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2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20.

Oktober 1954 2463

Beratung des Antrags der Fraktion der SPD (C


betr. Errichtung eines Instituts für Ju-
gendfragen (Drucksache 883) 2465 C
Wienand (SPD), Antragsteller . . 2465 C
Frau Keilhack (CDU/CSU), Bericht-
erstatterin 2468 B
Dr. Seffrin (CDU/CSU) 2470 A
Herold (SPD) 2471 A
Kutschera (GB/BHE) 2473 A
Hübner (FDP) 2474 C
Pöhler (SPD) 2476 A
Kemmer (Bamberg) (CDU/CSU) . . 2477 D
Frau Schanzenbach (SPD) 2478 B
Josten (CDU/CSU) 2478 C
50. Sitzung Gedat (CDU/CSU)
Annahme des Antrags Drucksache 755
2479 B
2480 B
Überweisung des Antrags 883 an den Aus-
schuß für Jugendfragen und an den
Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954. Haushaltsausschuß 2480 B

Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes


Geschäftliche Mitteilungen 2464 B über das Abkommen vom 22: Juli 1954
Nachruf für den verstorbenen ehemaligen zwischen der Bundesrepublik Deutschland
Ministerpräsidenten von Schleswig-Hol- und den Vereinigten Staaten von Amerika
stein Lübke 2464 C zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
auf dem Gebiete der Steuern vom Ein-
Bechlußfassung des Bundesrats zum Gesetz kommen (Drucksache 894) 2480 C
über die Lastenausgleichsbank 2464 D Überweisung
- an den Ausschuß für Finanz
und Steuerfragen 2480 C
Mitteilung über Beantwortung der Kleinen
Anfragen 49, 56, 105 und 111 (Drucksachen Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten
416, 857; 500, 899; 801, 895; 826, 898) . . . 2464 D Gesetzes über die Altersgrenze von Rich-
tern an den oberen Bundesgerichten und
Mitteilung des Bundesministers der Finan- Mitgliedern des Bundesrechnungshofes
zen über die vollzogene Bestellung des (Drucksache 897) 2480 C
Erbbaurechts an reichseigenen Grund- Überweisung an den Ausschuß für Be-
stücken des ehemaligen Artilleriearsenals amtenrecht und an den Rechtsausschuß 2480 D
und des ehemaligen Scheibenhofs in Kiel-
Friedrichsort 2464 D
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des § 168
Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Dr. des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und
Kleindinst, Dr. Kihn, Klingelhöfer, Mor- Arbeitslosenversicherung (Drucksache 412);
genthaler, Dr. Maier (Stuttgart), Ehren . 2465 A Mündlicher Bericht des Ausschusses für
Arbeit (Drucksache 885; Umdrucke 192,
Erste Beratung des von der Fraktion der 193) 2480 D, 2495 B
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Aufhebung der Verord- Becker (Pirmasens) (CDU/CSU), Be
nung über Auskunftspflicht (Druck- richterstatter 2480 D
sache 861) 2465 B Frau Heise (SPD) . . 2481 B, 2483 D, 2485 B
Hoogen (CDU/CSU) 2465 B Sabel (CDU/CSU) 2482 A, B, 2483 B, 2484 C,
2485 B
Überweisung an den Ausschuß für Wirt- -
schaftspolitik und an den Ausschuß für Frau Finselberger (GB/BHE) . . . . 2483 A
Rechtswesen und Verfassungsrecht . . 2465 B Dr. Gille (GB/BHE) 2484 B
Abstimmungen 2485 A, B
Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betr. Beratung des Antrags der Fraktion der
Revision des GATT-Abkommens in bezug CDU/CSU betr. Maßnahmen zur Förde-
auf Filmfragen (Drucksache 889 [neu]) . 2465 C rung und Festigung von Vertriebenen-
Muckermann (CDU/CSU), Antragstel- betrieben und Flüchtlingsunternehmen
ler (Schriftliche Begründung) . . 2496 (Drucksache 838) 2485 D
Beschlußfassung 2465 C Dr. Götz (CDU/CSU), Antragsteller 2485 D,
2491 C
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus- Reitzner (SPD) 2488 A
schusses für Jugendfragen über den An- Dr. Kather (GB/BHE) . . . 2490 B, 2491 D
trag der Fraktion der CDU/CSU betr.
Bundesjugendplan (Drucksachen 755, 78) Dr. Preiß (FDP) 2493 D
in Verbindung Mit der Sabaß (CDU/CSU) 2495 A
2464 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954

Überweisung an die Ausschüsse für Hei- Meine Damen und Herren! Bevor wir in die
matvertriebene, für Finanz- und Steuer- Tagesordnung eintreten, habe ich eine traurige
fragen, für Geld und Kredit und für Pflicht zu erfüllen.
Wirtschaftspolitik 2495 C
(Die Abgeordneten erheben sich.)
Nächste Sitzung 2495 C Am 16. Oktober 1954 verschied im Alter von
67 Jahren nach schwerer Krankheit der ehemalige
Ministerpräsident des Bundeslandes Schleswig-
Holstein Friedrich Wilhelm Lübke.
Anlage 1: Änderungsantrag des Abg. Sabel
zum Entwurf eines Gesetzes zur Ände- Ministerpräsident Lübke wurde am 25. August
rung des § 168 des Gesetzes über Arbeits- 1887 in Enkhausen in Westfalen geboren. Schon
vermittlung und Arbeitslosenversicherung mit 14 Jahren ging er zur See und arbeitete sich
(Umdruck 192) 2495 B zäh bis zum Kapitän auf großer Fahrt herauf. Nach
dem ersten Weltkrieg, an dem er als U-Boot
Fahrer aktiv teilnahm, wurde Lübke getreu der
Anlage 2: Änderungsantrag der Fraktion Tradition seiner Familie Bauer auf dem Hof
der SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Augaard in Schleswig-Holstein. Schon damals
Änderung des § 168 des Gesetzes über Ar- widmete er sich der Siedlungspolitik, und seiner
beitsvermittlung und Arbeitslosenver- Initiative ist die Schaffung von einigen hundert
sicherung (Umdruck 193) 2495 B Neubauernhöfen zu verdanken.
Nach dem zweiten Weltkrieg, an dem er wieder
Anlage 3: Schriftliche Begründung des An- teilnahm, wurde Friedrich Wilhelm Lübke Mit-
trags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, begründer der CDU und Landrat in Flensburg-
FDP, GB/BHE, DP betr. Revision des Land. 1951 wurde er zum Landesvorsitzenden der
GATT-Abkommens in bezug auf Film- CDU und im gleichen Jahre zum Ministerpräsiden-
fragen (Drucksache 889 [neu]) 2496 ten des Landes Schleswig-Holstein gewählt. Am
10. Oktober 1954 trat er infolge seiner schweren
Krankheit zurück.
Der Verstorbene wurde am 4. März 1954 vom
Bundespräsidenten mit dem Großkreuz des Ver-
Die Sitzung wird um 14 Uhr 1 Minute durch den dienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland
Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet. ausgezeichnet.
In die Amtszeit Friedrich Wilhelm Lübkes als
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und Ministerpräsident fällt die entscheidende Verbesse-
Herren! Ich eröffne die Sitzung des Deutschen rung der Lebensbedingungen in Schleswig-Hol-
Bundestages und darf auf die Tatsache hinweisen, stein: die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Um
daß es sich um die 50. Sitzung des 2. Deutschen siedlung von Vertriebenen, die Durchführung des
Bundestages handelt. „Programm Nord", die Aktivierung der Neuland-
gewinnung und die Übergabe Helgolands.
Ich bitte den Schriftführer um Bekanntgabe der
Namen der entschuldigten Abgeordneten. Ich darf dem Deutschen Bundesrat und dem
Lande Schleswig-Holstein das Beileid des Hauses
Siebel, Schriftführer: Es suchen für längere Zeit aussprechen.
um Urlaub nach Abgeordneter Voß für zwei Wochen Ich danke Ihnen.
wegen Krankheit, Abgeordneter Dewald für zwei
Wochen und Abgeordneter Miller für zwei Wochen Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Ver-
wegen dienstlicher Inanspruchnahme. lesung in den Stenographischen Bericht aufge-
nommen:
Der Präsident hat Urlaub erteilt für drei Tage
den Abgeordneten Höfler, Altmaier, Erler, D. Dr. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 15. Oktober 1954
dem Gesetz über die Lastenausgleichsbank (Bank für Vertriebene
Gerstenmaier, Kiesinger, Knapp, Dr. Kopf, Lem- und Geschädigte) zugestimmt.
mer, Dr. Leverkuehn, Lücke, Neubauer, Oetzel, Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 12. Oktober 1954
Dr. Pohle (Düsseldorf), von Hassel, Euler, Hilbert, mitgeteilt, daß sich die Bundesregierung gezwungen gesehen
habe, dem vom 1. Deutschen Bundestag beschlossenen Zwei-
Wiedeck und Rademacher. ten Gesetz Ober Änderung und Ergänzung des Gesetzes über
- Viehzählungen wegen der Kostenvorschrift des § 7 a gemäß
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage Art. 113 des Grundgesetzes ihre Zustimmung zu versagen. Das
den Abgeordneten Geiger (München), Neumann, Schreiben wird als Drucksache 857 vervielfältigt und gilt zu-
gleich als Antwort auf die Kleine Anfrage 49 der Abgeord-
Dr. Rinke, Schmücker, Ziegler und Brockmann neten Lücke und Genossen — Drucksache 416.
(Rinkerode). Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 15. Ok-
tober 1954 die Kleine Anfrage 56 der Abgeordneten Etzenbach
Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag und Genossen betreffend finanzielle Lage der Krankenhäuser —
den Abgeordneten Giencke, Dr. Gleissner (Mün- Drucksache 500 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Druck-
sache 899 vervielfältigt.
chen), Glüsing, Häussler, Kunze (Bethel), Leib- Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 14. Ok-
fried, Lulay, Dr. von Merkatz, Schmitt (Vocken- tober 1954 die Kleine Anfrage 105 der Fraktion der DP betref-
hausen), Schwarz, Struve, Frau Dr. h. c. Weber fend zusätzliche Einstellung von arbeitslosen älteren Angestell-
ten — Drucksache 801 — beantwortet. Sein Schreiben wird als
(Aachen), Dr. Werber, Keuning, Hilbert, D. Dr. Eh- Drucksache 895 vervielfältigt.
lers, Gockeln, Dr. Reif, Massoth, Engelbrecht- Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 18. Ok-
Greve und Dr. Greve. tober 1954 die Kleine Anfrage 111 der Fraktion der FDP be-
treffend Regelung der sozialen Fragen für die in der Montan
Gemeinschaft beschäftigten Arbeitnehmer — Drucksache 826 —
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich darf unterstellen, beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 898 verviel-
fältigt.
daß das Haus mit der Erteilung des Urlaubs über Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 16. Ok-
eine Woche hinaus einverstanden ist. tober 1954 gemäß § 45 RHO in Verbindung mit § 57 und §§ 3
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2465
(Vizepräsident Dr. Jaeger)
und 5 der Anlage 3 RWB die vollzogene Bestellung des Erbbau Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
rechts an reichseigenen Grundstücken des ehemaligen Artillerie-
Arsenals und des ehemaligen Scheibenhofs in Kiel-Friedrichsort Beratung des Antrags der Fraktionen der
nachträglich mitgeteilt. Sein Schreiben liegt im Archiv zur Ein-
sichtnahme aus. CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betref-
fend Revision des GATT-Abkommens in be-
Meine Damen und Herren! Am heutigen Tage zug auf Filmfragen (Drucksache 889 [neu]).
feiern zwei Mitglieder des Hohen Hauses Geburts-
tag, und zwar der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst Die neugefaßte Drucksache ist im Hause verteilt.
den 73. Geburtstag Die Begründung soll schriftlich zum stenogra-
(Beifall) phischen Protokoll gegeben werden*). Eine Aus-
sprache wird nicht gewünscht. Ich bitte diejenigen
und der Herr Abgeordnete Dr. Kihn den 67. Ge- Damen und Herren, die dem Antrag zuzustimmen
burtstag. wünschen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um
(Beifall.) die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig
Ich darf den beiden Kollegen, die in diesem hohen angenommen.
Alter so Wesentliches zur Arbeit unseres Hauses
beitragen, unsere besonderen Glückwünsche aus- Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
sprechen. a) Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
Dieselben Glückwünsche darf ich aussprechen schusses für Jugendfragen (15. Ausschuß)
dem Herrn Abgeordneten Klingelhöfer, der am über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU
16. Oktober den 66. Geburtstag gefeiert hat, betreffend Bundesjugendplan (Drucksachen
755, 78);
(Beifall)
b) Beratung des Antrags der, Fraktion der SPD
dem Herrn Abgeordneten Morgenthaler, der am betreffend Errichtung eines Instituts für
18. Oktober ebenfalls den 66. Geburtstag gefeiert Jugendfragen (Drucksache 883).
hat,
(Beifall) Ich darf Ihnen vorschlagen, zuerst die Bericht-
dem Herrn Abgeordneten Dr. Maier (Stuttgart), erstattung zu a), sodann die Begründung zu b)
der am 16. Oktober den 65. Geburtstag gefeiert hat, entgegenzunehmen und dann über a) und b) ge-
meinsam zu debattieren. — Sie sind damit einver-
(Beifall) standen. Als Berichterstatterin hat das Wort Frau
und dem Herrn Abgeordneten Ehren, der am Abgeordnete Keilhack.
17. Oktober den 60. Geburtstag gefeiert hat. (Zuruf: Ist noch nicht da!)
(Beifall.)
— Können wir inzwischen den Antrag unter Buch-
Nunmehr komme ich zur heutigen Tagesordnung stabe b) begründen? — Wer wünscht das für die
und rufe Punkt 1 auf: Fraktion der SPD zu tun? — Herr Abgeordneter
Wienand!
Erste Beratung des von der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge- Wienand (SPD), Antragsteller: Herr Präsident!
setzes über die Aufhebung der Verordnung Meine Damen und Herren! In Drucksache 883 be-
über Auskunftspflicht (Drucksache 861). antragt meine Fraktion die Errichtung eines Insti-
Auf Begründung und Debatte wird verzichtet. tuts für Jugendfragen. Das Institut soll durch
Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß eigene Forschung und durch Erteilung von For-
für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß schungsaufträgen an Universitäten und wissen-
und an den Ausschuß für Rechtswesen und Ver- schaftliche Einrichtungen eine systematische Zu-
fassungsrecht zur Mitberatung zu überweisen. sammenfassung und Auswertung der Erkenntnisse
über die Situation und die Haltung der jungen Ge-
(Widerspruch.) neration erarbeiten. Im weitesten Sinne des Wortes
— Bitte, Herr Abgeordneter Hoogen! bedeutet Forschung jedoch die höchste Form des
Erkenntnisstrebens. Durch sie wurden und werden
Hoogen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- Voraussetzungen geschaffen für die Entwicklung
men und Herren! Ich bitte, die Vorlage dem Aus- kompliziertester Formen menschlicher Lebenstech-
schuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als nik innerhalb der Gesellschaft. Bei den Naturwissen-
federführendem Ausschuß und dem Ausschuß für schaften und der Technik hat man dieses seit lan-
Wirtschaftspolitik zur Mitberatung zu überweisen. gem erkannt, wenn es auch zur Zeit nicht entspre-
- chend honoriert wird. Die gleichen Erkenntnisse
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und sind jedoch leider noch nicht bei den Geisteswissen-
Herren! Im Ältestenrat war meines Wissens eine schaften und bei den Sozialwissenschaften in die-
andere Vereinbarung erfolgt; ihr entsprach mein sem Maße verbreitet. An eine entsprechende Ho-
Vorschlag für die Überweisung. Aber der Antrag norierung auf diesem Gebiet wird demnach leider
wird aufrechterhalten? noch weniger gedacht. Die Auswirkungen der stän-
(Zustimmung.) digen Komplizierung des Gesellschaftsaufbaues auf
den Reifeprozeß der jungen Menschen und auf seine
Das Hohe Haus ist sich darüber einig, daß der Fähigkeit zur Mitwirkung im gesellschaftlichen
Antrag beiden Ausschüssen überwiesen werden Geschehen erfordern jedoch eine größere Berück-
soll; das darf ich als erstes feststellen. Es fragt sich sichtigung dieser Disziplinen.
nur, welcher Ausschuß federführend sein soll. Ich
bitte diejenigen, die gemäß der Vereinbarung des Gewöhnlich übertrumpfen totalitäre Staaten und
Ältestenrats dafür sind, daß federführend der Aus- totalitäre Regime, die wir ablehnen, demokratische
schuß für Wirtschaftspolitik sein soll, die Hand zu Staaten im Hinblick auf die Intensität und den
heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das Umfang ihrer Jugendbetreuungs- und Jugendför-
erste war die Mehrheit; federführend ist der Aus-
schuß für Wirtschaftspolitik. *) Siehe Anlage 3.
2466 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Wienand)
derungsmaßnahmen. Wir wissen um die getarnten in Verbindung mit der Forschungsgemeinschaft
Absichten und den eigentlichen Zweck solcher Be- selbst durchgeführt wurde. Diese Untersuchung der
strebungen. Das Resultat ist in allen Fällen eine Landjugend räumte schon, obwohl sie nur im Be-
Staatsjugend, die in einem demokratischen Staat reich der organisierten Landjugend durchgeführt
nie als Ziel irgendwelcher Maßnahmen angestrebt werden konnte, mit sehr vielen vorgefaßten Mei-
werden kann und darf. Um so mehr hat aber der nungen und Vorurteilen auf. Wenn man sich an-
demokratische Staat die Aufgabe, sich mit diesen sieht, wie die 30 Millionen des Bundesjugendplanes
Gegebenheiten zu beschäftigen, und dies in beson- verplant und angesetzt werden, so stellt sich einem
derem Maße nach solchen turbulenten Zeiten, wie zwingend die Frage, ob die Möglichkeiten einer Er-
sie hinter uns liegen. Diese Zeiten brachten gesund- folgskontrolle im Hinblick auf diese 30 Millionen
heitliche Mängel der meisten Jugendlichen mit sich. bei uns vorhanden sind und ob man die Absicht
Die ärztliche Wissenschaft ist bis heute noch nicht hat, diese Möglichkeiten einer Erfolgskontrolle
mit der sehr zahlreich beobachteten Wachstums- auch entsprechend anzuwenden. Damit soll nicht
überstürzung und den sich daraus ergebenden Fol- gesagt sein, daß die Mittel des Bundesjugendplans
gen fertig geworden. Wir stellen bei sehr vielen unnütz vertan worden sind, jedoch müßte einmal
Jugendlichen eine biologische Reife fest und ver- die Frage überprüft werden, ob man nicht bei Vor-
missen die entsprechende geistig-seelische Reife. lage der von uns gewünschten Forschungsergeb-
Allein diese Tatsache erfordert schon Untersuchun- nisse Mittel plan- und sinnvoller an Schwerpunk-
gen des geistigen und psychologischen Standes und ten hätte einsetzen und somit einen größeren
der geistigen und psychologischen Situation der Nutzeffekt erzielen können. In sehr vielen Gesprä-
Jugend von heute. chen mit verantwortlichen Führern und Persönlich-
Lägen solche Ergebnisse vor, so ware die Dis- keiten der Jugendverbände wird klar, daß sie die-
kussion um die anstehende Jugendgesetzgebung sen Wunsch haben und es begrüßen würden, wenn
auf einem besseren Niveau zu führen, als es heute von dieser Seite eine entsprechende Hilfestellung
teilweise der Fall ist. Vor allem hätte man dann geboten würde. Einige Landesjugendpläne haben
durch die verschiedensten Untersuchungen in den sich ebenfalls bereits mit diesem Gedanken beschäf-
letzten Monaten aufgedeckte Mißstände und Ver- tigt und Mittel vorgesehen, um diese Forschungs-
stöße gegen den Jugendarbeitsschutz und den all- aufgaben, die wir durch das Institut für Bundes-
gemeinen Jugendschutz früher erkannt und für jugendfragen vom Bund aus geregelt sehen möch-
Abhilfe sorgen können. Untersuchungen auf die- ten, nunmehr in eigener Regie durchzuführen.
sem Gebiet würden die Auswirkungen der Technik In diesem Zusammenhang sollte auch noch er-
und der technisierten Arbeitsform auf den jungen wähnt werden, daß der geschäftsführende Aus-
Menschen deutlich machen und vor allem die damit schuß des Bundesjugendrings die Errichtung eines
verbundene körperliche Beanspruchung des jungen solchen zentralen Bundesjugendinstituts begrüßt
Menschen besser berücksichtigen können. Konse- hat. Ich hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, an
quenzen sind leichter zu ziehen, wenn entsprechend der vorbereitenden Arbeitstagung für die Errich-
objektiv fundierte Gutachten und Untersuchungs- tung des UNESCO-Jugendinstituts teilzunehmen.
ergebnisse vorliegen. Die dort von den Teilnehmern der meisten demo-
kratischen Staaten der Welt vorgebrachten Be-
Was bisher nur skizzenhaft angedeutet werden gründungen waren so reichhaltig und geben zu so
konnte, ist in den deutschen Jugendverbänden vielem Nachdenken Anlaß, daß man sich wirklich
schon seit langem erkannt worden. Es fehlen ihnen einmal mit ihrem Für und Wider beschäftigen
jedoch zur Fortführung ihrer Arbeit die objektiven, sollte.
wissenschaftlich fundierten Unterlagen, die das
von uns beantragte Institut erarbeiten soll. In die- Mittlerweile hat nun dieses UNESCO-Jugend
sem Zusammenhang muß einmal ausgesprochen institut seine Arbeit aufgenommen. Aus einer Kor-
werden, mit wieviel Idealismus und Opferbereit- respondenz, die ich vor kurzer Zeit mit dem Direktor
schaft innerhalb der Jugendverbände die jungen dieses Instituts hatte, ist zu entnehmen, daß man
Menschen bisher selbst ohne jeglichen Ansporn bereits in der kurzen Zeit eine große Summe von
von außen her gearbeitet haben Erfahrungen gesammelt hat, die gewiß zu der Hoff-
nung berechtigen, daß Institute auf nationaler
(Sehr gut! bei der SPD) Ebene, die korrespondierenden Charakter zu die-
und mit wieviel Liebe und Hilfsbereitschaft junge sem UNESCO-Institut haben, für das UNESCO-
Menschen, sowohl Jungen als auch Mädel, sich die- Institut eine gewisse Hilfestellung bedeuten könn-
sen Aufgaben gewidmet haben und aus ihrer Ar- ten. In Frankreich hat man bereits die entsprechen-
beit heraus immer wieder die Frage nach gewissen
- den Konsequenzen gezogen. Dort ist vor kurzer
Hilfsmitteln nunmehr an uns und damit auch an Zeit ein Studienbüro eingerichtet worden, welches
diesen Staat stellen. einmal den Zweck hat, objektive wissenschaftliche
(Beifall bei der SPD.) Untersuchungsaufgaben für den Bereich der Ju-
gend durchzuführen — genau so wie wir es für ein
Gewiß hat der seit fünf Jahren bestehende Bun- zentrales Jugendinstitut wünschen —, und zum
desjugendplan und haben die Landesjugendpläne anderen auch den ganz konkreten Zweck, als
hier und da Abhilfe schaffen können. Jeder, der korrespondierendes Institut das UNESCO-Jugend
sich die Mittelaufteilung des nunmehr in der Pla- institut zu unterstützen. Das Institut sollte weiter
nung vorliegenden 6. Bundesjugendplanes ansieht, objektiv und unabhängig die Herausarbeitung
erkennt die Vielgestaltigkeit und die Wichtigkeit sinnvoller praktischer Möglichkeiten der staats-
dessen, was getan werden muß und was getan bürgerlichen Erziehung übernehmen. Probleme der
worden ist. Trotzdem dauerte es immerhin fünf internationalen Erziehung und der Vorbereitung
Jahre, bevor man im 6. Bundesjugendplan einen auf ein Leben in überstaatlichen Zusammenschlüs-
eigenen Landjugendplan für die Landjugend auf- sen sollten ebenfalls mit zur Aufgabe dieses Insti-
stellte. Den Anstoß für die Aufstellung dieses tuts gehören und könnten wiederum in enger Zu-
Landjugendplanes mußte aber immerhin eine Un- sammenarbeit mit dem vorhin erwähnten UNESCO-
tersuchungsreihe geben, die von der Landjugend Jugendinstitut gelöst werden.
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2467
(Wienand)
Es ließe sich ein ganzer Katalog von Problemen, einfach schuldig, da diese Arbeit von unschätz
die unbedingt ihrer Lösung harren, aufzählen, so barem Wert für unser gesamtes deutsches Volk
z. B. eine von jeder Dogmatik freie Untersuchung ist, im Hinblick auf die Wiedervereinigung die
der Wirkung von Film, Funk, Fernsehen, Presse nötige Unterstützung, soweit das in unserer Macht
und Literatur auf den jungen Menschen, die Über- liegt und mit unseren Mitteln möglich ist, zu geben.
prüfung der Möglichkeiten zur Einhaltung der Wir müßten auch — das sei in diesem Zusammen-
Jugend-Arbeitsschutz-Gesetzgebung und entspre- hang gesagt — den Mut aufbringen, objektiv, fern
chende Vorbereitungen für die Schaffung eines jeder Parteipolitik, nur der Wahrheit dienend, das
modernen, den heutigen Bedürfnissen angepaßten herauszustellen, was in der Sowjetzone vielleicht
Berufsausbildungsgesetzes. Die sehr guten, vom besser ist als bei- uns. Die Wahrheit ist ein wesent-
DGB herausgegebenen und von der Sozialwissen- licher, nicht zu unterschätzender Faktor in der
schaftlichen Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung Demokratie. Entsprechende Arbeiten auf diesem
von Jugendfragen durchgeführten Untersuchungen Gebiet würden uns gewisse Erleichterungen ver-
über die Arbeitslosigkeit und die Berufsnot der schaffen und würden einzelne von uns nicht in die
Jugend bedürfen einer weitergehenden Interpretie- Situation gebracht haben, von den Jugendlichen
rung und einer Fortsetzung. Dann würde nach aus der sowjetisch besetzten Zone mit Tatsachen
meiner Überzeugung in absehbarer Zeit nicht mehr konfrontiert zu werden, was sich nur zu unserem
von einer Berufsnot der Jugend gesprochen wer- eigenen Nachteil ausgewirkt hat. Wenn entspre-
den, sondern nur von einem jetzt akut werdenden chende Arbeiten auf diesem Gebiet vorliegen, wird
Facharbeitermangel in der deutschen Industrie. deutlich werden, daß die Bundesrepublik noch we-
In diesem Zusammenhang ist noch die Frage auf- sentliche Anstrengungen unternehmen muß, um
zuwerfen, ob für die Berufsfindung der jungen gegenüber der Jugend attraktiver zu erscheinen
Menschen nicht mehr getan werden könnte, vor und ein wesentliches Plus gegenüber den anderen
allen Dingen für eine Verbreiterung der Berufs- herausstellen zu können.
ausbildungs- und der Berufsfindungsmöglichkeiten (Beifall bei der SPD.)
für junge Mädchen in der Bundesrepublik. Wir sollten in diesem Zusammenhang einmal
Gerade heute ist es nötiger denn je, zu einer ansprechen, was — wenn auch aus den vorhin
systematischen Jugendarbeit zu kommen. Eine angedeuteten getarnten und zweckbetonten Grün-
systematische Jugendarbeit ist jedoch ohne eine den — in der Ostzone besser geregelt ist als bei
entsprechende Grundlagenforschung undenkbar. uns. In -diesem Zusammenhang wird immer wieder
Das, was zur Zeit an Untersuchungen von ein- die Frage der Schulgeldfreiheit aufgeworfen. Man
zelnen Meinungsforschungsinstituten vorliegt, komme mir jetzt nicht mit irgendwelchen Beden-
reicht bei weitem nicht aus und läßt nur wenige ken, die im Grundgesetz liegen mögen; denn den
Rückschlüsse auf die derzeitige Situation und die Jugendlichen ist es ja in letzter Konsequenz gleich-
Einstellung der Jugend zu. Besonders in letzter gültig,
Zeit zeigt sich, daß sehr viele Probleme der Jugend- (Abg. Frau Niggemeyer: Was hat das mit
politik, Maßnahmen zur Überwindung der Jugend- dem Bundesjugendplan zu tun?)
not, vor allem in den Zonengrenzgebieten, und wie dieses Grundgesetz beschaffen ist, wenn sie
Fragen der Jugendgesetzgebung entschieden wer- nur diese Vorteile bekommen, die ihnen anderswo
den, ohne daß -die Entscheidungen auf Grund um- geboten werden. Man sollte dann wohl auch einmal
fassender und sachgerechter Ermittlungen über die — und hierüber sollten vor allen Dingen diejeni-
tatsächlich vorhandene Ausgangsituation erfolgen. gen ein sehr deutliches Wort 'sprechen, die die
Ja, man kann sagen, daß heute auf dem Jugend- Probleme kennen — über das gesamte deutsche
sektor nach den Vorstellungen, die ihren Ursprung Schulproblem, nicht allein im Hinblick auf die Ver-
in den zwanziger Jahren haben, gearbeitet wird. fassung, sondern von der Notsituation der Jugend
Dies läßt sich seit rund 30 Jahren in Deutschland ausgehend, ein sehr deutliches Wort sagen.
verfolgen. Nur so läßt sich damit auch das nur als
unbeholfen zu bezeichnende Verhalten der maß- Zu den Ausbildungsmöglichkeiten habe ich schon
gebenden deutschen Stellen bei der Behandlung vorhin einiges gesagt. Aber es erscheint noch er-
des Fremdenlegionär-Problems beurteilen und er- wähnenswert, daß bei uns sehr viel zu tun übrig-
klären. bleibt zur Fundierung und auch zur Schaffung der
Voraussetzungen der jungen Ehen, nicht zuletzt im
Besonders deutlich wurde diese Tatsache jedoch Hinblick darauf, daß auch die jungen Mädchen, die
bestätigt durch die Beobachtung des zweiten soge- morgen in den Ehestand eintreten sollen, eine ent-
nannten Deutschlandtreffens der FDJ in Berlin. sprechende Vorbereitung auf ihre Haushaltspflich-
Hier zeigte es sich, daß die Vertreter der -Bundes- ten, die es zu übernehmen gilt, bekommen sollten.
republik teilweise mit völlig falschen Erwartungen (Zustimmung bei der SPD.)
und Vorstellungen in die Gespräche der Jugend-
lichen aus der sowjetisch besetzten Zone einstiegen. Wir sollten auch immer wieder vom Arbeitsschutz,
Eine vorherige objektive Untersuchung der Situa- von der Berufsausbildung und von der staatsbür
tion durch eine parteipolitisch unabhängige Stelle gerlichen Erziehung der deutschen Jugend reden.
hätte für die Vertreter der Bundesrepublik eine Wenn wir diese.Dinge ansprechen, so ist im glei-
wesentlich bessere Ausgangssituation geschaffen. chen Atemzug auch die Lage der akademischen
(Sehr gut! bei der SPD.) Jugend in der Bundesrepublik angesprochen. Ich
selbst habe rund 10 Semester als Werkstudent stu-
Hiermit ist eine wesentliche Aufgabe angespro- diert und weiß, wie es um -die Situation derjenigen
chen, die das Institut zu erfüllen hat. Wie allge- bestellt ist, die sich als Werkstudenten durch ihr
mein bekannt sein dürfte, haben sich die deutschen Studium hungern müssen. Auch hier sind sehr
Jugendverbände der dankenswerten, aber sehr dankenswerte Aufgaben zu erfüllen, und ihre Er-
schweren Aufgabe unterzogen, nunmehr in gemein- füllung würde in letzter Konsequenz der gesamten
same Gespräche mit den Jugendlichen der sowje- Gesellschaft und damit dem gesamten Volke zu-
tisch besetzten Zone einzutreten. Wir sind es ihnen gute kommen.
2468 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Wienand)
Aus all diesen Gründen und weil wir wünschen, zu Punkt 3: die Methoden und den Zeitplan der
daß in der Zukunft die vorhandenen Mittel effekt- Mittelverwendung, die sehr oft die Kritik der
voller und zweckmäßiger eingesetzt werden, bean- unterstützten Organisationen und Einrichtungen
tragt meine Fraktion die Errichtung dieses Jugend- fanden, so zu gestalten, daß der vom Bundestag
instituts. Wir sollten nicht immer so lange mit beabsichtigte Effekt für die Jugendarbeit des Bun-
einem entscheidenden Schritt auf eine bessere des auch tatsächlich erreicht wird.
Situation der Jugend warten, wie es im vergan-
genen Jahrhundert geschehen ist, wo der Anstoß Vor dem eigentlichen Beginn der Ausschußbera-
zur Jugendgesetzgebung und zu Schutzmaßnahmen tungen wurden Vertreter der freien und öffent-
für die Jugend erst gegeben wurde, als der Staat lichen Jugendwohlfahrt zu den im Antrag ange-
seine Rekrutierungen gefährdet sah. sprochenen Problemen gehört. Es ergab sich eine
weitgehende Übereinstimmung mit den Auffassun-
(Beifall bei der SPD.) gen des Ausschusses. Der Bundesjugendplan wurde
Wenn man auch gewisse Parallelen zur heutigen anerkannt als eine wesentliche Maßnahme zur För-
Zeit ziehen kann, sollte man doch ganz klar er- derung der gesamten Jugendarbeit in der Bundes-
kennen, daß im Vordergrund der Mensch und nicht republik.
die Rekrutierung oder allein die Belange der Wirt-
schaft, die damals in der Wirtschaftsordnung und Im Verlaufe der dann einsetzenden Ausschuß-
in der Wirtschaftsverfassung immer wieder in den beratungen wurde u. a. eine grundlegende Ände-
Vordergrund gestellt wurden, im Vordergrund zu rung der bisherigen Bearbeitung der Jugendfragen
stehen haben. — insbesondere der Angelegenheiten, die sich aus
der Förderung der Jugend durch den Bundes-
Ich möchte nicht, da sie allgemein bekannt sein jugendplan ergeben — zur Debatte gestellt. Es
dürfte, die denkwürdige Rede des englischen Ab- wurde vorgeschlagen, eine nichtrechtsfähige Bun-
geordneten Macauley zitieren, der sich gerade mit desinstitution zu errichten, die, ähnlich der Bundes-
diesem Problem beschäftigt. Unser Wunsch ist es, zentrale für Heimatdienst, die Aufgaben der
daß wir sehr schnell auf diesem Wege, wie wir ihn Jugendpolitik auf Bundesebene mit größerer Be-
angedeutet haben, im Hinblick auf die brennenden weglichkeit und Sichtbarkeit erfüllen könnte, als
Probleme, die es für die Jugend zu lösen gilt und es in einem Referat innerhalb des großen Bundes-
die die Jugend heute bereit ist, mit zu lösen, diese innenministeriums der Fall ist. Die Zuständigkeit
Arbeit aufnehmen. Man rede auch nicht immer und die Verantwortlichkeit des Ministers würde
davon, daß derjenige, der die Jugend besitzt, die durch eine solche Sondereinrichtung nicht be-
Zukunft hat. Es ist besser, daß man sehr nützlich rührt, denn sie wäre, genau wie die Bundeszentrale
in die Zukunft plant. Dann ist diese Planung für für Heimatdienst, als nichtrechtsfähige Körper-
die Jugend, und wer damit die Jugend bekommt, schaft der Verwaltung und dem Minister unter-
der hat die Zukunft von selbst. stellt. Mit einer „Bundeszentrale für Jugendfragen"
Wir beantragen deshalb von seiten der sozial- könnte die Jugendförderung durch den Bund die
demokratischen Fraktion die Überweisung der vor- Bedeutsamkeit in der Öffentlichkeit erhalten, die
liegenden Drucksache 883 an den Ausschuß für in Anbetracht der gesellschaftlichen und politischen c
Jugendfragen. Situation unserer Jugend absolut notwendig ist
(Beifall bei der SPD.) und die in Beantwortung der östlichen Einwir-
kungsversuche auf die dortige Jugend klar erweist,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort als Bericht- daß die Demokratie ihrer jungen Generation jede
erstatterin zum Mündlichen Bericht des Aus- Hilfe zu leisten gewillt ist.
schusses für Jugendfragen über den Antrag der
Fraktion 'der CDU/CSU betreffend Bundesjugend- Diese Einrichtungen sollten nicht nur die finan-
plan hat Frau Abgeordnete Keilhack. zielle Förderung der öffentlichen und freien Ju-
gendarbeit übernehmen, sondern durch Anregun-
Frau Keilhack (SPD), Berichterstatterin: Meine gen, Erfahrungsaustausch und Publikationen der
Herren und Damen! Da gerade über die Maßnah- Jugend auf breiter Ebene dienen. Sie sollte eine
men zur Förderung der Arbeit für unsere Jugend Wirksamkeit erhalten, wie sie z. B. auch die Ju-
auch hier im Hause manche Unklarheit und manche gendverbände wünschen, also eine Institution sein,
Unkenntnis besteht, gestatte ich mir, den Münd- die eine Mittlerstellung zwischen Behörden und
lichen Bericht über den Ihnen vorliegenden Antrag freier Arbeit einnimmt, und ein Koordinierungs-
der CDU/CSU auf Drucksache 78 etwas ausführ- organ für alle wichtigen Jugendfragen auf Bundes-
licher zu erstatten. Ich hoffe, daß er Ihr Interesse ebene. Kompetenzüberschreitungen im Verhältnis
findet. - zu den Ländern seien nicht zu befürchten, da die
Der Zweck des Antrags Drucksache 78 war laut Zuständigkeiten des Bundes im Grundgesetz klar
Begründung der Antragsteller festgelegt sind.
zu Punkt 1: bestehende Meinungsverschieden- Diese „Bundeszentrale für Jugendfragen" sollte,
heiten über eine wirksame jugendpolitische Arbeit so wurde vorgeschlagen, wie die Bundeszentrale
auf Bundesebene zu klären und in eingehender für Heimatdienst zwei beigeordnete Gremien ha-
Aussprache im Ausschuß für Jugendfragen (Nr. 15) ben, den Beirat, dem Fachkräfte der freien und
Vorschläge für eine eventuelle Neugliederung des
öffentlichen Jugendwohlfahrt und Ländervertreter
bisherigen Jugend- und Sportreferats im Bundes- angehören, und das Kuratorium, das aus Mitglie-
innenministerium zu erarbeiten;
dern des Bundestags besteht. Beide sollten im Zu-
zu Punkt 2: die vielfach laut gewordene Unzu- sammenwirken die fachlichen und haushaltsmäßi-
friedenheit im Parlamentsausschuß, in den Jugend- gen Vorarbeiten übernehmen und die zweckmäßige
organisationen, aber auch in der Öffentlichkeit Verwendung der Haushaltsmittel kontrollieren,
über die Form und die Wirksamkeit der beratenden wodurch die erwünschte Beteiligung des Parlaments
Einrichtungen für den Bundesjugendplan (Ak- sichergestellt wäre. Damit wäre auch eine befrie-
tionsausschuß und Kuratorium) durch den vor digende Lösung des Punktes 2 der vorgelegten
liegndAtraufzhmendbsitg; Drucksache erzielt worden.
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2469
(Frau Keilhack)
Gerade die mangelhaften Einflußmöglichkeiten ständigen „Gruppe" im Bundesinnenministerium
des Parlaments bzw. des Ausschusses für Jugend- zu verwirklichen sei und im Rahmen dieser Arbeits-
fragen bei der Aufteilung des hohen Haushalts- weise der Aktionsausschuß und das Kuratorium
postens von 30 Millionen DM für den Bundes- bereits umgebildet wurden.
jugendplan hatten seit Verkündung dieses Planes Die Mehrheit des Ausschusses schloß sich auch
die Kritik der Mitglieder des 15. Ausschusses her- dieser Auffassung an. Die Minderheit enthielt sich
vorgerufen. Ein solcher Einfluß konnte bisher auf bei Punkt 1 und 2 der Stimme, da sie nach wie
andere Weise nicht erreicht werden, denn eine an vor die Einrichtung einer „Bundeszentrale für Ju-
sich wünschenswerte stärkere Aufgliederung der gendfragen" befürwortete.
Einzelverwendung dieses großen Etatpostens im
Haushalt birgt wiederum die Gefahr in sich, daß Zum Punkt 3 beschloß der Ausschuß für Jugend-
im Laufe des Haushaltsjahrs eventuell auftretenden fragen einstimmig, die Bundesregierung zu er-
notwendigen Veränderungen in den Verwendungs- suchen, die Mittel aus dem Bundesjugendplan so
zwecken nicht mehr oder nur sehr umständlich ent- früh anzuweisen, daß sie von den Empfangsberech-
sprochen werden kann. tigten rechtzeitig verwendet werden können.
Durch zu späte Zusagen über die Höhe der be-
Der u. a. deswegen eingebrachte Vorschlag einer willigten Mittel und zu langsame Anweisung der
Neuorganisation der Bundesjugendarbeit wurde Zahlungen kamen die Verbände und Einrichtungen
nach Informationen durch leitende Beamte der zeitweise in außerordentliche Schwierigkeiten bei
Bundeszentrale für Heimatdienst (als das ange- der Durchführung ihrer Aufgaben. Bereits in die-
führte Vorbild) eingehend geprüft und besprochen. sem Haushaltsjahr ist jedoch eine wesentliche Ver-
Er fand volle Zustimmung bei den sozialdemokra- kürzung der Termine erreicht worden. Es wird an
tischen Mitgliedern des Ausschusses, wurde aber gestrebt, daß die Ubersicht über Art und Umfang
auch von Ausschußmitgliedern anderer Fraktionen der Förderungsmittel künftig bereits am Beginn
als gut und, mit einigen Abänderungen, als durch- des Kalenderjahres erfolgt.
führbar empfunden.
Auch die Methoden der Rechnungsprüfung durch
Nach Stellungnahme des Herrn Staatssekretärs den Bundesrechnungshof wurden in diesem Zu-
Bleek und leitender Beamten des Jugendreferats sammenhang eingehend mit Vertretern der geför-
im Bundesministerium des Innern glaubte die derten Organisationen durchgesprochen. In Ver-
Mehrheit des Ausschusses jedoch, daß zur Zeit handlungen mit dem Bundesrechnungshof wird zu
die Schwierigkeiten der Herauslösung der ange- erreichen versucht, daß die haushaltsrechtliche Ver-
führten jugendpolitischen Aufgaben aus der Ver- fahrensweise bei der Rechnungsprüfung den Be-
waltung des Ministeriums und die Zusammenfas- sonderheiten der geförderten Verbände angepaßt
sung in einer Sondereinrichtung zu groß seien. Die wird, damit diese einen für die Jugendarbeit uner-
Vorarbeiten für die Gesetzgebung, etatmäßige Vor- läßlichen Spielraum in der Verwendung der Mittel
bereitungen, Verhandlungen mit anderen Ministe behalten können. Trotzdem müssen jedoch auch die
rien und dem Haushaltsausschuß seien Ministerial unterstützten Einrichtungen und Verbände Wert
arbeiten, die auch im Ministerium verbleiben müßten, auf klare Rechnungsführung legen. Bei allen Be-
so daß eine neue Form etwa in der vorgeschlage- teiligten ergab sich volle Übereinstimmung in die-
nen Art nur als wünschenswerter Endzustand über sen Grundsätzen.
längere Zeit gesucht werden könne. Hinzu käme
die Gefahr, daß die bisherige ziemlich reibungslose Die im Antrag Drucksache 78 angesprochenen
Zusammenarbeit des Ministeriums mit den Ländern Probleme sollten besondere Hemmnisse in der
durch eine nicht direkt im Ministerium liegende Wirkung des jetzt geltenden Bundesjugendplanes
Stelle gestört würde. Die Mehrheit des 15. Aus- aus dem Wege räumen. Es bestand Übereinstim-
schusses befürwortete daraufhin einen Ausbau des mung, daß damit jedoch keine Fixierung des jetzi-
jetzigen Referates im Bundesinnenministerium zu gen Aufgabenbereichs des Bundesjugendplanes er-
einer Abteilung mit einem Ministerialdirigenten folgen sollte, sondern daß dieses Förderungswerk
als Leiter, der dem Staatssekretär direkt unter- für die Jugend in der Bundesrepublik den neu auf-
stellt ist. Hierdurch soll dann die Jugendarbeit im tretenden Notwendigkeiten gemäß dynamisch
Bundesinnenministerium das erwünschte größere weiterentwickelt werden muß, um die staatsbürger-
Gewicht nach innen und außen bekommen. liche Erziehung und die Unterstützung der Auf-
gaben von Jugendpflege und Jugendfürsorge so zu
Trotz anfänglicher Bedenken des Herrn Staats- gestalten, daß eine körperlich und geistig gesunde
sekretärs auch gegen diesen Vorschlag, erging aber Jugend mit einem ausgeprägten demokratischen
gegen Ende der Ausschußberatungen vom - BMI Staatsbewußtsein heranwächst.
eine schriftliche Zusage, daß die jetzt schon als
„Gruppe" zusammengelegten Referate für „Jugend Der Antrag des Ausschusses lautet:
und Sport" insofern weiter ausgebaut würden, als
die Gruppen„leitung" einem ausschließlich mit die- Der Bundestag wolle beschließen,
sem Aufgabengebiet betreuten Beamten des höhe- 1. die Bundesregierung zu ersuchen, die Mittel aus
ren Dienstes übertragen würde, der nach wie vor dem Bundesjugendplan so früh anzuweisen, daß
unmittelbar dem zuständigen Staatssekretär unter- sie von den Empfangsberechtigten rechtzeitig
stellt bliebe, wodurch die Gruppe de facto den ge- verwendet werden können,
wünschten Rang einer Abteilung erhalte.
2. Punkt 1 und 2 des Antrags für erledigt zu er-
Nach Unterstreichung. der Forderung auf baldige klären.
Verwirklichung der von Herrn Staatssekretär Bleek (Beifall.)
gegebenen Zusicherungen erklärten die Antrag-
steller den Punkt 1 ihres Antrages für erledigt. Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke der Frau
Berichterstatterin.
Der Punkt 2 wurde von der antragstellenden
Fraktion als dadurch erledigt angesehen, daß zur Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab-
Zeit keine andere Konzeption als die einer selb- geordnete Dr. Seffrin.
2470 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954

Dr. Seffrin (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine auf Errichtung eines Instituts für Jugendfragen an
Damen und Herren! Daß die Jugend in den Kreis den Jugendausschuß zur weiteren Behandlung und
der Überlegungen, der Sorgen und der gesetzgebe- Prüfung.
rischen Tätigkeit des Bundestages einbezogen ist,
mag der Jugend und uns allen ein Beweis dafür Es ist klar, daß dieser Antrag auf Errichtung
eines Instituts für Jugendfragen so etwas wie eine
sein, daß wir um ihren Wert und ihre Bedeutung
für unser Volk und unseren Staat wissen, ohne daß Vorgeschichte hat. Sie haben dem Bericht von Frau
wir die alten und auch neuen Fanfarenstöße vom Keilhack über die Verhandlungen im Jugendaus-
„Garanten der Zukunft" nachblasen oder in eifern- schuß schon entnommen, daß man sich dort über-
der Liebedienerei den Satz kolportieren: „Wer die legt hat, ob es bei der bisherigen organisatorischen
Jugend hat, hat die Zukunft." Für uns ist die Form der Arbeit für die Jugend in diesem Aus-
Jugend ein Teil des Volksganzen, der in den natür- schuß und vor allen Dingen beim Ministerium blei-
lichen Einrichtungen, die das Volk für die Jugend ben könne. Von meiner eigenen Fraktion aus war
schafft und hat, lebt, vor allen Dingen in der der Antrag gestellt worden, die Referate für Ange-
legenheiten der Jugend und des Sports im Bun-
Familie und in den von der Jugend selbst für sich
geschaffenen Jugendbünden, Jugendvereinen. desinnenministerium zu einer selbständigen Ab-
teilung zusammenzufassen. Wir konnten uns davon
Wir sehen in der Jugend einen Teil des Volks- überzeugen, daß die Errichtung einer eigenen Ab-
ganzen, den wir um uns leben sehen, mit dem wir teilung für Jugend und Sport im Rahmen des
uns vereint fühlen in der Verbundenheit des natür- Ministeriums aus den verschiedensten Gründen im
lichen Aufbaues unseres Volkes und in der Gemein- Augenblick noch nicht möglich ist. Das will nicht
samkeit desselben kulturellen Werdens und des- sagen, daß diese Einrichtung ein für allemal abge-
selben politischen Geschicks. tan sei. Aber im Augenblick ist sie noch nicht
spruchreif geworden.
Von hier aus aber haben wir als Volk an unserer
Jugend allerlei gutzumachen. Für so manche Er- Weiter ist der Gedanke aufgetaucht, eine Bun-
deszentrale für Jugendfragen zu schaffen. Auch
scheinung oder Haltung, die — sei es zu Recht oder
zu Unrecht — an unserer heutigen Jugend mißfällt, diesen Gedanken kann man aus mancherlei Grün-
ist nicht zum mindesten, vor allen Dingen nicht den jetzt nicht , akzeptieren, besonders deshalb nicht,
zuerst unsere Jugend verantwortlich, sondern sind weil, ähnlich wie bei einem weiteren Gedanken be-
wir Er wachsenen vorweg verantwortlich, die züglich der Schaffung eines Bundesjugendamts,
wir, jeder zu seinem Teil, jene Schicksale und jene irgendwo Gefahren schlummern können, daß sich aus
Zustände mit verursacht haben, die so bedrohlich einer solchen Bundeszentrale für Jugendfragen
das materielle und geistige Dasein unserer Jugend oder aus einem solchen Bundesjugendamt schließ-
heute belasten und beeinflussen. lich im Laufe der Zeit so etwas Ähnliches wie eine
staatliche Jugendleitstelle oder Jugendbefehlsstelle
(Sehr gut! bei der SPD.) entwickeln könnte. Damit aber wäre dem Recht der
Ich bin aber durchaus nicht der Meinung, daß man Jugend und der Entwicklung der Jugend wirklich
beim Blick auf unsere Jugend nun nur in Pessimis- am wenigsten gedient.
mus und Tadel verfallen dürfe. Im Gegenteil; in Bei den Besprechungen mit den verschiedenen
unserer Jugend ist so viel Gutes, so viel Gesundes Verbänden hat sich weiter herausgestellt, daß der
in weiter Verbreitung vorhanden, daß sie nicht Bundesjugendplan, so wie er in den letzten Jahren
unser Miß trauen sondern unser volles Ver gehandhabt wurde, seine in den Anfängen vorhan-
trauen verdient. Das heißt praktisch, daß wir nicht denen und auch aus seinem Werdegang heraus ver-
eine straffe, dirigierende staatliche Jugendpolitik ständlichen Schwächen und Mängel allmählich
treiben sollen, ja nicht einmal treiben wollen, an mehr und mehr verloren hat. Im gegenwärtigen
deren Ende eine Staatsjugend steht, sondern daß Zeitpunkt ist man so weit, daß gerade diese Män-
unsere Teilnahme, unsere Arbeit für die Jugend gel weitgehend abgestellt sind. Vor allen Dingen
vom Staate, von der Politik her aufgebaut sein muß ist einer der dringendsten Wünsche, die die Jugend
auf einem Vertrauen für ,die Jugend, aufgebaut sein äußerte, daß nämlich die zur Verfügung stehenden
muß darauf, daß die Jugend in ihrer besonderen Mittel auch rechtzeitig kommen, erfüllt, da in die-
Welt auch ihre besonderen eigenen Gesetze hat, aus sem Jahre die Gelder tatsächlich vom April an, so-
denen heraus sie lebt. Zwei der wichtigsten jugend- weit wir unterrichtet sind, bereits zur Verfügung
gesetzlichen Träger sind einmal die Liebe der stehen.
Jugend zur Freiheit in ihrem Raum und zum an- Auch hinsichtlich des Verhaltens zum Rechnungs-
dern die Bereitschaft der Jugend, verantwortliche hof bzw. des Verhaltens des Bundesrechnungshofs
Arbeit in ihrem Bereich auf sich zu nehmen. - Des- zu den Jugendverbänden wurden weitgehende Ab-
halb sind wir der Meinung, daß alle Arbeit für die sprachen getroffen, die gewisse Schwierigkeiten,
Jugend nicht einfach in dirigistischer, in staatlich die sich da eingestellt hatten, mit gutem Willen von
gelenkter, alle Gebiete und alle Bereiche der beiden Seiten her überwinden lassen.
Jugend irgendwie erfassender und irgendwie beein-
flussender Weise erfolgen darf, sondern daß diese So können wir also sagen, daß der Bundes-
jugendplan im Augenblick doch noch die Form ist,
Arbeit das besondere Wesen und die besonderen
positiven Eigenschaften respektieren muß, die die die wir haben müssen und haben wollen, um un-
Jugend hat. sere Aufgabe an der Jugend in dem Sinne zu voll-
ziehen, daß wir die Jugend nicht dirigieren wol-
Wenn ich in diesem Zusammenhang auf die An- len, sondern daß wir ihr helfen wollen und daß wir
träge, die heute zur Behandlung stehen, eingehe, mit dieser Hilfe ihre eigene Bewegungsfähigkeit,
so darf ich zunächst vorausschicken, daß wir der ihre eigene Gestaltungsfähigkeit nicht beeinflußen
Errichtung eines Instituts für Jugendfragen inso- wollen, sondern diese Anlagen gerade mit dem Mit-
weit entgegenkommen, als wir die Überlegung, wie tel des Bundesjugendplans besonders fördern
und ob ein solches Institut für Jugendfragen errich- wollen.
tet werden soll, durchaus für richtig halten. Wir be- Ob sich dann im Laufe der folgenden Jahre in
fürworten deshalb die Überweisung dieses Antrags dieser Hinsicht bestimmte Änderungen werden
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2471
(Dr. Seffrin)
vornehmen lassen oder ob solche Änderungen vor- fragen wir uns, warum das so ist! Wie viele Jun-
genommen werden müssen, muß sich erst noch gen und Mädel warten seit Jahren auf einen Ar-
zeigen. Im ganzen stehen wir in dieser Frage noch beitsplatz! Nach den Statistiken der Bundesanstalt
sehr im Raum der Erfahrungssuche und noch nicht für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversiche-
im Raum der vollkommenen Erkenntnis, wie man rung beträgt der Anteil der Jugendlichen an der
solches am besten macht. Eines allerdings, glaube Arbeitslosenzahl fast 20 % . Mit anderen Worten:
ich, ist sicher: daß man die Verhältnisse, wie sie etwa 200 000 Jugendliche bis zum 25. Lebensjahr
etwa in den Staaten östlich von uns sind, wo man sind bis zur Stunde noch ohne jegliche Arbeit.
eine Staatsjugend hat und wo infolgedessen alles (Hört! Hört! bei der SPD.)
vom Staate her gelenkt wird, für unser Gebiet
nicht zum Vorbild nehmen kann. Denn auf diese Dazu kommen noch über 100 000 Jugendliche, , die
Art und Weise würden wir uns jenen Einrichtun- bis heute noch auf Lehrstellen warten. 300 000
gen mehr und mehr nähern und auch zu einer junge Menschen haben also an der Ernte der
Staatsjugend kommen, die in keiner Weise geeignet Früchte des sogenannten deutschen Wirtschafts-
wäre, künftighin Träger des eigenen Staates zu wunders nicht teilgenommen. Sie stehen noch vor
sein. Wir müssen vielmehr immer wieder an unsere den Fabriken und den Arbeitsämtern. Obwohl alle
Jugend herantreten, müssen ihr helfen und sagen, Verantwortlichen — Arbeitsverwaltung, die Indu-
.wie es möglich ist, daß sie unter Bewahrung ihrer strie, das Handwerk — wissen, daß wir in abseh-
Eigenart in unseren Staat und in unsere Zukunft barer Zeit mit einem ungeheuren Mangel an Fach-
hineinwächst, so ,daß sie in der Lage ist, später ein- arbeitern zu rechnen haben, hat man bisher nur
mal diesen Staat selbst zu tragen. Hilfe für die unzureichende Möglichkeiten gefunden, sie voraus-
Jugend, aber unter Ablehnung dirigistischer staat- schauend einzugliedern. Die sozialdemokratische
licher Einflußnahme auf die Jugend — das sind Fraktion ist der Meinung, daß bei etwas gutem
die Grundzüge der Arbeit, von der wir glauben, Willen, vor allen Dingen ,der deutschen Industrie,
daß sie der Jugend am besten dient. die Frage der Eingliederung dieser jungen Men-
schen längst hätte geklärt sein können. Leider hat
(Beifall bei der CDU/CSU.) die überbezirkliche Vermittlung nicht den Erfolg
gebracht, den wir alle erwartet haben. Die Lage
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- in den Zonenrand- und Grenzgebieten entlang des
geordnete Herold. Eisernen Vorhangs ist wirklich zum Teil katastro-
phal. Es ist nicht gelungen, diesen Jugendlichen in
Herold (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und den wirklich gefährdeten Gebieten zu einer
Herren! Es ist wohl das erste Mal, ausgenommen Existenz zu verhelfen.
die Beratungen um den 5. Bundesjugendplan, daß Betrachten wir auf .der andern Seite unseren
wir uns im 2. Deutschen Bundestag mit den Pro- akademischen Nachwuchs, die Menschen, die einmal
blemen der Jugend befassen. Ich weiß, daß es in in der deutschen Wirtschaft, in der deutschen Wis-
diesem Hause eine große Anzahl von Kollegen gibt, senschaft und in der Forschung große Erbschaften
die die Jugendprobleme als nicht so dringlich oder und große Aufgaben zu übernehmen haben! Diese
aktuell bezeichnen. Meine Fraktion und ich sind jungen Leute legen ihre Reifeprüfung ab und gehen
anderer Meinung. Wir haben keinerlei Grund, in ins Praktikum. Dort beginnt bereits die erste Ent-
dieser Angelegenheit den Selbstzufriedenen zu täuschung. Bei schlechter Entlohnung bereiten sie
spielen und vielleicht untätig in der Ecke zu stehen sich vor. Ich kenne sogar einige Fälle, wo diese
oder, wie es in Diskussionen so oft geschieht, die jungen Menschen in den Betrieben nicht einmal ein
gesamte Verantwortung auf die Länder und Ge- Taschengeld bekommen, geschweige denn, daß man
meinden abzuschieben. Ich weiß, daß man in ver- ihnen einen Mindestlohn gewährt.
schiedenen Kreisen die Meinung vertritt: Wir haben (Zuruf rechts: Wo bleibt denn die Ge
den Bundesjugendplan geschaffen, wir geben werkschaft?)
30 Millionen, damit ist dieser Fall für uns erledigt!
Man verschanzt sich hinter dem Föderalismus und — Ja, bitte schön, diese Leute sind doch nicht ge-
klagt am Ende, die Jugend habe sowieso keinerlei werkschaftlich organisiert, meine Herren! Das dürf-
Interesse an der Demokratie. ten Sie wissen.
So einfach können wir uns die Sache nicht Dann beginnt der Kampf um die Aufnahme in
machen. Es ist richtig, daß die jungen Menschen im die Universität oder Hochschule. Ist das geschafft,
Alter von 18 bis 30 Jahren sehr skeptisch geworden beginnt die Sorge um den Lebensunterhalt wäh-
sind. Sie können mit Recht als die „betrogene Gene- rend der Studienzeit. Nach einer Umfrage bei
ration" bezeichnet werden. Vor Jahren riß-man sie 104 000 jungen Studenten beiderlei Geschlechts
aus Schulen und Lehrstellen, steckte sie in Uni- wurde festgestellt, daß rund 70 000 junge Menschen,
form und schickte sie an die Front. Nach unend- die studieren, nicht einmal 100 DM zum Lebens-
lichen Strapazen und Opfern, nach langen Jahren unterhalt besitzen,
der Kriegsgefangenschaft kehrten sie heim, krank (Hört! Hört! bei der SPD)
an Leib und Seele. Viele Enttäuschungen liegen geschweige denn zur Anschaffung der Lernmittel
hinter diesen jungen Menschen. Man hat sie rüh-
rend empfangen, man hat ihnen vieles, vieles ver- usw. Jeder von uns weiß, was das Leben heute
sprochen, aber leider Gottes nur einen bescheidenen kostet, angefangen — meine Herren, ich glaube,
Teil davon gehalten. Der Bundesjugendplan war darüber gibt es keinen Zweifel, und wir können uns
und ist nach unserer Meinung der Anfang. Die Mit- hier tadellose Vorstellungen machen —, angefangen
tel reichen keinesfalls aus, um die Verpflichtungen bei den Zimmerpreisen der Universitätsstadt Bonn.
diesen jungen Menschen gegenüber zu erfüllen. (Unruhe in der Mitte.)
Wir wundern uns oft hier in diesem Hause über Die Frage der Existenzgründung der jungen Aka-
die negative Einstellung eines großen Teils dieser demiker möchte ich hier gar nicht erwähnen. Sind
Jugend zum heutigen demokratischen Staat. Gehen diese Dinge nicht äußerst beschämend für unseren
wir dieser Sache doch einmal auf den Grund, Staat? Sollten uns diese Beispiele nicht alarmieren?
2472 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Herold)
Mit viel Aufmerksamkeit beobachten unsere jun- und müssen infolgedessen müde und abgespannt
gen Menschen die Lage ihrer Altersgenossen hinter den Unterricht mitmachen. Die Folgen sehen Sie bei
dem Eisernen Vorhang und in den anderen euro- den Gesellenprüfungen.
päischen Ländern. Bei den angestellten Vergleichen
kommen oft sehr große Zweifel bei ihnen auf. (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind Einzel
Was wird der Jugend dort geboten? Nicht alle fälle!)
Maßnahmen dürfen nur durch die politische Brille — Das sind keine Einzelfälle, und es ist notwendig,
gesehen werden. Ich glaube, wir machen uns das daß man das einmal in diesem Rahmen erwähnt.
zu leicht.
(Anhaltende Zurufe von der Mitte. — Un
(Beifall bei der SPD. — Unruhe und Zurufe ruhe. — Glocke des Präsidenten.)
in der Mitte.)
Was bieten wir ? Ich frage Sie nur: Was bieten Wir sind auf jeden Fall der Meinung, daß der
wir nun unserer Jugend, um sie für die Demokratie Bund, der genau weiß, wie sich in Zukunft gerade
und für unseren Staat zu gewinnen? Ich sage Ihnen: auch in der Ausbildung der Facharbeiter die Dinge
im Verhältnis herzlich wenig! Ich will hier keine entwickeln werden, hier viel mehr Initiative ent-
großen Vergleiche bringen, aber die materiellen wickeln muß als bisher.
Dinge, die wir ihnen zu bieten haben, sind wirk-
lich äußerst klein. Wir haben Jugendgesetze ge- Noch ein Wort zur Freizeitgestaltung unserer
Jugend. Wie viele Dinge liegen da im argen! Unsere -
schaffen, z. B. das RJWG. Seit über einem Jahr ist
es verabschiedet. Bis zum heutigen Tage aber feh- Jugendverbände geben sich die größte Mühe. Es ist
len auf der untersten Ebene die Mittel, damit die erfreulich, daß fast 5 Millionen Jugendliche in den
Absichten dieses Gesetzes auch verwirklicht wer- Jugendorganisationen erfaßt sind. Sie müssen in
den können. Man kann natürlich sagen, nes sei eine ihrer Arbeit unsere volle Unterstützung finden und
Aufgabe der Länder, der Gemeinden. Es müssen haben sie auch. Insbesondere — und das möchte ich
aber Wege gefunden werden, über den Finanzaus- hier besonders betonen — ist es notwendig, daß
gleich den Gemeinden und den Ländern die nötigen die politischen Gruppen, die sich der politischen
Erziehung widmen, eine besondere Hilfe von uns
Voraussetzungen für die Erfüllung dieser Aufgaben
zu geben. Wir können hier nicht Dinge beschließen erhalten. Wir wissen um ihre Nöte. Viele Jugend-
und den Ländern und Gemeinden neue Aufgaben gruppen sind ohne Heim; sie finden Zuflucht in
zuteilen, wenn wir ihnen dafür nicht die Mittel den Hinterzimmern von Gaststätten. Wo bleiben die
zur Verfügung stellen. Jugendheime? Was da bisher geschehen ist, reicht
bei weitem nicht aus. — Die gute Literatur ist für
(Beifall bei der SPD.) unsere Jugend zum Teil nicht erschwinglich. Was
Denken wir an den Jugendarbeitsschutz! Sind die wird mit der Einrichtung von guten Jugendbüche-
Zahlen, die uns von den Gewerbeaufsichtsämtern reien? Überall fehlen Turnhallen und Sportplätze.
erreichen, nicht erschreckend? Wo bleibt hier die Die Gesundheitspflege läßt sehr viel zu wünschen
InitavedsBurbmintes? übrig. Alle diese Probleme liegen vor uns und m ü s-
1 Unsere Schulverhältnisse sind zum Teil sehr sen von uns gelöst werden; zum mindesten müssen
schlecht. Es gibt noch Städte und Orte, wo unsere wir Entscheidendes dazu beitragen.
Kinder in drei Schichten täglich zur Schule gehen (Abg. Frau Niggemeyer: Grundgesetz!)
müssen, weil ihnen heute — —
Die Gremien, die sich in der Theorie mit dieser
(Zurufe von der CDU/CSU.) Arbeit befassen, sind da; aber die praktische Arbeit
— Ich weiß, daß es nicht den Bund allein angeht, fehlt. Die Dinge müssen energisch vorangetrieben
Frau Kollegin Niggemeyer. Auf der andern Seite werden. Der Staat, die Gesellschaft hat die Ver-
ist es aber so, daß der Bund in diesem Fall schon pflichtung, der Jugend mit allen zu Gebote stehen-
die Initiative ergreifen und diese Länder unter- den Mitteln zu helfen. Wir kennen die Ausflüchte
stützen muß. und zum Teil die Sorgen des Finanzministers; aber
(Erneuter Widerspruch und Zurufe von der sie sind nicht in allen Dingen stichhaltig. Wir dür-
CDU/CSU.) fen, wenn wir sparen wollen, nicht bei der Jugend-
arbeit anfangen. Viele Millionen sind und werden
— Ich weiß, Sie hören es nicht gern! — Es fehlen für Experimente ausgegeben. Die Jugendarbeit ist
Lehr- und Lernmittel; zum Teil sind sie veraltet kein Experiment, sie ist eine Staatsaufgabe. Der
und überholt. Betrachten Sie sich die Schulen in Großteil unserer Jugend hat kein Verständnis da-
den Notstandsgebieten, betrachten Sie die Not- für, daß bei der Mittelvergabe für Jugendpflege nie
unterkünfte der Schulen in den bombengeschädig-
- genügend Geld da war, daß man es nie hatte und
ten Städten, in denen die Jüngsten unseres Volkes nie hat, daß man aber bereit ist, Milliarden auszu-
zu Staatsbürgern erzogen werden sollen. Neun geben, wenn es gilt, für die Jugend neue Kasernen
Jahre nach dem Kriege haben wir es nicht fertig- zu bauen
gebracht, diese Mißstände zu beseitigen. (Zustimmung bei der SPD)
(Zuruf von der CDU/CSU: Was haben wir und sie zu sogenannten „Kerlen" zu erziehen.
aber sonst fertiggebracht!)
(Beifall bei der SPD. — Aha-Rufe, Lachen
Auch die Frage der Berufsschulen muß erwähnt und Unruhe in der Mitte.)
werden.
(Zuruf von der CDU/CSU.) In einer der letzten Plenarsitzungen machte man
einem Jugendverband Vorwürfe, weil er sich er-
— Das ist Ihr Fach wahrscheinlich, Herr Seffrin. laubt hat, etwas anderes zu beschließen, als es die
In vielen Landkreisen sind bis zum heutigen Tag Regierung gewünscht hätte.
keine Berufsschulen vorhanden; die jungen Men-
schen haben 30 und 40 km Weg bis zu ihren Berufs- (Hört! Hört! bei der SPD.)
schulen Ich glaube, meine Damen und Herren, es wäre bes
(Zurufe von der CDU/CSU: Das stimmt ja ser, wenn sich die Regierung und ein Teil der
gar nicht! — Wo denn?) Koalitionsparteien auch einmal um die anderen Be-
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2473
(Herold)
schlösse dieser Jugendverbände, die seit Jahren Unsere speziellen Sorgen hinsichtlich des Bun-
vorliegen, kümmern würden. desjugendplanes liegen auf folgenden Gebieten.
(Beifall bei der SPD.) Auf dem sozialpolitischen Gebiet — das ist hier
schon einige Male angeschnitten worden; ich darf
Ich möchte zum Abschluß nur noch eines sagen. es aber noch einmal betonen — haben wir es insbe-
Herr Kollege Dr. Seffr in hat vor der Staats- sondere mit der Frage des Facharbeiternachwuch-
jugend und vor der staatlichen Lenkung gewarnt. ses zu tun. Wir wissen, daß wir in den nächsten
Herr Dr. Seffrin, haben Sie wirklich so wenig Ver- Jahren vor großen Problemen stehen werden, und
trauen in Ihre eigenen Regierungsstellen, daß Sie werden daher besonderes Augenmerk darauf rich-
die Gefahr fürchten, bei der Einrichtung einer Bun- ten müssen, den Nachwuchs für die Facharbeiter-
deszentrale hier vielleicht eine sogenannte Staats- schaft zu bekommen. Wir müssen dafür sorgen,
jugend erstehen zu sehen? daß wir durch berufsbildende und berufsfördernde
(Zurufe von der CDU/CSU.) Lehrgänge auch die vielen Tausende junger Men-
— Wir besitzen genau so viel Vertrauen in die schen erfassen, die heute noch in Arbeitsstellen
Jugend. Wir halten die Jugend genau wie Sie für stehen, welche nur die Aussicht bieten, da sie einen
gut. Aber wir sind der Meinung, daß die Mittel, die ungelernten Beruf ausüben, Hilfsarbeiter zu blei-
der Bund heute für die Jugendarbeit ausgibt, bei ben. Sie stehen in keiner echten Berufsausbildung
weitem nicht ausreichen, die Lage dieser Jugend und werden uns deshalb in allernächster Zeit sehr
zu verbessern. fehlen. Diesem Facharbeitermangel wird gesteuert
werden können, wenn wir daran denken, recht-
(Beifall bei der SPD.) zeitig mit den Lehrgängen zu beginnen, die auch
diejenigen Jugendlichen an die Fachausbildung
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der heranführen, die die Berufsfähigkeit zur Zeit noch
Abgeordnete Kutschera. nicht erreicht haben. Ich denke also besonders an
die jungen Menschen, die wegen der Zurückhaltung
Kutschera (GB/BHE): Herr Präsident! Meine in den Ostgebieten und überhaupt der ganzen
sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Frak- Kriegsfolgen zurückgeblieben sind. Sie bringen an
tion wird dem Antrag des Ausschusses für Jugend- und für sich durchaus eine gute Substanz mit, ha-
fragen zustimmen. Sie wird sich dabei von dem ben aber auf Grund der vielen Schwierigkeiten das
Gesichtspunkt leiten lassen, daß wir alles unter- Volksschulziel nicht erreicht. Wir werden also hier
nehmen müssen, um irgendwelche Verzögerungen mit besonderen Lehrgängen nachhelfen müssen
oder Schwierigkeiten bei dem Ablauf des Bundes- und haben da eine dankbare Aufgabe vor uns.
jugendplanes zu vermeiden. Die jetzigen Voraus-
setzungen dafür, den Bundesjugendplan möglichst Ich darf in diesem Zusammenhang auf den so-
rasch ablaufen zu lassen, sind auch nach unserer zialpolitischen Sektor, besonders auf die Nach-
Auffassung durchaus noch nicht vollkommen. Wir wuchsförderung für den ländlichen Beruf hinwei-
werden immer wieder neue Vorschläge unterbrei- sen. Wir haben hier eine große Lücke zu füllen.
ten und versuchen, Verbesserungen in der ganzen Die letzten Jahre haben uns in erschreckender
Arbeit zu erreichen. Weise gezeigt, wie wenig Verbindung gerade der
junge Mensch zum Land hat und wie gerade der
Wir sind sehr interessiert daran, daß die Aus- junge Mensch nicht mehr den Mut aufbringt, einen
zahlung der Mittel außerordentlich rasch und recht- Beruf zu ergreifen, der scheinbar wenig Aussicht
zeitig erfolgt, weil wir aus der Arbeit draußen bei auf eine sichere Existenz für die Zukunft hat. Aber
den einzelnen Jugendverbänden immer wieder er- unser ganzes Bekenntnis zu dem gesamtdeutschen
sehen, wie schwierig es ist, Planungen auf weite Vaterland, unser Bekenntnis, daß wir unsere Ost-
Sicht vorzutragen, wenn die Mittel nicht zur rech- gebiete niemals abschreiben dürfen, wäre null und
ten Zeit zur Verfügung stehen. Ich kann mir hier nichtig — gestatten Sie mir, das so deutlich auszu-
eine Auswahl von Beispielen ersparen und möchte sprechen —, wäre illusorisch, wenn es uns nicht
nur zwei Punkte herausstellen. gelänge, unsere jungen Menschen bäuerlichen Ur-
Ich nenne zunächst den internationalen Jugend- sprungs wieder in den bäuerlichen Sektor hinein-
austausch. Es ist außerordentlich schwer, die Ver- zuführen.
handlungen mit den ausländischen Gruppen zu (Beifall.)
führen. Hier ist es häufig vorgekommen, daß man Wir werden sonst eines Tages vor der großen Frage
Mühe und Not hatte, das Geld zurückzubekommen, stehen, wie wir überhaupt mit dem Problem des
nachdem die Fahrten längst beendet waren. Das bäuerlichen Nachwuchses fertig werden wollen.
ist ein Zustand, der uns wenig Freude gemacht hat Es ist ein Problem des ganzen deutschen Volkes.
und der auch im Ausschuß ausführlich besprochen Deshalb begrüßen wir es auch, daß in den kommen-
worden ist. Bei dem Bau von Jugendwohnheimen den Bundesjugendplan ein Landjugendplan auf-
ist die Situation ähnlich, nur noch etwas schwer- genommen wurde, der einige Ansätze zeigt, der
wiegender, weil Jugendwohnheime häufig erst Landflucht gerade unserer jungen Menschen etwas
gebaut werden konnten, als der Winter schon vor zu steuern. Wir werden auch hier die Maßnahmen
der Tür stand, so daß wir weit in das nächste unterstützen, soweit es irgendwie geht.
Rechnungsjahr hineingerieten. Wir sind noch darüber besorgt, daß man auch
Den Antrag der SPD auf Errichtung eines Insti- für das kommende Jahr den Betrag für die Jugend-
tuts für Jugendfragen hält die Fraktion des Ge- wohnheime beachtlich herabgesetzt hat, nach unse-
samtdeutschen Blocks/BHE für gut. Sie ist der Auf- rer Auffassung etwas zu stark; denn nach all die-
fassung, daß er im Ausschuß eingehend beraten sen Plänen, die wir für die Berufsförderung, die
werden sollte. Wir werden also einer Überweisung Berufsbildung und für die konzentrische Heran-
dieses Antrags an den Ausschuß zustimmen, weil führung an die Facharbeit haben, werden wir
wir glauben, daß wir hier viele Möglichkeiten Jugendwohnheime und Jugendlehrwerkstätten
hätten, die zum weiteren Ausbau des Bundesju- dringend benötigen. Es wird ernstlich zu überprü-
gendplanes beitragen und ihn geschmeidiger ma- fen sein, wieweit wir hier nicht doch noch eine
chen könnten. Korrektur an dem Vorschlag vornehmen können.
2474 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Kutschera)
Lassen Sie mich ein zweites Gebiet, den kultur auch eine Verbindung von Jugend zu Jugend zu
politischen Sektor, kurz aufzeigen. Wir sind davon schaffen, die wir doch so notwendig brauchen, so
überzeugt, daß die kulturpolitische Arbeit in un- sollten wir auch dafür sorgen, daß bei der Fühlung-
seren Jugendverbänden über die jetzt bestehenden nahme mit der sowjetischen Besatzungszone noch
Grenzen hinweg eine echte Verbindung darstellt. mehr Mittel zur Verfügung stehen. Eine Kürzung
Wir müssen von diesem Gesichtspunkt aus auch ist ja sowieso nicht vorgesehen. Wir wollen ver-
den Ernst der kulturpolitischen Arbeit sehen und suchen, noch weitere Mittel für diesen Sektor zu
verlangen, daß die Tätigkeit auf diesem Gebiet leb- erhalten.
haft ist. Wir müssen unsere Kulturarbeit lebendig Mit diesen drei umfassenden Punkten — Sozial-
erhalten. Wir müssen die Werte unserer Vorfahren politik, Staatspolitik und Kulturpolitik — möchte
unserer Jugend wieder näherbringen und bei ihr ich die Aufzählung der Wünsche, die wir besonders
die Ehrfurcht vor diesen Werken wecken, damit das in bezug auf den Bundesjugendplan haben, ab-
Bekenntnis zu ihrem Volk bewußter wird. Auch schließen. Wenn der Bundesjugendplan so durch-
hier wird dann die Erkenntnis, daß wir ein ganzes geführt wird, wie es unser Anliegen ist, müßte er
deutsches Volk sind, leichter durchdringen. ein Bekenntnis des Parlaments zur Jugend sein,
Ich darf in diesem Zusammenhang ein kleines müßte er ein Bekenntnis dafür sein, daß wir unsere
Beispiel bringen, das kulturpolitisch, aber auch ge- junge Generation ernst nehmen und daß wir wis-
sen, daß sie niemals von uns irgendwelche Almosen
schichtlich interessant ist und vor allen Dingen
haben möchte, daß sie vielmehr nur mit Recht ver-
zeigt, wie sehr wir damit unseren jungen Menschen
die Verbundenheit unseres ganzen Vaterlandes auf- langen kann, daß wir ihr — bildlich gesprochen —
die größten Steine aus dem Wege räumen, jene, die
zeigen können. Sie alle kennen die Sage von dem
Rattenfänger von Hameln, und wir wissen, daß der sieaugnrKftchwesank.
Rattenfänger von Hameln eigentlich kein anderer (Beifall beim GB/BHE.)
war als ein Werber König Ottokars von Böhmen,
der nach Hameln und in die Hamelnsche Gegend Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
ging, um junge Menschen für die Aufgabe und, den geordnete Hübner.
Aufbau im Osten zu werben. Sehen Sie allein dieses
kleine Beispiel! Wenn wir das unseren jungen Men- Hübner (FDP): Herr Präsident! Meine Damen
schen näherführen, wird das Bewußtsein immer und Herren! Es sind hier wohlwollende Gedanken
stärker, daß wir alle zusammengehören, ganz gleich, für die Jugend entwickelt worden, denen wir uns
ob wir im Osten oder Westen geboren sind. voll anschließen. Ich möchte aber doch herausstel-
len, daß diese wohlmeinenden Gedanken für die
Wir sehen also, daß die kulturpolitische Arbeit Jugend nicht , das Eigentum einer einzelnen Partei
sehr leicht in die staatspolitische Arbeit hinüber sind,
leiten kann. Dieses staatspolitische Arbeitsgebiet ist (Sehr richtig! bei der FDP)
so groß, und für uns so entscheidend, daß man
sagen kann: jeder Jugendverband, der anerkannt sondern daß sie zweifelsohne Gemeingut des gan-
werden will, muß sich staatspolitisch betätigen. zen Hauses sind.
Eine staatspolitische Betätigung ist schlechthin die (Erneute Zustimmung bei der FDP und in
Voraussetzung dafür, daß unsere jungen Menschen der Mitte.)
später in ihrer Verantwortlichkeit als Männer und Ich halte es für sehr wesentlich, daß wir bei
Frauen wissen, für welches Staatsgebilde, für unserer Arbeit für die Jugend davon ausgehen, daß
welche -formen, für welche Lebensbedingungen sie wir im Vergleich zu den Methoden, die in den
sich zu entscheiden haben. Deshalb werden wir auf letzten Jahrzehnten wirksam waren, einen völlig
dem Gebiet der Staatspolitik unsere Betreuung neuen Weg beschreiten. Damit meine ich, daß wir
noch stärker einsetzen müssen und dafür sorgen uns in erster Linie davon abwenden sollten, etwa
müssen, daß die Begriffe, die für uns Lebensfragen Illusionen zu wecken. Denn die Skepsis der Jugend
sind — denken Sie an Freiheit, denken Sie an — darüber sollten wir uns wohl klar sein — ist
Demokratie, denken Sie an Wiedervereinigung und lediglich darauf zurückzuführen, daß sie in den
an all das, was uns bewegt —, schon in der Jugend vergangenen Jahrzehnten ständig Illusionen aus-
lebendig werden, damit die jungen Menschen gesetzt war, die sie auf einen völlig falschen Weg
später, soweit sie geeignet sind, sich zur politischen geführt haben. Ich selbst und meine Freunde haben
Verantwortung bekennen. für diese Skepsis der Jugend auch gegenüber den
In dieses Aufgabengebiet der Staatspolitik- fällt Maßnahmen der Regierung durchaus Verständnis.
besonders die Betreuung der Jugendlichen aus der Wir haben Verständnis dafür, weil uns die Eigen-
sowjetischen Besatzungszone. Die Betreuungsarbeit willigkeit der Jugend imponiert, und das ist gerade
ist hier, wie überhaupt im ganzen Bundesjugend- für meine Freunde und für mich nicht so sonder-
plan, ja nicht eine Prothese, sondern sie ist einfach bar. Als Vertreter einer liberalen Partei wollen
eine kleine Beihilfe, um dem Menschen, der von wir ja solche Eigenwilligkeiten durchaus sehen und
sich aus nicht die Möglichkeit hat, auf die Beine zu fördern.
kommen, zu helfen. Wir werden uns also bei der (Zuruf von der SPD: Das dürfte auch
Betreuung der Sowjetzonenflüchtlinge — wir wis- Allgemeingut sein!)
sen, daß 50 % davon Jugendliche sind — besondere — Das nehme ich sehr gerne zur Kenntnis, Herr
Mühe geben müssen, und wir werden durch Be- Kollege; dann finden wir uns auf derselben Basis
gegnungen dieser Menschen auch versuchen müs- zusammen.
sen, die Spannungen, die zwischen den beiden
Zonen immer wieder auftauchen, zu entschärfen Nun möchte ich aber gerade in diesem Zusam-
und die Verbindung von Mensch zu Mensch her- menhang doch auf einige Äußerungen zurückkom-
zustellen. Wie wir im internationalen Jugendaus- men, die vorhin bei der Begründung des Antrags
tausch beachtliche Beträge dafür verwenden, um in auf Schaffung eines Instituts für Jugendfragen ab-
alle Welt hinaus die Verbindungen zu schaffen und gegeben worden sind. Es ist ja doch in einer, ich
Freunde für uns zu werben und gleichzeitig damit muß zumindest sagen, sehr bemerkenswerten Weise
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2475
(Hübner)
darauf hingewiesen worden, daß man das heraus- Vor allen Dingen sollte man einen Faktor etwas
stellen sollte, was vielleicht in der Sowjetzone mehr in den Vordergrund rücken, der meiner Mei-
besser ist. Es wurde dann noch einmal be- nung nach bisher nicht genügend herausgestellt
tont, man sollte doch sehen, was in der Sowjetzone worden ist. Ich bin nämlich der Ansicht, daß der
besser geregelt sei als bei uns. Nun habe ich mir Sport doch einen wesentlichen Faktor in der gan-
bei diesen Worten vorzustellen versucht, wie diese zen Jugendbildung darstellt. Man muß sich hier
Äußerungen wohl in den Ohren eines Jugendlichen natürlich vor den Auswüchsen des Sports hüten.
in der sowjetischen Besatzungszone klingen mögen. Ich denke hier lediglich an den Sport in seiner
(Abg. Kemmer [Bamberg]: Sehr richtig!) edelsten Bedeutung als Leibesübung. Wir sollten
Ich bin sehr davon überzeugt, daß derartige Äuße- uns doch wirklich darüber klar sein, daß in dieser
rungen größte Verwunderung auslösen werden. Form der Sport der Weg zum Geist und Charak-
Wenn man schon glaubt, Vergleiche ziehen zu ter ist. Wir sollten dem Sport eine genügende
müssen, dann sollte man doch nicht darauf ver- Förderung im Rahmen an anderer Stelle frei wer-
zichten, auf die Vorteile, auf die Gewinne hinzu- dender Mittel zukommen lassen.
weisen, die die Jugend in der Bundesrepublik dank Von einem meiner Vorredner ist darauf hinge-
der Politik der Bundesregierung in Anspruch neh- wiesen worden, daß die Facharbeiterfrage eine we-
men kann. sentliche Bedeutung gewinnen wird. Ich schließe
(Zustimmung in der Mitte.) mich dem an. Wir haben hier ein Reservoir zu be-
rücksichtigen, das die Lösung dieser Frage etwas
Wenn wir eine Lösung für die Probleme der erleichtern wird: das sind die weiblichen Jugend-
Jugend suchen, dann müssen wir wohl davon aus- lichen. Wie die Erkenntnisse beweisen, die nicht
gehen, daß diese Lösung nicht auf organisatori- zuletzt in meiner Heimat, in Berlin, gewonnen
schem Gebiet gefunden werden kann. Wir sollten worden sind, können den weiblichen Jugendlichen
vielmehr immer nur ein Stimulans geben, um das zweifelsfrei noch weite Berufskreise zugänglich ge-
ureigene Wesen der Jugend anzuregen, damit die macht werden, in denen sie bisher noch keinen
Jugend sich ihren eigenen Lebensrahmen zu schaf- Einfluß hatten oder in denen sie noch nicht Fuß
fen in der Lage ist. fassen konnten.
(Abg. Kemmer [Bamberg]: Sehr richtig!) (Zurufe von der Mitte.)
Nun lassen Sie mich einiges zu der Kritik sagen, — Ich höre hier Einsprüche. Überlegen Sie bitte
die hier an der bisherigen Behandlung der Jugend- folgendes. Sie erreichen dadurch, daß Sie weib-
fragen geübt worden ist. Wir haben uns insgesamt lichen Jugendlichen eine Facharbeiterausbildung
im Ausschuß sehr wohl Gedanken darüber gemacht, geben, eine große Krisenfestigkeit für die spätere
ob die jetzige Organisation die richtige ist. Dabei Ehe. Man sollte diese Möglichkeit nicht zu gering
sind wir doch wohl zu der Erkenntnis gekommen, einschätzen.
daß wesentliche Gründe dafür sprechen, die jetzige (Zustimmung in der Mitte und rechts.)
Lösung im Prinzip beizubehalten. Nicht zuletzt sind Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir uns
wir doch zu dieser Erkenntnis dadurch gekommen, sehr eifrig dafür verwendet haben, daß den Ju-
daß wir einsehen mußten, daß das Ministerium als gendorganisationen im Bereich des Steuerwesens
Zentrale mit seinen Verbindungen zu den Ländern die gebotene Erleichterung gewährt wird. Unlängst
erstens eine bessere Kenntnis der Situation besitzt, ist, wenn ich recht unterrichtet bin, im Ausschuß
als sie über ein Zwischenglied — eben durch eine für Finanz- und Steuerfragen eine Entschlie-
Organisation, die etwa der Bundeszentrale für Hei- ßung gefaßt worden, die eine Neuordnung der
matdienst nachgebildet ist — gewonnen werden Besteuerung der Jugendorganisationen fordert.
kann. Zweitens haben wir uns auch damit beschäf- Ich hoffe, daß diese Arbeit in dem sicherlich von
tigen müssen, daß bei der Verausgabung und Be- allen Parteien des Hauses gewünschten Sinne zu
wirtschaftung von Mitteln in der Höhe des doch Ende geführt wird.
nicht unbeträchtlichen Betrags von 30 Millionen Zur Frage der Kontaktnahme der Jugend der
DM natürlich äußerste Sorgfalt angewandt werden Bundesrepublik mit der Jugend der sowjetischen
muß, wobei alle Kontrollmöglichkeiten wahrzu- Besatzungszone kann ich nur erklären, daß dies
nehmen sind. Es ist doch nun einmal so, daß Kon- eine Notwendigkeit ist. Hier sind wohl alle Par-
trollen nur wirksam werden, wenn man die Zweck- teien dieses Hauses von der gleichen Sorge erfüllt.
bindung von Mitteln aufrechterhält. Es kann sich Dieser Verkehr wird sicherlich von allen gefördert
also nur darum handeln, in der Zukunft den Ein- werden, denn über die Jugend beider Gebiete ha-
satz der Mittel gut, richtig und vorausschauend zu ben wir den wirksamsten Kontakt für die Deut-
planen. Zu diesem Ergebnis wird man kommen schen beiderseits des Eisernen Vorhangs.
können, weil die Mittel über das Kuratorium und Der Versuch einer Lösung der Jugendfragen
den Aktionsausschuß mit den Jugendverbänden kann nur darauf abgestellt sein, einen Rahmen zu
festgesetzt werden. Der Wunsch, dem Parlament finden, in dem sich die Jugend ihr Haus selbst
einen größeren Einfluß auf die Mittelvergabe ein- baut und selbst einrichtet. Wir müssen dabei von
zuräumen, ist durch die jetzige Regelung jedenfalls der Erkenntnis ausgehen, daß die Jugend in un-
in etwa berücksichtigt worden. Wir werden sehen serem Volk nicht nur die Phase der Vorbereitung
müssen, ob dieser Einfluß 'ausreichen wird oder auf das Leben durchzumachen hat, sondern auch
nicht. ein vollberechtigtes und vollwirksames Glied un-
Hier ist einiges — ich glaube, etwas verfrüht — serer Gemeinschaft darstellt, auf das wir nicht ver-
zu einzelnen Positionen im Bundesjugendplan ge- zichten können, wenn uns in unserer Gemeinschaft
sagt worden. Ich möchte hier nur mit ganz wenigen nicht etwas fehlen soll.
Sätzen auf das eingehen, was gesagt worden ist. Meine Damen und Herren, zum Schluß noch dies:
Ich glaube, daß der Bundesjugendplan sehr wohl wir sind uns doch wohl alle darüber einig, daß,
in der Zukunft in seiner Unterteilung sehr starke wo die Jugend heute steht, entscheidend dafür ist,
Veränderungen erhalten muß. wo Deutschland morgen steht.
(Abg. Frau Niggemeyer: Richtig!) (Beifall rechts.)
2476 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954

Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der der Staat in der Vergangenheit nicht bereit war,
Abgeordnete Pöhler. das Notwendige zur Lösung ihrer Probleme zu
tun?!
Pöhler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und (Abg. Kemmer [Bamberg]: Die Arbeit war
Herren! Ich hätte mir gewünscht, daß bei dieser positiver als die Reden!—Lebhafte weitere
ersten grundsätzlichen Aussprache über die Pro- Zurufe von der Mitte.)
bleme der jungen Generation, die. der 2. Bundestag Was ist denn geschehen? Gewiß, wir haben ein Ge-
heute abhält, das Interesse des Hauses etwas grö- setz zum Schutze der Jugend, wir haben die No-
ßer wäre, nämlich so groß, wie es der Bedeutung velle zum Reichsjugendwohlfahrtgesetz verab-
der Problematik um die junge Generation in die- schiedet — wobei der Finanzminister, wie schon er-
sem Lande entspricht. wähnt wurde, vergessen hat, die entsprechenden
Mittel zur Durchführung bereitzustellen —, und
Ich bin mit Herrn Dr. Seffrin der Meinung, daß gewiß, wir haben den Bundesjugendplan. Aber,
die Jugend natürlich als ein Teil des Volksganzen meine Damen und Herren, haben Sie auch einmal
betrachtet werden muß; aber er wird mit mir der überlegt, daß dieser Bundesjugendplan gerade
Auffassung sein, daß die Schäden, die der vergan- etwa ein Promille des gesamten Etatsvolumens der
gene Krieg gerade in der jungen Generation hinter- Bundesrepublik ausmacht? Ich möchte auf Grund
lassen hat, ganz besonders groß sind und eine be- der Jugendarbeit draußen im Lande feststellen,
sondere Fürsorge erforderlich machen. Die mate- daß er völlig unzureichend und zudem noch mit
riellen Schäden mögen dabei noch nicht einmal so einer ganzen Reihe bürokratischer Hemmnisse be-
hoch veranschlagt werden wie die geistigen Schä- haftet ist.
den, die der Trümmerhaufen von 1945 hinterließ. (Zurufe von der Mitte.)
Deshalb meinen wir von , der sozialdemokratischen
Fraktion, daß die Beseitigung der verheerenden Auf die Weise, wie das Problem ,der jungen
Kriegsfolgen in der Jugend nicht nur eine selbst- Generation bisher angepackt worden ist, gibt es
verständliche Pflicht dieses Parlaments, sondern eben nur ein planloses Kurpfuschen an einzelnen
wohlverstanden, darüber hinaus auch ein Existenz- Symptomen. Es ist nötig, das Übel an der Wurzel
problem für die junge deutsche Demokratie ist. anzupacken. Ich brauche hier nicht zu wiederholen,
Wenn es uns nicht gelingt, diese Jugend zu einem was verschiedene Redner bisher schon über die
tragenden Pfeiler unseres Staatswesens zu machen, tatsächliche Situation in der jungen Generation
dann ist, darf man wohl sagen, unsere neue Demo- gesagt haben. Aber vielleicht darf ich einmal die
kratie in Deutschland für die Zukunft keinen Frage stellen, meine Damen und Herren von der
Schuß Pulver wert. CDU: Wann gedenken Sie denn — und zwar hier
von der Tribüne dieses Hauses — den Menschen
Bei dieser grundsätzlichen Wertung und Beur- draußen zu sagen, wann ein echter Arbeitsschutz
teilung des Jugendproblems sind wir der Meinung, für die junge Generation geschaffen wird? Wann
daß die Sorge und vor allem eine grundsätzliche kommt das Berufsausbildungsgesetz, wann werden
und durchgreifende Hilfe für die Jugend dieses Sie den Kündigungsschutz für die junge Gene-
Volkes zu den ersten und vornehmsten Aufgaben ration verwirklichen? Diese junge Generation
der Bundesregierung gehören müßte. Nun, ich habe draußen hat ein sehr feines Gespür für die Diskre-
ein wenig den Eindruck, daß die bisherige Debatte panz zwischen Versprechungen im Wahlkampf und
schon einigermaßen hinreichend deutlich gemacht der praktischen Arbeit dieser Regierung!
hat, daß die Regierung auf dem Gebiet der (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
Jugendpolitik nicht im notwendigen Umfang Mitte.)
initiativ geworden ist. In diesem Zusammenhang
erinnere ich an die Regierungserklärung des Herrn Einige Probleme möchte ich noch ansprechen.
Bundeskanzlers vom 20. Oktober 1953, in der der Ein Stichwort ist hier schon gefallen. Wir werden
jungen Generation ganze zwei magere Sätze ge- in der nächsten Arbeitswoche hier in diesem Hause
widmet sind. Es ist eine sehr bittere Erinnerung, über die Fremdenlegion, den Menschenschmuggel
aber ich muß sie hier vorbringen. mit jungen Deutschen in die Fremdenlegion zu
reden haben. Ich möchte nichts von dem vorweg-
(Abg. Kemmer [Bamberg]: Worte machen es nehmen, was diese Debatte sicherlich zutage brin-
ja nicht aus!) gen wird. Aber der Menschenschmuggel für die
— Herr Kollege Kemmer, Sie werden doch von der französische Fremdenlegion ist nicht nur eine po-
Opposition nicht erwarten, daß sie zu diesem Pro- litische, er ist auch eine soziale Frage der jungen
blem sagt, was Sie gerne hören möchten. Generation. Da haben Leute, die es wissen müssen,
- in den Auffanglagern entlang der französischen
(Ironischer Beifall in der Mitte. — Abg. Grenze einmal eine Statistik über die Aufgegrif-
Frau Niggemeyer: Da haben Sie vollkom fenen gemacht. Da hört man, daß diesen bitteren
men recht! — Weitere Zurufe von der Weg aus der Bundesrepublik in die Fremdenlegion
Mitte.) junge Menschen zu 50 % wegen Heimatlosigkeit
gehen, zu 19 % wegen Arbeitslosigkeit und dann
- Meine Damen und Herren, Sie werden sich da- erst 20 % wegen zerrütteter Familienverhältnisse
mit abfinden müssen, daß wir zur Problematik der und nur 8 % aus Abenteuerlust sowie 1 % aus
jungen Generation hier zum Ausdruck bringen, Furcht vor Bestrafung. Auch hier zeigt sich wieder,
was ist, und zwar was wahr ist. Es ist nicht abzu- daß wir vor der Notwendigkeit stehen, gesunde
streiten, auch nicht mit den Bemerkungen über die soziale Verhältnisse für die vom Krieg so geschla-
SbZ-Jugend, daß eben nicht alles Gold ist, was in gene junge Generation zu schaffen. Es hat nicht
der Bundesrepublik glänzt, gerade auf dem Jugend- viel Sinn, über diesen furchbaren Weg zu reden,
sektor. Aber dazu werde ich noch Stellung nehmen. wenn man nicht die Voraussetzungen beseitigt, die
Wie soll die junge Generation zu einem positiven junge Menschen in die Werbebüros der Legion trei-
Verhältnis zum demokratischen Staat und zu einer ben. Das gehört mit zu diesem Komplex.
demokratischen Lebensgestaltung kommen, wenn (Widerspruch und Zurufe von der Mitte.)
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2477
(Pöhler)
Ich erinnere auch an die ausgesprochene Er- Aber die Frage ist noch nicht beantwortet, ob denn
ziehungskatastrophe, die wir zu verzeichnen haben. von dieser Regierung und den sie tragenden Par-
Auf den mehrschichtigen Schulunterricht ist be- teien alles getan worden ist, in der gleichen jungen
reits hingewiesen worden. Generation die Folgen des vergangenen Krieges
(Anhaltende Zurufe von der Mitte.) wettzumachen. Es ist eine große Frage, ob man das
moralische Recht hat, jetzt schon neue Opfer von
Das gleiche gilt für die körperliche Ausbildung, die der jungen Generation zu verlangen. Es steht fest,
Sportausbildung in den Schulen. Wie lange rufen daß die junge Generation, die in der Vergangen-
die Sportverbände schon nach der täglichen Turn- heit einen so schicksalschweren Weg gegangen ist,
und Sportstunde? All das sind Probleme, mit de- ein Recht auf durchgreifende Maßnahmen hat.
nen man sich beschäftigen muß; und man bringt
sie nicht aus der Welt, wenn man sie zu verschwei- In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis. Es
wird gesprochen vom „deutschen Wunder" — neh-
gen sucht.
men wir an, es ist das Wunder dieses fleißigen Vol-
(Zuruf von der Mitte: Das ist doch nicht kes und nicht einer Partei -; an diesem „deut-
Sache des Bundes! Das ist Ländersache!) schen Wunder" hat die junge Generation ihr ge-
In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Hin- rüttelt Maß Anteil.
weis auf die andere Seite. Ich weiß nicht, ob Sie
Grund hatten, unseren Redner bezüglich des Hin- (Zurufe von der Mitte: Wer hat denn das
weises auf die Diktatur, auf die sowjetische Be- bestritten?!)
satzungszone mißzuverstehen. Ich weise eine solche Ich erinnere an die Zeit, wo die jungen Menschen
Unterstellung schärfstens zurück. auch mit einer trockenen Maisbrotschnitte zur Ar-
(Zurufe von der Mitte.) beit gingen. Aus diesem Grunde meinen wir, sie
haben das Recht, daß man grundsätzlich Maßnah-
Eines steht fest. men für sie trifft, nicht nur mit Versprechungen
(Zuruf von der Mitte.) und Reden, sondern ganz konkret durch die prak-
tische Tat hier. Das Parlament hat darüber hinaus
— Was heißt denn das schon, Frau Kollegin? Wer die Pflicht, eine Jugendpolitik zu machen, die in
fordert denn eine Staatsjugend? Das können Sie den Herzen und Köpfen der jungen Generation die
doch der sozialdemokratischen Fraktion auch nicht Demokratie für die Zukunft sichert.
unterstellen! Aber wir wollen diese Jugend, die
wir nicht zur Staatsjugend machen wollen, auch (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der
nicht auf die freie Wildbahn ,der bundesrepublika- Mitte: Aber nicht mit demagogischen
nischen Marktwirtschaft schicken, um sie dann Reden!)
ihrem Schicksal zu überlassen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
(Fortgesetzte lebhafte Zurufe von der Mitte.) Abgeordnete Kemmer.
Ich komme noch einmal zurück auf das schon
zitierte Pfingsttreffen der FDJ in Berlin, wo in Kemmer (Bamberg) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
Ihren Kreisen und Reihen soviel Entsetzen über Meine Damen und Herren! Ich bedaure diese De-
die Auffassung der jungen Menschen aus der so- batte sehr. Ich war der Meinung, daß heute eine
wjetischen Besatzungszone entstanden war. Ja, sie Debatte über den Mündlichen Bericht des Aus-
haben sehr konkrete Fragen gestellt, und man schusses, der uns vorliegt, stattfindet. Statt dessen
konnte mit ihnen nicht mehr auf der Schokoladen- erleben wir eine Generaldebatte über alle mög-
und Kreppsohlenbasis diskutieren. Allerdings, sie lichen Dinge und Fragen und Gesetze, die in ganz
haben sehr konkrete Fragen gestellt über Fortbil- anderen Bereichen und zu einer ganz anderen
dungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik, über Stunde hier zu behandeln wären.
Schulgeldfreiheit — das wurde schon gesagt —, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
über Studiumsmöglichkeiten und dergleichen.
Ich bedaure die Ausführungen der SPD um so
(Fortgesetzte Zurufe von der Mitte.) mehr, als wir bisher in all diesen Fragen, um die
Ich sagte schon, es ist nicht alles Gold, was in die- es heute geht, im wesentlichen — von einigen
ser Hinsicht hier glänzt. Aber es ist doch nur be- Punkten abgesehen — doch sehr einmütig zusam-
dauerlich, daß die Diktaturen zu einem schlechten mengearbeitet haben. Es ist sehr schade, daß diese
und verbrecherischen Zweck für die junge Gene- Ausführungen vom Herrn Kollegen Herold und
ration wesentlich mehr Anstrengungen machen, als vom Herrn Kollegen Pöhler gemacht worden
wir gemeinhin in der Gesamtheit zu tun bereit sind, die, wie ich schon sagte, nicht zum Thema des
sind. - Mündlichen Berichts gesprochen haben, sondern
(Wiederholte Zurufe von der Mitte.) leider ganz allgemein.
Wenn ich diese Feststellung treffe, dann ist gar (Zuruf von der SPD: Drucksache 883!)
nicht gesagt, daß wir auch nur in etwa das System — Jawohl; aber der Mündliche Bericht steht
drüben verteidigen wollten. Ganz im Gegenteil! heute zur Debatte, und in dem Antrag steht von
Aber wir meinen, daß wir hier auch im gesamt- Jugendarbeitsschutz, Ausbildung, Werbung für die
deutschen Sinne die Aufgabe haben, in der jungen Fremdenlegion, und was dazu gehört, kein Wort.
Generation das soziale Leben so attraktiv wie Das müssen wir zu einer anderen Zeit beraten.
möglich zu machen. Vielmehr haben die genannten Vorredner ganz
(Zuruf von der Mitte: „Attraktiv" ist gut!) allgemein — ich muß das leider sagen — Propa-
Nun, wir leben ja in einer Zeit, wo sich die gandareden gehalten
Mehrheit dieses Hauses anschickt, von der jungen (Beifall in der Mitte — Zuruf von der SPD)
Generation zu verlangen, daß sie neue Stahlhelme — nein, das tue ich wirklich nicht; ich will jetzt
aufsetzt; das kann ja wohl nicht bestritten werden. ganz sachlich zu diesen Fragen sprechen, insbeson
(Andauernde Zurufe von der Mitte.) dere zu dem, was Sie gesagt haben —, Propaganda-
2478 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Kemmer [Bamberg])
reden gehalten, die aber, das darf ich hinzufügen, men und Herren von der CDU, daß Sie den Sinn
bei der Jugend nicht ankommen, unseres Antrages nicht begriffen haben.
(Zuruf von der SPD: Doch!) (Beifall bei der SPD. — Abg. Kemmer
weil die Jugend viel besser weiß, was Bundesju- [Bamberg]: Sie haben zu ganz anderen
gendplan, was Aufgabe des Bundes, was Aufgabe Dingen geredet!)
der Länder, was Aufgabe der Gemeinden und was Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
vor allem auch Aufgabe der Jugend selber ist. Abgeordnete Josten.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Josten (CDU/CSU): Meine Damen und Herren!
Ich darf einmal ganz kurz darauf hinweisen, daß Ich nehme ganz selbstverständlich an, daß jeder,
in den ersten fünf Jugendplänen immerhin die der hier gesprochen hat, das Beste für die Jugend
runde Summe von 130 Millionen DM für die deut- will. Vielleicht darf ich von diesem Gesichtspunkt
sche Jugend ausgeschüttet worden ist, zusätzlich aus gleich einen sachlichen Vorschlag machen. Ge-
zu all dem anderen, was auf Grund der Kriegsfol- rade erst vor ein paar Tagen war doch in einem
genhilfe und anderer gesetzlicher Maßnahmen an sachlichen Gespräch die Rede von einem interfrak-
Leistungen und Krediten für die Jugend gegeben tionellen Antrag, der z. B. eine Verbesserung für
worden ist. Die Leistungen der Länder, der Ge- die ganzen Jugendverbände mit sich bringt. Es
meinden und der Trägergruppen der Jugend selbst handelt sich um ein Gesetz zur Änderung des Um-
vervierfachen diesen Betrag, sie sind nicht in die- satzsteuergesetzes. Sie wissen, meine Damen und
sen 130 Millionen DM enthalten. Gerade die De- Herren, daß der Deutsche Bundesjugendring nach
batte im Ausschuß, bei der die Vertreter aller Ju- dieser Richtung einen Vorschlag gemacht hat. Ich
gendverbände, auch der Vertreter der sozialisti möchte von dieser Stelle aus anregen, daß alle
schen Jugendverbände, zu Wort gekommen sind, Fraktionen unseres Hauses gemeinsam diesen An-
hat gezeigt, wie positiv sie alle miteinander zum trag einbringen und das Haus ihn demnächst ver-
Bundesjugendplan in dieser Form und mit diesen
abschiedet, damit unsere Jugendverbände von
Mitteln stehen. Sie haben dabei mehr Verständnis dieser Umsatzsteuer in Zukunft befreit werden.
und Einsicht als der Herr Kollege Herold und der Dies als erstes, als positiven Beitrag.
Herr Kollege Pöhler dafür gezeigt, was in den
Zuständigkeitsbereich des Grundgesetzes, also in Gewisse Ausführungen, die hier gemacht wurden,
die Zuständigkeit von Bund und Ländern, gehört sind allerdings nicht sehr erfreulich. Zum Beispiel
und was nicht in den Bundesjugendplan, sondern fiel hier das Wort von dem Kasernenbau. Nun
in andere Gesetze und Maßnahmen hineingehört. bitte, jeder von Uns hier im Haues weiß doch, daß
Der Bundesjugendplan — das möchte ich noch ein- wir lieber Jugendheime und Sportstadien bauen
mal ganz eindeutig sagen; darüber hat doch bisher würden. Wir wollen aber doch nicht verkennen,
auch zwischen der SPD und uns volle Einmütigkeit daß uns das schönste Jugendheim nichts nützt,
bestanden — war und soll auch weiter sein eine wenn die Sicherheit gefährdet ist.
Initialzündung, die bisher viele Mittel und Kräfte (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der
frei gemacht hat und das auch in Zukunft tun wird. SPD.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.) — Ja, meine Herren, wie sieht es denn aus? Wenn
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Frau wir einen Bruder im Zuchthaus haben, dann ist ihm
— das wissen Sie doch genau so gut wie wir —
Abgeordnete Schanzenbach.
nicht dadurch geholfen, daß wir bereit sind, auch in
Frau Schanzenbach (SPD): Meine Damen und dieses Zuchthaus hineinzugehen, sondern dann
Herren! Bekommen Sie keinen Schrecken, wenn müssen wir gemeinsam überlegen, wie es möglich
ich das Wort ergreife. Ich will nur feststellen: Herr ist; daß wir diesen Bruder aus dem Zuchthaus her-
Kemmer, ich glaube, Sie gingen von einer fal- ausbringen. Es wird hier immer das Problem der
schen Voraussetzung aus. Wir haben nicht nur über Wiedervereinigung angesprochen. Auch die Jugend
die Drucksache 755 diskutiert, sondern unser Kol- verkennt die Bedeutung dieses Problems nicht. Des-
lege Wienand hat die Drucksache 883 begründet, halb können wir aber doch in sachlich ruhiger Form
über diese Dinge diskutieren. Ich respektiere auch
(Abg. Kemmer [Bamberg] : Das ist das Ihre Meinung, wenn sie — das müssen Sie ver-
Institut!) stehen — auch mit sachlichen Argumenten vorge-
und alle Diskussionsreden, die von uns gehalten tragen wird.
worden sind, sind im Hinblick auf diese Drucksache Nun zur Frage der Zuständigkeit des Bundes in
883 gehalten worden. - Angelegenheiten des Sports. Die Herren Kollegen
(Abg. Kemmer [Bamberg]: Da steht nichts Hübner und Pöhler haben diese Frage ebenfalls
davon drin!) angeschnitten. Auch da gibt es gewisse Dinge, die
über die Länder geregelt werden müssen. Aber wir
Damit wollten wir nachdrücklich darauf hinweisen, dürfen nicht vergessen, daß die Sportjugend heute
daß es dringend notwendig ist, ein solches Institut einen sehr großen Teil unserer Jugend ausmacht.
zu schaffen, damit die Mittel, die ausgegeben wer- Wir alle sind daran interessiert, daß z. B. die Leh-
den, sinnvoll angewandt werden können. rerbildung für das Fach Leibeserziehung an den
(Abg. Dr. Seffrin: Habe ich ja zugegeben, pädagogischen Akademien, an den Instituten für
Frau Schanzenbach!) Leibeserziehung an den Universitäten sowie der
Ausbau des sportärztlichen Studiums an den medi-
Dieses Institut soll erforschen, aus welchen Grün- zinischen Fakultäten gefördert werden. Die sport-
den unsere Jugend heute so und und nicht anders ärztliche Fortbildung von Ärzten wird von uns
reagiert. allen gewünscht. Wenn wir also diese Dinge im
(Beifall bei der SPD.) Ausschuß für Jugendfragen gemeinsam beraten und
Es ist die Grundlagenforschung, die wir betreiben anschließend daran in den Fraktionen, werden wir
müssen. Ich bedauere außerordentlich, meine Da I auch zu einem guten Ergebnis kommen.
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2479
(Josten)
Herr Kollege Pöhler hat dann noch etwas ge- Ich persönlich habe die Ehre, seit einem Jahre
sagt, was mir nun gar nicht gefiel. Ich muß sagen, diesem Bundestage und dem Ausschuß für Jugend-
ich habe ihn noch nie so hitzig erlebt. Aber ich fragen anzugehören, und, meine Herren von der
weiß bestimmt, dach er ein guter Demokrat ist. Opposition, verzeihen Sie, ich bin etwas darüber
Lieber Herr Kollege Pöhler, ich gestehe Ihnen ohne überrascht, daß wir alle diese Fragen nicht viel
weiteres zu, daß auch jeder von der Opposition gründlicher in unserem Ausschuß diskutiert haben,
das Beste für die Jugend will. Das müssen Sie (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)
dann aber auch jedem Mitglied unserer Fraktion
zubilligen, und das müssen Sie auch unserem Kanz- wo sehr viel Gelegenheit gewesen wäre und wo
ler zugestehen, der 78 Jahre alt ist und der es ganz das nicht geschehen ist. Ich kann mich des Eindrucks
gewiß in diesem Alter nicht mehr nötig hätte, sich nicht erwehren, als verläsen wir heute bewußt vor-
so aufzureiben. bereitete Reden zum Fenster hinaus, die mit ganz
besonderer und ganz bestimmter Pointe gehalten
(Beifall in der Mitte. — Zurufe von der SPD.) werden.
Es gibt gewiß viele hier in unserem Hause, die (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
zwar kein Wort sagen, aber doch aktiv für die Meine Damen und Herren, ich glaube nicht— und
Jugend arbeiten. Es kommt nicht auf die Länge der
Sie werden mir darin recht geben —, daß wir mit
Sätze und nicht auf die Menge der Reden, sondern
Verallgemeinerungen irgend etwas erreichen. Wenn
auf die Arbeit an, und das ist doch in diesem Falle Sie, Herr Herold, sagen, daß es Jungen und Mädel
gegenüber unserem Kanzler unbestritten.
gebe, die 40 km Schulweg hätten, — entschuldigen
Nun noch ein Hinweis, der ebenfalls uns alle be- Sie, wie viele von der Sorte gibt es denn in Deutsch-
trifft. Am nächsten Samstag und Sonntag begehen land?
wir den Gedenktag für unsere noch gefangengehal-
tenen Kameraden. Wir wissen genau, daß neun
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg.
Frau Keilhack: Unzählig viele!)
Jahre nach Kriegsende viele von ihnen inzwischen
Männer geworden sind, daß sie teilweise als Kinder Verallgemeinern wir nicht, sondern sehen wir doch
und Jugendliche damals in die Gefangenschaft des das Eigentliche der Sache. Sie haben mit Recht ge-
Ostens kamen und in der weiten Steppe des Ostens sagt, daß die Jugend ein sehr feines Gespür hat. Als
eben nur in Gedanken in der Heimat sein können. ich die Diskussion anhörte, habe ich mir nur immer
Gerade angesichts dieses bevorstehenden Gedenk- überlegt, was sich da oben die vielen Jugendlichen
tages für unsere noch gefangenen Kameraden habe auf der Tribüne, die heute besonders zahlreich mit
ich an alle Stellen, nicht nur an die Dienststellen Jugend besetzt ist, denken und mit welchem Ge-
des Innenministeriums, die Bitte, diesen jungen fühl sie heute nach Hause gehen.
Menschen, die das Glück haben, wieder den Weg (Beifall bei der CDU/CSU.)
nach Hause zu finden, in jeder Weise zu helfen.
Ich hätte gewünscht und ich wünsche es noch,
(Abg. Eschmann: Siehe Konrad Müller aus daß wir in den Ausschuß gehen und diese Dinge
Rhöndorf!) dort sehr gründlich und eindeutig durchdiskutieren,
— Sie nenen hier ein einzelnes Beispiel. Nennen bevor wir damit an die Öffentlichkeit treten und
Sie doch bitte auch die positiven Beispiele! Bei der glauben, dadurch etwas zu erreichen.
Millionenzahl von Fällen macht es keine Schwierig- Herr Pöhler , Sie haben gefragt, wie die Ju-
keiten, schlechte Beispiele aufzuzeigen. gend eine positive Stellung zum demokratischen
(Abg. Heiland: Vor allen Dingen, wenn man Staat bekommen soll. Ich stehe mit größter Aner-
so nahe dabei wohnt!) kennung vor dem, was der Bundesjugendplan im
Laufe der Jahre geleistet hat. Ich glaube aber nicht,
Wir wollen uns nicht darüber ereifern, daß durch die materielle Hilfe eine positive Stel-
(Abg. Heiland: Kann ich mir vorstellen!) lung der jungen Generation zum Staate erreicht
höchstens ereifern in der Initiative, das Gute zu wird,
wollen und einer den andern in der Arbeit, d. h. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)
in der Hilfe für unsere Heimkehrer zu unter- sondern ich meine, daß, wie Sie sagen, die Wur-
stützen. zeln tiefer liegen und daß tiefer angepackt werden
(Abg. Heiland: Man muß es nicht wollen , müßte.
man muß es t u n !) Das eine Gute, das aus dieser Diskussion her-
— Ja, das tun Sie bitte; das wollte ich Ihnen sagen! auskommen wird, ist — und das hoffe ich —, daß
wir uns im Ausschuß zusammensetzen und uns über
Meine Damen und Herren! Mehr als alle Mittel alle diese Fragen einmal frisch-fröhlich zusam-
aus dem Bundesjugendplan gilt heute das gute Bei- menraufen. Sicher helfen wir der Jugend, helfen
spiel der älteren Generation, gilt aber auch das wir der Demokratie auf diese Weise besser.
gute Beispiel von uns allen. Nicht gegeneinander,
miteinander für die Jugend — so arbeiten wir für Ich gehöre ja wie die meisten in diesem Hause
das Wohl des ganzen Volkes. nun nicht mehr zur Jugend
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Zuruf: Zur reiferen Jugend! — Heiterkeit)
— zur reiferen Jugend; danke, danke, das Feuer
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der habe ich immer noch! —,
Abgeordnete Gedat.
(allgemeine Heiterkeit — Beifall bei der
Gedat (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- CDU/CSU)
men und Herren! Ich weiß nicht, ob wir mit dieser sondern ich gehöre zu der Generation, die nach
Debatte unserer Demokratie und unserer Jugend dem ersten Weltkrieg jung war. Ich bin dankbar,
einen guten Dienst getan haben. daß ich aus der Jugendbewegung kommen darf,
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) erst aus der freideutschen und später aus der
2480 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Gedat)
christlichen. Wenn ich zwischen dem vergleiche, was Haushaltsausschuß — mitberatend — überweisen.
nach dem ersten Weltkrieg geschah und was jetzt Besteht darüber Einverständnis? - Es ist so be-
für die Jugend getan wird, — schlossen.
(Abg. Kemmer: Sehr richtig!)
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir
etwas dankbarer sein sollten! Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
über das Abkommen vom 22. Juli 1954 zwi-
(Abg. Frau Schanzenbach: Das war auch schen der Bundesrepublik Deutschland und
eine ganz andere Situation!) den Vereinigten Staaten von Amerika zur
Ich möchte mich als der Ältere zum Sprecher der Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
jungen Generation machen und sagen: Die Jugend Gebiete der Steuern vom Einkommen (Druck-
ist diesem Staat für das, was er tut, viel dankbarer, sache 894).
als wir es sehen. Auf Begründung und Aussprache wird ver-
(Beifall bei der CDU/CSU.) zichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Aus-
schuß für Finanz- und Steuerfragen vor. — Es er-
Zum andern — auch das lassen Sie mich bitte folgt kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
noch aussprechen —: ich wünschte, daß der Bundes-
jugendplan doppelt soviel Mittel herausbrächte, Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
denn die Situation ist heute anders als damals! Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten
(Zurufe von der SPD.) Gesetzes über die Altersgrenze von Richtern
Wir müssen tun, was möglich ist; darin sind wir an den oberen Bundesgerichten und Mit-
einig. Aber hüten wir uns doch auch davor, daß der gliedern des Bundesrechnungshofes (Druck-
Staat nur das Kindermädchen ist: daß er nur gibt sache 897).
und gibt und gibt Auf Begründung und Aussprache wird ver-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) zichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Aus-
schuß für Beamtenrecht als federführenden Aus-
und damit die Jugend nicht dahin bringt, daß sie schuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und
selbst, von sich aus, wirklich viel mehr tut. Wir Verfassungsrecht als mitberatenden Ausschuß vor.
hätten uns damals in der Zeit der Jugendbewegung — Es erfolgt kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
verbeten, daß der Staat uns allzusehr betreute;
(Beifall bei der CDU/CSU — Oh-Rufe von Ich rufe Punkt 6 der Tageordnung auf:
der SPD) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
und ich glaube, es waren nicht die Schlechtesten eines Gesetzes zur Änderung des § 168 des
aus jener Zeit. Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Ar-
beitslosenversicherung (Drucksache 412);
(Anhaltende Unruhe. — Glocke des
Präsidenten.) Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ar-
beit (27. Ausschuß) (Drucksache 885, Um-
Deshalb lassen Sie uns doch noch einmal sehr drucke 192, 193).
ernst und ehrlich darüber diskutieren. Und im
übrigen: seien wir etwas dankbarer für das, was Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeord-
geschehen ist! Ich glaube, die Jugend ist es viel nete Becker (Pirmasens).
mehr, als das heute und hier zum Ausdruck ge-
kommen ist. Becker (Pirmasens) (CDU/CSU), Berichterstatter:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die in
(Beifall bei der CDU/CSU.) den Drucksachen 412 und 885 aufgezeigten Pro-
bleme zeigen eine der großen Nachkriegsschwierig-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und keiten, die uns besonders infolge der Teilung Ber-
Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor; lins begegnen. In Berlin (West) arbeiten etwa
ich schließe die Aussprache. 30 000 Menschen, die im Ostsektor wohnen. Um-
gekehrt arbeiten in Berlin (Ost) etwa 26 000 Per-
Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 3 a), sonen, die in Westberlin wohnen. Nach den gel-
Drucksache 755 Ziffer 1 und 2. Ich darf in einem tenden gesetzlichen Bestimmungen haben in West-
abstimmen lassen. Wer dem Antrag des Ausschusses berlin arbeitende, aber im Ostsektor wohnende Per-
zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu sonen, wenn sie arbeitslos werden, keinen gesetz-
heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ent- lichen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, da
haltungen? — Einstimmig angenommen. für den Bezug der Arbeitslosenunterstützung das
Ich komme zur Abstimmung über Punkt 3 b), Arbeitsamt des Wohnorts zuständig ist.
Drucksache 883, Antrag der Fraktion der SPD be- Das hat im allgemeinen seinen guten Grund,
treffend Errichtung eines Instituts für Jugend- weil das zuständige Arbeitsamt sonst keine Mög-
fragen. Die Fraktion der SPD und, wenn ich recht lichkeiten der Kontrolle hätte, ob , der Betreffende
verstanden habe, auch die Fraktion der CDU/CSU auch arbeitslos ist und dem Arbeitsmarkt zur Ver-
haben Überweisung an den Ausschuß für Jugend- fügung steht.
fragen beantragt. Nach den Besprechungen im
Altestenrat war allerdings Überweisung an den Eine solche Möglichkeit ,der Kontrolle im Ost-
Haushaltsausschuß — federführend — und an den sektor besteht für die West-Berliner Arbeitsver-
Ausschuß für Jugendfragen — mitberatend — vor- waltung nicht. Das Landesarbeitsamt Berlin hat in
gesehen. Einzelfällen in Abweichung von den angeführten
(Widerspruch.) Bestimmungen Arbeitslosenunterstützung ausge-
zahlt. Eine gesetzliche Regelung des Problems ist
- Ich schlage Ihnen vor, daß wir an den Ausschuß aber unbedingt notwendig. Deshalb war die Frage
für Jugendfragen — federführend — und den zu prüfen, ob im genannten Fall ein Rechtsan-
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2481
(Becker Pirmasens])
Spruch auf Arbeitslosenunterstützung geschaffen waltung — es waren Herren der Bundesanstalt für
werden soll oder ob man sich damit begnügen soll, Arbeitsvermittlung und des Landesarbeitsamtes
der Arbeitsverwaltung durch eine Kann-Bestim- Berlin — haben mit der von ihnen vorgeschlagenen
mung , die Möglichkeit zu geben, in solchen Fällen Fassung, der sich der Ausschuß angeschlossen hat,
Unterstützung zu gewähren, in denen es aus ver- die Möglichkeit der Aussiebung der Antragsteller
schiedenen Erwägungen zweckmäßig ist. offenhalten wollen. Das ist nach unserer Meinung
Der Ausschuß hat eine Reihe von Sachverstän- nicht möglich. Wer als Versicherungspflichtiger —
digen gehört, , die sämtlich eine Änderung der be- wo immer auch — Beiträge bezahlt, muß eine
stehenden Verhältnisse für notwendig hielten, über Leistung dafür erhalten.
die Form der Änderung jedoch verschiedener Auf- Vor politisch nicht erwünschten Elementen muß
fassung waren. Der Ausschuß empfiehlt die Ihnen sich die Insel Berlin natürlich schützen; aber das
auf Drucksache 885 vorliegende Regelung. Danach tut sie seit Jahren auf eine andere Weise. Ein im
soll die Arbeitsverwaltung ermächtigt werden, in sowjetisch besetzten Sektor wohnender Berliner
Abweichung von der bisherigen gesetzlichen Rege- kann in Berlin (West) eine Arbeit nur annehmen,
lung Arbeitslosenunterstützung zu zahlen. Das Ver- wenn sein zukünftiger Arbeitgeber beim Landes-
fahren soll vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt arbeitsamt eine Arbeitsgenehmigung für ihn bean-
mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit tragt und erhält. Er wird sie jedoch in der Regel
festgelegt werden. nur erhalten, wenn der Arbeitsuchende glaubhaft
Ich kann darauf verzichten, Ihnen die einzelnen machen kann, daß er erstens im Ostsektor Berlins
Artikel im Wortlaut vorzutragen, und darf auf die aus politischen Gründen gemaßregelt worden ist
Drucksache 885 verweisen. Ich erlaube mir nur den oder daß er zweitens zur Sparte der in Berlin knap-
Hinweis, daß die vorgeschlagene Regelung nach pen Facharbeiter gehört oder aber drittens seit der
Art. II des Gesetzentwurfs nur für die Arbeitslosen- Spaltung Berlins, also seit 1948, in West-Berlin ge-
versicherung und nicht für die Arbeitslosenfürsorge arbeitet hat. Außerdem muß er, um zum Lohnum-
Geltung haben soll. Der Vollständigkeit halber darf tausch — 66 2/3 % Ostmark und 33 1 /3 % DM (West) —
ich dann noch darauf hinweisen, daß außer in Ber- zugelassen zu werden, nochmals einen Antrag stel-
lin ähnliche Fälle, wenn auch nur in geringem len. Die Lohnumtauschkasse in Berlin ist eine
Maße, beispielsweise an der holländischen Grenze Selbsthilfeeinrichtung auf Ausgleichsbasis der Sek-
und ganz vereinzelt auch im Saargrenzgürtel be- torengrenzgänger und läßt Leute, die gegen die
stehen. demokratischen Grundregeln verstoßen haben,
nicht am Umtausch teilnehmen. Diese Sicherungen
Namens des Ausschusses darf ich Sie bitten, dem sind vielleicht für das Bundesgebiet etwas unge-
Gesetzentwurf Drucksache 412 in der Ihnen jetzt wöhnlich, aber sie sind in Berlin notwendig, werden
vorliegenden Fassung auf Drucksache 885 mit der seit Jahren durchgeführt und haben sich bestens
Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Ergän- bewährt.
zung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Ar-
beitslosenversicherung" Ihre Zustimmung zu geben. Wenn nun aber ein Arbeitnehmer aus dem so-
wjetisch besetzten Teil Berlins diese Hürden ge-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem Herrn nommen hat, dann werden ihm wie jedem anderen
Berichterstatter. Arbeitnehmer hier auch selbstverständlich die Bei-
träge für die Arbeitslosenversicherung und für die
Ich rufe auf zur zweiten Beratung Art. I mit den
Krankenversicherung abgezogen. Er muß nun,
Umdrucken 192 und 193. Zur Begründung des An- wenn er arbeitslos wird, auch das Recht haben —
trags Umdruck 193 Frau Abgeordnete Heise bitte!
das will unser Antrag erreichen —, Arbeitslosen-
Frau Heise (SPD): Herr Präsident! Meine Herren unterstützung zu beziehen. Ich sagte schon einmal:
und Damen! Wir haben Ihnen heute einen Ände- die in der veränderten Fassung des Ihnen vorlie-
rungsantrag Umdruck 193 vorgelegt. Ich berufe genden Gesetzes eingefügte Kann-Bestimmung gibt
mich dabei auf meinen Herrn Vorredner, den Herrn ihm nicht das Recht. Es entspricht aber wohl dem
Berichterstatter, der Ihnen schon sagte, daß sich Versicherungsprinzip wie auch dem Rechtsempfin-
der Ausschuß zwar über die materielle Notwendig- den, daß bei einem Beitrag auch ,eine Leistung er-
keit einer Änderung einigen konnte, daß er aber folgen muß.
nicht zu einer Einigung über die Form der Ände- Das Landesarbeitsamt in Berlin wußte natürlich,
rung gekommen ist. Nun unterscheidet sich die alte daß hier ein Unrecht an Versicherungspflichtigen
Fassung des Gesetzentwurfs Drucksache 412 von begangen wurde. Rechtlich konnte es sich auf den
der neuen, im Ausschuß von der Mehrheit ange- Gesetzestext stützen, der die Wohnsitzklausel vor-
nommenen dadurch, daß der Ausschuß aus der - Muß sieht, d. h. jeder Arbeitnehmer muß sich dort ar-
Bestimmung eine Kann-Bestimmung gemacht hat. beitslos melden, wo er wohnt. Moralisch hat es sich
Das ersehen Sie einmal aus Abs. 2 des § 87. Da darauf gestützt, daß es nur einem kleinen Perso-
heißt es: „Arbeitslosenunterstützung kann ge- nenkreis eine Arbeitslosenunterstützung gewährte.
währt werden", während es in § 168 a heißt: „Für Mein Herr Vorredner sagte schon: Wir haben 30 000
Arbeitslose . . . . kann der Präsident der Bun- Arbeitnehmer, die in West-Berlin arbeiten. Zur
desanstalt zulassen". Das steht im Gegensatz zu Zeit unterstützt das Landesarbeitsamt bei beson-
unserem Antrag Drucksache 412, den wir mit Um- derer Notlage, die nachgewiesen werden muß, 16
druck 193 wieder aufleben lassen. Er sieht einen Arbeitnehmer. Schon an diesen Zahlen können Sie
Rechtsanspruch der gegen Arbeitslosigkeit Ver- ersehen, wie ungleich das Verhältnis ist; denn wir
sicherten auf eine Arbeitslosenunterstützung vor. haben selbstverständlich mehr Arbeitslose. Das
Landesarbeitsamt aber hielt diesen Personenkreis
(Vizepräsident Dr. Schneider über so klein, weil es fürchtete, und mit Recht fürchtete,
nimmt den Vorsitz.) von der Bundesanstalt in Nürnberg regreßpflichtig
Wie ist nun der Ausschuß für Arbeit mit Mehr- gemacht zu werden.
heit zu seiner abweichenden Entscheidung gekom- Die Zahl der Beitragzahlenden — 30 000 — und
men? Die als sachverständig hinzugezogene Ver die Zahl der Unterstützungsempfänger stehen also
2482 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Frau Heise)
in keinem Verhältnis zu den wirklichen Zahlen. währung der Arbeitslosenunterstützung maßgebend
Hier muß eine Abänderung geschaffen werden. Die mit guten Gründen festgelegt worden. Das ist seit
jetzt vom Ausschuß vorgelegte Gesetzesänderung der Schaffung des Gesetzes über Arbeitsvermitt-
gibt der Verwaltung in Berlin eine gesetzliche lung und Arbeitslosenversicherung praktiziert wor-
Grundlage, nach der sie auch verlangt hat, aber sie den. Ich darf daran erinnern, daß der Bezug der
gibt ihr nur die Grundlage, einen von ihr bestimm- Unterstützung die Erfüllung einer Meldepflicht
ten und ausgesuchten Personenkreis zu unterstützen. voraussetzt, daß die Möglichkeit der Überprüfung
Das war nicht der Sinn unseres ursprünglich vorge- der Angaben des Unterstützungsberechtigten gege-
legten Antrags Drucksache 412. Wir wollten, daß die ben sein muß, daß gewisse Einsatzmöglichkeiten
30 000 im sowjetisch besetzten Sektor Berlins Leben- usw. sichergestellt sein müssen, daß die Möglichkeit
den und in West-Berlin Arbeitenden und ihre Fami- der Überprüfung des Arbeitswillens des Betreffen-
lien wissen, daß sie, wenn sie das Unglück haben den bestehen muß. Es sind also eine Reihe von
sollten, arbeitslos zu werden, die gleichen Rechte guten Gründen vorhanden, die für diese Regelung
haben wie jeder im Bundesgebiet arbeitende und maßgebend waren.
wohnende Bürger.
Nun will der Antrag der SPD den Ausschuß-
Wir bitten Sie deswegen, diese Menschen nicht beschluß wieder illusorisch machen, indem prak-
unter ein Ausnahmerecht zu stellen — das würde tisch wieder das, was in dem ursprünglichen SPD-
geschehen, wenn Sie den jetzt vorliegenden Antrag Antrag gesagt wurde, verlangt wird. Ich darf
annähmen —, sondern sich unserem Änderungs- darauf hinweisen, daß der Ausschuß seine Be-
antrag Umdruck 193 anzuschließen. Damit ver- schlüsse lediglich gegen einige Stimmen der SPD
pflichten Sie das Landesarbeitsamt Berlin, jedem gefaßt hat und daß er im übrigen mit Mehrheit
Beitragszahler die im zustehende Unterstützung der Auffassung zugestimmt hat, daß man es hier
auch wirklich zu zahlen. bei einer Kann-Bestimmung belassen sollte. Ich
(Beifall bei der SPD.) darf daran erinnern, daß zu dieser Frage sowohl
das Bundesarbeitsministerium als auch die Bundes-
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort zur Be- anstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosen-
gründung des Antrags Umdruck 192 hat der Ab- versicherung und das Landesarbeitsamt Berlin ge-
geordnete Sabel. hört worden sind und daß man seitens dieser Stel-
len aus einer Reihe von Gründen gesagt hat: An
Sabel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen sich ist eine Regelung notwendig, aber wir sollten
und Herren! Auf Umdruck 192*) wird Ihnen ledig- bei einer Kann-Bestimmung bleiben, um dadurch
lich eine technische Änderung vorgeschlagen. An die Möglichkeit zu haben, Mißbräuche zu vermei-
Stelle des Wortes „auch" in Art. I Nr. 1 sollen die den.
Worten„imFalds§168".Ditno-
wendig, weil in § 168 a die weiteren Voraussetzun Auswirkungen wird die Regelung insbesondere
für in der Bauwirtschaft tätige Personen haben.
gen enthalten sind, unter denen die Arbeitslosen
Auch die Partner in der Bauwirtschaft, die Indu-
unterstützung in diesen Fällen gezahlt wird. Würde
die Änderung nicht eintreten, wäre das nicht klar striegewerkschaft Bau und die Bauarbeitgeber
erkennbar. Ich bitte, diesem Antrag stattzugeben. hatten in einem Schreiben an die Bundesanstalt
und an das Bundesarbeitsministerium angeregt,
Herr Präsident, kann ich gleichzeitig zu dem diese Kann-Bestimmung zu schaffen. Ich gebe aller-
Änderungsantrag Umdruck 193 Stellung nehmen? dings zu, daß der Vertreter des Deutschen Gewerk-
schaftsbundes bei seiner Anhörung wohl auf die
Vizepräsident Dr. Schneider: Bitte sehr! Schwierigkeiten hingewiesen hat, die bei einer
Schaffung des Rechtsanspruchs bestehen würden.
Sabel (CDU/CSU): Ich möchte dann gleich zu Im allgemeinen stimmte er aber der von der SPD
dem Antrag Umdruck 193**), dem Antrag der SPD, angeregten Regelung zu.
Stellung nehmen und auf folgendes hinweisen. Der Nun sagt Frau Heise, Beiträge müssen unbedingt
Ausschuß für Arbeit hat die Frage in drei Sitzun- einen Leistungsanspruch ergeben. Bitte, übersehen
gen diskutiert. Er hat sich die Prüfung nicht leicht Sie nicht, im umgekehrten Fall erwächst ein Lei-
gemacht. Er hat eine Reihe von Sachverständigen stungsanspruch ohne Beitragszahlung. Die 26 000
gehört. Er hat dann beschlossen, Ihnen den hier Arbeitnehmer aus Westberlin also, die in Ostberlin
vorgelegten Vorschlag zu machen. arbeiten, aber in Westberlin wohnen, haben in
Nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Westberlin einen echten Unterstützungsanspruch.
-
Arbeitslosenversicherung ist für die Zahlung der Das darf nicht übersehen werden.
Arbeitslosenunterstützung der Wohnort des Ar-
beitslosen maßgebend. Das gilt auch in Berlin. Es geht auch nicht darum — wie es Frau Heise
Man hat in den vergangenen Jahren bei einigen hier dargestellt hat —, ein Ausnahmerecht zu besei-
schwierigen Fällen Ausnahmen gemacht, Ausnah- tigen. Nein, Sie wollen ein Ausnahmerecht schaffen.
men, für die an sich eine gesetzliche Grundlage Wir wollen die Dinge doch einmal klarstellen. Das
nicht gegeben war. Im Ausschuß bestand aber Ein- bisherige Recht ist so, wie wir es hier vorgetragen
mütigkeit darüber, daß man zu einer gesetzlichen haben. Wir wollen darüber hinaus die Kann-Be-
Sanktionierung des bisher Geschehenen kommen stimmung schaffen. Wir wollen — das ist unser
sollte. Streit bestand nur darüber, ob man von dem Anliegen — natürlich haben, daß von dieser Aus-
Grundsatz des AVAVG — Unterstützungsleistung nahme, von dieser Kann-Bestimmung mehr Ge-
am Wohnort — abgehen oder ob man der Arbeits- brauch gemacht wird, als es bisher bei den Aus-
verwaltung nur in besonderen Fällen die Möglich- nahmen ohne gesetzliche Grundlage der Fall war.
keit geben sollte, von diesem allgemeinen Grund- Es ist verständlich, daß das Landesarbeitsamt in
satz abzuweichen. Der Wohnort ist als für die Ge Berlin hier vorsichtig sein mußte, weil eben, wie
gesagt, die rechte gesetzliche Grundlage fehlte. Wir
*) Siehe Anlage 1. haben uns aber dahingehend abgesprochen, daß wir
**) Siehe Anlage 2. in einem wesentlich größeren Umfang wünschen,
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2488
(Sabel)
daß, obwohl an sich die Voraussetzungen des ren Fällen ein Rechtsanspruch auf Unterstützung
AVAVG nicht erfüllt sind, Unterstützung geleistet gegeben ist, ohne daß dem eine Beitragsleistung
wird. Wir wollen jedoch — und das möchte ich gegenübersteht.
noch einmal klarstellen — der Arbeitsverwaltung (Zuruf des Abg. Hansen [Köln].)
die Möglichkeit geben, jeden Einzelfall zu über-
prüfen, um festzustellen, ob nicht Mißbrauch mit - Herr Kollege Hansen, in der Arbeitslosenver-
der Inanspruchnahme der Arbeitslosenunterstützung sicherung ist es doch so — das werden Sie nicht
getrieben wird. bestreiten können —, daß in den Fällen, in denen
der Beschäftigte dort tätig ist, wo die Bundes-
In der Vorlage ist gesagt, daß das Nähere vorn anstalt nicht zuständig ist, er Unterstützungsan-
Verwaltungsrat festgelegt werden soll, der mit Zu- spruch hat, obschon er keine Beitragsleistung voll-
stimmung des Bundesministers für Arbeit das Ver- bracht hat; das ist also der Fall, wenn er im Be-
fahren festlegen und die entsprechenden Anwei- reich der Tätigkeit der Bundesanstalt, .also im
sungen an die unteren Dienststellen der Arbeits- Bundesgebiet wohnhaft ist.
verwaltung geben wird.
In Berlin ist es so — ich sage das noch einmal —,
Ich möchte also noch einmal darum bitten — daß 26 000 Menschen einen Anspruch ohne Bei-
unsere Vorlage entspricht auch der Stellungnahme tragsleistung haben und 'daß 30 000 Leute Beiträge
vieler Sachverständiger, die dazu gehört worden leisten und keinen Anspruch haben. Das muß man
sind —, die Dinge nicht völlig umzukehren und sehen, wenn man die Dinge richtig werten will.
nicht von dem bisher bewährten Grundsatz in der Ich sage noch einmal: wir haben die Dinge reiflich
Arbeitslosenversicherung völlig abzuweichen, son- überprüft. Ich wundere mich, daß Frau Finsel-
dern sich darauf zu beschränken, hier eine Aus- berger — sie als die BHE-Vertreterin im Ausschuß
nahmemöglichkeit zu schaffen. Ich bin gewiß, daß hat selbstverständlich das Recht dazu — nunmehr
von dieser Ausnahmemöglichkeit ein vernünftiger den gegenteiligen Standpunkt vertritt. Wir glau-
Gebrauch gemacht wird und daß dadurch viele ben aber, daß man mit einer Kannbestimmung
Mißstände, die mit Recht hier vorgetragen und mit erstens dem vorgetragenen Anliegen gerecht
Recht beanstandet worden sind, beseitigt werden. werden kann und daß darüber hinaus die Möglich-
(Beifall bei der CDU/CSU und rechts.) keit verbleibt, Schäden zu vermeiden, die sonst
nicht vermieden werden können. Denken Sie doch
einmal an die Tatsache, daß wir in Ostberlin kei-
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat Frau nerlei Exekutivgewalt haben. Wir haben also gar
Abgeordnete Finselberger. nicht die Möglichkeit, irgendwelche Überprüfungen
vorzunehmen, ob der Bezug der Arbeitslosen-
Frau Finselberger (GB/BHE): Herr Präsident! unterstützung zu Recht erfolgt. Ich glaube, das
Meine Herren und Damen! Im Auftrage meiner muß man doch einmal sehen. Diese technischen
Fraktion, des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, sehe Dinge und diese Schwierigkeiten dürfen bei Gott
ich mich doch veranlaßt, noch einmal zu dieser nicht ignoriert werden. Es geht hier doch um fol
Frage Stellung zu nehmen. Bei aller Würdigung gendes. Das Anliegen, zu helfen, ist uns allen ge-
der Ausführungen, die Sie, Kollege Sabel, gemacht meinsam. Aber wir wollen in einer Form helfen,
haben, die zweckmäßig ist.
(Abg. Sabel: Der BHE hat im Ausschuß
(Beifall in der Mitte.)
zugestimmt!)
— möchte ich doch feststellen, daß die Mehrheit Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat Frau
meiner Fraktion der Meinung des Ausschusses Abgeordnete Heise.
nicht zustimmen kann.
Frau Heise (SPD): Herr Kollege Sabel, ich glaube,
(Abg. Sabel: Aber der Vertreter des BHE
hat zugestimmt!) es ist nun doch notwendig, die Dinge noch einmal
aufzuzeigen. Ich will Ihnen bestätigen, daß das
Wir haben Verständnis für die Arbeiter, die in der Landesarbeitsamt an ungefähr 30 900 im Westen
Sowjetzone arbeiten, einen Beitrag leisten müssen Tätige keine Unterstützung zahlt; ich will Ihnen
und von der Bundesanstalt keine Leistung bezie- auch bestätigen, daß es an 26 200 im Westen Woh-
hen, wenn sie arbeitslos werden. Was Sie sagen, nende und im Osten Arbeitende im Bedarfsfall, also
hat dann ein gewisses Gewicht, wenn es sich um im Fall einer Arbeitslosigkeit, Arbeitslosenunter-
normale Verhältnisse handelt. Wenn Sie sagen, daß stützung zahlt.
Sie die Sachverständigen — die zuständi-
-
gen Stellen der Ministerien und darüber hinaus die Aber bitte, wie kommt es dazu? Die Grundlage
Bundesanstalt — gefragt haben, dann glaube ich, bildet das vorliegende Gesetz mit dem Wohnort-
erklären zu müssen, daß man bei einer solchen prinzip. Das Landesarbeitsamt ist gesetzlich ge-
bunden, an diesen Personenkreis der 26 200 Unter-
politischen Frage — politisch nämlich für uns alle stützung zu zahlen. Aber wenn das richtig ist, — seit
ohne Unterschied der Partei oder der Fraktion — wann wird dadurch das Unrecht an den Ostsekto-
auch einmal die Mensch en hätte fragen müssen, ranern aufgehoben? Ich will sagen: Sie können
die nämlich einen echten Anspruch erwerben, ohne
doch nicht durch den Verzicht der Ostsektoraner
nachher die Leistung zu bekommen. Aus diesem
auf ihre Rechte den Etat des Landesarbeitsamtes
Grunde wird meine Fraktion den SPD-Antrag Um- ausgleichen. Das ist doch eine Unmöglichkeit.
druck 193 unterstützen.
(Abg. Sabel: Darum geht es doch nicht!)
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der Es ist doch so, daß sich das Landesarbeitsamt nicht
Abgeordnete Sabel. nur aus politischen, sondern auch aus anderen
Gründen, die Ihnen und mir bekannt sind, dagegen
Sabel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- gewehrt hat. Es war ihm zuviel. Es wußte, daß es
men und Herren! Ich möchte noch einmal feststel- immer wieder von den 26 200 in Anspruch genom-
len, daß nach der Regelung im Gesetz auch in ande men wurde und sich nicht dagegen wehren konnte.
2484 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Frau Heise)
So wehrte es sich gegen diejenigen, die zu ihm denn die volle Beweislast hat ja der Betroffene,
kamen und keinen Anspruch auf gesetzlicher der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt.
Grundlage hatten. Aber, Herr Kollege Sabel, wir Sie sind jederzeit in der Lage, seine Einsatzfähig-
waren uns im Ausschuß doch darüber einig, daß keit nachzuprüfen. Er muß sich seine Unterstützun-
den Menschen geholfen werden muß. Wir sind uns gen abholen. Sie können also jederzeit nachprüfen,
im Ausschuß alle darüber einig, daß die materiellen ob der Mann noch Schwarzarbeit macht. Das sind
Bedingungen geschaffen werden müssen, daß dieses doch alles keine unüberwindlichen Schwierigkeiten,
Gesetz geändert werden muß, damit eine gesetz- Herr Sabel. Davon kann doch keine Rede sein.
liche Grundlage vorhanden ist. Jetzt kommt nur (Abg. Sabel: Wie wollen Sie z. B. einen
noch Ihr Einwand in Frage: Kann man denn die Schwarzarbeiter im Ostsektor feststellen?)
Menschen kontrollieren? Das ist auch im Ausschuß
geklärt worden. — Wie wollen Sie letzten Endes Schwarzarbeiter
im Inland feststellen? Es ist doch ein offenes Ge-
(Widerspruch in der Mitte.) heimnis, daß man mit dem Problem der Beseiti-
Sie haben von Herrn Professor Schellenberg gung der Schwarzarbeit im Inland nicht fertig
im Ausschuß gehört, daß wir in Berlin auch die wird, wenn große Arbeitslosigkeit herrscht.
Unfall- und Krankenversicherung auf dieser Basis Ich bitte aber doch, das Politikum bei der Sache
haben. Die Menschen zahlen ihre Beiträge nicht zu sehen und nicht gerade gegenüber den Bewoh-
nur zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch nern der Ostzone hier eine Ausnahmeregelung zu
zur Unfall- und Krankenversicherung. Wenn je- machen.
mand, der im Osten wohnt, krank wird, dann kann (Zurufe von der Mitte.)
er selbstverständlich das Krankengeld im Westen
beziehen, dann kann er einen Arzt im Westen auf- Das sind die rein sachlichen Gründe, die uns
suchen und hat alle Leistungen, die ihm zustehen. veranlassen, dem Antrag der SPD zuzustimmen.
Ich bitte Sie doch einmal zu beachten, daß die Vizepräsident Dr. Schneider: Wird weiter das
Leistung einer Versicherung auf Gegenseitigkeit Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Sabel.
beruht. Wenn man versichert ist, hat man eben
auch einen Anspruch. Dieser Anspruch wird in dem Sabel (CDU/CSU): Ja, ich muß tatsächlich dem
von Ihnen nun beschlossenen Gesetzentwurf, der Kollegen D r. Gille noch einmal sagen: es geht
eine Änderung darstellt, nicht gewährleistet. Wir nicht darum, daß wir ein Ausnahmerecht schaffen
wollen es nicht der Verwaltung überlassen. Wir wollen, sondern wir wollen es ja bei der Regel
sind nicht der Meinung, daß sich die Verwaltung belassen, aber auf Grund der Schwierigkeiten, die
aussuchen kann, wem sie Unterstützung gewährt, bestehen, über die Regel hinaus die weitgehende
sondern wenn wir eine Änderung des Gesetzes hier Kann-Bestimmung schaffen, daß trotzdem gezahlt
durchbringen, dann wollen wir auch, daß die Men- wird,
schen wissen: ich habe für meinen Beitrag einen
Rechtsanspruch. (Zuruf von der SPD: Was verstehen Sie
unter Kann-Bestimmung?)
(Sehr richtig! bei der SPD.)
— so daß also im Endergebnis die Bundesanstalt
Um diesen Rechtsanspruch geht es jetzt.
tatsächlich weitgehend an diejenigen zahlt, die Bei-
Ich möchte Sie doch noch einmal bitten, hier nicht träge leisten, aber auch an die anderen, die in
Ausnahmerecht zu schaffen. Die Vorlage, die Sie West-Berlin wohnen und in Ost-Berlin arbeiten,
uns hier und heute gegeben haben, ist schon wie- die also keine Beiträge leisten.
der ein Ausnahmerecht; denn jeder andere Bei-
tragzahler hat einen absoluten Rechtsanspruch. (Abg. Hansen [Köln] : Das Gesetz stellt ein
Unrecht dar!)
Um den bitte ich Sie für die Ostsektoraner in
Berlin. Man muß an sich natürlich, meine ich, überlegen
(Beifall bei der SPD.) — und das muß man bei der Novelle zum AVAVG
einmal tun —: bleibt man grundsätzlich bei dem
Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und Standpunkt, daß für die Unterstützungsleistung
Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. der Wohnort entscheidend ist? Das muß dann ein-
mal geprüft werden. Wenn mir der zuständige
(Widerspruch beim GB/BHE.) Präsident des Landesarbeitsamts in Berlin, Herr
— Bitte, Abgeordneter Gille. Fleischmann, sagt: wir haben mit einer Kann-Be-
- stimmung eine bessere Möglichkeit, Mißbrauch zu
Dr. Gille (GB/BHE): Herr Präsident! Meine Da- verhüten, dann ist das für mich doch immerhin
men und Herren! Noch ganz wenige Worte. Es ist ein Argument, das ich nicht ignorieren kann. Das
darauf hingewiesen worden, daß man von den Men- wird mir auch von der Bundesanstalt gesagt. Es
schen aus der Ostzone die Beitragspflicht verlangt. geht nicht um die finanzielle Auswirkung. Ich sage
Es ist doch unmöglich, eine Beitragspflicht vorzu- in aller Offenheit: die ist gar nicht entscheidend.
sehen und den Beitrag mit gesetzlichem Zwang ein- Die finanzielle Auswirkung kann die Bundesan-
zuziehen, bei Eintritt des Versicherungsfalls aber stalt tragen. Das ist nicht das Entscheidende.
die Gegenleistung zu verweigern! Dann können Sie (Abg. Hansen [Köln]: Es geht hier um das
doch, wenn Sie glauben, die Dinge seien verwal- Recht, nicht um eine Kannbestimmung!)
tungsmäßig nicht zu bewerkstelligen, nur den
Schluß ziehen, die Beitragsfreiheit für diese Men- — Herr Kollege Hansen, Sie kennen doch das Ge-
schen aus der Sowjetzone zu statuieren. setz genau so gut wie ich. Wie ist es mit dem
Rechtsanspruch derjenigen, die keine Beiträge zah-
(Zuruf von der Mitte: Das geht ja nicht!) len? Wir wollen doch die Dinge nicht auf den Kopf
Das wäre die einzige Möglichkeit. Im übrigen, Herr stellen. Sie wollen hier das Ausnahmerecht schaf-
Sabel, trifft es doch nicht zu, daß die verwaltungs fen. Wir wollen das nicht. Ich sage noch einmal:
mäßigen Schwierigkeiten nicht zu überwinden sind; Es wäre klüger, wenn wir dem entsprächen, was
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2485
(Sabel)
von der Bundesanstalt und vom Landesarbeitsamt — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit ange
Berlin angeregt worden ist, und es, wie es vom nommen.
Ausschuß vorgeschlagen worden ist, bei der Kann- Ich komme zur Abstimmung über Art. III in der
Bestimmung beließen, dann aber — das haben wir Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht,
bereits im Ausschuß zum Ausdruck gebracht — von den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
dieser Kann-Bestimmung möglichst weitgehend — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Gebrauch machten. Das haben wir empfohlen.
Ich komme nunmehr zu Art. IV. Meine Damen
(Beifall in der Mitte.) und Herren, Sie haben den Änderungsantrag ge-
hört, der dahin geht, die Worte „1. Dezember"
Vizepräsident Dr. Schneider: Weitere Wortmel- durch die Worte „1. November" zu ersetzen. Wer
dungen liegen jetzt nicht mehr vor. Ich schließe dem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich
die Aussprache zu Art. I. um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun-
Ich komme zur Abstimmung. Ich lasse zuerst gen? — Einstimmig angenommen.
abstimmen über den Antrag auf Umdruck 192*), Wer nunmehr dem Art. IV in der so geänderten
der beinhaltet, daß in § 87 Abs. 2 Satz 1 das Wort Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein
„auch" durch die Worte „im Falle des § 168 a" zu Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
ersetzen ist. Wer diesem Antrag zustimmen will, Mit großer Mehrheit angenommen.
den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um
die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag Ich rufe auf Einleitung und Überschrift. — Wer
ist mit Mehrheit angenommen. ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Angenommen.
Antrag der Fraktion der SPD auf andere For-
mulierung des § 168 a, Umdruck 193**). Wer diesem Damit ist die zweite Lesung des Gesetzes be-
Änderungsantrag auf Umdruck 193 zuzustimmen endet.
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich Wir treten in die
bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das dritte Beratung
zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird
(Hört! Hört! bei der SPD.) das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Wer nunmehr dem Art. I in der Ausschußfassung
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Hand- Da Änderungsanträge zur dritten Beratung nicht
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei vorliegen, komme ich zur Schlußabstimmung. Wer
zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit ange- dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den
nommen. bitte ich, sich zu erheben. — Ich stelle einstimmige
Annahme fest. Damit ist das Gesetz verabschiedet.
Ich rufe auf zur Einzelberatung Art. II, — Art.
III, — Art. IV. Wird das Wort gewünscht? Ich rufe auf Punkt 7 der heutigen Tagesordnung:
(Abg. Frau Heise: Zu Art. IV!) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/
— Frau Abgeordnete Heise! CSU betr. Maßnahmen zur Förderung und
Festigung von Vertriebenenbetrieben und
Frau Heise (SPD): Zu Art. IV! In Kürze wird in Flüchtlingsunternehmen (Drucksache 838).
Norddeutschland das Wetter ja nicht mehr so Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abge
frühlingshaft sein. Wir haben 3500 Bauarbeiter, die ordneten Dr. Götz.
aus dem sowjetisch besetzten Sektor Berlins nach Dr. Götz (CDU/CSU), Antragsteller: Herr Präsi-
West-Berlin kommen und dann arbeitslos werden. dent! Meine Damen und Herren! Der Antrag der
Auch bei den typischen Sommerberufen ist es CDU/CSU-Fraktion, der Ihnen auf Drucksache 838
schon so weit. Ich bitte deswegen, den Termin vorliegt, beinhaltet Maßnahmen und Anregungen
vorzuverlegen und den 1. November zu wählen. zur Förderung und zur Festigung der Heimatver-
triebenenwirtschaft und von Flüchtlingsunterneh-
Vizepräsident Dr. Schneider: Herr Abgeordneter men. Es handelt sich dabei um Maßnahmen, die wir
Sabel! auf Grund der gegenwärtigen Situation der
Heimatvertriebenenwirtschaft für dringend erfor-
Sabel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen
derlich halten, um Maßnahmen, die dazu dienen
und Herren! An sich wäre das kein unüberwind- sollen, die Vertriebenenbetriebe aus ihrem derzeiti-
-
liches Hindernis. Sie wissen ja: Bis das Gesetz Ge- gen sehr labilen Zustand herauszuführen und ihre
setzeskraft erlangt haben wird, werden eben einige Existenz zu festigen und zu sichern.
Wochen vergehen. Dann würde unter Umständen
eine Nachzahlungspflicht entstehen. Es sind einige Ich darf mir zu Beginn ein grundsätzliches Wort
technische Schwierigkeiten damit verbunden, aber erlauben. Wenn ich hier von Heimatvertriebenen-
ich habe keine grundsätzlichen Bedenken, diesem wirtschaft und von Flüchtlingsunternehmen spreche
Antrag zuzustimmen, als Termin den 1. November — und dabei denke ich an die Unternehmen der
zu nehmen. Sowjetzonenflüchtlinge —, so möchte ich damit
keineswegs einer grundsätzlichen Differenzierung
Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und zwischen der einheimischen Wirtschaft und der Ver-
Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. triebenenwirtschaft das Wort reden. Ich weiß, daß
Ich schließe die Aussprache. es nur eine Wirtschaft gibt und daß alle Wirt-
Ich komme zur Abstimmung über Art. II in der schaftsunternehmungen in ihr nach für alle gelten-
den Gesetzen und Prinzipien arbeiten. Die Heimat
Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, vertriebenenwirtschaft erhebt auch gar nicht — und
den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! ich möchte das mit Nachdruck sagen — den An-
*) Siehe Anlage 1. spruch, innerhalb der Gesamtwirtschaft eine Son-
**) Siehe Anlage 2. derstellung einzunehmen. Sie will ihre Aufgabe
2486 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Dr. Götz)
als ein Teil der Gesamtwirtschaft im Rahmen der Ich darf dafür nur ein Beispiel anführen, ein Bei
sozialen Marktwirtschaft erfüllen. Aber sie muß spiel aber, das für viele andere spricht. In der In-
dazu auch in der Lage sein. Mit dieser Feststellung dustriegruppe Textil betrug der Anteil des Eigen-
möchte ich gleichzeitig zum Ausdruck bringen, daß kapitals an der Bilanzsumme Ende 1951 24,8 %,
sie es zur Zeit noch nicht ist. Ende 1953 aber nur mehr 21,2 %. Nun lassen Sie
Es würde im Rahmen der Begründung meines mich zum Vergleich als Beispiel die einheimische
Antrags und mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit Textilindustrie anführen, bei der noch im Jahre
zu weit führen, wollte ich Ihnen hier ein Bild ent- 1953 der durchschnittliche Eigenkapitalanteil 62 %
wickeln über die Eingliederung des heimatvertrie- betrug. Meine Damen und Herren, der Aufbau der
benen Mittelstandes in den vergangenen Jahren, Heimatvertriebenenwirtschaft kann doch wirklich
über die dabei erzielten Erfolge, aber auch über die nur dann erfolgreich sein und zu stabilen Verhält-
Mängel und Schwierigkeiten und über die gegen- nissen führen — und das schwebt uns vor —, wenn
wärtige Situation der Heimatvertriebenenwirt- den jungen Unternehmungen die Möglichkeit zu
schaft. Es wird dazu in den Ausschüssen, einer für die Herstellung ihrer Wirtschaftlichkeit
denen dieser Antrag überwiesen werden wird, an notwendigen und auch ausreichenden Eigenkapital-
Hand von aufschlußreichem Material und stati- bildung gegeben wird. Ohne Eigenkapital ist ein
stischen Unterlagen hinreichend Gelegenheit und wirklich krisenfester Aufbau einfach nicht zu er-
Zeit sein. Ich bin der Überzeugung, wir werden zielen. Wenn heute schon aus der einheimischen
dabei zu dem klaren Ergebnis kommen, daß die Wirtschaft der Ruf nach der Ermöglichung ver-
Heimatvertriebenenwirtschaft heute keineswegs, stärkter Eigenkapitalbildung laut wird, dann
wie das so oft bei einer etwas oberflächlichen Be- scheint mir die gleiche Forderung aus den Kreisen
urteilung behauptet wird, bereits saturiert ist oder der Heimatvertriebenenwirtschaft um so berechtig-
eine Hilfe nicht mehr nötig hat, sondern daß sie, ter zu sein; denn in ihren Bilanzen bleibt nun ein-
wie von einem guten Kenner der Verhältnisse ein- mal der Eigenkapitalanteil weit hinter dem
mal sehr zutreffend gesagt worden ist, in einer der übrigen Wirtschaft zurück. Diese Tatsache ist
ständigen Krise lebt. Wer die Verhältnisse so, wie unbestritten. Es wird heute auch anerkannt, daß
sie wirklich sind, kennt, der wird mir recht geben hier ,ein Spezialproblem vorliegt, zu dessen Lösung
müssen, wenn ich sage, wir können dem Flücht- ganz einfach besondere Maßnahmen erforderlich
lingsunternehmer, der unter fast aussichtslosen sind. Man könnte einwenden, daß Kredite und Bei-
Voraussetzungen, oft nur mit seinen Fähigkeiten hilfen genügen würden. Nein. sie sind kein echter
und einer geradezu bewundernswerten Energie, Ersatz für das fehlende Eigenkapital.
ohne Eigenkapital und mit wenig Fremdkapital Daher müssen andere Wege gefunden werden,
seinen Betrieb wiederaufgebaut hat, nicht Unmög- um die Stabilität der Vertriebenenbetriebe und der
liches zumuten. Wer die Verhältnisse kennt, wird Flüchtlingsunternehmen nicht nur in ihrem Inter-
mir recht geben, wenn ich sage, daß wir auch dem esse, sondern — ich möchte das betonen — im
Flüchtlingsgewerbetreibenden, der hart um seine Interesse der Gesamtwirtschaft so schnell wie mög-
Existenz ringt, de r einen täglichen Kleinkrieg um lich herzustellen. Nun haben wir in § 73 des Bun-
seinen Kredit zu führen hat — sei es mit der Haus- desvertriebenengesetzes bestimmt, daß zum Zweck
bank, sei es mit den Behörden —, auf die Dauer der Begründung und Festigung selbständiger Er-
nicht eine Belastung zumuten können, der er ein- werbstätigkeit der Vertriebenen und Sowjetzonen-
fach nicht gewachsen ist. Sie werden mir recht flüchtlinge Steuervergünstigungen gewährt wer-
geben müssen, wenn ich sage, wir können es uns den. Durch diese Bestimmung sollte vor allem die
auch aus volkswirtschaftlichen und aus politischen Bildung von Eigenkapital gefördert werden. Durch
Gründen nicht leisten, daß ein beträchtlicher Teil die §§ 7 a, 7 e und 10 a des Einkommensteuerge-
der in den letzten Jahren mühsam errungenen setzes wurde dieser Bestimmung und dieser Ab-
Eingliederungserfolge wieder verlorengeht oder sicht Rechnung getragen. Die Steuervergünstigung
vergeblich gewesen sein soll. Es gibt viele Beweise des nicht entnommenen Gewinns nach § 10 a ist
dafür, daß in den Reihen der ostdeutschen Unter- wohl die wesentlichste aus der Reihe dieser Ver-
nehmer Energien, Fähigkeiten, arbeitstechnische günstigungen. Über den § 10 a kann wohl eine echte
Erfahrungen und Kenntnisse schlummern, die für Kapitalbildung einsetzen, aber - das möchte ich
unsere Gesamtwirtschaft von unschätzbarem Nutzen hier betonen — doch nur in sehr eng gezogenen
sind. Sie brachliegen zu lassen, wäre ohne Zweifel Grenzen. Er reicht in seiner jetzigen Gestalt nicht
ein Verlust für die gesamte Wirtschaft. Sie verküm- aus, um den gewünschten und notwendigen Erfolg
mern zu lassen, wäre geradezu ein sträflicher in der Frage der Eigenkapitalbildung zu sichern.
- son-
Leichtsinn. Ich möchte hier nicht erschöpfend,
dern nur in großen Zügen etwas über die Ursachen Welcher Weg führt nun eigentlich zum Ziel? Das
der krisenhaften Situation — so nannte ich sie — ist die Frage, die einmal wirklich ernsthaft geprüft
der Heimatvertriebenenwirtschaft sagen und damit werden muß. Der vorliegende Antrag sieht die
gleichzeitig unseren Antrag begründen. Möglichkeit von Erleichterungen bei den Ertrag-
steuern vor. Ich weiß, daß gegen Steuervergünsti-
Welches ist die Hauptursache? Als die Haupt- gungen immer Bedenken erhoben werden und daß
ursache möchte ich den Mangel an Eigenkapital be- auch hier Bedenken erhoben werden mit der Be-
zeichnen, unter dem die Heimatvertriebenenwirt- gründung, dies würde gegen die Notwendigkeit
schaft zu leiden hat. Eine Untersuchung der Kapi- einer Steuervereinfachung und gegen das Prinzip
talstruktur der Heimatvertriebenenwirtschaft, vor- der Steuergleichheit und der Steuergerechtigkeit
genommen durch das Institut für Weltwirtschaft an verstoßen. Ich möchte mir aber erlauben, zu sagen,
der Universität in Kiel und durch die Lastenaus- daß ich beide Argumente in diesem Fall nicht für
gleichsbank, hat klar ergeben, daß bei der über- durchschlagend halte. Es handelt sich doch hier wie
wiegenden Mehrzahl der Vertriebenenbetriebe der überhaupt bei der Frage der Eingliederung der
Eigenkapitalanteil nicht nur zu gering ist, sondern Heimatvertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge
daß er auch eine starke rückläufige Tendenz auf- um ein Problem von außerordentlicher Bedeutung.
weist. Das ist keine neue Erkenntnis, das ist eine Erkennt-
(Abg. Kuntscher: Hört! Hört!) nis, die seit Jahren Allgemeingut ist. Aber wir
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2487
(Dr. Götz)
müssen daraus auch die Konsequenz ziehen. Die digkeit einer Vereinfachung des Kreditverfahrens.
Konsequenz, angewandt auf die Frage, die mit die- Es sollte keinen unnötigen Kräfteverzehr im büro-
sem Antrag zur Debatte steht, ist einfach die, daß kratischen Verfahrensweg geben. Die Kompliziert-
wir zur Lösung dieses Problems nunmehr auch den heit der Verfahrenswege führt nicht nur zu sehr er-
Mut zu außergewöhnlichen und ungewöhnlichen heblichen Kreditnebenkosten für den vertriebenen
Maßnahmen haben müssen. Unternehmer, sondern meist auch zu einem Zeit-
Man sagt oft, solche Steuervergünstigungen, verlust, der dann den Erwerb eines geeigneten Ob-
Steuervorteile und Sondervergünstigungen seien jekts oftmals überhaupt unmöglich macht.
ohne Vorbild. Ich glaube das nicht. Aber selbst Auch die Frage der Absicherungsbedingungen
wenn es so wäre, darf man nicht vergessen, daß wird geprüft werden müssen. Die Frage der Stel-
auch der heimatvertriebene Unternehmer wieder lung von Sicherheiten ist für den Flüchtlingsbetrieb
von neuem beginnen mußte und beginnen muß heute beinahe unlösbar geworden, weil Sicherun-
unter Voraussetzungen, die ebenfalls ohne Vorbild gen verlangt werden, die einfach nicht da sind. An
sind. diesem Problem scheitern die meisten Kreditan-
(Abg. Stingl: Sehr richtig!) träge und viele Eingliederungsbemühungen.
Es bleibt noch ein Wort zur Frage der Umschul-
Im übrigen geht es der Heimatvertriebenenwirt- dung zu sagen. Auch diese Frage haben wir be-
schaft wirklich nicht darum, eine Sonderstellung zu reits im Bundesvertriebenengesetz angesprochen.
haben. Es geht ihr nicht darum, eine ungerechtfer- Dort wird in § 72 bestimmt, daß zur Festigung selb-
tigte Steuervergünstigung zu bekommen, sondern es ständiger Erwerbstätigkeit auch die Umwandlung
geht ihr lediglich darum, durch gewisse steuerliche hochverzinslicher und kurzfristiger Kredite in lang-
Erleichterungen oder durch eine steuerliche Schon- fristige zu günstigen Zins- und Tilgungsbedingun-
zeit überhaupt erst lebens- und wettbewerbsfähig gen ermöglicht werden soll. Die Notwendigkeit
zu werden. Es geht ihr darum, dadurch überhaupt einer solchen Bestimmung ergab sich ganz einfach
erst die gleichen Startbedingungen zu bekommen. aus der außerordentlich hohen Zinsen- und Til-
Daher halte ich Steuererleichterungen zugunsten gungslast, die für den Vertriebenenbetrieb auf die
der Heimatvertriebenenwirtschaft weder für eine Dauer untragbar ist. Die Laufzeit der Kredite ist
Sünde gegen den Geist der sozialen Marktwirtschaft im allgemeinen zu kurz; sie liegt im wesentlichen
noch für ein Vergehen gegen das Prinzip der Steuer- zwischen drei und zwölf Jahren. Dabei muß berück-
gleichheit und der Steuergerechtigkeit. sichtigt werden, daß in den ersten Aufbaujahren
Ich leugne nicht die Animosität gegenüber steuer- die bewilligten Kredite von den Flüchtlingsunter-
lichen Vergünstigungen. Sie ist gewiß nicht nur beim nehmen vor allem zur Investition verwandt wer-
Herrn Bundesfinanzminister vorhanden. Ich glaube den mußten, auch wenn sie ihrer Laufzeit nach für
aber, wir sollten wirklich den Mut haben, diese den Zweck einer langfristigen Anlage gar nicht als
Animosität zu überwinden, und wir sollten uns geeignet angesehen werden konnten. Man mag das
das nicht allzu schwerfallen lassen. Ich hoffe auch, jetzt als einen Fehler ansehen; aber dieser Fehler
daß der gute Wille dazu vorhanden ist und daß es muß aus der Anfangssituation der Eingliederung
nur darum geht, den richtigen Weg zu finden, der verstanden werden.
beiden Seiten, sowohl der Heimatvertriebenenwirt- Zur Festigung der Vertriebenenbetriebe ist eine
schaft als auch der anderen Seite, gerecht wird. Umschuldung unerläßlich. Wir haben in unserem
(Sehr gut! in der Mitte.) Antrag den Vorschlag gemacht, eine Anleihe über
die Lastenausgleichsbank in die Wege zu leiten,
Ob das Ziel nun über eine Erweiterung des § 10 a und zwar etwa in Höhe von 100 Millionen DM. Diese
oder aber über eine steuerfreie Rücklagenbildung Anleihe soll ausschließlich dem Zwecke dienen, die
oder über andere zweckdienliche Maßnahmen er- eingefrorenen Kredite aus dem vergangenen Jahr
reicht werden kann, wird zu prüfen sein. Wir wol- umzuschulden, d. h. sie auf die Dauer von 20 oder
len mit der Ziffer 1 unseres Antrags dazu die An- wenigstens 15 Jahren zu strecken und den Zinssatz
regung gegeben haben und die Diskussion darüber nicht höher als auf etwa 3 bis 4 % festzusetzen.
in Gang bringen. Ich will hier nicht auf Einzelfragen eingehen,
Lassen Sie mich ganz kurz etwas zu Ziffer 2 un- nicht auf die Frage der Bedingungen der Umschul-
seres Antrags sagen. Wir halten die Bereitstellung dung, auf die Verfahrensfrage, auf die Frage der
ausreichender Mittel zur Finanzierung bestehender, Voraussetzung für die Antragstellung usw. Ich
aber auch noch zu schaffender Existenzen nach wie möchte aber betonen, daß der Sinn dieser Umschul-
vor für dringend geboten. Daß bisher etwa 140 000 dung nicht sein soll, ungesunde oder lebensun-
Vertriebenenbetriebe mit rund 400 000 Arbeits- tüchtige Betriebe zu sanieren, sondern daß der Sinn
- der Umschuldung sein soll, lebensfähige Betriebe zu
plätzen geschaffen werden konnten, ist ohne Zwei-
fel ein beachtlicher Erfolg. Aber damit kann die fundieren.
Eingliederung des heimatvertriebenen Mittelstan- Zu Ziffer 4 des Antrags brauche ich nicht viel zu
des, der heimatvertriebenen Unternehmungen, der sagen. Statistisches Unterlagenmaterial ist für die
Gewerbetreibenden noch keineswegs als abge- Prüfung und Behandlung dieses Antrags unerläß-
schlossen angesehen werden. Im Laufe der Jahre lich. Wir haben mit Freude zur Kenntnis genom-
haben sich eine Reihe von Schwierigkeiten und men, daß das Bundeswirtschaftsministerium eine
Mängeln im Kreditverfahren herausgestellt. Es ist umfassende Durchschnittsuntersuchung bei den
an der Zeit, diese Mängel nunmehr zu beseitigen. Vertriebenenbetrieben durchführen wird, die uns
Mit der Ziffer 2 unseres Antrags wollen wir eine eine wertvolle Unterstützung bei der Behandlung
möglichst starke Konzentration aller für die Ein- unseres Antrages sein wird.
gliederung der Heimatvertriebenenwirtschaft be- An das Bundesfinanzministerium möchte ich die
reitzustellenden Mittel erreichen. Bei den Beratun- Anregung geben, bei der Auswertung der Einkom-
gen des Ausschusses werden sich wahrscheinlich mensteuerveranlagung 1952 ff. die Bogen heraus-
auch eine Reihe von anderen Fragen ergeben, die zunehmen, in denen der § 10 a zur Anwendung ge-
einer gründlichen Erörterung bedürfen. Ich will kommen ist. Ich glaube, daß das einen wirklich
hier nur einige nennen. Beispielsweise die Notwen guten Überblick ergäbe.
2488 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Dr. Götz)
Zusammenfassend darf ich noch einmal betonen, Es geht wirklich darum, daß wir etwas Konkretes
daß es nicht in der Absicht der Heimatvertriebenen- zeigen. Und darüber hinaus: da ist das Bundes-
wirtschaft liegt, eine Dauerbetreuung zu erfahren vertriebenengesetz. Dort sind doch in den §§ 71, 72,
und langfristige Privilegien zu erhalten, daß es 73 und 79 fast alle Voraussetzungen festgelegt, die
auch nicht ihre Absicht ist, eine Flüchtlingswirt- Sie heute in Ihrem Antrag verlangen. Wahrschein-
schaft innerhalb der Gesamtwirtschaft aufzubauen, lich ohne es zu wollen, haben die Kollegen Götz und
sondern sie erstrebt im Gegenteil, und je eher um Kuntscher und die weiteren Antragsteller mit
so besser, sich mit ihren Betrieben der Gesamtheit diesem Antrag indirekt und unausgesprochen zu-
der Wirtschaft des Bundesgebietes einzufügen. Das gegeben, daß der ganzen, sagen wir, Wirtschaft und
Ergebnis ihrer Eingliederung soll dann ein echter Regierungspolitik die aufbauende gemeinsame
Leistungswettbewerb zwischen gleichgestellten Linie fehlt.
Wettbewerbspartnern zum Wohle der Allgemein- (Beifall bei der SPD.)
heit sein. Das ist es ja eben. Man muß sich fragen: Warum
(Beifall bei der CDU/CSU.) sind denn bis jetzt so wenig Fortschritte in der
Realisierung der §§ 71, 72, 73 und 79 des Bundes-
Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und vertriebenengesetzes gemacht worden?
Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat
der Abgeordnete Reitzner. (Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Samwer:
Zweijahresplan Oberländer!)
Reitzner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Frage, ob es berechtigt ist, der so- Da zeigt sich der Verfahrensweg und die Ver-
fahrenspraxis der Bürokratie. Aber wenn es bei-
genannten Heimatvertriebenenwirtschaft und den spielsweise um den § 13 geht — § 13 des Bundes-
Flüchtlingsunternehmen gewisse Begünstigungen
zuzubilligen, die Frage, ob es in der Wirtschaft vertriebenengesetzes betrifft .die Beendigung der
Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigun-
überhaupt noch Sonderprobleme geben kann, —
gen —, da könnte ich Ihnen sagen, wie fix die
diese Frage wird oft gestellt, und sie wird natürlich
Ä mter sind, einen Abschluß der Wirksamkeit dieses
auch beantwortet. Aber sie wird verschieden beant- Paragraphen zu finden. — Nun, natürlich muß eine
wortet, und es gibt Leute, die heute denken oder
Beendigung in Sicht sein, selbstverständlich muß
sagen werden, die Heimatvertriebenen wollten
wieder ihre Extrawurst zugeteilt haben. Die Wahr- die Betreuung einmal ein Ende nehmen. Das ist
heit ist doch die, daß es eben Sondersorgen und daß ja der Sinn unseres Verlangens nach rascher Ein-
gliederung.
es im deutschen Wirtschaftskörper Sonderprobleme
gibt. Wir haben darüber ja erst am 15. Oktober in Ich will also nur sagen, daß es hier verschiedene
diesem Hohen Hause anläßlich der Debatte über Tempi gibt, bei § 71 anders als bei § 13.
die Investitionshilfe gehört. Es gibt heute noch Sor-
gen der demontierten einheimischen Wirtschaft, Meine Freunde und ich haben — lang, lang ist's
und auch die Existenzsicherung des Mittelstandes her! — im Jänner 1952 den Antrag gestellt, 500 Mil-
beispielsweise ist wirtschaftlich und politisch sehr lionen DM für diese Zwecke zur Verfügung zu stel-
bedeutsam. Es geht also nicht darum, eine Extra- len. Das ist der sogenannte Odenthal-Plan gewesen.
wurst zugeteilt zu bekommen; es geht aber um Und was ist geschehen? Unter Vorantritt des Bun-
etwas anderes. Es ist wahr, man soll die Zeit der desfinanzministeriums ist dieser Antrag zu Grabe
Begünstigungen und Förderungen einzelner Wirt- getragen worden.
schaftszweige nach Möglichkeit abkürzen, und man (Hört! Hört! bei der SPD.)
soll das Problem natürlich im Rahmen des Gesamt-
bildes sehen. Es ist ja keine Offenbarung; jeder von Das war der Tatbestand.
uns weiß, daß gerade in unseren Tagen Sach- und Ich begrüße es, daß man auch von seiten der CSU
Sonderprobleme in großer Zahl auf uns zukommen. diesen Antrag stellt. Wir haben ja auch im April
Es ist Aufgabe einer wirklich planvollen Überle- dieses Jahres anläßlich der Tagung der heimatver-
gung, diese Sonderprobleme auf einen gemein- triebenen Wirtschaft dazu gesprochen. Ich habe
samen Nenner zu bringen. damals die Grundsätze, die Sie da verlangen, im
Ich möchte also sagen, daß in dieser Hinsicht der Namen meiner SPD-Freunde entwickelt. Der Herr
Antrag der CDU/CSU sicher des Nachdenkens wert Bundeswirtschaftsminister hat auch dort seine Ver-
ist. Man soll darüber Überlegungen anstellen. beugungen gemacht und Beteuerungen ausge-
(Zuruf von der CDU/CSU: Wann denn?) sprochen. Bis heute habe ich aber nicht viel davon
- gehört, was daraufhin geschehen ist. Das ist nämlich
Aber, Kollege Kuntscher, ich finde, dieser Antrag der Punkt, über den wir uns noch ganz konkret
ist nicht ganz zeitgemäß, ist nicht termingerecht. Er unterhalten müssen, daß wir aus dem Zustand
kommt mir ein bißchen spät. Außerdem habe ich dieser unverbindlichen Beteuerungen herauskom-
das Gefühl: er zeigt Züge der Unsicherheit und der men.
Unklarheit, und er hat kein Profil. Es steckt vieles (Zuruf von der SPD: Platonische Liebes
Richtige in diesem Antrag. Aber was sollen wir erklärungen!)
mit ihm anfangen? Ich möchte nicht bei Remi-
niszenzen verweilen. Aber am 23. September, an- Ich glaube, Zustimmung auf allen Bänken zu er-
läßlich der Debatte über die Große Anfrage der SPD halten, wenn ich sage, daß das Verlangen nach För-
betreffend Vertriebenen- und Flüchtlingsprobleme derung und Festigung der Vertriebenenbetriebe und
haben wir hier ja diese ganze Problematik erörtert Flüchtlingsunternehmungen die Stärkung der ge-
und durchdiskutiert. Heute ist das eine Neuauflage. samtdeutschen Wirtschaftskraft und insbesondere
Ich hoffe — und das werde ich noch zum Schluß die Unterstützung der mit Flüchtlingen und Ver-
deutlich aussprechen —, daß es nicht wieder so geht triebenen überbelasteten Länder bzw. der uns allen
wie nach dem englischen Sprichwort: Der Gong zum bekannten Notstands- und Grenzlandgebiete be-
Mittagessen hat geschlagen, aber Mittagessen hat zweckt.
keins stattgefunden. (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2489
(Dr. Götz)
Dies würde der Milderung der strukturellen Ar- menheit mitspielt, ist der Hauptgrund das Fehlen
beitslosigkeit dienen. an Eigenkapital, nämlich die generelle und quali-
Trotz der saisonbedingten Erleichterungen auf tative Unterfinanzierung. Wir wissen ja, wie das
dem Arbeitsmarkt, die ich begrüße, müssen wir doch gemacht wurde. Aus der Not der Zeit und aus den
sagen, daß die heute zur Debatte stehenden Be- Verhältnissen heraus wurde ein Mann auf das
triebe konsolidiert werden müssen, weil sie nicht Amt gerufen, und man hat gesagt: „Sie brauchen
krisenfest sind und bei der ersten wirtschaftlichen 12 000 Mark, aber wir haben keine 12 000 Mark
Erschütterung zu Fall kommen können. Daran ist für Sie. Wir sind zur Breitenstreuung gezwungen.
die Gesamtwirtschaft sehr interessiert. An die Vielleicht fangen Sie mit 6 000 Mark an. Versu-
saisonbedingten Erleichterungen kann man nicht chen Sie nur, es wird schon mit 6 000 Mark gehen."
„Na ja", hat er gesagt, „ich versuch's". Er ist mit
die Hoffnung knüpfen, daß sie von Dauer sein wer-
den, weil der Schwerpunkt der Arbeitslosigkeit seinen 6 000 Mark abgezogen, und es ging nicht.
heute noch in den mit Vertriebenen und Flücht- Die 6 000 Mark waren auch beim Teufel. Dann
lingen überbelegten Ländern, also auch in den Not- gibt's Engagements, nicht nur der öffentlichen
standsgebieten liegt. Hand, Engagements auch der Wirtschaft. Engage-
ment-Verbindungen sind ja sehr viele. Hinzu
Die Industriebetriebe, die heute zur Diskussion kommen bei diesen Betrieben noch die Kettenre-
stehen, haben wichtige volkswirtschaftliche Auf- aktionen aus einem Gefühl der Solidarität, sei es
gaben zu erfüllen. Sie wurden bei ihrer Gründung des gleichen Schicksals oder der Heimatverbunden-
1946, 1947 oder 1948 und 1949 durch die Gemein- heit, und aus einer anderen Zwangslage heraus.
den und die Länder und dann durch den Bund des- Man hat natürlich mit Personen aus der alten Hei-
wegen gefördert, weil sie einen wertvollen Beitrag mat, Lieferanten usw. Verbindungen aufgenom-
zur Ergänzung ihrer wirtschaftlichen Struktur zu men. Die plumpsen nun auch mit in die Ketten-
leisten versprachen und auch leisteten. Aus der Not- reaktion hinein, und es zeigt sich eben mit nüch-
wendigkeit, die besonderen deutschen Nachkriegs- ternen, kaufmännischen und wirtschaftlichen Augen
probleme zu bewältigen, entwickelte sich nicht nur gesehen ein sehr ernster, krisenhafter Zustand:
ein Sektor der freien Wirtschaft, sondern es zeigte unbezahlte Rechnungen, Wechselschulden, Liefe-
sich auch die Notwendigkeit, den Sektor der Ver- rantenschulden,
triebenenbetriebe zu fördern und zu unterstützen.
Unter den Betrieben dieses Sektors befinden sich (Abg. Samwer: Unzureichende Betriebsmittel!)
auch solche Industrien, die bis 1945 im Bundes- — ich komme darauf zurück —, nicht davon zu
gebiet überhaupt nicht oder nur spärlich vorhanden reden, daß natürlich bei der Gründung die An-
waren. Ich weise insbesondere auf die folgenden fangsgeschwindigkeit gering war.
Industriezweige hin: Glas- und Schmuckwaren,
Musikinstrumente, Lederhandschuhe, Spielwaren- Es gibt noch ein anderes sehr wesentliches Mo-
erzeugung, Strümpfe usw. Viele von ihnen haben ment. Wer da zugeschaut, selber dringesteckt hat,
heute eine sehr ansehnliche Exportleistung aufzu der kennt doch den Weg, der oft vom Pferdestall
weisen. Ein einziges Beispiel sei aus der Fülle dieser und Bunker zum Betrieb führte mit unvollkomme-
Exportleistungen herausgegriffen: die Gablonzer nen, eben nur — gestatten Sie mir dieses Wort —
Glas- und Schmuckwarenindustrie, die sogenannten zusammengeschusterten Maschinen. Das war auch,
Neu-Gablonzer Betriebe, deren Exportleistung im wie Sie wissen, ein großes Handicap. Aber viel
Jahre 1953 10 300 000 Dollar und in den ersten neun wichtiger scheint mir folgendes, und hier zeigen
Monaten dieses Jahres 7 300 000 Dollar betragen sich jetzt die Unterlassungssünden in unserer Ge-
hat. setzgebung und die Unterlassungssünden bei der
(Abg. Samwer: Viel wichtiger sind die Be Regierung. Ich denke nur an den Lastenausgleich.
triebe, denen es schlecht geht! — Abg. Wäre er früher und effektiver eingetreten, hätten
Haasler: Für diese Debatte jedenfalls!) wir viele dieser Schwierigkeiten nicht gehabt.
— Darauf komme ich noch. Ich wollte damit nur den (Beifall bei der SPD.)
Anteil an der Gesamtwirtschaft zeigen, der ja auch Dies ist alles recht spät gekommen. Vieles muß
wichtig ist. nachgeholt und irgendwie aufgeholt werden. Man
Nun, Herr Samwer, zu der Frage der Vertriebe- muß diese Unternehmungen konsolidieren, und wir
nen- und Flüchtlingsunternehmungen, denen es müssen neben der Verbreiterung des Eigenkapitals
schlecht geht. Dr. Götz hat — ich werde das nicht die Umschuldung befürworten, die Umwandlung
wiederholen — einen fundamentalen Mangel auf- von kurzfristigen Krediten in lang- und mittel-
gezeigt, nämlich das Fehlen von genügendem- Eigen- fristige, damit wir bei einem niedrigeren Zinssatz
kapital und die Tatsache, daß es zuviel kurzfristige auch gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen.
und zuwenig mittel- und langfristige Kredite gibt. Darum geht es und um nicht mehr, um keine Vor-
Der Kollege Götz hat beispielsweise die verschie- rangstellungen.
denen Textilindustrien miteinander verglichen. Darüber hinaus möchte ich sagen: die bisherige,
Aber auch allgemein ist die Situation nach den traditionelle Form der Besicherungsvorschrif ten
Erhebungen so, daß bei den Vertriebenen- und ist nicht mehr haltbar. Sie muß auch geändert wer-
Flüchtlingsbetrieben die Bilanzen höchstens 20 bis den, weil der hohe Anteil des Fremdkapitals mit
22 % Eigenkapital aufweisen. Das mittel- und lang- zu hoher Verzinsung den Nachweis eines Rein-
fristige Fremdkapital beträgt heute noch 33 % und gewinns verhindert. Das Fehlen eines Reingewinns
das kurzfristige Fremdkapital sogar 45 % . Das ist aber verhindert, daß mit Hilfe der Vergünstigungen
doch ein sehr ungesunder Zustand. der Fremdkapitalanteil verringert wird. So entsteht
Ja, dann krachen Vertriebenenbetriebe und ein Circulus vitiosus, aus dem schwer herauszu-
Flüchtlingsunternehmungen zusammen, und man kommen ist, wenn nicht eine rasche Umschuldung
fragt sich, wo denn die Ursache dieses Zusammen- vor sich geht. Ich glaube, die Aktion für die Ber-
brechens liegt. Von einigen sehr wenigen üblen liner Wirtschaft sollte ein nachahmenswertes Bei-
Fällen abgesehen, wo die menschliche Unvollkom spiel sein.
2490 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Reitzner)
Erst später wird sich zeigen — nicht jetzt; es einmal etwas in den Protokollen des 1. Bundestags
fehlen die Unterlagen und die Ergebnisse einer zu blättern. Ich bin dort auf zwei Drucksachen mit
Statistik —, ob und wann der Abbau steuerlicher den Nrn. 279 und 280 gestoßen. Datum: 30. No-
Begünstigungen anzustreben ist und wie dieser vember 1949. Unter Ziffer 2 des Antrags Druck-
Wirtschaft außerhalb der Steuerreform geholfen sache Nr. 279 heißt es:
werden kann. Ich denke da an § 10 a und an § 33 a. Die Bundesregierung wird ersucht,
Weil die Auswirkungen dieser Maßnahmen noch
nicht bekannt sind, begrüße ich auch die Forderung alles zu unternehmen, um in möglichst hohem
der Antragsteller unter Ziffer 4, solche Erhebungen Umfang ECA-Mittel für die Flüchtlingshilfe
durchzuführen. zu bestimmen. Diese Mittel sollen bevorzugt
für die Ansässigmachung von Flüchtlingsbetrie-
Wir müssen aus der Sphäre der unverbindlichen, ben auf dem Wege der Hergabe langfristiger
oft gehörten Beteuerungen herauskommen. Die Kredite verwandt werden.
Leistung und der Einsatz der Arbeitskraft der Ar-
beiter aus den Vertreibungsgebieten — das muß Und in den Ziffern 1 und 2 der Drucksache
auch einmal gesagt werden — war ebenso enorm Nr. 280 wird gesagt:
und anerkennenswert wie der Einsatz ihrer ein- 1. Die Bundesregierung wird um eine Gesetzes-
heimischen Kollegen. Dieser Aufbauwille, der sich vorlage ersucht, die den Bund ermächtigt,
oft mit der Initiative vieler Unternehmer, mit ihren Bürgschaften für langfristige Kredite zur An-
kaufmännischen, organisatorischen Fähigkeiten sässigmachung von Flüchtlingsbetrieben zu
glücklich gepaart hat, hat es trotz mangelhafter übernehmen.
und schlechter Startbedingungen doch dazu ge-
bracht, daß heute 9000 industrielle Betriebe in der 2. Die Bundesregierung wird ersucht, Vorschläge
Vertriebenenwirtschaft fast 400 000 Personen be- für eine steuerliche Begünstigung ansässig ge-
schäftigen. Daher muß im Interesse der Gesamt- machter Flüchtlingsbetriebe zu unterbreiten.
wirtschaft die Konsolidierung dieser Betriebe ab- Meine Damen und Herren, diese Drucksachen
geschlossen werden. Das ist ein Gebot der Stunde, tragen zum weitaus größten Teil dieselben Unter-
weil Rückschläge zu erwarten sind, wenn es ernste schriften wie die Drucksache, die uns heute vor-
Störungen geben sollte, — und die kann es eines liegt, insbesondere die Namen von Herrn Dr. Götz,
Tages geben! Herrn Kuntscher und Herrn Kunze.
Wir müssen uns also fragen: Was kann gesche- (Lebhafte Zurufe von der Mitte: Dr. Kather!)
hen? Soll es bei der heutigen Diskussion bleiben —
jeder wird seine Verbeugungen machen —, oder — Ja, da haben Sie nun Pech gehabt, , der steht
können wir diese Wanderdüne — das ganze Pro- nicht drunter.
blem ist doch eine Wanderdüne — einmal zum (Große Heiterkeit und Zurufe.)
Stehen bringen, d. h. dafür sorgen, daß auf dieser Es würde aber auch gar nichts schaden, meine
Wanderdüne einmal etwas Grünes wächst? Ich Herren, wenn ich im Jahre 1949 diesen Versuch
möchte daher den ernsten Appell an das Hohe gemacht hätte. Ich kritisiere ja auch nicht die da-
Haus richten, der Anregung und meinem Antrag malige Vorlage. Aber ich stehe tatsächlich nun mal
heute zuzustimmen, den vorliegenden Antrag so- wirklich nicht drunter. Ich wurde damals offenbar
fort dem Ausschuß für Heimatvertriebene, dem nicht aufgefordert.
Ausschuß für Wirtschaftspolitik, dem Ausschuß für
Finanz- und Steuerfragen und dem Ausschuß für (Abg. Mellies: Hört! Hört!)
Geld und Kredit zuzuweisen, damit sich die betref- Daraus ergibt sich also nun folgendes: Wenn man
fenden Ausschüsse unverzüglich an die Arbeit den Inhalt der beiden Anträge vergleicht, stellt
machen können und damit dieses vieldiskutierte man fest, daß sie praktisch denselben Inhalt haben.
Problem endlich wenigstens teilweise zu einem Welchen Erfolg Sie mit Ihrem Antrag, der ja auch
befriedigenden Abschluß kommt. im März 1950 zu einer Entschließung geführt hat,
(Beifall bei der SPD.) in Wirklichkeit gehabt haben, beweist der Antrag
vom 23. September 1954.
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der (Sehr gut! beim GB/BHE.)
Abgeordnete Dr. Kather.
Selbst bei allergrößter Sachlichkeit muß man also
Dr. Kather (GB/BHE): Herr Präsident! Meine zu dem Ergebnis kommen, daß es doch sehr fraglich
Damen und Herren! Es ist nicht lange her — Herr ist, ob wir auf d e m Wege weiterkommen. Das
Kollege Reitzner hat schon darauf hingewiesen —, war auch schon damals bekannt. Unser leider all-
daß wir in diesem Hause eingehend über das Ver- zufrüh verstorbener Kollege Paul Krause hat
triebenenproblem gesprochen haben. Aber sicher damals schon ausgeführt: Mit solchen Entschließun-
ist es im allgemeinen zu begrüßen, daß wir dazu gen kommen wir nicht weiter; das haben wir schon
öfter Gelegenheit haben. Wir müssen uns jedoch beim Gesetz zu Art. 131 gesehen; es kommt auf
einer Gefahr dabei bewußt sein und ihr begegnen. die Ausführung an. Das hat Herr Krause im No-
Diese Gespräche müssen auch einen praktischen vember 1949 gesagt. Sie werden es mir deshalb ja
Zweck verfolgen, und sie müssen geeignet sein, die wohl nicht verübeln können, wenn ich heute, nach
Dinge voranzutreiben. Ich habe meine Zweifel dar- fünf Jahren, denselben Anträgen von denselben
über, ob der uns vorliegende Antrag diesen Zweck Antragstellern nun etwas skeptisch gegenüberstehe.
erfüllt. Er kann auch bei sorgfältigster Ausschuß- (Zuruf von der Mitte: Machen Sie bessere!)
beratung nicht zu irgendwelchen gesetzlichen Be- Es ist richtig und wiederholt darauf hingewiesen
stimmungen führen, sondern nur zu einer mehr worden, daß der wesentliche Inhalt Ihrer Forde-
oder weniger geänderten Entschließung, und damit rungen schon mit Gesetzeskraft in § 72 Abs. 1 und
haben wir ja nun leider unsere Erfahrungen. 2 des Bundesvertriebenengesetzes ausgesprochen
Damit haben vor allem auch die Antragsteller ist, nämlich sowohl die Bereitstellung der Mittel
ihre Erfahrungen. Ich habe mir die Zeit genommen, für langfristige Kredite als auch die Umschuldung
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2491
(Dr. Kather)
zu hoch verzinslicher Kredite. Diese Empfehlung, Die Antragsteller haben mit Recht auf den Man-
dieser Befehl, kann man sagen, den der Ge- gel an Eigenkapital hingewiesen. Ich brauche zur
setzgeber gegeben hat, ist unbeachtet geblieben. Sache nichts mehr zu sagen. Sie ist von Herrn
Herr Reitzner hat schon mit Recht darauf hinge- Dr. Götz und Herrn Reitzner zutreffend gewürdigt
wiesen, daß Ihr Antrag das ungewollt unterstreicht. worden. Aber Sie sind doch an die falsche Adresse
Glauben Sie, daß der Herr Bundesfinanzminister gegangen. Hier muß man sagen: der Passivlegiti-
dadurch sehr beeindruckt werden wird, wenn wir mierte ist der Bundestag, der Gesetzgeber, und
jetzt eine neue Entschließung annehmen? Ich nicht die Verwaltung. Steuererleichterungen muß
glaube es nicht. man schon von der Stelle fordern, von der allein
sie :auch wirklich gegeben werden können. Wir
(Sehr richtig! beim GB/BHE und bei der werden ja in 15 Tagen die sogenannte Steuer-
SPD. — Zuruf von der SPD: Das wäre reform hier behandeln und verabschieden.
das erste Mal!)
(Abg. Mellies: Glauben Sie? — Weitere
Lesen Sie bitte einmal den § 46 des Bundesver- Zurufe.)
triebenengesetzes. Da steht nun nicht nur ein Be-
fehl, Mittel bereitzustellen, sondern da ist auch — Einmal wird sie ja vielleicht doch kommen. Dort
gesagt, wieviel, nämlich 100 Millionen, für die genügt es allerdings nicht, den Mund zu spitzen,
Flüchtlingssiedlung, wenn ich mich so einmal aus- dort muß gepfiffen werden.
drücken kann, für die landwirtschaftliche Siedlung, (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
und 50 Millionen — das steht an anderer Stelle —
für die Einheimischen-Siedlung für den gleichen Wir werden genau beobachten, welche Anträge Sie
Zweck. stellen und wie Sie sich zu unseren Anträgen ver-
halten werden. Herr Dr. Götz, ich kann Ihnen das
(Abg. Leukert: „Soweit ..." steht da!) nicht abnehmen.
— Moment, lassen Sie mich aussprechen, ich bleibe
Ihnen die Deckungsklausel nicht schuldig, Herr Dr. Götz (CDU/CSU): Herr Dr. Kather, ich emp-
Kollege Leukert! Der Herr Bundesfinanzminister f ehle Ihnen, das Protokoll des Finanz- und Steuer-
ist diesem gesetzlichen Befehl schon im ersten ausschusses vom 8. September zu lesen. Aus ihm
Jahre nicht nachgekommen. werden Sie entnehmen können, wer welche An-
träge zu der Frage der Eigenkapitalbildung gestellt
(Hört! Hört! bei der SPD.) hat. Dort werden vielleicht auch Sie die Begrün-
dung dafür finden, warum heute dieser Antrag
Er hat nur 75 Millionen in den außerordentlichen gestellt worden ist.
Etat eingesetzt. Sie werden sich daran erinnern,
meine Herren Vertriebenenabgeordneten von der (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
CDU — wir haben ja damals in einer Front ge-
standen —, wie wir mit Hilfe der Opposition in Dr. Kather (GB/BHE): Das ist keine Frage!
einer der letzten Beratungen des Bundestags durch- (Abg. Haasler: Werden dort Empfehlungen
gesetzt haben, daß 75 Millionen DM für diesen erteilt oder Fragen gestellt?)
Zweck aus dem außerordentlichen in den ordent-
lichen Etat überführt wurden. — Ich wollte gerade auch sagen: Herr Dr. Götz, das
war ja keine Frage!
Wie sah es aber in diesem Jahre aus? In diesem
Jahre hat der Bundesfinanzminister trotz dieser (Abg. Arndgen: Der Herr Präsident hat ein
gesetzlichen Bestimmung wieder nichts eingesetzt. mal festgestellt, daß das Mikrophon auch für
Es ist in diesem Jahre nicht mehr zu einem solchen Feststellungen da ist!)
Antrag gekommen. Wir stehen also vor dem Fak-
tum, daß diese Mittel nicht bereitgestellt sind. Ich — Herr Dr. Götz, ich glaube, auf diesen Platz gehen
sage — jetzt kommen Sie, Herr Leukert —: der zu können, ohne vorher sämtliche Protokolle sämt-
Herr Bundesfinanzminister hat die Deckungs- licher Ausschüsse gelesen zu haben.
klausel, die ja praktisch jeder solchen Bestimmung Weiter, Herr Dr. Götz, kommt es auch nicht al-
innewohnt, auch wenn sie gar nicht besonders er- lein darauf an, was im Ausschuß gemacht worden
wähnt wird, dazu benutzt, um zu sagen: Dafür ist ist. Sie selber wissen aus den ersten vier Jahren,
kein Geld da. Daß er damit bei uns, nach alledem, wie oft wir erst hier im Plenum zum Zuge gekom-
was wir sonst erleben, nicht durchkommt, daß wir men sind. Deshalb wird es darauf ankommen,
das nicht anerkennen können, darüber kann - es gar welche Anträge von wem hier gestellt werden.
keinen Zweifel geben. Glauben Sie nun nach den Außerdem darf ich Ihnen eins sagen, Herr Dr. Götz:
Erfahrungen mit der Haltung des Herrn Bundes- ein aus diesem Protokoll sich ergebendes Unter-
finanzministers in diesem Falle, wo ihm die liegen mit solchen Anträgen kann doch nur darauf
100 Millionen DM praktisch schon vorgeschrieben beruhen, daß die CDU-Fraktion nicht geschlossen
waren, mit einer Entschließung etwas erreichen dafür gestimmt hat. Hier steht aber die CDU-
zu können? Ich bin da anderer Meinung. Ich halte Fraktion darunter. Also ist da schon ein Wider-
diesen Weg nicht mehr für gangbar. Ich weiß nicht, spruch festzustellen zwischen der Haltung der
ob es gut ist, durch diese Diskussion nun wieder Fraktion im Ausschuß und hier.
Hoffnungen zu erwecken und falsche Vorstellungen
auszulösen, (Zurufe von der Mitte.)
(Sehr richtig! beim GB/BHE) Ich kann es Ihnen nicht abnehmen, Herr Dr. Götz,
daß es, nachdem Sie vor fünf Jahren schon einmal
die nachher um so größere Enttäuschung hervor- den gleichen Antrag gestellt haben, heute genüge
rufen müssen. zu sagen: Wir wollten mit diesem Antrag eine
(Erneute Zustimmung beim GB/BHE. — Prüfung anregen! Nein, meine Damen und Herren,
Zuruf von der SPD: Lippenbekenntnisse wir sind weiter. Wenn wir jetzt zu einer Änderung
nützen nichts!) des Einkommensteuergesetzes kommen, dann müs-
2492 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Dr. Kather)
sen verbindliche und zu Ergebnissen führende An- Sicherheitsanforderungen zu entsprechen. Das hat
träge gestellt werden, oder man soll überhaupt um so mehr Geltung, als eine Möglichkeit, Siche-
nicht über diese Dinge reden. rungsunterlagen zu beschaffen, nämlich eine Be-
(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD. — schleunigung des Feststellungsverfahrens, bisher
Zuruf von der Mitte: Das haben Sie die durch Verschulden des Bundesfinanzministeriums
ganzen Jahre auch gemacht!) nicht genutzt werden konnte.
— Ich habe Anträge genug gestellt. (Beifall beim GB/BHE.)
(Zuruf von der Mitte: Anträge haben Sie Das Verfahren überhaupt, das Kreditbewilli-
gestellt, aber Sie haben es dann auch nicht gungsverfahren, muß beschleunigt werden und von
weitergebracht!) bürokratischen Hemmungen frei gemacht werden.
Es wurde heute schon die Versammlung der Hei-
— Zeigen Sie mir einen, der immerhin so viel matvertriebenenwirtschaft hier in Bonn im April
durchgesetzt hat wie ich. Darauf bin ich sehr neu- dieses Jahres erwähnt. Dort hat Herr Kollege
gierig. Kunz e, der leider heute abwesend ist folgendes
(Zuruf von der Mitte: Eigenlob stinkt! — gesagt:
Weitere Zurufe von der Mitte.) Was ist denn heute die Tragik, — wenn ich nur
— Meine Damen und Herren, wenn uns etwas wert- ein Problem herausgreifen darf? Da hat ein
voll an diesem Antrag ist, dann ist es ganz be- Heimatvertriebener endlich eine Chance ge-
stimmt dies, daß er die Unterschrift „Fraktion der funden, irgendein Unternehmen zu überneh-
CDU" trägt und damit doch die Fraktion auf eine men. Bis die Prüfungen erfolgt sind und die
Haltung festlegt, die wir nur begrüßen können. Stunde da ist, wo gesagt wird: „Genehmigt",
(Zuruf von der Mitte: Also!) ist in den meisten Fällen das betreffende
Unternehmen an einen Kapitalkräftigeren ab-
Es ist schon gesagt worden, daß die Forderungen gewandert. Das ist eines der großen Probleme,
zu Punkt 2 und 3 des Antrags den Anordnungen an dem wir jetzt im Augenblick arbeiten.
entsprechen, die im Bundesvertriebenengesetz ge-
geben worden sind. Sie stimmen überein mit dem Es würde mich außerordentlich interessieren, den
§ 72 Abs. 1 und 2 des Bundesvertriebenengesetzes. Stand dieser Arbeiten kennenzulernen.
Ich hatte vorhin schon gesagt, daß ich es nicht als (Lachen und Zustimmung beim GB/BHE.)
besonders sinnvoll ansehe, in dieser Richtung mit Es hat sich in der Praxis aber noch nicht das
Entschließungsanträgen zu kommen, nachdem ge- geringste geändert, wie Herr Reitzner hier schon
setzliche Bestimmungen bestehen und diese nicht ganz zutreffend gesagt hat.,
beachtet worden sind.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das geht alle an,
Was nun das Ersuchen um eine weitere Anleihe Herr Kather!
angeht, meine Damen und Herren, so bitte ich, doch
einmal an das Schicksal der Anleihen zu denken, — Sicher, das geht auch alle an; ich habe Sie gar
die der Vorfinanzierung dienen sollten. nicht besonders angesprochen. — Meine Damen und
Herren, ich bitte diese Frage zwar wohl von der
(Sehr richtig! bei der SPD.) Verantwortung der Regierung her, ber nicht par-
Hier handelt es sich nun um Anleihen, die uns, wie teipolitisch aufzufassen.
Sie genau wissen, von dieser Stelle durch den (Sehr richtig! beim GB/BHE. — Zuruf von
Mund des Herrn Vizekanzlers im Namen der ge- der CDU/CSU: Ach, parteipolitisch!)
samten Bundesregierung zugesagt und damals auch
von diesem Hohen Hause mit genehmigt worden Meine Damen und Herren, vor noch nicht zwei
sind. Von diesen drei Anleihen, die für 1952, 1953 Wochen hat ein interministerieller Ausschuß, der
und 1954 gegeben werden sollten, ist bis heute nur aus vier Ressorts besteht — was ja sehr wenig
erst eine einzige zum Zuge gekommen. ist —, über einen notleidenden Betrieb zu ent-
(Hört! Hört! beim GB/BHE.) scheiden gehabt. Dabei hat es sich um 180 Arbeits-
plätze, darunter 108 Vertriebene und 39 Schwer-
Ich kann daraus nicht entnehmen, daß es nun sehr kriegsbeschädigte, gehandelt. Diese vier Ressort-
sinn- und zweckvoll ist, mit einer Entschließung vertreter haben drei Monate gebraucht, bis sie zu
eine weitere Anleihe zu verlangen. einer Entscheidung kamen, die dann auch noch ab-
lehnend war. Meine Damen und Herren, so geht es
Hinsichtlich der Umschuldung, die hier ange- nicht. Wenn nicht rechtzeitige Entscheidungen, die
sprochen worden ist, ist es, wie es heute ja auch manchmal auch leicht Hilfe bringen können, er-
schon von anderer Seite geschehen ist, notwendig, möglicht werden, dann kommen wir nicht weiter.
die Frage der Besicherung anzuschneiden. Es wer- Es wird nicht besser werden, solange in allen diesen
den überhöhte Anforderungen gestellt; das kann Ausschüssen die Macht entscheidend in den Händen
nicht bezweifelt werden. Diese Tatsache hat z. B. von Beamten liegt, die aus Scheu vor der Über-
bei der Vergabe der Arbeitsplatzdarlehen dazu ge- nahme einer Verantwortung oder gar eines Risikos,
führt, daß nur 7 Millionen DM an Vertriebene die nur von der Furcht vor dem Bundesrechnungs-
gegeben worden sind, 28 Millionen DM an Geschä- hof übertroffen wird, zu irgendwelchen Entschlüs-
digte und 14 Millionen DM an sonstige nach dem sen nicht kommen können.
Gesetz Berechtigte, die also an sich mit dem
Lastenausgleich nichts zu tun haben. Ähnliche, (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
nicht ganz so scharfe, aber doch auch überspitzte Ich erinnere an das Auftreten von Herrn Staats-
Anforderungen sind auch an anderer Stelle gestellt sekretär Hartmann bei unserer Großen Anfrage.
worden. Wenn wir nicht davon abgehen, dann sind
alle diese Maßnahmen vergeblich. Die Vertrie- (Sehr richtig! beim GB/BHE.)
benenwirtschaft ist — das erweist schon der Man- Herr Staatssekretär Hartmann hat es damals für
gel an Eigenkapital — gar nicht in der Lage, diesen richtig gehalten, uns bei einer Materie, bei der
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2493
(Dr. Kather)
7,3 Millionen Anträge vorliegen, wo man also wohl Zu Punkt 4 möchte ich hervorheben, daß die
sagen kann, daß fast 20 Millionen Menschen be- Lastenausgleichsbank weitgehend Vorarbeiten zu
teiligt sind, zu sagen: Wir können doch nicht für diesem Zweck geleistet hat, auf die zurückzugreifen
ein einzelnes Gesetz einen Referenten anstellen, sein wird.
von dem wir nachher nicht wissen, was wir mit ihm Meine Damen und Herren, wenn man das alles
anfangen sollen. überlegt — und es handelt sich bei diesen Fragen
(Lachen und Zurufe vom GB/BHE.) mit der einen Ausnahme der Steuerermäßigung
Meine Damen und Herren, wenn eine solche Ant überall um Dinge, die die Verwaltung angehen, die
wort auf der Staatssekretär-Ebene möglich ist, von der Bundesregierung her geändert, beeinflußt,
dann kann man sich vorstellen, was wir auf der abgestellt werden können —, wenn man sich über-
Referenten-Ebene, also sagen wir mal Oberregie legt, wie die Dinge hier zum Teil liegengeblieben
rungsrat, Regierungsdirektor, alles erleben können; sind — ich erinnere an das Feststellungsgesetz, an
und leider Gottes haben wir es auch schon erlebt. die Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschriften,
(Sehr richtig! beim GB/BHE.) die ich Ihnen hier aufzählen konnte —, dann wird
Also: Abbau der Bürokratie und—das ist, das hätte für die deutsche Öffentlichkeit auch klarwerden
ich auch so gesagt, keine parteipolitische Forderung, und es wird ihr zum Bewußtsein kommen, weshalb
das ist eine Forderung, bei der alle Parteien dieses der Gesamtdeutsche Block so großen Wert darauf
Hauses einer Meinung sein sollten — Einschaltung legt, daß das Ministerium für Vertriebene, Flücht-
der Wirtschaft sowie Heranziehung der Ge- linge und Kriegsgeschädigte sowie die Organisa-
schädigten selbst und ihrer Organisationen zur Mit- tionen der Geschädigten selbst eine erweiterte Ein-
verantwortung. Dann werden wir in diesen Fragen flußnahme auf die produktive Eingliederung der
auch schneller und besser vorankommen. Geschädigten erhalten. Das ist keine Personalfrage
und keine Frage von Stellenbesetzungen, nein, hie r .

Ein Weg zur Lösung des fraglos vorhandenen geht es darum, den Hebel da anzusetzen, wo er an-
Problems, das hier angesprochen worden ist, und gesetzt werden muß und wo allein Erfolge erzielt
zwar meiner Ansicht nach der wichtigste, ist bis werden können. Die Mittel und ihre Verwendung
heute nicht erwähnt worden. Das ist der Weg, der müssen Leuten in die Hände gegeben werden, die
für alle Fälle gilt, in denen Kredite nicht mehr aufgeschlossen sind für diese Dinge und die wissen,
helfen können — die sehr häufig sind —, weil die daß hier eine Schlacht im Kalten Krieg zu ge-
Hereinnahme neuer Kredite die Relation zwischen winnen ist.
Eigenkapital und Fremdkapital nur noch ver
schlechtert. Fragen Sie insoweit die Lastenaus- (Lebhafter Beifall beim GB/BHE.)
gleichsbank, die da über weitgehendes Material Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
vieler Fälle verfügt. Da ist man und sind wir den Abgeordnete Dr. Preiß.
Weg gegangen, Eigenkapital durch Beteiligung zu
schaffen. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, Dr. Preiß (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver-
daß das ein guter und erfolgversprechender Weg ist, ehrten Damen und Herren! Ich hatte nicht damit
wenn er richtig gegangen wird. Ich freue mich hier gerechnet, daß dieser Antrag, der mir doch im
darauf hinweisen zu können, daß der neue Wirt- Gegensatz zu Ihrer Meinung, sehr geehrter Herr
schaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege Reitzner, eine Aktualität zu haben scheint,
Dr. Middelhauve, in diesen Tagen einen Brief an
die Wirtschaftsminister, Vertriebenenminister usw. (Zuruf von der SPD: Die fünf Jahre sind
geschickt hat, in dem er gerade empfiehlt, diesen ja um!)
Weg zu gehen. ERP-Mittel und Lastenausgleichs eine so ausgedehnte Grundsatzdebatte über den
mittel — wenn schon Haushaltsmittel im Augen- Gesamtkomplex der Vertriebenenprobleme und
blick nicht zu erreichen sind — müssen dafür be- -fragen auslösen würde. Herr Kollege Reitzner,
reitgestellt werden. ich mache Ihnen das Kompliment, daß Sie es in
Man kann uns auch nicht sagen, Lastenausglichs einer reizenden Form getan haben, auch bei Ihren
mittel könnten nicht so langfristig festgelegt wer- Kritiken, die ohne weiteres angekommen sind. Sie
den. Wenn ich darauf hinweise, daß Wohnungsbau- können auch da nicht so sehr laut sein, weil Sie
mittel aus dem Lastenausgleichsfonds mit 2 % pro mit vielen von uns unter derselben Vorbelastung
Jahr getilgt werden, so zeigt das schon deutlich, daß stehen, trotz aller Mühe, trotz fünf oder sechs ganz
diese Generation den Rückfluß gar nicht mehr er- tätigen Sitzungen in einer Woche in den Jahren
leben wird. Und um so langfristige Dinge handelt 1949, 1950 und 1951 dieses sehr schwierige Problem
es sich nicht; da kommen wir mit 5 Jahren oder des Lastenausgleichsgesetzes nicht früher unter
10 Jahren sehr gut aus. - Dach und Fach gebracht zu haben. Der Kollege
Ich möchte mich noch gegen eines wenden. Hier K a t her hat es da allerdings etwas einfacher. Er
ist gesagt worden, man solle auch für neue Betriebe ist nicht mit diesen jahrelangen, mühevollen An-
sorgen, „wenn es nötig erscheint", — die Formu- strengungen um dieses Gesetz so behaftet gewesen
lierung ist etwas anders. Das könnte, vielleicht un- wie wir. Er war nur ab und an zur Stelle.
beabsichtigt, den Eindruck hervorrufen, daß diese (Hört! Hört! in der Mitte.)
Notwendigkeit von den Antragstellern in Frage
gestellt wird. Ich möchte das nicht annehmen. Es Aber das sei ihm verziehen. Es war heute eine sehr
sind immerhin, ganz vorsichtig geschätzt, noch etwa schöne Gelegenheit, mit seinen langjährigen Freun-
20 000 neue Betriebe, die auf die Beine gestellt wer- den Abrechnung zu halten.
den müssen. Ich glaube das erwähnen zu müssen, Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser
weil auch bei der Verwaltung sich häufig schon die Antrag hätte eigentlich — es ist schade, daß sich
Auffassung durchzusetzen versucht hat, daß es nur das Haus schon so stark geleert hat — zu einer
noch um die Festigung bestehender, aber nicht mehr breiten Besinnung auf ein außerordentlich wich-
um die Gründung neuer Betriebe geht. Ich weise tiges und aktuelles Thema führen sollen. Daß sich
darauf hin, daß im. Vertriebenengesetz die Reihen innerhalb der Heimatvertriebenenwirtschaft in den
folge — noch! — umgekehrt ist. letzten ein, zwei Jahren erhebliche Verschiebungen
2494 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954
(Dr. Preiß)
und Änderungen vollzogen haben, ist vielleicht die 460 000 neuen Arbeitsplätze, die sie geschaffen
in der Öffentlichkeit nicht so beobachtet worden, und begründet haben.
wie es hätte beobachtet werden sollen. Wer sich in
dieser schwierigen und so wichtigen Aufgabe per- (Abg. Samwer: Richtig!)
sönlich stark eingesetzt hat und auch die vor Jah- Aber darauf beschränkt sich die Bedeutung noch
ren angesiedelten Betriebe laufend betreut, der nicht einmal! Wo sind sie denn hingegangen, wo
kennt diese Änderung und weiß um diese Wand- haben sie denn begonnen? Dort, wo sonst niemand
lung. den Mut dazu gehabt hätte, in diesen Trümmer-
(Sehr gut! in der Mitte.) stätten, ehemaligen Muna, in Drecklöchern haben
Sie sind bei den bisherigen Reden nicht aufgeklun- sie angefangen!
gen. Ich möchte sie deshalb zur Ergänzung und (Beifall in der Mitte.)
unter Vermeidung von sonstigen Wiederholungen
hier feststellen. Sie haben damit Enormes geleistet, abgesehen von
den Millionenwerten, die sie im Export zu ver-
Uns ist doch wohl allen geläufig, daß die Heimat- zeichnen haben. Sie haben Entscheidendes zur Sa-
vertriebenen- und Flüchtlingsbetriebe in ihren nierung unserer wichtigsten Notstandsgebiete bei-
ersten Gründungsjahren zum Teil mit Fachrichtun- getragen.
gen und Produktionsrichtungen zu uns kamen, die
hier nur verschwindend wenig oder zum Teil auch Meine Damen und Herren, es gibt schon eine
gar nicht vertreten waren, und daß sie deshalb in ganze Reihe von stark konzentrierten Flüchtlings-
eine außerordentliche günstige Konjunktur hinein- betriebsorten, in denen es nicht einmal bei der
kamen, so daß sie jahrelang einen günstigen Ver- Behebung der strukturellen Arbeitslosigkeit der
käufermarkt ausnutzen konnten. Was sie mit alten dort zusammengeballten heimatvertriebenen Men-
Maschinen und in der Regel der Fälle unzuläng- schen geblieben ist. Nein, sie haben schon ausge-
lichen Kapitalausstattungen überhaupt zu produ- griffen in die breitere Umgebung und haben auch
zieren in der Lage waren, wurde ihnen aus der notleidende einheimische Wirtschaftsgebiete, zu
Hand gerissen. Zahlungen im voraus waren nicht klein strukturierte Landwirtschaft, nicht genügend
selten, Zahlungen durch die Abnehmer am Tage der beschäftigtes Handwerk und Kleingewerbe mit
Lieferung lange die Regel und Zahlungen nach saniert. Die Leistungen, die diese Heimatvertrie-
kurzer Frist nach erfolgter Lieferung auch noch benenwirtschaft in diesen wenigen Jahren erbracht
lange der Fall. hat, nicht nur zur Wiederbegründung ihrer eigenen
Existenz und zur Beschäftigung hauptsächlich ihrer
Seit etwa zwei Jahren haben sich diese Dinge er- eigenen Schicksalsgefährten, sondern darüber hin-
heblich geändert, seit wir allgemein den Übergang aus für die Allgemeinheit, sind so entscheidend,
vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt haben. daß hier Vorsorge getroffen werden muß, damit
Jetzt haben auch diese Betriebe ihre 60-Tage-Frist sie nicht notleidend wird. Es sind ganz ohne Frage
und dann fallweise noch drei Monate Akzeptge- in der jüngsten Vergangenheit Neubetriebe notlei
währung, und dann kommen sie auf die berühmte dend geworden, die es nicht zu werden brauchten,
etwa halbjährige Kreditierung. Meine Damen und wenn sie entweder früher besser ausgestattet oder
Herren, da zeigt sich erst ihre Schwäche, da zeigt laufend besser betreut worden wären.
sich die mangelnde Liquidität. Nun mußten sie, wie
es nun mal üblich ist, wenn nicht genügend Eigen- (Abg. Kuntscher: Zeitgerecht umgeschuldet
kapital und besonders auch Betriebskapital zur worden wären!)
Verfügung steht, auf den Weg der Kreditnahme — Sehr richtig, Kollege Kuntscher! Genau das, was
bei ihren Lieferanten, bei ihren Rohstoff- und ich sagen wollte.
Halbfertigwarenlieferanten gehen. Und siehe da:
hier stießen sie auf das völlige Fehlen von Siche- Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und
rungsreserven; denn - da pflichte ich Ihnen, Herr Herren, dieser Antrag sollte Anlaß dazu geben,
Kather, natürlich völlig bei — bei den doppelten daß wir uns in den zuständigen Ausschüssen mit
und dreifachen Sicherungen bei der Erstausstattung diesen Dingen im Detail beschäftigen. Es ist bereits
ist von ihren Realwerten ja praktisch nichts als darauf hingewiesen worden, daß das Bundeswirt-
Sicherungsreserve in Rückhalt geblieben. Sie wer- schaftsministerium eine sehr breite Erhebung an-
den - das muß einmal in aler Kraßheit gesagt gestellt hat über die Kapitalausstattung der Neu-
werden — zunehmend kreditunfähig gegenüber betriebe. Es ist schon erschreckend, wenn festge-
ihren Lieferanten, denen gegenüber sie aber auf stellt wird, daß sich innerhalb des Zeitraums von
Kreditfähigkeit zwingend angewiesen sind. - 1949 bis 1952 das Eigenkapital von 40 '% im Jahre
1949 auf 22 % im Jahre 1952 verringert hat und
Das wirft nun das Problem in dieser Zeit ganz wenn nach einer parallel laufenden Erhebung von
besonders stark auf. Wenn wir es noch verbinden elf überprüften Wirtschaftszweigen von nur zweien
mit dem aktuellen Anlaß, daß der Finanz- und festgestellt werden konnte, daß sich ihre Anlage-
Steuerausschuß nun einmal die Generallinie be- werte mit dem Eigenkapital decken. Deshalb ist es
zogen hat, möglichst mit allen Vergünstigungen ein besonderes Anliegen meiner Parteifreunde, daß
und Sonderbestimmungen aufzuräumen, dann ist dieser Antrag auch dem Wirtschaftspolitischen
hier Alarm geboten, und dann ist dieser Antrag Ausschuß überwiesen wird. Damit möchten wir do-
durchaus aktuell. Vielleicht, verehrter Herr Kol- kumentieren, daß es sich hier nicht um eine Son-
lege Götz, hätten wir ihn interfraktionell stellen derangelegenheit handelt, nicht um einen Sektor
sollen. Dann wäre wahrscheinlich einiges an Schär- der Wirtschaft, sondern praktisch um die gesamte
fe oder Wettbewerb hier vermieden worden. Denn Wirtschaft der Bundesrepublik.
es ist kein Anliegen von Ihnen oder vom BHE oder
von uns oder von den Damen und Herren der SPD, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
sondern es ist ein Anliegen der ganzen Wirtschaft.
Ich meine auch nicht nur diese 2500 Neubetriebe Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
mit mehr als 10 Beschäftigten, sondern vielmehr Abgeordnete Sabaß.
2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954 2495

das wir Deutsche in unserer Zeit erleben, und die


Sabaß (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ses Schicksal müssen wir alle aus vollem Herzen
verehrten Damen und Herren! Es ist nicht meine und mit ganzer Liebe mildern helfen. Daher die-
Absicht, in der Generaldebatte zu dem Antrag ser Antrag.
meiner Fraktion auf Drucksache 838 noch einmal
im einzelnen Stellung zu nehmen. Die Ausführun- Ich beantrage, Herr Präsident, den Antrag an
gen, die gemacht worden sind, werden wir in den den Ausschuß für Heimatvertriebene — feder-
Ausschüssen, an die der Antrag überwiesen wer- führend — und zur Mitberatung an die Ausschüsse
den soll, im einzelnen behandeln. Wenn auch hier für Wirtschaftspolitik, für Geld und Kredit und
in- der Debatte sehr gegensätzliche Meinungen über für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen.
die Maßnahmen und deren Erfolgsaussichten in der
jüngsten Vergangenheit zum Ausdruck gekommen (Beifall bei der CDU/CSU.)
sind, so bin ich doch überzeugt, daß wir zu einem
Erfolg kommen werden. Alle Redner haben die Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und
Berechtigung unseres Antrags anerkannt, und wir Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
wollen doch gemeinsam der Überzeugung sein, daß Ich schließe die Debatte zu Punkt 7.
meine Fraktion mit diesem Antrag der Heimatver-
triebenenwirtschaft helfen will, aus dem schlechten Es ist beantragt, den Antrag Drucksache 838 an
Start, der teilweise noch vorhanden ist und täglich den Ausschuß für Heimatvertriebene — als feder-
fühlbar wird, herauszukommen und gleichen Schritt führenden Ausschuß —, den Ausschuß für Finanz-
zu halten mit der erfolgreichen sozialen Markt- und Steuerfragen, den Ausschuß für Geld und Kre-
wirtschaft, wie wir sie jetzt betreiben. dit und den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu
Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich hier auch überweisen. Ist das Haus damit einverstanden, daß
nicht zu den Ausführungen des Herrn Abgeordne- so verfahren wird? — Das ist der Fall. Die Über-
ten Kather, die ich teilweise bedauere, im einzel- weisung ist beschlossen.
nen Stellung nehmen. Denn ich habe doch den
Eindruck — lassen Sie mich das sagen —, daß Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit
durch das Reden über die Dinge der Vergangenheit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
für die Zukunft wenig geholfen wird. Wir wollen Ich berufe die nächste, die 51. Sitzung des Deut-
doch alle, auch alle unsere Wähler im Lande, über- schen Bundestages auf Donnerstag, den 21. Ok-
zeugt sein, daß die Hilfe für die Heimatvertriebe- tober 1954, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.
nenwirtschaft für uns kein politisches Geschäft ist.
Heimatvertrieben sein ist das härteste Schicksal, (Schluß der Sitzung: 18 Uhr 4 Minuten.)

Anlage 1 Umdruck 192 Änderung des § 168 des Gesetzes über Arbeitsver-
mittlung und Arbeitslosenversicherung
Änderungsantrag des Abgeordneten Sabel zur (Drucksachen 885, 412)
zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des § 168 des Gesetzes über Arbeits- Der Bundestag wolle beschließen:
vermittlung und Arbeitslosenversicherung - In Art. I Nr. 2 erhält § 168 a folgende Fassung:
(Drucksachen 885, 412) 㤠168 .a
Der Bundestag wolle beschließen: Abweichend von § 168 können Arbeitslose, die
vor Eintritt der Arbeitslosigkeit eine versiche-
In Art. I Nr. 1 sind im § 87 Abs. 2 Satz 1 an Stelle rungspflichtige Beschäftigung befugt im Gel-
des Wortes „auch" die Worte „im Falle des § 168 a" tungsbereich des Grundgesetzes oder im Lande
einzufügen. Berlin ausgeübt haben, ihren Wohnort außer-
halb dieses Bereiches oder innerhalb des Ge-
Bonn, den 20. Oktober 1954 bietes des Deutschen Reiches nach dem Stande
Sabel vom 31. Dezember 1937 haben, den Antrag auf
Arbeitslosenunterstützung bei dem Arbeitsamt
stellen, das für den Beschäftigungsort vor Ein-
Anlage 2 Umdruck 193 tritt der Arbeitslosigkeit zuständig war."
Bonn, den 20. Oktober 1954
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ollenhauer und Fraktion
2496 2. Deutscher Bundestag — 50. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Oktober 1954

Anlage 3

Schriftliche Begründung
des Abgeordneten Muckermann
zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP
betreffend

Revision des GATT-Abkommens in Bezug auf Filmfragen


(Drucksache 889 [neu])

1. Anlaß. nissen von Torquay dazu verpflichten müssen, im


Falle der Einführung einer Spielquoten-Regelung
Am 28. Oktober 1954 beginnt in Genf die gemäß Art. IV diese Quote nicht höher als 27 %
9. GATT-Tagung. Im Rahmen dieser Tagung wer- anzusetzen. Dieses Zugeständnis trägt diskriminie-
den am 8. November die Verhandlungen über renden Charakter, ganz abgesehen davon, daß es
Änderungen des GATT-Abkommens aufgenommen sich hier um eine handelspolitische Maßnahme und
werden. Es ist damit zu rechnen, daß auch die den nicht um ein Zollzugeständnis handelt.
Filmbetreffenden GATT-Bestimmungen in diesen
Besprechungen mit dem Ziele einer Änderung be-
raten werden. So wird insbesondere die US-Dele- III. Grundsätzlicher Standpunkt.
gation dem Vernehmen nach mit der Weisung ver-
sehen werden, eine schärfere Fassung des Art. IV, Der Film, dessen Herstellung und Verbreitung
der die Einführung von Spielzeit-Quoten gestattet, sich nach allgemeinen wirtschaftlichen Gesetzen
zu verlangen. Der Artikel soll dahingehend geän- vollzieht und der dabei — wie jedes andere Wirt-
dert werden, daß künftig Spielzeit-Quoten nur schaftsgut — den Charakter einer Ware trägt, be-
noch in Ländern zulässig sein sollen, deren Film- friedigt gleichwohl primär nicht materielle, son-
industrie noch im Aufbau begriffen ist. In gleicher dern immaterielle Bedürfnisse. Er will unterhalten,
Weise soll die US-Delegation die Änderung des entspannen, bilden, belehren. Unter Berücksichti-
Art. XII anstreben. Der Artikel sieht die Beschrän- gung dieses Charakters kann der Film auch im
kung von Importen von Filmen vor, falls die Devi-
GATT nicht in vollem Umfange einem anderen
Wirtschaftsgut gleichgestellt werden. Dies muß
senlage des betreffenden Landes es notwendig
auch bei dem sonst allgemein gültigen Grundgesetz
macht. Diese Bestimmung soll für Filme überhaupt
der Liberalisierung berücksichtigt werden. Auf
in Fortfall kommen. Es ist unter Berücksichtigung
jeden Fall aber ist zu verlangen, daß der deutsche
dieser Umstände dringend angebracht, daß auch die
Film nicht schlechter gestellt wird als der Film
deutsche Delegation mit konkreten Weisungen ver-
irgendeines anderen dem GATT beigetretenen
sehen wird, auf Änderung der den Film betreffen-
Landes.
den GATT-Bestimmungen zu dringen, soweit diese
Bestimmungen entweder diskriminierenden Cha-
rakter tragen oder der Entwicklung einer deutschen Schlußfolgerung,
Filmproduktion mit marktkonformen Mitteln weit-
gehend hemmend oder einschränkend im Wege Der Bundestag muß daher die Bundesregierung
stehen. ersuchen, die deutsche Delegation auf der GATT-
Konferenz mit bindenden Weisungen in dem Sinne
zu versehen, daß sie bemüht bleibt, eine Beseiti-
II. Bisherige Regelung. gung bzw. Abänderung all der Bestimmungen zu
Nach den zur Zeit geltenden GATT-Bestimmun- erreichen, die die Entwicklung des deutschen Films
besonders erschweren, insbesondere
gen können innere Maßnahmen zur Mengenkon-
trolle für belichtete Kino-Filme nur im -Rahmen a) Wegfall der diskriminierenden Einschränkung
des Art. IV getroffen oder aufrechterhalten wer- in den Zollzugeständnissen von Torquay
den. Art. IV sieht hierfür die Form von Spielzeit- oder, falls dies im Augenblick nicht erreichbar
kontingenten vor. Während diese Spielzeitkontin- sein sollte,
gente in fast allen filmproduzierenden Ländern
sehr erhebliche Quoten aufweisen — England 45 %, b) Eliminierung des Art. IV überhaupt, damit die
Frankreich 5 Wochen im Quartal, Italien 20 Tage Bestimmungen des Art. III des GATT auch für
im Quartal, Spanien auf je 6 Wochen eine Woche — deutsche Filme in vollem Umfange wirksam
und daneben noch weitere Maßnahmen zum Schutze werden können.
der nationalen Filmindustrie in der Form von
Synchronisationsabgaben oder Erstaufführungs- Bonn, den 20. Oktober 1954.
abgaben bestehen und aufrechterhalten werden,
hat sich die Bundesrepublik in den Zollzugeständ Muckermann

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