie sich, wenn erzählt!)
wir Futtergetreide freigegeben haben, wenn wir Ich halte es geradezu für gefährlich, Herr Kollege
den Preis des Brotgetreides fixiert haben, in kur- Schoettle, wenn Sie hier an dieser Stelle für unser
zer Zeit die Dinge verschoben haben. Denken Sie Volk vor dem Optimismus des Bundesfinanz-
an die Tragödie des Konsumbrotes! Alle Eingriffe ministers warnen und damit natürlich den Opti-
haben sich am Ende als schädlich erwiesen. Ihr mismus unseres Bundeswirtschaftsministers schon
Glaube, man könne vom Staat her wirtschaften, gröblich schelten, denn der geht ja viel weiter.
ist trotzdem überall, wo Sie kritische Punkte an- (Heiterkeit.)
geschnitten haben, durchgeklungen.
Aus diesem Pessimismus, Herr Schoettle, wächst
Sie haben gesagt, es sei gut, daß wir eine richtige doch gar nichts. Ich meine, Sie sollten gelernt
Währung haben und sie bewahren. Aber viel wich- haben: Als meine Freunde zusammen mit Ludwig
tiger oder mindestens ebenso wichtig sei, die rich- Erhard und seinen damaligen Parteifreunden im
tige Relation zwischen Preis und Einkommen zu Wirtschaftsrat in Frankfurt darangingen, in küh-
schaffen. Ich weiß ja nicht, was Sie für die richtige nem Entschluß die gewerbliche Wirtschaft zusam-
Relation halten, und noch weniger weiß ich, in men mit der Währung von den Fesseln zu befreien,
wessen Ermessen Sie die Feststellung der richtigen die Wirtschaft freizugeben und die Zwangswirt-
Relation legen wollen. Ich habe die verdammte schaft aufzuheben, da kamen Sie mit dem gleichen
Sorge: in die Hand der Exekutive, in die Hand der Pessimismus und haben gewarnt. Man sagt, Sie
Leute am grünen Tisch. Ein gefährlicher Weg, hätten aufgezählt, in wieviel Jahren bei diesem
Herr Schoettle! Hier irren Sie wieder einmal. Leichtsinn jemand ein Paar Schuhe oder ein Hemd
(Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Sie wissen bekäme. Der Optimismus hat recht behalten und
ja gar nicht, ob ich Ihre Prämisse der Optimismus wird weiter recht behalten. Aber,
akzeptiere!) meine Damen und Herren und Sie, Herr Schoettle,
— So haben Sie es doch dargelegt! müssen auch wissen: Konjunktur ist auch eine
(Abg. Schoettle: Nein! Da geht Ihre Phan Sache des Willens, ist weitgehend eine Sache der
tasie wieder einmal mit Ihnen durch!) Lebenskraft, und es ist gefährlich, diese Lebens-
— Bitte, wie soll ich das verstehen? Sie verlangen kraft schmälern zu wollen, pessimistische Worte
von der Regierung, dafür zu sorgen, daß die rich- hinauszusenden und den Glauben aller deutschen
tige Relation zwischen Preis und Einkommen her- Menschen an die Richtigkeit ihrer Wirtschaft in
gestellt wird. Sie verlangen also behördliche Maß- Zweifel zu ziehen.
nahmen, während wir, die wir für die wirtschaft- Ich will einmal sagen, was unsere Meinung über
liche Freiheit eintreten, daran glauben, daß dieses Problem Staat und Wirtschaft ist. Wir sind
allein aus der Entwicklung der Wirtschaft diese der Meinung: Im wirtschaftlich-sozialen Bereich so
richtige Relation entsteht, und die Entwicklung wenig Staat wie nur irgend möglich. Der Staat hat
der letzten sechs Jahre gibt uns ja weitgehend nicht zu wirtschaften!
recht. (Beifall rechts.)
356 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Dehler)
Das ist die große Gefahr: Wenn der Staat die Wirt- Brief als Morgengebet und als Abendgebet zu
schaft beherrscht, dann regelt er nicht nur die lesen;
Wirtschaft, sondern er herrscht auch über die wirt- (Heiterkeit rechts)
schaftenden Menschen; dann beginnt die Entwick-
lung zum Totalitären, dann beginnt der Verzicht dann wird unsere nächste Haushaltsdebatte noch
viel einfacher sein.
auf die echte Freiheit der Menschen.
Wir sagen auf der anderen Seite: So viel Staat (Beifall rechts.)
wie nötig, um die Voraussetzungen des fairen Nun noch eine andere Frage. Wenn ich, meine
Wettbewerbs, des Leistungswettbewerbs zu sichern! Damen und Herren, vom Rechtsstaat und seiner
So viel Staat wie erforderlich, um die Spielregeln Bedeutung spreche als Voraussetzung dafür, daß
für die richtige Wirtschaft aufzustellen und zu jede Entartung unserer Demokratie vermieden
überwachen! So viel Staat, als notwendig ist, um wird, so heißt das: Substanz der Demokratie ist
möglichst viel privates Eigentum zu schaffen, um der Rechtsstaat, und nur wenn wir ihn kräftig be-
Gleichgewichtsstörungen zu verhindern und um be- wahren, wird dieser Staat bestehen. Ich bin un-
sonders denen, die sozial leiden, zu helfen. glücklich über die Entwicklung unserer Gerichts-
Nun, die Rolle des Lehrers, des wirtschaftspoliti- barkeit im Institutionellen. Wir schaffen jetzt ge-
schen Lehrers gegenüber einem so erfahrenen rade das Obere Bundesgericht für Arbeit, das
Mann wie Ihnen, Herr Schoettle, steht mir nicht Obere Soziale Bundesgericht; wir haben geschaffen
zu. den Bundesfinanzhof und das Bundesverwaltungs-
(Heiterkeit. — Abg. Schoettle: Warum so gericht neben dem Bundesgerichtshof. Also fünf
bescheiden, Herr Dr. Dehler?) obere Bundesgerichte. Ich sehe darin keine glück-
liche Entwicklung. Für eine spätere Zeit müßte
— Ja, warten Sie nur! — Ich kann Sie auf viel man, glaube ich, die Einheit des Rechts und die
kompetentere Leute verweisen, auf Menschen, die Einheit der Gerichtsbarkeit auch in dieser Hinsicht
aus Ihrem Kreise kommen, und die auf dem Wege wieder anstreben. Ich sehe auf jeden Fall aber eine
der Erkenntnis — sie sind auch älter — unglückliche Entwicklung in der Tatsache, daß die
(erneute Heiterkeit in der Mitte Verwaltung auch dieser Sondergerichtszweige nicht
und rechts) bei den Justizministern der Länder und beim Bun-
schon etwas weiter fortgeschritten sind. desjustizminister zusammengefaßt ist, sondern bei
Sicher sind Ihnen die Briefe oder ist Ihnen wenig- den Ressortministerien liegt,
stens der erste Brief des Kreises, der den schönen (Sehr richtig! rechts)
-
Namen Ihres von uns allen verehrten verstorbenen also beim Arbeitsminister, beim Finanzminister,
Parteifreundes, des Bürgermeisters Ernst Reuter, beim Innenminister — alles Minister, die zu leicht
trägt, zu Gesicht gekommen. geneigt sein könnten, diese Gerichte als eine Funk-
(Zuruf von der SPD: Ach, du lieber Gott!) tion ihres Ressorts zu empfinden,
Niederschlag der Erfahrung eines Lebens! Wir (Zustimmung rechts und in der Mitte)
wollen es doch einmal feststellen: das bedeutet so mit der Gefahr der Fehlentwicklung im Persön-
viel! Was hier gesagt wird, könnte das öffentliche lichen und in der Gerichtsbarkeit.
Leben so weitgehend entgiften, könnte die echte
Grundlage für ein gemeinsames Wirken aller Bundesverfassungsgericht! Ich habe schon von
Deutschen schaffen, daß man diesen Brief des seiner Bedeutung gesprochen. Es ist uns allen be-
Ernst-Reuter-Kreises gar nicht überschätzen kann. wußt, auch den Richtern des Bundesverfassungs-
gerichts, daß die jetzige Struktur nicht glücklich
(Abg. Mellies: Versuchen Sie solche Er ist, und ich glaube, es ist erforderlich zu sagen,
mahnungen einmal Herrn Euler gegen daß wir möglichst bald an eine Reform des Ge-
über, Herr Dehler!) richts und damit des Bundesverfassungsgerichts-
Aber es ist merkwürdig, welcher Kontrast noch gesetzes herangehen müßten, daß wir besonders
zwischen dem besteht, was uns Herr Schoettle das „Zwillingsgericht" beseitigen und nur e i n Ge-
heute wirtschaftspolitisch gesagt hat, und dem, richt schaffen müssen, vielleicht die Zahl der Rich-
was dort als Erkenntnis niedergelegt ist: der rest- ter dann verringern, daß wir — es ist mein per-
lose Verzicht auf alle marxistischen Vorstellungen, sönlicher Wunsch — das richterliche Element, das
das Verwerfen des Gedankens, daß der Klassen- gewachsene richterliche Element, in dem Gericht
kampf die wirkende geschichtliche Kraft sei. Man verstärken, vielleicht auch daran denken müssen,
gibt den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit das Wahlverfahren im Bundestag zu ändern. Es
auf; man weiß genau, daß das Kapital die Voraus- hat versagt; ich meine die Tatsache, daß ein Sitz
setzung für die Arbeit, die Grundlage für die Exi- des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
stenz der arbeitenden Menschen ist. Man gibt die seit anderthalb Jahren unbesetzt ist — ein schwe-
Lehre auf, daß die Menschen zunehmend proletari- rer Vorwurf.
siert würden, eine Lehre, die auch ebensowenig (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
richtig ist wie die Behauptung, die Zahl der ab-
hängigen Existenzen habe zugenommen. Der Mit- Das kann nicht fortdauern und verlangt eine Än-
telstand ist doch weiter gestreut als je. Denken derung.
Sie nur daran, was eine Erfindung wie der Kraft- Rechtsstaat! Unser Staat ist schwach. Mit Sorgen
wagen an neuen selbständigen Existenzen ermög- sehen wir die Mängel im Verfassungsschutz. Dar-
licht hat! So revolutionäre Vorstellungen sind dort über wäre viel zu sagen, z. B., daß es nicht mög-
jetzt lebendig wie die, daß der Lohn nun wahr- lich ist, vom Bundesamt für Verfassungsschutz her
lich nicht eine kapitalistische Ausbeutung bedeutet die Tätigkeit der Landesämter für Verfassungs-
oder der Zins Ausdruck eines kapitalistischen Wu- schutz zu koordinieren, ihnen Weisungen zu geben.
chers ist, sondern daß es echte volkswirtschaft- Welch ein unmöglicher Zustand angesichts der Ge-
liche Funktionen sind, die man nur volkswirtschaft- fahr des Unterminierens, des Unterlaufens, die uns
lich und nicht etwa klassenkämpferisch beeinflus- vom Osten her droht!
sen kann. Ich kann Ihnen also nur raten, diesen (Beifall bei der FDP.)
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 357
(Dr. Dehler)
Einer entscheidenden politischen Kraft unseres schaftswunder". Das Wort höre ich ebenso wenig
Staates möchte ich anerkennend gedenken: der gern wie Sie, Herr Schoettle. Was sich in den letz-
Presse. Wenn man die Entwicklung der letzten ten Jahren vollzogen hat, ist kein Wunder, son-
Jahre überdenkt, dann erkennt man, was sich hier dern es ist wirklich eine Wirtschaft ohne Wunder.
zum Guten gewendet hat, wie groß schon die Zahl Es ist eine Wirtschaft, gegründet auf die richtigen
der Persönlichkeiten ist, die in der Presse wirken wirtschaftlichen Erkenntnisse, die mit Mut ange-
und die ein politisches Gepräge haben, die das re- wandt worden sind. Das ist diese Wirtschaft.
präsentieren, was wir für eine gesunde Demo- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
kratie brauchen: die öffentliche Meinung, die in Da ist kein Wunder geschehen. Wenn man das an
ihrer Person gegründete öffentliche Meinung. nehmen würde, würde man die Leistungen der letz
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ten Jahre verringern. Nein, Männer, die das Rich
Ich greife das auf, was meine Vorredner gesagt tige gesehen haben, haben die Entschlossenheit ge
haben: daß diese öffentliche Meinung nicht nur in habt, ihre richtigen Erkenntnisse zu verwirklichen.
der Presse, sondern auch im Film, auch in der (Abg. Heiland: Was hätten Sie wohl ohne
Kunst nicht beschränkt werden darf und daß es den Korea-Boom gemacht, Herr Dehler? —
keine Erwägung der Staatsräson gibt, die das Zuruf von der SPD: Viel Glück war
Recht geben würde, die Rechte der Presse, der dabei!)
öffentlichen Meinung, das Recht auf freie Infor- — Natürlich, Herr Heiland, gibt es immer Stimu-
mation zu schmälern. lantia. Aber ich will Ihnen erzählen, wie gut wir
(Sehr gut! bei der FDP.) die Dinge nach Korea gemacht haben. Das erzähle
Man kann allerdings andererseits auch an die ich Ihnen gern! Wir wollen dann fragen, was Sie
Pflicht der Presse mahnen, der Macht eingedenk damals gemacht hätten, wenn Sie auf der Regie-
zu sein, die sie in der Hand hat. Die Selbstzucht rungsbank gesessen hätten!? Ich hatte kürzlich die
ist in der Demokratie — das gilt für alle, die po- Gelegenheit — ich darf es etwas anekdotisch er-
litisch wirken — höchstes Gesetz. zählen —, in Köln vor der Akademie für Wirt-
Darf ich in diesem Zusammenhang etwas Böses schaft und Verwaltung — so heißt sie, glaube ich
sagen, etwas, das mich erschüttert hat, etwas, das — zu sprechen, vor Professoren, Wirtschaftlern
das Lob, das ich eben gespendet habe, zu schmä- usw. Vorsitzender ist der Sohn unseres Bundes-
lern geeignet ist. Ausgerechnet die „Bayerische kanzlers, der Herr Oberstadtdirektor Dr. Max
Staatszeitung" vom 9. Januar 1954 bringt einen Adenauer. Ich habe ihn und die Anwesenden ge-
- fragt, was sie für die größte konkrete wirtschafts-
Artikel „Tragische Alternative — Idee und Wirk-
lichkeit der preußischen Macht", der sich mit einer politische Leistung des ersten Bundeskabinetts hal-
Fiktion des Preußentums auseinandersetzt und ten. Ich habe es nicht erfahren. Auch der Sohn des
folgendermaßen endet: Kanzlers weiß nicht, was die größte wirtschafts-
politische Leistung seines Vaters ist. Das ist ein
Es sieht fast so aus, als stehe das deutsche Moment, das einem vor Augen führt, wie schwer
Volk vor der Alternative, entweder in einem die Demokratie zu praktizieren ist, wie schwer es
preußischen oder in gar keinem Staat zu le- ist, den Menschen nahezubringen, was wichtig ist.
ben, .eine Wahl, die gleichbedeutend ist mit Aber ich darf wenigstens Herrn Heiland sagen,
der zwischen der nationalen Katastrophe und was ich für wichtig halte: so wie die Bundesregie-
der Aufgabe des nationalen Daseins. Im Hin- rung sich nach Korea verhalten hat, das war ihre
blick auf diesen tragischen Sachverhalt ist es größte Leistung.
verständlich,
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
— achten Sie auf jedes Wort! —
Nun, die Haltung war damals — ich will es Ihnen er-
wenn heute deutsche Patrioten in der Demar- zählen — im Bundeskabinett auch gar nicht ein-
kationslinie ein hellig. Im Gegenteil, die Mehrheit im Kabinett war
— man muß sich schämen! — dafür, wir müßten in der gleichen Weise wie die
politisches Aktivum erblicken anderen Staaten, wie das reiche Amerika, wie Eng-
(Pfui-Rufe bei der FDP und bei der SPD land, Frankreich usw. angesichts des riesigen
— Zurufe) Booms auf dem Rohstoffmarkt, angesichts der Stei-
gerung der Preise für die lebensnotwendigen Roh-
— in dem Eisernen Vorhang, Herr Strauß; die Zei- stoffe um Hunderte von Punkten dazu übergehen,
tung Ihres Staates! — Höchstpreise einzuführen, Verwendungsverbote zu
(Zurufe von der SPD) erlassen usw. Das Kabinett hat — das ist ja schon
und zur Revision dieses Standpunktes erst historisch, deswegen darf ich es erzählen — einen
dann bereit wären, wenn es eine Bürgschaft solchen Beschluß gefaßt.
dafür gibt, daß das vereinigte Deutschland kein (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: So!? —
wiedererstandenes Preußen wird. Große Heiterkeit.)
(Hört! Hört! bei der FDP.) — Ich kann es nicht leugnen. Ich weiß, damals
haben die Herren Sozialdemokraten sich doch
Da weiß man, was die Pflicht der öffentlichen Mei- königlich gefreut, daß die Bundesregierung nun
nung ist. Und das in einer vom Staate herausge- bei der ersten Gelegenheit — das hat Dr. Kurt
gebenen Zeitung! Schumacher gesagt — mit ihren Thesen Schiff-
Vieles wäre noch zu sagen, natürlich auch zur bruch erleide, daß die freie Marktwirtschaft schon
Wirtschaft. Ich habe schon manches in der Ausein- beim ersten Windstoß zusammenkrache und daß
andersetzung mit dem von mir wirklich sehr ge- die Bundesregierung reumütig zu dem zurückkeh-
schätzten Herrn Schoettle gesagt. Herr Krone hat ren müsse, was Herr Schoettle heute noch für
seinerseits die Dinge bereits richtig beleuchtet. Von richtig hält: zu Maßnahmen , des Staates.
einer richtigen Wirtschaftspolitik wird weitgehend (Abg. Schoettle: Machen Sie es doch bloß
unser Schicksal abhängen, nicht von einem „Wirt- nicht zu billig, Herr Dehler!)
358 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Dehler)
— Ja, so war es. Wir hatten die Verordnung da- der Mieter der sozial Schwache und der Schützens-
mals sogar schon ausgearbeitet und haben sie dann werte wäre, ist in keiner Weise gerechtfertigt. Ich
in der Schublade liegen lassen. Ich empfinde es als denke an die sehr lebhafte Diskussion, die ich hier
eine Leistung meiner Partei, meiner Freunde, geführt habe; damals war der Herr Kollege Jacobi
meiner Kollegen im Kabinett, auch meines Freun- — ich sehe ihn nicht im Saale — mein Widerpart
des Preusker, dem jetzt mit Recht ein Kabinetts- bei der Frage der Aufhebung der Zwangswirtschaft
rang zuerkannt worden ist — was die anderen an- für gewerblich benützte Räume. Die gewerblich be-
geht, so darf ich das jetzt nicht weiter ausspin nutzten Räume wurden aus der Wohnungszwangs-
nen — , wirtschaft herausgenommen. Dabei wurde mir von
(Heiterkeit) seiten des Herrn Jacobi an die Wand gemalt, welch
daß die freie Wirtschaft aufrechterhalten worden 'ungeheure Konsequenzen sich einstellen würden.
ist, daß wir auch diese Belastungen mit den Ge- Ich war damals auf Grund einer Ermächtigung des
setzen der echten, richtigen Wirtschaft von Ange- früheren Reichsjustizministers zusammen mit dem
bot und Nachfrage aufgefangen haben. Was war Wirtschaftsminister in der Lage, diese Freigabe
der Erfolg, Herr Schoettle? Daß die deutsche Wirt- durch eine Verordnung, deren Gültigkeit man
schaft die geringste Preissteigerung in der Welt er- allerdings bestritten hat, durchzuführen. Man hat
fahren hat und daß diese Preissteigerung, die in damals gesagt: unerhörte Ausbeutung der Mieter
Frankreich jetzt noch mit 30, 40 % vorhanden ist, von Läden, von Garagen, von Werkstätten. 300 000
restlos überwunden ist. Wir haben Korea ge- Prozesse müßten geführt werden, kündigte Herr
meistert. Wären Sie auf , der Regierungsbank ge- Jacobi an. Ich habe ein besonderes Verfahren ge-
sessen, so wären wir mit Ihnen in die schönste schaffen, um diese Prozesse aufzufangen und zu er-
Zwangswirtschaft hineingeschlittert, leichtern. Was hat sich in der Wirklichkeit ergeben?
Der Markt der gewerblich benutzten Räume hat
(Sehr richtig! rechts) sich eingespielt. Die Mieterhöhungen haben sich
aus der man sich nie mehr herauslösen kann. durchaus reguliert und sind in keiner Weise über-
Meine Parteifreunde haben in entschlossener Weise steigert gewesen. Wucherfälle sind so gut wie nicht
jederzeit die Ziele der Marktwirtschaft vertreten bekannt. Es sind keine 300 000 Prozesse und keine
und werden das auch in der Zukunft tun. Wir 3000, sondern im ganzen Bundesgebiet nach meinen
sind stolz darauf, daß wir in der Koreakrisis nicht Feststellungen etwa 300 geführt worden. Das nur
wie andere schwankend geworden sind und die als Beispiel dafür, was richtige Wirtschaftspolitik
Nerven verloren haben, sondern die Dinge durch- ist,
gestanden haben. Wir waren an den Steuersenkun-
- (Hört! Hört! rechts)
gen der letzten Jahre maßgebend beteiligt. Wir
haben uns initiativ dafür eingesetzt und haben ge- vielleicht auch für das, was Mut ist. Das wird 'aller
holfen, daß die Engpässe auf den Gebieten des dings Frau Kollegin Weber wieder beanstanden.
Eisens und der Kohle überwunden worden sind (Heiterkeit.)
und die Zwangswirtschaft auf dem Kapitalmarkt Sie hört nicht gern etwas von Mut in der Politik.
zu überwinden wenigstens begonnen worden ist. (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Doch, ganz
Wir haben die Fehlentwicklung auf dem Gebiet besonders gern! — Heiterkeit und Zurufe.)
des Mitbestimmungsrechts mit Erfolg bekämpft
Ein Überbleibsel der Zwangswirtschaft: der Kapi-
und können auch feststellen, daß das Betriebsver- talmarkt. Ich kann es nur andeuten. Über die Not-
fassungsgesetz, dem Sie nicht zugestimmt haben, zu
einer echten sozialen Befriedung unserer Wirt- wendigkeit, die Währungen konvertibel zu machen,
schaft geführt hat und daß im Gegensatz dazu das ist viel zu sagen. Das sind die vordringlichen wirt-
Gesetz über die Mitbestimmung in den Betrieben schaftspolitischen Aufgaben, die uns gestellt sind.
von Kohle und Eisen als ein Fremdkörper in un- Die Europäisierung der Wirtschaft wird nicht
serer Wirtschaft erscheint. möglich sein nur durch eine Fortführung von In-
(Beifall bei der FDP.) stitutionen, durch Aufstockung von Organisationen
nach dem Vorbild der Montanunion, sondern nur
Das zwingt zu der Konsequenz — das darf ich hier dadurch, daß man die Gesetze der echten Wirtschaft
wohl nebenbei sagen —, daß wir der Ausweitung über die Grenzen hinweg durchführt, 'daß man die
dieses Gesetzes auf Holdinggesellschaften niemals letzten Reste der Autarkie beseitigt.
zustimmen werden,
Wir wissen von den Spannungen in wirtschafts-
(Bravo! rechts) politischer Hinsicht im Kabinett. Auch Herr
daß wir viel eher versuchen werden, wie wir dieses Schoettle hat davon gesprochen. Gestatten Sie mir,
unter schlechten Vorzeichen zustande gekommene daß ich besondere Erwartungen an die Tätigkeit
Gesetz überwinden können. meines Freundes Blücher knüpfe, der als Vor-
(Sehr gut! bei der FDP.) sitzender des Wirtschaftskabinetts und als Minister
Wir werden diese Gesetze der richtigen Wirt- für wirtschaftliche Zusammenarbeit Aufgabe und
schaft auch auf anderen Gebieten durchzusetzen Fähigkeit hat, diese Spannungen in einem posi-
versuchen. Ich brauche nur zu sagen: Wohnungs- tiven Sinne zu lösen.
zwangswirtschaft. Ich will meinem Freund Preus- Sollte ich , auch ein Wort von der Landwirtschaft
ker nicht ins Geschäft pfuschen, aber wenn's auf sagen? Vieles, was Herr Minister Lübke gesagt hat,
mich ankäme, wäre eines meiner ersten Ziele, eine halte ich persönlich für richtig. Ich bin insbesondere
Form der Zwangswirtschaft, die .allen schadet, der Meinung: Auch 'die Landwirtschaft wird unter
möglichst rasch zu beseitigen, eine Form, die gegen den Gesetzen der Wirtschaft stehen müssen, und
das Gesetz und gegen das Recht ist. Alles, meine Aufgabe des Staates wird nur sein, ungewöhnliche
Damen und Herren, was gegen das Recht verstößt, Verhältnisse der deutschen Landwirtschaft zu kor-
verstößt ja auch immer gegen die wirtschaftliche rigieren, die Landwirtschaft insoweit zu schützen.
Vernunft. Glauben Sie mir diesen Satz! Eine Ich habe bei meiner Stellungnahme zur Regie-
Wirtschaftsform, die den Eigentümer entrechtet, als rungserklärung die Dinge, die uns vor Augen
ob , der Hauseigentümer nur der Wohlhabende und schweben, dargelegt.
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 3 59
(Dr. Dehler)
Das Verkehrsproblem. Herr Schoettle hat es von Ein Wort zu den Gewerkschaften. Ich habe sie
der finanziellen Seite her erörtert. Wir freuen uns, schon gelobt.
daß dieses Problem nun, man muß schon sagen, (Heiterkeit in der Mitte.)
nach einigen verpaßten Jahren, in denen beson-
ders der Verkehrsetat kümmerlich, dürftig ausge- Ich habe das Gefühl, manches, was an vergifteter
stattet war, aufgegriffen wird, und haben Hof f- Atmosphäre zwischen den Gewerkschaften und der
nung auf eine gute Lösung. Ich brauche nicht zu Gemeinschaft lag, ist verflogen. Der Anschauungs-
sagen, wie groß die Bedeutung des Verkehrspro- unterricht der letzten Jahre war ja auch nur zu
blems für , die nationale und für die internationale deutlich, wenn man nur bedenkt, daß alle Streik-
Wirtschaft ist. Wir sind der Meinung, die Bundes- maßnahmen der französischen Gewerkschaften im
bahn muß von den betriebsfremden Belastungen Sommer vorigen Jahres nur zum Nachteil der Ar-
befreit werden. Nur dadurch entsteht die Voraus- beiter ausgeschlagen sind, daß nur die Arbeiter
setzung für einen echten Leistungswettbewerb mit die Leidtragenden waren. Ich glaube, das hat auch
den anderen Verkehrsträgern. Die Verkehrssicher- den Gewerkschaften den Mut genommen, mit
heit muß erhöht werden durch einen zügigen Aus- Streiks Lohnerhöhungen erzwingen zu wollen, die
bau des Straßennetzes mit staatlichen Mitteln und nicht durch kostenersparende Maßnahmen der
nach meiner Meinungauch mit tragbaren Belastun- Wirtschaft und durch Erhöhung des Ertrags ge-
gen der Verkehrsbenützer. Ich gebe Herrn Kol- rechtfertigt sind, oder gar sich wieder auf das glatte
legen Schoettle durchaus recht, wenn er meint, Parkett des politischen Streiks zu begeben. Wenn
daß der Haushalt hier eine falsche Sparsamkeit übt. allerdings in den letzten Tagen wieder das Wort
von der dynamischen, von der expansiven Lohn-
Über die soziale Situation ist viel zu sagen. Die politik gefallen ist, dann möchte ich doch ernstlich
soziale Frage ist aufs engste mit der Frage der rich- warnen, unbedacht diesen Weg zu gehen, an dessen
tigen Wirtschaft verknüpft. Dias haben wir langsam Ende die Gefahr der Überspannung der Wirtschaft,
gelernt. Wenn die gewaltigen Belastungen der des Rückschlags der Konjunktur steht, was zu
Etats des Bundes und der Länder zusammen mit einem Ausweichen in die Inflation oder in die Be-
den Leistungen der Sozialversicherungsträger jetzt schäftigungslosigkeit führt.
an die 20-Milliarden-Grenze der sozialen Aufwen- (Zurufe von der SPD.)
dungen herankommen, dann muß man einmal fest-
stellen, daß dieser Ertrag nur möglich ist durch — Ich weiß nicht! Sie loben mich, schönen Dank.
eine richtig und konsequent durchgeführte Wirt- (Abg. Böhm [Düsseldorf]: Sie machen sich
schaftspolitik. unnütze Sorgen!)
Ich will nur die Rentenfrage kurz streifen und — Ich erkenne ja auch an und preise das Verständ-
andere Fragen zurückstellen. Die Kritik am Ren- nis der Gewerkschaften und stelle meine Anregung,
tenwesen, die von meinen Freunden und beson- durch ein Streikgesetz die Frage des Streiks zu
ders auch von mir geübt worden ist, hat sich als klären, einstweilen zurück.
berechtigt erwiesen. Manches ist reformbedürftig. (Lachen und Zurufe von der SPD.)
Herr Dr. Wuermeling hat das Problem der Onkel-
ehe aufgegriffen: es ist wirklich ein wunder Punkt. Stellen Sie sich einmal vor — eine wunderbare
Die Erkenntnis, daß die soziale Leistung des Vorstellung —, wenn die Gewerkschaften — ich
Staates und der Gemeinschaft negative Wirkungen habe hier ein sehr interessantes Gespräch mit
hat, dazu führt, daß Frauen ihre Würde aufgeben, Herrn Dr. Agartz gehabt, das mich sehr beeindruckt
sich gesellschaftlich bloßstellen, nicht erkennen, hat — ihren Weg weitergehen und Marxismus und
daß diese Zuwendung nur gedacht war für die Zeit, Klassenkampf ablehnen,
wo der Ernährer fehlte, und nicht die Konsequenz (Zurufe von der SPD)
ziehen wollen, dem anderen Ernährer die Pflicht
ihres Unterhalts aufzugeben und auf die Rente zu welch wirksame Kraft in der Gesellschaft
verzichten, (erneute Zurufe von der SPD)
(Abg. Frau Dr. Weber [Aachen]: Sehr richtig!) und in der Wirtschaft diese Gewerkschaften sein
ist ein Teilausschnitt aus dem Gesamtproblem der können.
Fehlentwicklung unseres sozialen Rentenwesens. (Beifall bei der FDP.)
Bundesversorgungs- IchbinderMug,aßs Noch ein Wort zu den Finanzproblemen, beson-
gesetz, das jetzt vier Jahre in der Bewährung ist, ders ein Wort einmal zu der Finanzverfassung, die
überprüft werden muß, daß man nunmehr jene dieses Jahr auch als Aufgabe vor uns steht. Ich
strukturellen Änderungen erwägen muß, die be- habe kürzlich die Äußerungen von Ausländern ge-
sonders die Versorgung der Schwer- und Schwerst- hört, die erklärt haben, so etwas Verworrenes und
beschädigten bessern, so etwas Undurchsichtiges wie die deutsche Finanz-
(Sehr richtig! rechts) verfassung gibt es in der ganzen Welt nicht mehr.
(Zurufe von der Mitte.)
ihnen die Versorgung geben, auf die sie einen An-
spruch haben. Man muß den Schwerpunkt der Ich möchte meinen, das ist eigentlich das höchste
Versorgung auf die wirklich Bedürftigen legen. Lob, das man unserem Freunde Fritz Schäffer
spenden kann; denn nur ein so geschickter Mann —
Immer wieder muß man sagen, die Rente kann wenn ich ihn sehe, muß ich immer an Odysseus
keinen Ersatz für Gesundheit und wirtschaftliche denken, an den
Existenz geben, sie kann kein Ersatz sein. Sie be-
seitigt nur in geringem Maße den Mangel an Sub- (Heiterkeit)
sistenzmitteln. Unsere Fürsorge muß viel stärker
darauf gerichtet sein, die wirtschaftliche Existenz-
fähigkeit , durch Umschulung und durch andere der so viele Städte von Passau bis Bonn erblickte
Maßnahmen wieder herbeizuführen. und den Sinn ihrer Menschen erkannte,
(Sehr gut! rechts.) (erneute Heiterkeit)
360 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Dehler)
nur ein solch gewandter und viel erfahrener Mann (Abg. Dr. Dresbach: Ihr seid mir schöne
ist in der Lage, mit diesem Instrument, das uns Demokraten! — Abg. Dr. Vogel: Ich bitte,
die Alliierten in der erzwungenen Bestimmung des den Löwen nicht zu reizen!)
Grundgesetzes beschert haben, zu operieren. Aber
Vielleicht noch ein Wort zur Kritik des Kollegen
ich glaube, man müßte nun auch aus politischen
Schoettle. Er hat die These aufgestellt und gesagt,
Gründen endlich an die Bereinigung der Dinge
das würde auch in anderen Staaten so gehandhabt,
herangehen, besonders einmal klar die Steuer- daß der soziale Haushalt keinesfalls wegen der
quellen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden Verteidigungsausgaben gekürzt werden dürfe, daß
aufteilen, also den Grundsatz verwirklichen, der
die sozialen Ausgaben im ersten Rang stünden. Ich
im Grundgesetz enthalten ist, daß Bund und Län-
weiß nicht, Herr Schoettle, ob dieses Wort nicht
der in der Haushaltswirtschaft unabhängig von- gefährlich ist. Sie wissen doch, wie unsere Existenz
einander sind. Die Steuerquellen müssen so ver- gefährdet ist, wie jede falsche Entscheidung den
teilt werden, daß Bund, Länder und Gemeinden Untergang von Millionen und aber Millionen Men-
wirklich unter eigener Verantwortlichkeit im schen bedeuten kann. In einer solchen Lage nicht
Finanziellen stehen.
das Notwendige zu tun, wäre eine Verletzung der
(Beifall bei der FDP.) höchsten Aufgaben der Bundesregierung und des
Wenn das nicht geschieht, ist alles Gerede von Bundesparlaments. Das soll nicht heißen, daß nicht
Föderalismus und von Selbstverwaltung nur ein nach Möglichkeit alles geschieht, was an sozialen
schöner Trug. Ich bin der Meinung, daß Bund, Län- Leistungen notwendig ist. Dafür zeugen die Lei-
der und Gemeinden Einkommensquellen erhalten stungen der letzten Jahre.
müssen, deren Tarife nur ihrer Finanzhoheit und Noch ein Wort der Kritik, Herr Schoettle: Sie
am Ende bei Bund und Ländern nur ihrer Gesetz- wollen sich dagegen wenden, daß der Anteil des
gebungskompetenz unterstehen. Bundes an der Einkommen- und Körperschaft-
steuer erhöht wird. Daß der Herr Bundesfinanz-
Das Problem der Bundesfinanzverwaltung taucht minister in jedem Jahre genötigt ist, dieses Feil-
dabei wieder auf, auch als wichtige organisatorische schen zu beginnen, ist ja an sich ein unerträglicher
Frage der richtigen Finanzgebarung. Sie wissen: Zustand. Eine richtige Finanzverfassung muß die-
sie ist damals nur von den Alliierten verhindert, sen Zustand beendigen, muß saubere Verhältnisse
aber von allen, die etwas von der Sache verstehen, schaffen.
empfohlen worden. Ich muß immer wieder an die
Tatsache denken, daß meine bayerische- Heimat, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
das Land Bayern in der Weimarer Zeit seine Lan- Aber, meine Damen und Herren, wer kann denn
dessteuern dem Reich zur Verwaltung übergeben ernstlich bestreiten, daß der Herr Bundesfinanz-
hat und dabei gut gefahren ist. minister auf diese ergiebigste Steuer angewiesen
(Hört! Hört! in der Mitte.) ist, daß er den Anteil der Länder erhöhen muß. Es
ist ein merkwürdiges Bild, Herr Schoettle, wenn
Ich glaube, auch bei den gewandelten politischen ich mir vorstelle, daß Sie, der Sie doch in vornehm
Verhältnissen in diesem Hause sollten wir dieses licher Weise die Interesen des Bundes im Auge
Thema der Bundesfinanzverwaltung noch einmal haben, mit den Landesfinanzministern, mit den
ernstlich durchdenken. Interessenten der Länder gegen den Bund paktieren.
(Zustimmung bei der SPD.) Das Bild darf und kann nicht Wirklichkeit wer-
den, Herr Schoettle.
Unsere Sorge ist immer noch die wirtschaftliche
Betätigung des Staates. Wir bedauern, daß sich hier (Abg. Schoettle: Da haben Sie mich
keine Lockerung zeigt, und zwar unter einem dop- falsch verstanden!)
pelten Gesichtspunkt, einmal unter dem der un- — So haben Sie es dargestellt. Wenn Sie das
nützen Konkurrenz, die der freien Wirtschaft ge- Schreckbild von mir nehmen, dann bin ich Ihnen
macht wird, zum andern aber besonders unter dem sehr dankbar.
Gesichtspunkt der Befürchtung, daß Steuermittel
(Zuruf von der SPD: Das ist genommen! —
für unwirtschaftliche und unrentable Unterneh-
mungen der öffentlichen Hand aufgewendet werden. Abg. Schoettle: Nein, Herr Dehler, das Ge
Die Dinge müssen erörtert werden. Wir haben setz zu Art. 107 ist immer noch fällig, und
zwar bei der Regierungsbildung davon Abstand mit dem Flickwerk, das wir jetzt machen,
genommen, auf der Schaffung eines Bundesschatz- ist das Problem doch nicht zu lösen!)
ministeriums zu bestehen. Ich glaube, daß der Herr — Ich habe ja schon gesagt, daß uns diese Aufgabe
Bundesfinanzminister jedoch zwei Seelen in seiner in diesem Jahr gestellt ist, und meine Freunde
Brust trägt und in dieser Frage zwiespältig sein werden alles tun, um es zu einem guten Ende zu
muß. Wir haben auf der anderen Seite auch wieder bringen.
die Gefahr gesehen, daß sich ein Bundesschatz
minister in diesem Bett wohlfühlt und für sein Steuerreform! Man müßte vieles darüber sagen.
Ressort nicht die so gesunde Erkenntnis unseres Vielleicht nur e i n Wort hinsichtlich des Zeitpunk-
Freundes Preusker hat, der sich das Ziel gesetzt tes. Ich meine, es müßte alles getan werden, um
hat, in kurzer Zeit sich und sein Ministerium über- die Steuerreform vorzuziehen. Wir sehen schon
flüssig zu machen. mit Beklemmung, daß die Wirtschaft, daß die Indu-
strie, daß auch besonders der Baumarkt sich zu-
(Lachen bei der SPD.) rückhalten, nicht investieren in der Hoffnung auf
Wir haben deswegen davon Abstand genommen. günstigere steuerliche Verhältnisse. Hier gilt, Herr
Schäffer, der Satz: Wer schnell gibt, gibt doppelt!
(Abg. Dr. Dresbach: Jetzt können Sie mit (Sehr wahr! in der Mitte.)
§ 7 c weiterfahren!) Wir müßten uns das Ziel setzen, bis zum 1. Juli
— Ja, ich will auch noch ein Wort dazu sagen. Die die notwendige Steuerreform durchzuführen.
Dinge sind ja noch nicht ausgekocht! (Beifall bei der FDP.)
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 361
(Dr. Dehler)
Welches sind die Ziele dieser Reform? Herr Dr. niederrheinischen Stadt von 450 000 Einwohnern,
Dresbach hat mich auf den § 7 c und auf die so wird berichtet, habe der Millionenhaushalt die-
Zwangslage hingewiesen, in die der Herr Preus- ser großen Kommune, wie es nach der Satzung der
ker hineinkommt, darauf, daß er, wenn der § 7 c Stadt zu geschehen hat, den Bürgern eine Woche
fällt, durch andere Begünstigungen einen Ersatz lang zur Einsichtnahme offengelegen. Zwei von
bekommen müsse und daß das Notwendige für den 450 000 machten von diesem Bürgerrecht Ge-
den öffentlichen Wohnungsbau getan werden brauch!
müsse. Darüber einzelnes zu sagen, ist ja nicht
Ich halte es infolgedessen für ein sehr begrüßens-
meine Aufgabe. Das ist selbstverständlich.
wertes Beginnen, daß uns der Herr Bundesfinanz-
Betrachten Sie das, was ich gesagt habe, nur minister diesen „Wegweiser" an die Hand gegeben
als einen großen Überblick, zum Teil einen hat, die Kenntnis über den Haushalt, der das Kern-
etwas flüchtigen Überblick über die politischen stück des staatlichen Wollens darstellt, ein wenig
Probleme, die sich bei der Beratung des Haushalts mehr in das Volk hineinzutragen, als es bis jetzt
aufdrängen. Ich habe über außenpolitische Dinge der Fall war. Er nimmt damit eine sehr gute
nicht gesprochen. Aber ich richte ebenfalls, wie Übung wieder auf, die bis 1933 bestand. Nichts
der Herr Kollege Krone den Blick nach Berlin, kennzeichnet ja das Wesen eines totalitären Staates
wo in diesen Tagen über das deutsche Schicksal stärker als sein Bestreben, den Haushalt dem Volke
gehandelt wird, in der alten Hauptstadt des Rei- überhaupt fernzuhalten.
ches ohne uns. Wir können nur unseren Willen
äußern, das, was uns nach, ich sage, göttlichem Wir sind allerdings auch in einer sehr schwieri-
und menschlichem Recht zusteht. Das in dieser gen Situation, wenn wir nun zu einem Kompen-
Stunde zu sagen, halte ich für unsere Pflicht, und dium von 2000 Seiten Stellung nehmen sollen und
schelten Sie mich nicht pathetisch, meine Damen uns der zu wenigen Hilfsmittel bewußt werden, die
und Herren, wenn ich zur Bekräftigung dessen, was uns dabei zur Verfügung stehen. In den Haushalts-
uns erfüllen soll, was alle Deutschen erfüllen soll, jahren vor dem ersten Weltkrieg und bis 1933 ver-
Ihnen die schönen Worte Schillers aus „Wilhelm mochten die Parlamente angesichts des weitaus
Tell" sage, die Worte, die nach meiner Überzeu- geringeren Umfangs der damaligen Haushalts-
gung für uns einen neuen, einen tieferen Sinn pläne diese Aufgabe bei rechtzeitiger Vorlage auch
bekommen haben: ohne weiteres zu bewältigen. Aber seit der Be-
gründung der Bundesrepublik steht dieses Hohe
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, Haus vor der äußerst schweren Aufgabe, einen
in keiner Not uns trennen und Gefahr. gegenüber den Reichshaushalten von vor 1933 in
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, seinem Umfang verdreifachten, ja noch darüber
eher den Tod als in der Knechtschaft leben. hinausgehenden Haushalt in kürzester Frist zu
verabschieden.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen. Diese Aufgabe wird deshalb so ungemein schwie-
rig, weil sich Wirtschaft und Steuerpolitik in einem
(Lebhafter Beifall bei der FDP, in der Mitte früher unbekannten Maße heute verzahnt haben.
und rechts.) Ja man kann wohl ohne Übertreibung ausspre-
chen, daß die wirtschaftliche Entwicklung in weiten
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der Gebieten steuerabhängig geworden ist, so daß zur
Abgeordnete Dr. Vogel. Kontrolle dieser Wechselbeziehungen umfassende
Erhebungen, Informationen und Einblicke für uns
Dr. Vogel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine notwendig sind. Sie stehen uns leider nicht in dem
sehr verehrten Damen und Herren! Nach einem so wünschenswerten Ausmaß zur Verfügung. Auch
brillanten Feuerwerk wieder in die karge Steppe das, was Gewerkschaftsinstitute, was die Institute
des Bundeshaushalts zurückzukehren, ist ein ge- der freien Wirtschaft und der öffentlichen Hand,
wagtes Unternehmen. Allerdings hatte ich manch- was Universitätsinstitute auf diesem Gebiet in
mal den Eindruck, daß mein sehr verehrter Herr dankenswerter Weise leisten, kann nur Notbehelf
Vorredner die den Geigenvirtuosen nicht unbe- sein. Das Parlament ist insgesamt in eine bedrük-
kannte Technik des Springbogens anwandte und kende Abhängigkeit von den Angaben, Statistiken
zu sehr in gewisse artistische Formulierungen ver- und Mitteilungen der Exekutive geraten. So wird
fallen ist. es eine der kommenden Aufgaben dieses Hohen
(Heiterkeit.) Hauses sein — und vor allen Dingen auch des
Ich möchte auf der anderen Seite meine Freude Haushaltsausschusses —, einmal nachzuprüfen,
darüber aussprechen, daß mit der heutigen Debatte welche Maßnahmen zur Beseitigung dieses Miß-
der Versuch gemacht worden ist, die alte Tradition, verhältnisses getroffen werden können.
von der bereits Herr Dr. Krone sprach, wieder- Hier bieten sich die Erfahrungen anderer Länder
herzustellen und in eine, ich möchte einmal sagen, an. Ich denke da z. B. an den Reference-Service
generelle Gewissenserforschung über das Verhält- des amerikanischen Kongresses, eine großartige,
nis von Parlament zu Regierung einzutreten, dabei allerdings höchst komplizierte und kostspielige Ein-
uns darüber klarzuwerden, welche Stellung wir richtung, die zur Verfügung der beiden Häuser
hier einnehmen, auch wir von der führenden Re- des amerikanischen Kongresses steht. Wir sollten
gierungspartei und von der Koalition. uns vielleicht auch an die erprobten Einrichtungen
Lassen Sie mich zunächst auch auf etwas hin- des britischen Parlaments, nämlich an die Einset-
weisen, was schon vorhin in den Worten meines zung von königlichen Kommissionen zur Ausarbei-
verehrten Ausschußvorsitzenden, des Herrn tung von Lösungsvorschlägen für besonders bren-
Kollegen Schoettle, anklang, als er sich über den nende Probleme erinnern. In der Bundesrepublik
heute im deutschen Volk herrschenden Mangel an werden der Bundesrechnungshof und der Bundes-
Kenntnissen über den Haushalt beklagte. Gerade beauftragte und ihre künftigen Funktionen in den
in den letzten Tagen las ich darüber ein Beispiel, Mittelpunkt einer solchen künftigen Erwägung zu
das mich sehr nachdenklich gestimmt hat. In einer stellen sein.
362 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Vogel)
Trotz alledem, Herr Kollege Schoettle, bin ich in nommen nichts weiter als einen Exekutivausschuß
bezug auf die Möglichkeiten einer termingerechten der herrschenden oder der regierenden Koalitions-
Verabschiedung des Haushaltes ein wenig opti- parteien.
mistischer. Ich teile ja in dieser Beziehung auch
den „fröhlichen Optimismus" des Herrn Bundes- Wer sich dieser Auffassung anschließt, muß dar-
finanzministers ein wenig mehr, als Sie das getan aus gewisse Konsequenzen ziehen, wie sie das
britische Parlament bereits seit 1713 gezogen hat.
haben. Wenn ich es auch nicht für möglich halte, Denn — Herr Kollege Schoettle, hier ist Ihnen ein
Herr Bundesfinanzminister, den Haushalt bis zum
1. April in beiden Häusern zu verabschieden, halte Irrtum unterlaufen — das britische Parlament hat
ich es doch immerhin für denkbar, daß wir im zwar keine offizielle Geschäftsordnung, aber es hat
Haushaltsausschuß so viel Zeit gewinnen, daß die die Ordinances, die einen umfassenden — —
Überschreitung des Termins vom 1. April Sie nicht (Abg. Schoettle: Ich habe nicht behauptet,
in allzu große Verlegenheit bringt. daß es keine Geschäftsordnung habe, son-
Für uns ergeben sich bei einem kritischen Blick dern ich habe nur behauptet, daß es keine
auf die Ihnen allen vorliegenden Zahlenbilder des geschriebene englische Verfassung gebe!)
Gesetzentwurfs des ordentlichen und außerordent- — Das ist richtig, da stimme ich Ihnen vollkommen
lichen Haushaltsplanes insgesamt folgende Frage- bei. Aber in diesem umfassenden Kompendium der
stellungen. britischen Ordinances, nach denen ja das Parla-
Erstens. Ist dieser vorgelegte Haushaltsplan in ment verfährt, heißt es wörtlich in Ordinance
sich ausgeglichen? Nr. 78 von 1713:
Zweitens. Enthält er noch Reserven? Das Haus wird kein Gesuch um Zuwendung
Drittens. Erlauben etwaige Reserven noch Neu- von öffentlichen Fonds annehmen oder auf
belastungen im kommenden Haushalt? Anträge eingehen, die eine Geldbewilligung
Viertens. Mit welchen Belastungen in den kom- oder sonst eine Belastung von öffentlichen Ein-
menden Haushaltsjahren, auf die wir uns jetzt nahmen zum Inhalt haben, außer, wenn sie
schon einrichten müssen, werden wir mit Sicherheit von der Krone empfohlen worden sind.
zu rechnen haben? Das heißt heute: von der Regierung eingebracht
Die Opposition hält im Gegensatz zum Bundes- worden sind. Mit vollem Recht weist Professor Dr.
finanzminister den vorgelegten Haushaltsplan für Bühler, München, in seiner Betrachtung in der
durchaus „nicht so stabil". Sie hat den „fröhlichen „Deutschen Zeitung und Wirtschaftszeitung" darauf
O ptimismus" des Herrn Bundesfinanzministers hin, daß dies ein Akt äußerster Selbstverleugnung
kritisiert. Das ist ihr gutes Recht. Indes wird sie der Koalition und der Regierungspartei gegen-
wohl kaum bestreiten, daß der vorgelegte Haushalt über der eigenen Regierung ist. Aber er weist auch
1954/55 in sich wesentlich stabiler ist als alle darauf hin, daß dadurch England seit 240 Jahren
Haushalte, die wir vorher seit 1949 vorgelegt be- von der Misere der kontinentalen Staaten befreit
kommen haben. Er zeigt sehr bemerkenswerte An- gewesen ist.
zeichen einer Konsolidierung. W o aber, meine (Abg. Seuffert: Aber in England stimmen
Damen und Herren, gäbe es heute in der gesamten die Regierungsparteien nicht gegen die
freien Welt noch Haushalte, die sich mit der Aus- Regierung! Das ist der Witz!)
geglichenheit der Haushalte der sogenannten klas- — Ja, einen Augenblick! Auch das tun sie nicht
sischen parlamentarischen Zeit vor dem ersten immer so ohne weiteres.
Weltkriege vergleichen könnten, bevor diese zwei (Abg. Seuffert: Sonst tritt die Regierung ab!)
grauenhaften Weltkriege, bevor die inte rnationale — Nein, nicht ohne weiteres.
Wirtschaftskrise von 1930, die Inflationen usw. das
Wirtschaftsbild und damit die Wirtschaftsstruktur Nun, meine Damen und Herren, keine Bestim-
der gesamten Welt grundsätzlich verändert haben?! mung hat, glaube ich, so sehr zur Wahrung des
Darf man allerdings aus dem Vorwurf der Oppo- Parlamentarismus schlechthin in der modernen Welt
sition, Herr Kollege Schoettle, dieser Haushalt sei beigetragen wie gerade diese Bestimmung. Dieses
nicht stabil genug, ihre feste Entschlossenheit und anziehende Beispiel können wir aber leider nicht
den guten Willen ableiten, bei mit Ausgaben ver- ohne weiteres befolgen, sei es auch nur in
bundenen Initiativanträgen im kommenden Haus- einer Geschäftsordnung, wie das hier versucht wor-
haltsjahr besonders vorsichtig zu sein den ist. Sie ist bekanntlich am Einspruch des Bun-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) desverfassungsgerichts gescheitert, das eine Be-
und dadurch die schon angezweifelte Stabilität schränkung des Initiativrechts des Bundestages
nicht noch mehr zu gefährden? für verfassungswidrig erklärte. Allerdings richtete
damals das Bundesverfassungsgericht an das Hohe
Ich komme damit auf eine grundsätzliche Frage Haus auch den Appell zur Selbstdisziplin, einen
von außerordentlicher Bedeutung zu sprechen, und Appell, den wir durchaus beherzigen sollten.
die geht die Koalition nicht weniger an als die Nach der auch im Grundgesetz verankerten zwei-
Opposition. Nicht nur Herr Kollege Schoettle, son- ten Auffassung über das Verhältnis von Regierung
dern auch Herr Kollege Dehler haben sich ja mit und Parlament wird eine scharfe Trennung von
der Grundsatzfrage des Initiativrechtes hier ausein- Exekutive und Legislative gefordert. Damit wird
andergesetzt. Lassen Sie mich dazu noch einige automatisch das ja auch vom Bundesverfassungs-
grundsätzliche Auffassungen vortragen. gericht anerkannte Initiativrecht der Koalition be-
Wir kennen zweierlei Auffassungen von diesem jaht, und zur Vermeidung von Haushaltsverschlech-
Problem des Verhaltens und der Wechselbeziehun- terungen stellt das Grundgesetz der Bundesregie-
gen von Koalition und Regierung zueinander und rung den hier schon öfter, auch von meinen Herren
darüber hinaus von Legislative und Exekutive Vorrednern angezogenen Art. 113 und dem Herrn
überhaupt. Die erste Auffassung stützt sich auf das Bundesfinanzminister ganz besonders den Art. 112
britische Vorbild. Auch viele Staatsrechtler in zur Verfügung. Es könnte auch daran gedacht
Deutschland sehen in der Regierung im Grunde ge- werden, einen Ausweg zu finden, Herr Kollege
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 363
(Dr. Vogel)
Schoettle, in einer Sonderstellung des Haushalts- weder abgetragen oder langfristig konsolidiert
ausschusses. Ich fürchte nur, das Hohe Haus wird werden.
uns nicht darin folgen, diesem Ausschuß ein Son- (Abg. Schoettle: Er hat es auch zu einem
derrecht zu bewilligen. Teil getan!)
(Abg. Schoettle: Ich möchte auch keines — Eben! Leider konnte er es nur zu einem
haben! Wir sollten genug haben von un kleinen Prozentsatz tun, vor allem im Haushalts-
seren Vorwegbewilligungen in den letzten plan 1952 zu 1953. —
vier Jahren, Herr Kollege!)
Das ist um so notwendiger, als wir uns in den
Meine Freunde und ich sind nun der Auffassung, kommenden Haushaltsjahren auf ungewöhnlich
daß bei künftig eintretenden Divergenzen — und hohe neue Belastungen mit Sicherheit einrichten
solche sind ja keineswegs ausgeschlossen — oder müssen. Nach einer vor mir liegenden Aufstellung
bei drohender Gefährdung des Haushalts der Bun- werden wir an Mehrausgaben im Bundeshaus-
desfinanzminister und die Bundesregierung sich haltsplan 1955 gegenüber dem Haushalt 1954/55,
— eben zur Vermeidung von Schwebezuständen, der uns hier vorliegt, mit folgenden Beträgen zu
wie wir sie in der Vergangenheit manchmal erlebt rechnen haben: Das Heimkehrergesetz allein wird
haben — der Art. 112 und 113 energischer bedienen rund 200 Millionen DM mehr beanspruchen, der
sollten, als das bis jetzt der Fall war, falls wir uns Schuldendienst 150 Millionen, das Kriegsschäden-
von der Regierungskoalition nicht dazu entschlie- schlußgesetz, das uns bereits in der Rede des
ßen sollten, notfalls Überweisungen von Ausgaben Herrn Bundesfinanzministers angekündigt wurde,
verursachenden Initiativanträgen ohne Deckungs- mehr als 200 Millionen, die Restitutionen etwa
nachweis an die Ausschüsse überhaupt zu verwei- 150 Millionen, Bundesgrenzschutz und Luftschutz
gern. Ich glaube allerdings, daß das britische Par- 50 Millionen, Sonstiges 100 Millionen.
lament in der Beziehung die glücklichere Praxis
aufgezeigt hat. Dabei verkenne ich keinesfalls, daß Hier ist der Fehlbetrag aus 1953 voraussichtlich
sehr vieles nur möglich ist angesichts der überaus rechnungsmäßig mit 1,3 Milliarden noch nicht drin.
starken Stellung einer in Deutschland unbekannten Es sind ferner nicht drin die mit Sicherheit auf uns
Institution, nämlich des britischen Chief Controller zukommenden Zuschüsse zur Bundesbahn viel-
als Hüters der Einnahmen- und Ausgabenwirt- leicht mit mindestens 150 Millionen, Straßenbau-
schaft des britischen Staatswesens überhaupt. mehrbelastungen mit mindestens 100 Millionen,
außerdem Vorratshaltung, Subventionen und
Lassen Sie mich nach dieser grundsätzlichen
- Be- Sozialausgaben, die mit Sicherheit auf uns zu-
trachtung zu der Frage nach der Ausgeglichenheit kommen.
des Haushalts zurückkehren. Sie wird wohl am
besten durch die dem Hohen Hause in der Druck- Wir müssen uns also, meine Damen und Herren,
sache 200 vorliegenden Stellungnahme des Bundes- so unangenehm das uns auch sein mag, auf eine
rates beim ersten Durchgang selbst beantwortet. Mehrbelastung im übernächsten Haushaltsjahr
Wenn die erfahrenen Leute der Herren Finanz- von mindestens 1 Milliarde zusätzlich gefaßt
minister der Länder im Bundesrat sogar dazu ge- machen. Der Bundesfinanzminister würde leicht-
langt sind, Abstriche in Höhe von mehr als 400 Mil- fertig handeln, wenn er jetzt nicht schon sein Auge
lionen DM an diesem Haushalt für verkraftbar zu auf diese auf uns zukommenden Lasten richten
halten, dürften die Besorgnisse der Opposition würde.
wesentlich gedämpft sein.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf
Der Bundesrat bejaht ja im Grunde genommen zwei Punkte eingehen, die nicht nur in der Diskus-
bereits auch die zweite von mir aufgeworfene sion bei der Verabschiedung vorangegangener
Frage nach dem Vorhandensein von Reserven in Haushalte im Haushaltsausschuß selbst, sondern
diesem Haushalt. Selbst wenn man in bezug auf auch draußen in der Publizistik und in der Presse
die Bereitstellungen für die Zinsleistungen des einen gewissen Raum eingenommen haben. Ich
Bundes einem vielleicht noch fröhlicheren Optimis- meine das Bundesvermögen und die Kassenlage
mus huldigen würde, als es der Herr Bundes- der öffentlichen Hand generell.
finanzminister tut, und auch bei den Zöllen, beim
Notopfer Berlin, bei der Tabaksteuer und bei der In den allgemeinen Vorbemerkungen zum Haus-
Mineralölsteuer vielleicht zu einer günstigeren haltsplan 1954/55 — eine ebenso nützliche und,
Schätzung als das Bundesfinanzministerium ge- wie das auch bereits von der Opposition anerkannt
langte — obwohl ich hier ausdrücklich anerkennen worden ist, sehr brauchbare Erneuerung früherer
möchte, daß die Schätzungen des Herrn Bundes- guter Handhabungen — hat das Bundesfinanz-
finanzministers sich in der Vergangenheit als er- ministerium in Ausführung der Bestimmungen des
staunlich exakt erwiesen haben —, ich sage, selbst Grundgesetzes zum ersten Mal eine Vermögensauf-
unter diesen Kautelen wäre immer noch unter stellung des Bundes veröffentlicht. Das ist eine
keinen Umständen folgendes zu übersehen — das überaus dankenswerte Leistung der zuständigen
gleiche gilt in ebenso starkem Maße für jene hier Abteilung des Bundesfinanzministeriums, die
auch schon angedeuteten Einsparungsmöglichkeiten meine Freunde durchaus zu würdigen wissen —
im Falle eines — Gott wolle es verhüten! — Nicht dies um so mehr, als erst zwei von den auf eine
inkrafttretens des EVG-Vertrags bis zum 1. Juli doppelt so lange Regierungstätigkeit zurückblik-
1954 —: Nach dem Haushaltsrecht ist der Bundes- kenden Ländern bis jetzt der gleichen Verpflich-
finanzminister gehalten, jede nur erdenkliche Ein- tung nach Aufdeckung ihrer Vermögensverhält-
sparung zunächst zur Tilgung der bis jetzt nisse nachgekommen sind. Um wieviel leichter
mitgeschleppten Haushaltsdefizite vergangener würden sich alle 'diejenigen tun, die sich mit öffent-
Jahre zu verwenden. Der Bundesfinanzminister lichen Finanzen zu befassen haben, wenn wir nicht
sollte nach unserer Auffassung unter allen Um- nur vom Bund und den Ländern, sondern auch von
ständen dafür Sorge tragen, daß die seit 1951 allen Gemeinden derartige Einblicke in ihre Ver-
immer wieder übernommenen Schulden in Höhe mögensverhältnisse bekämen!
von 1 Milliarde allein aus diesem Jahre 1951 ent- (Richtig! bei der SPD.)
364 2. Deutscher Bundestag -- 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Vogel)
Nun wäre über die Bewertung des ausgewiese- uns liegende Haushaltsplan ist aber in seinen sehr
nen Bundesvermögens natürlich einiges zu sagen. exakten Einnahmeschätzungen auf die Vermehrung
Ich bin überzeugt, Wirtschaftstreuhänder haben des Brutto-Sozialprodukts um mindestens 5 % ab-
hier ein sehr weites Feld vor sich. Der Herr Bun- gestimmt. Herr Kollege Schoettle, hier gestatten
desfinanzminister hat, wohl im Vorgriff auf die zu Sie mir schon, darauf hinzuweisen: es kann kein
erwartende öffentliche Kritik, die in der allgemei- Mensch und es kann kein Volk ohne Hoffnung
nen Vorbemerkung angesetzte Summe von 1,2 Mil- leben. Wir alle teilen in dieser Beziehung durch-
liarden allein für die Beteiligungen des Bundes in- aus den Optimismus des Herrn Bundesfinanz-
zwischen selber in seiner Rede hier bei der Ein- ministers, zumal er sich ja schließlich nicht auf
bringung seines Haushalts auf 2 Milliarden erhöht. reine Prophezeiungen, sondern auf sehr gute Ar-
Unser Herr Bundesfinanzminister ist ob seiner gumente und Berechnungen stützt. Meine Damen
lobenswerten Vorsicht bekannt. Wir werden also und Herren, die letzten fünf Jahre haben uns den
wohl bei der Einkalkulation selbst noch drohender kaum zu widerlegenden Beweis geliefert, daß un-
Belastungen dieses Vermögens mit einem vielleicht sere Auffassung und damit auch unser Optimis-
noch höheren Betrag allein bei den Beteiligungen mus fundiert und richtig waren. Hätten wir uns
rechnen dürfen. von Ihrem Pessimismus, meine Damen und Herren
Aber, meine Damen und Herren, das ist nicht der Opposition, leiten lassen, dann wären die bis
das Entscheidende. Unsere Kritik richtet sich gegen jetzt möglichen Steigerungen auch in den Sozial-
den, in unseren Augen höchst ungenügenden und ausgaben auf 19,2 Milliarden DM insgesamt über-
— ich möchte einmal beinahe sagen: verschwindend haupt nicht möglich gewesen.
kleinen Betrag von nur 9 Millionen an Erträgen (Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)
aus diesem Milliardenvermögen! So weit sollte das Dabei sind wir uns zutiefst der Verpflichtung
an sich verständliche Bestreben der vom Bund kon- bewußt, daß über diese bereits gesteigerten Renten
trollierten Unternehmen nach Eigenfinanzierung hinaus noch zusätzlich etwas getan werden muß.
nun nicht gerade gehen! Meine Freunde werden deshalb gemeinsam mit
Oft genug ist nun in der Öffentlichkeit die Ver- dem Herrn Bundesfinanzminister und dem
äußerung von Teilen des Bundesvermögens und so- Herrn Bundesarbeitsminister überlegen, wie
gar seine Heranziehung zur Deckung bestimmter diese von uns als notwendig erkannte Erhöhung
Ausgaben des Haushalts gefordert worden. Ganz vor allem der Altrenten in dem vorgelegten Haus-
abgesehen davon, daß zur Durchführung einer haltsplan verankert werden kann. Es wird unter
solchen Forderung eine Änderung des Haushalts-
- Umständen auch noch zu überlegen sein, ob nicht
gesetzes notwendig wäre, müßten zunächst ein- eventuell auch durch Umgruppierungen in den
mal auch zahlungskräftige Käufer gefunden wer- Beiträgen zu den Sozialversicherungen dieses Ziel
den. An Anwärtern, die billig zu Bundesvermö- zunächst einmal erreicht werden kann, bis die
genswerten kommen wollen, fehlt es uns sicher- auch von uns dringend erwartete Reform der
lich nicht. Wenn man sich aber in den maßgeben- Sozialversicherung eine endgültige Klärung bringt.
den Kreisen der Wirtschaft ernsthaft mit der- Hier allerdings möchte ich auch den besonderen
artigen Forderungen nach einer Reprivatisierung Wunsch meiner Freunde nach einer größeren Ak-
des Bundesvermögens befaßt, dann sollte man tivität des dem Herrn Bundesarbeitsminister zur
auch zuerst für ein wirklich fundiertes und für Verfügung stehenden Wissenschaftlichen Beirats
den Bund annehmbares Angebot Sorge tragen. mit einschließen.
Ich möchte allerdings dem Herrn Bundesfinanz- (Abg. Albers: Bravo!)
minister zu erwägen geben, ob man nicht in einem Für ein für die weitere Vermehrung des Sozial-
großzügigen Verfahren die vielen Tausende durch produkts unentbehrliches Stimulans halten wir die
die Autobahn und die Errichtung von Wehrmacht vom Bundesfinanzminister angekündigte zweite
anlagen in ihrem Eigentum geschädigten Grund- Steuerreform. Meine Damen und Herren, wir wol-
besitzer durch Rückgabe der nicht unbedingt ge- len hier nicht mit großen Tönen von „großer
brauchten Grundstücke befriedigen könnte. Zu Steuerreform", „organischer Steuerreform" spre-
meiner Freude habe ich feststellen können, daß chen, sondern wollen es schlicht die „zweite Steuer-
die für die Entschädigung der enteigneten Grund-
reform" nennen. Das Hohe Haus wird sich mit der
besitzer im Haushaltsplan bereitgestellten Mittel
entsprechenden Vorlage der Bundesregierung hof-
— wir hatten darüber beim letzten Haushalt hier fentlich sehr bald zu befassen haben.
eine Debatte — von 20 auf 40 Millionen DM er-
höht worden sind und damit hoffentlich bereits im Wir fordern von dieser Steuerreform ganz all-
nächsten Haushaltsplan dieses ein wenig leidige gemein drei Dinge. Sie sollte erstens so schnell
Kapitel der noch offengebliebenen Forderungen der wie möglich eingebracht werden und spätestens
Autobahnanlieger und der Anlieger von Wehr- am 1. Januar 1955 in Kraft sein, zweitens eine
machtterrain endgültig abgeschlossen wird. wirkliche Vereinfachung beinhalten, drittens die
Familie stärker, als das bisher der Fall war, för-
(Beifall bei der CDU/CSU.) dern und viertens einen möglichst großen Kreis
Ein besonders ernstes Anliegen ist meinen Freun- vor allem der Lohnempfänger, des Mittelstandes
den und mir die dritte von mir aufgeworfene und der Bauernschaft vom Finanzamt freisetzen.
Frage, ob der vor uns liegende Haushaltsplan noch In der Überzeugung von der Unabdingbarkeit
zusätzlich soziale Belastungen verträgt. Wir sind einer zweiten Steuerreform scheinen wir uns in
der Auffassung, daß die beste Wirtschaftspolitik weitgehender Übereinstimmung auch mit den Ver-
zugleich die beste Sozialpolitik ist. Nur aus einer öffentlichungen der Gewerkschaften zu befinden.
gedeihenden und blühenden Wirtschaft heraus Die in den „Mitteilungen des Wirtschaftswissen-
können die von uns gewünschten — durchaus ge- schaftlichen Instituts der Gewerkschaften" von
wünschten! — höheren Leistungen auch für die Wolkersdorf bereits im Mai 1953 veröffentlichten
Sozialpolitik und vor allen Dingen für die An- Untersuchungen über die bedauerlichen Auswir-
spruchsberechtigten entnommen werden. Der vor kungen einer überdrehten Steuerschraube sind
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 365
(Dr. Vogel)
auch heute noch ungemein zeitnah. Dabei wollen gung der BdL, eine solche Erhebung mit dem
wir keineswegs übersehen, wie sehr der Wegfall Stichtag zum 31. Oktober 1953 durchzuführen, den
der Steuerbegünstigungen auch die freiwilligen Abzug von rund einer halben Milliarde DM öffent-
Sozialleistungen der Wirtschaft unter Umständen licher Gelder sofort bewirkt hat. Vermutlich wur-
in Mitleidenschaft ziehen kann, wenn in Zukunft den sie in Wertpapieren angelegt, die nachher wie-
jede Ausgabe weit sorgsamer kalkuliert wird,, als der in die alten Konten zurückkehrten. Auch der
das bis jetzt der Fall war. Bundesfinanzminister hat nach dem Versuch einer
Es scheint mir ganz nützlich zu sein, auch ein- Deutung des Zustandekommens dieser außer-
mal auf die Untersuchungen der Handelskammer ordentlich hohen Einlagen im Bulletin vom
Hamburg etwas näher einzugehen. Gegenüber den 4. Dezember 1953 bereits bekannt: „Damit soll nun
vor dem Kriege aufgebrachten freiwilligen Sozial- nicht etwa gesagt sein, daß die hohen Kassenbe-
leistungen von durchschnittlich 8 % der gezahlten stände etwas Erstrebenswertes wären." Wir haben
Löhne und Gehälter errechnet die Handelskammer dieser Feststellung von unserer Seite aus nichts
Hamburg in einer vor zwei Tagen veröffentlich- mehr hinzuzufügen. Das ist ein Problem, das nicht
ten Aufstellung eine Steigerung von 8 auf 13 % nur den Bundeshaushalt allein betrifft, sondern die
im Bundesdurchschnitt. Die Zahl schwankt zwi- Gesamtheit der Haushalte von Ländern, Gemein-
schen 11,5 % in Baden-Württemberg und 17,3N den und öffentlichen Körperschaften.
in Hamburg. Damit ist für uns aber auch die Frage gestellt,
ob das von uns und von meinem werten Vorredner,
Oft genug ist der Bundesfinanzminister übri- Herrn Dr. Krone, hier in den Mittelpunkt seiner
gens auch von sehr seriösen Organen angeregt Erörterungen gestellte Subsidiaritätsprinzip in der
worden, angesichts der außerordentlichen Liqui- Bundesrepublik richtig durchgeführt wurde, d. h.
dität der öffentlichen Hand vielleicht sogar an ob die öffentliche Hand aus den Verantwortungs-
eine Kampferspritze an die Wirtschaft in Gestalt bereichen der kleinsten Gebilde der Gesellschaft
einer Steuerstundung zu denken. Wir glauben, man nicht zu viel an sich gerissen hat. Wenn wir diese
sollte sich derartige Gewaltrezepte für andere Zei- Frage stellen, müssen wir zu gleicher Zeit ehr-
ten vorbehalten. licherweise auch eine zweite aufwerfen. Das Prin-
Die Bank deutscher Länder hat uns eine Son- zip der sozialen Marktwirtschaft und der Freiheit
dererhebung über die Kassenlage der öffentlichen überhaupt in demokratischen Staatsgebilden for-
Hand angekündigt. Allein schon in dieser Ankün- dert eine hinreichend große Zahl und Schicht von
digung liegt eine gewisse Kritik. Immerhin ergab Menschen, die zur Vorsorge für ihre Familie und
die repräsentative Erhebung der BdL vom 23. No- zur Vorsorge für ihren Betrieb und ihr Eigentum
vember 1953 einen Einlagenbestand aller öffentlich- entschlossen sind. Auf diese Entschlossenheit und
rechtlichen Körperschaften — allein bei dem hier auf diese Vorsorge, damit auch zugleich auf
kontrollierten Bankensystem von 480 Banken — diese Eigeninitiative müssen wir zählen können,
von 900,2 Millionen DM. Das bedeutet gegenüber wenn unser Eintreten für diese Grundsätze auch
dem gleichen Zeitpunkt 1952 mit nur 6,7 Milliarden legimitiert sein soll.
DM eine um so höhere Steigerung, als sich inzwi- In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum
schen die kleine Steuerreform bereits ausgewirkt Wohnungsbau. Wir hoffen sehr, daß die erfreuliche
hatte und auch die Senkung der Verbrauchsteuern Steigerung des Absatzes von Pfandbriefen auch für
sich auszuwirken begann. Von diesen Einlagen die für uns sehr schwer tragbare Abschaffung des
entfielen am 15. November 1953 4,7 Milliarden auf § 7 c einen gewissen Ausgleich bringen wird. Sollte
die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und nur das nicht ausreichen, wird man gründlich und
5,4 Milliarden DM — also 4,7 zu 5,4 — auf die schnell überlegen müssen, ob nicht über die stei-
Spareinlagen der Wirtschaft. Es ist mir übrigens genden Rückflüsse aus den Zuschüssen zum Woh-
beim besten Willen nicht gelungen, zu entdecken, nungsbau in den vergangenen Haushaltsjahren
wo eigentlich die sagenhaften 5 Milliarden DM ge- hinaus noch zusätzliche Mittel mobilisiert werden
blieben sein sollen, die in manchen Zeitungen über können.
diese Bestände von 9 Milliarden DM hinaus auf- Aus dieser grundsätzlichen Einstellung heraus
getaucht sind. Ich glaube, hier liegt wohl ein haben wir noch einen dritten Wunsch zur kommen-
Rechenfehler vor. den Steuerreform herausgestellt: die besondere
Der Herr Bundesfinanzminister kann mit gutem Förderung der Familie. Hier möchte ich der Oppo-
Recht auf die 2,4 Milliarden DM noch nicht abge- sition ein zweites zu bedenken geben. Ich finde es
rufener Besatzungskosten verweisen, die in diesen eigentlich nicht ganz veständlich, warum man auch
9 Milliarden enthalten sind. Zieht man diesen Rie- in manchen Kreisen der Opposition für die Grün-
senbetrag von dem Einlagenbestand der Bundes- dung eines Familienministeriums nicht das not-
regierung ab, dann verbleiben zwar noch immer wendige Verständnisaufgebracht hat. Das geht uns
einige 100 Millionen; aber übersehen wir doch alle an. Schon jetzt müssen in der Bundesrepublik
nicht, in welcher Relation diese Einlagen — sozu- im Durchschnitt vier Erwerbstätige den Unterhalt
sagen als das Betriebskapital der Bundesregierung von drei Unterhaltsberechtigten mitverdienen. Sie
— zu dem Gesamtumfang des Haushalts von alle kennen den unglücklichen Aufbau der Alters-
27 Milliarden DM stehen. Auch die Höhe des Bun- pyramide unseres Volkes. Die bisherigen Berech-
desvermögens muß nun einmal an der Gesamt- nungen lassen jetzt schon erkennen, daß im Jahre
summe des Bundeshaushalts gemessen werden, 1961 11,5 % mehr Menschen aus dem Erwerbsleben
wenn man eine richtige Einschätzung vornehmen ausscheiden als im Jahre 1951, während nur ein
will. Zugang von 2,3 % erfolgt. Dieser Zustand wird sich
Man ist sich deshalb in der Bank deutscher Län- fortgesetzt verschlechtern. In absehbarer Zeit wer-
der durchaus dessen bewußt, wie lückenhaft ihre den vier Erwerbstätige vier Unterhaltsberechtigte,
Statistik der öffentlichen Kassenlage ist. Deshalb vielleicht sogar fünf unterhalten müssen. Die Sorge
auch die Ankündigung der Sondererhebung. Dem um den Schutz der Familie und den Nachwuchs
aufmerksamen Beobachter konnte allerdings kei- ist deshalb ein elementares Anliegen nicht nur der
neswegs entgehen, daß allein schon die Ankündi- Koalition, sondern der ganzen Nation, wenn sie
366 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Vogel)
eine echte Vorsorge für ein würdiges und sorgen- um die besten Kräfte der Verwaltung haben häufig
freies Alter der heute Schaffenden treffen will. genug die in ihren Bewegungen finanziell freieren
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch großen Städte und Kreise das Rennen gemacht.
eine Reihe von Sonderproblemen ansprechen, In dem Zusammenhang auch noch ein kurzes
denen wir in dem Riesenbereich des Haushalts Wort zur Beamtenbesoldung. Die angekündigte
1954/55 begegnen. In dem Bereich des Haushalts Beamtenbesoldungsreform wird sich in dem
des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft kommenden Haushaltsplan noch nicht auswir-
und Forsten sind begreifliche und verständliche ken können. Die Prüfungen und Überlegungen,
Wünsche meiner Freunde aus der Landwirtschaft unter anderem auch über eine Neubewertung der
nicht berücksichtigt worden. Auch der Bundes- Stellen, sind aber in vollem Gange.
finanzminister hat die mangelnde Parität von Er-
lösen und Anschaffungskosten zwischen Industrie Noch eine Bemerkung zur Bundesverwaltung
und Landwirtschaft anerkannt. Immerhin stellen schlechthin. Wenn sich gerade die für die Gesetzes
wir mit Befriedigung den ersten Posten für Zins- arbeit dringend notwendigen und seltenen Fach-
verbilligungen in diesem Haushalt fest, der durch kräfte gewinnen lassen sollen, muß die Leistung auch
ein sehr vereinfachtes Verfahren der Landwirtschaft eine entsprechende Bewertung erfahren. Die bis-
ein dringend gebrauchtes neues Kreditvolumen von lang nicht nur auf dem Beamtensektor zu beobach-
über einer halben Milliarde D-Mark erschließen tende Tendenz zur Nivellierung der Einkommen
könnte. Allerdings, Herr Bundesfinanzminister, entspricht nicht unserer Auffassung.
will uns eines hier nicht behagen, nämlich daß (Bravo! rechts.)
Sie diese Zinsverbilligung, die unbedingt notwen- Wir verfolgen sie nicht nur in der systematischen
dig ist, mit dem Eingang von mindestens 120 Mil- Verringerung des Einkommenabstandes zwischen
lionen an Abschöpfungsbeträgen gekoppelt haben. dem höheren und dem mittleren Dienst, sondern
Dieser Punkt wird noch einmal zu überlegen sein. ebenso sehr zwischen ungelernten und Facharbei-
Wenn dagegen heute schon bei der Frage der tern, zwischen Facharbeitern und Werkmeistern
Subventionen, die auch die Opposition aufgerollt und nicht zuletzt auch zwischen den höchsten Stu-
hat, Einwendungen erhoben werden, so bitte ich fen der Unterhaltsberechtigten einerseits und den
doch zu überlegen, daß wir in den vergangenen allzu niedrigen Landarbeiterlöhnen andererseits.
Haushalten über 2 Milliarden an Verbilligungen Heute umfaßt das Besoldungsgesamtvolumen der
und Subventionen stehen hatten. Wir können öffentlichen Hand 13,2 Milliarden jährlich. Sie wer-
uns auch hier der Forderung der Opposition, die den aus dieser Ziffer unschwer entnehmen, welche
Mittel in diesem Haushalt zu kürzen, nicht
- an- haushaltsmäßigen Rückwirkungen auch nur sehr
schließen. Es wäre uns im Gegenteil sehr viel er- geringfügige prozentuale Erhöhungen für alle
wünschter, wenn vielleicht auch diese Mittel, auf Haushalte, auch der Gemeinden und der Länder,
die Sie anspielten, Herr Kollege Schoettle, etwa bewirken müssen.
für die Trinkmilchversorgung, noch einen etwas Gerade in Deutschland war übrigens die Stellung
breiteren Spielraum hätten, als das jetzt der Fall der Verwaltung — lassen Sie mich auch das sagen
ist. Wir sind mit dem bekannten Programm des — infolge einer langen und stolzen Tradition ge-
Herrn Ministers Lübke einverstanden, daß nicht nur wissenhafter Arbeit im Dienst des Staates bedeuten-
die wesentliche Beschleunigung der Flurbereini- der als in anderen westlichen Ländern. Nun hat
gung, sondern auch die Verstärkung der Rinder- das Grundgesetz mittelbar dazu beigetragen, diese
gesundheitsdienste eine unabdingbare Vorbedin- Rolle noch zu verstärken. Durch das Grundgesetz
gung für den Einbau der deutschen Landwirtschaft wurde der Bundeskanzler fast unabsetzbar und die
in eine europäische Gemeinschaft darstellen. Stellung der Bundesminister gleichfalls wesentlich
Weiter haben wir mit Befriedigung zur Kenntnis gefestigter. In dem gleichem Maße aber — darauf
genommen, daß entscheidende Maßnahmen zur Be- hat auch eine Reihe meiner Herren Vorredner be-
reinigung des Verhältnisses zwischen Schiene und reits abgestellt —, in dem sich dies vollzieht, wird
Straße bevorstehen. Mit der Beseitigung der eben- auch die Position der Verwaltung gegenüber dem
so überflüssigen wie kostspieligen Konkurrenz Parlament gestärkt. Je unabsetzbarer praktisch ein
zwischen Bundesbahn und Bundespost auf dem Bundesminister wird, desto machtvoller gestaltet
Gebiet der Paketbeförderung ist endlich ein Schritt sich zwangsläufig die Stellung der leitenden Be-
vorwärts getan worden. Wir haben angesichts des amten, für die der Minister vor dem Parlament
Defizits bei Bundesbahn und Bundespost kein die politische Verantwortung trägt. Auch Herr Kol-
Verständnis für die Fortdauer des gleichen Kon- lege Dr. Dehler hat dazu sehr Bemerkenswertes
kurrenzkampfes im Omnibusverkehr und erwarten gesagt. Ich möchte wünschen und hoffen, daß sich
darüber hinaus eine baldige und sichtbare Reform die Herren Bundesminister als Chefs ihrer Ämter
bei der Bundesbahn und der Bundespost zur dieser zwangsläufigen Folgeerscheinung des Grund-
Herabdrückung ihrer Unkosten. gesetzes gegenüber dem Parlament stets bewußt
Mit großem Interesse haben wir im Bulletin vom bleiben.
12. Januar 1954 aus der Feder des Haushaltsexper- Wir begrüßen dabei z. B. durchaus die Verringe-
ten Dr. Vialon eine Gegenüberstellung des Per- rung der Bundesstelle für Warenverkehr, eine der
sanalbestandes des höheren Dienstes von 1932 und wenigen Stellenverringerungen, die wir im ganzen
desjenigen von 1954 gelesen. Er sagt dazu wörtlich Bundeshaushaltsplan festzustellen haben neben
in einer Betrachtung: sehr erheblichen Erweiterungen im Haushalt des
Die oft diskutierte Frage, ob die Verwaltung Auswärtigen Amts, bei der Dienststelle Blank usw.
an Stelle der viele Jahre unzulänglichen Besol Die Absicht, damit zugleich, wie das Bundeswirt-
dung öffentlicher Dienste in höhere und zah schaftsministerium das angekündigt hat, Aufgaben
lenmäßig mehr Planstellen ausgewichen ist, des Bundeswirtschaftsministeriums den nachge-
wird aus den dargebotenen Unterlagen mit ordneten Bundesbehörden zu übergeben, wird
einiger Sicherheit beantwortet werden können. durchaus von uns begrüßt. Die Regierung soll re-
Ich glaube, man darf diese Bemerkungen auch auf gieren und nicht verwalten.
Länder und Gemeinden ausdehnen. Im Wettlauf (Beifall in der Mitte.)
2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954 367
(Dr. Vogel)
Lassen Sie mich zu einem ganz anderen Gegen- Hier wird noch in der Beratung des Haushalts des
stand, den auch der Herr Bundesfinanzminister Bundesinnenministeriums, die jetzt bevorsteht, ein
in seiner Rede in der vollen Bedeutung für die von uns schon lange gehegter Wunsch nach einer
kommenden Jahre herausgestellt hat, übergehen. Zusammenfassung der Beträge und einer Vermei-
Ich meine die Belastungen aus dem Londoner Schul- dung von Doppelarbeit bei Forschungsinstituten
denabkommen und den sonstigen Verpflichtungen näher geprüft werden müssen. Auch wir sind der
des Bundes. Wir werden in den nächsten Jahren Überzeugung, daß man das, was man durch Strei-
mit wachsenden Zinsendiensten zu rechnen haben. chungen irgendwie zusammenkratzen könnte, viel-
Der Investitionsbedarf der deutschen Wirtschaft ist leicht hier noch einfügen sollte.
außerordentlich hoch. Er wird allein für die wesent-
lichsten Zweige unserer Wirtschaft zur Zeit auf Wenn wir alle diese Faktoren des vor uns liegen-
über 11 Milliarden DM geschätzt; darüber hinaus den Haushaltsplans zusammenfassen und die ein-
fordert die Landwirtschaft für ihr absolut notwen- geplante Steuerreform hinzunehmen, dann möchten
diges Programm noch weitere Milliardenbeträge wir doch im großen und ganzen von diesem Haus-
an. Angesichts der von der Bundesrepublik über- halt als einem Haushalt sprechen, der den Zielen
nommenen sehr hohen Zinslasten hatten wir der von uns verfolgten Wirtschaftspolitik durchaus
eigentlich auf das Hereinströmen von ausländi- angepaßt ist. Was man auch immer an manchmal
schem Kapital gehofft, da wir den enormen Inve- nur zu berechtigten Klagen gegenüber der Finanz-
stitionsbedarf infolge Mangels eigener Kapitalan- wirtschaft der öffentlichen Hand vorgebracht hat,
sammlung nur in einem allzu langsamen Tempo sollte uns doch letzten Endes nicht den Erfolg die-
befriedigen könnten. Wir verkennen dabei keines- ser Haushaltspolitik in den letzten Jahren aus den
wegs die wesentlichen Verbilligungen und Entla- Augen verlieren lassen.
stungen, die der Finanzierung unseres Im- und (Sehr richtig! in der Mitte.)
Exports als Folge der Anerkennung unserer alten
Schuldverpflichtungen und des wachsenden Ver- Im Mittelpunkt dieser Haushaltspolitik stand der
trauens zu unserer D-Mark entstanden sind. Was immer noch gelungene Ausgleich von Ausgaben
allerdings bis jetzt an Kapitalangeboten sichtbar und Einnahmen und die erstaunlich starke F esti-
geworden ist, bedeutet eine Enttäuschung für uns. gung der D-Mark in den letzten fünf Jahren. Nicht
Ich denke z. B. an die sich mühselig hinschleppen- ohne Stolz haben wir gerade vor einiger Zeit zum
den Verhandlugen über die angebotene allzu be- erstenmal den Vorgang beobachten können, daß
scheidene 20-Millionen-Dollar-Anleihe der Welt- diese D - Mark in der Schweizer Notierung über den
bank. Wir bitten das Ausland, zu begreifen, daß Schweizer Franken zu stehen kam. Ich bitte auch
-
nach den Vorleistungen im Londoner Schuldenab- alle, die durch die Schnelligkeit unseres wirtschaft-
kommen und nach dem heutigen Stand der D-Mark lichen Aufstiegs die notwendige Distanz zu den
Anleihebedingungen, die unsere Zahlungsfähigkeit bitteren Jahren von 1945 bis 1948 allzuschnell er-
in Zweifel ziehen könnten, schwer annehmbar er- reicht haben, niemals die Augen vor der Existenz
scheinen. von nicht weniger als 11,4 Millionen Unterhalts-
Noch ein Wort zu den sogenannten Haushalts- und Versorgungsberechtigten in unserer Mitte zu
resten, jenen Beträgen, die durch Haushalte frü- verschließen. Sie müssen sich zwangsläufig bei
herer Jahre bewilligt, aber bis zum Schluß des jedem Versuch zu einer Konsumausweitung — so
Rechnungsjahres nicht eingenommen oder ausge- sehr wir das mit unserer Politik der sozialen
geben worden sind. In dem vorhin bereits zitier- Marktwirtschaft auch anstreben möchten — leider
ten überaus lesenswerten Kommentar über die ähnlich hemmend auswirken, wie sich auch früher
Feinheiten des Haushalts von Ministerialrat Dr. einmal das Millionenheer der Arbeitslosen in den
Vialon heißt es, daß „diese Reste das stille Ge- bitteren Jahren von 1930 bis 1933 ausgewirkt hat.
heimnis der Haushaltswirtschaft" seien. Wer in der Aber wer sich diese Zahl der 11,4 Millionen wirk-
Tat die Höhe dieser Ausgabenreste und ihr Wachs lich Ärmsten der Armen als der Folge der furcht-
tum von 223 Millionen DM im Jahre 1950 auf barsten Katastrophe unserer Geschichte vor Augen
509 Millionen DM im Jahre 1951 und auf 681 Milli- hält, dem erwächst aber auch die eminent christ-
onen DM im Jahre 1952 verfolgt, könnte hier mehr liche Verpflichtung zum Maßhalten gegenüber nicht
vermuten, als offenbar da ist. Ich habe mir zur nur politischen, sondern auch wirtschaftlichen
Kontrolle dieser Dinge vom Bundesfinanzministe- Extremen.
rium eine Gegenüberstellung der Ausgabenreste
der früheren Haushalte vor 1933 geben lassen. Da- (Beifall bei den Regierungsparteien. —
bei habe ich zu meinem Trost festgestellt, daß Abg. Albers: Und persönlicher Lebenshaltung!)
z. B. der hohe Ausgabenrest von 681 Millionen DM — Ich stimme Ihnen durchaus zu, Herr Kollege
im Jahre 1952 nur 3 % der Ist-Ausgaben von Albers. Ich glaube, daß dieser Haushalt ein sicht-
rund 20,6 Milliarden DM ausmachte gegenüber barer Ausdruck unserer Entschlossenheit zu eben
704 Millionen RM, d. h. damals 8,2 %, im Jahre diesem Maßhalten ist. Götz Brief s, der be-
1926. Mit der Normalisierung der Haushalte nach kannte Sozialrechtler, hat im Jahre 1950 in einem
der Inflation haben sich diese Reste damals übri- Vortrag die Frage aufgeworfen, wo denn die In-
gens bis zum Jahre 1930 auf 2,2 % vermindert. stanz läge, die Autorität genug besäße, um zwi-
Meine Damen und Herren, es gäbe hier noch schen den großen „Condottieri" unserer Zeit aus-
eine Unmenge von Wünschen vorzutragen. Aber zugleichen. Er hob dabei auf die amerikanischen
ich sehe immer mit Besorgnis auf den Zeiger der Verhältnisse ab. Bei unseren wesentlich friedliche-
Uhr vor mir, und ich möchte diejenigen, die so ren Verhältnissen wird man ja diesen Ausdruck
brav ausgeharrt und ihr Mittagessen zurückge- nicht ganz für angebracht halten. Er fragte, wo
stellt haben, um mir zu folgen, nicht einer unnützen denn zwischen diesen beiden großen Polen — las-
Belastungsprobe aussetzen. Lassen Sie mich des- sen Sie mich einmal so sagen — der Ausgleich zu
wegen nur sehr kurz auf einzelne noch übrig- finden sei. Er zitierte dabei sein letztes Gespräch
gebliebene Wünsche eingehen. Es wäre eine Menge mit Professor Schump et er, den wir ja keines-
auch zu dem Haushalt für Forschung zu sagen. falls zu unseren Sozialtheoretikern rechnen, son-
368 2. Deutscher Bundestag — 12. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1954
(Dr. Vogel)
dern der Ihnen, meine Damen und Herren von der Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und
Opposition, nahesteht. Herr Schumpeter hat ihm Herren, ich unterstelle das Einverständnis des Hau-
kurz vor seinem Tod — so erzählte er uns damals ses, wenn ich jetzt die Beratung zu Punkt 2 der
— bekannt, er sehe die Möglichkeit eines solchen heutigen Tagesordnung unterbreche und sie auf
Ausgleichs nur in einer außerordentlichen, nämlich morgen als ersten Punkt vertage. — Das Haus
in einer moralischen Instanz: in der christlichen ist damit einverstanden.
Lehre. Meine Damen und Herren, von dieser Auto- Ich gebe noch folgendes bekannt: Sitzung des
rität allein empfangen wir die Verpflichtung zu Petitionsausschusses statt um 15 Uhr um 16 Uhr,
jenem Maßhalten zwischen den Forderungen der Sitzung des Ausschusses für Jugendfragen statt um
großen politischen und wirtschaftlichen Machtge- 15 Uhr um 16 Uhr in Zimmer P 120. Der Verkehrs-
bilde unserer Tage. Lassen Sie uns auch in der Zu- ausschuß tagt eine Stunde nach Schluß des Ple-
kunft bei der Beurteilung und Einschätzung der nums im Zimmer 210, Südflügel, zweiter Stock.
Forderungen, von welcher Seite sie auch an uns Meine Damen und Herren, damit sind wir am
herangetragen werden mögen, gemeinsam an die- Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste,
sem christlichen Maß festhalten. Wir werden so am die 13. Sitzung des Deutschen Bundestages, auf
sichersten und besten, glaube ich, alle miteinander Freitag, den 5. Februar 1954, 9 Uhr 30, und schließe
der Wohlfahrt unseres Volkes dienen. hiermit die 12. Sitzung.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Schluß der Sitzung: 13 Uhr 7 Minuten.)

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