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2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20.

Mai 1954 1313

Ersten Beratung des Entwurfs eines Geset-


zes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer
Berlin" (NOG 1955) (Drucksache 482), mit
der

Ersten Beratung des Entwurfs eines Vierten


Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuer-
gesetzes (Drucksache 483), mit der

Ersten Beratung des Entwurfs eines Ge-


setzes über eine Ergänzungsabgabe zur
Einkommensteuer und zur Körperschaft-
steuer (Drucksache 484) sowie mit der

29. Sitzung Beratung des Antrags der Fraktion der FDP


betr. Inkrafttreten der Steueränderungs -
gesetze (Drucksache 280) 1314 C
Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954.

Schäffer, Bundesminister der


Finanzen 1315 A
Geschäftliche Mitteilungen . . . 1314 A, 1372 C
Dr. Dresbach (CDU/CSU) 1323 A

Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Dr. Gülich (SPD) 1328 B


Dr. Brönner, Schäffer, Frau Niggemeyer,
Mühlenberg 1314 B Neuburger (CDU/CSU) 1334 A
Seuffert (SPD) 1341 B
Beschlußfassung des Deutschen Bundesrats
Dr. Eckhardt (GB/BHE) 1352 B
zu Gesetzesbeschlüssen des Deutschen
Bundestags 1314 B Dr. Wellhausen (FDP) 1358 C

Mitteilung über Vorlage Höcherl (CDU/CSU) 1366 A

des Entwurfs einer Verordnung über Eickhoff (DP) 1368 C


Preise für Zuckerrüben der Ernte 1953, Tenhagen (SPD) 1370 D
des Entwurfs einer Zweiten Verordnung
zur Verlängerung der Verordnung über Überweisung der Vorlagen an den Aus-
die Beimischung inländischen Rüböls schuß für Finanz- und Steuerfragen, an
und Feintalges, den Ausschuß für Kommunalpolitik und
an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik,
der Übersicht über die über- und außer- der Vorlagen Drucksachen 481, 482, 483
planmäßigen Haushaltsausgaben für und 484 außerdem an den Ausschuß für
das 3. Vierteljahr des Rechnungsjahres Wirtschaftspolitik und des Gesetzent-
1953 (Drucksache 525) 1314 C wurfs Drucksache 482 außerdem an den
Ausschuß für Gesamtdeutsche und
Berliner Fragen 1371 D
Mitteilung über Beantwortung der Kleinen
Anfrage 53 betr. Verheizen von Zigarillos
(Drucksachen 454, 521) 1314 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über Preise für Getreide inländischer Er-
zeugung für das Getreidewirtschaftsjahr
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes 1954/55 sowie über besondere Maßnahmen
zur Änderung und Ergänzung der Finanz- in der Getreide- und Futtermittelwirt -
verfassung (Finanzverfassungsgesetz), des schaft (Getreidepreisgesetz 1954 / 55)
Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung (Drucksache 524) 1372 C
der Finanzbeziehungen zwischen Bund
und Ländern an die Finanzverfassung
(Finanzanpassungsgesetz) und des Ent- Überweisung an den Ausschuß für Er-
wurfs eines Gesetzes über den Finanz- nährung, Landwirtschaft und Forsten 1372 C
ausgleich unter den Ländern (Länder-
finanzausgleichsgesetz) (Drucksache 480)
in Verbindung mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
schusses für Angelegenheiten der inneren
Verwaltung über den Antrag der Frak-
Ersten Beratung des Entwurfs eines Geset- tion der SPD betr. Vereinfachung der
zes zur Neuordnung von Steuern (Druck- Grenzformalitäten für Reisende (Druck-
sache 481), mit der sachen 499, 198) 1372 C
1314 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954

Rücküberweisung an den Ausschuß für 21. November 1947 und über die Gewährung von Vor-
rechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche
Angelegenheiten der inneren Verwal- Organisationen;
tung und Überweisung an den Ausschuß Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik
für auswärtige Angelegenheiten . 1372 C Deutschland und Japan vom 8. Mai 1953 über den Schutz
durch den zweiten Weltkrieg beeinträchtigter Rechte auf
dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes;
Nächste Sitzung 1372 D Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den Vereinigten Staaten von Brasilien
vom 4. September 1953 über die Wiederherstellung der
Berichtigungen zu den Stenographischen durch den zweiten Weltkrieg betroffenen gewerblichen
Schutzrechte und Urheberrechte.
Berichten der 25. und der 28. Sitzung . 1372 Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem
14. Mai 1954 gemäß § 6 Abs. 5 des Gesetzes zur Ergänzung
und Abänderung des Gesetzes über den Verkehr mit Zucker
vom 3. Oktober 1951 (Bundesgesetzblatt I Seite 852) den Ent-
wurf einer Verordnung Z Nr. 3/53 über Preise für Zuckerrüben
der Ernte 1953 nebst Begründung und Gutachten der Inter-
Die Sitzung wird um 9 Uhr 7 Minuten durch den ministeriellen Kommission zur Kenntnisnahme übersandt. Der
Verordnungsentwurf liegt im Archiv zur Einsichtnahme auf.
Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet. Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 5. Mai 1954 gemäß
§ 19 Abs. 2 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und 10. Dezember 1952 (Bundesgesetzblatt I Seite 811) den Ent-
wurf einer Zweiten Verordnung zur Verlängerung der Ver-
Herren! Ich eröffne die 29. Sitzung des Deutschen ordnung über die Beimischung inländischen Rüböls und Fein-
Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung talges nebst Begründung zur Kenntnisnahme übersandt. Der
Verordnungsentwurf liegt im Archiv zur Einsichtnahme auf.
bitte ich den Herrn Schriftführer, die Namen der Der Herr Bundesminister der Finanzen hat gemäß § 33
entschuldigten Abgeordneten zu verlesen. Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung die Ubersicht über die
über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben für das
3. Vierteljahr des Rechnungsjahres 1953 zur Kenntnisnahme
Karpf, Schriftführer: Es suchen für längere Zeit übersandt. Die Ubersicht wird als Drucksache 525 verteilt.
um Urlaub nach die Abgeordneten Dr. Pferd- Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem
menges für drei Wochen wegen Krankheit, Sassnick 5. Mai 1954 die Kleine Anfrage 53 der Fraktion der FDP
betreffend Verheizen von Zigarillos — Drucksache 454 — beant-
für drei Wochen wegen dienstlicher Inanspruch- wortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 521 vervielfältigt.
nahme, Gedat für zwei Wochen wegen dienstlicher
Inanspruchnahme, Gengler für zwei Wochen wegen Ich rufe die Punkte 1 bis 6 der Tagesordnung
dienstlicher Inanspruchnahme, Dr. Klötzer für auf:
zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, 1. Erste Beratung des
Siebel für zwei Wochen wegen Krankheit, Wagner
(Deggenau) für zwei Wochen wegen Krankheit, a) Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
Neumann für zwei Wochen wegen Krankheit. und Ergänzung der Finanzverfassung
Der Herr Präsident hat Urlaub erteilt für zwei (Finanzverfassungsgesetz),
Tage den Abgeordneten Frehsee, Dr. Bartram, b) Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung
Wehking, Dr. Orth, Dr. Gleissner (München), der Finanzbeziehungen zwischen Bund
Wirths, D. Dr. Ehlers, Schoettle, Dr. Arndt, Danne- und Ländern an die Finanzverfassung
mann und Dr. Götz. (Finanzanpassungsgesetz),
Für die heutige Sitzung hat der Präsident c) Entwurf eines Gesetzes über den Finanz-
Urlaub erteilt den Abgeordneten Stümer, Dr. ausgleich unter den Ländern (Länder-
Keller, Müller-Hermann, Voß, Frau Rudoll, Dr. finanzausgleichsgesetz) (Drucksache 480);
Schild (Düsseldorf), Regling.
Außerdem sind entschuldigt für je zwei Wochen 2. Erste Beratung des Entwurfs eines Ge-
die deutschen Delegierten an der Vollsitzung der setzes zur Neuordnung von Steuern (Druck-
Beratenden Versammlung des Europarates und für sache 481);
je zwei Tage die deutschen Delegierten an der 3. Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Vollsitzung der Gemeinsamen Versammlung der zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Ber-
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. lin" (NOG 1955) (Drucksache 482);
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem Herrn 4. Erste Beratung des Entwurfs eines Vierten
Schriftführer. Wir haben weiter einigen Kollegen Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuer-
nachträglich zu ihren Geburtstagen Glück zu gesetzes (Drucksache 483);
wünschen, zunächst dem Abgeordneten Dr. 5. Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
Brönner, der am 12. Mai 70 Jahre alt geworden ist, über eine Ergänzungsabgabe zur Einkom-
(Beifall) mensteuer und zur Körperschaftsteuer
dem Herrn Bundesminister Schäffer, der am (Drucksache 484);
selben Tage 66 Jahre alt geworden ist, 6. Beratung des Antrags der Fraktion der FDP
(Heiterkeit und Beifall) betreffend Inkrafttreten der Steuerände-
der Abgeordneten Frau Niggemeyer, deren Ge- rungsgesetze (Drucksache 280).
burtstag am 18. Mai gewesen ist,
Zur Tagesordnung hat Ihnen der Ältestenrat
(Heiterkeit und Beifall) vorzuschlagen, daß die Punkte 1 bis 6 durchlaufend
dem Abgeordneten Mühlenberg, der am 19. Mai von dem Herrn Bundesfinanzminister begründet
60 Jahre alt geworden ist. werden und daß sich erst nach der Begründung
(Beifall.) zu Punkt 6 die Aussprache anschließt. Die Aus-
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden sprache soll sich auf alle sechs Punkte beziehen,
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht so daß wir also nicht jeden Punkt für sich disku-
aufgenommen: tieren werden, sondern daß jeder Redner die
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 7. Mai 1954 den Möglichkeit hat, nach Belieben und nach Vermögen
nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß
Art. 77 Abs. 2 nicht gestellt:
zu allen sechs Punkten gleichzeitig zu sprechen.
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland Ich erteile dem Herrn Bundesfinanzminister das
zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der
Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom Wort.
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1315

Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Herr sind, die Aufgaben in gleichem Maße zu erfüllen.
Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Das ist das Gegenteil von gesunden Voraussetzun-
Grundzüge und Grundsätze, die den sämtlichen gen für eine gesunde Verwaltungsreform.
Gesetzentwürfen die Unterlage geben, habe ich be- (Sehr richtig! in der Mitte.)
reits am 11. März in diesem Hause gesprochen.
Ich habe dort auch angekündigt, daß über Einzel- Annäherung der Steuerkraft bedeutet Annäherung
fragen an dem Tage gesprochen werden müsse, an in der Ausgabenpolitik, und zwar auch eine Ge-
dem die Gesetzentwürfe dem Bundestag amtlich sundung der Ausgabenpolitik zwischen Bund und
Ländern.
zugehen. In der Zwischenzeit haben sich die
Öffentlichkeit und die beteiligten Kreise mit den Außerdem darf ich darauf hinweisen, daß das,
Gesetzentwürfen beschäftigt. Ich darf zunächst ein- was ich hier ausspreche, auch in den Bestimmun-
mal feststellen, daß ich auch heute noch ohne wei- gen des Art. 73 und des Art. 106 Abs. 4 des Grund-
teres auf die Grundzüge und Grundsätze sowie gesetzes gedacht gewesen ist, in denen der Gesetz-
meine Erläuterungen vom 11. März 1954 Bezug geber des Grundgesetzes ausspricht, daß die Gleich-
nehmen kann. heit der Lebensverhältnisse im ganzen deutschen
Bundesgebiet, in allen Ländern, das Ziel der Poli-
Ich möchte aber nun in erster Linie auf die Ein-
tik innerhalb des Bundes sein müsse und daß der
wendungen eingehen, die in der Öffentlichkeit Bund die Aufgabe habe, die Verhältnisse zwischen
vorgebracht worden sind., Wir haben zwei große
Gesetzgebungszwecke. Der eine ist das Gebiet der steuerschwachen und steuerstarken Ländern mit
dem Ziel einer Annäherung auszugleichen. So hat
Finanzreform, der andere das Gebiet der Steuer- die Finanzreform auch für eine kommende Ver-
reform. Es ist die Frage aufgeworfen worden, war- waltungsreform und Gesundung unserer Verwal-
um diese beiden Gesetzgebungswerke zeitlich mit-
tungsverhältnisse die größte Bedeutung.
einander verbunden sind. Ich darf dazu folgendes
einmal grundsätzlich bemerken. Sie hat sie auch deswegen, weil sie auf dem Ge-
danken beruht, daß die Verantwortung für die
In den Einwendungen der Öffentlichkeit wurde Verwendung der Gelder des Steuerzahlers dadurch
auch davon gesprochen, daß diese Gesetzentwürfe gestärkt werden soll, daß derjenige, der Geld ver-
bedauerlicherweise den Hinweis vermissen ließen, waltet und Geld ausgibt, das grundsätzlich in
daß auch an eine Verwaltungsreform gedacht wer- eigener Verantwortung tun soll. Das ist
den müsse. Der Einwand geht an sich schon grund- der Gedanke, auf dem die Aufgabenteilung an sich
sätzlich fehl, weil jedes Gesetzgebungswerk sich beruht und der auch dem Finanzanpassungsgesetz
zunächst mit seinem Thema und seiner Aufgabe zu zugrunde liegt, in dem entweder durch die soge-
beschäftigen hat und weil die Verwaltungsreform nannten Interessenquoten oder durch d as Pauscha-
auch ein Kapitel ist, das ja nicht allein innerhalb lierungssystem der Grundsatz zum Ausdruck kom-
des Bundes, sondern in allen deutschen Gebiets- men soll: Wer Geld verwaltet, soll mit eigenem
körperschaften — Bund, Ländern und Gemeinden Gelde wenigstens beteiligt sein. Wer Geld ver-
— geregelt werden muß. Richtig ist, daß das Ziel waltet, soll z. B. durch das Pauschalsystem den
einer gesunden Finanzpolitik und Steuerpolitik Lohn für zweckmäßige und sparsame Verwaltung
auch sein muß, einen Anreiz und einen Wegweiser dieser Gelder haben und soll im Falle unzweck-
zu geben für eine Verwaltungsreform, die die mäßiger Verwendung der Gelder auch den Nach-
Zweckmäßigkeit der Verwendung der vom Steuer- teil tragen. Es ist selbstverständlich — dem Grund-
zahler aufgebrachten Mittel auch sichert. Aber man satz wird jeder zustimmen, der Erfahrung aus der
versteht die Finanzreform falsch, wenn man nicht Verwaltung hat —, je lebensnäher derjenige, der
erkennt, daß in der Finanzreform gerade die einer Aufgabe gegenübersteht, der Aufgabe ist,
Grundzüge dafür liegen, eine Verwaltungsreform je mehr er die örtlichen einzelnen Verhältnisse
in Bund, Ländern und Gemeinden vorzubereiten. wirklich würdigen und prüfen kann, um so besser
Die Finanzreform soll ja in erster Linie die An- ist für ihn die Möglichkeit, auch eine wirklich
näherung der Steuerkraft zwischen steuerschwachen zweckmäßige Verwaltung durchzuführen. Das ist
und steuerstarken Ländern erzielen. Wir können ja der Gegensatz gegenüber einer zentralen Ver-
heute erleben, daß infolge der großen Unterschiede, waltung, die naturgemäß viel mehr schematisieren
die in der Steuerkraft der Länder bestehen, die muß, als eine lebensnähere Verwaltung das tun
einen Länder eine Ausgabenpolitik treiben, die die müßte. Wenn also der Grundsatz an sich gesund
anderen Länder auf Grund ihrer Einnahmen und ist, zu verwalten da, wo die Lebensnähe besteht,
ihrer Steuerkraft nicht treiben könnten, zu der sie so muß das gleichzeitig mit dem Grundsatz ver-
aber durch d as Beispiel der anderen Länder ge- bunden werden, das auch aus eigener Kraft ganz
zwungen werden. Ich brauche nicht die Worte oder mit zu tun, um durch die Sorgfalt, die man
Weihnachtszuwendungen, Besoldungsreform, Schul- in Verwendung eigener Mittel anwendet, auch
politik, Landeskultur für Grund und Boden, Wasser- hier veranlaßt zu werden, dem Gedanken der
verhältnisse etc. auszusprechen; jeder weiß, wie Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit Rechnung zu
die Dinge in Deutschland liegen. Die Verschieden- tragen.
heit in der Steuerkraft der einzelnen Länder ist Ziel der Finanzreform ist weiter eine gemein-
gerade der Grund dafür, daß diejenigen mit der same Steuerpolitik. Die Finanzreform muß verhin-
größeren Steuerkraft in Ausgaben vorausgehen, zu dern, daß bei der Teilung der Zuständigkeiten
denen die anderen mit geringerer Steuerkraft dann zwischen Bund, Ländern und Gemeinden etwa der
getrieben werden, und auf der anderen Seite, da eine Teil mehr Einnahmen hat, als er an sich be-
gewisse Ausgaben von steuerschwachen Ländern nötigt, und der andere Teil für die Erfüllung
nicht in dem Maße geleistet werden können, wie seiner lebensnotwendigen Aufgaben die notwen-
die steuerkräftigeren sie leisten können, haben digen Mittel nicht hat und den Steuerzahler dann
wir gleichzeitig den Zug, daß Aufgaben, die ihrer beanspruchen und heranziehen müßte, obwohl die
Natur nach in der Zuständigkeit der Länder liegen, gesamte Steuermasse im ganzen Bundesgebiet bei
sann vom Bund übernommen werden sollen, weil gerechter Verteilung zur Erfüllung aller Zwecke
einzelne steuerschwache Länder nicht in der Lage ausreichen würde. Das ist ja, was ich am 11. März
1316 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
als besonderen Gesichtspunkt herausgestellt habe: scheint mir sehr schwer möglich zu sein. Man muß
Das System des Bundesanteils an der Einkom- damit rechnen, daß die Zustimmung der Länder
men- und Körperschaftsteuer ist — das steht dem nicht gegeben wird. Der jetzige Stand, den wir
Wortlaut nach im Art. 106 Abs. 3 des Grund- nach jahrelangen schweren Auseinandersetzungen
gesetzes — zur „Deckung der durch andere Einnah- erreicht haben, liegt bei 40 zu 60. Er ist vorläufig
men nicht gedeckten Ausgaben des Bundes" ge- nur ein Vorschlag der Bundesregierung und könnte
dacht. Der Bundesrat, in dem letzten Endes doch von dem Hohen Hause im Laufe der Beratungen
sämtliche deutschen Länder vertreten sind, geneh- noch zugunsten des Bundes geändert werden.
migt Jahr für Jahr den Haushalt des Bundes. Er (Heiterkeit.)
weiß, welche Ausgaben der Bund macht, genehmigt
und kontrolliert und kann sein Veto einlegen, wenn Wenn dieser Vorschlag von 40 zu 60, der mir als
er der Überzeugung ist, der Bund mache unnötige die Grenze des augenblicklich politisch Möglichen
Ausgaben oder er mache Ausgaben für Zwecke, erscheint, nicht durchginge oder wenn die Finanz-
die außerhalb seiner Zuständigkeit liegen. Der reformgesetze nicht in Kraft träten und infolge-
Bundesrat, die Vertretung der Länder, hat gleich- dessen der Kampf im nächsten Jahre wieder be-
zeitig den Überblick, welche Einnahmen dem Bund gönne und wahrscheinlich mit einem Mißerfolg
zur Verfügung stehen. Bei der Beratung des Bun- endete, wäre der Bund gezwungen, bei der dann
deshaushalts hat er Gelegenheit, auch Einnahme- gegebenen Rechtslage allein auf die indirekten
vorschläge zu machen und die entsprechenden Steuern zurückzugreifen. Der Gesetzgeber muß
Initiativgesetze und Anträge einzureichen, wenn dem Bund eine Möglichkeit geben, auch die direk-
er glaubt, daß dazu Möglichkeiten bestehen. Tut ten Steuern als Einkommensquellen für sich her-
er das nicht, dann hat er ja an sich anerkannt, anzuziehen, und zwar ohne Zustimmung der Län-
welcher Teil von nicht gedeckten, durch andere der. Das ist der Sinn der Ergänzungsabgabe. Sie
Einnahmen nicht zu bewältigenden Ausgaben des versetzt den Bund in die Lage, die Quellen der
Bundes vorliegt. Aber es ist menschlich, daß die Einkommen- und Körperschaftsteuer in beschränk-
Bestimmung, daß er seine Zustimmung zum Bun- tem Umfange noch für sich nutzbar zu machen,
desanteil geben muß, ihn dazu führt, hieraus nicht aber nicht in der Form, daß jeweils eine allgemeine
die Folgerungen zu ziehen, sondern zu versuchen, Erhöhung der Einkommen- und Körperschaft-
den Bundesanteil möglichst gering zu halten. Das steuer um 100 °/o erfolgen müßte, sondern auf den
wird um so verständlicher, wenn man bedenkt, daß Bedarf des Bundes beschränkt.
der Bundesanteil für steuerschwache und steuer- Wenn die Steuerreformgesetze beschlossen wür-
starke Länder nach gleichem Prozentsatz festgelegt den, jedoch die Ergänzungsabgabe nicht zustande
werden muß und vielleicht das steuerschwache käme, die verfassungsrechtlich ihre Grundlage und
Land es wirklich nicht zumutbar empfindet, einen ihre Umschreibung nach Höhe und Umfang in den
Bundesanteil in der Höhe zu tragen, bei der ein Steuerreformgesetzen hat, würde das nach den
anderes Land in der Lage wäre, diesen Bundes- Berechnungen, die ich Ihnen vorgelegt habe, für
anteil zu übernehmen. den Bundeshaushalt einen Ausfall von etwa
270 Millionen DM bedeuten. Dieser käme zu dem
Ziel des Gesetzentwurfs ist es, diese Schwierig- Ausfall infolge der Steuerreform hinzu.
keiten zu vermeiden und zu einer gemeinsamen
Steuerpolitik zu kommen, um insbesondere den Ich werde noch Gelegenheit haben, zu betonen,
Bund nicht zu zwingen, Ausgaben auf dem Um- welches — auch haushaltswirtschaftlich — die
weg über Umsatzsteuer und Verbrauchsteuer, die Grenzen jeder Steuersenkung sind. Ich darf mich
seine einzigen ihm unmittelbar und ohne Zustim- hier darauf beschränken, zu sagen, daß diese Gren-
mung der Länder zur Verfügung stehenden Steuer- zen bestimmt überschritten würden, wenn eine Er-
quellen sind, zu decken, Ausgaben, die ihrer Natur gänzungsabgabe nicht zustande käme. Bereits in
nach durch Mithilfe der Länder in Form des Bundes- den nächsten Tagen werde ich ein Bild über die
anteils gedeckt werden müssen. Diese Gefahr von Anforderungen an den Haushalt 1955 geben kön-
dem Steuerzahler abzuwenden, ist das erste Ziel nen. Es wird mir dann sicherlich leicht möglich
der Finanzreform. sein, nachzuweisen, daß die Grenze dort überschrit-
ten wird.
Ein gesetzliches Junktim zwischen Finanz-
Ein zeitliches Moment kann nicht gefunden wer-
reformgesetz und Steuerreformgesetz besteht nicht;
den. Der Bundesrat ist nämlich nicht an eine Frist
es besteht aber eine innere Verbindung. Die innere gebunden, innerhalb deren er seine Zustimmung
Verbindung ist insbesondere haushaltswirtschaft- zu den Steuerreformgesetzen zu geben hätte. Er
lich. Jeder, der die unschönen Auseinandersetzun- hat in seiner Stellungnahme den größten Wert dar-
gen der letzten Jahre verfolgt hat, wenn Jahr für auf gelegt, daß zur Klärung der Gesamtverhält-
Jahr der Bundesanteil an der Einkommen- und
Körperschaftsteuer erhöht werden mußte, wird nisse, in denen sich die Länder künftig befinden,
Finanzreform und Steuerreform miteinander ver-
mir zugeben müssen, daß die Wahrscheinlichkeit,
einen höheren Anteil als die jetzt in Frage ste- abschiedet würden. Die Verabschiedung der Finanz-
henden 40 °/o mit Zustimmung der Länder zu er- reform würde, wenn im Parlament einmal die
halten, politisch sehr beschränkt ist, insbesondere grundsätzliche Entscheidung gefallen ist, nicht viel
dann, wenn die Steuerkraft der Länder nicht aus- Zeit beanspruchen. Die Steuerreform zu verab-
geglichen ist. schieden, wird angesichts der großen Zahl von ge-
äußerten Wünschen nach meiner Überzeugung
Ich habe schon in diesem Hause betont, daß der wesentlich mehr Zeit erfordern. Eine Verschiebung
Bundesfinanzminister, wenn er auf Grund der der Steuerreform durch die gleichzeitige Verab-
jetzigen Gesetzeslage, also ohne die Gesetze der schiedung der Finanzreform bräuchte bestimmt
Finanzreform, im nächsten Jahre seinen Haus- nicht einzutreten, aber haushaltswirtschaftlich ist
haltsplan nur nach seinem Bedarf aufstellen müßte, der Zusammenhang untrennbar.
sicherlich gezwungen wäre, einen Bundesanteil zu Gegen die Finanzreform ist außerdem ein Ein-
verlangen, der voraussichtlich weit über 40 % wand vorgebracht worden, der auf einem Mißver-
liegen würde. Die Zustimmung dazu zu erhalten, ständnis beruht. Es ist gesagt worden, daß die
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1317
(Bundesfinanzminister Schiffer)
Finanzreform eine Versteinerung der Gesetzgebung seitig dem einen Teil und nicht gegenseitig,
bedeute, daß sie gewisse Steuern, die den Ländern zwischen Bund und Ländern, gegeben werden soll.
zufließen, für immer der Gesetzgebung des Bundes Es können Notfälle eintreten, in denen die Aus-
entzöge und daß die gemeinschaftliche Steuer für gabenbelastung des Bundes durch außenpolitische
immer nach dem gleichen Maß geteilt würde. Das oder sonstige Verhältnisse unerwartet getroffen
ist ein Mißverständnis. Ich verweise ausdrücklich wird. Das darf nicht allein zu Lasten des Steuer-
auf die Begründung zu dem Gesetzentwurf über zahlers abgewälzt werden. Das darf nicht allein auf
die Finanzreformgesetze Seite 105 und Seite 111. die Steuerquellen abgewälzt werden, die für den
Bund in den Umsatz- und Verbrauchsteuern be-
Wenn der Art. 106 des Grundgesetzes die Steuern stehen. Wenn sich Aufgaben unerwartet verän-
teilt in a) Steuern, deren Ertrag dem Bunde zu- dern und der eine Teil dadurch eine große Mehr-
fließt, b) Steuern, deren Ertrag dem Lande zu- ausgabe zu tragen hat, muß die Möglichkeit ge-
fließt, und c) Steuern, die gemeinschaftlich Bund geben sein, das Verhältnis in den Steuerquellen zu
und Ländern zufließen, so wird ausgegangen von ändern, damit eine Belastung des Steuerzahlers
den jeweils erhobenen Steuern. Eine Bestands- verhindert wird. Ich möchte aber feststellen, daß -
garantie für irgendeine Steuer ist damit in keiner die Finanzreform trotz aller Einwendungen grund-
Weise gegeben. Auch Art und Umfang der einzel- sätzlich bejaht wird. Es wird von dem einen oder
nen Steuer sind damit nicht festgelegt. Rechtlich anderen Teil von der Möglichkeit einer Verschie-
besteht die Möglichkeit, eine Steuer aufzuheben bung gesprochen. Ich halte die Möglichkeit einer
und dafür eine andere Steuer, gleichgültig ob sie Verschiebung praktisch für sehr bedroht. Als wir
demselben Steuerträger zufließt, zu erhöhen, wenn das letzte Mal die Verlängerung der Frist des
volks- und steuerwirtschaftliche Überlegungen das Art. 107 beschlossen haben, waren die Auffassun-
fordern. Darüber besteht auch Einigkeit. Und ge- gen im Bundesrat absolut nicht einhellig. Die Zwei-
rade weil Einigkeit darüber besteht, haben ja die drittelmehrheit wurde zwar erreicht, aber sehr
Länder die Sicherheitsklausel vorgeschlagen, da- wichtige Länder haben ihre Stimme für die Ver-
mit nicht durch eine illoyale Anwendung dieser im längerung damals nicht gegeben. Nachdem heute
Art. 105 des Grundgesetzes — der nicht Gegenstand vor den Ländern, auch vor den „gebenden" Län-
der Finanzreformgesetze ist, sondern völlig unbe- dern die volle Konsequenz der Finanzreform sicht-
rührt bleibt — dem Bund gegebenen Gesetzge- bar ist, nachdem im Bundesrat bei den Abstim-
bungshoheit die Lebensfähigkeit der Länder ausge- mungen bereits eine gewisse Zweiteilung zwischen
höhlt werden könnte. Also eine Versteinerung der den gebenden und den erhaltenden Ländern einge-
Steuergesetzgebung findet in keiner Weise statt. treten ist, scheint es mir sehr fraglich, ob eine Ver-
Die Gesetzgebungshoheit und Gesetzgebungsfrei- längerung im Bundesrat und unter den Ländern
heit, die auf Grund Art. 105 des Grundgesetzes ge- nicht auf große Schwierigkeiten stoßen würde.
geben ist, bleibt dem Bunde nach wie vor in dem-
selben Maß, wie das früher der Fall gewesen ist. Ich möchte den ganzen Fragenkomplex in diesem
Zusammenhang nur in einer einzigen Frage zu-
Damit verliert auch der andere Einwand an Ge- sammenfassen. Gibt man mir zu, daß bei der
wicht, daß jetzt noch nicht die Zeit gegeben sei, um jetzigen Gesetzgebung — wenn also der Art. 106
die Steuerquellen zwischen Bund, Ländern und Ge- Abs. 3 mit seinem unschönen jährlichen Ringen um
meinden endgültig, wie es im Art. 107 des Grund- die Höhe des Bundesanteils in der Zukunft wahr-
gesetzes heißt, zu verteilen, da eine feste Grund- scheinlich nicht mehr anwendbar sein wird —,
lage für den Finanzbedarf von Bund, Ländern und
Gemeinden heute für Dauer noch nicht bestimmt (Abg. Dr. Gülich: Wahrscheinlich nicht?!)
werden könne. Eine Festlegung des Finanzbedarfs, gibt man mir zu, daß mit diesen 40 % bei dem
die sich nicht ändert, wird zu keiner Zeit möglich heutigen Verhältnis und den großen Unterschieden
sein. Unsere Generation wird es nicht mehr er- in der Leistungskraft der Länder das, was politisch
leben, daß wir mit Sicherheit den Finanzbedarf von erreicht werden kann, erreicht ist, und gibt man
Bund, Ländern und Gemeinden auf lange Zeit vor- mir zu, daß die Zustimmung der Länder zu einer
aussagen können. Aber ich darf doch darauf hin- wesentlichen Überschreitung deswegen voraussicht-
weisen, daß die ersten fünf Jahre eines Aufbaues lich nicht mehr zu erhalten ist, dann muß man mir
in der deutschen Bundesrepublik nun vorüberge- auch zugeben, daß in diesem Augenblick die Ge-
gangen sind. Ich darf doch sagen, daß wir im gro- fahr besteht, daß sich zwischen Bund und Ländern
ßen ein Bild gewonnen haben und daß wir im gro- ein Konflikt abzeichnet, ein Konflikt, der auf dem
ßen sagen können, welches etwa das Verhältnis der Gebiet des Verfassungsrechtes liegt. Will man da-
Sozialleistungen zu den Verwaltungsausgaben der gegen einwenden: Wir haben ja ein Allheilmittel,
Länder und auch zu den Verteidigungsausgaben ist, wir führen die Bundesfinanzverwaltung ein, —
von denen wir ja hoffen, daß wir erreichen können, dann muß ich wieder zur Antwort geben: Glauben
daß sie das Maß, das wir bisher angeboten haben, die Herren, die die Bundesfinanzverwaltung hier
nicht wesentlich übersteigen werden, daß wir also als Allheilmittel empfehlen, daß eine Bundes-
heute wenigstens einen Überblick über die grund- finanzverwaltung ohne verfassungsrechtlichen
sätzlichen Größenordnungen haben. Für ungeahnte Konflikt heute in Deutschland einzuführen sei? Ist
Fälle, die immer eintreten können, sind ja die Be- nicht allgemein bekannt, daß in allen Parteien das
stimmungen einerseits der Revisionsklausel, an- Thema „Bundesfinanzverwaltung" verschieden be-
dererseits der Sicherheitsklausel vorgesehen. antwortet wird,
Der Bundesrat will nur die Sicherheitsklausel (Sehr richtig! bei der CSU)
zugunsten der Länder behalten. Ich widerspreche je nachdem, ob die Partei die Frage vom Gesichts-
an sich gewiß dem Grundsatz der Sicherheitsklau- punkt der Landesregierung aus oder vom Gesichts-
sel nicht, weil diese Sicherheitsklausel eine Art punkt des Bundespolitik aus
Loyalitätsverpflichtung des Gesetzgebers festlegen
will, die Lebensfähigkeit der Länder nicht auf Um- (Abg. Albers: Oder von Passau aus!)
wegen zu bedrohen. Aber ich finde es ungerecht beantwortet? Muß man mir nicht zugeben, daß die
und unbillig, wenn eine solche Sicherheit nur ein Wahrscheinlichkeit, im Bundesrat eine Zweidrittel-
1318 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Bundesfinanzminister Schiffer)
mehrheit der Länder für die Bundesfinanzverwal systems. Ich habe immer darauf hingewiesen, daß
tung zu erhalten, praktisch Null ist? Und will man der Bundesfinanzminister und die Bundesregie-
mir nicht zugeben, daß das Aufwerfen eines ver rung bei dieser Überprüfung anderen Stellen zeit-
fassungsrechtlich nicht zu lösenden Problems doch lich den Vortritt gelassen haben, daß der Wissen-
eigentlich außerhalb dessen liegt, was man Politik schaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums,
heißt, da Politik in erster Linie doch eine Kunst daß die Länder mit ihren Sachverständigen in den
des Möglichen und eine Kunst des Erreichbaren ist? sogenannten „Diskussionsbeiträgen", daß Wirt-
(Abg. Ritzel: Wieso haben Sie dann den schaftsverbände wie z. B. das „Institut für Finan-
Haushalt auf 42 O/o Bundesanteil aufgebaut?) zen und 'Steuern" Gelegenheit gehabt haben, sich
an der Überprüfung des gesamten Steuersystems
Ich darf noch eine zweite Frage aufwerfen: Was zu beteiligen und ihre Vorschläge zu machen, und
soll überhaupt das Thema „Bundesfinanzverwal- daß alle gemeinsam v o r der Bundesregierung zu
tung", bei dem es ja nur um eine einheitliche Ver- der Überzeugung gekommen sind, daß eine grund-
waltung von bestehenden Steuern geht, mit dem sätzliche Änderung unseres Steuersystems nicht
Thema „Neuverteilung von Steuerquellen" zu tun zu empfehlen ist, daß insbesondere auch bei der
haben? Ist einmal die Bundesfinanzverwaltung ein- -
Umsatzsteuer der an sich beachtliche Gedanke der
geführt, so werden die Steuerarten, die Steuer- Mehrwertsteuer wenigstens in diesem Zeitpunkt
quellen und die Verteilung der Aufgaben zwischen noch nicht durchführbar ist, daß man es bei dem
Bund und Ländern dadurch i n gar keiner Weise Steuersystem als solchem belassen müsse, daß die
berührt. Ich kann wirklich nicht einsehen, wie das Schmerzen und die Verzerrtheiten in dem Steuer-
Thema „Bundesfinanzverwaltung" überhaupt zur system ihre innere Begründung in den allzu hohen
Lösung der Frage, vor der wir stehen, beitragen Tarifen haben und daß das Schwergewicht infol-
soll. gedessen auf Änderung und Senkung der Tarife
Aber eines möchte ich unterstreichen: ob wir gelegt werden müsse.
nun in diesem Hause nach unserer inneren Über- Im großen und ganzen ist die Bundesregierung
zeugung als Anhänger des föderativen Systems mit ihrem Vorschlag dem gefolgt, was all diese
oder als Anhänger eines unitarischen Systems sit- Gremien ausgesprochen haben, so daß eine Über-
zen, wir müssen uns darin einig sein, daß das raschung über den Gesetzentwurf nach dieser
Grundgesetz das Gesetz eines föderativen Staates Richtung in der Öffentlichkeit eigentlich nicht
ist. Wir müssen uns weiter darin einig sein, daß hätte eintreten sollen.
wir alle, ungeachtet unserer persönlichen Einstel-
lung, die Verfassungstreue zu wahren haben. In- Das Schwergewicht liegt auf der Tarifsenkung,
folgedessen haben wir eine Lösung zu suchen, und ich betone: diese Tarifsenkung wird gegeben,
die uns das Problem zugunsten der Allgemeinheit ohne daß ihr ein wesentlicher Wegfall von Steuer-
und ohne Verfassungskonflikt meistern läßt. Die vergünstigungen gegenübersteht.
Konfliktstoffe um unser Volk im Innern und im Der Wegfall der Steuervergünstigungen ist Vor-
Äußern sind so zahlreich, daß es die Aufgabe jedes aussetzung der Steuerreform im ersten Abschnitt
verantwortungsbewußten Mannes in Deutschland gewesen und bleibt selbstverständlich Ziel der
sein müßte, jeden Konflikt, der vermeidbar ist, ganzen Steuerreform. Wir haben Ihnen ja den
auch wirklich zu vermeiden. Das ist der Sinn der Wegfall der Steuervergünstigungen seinerzeit
Gesetze über die Finanzreform. nicht nur vorgeschlagen, weil sie eine Erschwer-
Ich darf nun auf die Gesetze über die Steuer- nis der Steuerverwaltung, der Steuererhebung,
reform eingehen. Im Bundesrat und in der Ö f- der Steuererklärung bedeuten, sondern vor allem
fentlichkeit sind Einwendungen erhoben worden; deshalb, weil sie ihrer Natur nach zeitbedingt wa-
in der Öffentlichkeit nicht etwa deswegen, weil ren und andererseits unbestrittenerweise Gegen-
die Bundesregierung und der Bundesfinanzminister stand großer Mißbräuche geworden sind und die
eine Steuersenkung vorschlagen, sondern des- Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit unseres Steu-
wegen, weil die Steuersenkung von vielen Kreisen ersystems bedroht haben. Deswegen mußten die
als nicht genügend empfunden wurde. Der innere Steuervergünstigungen abgebaut werden; deswe-
Grund sämtlicher Einwendungen war, daß man gen die erste Steuerreform mit einer über den
mehr haben will. Abbau der Vergünstigungen in der Wirkung hin-
ausgehenden Tarifsenkung, und nunmehr eine
Diese Einwendungen kleideten sich in verschie- Tarifsenkung, die in dem Zeitpunkt, da der Weg-
dene Formen. Die ersten gingen davon aus, daß fall der Steuervergünstigungen voll wirksam ist,
ja die Steuervergünstigungen wegfielen. Schon das neu hinzukommt, und zwar in einem weit höheren
ist in dieser Form nicht richtig. Es war das The- Ausmaß, als es die Tarifsenkung der ersten Steu-
ma der ersten Steuerreform, die Steuervergünsti- erreform hatte.
gungen zu beseitigen und als Ersatz dafür eine
Tarifsenkung zu geben, die sich aber in der Ent- In dieser Überlegung darf ich einen Grundsatz
lastung des Steuerzahlers höher auswirkt, als der aussprechen, an dem die Bundesregierung festhal-
Wegfall der Steuervergünstigungen eine Bela- ten muß. Es wäre der Sinn der beiden Gesetzge-
stung des Steuerzahlers bedeutet. Im zweiten Ge- bungswerke von 1953 und 1954 verfälscht und
setz über die Steuerreform ist der Wegfall von würde verloren, wenn etwa den Wünschen auf
Steuervergünstigungen nur in relativ unwesent- Beibehaltung der bereits gesetzlich weggefallenen
lichen Fällen angeordnet. oder sogar auf Neueinführung von Steuervergün-
stigungen entsprochen werden würde. Der Grund-
Der Wegfall von Steuervergünstigungen war satz des Wegfalls der Steuervergünstigungen,
Gegenstand des Gesetzes über die erste Steuer- einer möglichst einfachen und gerechten Steuer-
reform, das der Deutsche Bundestag ja mit großer gesetzgebung muß beibehalten bleiben. Es kann
Mehrheit beschlossen hat und das inzwischen in aber auch keine Kritik an den Steuerreformgeset-
Kraft getreten ist. zen unter dem Gesichtspunkt erfolgen, daß in ein-
Die zweite Steuerreform erfolgte auf Grund zelnen Fällen vorgerechnet wird: „Ich habe früher
einer Überprüfung unseres gesamten Steuer- auf Grund des § 7 c oder 7 d einen großen Teil
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1319
(Bundesfinanzminister Schiffer)
meines Gewinns" — bei manchen Personen war und die die Berechnungsgrundlagen bezweifelt
es ihr gesamter nicht unbeträchtlicher Gewinn — haben. Ich möchte feststellen: das Bundesfinanz-
,,steuerfrei gestellt; infolgedessen ist es eine Mehr- ministerium ist bereit, jedem Kreis nicht nur die
belastung für mich, wenn ich jetzt zwar eine Ta- Berechnungsmethode und das Berechnungsergeb-
rifsenkung erhalte, aber doch Steuern bezahle, die nis, sondern auch alle vorhandenen Berechnungs-
vielleicht höher sind als während der Geltung der grundlagen zur Kritik und Nachprüfung zur Ver-
Steuervergünstigungen in den früheren Jahren." fügung zu stellen. Ich habe mich mit den Kreisen,
Abgesehen davon, daß ein großer Teil der Steuer- um die es sich handelt, auch bereits ins Benehmen
vergünstigungen ja nur eine zeitliche Verschie- gesetzt. Praktisch gibt es heute nur noch zwei Fra-
bung sein sollte, wie auch 7 c- und 7 d-Gelder im gen, über die gesprochen wird. Das eine ist die
Moment des Rückflusses steuerpflichtig werden, Frage der Auswirkung des § 10 des Einkommen-
kann ich nicht deshalb, weil einzelne Steuerzahler steuergesetzes in der neuen Fassung. Wir haben
von den Steuervergünstigungen einen nach meiner uns dahin geeinigt, daß wir noch Mustererhebun-
Überzeugung vielfach übermäßigen Gebrauch ge- gen vornehmen. Diese werden spätestens im Laufe
macht haben, ein Steuersystem erfinden, das diese einer Woche abgeschlossen sein. Nach den Grund-
übermäßige Vergünstigung für alle Steuerzahler lagen, die heute zur Verfügung stehen, muß ich
einführen würde. sagen: aller menschlichen Voraussicht nach dürfte
sich ergeben, daß die Berechnung des Bundes-
Zweitens. Es muß Grundsatz jeder Steuerreform finanzministeriums nicht anzuzweifeln ist.
und jeder Steuersenkung sein, daß die finanzielle
Ordnung trotzdem aufrechterhalten bleibt. Die Die zweite große Frage, die sich ergibt, ist die:
finanzielle Ordnung ist letzten Endes die Grund- Kann das Ist-Aufkommen 1953/54 der kommenden
lage unseres ganzen Geld- und Währungssystems, Entwicklung der Einkommen- und der Körper-
und sie muß unter allen Umständen bewahrt blei- schaftsteueraufkommen in den nächsten Jahren
ben. Gegen diesen Grundsatz wird öffentlich nicht zugrunde gelegt werden? Ich habe seinerzeit am
gesprochen. Wenn man den Grundsatz aber aner- 11. März schon dargelegt, daß wir versucht haben,
kennt und wenn man damit dann auch anerkennt, bei Beginn der Kleinen Steuerreform den Ausfall
daß haushaltswirtschaftlich die Grenze da liegt, für das nächste Jahr zu schätzen. Ich habe damals
wo der Bund und die öffentliche Hand überhaupt bereits darauf hingewiesen, daß als Maßstab zu-
durch die Steuersenkung in eine Politik der Ver- nächst nur die Lohnsteuer genommen werden kann,
schuldung getrieben würden, bleibt, weil man die da wir mit Inkrafttreten der' Kleinen Steuerreform
Schlußfolgerung grundsätzlich anerkennen muß, das Aufkommen an Lohnsteuer, das im Haushalt
trotzdem aber weiter gehen will, nichts anderes mit 4200 Millionen vorgesehen war, in Auswirkung
übrig, als die Berechnungsgrundlagen zu bestrei- der Kleinen Steuerreform auf 3650 Millionen ermä-
ten und zu sagen, daß sie nicht richtig seien. ßigt haben. Wir gingen damals von einem Brutto-
sozialproduktzuwachs von 5 % aus. Erfreulicher-
Ich darf nun einmal zu den Berechnungsgrund-
lagen, die wir jetzt auch in der Methode und in weise hat das vergangene Jahr einen etwas höhe-
ren Zuwachs an Bruttosozialprodukt gebracht.
Einzelheiten der Öffentlichkeit unterbreitet ha- Trotzdem stimmt das Ist-Ergebnis mit der
ben — ich verweise auf Bulletin Nr. 60 vom 30.
Schätzung fast völlig überein. Wir haben 3650 Mil-
März und Nr. 67 vom 8. April 1954 —, folgendes
feststellen. Wenn ich vom Jahre 1955 ausgehe — lionen an Lohnsteueraufkommen geschätzt; 3700
Millionen — ganz genau 50 Millionen mehr — sind
womit sich also andere Zahlen ergeben, als ich bei
Vorlage der Kleinen Steuerreform für das Jahr eingegangen. Auf dem Gebiet, wo eine Stichprobe
1954 bekommen habe —, dann ist der Ausfall, der möglich war, hat sich die Schätzung des Bundes-
durch die Tarifsenkung der ersten Steuerreform finanzministeriums also bewahrheitet. Die ver-
eingetreten ist, 1655 Millionen. Der Ausfall, der anlagte Einkommensteuer ist deshalb kein Maßstab,
durch die jetzige Tarifreform nach der Vorlage weil sie durch die Nachzahlungen der früheren
eintreten wird, beträgt 2300 Millionen. Der Ge- Jahre überdeckt wird. Es handelt sich insbesondere
samtausfall im nächsten Jahr durch die beiden um Nachzahlungen aus dem Jahr 1951, Nachzahlun-
Reformgesetze zusammen ist 3900 Millionen. Ich gen nicht nur zu hohen Steuersätzen, sondern
glaube nicht, daß in früheren Jahren irgend Nachzahlungen aus der Zeit des Korea-Booms, aus
jemand daran gedacht hätte, daß ein besiegtes Volk der Zeit, in der die Gewinne mit der Aufblähung
acht Jahre nach dem Zusammenbruch den Wage- der Preise und Löhne ziffernmäßig unerwartet
mut aufbringt, eine Steuersenkung in diesem Um- gestiegen sind.
fange vorzunehmen. Diese Nachzahlungen nehmen ein Ende. Ich ver-
(Abg. Albers: Sehr richtig!) weise auf den Monatsbericht der Bank deutscher
Diesem Ausfall von 3900 Millionen steht ein Länder, in dem schon nachgewiesen ist, daß im
Wegfall von Steuervergünstigungen mit einer Er- ersten Vierteljahr 1954 das Steueraufkommen bei
höhung der Einnahmen um 1000 Millionen für der veranlagten Einkommensteuer 1300 Millionen
1955 gegenüber, so daß eine reine Entlastung von und im letzten Vierteljahr nur mehr knapp 1000
2900 Millionen bleibt. Die Entlastung des Steuer- Millionen betragen hat, weil die Nachzahlungen
zahlers auf Grund der ersten Steuerreform beträgt vom ersten und zweiten Vierteljahr ab sinken und
dabei 600 Millionen, diejenige auf Grund der zwei- im dritten und vierten Vierteljahr ganz gering
ten Steuerreform 2300 Millionen. Die Nettoent- werden. Wir müssen die Zukunft aber mit der
lastung der zweiten Steuerreform beträgt also un- bleibenden Größe des Durchschnittsaufkommens
gefähr das Vierfache der Entlastung des Steuer- schätzen, also ohne Berechnung dieser Nachzahlun-
zahlers auf Grund der ersten Steuerreform! gen. Wenn ich die Zahl des letzten Monats nehme,
dann muß ich feststellen, daß im April 1954 die
Ich habe schon gesagt, daß wir die Berechnungs- veranlagte Einkommensteuer mit 27 % unter dem
grundlagen im einzelnen im Bulletin veröffent- Aufkommen des Jahres 1953 liegt. Die Auswirkung
licht haben, so daß ich hier nicht darauf einzuge- der Steuersenkungen zeichnet sich also erst jetzt
hen brauche. Ich habe gesagt, daß es Kreise gibt, deutlich ab, wo der Schleier der Nachzahlungen
die natürlich eine höhere Steuersenkung wollen zerreißt.
1320 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
Das dürfte der Hauptpunkt sein. Die Unterlagen, Bei jeder Änderung des Tarifs bitte ich aber
die wir bisher haben — im Lauf der nächsten daran zu denken, daß die Änderung des Tarifs im
Woche werden sie vollständig sein —, geben diesen Rahmen des haushaltswirtschaftlich Möglichen
Berechnungen nach meiner Überzeugung vollkom- bleiben muß. Ich habe in der letzten Zeit Tarifvor-
men recht. Ich glaube also, daß wir diese Frage, schläge gelesen, die in der Öffentlichkeit gemacht
über die wir uns im Ausschuß wahrscheinlich noch worden sind, und ich darf dazu bemerken, daß nach
ausführlich unterhalten werden, heute doch von meiner überschläglichen Berechnung alle Tarif-
dem Gesichtspunkt aus betrachten müssen, wie es vorschläge, die ich bisher gelesen habe, über die
auch das Institut für Wirtschaftsforschung in einem Grenze des haushaltswirtschaftlich Möglichen weit
letzten Schnellbrief getan hat, daß man die Be- hinausgehen.
rechnungen des Bundesfinanzministers nicht grund- Ich möchte noch eines sagen. Ich glaube nicht,
sätzlich bestreiten kann. als ein Mann verschrieen zu sein, der — man ver-
zeihe mir das Wort — dem Geldsack dient. Trotz-
Eine dritte Frage, die eine Rolle spielt, ist die dem muß ich aus rein volkswirtschaftlichen 'Über-
Frage des Tarifs. Wir haben das Prinzip der Besei- legungen sagen: ich kann den Einwand, daß die
tigung der Steuervergünstigungen um der Gleich- -
Bezieher höherer Einkommen übermäßig begün-
mäßigkeit und Gerechtigkeit des Steuersystems stigt worden seien, nicht als berechtigt anerkennen.
willen eingeführt. Wir haben aus demselben Es war vielleicht ein Fehler des jetzigen Systems
Grundsatz der Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit der Steuervergünstigungen, daß diese Vergünsti-
des Steuersystems den neuen Steuertarif in Vor- gungen gerade den Beziehern großer Einkommen
schlag gebracht. Ein Tarif, der je nach Einkommen zugeflossen sind. Ich bitte aber daran zu denken,
schichten schwankt, hier zugunsten, dort zuungunsten daß diese Steuervergünstigungen in einer Zeit fest-
einer Schicht eine Ausbuchtung oder Einbuchtung ent- gelegt wurden, in der es sich um den Wiederaufbau
hält, steht vielleicht unter wirtschaftspolitischen oder der deutschen Wirtschaft handelte und wo nicht der
sonstigen Gesichtspunkten, aber nicht unter dem Ge- Gesichtspunkt eine Rolle spielte, was der einzelne
sichtspunkt der Gleichmäßigkeit und der Gerechtig- verdient, sondern wo der Gesichtspunkt eine Rolle
keit. Ich habe mich darüber auch gestern bei den spielte: Werden wieder deutsche Betriebsstätten
sogenannten Kölner Mittwoch-Sprechabenden und deutsche Werkstätten und deutsche Arbeits-
unterhalten müssen, weil Vertreter einzelner Be- plätze geschaffen werden!
rufe sagten: Für unseren Beruf eine Ausbuchtung!
Ich habe dort mit Zustimmung aller — es waren (Beifall bei den Regierungsparteien.)
alle Volkskreise vertreten — den Grundsatz auf- In dieser Zeit sind die Steuervergünstigungen ent-
gestellt: für den Gesetzgeber kann es sich beim standen.
Steuerrecht nicht darum handeln, welchem Beruf Aber es ist alles zeitbedingt, und wir schaffen
der einzelne Steuerzahler angehört, sondern nur infolgedessen die Steuervergünstigungen ab, weil
darum, wie hoch das Einkommen ist, das der Steuer sich die zeitbedingten Ursachen geändert haben.
unterliegt. Ein geringes Einkommen — ein geringer Wir treffen aber damit natürlich gerade den Kreis
Steuersatz; ein hohes Einkommen — ein hoher der Bezieher großer Einkommen, die ja ihr Ein-
Steuersatz, gleichgültig, aus welcher Quelle das kommen nicht veressen und vertrinken können,
Einkommen stammt. Ich glaube, daß dieser Grund- sondern die es letzten Endes schon aus eigenem
satz in allen Volkschichten Anklang und Verständ- Erwerbstrieb heraus ganz überwiegend zum Aus-
nis findet. Dieses Prinzip der Gleichmäßigkeit ist bau ihrer Betriebe benützen. Infolgedessen muß
also das Prinzip des Steuertarifs, den wir zum Vor- man das gegenüberstellen.
schlag gebracht haben. Ich darf aber auf einen weiteren Gesichtspunkt
hinweisen, der uns leitet, nämlich einen betriebs-
Bezüglich der Auswirkungen darf ich auf die wirtschaftlichen Gesichtspunkt: Ich will das steuer-
Tarifskala hinweisen, die in Nr. 52 des Bulletins politische Denken in der deutschen Volkswirtschaft
enthalten ist. Ich stelle nur fest: wir haben, wenn möglichst durch ein gesundes betriebswirtschaft-
wir einen Vergleich mit früheren Jahren, z. B. liches Denken ersetzt haben. Bei entstehenden Un-
1934, anstellen, bei den Einkommen unter 8000 DM kosten soll nicht der Gesichtspunkt ausschlaggebend
heute geringere Steuersätze als vor dem Kriege. Ich sein, was ich beim Finanzamt spare oder wieviel
darf feststellen, daß die Senkung der Steuersätze ich dem Finanzamt entziehe, sondern der Gesichts-
bei den geringeren Einkommen gegenüber dem punkt soll ausschlaggebend werden: Dient das
Jahre 1950 bis zu 61 % beträgt — eine Senkung wie meinem Betrieb? Infolgedessen wollten wir mög-
sie höher wohl kaum vertreten werden kann. Wir lichst nahe an die Grenze des psychologischen
haben den sogenannten Proportionaltarif — er Punktes von 50 % heran.
heißt fälschlich Troegertarif — gerade deswegen
abgelehnt, weil er seiner Natur nach eine Mehr- Ich darf nun auf Einzelfragen eingehen, die ins-
belastung der kleinen Einkommen unter 8000 DM besondere auch im Bundesrat aufgeworfen worden
gebracht hätte. Ich möchte aber auch feststellen, sind, und darf dazu als Grundsatz folgendes ein-
daß die Senkung in den Mittelschichten — mal feststellen: Der Bundesrat hat bei allen
wenn Bezieher von 10-, 25-, 30 000 DM Einkom- Steuerarten, wo das Erträgnis der Steuer den
men noch als Mittelschicht betrachtet werden Ländern zufließt, eine sehr vernünftige Zurück-
können — insgesamt gegenüber dem Jahre 1950 haltung in der Genehmigung neuer Steuersenkun-
auch 30 % beträgt und daß sie etwa mit 17 oder gen bewiesen.
18 % auf die zweite Steuerreform, mit dem anderen (Heiterkeit.)
Teil auf die erste Steuerreform trifft. Wenn man Bei all den Steuern, deren Ertrag dem Bund zu-
Vergleiche mit dem Jahre 1934 anstellt, dann darf fließt, war er dem Steuerzahler gegenüber von
man nicht vergessen, daß das steuerbare Einkom- einer bewundernswerten Großzügigkeit.
men jetzt bei einem höheren Bruttoeinkommen (Erneute Heiterkeit.)
beginnt, weil ja in der Zwischenzeit die Freibeträge Ich beginne mit der Erbschaftsteuer. Die Erb-
und die Pauschalbeträge für Werbungskosten und schaftsteuer fließt den Ländern zu. Der Bundesrat
Sonderausgaben erhöht worden sind. hat sich gegen die bei dieser Steuer vorgesehene
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1321
(Bundesfinanzminister Schiffer)
Tarifsenkung gewandt. Die Bundesregierung hält Ich habe betont, die Bundesregierung lege Wert
an ihrem Vorschlag fest. Das Erträgnis der Erb- darauf, daß der Inhaber eines persönlichen Unter-
schaftsteuer ist auch nicht so, daß aus der vor- nehmens nicht unter steuerrechtlichen Gesichts-
gesehenen Senkung eine Gefährdung der Finan- punkten veranlaßt wird, eine Umwandlung in eine
zen der Länder erwachsen könnte. anonyme Körperschaft vorzunehmen. Wenn diese
Der Bundesrat hat sich aber dann auch im Frage aus diesem Anlaß geprüft wird, wird die
Gegensatz dazu bei der Umsatzsteuer, die dem Bundesregierung sicherlich dem sehr objektiv
Bund zufließt, gegen jede Erhöhung ausgesprochen. gegenüberstehen.
Bekanntlich schlägt die Regierung vor, den Satz Nun zu den weiteren Vorschlägen des Bundes-
der Umsatzsteuer beim Großhandel von 1 % auf rats! Den Vorschlag, den Freibetrag von 1000 DM
1 1/2 % zu erhöhen. Die Bundesregierung hat nicht bei der Landwirtschaft wegfallen zu lassen, hat
etwa deswegen diese Erhöhung vorgeschlagen, weil die Bundesregierung nicht angenommen. Es folgen
sie den Großhandel nicht so liebt wie alle anderen weitere Vorschläge, über die man sich im einzel-
Wirtschaftszweige, auch nicht deshalb, weil sie nen wird unterhalten können, wenn sie in der
etwa geglaubt habe, daß der Großhandel übermäßige Form und im Ausmaß das haushaltswirtschaftliche
Gewinne machte. Sie hat diese Erhöhung infolge -
Risiko nicht allzu sehr verschlechtern. Da ist z. B.
einer Notüberlegung vorgeschlagen. Die Notüber- das Gebiet der Sonderausgaben, wo der Bundesrat
legung war die: Die Steuersenkung bringt allein will, daß alle Freibeträge, die zur Hälfte abzugs-
für den Bundeshaushalt einen Ausfall von 650 Mil- fähig sind, gestrichen werden, was im großen und
lionen DM. Wenn ich den durch die Steuerfreiheit ganzen wahrscheinlich eine Verschlechterung be-
der Kinderbeihilfe zu erwartenden Ausfall dazu- deuten würde. Die Bundesregierung konnte sich
rechne, komme ich auf einen Betrag, der haus- ebenfalls bisher nicht mit dem Vorschlag der Ab-
haltswirtschaftlich zumindest sehr gefährlich, zugsfähigkeit der Vermögensteuer einverstanden
wahrscheinlich aber überhaupt nicht zu tragen erklären. Über die Einzelheiten wird man im Aus-
wäre. Infolgedessen mußte man neben der Er- schuß sprechen müssen.
gänzungsabgabe, die schon eingerechnet ist, noch
versuchen, das haushaltswirtschaftliche Risiko zu Eine Frage, die das Hohe Haus und den Ausschuß
ermäßigen. Dem Bund steht praktisch, wenn die besonders beschäftigen wird, ist die Frage der Ehe-
Verbrauchsteuern ausscheiden, nur die Umsatz- gattenbesteuerung. Ich werde einmal kurz sagen,
steuer zur Verfügung. Daher ging man an das Ge- was ich gestern in Köln bei den Mitwochabend-
biet der Umsatzsteuer. Ich habe damals mit ver- Gesprächen erklärt habe. Diese Mittwochabend
schiedenen Wirtschaftskreisen gesprochen, ihnen Gespräche haben einen Vorteil, nämlich den, daß
die Sache dargelegt und sie um Vorschläge ge- man hier wirklich einmal das Volk beieinander
beten. Ich habe auch verschiedenartige Vorschläge findet.
erhalten. Von den Vorschlägen, die ich erhalten (Abg. Albers: Sie machen ja Reklame für
habe, habe ich allerdings immer den Eindruck ge- Köln!)
habt, sie betreffen in der Belastung nicht den — Warum soll ich für Köln, eine Stadt, die zwei
Wirtschaftszweig, den der Sprecher vertritt, son- Jahrhunderte lang Wittelsbacher als Erzbischöfe
dern einen anderen Wirtschaftszweig. Ich war in- hatte, keine Reklame machen?
folgedessen von einer kühlen Objektivität gegen-
über diesen Vorschlägen. Mir schien dann als Er- (Große Heiterkeit. — Abg. Albers: Aber
gebnis dieser Vorschlag noch als der erträglichere, die Kölner haben ihn ja ausgewiesen!)
obwohl ich zugeben muß, daß man andere Wege
auch gehen kann. Da hat sich folgendes ergeben. Ein Mann trat auf
und sprach für die getrennte Besteuerung der Ehe-
Ich möchte feststellen, der Bundesregierung liegt gatten. Er konnte seine kurze Rede nicht zu Ende
sehr viel daran und muß daran liegen, daß das führen, weil alle Anwesenden hiergegen prote-
haltswirtschaftliche Risiko nicht übermäßig gestei- stierten. Ich mußte dann in diesem Zusammenhang
gert wird und daß infolgedessen die haushalts- meine Gedanken erklären und darf sie wieder-
wirtschaftliche Grenze der Steuersenkung im holen. Ich habe gesagt: Wir haben den Grundsatz
großen eingehalten wird. Auf den Weg, mit dem der Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit, der für
dieses Ziel erreicht wird, legt sie keinen entschei- mich ein unerschütterlicher Grundsatz im Steuer-
denden Wert; wenn nur das Ziel erreicht wird. recht ist. Ich halte die Ausnahmeregelung, die in
Wenn ich im Laufe der Debatte Vorschläge aus der Kriegszeit unter der Hitlerregierung aus
diesem Hause erhalte, die durchführbar sind und kriegswirtschaftlichen Gründen getroffen worden
dieses Ziel erreichen oder ihm näherkommen, so ist, daß man, um die Frauen in die Betriebe zu füh-
wird der Bundesfinanzminister und wird wohl ren, diejenige, die in einem fremden, also nicht dem
auch die gesamte Bundesregierung sich solchen Manne gehörigen Betrieb nicht selbständig arbei-
vernünftigen Vorschlägen nicht entgegensetzen. tet, steuerlich begünstigt, für einen Widerspruch
(Sehr gut! rechts.) mit diesem Grundsatz.
Nun zu den anderen Einwendungen. Der Bun- (Abg. Frau Dr. Ilk: Gehen Sie doch wenig-
desrat hat bei der Körperschaftsteuer, die ja den stens zunächst auf die Steuerreform von
Ländern zufließt, etwas hemmend gewirkt und hat 1925 zurück!)
vorgeschlagen, diese Vergünstigung der ausge-
schütteten Gewinne bei der Körperschaftsteuer Ich gebe nur folgendes Beispiel. Diese Frau, die
wieder zu streichen. Ich habe meine Meinung dazu also lohnsteuerpflichtig geworden ist, hat bei der
bereits am 11. März 1954 ausgesprochen und darf Lohnsteuer zwei Freibeträge. Als verheiratete Frau
auf meine Rede von damals verweisen. Ich habe bekommt sie einen Freibetrag für sich und einen
betont, auch die Bundesregierung wünsche, daß für den Ehemann, und der Ehemann, der auch
die Steuergesetze nicht in die Wettbewerbsverhält- lohnsteuerpflichtig ist, erhält ebenfalls zwei Frei-
nisse der Wirtschaft eingreifen. beträge,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Abg. Heiland: Das läßt sich nicht anders
und des GB/BHE.) regeln, Herr Minister?)
1322 2. Deutscher Bundestag -- 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
so daß ein Ehepaar vier Freibeträge erhält, was in dritter Lesung eine Entschließung gefaßt, in der
doch sinnwidrig ist. zwei Gedanken zum Ausdruck kamen: Einmal die
(Abg. Heiland: Ich habe gar nicht begrif Freistellung der Berliner Bevölkerung vom Ber-
fen, daß der Finanzminister so ungeschickt liner Notopfer ab 1. Juli 1954. Dem Gedanken wird
wäre, mit solchen Problemen nicht fertig die Bundesregierung Rechnung tragen. Es wird
zu werden! — Weitere Zurufe von der Sache der Initiative dieses Hauses sein, den ent-
SPD.) sprechenden Antrag zu stellen. Die Bundesregie-
- Lassen Sie mich nur fortfahren. Die Folge da- rung stellt technisch ihre Hilfe zur Verfügung.
von ist, daß, wenn ich ein Einkommen von Der zweite Gedanke ist, daß diejenigen Kreise,
12 000 DM nehme, von dem jeder Ehegatte 6000 DM die in Berlin wohnen und dort Einkünfte beziehen,
hat, und dem einen Familienvater gegenüberstelle, neben der Tarifsenkung etc. Steuerpräferenz er-
der 12 000 DM hat und Frau und Kinder damit er- halten. In der Entschließung ist aber ausgesprochen,
nähren muß, dieses Ehepaar, das nicht selbständig daß für diese Ausgabe eine Deckung gefunden wer-
in zwei verschiedenen Betrieben arbeitet, eine Ein- den muß. Die Bundesregierung ist auch bereit, eine
kommensteuer zahlt, die nicht einmal die Hälfte Deckung vorzuschlagen. Die Deckung wird sich auf
dessen beträgt, was der Familienvater für sich und dem Gebiet bewegen müssen, das ich schon seiner--
seine Familie zu zahlen hat. zeit in Beantwortung der Entschließung angedeu-
(Zustimmung in der Mitte. — Zuruf von tet habe. Es muß eine Besteuerung sein, die zu
der SPD: Nennen Sie doch die Zahlen!) 100 0/0 dem Bund zufließt. Da Verbrauchsteuern und
Umsatzsteuer nicht in Frage kommen, bleibt tat-
Dieses System halte ich für nicht gerecht und für sächlich nur das Berliner Notopfer übrig. Die
einen Widerspruch zum Grundsatz der Gleich- Bundesregierung ist gewillt, den Gesetzgebungs-
mäßigkeit der Besteuerung. vorschlag zu machen. Ich darf aber auf einen Satz
Im übrigen freue ich mich, feststellen zu kön- hinweisen, den ich damals in diesem Hohen Hause
nen, daß auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, in Beantwortung der Entschließung gesprochen
der aus Anlaß der ersten, kleinen Steuerreform habe. Ich habe damals gesagt: „Ob der Geist der
seine Meinung zu der Ehegattenbesteuerung gesagt Hilfsbereitschaft, in dem diese Entschließung be-
hat — ich bitte, die Lektüre im Hohen Hause vor- antragt ist und angenommen wird, wirklich echt
zunehmen —, sie ebenfalls für ungerecht erklärt ist, wird sich zeigen, wenn die Verantwortung für
hat. Er hat weiter erklärt, sie sei reformbedürftig, die Deckung dieser Vorlage übernommen wird."
und der Schritt, alle Ehegatten getrennt zu be- Ich möchte diesen Satz hier nicht bloß mit Bezug
steuern, wobei die Folge wäre, daß ich ein Split- auf das Berliner Notopfer wiederholen, sondern ihn
ting wie in Amerika einführe, sei in Deutschland auf das ganze Gebiet der Steuerreformgesetze aus-
haushaltswirtschaftlich unmöglich. Den Weg könn- dehnen.
ten wir nicht gehen. Infolgedessen müßten wir das Meine Damen und Herren, eine Steuersenkung
jetzige System reformieren und im Sinne der Ge- zu vertreten, ist nicht schwer, aber es besteht auch
rechtigkeit bessern. dem Steuerzahler gegenüber die Pflicht, gleichzei-
Die Bundesregierung schlägt vor, daß die ge- tig auf die Grenzen jeder Steuersenkung hinzu-
trennte Besteuerung in der Lohnsteuer bis 9000 DM weisen. Wir sind ein besiegtes Volk und haben
Einkommen bleibt. Zu den 9000 DM ist sich gekom- immer eine Grenze zu beachten. Heißen wir sie
men, weil sich statistisch, wenn ich den Durch- einmal die internationale Grenze oder die Grenze
schnittslohn einer Frau und den Durchschnittslohn der Katastrophe des Jahres 1945.
eines Mannes in der großen deutschen Industrie
zusammenzähle, ungefähr als oberste Grenze ein (Sehr gut! in der Mitte.)
Monatslohn für beide von 750 DM, also jährlich Insbesondere derjenige, der in denselben Wochen
9000 DM errechnet. Die große Masse derjenigen, mit dem Ausland über den Verteidigungsbeitrag
die wirklich in der Industrie und in ähnlichen Be- zu verhandeln hat, empfindet, daß wir dem Aus-
trieben arbeiten, würde deswegen nicht berührt. land keine Angriffswaffen bieten sollen und im
Aber diejenigen, die ein höheres Einkommen haben, Ausland nicht den Verdacht erwecken dürfen, daß
die infolgedessen über dem Durchschnitt des deut- wir uns bereits wieder übernehmen und nicht die
schen Industriearbeiters stehen, haben nach meinem Grenzen einsehen, die die ganze Weltlage allen
Dafürhalten keinen Anspruch darauf, daß diese Nationen der Erde aufzwingt. Darauf möchte ich
Ungleichmäßigkeit und Ungerechtigkeit erhalten hinweisen.
bleibt. Wenn im kommenden System vorgesehen Der zweite Punkt ist eine soziale Grenze. Wir
ist, daß in der Auswirkung in solchen Fällen immer dürfen keine Steuersenkung betreiben, die es uns
noch drei Freibeträge gegeben werden und falls unmöglich machen würde, nach wie vor die not-
beide in nicht selbständiger Arbeit stehen, bei bei- wendigen sozialen Aufwendungen zu leisten.
den eine Pauschale für Werbungskosten und
Sonderausgaben, weil sie im Zusammenhang mit (Zustimmung.)
der Arbeitstätigkeit stehen, anerkannt wird, ist das Das ist die Grenze, die wir denen gegenüber ein-
nach meinem Dafürhalten immer noch eine sehr zuhalten haben, die nur deswegen nicht einkom-
weitgehende Berücksichtigung, und eine Ausdeh- mensteuerpflichtig sind, weil sie zu arm sind.
nung scheint mir nicht erforderlich zu sein. Des- (Sehr gut! in der Mitte.)
wegen ist die Regierungsvorlage gemacht, und als
ich diese Gedanken gestern abend vor dem Durch- Die dritte Grenze ist die: Es nützt uns alles
schnitt des Volkes an einem dieser Mittwochabende nichts, wenn Steuersenkung in einem Ausmaß be-
darlegte, fand ich den stärksten Beifall dieses trieben wird, daß sie die finanzielle Ordnung des
Abends. Staates stört und damit das Vertrauen des Sparers
in die Finanz- und Währungspolitik gefährdet.
(Beifall in der Mitte. — Lachen bei der
SPD. — Zuruf des Abg. Heiland.) (Erneute Zustimmung in der Mitte.)
Nun zu dem Thema Berliner Notopfer. Das Hohe Das sind die Grenzen, die wir einhalten müssen.
Haus hat seinerzeit bei der Beratung des Haushalts Wir erkennen sie nur, wenn wir an die Aufgabe
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1323
(Bundesfinanzminister Schäffer)
mit nüchternem Sinn und vollem Pflichtbewußt- Lösung eines so wesentlichen Zentralproblems
sein ohne Rücksicht auf irgendwelche propagandi- der bundesstaatlichen Ordnung, wie es die
stischen Momente herangehen. endgültige Gestaltung der Finanzverfassung
Ich weiß, daß im deutschen Volk viele Sorgen darstellt, erneut zurückzustellen oder gar auf
darüber zum Ausdruck gekommen sind: Ist die sie zu verzichten. Der Auftrag des Verf as-
Steuersenkung groß und weit genug? Ich möchte sungsgesetzgebers zwingt zudem zu einer
mit dem Satz schließen: Möge Gott geben, daß das fristgerechten Regelung.
deutsche Volk nie schwerere Sorgen hat als die, ob Ja, meine Damen und Herren, diesen markan-
eine Steuersenkung weit genug geht! ten Worten des Bundesrats muß ich doch Glauben
(Beifall in der Mitte.) schenken nach dem Wort: Ein Mann, ein Wort.
Ich weiß ja sicherlich — und ich versuche jetzt,
Vizepräsident Dr. Schmid: Die Vorlagen sind be- etwas schwäbisch zu reden —, daß bei all diesen
gründet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Redensarten a bissel Liebe und a bissel Treue und
a bissel Falschheit immer dabei ist. -
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dresbach.
(Heiterkeit.)
Dr. Dresbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Aber immerhin darf ich bei dieser Gelegenheit
Damen und Herren! Ich darf mich zunächst bei der feststellen, daß auch der hohe Bundesrat unbe-
Sozialdemokratischen Partei recht schön dafür be- dingt die Dynamik anerkennt, die in der Finanz-
danken, daß sie mich im Hinblick auf meinen Ge- gestaltung des Bundes liegt, und daß er sich doch
sundheitszustand zuerst sprechen läßt, damit ich — vom Standpunkt der Länder aus gesehen —
es hinter mich kriege. mehr oder weniger in eine stationäre Abwehrstel-
(Heiterkeit.) lung eingegraben hat.
Ich habe die Ehre, zu Drucksache 480, also zu Und nun, meine Damen und Herren: Wer will
dem Bereich Finanzreform, zu sprechen. Eingangs es in diesem Hohen Hause verantworten, daß der
möchte ich sagen, daß ich in dieser Drucksache, ins- alljährliche Streit um den Art. 106 Abs. 3 weiter-
besondere in der Begründung, ein ausgezeichnetes, geht, dieser Viehhandel, wie ich mich neulich mal
literarisch wie wissenschaftlich bedeutungsvolles bei der ersten Lesung des Inanspruchnahmege-
Werk sehe. Ich habe mir die Sache einbinden las- setzes ausgedrückt habe? Ich habe feststellen kön-
sen, wie Sie sehen können. nen, daß der Herr Bundesfinanzminister dieses
(Heiterkeit.) Wort im Wahlkampf oder anderswo aufgegriffen
Dieser Band wird in meiner Bibliothek einen hat. Ich betrachte mich jedenfalls als Original-
Ehrenplatz neben dem Popitz`schen Finanzaus- saatgutzüchter.
gleichsgutachten finden. Sogar der hohe Bundesrat (Große Heiterkeit. — Abg. Lücke: Gut, gut!)
hat eine Anerkennung dafür gefunden, der Bundes- Nun, dieser Streit hat bisher eine ekelhafte Form
rat, der doch seit jenem schwarzen Freitag vom angenommen und faktisch dazu geführt, daß der
Herrn Bundesfinanzminister als Feind der gerech- Vermittlungsausschuß ein Überparlament, das
ten Sache angesehen wird, wenn ich mich mal alt- wahrhafte Parlament geworden ist. Ich habe so
burschenschaftlich ausdrücken darf. die Befürchtung: wenn wir es jetzt nicht in einem
(Heiterkeit.) Aufwaschen schaffen, dann schaffen wir es im
An jenem schwarzen Freitag hat der Berichterstat Jahre 1954 überhaupt nicht. Denn nach einer iso-
ter des Finanzausschusses des Bundesrats, der lierten Steuerreform, habe ich so die Befürchtung,
bremische Senator Dr. Nolting-Hauff, ausgeführt: tritt eine gewisse Müdigkeit in diesem Hohen
Hause ein, die Sommerferien kommen dazwischen,
Der Beifall des Finanzausschusses gilt eben- und dann stehen wir am Ende des Jahres vor vol-
falls der Brillanz der sehr ausführlichen und lendeten Tatsachen.
tiefangelegten Begründung der Gesetzesvor-
lage und seine Zustimmung auch der in dieser (Abg. Dr. Gülich: Die Viehhandelsge-
Begründung umrissenen Aufgabenstellung. schäfte werden das Haus wieder beleben!)
Ich habe dem nichts hinzuzufügen. — Ich könnte es mir vorstellen. Aber sie spielen
Nun zu der Frage: Steuerreform und Finanz- sich, ja meistens im Vermittlungsausschuß ab,
reform in einem oder getrennt? Ich darf darauf Herr Kollege Gülich, also in einer camera obscura.
hinweisen, daß wir durch Art. 107 des Grund- (Heiterkeit.)
gesetzes in einem Zeitdruck sind. Daran kommen Die Frage ist dann aber: Wird der Bundesrat noch
wir nicht vorbei. Die Bundesregierung spricht einmal eine Hinausschiebung des im Art. 107 ent-
zwar in der Drucksache 480 auf Seite 16 eine recht haltenen Termins bewilligen? Wir haben seinerzeit
maßvolle Sprache: Es möge doch möglichst gleich- im 1. Bundestag schon einmal den Termin vom
zeitig verabschiedet werden. Der Bundesrat führt 31. Dezember 1952 auf den 31. Dezember 1954 in
eine entschieden energischere Sprache. Ich ver- Form eines verfassungsändernden Gesetzes hinaus-
weise auf Seite 210 der Drucksache. Dort kommt geschoben, und es ist damals schon im Vermitt-
zum Ausdruck, daß nach Auffassung des Bundes- lungsausschuß zu einem Kompromiß gekommen.
rats nichts verschoben werden dürfe, wenn auch Wenn uns aber am Schluß des Jahres der Bundes-
die zukünftigen Finanzbelastungen noch nicht rat die Verschiebung nicht zubilligt, dann ist der
gänzlich feststünden. Es heißt dann wörtlich: offene Verfassungskonflikt da; und ich glaube, an
Mit derartigen ungewissen Einwirkungen auf dem können wir nicht vorbeigehen, auch wenn
die öffentliche Finanzwirtschaft wird in ab- wir uns manchmal draußen im Lande mit Worten
sehbarer Zeit aber stets gerechnet werden einlullen zu lassen drohen, daß diese Finanz-
müssen. Sie dürfen, zumal eine weitere Ein- reformsache eigentlich doch nur eine Sache für
engung des Finanzbedarfs der Länder zu- die Finanzminister und die Gemeindekämmerer
gunsten des Bundes ausgeschlossen erscheint, sei und die Steuerzahler gar nichts angehe. Sie
nicht zum Anlaß genommen werden, die geht die Steuerzahler sehr wohl an, wie der Herr
1324 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Dresbach)
Bundesfinanzminister mit Recht ausgeführt hat, dung, die ungefähr folgendes besagt: bei den Län-
nämlich aus haushaltswirtschaftlichen Gründen. dern decken die beiden Steuerarten 70 % der
(Sehr richtig! in der Mitte.) Steuereinnahmen, beim Bund nur 20 %. Meines
Erachtens verfängt diese Begründung nicht.
Nun darf man aber auch feststellen, daß Finanz-
reform und Steuerreform miteinander verflochten Sehr bemerkenswert ist in dem Finanzverfas-
sind, insbesondere durch die von der Bundesregie- sungsgesetz der neue Art. 106 Abs. 2 mit dem Ver-
rung verlangte Ergänzungsabgabe zur Einkom- such einer Lastenverteilung zwischen Bund und
men- und Körperschaftsteuer. Wer die bewilligen Ländern. Ich halte diesen Art. 106 Abs. 2 — meine
will — ich weiß nicht, ob das Hohe Haus dazu be- Freunde aus Bayern, horchen Sie bitte bei dem
reit ist —, der muß auch ja sagen zu der gleich- Zusammenhang bei dieser langweiligen Rede doch
zeitigen Behandlung der Finanzreformgesetze. einmal auf! —
(Sehr gut! rechts)
Und dann darf ich darauf hinweisen, daß die
feste Quotenzuteilung an Bund und Länder doch für entschieden moderner als den Art. 30 des
auch ein weittragendes finanzpolitisches Ziel hat, Grundgesetzes, der doch noch von der Auffassung -
nämlich: die Gemeinden, Gemeindeverbände und ausgeht, als ob der Bund ein Kommunalverband
insbesondere die Länder bei ihren Investitionen höherer Ordnung sei. Nun ist es mir aber unver-
auf den Kapitalmarkt zu verweisen und sie davon ständlich, daß der Bundesrat erklärt, dem Gesetz-
abzubringen, diese Investitionen wie bisher vor- geber zu Art. 107 sei ja gar nicht die Aufgabe ge-
nehmlich aus ordentlichen Einnahmen, Steuerein- stellt, eine Lastenverteilung vorzunehmen. Dazu
nahmen, zu bestreiten. Da sind nun in der Begrün- ist zu sagen, daß der Art. 107 ausdrücklich be-
dung der Bundesregierung Begriffe aufgetaucht stimmt, daß jeder Teil „entsprechend seinen Auf-
wie vermögenswirksame und vermögensunwirk- gaben" beteiligt sein soll. Das setzt doch eine unge-
same Ausgaben. Als ich vor 40 Jahren ein der fähre Klärung der Aufgaben- und Lastenver-
Cameralia beflissener Student in Göttingen und teilung voraus, wie sie die Bundesregierung mit
Bonn war, waren diese Ausdrücke noch nicht er- ihrem Entwurf unternommen hat.
funden. Es handelt sich im wesentlichen darum, (Sehr richtig! in der Mitte.)
daß vermögenswirksame Ausgaben gleich Investi- Als schwaches Stück möchte ich die Revisions-
tionen sind und vermögensunwirksame Ausgaben klausel des neuen Art. 106 e ansehen, auch wenn
eben Personalausgaben und andere. sie in der Begründung und der Erwiderung der
(Sehr gut! in der Mitte.) Bundesregierung als Ultima ratio bezeichnet wor-
Ich schließe mich dieser Unterscheidung weit- den ist. Es besteht doch die Gefahr, daß mit dieser
gehend an. Revisionsklausel jedes Jahr der Streit, den wir
begraben wollen, wieder neu aufbricht und neue
Der Bundesrat hat nun allerdings darauf hinge- Wunden bringt. Ich darf in diesem Zusammenhang
wiesen, man könne in der Unterscheidung nicht so darauf hinweisen, daß auch der alte Reichsfinanz-
scharf sein. Straßen, Schulen, Kanalisation usw. ausgleich feste Quoten gehabt hat, im wesentlichen
seien unrentierliche Vermögenswerte, und die immer eine Beteiligung des Reichs mit 25 % an
müßten doch nach wie vor weitgehend aus ordent- der Einkommen- und Körperschaftsteuer, jeden-
lichen Einnahmen gespeist werden. falls zuletzt in der Fassung des Reichsfinanzaus-
Die Bundesregierung hat in ihrer Erwiderung gleichsgesetzes von 1926. Ich bin der Meinung,
zur Stellungnahme des Bundesrats auf Seite 226 diese festen Quoten sollten dafür sprechen, auch
der Drucksache ein gutes Entgegenkommen gezeigt. jetzt die gleiche Prozedur anzuwenden,
Aber primär bleibt doch folgendes bestehen: nur (Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)
das unbedingt Notwendige soll aus Steuern finan- auch wenn wir jetzt noch nicht volle Klarheit über
ziert werden. Damit ergibt sich auch hier die Finanzstruktur haben. Die haben wir auch im
wiederum die Notwendigkeit, Steuer- und Finanz- Reich niemals gehabt.
reform in einem zu erledigen.
(Abg. Dr. Gülich: Das stand aber nicht in
Als Kernstück des neuen Finanzverfassungsge- der Reichsverfassung!)
setzes möchte ich den Art. 106 c ansehen, der die
— Nein, es stand nicht in der Reichsverfassung;
Beteiligung des Bundes und der Länder festlegt: aber es läßt sich ja schließlich darüber streiten, ob
für den Bund 40 %, für die Länder 60 %. Der Ge- derartige Dinge in ein Verfassungsgesetz oder in
setzgeber des Grundgesetzes konnte nicht voraus- ein Spezialgesetz hineinkommen sollen. Ich halte
sehen, wie die Entwicklung verlaufen würde, denn
diese Frage bei meiner gegenwärtigen Betrach-
er konnte die Finanzbelastung nicht voraussehen. tung nicht für so relevant, Herr Kollege Gülich.
Aber es ist erfreulich, daß der Bundesrat — auch
der Bundesrat — und die Bundesregierung zu der Nun ist es aber vollkommen folgeunrichtig,
Auffassung gekommen sind, daß nunmehr eine wenn der Bundesrat die von der Regierung ver-
gewisse Klarheit dasei, daß man daraus die Fol- langte Revisionsklausel ablehnt, gleichzeitig aber
gerung ziehen müsse, daß es zu einer festen eine Sicherungsklausel für die Länder fordert.
Quotenaufteilung kommen müsse, damit diese Diese Sicherungsklausel soll besagen, daß der
ekelhafte Streiterei „alle Jahre wieder" beseitigt Bund, wenn er durch seine neue Gesetzgebung den
wird. Der Bund kann eben ohne einen ständigen Ländern und auch den von den Ländern geführten
Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer und patronisierten Gemeinden neue Aufgaben auf-
nicht mehr auskommen. Deshalb können diese erlegt, dann auch für die notwendigen Mittel sor-
Steuern auch nicht mehr alleinige Landessteuern gen muß. Dabei ist in der Sprache des Bundesrates,
sein, sondern sie müssen gemeinschaftliche Steuern soweit ich es im Augenblick aus seiner Stellung-
werden. Es ist wirklich nicht folgerichtig, wenn der nahme in Erinnerung habe, von „nicht zumutbaren
Bundesrat eine feste Quote für den Bund zubilligt Lasten" die Rede. Ich darf darauf hinweisen, daß
— nur 35 % statt der verlangten 40 % —, aber faktisch das Verlangen der Länder und auch der
gleichzeitig diese Steuerarten als alleinige Landes- kommunalen Spitzenverbände nach Mitteln des
steuern behalten will. Er hat dabei eine Begrün Bundes, wenn der Bund neue Aufgaben und
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1325
(Dr. Dresbach)
Lasten auferlegt, in dem neuen Art. 106 e Abs. 2 Mir war es aber vom steuersystematischen Ge-
realisiert ist. Dort sind faktisch die Bestimmungen sichtspunkt aus sehr interessant, und ich bin hier
der §§ 54 und 55 des alten Reichsfinanzausgleichs bereit, dem hohen Bundesrat absolut zu folgen,
verwirklicht worden. In diesem Zusammenhang wenn er den erzieherischen Wert allgemeiner direk-
gestatten Sie mir noch die Bemerkung, daß diese ter Steuern anerkennt. Deshalb tritt er auch so
§§ 54 und 55 auch in früheren Zeiten nie auto- warmherzig für eine kommunale Personalsteuer
matisch in Wirksamkeit getreten sind. ein und will sie sogar durch Landesgesetzgebung
Der Bundesrat will mit seiner Sicherungsklausel eingeführt wissen in der Form, daß er sie als
sogar so weit gehen, daß er das Quotenverhältnis Steuer mit örtlich bedingtem Wirkungskreis dekla-
zwischen Bund und Ländern ändern will — er, der riert. Wir waren bisher der Meinung, daß diese
die Revisionsklausel der Bundesregierung "wegen kommunale Personalsteuer, die ja einmal als Nach-
der alljährlich zu erwartenden Streitigkeit ablehnt! folger des Notopfers Berlin gedacht war, nur durch
Obschon ich den Bundesrat als ein hochstehendes Bundesgesetzgebung eingeführt werden könne. Daß
Parlament anspreche — es ist ein Parlament der diese kommunale Personalsteuer nicht unbedingt in
gelehrten Priester, und ich weiß bestimmt, daß sie allen kommunalen Kreisen beliebt ist, ist mir be-
uns als Laienbrüder betrachten —,
kannt. Die armen Gemeinden schätzen sie nicht,
(große Heiterkeit) die wohlhabenden Gemeinden aber durchaus.
muß ich hier bei diesem geistig hochstehenden Nur darf ich aber darauf hinweisen, daß der er-
Parlament doch eine gewisse Folgeunrichtigkeit zieherische Wert von allgemeinen direkten Steuern
feststellen. in heutiger Zeit doch sehr stark durch die hohen
(Erneute Heiterkeit.) Freibeträge gemindert worden ist. In der Massen-
Die Bundesregierung hat nun hier einen berech- wirkung geht meines Erachtens diese erzieherische
tigten Argwohn, nämlich den, daß der Bundesrat Wirkung vorbei; oder man müßte für diese Zu-
versuchen wird, über den Begriff der „zumutbaren schläge wieder so etwas einführen wie seinerzeit
Belastungen" seine Zuständigkeit zu erweitern, den fingierten preußischen Talerzensiten, der auch
nämlich ungefähr jedes Bundesgesetz zu einem Zu- den kommunalen Zuschlag tragen mußte. Es würde
stimmungsgesetz zu erklären. zu weit führen, wenn ich mich auf diese Finanz-
Meine Damen und Herren, ist der Herr Minister historie zu sehr einließe; aber ich habe gesehen,
Kaiser noch da? Herr Kollege Eckhardt, der diese Dinge ja nun
(Abg. Kaiser: Ja, er ist hier!) kennt, weil er aus der Branche stammt, hat mir
zugenickt, und damit bin ich zufrieden, wenn ein
— Herr Kollege Kaiser — Sie sitzen ja jetzt un- so hoher Fachmann meine laienhaften Plaudereien
ten —, akzeptiert.
(Heiterkeit)
Sie haben neulich den Schrei nach dem Bundeswirt- (Abg. Dr. Eckhardt: Vielen Dank! — Heiter-
schaftsrat ausgestoßen. Wissen Sie: der Bundesrat keit.)
allzuständig mit der Zustimmung, dazu noch der Ich darf historisch aber noch darauf hinweisen,
Bundeswirtschaftsrat — dann singen Sie in Zu- daß solche Zuschläge der Länder auf die Einkom-
kunft bei der Bonner Gesetzgebung das Lied: „Im- men- und Körperschaftsteuer schon einmal geplant
mer langsam voran, damit der Bonner Landsturm gewesen sind, und zwar im Jahr 1925 im Zuge der
nachkommen kann!" Schliebenschen Finanzreform für das Jahr 1927.
(Große Heiterkeit. — Beifall bei der FDP.) Aber dann sagte man, als dieses Jahr gekommen
war: „Es ist noch nicht genügend Klarheit da; las-
Nun hätte ich es gerne gesehen — ich glaube, sen wir es!" Der Ergänzungszuschlag des Bundes
auch der Herr Bundesfinanzminister —, wenn die aber hat einen tatsächlichen Vorgänger; das sind
Umsatzsteuer wie ehedem in der Weimarer Repu- die Zuschläge des Reiches, die vom Jahre 1930 bis,
blik eine gemeinschaftliche Steuer, eine Beteili- glaube ich, zur Steuerreform von 1934 für Ledige
gungssteuer geworden wäre. Die Länder haben sich und für die Einkommen über 8 000 Mark erhoben
dagegen erklärt, und zwar mit , der sehr trockenen wurden. Diese Zuschläge nahm das Reich vorweg,
Begründung, die sei ja genau so krisenanfällig wie bevor die übrige Masse in die Überweisung, also
die Einkommen- und Körperschaftsteuer auch. Die in die Beteiligung von Ländern und Gemeinden
Bundesregierung ist meines Erachtens mit ihren ging. Ich weiß aber nicht, ob man diese Dinge heute
Motiven auf dem richtigeren Wege. Sie sagt sich wieder so anwenden kann. Jedenfalls setzen jeg-
nämlich: die Länder befürchten, daß, wenn die Um- liche Zuschläge der Länder meines Erachtens eine
satzsteuer auch eine gemeinschaftliche Steuer wird, ganz scharfe Tarifsenkung bei den Prinzipalsätzen,
dann der moralische Hosenboden für die eigene bei dem eigentlichen Einkommensteuertarif voraus.
Landessteuerverwaltung endgültig durchgeschlissen Ich habe aber auch, wie die Bundesregierung, noch
sei. andere Bedenken gegen Zuschläge der Länder.
(Heiterkeit. — Abg. Dr. Gülich: Sehr gut!) Denn dadurch würde die Differenzierung dieser so
Auch bei der Ergänzungsabgabe des Bundes ist sehr in das Geschäftsleben einschneidenden Steuer-
es sehr interessant, den Gedankengängen des Bun- arten zu hoch werden, und die Wahrung der Ein-
desrates nachzugehen: zunächst Ablehnung, aber heitlichkeit der Lebensverhältnisse nach Art. 72
dann Zustimmung, wenn gleichzeitig auch den Län- des Grundgesetzes könnte gefährdet sein.
dern ein Zuschlagsrecht zur Einkommen- und Kör-
perschaftsteuer zugebilligt wird. Es ist nun richtig, Meine Damen und Herren, ich habe mich etwas
daß die Länder eine gesetzgeberische Einwirkung mit meinem Lieblingskind, den Gemeinden, befaßt
auf ihre Steuereinnahmen eigentlich schon nicht und darf es auch hier noch tun.
mehr seit 1920, seit dem Inkrafttreten des Landes- Das Finanzverfassungsgesetz ist bei dem Grund-
steuergesetzes, haben; sie üben diesen Einfluß gedanken geblieben, daß Länder und Gemeinden
heute nur noch über den Bundesrat aus. Verwal- eine Einheit darstellen, daß die Gemeinden also
tungsmäßig haben sie jedoch mit den Länderfinanz- nicht als „dritte Kraft" neben Bund und Ländern
ämtern eine recht beträchtliche Einflußnahme, was in Erscheinung treten dürfen. Sie bleiben unter den
ich hier noch in Parenthese bemerken darf. schützenden — nun, sagen wir einmal: mehr oder
1326 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Dresbach)
weniger -schützenden Fittichen der Länder. Aber den oberen Verband, d. h. den Bund, kommen. Die-
ich darf doch sagen: der neue Art. 106 Abs. 3 des ser Ausgleich — so sagt die Bundesregierung —
Finanzverfassungsgesetzes bringt einen sehr be- soll sich nicht in Form von Inkassoprämien bei der
merkenswerten Hinweis auf die Möglichkeiten Steuerverwaltung vollziehen, sondern in Form des
eines innerstaatlichen Verbundes, d. h. einer Be- allgemeinen Finanzausgleichs. Da hat nun aller-
teiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände dings der Hohe Bundesrat eine sehr klassische Fol-
an bestimmten Steuerarten, insbesondere also der gerung gezogen: „Jawohl, im Namen des allgemei-
Einkommen- und Körperschaftsteuer. Hier handelt nen Finanzausgleichs, dann setze ich dem Bund die
— ich darf einen Vorgriff auf den Länderfinanz- Quote von 40 auf 35 % herunter."
ausgleich, den horizontalen Finanzausgleich tun —
der Bundesrat wiederum folgerichtig, wenn er für Zu den Ausführungen des Herrn Bundesfinanz-
den horizontalen Finanzausgleich in seinem Gegen- ministers über die Pauschalierungen der Bundeszu-
vorschlag die Realsteuern nicht zu den Bemessungs- weisungen bzw. der Interessenquoten der Länder
grundlagen für die Steuerkraft rechnen will, ob- noch einiges. Wir haben, worauf mein Freund
schon er sonst die Einheit von Land und Gemeinde Arndgen in der dritten Beratung des Haushalts hin-
proklamiert. gewiesen hat, in Ausführung des Art. 120, dieses
Kriegsfolgelastenartikels, ein starkes Auseinander-
(Abg. Dr. Willeke: Hört! Hört!) klaffen von Finanzträgerschaft — der Bund muß
Ich weiß, daß die Wünsche der Gemeinden weiter es bezahlen! — und Verwaltungsträgerschaft; das
gehen. Sie wollen eine Realsteuergarantie durch sind die Länderbehörden einschließlich der Ge-
Bundesgesetz haben. meindebehörden. Das ist auf die Dauer, glaube ich,
(Abg. Dr. Willeke: Sehr richtig!) nicht möglich. Der Bund muß in diesen Dingen
doch zumindest ein Weisungsrecht bekommen.
Das würde an dem gegenwärtigen Zustand nichts
ändern; denn die Realsteuern sind seit der Real- Nun scheint es mir durchaus richtig zu sein, wenn
steuergesetzgebung von 1936 ausschließlich Ge- der Bund bei der öffentlichen Fürsorge, soweit der
meindesteuern. Aber es handelt sich um eine bun- Bund Lastenträger ist, zur Pauschalabgeltung
desverfassungsrechtliche Sicherung. Die Gemein- schreitet. Wo eine solche Pauschalabgeltung wegen
den wollen weiterhin einen Bundeszwang für den der Unübersichtlichkeit noch nicht möglich ist, da
innerstaatlichen Steuerverbund, d. h. fort von den scheint mir das System der Interessenquote richtig
Finanzzuweisungen von Land zu Gemeinden und zu sein, das auch schon gehandhabt worden ist, und
Beteiligung der Gesamtheit der Gemeinden an be- zwar — darauf lege ich Wert — mit einem Prozent-
stimmten Steuerarten in einem bestimmten Pro- satz von 25 v. H. Die Länder sagen: 25 % Inter-
zentsatz. essenquote ist eine Drückebergerei des Bundes
Meine Damen und Herren, wir müssen uns dar- gegenüber den Verpflichtungen des Art. 120. 15 %
über klar sein, daß das nur durch Verfassungsände- wollen sie zubilligen. Ich bin der Meinung, daß die
rung zu erreichen ist. Die Aufgabe, die dem Ge- Verhältnisse zu einer spürbaren Interessenquote
setzgeber mit Art. 107 gestellt ist, kann das nicht drängen; denn es ist nun einmal eine Tatsache
betreffen. In Art. 107 sind die Realsteuern ausge- gerade bei den öffentlichen Finanzen, daß man Gel-
nommen. Die kommunalen Spitzenverbände stellen der, die man nicht unter eigener Verantwortung
ihre Forderungen, damit die institutionelle Garan- aufzubringen hat, opulenter ausgibt als unter eige-
tie des Art. 28 des Grundgesetzes für die Gemein- ner Verantwortung aufgebrachte.
den finanziell gesichert wird. Die Bundesregierung (Sehr richtig! in der Mitte.)
sagt: Nein, erst dann, wenn diese Garantie gefähr-
det ist, ist für mich die Möglichkeit gegeben, in den Damit komme ich zum letzten Kapitel, nämlich
innerstaatlichen Finanzausgleich einzugreifen. Aber zum Länderfinanzausgleich und zu der Fragestel-
ich könnte mir vorstellen, daß in diesem Hohen lung: Was ist Föderalismus? Stehen wir noch auf
Hause ein Antrag auf entsprechende Änderung des dem Standpunkt der Bismarckschen Verfassung, der
Grundgesetzes zugunsten der Gemeinden eine Eigenstaatlichkeit der Länder? Ich darf darauf hin-
Mehrheit fände. weisen, daß damals Eigenstaatlichkeit auch als
Finanzautonomie ausgelegt wurde, ebenso wie der
(Beifall in der Mitte, links und rechts.) alte Begriff der kommunalen Selbstverwaltung als
— Danke! Ich stelle überall Händeklatschen, nur kommunale Finanzautonomie ausgelegt worden ist.
nicht bei meinen bayerischen Freunden, fest. Ich darf dazu ein Beispiel bringen. Im Jahre 1913
(Heiterkeit.) waren bei uns oben in meiner bergischen Heimat
Aber das soll nun nicht besagen, daß meinen baye- noch die Petroleumfunzeln Brauch. Der kommu-
rischen Freunden die Sorgen der Gemeinden nicht nale Zuschlag zur Einkommensteuer betrug 320 %,
ans Herz gewachsen seien. Damit habe ich doch zur gleichen Zeit, als in Godesberg, im Eldorado
wieder die Verbindungsbrücke geschlagen. der rheinischen Oberbürgermeisterpensionisten,
(Beifall und Heiterkeit.) (Heiterkeit)
Nun zum Finanzanpassungsgesetz. Hier handelt 90 % Einkommensteuer erhoben wurden. In jener
es sich um eine Summe von Einzelbestimmungen. Zeit wurden aber bei uns nur Wege für das
Ich will versuchen, einige Leitgedanken herauszu- Ochsengefährt gebaut. Jetzt will man oben bei uns
arbeiten. Der Leitgedanke ist sicherlich § 106 Abs. 2 auch Wege haben, auf denen der Bauernjunge mit
des Finanzverfassungsgesetzes in der neuen Fas- dem Motorrad fährt. Die Anforderungen in bezug
sung. Wer eine Sachkompetenz hat, muß primär auf Verwaltungsleistungen sind also nach oben ge-
seine Kosten selber aufbringen, und die Länder drängt worden. Auf der andern Seite haben wir es
wollen ja die Ländersteuerverwaltungen und wol- eben zwei Kriegen zu verdanken, daß die gesamten
len auch sonst keine Bundessonderbehörden, wie Aufgaben der Staatsvorsorge größer geworden
etwa eine Versorgungsverwaltung. Dann müssen sind. Im Zusammenhang mit dem Verlangen der
sie aber primär auch für diese Lasten aufkommen. Bevölkerung nach möglichst gleichmäßigen Lei-
Erst in zweiter Linie kann der Ausgleich durch stungen ist der Trend zum oberen Verband, der die
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1327
(Dr. Dresbach)
Gleichmäßigkeit herstellen muß, viel stärker ge- Jedenfalls darf ich hier feststellen: mit dem Vor-
worden. An diesen Dingen kann man nicht vorbei- anschreiten des Ausgleichsgedankens verlieren die
gehen. alten Begriffe der Staatlichkeit und auch der
(Sehr gut! in der Mitte.) Selbstverwaltung ihren alten Inhalt,
Gewiß, ich weiß, die Länder in ihrem Streit un- (Zustimmung in der Mitte)
tereinander sind ja nicht eitel Brüder. Schleswig und durch die Brüderlichkeit des Ausgleichs kom-
Holstein, dieses besondere Land, schert ja meistens men die Länder auf den Status von Provinzen —
aus und zieht mit dem Bund; es hat ja wohl auch bitte, nicht im Sinne von Staatsbezirken, sondern
seine Gründe dafür. im Sinne von Kommunalverbänden höherer Ord
(Heiterkeit.) nung —,

Wir haben auch erlebt, daß zwischen Rheinland (erneute Heiterkeit)


Pfalz und Nordrhein-Westfalen eine gewisse Miß- und die Finanzierung bekommt zu starken Teilen
stimmung aufkam. Man hat gesagt, es hat doch den Charakter von Dotationen, wie sie charakte-
früher einen Ausgleich zwischen armen und reichen ristisch für die Finanzierung der preußischen Pro- -
Gebieten gegeben. Jawohl, aber gerade in diesen vinzen waren. Es handelt sich nicht nur um die
Gebieten über die gemeinsame preußische Staats- brüderlichen Dotationen der reichen Länder an die
kasse armen, sondern es sind auch — ich weiß nicht, ob
(Sehr richtig! bei der SPD) die Formulierung ganz mit dem Art. 30 vereinbar
ist — väterliche Dotationen vorgesehen, d. h. solche,
und über den Weg der Dotationen an die Provin-
zen. die direkt vom Bund aus eigenen Mitteln des Bun-
des kommen.
Meine Damen und Herren, unter dem Einfluß
der starken Länder hat sich der Bundesrat für eine In diesem neuen Art. 106 e Abs. 2 findet sich zum
Minderung des Ausgleichs eingesetzt, die geringer erstenmal auch in der Gesetzessprache des Bundes
ist, als die Bundesregierung vorgeschlagen hat. der Begriff „Finanzzuweisungen". Ich möchte hier
Daraufhin ist eine sehr energische, fast grobe Ent- zum Detail des Länderfinanzausgleichs noch fol-
gegnung der Bundesregierung gefolgt, die ich Sie gendes sagen. Es ist sehr gut — darin stimmen
auf Seite 230 nachlesen zu wollen. bitte. Der Herr Bundesregierung und Bundesrat überein — daß ,

Bundesfinanzminister sagt: wir können doch die das Empfangsbedürfnis lediglich auf die Steuer-
Länder nicht aushungern lassen. Dann kann man kraft und nicht auf sogenannte Bedürfnisträger,
sagen, daß diese Länder von heuzutage nun wirk- wie Flüchtlingszahlen usw., abgestellt ist. Mit der
lich keine Gottesgeschöpfe sind. Steuerkraft läßt sich am wenigsten manipulieren,
(Heiterkeit und Beifall. — Abg. Stücklen: und erst gar nicht dann, wenn wir eine Bundes-
Nicht alle!) finanzverwaltung haben.
— Nein, Bayern nehme ich aus, Herr Gott noch (Beifall rechts.)
mal! Fünfhundertjährige Wittelsbacher Tradition Aber ich möchte hier ausdrücklich betonen: zur
und staatliche Tradition, südlich der Donau sogar Frage des Art. 108 gibt der Art. 107 keinen Auf-
noch länger! trag. Wir können in diesem Zusammenhang das
(Erneute Heiterkeit. — Abg. Arnholz: Verwaltungsthema nicht anschneiden.
Könige von Napoleons Gnaden!)
Nun haben wir tatsächlich für diese Ausgleichs-
Wir hatten einmal einen Euler-Ausschuß; wir funktion, die der Herr Bundesfinanzminister so
haben eine Studienkommission, die durchs Land stark herausstellt, im Verhältnis Bund zu Ländern
reist und in München kühl empfangen worden ist, und Länder zueinander, eine Funktion, die sich
in der Pfalz auch, auf Münchens Wunsch. auch im interkommunalen Lastenausgleich zeigt —
(Heiterkeit.) bitte, Herr Kunze, das ist nicht Ihre moderne Er-
Bitte, mögen die Herrschaften Länder vorschlagen, findung, das sind ältere Begriffe —,
die man, wenn auch nicht als Gottesgeschöpfe, so (Heiterkeit)
doch als ungefähr rationale Gebilde ansehen kann.
Vorgänger. In diesen Tagen wurde uns eine sehr
(Beifall links, in der Mitte und rechts.) nette Broschüre des Instituts „Finanzen und
Ich habe eben versucht, in mehr dialektischer Steuern" — „Der Finanzminister" — zugeleitet.
Form darzustellen, wie ehedem die Staatlichkeit Ich habe mit sicherem Auge das entdeckt, was ich
der Länder in der Bismarckchen Verfassung gleich in meiner heutigen Rede verwerten konnte, und
Finanzautonomie war. Die Frankensteinsche Klau- zwar eine Rede Bismarcks im Reichstag vom 2. Mai
sel, also die Abzweigung von Zollerträgen, die dem 1879. Er wendet sich darin gegen die Matrikular-
Reich zustanden, an die Länder, hat mit diesen beiträge. Er dämpft allerdings auch den national-
Dingen nichts zu tun. Sie kam aus der damals noch liberalen Abgeordneten Miguel, der damals noch
kleinen bayerischen Nörgelsucht nicht preußischer Finanzminister war, etwas, weil
(große Heiterkeit) dieser die Matrikularbeiträge als Grund für die
— ich finde gleich wieder einen versöhnenden Aus- finanzielle Anarchie im Reiche dargestellt hatte.
druck —, das Reich möglichst klein zu halten. Bismarck führt hier aus:
Der Bund regelt den horizontalen Finanzaus- Das möchte ich nicht in diesem Wortlaut unter-
gleich durch Bundesgesetz, und natürlich wirkt der schreiben, aber gewiß ist, daß es für das Reich
Bundesrat als Organ des Bundes mit. Es hätte mei- unerwünscht ist, ein lästiger Kostgänger bei
nes Erachtens jedenfalls auch nahegelegen — so den Einzelstaaten zu sein, ein mahnender Gläu-
wie ich den Art. 30 interpretiere —, diesen horizon- biger, während es der freigebige Ver-
talen Finanzausgleich durch Staatsverträge zwi- sorger der Einzelstaaten sein könnte
schen den Ländern zustande zu bringen. Aber da- bei richtiger Benutzung der Quellen, zu wel-
zu reicht doch wohl die Brüderschaft nun gar nicht chen die Schlüssel durch die Verfassung in die
aus. Hände des Reichs gelegt, bisher aber nicht be-
(Heiterkeit.) nutzt worden sind.
1328 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Dresbach)
Ich weiß nicht, ob es dem Herrn Abgeordneten von leicht geschichtlicher Bedeutung" handle. Das waren
Passau gefällt, wenn ich zu seiner Unterstützung stolze Worte; heute war er in der Wahl seiner
Worte eines preußischen Junkers zitiert habe. Worte schon ein wenig vorsichtiger.
(Heiterkeit.) Der Herr Kollege Dresbach hat ja eben die Ver-
Aber ich darf doch feststellen: vom Freiherrn von hältnisse unserer Finanzverfassungsart charakte-
Franckenstein mit seiner Klausel bis zu Fritz risiert, und ich kann auf manches, was ich sagen
Schäffer — beides Männer aus Bayern — hat sich wollte, verzichten, weil ich eine so schöne Einigkeit
eine wachsende Tendenz Bayerns zur Bundestreue, feststelle, die hoffentlich ein gutes Vorzeichen für
zur Integration vollzogen. die Verhandlungen im Finanz- und Steuerausschuß
(Heiterkeit und Beifall.) sein wird.
Ich habe schon einmal gesagt: an dem ganzen Was gibt denn nun Anlaß zu dieser Reform?
Spiel ist der Steuerzahler verhältnismäßig wenig Seit Jahren gibt es heftige Auseinandersetzungen
interessiert. Er sieht die Summe seiner Steuern, unter den Ländern der Bundesrepublik um einen
und es ist ihm verhältnismäßig gleichgültig, ob horizontalen Finanzausgleich nach Art. 106 Abs. 4
diese die Gemeinde, das Land oder der Bund be- des Grundgesetzes und einen heftigen Streit der -
kommen. Trotzdem sollten wir als Gesetzgeber Ländergesamtheit — in diesen Momenten, Herr
diese Dinge sehr, sehr ernst nehmen. Nun haben Dresbach, bilden die Länder ja eine wahre
wir allerdings den Eindruck, daß gerade im Bun- Brüderschaft — gegen einen horizontalen Finanz-
desrat eine gewisse L'art-pour-l'art-Politik getrie- ausgleich nach Art. 106 Abs. 3. Am 9. April dieses
ben worden ist, auch eine gewisse Rechthaberei, Jahres kam es im Bundesrat zu einem offenen
ein Spiel um die Machtpositionen der Bürokratie. Konflikt zwischen dem Bundesfinanzminister und
dem Bundesrat. Es fielen dann Worte von Ver-
(Sehr gut! in der Mitte und rechts.)
fassungskrise und von Staatskrise.
Vom damaligen Präsidenten des Parlamentarischen
Rats stammt die Bezeichnung — der Bundesrat lag Worin bestehen nun eigentlich die Schwierigkei-
damals im Gebären —, es werde ein Oberregie- ten, die weiteste Kreise der deutschen Bevölkerung
rungsratsparlament werden. an der Richtigkeit unserer demokratischen Staats-
ordnung verzweifeln lassen? Die Länder sind mit
(Heiterkeit.) Ausnahme Bayerns keine historisch gewordenen
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist doch Staatsgebilde und haben deshalb auch mit Aus-
schon eine höhere Garnitur, die dort das wirkliche nahme von Bayern kein historisch gewachsenes
Wort spricht, ich glaube, die Herren Ministerial- Staatsgefühl. Die Länder sind 1946 von den Be-
dirigenten aus den Landeshauptstädten. Ich kenne satzungsmächten ad hoc nach Militärverwaltungs-
einen, den ich gerne nach Bonn gezogen hätte, der gesichtspunkten gegründet und abgegrenzt worden.
auf eine höhere Stufe sollte, zu höheren Aufgaben. (Abg. Arnholz: Schon durch Napoleon!)
(Große Heiterkeit.) Ziel der alliierten Politik war — und wir müssen
Jedenfalls hat uns diese Politik bisher immer uns dessen heute erinnern, wenn wir an ein großes
auf das Knie des Vermittlungsausschusses gebracht, Reformwerk herangehen wollen —, Deutschland
der ein Überparlament geworden ist. Alles Tun für immer zu schwächen, die Deutschen unterein-
und Treiben von der einen wie von der andern ander auf Grund des deutschen Erbübels partiku-
Seite geht von der Auffassung aus: die Sache laristischer Bestrebungen zu entzweien und insbe-
kommt vor den Vermittlungsausschuß, und da muß sondere jegliche Zentralgewalt zu beseitigen. Als
ich eine Spanne haben, da muß ich etwas zum Nach- eine der stärksten Kraftquellen des Reiches sah
geben haben. Meine Damen und Herren, das ist man seine wohlfunktionierende Reichsfinanzver-
keine nette Politik. waltung an, die 1919 nach einem verlorenen Krieg
zur Stärkung dieses armen, darniederliegenden
(Heiterkeit.) deutschen Volkes von Erzberger erdacht und von
Aber nun habe ich doch eine Hoffnung. Wir der Weimarer Nationalversammlung eingeführt
haben aus den Gazetten vernommen, daß es in wurde. Die Weimarer Nationalversammlung wußte,
Düsseldorf zu einem Staatsbesuch gekommen ist. was zur Zusammenfassung der Kräfte not tat. Die
Alliierten wußten 1946 infolgedessen auch, was zur
(Heiterkeit.) Zerschlagung der deutschen Kraft notwendig war.
Es hat einen Empfang gegeben auf Schloß Ben 1949 wurde — auch das wollen wir nicht vergessen
rath, diesem Juwel des Rokoko. Ich könnte mir — als Ergebnis des inzwischen ausgebrochenen
vorstellen, daß sich der Herr Bundeskanzler und amerikanisch-russischen Konflikts in den west-
der Herr Ministerpräsident meines engeren Vater- lichen drei Besatzungszonen die Bundesrepublik
landes gegründet. Und nun kommen wir her und machen
(Heiterkeit) aus dieser Not der Besatzungsjahre eine Tugend,
wie echte Rokokokavaliere benommen haben, daß (Richtig! beim GB/BHE)
sie die Degen gesenkt haben und beim Finanzaus- nun erklären wir, diese Länder, die da ad hoc und
gleich gelobt haben: Die Waffen nieder! zufällig nach Autobahngesichtspunkten und was
(Große Heiterkeit und Beifall.) weiß ich geschaffen worden sind, seien echte Län-
der, welche Glieder einer Föderation sein könnten!
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ab- (Sehr gut! beim GB/BHE.)
geordnete Gülich. Das ist der politische Ausgangspunkt, den wir bei
der kritischen Betrachtung des vorliegenden Re-
formwerks nicht außer acht lassen dürfen.
Dr. Gülich (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat in (Sehr richtig! bei der FDP.)
der Regierungserklärung vom 11. März gesagt, daß Das Reformwerk enthält mit den ausführlichen
es sich bei den uns vorliegenden Drucksachen um Begründungen, Berechnungen, Tabellen, der Stel-
„Gesetzgebungswerke von wahrhaft großer, ja viel- lungnahme des Bundesrats und der Antwort der
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1329
(Dr. Gülich)
Bundesregierung 422 eng bedruckte DIN A 4-Sei- 108 steht „Finanzmonopole" in ganz anderem Zu
ten. Rechnen Sie für die Lektüre — sie liest sich sammenhang. Nein, damit lassen wir Sie nicht
ja nur an einigen Stellen wie ein Roman, aber teil- durch! Ich werde das im Ausschuß näher ausführen.
weise liest sie sich tatsächlich wie ein Roman, wie
ein guter Roman — zehn Minuten pro Seite, dann Neu ist der Begriff der gemeinschaftlichen
brauchen Sie volle 70 Stunden, um dieses Werk Steuern, die Erklärung der Einkommen- und Kör-
durchzuarbeiten. Sind Sie vorzüglich in der Mate- perschaftsteuer zu einer gemeinschaftlichen Steuer
rie zu Hause und außerdem mit der Korfschen in Art. 106 c. Allerdings geht der Entwurf auch
Brille ausgestattet, können Sie also diagonal lesen, hier nicht bis zum Ende. Er hat den Begriff nicht
dann brauchen Sie doch 35 bis 40 Stunden als zu Ende gedacht und hat die Konsequenzen, die
Minimum für die Lektüre dieses Werkes. man aus der gemeinschaftlichen Steuer ziehen
müßte, nicht gezogen. Er hat sich damit begnügt,
Die historischen Darlegungen — ich gebe Kolle-
den Begriff zu statuieren, das Verhältnis 40 zu 60
gen Dresbach in allem, was er hierzu gesagt hat, festzulegen und eine Ergänzungsabgabe einzufüh-
vollkommen recht — sind ausgezeichnet, die Be-
ren. Ich frage Sie: Wo in aller Welt wird über die
-
rechnungen sind gut, die Überlegungen sind scharf-
Verteilung einer Steuer ein Prozentsatz in der
sinnig. Aber eines habe ich bei Ihnen vermißt, Verfassung festgelegt?
Herr Dresbach. In der Begründung zu den Re-
formwerken sieht man, wieviel klare Erkenntnis Was haben Sie überhaupt alles hineingebracht!
von der Fehlerhaftigkeit unserer Finanzverfassung Der Art. 106 hatte bisher vier ordentliche Absätze.
vorhanden ist, die implizite bei der gesamten Be- Der erste regelte die Bundeszuständigkeit, die
gründung, explizite an manchen Stellen zum Aus- Steuerertragshoheit des Bundes für Zölle, Umsatz-
druck kommt, so daß ich also doch sagen muß: das steuer und Verbrauchsteuern mit Ausnahme der
Bundesfinanzministerium ist ein bißchen besser als Biersteuer. Der Abs. 2 regelte die Landessteuern,
sein Ruf in bezug auf die Erkenntnis vom Übel und der Abs. 3 gab die Möglichkeit zu einem ver-
unserer Finanzverfassung. Es ist sehr interessant: tikalen Finanzausgleich, von der unter gewalt-
wenn man in diesen Begründungen scharfe und samer Interpretation dieses Abs. 3 in den letzten
klare Darlegungen liest, die so gehalten sind, daß Jahren Gebrauch gemacht worden ist. Abs. 4
man glaubt, jetzt kommt „also müssen wir die regelte den horizontalen Finanzausgleich. Aber die
Sache ändern", dann folgt der schöne Satz:,, Dennoch Festlegung des Bundesanteils mit 40 zu 60 und die
hat sich die Bundesregierung entschlossen, das so Einführung der Ergänzungsabgabe sind des Pudels
oder so beizubehalten", nämlich den alten Schlen- Kern des gesamten Reformwerkes. Ein großer Auf-
drian weiterzumachen, wand wird vertan, um zu verdecken, daß die ge-
(Heiterkeit und Beifall links und bei der samte Finanzverfassungsreform, so wie sie dem
FDP) Herrn Bundesfinanzminister vorschwebt, nichts
ja um Gottes willen nichts zu ändern, weil die Bun- anderes als die unzulängliche Regelung des Finanz-
desregierung glaubt, dem föderalistischen Gedan- ausgleichsproblemes darstellt. Das ist für eine
ken zu dienen. Sie dient ihm nicht — ich werde das Finanzverfassungsreform, die mit so großen Wor-
noch ausführen —, sie schadet ihm. ten angekündigt worden ist, ein bißchen mager.
Wir wollen zunächst einmal betrachten, was im Das Ziel einer solchen Reform, und zwar hier
Reformwerk geregelt ist, und dann überlegen, was einer Reform der Steuerertragshoheit, müßte doch
im Reformwerk nicht geregelt ist. Ich kann mich sein, die Steuern dahin zu geben, wohin sie steuer-
in diesem Punkt ziemlich kurz fassen, weil ich wirtschaftlich tendieren. Demnach dürfen Landes-
nichts von dem wiederholen möchte, was Kollege steuern nur solche Steuern sein, die an das Land
Dresbach gesagt hat. gebunden sind. Steuern, die überlandlichen Cha-
(Abg. Dr. Dresbach: Es war gut, daß Sie rakter haben, müssen Bundessteuern sein. Hier
mich vorließen! — Heiterkeit.) fehlt im Gesetzestext — nicht in den Begründun-
— Ich habe Sie gerne vorgelassen, da Sie mich gen — des Reformwerkes jede Überlegung, ob-
darum gebeten hatten. Ich bin nun in der unglück- gleich auf dem Gebiet fast aller Steuern, die als
lichen Lage, Ihnen eigentlich nur zustimmen zu Landessteuern deklariert sind, trübe Erfahrungen
können. der letzten Jahre vorliegen, seitdem die einheit-
(Heiterkeit.) liche Reichsfinanzverwaltung zerschlagen ist.
Steuersystematisch müssen z. B. die kleinen Ver-
Es wäre ja viel netter gewesen, wir wären in ein kehrsteuern, etwa die Versicherungsteuer und die
ordentliches Gespräch gekommen, welches von Kapitalverkehrsteuern, ihres überregionalen Cha-
verschiedenen Gesichtspunkten ausgeht. rakters wegen ebenso behandelt werden wie die
(Erneute Heiterkeit.) Umsatzsteuer. Sie müssen also dem Bund zufließen.
Daß die größte Oppositionspartei und die größte Dasselbe gilt in gewissem Grade für die Erbschaft-
Regierungspartei sich in dieser Grundfrage einig steuer. Hier tauchen zahlreiche Probleme auf, wenn
sind, ist frappierend. Das heißt, wenn wir uns der Erblasser in dem einen, der Erbe in dem an-
nachher im genauen die Sache ansehen, Herr Dres- deren Lande lebt oder wenn der Erbe eine Körper-
bach, dann wird die Einigkeit ja nicht so groß sein; schaft ist. Bei der Vermögensteuer z. B., die Lan-
denn der Herr Bundesfinanzminister gehört ja dessteuer ist, fallen Steuerobjekt und Steuergläu-
schließlich auch zu dieser größten Regierungspartei, biger auseinander. Steuerobjekt ist das Vermögen,
wenn auch zu ihrem königlich-bayerischen Flügel. Steuergläubiger aber nicht das Land, in dem sich
(Große Heiterkeit.) das Vermögen befindet, sondern das, in dem der
Eigentümer seinen gesetzlichen Wohnsitz hat. Die
Ich will also die Artikel 106 a und b im einzelnen bisherige Regelung — ich will deren Kompliziert-
nicht erörtern. Nur, Herr Bundesfinanzminister, heit nicht weiter ausführen — war aus Gründen
daß Sie da einfach den Begriff der Finanzmonopole der Verwaltungsvereinfachung innerhalb der alten
in Art. 106 eingeschmuggelt haben, damit sollen Reichsfinanzverwaltung richtig. Jetzt behält man
Sie nicht durchkommen. Im alten Art. 106 stand: diese Regelung aus Gründen der Verwaltungs
„der Ertrag der Monopole"; in den Art. 105 und komplizierung bei.
1330 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Gülich)
Nota bene: Die Vermögensteuer wird auch im Damit lebt ein alter Kampf wieder auf. Die Er-
Katalog des Art. 106 b als Landessteuer bestätigt. gänzungsabgabe hindert aber den Bund auch, was
Im Finanzanpassungsgesetz wird dann ganz schlicht wir nicht übersehen wollen, daran, leichtfertig eine
gesagt, daß die Vermögensteuer für 25 Jahre dem Erhöhung der indirekten Steuern vorzuschlagen.
Lastenausgleichsfonds zufließen soll, wenigstens Das ist ein Vorteil.
bis zum Aufkommen von 1785 Millionen DM, was Nun ein Wort zu Art. 106 f, der die neue Form
ja bisher noch nicht erreicht worden ist. des horizontalen Finanzausgleichs statuiert. Wenn
Also wohin man schaut, findet man Unklarhei- wir uns über Finanzausgleichsprobleme unter den
ten und stellt fest, daß das Reformwerk im Ge- Ländern unterhalten, müssen wir uns daran er-
setzgebungstext nicht zu Ende gedacht ist. Ich habe innern, wie diese Länder 1946 aussahen. Damals
das eben nur angedeutet; der Finanz- und Steuer wirkten sich noch krasse Unterschiede in der
ausschuß wird sich damit noch eingehender zu be- Agrarproduktion aus, so daß beispielsweise in
fassen haben. Gibt man Steuern von überregio- Nordrhein-Westfalen oder in Hamburg Hungersnot
naler Bedeutung dem Bund, dann sollte man, so- herrschte, während in gewissen anderen Ländern,
lange wir Bund und Länder haben, den Ländern z. B. in Bayern, relativ gute Ernährungsmöglichkei-
ten waren. Auch die verschiedenen Ausstattungen -
einen angemessenen Teil der Umsatzsteuer geben.
Die Gründe, warum die Länder, zum mindesten mit Industriekapazität wirkten sich zu jener Zeit
gewisse Länder, dies nicht wollen, hat der Kollege noch krasser für die unmittelbare Versorgung der
Dresbach zutreffend angedeutet. Bevölkerung aus.
Noch ein Wort zur Ergänzungsabgabe. Die Wir- Wir haben nach wie vor eine krasse Unterschied-
kungen der Steuerreform — Drucksache 481 — lichkeit zwischen Bevölkerungszahl und Wirt-
werden ja zum Teil durch die Einführung der Er- schaftskapazität und damit zwischen der Wirt-
gänzungsabgabe wieder aufgehoben, die in Wirk- schaftskraft und der Steuerkraft der einzelnen
lichkeit ein Zuschlag zur Einkommen- und Körper- Länder. Das Steueraufkommen pro Kopf der Be-
schaftsteuer ist, steuersystematisch aber eine neue völkerung ist im reichsten Land der Bundes-
Steuer darstellt, und zwar einseitig für den Bund. republik etwa fünfmal so groß als im ärmsten. Das
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: ich ärmste Land Schleswig-Holstein liegt mit seinem
begrüße es selbstverständlich, daß nicht auch die Steueraufkommen pro Kopf etwa bei 50 % des
Möglichkeit einer Ergänzungsabgabe für die Län- Bundesdurchschnitts. Die wohlhabenden Länder
der vorgesehen ist, obgleich sie systematisch und liegen bei 140 %. Das sind wirklich ganz unmög-
logisch hier hineingehörte. Würden wir aber eine liche Zustände. Die Wirtschaft in den Ländern wird
Ergänzungsabgabe für die Länder schaffen, dann immer unterschiedlicher. Die Entwicklung geht
wären die reichen Länder in der Lage, auf die Er- dahin, daß die westdeutschen Industrieländer mit
hebung einer solchen Ergänzungsabgabe zu ver- ihrer gewaltigen Industriekraft Menschen, Kapital
zichten, könnten aber einen Druck auf die armen und Betriebe aus den armen Ländern anziehen. So
Länder ausüben, ihre ohnehin schon kleine Steuer- werden also — hier ist der Ausspruch am Platze —
kraft noch stärker zu strapazieren. Insofern begrü- infolge der gegenwärtigen Finanzverfassung die
ßen wir den Entwurf. armen Länder immer ärmer und die reichen Län-
der immer reicher. Das ist durch keinen Finanz-
Das Komische bei der ganzen Geschichte aber ist ausgleich aus der Welt zu schaffen.
doch, daß der Bundesfinanzminister die Inanspruch-
nahme verfassungsrechtlich festlegen und dann Vorgestern bekam ich eine neue Denkschrift des
noch eine Ergänzungsabgabe einführen will. Ist das Instituts für Raumforschung in Bad Godesberg mit
nicht ein gewisser Widerspruch in sich? Man kann ausgezeichneten, instruktiven Wirtschafts- und Be-
entweder das eine oder das andere tun. völkerungskarten. Auf jeder Karte können Sie das
West-Ost-Gefälle der deutschen Wirtschaft erken-
Ach, der Herr Bundesfinanzminister sprach so nen. Von diesem West-Ost-Gefälle droht unserem
nett von den „unschönen Verhandlungen" zwischen Staatswesen Gefahr. Wir werden darüber in der
dem Bund und den Ländern. Der Herr Kollege nächsten Woche bei der Behandlung der Anträge
Dresbach sprach ein bißchen realistischer von Vieh- bezüglich der Zonenrandgebiete erneut zu sprechen
handelsgeschäften, um die Art der unschönen Ver- haben.
handlungen etwas genauer zu charakterisieren. Ich
möchte Sie doch mal fragen, Herr Kollege Dres- Wir kommen zu einem echten Finanzausgleich
bach: Glauben Sie denn wirklich, daß bei der Ver- nur dann, wenn die Länder in sich besser aus-
abschiedung dieser Gesetze die unschönen Verhand- gewogen sind. Und das läßt sich beim gegenwärti-
lungen aufhören oder daß nicht vielmehr sofort im gen Zustand nicht erreichen. Infolgedessen müssen
nächsten Jahre über die Revisionsklausel wieder wir mit Ernst darangehen, den Auftrag des Art. 29
„unschön" verhandelt werden wird? Glauben Sie des Grundgesetzes, nämlich die territoriale Neu-
nicht, daß im nächsten Jahre diese oder jene Bun- gliederung des Bundes, in Angriff zu nehmen. Das
desaufgabe kommen und neue Verhandlungen mit ist eine Bundesaufgabe. Indem ich die Forderung
den Ländern nötig machen wird? Ich möchte ausspreche, weiß ich, wie schwer die Lösung zu
fragen: Glaubt der Herr Bundesfinanzminister denn finden sein wird. Aber soll man vor den Schwierig-
wirklich daran, daß das aufhören wird, oder hofft keiten von vornherein kapitulieren? Soll man wie
er es nur? Ich glaube, er hofft nur. Ich prophezeie der Herr Bundesfinanzminister von vornherein
nicht gern; in diesem Falle kann ich es: Die Hoff- sagen: Ich weiß ja, daß ich die Zustimmung der
nung wird zuschanden werden. Länder nicht kriege, ich weiß ja, daß ich die Zu-
(Abg. Dr. Dresbach: Herr Gülich, ich habe stimmung der Besatzungsmächte zu einer Herab-
die Revisionsklausel als einen schwachen setzung der Besatzungskosten nicht kriege; infolge-
Punkt bezeichnet!) dessen versuche ich es gar nicht. Nun, man hat
solche Dinge zu versuchen, und wenn man ver-
— Sie ist ein schwacher Punkt! sucht, hat ein solcher Versuch, wohlbegründet und
Die Ergänzungsabgabe bedeutet eine unmittel- -fundiert vorgetragen, auch den Keim zum Erfolge
bare Zugriffsmöglichkeit auf eine direkte Steuer. in sich. Bis dahin aber muß man sich mit einem
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1331.
(Dr. Gülich)
notdürftigen System des Finanzausgleichs begnü- ein. Ich habe die Einführung der Interessenquote
gen. Und da scheint mir Troegers Vorschlag sehr — sie ist ja etwas Neues in der finanzwirtschaft-
bemerkenswert, der meint, daß die Länder bis zu lichen Praxis — sehr begrüßt. Sie ist im Ersten
75 % Steuerkraft des Bundesdurchschnitts vom Überleitungsgesetz eingeführt worden. Ich habe sie
Bund auf diese 75 % gehoben werden sollten und damals begrüßt, und ich begrüße sie auch jetzt,
daß dann erst zwischen 75 und 95 % — es wird sich weil damit eine sinnvollere Verwaltung der Bun-
ja über die Prozentsätze noch reden lassen — ein desmittel ermöglicht wird. Ich meine, man soll auch
horizontaler Länderfinanzausgleich eintreten sollte. für den großen Teil der Kriegsfolgeleistungen, den
Mir scheint der Gedanke gut. Das bisherige Finanz- die Länder für den Bund verwalten, es bejahen,
ausgleichssystem und das künftige Finanzaus- daß jetzt an die Stelle des bisherigen, ungeheuer
gleichssystem nach den jetzt vorliegenden Reform- komplizierten Abrechnungsverfahrens eine Pau-
werken werden keine Abhilfe schaffen. Jeder schalierung treten soll. Das ist eine Verwaltungs-
Finanzausgleich, den wir in den letzten Jahren vereinfachung, und es ist ein Erziehungsmoment
vorgenommen haben, war nichts als ein Pflaster für die Länder darin. Das ist zu begrüßen.
auf eine nie heilende Wunde. Es kommt aber Ich wünsche überhaupt, daß der Bund eine stär-
darauf an, die Wunde nun endlich mal richtig zu kere Stellung bekommt; denn nach dem Grund- -
behandeln. gesetz — Art. 120, Art. 131 — und nach zahl-
reichen Gesetzen, die wir hier beschlossen haben —
Dem Finanzverfassungsgesetz folgt das Finanz- bis zu der Regelung der Auslandsschulden —, hat
anpassungsgesetz — ein großer Name für eine der Bund immer stärkere Aufwendungen zu
weniger große Sache. Sie hat aber ein paar ganz leisten, und er muß infolgedessen finanziell so
interessante Inhalte. Das Finanzanpassungsgesetz gesichert werden, daß er seinen Aufgaben nach-
— Herr Dresbach hat es ja auch schon gesagt, aber kommen kann. Dem Grundsatz stimmen wir vor-
ich will es mit ein bißchen anderen Worten sagen — behaltlos zu; nur den Mitteln, mit denen die Bun-
bestimmt ja — Sie bekannten sich positiv zu dem desregierung das Ziel zu erreichen sucht, kann man
Grundsatz —, daß auf dem Gebiete der Steuer- nicht zustimmen. Wir wollen dem Bunde geben,
und Zollverwaltung eine Beteiligung des Bundes was des Bundes ist:
an den Ausgaben der Länder und Gemeinden ent-
fällt und umgekehrt — Gerechtigkeit muß ja sein Dem Bunde — auch das muß einmal gesagt wer-
— auch eine Beteiligung der Länder und Gemein- den — sind ja in vielen Dingen einfach die Hände
den an den Ausgaben des Bundes. Ein schöner gebunden: Die Länder verwalten gute 5 Milliarden
Grundsatz! Wer wollte dazu nicht ja sagen? Hätten an Bundesmitteln für den Bund, ohne daß der
wir einen wirklichen Föderalismus, würde ich Bund — Herr Dresbach hat schon darauf hingewie-
sagen: Ja, ausgezeichneter Grundsatz! Wie sieht es sen — ein Weisungsrecht oder gar ein Kontroll-
aber in der Wirklichkeit aus? Die Länder verwal- recht hätte. Manche Länder sind nicht einmal ge-
ten rund 10 000 Millionen DM Umsatzsteuer für neigt, dem Bunde überhaupt einen Einblick zu
den Bund und sie verwalten runde 5000 Millio- geben, einen Einblick, der unter Privaten, die so
nen DM Bundesanteil an der Einkommen- und wichtige Treuhändergeschäfte füreinander ausüben
Körperschaftsteuer, also runde 15 000 Millionen würden, auch ohne eine gesetzliche Regelung
oder 15 Milliarden DM. Dafür bekämen sie nach selbstverständlich wäre. Aber man beruft sich im-
altem Väterbrauch und Sitte 2 % Inkassoprovision, mer auf den Buchstaben des Gesetzes. Man ist
wären 300 Millionen DM: werden gestrichen. Der überhaupt in der ganzen Frage unserer Finanz-
Bund aber, der hier als völlig gleichwertig dar- verfassung und ihrer Auslegung so gräßlich eng-
gestellt wird, verwaltet für die Länder die Bier- herzig und formal. Man sieht nicht das Wesen der
steuer. Aus! Die Biersteuer hat ein Aufkommen Sache, sondern man klebt am Wort.
von rund 300 Millionen DM, und da wären 2 % Die Wirklichkeit unserer Staatspraxis sieht so
6 Millionen DM. Es stünden sich also 300 Mil- aus — und diese Wirklichkeit ist fürchterlich —:
lionen DM Kostenersatz für die Länder und 6 Mil- als Auswirkung unserer Finanzverfassung gibt es
lionen DM Kostenersatz für den Bund gegenüber. Konferenzen der Länder untereinander, Konferen-
Ich habe das deshalb einmal gesagt, weil man bei zen der Referenten aller Ministerien der Länder
allen diesen Dingen — ich könnte Ihnen noch untereinander, Konferenzen aller Referenten der
Dutzende von Beispielen bringen —, wo man Länderministerien mit den entsprechenden Refe-
hineingreift in dieses groß angekündigte Reform- renten der Bundesministerien, Konferenzen der
werk, auf solche „Unschönheiten" stößt, um mich Minister —, alles das liegt v o r dem Bundesrat!
einmal zurückhaltend und freundlich auszudrücken. Und das bedeutet: Briefe, Telegramme, Fernschrei-
Vielleicht meint der Bundesfinanzminister in ben, Konferenzen, — Leerlauf, Leerlauf, Leerlauf,
seinem tiefsten Herzen — ich will ihn jetzt nicht den der Steuerzahler erdulden muß, und Kosten,
ansehen —, Kosten, Kosten, die der Steuerzahler bezahlen
(Heiterkeit) muß.
(Beifall bei der SPD.)
vielleicht meint der Bundesfinanzminister im aller
tiefsten Herzen: Nun ja, wenn die Länder Födera Interessanterweise interessiert sich aber der Steuer-
lismus haben wollen, dann sollen sie auch bezahlen. zahler für dieses System überhaupt nicht.
(Erneute Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Ich habe gesagt: wir wollen zunächst untersuchen,
Abg. Mellies: Er nickt sogar!) ob das Reformwerk die Möglichkeiten zur Neuord-
nung, die Art. 107 des Grundgesetzes gibt, genutzt
— Ich muß doch mal vorsichtig hinübergucken! hat. Ergebnis: es hat sie nicht genutzt! Jedenfalls
(Große Heiterkeit.) hat der Regierungsentwurf den Art. 107 verfas-
Bei den Kriegsfolgeleistungen sieht das Finanz- sungstheoretisch, und zwar sehr eng und sehr for-
anpassungsgesetz etwas Gutes vor. Es führt für mal ausgelegt.
gewisse Kriegsfolgeleistungen, bei denen der Bund Man erinnere sich, wie dieses Grundgesetz zu-
die Mittel aufbringt, die Länder und Gemeinden stande gekommen ist. Die Alliierten erhoben gegen
die Mittel aber verwalten, eine Interessenquote die vom Parlamentarischen Rat sinnvoll gestaltete
1332 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Gülich)
Ordnung unserer Finanzverfassung Einspruch. Das Stiefkinder des Bundes. Das große Reformwerk
brachte neue Verhandlungen mit sich, die Verhand- bringt es ja nicht einmal fertig, im Katalog bei
lungen brachten Zeitverlust mit sich, und schließ- Art. 107 b die Realsteuern und die Steuern mit ört-
lich mußte das Grundgesetz verabschiedet werden, lich bedingtem Wirkungskreis, also die Getränke-
ohne daß überhaupt eine Generalredaktion statt- steuer, die Vergnügungsteuer, die Hundesteuer, zu
gefunden hatte. So ist der Art. 107, der die Reform Gemeindesteuern zu erklären. Sie sollen nach wie
der Steuerverteilung ausdrücklich von den Auf- vor Ländersteuern bleiben, weil angeblich Art. 107
gaben her einleiten will, hinter dem Art. 106 den Auftrag nicht zuläßt, die Gemeinden zu echten
stehengeblieben und nicht hinter den Art. 108 ge- Partnern des Finanzausgleichs zu machen. Das
setzt worden, wo er hingehört und wo er, des bin Reformwerk bringt es noch viel weniger fertig, die
ich überzeugt, zweifellos hingekommen wäre, wenn von den Gemeinden und Kreisen und ihren kom-
nicht das Grundgesetz unter solchem Zeitdruck ver- munalen Spitzenverbänden so dringend geforderte
abschiedet worden wäre. Stünde er hinter Art. 108, steuerliche Verbundwirtschaft einzuführen. Jede
wo er hingehört, dann könnten die Verfassungs- Änderung unserer Finanzverfassung aber muß dar-
theoretiker es sich ein bißchen bequemer machen. auf ausgehen, den Dualismus zwischen Bund und
So aber richten sie sich, vom Bundesfinanzminister Ländern durch eine gute und gerechte Regelung -
angefangen bis zu den Finanzreferenten der Län- der Zuständigkeiten beider zu beseitigen.
der, nach dem Buchstaben des Gesetzes, so, wie Zu diesem Problem hat wohl Popitz das wissen-
sie ihn auslegen. Der Buchstabe tötet, aber der schaftlich Fundierteste und praktisch Klügste ge-
Geist macht lebendig! sagt. Ich möchte immer wieder sagen: bei Popitz
Deshalb ist es meines Erachtens unumgänglich, — nicht nur in seinem Buch „Der Finanzausgleich",
über die verfassungstheoretischen Spekulationen sondern auch in einer Reihe von anderen Beiträgen
hinaus eine kurze verfassungspolitische Überlegung — sind die Grundgedanken eines echten Finanz-
anzustellen. ausgleichs auch in einem föderativen Staat groß-
artig und bis heute noch nicht überholt dargestellt.
Der Grundgesetzgeber hatte seine Aufgabe in Popitz kommt zu dem Ergebnis, daß die wahren
bezug auf die Finanzverfassung richtig erkannt, sie Partner im Finanzausgleich der Staat, vorgestellt
aber wegen des Einspruchs der Alliierten nicht durch das Reich und die Länder, auf der einen
durchführen können. Der Grundgesetzgeber hat Seite und die Gemeinden und Gemeindeverbände
also in bezug auf die Finanzverfassung objektiv auf der anderen Seite seien. Auf heute übertragen,
versagt. Der Bundesgesetzgeber hätte, auf den heißt das: Bund und Länder als eine Einheit bilden
traurigen Erfahrungen der letzten Jahre fußend, zusammen den Staat. Meine Damen und Herren!
nunmehr die Verpflichtung, das Verfehlte in unse- Wer von den Verantwortlichen im Bund und den
rer Finanzverfassung in Ordnung zu bringen. Verantwortlichen in den Ländern hat heute eine
(Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!) Vorstellung von dieser Einheit, gemeinsam Staat
Warum klammert sich die Regierung jammernd an bilden zu wollen! Wer hat bei dem Länderegoismus
ihre verfassungstheoretischen Überlegungen nach und Ressortpatriotismus überhaupt noch ein Be-
Art. 107, sie könne ja nur ein Gesetz mit einfacher dürfnis nach einer solchen Einheit!
Mehrheit machen? Warum zieht die Bundesregie- Die Weimarer Verfassung hat ein blühendes
rung aus den unerträglichen Verhältnissen zwischen Leben der Gemeinden ermöglicht; das Grundgesetz
Bund und Ländern nicht die Konsequenz, dem ermordet sie. Das Grundgesetz weint in seinem
Bundestag ein Gesetz vorzulegen, welches verfas- Reformwerk den Gemeinden keine Träne nach;
sungsändernden Charakter hat? Hier könnten Sie, aber es trocknet auch keine Träne der Gemeinden.
meine verehrten Kollegen, einmal etwas tun mit Wir müssen deshalb uns der Gemeinden annehmen.
Ihrer schönen Mehrheit, die Ihnen das Wahlergeb- Nun noch ein Wort zur Bundesfinanzverwaltung.
nis vom 6. September vorigen Jahres gebracht hat. Der Bundesfinanzminister sagt: „Die können wir
Falls die Koalition sich auch in diesem Punkte eben nicht machen; das Grundgesetz gibt uns keine
nicht ganz einig sein sollte, Möglichkeit." Er tut so, als ob dieses Grundgesetz
(Abg. Albers: Dann sind Sie dabei! — Wei eine gottgewollte Ordnung wäre und eine gott-
terer Zuruf von der CDU/CSU: Dann gewollte Ordnung geschaffen hätte. Dieses Grund-
leisten Sie Hilfestellung!) gesetz ist nicht von Gott, sondern von Menschen,
so darf ich erklären, daß die Opposition 160 ge- und es ist abänderlich wie alles, was von Menschen
wichtige Stimmen für eine sinnvolle Ordnung gemacht ist.
unseres öffentlichen Lebens in die Waagschale zu Die Regelung der Steuerverwaltungshoheit im
werfen hat. Grundgesetz ist so mangelhaft, daß immer wieder
(Beifall bei der SPD.) während des ersten Deutschen Bundestages auf die
Meine Damen und Herren! Machen Sie Gebrauch Notwendigkeit einer Änderung hingewiesen wor-
von dieser Möglichkeit, die die Opposition Ihnen den ist. Die FDP und die SPD haben die Einfüh-
bietet! rung einer Bundesfinanzverwaltung zu ihrem An-
liegen gemacht. Aber der Bundesfinanzminister hat
Ich greife noch kurz zwei Gesichtspunkte heraus. es immer wieder fertig bekommen, die Zweidrittel-
Die Gemeinden und die Gemeindeverbände hatten mehrheit für eine solche vernünftige Regelung zu
in der Weimarer Republik die Stellung, die ihnen verhindern. Ich will die Diskussion darüber nicht
gebührt. Im Parlamentarischen Rat haben sich die
zu wenigen Männer mit kommunalpolitischer Er- fortführen,
(Zuruf des Abg. Heiland)
fahrung nicht durchsetzen können. Sie brauchen
sich nur einmal die Zusammensetzung des Parla- obwohl die Debatte heute sehr schönen Anlaß ge-
mentarischen Rats anzusehen, um zu sehen, daß geben hätte, zu diesem Thema mehr zu sagen. —
die Männer des Parlamentarischen Rates den Sinn, Kollege Heiland, ich habe Sie nicht verstanden.
die Verpflichtung, die Aufgabe, die die Gemeinden (Abg. Heiland: Der CSU war es doch noch
in unserem öffentlichen Leben haben, nicht er- zu gut im Parlamentarischen Rat! Des-
kannt haben. In der Weimarer Republik waren die wegen hat sie gegen das Grundgesetz ge-
Gemeinden gesichert; im Grundgesetz sind sie die stimmt!)
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1333
(Dr. Gülich)
— Ja, die CSU hat im Parlamentarischen Rat ja Nach der Meinung des Herrn Bundesfinanz-
manches durchgesetzt — einiges darf ich nicht ministers sind die Bayern die einzigen Föderalisten.
sagen —, Ich habe schon vorhin gesagt, daß ich anerkenne,
(Abg. Mellies: Hört! Hört!) daß in den Bayern ein echtes Staatsgefühl lebt, und
hat ja manches durchgesetzt, damit sie für das insofern nehmen die Bayern und nimmt das Land
Bayern eine Sonderstellung unter den deutschen
Grundgesetz stimmen wollte, und nachher hat sie
gegen das Grundgesetz gestimmt, und es ist dann Ländern ein. Wenn aber der Föderalismus das
richtige Prinzip für unsere staatliche Ordnung ist
doch so geblieben. und wenn die Baye rn den Föderalismus in Rein-
(Zuruf von der CSU: Gegenpart: die SPD kultur entwickelt haben, dann hätten die Bayern
in Bayern!) einschließlich ihres Abgeordneten aus Passau die
— Die Sozialdemokraten in Bayern sind auch Verpflichtung, uns einen anständigen Föderalis-
Bayern; das interessiert hier nicht. mus vorzuleben.
(Heiterkeit.) (Abg. Arnholz: Auch in Bayern selbst!)
— Die SPD in Bayern mag tun, was sie in Bayern Man dient dem Föderalismus nicht, wenn man -
für notwendig hält. Aber seien Sie davon über- immer nur Forderungen stellt, wenn man besondere
zeugt: wir tun, was nach unserer Auffassung im Vorteile, besondere Belange für sich in Anspruch
Bund nötig ist. nimmt. Föderalist sein heißt, sich als dienendes
(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch! — Glied dem Ganzen einzufügen. Im Begriff des
Abg. Dr. Menzel: Die SPD in Bayern hat Föderalismus liegt do h, daß die Föderation, das
dem Grundgesetz doch zugestimmt!) höhere Ganze von Einzelgliedern, organisch aufein-
ander abgestimmt sein soll. Die Länder — ich
Ich will nur einen Sachverständigen zitieren, den spreche jetzt nicht von Bayern, sondern von der
wir im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen ge- Gesamtheit unserer Länder — sind keine Föde-
hört haben, den Mann, der am stärksten als Mit- ralisten. Sie sind Ressortpatrioten, sie sind Parti-
arbeiter Erzbergers an der Einführung der Bundes- kularisten. Im wahren Föderalismus liegt immer
finanzverwaltung beteiligt war, den Oberfinanz- ein zentripetales Element, das dem Ganzen dienen
präsidenten a. D. Dr. Carl. Er sagte : Ein privates will; im Partikularismus wirken sich zentrifugale
Wirtschaftsunternehmen, das sich eine solche Orga- Kräfte aus.
nisation leisten würde wie die Finanzverwaltung
vor 1919 und nach 1945, wäre schon in Normal- Die Bundesregierung hat in ihrem Reformwerk
zeiten, geschweige denn in Krisenzeiten, nicht die Diskrepanz zwischen Steuerertragshoheit und
lebensfähig gewesen. Nur der Bund leistet sich das. Steuerverwaltungshoheit vermeiden wollen. Sie
Ich möchte fragen: Warum interessieren sich die hat nicht gewünscht, daß man es merkt, denn sie
Steuerzahler denn immer nur für das, was sie hat mit Recht nicht geglaubt, daß die eingehenden
unmittelbar aus ihrem Portemonnaie zu zahlen Begründungen studiert werden, in denen zwar
haben? Warum interessieren sie sich nicht für das, alles steht.
was von ihren Steuergroschen in dem übersetzten Die Bundesregierung hätte sich zu einem großen
Verwaltungsapparat, der durch diesen Föderalis- Reformwerk durchringen müssen, und sie hätte
mus notwendig ist, durch diese Konferenzen, die die Reibungen in Kauf nehmen sollen, um die Un-
ich gekennzeichnet habe, durch diesen ganzen Leer- haltbarkeit des gegenwärtigen Systems noch deut-
lauf und die Reibungsverluste vergeudet wird? licher werden zu lassen. Aber die Bundesregierung
Das sind doch genau so gut Steuermittel! unternimmt den Versuch, auf Grund des Unhalt-
baren ein System zu errichten, um das Unhaltbare
(Sehr wahr! bei der SPD.) zu erhalten. Die Bundesregierung kuriert an
Warum interessieren sich die Politiker auch ganz Symptomen, ohne überhaupt den Versuch zu
überwiegend nur für eine Steuerreform und nicht machen, dem Übel an die Wurzel zu gehen. Sie
für eine wirkliche Finanzreform? Die Politiker treibt mit diesem Reformwerk keine echte Finanz-
haben sich daran gewöhnt, in Prozentsätzen zu den- politik, sondern eine finanzpolitische Bastelei.
ken. Ich habe das neulich schon einmal zum Haus- Der Bundesfinanzminister hat heute die Länder
halt gesagt. Deshalb meinen sie, was unter 10 % geradezu zum Widerspruch aufgefordert. Er sagte:
liege — und mehr käme ja nie dabei heraus —, Na, Sie machen ja doch nicht mit! Versuchen wir's
sei nicht mehr interessant. Wer so denkt, wer die doch! Weiter sagt er, die Politik sei die Kunst des
Million überhaupt nicht mehr einzuschätzen weiß, Möglichen. Jawohl, sie ist die Kunst des Möglichen,
der kann Finanzreform nicht betreiben wollen, aber ich füge hinzu: im Hinblick auf das Notwen-
(Sehr gut! bei der SPD) dige, und wenn wir nicht versuchen, das Notwen-
dige zu gestalten und auch unmöglich Scheinen-
und wer die Million nicht ehrt, ist der Milliarde des in Angriff zu nehmen, dann sind wir nicht
nicht wert. wert, daß wir hier sitzen und die Belange des
(Beifall bei der .SPD. — Abg. Dr. Eck deutschen Volkes vertreten.
hardt: Richtig! — Abg. Kunze [Bethel] : (Beifall bei der SPD.)
Ach!)
Wo ist nun das Gesetzgebungswerk von wahr-
Nun sagt der Bundesfinanzminister, wir müßten haft großer, ja vielleicht geschichtlicher Bedeutung?
Föderalisten sein, und er legt ein neues Bekennt- Ich habe von Größe nichts entdeckt. Was ich posi-
nis zum Föderalismus ab. Ich möchte ihm antwor- tiv zu sagen hatte zum Inhalt und zur Form der
ten, daß die Unhaltbarkeit unserer Finanzverfas- Erläuterungen, habe ich gesagt. Ich möchte gern,
sung ja nicht darauf beruht, daß wir einen Födera- daß die Dinge nicht nur in Dresbachschen und eini-
lismus haben, sondern darauf, daß wir keinen gen anderen Bücherschränken sind, sondern daß
echt en Föderalismus haben. Die Unhaltbarkeit ein solches Werk als ein wissenschaftlich wertvolles
unserer Bundesfinanzverfassung ist heute durch die Werk auch im Buchhandel erscheint, vielleicht in
Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers der Form eines Kommentars oder wie man es sich
doch wieder bewiesen worden . sonst vorstellt.
1334 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Gülich)
Das Wort hat nun der Bundestag, und die Auf- und zwar deswegen, weil sowohl im ersten Bundes-
gabe des Bundestags ist es, eine befriedigende Lö- tag wie auch vom Herrn Bundesfinanzminister
sung zu finden, nachdem die Bundesregierung nicht nur einmal, sondern wiederholt gesagt wurde:
keine befriedigende Lösung vorschlagen konnte. wir wollen uns zu Beginn der Sitzungsperiode des
Der Bundestag sollte bei seinen Überlegungen zweiten Deutschen Bundestages mit der großen,
nicht zunächst auf das schauen, was vielleicht die organischen Steuerreform befassen. Wir haben
Länder dazu sagen, sondern auf das, was das deut- alle erwartet, daß eben dieses Gesetzgebungswerk
sche Volk vom Deutschen Bundestag erwartet. Na- die große oder organische Steuerreform beinhalte.
türlich wissen wir alle, daß eine wirklich durch-
greifende Ordnung unseres staatlichen Lebens und (Abg. Heiland: Vor allen Dingen haben Sie es
somit auch eine wirklich durchgreifende Ordnung vor dem 6. September sehr laut versprochen!)
unserer Finanzverfassung in einem Fragmentstaats- — Ich sage es ja; Sie brauchen es nicht noch extra
wesen nicht möglich ist, in einem Deutschland, zu betonen!
dessen Ostgrenze an der Oder-Neiße liegt, in einem (Abg. Heiland: Doch, das muß manchmal
Staatswesen, dessen Ostgrenze faktisch bei Lübeck unterstrichen werden!)
und Helmstedt verläuft. Um so größer aber
ist unsere Aufgabe, in unserem Teile Deutschlands Nun, damit ist es also nichts. Wie begründet aber
unsere öffentlichen Aufgaben so zu regeln, daß wir der Herr Bundesfinanzminister diese Entwicklung?
vor dem deutschen Volke und vor der Geschichte Es ist richtig, daß sich die beauftragten Gremien —
damit bestehen können. die teilweise auf völlig selbständiger, zum Teil auf
(Beifall bei der SPD.) halbstaatlicher Basis arbeiteten — und auch die
Ministerien selbst zweifellos sehr eingehend mit
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ab- unserem Steuersystem beschäftigt haben. Die
geordnete Neuburger. Mehrheit dieser Gremien ist nun zu der Überzeu-
gung gekommen, die Aufteilung unseres gegen-
Neuburger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine wärtigen Steuersystems in direkte und indirekte
sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte, nun- Steuern und die Art der Verteilung der einzelnen
mehr vom Thema Finanzreform auf das Thema Steuern sei im allgemeinen gut, und es bestehe
Steuerreform umzuschalten. Der Herr Präsident kein wesentlicher Grund, dieses System zu ändern.
hat heute früh gesagt, die einzelnen Redner möch-
ten nach Belieben, aber auch nach Vermögen zu Ich persönlich bin über dieses Ergebnis sehr ent-
den einzelnen Punkten der Tagesordnung sprechen. täuscht; denn ich — ich spreche jetzt nur in meinem
Ich glaube, die Bemerkung, nach Vermögen zu den eigenen Namen — teile diese Auffassung nicht, daß
einzelnen Punkten zu sprechen, hat heute beim unser derzeitiges Steuersystem wirklich gut sei.
Thema „Steuerreform" ihre besondere Berechti- (Sehr richtig! in der Mitte.)
gung, und zwar deswegen, weil uns dieses Thema
in doppelter Weise angeht: einmal als verantwort- Ich habe darüber schon im März 1953, als ich zur
liche Parlamentarier — und als solcher spreche ich Haushaltsdebatte sprach, die gleichen Gedanken-
nun namens der größten Partei der Regierungs- gänge geäußert, treffe diese Feststellung also nicht
koalition —; es geht uns aber auch an in unserer zum erstenmal. Ich hätte zumindest erwartet, daß
Eigenschaft als Steuerzahler. Bei der Vorbereitung sich der Herr Bundesfinanzminister nicht mit der
dieser Debatte wurde vielen klar—für mich wurde lakonischen Feststellung begnügt hätte: Unser
es sehr frühzeitig klar —, daß insoweit der Satz Steuersystem ist gut, und auch die einzelnen Stel-
gilt: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. len, die sich damit befaßt haben, haben mir das
Die Seele des Steuerzahlers hat viele Wünsche und bestätigt. — Ich hätte dann mindestens eine ein-
ist zweifellos gern dazu bereit, Kritik und' weit- gehende Begründung dafür erwartet, und zwar im
gehende Kritik zu üben. Als verantwortlicher Par- Hinblick darauf, daß wir ja jahrelang von einer
lamentarier muß man aber sowohl die Wünsche anderen Vorstellung ausgegangen sind, daß näm-
wie die Kritik zwangsläufig zurückstellen, zumin- lich unser Steuersystem von Grund auf durch-
dest zurücksetzen bzw. einschränken. geackert, durchgekämmt, umgeändert und orga-
Nun, wie war es? Als im März dieses Jahres der nisch neu aufgebaut werden müsse.
Bundesfinanzminister die beiden Gesetzentwürfe (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)
hier verkündete, da erlebten wir die Überraschung,
daß die öffentliche Meinung zumindest im unmit- Ich meine, so billig hätte man es nicht machen
dürfen.
telbaren Anschluß daran eigentlich sauer reagierte.
Die Kritik war im wesentlichen negativ, und erst Wie steht es nun mit der Enttäuschung des
allmählich ist eine gewisse Wandlung eingetreten. Steuerzahlers selbst über die Steuersenkung? Als
Der Finanzminister war darüber enttäuscht, die ich die Presseberichte am Tage nach der Verkün-
Öffentlichkeit war enttäuscht, der Steuerzahler war dung dieses Reformgesetzes las, habe ich mich allen
enttäuscht. Man hat daher wohl Grund, nach der Ernstes gefragt, ob denn nun der Herr Bundes-
Ursache zu fragen. Wenn man über etwas ent- finanzminister eine Gesetzesvorlage mit einer
täuscht ist, dann ist normalerweise anzunehmen, Steuersenkung oder einer Steuererhöhung vorge-
daß man mehr erwartet hat. Der Finanzminister hat schlagen habe.
allgemeine Zustimmung erwartet, die Öffentlich- (Heiterkeit. — Abg. Dr. Gülich: Das ist noch
keit eine große Steuerreform, der Steuerzahler nicht raus!)
eine erhebliche Steuersenkung. Die Enttäuschung
hat sich also in zwei Richtungen ausgebreitet: ein- Die negative Kritik hätte eigentlich nicht stärker
mal dahin, daß das vorgelegte Gesetzgebungswerk sein können, wenn er einen Gesetzentwurf mit
— das wollen wir ganz offen zugeben — nicht den Steuererhöhungen eingebracht hätte.
Namen „große" oder „organische Steuerreform"
in Anspruch nehmen kann und darf. Böse Zungen haben ja behauptet, er würde mit
dieser Reform sogar mehr nehmen, als er gebe, und
(Abg. Samwer: Sehr richtig!) zwar einschließlich der beiden vorgeschlagenen Zu-
Die Enttäuschung darüber halte ich für berechtigt, satzsteuern, Ergänzungsabgabe und Erhöhung der
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1335
(Neuburger)
Großhandelsumsatzsteuer. Dieser Auffassung bin Behandlung der Steuerzahler. Wir haben den Weg
ich nicht. beschritten, teilweise, weil wir noch nicht die not-
wendige staatliche Selbständigkeit hatten, teil-
(Vizepräsident Dr. Jaeger übernimmt den weise aus — wie man so schön sagt — optischen
Vorsitz.) Gründen im Verhältnis zum Ausland. Bei der
Es handelt sich vielmehr bei der vorliegenden Re- Kleinen Steuerreform im Jahre 1953 haben wir
formvorlage um eine echte Steuersenkung, und dann gesagt: nun müssen wir aber den Weg frei
diese Steuersenkung erfolgt in einem Ausmaß, das machen zu einer echten Reform, d. h. zu einer Re-
meines Erachtens auch von der Öffentlichkeit an- form, die den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der
erkannt werden müßte. Besteuerung verwirklicht. Aus diesem Grunde
(Sehr richtig! in der Mitte.) haben wir in der Kleinen Steuerreform
neben einer Tarifsenkung so gut wie alle
Zweifellos hätte sich jeder Steuerzahler noch eine Steuervergünstigungen aufgehoben. Wir taten
weitere Senkung gewünscht. Aber, Hand aufs Herz, das nicht sofort, weil wir den Tarif noch nicht ent-
können wir heute schon normale Steuersätze for- sprechend senken konnten und die damit verbun-
dern? Das würde doch voraussetzen, daß wir be- denen nachteiligen, wirtschaftsschädigenden Fol-
reits normale Verhältnisse haben, daß wir also den gen nicht in Kauf nehmen wollten, sondern erst
Krieg mit seinen Folgen überwunden haben und mit Wirkung vom 31. 12. 1954, also dem Ende die-
daß das alles der Vergangenheit angehört. Das ist ses Jahres. Wir waren uns aber darüber im klaren,
aber doch nicht der Fall; Sie wissen doch alle und daß bis zum Wegfall dieser Steuervergünstigungen
jeder Steuerzahler weiß es, daß wir die Kriegs- eben eine neue Steuersenkung durch ein auf dem
folgen noch nicht überwunden haben und dem- Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung
gemäß auch noch keine normalen Steuersätze haben aufgebautes Gesetz erfolgen müsse. Es ist deshalb
können. Unsere Steuersätze, auch wie sie jetzt in nur logisch, daß die heutige Reformvorlage als Eck-
der neuen Reformvorlage enthalten sind, sind also und Kernpunkt einerseits die Senkung des Tarifs
zwangsläufig auf Grund dieser Tatbestände noch hat und daß dieser Tarif andererseits auf dem
überhöht, d. h. wir stehen noch alle, ob wir wollen Prinzip der linearen Progression aufgebaut ist,
oder nicht, unter einem Steuerdruck. Wir leiden ohne alle Ausbuchtungen nach oben oder unten;
darunter, wir müssen darunter leiden, und wir denn jede Ausbuchtung dieses Tarifs der linearen
können uns auch darüber beklagen, aber wir Progression bedeutet für die Betroffenen entweder
können es nicht ändern. eine Steuererhöhung oder eine Steuervergünsti-
(Sehr richtig! in der Mitte.) gung, mit anderen Worten, Wiedereinführung des
Das ist ein Faktum, über das wir in keiner Weise Steuervergünstigungsprinzips über die Art der
hinweggehen dürfen. Tarifgestaltung. Es ist also insoweit absolut folge-
Wie steht es nun mit dem Weg, den diese Steuer- richtig, wenn sich der Herr Bundesfinanzminister
reform genommen hat? Die Reformvorlage geht zu diesem Tarif entschlossen hat, der auf dem
einen Weg weiter, den wir im 1. Deutschen Bundes- Prinzip der linearen Progression aufgebaut ist.
tag bereits mit Erfolg gegangen sind. Wir dürfen Nun, zum Tarif hat der Steuerzahler selbstver-
daher auch die Zuversicht haben, daß dieser Weg, ständlich viele Wünsche. Sie können aber, wie be-
der bisher richtig war, auch weiterhin richtig ist. reits betont, noch nicht so verwirklicht werden,
Das bedeutet aber auch — und da setze ich mich weil wir noch nicht normale Ausgabenverhältnisse
mit der Auffassung, die ich nun namens meiner geschaffen haben. Bei einer Tarifgestaltung muß
Parteifreunde vortrage, vielleicht etwas in Gegen- man zwei Grenzen berücksichtigen, zunächst eine
satz zum Herrn Bundesfinanzminister, jedenfalls Grenze nach unten — wo muß oder wo darf ein
zu der gegebenen Begründung —, daß wir in dieser solcher Tarif anfangen? — und dann eine Grenze
Reformvorlage nur einen weiteren Schritt in Rich- nach oben: wo muß ein solcher Tarif aufhören?
tung der Konsolidierung unserer steuerlichen Ver- Die Grenze nach unten bildet zweifellos das
hältnisse sehen. Das heißt, es ist nichts Endgültiges, Existenzminimum. Wenn nun dieses Existenz-
und wir werden uns wahrscheinlich auch im kom- minimum rein zahlenmäßig feststünde, wenn man
menden oder übernächsten Jahr damit beschäftigen darüber so ganz einer Auffassung wäre, so wäre
müssen. Das ergibt sich schon zwangsläufig aus das ja sehr schön. Aber die Vorstellungen über das
dem, was ich vorhin herausgestellt habe: wir Existenzminimum gehen ja sehr weit auseinander.
wollen wieder zu normalen Verhältnissen kommen. (Abg. Seuffert: Sehr richtig!)
Wie wir auch sonst auf wirtschaftlichem Gebiet
uns stetig Schritt für Schritt in dieser Richtung — Wir haben auch in diesem Hause, lieber Herr
vorwärtsarbeiten, so wollen wir auch steuerlich zu Kollege Seuffert, ja schon mehr als einmal darüber
normalen Verhältnissen kommen. Daher müssen debattiert.
wir uns wohl oder übel immer wieder mit Steuer- (Abg. Seuffert: Wir werden es noch tun!)
reformgesetzen beschäftigen. Wir wollen, wenn — Vielleicht bringen Sie es sogar nachher; ich weiß
weitere Senkungen möglich sind, uns gern damit es nicht genau. Wieweit ist denn nun der Herr
beschäftigen, auch wenn die Senkungen vielleicht Bundesfinanzminister nach unten gegangen, was
nur ganz wenige Prozente ausmachen. hat er als Existenzminimum, das nicht mehr be-
In der Vergangenheit, in unseren ersten beiden lastet werden darf, steuerlich angesehen? Ohne Be-
Steuersenkungsnovellen von 1950 und 1951 haben rücksichtigung der möglichen Sonderausgaben, wo-
wir die Senkungen im wesentlichen durch die Ein- bei ich allerdings gerechterweise sagen will, daß,
führung der Sondervergünstigungen herbei- man, je weniger man verdient, um so weniger auch
geführt. Wir waren uns damals darüber im klaren, von den Sonderausgaben Gebrauch machen kann
daß die Einführung von Sondervergünstigungen — § 10; wir wollen die Dinge ganz sachlich und
praktisch im Widerspruch steht zum Grundsatz der unvoreingenommen sehen —, beginnt die steuer-
Steuergleichheit; denn jede Sondervergünstigung, liche Verpflichtung für einen Ledigen bei einem
die man einräumt, bedeutet in sich eine Verletzung Monatsgehalt von etwa 150 DM, für. Verheiratete
dieses Grundsatzes der gleichmäßigen steuerlichen ohne Kinder bei monatlich 225 DM, dann geht es
1336 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Neuburger)
mit einem Kind gleich auf 300, weiter auf 350, 450, Wir bejahen also den Tarif, und zwar auch inso-
550 bis zu 700 DM mit fünf Kindern und darüber. weit, als er nicht über 55 % hinausgeht. Wir ver-
Ich persönlich habe das Gefühl — und meine Par- langen sogar, mindestens auf den kritischen Punkt
teifreunde sind insoweit einer Meinung —, daß von 50 % herabzugehen. Das muß zu gegebener
diese untere Grenze als Sozialgrenze anzusprechen Zeit geschehen. Im Rahmen dieser Beratung wird
und durchaus tragbar ist. Sie wissen, daß die Frei- es wahrscheinlich nicht möglich sein.
grenze, um den Sozialfaktor beim Aufbau des
neuen Tarifs zu berücksichtigen, von 800 auf 900 Nun zu den einzelnen Wünschen. Wie Sie wissen,
und vom dritten Kind an bis auf 1440 DM erhöht haben wir im Jahre 1934 einen Steuertarif gehabt,
wurde, eine Erhöhung für die Ehefrau, eine Erhö- der während des Krieges geändert worden ist. Er
hung für jedes Kind, es sind also bei allen Gruppen ist dann von den Besatzungsmächten, danach 1950,
Erhöhungen vorgenommen worden. 1951 und 1953 geändert worden. Nun hat der Bun-
desfinanzminister auf einem völlig neuen Prinzip,
Selbstverständlich sind Wünsche laut geworden, nämlich dem Prinzip der linearen Progression, dem
diese Erhöhungen der Freigrenzen noch zu steigern, Prinzip der steuerlichen Gleichheit, einen neuen
und zwar auf mindestens 1000 DM pro Person. Tarif aufgebaut. Zwangsläufig ergibt sich daraus,
daß nicht alle Gruppen der Steuerzahler die Steuer-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! So- senkung gleichmäßig genießen.
lange wir das jetzige Verhältnis zwischen direkten
und indirekten Steuern haben Zur Verwirklichung des Grundsatzes des Abbaus
der Vergünstigungen und der Hinkehr zum Prin-
(Abg. Seuffert: „Solange"!) zip steuerlicher Gleichheit mußten wir tariflich so-
- ja! —, sind wir der Auffassung, daß möglichst zusagen eine große Flurbereinigung vornehmen.
jeder im Erwerbsleben stehende Staatsbürger einen Diese Flurbereinigung hat zwangsläufig zur Folge,
direkten und für ihn sichtbaren Obolus für das daß nicht völlig gleichmäßig alle Steuerpflichtigen
Staatswesen geben soll, an das er sich einmal wen- sagen können: die Steuern sind um 20 % oder um
den und mit Recht wenden kann, wenn er hilfs- 19 % gesenkt. Für manche Gruppen ist die Steuer-
bedürftig oder nicht mehr arbeitsfähig ist. Mit an- senkung gering. Einige kommen sogar in die unan-
deren Worten: Aus der politischen Erwägung her- genehme Lage, daß sie praktisch etwas mehr Steu-
aus, daß derjenige, der vom Staat etwas will, schon ern zahlen müssen als vorher. Man muß das offen
in seinen Arbeitstagen, auch wenn er wenig ver- aussprechen. Es ergibt sich aus der Flurbereinigung
dient, einen kleinen Obolus geben muß, glauben auf dem gesamten Tarifgebiet.
wir, bei Beginn die Sozialgrenze bei diesem ge-
staffelten Tarif gewahrt zu haben. Wenn wir die Man kann aber generell sagen, daß etwa bis zu
Möglichkeit haben — und darauf komme ich noch einer Grenze von 4500 Mark sämtliche Einkom-
später zurück —, eine Erhöhung der Freigrenzen mensbezieher weniger direkte Steuern zahlen als
vorzunehmen, so werden wir das ohne weiteres vor dem Krieg. Ein sehr, sehr großer Teil der
tun. Steuerzahler nimmt also, obwohl wir noch unter
überhöhtem Steuerdruck stehen und weiter stehen
Die Grenze nach oben lag ursprünglich bei 90 %, müssen, in bezug auf die direkten Steuern nicht
dann beim Plafond 80 %, heute liegt sie beim Pla- daran teil. Damit kann man uns zweifellos in be-
fond 70 %. Wir wissen alle, daß diese überhöhten zug auf diese Tarifgestaltung nicht den Vorwurf
Steuern weder für den Staat noch für unsere Wirt- unsozialen Verhaltens machen.
schaft noch für jeden einzelnen von uns, und zwar
nicht so sehr in seiner Eigenschaft als Steuerzahler, (Abg. Dr. Willeke: Sehr richtig!)
sondern noch mehr in seiner Eigenschaft als Kon- Die höheren Einkommen bezahlen mehr als früher.
sument, von Nutzen waren; denn diese überhöhten Auf ihnen liegt also auf dem Sektor direkter Steu-
Steuern halten unser Kostensystem in der Wirt- ern die Last des Krieges, die Last der Kriegsfolgen.
schaft künstlich hoch. Es wäre eine Illussion, an- Aber auch hier ist die Steigerung so, daß wir im-
zunehmen, daß die direkten Steuern keine Kosten- mer noch von einer Progression von unten nach
elemente seien. Auch die direkten Steuern sind wie oben sprechen können, daß also immer noch das
die Bruttolöhne, in denen ja sowieso schon die Prinzip gilt, daß je mehr einer verdient, desto
direkten Steuern aller Lohnempfänger stecken, höher seine Steuerprogression ist.
echte Kostenelemente, und je mehr wir die Stufen
nach oben erhöhen, desto mehr verteuern wir (Abg. Seuffert: Noch! Noch! —
unseren ganzen Konsumentenapparat. Hinzu Abg. Dr. Willeke: Sehr richtig! — Abg.
kommt, daß durch diese direkten Kosten die Wirt- Raestrup: Leider!)
schaft zu einem unrationellen Denken und Handeln Welche Wünsche kann man nun berücksichtigen?
verführt wird. Sie kennen ja die Frage, die seit Die beste Steuersenkung ist immer noch die Aus-
Jahren immer wieder herumgeistert, wenn eine gabensenkung. Bei der Verwirklichung dieses
Entscheidung darüber getroffen werden muß, ob Grundsatzes sind wir hier in diesem Hohen Hause
diese oder jene Ausgabe gemacht werden soll: Wie- bisher nicht als Beispiel vorangegangen. Das wis-
viel davon zahlt die Steuer, wieviel zahlt Schäffer? sen wir j a alle. Andererseits haben nun mal eben
Und dann heißt es: Ach, der zahlt 60, 70 % oder die Steuern den verdammten Zweck, diese Aus-
mehr. gaben zu decken. Daher sind schon von der Aus-
Mit diesem Steuertarif, der nunmehr an der gabeseite her die Beweglichkeit und die Möglich-
oberen Grenze von rund 55 % enden soll, will man keit der Steuersenkung entsprechend ein-
mit diesem unrationellen Denken endgültig Schluß geschränkt. Wir hören, der Bundesfinanzminister
machen; denn das sind wirtschaftsschädliche Ten- will uns schon die Rechnung für die Ausgaben im
denzen in unserer Steuergesetzgebung. Praktisch Jahre 1955 aufmachen, um unseren Elan bei den
müßte die Grenze bei 50 % sein. Alles, w as darüber Steuersenkungen entsprechend zu dämpfen. — Er
ist, wirkt sich nicht nur kostensteigernd, sondern guckt ganz böse.
auch leistunghemmend aus und fördert nur un- Was steht nun zur Verfügung? Selbstverständ-
ökonomisches Denken. lich vertreten auch meine Parteifreunde den Grund-
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1337
(Neuburger)
satz: Bei dieser Steuerreform muß die Senkungs- klar, daß wir in irgendeiner Form einen Ersatz
möglichkeit aufs äußerste ausgenutzt werden. für den Ausfall der bisher über § '7 c geflossenen
(Sehr richtig! in der Mitte.) Gelder schaffen müßten. Das Volumen betrug zu-
mindest in den letzten zwei Jahren durchschnitt-
Wir müssen die Steuern senken, soweit es irgend
möglich ist, lich ungefähr 700 Millionen DM, die in den soge-
nannten unrentierlichen Teil des sozialen Woh-
(Sehr richtig! in der Mitte)
nungsbaus flossen. Wir müssen also irgendeinen
im Rahmen des Grundsatzes, daß der Haushalt Ersatz bieten. In der Reformnovelle selber ist ein
gedeckt bleiben und unsere soziale Leistungsfähig- solcher Ersatz nicht vorgesehen. Im Kapitalmarkt-
keit erhalten bleiben muß. förderungsgesetz
Darüber, was nun auf Grund der neuen Tarife (Abg. Seuffert: Wo ist es denn?)
an Steuern eingehen wird, gehen die Meinungen soll als Ersatz
etwas auseinander. Ich will Sie nicht aufhalten (Abg. Seuffert: Soll?!)
und hier mit Zahlen herumwerfen. Sie haben ge-
hört, daß der Bundesfinanzminister sich entschlos- der Sozialpfandbrief vorgesehen sein.
-
sen hat, diesen Schätzungen so weit wie nur mög- (Abg. Seuffert: Oder nicht sein! — Abg.
lich auf den Grund zu gehen, und daß er seinerseits Samwer: Das ist hier die Frage!)
alles dazu beitragen will, um auch uns als verant- — Weil eine entsprechende Gesetzesvorlage noch
wortlichen Parlamentariern die Möglichkeit zu fehlt,
geben, diese Schätzungen bis in die letzten Ecken (Abg. Seuffert: Aha!)
und Winkel zu durchleuchten. Soviel steht fest: bin ich auch nicht ermächtigt, namens meiner
wenn sich eine zusätzliche Möglichkeit der Steuer- Parteifreunde hierzu eine Erklärung abzugeben.
senkung ergibt, müssen wir die weitere Erhöhung Aber die Überlegungen, inwieweit der Sozialpf and
der Freigrenzen auf dem sozialen Sektor ins Auge brief einen Ersatz darstellen kann, werden doch
fassen, ihre weitere Erhöhung auf dem Sektor der sehr eingeschränkt und zwangsläufig in eine ganz
Familienförderung. Im Interesse der Erhaltung bestimmte Richtung gedrängt, wenn man die
und Förderung des Mittelstandes, damit im Inter- Zweckbestimmung berücksichtigt. Der zu er-
esse unserer freiberuflich Schaffenden, wollen wir reichende Zweck soll sein, Gelder für einen unren-
eine, nun muß ich allerdings sagen, Steuervergün- tierlichen Teil im Rahmen der Finanzierung des
stigung, die in der Form gegeben wird, daß der sozialen Wohnungsbaus zu bekommen. Das hinzu-
Tarif etwa für die Steuergruppen von 10 000 bis gebende Geld ist also unrentierlich. Dieser Tat-
30 000 DM, um nur einmal zwei Zahlen zu nennen, bestand ist unbestritten und leider auch unbe-
entgegen der jetzigen linearen Progression etwas streitbar. Der Sozialpfandbrief verlangt eine
nach unten ausgebuchtet wird, also in Abweichung 5%ige Verzinsung. Das Geld, das über den
vom Tarifprinzip. Sozialpfandbrief kommt, muß also rentierlich sein,
In diesem Zusammenhang — darauf will ich oder es muß ein anderer kommen, der die 5 %
nachher noch besonders eingehen — möchte ich bezahlt. Mit anderen Worten, ich sehe in dem
auf die Freibeträge für die mitarbeitende Ehefrau Sozialpfandbrief keinen Ersatz
hinweisen. Da es sich bei den hiermit angesproche- (Abg. Samwer: Richtig!)
nen Steuerzahlern im Rahmen der gesamten
Direkt-Steuerpflichtigen immer um eine sehr für die Finanzierungslücke des unrentierlichen
große Zahl handelt — sie geht in die Millionen —, Teiles.
sind natürlich auch die Beträge in der Ausfall- (Abg. Dr. Eckhardt: Kein Zweifel!)
rechnung zwangsläufig sehr hoch. Wir haben z. B. Darüber hinaus sehe ich in dem Sozialpfandbrief
rund 10 Millionen Lohnsteuerpflichtige. Eine Mark einen absoluten Störenfried auf dem Kapital-
Steuersenkung pro Monat sind im Jahr 12 Mark für markt,
den einzelnen, aber für das Budget 120 Millionen. (Abg. Seuffert: Sehr richtig!)
(Abg. Seuffert: Nicht alle haben dasselbe einen Störenfried, der nur Schaden bringt ohne
Einkommen, Herr Neuburger!) jeden Nutzen.
— Ich rede ja jetzt nur von der rechnerischen Aus- (Sehr richtig! bei der SPD und dem
wirkung bei einer D-Mark. GB/BHE.)
(Abg. Seuffert: Das macht auch nicht für Es wäre meines Erachtens an der Zeit, ihn mög-
alle eine Mark!) lichst bald zu kassieren.
— Richtig. Aber ich wollte nur andeuten, daß wir
uns in bezug auf die Steuersenkungsmöglichkeiten (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Schröter
trotz eingehender Nachschätzungen nicht zu große [Wilmersdorf] : Das war aber eine schwere
Hoffnungen machen können, weil es sich, wie ge- Geburt!)
sagt, bei den Forderungen, die wir zu berücksich- Ich habe mich noch gar nicht so sehr umgehört, ob
tigen haben — Sozialforderungen, Erhöhung der alle meine Parteifreunde dieser Auffassung sind.
Freigrenze, steuerliche Vergünstigung über den (Abg. Seuffert: Nachher freuen Sie sich
Tarif der mittelständischen und freiberuflich über uns!)
schaffenden Steuerzahler —, jeweils um eine sehr,
sehr große Zahl von Steuerpflichtigen handelt. Aber ich habe ja eingangs schon erwähnt: wir
haben uns noch nicht damit zu befassen, weil eine
Nun noch zu den Einzelbestimmungen des Re- entsprechende Vorlage fehlt. Ich wollte und mußte
formgesetzes. Wir haben die Vergünstigungen aber im Zusammenhang mit der Frage, wo der Er-
sowohl hinsichtlich des § 7 als auch des § 10 auf- satz für § 7 c liegt,
gehoben. Als wir den § 7 c mit Wirkung per
31. Dezember 1954 aufhoben, waren wir uns dar- (Abg. Samwer: Also doch § 7 c!)
über im klaren, daß das Problem des sozialen darauf hinweisen, daß aus Zinsgründen der Sozial-
Wohnungsbaus zu diesem Zeitpunkt noch nicht pfandbrief, auch wenn er noch so viel Geld und
gelöst sei. Wir waren uns daher auch darüber Kapital bringen würde, das Ersatzmittel nicht sein
1338 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Neuburger)
kann, weil er eben kraft seiner Bestimmungen fassung, daß hier im Rahmen der Beratung dieser
nicht unrentierlich, sondern rentierlich sein muß. Novelle etwas geschehen muß, vielleicht, indem
man in beschränktem Umfang den Kapitalansamm-
Wie steht es nun mit der Wiedereinführung des
lungsvertrag wieder einführt, aber mit absolut
§ 7 c? verlängerten Laufzeiten und selbstverständlich mit
(Abg. Samwer: Also doch 7 c!)
der Höchstbegrenzung, wie sie jetzt vorgesehen ist.
Wie Sie wissen, hat sich der Bundesfinanzminister An eine Erhöhung dieser Sätze denkt niemand;
heute morgen nochmals dagegen ausgesprochen man muß nur an die Erweiterung des Personen-
und hat gesagt: „Wir haben feierlich die Vergün- kreises denken. Denn von den erhöhten Sonderaus-
stigungen aufgehoben. Es ist doch völlig unmög- gaben können nach der gesetzlichen Regelung bis-
lich, daß wir sie wieder einführen". her nur die unselbständig Arbeitenden und die in
Es steht allerdings wohl fest, daß die Wieder- selbständiger Arbeit Stehenden Gebrauch machen.
einführung des § 7 c nicht mehr so viel bringen Sie sollen nunmehr im Hinblick auf die Verdop-
würde, wie er bisher gebracht hat, und zwar mit pelung der Beiträge für Lebensversicherungen und
Rücksicht darauf, daß eben die Tarifsätze doch Bausparkassen beschränkt werden. Wenn nun -
eine entscheidende Senkung erfahren und damit z. B. ein freischaffender Mann über 50 Jahre alt ist
der Anreiz für die Hingabe von 7 c-Geldern weg- und der Versicherungsarzt ihm sagt: „Es tut mir
fällt. Viele 7 c-Gelder wurden doch unter dem leid, Ihr Gesundheitszustand ist so, daß ich das
Aspekt gegeben: Na, bald kommt ja eine mächtige Risiko, mit Ihnen einen Lebensversicherungsver-
Steuersenkung; die große organische Steuerreform trag abzuschließen, nicht mehr eingehe" — mit
ist ja schon feierlich angekündigt und kann nicht einem Bausparvertrag ist es auch so eine Sache —,
mehr lange auf sich warten lassen! dann hat er zwar gesetzlich die Freibeträge, die
gerade deswegen geschaffen sind, um eben hier
Wenn ich unsere Leistungen und unsere Aus- eine Altersversorgung zu ermöglichen, aber er
gaben betrachte, die wir heute haben und die kann davon keinen Gebrauch machen. Es erhebt
vielleicht noch auf uns zukommen, dann muß ich sich daher die Frage, ob nicht doch in beschränk-
sagen: wir haben unsere Steuern gesenkt und tem Umfang die steuerliche Begünstigung der Ka-
wollen sie noch weiter senken — von dem ur- pitalansammlungsverträge wieder eingeführt wer-
sprünglichen Plafond von 90 % auf jetzt 55 %. den soll. Ich sage, es erhebt sich die Frage; man
Damit haben wir meines Erachtens die Steuern wird das im Rahmen der Möglichkeiten erörtern.
schon mehr gesenkt, als wir sie jeweils später
noch senken können. Dasselbe gilt für die berechtigte Forderung des
Mittelstandes, daß von dieser Altersversorgungs-
(Abg. Seuffert: Hört! Hört!) möglichkeit nicht nur die in unselbständiger Ar-
Finden wir ein Mittel, um die Ausgaben zu senken, beit und in selbständiger Arbeit Stehenden, son-
dann senken wir gern die Steuern weiter! dern auch der gewerbliche Mittelstand Gebrauch
.

machen könne.
(Zuruf von der SPD: Welche?)
Ich glaube also, daß wir auch mit der Wieder- In § 10 a soll durch die Novelle die Frist ver-
kürzt werden. Dies ist die Steuervergünstigung,
einführung des § 7 c die Mittel nicht bekommen.
Daher wäre zu untersuchen, ob nicht völlig neue die wir seinerzeit für Flüchtlinge, Vertriebene usw.
Wege beschritten werden können; etwa der Weg, eingeführt hatten. Wir haben damals den Wegfall
die unrentierliche Lücke durch Staatsbürgschaften jener Vergünstigungen auf den 31. Dezember 1956
oder Zinssubventionen auszufüllen oder dadurch, festgesetzt. Diese Frist soll also auch verkürzt wer-
daß die Gelder, die gegeben werden, dann, rein den. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir
steuerlich gesehen, eine Teilwertabschreibung er- sind unglücklich darüber, daß eine solche Bestim-
fahren, weil sie unrentierlich sind; denn jedes mung in diesem Entwurf steht. Wir haben aus
Kapital, das unrentierlich, unverzinslich gegeben ganz bestimmten Gründen und mit viel Über-
wird, steht ja nicht mehr zu pari. Man müßte also, legung und viel Berechtigung — ich selbst unmittel-
teilwertmäßig gesehen, eine Abschreibung zulassen. bar als Initiator mit Ihnen zusammen, Herr
Man könnte auch sagen, daß zwar die Hingabe der Seuffert — seinerzeit dahin gewirkt, daß diese Be-
Gelder nicht steuerbegünstigt ist, daß aber im stimmungen im Interesse dieses Personenkreises
Zeitpunkt der Rückzahlung ein gewisser Prozent- hineinkamen, und wir sind der Auffassung: wenn
satz der rückzuzahlenden Beträge steuerlich als Rechte mit Frist, nicht unbefristet, gegeben wer-
Unkosten absetzbar ist. Wir wissen nur eines: wir den, dann soll man, sofern man sich schon zum
Prinzip des Rechtsstaates bekennt — und unser
müssen, da wir weiterhin den sozialen Wohnungs- ganzes demokratisches Leben basiert ja auf diesem
bau vorwärtstreiben müssen, so oder so eine
Prinzip —, die Fristen, die man selbst gesetzt hat,
Finanzierungsquelle für diesen unrentierlichen respektieren.
Teil finden. Es wird Aufgabe des Ausschusses sein,
in Zusammenarbeit mit dem Wohnungsbauausschuß (Abg. Samwer: Sehr richtig!)
und mit den beteiligten Ministerien den Weg zu Wir können also dieser Fristverkürzung, auch wenn
finden. Er muß auf jeden Fall gefunden werden. sie natürlich dem Interesse der völligen Bereinigung
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) und dem Abbau aller Sondervergünstigungen
dient, nicht zustimmen.
Die Steuervergünstigungen, die der § 10 gebracht
hat, sind wesentlich beschnitten. Wir haben zwar Eine andere Fristverkürzung liegt bei § 33 a.
als Ausgleich die Sonderausgaben etwas erhöht. Diese Bestimmungen sind im Interesse eines be-
Trotzdem sind die Steuerzahler, die bisher im Ge- stimmten Personenkreises für eine bestimmte
nuß dieser Möglichkeiten waren, darin sehr be- Dauer eingeführt worden. Alle, die die Vergünsti-
schränkt. Insbesondere ist die Möglichkeit der Al- gung von Anfang an über die ganze Dauer hinweg
tersversorgung für die selbständigen und unselb- in Anspruch nehmen konnten, sind gut dran. Wenn
ständigen Schaffenden eingeschränkt, und gar nun einer erst im zweiten oder letzten Drittel der
keine Möglichkeit der Altersversorgung besteht Gesetzesdauer Anwärter wird, sagt er sich: Ich bin
praktisch für den Mittelstand. Wir sind der Auf als Spätheimkehrer schon sehr viel mehr benach-
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1339
(Neuburger)
teiligt als die anderen, und trotzdem kriege ich müßte und heute in Form der Freigrenzen für
jetzt dafür noch die Quittung, daß ich die Vergün- Kinder zweifellos schon ganz erheblich eingebaut
stigung nur noch ein halbes Jahr oder ein Jahr be- ist. Ich möchte dieses Streitthema nicht weiter er-
anspruchen darf. Insofern liegt in diesen Frist- örtern. Ich wollte hier nur den heutigen Tatbestand
bestimmungen eine Härte, und es wäre vielleicht aufzeigen, Möglichkeiten und Grenzen der Lösung,
zu überlegen — vielleicht hätte man es früher aber auch die Schwierigkeiten dieser Lösung und
schon überlegen sollen —, ob man die Frist nicht die Forderungen, die gegebenenfalls auch von
für jeden einzelnen, sagen wir einmal, auf drei meinen Parteifreunden im Interesse der Gleichheit
Jahre begrenzt, nach deren Ablauf die Vergünsti- der Besteuerung angemeldet werden müßten.
gung entfällt. Allerdings stünde das in Widerspruch
zu dem Grundsatz der Steuervereinfachung, dem Damit wären die Einzelthemen zur Einkommen-
wir mit unseren Gesetzen ja auch näher kommen steuernovelle, die ich mir vorgenommen habe, er-
wollen. schöpft. Ich muß nur noch folgendes ansprechen.
Durch den 'Wegfall der Steuervergünstigungen, ins-
Nun das Problem der Ehegattenbesteuerung. Der besondere den Wegfall des § 10, Kapitalan-
Herr Bundesfinanzminister hat ja zum Ausdruck -
sammlungsverträge, haben wir zweifellos ein
gebracht, daß die derzeitige steuerliche Regelung außerordentliches Risiko auf dem Gebiet des
einen glatten Widerspruch zum Prinzip der Gleich- Kapitalmarkts übernommen. Diese Kapitalansamm-
heit der Besteuerung darstellt. lungsverträge hatten zwangsläufig zur Folge, daß
(Abg. Dr. Eckhardt: Richtig!) sich hier echtes Kapital, langfristiges Kapital,
bildete. Nun wird niemand mehr angehalten,
Die derzeitige Regelung stellt unbestreitbar die Kapital zu bilden, um Steuern zu sparen. Dazu
stärkste Verletzung dieses Grundsatzes dar. Der kommt noch die allgemeine Tarifsenkung. Wir wer-
Herr Bundesfinanzminister will diesen ungesunden den also zwangsläufig einen Hang erleben — einen
Zustand dadurch beseitigen, daß er allmählich zu Trend, wie man heute zu sagen pflegt — vom
der für ihn allein möglichen gemeinschaftlichen Be- Kapitalmarkt zum Konsum, soweit durch die Tarif-
steuerung zurückkehrt. Deshalb hat er sich ent- senkung Steuern eingespart werden. Meine sehr
schlossen, in der Vorlage einen weiteren Schritt in verehrten Damen und Herren, es ist dies wirklich
der Richtung auf dieses Ziel, die gemeinschaftliche ein sehr großes Risiko, das wir hier eingehen. Ich
Besteuerung, zu gehen, indem er nunmehr die Grenze bitte das nicht zu unterschätzeu. Denn auf dem
für die getrennte Besteuerung auf 9000 DM an- Sektor Investitionen in unserer Wirtschaft sind wir
gesetzt hat. Ob man zu diesem Grundsatz der ge- noch nicht so weit, daß wir schon à jour wären. Wir
meinschaftlichen Besteuerung angesichts der Tat- können unseren Lebensstandard und den Wett-
sache, daß immer mehr Ehefrauen berufstätig sind, bewerb im Rahmen der Weltwirtschaft nicht durch-
zurückkehren kann und ob wir nicht eventuell doch halten, wenn wir auf diesem Sektor nicht noch viel
auf eine andere Lösung abgedrängt werden, etwa mehr tun als heute. Die Investitionen von heute
die Lösung der getrennten oder der halbierten Ver- sind die Arbeitsplätze von morgen. Das ist heute
anlagung, des Halbierens der Verdienste ohne für niemanden ein Geheimnis mehr. Trotz dieses
Rücksicht darauf, wer von den einzelnen Ehegatten Risikos wollen wir die Kapitalansammlungsver-
und wieviel der einzelne Ehegatte verdient, das träge mit den bisherigen Vergünstigungen nicht
können wir im Rahmen dieser Reform wahrschein- mehr haben, sondern höchstens noch in Form der
lich nicht lösen; denn eine solche Schwenkung wäre, Altersversorgung. Um die Gefahr des Investitions-
wie feststeht, im Rahmen dieser Tarifgestaltung rückgangs etwas einzudämmen, soll zusammen mit
nicht möglich. Wenn wir uns ,also grundsätzlich der Einkommensteuer auch die Körperschaftsteuer
von dem Vorschlag des Bundesfinanzministers ab- gesenkt werden, und zwar von 60 auf 45%, unter
wenden sollten, so hätte d as zwangsläufig zur Beibehaltung der Vergünstigungen bei der Divi-
Folge, daß wir auch den Tarif, so wie er vorliegt, dendenausschüttung. Diese Maßnahme soll also in
nicht gebrauchen könnten. Es würde also eine erster Linie dazu dienen, den Investitionsmarkt zu
völlige Umgestaltung des Tarifs bedeuten. fördern bzw. die möglichen Ausfälle aus dem Weg-
fall der Kapitalansammlungsverträge wieder aus-
Die vom Bundesfinanzminister jetzt vertretene zugleichen.
Regelung ist unter sozialen Gesichtspunkten zu be-
jahen. Man müßte dann allerdings folgerichtig auch (Abg. Seuffert: Wieso fördert eigentlich
die übrigen mitarbeitenden oder mitverdienenden Steuervergünstigung für Dividenden die
Ehefrauen im Rahmen eines solchen Einkommens Investitionen, Herr Neuburger?)
bis zu 9000 DM gleich behandeln. Das würde be- — Das ist sehr einfach. Sie wissen genau, Herr
deuten, daß wir die mittelständische Forderung auf
Einräumung eines Freibetrags für die mitarbeitende Kollege Seuffert, daß man auch investieren kann,
Ehefrau und die gleichlautende Forderung der indem man Teile des eigenen Gewinns, statt sie
Landwirtschaft in entsprechender Form berück- an die Steuer abzuführen, wieder in das eigene
sichtigen müssen. Unternehmen reinsteckt. Wenn dann vom eigenen
Gewinn 15 % mehr als bisher verbleiben, dann hat
(Sehr richtig! in der Mitte.) man 15 % mehr Mittel, um den Betrieb zu er-
neuern, zu modernisieren, wettbewerbs- und kon-
Denn nach wie vor haben wir den wirklich mehr kurrenzfähiger zu machen.
als unleidlichen Zustand, daß sich das Sich
verheiraten steuerlich im Rahmen der Gesamtver- (Abg. Albers: Das sollte so sein!)
anlagung nachteilig auswirkt. Diese Auswirkung
wäre nur über eine andere Veranlagungsmethode — Das ist auch so. Das Geld wird nicht genommen
oder über eine andere Tarifgestaltung mit völlig und irgendwie nach auswärts verfrachtet.
anderen Freigrenzen zu beseitigen. Steuerlich (Abg. Raestrup: Und die Personengesell-
müßten wir auf diesem Sektor mindestens die Neu- schaften?)
tralität anstreben, von der Förderung der Familie
ganz zu schweigen, die zusätzlich eingebaut werden — Das kommt noch, lieber Herr Raestrup!
1340 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Neuburger)
Des weiteren stellen wir leider eine steigende und daß die Personalgesellschaften nach wie vor
Verschuldung unserer Gesellschaften fest. Die Ver- noch etwas benachteiligt sind.
sorgung mit Eigenkapital und die Versorgung mit (Abg. Dr. Eckhardt: Da hat er auch recht!)
Schuldkapital klaffen immer weiter auseinander. Ich wollte nicht verfehlen, auch dieser Meinung
Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Ausdruck zu verleihen.
Herren, meinen, das sei eine erstrebenswerte Ent-
wicklung, dann muß ich Ihnen sagen, daß ich per- Die Dividendenbegünstigung liegt, wie gesagt,
sönlich völlig anderer Auffassung bin. Wir müssen, bei 30 %. Nach der bisherigen Regelung müßte die
wenn wir uns wirklich in echter Weise zur sozialen Vergünstigung bei der Hälfte liegen. Bisher hatten
Marktwirtschaft bekennen, das Prinzip der Stär- wir 60 zu 30. Dieses Verhältnis müßte angestrebt
kung des haftenden Kapitals ständig betonen und werden. Vielleicht läßt es sich auch in dem Ver-
alles tun, damit dieses haftende Kapital sich ver- hältnis 45 zu 22 1/2 verwirklichen.
stärken kann und damit das Schuldkapital sinkt. In diesem Zusammenhang muß auch das Pro-
(Beifall in der Mitte.) blem des Schachtelprivilegs gelöst werden, das mei-
nes Erachtens lösbar ist. Das ist aber eine Spezial-
Die Entwicklung ist leider umgekehrt. Das haftende frage, womit ich Sie, meine Damen und Herren,
Kapital kann, wie gesagt, dadurch verstärkt wer- hier nicht belästigen möchte.
den, daß beim Gewinn etwas verbleibt, aber auch Ich komme zum Schluß. Ich konnte unmöglich
dadurch, daß der einzelne, statt sein Geld zu kon- alle Probleme ansprechen. Wie ich bereits sagte,
sumieren, es der Industrie, der gewerblichen Wirt- bedaure ich, daß diese Reformvorlage nicht die
schaft in Form der Aktie als haftendes Kapital große oder organische Steuerreform beinhaltet. Die
anbietet. im Rahmen dieser Vorlage vorgesehene Erhöhung
(Sehr gut! in der Mitte.) der Umsatzsteuer — diese Sondersteuer — wird
Denn wo soll denn die Aktienvermehrung her- namens meiner Parteifreunde nicht befürwortet.
kommen? Sie fällt doch nicht vom Himmel, sie Ich kann es sogar hoch stärker ausdrücken: sie
kann doch nur dadurch kommen, daß der einzelne wird abgelehnt.
sich bereit findet, zu sagen: ich vertraue unserer (Sehr gut! rechts.)
Wirtschaft und lege mein Geld in haftendem Diese Ablehnung wird aber auch jede Sonder-
Kapital an. steuer betreffen, die man sich vielleicht als Ersatz
(Sehr richtig! in der Mitte.) dafür ausdenken sollte. Diese Steuer ist eine Son-
So gesehen ist es doch nicht mehr als vernünftig, dersteuer, und jede Sondersteuer, die einen Wirt-
wenn wir die Doppelbesteuerung wenigstens zum schaftszweig belastet, wird im Rahmen des Wirt-
Teil abbauen. schaftsprozesses immer auf den schwächsten Teil-
nehmer in der Kette dieses Wirtschaftsprozesses
(Sehr richtig! in der Mitte.) abgewälzt, ob Sie wollen oder nicht.
Wir haben das im Jahre 1953 genau überlegt und (Sehr richtig! rechts.)
die dort vorgenommene Regelung mehr als be- Das gilt für diese Sondersteuer, wird aber auch für
grüßt. Wir vertreten die Auffassung: die Dividende jede andere Sondersteuer zutreffen, die Sie ein-
muß steuerbegünstigt bleiben. Den Keil, den wir in führen wollen. Wenn Sie irgendwie einmal dem
die Doppelbesteuerung reingeschlagen haben, Grundsatz der Steuergerechtigkeit und der Gleich-
müssen wir drinlassen und ihn allmählich noch - so mäßigkeit der Besteuerung ganz eklatant wider-
ausweiten, daß die Doppelbesteuerung endgültig sprechen wollen, dann müssen Sie eine Sonder-
fällt. Dann, lieber Herr Raestrup, sind wir auch so steuer einführen, die einen einzelnen Wirtschafts-
weit, daß wir keinen Unterschied mehr zwischen zweig belastet. Sie wird, wie gesagt, im Rahmen
Kapitalgesellschaften und Personalgesellschaften dieses Wirtschaftsprozesses kraft der Konkurrenz
zu machen brauchen. und der dynamischen Kraft immer auf den
(Abg. Seuffert: Heißt das Beseitigung der Schwächsten abgewälzt, ob vor- oder rückgewälzt,
Körperschaftsteuer? Sagen Sie doch gleich, ist gleichgültig.
was das heißt!) (Abg. Seuffert: Sagen Sie das Herrn
Wie gesagt, dann sind wir auf dem Wege; das ist Stücklen! — Abg. Stücklen: Ja, ja, der
dann das Ergebnis. weiß schon Bescheid!)
(Abg. Seuffert: Das sagen Sie aber dem Auf jeden Fall wird jede Sondersteuer auf den
Herrn Finanzminister!) Schwächsten abgewälzt. Daher spreche ich mich
— Ich habe ja mein Bedauern ausgesprochen! im Namen des Großteils meiner Parteifreunde
gegen jede Sondersteuer aus.
Das sind die Themen, die in der großen, der or-
ganischen Steuerreform einmal angesprochen und Die Frage der Ergänzungsabgabe will ich nicht
bewältigt werden müssen. Wir können das heute besonders behandeln. Sie ist ja im Rahmen der
nun nicht. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, Besprechung des Finanzreformgesetzes mit behan-
daß wir dann auf dem richtigen Wege sind, um delt worden und wird mehr oder weniger das
dieses Ziel: Einheitlichkeit in der Besteuerung von Schicksal des Finanzreformgesetzes teilen bzw. tei-
Personalgesellschaften und Kapitalgesellschaften, len müssen.
zu erreichen. Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Die
(Abg. Raestrup: Aber ab 1. Oktober, bitte Grundsätze dieser Steuerreform sind gut. Sie ver-
schön! — Heiterkeit.) wirklichen das Prinzip der Gleichmäßigkeit der
Besteuerung. Sie tragen dazu bei, unsere Kosten
— Herr Raestrup wird sich wahrscheinlich hier zu senken, weil wir von überhöhten Steuern her-
ganz besonders noch dafür einsetzen, weil er der unterkommen. Sie tragen dazu bei, die Kosten zu
Auffassung ist, daß die heutige Differenz zwischen senken, weil wir vom unökonomischen Denken ab-
den 45 % bei den Kapitalgesellschaften und dem gehen. Sie tragen dazu bei, unser Sozialprodukt zu
Stoppauslauf mit 55 % bei den Personalgesell- steigern, weil sie die Leistungsfähigkeit des ein-
schaften noch nicht das richtige Verhältnis darstellt zelnen steigern. Denn der einzelne — d. h. 99 %
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1341
(Neuburger)
aller Einkommensteuerpflichtigen — weiß, daß er enttäuscht sein muß, nicht wahr, Herr Kollege Neu-
nun wenigstens, was ihn betrifft, bis zu 50 % seines burger? Aber auch als das Ergebnis einer Über-
Arbeitsertrags behält. Damit steigern wir unser prüfung des ganzen Systems, wovon der Herr Bun-
Sozialprodukt, und damit senken wir zwangs- desfinanzminister heute noch gesprochen hat, ist
läufig im Rahmen unserer Konkurrenz- und Wett- das doch recht mager.
bewerbswirtschaft die Kosten. Damit heben wir die (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Das kann
reale Kaufkraft, und diese Hebung der realen man wohl sagen!)
Kaufkraft kommt allen zugute, den Schwächsten
der Armen zuerst. Sie kommt also auch all denen Nun, was die ganze Öffentlichkeit sagt, was
zugute, die keine Einkommensteuer zahlen und die jedermann sagt, was sogar der Kollege Neuburger
vielleicht annehmen könnten: Was kümmert uns sagt, brauche ich hier nicht zu wiederholen. Aber
das Gezänk dieser Leute, die Einkommensteuer das Schlimme daran ist, daß uns der Herr Bundes-
zahlen, ob die Tarife so oder so sind? Ich muß ja so finanzminister einmal versprochen hat, diese
oder so keine bezahlen! Jawohl, durch die Art und Steuerreform werde die Grundlage zur notwendi-
Weise, wie wir jetzt unsere Einkommensteuer- gen Sozialreform abgeben.
tarife und Körperschaftsteuertarife gestalten, (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Das war
heben wir unmittelbar die reale Kaufkraft und vor den Wahlen!)
tragen damit zur Erhöhung des Lebensstandards Von dieser Grundlage und von dieser Möglichkeit
eines jeden einzelnen bei. Wenn einzelne Gruppen sehen wir gar nichts. Diese Steuervorlagen lassen
kommen und sagen, sie hätten das oder das zu jeden Willen vermissen, auf die Gesamtsteuerlast,
wenig: nun, jeder einzelne nimmt in einem gewis- ihre Verteilung und die Auswirkung ihrer Vertei-
sen Ausmaß an dieser Steuersenkung teil, und dies lung auf die sozialen Spannungen entscheidend
soll und muß man sehen.
Einfluß zu nehmen.
Auch für den Mittelstand ist zu beachten, daß (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Sehr richtig!)
seinen Interessen im Rahmen des Verlustvortrags,
im Rahmen der vereinfachten Buchführung und im Man behilft sich mit Nebenlösungen, Zwischen-
Rahmen von anderen Vereinfachungsvorschriften lösungen und Notlösungen. Von reformatorischem
in zusätzlicher Weise Rechnung getragen worden Charakter, von Dingen, über die man sich einmal
ist. Auch bei der Landwirtschaft ist das geschehen sachlich in großem Rahmen auseinandersetzen
durch die Erhöhung von Freibeträgen für die Grün- könnte, ist in dieser Steuervorlage leider nicht die
landwirtschaften. Ich erinnere in dem Zusammen- Rede.
hang an die bereits durchgeführte Einführung der (Sehr wahr! bei der SPD.)
Degressivabschreibung. Ich erkläre es allerdings Wir werden, wie schon so oft bei Steuervorlagen in
als eine sehr berechtigte und überaus durchgrei- diesem Hause, doch wieder dieses üble Spiel der
fende Hilfe für die Landwirtschaft und den Mittel- Auseinandersetzung zwischen Fiskalismus und
stand, wenn es möglich wäre, die degressive Ab- Interessentenforderungen spielen müssen,
schreibung, die sich bisher auf Wirtschaftsgüter (Beifall bei der SPD)
mit einer Lebensdauer von zehn und mehr Jahren das wahrscheinlich wieder anheben wird, selbst-
erstreckt, auf die Wirtschaftsgüter mit einer Le- verständlich gewürzt mit den notwendigen Bei-
bensdauer von fünf Jahren auszudehnen. Damit gaben an Sentimentalität und jovialen Bemerkun-
könnten wir über die Tarifsenkung und sonstigen gen seitens des Herrn Bundesfinanzministers, die
Reformvorschläge hinaus dem Mittelstand und wir ja auch heute schon vernommen haben. Ich
auch der Landwirtschaft entscheidend steuerlich werde deswegen das Wort Steuerreform möglichst
helfen. vermeiden, wenigstens im Zusammenhang mit die-
Abschließend lassen Sie mich sagen, was Bundes- ser Regierungsvorlage.
kanzler Adenauer vorgestern abend in dem In- (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Und nur in
terview gesagt hat: Diese Steuerreform ist eine Anführungsstrichen!)
große Tat, wenn auch unvollkommen. Zu dem be- Aber da wir doch irgendwie über Steuerreform
kenne auch ich mich, zu dem bekennen sich auch sprechen müßten, bin ich in der Tat genötigt, über
meine Parteifreunde. Unsere Aufgabe wird es nun eine ganze Reihe von Dingen zu sprechen, die nicht
sein, diese große Tat im Interesse unserer Wirt- in der Steuervorlage stehen und die nicht in ihr
schaft, im Interesse unserer Steuerzahler, im In- behandelt worden sind, die aber in ihr behandelt
teresse unseres gesamten Volkes möglichst rasch werden müßten. Um gleich den Zusammenhang
zu verwirklichen. herzustellen: Eine Steuerreform, die irgend etwas
(Beifall bei der CDU/CSU.) mit Sozialreform zu tun hätte, könnte doch nicht
an dem großen Block der Verbrauch- und indirek-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- ten Steuerbelastung vorbeigehen,
geordnete Seuffert. (Beifall bei der SPD)
der der größte Teil der gesamten Steuerbelastung
Seuffert (SPD): Herr Präsident! Meine Damen ist. Dieser Block beträgt heute 60 % der Gesamt-
und Herren! Ich bin nicht der erste Redner an die- belastung.
sem Tage und ich werde vermutlich nicht der letzte (Hört! Hört! bei der SPD.)
sein, der seine Ausführungen mit der Feststellung
beginnt oder schließt, daß das keine Steuerreform Bei Antritt der derzeitigen Bundesregierung oder
sei, daß das nicht die große Steuerreform sei, die vielmehr ihrer mit ihr identischen Vorgängerin im
man seit Jahren versprochen hat, und der seiner Jahre 1949 betrug dieser Anteil 33 %.
Enttäuschung darüber Ausdruck gibt. (Hört! Hört! bei der SPD.)
Von „historischem Entschluß" und von „ge- Diese Steigerung von 33 auf 60 % ist das Ergebnis
schichtlicher Stunde" spricht man eigentlich schon einer bewußten und gewollten Politik des Bundes-
nicht mehr, eher, wie soeben gehört, von einer gro- finanzministers und der Regierung.
ßen Tat, - über die man aber eigentlich doch sehr (Sehr richtig! und Beifall bei der SPD.)
1342 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Seuffert)
Denn es war der Bundesfinanzminister, der bei am niedrigsten, und wenn die Dinge so weiter-
Antritt seines Amtes im Jahre 1949 erklärt hat, gehen, werden wir so weit kommen, daß unsere
daß dieser Anteil von 33 % ihm als zu wenig er- Landwirtschaft beim Absatz ihrer Zuckerrüben-
scheine und erhöht werden müsse. Es war der produktion, die für den gesamtwirtschaftlichen Ab-
Herr Bundesfinanzminister, der damals erklärt hat, lauf so eminent wichtig ist, Schwierigkeiten haben
er lehne es ab, die Steuerlast auf die starken Schul- wird. Es ist schlechterdings absurd, daß aus rein
tern zu legen, er sei dafür, die Last auf die vielen, fiskalischen Gründen auf ein Volksnahrungsmittel
wenn auch schwachen Schultern zu verteilen. eine derartig hohe Steuer gelegt wird. Sie beträgt
(Hört! Hört! bei der SPD.) einschließlich der Umsatzsteuer — die Umsatz-
steuer auf Zucker sollte auch verschwinden — 27 %
Um anschaulich zu machen, was das für den ein- des Zuckereinzelhandelspreises. Man hat berechnet,
zelnen bedeutet, nur einige Zahlen. Ich verweise Sie daß ein vierköpfiger Arbeiterhaushalt allein an
auf die Berechnungen, die das Wirtschaftswissen- Zuckersteuer 17 Mark im Jahr zahlt. Lesen Sie die
schaftliche Institut der Gewerkschaften über die Diskussionsbeiträge des Bundesrats! Es gibt für die
Belastung eines Normalhaushalts durch die Ver- Aufrechterhaltung dieser Steuer keine sachlichen
brauchsteuerlast angestellt hat. Diese Berechnun- Gründe, nur fiskalische. Die Lage hat sich bezüglich
gen werden durch Untersuchungen anderer Institute des Zuckerabsatzes und des Zuckerverbrauchs so-
wie des Ifo-Instituts in München gestützt. Ich be- wie der Volksernährung in dem Maße zugespitzt,
merke, daß ich Grund habe, zu sagen, daß die er- daß die Zuckersteuer fallen muß. Wir werden
rechneten Zahlen meiner Ansicht nach zu niedrig Ihnen einen entsprechenden Antrag in Form eines
sind und daß insbesondere die Umsatzsteuer- Initiativgesetzes vorlegen. Dieser Antrag gehört
belastung hier zu niedrig angesetzt ist. Aber ich unserer Ansicht nach zur Steuerreform.
gehe von den wenn auch zu niedrigen Zahlen dieser
veröffentlichten Berechnungen aus, die Sie nach- (Zustimmung bei der SPD.)
prüfen können. Es handelt sich um einen Haushalt, Nun zur Zündwarensteuer. Nach dem Haushalts-
der vier Köpfe von einem Bruttoeinkommen von ansatz sollte sie im Jahre 1953 63 Millionen DM
440 DM im Monat ernähren muß, dessen Ver- einbringen, effektiv hat sie 58 Millionen DM ohne
brauchsausgaben nach den angestellten Unter- den Monopolgewinn eingebracht. Der Preis von
suchungen also 380 DM betragen. In Zahlen von 10 Pfennig für eine Schachtel schlechter Streich-
1952 beträgt die Belastung dieses Einkommens und hölzer ist vom Kontrollrat eingeführt worden. In
dieses Verbrauchs genau 56,78 DM, rund 60 DM im diesem Preis sind mindestens 6 Pfennig Steuern
Monat. Das sind 13 bis 14 % des Bruttoeinkom- einschließlich der Umsatzsteuer enthalten. Bis 1946
mens und über 15 % des Verbrauchs eines solchen hat eine Schachtel Streichhölzer 3 Pfennig ge-
Haushalts, rund 15 DM pro Kopf. Das ist die Be- kostet. Das ist gegenüber dem sonstigen Kosten-
lastung, die vor Zugriff der Tarifsteuern hier ein- index alles in allem eine Erhöhung von 317 %. Im
greift. Und da man ja nicht sehr viel weniger ver- Jahre 1949 hat der Wirtschaftsrat in Frankfurt
brauchen kann in einem Haushalt, der von rund bereits einstimmig die Senkung der Zündwaren-
400 DM monatlich vier Köpfe ernähren muß, ist steuer beschlossen. Das Gesetz ist von den alliier-
es praktisch genau dieselbe Belastung, die auf den ten Militärbehörden an den neuen Bundestag zur
Rentnern und auf den Fürsorgeempfängern liegt. Erledigung hinübergeschoben worden. Die Bundes-
Das Existenzminimum, das Sie mit 900 DM an- regierung und ihre Mehrheit, die heute wieder
setzen wollen, ist auf diese Art bereits mit 180 DM dieselbe ist, ist dieser ihr überkommenen Verpflich-
jährlich, d. h. mit 20 °/o des Existenzminimums, tung nicht nachgekommen.
vor Zugriff aller anderen Steuern vorbelastet, nur (Hört! Hört! bei der SPD.)
auf Grund der Tatsache, daß der Mann existiert
und das Existenzminimum ausgeben muß. Es kommt hinzu, daß, wenn die Zündholzherstel-
lung gegenüber modernen Zündmitteln weiterhin
In diesem Lichte, meine Damen und Herren, muß durch die Steuer so außerordentlich belastet wird,
die gesamte Steuerbelastung und müssen auch die geradezu arbeitsmarktpolitische Schwierigkeiten
Ausführungen des Herrn Kollegen Neuburger über eintreten können. Sie lesen auch hier in den Dis-
den steuerlichen Obolus, den jeder beitragen soll, kussionsbeiträgen des Bundesrats, daß mindestens
und über das Verhältnis von direkten und indirek- eine Senkung der Zündwarensteuer dringend er-
ten Steuern gesehen werden. Das ist der größte forderlich wäre. Wir werden Ihnen auch dazu die
Teil der Belastung, die auf den breiten und beson- entsprechenden Anträge vorlegen, die zu einer
ders auf den schwachen Schichten bereits ruht, Senkung des Schachtelpreises auf mindestens
bevor man überhaupt von Tarifsteuern spricht. Das 5 Pfennig führen müssen, ohne daß das für den
bedeutet bereits eine Vorbelastung dieser Schichten Haushalt irgendwie untragbar wäre. Vielleicht
mit 20 °/o des Existenzminimums, — diese auszu- werden bei dieser Gelegenheit noch einige kleinere
gleichen sind ja die Tarifsteuern erst da, von deren Reformen in bezug auf diese Steuer anzubringen
Senkung man hier ausschließlich spricht. Eine so- sein.
ziale Steuerreform müßte in erster Linie im Auge (Zuruf rechts: Hoffentlich auch der Ein-
haben, diese Belastung zu verringern. nahmeausf all!)
(Beifall bei der SPD.) In einem anderen Sinne muß ich auf das Brannt-
Ich will jedoch gar nicht allgemein bleiben. Wir weinmonopol zu sprechen kommen, d. h. nicht im
haben sehr konkrete Dinge anzumelden. Da ist die Sinne einer Belastung des Haushalts zugunsten des
Zuckersteuer. Sie ist in diesem Haushaltsjahr mit Verbrauchers, sondern im Gegenteil im Sinne einer
375 Millionen DM angesetzt, obwohl sie 1953 nur Überprüfung zur Entlastung des Haushalts. Das
340 Millionen DM erbrachte. Über die Bedeutung, Branntweinmonopol ist eine Sache, zu der ein
die der Zucker in der Ernährung der modernen ernstliches historisches Studium gehört, um es
Industrieländer, insbesondere auch für die Kinder einigermaßen zu verstehen oder vielmehr, um es
gewonnen hat, brauche ich mich gar nicht zu ver- nicht zu verstehen. In seiner heutigen Form be-
breiten. Der Zuckerverbrauch in Deutschland ist günstigt es wirtschaftlich rückständige Herstel-
gegenüber allen irgendwie vergleichbaren Ländern lungsmethoden, hält also rationelle und wirtschaft-
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1343
(Seuffert)
liche Herstellungsmethoden hintan, verteilt Sub- der bei der Reform der Umsatzsteuer einzuschla-
ventionen, die einmal einem bestimmten Teil der gen wäre, haben wir Ihnen schon öfter vorgetragen
Landwirtschaft zugute kommen sollten. Sie kom- und in Programmen der Öffentlichkeit dargelegt.
men aber heute weder diesem Teil, noch, im gro- Der Weg geht in der Richtung der Konzentrierung
ßen und ganzen gesehen, überhaupt der Land- der Umsatzsteuer auf ganz bestimmte Umsätze
wirtschaft oder irgendeinem Zweig der Landwirt- oder Phasen oder meinetwegen Nettoumsätze,
schaft zugute, der sie benötigt. Dazu kommt eine wenn sich irgendein brauchbares System zu einer
höchst undurchsichtige, offenbar recht anfechtbare derartigen Definition finden läßt, weiter ihrer Dif-
Verwaltungspraxis. Die Verluste, die dadurch ent- ferenzierung nach bestimmten Warenarten und der
stehen, sind nicht genau zu schätzen. Ich glaube Freistellung des lebensnotwendigen Bedarfs. Damit
aber, man ist nicht unvorsichtig, wenn man schätzt, könnte diese Steuer einen wirtschaftlichen Sinn
daß mit der Verbesserung der Wirtschaftsmetho- bekommen.
den und mit der Beseitigung von unnötigen Sub- Ein erster Schritt auf diesem Wege — und das
ventionen eine Viertelmilliarde DM herausgeholt wäre ein Schritt, der ohne die schwierigen Über-
werden könnte. Wir werden einen Antrag vorle- legungen über Systeme der Warenumsatzbesteue-
gen, der die Überprüfung des ganzen Komplexes rung sehr bald getan werden könnte — sollte vor
verlangt. Sie .kann entweder durch Sachverstän- allem die Überprüfung der Umsatzsteuer auf dem
dige mit gesetzlichem Enqueterecht unter Mitwir- Gebiete der sogenannten sonstigen Leistungen
kung und Kontrolle des Parlaments oder durch außerhalb des Warengebietes sein,
einen Parlamentsausschuß selbst geschehen. Dar-
über wird noch zu reden sein. (Sehr gut! bei der SPD)
also der Umsatzsteuer der freien Berufe, der
Der Bundesrat hat, wie Sie wissen, der Bundes- freien Vertreter, und was sonst hierhin gehört.
regierung bereits einen ähnlichen Vorschlag unter-
breitet. Diese hat ihn mit dem Hinweis darauf (Sehr wahr! bei der SPD.)
abgelehnt, es sei unerwünscht, daß durch eine Hier ist die Steuer immer besonders fragwürdig
solche Enquete eine Beunruhigung der beteiligten gewesen. Hier hat sie immer nur einen fiskalischen
Wirtschaftskreise entstehe, oder allenfalls einen systematischen Sinn gehabt,
(Hört! Hört! bei der SPD) um mit den Steuern auf den übrigen Gebieten
gleichzuziehen und schwierige Unterscheidungen
und hat versprochen, im Rahmen ihrer eigenen zu vermeiden. Aber sie hat niemals einen wirt-
Verwaltung eine Überprüfung vorzunehmen. Nun, schaftlichen Sinn gehabt. Ganz bestimmte Härten
was diese Beunruhigung betrifft, so erschiene sie auf ganz bestimmten Gebieten hat man immer
uns für den Fall nicht unerwünscht, daß etwas durch das Einsetzen von Freigrenzen anerkennen
faul ist. müssen. Ich erinnere an die Freigrenzen auf dem
(Beifall bei der SPD.) Gebiet der freien Handlungsvertreter, an die Frei-
Von einer Überprüfung im Rahmen der Verwal- grenzen auf dem Gebiete der Künstler, Journa-
tung versprechen wir uns nichts. listen usw., wobei im übrigen die Abgrenzung
dieser Berufe in besonders ungereimter und un-
Ich muß natürlich in diesem Zusammenhang auf klarer Weise erfolgt. Da hat man immer Frei-
die Umsatzsteuer zu sprechen kommen. Bei aller
grenzen einsetzen müssen, weil man anerkennen
Hochachtung vor den Qualitäten des Herrn Popitz mußte, daß das ohne Härten überhaupt nicht bis
muß ich doch sagen: Sie ist dringend reformbedürf- zum letzten durchführbar war. Diese Freigrenzen
tig. Darüber ist man sich, glaube ich, in allen Krei- müssen mindestens erhöht werden, wenn man
sen einig. Die Umsatzsteuer ist der Hauptteil der nicht, was unserer Ansicht nach das viel Bessere
indirekten Steuerbelastung, der Hauptteil des wäre, an die Beseitigung der Steuer auf diesen
Blocks der Verbrauchsteuerbelastung, der so sehr Gebieten überhaupt sehr bald herangehen kann.
nach unten drückt. Die Steuer war von Anfang an
fiskalisch. Daß sie heute eine Säule unserer Staats- (Sehr gut! bei der SPD.)
einnahmen ist, ist eine Tatsache, mit der wir rech- Allermindestens sollte eine Senkung der Steuer-
nen müssen, aber es ist eine bedauerliche Tatsache. sätze, wie sie ja auch die Diskussionsbeiträge des
Die Reform der Umsatzsteuer ist zurückgestellt. Bundesrats vorsehen, für diese sogenannten nicht
Das tut uns leid. Wir möchten dringend bitten, daß wirklichen Umsätze eintreten.
hier aufgeschoben keineswegs aufgehoben ist. Die Zu erwähnen ist auch die Umsatzbelastung, die
Reform ist sehr dringlich. immer noch auf der Tätigkeit der Jugendpflege
In den Regierungsvorlagen wird die Umsatz- und der Wohlfahrtsverbände ruht. Auch das sind
steuer nur mit dem Vorschlag von Erhöhungen Vorgänge, die außerhalb des eigentlichen Wirt-
erwähnt. Ich brauche Ihnen wohl kaum besonders schaftslebens liegen, die ihm nicht angehören und
zu sagen, daß wir Umsatzsteuererhöhungen dieser die deswegen eine solche Steuerbelastung weder
Art ablehnen. Das ist für uns geradezu selbstver- vertragen noch verdienen.
ständlich, einerlei, ob sie sich auf den Großhandel Zu beiden Steuern wäre vielleicht noch einiges
beziehen oder auf sonst etwas. Erst recht gilt das zu sagen, aber besser nicht heute. Es gibt da eine
natürlich für Umsatzsteuererhöhungen, die die Reihe von Steuern wie die Gesellschaftsteuer, die
kommunalen Versorgungsbetriebe, insbesondere Versicherungsteuer und eine ganze Reihe von
der kleinen Gemeinden, die keine eigenen Kraft- Dingen mehr, die langsam der Schauplatz einer
werke haben, zusätzlich belasten sollen, die sich Geheimwissenschaft von Spezialfinanzämtern ge-
also unmittelbar auf die Versorgungstarife der worden sind, der Tummelplatz sehr überraschen-
Gemeinden und die Gemeindehaushalte auswirken der wirtschaftsfremder Entscheidungen und Maß-
sollen. Ich finde diesen Vorschlag geradezu un- nahmen und neuerdings in zunehmendem Maße
glaublich. auch der Schauplatz eines fiskalischen Expansions-
(Beifall bei der SPD.) drangs nach der Erfindung immer neuer Steuer-
Aber damit ist es bei der Umsatzsteuer wirklich quellen.
nicht getan. Unsere Vorstellungen von dem Weg, (Sehr gut! bei der SPD.)
1344 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Seuffert)
Ich glaube, hier sollte einmal einiges vereinfacht erhöht wird. Anderswo ist in den vier Milliarden
und überprüft werden. Ich möchte z. B. die Auf- oder in den 27 Milliarden des Haushalts gar nichts
merksamkeit des Hauses darauf lenken, daß nach -zu finden. Alles andere ist unpatriotisch, haushalts
der neuesten Entscheidung auf ERP-Darlehen, die und währungsgefährdend! Herr Bundesfinanz-
an Gesellschaften mit beschränkter Haftung ge- minister — man möge es ihm sagen —, darüber
geben und von den Gesellschaftern, wie das bank- sprechen wir uns noch!
mäßig geradezu selbstverständlich ist, verbürgt (Lebhafter Beifall bei der SPD.)
werden, eine Gesellschaftsteuer von 3 % erhoben Wenn man aber schon einzelne Deckungsvor-
werden soll, schläge haben will, — ich habe ja bereits darauf
(Hört! Hört! bei der SPD) hingewiesen, daß eine Überprüfung des Brannt-
eine Erfindung, die jedenfalls nicht im Sinne der weinmonopols vermutlich schon Beträge in einer
Geldgeber dieses ERP-Programms liegen dürfte Größenordnung ergeben würde, die hier durchaus
(Zuruf von der SPD: Das kann man wohl hinpaßte. Ich möchte Sie auf die Möglichkeit, ja,
sagen!) auf die Notwendigkeit des Abbaus der Export-
und bei ihnen einiges Kopfschütteln hervorrufen förderungsmaßnahmen hinweisen, die uns auch -
sollte, und ein Zustand, der so schnell wie möglich etwa eme halbe Milliarde jährlich kosten dürften
beseitigt werden muß. und die nicht nur keine Förderung der Export-
erlöse, sondern bei der heutigen Lage geradezu
(Sehr gut! bei der SPD.) einer Schmälerung der Exporterlöse, also keine
Es ist selbstverständlich, daß wir bei einer Förderung des Exports, bewirken. Außerdem ent-
Steuerreform auch nicht die Einführung neuer sprechen derartige Maßnahmen nicht den langsam
Steuern wünschen. Damit ist das, was in diesem sich Geltung verschaffenden Vorstellungen von
Zusammenhang zur Ergänzungsabgabe zu sagen der internationalen wirtschaftlichen Zusammen-
ware — im Zusammenhang mit der Frage des arbeit. Wir haben gar nichts dagegen, wenn die
Verhältnisses zwischen Bund und Ländern, also Bundesregierung in dieser Beziehung Herrn Butler
im Zusammenhang mit der Finanzverfassung, hat vor einigen Tagen etwas versprochen haben sollte.
es ja schon mein Freund Gülich ausgeführt —, Sie werden also ohnehin sehr bald wohl wegfallen
gesagt. müssen. Es gibt andere und bessere Mittel, dem
Meine verehrten Damen und Herren, wenn Sie Export zu helfen, z. B. vielleicht wirkliche, aktive
etwa gegenüber solchen Vorschlägen die Deckungs- Auslandskredite für den Export, wenn wir unsere
frage stellen sollten, so möchte ich zunächst immer- Schulden nunmehr konsolidiert haben und be-
hin sagen, daß, wenn man schon von Steuerreform zahlen wollen und wenn wir uns wirklich dem
spricht, es sich nicht in erster Linie um Deckungs- Zustand einer hundertprozentigen Volldeckung
fragen, sondern um die Rangfolge der Ansprüche unseres Geldumlaufs durch Gold und Devisen
auf Entlastung und auch um die Forderungen auf nähern sollten, ein Zustand, den der Herr Bundes-
Vereinfachung der Steuerverwaltung handelt, die kanzler in seiner unerforschlichen Güte und Weis-
zu befriedigen sind, heit vor einigen Tagen überraschenderweise als
(lebhafter Beifall bei der SPD) erstrebenswert bezeichnet hat.
wenn man schon von Steuerreform oder gar von (Heiterkeit und Hört! Hört! bei der SPD.)
sozialer Steuerreform spricht. Immerhin haben Sie Ich muß noch zu Dingen sprechen, die nicht in
außerdem heute morgen aus dem Mund des der Gesetzesvorlage stehen. Wo steht denn die
Bundesfinanzministers, der leider noch nicht Regierung in der Frage des Kapitalmarktes und
wieder da ist, gehört, daß es sich insgesamt um ein des Wohnungsbaus? Herr Kollege Neuburger hat
Volumen von 3900 Millionen oder rund 4 Milliar- diese Lücke bereits feststellen müssen. Ich kann
den DM Steuermasse handelt, das hier zu refor- sie allerdings nicht mit so viel Liebenswürdigkeit
matorischen oder nichtreformatorischen Zwecken und ich muß sie nicht mit so viel Verlegenheit
mit einem Nettorisiko von 2900 Millionen oder behandeln, wie er es tat.
rund 3 Milliarden DM für den Steuerhaushalt hin- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
und herbewegt werden soll. Bei einem derartigen Wir hatten einmal eine Regierungsvorlage beim
Volumen kann doch wohl einiges anders gemacht
Bundesrat, derzufolge die Sozialpfandbriefe und
werden, als es sich der Herr Bundesfinanzminister
die Kuponsteuer wegfallen sollten. Diese Vorlage
vorstellt; ist vom Herrn Bundesfinanzminister in seiner
(Beifall bei der SPD) Einführungsrede zu den Steuervorlagen hier
und da sind Deckungsvorschläge durch Änderung mündlich widerrufen worden. Aber eine weitere
der Verteilung gar nicht einmal so schwer zu Folge hat das nicht gehabt, und wir haben keine
machen. Regierungsvorlage zum Kapitalmarktförderungs-
(Zuruf von der SPD: Faule Ausreden!) gesetz. Jetzt, in diesen Steuervorlagen, nimmt
Denn innerhalb eines solchen Zusammenhangs man gar keinen Bezug darauf; da bleiben die
kann, wenn man in bezug auf 10, 50 oder auch Sozialpfandbriefe drin, da bleibt die Kuponsteuer
100 Millionen von den Vorstellungen des Herrn drin. Ja, bleiben nun nach den mündlichen Er-
Bundesfinanzministers und seinen Vorschlägen ab- klärungen die Sozialpfandbriefe, oder bleiben sie
weicht, wie diese vier Milliarden anders bewegt nach der Regierungsvorlage nicht? Fällt der § 7 c
und anders verteilt werden sollten, doch wohl nicht weg? Fällt er nicht weg? Fallen sie beide weg?
alles falsch und alles untragbar sein und alles den Meine Damen und Herren! Bevor ich mich auf
Haushalt gefährden. ein solches Ratespiel einlasse, muß ich doch einmal
(Sehr gut! bei der SPD.) fragen: Was denkt sich eigentlich die Regierung
Wir haben ja heute morgen schon wieder eine bei diesem Verhalten? Stellt sie sich eigentlich vor,
solche Probe gehört. Der Herr Bundesfinanz- daß man die Steuerreform einer Lösung näher
minister ist nur bereit, die durch einstimmige Be- bringen könnte, ohne für diese wichtigen Fragen
schlüsse des Bundestags geforderten Steuerpräfe- eine klare Linie zu haben und ohne eine Stellung-
renzen für Berlin einzuführen, wenn das Notopfer nahme der Regierung als Grundlage der Dis-
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1345
(Seuffert)
kussion vorzulegen? Ist ein solches Verhalten eine gen vermerkt worden —, und es muß aufhören, daß
Beschleunigung der Steuerreform, zu der sich doch diese Banken das Geld in steuerfreien Papieren an-
die Bundesregierung bekennt oder mindestens legen, statt sich die Mühe zu geben, Kredite an die
vom Herrn Bundeskanzler feierlich in der Öffent- Wirtschaft auszugeben.
lichkeit verpflichtet worden ist? (Hört! Hört! bei der SPD.)
(Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Spiel mit Die Banken sind dazu da, Kredite auszugeben;
dem Parlament!) aber sie sind nicht dazu da, ihr eigenes Geld in
Oder stellt man sich etwa hier wieder vor, daß Papieren anzulegen, und sogar noch in steuerfreien,
schnell herbeizuführende einsame Kabinetts- und hierzu außerdem noch Gelder ihrer Kunden
beschlüsse genügen werden, auf die die Mehrheit hereinzunehmen, die auf den Kapitalmarkt gehö-
von vornherein verpflichtet ist, ohne daß man die ren. Auch die Wirtschaft ist dazu da, mit den Kre-
Parlamentsarbeit einzuschalten braucht? diten zu bauen und zu wirtschaften und nicht das
(Zurufe von der SPD: Wahrscheinlich! Geld auf die Bank zu legen.
Sehr wahrscheinlich!) Wir haben, meine Damen und Herren, dies alles -
Meine Damen und Herren! Diese Dinge müssen damals vorausgesagt. Es ist hervorzuheben und
besprochen werden — mit und ohne Vorlage —, sehr anzuerkennen, daß angesehene und verant-
und Herr Kollege Neuburger mußte sie ja auch be- wortungsbewußte Männer aus dem Bankwesen
sprechen. Unsere Einwände gegen die Politik der selbst sich von allen bequemen Interessenstand-
Regierung auf diesem Gebiet, die wir mit Nach- punkten frei gemacht und deutlich und unmißver-
druck bei Gelegenheit des Kapitalmarktförderungs- ständlich auf diese Mißstände und Mißbräuche hin-
gesetzes vorgetragen haben, sind vollauf bestätigt gewiesen haben. Vielleicht werden sie Ohren er-
worden. Auch dort, wo damals Übergangsmaß- reichen, die mit unseren Vorstellungen zu erreichen
nahmen toleriert werden mußten und wo auch wir und zu überzeugen uns nicht möglich war.
bereit waren, sie zu tolerieren, wäre die Fortset- Ich begrüße in diesem Zusammenhang, daß die
zung dieser Maßnahmen jetzt mehr als schädlich. Bankenverbände und die Bankaufsichtsstellen sich
Die Maßnahmen der Regierung haben sich als un- nunmehr zu einer Aktion vereinigt haben, um die
geeignet erwiesen zur Stärkung des Kapitalmarktes Habenzinsen unter wirklich wirksame Kontrolle zu
und auch zur Kapitallenkung, wo diese erforder- bringen. Ich kann nur die Hoffnung aussprechen,
lich gewesen wäre. Sie haben zu steuerlich uner- daß diese Aktion in der Praxis auch zu den not-
träglichen Ergebnissen geführt, und vor allen Din- wendigen Auswirkungen führt.
gen haben sie der wichtigsten Tendenz entgegen-
gewirkt, die auf diesem Gebiet mit allen Mitteln Ich glaube, ich sollte noch eine Bemerkung über
gestützt und verstärkt werden muß, der Tendenz die wirkliche Grundlage des Kapitalmarkts machen;
zur Senkung des Kapitalzinses. Die Wichtigkeit denn man kann in der heutigen Situation an diesem
dieser Dinge haben wir schon im Jahre 1950 durch Problem, gerade wenn man über Steuerreform und
unsere Anträge betont. Diese Steuerbegünstigun- über die Ziele spricht, die damit zu verfolgen wären,
gen halten den Kapitalzins hoch. nicht vorbeigehen. In Denkschriften des privaten
Bankgewerbes sind wörtlich Sätze zu finden wie:
Der Fehler der ganzen Sache liegt neben der Un-
möglichkeit, aus Steuergesetzgebung und Kapital- Die Spitzenbelastungssätze des Steuertarifs
zins Renditebegriffe zusammenzukleistern, und sind für Zinsen und Dividenden entscheidend.
neben der Unmöglichkeit, die verschiedenen For- Wenn da weiter steht, daß die mittleren Einkom-
men der Kapitalanlage und ihre Erträge steuerlich mensgruppen für die Kapitalbildung wichtig sind,
so unterschiedlich zu behandeln — der Kapital- so wäre das schön und gut, wenn es nicht dahin er-
markt ist ein Ganzes in allen seinen Formen —, läutert wäre, daß unter solchen mittleren Gruppen
vor allen Dingen in der falschen Einschätzung der die Einkommensgruppen von 20 000 bis 150 000 DM
Rolle, die die legitimen Kapitalsammelstellen am im Jahr gemeint seien.
Markt spielen. Diese legitimen Kapitalsammel- (Lachen bei der SPD. — Zuruf von der
stellen sind an den Steuerbegünstigungen unin- SPD: Schöne „mittlere Einkommen"!)
teressiert, und durch die Kuponsteuer werden sie
vom Markt ferngehalten. Auf diese Art und Weise Derartige Auffassungen können, glaube ich, nicht
haben die Begünstigungen genügt, daß damit Ge- unwidersprochen bleiben. Sie sind den unseren dia-
schäfte gemacht wurden, und was für Geschäfte! metral entgegengesetzt. Gewiß, es sind nicht Auf-
Ich will mich darüber gar nicht näher verbreiten, fassungen der Regierung, sondern eines privaten
um nicht vielleicht einige Leute auf noch neue Verbandes. Aber man hat doch sehr, sehr oft den
Ideen zu bringen. Aber sie haben nicht genügt, Eindruck, als ob die Maßnahmen der Regierung
einen ausreichenden Absatz auch der steuerbegün- insbesondere auch auf dem Gebiete der Steuer-
stigten Papiere zu gesunden Bedingungen zu politik von ähnlichen Auffassungen ausgingen und
- sichern; denn bei den miserablen Auszahlungs getragen würden.
und Emissionskursen, die wir heute sehen, ist die (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Das ist der
effektive Verzinsung auch der steuerbegünstigten neue Mittelstand! — Weiterer Zuruf von der
Papiere ein Beweis dafür, daß dieser Weg, billiges SPD: Pferdmenges!)
Geld herzubringen, nicht der richtige war, jeden- Die Grundlage des Kapitalmarktes sind, wie die
falls jetzt nicht mehr der richtige ist. Grundlage der Wirtschaft überhaupt, der Normal-
Es muß aber auch aufhören lassen Sie mich das bürger und das Durchschnittseinkommen. Auch der
bei dieser Gelegenheit bemerken —, daß Banken Normalbürger hat das Recht auf Zinsen und Divi-
oder andere kapitalkräftige Unternehmen Termin- dende und auf Zugang zum Kapitalmarkt, und
gelder in abnormer Höhe hereinnehmen, die sehr wehe dem Kapitalmarkt, wenn er von ihm abge-
wohl bereits auf den Kapitalmarkt gehören wür sperrt wird. Bisher ist ihm der Zugang verküm-
den — eine derartige Tatsache ist in Denkschriften mert worden. Um die Frage, was eigentlich „Nor-
des Bankenverbandes als unabänderlich und sogar malbürger", „mittlere Gruppe" und „Durchschnitts-
geradezu als Begründung für steuerliche Forderun einkommen" sind, einmal klarzustellen, lassen wir
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(Seuffert)
einige Zahlen sprechen. Nach den Angaben des Ifo erhalten werden: Verlängerung der Laufzeit, um
Instituts — das Bundesfinanzministerium versorgt einer gesunden Finanzierung näherzukommen,
die Öffentlichkeit ja immer noch unzureichend mit Verweisung in das zweite Geld, Beschränkung bzw.
solchen Statistiken — allermindestens ganz vorzugsweise Hinlenkung auf
(Abg. Schmitt [Vockenhausen] : Mit den wirklich sozialen Wohnungsbau. Darüber wer-
gutem Grund!) den, wie gesagt, noch sehr ernsthafte Prüfungen
hatten wir im Jahr 1952 20 Millionen Leute, die anzustellen sein. Aber ich wiederhole: die Finan-
von der Einkommen- und Lohnsteuer erfaßt wur- zierung des Wohnungsbaues, des sozialen Woh-
den, davon 15,5 Millionen effektiv besteuert und nungsbaues muß sichergestellt werden, d. h. des
die übrigen steuerbefreit. Sie hatten insgesamt Wohnungsbaues für diejenigen Leute, die keine
66,7 Milliarden DM steuerpflichtiges Einkommen. Zuschüsse aufbringen können. Es handelt sich um
Davon lagen rund 58 Milliarden DM in den Ein- ein Gebiet — das hat der Kollege Neuburger zwar
kommensgruppen bis 12 000 DM. nicht mit eigenen Worten, aber dem Sinn nach
(Hört! Hört! bei der SPD.) ausdrücklich bestätigt —, wo es keine freie Wett-
bewerbswirtschaft und keine Kostenmiete geben -
Von den 15,5 Millionen effektiv Besteuerten der kann, wo eben immer der unrentierliche Teil da
Lohn- und Einkommensteuer waren 12,4 Millionen sein muß.
oder vier Fünftel Arbeitnehmer, und von diesen
Arbeitnehmern waren nur 132 000 oder 1 % Leute, Wenn wir auf die sich nunmehr außerordentlich
die ein Einkommen über 12 000 DM bezogen. schädlich auswirkenden bisherigen Finanzierungs-
(Hört! Hört! bei der SPD.) mittel ' oder einen Teil dieser Finanzierungsmittel
verzichten können und verzichten müssen, so
Ich glaube, diese Zahlen stellen klar, was wirklich müßten in der Tat sicher neue Wege zur Finan-
Durchschnittseinkommen ist und was man meinen zierung des Wohnungsbaues beschritten werden,
muß, wenn man von Durchschnittseinkommen und denn dessen Finanzierung darf nicht leiden. Natür-
mittleren Einkommen spricht; und das, was aus lich müßten für den unrentierlichen Teil letzten
diesen Zahlen sich ergibt, meine auch ich, wenn ich Endes immer irgendwie öffentliche Mittel ein-
in der Folge von diesen Begriffen spreche. gesetzt werden. Aber wir glauben auch, daß es
Nun noch ein Wort zum Wohnungsbau, ein sehr andere, neue Wege geben könnte. In der Ausdeh-
wichtiges Wort; denn es wird Sie nicht überraschen, nung des Geschäftes der Direkthypotheken liegen
wenn ich noch einmal betone, daß gerade auch in durchaus noch Möglichkeiten und Reserven. Die
diesen Fragen des Kapitalmarkts und allem, was Ausdehnung des Bereichs der ersten Hypothek
damit zusammenhängt, die Sicherstellung der durch Revidierung recht überholter Deckungsvor-
Finanzierung des Wohnungsbaues, vor allem natür- schriften hätte eine sehr heilsame Auswirkung.
lich des sozialen Wohnungsbaues, unsere Haupt- Darüber hinaus sollte man zur weiteren Ausdeh-
sorge und unser Hauptanliegen ist. nung von ersten oder I b-Hypotheken, die ent-
(Sehr gut! bei der SPD.) sprechend billig sein könnten, zur Verbürgung von
Was ist nun eigentlich? Will man die Sozialpfand- Hypotheken oder zur Versicherung von Hypo-
briefe dem Wohnungsbau nehmen? Will man sie
theken nach amerikanischem Muster schreiten. Ich
ihm belassen? Über die außerordentlich schädlichen glaube, das wäre ein billiger und risikoloser Weg.
Auswirkungen der Existenz solcher steuer- In diesem Zusammenhang kann ich es nur be-
begünstigten Papiere habe ich mich soeben aus- grüßen, daß in der Wohnungsbaunovelle, die das
Wohnungsbauministerium vorgelegt hat, ein Schritt
gelassen. Ich stimme auch den Ausführungen des auf diesem Wege getan worden ist. Das ist ein er-
Kollegen Neuburger hier vollständig zu. Es wäre freulicher Zug in der Novelle. Ich fürchte aller-
wirklich begrüßenswert, wenn man sich entschlösse, dings, sie hat auch unerfreuliche Züge.
auf diese Papiere zu verzichten, zumal ihre mise-
rablen Emissions- und Auszahlungskurse, die sich Meine Damen und Herren, nachdem nun mit
trotz oder meiner Ansicht nach wegen der Steuer- gutem Grund über vieles gesprochen werden mußte.
begünstigungen ergeben, durchaus nicht den Be- was nicht in den Steuervorlagen enthalten und
weis geliefert haben, daß auf diese Weise billiges nicht in ihnen berührt war, komme ich endlich zur
Geld in den Wohnungsbau zu bringen ist — oder Regierungsvorlage selbst, und zwar zunächst zur
wenigstens billigeres als auf anderem Wege —, ge- Einkommensteuer. Daß eine Reform der Ein-
schweige denn in der Zukunft zu bringen sein kommensteuer, eine Tarifreform, eine Reform des
würde. Systems notwendig war und ist, das ist eigentlich
§ 7 c. Nach der Regierungsvorlage soll er wohl bekannt. Nur das Bundesfinanzministerium hat da-
Ende des Jahres auslaufen. Die Wohnungswirtschaft von keine Kenntnis genommen. Mit wirklichen
macht aber geltend, sie könne ihn nicht entbehren. Tariffragen hat es sich überhaupt nicht beschäftigt.
Die schlimmen Auswirkungen des § 7 c, der ja auch Schließlich hat es auch in all den Jahren bisher im
einer der größten, vielleicht jetzt der größte Topf ganzen Verband des Bundesfinanzministeriums
der Sondervergünstigungen ist, in die hinein unser keinen einzigen Menschen gegeben, der sich von
Steuergeld verschwunden ist, brauche ich hier auch Berufs und Amts wegen mit der Steuerreform be-
nicht zu betonen. Wir haben uns über diese Sonder- schäftigt hätte.
vergünstigungen oft genug ausgesprochen, und was Unsere Forderungen zur Reform des Tarif-
sich hier abgespielt hat, ist zu bekannt, als daß ich systems bei der Einkommensteuer sind seit langem
es zu wiederholen brauchte. bekannt. Ich werde sie noch einmal wiederholen.
Wenn die Wohnungswirtschaft behauptet, sie Sie beginnen mit dem steuerfreien Existenzminium
könne ohne § 7 c nicht auskommen, so wird auf das von 1500 DM jährlich für jedermann und dem
schärfste, aber auch auf das ernsthafteste zu prüfen doppelten Betrag für das Ehepaar.
sein, ob er wirklich noch nötig ist. Wenn überhaupt (Sehr gut! bei der SPD.)
— darüber ist man sich doch wohl vollständig Das ist unserer Ansicht nach eine moralische Forde
einig —, könnte er nur in einer sehr abge- rung, weil ein ausreichendes Existenzminimum die
schwächten und beschränkten Form aufrecht notwendigste moralische Grundlage eines Steuer-
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1347
(Seuffert)
systems ist und weil diese moralische Forderung und Sparbildung, meistens aus der Gegend des
unter diesem Betrag einfach nicht als erfüllt an- Bundeswirtschaftsministeriums, manchmal auch aus
gesehen werden kann. Das ist außerdem die anderen Gegenden, auch über Wohnungs- und
dringendste Forderung zur Vereinfachung der Eigenheimbau und Eigentumsbildung, was ja in
ganzen Steuerverwaltung und zur Ausschaltung dieser Art auch nichts anderes darstellt. Wer soll
der lächerlichen Bagatellen. denn konsumieren, wer soll denn Eigentum bilden,
(Beifall bei der SPD.) wem soll dazu geholfen werden? Ich meine doch,
die breite Masse der Normalbürger; denn die
Unsere weitere Forderung, die wir auch immer anderen bilden ja sowieso Eigentum.
wieder vorgetragen haben, ist die Ausschaltung der
Progression oder wenigstens eine möglichst große (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD:
Annäherung an die Proportionalbesteuerung für Die haben schon Eigentum!)
das kleine und mittlere Durchschnittseinkommen — Die haben ja schon Eigentum, und konsumieren
des Normalbürgers. Ich habe gesagt, was ich unter tun sie auch!
einem solchen Durchschnittseinkommen verstehe. (Abg. Baur [Augsburg] : Zuviel haben sie!) -
Warum wir hier die Annäherung an die Propor- Man hat wirklich sehr oft das Gefühl, es herrsche
tionalbesteuerung oder im Idealfall — im meines bei der Regierung und bei dem, was sich so um sie
Erachtens durchaus erreichbaren Idealfall — diese schart, die Auffassung, daß der Gebrauch von mehr
selbst fordern, ist schon oft gesagt und begründet oder weniger wohlklingenden Schlagworten haupt-
worden. Damit würden in diesem Bereich alle die- sächlich dazu dasei, um sich der Verpflichtung zu
jenigen Härten und ewigen Streitfälle wegfallen, entheben, diese Worte auch in die Tat umzusetzen
die die Progression in bezug auf den Lohnsteuer- und ihnen zu genügen.
jahresausgleich, mehrere Arbeitsverhältnisse, Über- (Beifall bei der SPD.)
stunden, Nebenverdienst der Pensionäre und vor
allem in dem Fall der mitverdienenden Ehefrau Man hört so viel von mittelständlerischen Forde-
ständig verursacht. Eine solche Annäherung würde rungen. Wer ist denn der Mittelstand, und was sind
diese Fälle reduzieren, bedeutungslos machen und denn mittelständlerische Forderungen anders als
im, wie gesagt, erreichbaren Idealfall schlechter- die, von denen ich hier spreche und die wir ver-
dings beseitigen. Die Härten, die Reibungen liegen treten!
doch in diesem Bereich des Durchschnittsein- (Sehr wahr! bei der SPD. — Lachen in der
kommens, und zwar vor allem dort. Die Pro- Mitte. — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Ja,
gression soll unserer Vorstellung nach erst außer- meine Herren, so ist es! — Erneutes Lachen
halb dieses Bereiches einsetzen in der Mitte.)
(Sehr gut! bei der SPD) — Ich danke für die Unterstützung.
und dann durch eine besondere Zusatzsteuer durch- (Heiterkeit. — Abg. Stücklen: War bestellt,
geführt werden. Damit wäre gleichzeitig die Mög- was?!)
lichkeit gegeben, diejenigen Ermäßigungen, die
Zur Diskussion stehen nun der Tarif des Regie-
jedermann zukommen, auch jedermann gleichmäßig rungsvorschlages, der Tarif des Sachverständigen-
zu geben; ausschusses des Bundesrates in den Diskussions-
(Sehr richtig! bei der SPD) beiträgen und die Stellungnahme des Bundesrates
insbesondere die Familienermäßigungen, und den zur Tariffrage in diesem Gesetzentwurf. Der Tarif
absurden Zustand zu beseitigen, daß man sehr zum dieses Sachverständigenausschusses, des soge-
Nachteil des Steuersäckels um so mehr — ein Viel- nannten Troegerausschusses, ist kein Idealtarif; das
faches — an Kinderermäßigung bekommt, je mehr spricht er selber aus und das muß man ihm zu-
Einkommen man zur Verfügung hat. geben. Er bezeichnet sich ausdrücklich als ein
(Sehr gut! bei der SPD.) Kompromiß zwischen den von den Sachverständigen
so eingeschätzten haushaltsmäßigen Möglichkeiten
Damit wäre gleichzeitig wenigstens ein erster und den weitergehenden wirklich sachlich be-
Schritt zur Beseitigung des ganzen Steuerklassen gründeten Forderungen, die restlos eben dann in
systems, das wir schon immer kritisiert und an- einer zweiten Stufe verwirklicht werden müßten.
gefochten haben, und des Übergangs zum System Dieser Tarifvorschlag läuft in derselben Linie wie
der Kinderbeihilfen getan, von dem ja nun, ich unsere grundsätzlichen Vorstellungen — ich will
glaube, nachgerade nicht nur wir die Meinung ver- nicht sagen: er hat sie übernommen —; ins-
treten, daß es das richtigere System ist. Das alles besondere enthält er die Tendenz zur proportio-
zusammengenommen soll dazu dienen, eine ange- nalen Besteuerung bei den unteren Durchschnitts-
messene Steuerform und eine angemessene Ent- einkommen, die wir für so außerordentlich wichtig
lastung für die kleinen und mittleren Einkommen halten. Auch der Bundesrat hat in seiner Stellung-
herbeizuführen. Darunter verstehen wir diejenigen nahme zur Tariffrage diese Tendenz und diese
Einkommen, die durch die Verbrauchsteuern so Forderung einstimmig übernommen. Das ist sehr
stark vorbelastet sind, wie ich Ihnen eingangs zu begrüßen und festzuhalten. Sowohl der Sachver-
meiner Ausführungen anschaulich dargestellt habe. ständigenausschuß des Bundesrates wie der Bundes-
Sie tragen diejenigen Vorbelastungen, welche aus- rat selbst haben auch an der Tendenz zur Erhöhung
zugleichen der Sinn der Einkommensteuer ist. Das des steuerfreien Existenzminimums festgehalten.
heißt also, die Einkommensteuer sollte sich in dem Sie haben 1000 DM vorgeschlagen, immerhin mehr
Bereich, in dem sich die Verbrauchsteuerbelastung als die Regierungsvorlage. Sie sind allerdings
so stark auswirkt, so niedrig wie möglich halten, unserer Auffassung nach entschieden nicht weit ge-
wenn nicht möglichst ganz verschwinden. Außer- nug gegangen. Die, wie gesagt, moralisch be-
dem wird eine derartige Entlastung des Durch- gründete Forderung nach dem Mindestbetrag von
schnittseinkommens gerade im gegenwärtigen 1500 DM, die wir vertreten, bleibt bestehen. Es ist
Augenblick auch von der wirtschaftlichen Ver- richtig, daß der Tarif des Troeger-Ausschusses aus
nunft eindeutig verlangt. Ich höre immer so viel Systemgründen eine Mehrbelastung — nicht nur
Schlachtrufe über Konsumförderung und Kapital- eine Mehr entlastung, sondern eine Mehr be -
1348 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Seuffert)
lastung in Einkommensstufen von ungefähr

dieser Einkommen zum Teil über der Vorkriegs-
8000 DM jährlich bei gewissen Steuerpflichtigen — stufe liegt.
Stufen, die durchaus auch für Arbeitnehmerein- (Abg. Dr. Atzenroth: Sind Prozentzahlen!)
kommen in Frage kommen — vorgesehen hätte. — Ja eben, und deswegen soll man die Prozent-
Das wäre und ist für uns eine unannehmbare zahlen richtig anwenden, Herr Dr. Atzenroth. Mit
Folge. Aber sie ließe sich durch gewisse Umgestal Prozentzahlen läßt sich sehr viel machen, besonders
tungen beseitigen. Übrigens — Herr Kollege Neu- wenn man sie falsch anwendet.
burger hat das auch schon zugegeben und an-
gemerkt — finden sich gleiche Mehrbelastungen (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Aus gutem
auch im Schäfferschen Regierungstarif. Dafür ist Grund, macht er sie so rund!)
sicherlich auch dieser Tarif in den Einkommens- Im Gegenteil: von sozialen Erwägungen ist da
stufen über 50 000 DM zu entgegenkommend. nichts zu spüren. Dafür hat man sich nun die
(Zustimmung bei der SPD.) Mühe gemacht, auf Grund eines ganz neuen Prin-
zips der steuerlichen Gerechtigkeit eine logarith-
Denn so ist es ja nun doch nicht, wie der Herr mische Formel auszuarbeiten, durch die sicherge- -
Bundesfinanzminister heute morgen gesagt hat, stellt werden soll, daß die Progression in gleich-
daß, wenn jemand die ganze Zeit infolge der ihm mäßiger Steilheit, in majestätischem Zug von Null,
zugänglichen Sondervergünstigungen unter Tarif vom Existenzminimum bis zum Millionär aufsteigt.
versteuert hat und nun, wenn dieser Tarif für Ein interessantes Stück Mathematik! Aber da muß
andere Leute in Ordnung gebracht wird, an den man doch mit dem alten Kaiser Franz Joseph fra-
Tarif herangeführt wird, er dann außerdem An- gen: Wer hat's ihn g'schafft?
spruch darauf hat, durch diesen Tarif noch be- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
sondere Steuervorteile zu bekommen.
Ich spreche gar nicht weiter davon, daß diese im-
Ich möchte aber vollständig klarstellen — ich posante steuerliche Gerechtigkeit natürlich oben
habe es hier schon einmal ausgesprochen —: Die aufhört nach einer netten Verbeugung vor den
Sozialdemokratie ist nicht an hohen Steuersätzen hohen Herrschaften; denn der Plafond schaltet die
interessiert. Sie ist vor allem nicht an hohen Progression natürlich oben aus statt unten, und
Steuersätzen interessiert, die nur auf dem Papier da hat sich's mit der steuerlich gerechten, gleich-
stehen. Wir begrüßen es und halten es auch für mäßigen Progression.
richtig, daß, wenn man die notwendigsten Steuer-
senkungen von unten hervornimmt, sie sich im An- Aber kann man überhaupt ernsthaft behaupten,
schluß daran auch nach oben und in die Anschluß- es sei angemessen, für Arbeitereinkommen und
bereiche auswirken müssen und sollen. Aber man ihre Verhältnisse dieselbe Steilheit der Progression
muß doch dabei maßhalten. Und wenn man — anzuwenden wie für Millionärseinkommen?
Herr Raestrup ist momentan auch nicht im Saal (Sehr gut! bei der SPD.)
— dann wieder die Unternehmungen in Personal- Der Herr Bundesfinanzminister hat zwar heute
form anführt, so kann ich ja nur immer wieder morgen noch einmal ausdrücklich gesagt, es sei
das eine Wort „Betriebsteuer" sagen, damit Sie nach seiner Ansicht sogar falsch, die Progressions-
nicht vergessen, daß das immer noch unsere For- verhältnisse einer Steuerkurve nach wirtschafts-
derung und unsere Lösung ist und bleibt. politischen Gesichtspunkten abzuknicken; nun, ich
(Sehr richtig! bei der SPD.) will mich über „wirtschaftspolitisch" und „sozial-
politisch" hier nicht weiter streiten, aber um eine
Die Empfehlungen des Bundesrats bringen also Unterscheidung zwischen Berufen, Herr Bundes-
zwar einige gute Vorschläge, aber sie gehen nicht finanzminister — der wieder nicht da ist —,
weit genug und haben einige unannehmbare Seiten. (Zurufe von der SPD)
Der Regierungsvorschlag des Herrn Bundesfinanz-
ministers Schäffer dagegen enthält leider über- handelt es sich hier ja doch wohl nicht. Das können
haupt nichts an Reformgedanken, nichts, was Sie im Kölner Bahnhof erzählen, aber nicht im
irgendwie die Probleme der Durchschnittsein- Parlament.
kommen — und neben der Verbrauchsteuer- (Beifall bei der SPD.)
belastung habe ich ja gerade diese ärgerlichen Um Unterscheidung von Berufen handelt es sich
Probleme wie Zusatzverdienst, mitverdienende Ehe- hier ganz und gar nicht, sondern um Unterschei-
frauen usw. angeführt — einer Lösung nahebrächte. dung von Einkommensgruppen und von Lebens-
Der Vorschlag enthält nichts an sozialen Erwä- lagen.
gungen, ganz im Gegenteil. Wenn der Herr Bundes- (Sehr wahr! bei der SPD.)
finanzminister heute morgen wieder eine Zahl von
61% spazierenführen wollte, die eine Steuer- Mir scheint überhaupt, daß der Herr Bundes-
entlastung infolge der Politik seiner Regierung für finanzminister heute den Unterschied der Anfor-
gewisse niedere Einkommen gegenüber den Vor- derungen, die man an eine Plauderei im Kölner
kriegszahlen darstellen soll, kann ich nur sagen: Bahnhof und an einen verantwortlichen Regie-
Er soll doch einmal seine eigenen Kaufkrafttabellen rungsvortrag vor dem Parlament stellen muß,
aus der Begründung der letzten Steuerreform an- etwas verwischt hat.
sehen (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei der SPD) Den Durchschnittsbürger in allen Ehren, aber nicht
und nicht immer wieder mit solchen Zahlen ope- alles, was geeignet ist, im Kölner Bahnhof den
rieren, die die Kaufkraftentwicklung, die das Lohn- Beifall der Durchschnittsbürger zu finden, ist
niveau und die den Lebensstandard, der sich in geeignet, vor einem Parlament vorgetragen zu
der Zwischenzeit ja weiß Gott etwas verändert hat, werden, in dem schließlich Leute sitzen, die die
so gänzlich außer acht lassen! Denn aus den Kauf- Zusammenhänge besser kennen oder besser kennen
krafttabellen ergibt sich ja, daß noch heute — in müßten.
Kaufkraftzahlen gerechnet — die Besteuerung (Erneuter Beifall bei der SPD.)
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1349
(Seuffert)
Kann man denn wirklich ernsthaft behaupten, rungsvorschlages zu überschreiten. Das Material
daß diese gleichmäßig steile, logarithmisch ausge- dazu liegt Ihnen vor, es ist der Öffentlichkeit über-
rechnete Progression irgendeinen inneren Sinn geben. Sie können es prüfen und werden sich mit
habe? Der Herr Kollege Neuburger hat sie zu- ihm auseinanderzusetzen haben.
nächst auch gelobt, hat dann aber doch einen klei- (Abg. Schmitt [Vockenhausen]: Hoffentlich
nen Bauch in dem Logarithmus für bestimmte tun sie das!)
Zwecke empfohlen. Das war wenigstens eine sach-
liche Überlegung. Kann man denn wirklich auf den Ich bleibe bei der Behauptung, daß diese haushalts-
Gedanken kommen, daß man auf die 20 Mark, die mäßigen Grenzen nicht überschritten werden, trotz
ein Angestellter im Monat durch eine kleine der gegenteiligen Ausführungen des Herrn Bundes-
Gehaltszulage oder ein Gewerbetreibender durch finanzministers heute morgen.
Mehranstrengung oder durch mehr Unkosten- Ich will im übrigen ebensowenig wie der Herr
ersparnis zusätzlich einnimmt, genau die- Bundesfinanzminister auf den Hin- und Herstreit
selbe Progression anwenden soll wie auf darüber eingehen, wie der Ausfall nun eigentlich
den Zuwachs von ein paar tausend Mark, richtig anzusetzen wäre, welche Möglichkeiten
die ein Millionär zu seinem Einkommen aus dem noch beständen und wie die einzelnen Posten ein-
einen oder anderen Grund mehr bekommt?! Das zusetzen wären. Dazu wird im Ausschuß Notwen-
Ziel einer Steuerpolitik und einer Tarifpolitik sind digkeit, aber auch Zeit genug sein. Hier möchte ich
doch nicht mathematische Erfindungen, sondern das gar nicht anfangen, schon wegen der Erfah-
das Ziel ist, daß die Besteuerung und die Progres- rungen, die wir mit der Empfindlichkeit des Herrn
sion der jeweiligen Einkommenstufe angemessen Bundesfinanzministers, wenn man wagt, eine von
angepaßt sind. Nicht gleichmäßige Progression, ihm gebrachte Zahl zu bezweifeln, und mit der
sondern ungleichmäßige Progression ist zu fordern, Schnelligkeit gemacht haben, mit der er dann
(Sehr richtig! bei der SPD) imstande und bereit ist, diese Zahl durch eine an-
dere zu ersetzen. Das sind immer sehr zeitrauben-
fl ache oder gar keine Progression unten, mäßig de Dinge, und man muß zugeben, so einfach sind
steile im Anschluß und steile oben, wo andere die Sachen ja nicht. Es ist zuzugeben: die Tatsache,
Verhältnisse vorliegen. daß eine Zahl aus dem Bundesfinanzministerium
(Beifall bei der SPD.) stammt, ist an und für sich noch kein ausreichender
Gerade die Progressionsspitzensätze der einzelnen Beweis dafür, daß sie falsch ist.
Steuerstufen, von denen die Begründung angele- (Heiterkeit.)
gentlich empfiehlt, man möge doch in Zukunft
nicht mehr von ihnen sprechen, empfehlen wir Das wäre uns, wie gesagt, zu zeitraubend und ge-
immer wieder der allgemeinen Beachtung; denn hört in den Ausschuß. Wir werden im Ausschuß im
sie sind, viel mehr als die Steuersätze der Spitzen- übrigen darauf sehen, daß wir von den Forderun-
gruppen des Tarifs, ein wirklicher Maßstab für die gen, die ich vorgetragen habe, so viel wie möglich
Steuerbelastung gerade des Durchschnittseinkom- verwirklichen können. Wir werden im Endeffekt
mens, für die Auswirkungen dieser Steuerbela- nicht ruhen, bis wir sie eines Tages gänzlich durch-
stung auf die Initiative und auf die wirtschaftliche gesetzt haben. Das zur Tariffrage.
Bewegungsfreiheit des Normalbürgers und für die Wir haben aber noch eine sehr wichtige Forde-
Güte der Anpassung des Steuertarifs an die For- rung anzumelden. Der zusätzliche Freibetrag für
derungen des Lebens und der Lebenslage. Das sind die Arbeitnehmereinkommen muß endlich wieder
Dinge, über die man sich einmal grundsätzlich verwirklicht werden. Sie wissen, daß dieser Frei-
unterhalten müßte. Da handelt es sich nicht immer betrag selbst im strengsten Steuergesetz, das wir
um Mehr oder Weniger zwischen Fiskalismus und hatten, in den Kontrollratsgesetzen, eingeführt
Interessenten — das sind doch sachliche Dinge, die war. Wegen der Begründung brauche ich heute
man in einer Reform einmal erörtern müßte. auch nicht weiter auszuholen. Sie ist schon oft ge-
Meine Damen und Herren, wir können keinen geben worden. Dieser Freibetrag ist ein Ausgleich
der Tarife empfehlen. An den Bundesratsvorschlä- für unbestreitbare Tatsachen. Der Arbeitnehmer
gen ist einiges zu loben. Sie haben aber auch hat nicht die Möglichkeit wie der selbständig
Schattenseiten und Unzulänglichkeiten. Der Ent- Tätige, seinen Lebensstandard im Wege der Ver-
wurf der Regierung und gerade ihre Vorstellung bindung mit seinen Geschäftsaufwendungen zu ver-
von einem Tarifsystem sind aber für uns, weil sie bessern. Er hat im Gegenteil selbst innerhalb der
in einem diametralen Gegensatz zu unseren grund- ihm gegebenen Möglichkeiten sehr viele und oft
sätzlichen Auffassungen stehen, durchaus unan- aussichtslose Mühe, seine effektiven Auslagen und
nehmbar. Wir müssen demgegenüber auf unseren Werbungskosten steuerlich irgendwie zur Geltung
eigenen Forderungen bestehen. Ich hatte sie ja zu bringen. Eine weitere Begründung ist, daß der-
eben wiederholt. Es muß aber noch gesagt werden, jenige, dessen Erwerb nicht mit dem Besitz von
daß sich selbst innerhalb der Grenzen des Kompro- Kapital verbunden ist, natürlich aus seiner Arbeit
misses, die sich der Bundesrat gezogen hat, selbst selbst für seine Altersversorgung und auch für die
innerhalb der Grenzen der haushaltsmäßigen Vor- Sicherstellung und das Erbe seiner Kinder das
stellungen, die uns der Herr Bundesfinanzminister herauswirtschaften muß, was bei anderen Leuten
als bindend vortragen wollte, noch bessere Lösun- durch den Besitz von vererblichem und verwert-
gen, insbesondere für die kleinen und die mittle- barem Kapital und durch Vermehrung und Erhal-
ren Einkommen, finden ließen. Die Schattenseiten tung desselben ohne weiteres gegeben ist. Der
ließen sich mildern, und von den grundsätzlichen Arbeitnehmer, der diese zusätzlichen Möglichkeiten
Forderungen würde sich mehr verwirklichen las- nicht hat, fällt dem Substanzverlust seiner Arbeits-
sen. Auch für die Einkommen über 12 000 DM kraft, dem Verlust des Ergebnisses seiner Lebens-
ließe sich mehr tun, wenn man sich nur entschlösse, arbeit anheim, den wir hier so oft schon beklagt
dem immer wieder auffälligen Lieblingskind, den haben. Das weitere können Sie auch in den Diskus-
Einkommen über 50 000 DM, etwas weniger zu sionsbeiträgen des Bundesrats nachlesen. Es ist
geben. Das ließe sich sogar tun, wie gesagt, ohne aber darauf aufmerksam zu machen, daß der zweite
die haushaltsmäßigen Grenzen selbst des Regie- Gesichtspunkt, den ich angeführt habe, ebenso für
1350 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Seuffert)
diejenigen gilt, die in selbständiger Arbeit ohne Diese Steuerbegünstigung sollte man bestehen-
den Besitz eines vererbbaren und veräußerbaren lassen.
Kapitals tätig sind, insbesondere für die freien Es ist begrüßenswert, daß der Bundesrat die
Berufe. Es wäre deshalb richtig und logisch und Frage der Abzugsfähigkeit der Vermögensteuer an-
unserer Ansicht nach unausweichlich, diesen Frei- geschnitten hat und diese Abzugsfähigkeit beseiti-
betrag .auf alles Arbeitseinkommen, also auf den gen will. Das entspricht einer Forderung der
angelsächsischen Begriff des earned income auszu- Steuergerechtigkeit, die wir immer vertreten ha-
dehnen. ben. Es macht auch Möglichkeiten frei, an anderen
Das weitere zur Höhe können Sie, wie gesagt, Stellen soziale Ermäßigungen zu gewähren oder zu
auch in den Diskussionsbeiträgen nachlesen. Ich verstärken. Wir werden der Stellungnahme des
will dazu nur soviel sagen: In den Kontrollrats- Bundesrates beitreten.
gesetzen war der Betrag von 1000 Mark jährlich Zur Abzugsfähigkeit der Versicherungsprämien
vorgesehen. Dieser sollte mindestens als Höchst- sind dagegen wieder Einschränkungen geplant,
satz erreicht werden. Ob daneben eine prozentuale denen wir nicht beistimmen können, insbesondere
Beschränkung zu treten hat, wäre zu untersuchen. nicht der Beseitigung der halben Abzugsfähigkeit
In diesem Zusammenhang darf ich übrigens noch- für die die Freibeträge überschießenden Beträge.
mals an das Unkostenpauschale der freien Berufe Ich brauche — notgedrungen muß ich heute sowieso
erinnern, über das dieses Haus doch schon mehr- sehr lange sprechen — keine großen Worte über
mals einstimmige Beschlüsse gefaßt hat, ohne daß die eminente Bedeutung zu machen, die diese Be-
sich etwas im Blätterwald gerührt hätte. Da wir träge und die Begünstigungen für die Altersver-
gerade bei Fragen sind, die vor allem den Arbeit- sorgung der freien Berufe haben. Selbst bei den
nehmer interessieren: Wir begrüßen den Anstoß bisherigen beschränkten Möglichkeiten einschließ-
des Bundesrats, nun endlich in das außerordentlich lich der halben Abzugsfähigkeit waren ja doch,
unzureichend geregelte Gebiet der steuerlichen Be- wenn man nachrechnet, damit nur Altersrenten
handlung der Fahrtkosten des Arbeitnehmers auf steuerbegünstigt anzusparen, die in gar keinem
seinem Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte Verhältnis zu dem standen, was etwa ein vergleich-
Ordnung zu bringen, um den Arbeitnehmer wenig- barer Beamter durch die ihm gegebene Pensions-
stens einigermaßen den selbständig Tätigen gleich- zusage ohne weiteres steuerfrei erhält. Derartige
zustellen. Die Regierungsvorlage schlägt die Be- Differenzen sind nicht erträglich. Wir können ja
seitigung der steuerlichen Vergünstigungen für schließlich die allgemein fortschreitende Verbeam-
Überstunden vor. Das müßte zur Voraussetzung tung nicht auch noch auf diesem Wege fördern.
haben, daß man sich in diesem Bereich dem Pro- Nach unserer Ansicht ist das Kompromiß auf die-
portionaltarif nach unseren Vorschlägen anschließt sem Gebiete vom Jahre 1953 das Äußerste des Er-
oder annähert; denn durch diesen Proportionaltarif träglichen. Dieses Kompromiß sollte möglichst noch
werden die schädlichen Auswirkungen bei notwen- verbessert werden.
digen Überstunden ja gerade vermieden. Der Ver-
anlagungsfreibetrag für die Nebeneinkünfte der Ar- Auch die vorgeschlagene abrupte Beseitigung des
beitnehmer aus Zinsen oder Mieteinkommen aus Altersprivilegs wird von uns abgelehnt. Dafür ist
einem kleinen Häuschen usw., der immer noch auf der Zeitpunkt noch nicht gekommen.
600 DM jährlich steht, soll nach der Regierungs- Daß wir den merkwürdigen fiskalischen Einfall
vorlage unverändert bleiben. Wir sind der Ansicht, hinsichtlich der Begünstigung des nichtentnomme-
daß in Anpassung an die Lebensverhältnisse und nen Gewinns der Flüchtlingsbetriebe, die Schon-
zur Vermeidung der immer wieder ärgerlichen frist für die Kapitalanreicherung dieser Betriebe
Bagatellfälle auch dieser Freibetrag erhöht werden um ein Jahr abzukürzen — der Herr Kollege Neu-
müßte; denn er ist überholt. burger hat das ja schon zur Genüge gekennzeich-
Was die Rentenbesteuerung anlangt, so soll ein net —, schärfstens ablehnen, ist selbstverständlich.
neues System der Besteuerung aller Renten einge- Die Verlängerung der Gewährung, der Freibe-
führt werden, durch das, wie die Begründung sagt, träge für die Hausratsbeschaffung der Vertriebe-
der bisherige Freibetrag für die Sozialversiche- nen und Totalgeschädigten — § 33 a — ist von der
rungsrenten überflüssig würde, weil sich die Regierung nicht vorgesehen. Wir sind sicherlich
Steuerfreiheit in gleicher Höhe auswirken soll. Der auch nicht für eine Abtrennung verschiedener Be-
Freibetrag von 600 DM ist aber ebenfalls längst völkerungskreise in die Ewigkeit, auch nicht für
überholt. Er hätte, denke ich, auf 800 bis 1000 DM eine Absonderung durch Privilegien, glauben aber
im Jahr erhöht werden müssen. Wenn das neue doch, daß die Frage der Verlängerung sehr ernst-
Besteuerungssystem die Steuerfreiheit der Sozial- haft zu prüfen ist. An und für sich sollte dieser
renten nur in Höhe des bisherigen Freibetrags Paragraph eine Übergangslösung bis zur Regelung
sicherstellen sollte, nicht aber bis zur Höhe, auf der Hausratsentschädigung im Lastenausgleich dar-
die der Freibetrag ohnehin hätte erhöht werden stellen. Aber die Hausratsentschädigung aus dem
müssen, so wäre das, wie ich jetzt schon sagen Lastenausgleich steht gerade für die hier Betrof-
möchte, für uns unannehmbar. fenen noch in weiter Ferne. Außerdem muß man
gerade Spätheimkehrer, Sowjetzonenflüchtlinge
Einige Worte zu den vorgeschlagenen Neuerun-
usw. im Auge haben, die bisher die Begünstigung
gen auf dem Gebiet der Sonderausgaben. Man will überhaupt noch nicht in Anspruch nehmen konn-
die Steuerbegünstigung für den Erwerb von Ge-
nossenschaftsanteilen streichen. Das nimmt sich an- ten. Man muß die Frage der Verlängerung des-
wegen ernsthaft prüfen, und ich war von meiner
gesichts der ständigen Kampfrufe nach Eigentums-
Fraktion beauftragt, denselben Vorschlag zu
bildung, Stärkung des Kapitalmarkts und des haf- machen, den Herr Kollege Neuburger eben bereits
tenden Kapitals usw. sonderbar aus. Diese Ge- gebracht hat, nämlich den einer individuellen Be-
nossenschaftsanteile sind ja schließlich die Aktien fristung dieser Freibeträge in der Weise, daß der
des kleinen Mannes.
einzelne Steuerpflichtige sie jeweils nur für eine
(Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Das ist ja gewisse Zahl von Jahren in Anspruch nehmen
der Zweck der Übung!) kann.
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1351
(Seuffert)
Ich komme nun zur Frage der Haushaltsbesteu- der Durchschnittseinkommen das Splitting prak-
erung, insbesondere zur Besteuerung der mitver- tisch durchführen; denn Splitting heißt Ausschal-
dienenden Ehefrau. Das Prinzip der Haushaltsbe- tung der Progression, und das wollen wir. Wenn
steuerung — das ging ja auch letzten Endes aus man, wie gesagt, das Prinzip ausbauen kann, ohne
den Ausführungen des Herrn Kollegen Neuburger daß ein übermäßiger Steuerausfall entsteht, der
hervor — ist fragwürdig geworden und muß über- dann für noch dringendere Forderungen fehlen
prüft werden. Es haben sich einfach die soziologi- könnte, wo man ihn brauchte, so sind wir dabei.
schen Tatbestände gewandelt. Es ist einfach nicht Die Frage des Ausfalls darf hier nicht die ent-
mehr der Normalfall, der fast ausschließliche Nor- scheidende Rolle spielen, wenn er sich in einiger-
malfall, daß nur ein Eheteil im Erwerbsleben tätig maßen erträglichen Grenzen halten läßt. Aber
ist, und der Aufbau eines jungen Hausstandes läßt eine richtige Lösung muß gefunden werden, weil
sich heute ohne Tätigkeit beider Teile kaum den- die Haushaltsbesteuerung als Besteuerungsprinzip
ken. Davon müßte man Kenntnis nehmen. Die Re- — wovon denn nun auch das Bundesfinanzmini-
gierung allerdings macht überhaupt keinen Ver- sterium einmal Kenntnis nehmen möge — durch
such, sich mit diesem Tatbestand auseinanderzu- die gesellschaftliche Entwicklung recht fragwürdig
setzen. Statt daß die bisherige Teillösung auf die- geworden ist und neu überdacht werden muß.
sem Gebiet ausgebaut, vervollkommnet und auf
die gleichgelagerten Fälle ausgedehnt wird, soll Nun darf ich zur Körperschaftsteuer kommen.
sie eingeschränkt und abgebaut werden, und das Zu dem vorgeschlagenen Satz der Körperschaft-
mit dem Ziele einer Mehrbesteuerung, nebenbei steuer will ich mich jetzt nicht speziell äußern.
gesagt in einer unerträglich komplizierten Weise, Wir haben immer zum Ausdruck gebracht, daß der
so daß man sich die einschlägigen Bestimmungen Satz von 60 % , d. h. die Erhöhung, die im Jahre
aus ungefähr zwölf Gesetzesstellen und außerdem 1951 als fiskalische Kompensation für die unüber-
noch aus der Durchführungsverordnung, also aus legten Steuersenkungen nach den 1949er Wahlen
einer anderen Ebene — das scheint mir überhaupt vorgenommen wurde, zu hoch gewesen ist. Es
nicht zulässig zu sein — zusammensuchen und sich muß aber betont werden, daß die bei der Ein-
mühsam klarmachen muß, was nun eigentlich ge- kommensteuer zu fordernden sozialen Reformen
meint ist. Es wird überhaupt nicht der Versuch ge- vor einer Senkung der Körperschaftsteuer den
macht, auch der selbständig arbeitenden Ehefrau Vorrang haben müssen und daß, wenn wirklich
sowie der im eigenen Betrieb mitarbeitenden Ehe- Reserven benötigt werden sollten, diese eher hier
frau gerecht zu werden. Die Fragen der Gleichbe- als anderswo zu holen sind. Gänzlich abzulehnen
rechtigung werden überhaupt nicht erwähnt. Es ist im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Neu-
soll also immer weiter dabei bleiben, daß es einen burger — die Beibehaltung der Spaltung des
eminenten Unterschied macht, ob die junge Ärztin, Körperschaftsteuersatzes. Wir folgen auch in die-
die geheiratet hat, im Angestelltenverhältnis oder ser Beziehung der Kritik des Bundesrats. Diese
als freie Ärztin arbeitet. Es wird einfach kein Ver- Spaltung hat zu höchst unerfreulichen Erfahrun-
such gemacht, sich damit auseinanderzusetzen. Die gen geführt. Sie stand mit den unglücklichen
Zahl der Fälle, in denen zwei Leute, die verdienen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Kapital-
und verdienen müssen und verdienen wollen, nur marktförderungsgesetz in Verbindung, und sie
deswegen mehr Steuern zahlen, weil sie heiraten, sollte mit diesen Maßnahmen verschwinden. Ein
die Zahl dieser Fälle, die so unerträglich sind, wird weiterer Grund dafür ist, daß die Betriebe im
nicht etwa reduziert, sondern es werden zahlreiche öffentlichen Eigentum, insbesondere die Betriebe
neue Fälle dieser Art geschaffen. Herr Bundes- der Gemeinden, bei denen natürlich immer das
finanzminister, wenn der DGB einmal gefordert Schachtelprivileg in Frage kommt, und auch die-
hat, daß man an eine Lösung dieser Fragen heran- jenigen Unternehmungen, die mit gutem Recht er-
treten müsse, so können Sie sich doch nicht auf den mäßigte Steuersätze genießen, nicht in den Genuß
DGB berufen, wenn Sie jeden Versuch einer Lö- des Spaltungssatzes kommen sollen. Sie würden
sung vermeiden und die bisherige Notlösung so- teilweise auch tatsächlich in eine merkwürdige
gar noch einschränken. Auch das gehört zu den Lage geraten, wenn sie Überlegungen auf Grund
Dingen, die Sie besser am Kölner Bahnhof er- eines solchen Spaltungssatzes anzustellen hätten.
zählen. Damit würden diese Unternehmungen einen er-
(Sehr gut! bei der SPD.) heblichen Teil der Steuervorteile verlieren, die sie
im Verhältnis zu den Normalsätzen mit gutem
Wir lehnen, um darüber gar keinen Zweifel zu Grund haben.
lassen, diese Vorschläge der Regierung rundweg
ab. Wir verlangen, daß man endlich, statt die Teil- Der Bundesrat hat vorgeschlagen, die Ermächti-
lösungen auch noch abzubauen und dabei immer gung für eine Sonderbehandlung der Kapital-
noch darauf auszugehen, mehr Steuern hereinzube- verwaltungsgesellschaften, die bisher im Körper-
kommen, eine wirkliche Lösung schafft, die nicht in schaftsteuergesetz stand, zu streichen. Die Begrün-
erster Linie vom Steuerergebnis bestimmt sein dung dafür — weil die Ermächtigung zu unbe-
darf. Eine solche Lösung für die große Mehrzahl stimmt ist — läßt sich hören. Ich möchte aber bei
dieser Fälle wäre eben die Verwirklichung unserer dieser Gelegenheit anmerken, daß wir eine Sonder-
Forderung, für den großen Bereich der Durch- behandlung für gewisse Kapitalverwaltungsgesell-
schnittseinkommen die Progression auszuschalten schaften, insbesondere für die Investment-Gesell-
oder fast auszuschalten. Denn die Härten, die hier schaften, die für die breite Spartätigkeit und für
durch die Zusammenrechnung entstehen, entste- ein Angebot von Aktienwerten an die breite Masse
hen ja durch die Progression und lassen sich durch so wichtig sind, demnächst wohl wieder schaffen
Ausschaltung der Progression beseitigen. müssen.
Die Bestimmungen über die Genossenschaften
(Sehr gut! bei der SPD.) sollen einer Neufassung unterzogen werden. Wir
Die Lösung läßt sich natürlich ausbauen. Ich werden das im einzelnen überprüfen müssen. Bei
nehme an, daß im Laufe der Debatte auch die der Wertschätzung der Idee der genossenschaft-
Frage des Splitting angesprochen werden wird. lichen Wirtschaftsform, die wir hier mehrfach aus-
Ich wiederhole, daß unsere Vorschläge im Bereich gesprochen haben und die ich hier nur zu wieder-
1352 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Seuffert)
holen habe, ist es selbstverständlich, daß wir dabei einer Teilsteuerreform, nämlich einer Reform des
Wert darauf legen, daß eine Schlechterstellung Tarifs der direkten Steuern, bestehen.
gegenüber dem bisherigen Zustand nicht eintritt. (Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)
Gerade auch auf dem Gebiet der Warenverteilung
müssen wir immer das Prinzip des gleichen Starts
für alle fordern, so wie es zum Beispiel durch die Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Regierungsvorlage zum Genossenschaftsgesetz fest- Herren! Ich darf um etwas mehr Ruhe im Saal
gelegt ist. Wir halten daran fest. Dieses Prinzip bitten.
heißt gleichzeitig, daß wir gerade auf diesem Ge-
biet wie auf allen anderen Gebieten alle Vor- Dr. Eckhardt: (GB/BHE): Man wird dazu sagen
schläge von Sondersteuern, die sich auf die Art müssen, daß ein notwendiger innerer Zusammen-
oder die Form oder den Umfang von Unternehmen hang, ein organischer Zusammenhang zwischen den
beziehen wollen, ablehnen werden. beiden Gebieten für uns im Bundestag nicht ge-
geben ist. Die beiden Teilreformen berühren zwar
Es bleibt noch die Erbschaftsteuer. Der Erhö- das Gebiet der Finanzpolitik im allgemeinen, und
hung der Freibeträge stimmen wir zu. Sie liegt -
sie sind beide finanzpolitischer Natur; aber sie
im Interesse der Mittelstandsvermögen und schal- sind, gerade auch vom Gesichtspunkt des Staats-
tet urilohnende Steuerfälle aus. Die Ermäßigung bürgers aus betrachtet, doch wesentlich verschie-
des Tarifs lehnen wir ebenso wie der Bundesrat dener Art.
als völlig unnötig ab.
Die Reform des Finanzausgleichs, die wir vor
Zum Schluß noch ein Wort zum Termin der uns haben, betrifft die Konstruktion des Verhält-
Inkraftsetzung. Wir möchten, daß diese, nun schon nisses von Bund und Ländern und läßt dabei die
so lange versprochene, wenn schon nicht Steuer- ebenso notwendige Mitkonstrk ution des Verhält-
reform, so doch vielleicht teilweise Steuerent- nisses von Bund, Ländern und Gemeinden vermis-
lastung dem Steuerzahler so schnell wie möglich sen. Diese Teilreform ist sozusagen — Herr Kollege
zugute kommt. Wir wissen sehr wohl, daß das Spiel Dr. Lindrath hat es kürzlich in einem Aufsatz aus-
mit den frühen Terminen von einigen Leuten aus geführt — statischer Natur; das heißt, sie be-
sehr egoistischen Gründen getrieben wird und daß schäftigt sich mit der Herstellung einer Ordnung,
uns das eventuell auch viel Steuergeld zugunsten der Finanzordnung, auf einem bestimmten Gebiet,
einiger weniger Steuerzahler kosten wird. Wir und sie beschäftigt sich mit Verhältnissen, die zu-
glauben trotzdem, daß das kein Grund sein sollte, nächst den Staatsbürger nicht unmittelbar zu be-
der großen Masse der Steuerzahler die Entlastung rühren scheinen; ich sage ausdrücklich: scheinen.
weiter vorzuenthalten. Wir haben eine Fülle von Die Steuerreform dagegen hat als Hauptzwecke,
Arbeit vor uns, und die Regierung hat es uns mit wie uns gesagt wird und wie es wohl auch richtig
ihrer vollständig unzulänglichen und lückenhaften ist, die Förderung und Pflege des Kapitalmarktes,
Vorlage wirklich nicht leicht gemacht. Trotzdem von der hier ja auch schon wiederholt die Rede ge-
soll es an uns, was die Opposition anlangt, nicht wesen ist — wir sagen vielleicht besser: des Wert-
liegen. Sie können ebenso sicher sein, daß wir wie papierhandels —, auf der einen Seite, die Förde-
immer überall mitarbeiten werden, wie Sie sicher rung der Rationalisierung der Betriebe auf der an-
sein können, daß wir unsere Forderungen, die wir deren Seite und drittens auch eine Hebung des
noch einmal dargelegt haben, hartnäckig und mit Verbrauchseinkommens und eine Verstärkung der
Nachdruck vertreten werden. Möglichkeiten für die Masse der Verbraucher, sich
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) am Kapitalmarkt im Wege des Sparens zu beteili-
gen, also eine Erhöhung der Sparrate innerhalb der
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- Volkswirtschaft.
geordnete Dr. Eckhardt. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Gesetz-
(Zurufe von der SPD zur Regierungsbank: gebungswerken ergeben sich schon deutlich, wenn
Herr Schäffer kommt jetzt, wo Seuffert wir das verschiedene äußere Gewicht der Begrün-
zu Ende ist! — Er hat es doch nicht not dungen betrachten und sehen, daß die Reform oder
wendig! — Abg. Dr. Menzel: Das war das die Teilreform der Finanzverfassung, die hier ver-
schlechte Gewissen! — Unruhe.) sucht wird, außerordentlich eingehend begründet
ist und daß in ihr auf alle Einzelheiten eingegangen
Dr. Eckhardt (GB/BHE) : Herr Präsident! Meine wird, während die Begründungen zu der Steuer-
Damen und Herren! In der jetzt vergangenen mehr- reform sich sehr kurz fassen.
stündigen Debatte ist viel davon die Rede gewesen,
daß wir mit diesem Gesetzgebungswerk nicht den Tatsächlich verdient das Werk, das uns zur Re-
Versuch einer großen oder organischen Finanz- form des Finanzausgleichs vorgelegt ist, das Lob,
und Steuerreform vor uns hätten. Man stellt viel- das ihm heute von Herrn Kollegen Dr. Dresbach
leicht von vornherein aus Gründen der Ordnung und auch, wenigstens unter gewissen Bedingungen,
und Richtigkeit fest, daß es sich tatsächlich weder von Herrn Professor Gülich gezollt worden ist.
um eine Finanz- noch um eine Steuerreform im Man kann bei der Lektüre dieses dicken Bandes
allgemeinen Sinn dieses Wortes handeln kann, überall feststellen, daß die Verfasser dieses Re-
sondern nur um Reformen von Teilgebieten, um formwerkes die Situation, die Verhältnisse, in
eine Teilfinanzreform, um eine Teilsteuerreform. denen wir stehen, und auch die Notwendigkeiten,
die sich daraus ergeben, sehr deutlich erkannt
(Abg. Dr. Gülich: Gar keine Finanzreform!) haben, daß sie dann allerdings auch immer wieder
Diese Reformmaßnahmen der Regierung sind zu der resignierenden Feststellung kommen: Nun,
uns in Gesetzentwürfen vorgelegt worden, die es ist nicht mehr zu erreichen. — Das steht noch
zum mindesten einen gewissen inneren Zusam- nicht einmal expressis verbis darin, sondern es
menhang haben. Es ist auch davon gesprochen heißt dann einfach: aber man hat sich entschlossen,
worden, es solle ein Junktim zwischen dem Ent- doch nur diesen Vorschlag vorzulegen oder bei der
wurf einer Teilfinanzreform und dem Entwurf Situation zu verbleiben, die bereits gegeben ist.
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1353
(Dr. Eckhardt)
Ich gebe ohne weiteres zu, daß es heute unend- Endes gehen muß. Daher entsteht die Frage, ob die-
lich schwierig sein muß, eine ideale Form der ses Reformwerk jetzt schon in Kraft gesetzt werden
Finanzverfassung herzustellen. Die Verhältnisse, soll oder ob man, wie das in der Presse angedeutet
die zwischen Bund und Ländern bestehen, die An- worden ist und insbesondere Herr Kollege Well-
ordnungen unseres Grundgesetzes sind derart, daß hausen es wohl auch der Presse gegenüber als
man doch wohl von sehr viel Sand im Getriebe und seinen Standpunkt vertreten hat, das Reformwerk
Leerlauf in der Maschine sprechen muß, von so für eine Weile aufschieben soll, weil die Zeit dazu
viel Sand und Leerlauf, daß man sich auch un- im Augenblick noch nicht reif ist. Das eine wird
mittelbare politische Gefahren aus dieser Tatsache man sagen dürfen: eine notwendige organische
sehr wohl vorstellen könnte. Kopplung zwischen der Finanzreform und der
Der Finanzausgleich, wie er bisher durchgeführt Steuerreform besteht nicht. Wir können die Pro-
worden ist, ist heute morgen als ein unwürdiger bleme der Finanzreform durchaus gesondert behan-
Handel bezeichnet worden; und man kann wirklich deln. Trotzdem muß wenigstens jetzt erreicht wer-
bei dem Feilschen um die Prozente für den Bund den, daß die bisherige Situation mit dem Feilschen
und die Länder beim Ertrag der Einkommensteuer zwischen Bund und Ländern endgültig beseitigt
sagen: diese Verurteilung des bisherigen Finanz- wird, jedenfalls in dem Rahmen, in dem das in
ausgleichs trifft zu. Es ist ein außerordentliches einem Bundesstaat überhaupt möglich ist, in dem
Verdienst des vorliegenden Reformwerks, daß verschiedene Kräfte miteinander und wohl leider
wenigstens der Versuch gemacht wird, dieses Han- auch gegeneinander wirken.
deln und Feilschen künftig auszuschalten. Wir sind der Meinung, daß sich die Reform einer
(Sehr richtig! in der Mitte.) Finanzverfassung sehr viel idealer vorstellen las-
Die Festlegung also des Bundes .und der Länder sen würde. Wir sind insbesondere auch der Ansicht,
auf einen ganz bestimmten und doch wohl auch für daß es im Rahmen einer solchen Reform durchaus
eine gewisse Dauer geltenden Prozentsatz des möglich sein müßte, mit dem sachlichen Einsatz
Ertrages der Einkommen- und Körperschaft- aller Kräfte auch dieses Bundestags zu umfassen-
steuer ist gut, und wir können ihr nur zustimmen. deren Maßnahmen zu gelangen und dabei auch das
Der Bund soll danach 40 % vom Ertrag der Ein- Thema anzuschneiden, das nicht unmittelbar in
kommen- und Körperschaftsteuer bekommen, die den Zusammenhang des Art. 107 des Grundgeset-
Länder 60 %. zes gehört, das aber doch in einer sehr nahen Ver-
bindung zu diesen Fragen steht, nämlich das
Die Revisionsklausel, die diesem Verhältnis an- Thema einer Rationalisierung des Verhältnisses
gefügt worden ist, ist vielleicht schon weniger zu zwischen Bund und Ländern. Unter diesen Begriff
begrüßen. Aber es ist durchaus verständlich, daß ein der Rationalisierung des Verhältnisses zwischen
vorsichtiger Finanzpolitiker diese Möglichkeiten Bund und Ländern, d. h. der Kostenersparung,
der Revision von vornherein berücksichtigt. Es fällt eben auch die Frage, ob eine Bundesfinanz-
kann nicht vorausgesehen werden, wie der Herr verwaltung zweckmäßig ist oder nicht.
Bundesfinanzminister heute morgen mit Recht dar-
gelegt hat, welche außerordentlichen Schwierig- (Beifall beim GB/BHE.)
keiten sich in Zukunft ergeben werden. Ich will diese Frage noch nicht einmal endgültig
(Abg. Heiland: Aus dem Staatsrecht!) beantworten; aber ich möchte doch auf eines hin-
— Sie haben natürlich recht, Herr Kollege Heiland, weisen. Es ist unerträglich, wenn in einem Lande
wenn Sie meinen, daß man alle diese Dinge nicht ein Finanzgericht mit 5 Finanzämtern zu tun hat,
von vornherein berücksichtigen könne. Gewiß, es während das Finanzgericht des Nachbarlandes mit
wird immer wieder unvorhergesehene Lagen und 70 Finanzämtern zu tun hat, und es ist auch uner-
Situationen geben; aber das Staatsrecht muß doch träglich, wenn bei schwerwiegenden Fragen der
einen gewissen Bestand haben und muß, insbeson- Stundung, des Erlasses und der Handhabung von
dere auch das Finanzstaatsrecht, von dem wir hier Gesetzen bei so nahe zusammenhängenden Steuern
sprechen, mindestens jene Art von relativem Ewig- wie der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer
keitswert besitzen, von der der heute schon so oft von vornherein ganz verschiedene Wege gegangen
zitierte Staatssekretär Popitz gesprochen hat. werden müssen, wobei der eine Weg normaler-
weise beim Landesfinanzminister, der andere beim
Nun, diese Revisionsklausel mag nicht allzu Bundesfinanzminister endet. Das sind alles Dinge,
glücklich sein. Sie ist aber staatsrechtlich in Zu- die sehr sorgfältig überlegt werden müssen. Wir
sammenhang zu sehen mit der Sicherungsklausel, haben schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß
die in diesem Finanzreformwerk für die Länder wir grundsätzlich eine Bundesfinanzverwaltung für
eingefügt ist, und der Ergänzungsabgabe, die der das richtige halten. Wir meinen, daß eine solche
Bundesfinanzminister erheben oder doch vorsehen Bundesfinanzverwaltung auch keineswegs gegen
will. Ob man die Ergänzungsabgabe wirklich jetzt das Interesse der Länder gerichtet sein müßte. Denn
schon mit einem Satz von 2,5 % zur Erhebung nach dem ersten Weltkrieg sind es ja vielfach ge-
gelangen lassen soll, das lasse ich an dieser Stelle rade die Länder gewesen, die selber die Übertra-
noch dahingestellt. Ich gebe durchaus zu, daß vom gung der Verwaltung ihrer Landessteuern an die
technischen Gesichtspunkt des Aufbaues eines damalige Reichsfinanzverwaltung verlangt haben.
Finanzausgleichs diese Ergänzungsabgabe, über- Die Landesverwaltung im alten Bismarckschen
haupt dieses Ineinander von Festlegung des Ver- Reich vor 1914 hat sicherlich viele Schwierigkeiten
hältnisses am Ertrag von Einkommen- und Körper- herbeigeführt. Wenn wir aber heute daran denken,
schaftsteuer, Revision- und Sicherungsklausel in daß unter Umständen in bestimmten Ländern sich
Verbindung mit der Ergänzungsabgabe zumindest ganz verschiedene Wirtschaftsstrukturen heraus-
sehr fein durchdacht ist. Im ganzen wird man das bilden können, dann wird man sagen müssen, daß
Reformwerk als einen wesentlichen Fortschritt zu bei der Bedeutung der steuerlichen Seite dieses
bezeichnen haben. Problem der Bundesfinanzverwaltung sehr bald
Damit sage ich zugleich, daß hier keineswegs und sehr ernsthaft im Rahmen der Reform einer
schon das Ziel erreicht ist, um das es uns letzten Finanzverfassung wieder gestellt werden muß.
1354 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Eckhardt)
Wir sind weiter der Meinung, die heute morgen contribuens plebs aus betrachtet, dann sieht er so
schon von verschiedenen Seiten geäußert worden aus, daß der Staatsbürger eine dezentralisierte Ver-
ist, daß es zwar verfassungsrechtlich nicht im Rah- waltung wünscht, d. h. eine gewisse Nähe der Ver-
men der Ermächtigung des Art. 107 des Grundge- waltung. Er will jemanden haben, mit dem er wirk-
setzes liegen mag, das Verhältnis von Bund, Län- lich sprechen kann und der wirklich entscheidet.
dern und Gemeinden in einer entsprechenden Form Leider ist das heute weithin nicht mehr so. Diese
zu regeln, daß aber trotzdem wahrscheinlich auf Art von echtem Föderalismus gibt es heute noch
allen Seiten des Hauses sehr viel Sinn dafür vor- nicht einmal in den Ländern, die besonders viel
handen sein wird, eine sachlich so eminent wichtige vom Föderalismus reden. Auch hier wird man lei-
Frage auch sachlich zu regeln. Ich bin überzeugt, der immer wieder feststellen können, daß sich die
daß finanzpolitische Fragen nicht immer unbedingt Mittelbehörden, die Ministerien, man darf vielleicht
unter dem Gesichtspunkt des Gegensatzes von Ko- einmal sagen: in jeden Quark, in jede Kleinigkeit
alition und Opposition gesehen werden müssen, und in jede Bagatelle einschalten, daß Verwaltungs-
sondern daß sich hier gewisse gemeinsame Interes- entscheidungen des Einzelfalles immer wieder vom
sen geradezu aufdrängen. Diese gemeinsamen In- Ministerium ausgehen. Daß dadurch die Verant-
teressen sind die Interessen des steuerzahlenden wortlichkeit der Behördenleiter der unteren Stufe -
Staatsbürgers. in keiner Weise gestärkt wird, ist vollkommen klar.
(Abg. Dr. Gülich: Sehr gut!) Aber darauf kommt es für eine dem Bürger nahe,
für eine einfache und kostensparende Verwaltung
Es kommt ja auch nicht von ungefähr, daß in der
finanz- und steuerpolitischen Literatur der letzten wirklich an.
Monate und Jahre gewisse Reformideen keineswegs (Abg. Samwer: Sehr richtig!)
nur von irgendeinem bestimmten Kreis vertreten Die steuerpolitischen Vorschläge, die hier ge-
werden, der mit einer Partei zu identifizieren wäre, macht sind, bringen, wie in diesem Hause wohl
(Abg. Dr. Gülich: Sehr richtig!) einmütig festgestellt worden ist, keine große und
sondern Sie können umfassende Reformvorschläge keine organische Steuerreform. Man hat seitens
ebenso gut etwa in Organen vertreten finden, die des Herrn Bundesfinanzministers einmal festge-
die Unternehmerseite unterstützen, wie auf der stellt, unser Steuersystem sei im großen und ganzen
anderen Seite in den Veröffentlichungen des Wirt- gut. Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich auf diese
schaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerk Feststellung des Herrn Bundesfinanzministers doch
schaften. mit einem einfachen Satze antworte: Das System ist
nicht gut, weil das gegenwärtig vorhandene Kon-
(Abg. Dr. Gülich: Das zeigt eben die Reform glomerat von 50 Steuern, die Höhe der Tarife, das
bedürftigkeit des gesamten Systems!) Ineinandergreifen oder Nichtineinandergreifen der
— Richtig, und das zeigt auch, daß sehr viele durch Tarife und die Doppelbelastung verschiedenster
die Sache selbst begründete Probleme vorhanden Art die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht
sind, in denen man zu einer einheitlichen und auf mehr sicherstellen. Das ist ja ein Fehler, der so-
die Dauer auch für die Gesamtheit befriedigende fort entsteht, sobald die Tarife höher werden. So-
Lösung gelangen könnte. bald man mit einer Einkommensteuer mit Tarifen
Die Ergänzungsabgabe, von der ich eben gespro- von 30, 40, 50, 60 und mehr Prozent zu rechnen
chen habe, ist zwar sozusagen der steuerliche Teil hat, entstehen eben diese Unbilligkeiten und Un-
der Finanzreform; betrachtet man aber die Ergän- gerechtigkeiten einfach von selbst, und zwar des-
zungsabgabe, die sicherlich vom Gesichtspunkt des wegen, weil nach dem Einkommensteuergesetz
Haushalts und des Finanzausgleichs her eine glück- Einkommen gleich Einkommen ist und jedes dieser
liche Erfindung darstellt, vom Gesichtspunkt des Einkommen dann der gleichen Progression unter-
Steuerzahlers, dann wirkt sie wesentlich weniger liegt. Die Verhältnisse, die soziologische Lage der
schön und befriedigend, insbesondere weil gewisse verschiedenen Berufsstände sind aber nun einmal
ausländische Systeme, nämlich alljährlich Steuern voneinander verschieden. Man kann tatsächlich
neu festzusetzen und alljährlich andere Zuschläge unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit die
zu erheben, für unsere Volkswirtschaft und auch Angestellten, die Arbeiter, die Unternehmer und
die Art unserer Staatsbürger und Unternehmer die Angehörigen eines freien Berufes kaum mit-
überhaupt, sich an der Wirtschaft zu beteiligen und einander vergleichen. Wenn ich mir einmal vor-
auf lange Sicht zu denken, sicherlich sehr wenig stellen wollte, wer bei der Art unserer heutigen
erfreulich wären. Vom steuerpolitischen Gesichts- Einkommenbesteuerung besonders schlecht weg-
punkt wird man diese Ergänzungsabgabe kaum kommt, dann würde ich sagen: in erster Linie sind
befürworten können. Der Steuerzahler betrachtet es der angestellte Lohnsteuerpflichtige, der Ange-
das Reformwerk, um das es hier geht, ganz sicher hörige eines freien Berufes und dann noch aus
zunächst einmal von diesem Gesichtspunkt. Man bestimmten Gründen, auf die ich gleich komme,
sollte ihn zwar dazu anleiten, auch die Bedeutung der selbständige Unternehmer, also insbesondere
finanzpolitischer Entscheidungen allgemeiner Art, auch der Unternehmer des Mittelstandes. Diese
die Bedeutung etwa der Regelung des Finanzaus- drei Gruppen kommen bei unserer Art der Ein-
gleichs verstehen und begreifen zu lernen und sich kommenbesteuerung besonders schlecht weg.
darum zu kümmern; denn letzten Endes geht es Wie steht es nun mit dem Reformwerk, das uns
bei dem Geld, das hier ausgegeben wird, immer hier vorgelegt ist? Aus der Erwägung heraus, daß
wieder gerade auch um sein Geld. Es geht um die das System gut sei, ist eigentlich nur der Tarif
Frage, wie teuer oder wie billig der Verwaltungs- grundlegend neu gestaltet worden. Man hat im
apparat im ganzen gestaltet sein muß. Es hat ein- übrigen die .Vergünstigungen gestrichen. Ich gebe
mal jemand gesagt: Föderalismus sei notwendig zu, daß man die Streichung der Vergünstigungen
teuer. Ich glaube das nicht. Das muß nicht sein. sehr ernsthaft überlegen muß, weil diese Vergün-
Man muß nur den Begriff „Föderalismus" — so stigungen auch entscheidende haushaltswirtschaft-
wie das auch heute morgen mit Recht gefordert liche Auswirkungen haben und weil man natürlich
worden ist — in der richtigen Weise auffassen. eine Steuerreform ohne Rücksicht auf den Haus-
Wenn man ihn einmal vom Standpunkt der misera halt nicht machen kann. Aber wenn ich mir z. B.
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(Dr. Eckhardt)
das Gesetz zur Neuordnung der Einkommensteuer auch vom Kollegen Seuffert vorgeschlagene Lösung
im einzelnen ansehe, dann fällt mir doch sehr birgt Möglichkeiten in sich, die im Finanzausschuß
auf, daß sich neben manchen technischen Verbesse- sehr genau diskutiert werden sollten.
rungen eine ganze Reihe von Vorschlägen einge- Ich komme anläßlich der Besprechung dieses
schlichen haben, die nichts weiter bedeuten, als Einkommensteuerentwurfs noch auf einen anderen
daß die Verwaltung gewisse ihr unbequeme Ent- Punkt, der auch schon berührt worden ist, näm-
scheidungen der Finanzgerichte zu beseitigen lich auf die Herabsetzung der Geltungsdauer des
wünscht, z. B. bei der Behandlung der Pensions- § 10 a und auf die Streichung des § 33 a mit sei-
rückstellungen die Rechtsprechung des Bundes- nem Freibetrag für Vertriebene, Totalgeschädigte,
finanzhofs über die Rücksichtnahme auf die bereits
politisch Verfolgte und Spätheimkehrer, eine Be-
abgelaufene Dienstzeit, auf das bereits erdiente stimmung, die allerdings im Rahmen der Kleinen
Ruhegehalt. Auch bei der Neufassung der Besteu- Steuerreform aufgehoben worden ist, d. h. danach
erung von Einkünften aus der Forstwirtschaft auf den 31. Dezember 1954 auslaufen sollte. Hier
scheinen mir ähnliche Gesichtspunkte eine Rolle gilt es nun, die Dinge unter dem Gesichtspunkt
gespielt zu haben. der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu betrach-
Nun zu einer anderen Frage, die hier auch bereits ten. Das ist der einzige Gesichtspunkt, unter dem
in extenso behandelt worden ist, nämlich die der wir eine steuerliche Gerechtigkeit finden können.
Besteuerung der Ehegatten. Da ist es doch wohl so, (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
daß hier das fiskalische Herz des Herrn Bundes-
finanzministers den Sieg davongetragen hat. Es Dieser Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit der Be-
handelt sich wirklich um ein sehr schwieriges Pro- steuerung bedeutet, daß ich — nicht etwa, um da-
blem; die meisten Lösungsversuche, die bisher vor- mit irgendwelche wirtschaftspolitischen Ziele zu
getragen worden sind, sind nicht ausreichend. Ins- verfolgen — steuerpolitisch versuchen muß, soweit
besondere die Frauenverbände haben eine völlig es möglich ist, die Gleichheit der Chancen herzu-
getrennte Besteuerung der Ehegatten verlangt. Mit stellen.
einem gewissen Recht wird dann von anderer Seite (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
geltend gemacht: Wie steht es aber dann mit der
Diese Gleichheit der Chancen ist aber bei den
Hausfrau und Mutter, die selbst ja über kein un-
mittelbares Einkommen verfügt und bei der man Totalgeschädigten und bei den Heimatvertriebe-
höchstens fiktive Einkünfte würde berücksichtigen nen — den Unternehmern unter ihnen wie den
können? Daß hier etwas reformbedürftig ist, und Heimatvertriebenen überhaupt —, bei den Ausge-
zwar auch im Verhältnis zu den Vorschlägen, die bombten und bei den Spätheimkehrern nicht vor-
von der Bundesregierung gemacht worden sind, handen. Es muß ein Weg gesucht werden, hier zu
ist doch klar. Stellen Sie sich zwei Kollegen in helfen. Die Stimmen, die hier laut geworden sind,
einem Büro vor, die beide zusammen 6000,— DM sind so zahlreich, daß schon allein ihre Zahl darauf
verdienen. Beide — ich rechne der Einfachheit hinweist, daß hier nicht einfach ein Interesse eines
halber gleich wieder beide zusammen — müssen einzelnen oder einer Gruppe verfochten wird.
eine Einkommensteuer von ungefähr 330 DM zah- Vielmehr ist die Herstellung der Gleichheit der
len. Wenn diese beiden Kollegen verschiedenen Chancen ein Interesse des ganzen Volkes.
Geschlechts nun heiraten, dann müssen sie — bei (Beifall beim GB/BHE.)
denselben Einkommen! — eine Einkommensteuer Der Einkommensteuertarif ist nach mathema-
von 760 DM zahlen. Das ist eine völlig unmögliche tischen Grundsätzen aufgebaut. Aber die mathe-
Situation. Sie ist deswegen vollständig unmöglich, matischen Grundsätze besagen ja noch gar nichts
weil hier wirklich — die Frau Kollegin Lüders darüber, ob der Tarif den sozialen Gegebenheiten
hat es neulich einmal so ausgedrückt, wie ich der angepaßt ist. Es ist hier dargestellt worden, daß
Presse entnehme — eine Ehestrafsteuer vorliegt. nach dem neuen Tarif manche Steuerpflichtigen,
Dazu darf die Einkommensteuer nicht ausarten. z. B. die ledigen Arbeiter, mehr Steuer werden
Ich bin der letzte, der die moralischen und sittli- bezahlen müssen als bisher. Beseitigen Sie den
chen Fundamente der Ehe nicht über die mate- Freibetrag des § 33 a, dann werden eine ganze
riellen stellt; aber dieses materielle Fundament Reihe von Heimkehrern, Flüchtlingen, Total-
einer Ehe ist ungeheuer wichtig. Es darf nicht von geschädigten, politisch Verfolgten usw. ebenfalls
der steuerlichen Seite her beeinträchtigt werden. mehr Einkommensteuer zu zahlen haben als bis-
Es darf auch nicht so sein, daß nur die lohn- her. Das wäre eine sehr ungünstige Folge. Herr
steuerpflichtigen Eheleute begünstigt werden. Auch Kollege Neuburger hat in Übereinstimmung mit
das ist eine Verletzung der Gleichmäßigkeit, z. B. dem Kollegen Seuffert auch bereits deutlich darauf
im Verhältnis zu dem Ehemann oder zu der Ehe- hingewiesen, daß die mittleren Einkommensstufen,
frau, die Einkünfte aus selbständiger Arbeit bezie- zwischen 8000 und 40 000 DM etwa, in diesem
hen. Denn die Einkünfte aus selbständiger Arbeit Tarif im Verhältnis zu ihrer bisherigen Belastung
sind ja doch im Regelfall die Einkünfte der Schrift- durchaus nicht günstig wegkommen.
steller, der Künstler, der freien Berufe überhaupt,
und diese Einkünfte sind noch weitaus ungesicher- Es gibt eine ganze Reihe von Tarifvorschlägen,
ter als die Einkünfte von Angestellten. nicht nur den des Bundesfinanzministeriums. Es
gibt den Vorschlag des Troeger-Ausschusses, es
Es geht also nicht an, das bisher bestehende Pri- gibt einen Tarifvorschlag des Ifo-Instituts,
vileg nun einfach für die Lohnsteuerpflichtigen einen Tarifvorschlag der Arbeitsgemeinschaft
bestehenzulassen, es aber nicht auf die freien selbständiger Unternehmer. Alle diese Tarifvor-
Berufe, nicht überhaupt auf die Einkünfte aus schläge werden sorgfältig zu prüfen sein. Jeder
Arbeit im ganzen auszudehnen. Hier muß eine einzelne enthält Anregungen, die man vielleicht
Lösung gefunden werden, und ich glaube, daß ein zu einem neuen einheitlichen und dann eben
echter Ansatzpunkt zu einer solchen Lösung darin wirtschaftlich vernünftigen und sozial gerecht-
liegt, den Tarif in seinen Anfangsstufen vom pro- fertigten guten Tarif wird verarbeiten können.
gressiven zu einem proportionalen Tarif zu ma- Das zu prüfen, wird in den nächsten Wochen die
chen. Diese vom Troeger-Ausschuß und vorhin Aufgabe des Finanzausschusses sein.
1356 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Eckhardt)
Nun aber doch noch ein Wort zum Spitzensatz Ob die Interessen des Einzelunternehmers hier ge-
des Tarifs. Der Plafond liegt nach den Vorschlägen ringer wiegen oder ob man sich sagt, daß er
der Bundesregierung bei 55 %. Dieser Plafond weniger investiere oder daß seine Arbeit volks-
kann nur in Zusammenhang mit dem Körper- wirtschaftlich weniger nützlich sei? Das kann ich
schaftsteuertarif gesehen werden. Der Körper- mir nicht vorstellen. Nun nehmen Sie einmal den
schaftsteuertarif soll 45 % betragen. Man hat von Fall, daß diese Kapitalgesellschaft, die nach dem
verschiedenen Seiten behauptet — die Behaup- Reformvorschlag 450 000 DM Steuern zu zahlen
tung ist vollständig unbewiesen —, das Verhältnis hat, 100 000 DM ausschüttet. Dann wären
von 45 : 55, 80 : 100 oder wie Sie es ausdrücken 900 000 DM mit 45 % und 100 000 DM mit 30 %
wollen, sei verhältnismäßig günstig, d. h. es sei versteuert, und Sie kommen dann bei der Kapital-
gerecht, die Lasten zwischen Körperschaften, also gesellschaft trotz dieser doch nicht unbeträchtlichen
Kapitalgesellschaften auf der einen Seite und Ausschüttung von 100 000 DM und trotz der
Personenfirmen und selbständigen Steuerpflichti- Doppelbesteuerung auf eine Steuer von insgesamt
gen auf der anderen so zu verteilen. Wenn man 474 000 DM. Der Einzelunternehmer hat immer
das behauptet, dann ist im Rahmen einer solchen noch runde 80 000 DM mehr zu zahlen. Das ist
Überlegung die 30%ige Vergünstigung der Divi- keine glückliche und vor allen Dingen keine gleich- -
denden kaum aufrechtzuerhalten, ganz abgesehen mäßige Lösung. Ich sehe auch nicht recht ein,
davon, daß diese Vergünstigung zu einer ganzen warum man die Herstellung der Gleichmäßigkeit
Reihe von technisch sehr intrikaten Problemen auf diesem Gebiet unbedingt auf eine spätere,
und Schwierigkeiten führt, beispielsweise im Zu- sogenannte organische Reform verschieben soll.
sammenhang mit dem Schachtelprivileg, mit der Das vorliegende Teilreformwerk beschäftigt sich
Frage der verdeckten Gewinnausschüttung, mit im wesentlichen mit der Einkommen- und Kör-
der Frage der Mindestbesteuerung. Ich selbst habe perschaftsteuer. Der Umsatzsteuer widmet es nur
schon seit längerer Zeit vorgeschlagen, die Arbeits- einen ganz bescheidenen Raum. Ich meine, das
gemeinschaft selbständiger Unternehmer und auch wird der finanziellen, sozialen und wirtschaft-
Herr Professor Flume aus Göttingen, der sich mit lichen Bedeutung der Umsatzsteuer nicht ganz
diesen Problemen besonders befaßt hat, haben gerecht und auch nicht den vielfachen Vorschlägen,
vorgeschlagen, im Verhältnis von Körperschaften die gerade zur Reform der Umsatzsteuer gemacht
und Personenfirmen doch endlich einmal von dem worden sind. Ich vertrete nicht die Auffassung, die
Nebeneinander abzugehen und die sogenannte sich vielleicht manche in diesem Hause zu eigen
Doppelbesteuerung, von der immer wieder ge- gemacht haben, daß bereits jetzt der Zeitpunkt
sprochen wird, radikal zu beseitigen. Die Doppel- gegeben sei, die seinerzeit von Wilhelm von Sie-
besteuerung, die nach dem bisherigen System mens vorgeschlagene veredelte Umsatzsteuer
darin liegt, daß z. B. Dividenden einer AG. beim durchzuführen. Ich glaube, die Durchführung im
Empfänger nochmals der Einkommensteuer unter- gegenwärtigen Zeitpunkt würde so viele technische
worfen werden, ist geeignet, die wirklichen Ge- Schwierigkeiten und unvorhergesehene wirtschaft-
winn- und Gewinnverteilungsverhältnisse zu ver- liche Konsequenzen mit sich bringen, daß man
tuschen und mit einem Schleier zu überziehen. Es mit dieser Reform noch zuwarten sollte, insbe-
wäre eine wirtschaftlich vernünftige und auch gar sondere so lange, als nicht exaktere Vorschläge
nicht so schwer durchzuführende Lösung, wenn und gesetzgebungsreife Projekte vorliegen und
man z. B. sagte: Die Kapitalgesellschaft und die nicht genügendes wirtschaftsstatistisches Material
Personenfirma haben beide normalerweise — es auf diesem Gebiet vorhanden ist. Wir werden uns
handelt sich ja hier in der Regel um höhere Ge- also mit der deutschen kumulativen Allphasen
winne — denselben Satz zu zahlen, d. h. die steuer zunächst noch eine Zeitlang abfinden müs-
Körperschaften haben einen Steuersatz von 55 % sen. Popitz, der in diesem Zusammenhang
zu tragen, vorhin als Vater der Umsatzsteuer erwähnt wor-
(Abg. Raestrup: Sehr gut!) den ist, hat sein Kind keineswegs sehr geliebt.
und dafür fällt die Doppelbesteuerung der Divi- Er hat es sogar vom finanzwirtschaftlichen Ge-
dende restlos weg, die Einkünfte aus Dividenden sichtspunkt aus als die schlechteste Steuerart be-
werden dann lediglich der Einkommensteuer als zeichnet, die man sich vorstellen könne. Ich will
Einkünfte aus Kapitalvermögen unterworfen. Das den Streit darüber dahingestellt sein lassen; denn
ist eine wesentlich gerechtere Lösung, und nach der es ist völlig klar, daß weder wir noch Frankreich
Ansicht mancher Experten stellt selbst diese Lösung noch 'Belgien noch die Schweiz noch viele andere
einen nicht unbeachtlichen Vorteil für die Kapital- Länder jemals in die Lage kommen, finanzwirt-
gesellschaften insofern dar, als diese durch die schaftlich auf eine solche Umsatzbesteuerung ver-
Haftungsvorschriften des Handelsrechts und durch zichten zu können. Aber sich bei der Reform der
die Verhältnisse des Kapitalmarkts ja, wenigstens Umsatzsteuer darauf zu beschränken, daß gewisse
meist, eine stärkere Stellung als die Personen- Lieferungen von Stromunternehmen anders be-
unternehmungen haben. handelt werden und daß dann weiter der Groß-
Was ist heute? Meine Damen und Herren, neh- handelssatz von 1 auf 1,5 erhöht werden soll, das
men Sie eine Personenfirma, einen Einzelunterneh- scheint mir doch sehr dürftig.
mer, einen größeren Betrieb mit 1 Million DM (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
Gewinn, und nehmen Sie eine GmbH. mit eben- Mir scheint sogar der Vorschlag der Erhöhung
falls 1 Million DM Gewinn. Diese GmbH. ist eine nicht sehr durchdacht gewesen zu sein. In den
Ein-Mann-Gesellschaft. Dieser Fall ist bekanntlich Diskussionsbeiträgen des Troeger-Ausschusses —
nicht selten, und ich trage ihn Ihnen so vor, weil und an der Troeger-Arbeit war ja eine ganze
er natürlich besonders einfach ist. Wenn diese Reihe von Verwaltungsexperten beteiligt — steht
GmbH. ihren Gewinn versteuert, so wird sie künf- zu lesen: Vielleicht könnte in Erwägung gezogen
tig nur 45 % zu zahlen haben. Der Einzelunter- werden, daß der Großhandelssatz eine Erhöhung
nehmer aber muß 55 %, d. h. 550 000 DM zahlen; verträgt, aber das muß noch von der Beistellung
warum, das weiß ich nicht. von Material abhängig gemacht werden. Der
(Abg. Raestrup: Wir auch nicht!) Troeger-Ausschuß hat sich also sehr vorsichtig
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1357
(Dr. Eckhardt)
ausgedrückt. Nach Bekanntwerden des Gesetz- einer anderen Wesensart eines Gegenstandes, der
gebungsvorschlages der Bundesregierung ist in- Änderung seiner Nämlichkeit. Alle diese Streitig-
zwischen von den verschiedenen Großhandelsver- keiten führen zu immer neuen Berufungen, zu
bänden eine ganze Menge Material gekommen, an immer neuen Auseinandersetzungen der Verbände.
Hand dessen sich deutlich zeigt, daß dieser Vor- Es wird ein Heer von Beamten, ein Heer von Be-
schlag — es handelt sich ja keineswegs um eine ratern, in Bewegung gesetzt, um zu einer einiger-
geringfügige, sondern um eine 50%ige Erhöhung maßen passenden Lösung zu kommen, und dann
— wahrscheinlich sehr viel tiefer in die Verhält- gibt es nachher doch einen allgemeinen Erlaß.
nisse des Großhandels überhaupt eingreift. Ich Wenn man sich aber vorher fragt, ob etwas eine
selbst schätze nicht 200, sondern 300 bis 400 Mil- steuerschädliche Bearbeitung ist oder nicht, dann
lionen DM Mehraufkommen, wenn man nach ist das genau so, als ob man mit einem Geldstück
diesem Vorschlag vorgehen würde. Das können Sie probierte, ob der Adler oder das Wertzeichen oben
den Zahlen entnehmen, die das Ifo-Institut und liegt. Das ist ein Zustand, der auch bei dem gegen-
auch die Diskussionsbeiträge des Troeger-Aus- wärtigen System der Umsatzsteuer keinesfalls er-
schusses bereitgestellt haben. Doch davon abge- träglich ist. Ich hoffe, daß wir Gelegenheit haben,
sehen. noch allerlei zur Umsatzsteuer zu sagen.

Was den Unternehmer und den Großhändler Was nun die übrigen Steuerarten unseres soge-
selbst betrifft, so sind sicherlich eine ganze Reihe nannten Steuersystems betrifft, so sind sie in der
von Großhändlern bestimmt nicht in der Lage, Steuerreform so gut wie nicht behandelt. Es findet
dann noch die Umsatzsteuer, wie es dem Sinn der sich eine Andeutung, daß man später auf die Ver-
Umsatzsteuer entspricht, zu überwälzen. Die so- brauchsteuern zurückkommen würde. Ich teile nicht
ziale Seite des Ganzen wird übersehen. Es werden die Auffassung, daß etwa die alte Unterscheidung
auch die besonderen Marktverhältnisse der Groß- von direkten und indirekten Steuern, von der Sie,
handelsunternehmen außer Acht gelassen, die Herr Kollege Seuffert, gesprochen haben, heute
Markenartikel vertreiben oder mit sozial-kalku- noch ganz gerechtfertigt ist. Das wird man bei
lierten Wirtschaftsgütern zu tun haben. Ich jeder einzelnen Steuer prüfen müssen. Man kann
glaube, die Ablehnung des Vorschlags einer von keiner einzigen Steuer — abgesehen vielleicht
Steuererhöhung wird in diesem Bundestag, wenn von Substanzsteuern — sagen, ob sie nicht in ir-
ich meine Herren Vorredner recht verstanden gendeiner Form überwälzt werden kann. Hierin
habe, diesmal ziemlich einmütig sein. liegt ja gerade die Gefahr der hohen Steuersätze,
gegen die sich jeder wenden muß, einerlei, auf
Nun besteht kein Zweifel darüber — und das welcher Seite des Hauses er sich befindet. Sie be-
ist vielleicht ein gewisser Trost für den Herrn steht darin, daß bei einer Marktwirtschaft immer
Bundesfinanzminister ,, daß gerade die Umsatz- wieder die Überwälzung versucht wird. Hohe
steuer unzweifelhaft eine Reihe von finanziellen Steuersätze bergen also preispolitische Gefahren in
Reserven enthält. Diese Reserven sind, wie ich po- sich und vermögen gerade die Zustände zu för-
sitiv weiß, in vielen Berichten der Oberfinanz- dern, die der Herr Bundesfinanzminister mit seiner
direktionen an das Bundesfinanzministerium dar- Auffassung vom Haushaltsgleichgewicht in den
gelegt worden. So etwas bleibt ja nicht ganz ver- letzten Jahren so energisch bekämpft hat. Gerade
borgen. deswegen muß man in einer Marktwirtschaft eine
(Heiterkeit.) andere Art von Steuerpolitik treiben, als wir sie
bei den totalitären Staaten im Osten sehen.
Mir sind die Verhältnisse auf dem Gebiet der Um-
satzsteuer auch nicht ganz unbekannt. Ich komme dabei noch auf einen anderen Punkt,
über den man heute noch nicht diskutiert hat. Der
Die gesamten Befreiungen, die Freilisten, die Herr Bundesfinanzminister hat davon gesprochen,
zahllosen Zulassungen von Be- und Verarbeitun- daß es als Grenze für Steuerermäßigungen, für
gen auf dem Gebiet der Umsatzsteuer geben eine Tarifsenkungen auch eine internationale Grenze
wirtschaftspolitische Situation wieder, wie sie al- gebe. Ich weiß das natürlich sehr genau. Aber man
lenfalls im Jahre 1934 bei der Neufassung des darf bei dieser internationalen Grenze zwei Dinge
Umsatzsteuergesetzes bestanden haben mag. nicht übersehen. Einmal das Wirtschaftssystem. Es
Warum ist man nicht darangegangen, diese alten ist natürlich etwas ganz anderes, ob Sie in einem
Befreiungen, die Freilisten, die zugelassenen Be- Staat wie England ständig Subventionen ausfüh-
arbeitungen nachzuprüfen? Wenn man bei der ren, oder ob Sie diese Politik der Subventionen
Umsatzsteuer einige verwaltungstechnisch be- in einer Wirtschaft wie der unseren grundsätzlich
sonders lästige Anhängsel streichen würde, käme ablehnen. Das führt zu ganz andersartigen Be-
nach meiner Überzeugung mehr an Umsatz- lastungen. Also einmal muß das Wirtschaftssystem
steuer heraus als bei dem gegenwärtigen System. beachtet werden. Es muß aber auch die Gesamtheit
Wie denken Sie beispielsweise über jene Zusatz- der Steuern zum Vergleich gebracht werden. Ich
steuern, die in der Verwaltung selbst eine Kri- glaube, wenn wir uns die Gesamtheit der deut-
tik gefunden haben, die man fast mit Gespött be- schen Steuer- und Abgabenbelastung einschließlich
zeichnen kann. Die Zusatzsteuer im Herstellerein- der Sozialabgaben ansehen, dann werden wir fest-
zelhandel ist doch zu einem Konglomerat von un- stellen, daß wir immer noch mit einem ganz hüb-
verständlichen Zusammenfügungen von Einzelvor-
schen Vorsprung im Rennen liegen.
schriften geworden, die selbst in der Denkschrift
der Troegerschen Experten als Musterbeispiel Daß alle Steuern die Möglichkeit in sich tragen,
schlechter Steuertechnik bezeichnet werden. Hier überwälzt zu werden, bedeutet nicht, daß nicht
gibt es eine ganze Menge zu tun. Weiter bin ich doch einige Steuern diese Fähigkeit in einem be-
der Überzeugung, daß nicht weniger, sondern sonderen Grade haben und daß sie Eigenschaften
mehr aufkommen würde bei einer großzügigeren haben, die man nicht mehr als sozial bezeichnen
Handhabung der Dinge auf dem so viel behan- kann. Steuerrecht muß auch sozial sein. Es soll
delten und in der Praxis so unleidlichen Gebiet nach meiner Überzeugung — im Gegensatz zu dem
der Be- und Verarbeitung, d. h. der Herstellung Troeger-Gutachten — nicht den Zweck der Nivel-
1358 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Eckhardt)
lierung haben, .aber es soll sozial gestaltet sein. sind, den rechtsstaatlichen Überzeugungen von
Das ist etwas ganz anderes. heute nicht mehr entsprechen.
(Abg. Samwer: Sehr richtig!) (Sehr richtig! in der Mitte.)
Bei dem weiten Gebiet der Verbrauchsteuern Wenn wir uns also heute — unter dem Vor-
sind einige Abgaben ohne weiteres zu erkennen, behalt der Vorschläge, der Anregungen, der Ände-
bei denen es auf diesen sozialen Charakter an- rungen, von denen ich gesprochen habe — grund-
kommt. Es ist die schon von Herrn Seuffert er- sätzlich zu diesem Schritt einer Finanz- und Steuer-
wähnte Zuckersteuer, es ist weiter die Salzsteuer, reform oder einer Teilreform auf diesen Gebieten
es ist die Leuchtmittelsteuer und es ist die Zünd- bekennen, dann darf das keineswegs heißen, daß
warensteuer. Durch diese kleinen Verbrauchsab- dieser Schritt in irgendeiner Form endgültig sein
gaben, die zum Teil, wie die Zündwarensteuer oder dürfe. Er kann und darf nur eine Etappe auf dem
die Leuchtmittelsteuer, noch nicht einmal wesent- Wege zu einer einheitlichen, geschlossenen und
lich ins Gewicht fallen, wird aber der Haushalt, rationellen Finanzverfassung und auf dem Wege
und zwar auch der mittelständische Haushalt, von zu einem Steuersystem sein, das sowohl den sozia-
dem hier soviel die Rede gewesen ist, sehr er- len Schutz wie aber auch die rechtliche Sicherheit-
heblich belastet. Fragen Sie einmal die Hausfrau, für den Staatsbürger gewährleistet.
was sie dazu sagt, daß sie seit Jahren für die (Beifall beim GB/BHE und bei der
Schachtel Streichhölzer nicht mehr drei oder fünf CDU/CSU).
Pfennig, sondern zehn Pfennig, für das Paket
Streichhölzer also eine Mark hinlegen muß! Das Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Ab-
merken sich alle Hausfrauen. Und hier kommt geordnete Dr. Wellhausen.
noch eine Folge hinzu, die sehr interessant ist. Die
Tatsache, daß die Hausfrauen sich das gemerkt Dr. Wellhausen (FDP): Herr Präsident! Meine
haben, hat nämlich dazu geführt, daß wir auf die- Damen und Herren! Ich habe mich im Laufe des
sem Gebiet, von dem ich gerade spreche, als dem Tages mehrfach an einen Artikel erinnert — des-
einzigen Wirtschaftszweig im Bundesgebiet keiner- sen Verfasser mir keineswegs irgendwie nahe-
lei Produktionssteigerung haben, und zwar aus dem steht —, nämlich an den Artikel des Herrn Chef-
einfachen Grunde, weil wir bei der Zündwaren- redakteurs Sänger. Sie werden sich vielleicht er-
steuer immer noch die Kontrollratssteuer vor uns innern, daß dieser Artikel von dem Herrn Bundes-
haben, die nun endlich beseitigt werden sollte. Hin- kanzler, und zwar wohl auch wegen des darin ent-
sichtlich der Beseitigung einer solchen Kontroll- haltenen Angriffes gegen die Provinzstadt Bonn,
ratssteuer und der Herstellung eines vernünftigen sehr schlecht kommentiert worden ist. Aber davon
Preises für ein solches Wirtschaftsgut sollte man sage ich kein Wort, es ist mir viel zu gefährlich.
nicht auf später vertrösten, sondern das sollte und
könnte man auch jetzt tun. (Heiterkeit.)
Herr Sänger hat in diesem Zusammenhang gesagt:
Ich darf nun das letzte Gebiet berühren, auf das Politiker sollten nach Möglichkeit nicht als Exper-
es mir ankommt und das nach meiner Überzeugung ten sprechen, jedenfalls nicht bei Dingen, die eine
wirklich auch wesentlicher ist, als viele Steuerzahler
allgemeine Bedeutung haben, sondern eben als
anzunehmen scheinen. Das ist das Gebiet des all- Politiker. Ich zweifle ein wenig, ob alle meine Vor-
gemeinen Abgabenrechts. Auch hier hat man ge- redner — von mir können Sie es ja nachher be-
sagt, daß die Reichsabgabenordnung von 1919, die urteilen —
Enno Becker damals aus dem Nichts heraus ge-
schaffen hat, eine mustergültige Leistung gewesen (Abg. Dr. Köhler: Da sind wir aber ge-
sei, eine mustergültige Leistung vielleicht für ihre spannt! — Heiterkeit)
Zeit und für den Stand der Entwicklung des all- dieser meines Erachtens richtigen Ermahnung ge-
gemeinen Verwaltungsrechts, der für das Jahr 1919 folgt sind.
festzustellen ist. Damals gab es nämlich noch gar Ich glaube, man muß doch ein paar Worte — das
keine allgemeinen Verwaltungsgesetze, sondern nur ist aus Liebenswürdigkeit oder wegen unserer
Sonderregelungen. Das allgemeine Verwaltungs- Schnellebigkeit nicht geschehen - darüber verlie-
recht ist, wie Ihnen bekannt sein wird, erst in ren, was in der Zeit zwischen dem 13. März, dem
eben diesen Jahren von Mayer, Kormann, Jellinek „geschichtlichen Tage", und heute geschehen ist.
und anderen geschaffen worden. In diese Zeit fällt Wir wollen uns nicht so ohne weiteres darüber
auch die Reichsabgabenordnung. Die Reichsab trösten, daß das Klima anscheinend etwas besser
gabenordnung genügt aber heutigen rechtsstaat- geworden ist, das Klima, meine ich, der Erörterun-
lichen Begriffen deshalb nicht, weil es undenkbar gen und der Diskussionen, und daß wir jetzt also
ist, daß Ankläger und Untersuchungsführer, Rich- liebenswürdigerweise bei „Bahnhofsgesprächen"
ter und Vollstrecker sich uns in einer Person, näm- angekommen sind, die mir ja schon aus anderen
lich in der Person des Finanzbeamten vorstellen. Gründen nur sympathisch sein können. Sie wissen
Das geht nicht, und diesen Zustand wird man be- aber, daß dazwischen doch mancher schlechte Stil
seitigen müssen. Man wird auch endlich dazu kom- passiert ist. Fürchten Sie nicht, daß ich Sie mit
men müssen, die so lange versprochene Finanzge- den Reden aus Passau und aus Essen langweile.
richtsordnung vorzulegen und sie in die Reichsab- Ich habe sie aber nicht vergessen, und ich will,
gabenordnung einzuarbeiten. Die Notwendigkeit ohne nachtragend erscheinen zu müssen, zum Aus-
und die Dringlichkeit dieser Arbeiten ergeben sich druck bringen, daß ich diesen schlechten Stil doch
nicht zuletzt auch daraus, daß draußen im Lande sehr bedauert habe.
das Verhältnis zwischen Finanzbeamten, Betriebs-
prüfer, Steuerfahnder auf der einen Seite und (Sehr richtig! bei der FDP.)
Steuerpflichtigen auf der anderen Seite leider Meine Damen und Herren, von „Schamlosigkeit"
schlechter ist, als es sein sollte, zum Teil auch des- sprechen, das sollte man erst kurz vor seinem Sieg
halb, weil die Vorschriften, an die Finanzbeamte, oder vor seiner Niederlage tun.
Betriebsprüfer und Fahndungsbeamte gebunden (Beifall bei der FDP.)
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1359
(Dr. Wellhausen)
Auch der andere Ausdruck, der bei dieser Ge- fige Regelung vorzusehen. Man hat aber entspre-
legenheit über die „Geldsäcke ohne Herz" gefal- chend der Schnellebigkeit, von der ich in anderem
len ist, hat mir, zumal ich nicht auf einem Geld- Zusammenhang schon sprach, einen zu frühen Ter-
sack sitze, nicht gefallen, Herr Bundesfinanzmini- min eingesetzt, und die Weisheit beider Gremien,
ster. Ich könnte ja nun sagen „betrifft mir nicht", also des Bundesrats und von uns, hat auch recht-
denn ich bin nicht bei der CDU, wie Sie alle wis- zeitig erkennen lassen, daß diese Frist nicht einge-
sen, geschweige denn bei der CSU. halten werden konnte. Man hat sich dann zunächst
(Heiterkeit und Oho-Rufe.) den Wahlkampf geleistet, in dem wir uns ja alle
— Nein, haben Sie keine Angst, ich komme nicht getummelt haben, mit mehr oder weniger Erfolg,
zu Ihnen! und dann ist also doch die Zeit des 31. Dezember
1954 sehr schnell herangekommen; nunmehr steht
(Erneute Heiterkeit. — Beifall bei der FDP.) sie ja bereits unmittelbar vor uns.
Man sollte das aber doch gelegentlich einmal be-
tonen. Nun hat inzwischen der Bund gemäß Art. 106
Abs. 3 einen Teil des Ertrages der Einkommen-
Grund für diese Zuspitzung — so sagen wir ein- und Körperschaftsteuer zur Deckung seiner durch -
mal höflicherweise — war natürlich der Theater- andere Einkünfte nicht gedeckten Ausgaben in An-
donner, mit dem hier mit gehöriger Vorbereitung spruch genommen, und dadurch sind alljährlich
die Dinge am 13. März vor sich gegangen sind. Auseinandersetzungen entstanden, über die hier
Lieber Herr Bundesfinanzminister, ich finde eigent- vorhin schon viele nicht Krokodils-, sondern echte
lich, Sie hätten sich sagen können, daß es Tränen geweint worden sind. Ich neige auf Grund
zu einer Enttäuschung kommen würde. Ihre Er- gewisser Erfahrungen im Leben ein wenig zu dem
klärung, daß die Wirtschaft dann besonders die Satz: „Nur keinen Krach vermeiden!" Ich bin also
Trommel gerührt habe, stimmt ja auch nicht, son- nicht der Meinung, daß es so furchtbar lästig und
dern die Reaktion war, bedauerlicherweise, bei der so furchtbar häßlich und so furchtbar unsachlich
gesamten Presse „spontan", um einen überholten ist, wenn man sich alle Jahre über dieses Inan-
Ausdruck zu gebrauchen. spruchnahmegesetz streitet. Vielleicht führt das
Nun haben wir heute vieles gehört, und wenn doch auch zu neuen Erkenntnissen. Ich habe jeden
auch unser Ressortminister für klassische Zitate falls, zumal ich eigentlich immer im Vermittlungs-
nicht da ist ich meine den Herrn Familien- ausschuß daran beteiligt war, schon eine ganze
minister —, Menge dabei gelernt. Aber ich erwähne das, weil
(Heiterkeit) ja dieser Gesichtspunkt einer der Hauptgründe
so bin ich doch versucht zu sagen: Wer vieles für die Bundesregierung ist, nunmehr die endgül-
bringt, wird manchem etwas bringen! — Vielleicht tige Regelung des Art. 107 vorzulegen.
haben Sie mir ja auch, nachdem ich so weit hin- Aus der Begründung, meine Damen und Herren,
ten heruntergerutscht bin — auf der Liste, meine geht hervor, daß sich auch die Bundesregierung
ich natürlich —, die Chance gegeben, nun ein recht ernst die Frage vorgelegt hat, ob die sach-
wenig zu changieren, nämlich von der Opposition lichen Voraussetzungen, die seinerzeit gefehlt
zur Regierung und wieder zurück. Weitere Mög- haben, jetzt vorliegen. Sie bezeichnet das selbst als
lichkeiten haben wir ja leider nicht. zweifelhaft hinsichtlich mancher sehr gewichtiger
(Rufe in der Mitte: Na, na! — Abg. Seuffert: Punkte: hinsichtlich der von der politischen und
Die dritte Kraft!) wirtschaftlichen Entwicklung abhängigen Ergiebig-
— Die dritte Kraft! Ich komme noch von selbst keit der Steuerquellen, hinsichtlich der ausreichen-
darauf. den Übersehbarkeit des künftigen öffentlichen
Lassen Sie mich anfangen mit der Finanzreform. Finanzbedarfs insbesondere wegen Belastungen,
Herr Kollege Eckhardt hat bereits das zitiert, was deren Höhe von der weltpolitischen Entwicklung
ich in der Presse verlautbart habe, und ich will und von deren Auswirkung auf die deutsche Wirt-
versuchen, es etwas anders zu begründen — ich schaft usw. abhängt; sie bezeichnet es schließlich
meine jetzt die Trennung von Finanz- und Steuer- als zweifelhaft hinsichtlich der noch nicht durch-
reform —, als es bisher hier begründet worden geführten Neugliederung des Bundesgebietes ge-
ist. Am meisten befinde ich mich, glaube ich, mäß Art. 29 des Grundgesetzes. Sie wissen, daß
mit den Gedankengängen des Herrn Gülich in sich damit ein Sachverständigengremium beschäf-
Übereinstimmung. tigt, dem anzugehören ich die Ehre habe und das
Man muß sich einmal die Mühe machen, sich neulich in Nürnberg getagt hat. Ich müßte geradezu
die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes — lügen, wenn ich sagen wollte, ich sei der Ansicht,
unserer Väter, ist nicht richtig, sagen wir: unserer daß sich daraus sehr schnell und sehr bald etwas
Brüder, speziell Sie, lieber Bruder Dehler — Reales konkretisieren werde. Das wird wohl noch
ein bißchen lange dauern. Das liegt 'keineswegs an
(Heiterkeit) Herrn Reichskanzler Luther.
zu vergegenwärtigen. Diese Entstehungsgeschichte Man wird also schon diese Einwendungen, die
beginnt mit dem Verfassungskonvent auf Herren- die Bundesregierung in ihrer Begründung selbst
chiemsee, also in unserm lieben Bayern. Dort aufführt, sehr ernst zu prüfen haben. Aber ich
wurde die These aufgestellt: Die Länder sollen wiederhole: die lästigen Auseinandersetzungen und
nicht Kostgänger des Bundes, und der Bund soll dann der Umstand, daß man den Termin schon
nicht Kostgänger der Länder sein; jeder Teil muß einmal verschoben hat, sollen dazu zwingen, nun
über das verfügen können, was er für seine zum Schluß zu kommen. Ich behaupte keineswegs,
Lebenshaltung benötigt. daß man sich für die Zukunft die Arbeit leicht
In der sicherlich richtigen Erkenntnis, daß es für machen will, sondern erkenne an, daß man Ver-
eine solche Regelung im Jahre 1949 zu früh sei, ständnis für die Einstellung der Bundesregierung
ist man den ungewöhnlichen Weg gegangen, in haben muß. Ich glaube aber doch, daß überge-
einem Grundgesetz, sprich Verfassung, für das doch ordneten politischen Gesichtspunkten, die diese
immerhin sehr zentrale Finanzwesen eine vorläu wichtige Frage des Finanzwesens letzten Endes
1360 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Wellhausen)
ausschlaggebend beeinflussen müssen, nicht Rech- mir sehr sympathisch war —, über die Bun-
nung getragen wird, wenn man sich zu einer über- desfinanzverwaltung zu sprechen. Das hebe ich
stürzten Verabschiedung entschließt. Ich wieder- mir für ein vielleicht besseres Klima, Herr Minister
hole, daß nur noch sechs Monate zur Verfügung Schäffer, auf. Denn ich habe die Hoffnung noch
stehen. Rechnen Sie die Ferien ab, auf die ja kei- nicht aufgegeben, daß jemandem, der so intensiv
ner verzichtet — das haben wir im ersten Bundes- und mit so großem Erfolg wie Sie dieses Amt eines
tag ein paarmal exerziert —, ferner die Feiertage, Bundesfinanzministers bekleidet, nicht eines Tages
und wer weiß, was alles, dann werden Sie zu wie eine reife Frucht die Bundesfinanzverwaltung
einem Nettobetrag an sitzungsbereiten Tagen kom- in den Schoß oder vielmehr in das Gehirn fällt.
men, der sehr gering ist.
(Beifall und Heiterkeit. — Abg. Dr. Gülich:
Ich meine — das sage ich noch einmal —, daß Glauben Sie, daß aus diesem Saulus noch
der Entschluß des Parlamentarischen Rates schwer- ein Paulus wird?)
wiegend ist. Eine solche Regelung ist ja eigentüm- — Ja, da hat es schon einmal ganz tolle Sachen ge-
lich, daß man nämlich in einer Verfassung nichts geben, lieber Herr Gülich. Sie sind ein Wissen-
Endgültiges, sondern ausdrücklich etwas Vorläu- schaftler, Sie müßten das eigentlich wissen. -
figes bestimmt. Das sollte uns zu einer besonders
eingehenden und sachlich fundierten Prüfung der Aber, meine Herren, die Dinge der Steuerreform
Frage veranlassen, ob die Dinge, wie meine — und das ist eigentlich von allen Rednern an-
erkannt worden — liegen auf einem völlig anderen
Freunde in Nürnberg zu sagen pflegen, bereift
sind. Ich glaube, daß in den sachlichen Ausgangs- Gebiet. Niemand von Ihnen hat behauptet, daß ein
organischer, notwendiger und unlöslicher Zusam-
unterlagen noch vieles fehlt und auch fehlen muß. menhang mit der Finanzreform besteht. Ich ver
Ich erwähne, um es etwas plastisch zu gestalten, das
Kriegsfolgenschlußgesetz und die Lasten, die dem kenne nicht, daß es natürlich schade ist, daß wir in
Deutschland es nicht fertigbringen, über diese
Bund daraus erwachsen werden. Ich erwähne die Dinge im Vermittlungsausschuß sachlich zu disku-
Maßnahmen für die nationale Sicherheit, wenn ich
tieren, daß wir sehr leicht der Gefahr verfallen,
mich ganz neutral ausdrücken darf. Es ist jetzt die Sachlichkeit zu verlassen, und vielleicht sogar
modern geworden, in dieser Beziehung nicht sehr manchmal demagogische Auseinandersetzungen
konkret, sondern von nationaler Sicherheit zu spre- herbeiführen. Aber dieser Umstand gefährdet —
chen. Das habe ich nicht etwa von meinem Freund und das ist nun des Pudels Kern, um den ich viel-
Pfleiderer gelernt, sondern das habe ich selbst er- leicht lange genug herumgeredet habe, Herr Mel-
funden.
lies, wenn Sie so wollen — die rechtzeitige Ver-
(Heiterkeit.) abschiedung der Steuerreform, auf die es mir und
Ich erwähne das Flüchtlings- und das Vertriebenen- meinen Freunden entscheidend ankommt. Ich
problem. Ich denke an manche finanzielle Sorgen, glaube nicht, daß diese notwendigen sachlichen
und da bin ich so unbescheiden — erlauben Sie Voraussetzungen gegeben sind. Falls Sie mir das
mir das —, auch die Bundesbahn zu erwähnen. zugeben, werden Sie vielleicht geneigt sein, mit
Ich denke an die landwirtschaftlichen Melioratio- mir den Zeitpunkt der endgültigen Regelung nach
nen und an die Wasserwirtschaft. Ich hoffe, das Art. 107 als noch nicht gekommen anzusehen. Wenn
genügt Ihnen als Begründung. man warten muß — ich bin von Hause aus durch-
aus kein Attentist —, dann muß man natürlich das
Die Bundesregierung treibt nun eine Resigna- Notwendige tun und sich entschließen, durch ein
tion, wenn sie erklärt, diese Dinge oder jedenfalls verfassungänderndes Gesetz — da brauchen Sie
ein großer Teil dieser Dinge würden sich auch als nicht gleich blaß zu werden; an so etwas sind wir
Unsicherheitsfaktor in absehbarer Zeit überhaupt j a in letzter Zeit schon ein wenig mehr gewöhnt;
nicht ausräumen lassen. Das ist mir zu bescheiden,
Herr Minister Schäffer, und das sind Sie doch (Hört! Hört! bei der SPD)
eigentlich sonst nicht, wenigstens nicht, wenn es ich gehe aber nicht auf die Gründe und auf die
sich um die Arbeit, die Sie bewältigen sollen, han- Gelegenheiten ein, das ist mir viel zu gefährlich,
delt. Es ist eine staatspolitische Aufgabe gerade und ich brauche es auch gar nicht — die am
dieser Sessionsperiode des Bundestages, für die 31. Dezember 1954 ablaufende Frist um zwei Jahre
von mir nicht erschöpfend aufgezählten Dinge zu verlängern. Die Weisheit des Bundesrats, die
Klarheit zu schaffen, die sich für die Voraus- heute schon mehrfach anerkannt worden ist — Sie
setzungen der endgültigen Lösung der Finanz- werden sagen: ich werfe mit der Wurst nach dem
reform wieder günstig auswirken würde. Schinken; das gebe ich vielleicht sogar zu —, wird
sich auch dieser verfassungändernden Maßnahme
Ich glaube, daß eine zweite Resignation in dem der Verlängerung des Gesetzes nicht verschließen.
Entwurf selbst vorliegt. Ich glaube, daß sich Meine Damen und Herren, ich gehe über zur
Art. 107, der die schwierige Aufgabe stellt, die man Steuerreform. Ich glaube, daß so viel über „orga-
lösen soll, nicht so eng auslegen läßt, wie Sie, Herr nisch", über „groß", über „neu" gesprochen worden
Minister Schäffer, das in Ihrer Begründung getan ist, daß es nicht nötig ist, in diesem Augenblick
haben. Ich weiß, das ist strittig, und Herr Eckhardt noch etwas dazu zu sagen. Wir haben uns alle aus
stimmt mir vielleicht in dem Punkt auch nicht zu. verschiedenen Gründen mehr oder weniger damit
Ich glaube, das Gesetz nach Art. 107 bezieht sich abgefunden. Bei mir ist es vor allen Dingen der
nicht nur auf die Neuregelung der Steuerertrags- Grund der Schnelligkeit, daß wir diese organische
hoheit, sondern auch auf die Steuergesetzgebungs- Steuerreform, deren Notwendigkeit ich in berein-
hoheit und auf die Steuerverwaltungshoheit. Ich stimmung mit vielen Rednern absolut bejahe, jetzt
könnte mir nun denken — da brauche ich nicht sehr nicht zustande bringen können.
weit zu gucken —, daß Sie politische Gründe
haben, Fragen der Steuerverwaltungshoheit Nun kommt der Termin, um dessen Erörterung
nicht gerade anzuschneiden. Ich widerstehe aber viele Kollegen eigentlich wie um einen heißen Brei
der Verlockung, der schon manche Vorredner herumgegangen sind. Meine Freunde haben mit dem
erlegen sind — immer in einem Sinne, der Antrag Drucksache 280 vom 28. Februar 1954 die
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1361
(Dr. Wellhausen)
Steuerreform für den 1. Juli verlangt. Wenn Sie (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: der Durch-
mir jetzt sagen: Darüber ist die Zeit mit ihrer schnitt des Volkes!)
heilenden oder zerstörenden Wirkung — das stelle — Ja, der Durchschnitt. Viel mehr als Durchschnitt
ich anheim — hinweggegangen, dann sage ich kann ja Köln auch schließlich nicht sein.
Ihnen: dieser Ansicht bin ich nicht. Ich bin viel- (Erneute Heiterkeit.)
mehr der Meinung, daß alle Argumente, die sonst
gegen rückwirkende Gesetze angeführt werden, Wir wollen es doch nicht übertreiben!
hier fehl am Platze sind. Ich meine also, daß bei (Fortgesetzte Heiterkeit.)
dieser Steuerreform die Bedenken der Finanz- Ich möchte Ihnen sagen, daß wir diese Ergän-
beamten — die ich hoch schätze und natürlich schon zungsabgabe wohl einfach deswegen ablehnen
aus Egoismus verehren muß — müssen, weil sie eine neue Steuer ist. Nichts paßt
(Heiterkeit) in diesem Augenblick so schlecht in die Landschaft,
als eine neue Steuer zu verordnen.
für mich nicht maßgebend sind. Ich glaube viel-
mehr, daß es nötig ist, sich mit diesem Termin (Beifall bei der FDP und SPD.)
als endgültigem Zeitpunkt des Wirkungsbeginns Eine Steuer, die in die Welt gesetzt wird — quod
der Steuerreform zu beschäftigen. Vielleicht über- non est in actis, non est in mundo —, reizt doch
rascht es Sie, wenn ich Ihnen sage, daß ich eigent- dazu, und zwar jeden Finanzminister, von ihr
lich nicht recht weiß, warum wir in unserer lau- Gebrauch zu machen.
fenden Reihe von Steuerreformen — deswegen Nun ist von einem Argument noch gar nicht
spreche ich auch nachher in einem anderen Zu- gesprochen worden, das aber doch, wenn ich recht
sammenhang von der auf enden Steuerreform orientiert bin, in der Angelegenheit der Ergän-
— das Jahr 1954 schlappern sollen, d. h. zu deutsch, zungsabgabe eine große Rolle gespielt hat, daß
warum wir dem Steuerpflichtigen nicht den Vor- man nämlich meint, man wolle durch diese Er-
teil, der ihm an sich aus der Zuwachsrate des gänzungsabgabe auch eine vielleicht etwas ein-
Jahres 1954 erwächst, zugute kommen lassen sollen. fache Antwort auf die Frage geben: Wie kann
man auch in Zeiten vor Wahlen das Parlament
(Abg. Seuffert: Er hat aber noch die an der Verabschiedung von unverständigen und
Vergünstigungen!) Geld kostenden neuen Gesetzen verhindern? Schon
— Die Vergünstigungen entgehen ihm ja schon unsere Väter, nein, schon unsere Brüder im Par-
früh genug. Darüber spreche ich gleich. Dafür bin lamentarischen Rat haben sich diese Frage vor-
ich auch absolut. gelegt und den Art. 113 erfunden. Es fällt mir auf
und ich suche immer nach Gründen, warum dieser
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß, wenn man Artikel so vollständig totgeschwiegen wird. Ich
logisch denkt — und das soll man in Finanz- und weiß, daß er noch nie exerziert worden ist, und
Steuerdingen —, man sagen müßte, das Jahr 1955 man soll eigentlich — das ist nicht philologisch
müßte dieses Geschlapper — entschuldigen Sie gedacht, sondern vernünftig, was kein Gegensatz
diesen Slangausdruck — wieder einbringen. Das ist — schlechtes Wasser erst ausgießen, wenn man
würde, wenn Sie ganz logisch weiterdenken, dann besseres hat. Wir sollten also schon einmal mit
dazu führen, daß das Jahr 1956 im Rahmen der dem Art. 113 operieren.
laufenden Steuerreform nicht herunter-, sondern
herauflaufen müßte. Solch komplizierte Dinge Nun haben mir meine Agenten berichtet — die
wollen wir uns nun mit Gewalt zuziehen, obwohl arbeiten aber natürlich nicht immer sehr genau—, es
es doch sehr viel einfacher geht, nämlich dann, bestehe die Idee, daß die Berechtigung des Art. 113
wenn wir uns erstens in den Beratungen beeilen in Zukunft nicht der Bundesregierung — wie es
im Grundgesetz steht —, sondern dem Herrn
— ein Appell, den ich natürlich in erster Linie an Bundesfinanzminister zustehen solle.
den von mir geführten Ausschuß richten werde —
und wenn man zweitens die Rückwirkung schluckt. (Abg. Seuffert: Hört! Hört!)
Ich habe Ihnen schon gesagt, daß sie meines Er- Das allerdings würde zu weit gehen, Herr Schäffer,
achtens berechtigt ist. Wir brauchen den Fehler, und das verlangen Sie wahrscheinlich ja auch
den ich Ihnen entwickelt habe, nach den Zahlen nicht. Deswegen glaube ich, daß mich meine
für 1954 nicht aufkommen zu lassen, wenn wir so Agenten falsch unterrichtet haben.
vorgehen. Der Mischtarif, Herr Bundesfinanz- (Heiterkeit.)
minister, stört mich nicht. Wir haben ihn gerade
1953 exerziert, und er hat die Finanzverwaltung Ich möchte Ihnen also vorschlagen: Machen Sie
und auch die Länderfinanzverwaltung nicht an den von dem Art. 113 einmal Gebrauch! Ich habe vor-
Rand des Abgrunds gebracht. Schwieriger ist na- hin gesagt: Ich verstehe nicht recht, warum davon
türlich schon die Geschichte mit den Begünstigun- kein Gebrauch gemacht wird. Beim Nachdenken
gen, denn die können wohl nach der ganzen Situa- ist mir folgendes eingefallen — mit dem Einmal-
tion nicht vor dem 1. Januar 1955 auslaufen. Aber eins gerechnet —: Es kann sich nämlich bei jedem
bei Nachdenken und Anstrengen des Gehirns wird Gesetz, das im 1. oder 2. Bundestag mit Mehrheit
man vielleicht auch da zu einer Lösung kommen. beschlossen worden ist, immer nur um mindestens
eine beteiligte Koalitionspartei handeln, und der
Ich komme zur Ergänzungsabgabe. Hier möchte vor den Bauch zu treten oder die vor den Kopf zu
ich mir nach den vielen Argumenten, die vorgetra- stoßen — nehmen wir einen anderen, wertvolleren
gen worden sind, die Sache sehr leicht machen. Körperteil —,
Ich möchte nämlich von dem Begriff des Durch- (Heiterkeit)
schnittsbürgers, der so viel zitiert wird, oder von
dem Begriff der Masse des Volkes, das sich, wie geniert sich natürlich die Bundesregierung. Sie
ich neuerdings gehört habe, in Köln besonders sollte aber ihre Zurückhaltung oder ihre Fein-
konzentriert findet, fühligkeit da ein wenig zügeln. Fangen wir also
ich wiederhole es — mit dem Art. 113 an, und erst,
(Heiterkeit) wenn dieses Schwert sich als stumpf erwiesen hat,
Gebrauch machen. kann man einen anderen Ausweg wählen.
1362 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Wellhausen)
Aber auch dann, meine Damen und Herren, nisationen, die hier ja sonst nicht so sehr beliebt
sind wir noch nicht bei der Ergänzungsabgabe als sind — ich meine den Industrie- und Handelstag —,
Ultima ratio, sondern dann erinnern wir uns — auf ihrer diesjährigen Tagung in Frankfurt mit
was ich den ganzen Tag schon tue — an meinen sehr deutlichen, aber höflichen Worten beklagt hat,
Freund Höpker-Aschoff und denken wir daß das ganze Gesetzgebungswerk des Herrn
daran, wie er die Geschäftsordnung des Bundes- Schäffer nichts von der Notwendigkeit einer Ver-
tags durch die Bestimmung ändern wollte, daß waltungsreform enthält. Der Herr Bundesfinanz-
Gesetze nur mit Deckungsvorschlägen eingebracht minister hat vorhin gesagt: Wir müssen die Ver-
werden können. Er hat sich dann in seiner Eigen- waltungsreform ja nicht nur beim Bund durch
schaft als Präsident des Bundesverfassungsgerichts führen, sondern auch bei den Ländern. Aber ich
leider selbst korrigieren müssen und hat eine Ent- finde immer, einer muß mal anfangen, damit über-
scheidung gefällt, in der stand, daß dieses Ver- haupt etwas geschieht.
fahren deswegen unrichtig oder unzulänglich sei,
weil es nicht in der Form einer Änderung des Ich glaube, wir machen uns im Bundestag die
Grundgesetzes, sondern nur in der Form einer Sache etwas leicht, wenn wir gelegentlich der
Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages Erörterungen zu sagen pflegen: Es gibt einige -
vorgeschlagen worden sei. Aber bitte, ändern wir Blöcke, Sie können auch sagen: Eisblöcke, an
dann aus diesem Anlaß das Grundgesetz und ver- denen nichts zu deuteln ist. Ich meine die Be-
langen wir — was vielleicht auch sonst gute Wir- satzungskosten und die sozialen Leistungen. Diese
kungen hätte — diese Fundamentierung durch Blöcke sind schon irgendwie zu erschüttern. Den-
natürlich verständige oder, besser gesagt, kon- ken Sie in Abwesenheit des Herrn Bundesarbeits-
krete und einer Nachprüfung standhaltende Vor- ministers — da kann man noch kühler darüber
schläge! Dann brauchen wir uns ebenfalls nicht denken — vielleicht einen Augenblick an die
in die großen Kosten — bildlich gesprochen — der Sozialreform, die uns ja, wenn ich mich so aus-
Ergänzungsabgabe zu stürzen, über die ich ja schon drücken darf und recht erinnere, für diese Sessions
verschiedenes gesagt habe. periode überhaupt nicht mehr serviert werden soll.
Vielleicht ist es nicht ganz unrichtig, wenn ich Vielleicht wären doch im Rahmen der Sozialreform,
erwähne, daß mir — die Bemerkung mache ich von der ich schon weiß, daß sie im Grunde genom-
jetzt für mich persönlich — der Vorschlag aus men andere Ziele hat, auch Möglichkeiten einer
Bayern einen gewissen Eindruck gemacht hat, in Verwaltungsreform gegeben. Ich glaube, meine
dem nämlich die Ergänzungsabgabe auf 5 % — Damen und Herren, der Herr Bundesfinanz-
andere Leute sagen auf 10 % — beschränkt worden minister ist der geborene Ressortminister für Ver-
ist und nicht in der largen Form, wie Sie es vor- waltungsvereinfachungen. Er betätigt sich ja auch
schlagen, Herr Minister Schäffer, eine unbe- auf diesem Gebiete. Aber ich will der Verlockung
schränkte Möglichkeit für die Abgabe in Prozenten widerstehen, schon wieder auf die Bundesbahn zu
der jeweiligen Steuerschuld vorgesehen ist. sprechen zu kommen. Ich will nicht ablenken, aber
ich möchte ihn bitten, sich doch mit der Verwal-
Ob die Ergänzungsabgabe auf diejenigen
tungsreform im Bunde etwas mehr zu beschäftigen.
Damen und Herren dieses Hauses, die sich in
Expansionen besonders gefallen — ich nenne Ehe ich auf den Tarif zu sprechen komme, er-
weder Roß noch Reiter —, einen besonderen Ein- lauben Sie mir, daß ich einige wenige Sätze über
druck machen wird, das möchten meine Freunde die negative Seite des Tarifs sage, ich meine, über
bezweifeln. Denn wenn man einmal auf Stecken- den Fortfall der Begünstigungen. Ich habe seit 1949
pferden reitet, kommt man nur ungern oder schwer mitgemacht, und da ist man ja in dieser Bundes-
wieder herunter. republik schon beinahe ein Veteran. Ich entsinne
Aber ich habe mir natürlich nun überlegt, was mich sehr genau der verständigen Gründe, die den
denn eigentlich der Grund des Herrn Bundes- Wirtschaftsrat damals 2u diesen Begünstigungen
finanzministers ist, warum er diese Ergänzungs- veranlaßt haben. Ich will hier keinen Nekrolog
abgabeentwürfe so sehr protegiert oder forciert. sprechen, aber ich halte es doch für richtig, zu
Ich kann doch nicht auf den Gedanken kommen — erwähnen, daß sie, wenigstens ein großer Teil von
das habe ich mir ja für die Zukunft vorbehalten ihnen, eine sehr wertvolle, nützliche Arbeit im
und hoffe, es mir versprechen zu dürfen —, daß Interesse des Wiederaufbaues unserer Wirtschaft
er inzwischen zentralistisch denkt. Das wäre geleistet haben, von 7 a angefangen. Sie sind aber,
furchtbar! zum größten Teil jedenfalls, inzwischen überflüssig
(Heiterkeit.) geworden und sind nicht geeignet, dem Volke das
Prinzip der Steuergerechtigkeit als vorhanden
Außerdem müßte ich doch, selbst wenn ich an- erscheinen zu lassen. Ich spreche also für meine
nähme, daß das richtig ist, den schönen lateinischen Fraktion aus, daß der Grundsatz , die Begün-
Satz brauchen — der Sie diesmal hoffentlich nicht stigungen zum Verschwinden zu bringen, ein auch
beleidigen wird, lieber Herr Schäffer —: „Quid- von uns gebilligter ist.
quid id est, timeo Danaos et dona ferentes." Das
muß ich Ihnen übersetzen: „Was auch immer ge- Ich darf dabei einen Seitenblick auf den Bundes-
schehen mag, ich fürchte die Danaer, auch wenn rat werfen. Ich finde, der Bundesrat hat manchmal
sie Geschenke bringen." einen Vereinfachungskomplex. Er begründet auch
Ich will die Ergänzungsabgabe verlassen, aber diese Dinge in einem großen Umfang mit Ver-
nicht ohne eine Wort darüber zu sagen — das einfachungen. Das ist natürlich etwas schnell und
lenkt mich zum neuen Thema über —, daß wir etwas oberflächlich gedacht, aber ich nehme ja
uns doch nichts Besseres, sprich Schlechteres für jetzt auch einen anderen Anlaß zu ihrer Be-
eine Verwaltungsreform wünschen können als seitigung.
eine Ergänzungsabgabe. Sie verstehen mich; ich Fraglich sind natürlich — denken Sie nicht, daß
glaube, das schiebt eine Verwaltungsreform auf ich jetzt einen Rückzieher mache — das Tempo
den Nimmerleinstag hinaus. und die Ausnahmslosigkeit der Begünstigungen.
Verwaltungsreform generell! Es hat mir einen Hier sind natürlich auch wir ein wenig an 7 c
gewissen Eindruck gemacht, daß eine der Orga hängengeblieben. Das hängt nicht, zum mindesten
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1363
(Dr. Wellhausen)
nicht vorwiegend, damit zusammen, daß unser und dieser Zwang zum Sparen in mancher Bezie-
Freund Preusker und vorher unser Freund Neu- hung noch nützlich und notwendig wäre. „Noch"
mayer und davor unser Freund Wildermuth das hat er gesagt; er glaubt anscheinend an die Auf-
Bundeswohnungsbauministerium geführt haben, wärtsentwicklung der Menschheit. Sie, Herr Neu-
sondern das hängt damit zusammen, daß der burger, haben hinzugefügt, man wolle den In-
Wohnungsbau meines Erachtens nach wie vor die vestitionsrückgang behindern oder verhindern. Das
Aufgabe Nr. 1 der Bundesregierung ist, das ja ist ein wichtiges Moment. Jedenfalls gehört auch
auch mit Zustimmung des ganzen Hauses, die nur der § 10 in seiner jetzigen Form — damit meine
vorübergehend einmal etwas getrübt war und ich immer das, was ab 1. Januar 1955 gilt — zu
hoffentlich nicht wieder getrübt wird, Herr den Dingen, die wir uns überlegen müssen.
Mellies. Das ganze Haus war in dieser Zielsetzung Ich fand es sehr schön, daß Sie ein Wort über
und durchweg auch sogar in den gewählten Mit- die degressiven Abschreibungen gesagt haben, Herr
teln einig. Der Bundeswohnungsbauminister Neuburger. Auch ich glaube, daß wir uns darüber
Preusker hat in einem sehr kurzen — und freuen, vielleicht sogar Hoffnungen daran knüpfen
schon deswegen lesenswerten — Artikel im sollen, daß dieses Prinzip — das meines Erachtens
Bulletin — die Nummer habe ich nicht — aus- entgegen der Ansicht des Bundesrats nicht gesetz-
einandergesetzt, inwiefern sich die Vergünstigung lich verankert zu werden braucht — nur ein Aus-
des § 7 e angenehm und nicht vergleichbar von fluß des gelegentlich doch auch in Regierungs-
anderen Vergünstigungen unterscheidet. Das ist kreisen anzutreffenden gesunden Menschenverstan-
bis zu einem gewissen Grade auch jetzt noch des ist.
richtig. Unser Kollege Neuburger hat vorhin (Heiterkeit.)
gesagt, man müsse neue Wege beschreiten, es sei
vielleicht nicht ausreichend, mit dem Sozialpfand- — Soll ich es noch liebenswürdiger ausdrücken? Ich
brief zu arbeiten und auf 7 c ganz zu verzichten. finde es doch sehr liebenswürdig.
Das sind Fragen, die meine Freunde nicht bejahen, Im Zusammenhang hiermit muß ich noch ein
die sie sich aber stellen und über die wir uns aus- Wort über die individuelle Befristung für einige
führlich unterhalten müssen. Vergünstigungen für die Flüchtlinge sagen. Ich
Meine Damen und Herren, das führt gewisser- glaube, daß damit ein gutes Thema angeschnitten
maßen zwangsläufig zu Gedanken, die mit dem ist, zumal wir ja im § 7 a in der Form, in der er
Kapitalmarktförderungsgesetz zusammenhängen. aufrechterhalten ist, schon eine solche Befristung
Ich gehöre auch zu denen, Herr Minister Schäffer, auf 1956 haben. Dann sollte man sich über-
die es beklagen, daß die Novelle zum Kapitalmarkt- legen, ob man diese Befristung nicht auch bei
förderungsgesetz den Gang der 'Gesetzgebung so den sonst verbliebenen Vergünstigungen für Heim-
langsam durchläuft, aber ich habe zu meiner kehrer, Spätheimkehrer usw. festlegen sollte. Ich
Freude gehört, daß das Kabinett am vorigen Mitt- persönlich bin bei den Begünstigungen fern von
woch die Dinge anscheinend bundestagsreif ge- jeder Forderung oder Bitte.
macht hat. Wir hoffen also, daß wir sie bald erhal- Ehe ich das Thema Kapitalmarktförderung ver-
ten. Ich habe natürlich — das wird Sie nicht über- lasse und dann sehr schnell zum Schluß komme,
raschen — zu dem Sozialpfandbrief nicht die möchte ich noch an eine Bemerkung, ich glaube,
radikal ablehnende Haltung, die Herr Seuffert von Herrn Seuffert, über die kostspielige Kapital-
hier vorgetragen hat. Doch wir wollen nicht auf marktförderung anknüpfen. Mit begeisterter Zu-
eine Erörterung des Kapitalmarktförderungsge- stimmung habe ich darüber in der Frankfurter
setzes abgleiten; das würde meiner Zielsetzung Allgemeinen Zeitung, aus der wir ja bis heute —
nicht entsprechen. jetzt sind wir in Köln — unsere tägliche politische
Bildung bezogen haben, eine Glosse gelesen. In
Wenn wir uns nun über den § 7 c Gedanken diesen Äußerungen eines sehr bekannten, in Bonn
machen, dann werden Sie unter Umständen bei beheimateten Bankdirektors über die Tendenz,
dem Ergebnis sagen — ich kenne dieses Ergebnis nicht in erster Linie Kredite an die Wirtschaft zu
nicht —: Das ist der Fluch der bösen Tat; und da geben, sondern als Bank langfristig Geld in Wert-
hätten Sie sogar etwas recht. Aber das sind nun papieren anzulegen, habe ich sehr Beherzigens-
mal Dinge, die etwas zwangsläufig sind, und wir wertes gefunden.
treiben ja keine Politik um des Prinzips willen,
sondern um auf einem Wege, den wir als notwen- Jetzt muß ich noch Einzelheiten bringen. Ich tue
dig und nützlich erkannt haben, weiterzukommen. es nicht, weil meine Vorredner es getan haben,
Um Mißverständnisse auszuräumen: ich meine jetzt sondern weil ich es für notwendig halte. Ich. meine
nicht auf dem Wege der Begünstigung, sondern die Haushaltsbesteuerung. Da kommt natürlich
auf dem Wege des Wohnungsbaus. dieser arme Mann, der sich gestern im Bahnhof von
Köln bei Ihnen nicht hat verständlich machen kön-
Herr Neuburger hat sich ausführlich mit nen — übrigens ein schlechtes Zeichen für die
dem § 10 beschäftigt, und zwar in einer Form, der Gleichberechtigung der Geschlechter —,
ich zustimme. Auch neulich auf dem Sparkassentag (Heiterkeit)
ist von klugen Männern — viel klügeren, lieber
schlecht weg. Der hätte sich halt nicht nieder-
Herr Neuburger, als wir beide uns einbilden, es
schreien lassen sollen. Ich glaube, Herr Bundes-
auch nur von weitem werden zu können — über finanzminister, das breite Volk oder, wie Sie gesagt
den Wert des Sparens sehr deutlich gesprochen haben, der Durchschnitt des Volkes war doch recht
worden. Unser verehrter Bundeswirtschaftsmini- unangenehm überrascht, daß Sie und mit Ihnen die
ster Erhard hat nicht widersprochen. Es war Bundesregierung — zumindest in ihrer Mehrheit
überhaupt ein Tag, an dem er Sie, Herr Schäffer,
— den Mut gehabt haben, in der vielumstrittenen
besonders gelobt hat; das wissen Sie ja. Frage der Haushaltsbesteuerung nun nicht etwa
(Heiterkeit.) einen beachtlichen Schritt zur getrennten Veran-
Aber das ist halt verschieden, und ich will es in lagung zu machen, sondern das schlechte Prinzip
Abwesenheit von Herrn Erhard nicht ausspinnen. der Gesamtveranlagung noch weiter auszubauen.
Er hat jedenfalls gesagt, daß diese Unterstützung (Sehr richtig! bei der FDP und SPD.)
1364 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Dr. Wellhausen)
Denn anders kann man die Vorschläge nicht ver- Ich finde, wir sollten uns überlegen, ob es nicht der
stehen. Sie wissen j a auch, meine Damen und Her- richtige Weg wäre, diese Menschen, wenn man ihnen
ren, daß aus diesem Vorschlag des Bundesfinanz- auf steuerlichem Gebiet — nur von dem spreche
ministers ein Mehrertrag von 80 Millionen DM — ich; ich spreche nicht von Fürsorge, ich spreche
andere Leute sagen: 100 Millionen DM — erwartet nicht vom Altsparergesetz usw. — helfen will,
wird. automatisch mit Vollendung des 65. Lebensjahres,
Manchmal habe ich den Eindruck, als wenn in aber unter der Voraussetzung der , verlorenen
diesen Dingen immer noch ein gewisser Nazischreck Altersversorgung in die Steuerklasse III einzu-
herrschte. Man meint, die Dinge wären von den reihen. Ich meine, es gehört zu unseren Pflichten,
Nazis eingeführt worden. Von solchen sentimen- uns bei zunehmender Besserung unserer Verhält-
talen oder horriblen Erinnerungen wollen wir uns nisse solcher Personenkreise — nennen Sie sie
frei machen. Wir — jedenfalls wir Freien Demo- meinetwegen die verschämten Armen — ein wenig
zu erinnern.
kraten — sagen, daß das Ziel, auf das wir los- (Allgemeiner Beifall.)
steuern müssen, das Splitting ist.
Meine Damen und Herren, jetzt kommt etwas -
(Beifall bei der FDP und SPD.) Schwieriges: die Ausfuhrförderung. Sie wissen,
Wenn das nach Untersuchungen, denen zu glauben und Sie erwarten es von mir sicherlich auch nicht
ich geneigt bin — es kommt auf 100 Millionen anders, daß ich ein Anhänger der Ausfuhrförde-
beinahe gar nicht an —, eine Milliarde kostet, dann rung bin. Auch da muß ich sagen: der Weg über
steht es natürlich nicht zur Diskussion; aber, aber die Steuern ist ein im Prinzip schlechter Weg, ein
— nur langsam! —, aber die Marschrichtung müßte Fehlweg, wenn Sie wollen.
eben nicht in Richtung auf eine weitere Vervoll- (Sehr richtig! in der Mitte.)
ständigung der Zusammenveranlagung, sondern Aber solange uns das uns umgebende Ausland mit
umgekehrt gehen. anderen Mitteln, die uns nicht zur Verfügung
(Abg. Seuffert: Sehr richtig!) stehen, den Export schwierig macht, müssen wir
Ich glaube, e i n Thema ist noch nicht behandelt. halt Wege beschreiten und auch auf ihnen bleiben,
Es ist richtig, daß im Gesetzentwurf nunmehr ein die uns zur Verfügung stehen. Ich glaube, wir müs-
heitlich die Ledigen, die Verwitweten und die Ge- sen es anerkennen, daß der Bundesfinanzminister
schiedenen mit 55 Jahren in die Steuerklasse II nicht in das allgemeine, etwas unüberlegte Geschrei
einrücken. Die Letzteren hatte man bisher ausge- vom Abbau der Exportförderungsmaßnahmen ein-
nommen. Herr Wuermeling hat also, wie mir gestimmt hat, wenigstens nicht in dem Sinne, daß
scheint, doch nicht einen omnipotenten Einfluß. er gesagt hätte, die Frist bis 31. Dezember 1955,
Man wird dabei irgendwie — Sie haben es sich bis zu welchem Zeitpunkt die Vergünstigungen
vielleicht schon überlegt — die Ungereimtheit aus laufen, müsse verkürzt werden. Im übrigen kann
der Welt schaffen müssen, daß die Verwitweten bis- dieses Kapitel hier von mir natürlich nur gestreift
her, wenn ich recht unterrichtet bin, schon mit werden. Es muß einer längeren Diskussion vorbe-
50 Jahren — — halten bleiben, schon weil es ja jetzt in Zusammen-
(Abg. Dr. Gülich: Das war doch die lex hang mit EZU und OEEC usw. gekommen ist und
Hagge!) wir vielleicht Veranlassung haben, uns das noch
sehr genau zu überlegen.
— Ja, aber warum sind Sie so persönlich? Das war Ganz kurz, meine Damen und Herren, streife
doch auch ein ganz netter Mann! Wer weiß denn, ich die Umsatzsteuer. Ich bin der Meinung, wenn
was Sie noch in der Nachwelt für einen Ruf be- etwas tot ist — ich meine die Großhandels-Umsatz-
kommen! steuererhöhung —, dann sollte man es nicht, wie
(Heiterkeit.) wir es heute getan haben, mehrfach beerdigen
Das kann man gar nicht wissen. Da würde ich und dazu auch noch Grabreden halten, bei denen
furchtbar vorsichtig sein. ja mehr gelogen wird als in allen anderen Fällen.
(Erneute Heiterkeit.) Ich glaube zwar, Herr Bundesfinanzminister —
Also Sie bejahen das. — das nehme ich Ihnen gar nicht übel —, rein fiska-
lische Momente, weil Ihnen irgendwo 200 Millio-
In der Post, die wir alltäglich bekommen — nen fehlten, haben Sie veranlaßt, mit dem Blei-
jetzt kommt ein recht ernstes Wort —, und auch in stift etwas in der Gegend herumzufahren, und da
mancherlei Beobachtungen, die ich so mache, fällt sind Sie dann zufällig auf der Großhandels-Um-
.

mir auf, daß, vielleicht gerade mit zunehmender satzsteuer gelandet. Das glaube ich deswegen, weil
Verbesserung unserer Verhältnisse, die Klagen von Sie ja sonst nicht so sind, daß Sie solche Dinge so
Leuten, von alten und verarmten Leuten, eine schnell fallenlassen. Heute morgen haben Sie sie
Rolle spielen, die es wegen Verlustes einer Alters- allerdings gegen zu erörternden Ersatz fallenge-
versorgung — ganz einerlei, aus welchem Grunde lassen, und das ist natürlich ein schlechtes Kapitel.
sie sie hatten und aus welchem sie sie verloren Auf den Ersatz komme ich noch nachher bei den
haben — doch recht schwer haben und in ihrem Tarifen, denen ich mich jetzt sehr schnell nähere,
Alter — jetzt spreche ich vom hohen Alter — noch zurück.
arbeiten müssen. Mir schweben einige Beispiele, Es ist modern, in diesem Zusammenhang — und
sagen wir, um nicht bloß einen Stand heraus- deswegen ist es auch von vielen Seiten geschehen
zuholen: sowohl von alten Handwerkern als auch — über die dritte Kraft zu sprechen, ich meine die
von alten Ärzten und Rechtsanwälten vor, Gemeinden. Ich glaube, die Bundesregierung war
(Abg. Dr. Gülich: Sehr richtig!) nicht gut beraten, als sie diese Dinge in dem
die nun wirklich keine andere Möglichkeit haben, ganzen großen Gesetzgebungswerk überhaupt nicht
als in den Sielen zu sterben, was zwar schön ist, erwähnt hat.
was aber doch manchen Menschen wegen Alters- (Beifall bei der FDP.)
beschwerden ungeheure Opfer auferlegt. In der Begründung ist sie darauf eingegangen,
(Beifall bei der FDP und bei der SPD.) aber in dem Gesetz selber hat sie nichts daran ge-
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1365
(Dr. Wellhausen)
tan. Ich meine, die Wünsche nach Verbundwirt- Für die Verwertung dieser Hunderte von Mil-
schaft und nach gesetzlicher Verankerung dieser lionen DM, wie ich mich jetzt etwas global aus-
Wünsche, und zwar grundgesetzlicher Verankerung gedrückt habe, sind, glaube ich, schon eine ganze
— also mit verfassungsändernder Mehrheit zu be- Reihe von Möglichkeiten gegeben. Von den Dingen,
schließen —, und die Wünsche nach einer Veran- die ich schon erwähnte, abgesehen, denke ich in
kerung des Rechtes auf die Realsteueraufkommen erster Linie an die Tarifgruppen von 8000 bis
sind berechtigt. Es gibt auch Bundesressorts — ich 40 000 DM. Sie können das auch etwas variieren.
will sie nicht nennen —, die diese Ansichten teilen. Aber unter 8000 DM soll man, glaube ich — da
Ich habe den Eindruck, daß, wenn die Parteien werde ich natürlich Herrn Seufferts Beifall keines-
Initiativanträge in dieser Richtung einbringen — wegs finden —, nicht heruntergehen, und zwar
wozu Neigung zu bestehen scheint —, diese dann aus Gründen, die Sie selbst heute morgen schon
hier die Mehrheit und sogar die verfassungsän- beim Vergleich dieser Steuergruppen mit den
dernde Mehrheit finden werden. Sätzen der Vorkriegszeit genannt haben.
Hinsichtlich der Fragen des Tarifs betone ich die Zur Körperschaftsteuer nur zwei Sätze. Sie zu-
Verantwortung, der man sich bewußt sein muß, sätzlich zu senken, ist eigentlich selbstverständlich,
-
wenn man von diesen Dingen spricht. Der Tarif- wenn man die Einkommensteuer senkt. Wenn wir
vorschlag der Bundesregierung ist zweifellos durch also bei der Einkommensteuer zu niedrigeren
die im Bulletin 60 und im Bulletin 67 erschienenen, Sätzen als denen des Gesetzentwurfs Drucksache
sehr sachkundigen Artikel aufgehellt worden. Das 481 kommen, dann ist die selbstverständliche
erkennen wir dankbar an. Es steht in einem ange- Folge, daß man sich auch darüber Gedanken
nehmen Gegensatz zu dem Niederbügeln, Herr machen muß, wie weit die Körperschaftsteuer zu-
Finanzminister, das Ihnen sonst ja leider etwas sätzlich zu senken ist.
liegt. Aber hier haben Sie ein Reisebügeleisen ge- Mit, ich möchte beinahe sagen: Leidenschaft trete
nommen, und das tut längst nicht so weh, erzielt ich dafür ein, daß der Einbruch, der dem Bundes-
aber denselben Erfolg. tag gelegentlich der Kleinen Steuerreform in das
(Heiterkeit.) Prinzip der Doppelbesteuerung gelungen ist, auf
rechterhalten wird. Herr Bundesfinanzminister,
Sie wissen ja immer sehr genau, ob dieser Erfolg der Einbruch wird nicht aufrechterhalten, wenn
auch eintritt, wenn Sie so etwas unternehmen. Sie von 45 auf 30 v. H. heruntergehen. Sie waren
Ich begrüße es darüber hinaus, daß in den letz- von 60 auf 30 v. H. heruntergegangen und müssen
ten Tagen Gespräche mit dem Institut für Finan- deshalb jetzt auch von 45 auf 22,5 und nicht auf
zen und Steuern, das sich nur beratend und in 30 v. H. heruntergehen. Auch das rechnet sich nach
keiner Weise mit irgendwelchen Ansprüchen ein- Adam Riese.
schaltet, in Gang gekommen sind, die nun doch Aus Ihren Worten in der Begründung geht nicht
wohl die Hoffnung berechtigt erscheinen lassen, gerade hervor, daß Sie diese Leidenschaft für die
daß über Ihre Ausfallrechnung, kurz ausgedrückt, Begünstigung in der Besteuerung des ausgeschütte-
eine restlose Klarheit geschaffen wird, wenn auch ten Gewinns teilen. Man könnte sogar sagen: Nach
nicht sofort vielleicht eine Übereinstimmung. Unter der berühmten Kabinettssitzung, in der man Ihnen
diesem Vorbehalt stelle ich für meine Fraktion das abgerungen hat, haben Sie Ihrer schon vorhan-
den Satz auf, daß es das Gebot der Stunde ist — denen Begründung nur einen Satz angefügt. Ich
von mir aus nur der Stunde —, die Tarife so sehr glaube, das stimmt. Ich war zwar nicht dabei; aber
zu senken, wie überhaupt nur möglich. Ich hoffe, wenn man ein bißchen darüber nachdenkt, kann
daß Sie mit diesem Grundsatz einverstanden sind. man auf so schlechte Gedanken kommen.
Dabei kann man natürlich die Möglichkeiten stun-
denlang diskutieren. Ich verkenne auch nicht, daß, Die Grundgedanken, die bei der Kleinen Steuer-
wenn wir aus Ihrem Kuchen einige Stücke heraus- reform als richtig erkannt worden sind, müssen also
schneiden — das haben wir ja soeben bei der beibehalten werden, und ich habe mich sehr ge-
Großhandels-Umsatzsteuer getan und das werden freut, daß auch die Opposition, jedenfalls in der
wir vielleicht auch bei der Haushaltsbesteuerung Tendenz, diesen Dingen zustimmt.
tun müssen —, natürlich dann der Kuchen oder, Zum Schluß! Im großen und ganzen ist es und
besser gesagt, die Erkenntnis aus Ihrer Ausfall- bleibt es, glaube ich, das Gebot der Stunde, deren
rechnung entsprechend eingeschränkt wird. Daß geschichtlichen Charakter ich nicht heraufbeschwö-
das dann abgezogen werden muß, ist selbstver- ren, aber auch nicht verneinen möchte, daß wir zu
ständlich; das hat schon Adam Riese gewußt. einer laufenden Steuerreform kommen. Vielleicht
Ich glaube aber, Herr Bundesfinanzminister, daß ist es für jemanden, der geneigt ist, die Dinge zu
doch auch dann noch ein Posten von einer ganzen überschätzen oder zu unterschätzen — beides ist
Reihe von hundert Millionen zum Verteilen übrig- falsch —, ein Widerpruch in sich selbst, wenn ich
bleibt. Das sage ich deswegen, weil bisher die von einer laufenden Steuerreform spreche. Denn
dynamische Wirkung, die nicht nur der Herr Bun- es könnten ja auch einmal, das leugne ich gar nicht,
deswirtschaftsminister, sondern die das ganze die Dinge wieder herauflaufen. Sie brauchen —
deutsche Volk von der Steuersenkung erwartet, in das wiederhole ich, das ist nicht mit meinem Aus-
keiner Weise berücksichtigt ist. druck gemeint — selbstverständlich dicht immer
herunterzulaufen. Dazu gehört erstens der liebe
(Sehr richtig! bei der FDP.) Gott, der uns beschützen muß, und zweitens die
Das sagen Sie ja auch selbst. t ber die Konkreti- Entwicklung der Wirtschaftspolitik, die das ge-
sierung und Bewertung dieser dynamischen Wir- stattet, und natürlich auch die Folgerichtigkeit
kung müßten wir uns also schon noch etwas unter- Ihrer Politik.
halten. Auf Grund Ihrer letzten Äußerung bin ich Aber, meine Damen und Herren, eines wollen
aber in bezug auf die Möglichkeiten einer Einigung wir ganz bestimmt, bei einer laufenden oder bei
optimistischer geworden. Vielleicht ist es ganz einer nicht laufenden Steuerreform: daß in
falsch, daß ich Ihnen das sage; aber ich sage es Deutschland endlich einmal wieder die Möglichkeit
halt, wie mir der Schnabel gewachsen ist. kommt, steuerehrlich zu sein, und daß — wenn
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(Dr. Wellhausen)
ich einen Ausdruck von Ihnen gebrauchen darf — die Vorlage ausgesprochen und damit in etwa auch
die Möglichkeit besteht, einen fröhlichen Steuer- ihren föderalistischen Teil bejaht hat.
zahler zu schaffen; etwas nüchterner ausgedrückt: Außerdem hat er die Bundestreue Bayerns an-
daß es sich wieder lohnt, Steuern zu bezahlen. gesprochen. Das ist etwas, das wirklich einer Er-
Denn das hat sich in den Jahren seit 1948 bisher wähnung wert ist.
nicht gelohnt; und es ist gar kein Zweifel, meine
Damen und Herren — entschuldigen Sie, wenn (Beifall in der Mitte.)
ich jetzt auch auf den Altvater Popitz übergehe —, Denken Sie doch bitte an die Gründung des Bis-
daß ein solches Lohnen einer Steuerzahlung ja marckschen Reiches! Welchen hervorragenden An-
eigentlich erst in Frage kommt, wenn die 50 %- teil hat damals Bayern am Zustandekommen dieses
Grenze auch in den hohen Stufen unterschritten Bundes gehabt! Oder nehmen Sie ein praktisches
wird und unterschritten bleibt. Beispiel aus der jüngsten Gegenwart, das an den
(Sehr richtig! rechts.) praktischen Teil der ganzen Geschichte, nämlich
Unsere Väter — diesmal sind es sogar unsere Vor- den Geldbeutel, rührt. Wir haben nach dem Zu-
väter — würden natürlich sagen: „Das ist für uns sammenbruch 1945 als armes Land einen sehr
durch Jahrzehnte" — oder ein Jahrhundert; Herr großen Teil von Heimatvertriebenen und Eva-
Eckhardt weiß da besser Bescheid — „eine Selbst- kuierten aufgenommen und behalten, während es
verständlichkeit gewesen." Ich möchte zwar nicht Zentralisten gegeben hat, die sich ganz vornehm,
der Hoffnung Ausdruck geben, daß es wieder eine ich möchte fast sagen: separatistisch vornehm in
Selbstverständlichkeit würde; das wäre utopisch. dieser Ausgleichsfrage zurückgehalten haben.
Aber ich möchte doch der Hoffnung Ausdruck (Beifall in der Mitte, rechts und
geben, daß uns wieder die Möglichkeit gegeben beim GB/BHE.)
würde, in solchen Zahlengrößen zu denken. Das nur nebenbei.
(Beifall bei der FDP, dem GB/BHE und Zu dem Auftrag, der uns durch die Verfassung
bei Abgeordneten der CDU.) gegeben ist, stehen wir auf dem Standpunkt, daß
jetzt unbedingt gehandelt werden muß, daß wir
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- das Werk in Angriff nehmen und in der vorge-
geordnete Höcherl. schriebenen Zeit auch zu Ende führen müssen. Ich
habe durchaus Verständnis dafür — man muß das
Höcherl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine auch von der Gegenwart aus in die Vergangenheit
Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich Ihre hinein sagen —, daß der Beschluß des ersten Deut-
Aufmerksamkeit zunächst noch einmal ganz kurz schen Bundestages, die Frist zu verschieben, richtig
auf die Finanzreform und auf das Finanzreform- war. Damals waren die Grundlagen noch nicht er-
werk selbst lenke. arbeitet, um die Aufgabe in ihren Grenzen und
Als ich in diesen zweiten Bundestag eintrat, in ihrer ganzen Bedeutung übersehen zu können.
wurde ich sehr bald auf die Person meines verehr- Heute dürfen wir uns dieser Aufgabe nicht mehr
ten Kollegen August Dr esbach aufmerksam versagen. Das Volk als Ganzes, der Bund und die
gemacht, und zwar in erster Linie auf seine Qua- Länder, alle zusammen möchten und müssen eine
litäten und auf seine Rednergabe, nicht zuletzt finanzielle Ordnung haben, und es ist unsere
aber auch darauf, daß es sich bei ihm um einen Pflicht und unsere Aufgabe, es ist nicht nur ver-
enragierten Zentralisten handle. fassungsmäßig geboten, sondern es ist auch prak-
(Heiterkeit.) tisch so weit, daß wir diese Aufgabe erledigen
können.
Ich muß sagen, daß dieser Verdacht durch seine
heutigen Ausführungen in etwa bestätigt worden Dabei handelt es sich keineswegs darum, etwas
ist. Es haben sich darin tatsächlich einige böse Endgültiges zu schaffen. Dieser Begriff „end-
zentralistische Mißtöne gefunden, gültig", der sich auch in der Verfassung findet,
(Lachen bei der FDP und in der Mitte) meiner Ansicht nach zu Unrecht, ist schon wieder-
holt angesprochen worden. Auf dem Gebiet des
die fast an unseren Arbeitsvertrag rühren. Man Finanzwesens gibt es überhaupt nichts Endgül-
würde juristisch, zivilrechtlich vielleicht davon tiges. Wir werden immer in der Entwicklung
sprechen, daß es sich um eine positive Vertrags- bleiben. Aber wir sind heute so weit, daß wir
verletzung handelt,. eine praktische Zwischenlösung schaffen können,
(erneutes Lachen) und auf diese sollen wir nicht verzichten. Wir
also um eine Zuwiderhandlung gegen den Geist sollen sie nicht neuerdings hinausschieben, sondern
unserer Zusammenarbeit. sie jetzt erledigen.
(Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der Wir sind der Meinung, daß das Gesetzeswerk,
SPD: Welches Gericht ist da zuständig?) das der Bundesfinanzminister vorgelegt hat, ein
großer Wurf, eine bedeutende Arbeit ist, die
Ich halte aber unseren Kollegen Dr. Dresbach nicht meiner Ansicht nach überhaupt mit zum Besten
für unverbesserlich, im Gegensatz zu einigen in unserer deutschen Finanzgeschichte gehört. Sie
anderen Zentralisten, eignet sich auch durchaus zur praktischen Durch-
(Lachen) führung. Von der Brillanz der Begründung, die
die sich hier ganz unschamhaft, muß ich sagen — schon wiederholt hervorgehoben worden ist,
unschamhaft; ein stärkeres Wort darf ich nicht möchte ich gar nicht sprechen. Genau die gleichen
gebrauchen, es ist heute schon einmal gegen die brillanten Züge zeigen sich auch in den politischen
Person des Herrn Bundesfinanzministers gerügt und finanztechnischen Lösungsversuchen, die uns
worden —, zum Zentralismus, also zu einer Irr- vorgelegt werden.
lehre, bekennen. Ich teile durchaus nicht die Meinung, daß man
(Lachen und Zurufe.) diese beiden Gesetzesvorlagen trennen könnte. Es
Ich halte unseren Kollegen deswegen nicht für ist schon eine ganze Reihe von ausgezeichneten
unverbesserlich, weil er sich zum Schluß doch für sachlichen Gründen vorgetragen worden, die für
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1 367
(Höcherl)
die Gemeinsamkeit dieser beiden Vorlagen spre- haben in den vorausgegangenen Art. 106 a bis c
chen. Ich schließe mich ihnen an. Wer will denn eine strenge Dreiteilung zwischen bundeseigenen,
die Verantwortung auf sich nehmen, eine Steuer- landeseigenen und gemischten Steuerquellen. In
reform von diesem erheblichen Ausmaß mit ihren Art. 106 d findet sich nun die Vorschrift, daß bei
ungeheuren Auswirkungen auf den Haushalt des Änderung einer derartigen Steuer sie nur dann
Bundes, der Länder und mittelbar auch der Ge- wieder in die gleiche Schublade zurückfällt, wenn
meinden auf sich zu nehmen, ohne gleichzeitig die sie einen gleichwertigen Ersatz darstellt. Das ist
Neuordnung des gegenseitigen Verhältnisses nun eine außerordentlich gefährliche Geschichte. Es
durchzuführen? Das wäre eine Halbheit, die wir könnte auf einmal — wir haben solche Dinge schon
uns nicht zuschulden kommen lassen dürfen. im engeren Kreise besprochen — durch eine andere
Nun hat sich heute bei der ganzen Debatte Steuertechnik eine Schublade zugunsten der an-
herausgestellt, daß jedes Gespräch über eine deren ausgeleert werden. Ich glaube, in den Aus-
Finanzreform in erster Linie ein Gespräch über schußberatungen muß man Möglichkeiten einbauen,
den Föderalismus ist. Dieser Föderalismus wurde um es dem Bundesgesetzgeber in dieser Hinsicht
hier sehr eifrig erwähnt. Vor allem wurden wir nicht allzu leicht zu machen.
Bayern angesprochen. Es freut mich sehr, daß in Mit der Revisionsklausel sind wir im Prinzip
unseren Reihen wir die echtesten, unverdorbensten einverstanden. Wir halten sie sogar für das föde-
Föderalisten sind. ralistische Kernstück, und wenn sie sich nur auf
(Heiterkeit.) die Revision beschränkt hätte, hätten wir gar nichts
Ich bin aber der Meinung, daß es durch alle Frak- dagegen einzuwenden. Aber sie hat noch einen
tionen hindurch noch einige solcher unverdorbener Appendix, einen Blinddarm, der meiner Ansicht
Gemüter geben muß. nach wegoperiert werden muß. Schon im Text wer-
(Erneute Heiterkeit.) den Einschränkungen gemacht. Es werden Gummi-
Es gibt noch etwas Interessantes. Es gibt auf paragraphen eingeführt, die erhebliche Gefahren
diesem Gebiet einen Wechselbalg. Wir haben hier vom föderalistischen Standpunkt aus begründen.
Unitaristen, die zu Hause in der gleichen Person Vor allem die Begründung selbst zu dieser Ge-
oder in ihren Genossen Föderalisten sind. setzesbestimmung beweist, daß man Unterschiede
(Heiterkeit in der Mitte.) macht zwischen vermögenswirksamen und ver-
Was unter gar keinen Umständen möglich ist, mögensunwirksamen Ausgaben. Selbstverständlich
ist, daß man die Frage des Föderalismus mit Mark ist der Unterschied berechtigt.
und Pfennig und mit dem Rechenschieber behan- (Zurufe von der SPD.)
delt. Das sind Dinge, die weit darüber hinaus- — Passen Sie nur auf, lassen Sie mich ausreden!
gehen und viel tiefer liegen. Ich muß sogar sagen: Es ist ein Unterschied, der vor allem zu Lasten der
selbst wenn der Föderalismus teurer wäre — aber Länder gehen muß. So, wie die Situation jetzt ist,
das ist noch niemals bewiesen worden —, müßten ist es klar, und zwar weil es schon mit der Auf-
wir absolut zu ihm stehen, weil wir auch auf an- gabenverteilung zusammenhängt, daß die Länder
deren Gebieten bedeutende staatspolitische Werte im Sinne der Begründung mehr vermögenswirk-
und Leistungen vielfach bezahlen müssen. same Ausgaben haben als der Bund, obwohl wir da
(Abg. Dr. Gülich: Wir haben doch gar auch eine andere Rechnung aufmachen könnten.
keinen Föderalismus!)
Das ist ja schließlich die Aufgabe der Politiker. (Abg. Heiland: Sie haben Bonn vergessen!)
Aber er ist ja gar nicht teurer, und Sie haben Nun werden aber diese vermögenswirksamen Aus-
das bis heute noch nicht nachweisen können, Herr gaben, Ausgaben ohne Ertrag oder, ich möchte
Gülich. sagen, wirtschaftlich oder erwerbsmäßig gesehen
Wir haben auch verschiedene Kollegs über uns unrentable Ausgaben wie Ausgaben und Anschaf-
ergehen lassen müssen. Ausgesprochene Zentra- fungen für Straßen, Schulen usw. mit eingerechnet.
listen haben sich hier als Lehrer des Föderalismus Nun sagt man: Wenn da einmal ein Revisionsantrag
aufgeworfen. Ich glaube, man müßte die Lehr- gestellt werden soll von einem Lande, dann müßten
befähigung dieser Herren einmal nachprüfen. Sie zunächst die Budgets verglichen werden, und es
haben ja gar kein inneres Verhältnis — — müßte eine Reinigung der Budgets stattfinden. Die
(Abg. Dr. Gülich: Sie machen es sich viel Länderbudgets müßten von all diesen vermögens-
zu bequem! So einfach sind die Dinge wirksamen, aber auch von diesen verwaltungs-
nicht!) mäßigen vermögenswirksamen Ausgaben gereinigt
— Sie haben kein inneres Verhältnis dazu, Herr werden; dann erst hätten sie einen wirksamen
Gülich, und können deshalb hier kein Dogma aus- Revisionsanspruch. Darin liegt eine Gefahr, und
sprechen, wie es geschehen ist. zwar eine außerordentliche. Wir werden uns mit
(Abg. Dr. Horlacher: Herr Zietsch in Bayern Nachdruck bemühen, sie im Ausschuß zu beseitigen.
kann ihm Auskunft geben!) Nicht anders ist es bei der Sicherungsklausel, an
Weil — ich wiederhole es — der Finanzausgleich und für sich eine ganz selbstverständliche Ange-
und die Finanzreform in erster Linie ein föde- legenheit, weil sie nur der Ausdruck für den föde-
ralistisches Thema sind, sind wir darauf bedacht, rativen Aufbau unseres Staatswesens ist.
jede Vorschrift in diesem großen Gesetzeswerk auf
ihre föderalistische Tragbarkeit und Gründlichkeit In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht fol-
hin zu prüfen. Es ist ganz klar, daß in einem so um- gendes sagen. Ich finde es merkwürdig, daß man
fangreichen Gesetzeswerk sich die eine oder andere von diesem Platze aus ein Bekenntnis zum Zen-
tralismus ablegen kann. Ich bin der Meinung, daß
Vorschrift befindet, die dem Schmarotzer Zentra- der Föderalismus nicht nur eine einfache Verfas-
lismus, der sehr zählebig ist und der in den klein- sungsbestimmung, sondern überverfassungsmäßiges
sten Lücken sich entwickeln kann, Anhaltspunkte
Recht ist, das wir selbst mit Zweidrittelmehrheit
gibt. Die wollen wir beseitigt haben. Eine derartige
Gefahr finden wir z. B. in der Vorschrift des neuen nicht beseitigen könnten.
Art. 106 d, wie er uns vorgetragen worden ist. Wir (Sehr gut! bei der CSU.)
1368 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Höcherl)
Wir haben eine ganze Menge von solchen Bestim- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
mungen. geordnete Eickhoff.
Aber jetzt zurück zum eigentlichen Thema. Auch Eickhoff (DP): Herr Präsident! Meine Damen und
in der Sicherungsklausel finden sich einige Ein- Herren! Im Laufe der heutigen Debatte ist schon
schränkungen, die meiner Ansicht nach in der Aus- so viel zu den vorliegenden Gesetzesvorlagen ge-
schußberatung fallen müssen. sagt und schon so viel auf Einzelheiten eingegan-
(Sehr gut! bei der CSU.) gen worden, daß ich mich kurz fassen und mich
Was nun das Finanzanpassungsgesetz betrifft, so auf die grundsätzliche Stellungnahme meiner
sind wir der Meinung, daß wir diesen Teil der Fraktion beschränken kann. Wir alle wissen, daß
Vorlage auch sehr gründlich prüfen müssen, weil der Steuerzahler von den Reformgesetzen mehr
sich darin ein erheblicher materieller Teil des erwartet, als uns hier mit den vorliegenden
Finanzausgleichs, und zwar in vertikaler Richtung, Gesetzentwürfen zur Neuordnung der Steuern und
befindet. Es müssen die finanziellen Auswirkungen des Finanzwesens zur Beratung gegeben ist. Auch
bis zum letzten zu Ende gedacht werden; wir dür- für meine Fraktion wäre es wünschenswerter ge-
fen hier nicht etwas versäumen, was sich am Schluß wesen, wenn das gesamte Steuersystem im Wege
dann zu Lasten der gleichberechtigten Gliedstaaten einer völligen von Grund auf vorgenommenen Um-
auswirken müßte. stellung hätte geändert werden können. Wir
Was den horizontalen Finanzausgleich anlangt, so kennen aber ja alle zur Genüge die Gründe, die
bin ich der Meinung, daß wir ihn absolut bejahen einem solchen Vorgehen entgegenstehen. Ich
müssen. Da habe ich mir den Vorwurf — nicht brauche deswegen nicht besonders auf diese
persönlich, sondern ganz allgemein wegen der Gründe einzugehen.
Theorie — des verehrten Kollegen Dr. Dresbach zu- Wenn aber nun schon eine organische Steuer-
gezogen, der ja auch ein Kolleg über den Föde- reform, als die sie ursprünglich ins Auge gefaßt
ralismus gehalten hat, obwohl er Zentralist ist bzw. war, nicht durchführbar ist, dann hätten wir den-
sich vielleicht jetzt schon in einem Mittelstadium noch begrüßt, wenn die Materie und die Kern-
befindet. probleme der Gesetzesvorlage auf eine breitere
(Heiterkeit.) Basis gestellt worden wären, die dem Charakter
Er hat vorgetragen, daß es eine Sünde gegen den einer großen Reform nähergekommen wäre. Was
echten Föderalismus wäre, wenn man einen hori- geblieben ist und worüber wir uns hier nun zu
zontalen Finanzausgleich zu Lasten der wohl- unterhalten haben, ist mehr oder weniger doch nur
habenderen Länder durchführen würde. Das wäre eine einfache Steuersenkung, also eine Reform auf
eine Nivellierung, und man müßte die Armut stolz halbem Kurs oder im ganzen eine unzulängliche
tragen. Das wäre echter Föderalismus. Ich habe Veränderung im gesamten Steuerwesen.
den schweren Verdacht, daß hier nicht nur eine Wir sind der Meinung, daß eine Steuer- und
Theorie spricht, sondern der Umstand, daß unser Finanzreform nicht allein vom Standpunkt des
Kollege Dresbach einem sehr wohlhabenden Vater- Fiskus aus betrachtet werden darf, sondern dabei
land angehört, das abgeben muß. Vielleicht spielt muß, und zwar in weitem Maße, auch unsere ge-
das in seinem Unterbewußtsein eine gewisse Rolle. samte Wirtschaft ins Auge gefaßt werden, und erst
(Zuruf von der Mitte: Stimmt nicht!) recht dann, wenn diese Wirtschaft dynamischen
Ich bin der Meinung, der Föderalismus bleibt in Charakter trägt. Jede sachliche Überlegung zur
seinen Prinzipien ständig derselbe; aber er wandelt Steuerreform wird davon ausgehen müssen, daß
sich in seinen Methoden. Ich glaube, daß es eine diese gleichzeitig haushaltspolitischen und wirt-
Art geläuterten Föderalismus gibt. Früher hat man schaftspolitischen Notwendigkeiten gerecht werden
in einem Bundesstaat den Föderalismus wegen der muß. Reformvorschläge unter diesem Gesichts-
Gliedstaaten in erster Linie auf die Gliedstaaten punkt sind nur sinnvoll, wenn sie ebenso den
als Ganzes, auf ihre staatsrechtliche Ausstattung Finanzbedarf des öffentlichen Haushalts wie auch
bezogen. Heute muß man den Föderalismus weiter die wirtschaftlichen Grenzen der Besteuerung in
erstrecken. Man muß — und so ist die Entwicklung Rechnung stellen. Eine Steuerreform soll ja nicht
gegangen, und der Föderalismus muß das in seiner nur den Steuerzahlern, die gegenwärtig bis an die
praktischen Ausgestaltung mitmachen — das Grenze des Möglichen zur Aufbringung der Staats-
Schicksal, die Lebensumstände und den Lebens- mittel beansprucht sind, eine fühlbare Entlastung
standard des einzelnen Bürgers mit berücksich- bringen, sondern das Ziel der Steuerreform muß
tigen. Aus dieser Fortentwicklung des Föderalis- es andererseits sein, gleichzeitig unsere bestehende
mus, aus dem geläuterten Föderalismus heraus, und und immer noch in der Entwicklung befindliche
nicht aus Vorteilssucht — vom bayerischen Stand- Wirtschaft zu fördern, um so das Sozialprodukt
punkt aus gesehen werden wir nicht allzu viele ganz allgemein zu heben.
Vorteile daraus ziehen — bejahen wir dieses Wir sollten daher im Wege der zu beratenden
Prinzip. Reform gleichsam einen Ausgleich zu finden suchen
Ich darf zum Schluß kommen und erklären, daß zwischen dem als notwendig anerkannten Finanz-
wir die ganze Gesetzesvorlage in allen ihren Teilen bedarf und der steuerlichen Leistungsfähigkeit
als eine ausgezeichnete Diskussions- und Arbeits- unserer Wirtschaft. Wenn dies aber so ist, wird
grundlage betrachten, die wir, was uns betrifft, mit man vielleicht doch daraus folgern müssen, daß
allem Nachdruck innerhalb der gesetzlichen Frist Steuerreform und Finanzreform miteinander ver-
zur Verabschiedung bringen wollen, damit unsere bunden sind und daß man die Fülle von Proble-
junge Bundesrepublik von dieser Seite von Sorgen men, die diese Reformen in ihrer Auswirkung
befreit wird und sich den vielen andrängenden sozial- und wirtschaftspolitisch auslösen werden,
anderen Aufgaben mit einer finanziell besseren bei den künftigen Beratungen der vorliegenden
Ausstattung, mit einem finanziell und finanzpoli- Gesetzentwürfe gebührend berücksichtigen muß.
tisch besseren Ertrag zuwenden kann. Ein weiterer, nach meiner Meinung ebenso wich-
(Beifall in der Mitte. — Abg. Dr. Gülich: tiger Grundsatz sollte daher vordringlich ange-
In einem Jahr sprechen wir uns wieder!) strebt werden, nämlich der der Beseitigung der
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1369
(Eickhoff)
Härten und Ungerechtigkeiten, die in unserem einer Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Kör
gegenwärtigen Besteuerungssystem liegen und die perschaftsteuer als einer neuen Bundessteuer. Die
die Kleine Steuerreform nicht hat beseitigen kön- Ergänzungsabgabe würde neben dem Notopfer
nen. Dieses Problem berührt in hohem Maße die Berlin und der Kirchensteuer in vollem Umfang
gewerbliche Wirtschaft, den Einzelhandel, das an der Progression der Steuertarife teilnehmen.
Handwerk und das Landvolk. Ich brauche in die- Hinzu käme, daß der für das Jahr 1955 zugrunde
sem Rahmen auf Einzelheiten der bestehenden gelegte Satz für die Ergänzungsabgabe von 2,5 %
steuerlichen Ungerechtigkeiten nicht näher einzu- jederzeit durch einfaches Gesetz erhöht werden
gehen. Wir werden bei den Beratungen bei einzel- könnte, ohne daß eine Grenze nach oben festgelegt
nen dieser Sektoren unsere Forderungen stellen, ist. Unter diesen Umständen sehen wir uns außer-
dies vor allem — was heute noch nicht zu über- stande, einer solchen neuen Steuer zuzustimmen.
sehen ist —, wenn wir die Erfüllung unserer Hoff- Herr Kollege Wellhausen hat von einer Beerdi-
nungen bedroht sehen, daß die Gesetzentwürfe bei gung der Erhöhung der Umsatzsteuer gesprochen.
den parlamentarischen Beratungen eine Gestalt er- Ich will mich deswegen kurz fassen, muß mich aber
halten, die echter Mittelstandspolitik widerspricht. an dieser Beerdigung beteiligen, weil wir auf gar-
keinen Fall der Erhöhung der Umsatzsteuer zu-
Wir begrüßen es grundsätzlich, daß die Bundes- stimmen können. Denn wir sind sicher, daß durch
regierung bei der Gestaltung des Einkommen- diese Erhöhung die Preise irgendwie ins Rutschen
steuertarifs auf dem mit der Kleinen Steuer- kommen würden, weil letzten Endes die kleinen
reform eingeschlagenen Weg der Tarifermäßigung Einzelhändler auf den Großhandel angewiesen sind
weiter fortschreiten will. Diese Vorschläge ent- und die durch die Umsatzsteuererhöhung verur-
sprechen aber dennoch im einzelnen nicht unseren sachte Steigerung der Großhandelspreise unbedingt
Wünschen. Es wird zu prüfen und zu beraten sein, auf den Verbraucher abwälzen würden.
ob die vorgeschlagene Tarifsenkung als ausreichend
bezeichnet werden kann. Bei einer ungenügenden Hinsichtlich der Zusammenveranlagung von Ehe-
Senkung würden wir im Hinblick auf die kleinen gatten — auch davon ist heute schon sehr viel
und mittleren Einkommen ganz allgemein, ins- gesprochen worden; das Problem hat auch bei den
besondere aber auch für die mittelständische Wirt- Beratungen über die Kleine Steuerreform schon
schaft unsere Forderungen als nicht genügend be- eine große Rolle gespielt — vertritt meine Fraktion
rücksichtigt ansehen müssen. Angesichts des Um- nach wie vor den Standpunkt, daß das gegenwär-
standes, daß die Abgabe Notopfer Berlin weiter tige Besteuerungssystem ungerecht ist und einer
erhoben wird und dazu eine ganz neue Steuer, Änderung bedarf. Es ist bekannt, daß das gültige
nämlich die Ergänzungsteuer zur Einkommensteuer, System die Ehefrauen der Besitzer gewerblicher
eingeführt werden soll, sind wir der Überzeugung, Betriebe und insbesondere auch des Bauernstan-
daß dabei die kleinen Einkommen — abgesehen des, die im eigenen Betrieb des Mannes in hohem
von den untersten Stufen — sogar noch mehr Maße mitwirken, steuerlich fast unberücksichtigt
Steuern zu zahlen haben als nach dem bisherigen läßt. Ohne mich heute schon für eine bestimmte
Tarif der Kleinen Steuerreform. Mit anderen Wor- Lösung dieses Problems bindend auszusprechen,
ten, wir erwarten eine günstigere Tarifgestaltung möchte ich ganz allgemein die Ansicht meiner
für diese Gruppen, insbesondere aber auch im Hin- Fraktion zum Ausdruck bringen, daß ganz gleich-
blick auf den Mittelstand, auf die Einkommen — mäßig entweder eine Zusammenveranlagung oder
wie schon mehrfach erwähnt worden ist — von aber eine Getrenntveranlagung der Ehegatten bei
rund 8000 bis 30- oder 40 000 DM, damit diese Be- der Lösung dieses Problems in Betracht gezogen
triebe — was ja eigentlich der Sinn der Reform werden sollte, und zwar ohne Rücksicht auf die
sein soll — auch in die Lage versetzt werden, jetzt gültigen Ausnahmebestimmungen in den
Betriebskapital anzusammeln. Wenn man dieser Durchführungsverordnungen. So wie die Dinge auf
Forderung nicht gerecht werden wollte und die diesem Gebiete heute liegen, können sie auf gar
beabsichtigte Ergänzungsabgabe sowie anderer- keinen Fall bleiben. Wenn beide Ehegatten ge-
seits den Fortfall von Steuervergünstigungen in meinsam im Betrieb des einen Ehegatten arbeiten,
Rechnung setzte, müßten wir darin eher eine wird nach den gültigen Vorschriften das Arbeits-
Steuerbelastung als eine Steuersenkung erblicken. ergebnis des mitarbeitenden Ehegatten gewisser-
Dabei soll doch die Steuerreform die Fortsetzung maßen dem Betriebsgewinn hinzugeschlagen und
der von der Bundesregierung verfolgten Politik der gemeinsam erarbeitete Gewinn infolgedessen
der Steuersenkung darstellen. Wenn die Auswir- zu einem höheren Tarifsatz versteuert als bei ge-
kungen der Reform, wie wir sie heute sehen und trennter Veranlagung. Nach unserer Auffassung
wie ich sie eben darlegte, sich tatsächlich so ent- dürfte es dem Grundsatz der gleichen steuerlichen
wickeln sollten, können wir uns nicht vorstellen, Behandlung widersprechen, wenn man in anderen
wie das Ziel des Reformwerks für den Steuer- Fällen unter bestimmten Voraussetzungen getrennt
zahler ganz allgemein und insbesondere für die veranlagt oder aber, was sich finanziell noch un-
mittelständische Wirtschaft erreicht werden soll, gerechter auswirkt, wenn man die Mitarbeit der
welches auf Eigenkapitalbildung und Wirtschafts- Ehefrau im gewerblichen oder bäuerlichen Betrieb
förderung und damit auf Wirtschaftsexpansion ge- des Mannes steuerlich eigentlich gar nicht in Be-
richtet ist, also Bestrebungen, die letzten Endes auf tracht zieht.
Hebung des Lebensstandards für die Allgemeinheit Da die Gesetzesvorlagen in ihren praktischen
gerichtet sind. Auswirkungen auch tief in das kommunale Leben
In diesem Zusammenhang aber ein ernstes Wort eingreifen, noch ein Wort über die nach unserer
zur Ergänzungsabgabe! Die Deklarierung der Ein- Meinung berechtigten Belange der Gemeinden auf
kommen- und Körperschaftsteuer als eine Steuer, diesem Gebiet, die zur Zeit nicht ausreichend be-
die Bund und Ländern gemeinsam in einem festen rücksichtigt erscheinen. Andere Kollegen haben
Verhältnis von 40 : 60 aufgeteilt zustehen soll, führt darauf hingewiesen: Die Selbstverwaltungsauf-
unseres Erachtens zu dem äußerst bedenklichen gaben in ihrer Vielzahl und zusätzlich übertragene
und, wie heute schon mehrfach betont worden ist, Aufgaben der Gemeinden, die sich fortlaufend meh-
allgemein abgelehnten Vorschlag auf Einführung ren, erheischen zwingend eine Sicherstellung des
1370 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Eickhoff)
Finanzbedarfs der Gemeinden bei der Neuordnung bringt; eine ganze Reihe solcher Steuern ergeben
durch die Finanz- und Steuerreform. Das ist gegen- nicht einmal zusammen 0,5% des Gesamtaufkom-
wärtig nicht der Fall, im Gegenteil. Wir haben mens.
in dieser Hinsicht nach gemachten Erfahrungen Im Zusammenhang damit muß ich hier wie schon
und Beobachtungen den Eindruck einer gewissen andere Vorredner die Erbschaftsteuer erwähnen,
Vernachlässigung der Gemeinden. Wir erwarten die unseres Erachtens zumindest auf den Stand
und fordern, daß die Länder in die Lage versetzt von 1934 zurückgeführt werden sollte. Ich muß
werden, den Gemeinden eine ausreichende finan- ferner auf die Zündwarensteuer hinweisen, die
zielle Ausstattung zur Durchführung ihrer Selbst heute durch Kontrollratsgesetz von 1946 immerhin
verwaltungs- und der ihnen übertragenen Auf- den zehnfachen Betrag der Steuer von 1946 aus-
gaben zu gewähren. Wir treten auch für eine Per- macht. Wenn wir allein bei dieser Steuer auf den
sonalsteuer der Gemeinden ein, die unseres Er- Satz von 1946 zurückgehen könnten, würde der
achtens auf die Dauer nicht zu umgehen ist. Ent- Preis für das Paketchen Streichhölzer — ich weiß
stehen den Gemeinden aber durch Übertragung nicht, ob es erwähnt ist — sicher auch von einer
oder Erweiterung ihres Pflichtenkreises wesentlich Mark auf 50 Pfennige herabgesetzt werden. Ich -
neue finanzielle Lasten, dann soll man ihnen auch glaube, das käme einer breiten Schicht unserer
,gleichzeitig die dafür erforderlichen Mittel zur Bevölkerung zugute. Dies sind, wie gesagt, nur
Verfügung stellen oder aber bei Einnahmeausfäl- einige Beispiele dafür, wie auf dem Sektor der
len, die auf gesetzliche oder vertragliche Maßnah- Bagatellbesteuerung abgebaut und geändert wer-
men des Bundes zurückzuführen sind, für einen den sollte, auch im Rahmen dieser leider wieder
entsprechenden Ausgleich sorgen. Anders können nicht grundlegenden Steuerreform, um allmählich
wir uns jedenfalls ein ordentliches Finanzgebaren zu einer Vereinfachung unseres Steuersystems
der Gemeinden nicht vorstellen. Wir halten es da- überhaupt zu gelangen.
her letztlich auch für unbedingt erforderlich, daß Meine Damen und Herren, meine Fraktion
die gesamte finanzielle Regelung für unsere Ge-
wünscht und hofft, daß die Beratungen im Aus-
meinden in dem dargelegten Sinne verfassungs- schuß eine nicht zu lange Zeit in Anspruch neh-
rechtlich verankert wird.
men, damit die Gesetze sehr bald in Kraft ge-
Ich erwähnte bereits, daß die durch die beabsich- setzt werden können. Sie vertritt aber auch den
tigte Steuersenkung entstehende Lücke im Steuer- Standpunkt, daß die Steuergesetze vor den Finanz-
aufkommen, soweit sie durch die Gesetzesvorlage gesetzen behandelt werden müssen.
in ihrem Endzustand und ihren Auswirkungen (Beifall bei der DP.)
nicht geschlossen werden kann, durch andere Wege
und Möglichkeiten wieder zu schließen versucht Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
werden müßte. Wir vermissen in dieser Beziehung geordete Tenhagen.
bei den Gesetzesvorschlägen z. B. die Möglichkeit
von Einsparungen, die auf dem Gebiet der Ver- Tenhagen (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
waltung und der öffentlichen Ausgaben möglich und Herren! Zu dem hier anstehenden Fragen-
sein sollten. Es gibt wohl kaum ein Gebiet, über komplex möchte ich vom Standpunkt der kom-
das schon so viel geredet und auf dem schon eben- munalen Selbstverwaltung aus nur einige kurze
soviel versprochen worden ist wie die Verwal- Bemerkungen machen. Wir haben schon zu ver-
tungsreform. Das gilt gleichermaßen für den Bund schiedenen Malen bedauert — auch mein Kollege
wie für die Länder. In einigen Ländern, z. B. in Gülich in seinen Ausführungen von heute morgen
Nordrhein-Westfalen und auch in Bayern, sind in —, daß die kommunale Selbstverwaltung im Rah-
dieser Beziehung bereits bemerkenswerte Versuche men des Grundgesetzes so außerordentlich schlecht
unternommen worden. weggekommen ist. Die Behandlung im Grundge-
setz beschränkt sich bekanntlich auf den Art. 28,
(Abg. Heiland: Davon haben wir bis jetzt der lediglich die institutionelle Garantie für die
nichts gemerkt!) kommunale Selbstverwaltung beinhaltet, ohne
Auf diese Weise könnte meines Erachtens auch aber, was meines Erachtens notwendig wäre, dar-
in anderen Ländern und ganz allgemein in den aus nun auch die Konsequenzen für die weitere
verschiedensten Zweigen der öffentlichen Verwal- Gesetzgebung und damit für die Sicherstellung der
tung eine gewisse Entrümpelung vorgenommen kommunalen Selbstverwaltung in ihrer Funktions-
werden, ganz abgesehen davon, daß im Wege der fähigkeit zu ziehen. Wir haben im Gegenteil fest-
Vereinfachung des Verwaltungsablaufs und der zustellen, daß die bisherige Praxis bei der Behand-
Formularwirtschaft eine erhebliche Einsparung an lung dieser Materie durch Bundesregierung und
Personal und Material und damit an öffentlichen Bundestag leider die Folge hatte, daß eine ganze
Mitteln zu erreichen sein müßte. Anzahl von Gesetzen verabschiedet wurde, die die
Wir müssen vor allen Dingen zu einer Verein- Gemeinden in ihrer finanziellen Grundlage sehr
fachung des Steuersystems kommen, wenn es nicht erheblich eingeschränkt und ihnen Verpflichtungen
möglich ist, jetzt schon die grundlegende Umstel- und Belastungen auferlegt haben, ohne — was hier
lung des gesamten Steuerapparates durchzuführen. ja eigentlich selbstverständlich sein müßte — zu-
Man sollte wahrlich einmal darangehen — und gleich auch die finanziellen Mittel für die Durch-
das ist auch heute hier mehrfach angeklungen —, führung der Aufgaben zu gewähren. Ich brauche
wenigstens die Bagatellsteuern aus den rund 50 nur auf einige Gesetze hinzuweisen, auf das Ge-
verschiedenen Steuerarten herauszulösen, deren setz nach Art. 131, das Lastenausgleichsgesetz, das
Erhebungskosten doch in keinem Verhältnis zu den Investitionshilfegesetz mit sehr starken Auswir-
Erträgnissen dieser Steuern stehen und die somit kungen gerade in den Finanzsektor der Gemeinden
auch kaum für den Etat ins Gewicht fallen. Es hinein. Dahin gehört auch das Problem der Um-
würde selbstverständlich den Rahmen dieser Aus- satzsteuererhöhung für die Gemeinden, das heute
führungen überschreiten, all die Steuern aufzufüh- schon angesprochen worden ist.
ren, die unter diese Gruppe fallen und von denen Wir sind der Meinung, daß es die Aufgabe des
keine mehr als 0,5 % des Gesamtaufkommens ein- Gesetzgebers ist, dafür zu sorgen, daß den Ge-
2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954 1371
(Tenhagen)
meinden die finanzielle Voraussetzung für die Problem ja heute auch schon dankenswerterweise
Durchführung ihrer Aufgaben geschaffen wird. von einigen Vorrednern mit angesprochen worden.
(Sehr richtig! bei der SPD.) Ich habe mich besonders über die Ausführungen
gefreut, die Herr Kollege Dr esbach hier zu
Das scheint mir Aufgabe des Bundes zu sein. Die diesem Thema gemacht hat. Sie waren nicht nur
gerade jetzt anstehenden Beratungen zur Finanz- von einer sehr gründlichen Kenntnis der Materie
verfassung bieten eine willkommene Gelegenheit getragen, sondern zweifellos auch von der gebote-
dazu, ja sie bieten sich geradezu an, dieses Pro- nen Ehrlichkeit und der notwendigen Bereitschaft,
blem mit zu lösen. das Problem zu lösen. Nun, so sehr ich die Ehr-
Ich möchte deswegen noch einmal ganz kurz die lichkeit des Kollegen Dresbach anerkenne, so viel
besonderen Anliegen der kommunalen Selbstver- lieber wäre es mir aber gewesen, er hätte diese
waltung aufzeigen. Da ist zunächst einmal die Ausführungen mit der Vorbemerkung machen
Sicherstellung, daß die Realsteuern den Gemein- können, daß er hier die Auffassung seiner Frak-
den kraft Gesetzes verbleiben. Sie werden nun tion verträte. Dann hätten sie zweifellos etwas
sagen, daß das bisherige Übung ist und sich daran mehr Nachdruck gehabt.
kaum etwas ändern wird. Wir sind jedoch nicht Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht
ganz der Meinung, daß hier keine Gefahren für auch an die Ausführungen erinnern, die der Herr
die kommunale Selbstverwaltung drohen, insbe- Bundesinnenminister in der Sitzung des
sondere nicht, nachdem bei den Beratungen im Kommunalpolitischen Ausschusses am 9. Februar
Bundesrat der Herr Staatssekretär Dr. Ringel- dieses Jahres zu diesem Thema gemacht hat. Wenn
mann von der Möglichkeit gesprochen hat, die wir trotzdem skeptisch sind, dann ist das aus der
Realsteuern auch für den Bedarf der Länder mit bisherigen Praxis zu erklären, die sich doch dadurch
in Anspruch zu nehmen. auswies, daß alles das, was von der Mehrheit die-
(Hört! Hört! bei der SPD.) ses Hauses zu diesen Belangen der kommunalen
Das ist ein Alarmzeichen für die kommunale Selbstverwaltung gesagt wurde, eben nur Worte
Selbstverwaltung und für uns jedenfalls Anlaß, geblieben sind,
unsere Forderung hier noch .einmal mit allem (Sehr gut! bei der SPD)
Nachdruck zu unterstreichen. denen man die Taten nicht hat folgen lassen. Mir
Da ist zum zweiten und zweifellos am wich- scheint es dringend notwendig zu sein, über den
tigsten die Sicherstellung bei den Beratungen über Status leerer Deklamationen endlich einmal
Art. 106 des Grundgesetzes, daß Aufgaben, die den hinauszukommen und in den Status der Verwirk-
Gemeinden durch gesetzgeberische oder verwal- lichung einzutreten. Ich hoffe, daß die neue Zu-
tungsmäßige Maßnahmen der Bundesregierung sammensetzung des Bundestages und insbesondere
auferlegt werden, auch von denen finanziert wer- der Mehrheit dieses Bundestags hier etwas kom-
den, die diese Auflagen machen. Es ist unmöglich, munalfreundlicher eingestellt ist, als es in der Ver-
den Gemeinden weiterhin zuzumuten, daß sie von gangenheit der Fall war, und wir vielleicht auch
ihrer schmalen Finanzdecke auch noch die Auf- endlich einmal dazu kommen, die Probleme zu
gaben des Bundes oder der Länder mit finanzieren. lösen.
Dann ist ein Weiteres zu nennen: eine echte Be- Es ist selbstverständlich, daß hier Verfassungs-
teiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände änderungen notwendig sind. Aber ich glaube,
am Aufkommen der gemeinschaftlichen Steuern, man kann doch wohl mit Recht die Auffassung
und zwar mit einem bestimmten Prozentsatz. vertreten, daß, wenn man die Notwendigkeit
Es ist in diesem Zusammenhang sehr oft davon anerkannte, auf außenpolitischem Gebiet Ver-
fassungsänderungen vorzunehmen, und auch die
gesprochen worden, daß die kommunale Personal- entsprechenden Konsequenzen gezogen hat, man
steuer wieder eingeführt werden sollte. Das ist
auch den Mut haben sollte, zur innerstaatlichen
natürlich ein etwas heißes Eisen, wenn man von Befriedung die Verfassungsänderungen durchzu-
vornherein den Gemeinden die Verantwortung führen, die nun einmal notwendig sind.
dafür zuschiebt, in welcher Höhe sie ihre Bürger
mit einer zusätzlichen Steuer belastet. Wir haben Ich will mich mit diesen kurzen Ausführungen
ja alle noch die Erfahrungen aus der Zeit der begnügen. Ich möchte nur noch einmal an das
Bürgersteuer in Erinnerung. Kernproblem erinnern, das sich ja letztlich dadurch
ausweist, daß wir, wenn wir die kommunale
Aber weil ich gerade von der Bürgersteuer Selbstverwaltung in dieser Bundesrepublik nicht
spreche, meine Damen und Herren, möchte ich in Ordnung bringen und nicht in Ordnung halten,
folgendes sagen. Mir scheint, das wäre eine uns sehr sehr schwer damit tun werden, die
Lösung, daß man die Bürgersteuer, die jetzt in die Demokratie in Deutschland überhaupt zu festigen.
Einkommensteuer eingebaut ist, wieder aus-
klammert und den Gemeinden zuweist. Zweifellos (Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts.)
wäre damit dieses Problem gelöst. Wir stünden
dann nicht vor der Notwendigkeit, eine neue Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Steuer einzuführen. Im Prinzip werden wir trotz Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Es liegen
aller Notwendigkeiten, die von uns in der Frage der keine Wortmeldungen mehr vor. Ich kann damit
Sicherstellung des Finanzbedarfs vom kommu- die Aussprache schließen.
nalen Standpunkt aus anerkannt werden, niemals Es ist beantragt, die Gesetzentwürfe der Tages-
bereit sein, zu diesem Zwecke eine erneute Steuer, ordnungspunkte 1 bis 6 sämtlich an den Aus-
die gleichzeitig eine neue Steuerbelastung für den schuß für Finanz- und Steuerfragen als feder-
einzelnen ausmacht, anzuerkennen oder ihr zuzu- führenden Ausschuß sowie sämtlich an den Aus-
stimmen. schuß für Kommunalpolitik zur Mitberatung zu
Es ist nicht Aufgabe der ersten Lesung von überweisen. Außerdem soll der Gesetzentwurf zu
Gesetzentwürfen, auf die Einzelheiten, die hier Punkt 3 über das Notopfer Berlin zur Mitbera-
als Lösungsmöglichkeiten anstehen oder erarbeitet tung an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und
werden sollten, einzugehen. Im übrigen ist dieses Berliner Fragen überwiesen werden sowie die Ge-
1372 2. Deutscher Bundestag — 29. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Mai 1954
(Vizepräsident Dr. Jaeger)
setzentwürfe zu den Punkten 2 bis 6, also die Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Steuerreform, zur Mitberatung an den Ausschuß Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
für Wirtschaftspolitik. Widerspruch erfolgt nicht. über Preise für Getreide inländischer Er-
Es ist so beschlossen. zeugung für das Getreidewirtschaftsjahr
(Abg. Scharnberg: Geld und Kredit 1954/55 sowie über besondere Maßnahmen
bitte auch!) in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft
(Getreidepreisgesetz 1954/55) (Drucksache 524).
— Welche Punkte bitte? Es ist bisher nicht bean-
tragt worden! Auf die Begründung wird verzichtet; eine Aus-
sprache ist nicht gewünscht. Beantragt ist die
(Abg. Scharnberg: Die Punkte 2 bis 6 an Überweisung an den Ausschuß für Ernährung,
den Ausschuß für Wirtschaftspolitik und Landwirtschaft und Forsten. — Widerspruch er-
an den Ausschuß für Geld und Kredit!) folgt nicht; es ist so beschlossen.
— Es ist beantragt worden, die Beratungsgegen- Ich rufe auf Punkt 8:
stände der Punkte 2 bis 6 auch an den Ausschuß
für Geld und Kredit zur Mitberatung zu über- Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
weisen. Erhebt sich Widerspruch? — Herr schusses für Angelegenheiten der inneren
Dr. Wellhausen! Verwaltung (8. Ausschuß) über den An-
trag der Fraktion der SPD betreffend Ver-
einfachung der Grenzformalitäten für Rei-
Dr. Wellhausen (FDP): Meine Damen und Herren! sende (Drucksachen 499, 198).
Es erhebt sich kein Widerspruch, aber ich möchte Berichterstatter ist Abgeordneter Maier (Frei-
Ihnen von einer Absprache Kenntnis geben, die burg).
ich mit Herrn Scharnberg getroffen habe, dahin-
gehend, daß ich mir vom Ausschuß für Finanz- Die Fraktion der CDU/CSU stellt den Antrag
und Steuerfragen aus erlauben werde, nicht bloß auf Rückverweisung an den Ausschuß für Angele-
den Ausschuß für Geld und Kredit, sondern, um genheiten der inneren Verwaltung und zur Mit-
ein Beispiel zu nennen, auch den Ausschuß für beratung an den Ausschuß für auswärtige Ange-
Wiederaufbau und Wohnungswesen zu den Bera- legenheiten. Soll der Antrag begründet werden,
tungen hinzuzuziehen. Herr Scharnberg war so oder ist es nicht notwendig? — Es ist nicht not-
freundlich, sein Vertrauen darauf dadurch zum wendig. Widerspruch erfolgt nicht; dann ist die
Ausdruck zu bringen, daß er auf einer Zuweisung Rückverweisung beschlossen.
an seinen Ausschuß nicht bestand. Meine Damen und Herren, ich darf noch einen
(Zuruf von der Mitte: Ausschuß für Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Der
Wirtschaftspolitik?) Ausschuß für Außenhandelsfragen läßt seine
Sitzung heute ausfallen, ebenso der Ausschuß für
— Das wissen Sie wahrscheinlich nicht! Über den Kulturpolitik. Auch die für morgen um 16 Uhr
Ausschuß für Wirtschaftspolitik haben wir nicht vorgesehene Sitzung des Ausschusses für Ange-
gesprochen; deswegen habe ich vorhin auch nichts legenheiten der inneren Verwaltung fällt aus; der
darüber gesagt. Das hat mich auch überrascht, — neue Termin wird rechtzeitig bekanntgegeben. Die
aber ich stelle anheim. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik
fällt heute ebenfalls aus.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste,
Scharnberg, halten Sie Ihren Antrag aufrecht oder die 30. Sitzung des Deutschen Bundestages auf
verzichten Sie? — Sie verzichten. Freitag, den 21. Mai, 9 Uhr, und schließe die heu-
tige Sitzung des Deutschen Bundestages.
Damit kann ich die Beratung der Punkte 1 bis 6
der Tagesordnung beenden. (Schluß der Sitzung: 17 Uhr 38 Minuten.)

Berichtigungen
zum Stenographischen Bericht der 25. Sitzung
In der Zusammenstellung der namentlichen Abstimmung ist zu lesen:
Abstimmung
1. 2.
Seite 1038 D Zeile 10 von unten: Frau Welter (Aachen) entschuld. entschuld.
Seite 1039 B Zeile 8: Frenzel krank krank
Seite 1040 B Zeile 7 von unten: Rademacher krank krank
Seite 1041 C Zeile 4 von unten: Hübner Ja Ja

Berichtigung
zum Stenographischen Bericht der 28. Sitzung
Seite 1207 A Zeile 14 ist nach Krammig statt „(SPD)" zu lesen: (CDU/CSU).

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