NACH NEUN JAHREN ADAM SMITH:

PAUSE MELDET SICH GEDANKEN ÜBER

DIE BAND JULI EINEN GROSSEN
ZURÜCK DENKER
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KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 FREITAG, 16. JUNI 2023 * D 2,50 E URO B Nr. 115

EZB-Zinsen auf
dem höchsten
Niveau seit 2001
Die Währungshüter erhöhen zum achten Mal in

D
Folge die Sätze. Sparer haben das Nachsehen
eutschland erlebt eine Zins mit dem alten Höchststand von
Zeitenwende bei den 3,75 Prozent aus den Jahren 2000/2001

70 Jahre nach dem

Preisen. Das bekommen gleichziehen. Falls die Finanzmärkte
Verbraucher bei jedem recht behalten mit ihrer Prognose,
Gang in den Super- wonach der Leitzins bis auf vier Pro-

Aufstand für die Freiheit

markt zu spüren. Vollmilch etwa wird
bereits wieder für unter einem Euro
angeboten und ist damit 13 Prozent
billiger als noch Anfang Juni. Bei Gur-
PICTURE-ALLIANCE / AKG-IMAGES
zent steigen wird, wäre sogar ein neu-
er Zinsrekord erreicht. Auch das bis-
herige Tempo der Erhöhungen ist bei-
spiellos. Im Juli 2022 lag der Einlagen-

ken gab es mit minus 28 Prozent sogar
einen regelrechten Preiscrash gegen-
über dem Wert im Mai und selbst im
Vorjahresvergleich kostet das Gemüse
jetzt neun Prozent weniger.
VON ANJA ETTEL UND HOLGER ZSCHÄPITZ
Jugendliche werfen Steine auf russische Panzer in der Leipziger Straße im dama- gleichkam. In der gesamten DDR gingen die Menschen auf die Straße. Doch es Doch die Währungshüter der Euro-
ligen Ostberlin. Es ist der 17. Juni 1953. Der Volksaufstand entbrannte, weil die dauerte nicht lange, bis die russische Armee den Aufstand blutig beendete. Min- päischen Zentralbank (EZB) trauen
SED am Vortag höhere Arbeitsnormen verhängte – was einer Lohnkürzung destens 55 Menschen sind an diesem Tag vor 70 Jahren gestorben. Seiten 2/3 dem Preisverfall an der Ladenkasse of-
fensichtlich noch nicht. Stattdessen
hat die Notenbank die Leitzinsen im
Euro-Raum nicht nur – wie es weithin
satz mit Minus 0,5 Prozent noch im
negativen Bereich und ist seitdem
achtmal in Folge um insgesamt vier
Prozentpunkte erhöht worden.
Die Rückkehr des Zinses ist bei den
Sparern in Deutschland allerdings
noch nicht so richtig angekommen.
Laut einer Analyse des Verbraucher-
portals Verivox zahlt jede vierte Bank
noch gar keine Verzinsung für Einla-
gen auf Giro- oder Tagesgeldkonten.
Vor allem Kunden von Sparkassen und
Volksbanken gehen demnach bisher
weitgehend leer aus.

Opposition wirft Ampel

erwartet wurde – erneut um einen
Viertelprozentpunkt erhöht. Vielmehr
haben die Zentralbanker sogar noch
weitere Anhebungen in Aussicht ge-
stellt und ihre Inflationsprognose für
„Die Banken selbst streichen längst
wieder über drei Prozent Zinsen ein,
wenn sie Spargelder bei der EZB par-
ken. Da wäre es nur recht und billig,
zumindest einen Teil dieser Erträge an

„verkorkstes“ Gesetz vor

die kommenden drei Jahre erhöht. die eigene Kundschaft weiterzuge-
„Wir sind noch nicht fertig, wir ha- ben“, sagt Oliver Maier, Geschäftsfüh-
ben noch viel zu tun“, kommentierte rer von Verivox Finanzvergleich. Im
EZB-Präsidentin Lagarde den Aus- Durchschnitt aller Tagesgeldangebote

D
Bundestag diskutiert über Gebäude-Energie-Gesetz. Das Regierungslager verteidigt sich zaghaft
er Schutz der Menschen,
der Souveränität und der
territorialen Integrität
Deutschlands vor Bedro-
hungen aus aller Welt soll
künftig die Priorität der Politik der Bun-
desregierung sein. So hatten es der
Kanzler und vier seiner Minister am
Mittwoch bei der Vorstellung der Natio-
setz vorgelegt. Und jetzt schmeißen Sie
uns zwei dünne Seiten vor die Füße. Kei-
ner kann sich seriös damit beschäftigen,
das ist eine Simulation von parlamenta-
rischer Demokratie.“ Thomas Heilmann
(CDU) ergänzte, er rechne mit mehr als
100 Seiten von Änderungsanträgen für
das Gesetz, die gelesen und reflektiert
werden müssten. Wie viele Tage man da-
blick der Notenbank. „Über eine Pau- liegt die Verzinsung bei etwas über ei-
se bei den Zinserhöhungen haben wir nem Prozent und fällt weiterhin ma-
noch nicht einmal nachgedacht.“ Da-
mit schlägt die EZB einen anderen
ger aus. Zum Vergleich: im Jahr 2001,
als der Einlagensatz auf dem gleichen
Kurs ein als die US-Notenbank. Diese Niveau wie heute lag, bekamen Sparer
Die Linke teilte diese Verfahrenskri- bescheinigte der Ampel: Mit dem „grot- hatte nur einen Tag zuvor mit ihren im Schnitt weit mehr als doppelt so
tik. Er sei der FDP dankbar, dass sie das tenschlechten Entwurf“ sowie den „va- Zinserhöhungen pausiert. viel wie heute gut geschrieben. Auffäl-
ursprüngliche GEG gestoppt habe, sag- gen Leitplanken“ zerstöre die Regie- Der Einlagensatz der EZB liegt lig ist auch: Die Dispozinsen sind im
te Klaus Ernst, Chef des Wirtschafts- rung die Akzeptanz der Bürger für die mittlerweile bei 3,5 Prozent. Das ist Durchschnitt um 1,8 Prozentpunkte
ausschusses. Aber jetzt solle man in der nötige Reform. Das sei „zum Kotzen“. der höchste Stand seit dem Jahr 2001. gestiegen und damit deutlich schnel-
kommenden Woche eine Expertenan- Da sah Bundestagspräsidentin Bärbel Sollte die EZB ihre Ankündigung ler als das bei den Habenzinsen der
hörung veranstalten ohne neuen Geset- Bas (SPD) mögliche minderjährige Zu- wahrmachen und den Satz Ende Juli Fall ist. Bei der teuersten Bank werden
zestext, nur mit den „Leitplanken“. schauer gefährdet – sie bat auch ange- ein weiteres Mal anheben, würde der mittlerweile 16,4 Prozent aufgerufen.
„Warum geben Sie dem Bundestag nicht sichts der Würde des Hauses, auf Worte

nalen Sicherheitsstrategie verkündet.
VON THORSTEN JUNGHOLT
Tags darauf war das schon wieder Ma-
kulatur: Die geplante Debatte darüber
wurde von den Koalitionsfraktionen im
A
für bekomme? Die Ampel vermochte kei- die Zeit, über ein Gesetz zu beraten?“ wie „Kotzen und Rotzen“ zu verzichten.
ne Antwort zu geben. Ernsts Fraktionskollege Ralph Lenkert Eine weitgehende Interpretation von
Jugendschutz, zumal Bas Karsten Hilse lte Menschen verfügen über er- in ihrem eigenen Dreck. Viele wohnen
von der AfD ungerügt über die Grünen staunlich viel Wohnraum. Das daher lieber bei ihren Eltern, wo sie im
KOMMENTAR als „Kommunisten“, „Klimasekte“ und hat das Statistische Bundesamt Westflügel mit viel Auslauf warten
darüber reden ließ, das der Mehrheit durch Drohnenflüge und Fotofallen können, bis ihre Arbeitsstelle von ei-
der Deutschen die von der Ampel ange- herausgefunden. Über-65-Jährige ha- ner künstlichen Intelligenz übernom-

Ein Symptom
Bundestag vertagt. Priorität hatte statt- strebte Klimaneutralität „am A…“ – ben so viel Platz zur Verfügung, dass men wird. Das Problem der Zukunft
dessen der Gesetzentwurf zur Änderung Pause – „…llerwertsten vorbei“ gehe. sie es an einem Tag wird die gerechte und
des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG). Die Kritik war derb, die Verteidi- meistens gar nicht ZIPPERT ZAPPT smarte Wohnraumver-

politischer Schwäche
Das Vorhaben und dessen abschließende gungsbemühungen der Ampel zaghaft schaffen, sich in jedem teilung sein. Wir brau-
Beratung noch vor der parlamentari- und nicht immer überzeugend. So nahm Raum des Hauses we- chen Wohnungen, die

schen Sommerpause war der Ampel
kurzfristig wichtiger als ein Nachdenken
über die Sicherheit der Bürger vor Krieg
und Gewalt. Das ist insofern verständ-
lich, als die Sicherheitsstrategie zwar ein
mit Mängeln behaftetes, aber ein fertiges
Dokument ist. Das GEG, das die Ampel
nun nach Monaten des regierungsinter-
nen Streits zu einer ersten Lesung in den
Bundestag einbrachte, ist dagegen der
von der Realität überholte Entwurf eines
A
die FDP in Person von Fraktionsvize nigstens für ein paar Minuten aufzu- mit ihren Bewohnern schrumpfen
Lukas Köhler für sich in Anspruch, den halten. Jüngere Menschen müssen oder sich ausdehnen können. Und äl-
mbitionslosig- THORSTEN Anforderungen an ein „Kern des Gesetzes“ verändert zu ha- sich dagegen oft mit nur wenigen Qua- tere Menschen sollten eine Wohntaug-
keit kann man JUNGHOLT seriöses Verfahren ben. Keine Antwort hatten die Liberalen dratzentimetern begnügen. Die Hal- lichkeitsprüfung ablegen, in der sie
der Ampel- nicht. Zumal es abseits auf die Frage, warum ihre Minister dem tungsbedingungen sind katastrophal, nachweisen müssen, dass sie unfallfrei
koalition nicht vorwer- parteitaktischer Moti- Entwurf im Kabinett zugestimmt ha- sie können sich in ihren Verschlägen vom Flur ins Klavierzimmer abbiegen
fen. In dieser Woche legten SPD, ve keinen Grund gibt, dieses komple- ben, wenngleich mit Protokollnotiz, oft nicht einmal umdrehen und liegen und rückwärts einschlafen können.
Grüne und FDP als erste Bundesre- xe Gesetzespaket übers Knie zu bre- und so mitverantwortlich dafür sind,
gierung eine Nationale Sicherheits- chen. Und um einen Haushalt auf- dass dem Parlament nun kein bera-
strategie vor. Die Reform des Gebäu- stellen zu können, muss sich – wie tungsfähiges Gesetz vorliegt. Zumal die ANZEIGE
deenergiegesetzes hat endlich den zuvor schon beim Atomausstieg – Interpretation der „Leitplanken“ wei-

mittlerweile entlassenen Staatssekretärs
aus dem Wirtschaftsministerium von
Robert Habeck (Grüne). Ein Gesetz, das
laut FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jo-
hannes Vogel „vom Kopf auf die Füße“
gestellt werden muss. Oder, wie es Jens
Spahn (CDU) ausdrückte: „Ein Gesetz
für die Tonne.“
Der Kern der Kritik der Opposition
von Linken über Union bis AfD bezog
sich darauf, dass sich die Fraktionsspit-
zen von SPD, Grünen und FDP gemein-
sam mit Kanzler, Wirtschaftsminister
und Finanzminister Christian Lindner
(FDP) am Dienstag auf wesentliche Än-
derungen am ursprünglichen, vom Kabi-
nett beschlossenen GEG-Entwurf ver-
ständigt hatten. Die wurden allerdings
nicht in das Gesetz eingearbeitet, son-
dern nur in „Leitplanken“ festgehalten –
ein zweiseitiges Papier. Der CDU-Abge-
ordnete Jan-Marco Luczak warf der Am-
pel vor: „Sie haben ein verkorkstes Ge-
RETTET RÜGEN !
Bundestag erreicht. Anders als bei der Kanzler persönlich einschalten. terhin keineswegs geeint ist. So behaup-
den Vorgängerregierungen wird da- Die ohnehin überschaubaren Ge- tete Habeck anders als Köhler: Der Kern
mit nicht nur über Klimaziele gere- meinsamkeiten der drei Koalitions- des Gesetzes, dass keine neuen Öl- und
det, sondern es geht an die für die partner scheinen nach nicht einmal Gasheizungen eingebaut werden soll-
Bürger schmerzhafte Umsetzung. der Hälfte der Legislaturperiode ten, bleibe erhalten.
Und im Hintergrund bemüht man vollends erschöpft. Angesichts Tatsächlich hatte niemand in der Am- Das unmittelbar vor der Küste Rügens geplante LNG-
sich trotz aller weltweiten Krisen, schwindender Umfragewerte gilt bei pel eine schlüssige Antwort, warum nun Terminal, dass NachweisLich niemand wirklich zur
wieder einen Haushalt unter Einhal- FDP und Grünen das Motto: Jeder über ein unfertiges Gesetz beraten wer- energieversorgung braucht und VieL zu späT fertig wer-
tung der verfassungsrechtlichen kämpft für sich allein. Und die SPD den müsse. Weshalb das GEG, das im Ja-
Schuldenbremse vorzulegen. steht hilflos dazwischen. Der Kanz- nuar 2024 in Kraft treten und für Klima- den würde, belastet die uNescO-Biosphärenreservate
Der Ambition mangelt es aller- ler sucht inhaltliche Differenzen und neutralität 2045 sorgen soll, so eilbedürf- und die weitreichenden Naturschutzgebiete RÜGeNs, und
dings zunehmend an gekonnter Ope- handwerkliche Fehler als „Ruckelei- tig ist, dass es noch vor der Sommerpau- das nicht nur im Falle einer Havarie ! Weiterhin besteht die
rationalisierung. Die Sicherheits- en“ kleinzureden. Und um die Risse se beschlossen werden muss, legte kein Gefahr, die grösste einnahmequelle Deutschlands grösster
strategie ist eine Lagebeschreibung zu übertünchen, wird im Parlament Ampel-Redner verständlich dar. Dann insel, den Tourismus, nachhaltig zu zerstören.
auf dem kleinsten gemeinsamen „Constitutional Hardball“ gespielt, waren 90 Minuten um. Bundestags-Vize-
Nenner ohne Lenkungswirkung. Der die Bedenken der Opposition wer- präsidentin Katrin Göring-Eckardt wir fordern deshalb:
Bundestagsberatung über das Hei- den durch Ausschöpfung der Ampel- schloss die Aussprache, „wenngleich ich
zungsgesetz fehlt es an einer taugli- macht überstimmt. Wenn ein demo- davon ausgehe, dass die Debatten wei- STOPP DES LNG-TERMINALS VOR RÜGEN
chen Grundlage. Ein überholtes Ge- kratisch mögliches Verfahren aber tergehen“. Es blieb unklar, ob sie damit
setz mit ein paar hingekritzelten für parteipolitische Interessen aus-
„Leitplanken“ zu ergänzen, nur um genutzt wird, ist das vor allem eines:
das GEG meinte oder den anschließen-
den Tagesordnungspunkt: das europäi- ABWAHL
DER POLITISCH
es noch vor der Sommerpause ein Symptom politischer Schwäche. sche Asylsystem. Ein Thema, das in der
durchpauken zu können, genügt den thorsten.jungholt@welt.de Ampel ebenfalls streitig ist. Seite 4

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2 AUF EINEN BLICK * DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023

PLATZ DER REPUBLIK THEMA DES TAGES

PAULA VOOREN

Der große Druck, „Wir wollen

Social Media freie Wahlen!“
zu konsumieren
S
Vor 70 Jahren führte eine Erhöhung der Arbeitsnormen
in der DDR zum Volksaufstand des 17. Juni. Die

D
oziale Medien sind seit Langem kaum noch aus

russische Armee unterdrückte ihn brutal mit Panzern

dem Alltag wegzudenken. Dank der Smartpho-
nes sind Plattformen wie TikTok, Instagram
oder Snapchat unser ständiger Begleiter. Soziale Me-
dien geben uns die Möglichkeit, mit Freunden auf der
ganzen Welt in Kontakt zu stehen und von überall as Fass zum Überlaufen sowjetischen Besatzungstruppen und rief
Entertainment zu bekommen. brachte ausgerechnet die Ge- Moskau zu Hilfe. Ab dem späten Vormittag
Was jedoch gerne unter den Tisch fällt, sind die werkschaftszeitung „Tribü- des 17. Juni rollten Panzer auf zahlreiche
Gefahren für die Nutzer, insbesondere für die „Digital ne“. Am 16. Juni 1953, einem Städte zu, gegen 13.30 Uhr begannen die
Natives“ der Generation Z, die nach gängiger De- Dienstag, verteidigte ein örtlichen Offiziere, den Ausnahmezustand
finition in den Nullerjahren geboren sind, und deren SED-Funktionär in dem Blatt die Erhöhung zu verhängen.
Nachfolger-Generation Alpha, also den etwa ab 2010 der Arbeitsnormen, die faktisch eine Lohn- In Berlin-Mitte war schon am späten Vor-
Geborenen. Immer mehr Zeit wird online verbracht, kürzung war. Schon am Vortag hatten die mittag die kommunistische Rote Fahne, die
der Suchtfaktor ist enorm, die mentale Gesundheit Maurer auf der Baustelle des Krankenhau- anstelle der zerstörten Quadriga das Bran-
leidet. Es ist einfach zu verlockend, jederzeit zu wis- ses Friedrichshain dagegen protestiert und denburger Tor krönte, heruntergeholt und
sen, was Freunde, Bekannte oder Prominente gerade einen Brief an den DDR-Ministerpräsiden- öffentlich verbrannt worden. Die stattdes-
treiben. Mehr oder weniger unbewusst vergleichen die ten geschickt, in dem sie die Rücknahme sen gehissten Farben Schwarz-Rot-Gold als
Jugendlichen dabei das Aussehen und den Lifestyle forderten. In dieser Situation fühlten sie Bekenntnis zur demokratischen Tradition
der sogenannten „Creators“ mit ihrem eigenen. Die sich vom „Tribüne“-Artikel verhöhnt. Deutschlands seit dem Vormärz wehten al-

PICTURE-ALLIANCE/ DPA/DPAWEB/DPA
Folge: Unglücksgefühle und Unzufriedenheit, weil das lerdings nicht lange. Gegen 13 Uhr begann
eigene Leben mit den oftmals gestellten, bearbeiteten VON SVEN FELIX KELLERHOFF die Konfrontation zwischen Demonstran-
Fotos nicht mithalten kann. ten und sowjetischen Panzern. Verzweifelte
Dass Jugendliche trotz des Frustes weiterhin Stun- Die Maurer saßen auf den Gerüsten und junge Männer warfen Steine auf die Kampf-
den online verbringen, ist den Algorithmen und dem skandierten: „Streiken! Streiken!“ Dann bil- fahrzeuge. Die Fotos des mutigen Aufbe-
Design geschuldet. Sie fesseln Nutzer an den Bild- dete sich ein Demonstrationszug von zu- gehrens gingen um die Welt.
schirm und sorgen gezielt für das Verlangen, mög- nächst etwa 600 Menschen, der aber auf In anderen Städten der DDR gelang es
lichst lange auf den Plattformen zu verweilen und dem Weg über die Stalinallee zum Sitz der den Demonstranten sogar, zeitweise zu-
immer wiederzukommen. Es locken schließlich per- DDR-Regierung im Haus der Ministerien an mindest die Innenstädte zu kontrollieren
manent lustige, inspirierende oder auch sinnlose In- der Wilhelmstraße auf mehr als 3000 Men- und zahlreiche SED-Büros zu besetzen.
halte. Verschärfend kommt hinzu, dass kaum jemand schen anschwoll. Auch die Sprechchöre än- Auch politische Gefangene wurden aus Ge-
dem Drang nach Selbstinszenierung, Anerkennung derten sich, wie ein SED-Funktionär be- fängnissen befreit. In Halle an der Saale et-
und der Bestätigung über den Bildschirm widerstehen sorgt vermerkte: Aus „Wir fordern die Sen- wa fand noch um 18 Uhr auf einem großen sowjetischen Angaben 8029 „Provokateure, Pause im Frühsommer sahen. Doch auch im
kann. Jugendliche schreiben sozialen Netzwerken und kung der Normen und Senkung der Preise“ Platz eine Kundgebung mit 60.000 Teilneh- Rebellen und Personen, die sich verdächtig politischen Raum galt das Datum nicht un-
der eigenen Repräsentation einen unfassbar hohen wurde „Wir wollen freie Wahlen!“ Und sie mern statt, die mit der Strophe „Einigkeit gemacht oder gegen die Bestimmungen des umstritten als Freiheitstag. Jahrelang boy-
Stellenwert zu. Dabei schaden sie sich häufig auch verlangten, mit DDR-Ministerpräsident Ot- und Recht und Freiheit“ beendet wurden. Ausnahmezustands verstoßen“ haben soll- kottierten die Grünen die von der Regie-
selbst, veröffentlichen private Informationen und to Grotewohl und SED-Generalsekretär Dann heulten auch hier die Motoren sowje- ten, festgenommen. Viele von ihnen erhielt rung Helmut Kohls nach längerer Unterbre-
Bilder gerne auch unüberlegt. Für Jugendliche sind Walter Ulbricht zu sprechen. Die Arbeiter tischer Panzer auf. oft lange Haftstrafen, mehrere hundert chung wieder eingeführten Gedenkveran-
soziale Medien ein einfacher Weg zu kurzem Glück wollten jene Männer sehen, die in ihrem In Ost-Berlin waren zu diesem Zeitpunkt wurden zur Zwangsarbeit in Straflagern der staltungen am 17. Juni im Bundestag. Auch
und Ablenkung. Namen herrschten. die Proteste bereits erstickt, an anderen Or- Sowjetunion deportiert, meist im sibiri- der deutsch-amerikanische Historiker Fritz
Für ältere Generationen ist die starke Mediennut- Die Ereignisse in Ost-Berlin am 16. Juni ten der DDR dauerte es vielfach etwas län- schen Workuta jenseits des Polarkreises. Stern beschrieb den Aufstand in seiner
zung in der Popkultur von uns Jüngeren schwer zu weiteten sich am folgenden Tag zum Volks- ger. Teilweise geschah das mit roher Ge- Der spontane und völlig unvorbereitete Festrede 1987 nur noch ganz vage als einen
verstehen, doch für uns gehört das Internet zum All- aufstand in der gesamten DDR aus. An walt. Mindestens 55 Menschen starben di- Volksaufstand war gescheitert – und trotz- „jener großen Momente, in denen Men-
tag wie das Auto zu dem der „Boomer“. Trotz alledem mehr als 700 Orten von Rügen bis zum Erz- rekt an diesem Mittwoch oder danach als dem wurde der 17. Juni in Westdeutschland schen sich gegen Gewalt und Unmensch-
geschieht die Nutzung der sozialen Medien freiwillig – gebirge, von Heiligenstadt in Thüringen bis unmittelbare Folge des Aufstandes; zum zum Erinnerungs- und Nationalfeiertag, lichkeit gewehrt“ hatten.
jeder hat jederzeit die Möglichkeit, die Plattformen zu Görlitz an der Oder erhoben sich die Men- Beispiel wurden sieben Menschen als an- der bis kurz vor der Deutschen Einheit 1990 In der SED-Diktatur dagegen wurden die
verlassen. Für Außenstehende ist das leicht gesagt, schen und forderten Freiheit ein. Das SED- gebliche Rädelsführer zum Tode verurteilt jährlich arbeitsfrei war, wobei viele Bundes- Ereignisse entweder als vermeintlicher „fa-
doch fällt es in der Praxis sehr schwer. Einerseits ist Politbüro flüchtete sich in den Schutz der und hingerichtet. Insgesamt wurden nach bürger darin vor allem eine willkommene schistischer Putschversuch“ dämonisiert
der soziale Druck enorm, Teil der digitalen Welt zu
sein, andererseits ist die Angst groß, online etwas zu
verpassen. Die Schattenseiten von Social Media sind
so groß, dass sie schwerer als die positiven Aspekte
wiegen. Austausch, Kreativität und Vernetzung sind
wunderbar, können den negativen Einfluss aber nicht

vergessen machen. Es ist nicht realistisch, dass soziale
Medien wieder ganz aus unserem Leben verschwinden
werden, doch deren Glorifizierung muss enden, dem
Suchtpotenzial und den gesundheitlichen Auswirkun-
gen muss mehr Beachtung geschenkt werden.
INNENPOLITIK AUSSENPOLITIK
Arbeitsverhältnisses mit dem Lehrer sei dem Land nicht
mehr zumutbar. Der 62-Jährige hatte während der Corona-
Pandemie ein Video veröffentlicht, in dem das Tor eines
Konzentrationslagers mit der Inschrift „Impfung macht
BILDUNG frei“ abgebildet war. In einem anderen Video behauptete der UKRAINISCHE ARMEE

Viel mehr Studenten als Azubis 100 Quadratkilometer befreit

Lehrer, die Corona-Impfpflicht habe schlimmere Folgen als
T Die Autorin ist 15 und besucht ein Gymnasium im die Regime von Hitler, Stalin und Mao. Der Anwalt des Leh-
Ruhrgebiet. Sie war zu Gast in der WELT-Redaktion. rers bezeichnete das Urteil als „einen Triumph der Mei-
In Deutschland beginnen inzwischen deutlich mehr junge nungs- und Kunstfreiheit“. Im Zuge ihrer Gegenoffensive haben die ukrainischen Trup-
Menschen ein Studium als eine Ausbildung. Wie das Statisti- pen eigenen Angaben zufolge bislang sieben Orte aus russi-
IMPRESSUM Verleger AXEL SPRINGER (1985†) sche Bundesamt mitteilte, gab es 2021 weit mehr als doppelt scher Besatzung befreit. Im Gebiet Saporischschja seien die
so viele Studentinnen und Studenten (2,9 Millionen) wie KRANKENHÄUSER Russen seit vergangener Woche an zwei Abschnitten um

Wirtschaftliche Krise verschärft sich

Herausgeber: Stefan Aust
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Auszubildende (1,3 Millionen). Auf 10 Studierende kamen drei bis sieben Kilometer zurückgedrängt worden, sagte der
somit 4,3 Auszubildende. 1950, im früheren Bundesgebiet, Generalstabsvertreter, Olexij Hromow. „Es wurde die Kon-
kamen auf 10 Studierende noch 75,5 Auszubildende. 971.000 trolle über 100 Quadratkilometer ukrainischen Gebiets wie-
Menschen machten damals eine Ausbildung, nur 129.000 Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser hat sich wie- derhergestellt.“ Unterdessen hat Russland „Wahlen“ am 10.
waren für ein Studium eingeschrieben. Die steigende Bedeu- der verschlechtert. 32 Prozent der Kliniken schrieben auf September in den von russischen Truppen besetzten Ge-
tung akademischer Bildung wird auch am wachsenden Anteil Konzernebene einen Jahresverlust, elf Prozent lagen so- bieten in der Ukraine angekündigt, die Moskau seit dem
der Abiturientinnen und Abiturienten sichtbar. Verfügten im gar im „roten Bereich“ mit erhöhter Insolvenzgefahr: Zu vergangenen Jahr für annektiert erklärt hat. Es sollen Re-
Jahr 1960 etwa 6,1 Prozent der 19- bis 21-Jährigen über die diesem Befund kommt der am Donnerstag vorgelegte gionalparlamente und Gemeinderäte gewählt werden. Es
Hochschulreife, lag dieser Wert 2020 bei 46,8 Prozent. Krankenhaus Report des RWI-Leibniz-Institut für Wirt- dreht sich um vier Regionen im Osten und Süden der Ukrai-
schaftsforschung in Essen. Die Zahlen beziehen sich auf ne – Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson.
das Jahr 2021. Als Grund für die schlechtere wirtschaftli-
VATIKAN che Lage der Kliniken wurde vor allem der Rückgang der
„MÖCHTEGERN-DIKTATOR“
Gänswein nach Freiburg zurück
Ausgleichszahlungen im Rahmen der Corona-Pandemie

Fox News beleidigt Biden

Schuster Forum: Eva Marie Kogel, Lucas
Wiegelmann Investigation/Reportage:
Tim Röhn Außenpolitik: Klaus Geiger
Wirtschaft und Geld: Jan Dams, Olaf
Gersemann, Thomas Exner (Senior
Editor) Feuilleton: Dr. Mara Delius,
Andreas Rosenfelder Stil/Reise/Leben:
Adriano Sack Sport: Matthias Brügel-
mann Wissen: Sonja Kastilan Nach-
richten/Gesellschaft: Thore Barfuss
Community/Social: Franziska Zimmerer
Verlag und Druck: Axel Springer SE
Vertrieb: Sales Impact GmbH & Co. KG;
alle 10888 Berlin, Axel-Springer-Str. 65.
Tel.: 030 / 259 10. DIE WELT wird als
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Datenschutz, Axel Springer Straße 65,
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genannt. Regional weist die wirtschaftliche Situation der
Kliniken erhebliche Unterschiede auf: „Signifikant besser
Der langjährige Privatsekretär von Papst Benedikt XVI., fällt das Rating in Ost-Deutschland aus, am schlechtesten
Georg Gänswein, hat seinen Top-Posten im Vatikan ver- in Bayern und Baden-Württemberg“, heißt es in dem Be- Der konservative US-Sender Fox News hat Präsident Joe
loren. Der 66-Jährige kehrt zurück in sein Heimatbistum richt. Für das Jahr 2022 und das aktuelle Jahr liegen dem Biden in einer beliebten Abendsendung als „Möchtegern-
Freiburg – zunächst ohne wichtiges Amt. Der Heilige Stuhl Institut noch keine Daten vor. Diktator im Weißen Haus“ bezeichnet. Die Einblendung am
verwies darauf, dass Gänsweins Amtszeit schon am 28. Fe- unteren Bildrand wurde gezeigt, als der Sender über die
bruar abgelaufen sei. Papst Franziskus verfügte nun, dass Anklage gegen Ex-US-Präsident Donald Trump in der Doku-
der Erzbischof zum 1. Juli nach Freiburg gehen müsse. Der BRANDENBURG menten-Affäre berichtete. „Möchtegern-Diktator spricht im

Geld soll Lehrer aufs Land locken

CvD/Produktion: Patricia Plate Foto:
Stefan A. Runne Infografik: Karin Sturm
Chefökonomin: Dr. Dorothea Siems
Auslandskorrespondenten: Athen:
Carolina Drüten Brüssel: Dr. Tobias
Kaiser, Dr. Christoph Schiltz Kapstadt:
Christian Putsch London: Mandoline
Rutkowski Marrakesch: Alfred Hackens-
berger Moskau: Pavel Lokshin New York:
Hannes Stein Paris: Martina Meister
Tel Aviv: Christine Kensche Warschau:
Philipp Fritz Washington: Stefanie
Bolzen Ständige Mitarbeit: Prof. Michael
Stürmer Autoren: Henryk M. Broder,
Peter Huth, Alan Posener, Hans Zippert
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Uhr, kostenfrei), E-Mail: kundenser-
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Deutsche war als Präfekt bereits 2020 dauerhaft von Papst Weißen Haus, nachdem er seinen politischen Rivalen fest-
Franziskus beurlaubt worden. Im Vatikan hat er keine of- nehmen ließ“, lautete die mehrere Sekunden lang einge-
fizielle Funktion mehr. Gänswein muss seine Dienstwoh- blendet Bildunterschrift vollständig. Dabei waren auf dem
nung neben dem Petersdom räumen und kehrt nach fast Wegen des großen Lehrermangels weitet Brandenburg sein geteilten Bildschirm links Biden und rechts Trump bei un-
drei Jahrzehnten an der Kurie nach Deutschland zurück. Stipendien-Programm für künftige Lehrer auf dem Land terschiedlichen Auftritten zu sehen. Biden sprach den Be-
Gänswein war viele Jahre Privatsekretär und Vertrauter des deutlich aus: In diesem Jahr werden statt wie bisher 25 nun richten zufolge vom Weißen Haus aus, Trump von seinem
deutschen Papstes Benedikt VXI. und kümmerte sich bis zu 40 Stipendien für Lehramtsstudenten ausgeschrieben, die Golfclub. Eine Fox-Sprecherin sagte später: „Die Bildunter-
dessen Tod an Silvester 2022 um den emeritierten Pontifex. später an einer Schule in den ländlichen Regionen Branden- schrift wurde sofort entfernt und angesprochen.“
In Freiburg entsteht nun eine ungewöhnliche Situation mit burgs unterrichten wollen. Bewerben können sich ab sofort
zwei Erzbischöfen: Stephan Burger als Chef des Erzbistums Lehramtsstudierende bundesweit. Geboten werden monat-
KOSOVO
und Gänswein als Rom-Rückkehrer. lich 600 Euro sowie ein Begleitprogramm mit verschiedenen

Grenzen für serbische Waren dicht

WELT kooperiert mit „El País“
(Spanien), „Gazeta Wyborcza“ (Polen),
„La Repubblica“ (Italien), „Le Figaro“
(Frankreich), „Le Soir“ (Belgien),
USPS No. 0603-590. Es gilt die WELT- Fortbildungsangeboten und Netzwerkveranstaltungen. Das
Preisliste Nr. 101, gültig ab 1.1.2023, sowie Landlehrer-Programm wurde 2021 gestartet, in den beiden
die Preisliste Märkte, Ergänzung zur
WELT-Preisliste Nr. 101, gültig ab 1.1.2023.
KÜNDIGUNG WEGEN NAZI-VERGLEICH Vorjahren wurden insgesamt 49 Stipendien vergeben. Die

72.000 Euro Abfindung für Lehrer

„Tages-Anzeiger“ und „Tribune de
Genève“ (beide Schweiz)
Verantwortlich im Sinne des Pressege-
setzes: Seite 1/Auf einen Blick: Jennifer
Wilton Deutschland: Jennifer Wilton
Ausland: Klaus Geiger
Forum: Rainer Haubrich
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Förderung beginnt frühestens ab dem 5. Fachsemester und Nach der mutmaßlichen Verschleppung dreier kosovarischer
endet mit Abschluss des Lehramtsstudiums in der Regel- Polizisten durch serbische Sicherheitskräfte hat das Kosovo
studienzeit. Zur Auswahl stehen mehr als 90 Schulen, die seine Grenzen für Waren und Fahrzeuge aus Serbien ge-
Nach der Kündigung eines Lehrers wegen seiner Kritik an einen großen Bedarf an Lehrkräften haben und sich für de- schlossen. Serbische Sicherheitskräfte hatten wenige Stun-
der Impfpolitik mit einem Nazi-Vergleich muss das Land ren Ausbildung auch besonders engagieren. Die Stipendiaten den zuvor nach kosovarischer Darstellung drei Polizisten im
Berlin diesem eine Abfindung von rund 72.000 Euro zahlen. verpflichten sich zu einem Praktikum von 20 Tagen, zu ei- nördlichen Grenzgebiet zu Serbien verschleppt. Die Drei
Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg nem Praxissemester, dem Referendariat sowie zur Lehrtätig- hatten auf kosovarischem Staatsgebiet Erkundungen über
entschieden. Zugleich wurde jedoch das Arbeitsverhältnis keit an der Schule für mindestens die Dauer, in der das Sti- Schmugglerrouten durchgeführt, die von serbischen Krimi-
auf Antrag des Landes aufgehoben. Eine Fortsetzung des pendium gewährt wurde. nellen genutzt werden, sagte Innenminister Xhelal Svecla.

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 DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023 *
Am späten Vormittag des
17. Juni 1953 zogen
Ost-Berliner mit schwarz-rot- oder ganz totgeschwiegen. In den Köpfen
goldenen Flaggen durch das der DDR-Mächtigen allerdings blieb das
Brandenburger Tor (li.). Aufbegehren der Menschen gegen das kom-
Vorher bereits hatten munistische Regime stets als Drohung prä-
zehntausende in Mitte gegen sent. Am 31. August 1989, mehr als 36 Jahre
die SED-Diktatur nach dem Volksaufstand, fragte Staatssi-
demonstriert (o.). cherheitsminister Erich Mielke angesichts
Am Nachmittag walzten der zunehmenden Opposition in der DDR
sowjetische Panzer den Protest seine versammelten Generäle: „Ist es so,
nieder – hier an der dass morgen der 17. Juni ausbricht?“
Friedrich- Ecke Zimmerstraße. Zum morgigen 70. Jahrestag erinnert der
Die Menschen stehen in Bundestag heute in einer Feierstunde an
Sicherheit jenseits der den misslungenen ersten Versuch, das SED-
Demarkationslinie Regime aus eigener Kraft abzuschütteln.
im US-Sektor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
hält die Festrede, ein Zeitzeuge kommt zu
Die serbische Seite bestritt dies. Sie gab an, dass das Trio
innerhalb Serbiens, fast zwei Kilometer von der Grenze
entfernt, festgenommen worden sei. Die schwerbewaffneten
Männer hätten einen Terroranschlag in Serbien geplant.
Zwischen den beiden Nachbarländern schaukeln sich die
Spannungen seit Monaten hoch. Das Kosovo hatte sich 2008
für unabhängig erklärt. Serbien erkennt dies nicht an und
verlangt die Rückgabe seiner ehemaligen Provinz.
„PARTYGATE“
Johnson beschwindelte Parlament
Der frühere britische Premierminister Boris Johnson hat
laut einer parlamentarischen Untersuchung die Abgeord-
neten in der „Partygate“-Affäre wissentlich in die Irre ge-
führt. In dem Bericht heißt es, Johnson Handlungen und
seine Äußerungen vor dem Parlamentsausschuss stellten
einen eklatanten Regelverstoß dar und rechtfertigten eine
90-tägige Suspendierung aus dem britischen Unterhaus. Er
dürfe in dieser Zeit auch keinen Zutritt zum Parlaments-
gelände bekommen. Johnson hatte die Ergebnisse der Un-
tersuchung des sogenannten „Privileges Committee“ um
Verstöße gegen Lockdown-Regeln während der Corona-
Pandemie bereits vorab erhalten und als Konsequenz daraus
in der vergangenen Woche sein Mandat als Abgeordneter
niedergelegt. Den Ausschuss bezeichnete er als „Känguru-
Gericht“, das eine Hexenjagd betrieben habe.
BAPTISTEN IN DEN USA
Pastorinnen verboten
Die größte protestantische Kirche der USA hat bei ihrer
Jahresversammlung in New Orleans mit überwältigender
Mehrheit zwei Gemeinden ausgeschlossen, die Frauen als
Pastorinnen beschäftigen. 9437 Delegierte des Südlichen
Baptistenverbandes stimmten gegen die Fortsetzung der
Zusammenarbeit mit der Saddleback-Kirche und nur 1212
dafür. Der Verband sei überzeugt, dass das Pastorenamt aus
biblischen Gründen Männern vorbehalten ist. Mehr als
12.000 Delegierte waren in New Orleans zur Jahresver-
sammlung der größten protestantischen Kirche der USA
zusammengekommen.
WISSEN
LEBEN IM ÄUSSEREN SONNENSYSTEM
Schlüsselbaustein entdeckt
Neuer Auftrieb für die Suche nach außerirdischem Leben:
Forscher haben herausgefunden, dass der für die Entste-
AUF EINEN BLICK 3
DIE GUTE NACHRICHT
LANDWIRTSCHAFTLICHE PRODUKTE
Erzeugerpreise deutlich gesunken
Die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte sind im April deutlich gesunken. Im Vergleich zum Vorjahres-
monat gingen sie um 6,5 Prozent zurück, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag mit. Grund
ist vor allem der Basiseffekt, weil die Preise im vergangenen Jahr infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine in die
Höhe geschossen waren. Doch auch im Vergleich zum Vormonat gingen die Preise zurück, um 2,3 Prozent.
Die Wende hatte sich angedeutet: Der Anstieg der Erzeugerpreise war zuvor bereits sechs Monate lang von Monat zu
Monat schwächer ausgefallen. Zu Beginn des Jahres hatte er noch bei über 25 Prozent gelegen, im März schon nur
noch bei 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.
PICTURE ALLIANCE / UPI
ZUKUNFTSFORSCHUNG Übersiedlung nach Deutschland, auch mit Hilfe des deut-
Jugend wird pessimistischer
schen PEN unter seinem damaligen Präsidenten und
WELT-Mitarbeiters Deniz Yücel. Jetzt wurde Rukirabashaija
in Oslo mit dem „Václav-Havel-Preis für kreativen Dissens“
Junge Menschen in Deutschland und Europa blicken zuneh- geehrt. Sein Laudator, der serbische Aktivist Srdja Popović,
mend skeptisch auf die Zukunft. Das zeigt eine neue Studie hob besonders Rukirabashaijas Kunstform der „radical ru-
des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Demnach rech- deness“ hervor: Radikale Grobheit als willkommenes Ge-
neten 44 Prozent der Teilnehmer damit, perspektivisch genteil zur „politischen Korrektheit“. In seiner Dankesrede
einen schlechteren Lebensstandard als die Generation der betonte der Geehrte, der mit seiner Familie in Bayern lebt,
Eltern zu haben. Bei einer vergangenen Studie im Jahr 2019 er werde weiterhin die Gräultaten der ugandischen Re-
lag der Wert mit 35 Prozent noch deutlich darunter. Als gierung anprangern.
mögliche Gründe sehen Experten unter anderem die an-
gespannte Lage der Weltpolitik und die noch immer hohe
Inflation. Alle weiteren Infos auf Seite 10. DEUTSCHLAND
Wo Diversität wichtig ist
ARROW-SYSTEM
Israels Rakete für Deutschland
Anteil der Befragten, denen Diversität und Inklusion
PICTURE ALLIANCE / AKG-IMAGES
in folgenden Bereichen (eher) wichtig ist
Angaben in Prozent Voll und ganz wichtig Eher wichtig
Deutschland kann bisher keine ballistischen Angriffsraketen
abschießen. Eine Abwehrkuppel, die bis in den Weltraum
reicht, soll das ändern. Die Bundesregierung will mit dem
Kauf des israelischen Raketensystems Arrow 3 nachrüsten. 27
27
Feindliche Flugkörper großer und mittlerer Reichweite sol- 29 28
27
len damit noch außerhalb der Atmosphäre in etwa 100 Kilo-
meter Höhe zerstört werden. Doch die Entscheidung Berlins
32 29
zum Kauf stößt in Frankreich nicht auf Begeisterung. Mehr 23 23
über die Hintergründe lesen Sie auf Seite 9.
20
Wort; Erinnerungen von drei weiteren ver- Arbeitsplatz Politik Social Film und Werbung
lesen Schüler. Eine repräsentative Umfrage Media Fernsehen
von Forsa im Auftrag der Bundesstiftung TAG AN DER BÖRSE
Dax kaum verändert
Basis: 2055 Befragte (ab 18 Jahre) in Deutschland; 02.06.-05.06.2023
Aufarbeitung hat derweil ambivalente Er- Quelle: Statista; YouGov
gebnisse ermittelt: Nur 37 Prozent aller
Deutschen verbinden mit dem Datum 17. Ju-
ni 1953 spontan den Volksaufstand, fast die Die Zinsanhebung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat PLATTENFIRMA ENTSCHEIDET
Keine Werbung für Rammstein
Hälfte kann damit nichts anfangen; bei den dem deutschen Aktienmarkt am Donnerstag nur kurz zu-
14- bis 29-Jährigen standen 14 Prozent rich- gesetzt. Bis Handelsschluss machte der Dax seine zeitweise
tigen Antworten sogar 69 Prozent falsche ausgeweiteten Verluste nahezu vollständig wett. Gewinne
Angaben gegenüber. Andererseits halten an den US-Börsen kamen dem deutschen Leitindex zu Hil- Das Plattenlabel Universal Music Entertainment setzt seine
drei Viertel der Befragten das Aufbegehren fe. Der Dax beendete den Tag mit einem Abschlag von 0,13 Zusammenarbeit mit der Band Rammstein vorläufig aus.
der DDR-Bürger für „sehr wichtig“ oder Prozent auf 16.290 Punkte. Der MDax, in dem sich mittel- „Die Vorwürfe gegen Till Lindemann haben uns schockiert
„wichtig“ für die Demokratiegeschichte. 57 große Unternehmen befinden, verlor 0,82 Prozent auf und wir haben den größten Respekt vor den Frauen, die sich
Prozent sehen im 17. Juni ein gesamtdeut- 27.330 Zähler. Für den EuroStoxx 50, den Leitindex der in diesem Fall so mutig öffentlich geäußert haben“, heißt es
sches, also kein rein ostdeutsches Ereignis. Eurozone, ging es um 0,25 Prozent auf 4365,12 Zähler nach in einem Statement des Unternehmens. „Wir sind davon
unten. In Paris gab es rund ein halbes Prozent Minus, in überzeugt, dass eine vollumfängliche Aufklärung der An-
London ging es indes moderat nach oben. Der Dow Jones schuldigungen, auch durch die Behörden, unbedingt er-
Industrial stieg am frühen Abend um ein Prozent. Mehr forderlich ist und ebenfalls im Interesse der gesamten Band
Börsendaten auf Seite 9. liegen muss“, schreibt das Label. „Nach Bekanntwerden der
Vorwürfe haben wir die Marketing- und Promotion-Aktivitä-
SPORT
ten für die Recordings der Band bis auf Weiteres ausge-
hung von Leben zentrale Baustein Phosphor im Ozean des setzt.“ Damit werden die bei Universal erschienenen Alben
Saturnmondes Enceladus vorkommt. Laut einer in der Zeit- vorerst nicht mehr beworben. Die Geschäftsbeziehungen
schrift „Nature“ veröffentlichten Studie schleudern Geysire mit der Band umfassen laut Universal das sogenannte
Eispartikel aus dem Inneren des Eismondes durch Risse auf SPECIAL OLYMPICS Recorded-Music- und Publishing-Business, nicht aber das
Hohe Erwartungen
der Oberfläche ins All. Der darin enthaltene Phosphor ist Live- oder Merchandising-Geschäft.
ein Schlüsselelement für die Entstehung von Leben. „Es ist
das erste Mal, dass dieses essenzielle Element in einem
Ozean jenseits der Erde entdeckt wurde“, erklärte der Die Aktiven der Special Olympics World Games Berlin 2023 DRAMA AM SCHLOSS NEUSCHWANSTEIN
Tourist soll junge Frau getötet haben
Hauptautor der Studie, Frank Postberg. Die jahrelang von können sich auf einen würdevollen Rahmen bei der Eröff-
der Nasa-Sonde Cassini gesammelten und nun ausgewerte- nungsfeier freuen. „Wir erwarten 50 000 Besucher im Olym-
ten Daten ließen „keinen Zweifel mehr daran, dass erheb- piastadion“, sagte Sven Albrecht, Geschäftsführer der Welt-
liche Mengen dieser wichtigen Substanz im Ozean vor- spiele am Donnerstag. Bei der zweieinhalbstündigen Feier Bei einem Besuch des weltberühmten Schlosses Neuschwan-
handen sind“, sagte der Planetenforscher von der Freien am Samstag (20.15 Uhr) sorgen ein attraktives Bühnenpro- stein sind zwei junge Frauen Opfer einer Gewalttat gewor-
Universität (FU) Berlin. Die Saturnsonde Cassini hatte im gramm unter anderem mit der Blue Man Group sowie mit den. Eine 21 Jahre alte Touristin sei danach gestorben, sagte
Jahr 2004 mit der Erforschung des riesigen Gasplaneten der Entzündung der Flamme für einen stimmungsvollen Oberstaatsanwaltschaft Thomas Hörmann. Die Frau war mit
weit draußen im Sonnensystem begonnen, bevor sie nach Charakter für die rund 7000 Aktiven aus 190 Ländern, die ihrer ein Jahr älteren Freundin unweit der Marienbrücke in
dem Ende ihrer Mission im Jahr 2017 in der Atmosphäre des bis zum 25. Juni in insgesamt 26 Sportarten an den Start Schwangau unterwegs. Dabei sollen sie auf einen 30 Jahre
Planeten verglühte. Die Mission zählt zu den erfolgreichs- gehen. Eröffnet wird die Feier mit der Parade der 190 Dele- alten Besucher aus den USA getroffen sein. In der Folge ging
ten der Raumfahrtgeschichte: Sie entdeckte neue Ringe und gationen, die in den Innenraum des Stadions einziehen wer- das Trio gemeinsam weiter. „Der Mann lotste die beiden auf
Monde und enthüllte viele Geheimnisse des zweitgrößten den. Der Vorbericht steht auf Seite 13. einen schwer einsehbaren Trampelpfad.“ Dort soll er eine
Planeten im Sonnensystem. der jungen Frauen angegriffen haben. Als die Freundin ein-
schreiten wollte, würgte der Täter diese und stieß sie einen
NACH CORONA steilen Abhang hinab. Mehr auf Seite 8.
WIRTSCHAFT UND GELD
Fußball-Markt auf Rekordkurs
WETTER
OECD-STUDIE Der europäische Fußball-Markt hat die Corona-Pandemie 20 2
Defizite in der Migrationspolitik
wirtschaftlich hinter sich gelassen und ist bei seinen Umsät- 19 Kiel
zen wieder auf Rekordkurs. Auch die „Big five“-Ligen in 4 23
13 Rostock
England, Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich ha- Hamburg 20
Deutschland fehlen Millionen Arbeitskräfte. Die Politik will ben bei den Gesamterlösen einen Höchstwert erreicht. Das Bremen 14
25 24
die Engpässe durch mehr Zuwanderung abfedern. Eine neue geht aus der 32. Auflage des „Annual Review of Football 12 13
Hannover Berlin
Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit Finance“ hervor, den die Wirtschaftsprüfungs- und Bera- 20
27 12
und Entwicklung (OECD) liefert eine der bislang ausführ- tungsgesellschaft Deloitte am Donnerstag in London ver- 11 Münster 25
lichsten Datensammlungen zur Migration in sämtlichen EU- öffentlichte. Die Zahlen basieren auf der Saison 2021/22. 12
25
und OECD-Ländern. Lehrreich ist die Analyse für Deutsch- Demnach stieg der Gesamtumsatz auf dem europäischen 11 Kassel Leipzig
Düsseldorf 20
land auch deshalb, da die Forscher aufzeigen, wo die Defizite Markt im Vergleich zur Vorsaison um sieben Prozent von 22
Köln 28
20 13 Dresden 13
in der Migrationspolitik liegen. Denn diese haben konkrete 27,6 Milliarden auf 29,5 Milliarden Euro. Transfererlöse 11
11
Sonne
Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Mehr dazu werden bei der Erhebung der Daten nicht berücksichtigt. Frankfurt
lesen Sie auf Seite 10. Gleich um zehn Prozent stiegen die Erlöse von 15,6 Milliar- 29 3
den (2020/21) auf den bisherigen Höchstwert von 17,2 Milli- Saarbrücken 14
Nürnberg 05:05 21:40
27
arden Euro. Damit wurde auch das Niveau aus der Vor-Pan- 12 25
11 Mond
ARBEITSEINKOMMEN demie-Zeit übertroffen. Stuttgart
3 26
Ungleiche Verteilung nimmt zu
12
München
KULTUR UND GESELLSCHAFT
Friedrichshafen 03:31 20:29
24
27 13 Angaben für Kassel
12
Wechselnd wolkig, gebietsweise Regen
Der 2020 begonnene Trend einer abnehmenden Ungleich-
heit der Einkommensverteilung in Deutschland ist einer
Studie zufolge unterbrochen worden. Im laufenden Jahr VÁCLAV-HAVEL-PREIS
Heute: Von der Nordsee bis nach Baden-Württemberg ist es meist
Ugandischer Autor ausgezeichnet
dürften wie schon 2022 vor allem höhere Einkommen stei- freundlich. Nur vereinzelt gibt es Schauer. Von der Ostsee bis nach
gen, geht aus der Modellrechnung des Deutschen Instituts Sachsen bringen Wolken zeitweise Regen und örtlich Gewitter. Auch
für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor. Der Gini-Koeffi- in Bayern entwickeln sich örtlich kurze Regengüsse oder Gewitter.
Die Temperaturen steigen auf 19 bis 29 Grad. Der Wind weht
zient – der die Ungleichheit misst und international ver- In seinem Heimatland Uganda wurde der Jurist und Schrift- schwach bis mäßig, in Böen auch frisch aus Nordwest bis Nord.
gleichbar macht – sank im vergangenen Jahrzehnt von 0,39 steller Kakwenza Rukirabashaija wegen respektloser Tweets
Biowetter: Zurzeit wirkt sich das Wetter ungünstig auf das Wohlbe-
auf 0,37. Für 2023 sagen die Forscher nun einen Anstieg um und kritischer Bücher wwie „Banana Republic“ und „The finden von Herz-Kreislauf-Patienten mit Bluthochdruck aus. Sie soll-
rund ein Prozent voraus. Der Gini-Koeffizient liegt zwischen Greedy Barbarian“ verschleppt und gefoltert. Im Februar ten auf ungewohnte körperliche Anstrengungen verzichten. Bei vie-
0 und 1: Je höher der Wert, desto größer die Ungleichheit. letzten Jahres gelang ihm die Ausreise aus Uganda und die len wirkt sich die Wetterlage negativ auf die Leistungsfähigkeit aus.
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4 POLITIK
Grüne haben Sorge vor
„Haftlagern“ für Migranten
Fraktion übt scharfe Kritik an EU-Asylrechtsreform
A
m Mittwoch versuchte das Bun-
desinnenministerium, die aufge-
heizte Debatte um die EU-Asyl-
reform offenbar einzufangen. Man mö-
ge in der ganzen Auseinandersetzung
um die geplanten Aufnahmezentren
nicht die Bilder aus Moria zum Vorbild
nehmen, sagte der Parlamentarische
Staatssekretär Mahmut Özdemir (SPD)
im Innenausschuss des Bundestags. So
berichtet es der CDU-Innenpolitiker
Alexander Throm. Die EU plane gerade
kein zweites Moria, sondern neue Auf-
nahmezentren mit menschenwürdigen
Standards.
VON RICARDA BREYTON
Moria – das ist der Ort auf der grie-
chischen Insel Lesbos, an dem bis 2020
ein berühmt-berüchtigtes Migrantenla-
ger bestand. Unter elenden Bedingun-
gen hausten Tausende Migranten dort,
zum Teil über Jahre. 2020 brannte das
Lager ab. Dass es erneut ein solches
Zentrum geben könnte, galt in der EU
eigentlich als ausgeschlossen.
Doch Teile der Grünen befürchten
nun genau das: ein Comeback solcher
Lager. Nachdem sich die EU-Innenmi-
nister in der vergangenen Woche auf ei-
ne Reform der Asylpolitik einigten, die
auch Aufnahmezentren an den EU-Au-
ßengrenzen beinhalten sollen, laufen
sie gegen die Pläne Sturm. Moria werde
„zum europäischen Standard“, schimpf-
te etwa der Sprecher der Grünen Ju-
gend, Timon Dzienus. Auch führende
Grüne wie die Vorsitzende Ricarda Lang
sind unzufrieden mit den Plänen, die
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
(SPD) mit ausgehandelt hat – und die
Außenministerin Annalena Baerbock
(Grüne) mitträgt. Wenn am Samstag
der kleine Parteitag der Grünen tagt,
wollen Parteilinke eine Abkehr von den
Beschlüssen erreichen. In weiten Teilen
der Grünen ist der Frust enorm.
Wie sehr, zeigte sich auch am Don-
nerstag in einer Debatte im Bundestag.
Die Unionsfraktion hatte einen Antrag
eingebracht, in dem sie ihrerseits Nach-
besserungen an dem EU-Plan forderte.
CDU und CSU geht es etwa darum, die
Registrierung aller Migranten an der
EU-Außengrenze durchzusetzen. Oder
Asylverfahren tatsächlich auch in Dritt-
staaten durchzuführen. Die Abgeordne-
ten, die für die Grünen ans Rednerpult
traten, lehnten die Vorschläge der Uni-
on erwartungsgemäß ab. Allerdings dis-
tanzierten sich alle auch von den aktu-
ellen Plänen der EU-Innenminister –
die ja auch ihre Parteifreundin Baerbock
mitgetragen hatte.
Die Einigung laufe „auf eine Versteti-
gung von Leid und Chaos“ hinaus, kriti-
sierte die Parlamentarische Geschäfts-
führerin der Grünen-Fraktion, Filiz Po-
lat. Grünen-Außenpolitiker Tobias B.
Bacherle sagte: „Kein anständiger
Mensch kann von diesem Kompromiss
begeistert sein“. Und der Migrationspo-
litiker Julian Pahlke prognostizierte,
dass die Einigung „wohl keine Verbesse-
rung bringen“ werde. „Weil sie im Kern
keine Probleme löst.“
Es sind vor allem drei Regelungen,
die die Redner kritisierten: erstens die
Tatsache, dass Kinder nun doch in den
In vier Bundesländern sind besonders viele Schulkinder arm
Erstmals schlüsselt eine Studie die Armutsquote nach Grundschulbezirken auf. Nordrhein-Westfalen und die Stadtstaaten sind besonders betroffen
Ü
ber die Bildungsmisere von so-
zial unterprivilegierten Kindern
ist in den vergangenen Jahren
viel geschrieben worden. Nahezu jede
Studie dazu zeigt, wie eng schulischer
Erfolg an die Ausstattung des Eltern-
hauses gekoppelt ist. Mit dem Start-
chancenprogramm will die Bundesre-
gierung deshalb gezielt 4000 Schulen
im sozialen Brennpunkt fördern – da,
wo sich soziale Problemlagen ballen.
VON SABINE MENKENS
Bislang allerdings ist die Datenlage
dazu höchst unvollständig. Einige Bun-
desländer haben bislang nicht einmal
einen Sozialindex entwickelt, mit dem
sich der Unterstützungsbedarf einzel-
ner Schulen identifizieren lässt. Der So-
zialwissenschaftler Marcel Helbig vom
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozi-
alforschung (WZB) hat diese Lücke nun
gefüllt und eine Art Landkarte der ar-
men Kinder vorgelegt. „Ich konnte in
dieser Studie erstmals Daten der Bun-
desagentur für Arbeit verwenden, mit
denen sich die Armutslagen für alle
Lagern untergebracht werden könnten,
wenn sie von ihren Eltern begleitet wer-
den. Die Bundesregierung hatte sich im
Vorfeld noch dafür eingesetzt, Kinder
aus den Grenzverfahren auszunehmen,
sich aber nicht durchsetzen können.
Dies sei ein „monumentaler Damm-
bruch für den Schutz geflüchteter Kin-
der und Jugendlicher in der EU“, zitiert
Polat eine Aussage des Kinderhilfswerks
Terres des Hommes.
Zweitens den Willen der EU, Dritt-
staaten zu fördern, wenn diese ihre
Grenzen sichern und dadurch irregulä-
re Migration erschweren. Man zahle Au-
tokraten, „die die Menschenrechte mit
Füßen treten“, sehr viel Geld dafür, den
Türsteher für Europa zu geben, sagt Po-
lat. Und drittens die Tatsache, dass es
keinen umfassenden Verteilmechanis-
mus geben soll, der die Ersteinreiselän-
der deutlich entlasten würde. Ohne ver-
pflichtende Verteilung bestehe aber die
Gefahr, dass Länder wie Italien sich
wieder alleingelassen fühlten, sagte
Pahlke. In der Folge könne es auch wei-
terhin zu rechtswidrigen Pushbacks
kommen – also dazu, dass Migranten an
der Grenze zurückgestoßen werden, oh-
ne ein Asylverfahren zu bekommen.
Oder aber zu Weiterwanderungen in-
nerhalb Europas. „Diese Reform sorgt
dafür, dass es eine neue Sekundärmigra-
tion gibt, weil es für Außengrenzstaaten
einen hohen Anreiz gibt, diese Men-
schen einfach weiterzuschicken.“
Kein einziger Grüner trat ans Red-
nerpult, der die Pläne verteidigte. Das
übernahmen Abgeordnete von SPD
und FDP. Durch die geplante Reform
sichere man ab, dass Asylverfahren an
den Außengrenzen auch durchgeführt
werden, sagte der sozialdemokratische
Migrationspolitiker Lars Castellucci –
und zwar nach rechtsstaatlichen Stan-
dards. In Moria habe genau das nicht
stattgefunden. FDP-Innenpolitiker
Stephan Thomae erklärte, dass ein
Scheitern der Verhandlungen „verhee-
rend“ gewesen wäre. Denn die jetzige
Lage sei alles andere als tragbar: Schon
heute werde an den Außengrenzen
ständig geltendes Recht verletzt; der
Weiterwanderung innerhalb der EU
werde Vorschub geleistet und Rück-
nahmen von Asylbewerbern fänden
nicht statt, wie sie sollten.
Tumult gab es am Ende nicht inner-
halb der Ampel, sondern zwischen Grü-
nen und Union. Die Grünen sprachen
nämlich wiederholt davon, dass Ge-
flüchtete nun künftig „inhaftiert“ wür-
den. Was CSU-Innenpolitiker Alexan-
der Hoffmann derart verärgerte, dass er
eine Frage einwarf. Es sei „juristisch
falsch und wahrheitswidrig“, von Haft-
lagern zu sprechen. Das sei „grüner und
linker Populismus“. Am Vortag hatte
auch der grüne Ministerpräsident von
Baden-Württemberg, Winfried Kretsch-
mann, gesagt, dass es sich nicht um Haft
handle. „Die Leute können ja zurück.“
Pahlke griff das Mikrofon und sagte,
dass die juristische Definition von Haft
nicht sein Problem sei. „Mein Problem
ist, dass Familien mit Kindern in Haft
gesperrt werden.“ Auch Polat sprach
von „Haftlagern“. Es ist ein Wort, das
wohl noch stärkere negative Assoziatio-
nen weckt als „Moria“.
Grundschulbezirke Deutschlands auf
einer einheitlichen Datengrundlage dar-
stellen lässt“, sagte Helbig WELT. Für
die Messung von Bildungsbenachteili-
gung sei die Armutsquote von Kindern
nach wie vor der treffsicherste Indika-
tor – genauer jedenfalls als der Migrati-
onshintergrund. „Setzt man alle ande-
ren sozialen Faktoren konstant, hat der
Migrationshintergrund allein keine gro-
ße Auswirkung. Meist treten Armutsla-
gen und ein hoher Migrationsanteil al-
lerdings gemeinsam auf.“
Für die Studie mit dem Titel „Eine
faire Verteilung der Mittel aus dem
Startchancenprogramm erfordert eine
ungleiche Verteilung auf die Bundeslän-
der“ hat Helbig nun für die Einzugsbe-
reiche aller 14.629 öffentlichen Grund-
schulen und Sekundarschulen mit
Grundschulzweig die Kinderarmuts-
quote ausgerechnet. Erstmals können
dadurch auf vergleichbarer Datenbasis
Aussagen darüber getroffen werden,
wie ungleich Kinderarmut an Deutsch-
lands Schulen tatsächlich verteilt
ist. Demnach liegen die meisten Schu-
len mit einem hohen Anteil armer Kin-
* DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023
R
echtsprofessor Daniel Thym Spanien, bei den Rückübernahmen bes-
ist Inhaber des Lehrstuhls ser zu kooperieren?
für Öffentliches Recht, Eu- Das kann ein kleiner Anreiz sein. Aber
ropa- und Völkerrecht an
der Universität Konstanz.
30.000 umverteilte Migranten sind nicht
sehr viel, wenn man bedenkt, dass wohl
allein in Deutschland vermutlich mehr als
VON RICARDA BREYTON 300.000 Personen in diesem Jahr einen
Asylantrag stellen werden. Außerdem gibt
WELT: Herr Thym, Bundesinnenminis- es schon heute freiwillige Übernahmen
terin Nancy Faeser (SPD) hat die EU- von Migranten aus den Mittelmeerstaa-
Migrationspläne gerade als „histori- ten. Italien nimmt trotzdem niemanden
schen Erfolg“ gefeiert. Sie sagen nun, zurück, der irregulär weitergewandert ist.
dass Sie etwas „Wasser in den Wein gie-
ßen“ wollen. Was stört Sie? Dass so viele Menschen nach Deutsch-
DANIEL THYM: Die Debatte fokussiert land weiterwandern, liege an den ho-
PICTURE ALLIANCE / PIXSELL/MARKO MRKONJIC/PIXSELL; UNIVERSITÄT KONSTANZ
sich aktuell ganz auf die Grenzverfahren, hen Sozialleistungen, heißt es etwa aus
also der Asylprüfung direkt an der EU-Au- der Union. Stimmen Sie zu?
ßengrenze. Das ist auch wichtig, weil die- Es gibt viele Push- und Pull-Faktoren,
se Verfahren neu sind. Aber dabei wird deren Gewicht man im Einzelnen nicht
übersehen, dass sich für den großen Teil eindeutig bestimmen kann. Auf manche
der Menschen, die irregulär in die EU ein- dieser Faktoren hat der Staat nur mittel-
reisen, kaum etwas ändern wird. Für die bar Einfluss. Wir wissen zum Beispiel,
bleibt es beim Status quo. Migranten in der dass Menschen vor allem in Länder wei-
kroatischen Stadt terwandern, denen es wirtschaftlich gut
Inwiefern? Beli Manastir geht oder wo schon Landsleute leben.
Es sollen vor allem Menschen ins Grenz- Wenn es eine große afghanische Com-
verfahren, bei denen die Anerkennungs- munity in Deutschland gibt, kommen
quote niedriger als 20 Prozent ist. Das be- auch weiter viele Afghanen hierher. Da-
trifft zum Beispiel Bangladeschi, von de- neben spielt die Versorgung eine Rolle,
nen viele in Italien ankommen. Der Rest also etwa Sozialleistungen, Unterbrin-
kann offiziell in die EU einreisen und ge- gung und Integrationsangebote. Schließ-
nießt dort faktisch Reisefreiheit. Am En- lich senden auch politische Maßnahmen
de wird es so sein wie heute: Sehr viele ein Signal: Wenn bekannt ist, dass Asyl-
Migranten werden nach Deutschland, bewerber in Deutschland schnell arbei-
Frankreich oder die Benelux-Staaten wei- ten dürfen, kann das ein Anreiz sein. Das
„Viele
terziehen und dort erneut einen Asylan- trifft auch auf Legalisierungsprogramme
trag stellen. Diese sogenannte Sekundär- zu, wenn also Menschen in Deutschland
migration ist zwar verboten, allerdings bleiben können, obwohl sie eigentlich
hält sich kaum jemand daran. Und mehr- ausreisen müssten.
werden nach
fache Asylanträge sind explizit erlaubt.
Sie haben neulich erklärt, dass es sehr
Sollen nicht auch Menschen ins Grenz- schwer würde, Sozialleistungen für
verfahren kommen können, die aus si- Asylbewerber in Deutschland zu sen-
Deutschland
cheren Drittstaaten einreisen, also per- ken, weil das Verfassungsgericht Min-
spektivisch etwa aus Tunesien? deststandards festgelegt hat. Sehen Sie
Möglich ist das. In der gesamten EU einen Ausweg?
müssen aber nur 30.000 Plätze für das Es gibt einen Aspekt, der künftig tatsäch-
Grenzverfahren vorgehalten werden. Al- lich interessant werden könnte. Der Vor-
weiterziehen“
lein in Italien gab es aber in den ersten schlag der EU-Innenminister sieht vor,
Monaten dieses Jahres bereits mehr als dass Migranten künftig grundsätzlich kei-
40.000 Ankünfte, darunter viele mit ge- ne Sozialleistungen mehr erhalten dürfen,
ringer Anerkennungschance. Sehr viele wenn sie zum zweiten Mal einen Antrag
werden also weiterhin nicht im Grenz- stellen und entschieden ist, dass sie in ei-
verfahren landen.
Der Migrationsrechtsexperte nen anderen Staat zurückkehren müssen.
Konkret: Wenn das Bundesamt für Migra-
Die Regeln sehen jedoch vor, dass Mig- Daniel Thym kritisiert, dass die tion entschieden hat, dass Italien für ei-
geplante EU-Asylreform
ranten dann ihren Asylantrag im Er- nen Asylbewerber zuständig ist und Ita-
steinreiseland stellen. Wenn sie den- lien der Übernahme zugestimmt hat, be-
ein entscheidendes
noch weiterreisen, können sie in den kommt der Asylbewerber in Deutschland
zuständigen Staat überstellt werden. keine Sozialleistungen mehr. Sondern nur
Das stimmt und bleibt auch so. Allerdings
klappt das schon bislang kaum. Deutsch- Problem ignoriere: noch in Italien. Ich denke, dass das verfas-
sungskonform ist, weil Ähnliches auch für
land hat im vergangenen Jahr knapp die Weiterwanderung EU-Bürger gilt, die keine Arbeit haben.
irregulärer Migranten
220.000 Asylerstanträge bearbeitet, aber Man kann erwarten, dass jemand in den
nur rund 360 Menschen nach Italien zuständigen EU-Mitgliedstaat geht, wenn
innerhalb der EU
überstellen können. Im Moment nimmt dieser leicht erreicht werden kann und die
das Land gar niemanden zurück. Ich sehe Standards dort angemessen sind. Der
nicht, dass sich das künftig grundlegend Staat zahlt dann nur eine Reisebeihilfe.
ändert. Wenn die Überstellung sechs Mo- Eine solche Regelung für Asylbewerber
nate lang scheitert, gibt es dann in könnte die Weiterwanderung etwas unat-
Deutschland ganz offiziell ein zweites traktiver machen. Unterbinden wird sie
Asylverfahren. Daran wollen die Innenmi- sonen, für die es zuständig ist, tatsächlich Dabei gibt es – zumindest in der Theorie – sie aber nicht.
nister nichts ändern. auch zurücknimmt. Daneben gibt es ein einen Hebel gegen Sekundärmigration.
paar weitere Verschärfungen auf dem Pa- 2017 hatte die EU-Kommission vorge- Was schlagen Sie stattdessen vor?
Die Innenminister behaupten nun aber pier, deren Wirkung aber begrenzt blei- schlagen, Mehrfach-Asylanträge in der EU Perspektivisch müssen wir erreichen,
genau das: Dass Sie Maßnahmen ergrei- ben dürfte. zu verbieten. In den aktuellen Vorschlä- dass die Menschen genau einen Asylan-
fen wollen, um die Weiterwanderung gen taucht das nicht mehr auf. Hinter- trag in der EU stellen dürfen und im zu-
zu verringern. Halten Sie das für Nebel- Brechen die Ersteinreiseländer EU- grund ist, dass die Ersteinreise-Länder ständigen Land verbleiben, bis die Prü-
kerzen? Recht, wenn sie die Menschen nicht re- solch einem Vorschlag nur zustimmen fung abgeschlossen ist. Wenn die Asylprü-
Es sind zumindest keine Gamechanger gistrieren oder dann nicht zurückneh- würden, wenn es einen verbindlichen Ver- fung positiv ausgeht, kann man immer
unter den Vorschlägen. Künftig müssen men? teilmechanismus gegeben hätte. Den gibt noch über eine Verteilung reden oder
die Ersteinreiseländer alle Migranten Ja. Das ist ein Problem, das in der Debatte es bekanntlich nicht. über eine freie Wahl des Wohnsitzes,
zum Beispiel verpflichtend registrieren. regelmäßig untergeht. Wir sprechen da- wenn jemand woanders Arbeit findet und
Wenn das künftig besser klappt, wüsste rüber, dass Griechenland an der Außen- Die Vorschläge sehen vor, dass zumin- nicht von Sozialleistungen lebt. Es macht
Deutschland sehr viel häufiger, dass ein grenze Recht bricht, wenn es die Men- dest 30.000 Menschen pro Jahr umver- aber keinen Sinn, dass Migranten in der
anderes Land für die Prüfung des Asylge- schen nicht anständig unterbringt. Aber teilt werden sollen. Dadurch würden EU hin- und herwandern und mehrfach
suchs zuständig ist. Das garantiert aber in wir sprechen kaum darüber, dass auch die die Ersteinreisestaaten entlastet. Ist Schutzbedarf anmelden, wie es aktuell er-
keinster Weise, dass dieses Land die Per- verweigerte Rücknahme rechtswidrig ist. das kein Anreiz etwa für Italien und laubt ist.
der in Nordrhein-Westfalen und in den Papier rechnet der Wissenschaftler vor, kanne muss der Vergangenheit angehö- dass das Geld innerhalb der einzelnen
drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg dass Baden-Württemberg bei einer Ver- ren“, sagte sie WELT. Forscher Helbig Bundesländer an die Schulen kommt,
und Berlin. Eine Armutsquote von 30 teilung nach der Armutsquote dann nur hofft, dass sein Papier eine Argumenta- die es brauchen.“
Prozent überschreiten in Nordrhein- knapp 20 Prozent der Mittel erhalten tionshilfe sein könne. „Ich würde mir Derzeit führen auch Bund und Län-
Westfalen 17,1 Prozent aller Grundschu- würde, die dem Land nach einer Berech- daher wünschen, dass in den Verhand- der Gespräche. Stark-Watzinger sagte
len, in Hamburg 20,6, in Berlin 39,2 und nung auf Basis des Königsteiner Schlüs- lungen zwischen Bund und Ländern ei- WELT, man sei in „guten Verhandlun-
in Bremen fast die Hälfte aller Grund- sels zukämen; in Bayern wären es nur ne Einigung herauskommt, die näher an gen“ mit den Ländern. „Die Beweglich-
schulen (47,4 Prozent). In Bayern und knapp elf Prozent. Berlin, Bremen, der Position des Bundesbildungsminis- keit der Länder hat zugenommen.“ Es
Baden-Württemberg haben nur 0,4 be- Hamburg, Nordrhein-Westfalen, das teriums ist als an der Länderposition.“ gebe den gemeinsamen Willen, dass das
ziehungsweise 0,8 Prozent aller Schu- Saarland und Sachsen-Anhalt erhielten Die Länder hatten sich untereinander Startchancenprogramm pünktlich zum
len Armutsquoten von über 30 Prozent. dagegen deutlich mehr Mittel über eine bisher nur auf einen minimalen Aus- Schuljahr 2024/25 starten kann.“ Für
Mehr als 80 Prozent der Grundschul- armutsbasierte Zuweisung anstelle ei- gleichsfaktor einigen können. Demnach entscheidend erklärt sie, dass auch „fri-
einzugsgebiete haben hier eine Armuts- ner Verteilung nach dem Königsteiner sollen fünf Prozent in einen Solidar- sches Geld von den Ländern“ dazukom-
quote von unter zehn Prozent. Schlüssel. In Bremen lägen die Zuwei- fonds gezahlt werden, von dem die me. Hessens Kultusminister Lorz sagte
Eine Zuweisung der Startchancen- sungen sogar dreimal so hoch. ärmsten Bundesländer profitieren – der WELT, die Gespräche seien ein „positi-
mittel nach dem üblichen Königsteiner Aus Sicht mancher Bundesländer Rest soll nach Königsteiner Schlüssel ves Zeichen“, aber: „Trotz Annäherun-
Schlüssel sei der Problemstellung daher dürfte dieses Papier eine Provokation verteilt werden. „Es war ein hartes gen in einigen Teilbereichen bleiben
nicht angemessen, argumentiert Helbig. sein – für Bundesbildungsministerin Stück Arbeit, sich in der Kultusminis- wichtige Punkte vonseiten des Bundes
Dieser Schlüssel ist eine Berechnungs- Bettina Stark-Watzinger (FDP) hinge- terkonferenz auf einen Verteilschlüssel allerdings noch offen und ungeklärt –
methode, bei der die Länderanteile gen ist es eine Bestätigung. Sie setzt zu einigen. Die Schaffung eines Sozial- wie die Finanzierung, die genaue Mit-
nach Steueraufkommen und Bevölke- sich schon seit Langem dafür ein, die fonds ist ein vernünftiger Kompro- telverteilung oder die rechtliche Umset-
rungsgröße festgelegt werden. Helbig Gelder aus dem Startchancenprogramm miss“, hatte Hessens Kultusminister zung.“ Die Länder benötigten „endlich
schlägt stattdessen vor, die Armutsquo- nach Sozialindizes zu vergeben statt Alexander Lorz (CDU) damals gesagt. verbindliche Aussagen, um jetzt weiter-
te als Grundlage der Mittelverteilung zu nach dem üblichen Schlüssel. „Unser Auch in Bayern und Baden-Württem- zukommen“. Im Hinblick auf ein für
nehmen. „Die Verteilung der Gelder wä- Ziel ist eine bedarfsgerechte Verteilung berg gebe es Brennpunktschulen, so den 23. Juni angesetztes Gespräch zwi-
re ungleicher, aber fairer. Die Mittel der Gelder, damit sie wirklich den sozial Lorz. „Wir sollten den Grundsatzstreit schen Stark-Watzinger und den Kultus-
würden die Schulen erreichen, die sie benachteiligen Schülerinnen und Schü- über die Verteilung auf die Bundeslän- ministern erwarte man sich hierzu „be-
am dringendsten brauchen.“ In seinem lern zugutekommen. Das Prinzip Gieß- der daher beenden und lieber schauen, lastbare Aussagen“.
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DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023
U Eine Stadt stimmt über
nter allen Transportern in
Greifswald ist der von
Christian Vollert sofort zu
erkennen. „Frieden schaf-
fen ohne Waffen“, „Keine
Solidarität mit krimineller Zuwanderung“
und „Nein zu Containerdörfern“ hat er
auf die Seiten des blauen Kastenwagens
geklebt. Der Handwerker fährt den Wa-
gen auf einen Parkplatz im Ostseeviertel,
einer Plattenbausiedlung, um Menschen
zu treffen, die diese Ansichten teilen.
VON SEBASTIAN BEUG
Vollert hat eine Bürgerinitiative mitge-
gründet, die sich gegen den Bau von Con-
tainerdörfern richtet. Er und seine Mit-
streiter finden, dass die Hansestadt die
wachsende Zahl an Migranten und
Flüchtlingen nicht mehr bewältigen kann.
„Jeder Flüchtling, der zu uns kommt, ist
ein Auftrag“, sagt Vollert, der als Selbst-
ständiger im Innenausbau arbeitet. „Ich
kann als Unternehmer nicht Aufträge oh-
ne Ende annehmen und nicht wissen, wie
ich sie abarbeiten soll.“
Seit Monaten klagen viele Kommunen,
dass die Zuwanderung sie überfordere. Es
gibt zu wenig Wohnungen, zu wenig Kita-
und Schulplätze, zu wenig Personal in
den Ämtern. In Greifswald ist der Streit
darüber eskaliert. Die Stadt will dem
Landkreis mehrere Grundstücke für Con-
tainerdörfer verpachten, doch die Gegner
wehren sich mit einem Bürgerentscheid.
Am Sonntag entscheiden die Einwohner.
Auf dem Papier geht es um Grundstücke,
aber in den Augen von Befürwortern wie
Gegnern steht die grundsätzliche Flücht-
lingspolitik zur Abstimmung.
Im Ostseeviertel trifft Vollert seine
Mitstreiter. Ralf Leonhard, ein Frührent-
ner und ehemaliger Berufskraftfahrer,
hat die Bürgerinitiative mitgegründet. Er
beklagt, dass ihm die Stadt nicht sagen
konnte, wie viele Menschen überhaupt
noch aufgenommen werden können.
Grit Wuschek, Berufsbetreuerin und
parteiloses Mitglied in der Bürgerschaft,
berichtet, dass sie für ihre Mündel schon
jetzt keine Sozialarbeiter oder Ärzte fin-
det. Eva Nehmzow, studierte Sonderpä-
dagogin und Privatière, ist Sprecherin
der Gruppe.
iX5
T H
H Y D R O G E N
Der BMW iX5 Hydrogen ist ein reines Konzeptfahrzeug, das nicht käuflich erhältlich ist.
die Flüchtlingspolitik ab
In Greifswald entscheiden die Bürger über Containerdörfer.
Doch es geht auch um Grundsätzliches
MARLENE GAWRISCH
Museumshafen in Greifswald: In der Hansestadt gibt es am Sonntag einen Bürgerentscheid
Die vier stehen am Rande einer Wiese,
auf der wilde Gräser blühen. Mit genau
dieser Wiese hat im Februar ein Streit be-
gonnen, an dessen Ende in Greifswald ein
Bürgerentscheid abgehalten wird. Ober-
bürgermeister Stefan Fassbinder (Grüne)
und Michael Sack (CDU), Landrat des
Kreises Vorpommern-Greifswald, fassten
damals den Plan, dort für die wachsende
Zahl an Migranten, die dem Landkreis zu-
gewiesen werden, ein Containerdorf für
bis zu 500 Personen zu errichten.
Doch der Widerstand war enorm. Am
Rande einer Ortsteilsitzung im Ostsee-
viertel, auf der Fassbinder die Pläne ver-
teidigte, demonstrierten 500 Personen
unangemeldet gegen die Container, da-
runter nach Polizeiangaben auch 20 Per-
sonen aus der rechten Szene. Der Bürger-
meister verließ die Sitzung aufgrund der
aufgeheizten Stimmung durch einen Hin-
E
POLITIK 5
ßen. Sie haben 2015, auf dem Höhepunkt
der Flüchtlingskrise, einen 23-jährigen
Syrer aufgenommen. Inzwischen arbeitet
er als Pfleger, ist verheiratet und hat ei-
nen Sohn. Die Frage, wie viel Greifswald
noch helfen kann, stellt sich für sie in die-
ser Form nicht. „Mecklenburg-Vorpom-
mern nimmt knapp zwei Prozent der in
Deutschland ankommenden Asylsuchen-
den auf“, sagt Kochhan. „Mir kann keiner
erzählen, dass wir deshalb in Greifswald
zu wenig Wohnungen oder Kitaplätze ha-
ben.“ Wolf sieht das ähnlich: „Wir können
nicht sagen, wir nehmen keine Geflüchte-
ten mehr auf, weil wir andere Probleme
haben. Wir müssen beides stemmen.“
Stefan Fassbinder, seit 2015 der einzige
grüne Oberbürgermeister in Ostdeutsch-
land, wirbt ebenfalls für ein „Ja“ am
Sonntag. „Der Bürgerentscheid hat nicht
die Auswirkung, die sich manche erhof-
fen“, sagt Fassbinder. „Sie stimmen eben
nicht darüber ab, ob weitere Menschen zu
uns kommen, sondern nur, wie sie unter-
gebracht werden.“ Greifswald hat bis
jetzt rund 2300 Menschen mit unter-
schiedlichen Flüchtlingstiteln aufgenom-
men. Fassbinder räumt ein, dass die Un-
terbringung in der Universitätsstadt
schwierig ist. „Ohne die Container könn-
ten wir gezwungen sein, Sporthallen zu
nutzen“, sagt er. Allerdings hat sich der
Kreistag dagegen ausgesprochen; die Bür-
gerinitiative sammelt Unterschriften ge-
terausgang, unter Polizeischutz. Später „Nein“ wirbt. Unten rechts auf den Plaka- gen eine Belegung von Hallen. Dann, sagt
hieß es, der Bürgermeister sei angegriffen ten flattert eine Friedenstaube – um sich Fassbinder, blieben nur noch Zeltstädte.
worden. Fassbinder weist das zurück. Al- auch für ein Ende des Krieges in der Der Bürgerentscheid fordert Greifs-
lerdings habe es nach Einschätzung der Ukraine einzusetzen, wie Christian Vol- wald in einer Zeit, in der die Polarisierung
Polizei derartige Drohungen gegeben. lert sagt. Auch die Bürgerschaftsfraktio- ohnehin zugenommen hat. Vollert und
Den Plan mit der grünen Wiese halten nen der CDU, der FDP und der AfD sowie seine Mitstreiter gehen regelmäßig auf
inzwischen alle für einen Fehler. Im März die WerteUnion Mecklenburg-Vorpom- Montagsdemonstrationen – gegen die
wurde entschieden, die ankommenden mern ruft dazu auf, am Sonntag mit Corona-Politik, gegen Waffenlieferungen,
Menschen stattdessen auf dezentrale Un- „Nein“ zu stimmen. gegen LNG-Terminals. Das politische En-
terkünfte zu verteilen und kleinere Con- Auf der anderen Seite steht das Bünd- gagement hat auch private Folgen. Flücht-
tainerdörfer zu bauen. Doch die Bürger- nis „Greifswald für Alle“, das während der lingshelferin Wolf war mit Vollerts Frau,
initiative hatte zu diesem Zeitpunkt in Flüchtlingskrise 2015 entstand. Es mobili- einer Tanzlehrerin aus Kuba, befreundet.
der 60.000-Einwohner-Stadt bereits siert für ein „Ja zu Solidarität“. Zu den Inzwischen ist der Kontakt abgebrochen.
mehr als 7000 Unterschriften für einen Unterstützern zählen SPD, Grüne, Linke Der Austausch zwischen den Lagern
Bürgerentscheid gesammelt und das und die Tierschutzpartei, der DGB, Kir- scheiterte in den vergangenen Wochen
Quorum überschritten. Längst geht es chengemeinden, sowie weitere Gruppen immer wieder. „Greifswald für Alle“ lehnt
nicht mehr um die Standorte, sondern um aus der Flüchtlingsarbeit. Gespräche am Rande der Montagsde-
die Frage, wie die Stadt mit der Migration Anne Wolf, Lehrerin an einer Walldorf- monstrationen ab. Die Bürgerinitiative
umgehen soll. schule und ihr Mann Gregor Kochhan, wiederum sieht sich durch Linksextreme
Auf der einen Seite steht die Bürger- Anwalt für Asylrecht bei der Diakonie, und die Antifa von der Teilnahme an Dis-
initiative, die mit roten Plakaten für ein vertreten „Greifswald für Alle“ nach au- kussionsveranstaltungen ausgegrenzt.
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Und dann gibt es auch noch die Aus-
einandersetzungen im Internet. Die Ver-
treter von „Greifswald für Alle“ werfen
den Mitgliedern der Bürgerinitiative vor,
auf Facebook rassistische, antisemiti-
sche oder demokratiefeindliche Aussa-
gen zu verbreiten. Besonders umtriebig
ist Ronny Bormann, ein weiterer Mit-
gründer der Initiative. Er teilte unter an-
derem ein Video, in dem erklärt wird,
warum die Bundesrepublik kein Staat sei
– eine beliebte Erzählung unter Reichs-
bürgern. Gegenüber WELT lehnte Bor-
mann am Telefon eine Stellungnahme
ab. Vollert und Leonhard sagen, sie kön-
nen nicht für Bormann sprechen.
Zusammen gaben die drei dem „Com-
pact Magazin“ ein Interview. Das Maga-
zin wird vom Verfassungsschutz als gesi-
chert rechtsextremistisch eingestuft. Die
Initiative verteidigt das Gespräch. Andere
Medien in Mecklenburg-Vorpommern
hätten kein Interesse an einem Interview
gehabt, also habe man die Anfrage von
„Compact“ angenommen.
Nach Einschätzung des Verfassungs-
schutzes Mecklenburg-Vorpommern ru-
fen auch Rechtsextreme in sozialen Me-
dien auch zur Unterstützung der Bürger-
initiative auf. Das erklärte das zuständige
Innenministerium in Schwerin auf
WELT-Anfrage. Eine Einschätzung zu
einzelnen Akteuren lehnte die Behörde
aus rechtlichen Gründen aber ab.
Prognosen oder Umfragen gibt es
nicht. Klar ist aber: Eine Seite wird am
Sonntag verloren haben. Anne Wolf
sagt, sie wäre erschrocken, sollte die
„Nein“-Kampagne Erfolg haben. „Dann
kommt viel Arbeit auf unser Bündnis
zu.“ Bürgermeister Fassbinder fürchtet
um den Ruf als liberale, weltoffene Uni-
versitätsstadt.
Handwerker Vollert sagt, die Initiative
wolle unabhängig vom Ausgang der Wahl
weitermachen, sich gegen die Belegung
von Turnhallen einsetzen und bei der
Bürgerschaftswahl im kommenden Jahr
antreten. Mit Blick auf den Sonntag fügt
er hinzu: „Ich hoffe, dass viele Bürger
zur Wahl gehen, weil dann wissen wir,
was die Stadt denkt.“ Denn was Vollert
selbst denkt, das kann jeder nachlesen,
wenn er mit seinem Transporter durch
Greifswald fährt.
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6 POLITIK
Lithium wird zum Symbol
der Entkolonialisierung
Lateinamerikaner wollen Westen nicht beliefern
M
it einem historischen Ver-
gleich bringt Argentiniens Vi-
zepräsidentin Cristina Kirch-
ner die Menge zum Kochen. „Lasst uns
nicht Potosi sein, sondern Malaysia
oder Korea“, rief Kirchner ihren An-
hängern jüngst auf der Plaza de Maya
im Herzen von Buenos Aires zu. Die
Zuhörer riefen zurück: „Vaterland ja,
Kolonie nein“.
VON TOBIAS KÄUFER
AUS BOGOTA
Potosi war einst ein blühendes Zen-
trum des spanischen Kolonialreichs im
heutigen Bolivien. Die gigantischen Sil-
bervorkommen machten aber vor allem
die Kolonialherren in Europa reich. Die
heimische Bevölkerung hingegen konn-
te vom Silberboom kaum profitieren.
Und nichts fürchten die Südamerikaner
mehr, als dass sich ein solches Szenario
mit dem Zukunftsrohstoff Lithium wie-
derholen könnte. Deswegen hat Links-
populistin Kirchner, die Argentinien
von 2007 bis 2015 als Präsidentin an-
führte und noch bis zu den Wahlen im
Oktober als Vizepräsidentin amtieren
wird, das Thema für ihre öffentlichen
Auftritte entdeckt. Lithium wird benö-
tigt, um etwa Akkus für Elektroautos
oder Smartphones zu produzieren. Die
weltweit größten Vorkommen gibt es
nach aktuellem Wissensstand im soge-
nannten Lithium-Dreieck in den Län-
dern Argentinien, Bolivien und Chile.
Die Wirtschaftssupermächte USA, Chi-
na und Europa liefern sich derzeit einen
Wettkampf um den Zugang zu den Vor-
kommen.
In dieser Woche ist EU-Kommissi-
onspräsidentin Ursula von der Leyen
zu politischen Gesprächen in Südame-
rika unterwegs. Zunächst in Brasilien,
dann in Argentinien, Chile und nun Me-
xiko. Brüssel will das Freihandelsab-
kommen zwischen der Europäischen
Union (EU) und dem südamerikani-
schen Wirtschaftsbündnis Mercosur
(Brasilien, Argentinien, Uruguay und
Paraguay) spätestens bis Ende diesen
Jahres abschließen.
Allerdings ist das Abkommen sowohl
in Südamerika als auch in Europa um-
stritten. Einige Länder wollen ihre
Märkte schützen, andere fürchten die
Aufweichung von Arbeits- oder Um-
weltstandards. Das Misstrauen gegen-
über dem Westen in der Region ist oh-
nehin groß. Teils ist es der europäischen
Kolonialgeschichte geschuldet, teils
wird es gezielt aus antiwestlicher Stim-
mung heraus geschürt. Lithium ist in ei-
nigen Kreisen inzwischen zum Symbol
südamerikanischer Unabhängigkeit von
Amerikanern und Europäern geworden.
Sehr zur Freude Chinas, das – unbelas-
tet von der kolonialen Vergangenheit –
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einen lukrativen Vertrag nach dem an-
deren abschließen kann.
Kirchner, deren eigene politische Zu-
kunft noch ungeklärt ist, lässt mit ih-
rem Auftritt keinen Zweifel: Wer die
Präsidentschaftswahlen in Argentinien
im Oktober gewinnen will, muss auch
eine überzeugende Lithium-Strategie
vorlegen. Auch wenn die Provinzen des
Landes über eine erhebliche Autonomie
verfügen, wie und mit wem die Gewin-
nung vor Ort realisiert werden soll,
wird das Thema die nationale Debatte
mitbestimmen.
Bolivien, das Land mit den mutmaß-
lich größten Vorkommen, hängt bei der
Gewinnung des Rohstoffs derzeit am
weitesten zurück. Der sozialistische Ex-
Präsident Evo Morales (2006-2019), der
in seiner Heimat immer noch einfluss-
reich ist, warf den USA „interventionis-
tischen Pläne und Plünderungsambitio-
nen in Bezug auf unsere natürlichen
Ressourcen, insbesondere Lithium“
vorwirft. Zuvor hatte sich Laura Ri-
chardson, Leiterin des amerikanischen
Militärkommandos Süd in einer Analyse
besorgt darüber gezeigt, dass „gegneri-
sche“ Mächte die Reserven im südame-
rikanischen Lithium-Dreieck explorie-
ren wollten – und meinte damit China.
Das antiamerikanische Lager in Latein-
amerika interpretierte das sofort als
versteckten Mobilisierungsbefehl. Die
US-Botschaft in La Paz musste nach
Morales Vorwürfen klarstellen, dass
Washington „die Souveränität der Län-
der und ihr Recht, ihre natürlichen Res-
sourcen zu entwickeln, voll und ganz
respektiert“. Morales, der 2025 offenbar
wieder nach der Macht greifen will,
mischt derweil hinter den Kulissen über
Vertraute bei den Verträgen mit China
mit. Die Strategie, die die Zweifel der
Wähler in den Lithium-Nationen zer-
streuen soll, heißt Nationalisierung. Die
Staaten sollen alle Schritte von der Su-
che bis zur Produktion nach Möglich-
keit selbst kontrollieren, hoffen aber
gleichzeitig auf Milliardeninvestitionen
aus dem Ausland. Wirtschaftsexperten
sehen in diesem Vorgehen eine große
Hürde.
„In Bolivien ist es aufgrund der poli-
tischen Instabilität und der vorherr-
schenden ideologischen Einflussfakto-
ren schwierig, die derzeitige Situation
zumindest mittelfristig zu ändern“, sagt
Ingenieur Emilio J. Apud, ehemaliger
Staatssekretär für Bergbau und Energie
in Argentinien im Gespräch mit WELT.
In Chile, das mit 200.000 Tonnen pro
Jahr der wichtigste Produzent im Drei-
ländereck ist, habe die Regierung gerade
angekündigt, „dass sie die Kontrolle
über die Vorkommen in der Produktion
übernehmen wird und die Gründung ei-
nes staatlichen Unternehmens erwägt“,
erklärt er.
DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023
Putin trifft sich mit niemandem
mehr. Sitzungen werden nur
noch digital abgehalten
Ja, er traut sich nicht mehr, Menschen
zu treffen. Das ist kein Zeichen von
Stärke. In diesem Jahr hat er nicht ein
einziges Mal mit seinem Sicherheitsrat
physisch getagt. Dieser findet alle zehn
Tage statt und wird von Herrn Putin ge-
leitet. Immer mit Videoübertragung.
Letztes Jahr hat er an drei Sitzungen
persönlich teilgenommen. Immer in ei-
nem Abstand von zehn Metern zu allen
anderen.
Vertraut Putin überhaupt noch je-
mandem?
Die Leute, denen er am meisten ver-
traut, sind die Brüder Juri und Michail
Kowaltschuk. Sie sind korrupte Ge-
schäftsleute aus Sankt Petersburg. Juri
AFP/MIKHAIL KLIMENTYEV
ist einer der größten Aktionäre der
Bank Rossija und fungiert als eine Art
persönlicher Bankier von Putin. Michail
kontrolliert Rosatom, das sowohl für
den zivilen als auch für den militäri-
schen Energiesektor wichtig ist. Die
dritte Person ist Nikolai Patruschew,
„Putin scheint
Russlands nationaler Sicherheitsbera-
ter. Er ist völlig verrückt und glaubt jede
Verschwörungstheorie, dass Russland
von äußeren und inneren Feinden be-
droht wird.
verängstigt“
Was wissen wir sonst über den Kreis
um Putin?
Er umgibt sich im Allgemeinen mit den
Leuten, mit denen er Anfang der 90er-
Der ehemalige Jelzin-Berater Anders Aslund hält
Jahre in Sankt Petersburg zusammenge-
arbeitet hat. Und mit einigen, mit denen
Angriffe auf Russlands Territorium für richtig
er in Dresden zusammengearbeitet hat,
als er noch KGB-Agent war. Er hat eine
A
extrem schmale Machtbasis, die er
nutzt. Sie stützt sich ausschließlich auf
den Petersburger Kreis und die KGB-
Ära. Er will nicht über diesen Kreis hi-
nausgehen. Dann hat er einige Techno-
nders Aslund ist Senior Fel- samten Weltwirtschaft – viel stärker be- Es ist absurd, dass der Westen immer kraten, die aber nicht zum zentralen
low bei der Denkfabrik troffen ist als eine große wie die EU. Im darauf bestand, dass die Ukraine mit Kreis gehören.
Stockholm Free World Fo- Fall von Deutschland gab es bestimmte westlichen Waffen keine russischen
rum und Professor an der Sektoren, die von den Sanktionen emp- Stützpunkte angreifen dürfe. Man Was wird an dem Tag passieren, an
Georgetown University in findlich getroffen wurden, Erdgas zum könnte sagen: Die Ukraine soll mit ge- dem Putin verschwindet?
Washington. Von 1991 bis 1994 war er als Beispiel. Deutschland hat, wie wir jetzt fesselten Händen kämpfen, um Waffen Zunächst einmal würde ich sagen, dass
Wirtschaftsberater des damaligen russi- wissen, lange Zeit eine sehr unkluge zu erhalten. Auch Deutschland und Putin die schlechteste Alternative ist,
schen Präsidenten Boris Jelzin tätig. Er Energiepolitik betrieben. Frankreich haben diese Linie vertreten. die wir heute haben. Als Stalin starb,
hat zahlreiche Bücher über Russland Jetzt ändert sich das glücklicherweise fürchteten alle, dass es schlimmer wird.
und die Ukraine geschrieben. Hat Deutschland aus seinen Fehlern langsam. Es wurde aber viel besser. Als Bresch-
der Vergangenheit gelernt? new starb, fürchteten alle, dass es
VON ERIK THYSELIUS Jeder lernt mit der Zeit. Heute weiß Reden wir über Russland. Wie stabil schlimmer wird. Aber es wurde besser.
Deutschland, dass Nord Stream 2 ein ist das Putin-Regime Ihrer Meinung
WELT: Herr Aslund, der Westen hat großer Fehler war. Und dass man Russ- nach? Und Putin?
mehrere Sanktionspakete verhängt, land nicht trauen kann. Aber es zieht Überhaupt nicht stabil. Wir sehen jetzt, Putin ist extrem und er ist derjenige,
seit Putin seine groß angelegte Invasi- immer noch nicht alle richtigen Schlüs- wie insbesondere Wagner-Chef Jewge- der die Extremisten in der russischen
on gestartet hat. Die Wirkung scheint se. Es sollte verstehen, dass die Nato die nij Prigoschin, aber auch andere Hardli- Politik hervorgebracht hat. Wenn er
gering. Ukraine als Mitglied braucht, um die Si- ner den Kreml und das Militär kritisie- weg ist, wird es besser werden. Russ-
ANDERS ASLUND: Die Sanktionen hat- cherheit Europas zu gewährleisten. Sa- ren. Wir sehen auch, dass Putin sich lands Bevölkerung ist laut Umfragen zu
ten ernste Folgen, aber keine entschei- gen wir, Deutschland hat jetzt zu zwei nicht in die Öffentlichkeit traut. Wann etwa einem Drittel westlich-liberal, zu
denden. Normalerweise verringern har- Dritteln Recht. Deutschland und Frank- immer er auftritt, gibt es den Verdacht, einem Drittel Putin-Hardliner und ei-
te Sanktionen das Wachstum um zwei reich bewegen sich in die richtige Rich- dass er ein Doppelgänger ist. Putin nem Drittel politisch passiv. Ich halte
bis drei Prozent. Das ist ungefähr das, tung, aber nicht schnell genug. Dennoch scheint verängstigt. Er hat Bunker an zwei Szenarien für möglich. Das eine
was wir in Russland sehen. Vergleichen bin ich beeindruckt von der Tatsache, seinen drei Hauptwohnsitzen gebaut. ist, dass Putins ganzes System zusam-
Sie das mit der Ukraine, wo die Wirt- dass sich die Positionen beider Länder Er reist mit gepanzertem Zug durch das menbricht, weil in Russland stabile In-
schaft um 29 Prozent geschrumpft ist. seit Beginn des Krieges sehr stark ver- Land. Und bei jedem von seinen drei stitutionen fehlen. Das zweite Szenario
ändert haben. Hauptresidenzen hat er besondere ist ein Übergang zu weit verbreiteter In-
Es gibt eine gewisse Skepsis mit Blick Bahnhöfe für seine persönliche Sicher- stabilität, denn wir würden einen länge-
auf Sanktionen. Oft heißt es, sie scha- Wie wichtig ist die Wirtschaftshilfe heit gebaut. Das Ausmaß der Paranoia ren Kampf zwischen Gruppierungen er-
deten dem Westen mehr als Russland. für den Fortbestand der Ukraine? scheint fast pathologisch. leben, die sich mit Waffengewalt an die
Es liegt auf der Hand, dass eine kleine Zunächst einmal muss man den Krieg Macht kommen wollen. Ohne Putin
Volkswirtschaft – Russland hat einen militärisch gewinnen. Sonst bleibt nicht Hat Putin seit der Invasion an Macht werden sie nicht zögern, diese Waffen
Anteil von nur zwei Prozent an der ge- viel übrig, um die Wirtschaft zu retten. verloren? auch einzusetzen.
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DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023
E
ESSAY
s gibt Persönlichkeiten, mit de-
ren Tod sofort spürbar wird,
dass sie Geschichte gemacht,
vielleicht sogar eine Epoche
geprägt haben. Sie erlangen au-
genblicklich Denkmalsrang. So
war es bei Churchill, Roosevelt
und de Gaulle, so war es bei Willy Brandt und
Helmut Kohl. Es kommt aber auch vor, dass mit
dem Tod eines Menschen, der sehr viel bewegt
und die Fantasie vieler befeuert hat, schlagartig
dessen Begrenztheit sichtbar wird. Er hinterlässt
kein stabiles Werk. Als wäre er verglüht. Silvio
Berlusconi ist einer von ihnen. Fast im Alleingang
hat er das politische System Italiens seit Mitte
der 90er-Jahre verändert, ja revolutioniert. Ohne
ihn wäre Giorgia Meloni heute kaum Minister-
präsidentin. Berlusconi hat beschädigt, was er
neu aufbauen und festigen wollte: die politische
bürgerliche Mitte. Als er Mitte der 90er-Jahre wie
ein Komet in den politischen Himmel aufstieg,
versprach er, das Erbe der verbrauchten Democra-
zia Cristiana (DC) anzutreten und ein neues,
zeitgemäßes bürgerlich-liberales Kraftzentrum
zu schaffen. Damit ist er gescheitert.
Er hat seine einstmals ungeheure Popularität
nicht nutzen können oder wollen, um die politi-
sche Landschaft der Mitte und rechts davon zu
festigen. Vielleicht hätte er seine immense
Strahlkraft ins wirtschaftsbürgerliche, kleinbür-
gerliche und auch ins Arbeitermilieu nutzen kön-
nen, um den rabiaten Separatismus der Lega
Nord und die Republikverachtung der extremen
Rechten abzumildern und eine neue Bürgerpartei
aufgehen zu lassen. Er hat es nicht getan. Nun
wird seine eigene Partei, einst die größte jenseits
des linken Lagers, wohl über kurz oder lang un-
tergehen.
Berlusconi sah sich selbst als Musterbeispiel
eines Selfmade-Man. Und bot sich den Millionen
Italienerinnen und Italienern, die seit den 60er-
Jahren die Modernisierung und Amerikanisierung
genossen hatten, als Vorbild und Projektions-
fläche an. Sehr schnell wurde er sehr reich. Das
lag sicher am unbedingten Willen des Sohnes
eines Bankangestellten, nach oben zu kommen.
Eine reine Tellerwäscher-Geschichte war es je-
doch nicht. Als aufstrebender Unternehmer war
er fest im alten politischen System Italiens ver-
wurzelt, der sozialistische Ministerpräsident
Bettino Craxi gehörte zu seinen Förderern, ver-
mutlich am Rande der Legalität. Berlusconi hat
sich später als ein Robin Hood aller Italiener
gegeben. Das war er aber nur in Grenzen. Er war
ein Kind des politischen Systems, dessen Über-
windung er sich später zugute schrieb.
Obwohl kein Außenseiter, hatte er doch das
untrügliche Gespür eines solchen. Fürs flinke
Geschäftemachen, aber auch für die materiellen
Bedürfnisse der vielen, die im Kalkül herkömm-
licher bürgerlicher Politiker keine Rolle spielen.
Er hatte keine Berührungsängste. Bedürfnisse,
die andere für niedere Bedürfnisse halten, kamen
ihm gerade recht. Er hatte den Riecher für den
Massengeschmack. Immobilien plus Fernsehen:
Das war es. Das eine ergab sich aus dem anderen
und fügte sich zu einem Ganzen. Ende der 60er-
Jahre, als ein beträchtlicher Teil auch der italie-
nischen Jugend der Konsum-, Aufstiegs- und
Eigenheimgesellschaft zu entfliehen versuchte,
plante er am Rande von Mailand ein neues Stadt-
viertel, anspruchsvoll „Milano 2“ genannt. Es
entstand ein riesiges Häuserrund, in dem Träume
der damaligen Zeit wahr werden sollten – und
GASTBEITRAG
Schulden sind Schulden, auch bei ehrenhaften Motiven
U
m die aktuellen und zukünftigen Heraus-
forderungen bewältigen zu können, vor
denen die Europäische Union steht, gibt
es einen Dreh- und Angelpunkt: Wir brauchen
nachhaltige öffentliche Finanzen, die Stabilität,
Wachstum und Handlungsfähigkeit der Mitglied-
staaten und der EU als Ganzes gewährleisten.
Sowohl heute als auch auf lange Sicht. Die gute
Nachricht ist, dass wir dafür einen Mechanismus
haben: den Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Was ist passiert? Vor der Pandemie war die
Finanzpolitik in Europa zeitweise zu expansiv.
Eine normale bis gute wirtschaftliche Lage wurde
nicht ausreichend zur Konsolidierung und zum
Aufbau fiskalischer Puffer genutzt. Dabei wurden
die Regeln des Paktes genau dafür entwickelt, es
den Ländern zu ermöglichen, in guten Zeiten
fiskalische Puffer aufzubauen, auf die sie in
schlechten Zeiten zurückgreifen können. Mit den
Maßnahmen, die zur Bewältigung der Folgen der
Pandemie ergriffen wurden, stieg die Staatsver-
schuldung in einigen EU-Ländern auf ein Rekord-
niveau, ebenso wie die öffentliche Verschuldung
auf gesamtstaatlicher Ebene. Lag die Staatsver-
schuldung der Länder des Euroraums 2019 durch-
schnittlich noch bei 86 Prozent des BIP, so stieg
sie 2020 schnell auf knapp 100 Prozent an, bevor
sie bis 2022 wieder auf rund 93 Prozent sank. Im
Jahr 2002, als das Euro-Bargeld eingeführt wurde,
lag die Quote noch bei 68 Prozent.
Es muss allen klar sein, dass die Schulden-
stände nicht in jeder Krise unbegrenzt steigen
können. Dies würde die öffentlichen Haushalte
dauerhaft überfordern, was in Zeiten steigender
Zinsen besonders kostspielig ist. Dieses Geld
kann an anderer Stelle besser eingesetzt werden.
Gerade in Zeiten wie diesen, in denen wir vor
Symbol
einer Epoche
Mailand hat die Beerdigung Silvio Berlusconis
wie einen Staatsakt zelebriert. Kein Wunder:
Wer in ihm nur den Manipulator und
Hallodri sah, verkennt seine Bedeutung.
Er, der Konservative, besaß so viel Gespür für
die Bedürfnisse der Massen wie kaum jemand
THOMAS SCHMID
wurden. Neubau, Schwimmbad, Heizung, Spiel-
und Sportplätze, Einkaufszentren, Kinos, Werk-
stätten und Gemeindehäuser: schöne neue Welt.
Das – heute etwas heruntergekommene – Viertel
fand umgehend seine Bewohner. Und um die
Rundumversorgung zu verbessern, gründete
Berlusconi den nach dem Stadtteil benannten
Fernsehsender „Milano 2“, der der Information
über Lokales und vor allem der Unterhaltung
diente. Allmählich schuf er dann sein privates
Medienuniversum, Schritt für Schritt, mit dem er
schließlich bis in die letzten Küchen und Wohn-
stuben Italiens vordrang.
Damals war Berlusconi auf der Höhe der Zeit.
In keinem anderen Land Europas, auch nicht in
der Bundesrepublik, schritt der amerikanisch
inspirierte Konsumismus so stürmisch voran wie
im katholischen, vom Glauben aber längst ab-
fallenden Italien. Berlusconi traf den Massen-
geschmack. Während bis in die 70er-Jahre bei
Wahlen meist genügend Stimmen auf die christ-
lich-demokratische Partei DC entfielen, dass sie
eine Regierung anführen konnte, folgten die
gleichen Italienerinnen und Italiener in ihrem
Freizeitverhalten längst Berlusconi. Er hatte auf
das richtige Pferd gesetzt. Und untergrub fak-
tisch den traditionellen, bürgerlich-bäuerlichen
Wertekosmos, für den die DC noch immer ein
wenig stand. Das war keineswegs, wie die Grams-
ci-gläubigen Gegner Berlusconis behaupten, Ma-
nipulation. Die Leute wollten Rateshows, „Dal-
las“, diverse Soaps, Kochsendungen, Showgirls
und Schönheitsköniginnen sehen. Man kann
darauf einen kulturpessimistischen Blick werfen.
Man kann aber auch anerkennen, dass Berlusconi
– in seinem Gewinnstreben – die Bedürfnisse der
real existierenden Massen ernst nahm. Aus An-
hängern machte er Fans.
Im großen Erfolg Berlusconis war freilich
schon sein späteres Scheitern angelegt. Er stieg
CHRISTIAN LINDNER
vielfältigen Herausforderungen stehen. Auch aus
diesem Grund ist es unerlässlich, dass wir die
Fiskalregeln wieder einführen – aber wir müssen
sie zusätzlich überarbeiten, um in den kommen-
den Jahren eine angemessene Haushaltsplanung
und Prioritätensetzung zu gewährleisten.
Wirksame finanzpolitische Regeln sind wichtig,
um sicherzustellen, dass die Finanzpolitik keinen
dauerhaften Inflationsdruck erzeugt. Dies gilt
insbesondere innerhalb der Währungsunion. Die
Fiskalpolitik kann nicht die veränderten geo-
politischen Realitäten ignorieren, einschließlich
des Klimawandels, der digitalen Transformation
und der Verteidigungspolitik. Aber allen sollte
klar sein: Für die Kapitalmärkte sind Schulden
Schulden. Die Kapitalmärkte interessieren sich
nicht dafür, warum Schulden aufgenommen wur-
den. So ehrenwert die Motive auch sein mögen.
Um die Glaubwürdigkeit gegenüber den Kapital-
märkten zu bewahren, müssen die Mitgliedstaa-
ten übermäßige Defizite und Schuldenstände
vermeiden oder ihre Defizite und Schuldenquoten
rechtzeitig und ausreichend auf realistischem
Weg reduzieren.
Die EU-Kommission hat Ende April ihre Vor-
stellungen für die zukünftige Ausgestaltung unse-
res gemeinsamen wirtschaftlichen Regelwerks
vorgelegt. Diese Vorschläge sollten als Ausgangs-
punkt für unsere Diskussionen im Rat betrachtet
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Stillen tun, tat Berlusconi demonstrativ und
öffentlich: Er riss Witze, machte bei Gruppen-
fotos das Teufelszeichen, neckte seine Umge-
bung, liebte Schlüpfrigkeiten. Und war dabei oft
von fast unwiderstehlichem Charme. Selbst die
strenge Kanzlerin Angela Merkel sah ihm lä-
chelnd nach, wenn er wieder einmal die Formen
verletzt hatte. Seine Parteiengebilde, die mal
„Haus der Freiheit“, mal „Volk der Freiheit“ hie-
ßen, waren ganz auf ihn zugeschnitten. Er war im
Grunde ein politisches One-Man-Unternehmen.
Es kommt nicht häufig vor, dass ein Einzelner so
viel bewegt.
Im Frühling 2003, kurz vor der Parlaments-
wahl, nach der Berlusconi zum zweiten Mal Mi-
nisterpräsident werden sollte und diesmal für
vier volle Jahre, fand in einem Mailänder Theater
eine Abschlusskundgebung statt. Berlusconi ließ
ein etwa drei Meter großes Schild hereintragen.
Es ähnelte den ins Riesige vergrößerten Schecks,
die bei Charity-Veranstaltungen auf die Bühne
gebracht werden. Auf das Schild war ein „Vertrag
mit den Italienern“ gedruckt. Populäre Verspre-
chungen: steuerliche Erleichterungen, Halbie-
rung der Arbeitslosenzahlen, große staatliche
Infrastrukturprojekte, Erhöhung der Mindest-
renten, Verminderung der Straftaten. Strahlend
rief Berlusconi wie ein Heizdeckenverkäufer in
den Raum, er werde zurücktreten, sollte er es
nicht schaffen. Mit anderen Worten: bei Nicht-
gefallen Geld zurück. Nichts davon hat er, der
politisch eigentlich ein Zögerer war, realisiert.
Aber das war ihm und einem Großteil seines
Publikums egal. Geschadet hat es ihm lange
mit dem Fernsehen und durch das Fernsehen auf. nicht. Er war ein genialer Ankündigungs- und
Es war die letzte große Zeit, in der sich die Fami- Behauptungskünstler.
lien um das TV-Gerät versammelten. Die letzte Berlusconi war mehr eine Übergangsgestalt als
große Zeit auch der Massenkundgebungen und ein Neuerer. Als das alte Parteiensystem Anfang
-versammlungen. Die letzte Zeit, in der es noch der 90er-Jahre am Ende war, hatte er mit seinem
Medien gab, die gewissermaßen den Laden zu- aplombartigen Auftritt auf der politischen Bühne
sammenhielten. Das ist vorbei. Mit dem Bedeu- und mit seinem fast grenzenlosen Ego die riesige
tungsverlust des Fernsehens begann auch Berlus- Chance, eine neue liberal-konservative Mitte zu
conis Stern zu sinken. Sein breites Dauergrinsen schaffen. Niemand weiß, ob er das wirklich woll-
und seine strahlend weiß gemachten Zähne pass- te. Jedenfalls ist es ihm nicht gelungen. Als er
ten in die TV-Welt mit ihren geschminkten Gali- 2011 zum letzten Mal auf das Amt des Minister-
onsfiguren. Im Internet-Zeitalter mit seinen präsidenten verzichten musste, war das ein
vielen Kollektiven und einer ganz anderen Ge- schmählicher Abgang. Die EU und die EZB, na-
meinschaftskultur ist die Berlusconi-Methode mentlich Mario Draghi, hatten ihn dazu gezwun-
antiquiert geworden. gen. Denn er hatte nicht verhindern können, dass
Berlusconi ging 1993/94 sicher auch in die Poli- sein Land, dessen Retter er sein wollte, an den
tik, um seine angeschlagenen Unternehmen über Rand des finanziellen Ruins geriet. So wurde es
die Runden zu bringen, ihnen Sonderkonditionen am Ende doch eine fast tragische Geschichte. Auf
zu verschaffen und sich selbst juristischer Ver- mitunter peinliche Weise versuchte der von
folgung zu entziehen. Das war aber nicht das Krankheiten gezeichnete Silvio Berlusconi sein
Entscheidende. Sein Motor war vielmehr sein Image des jugendlichen Helden zu bewahren.
ungeheures Sendungsbewusstsein, seine narziss- Und trat in der Öffentlichkeit nur noch stark
tische Lust, sich als Retter Italiens zu sehen. geschminkt auf. Das tun ältere Schauspielerinnen
Früh meinten Beobachter feststellen zu können, zwar auch. Bei ihm jedoch wirkte es mitunter fast
dass Berlusconi etwas Entrücktes hatte, dass ihm gespenstisch. Er hat die Zeit nicht anhalten kön-
– trotz seines eher heidnischen Geistes – die Idee nen. Es ist ihm aber gelungen, sich drei Jahr-
nicht fremd war, gottähnlich zu sein. zehnte lang in der vordersten Reihe des politi-
Es war zumindest nicht nur Rücksichtslosig- schen Geschehens zu halten. Und das Monopol
keit, was ihn dazu brachte, sich über Regeln hin- des herkömmlichen Politikertyps auf der Staats-
wegzusetzen. Seine Missachtung von Formen bühne zu brechen. Das wird ihm so schnell keine
hatte etwas Plebejisches, drückte den Mutwillen und keiner nachmachen können.
des Neureichen aus, der die alteingesessenen Vergangenen Freitag, drei Tage vor seinem
Honoratioren belächelt, vielleicht gar verachtet. Tod, ließ sich Berlusconi noch einmal in seine
Und genau das kam in großen Teilen der großen Kunststadt „Milano 2“ fahren. In einem Bistro
Öffentlichkeit gut an. Man konnte sich damit bestellte er ein Eis, der Blick ging über den
identifizieren. Obwohl Berlusconi elegant und künstlichen See, auf dem Schwäne dahinglitten.
perfekt gekleidet war, Einstecktuch inbegriffen, Das Foto, auf dem er zusammen mit dem sieben-
konnte er sich im öffentlichen Raum auch so jährigen Sohn des Besitzers posiert, zeigt einen
bewegen, als trüge er Jogginghosen. Das gefiel, ungeschminkten Mann. Er ist sehr alt. Er lächelt.
weil sich da einer etwas traute. Was andere im forum@welt.de
werden, nicht als ihr Abschluss. Wir sind der zu langsam auf neue Herausforderungen reagie-
Meinung, dass klare und verständliche Regeln, die ren und dadurch unsere globale Wettbewerbs-
für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten, die fähigkeit schwächen. Zudem darf eine stärkere
Einhaltung und Durchsetzung der Regeln er- mittelfristige Ausrichtung nicht dazu führen, dass
leichtern. Wir sehen es daher als unsere Aufgabe
an, uns für verlässliche, transparente, leicht mess-
künftige Entwicklungen genutzt werden, um
heute notwendige fiskalische Anpassungen zu
bare und verbindliche Fiskalregeln in Europa verschleppen oder in die Zukunft zu verlagern.
einzusetzen. Denn diese vier Faktoren sind die Dies würde die Tragfähigkeit der öffentlichen
Bedingungen für eine Gleichbehandlung der Mit- Finanzen auf Dauer weiter belasten und die Wäh-
gliedstaaten. Quantitative Kriterien, die für alle rungsunion destabilisieren. Es braucht klare Vor-
Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten, tragen gaben und gemeinsam festgelegte und nachvoll-
dazu bei, indem sie eindeutige Mindestanforde- ziehbare Ziele. Dabei müssen wir die richtige
rungen formulieren, die eine Konsolidierung Balance zwischen den Befugnissen der EU-Kom-
ermöglichen und wirtschaftliches Wachstum mission einerseits und denen der Mitgliedstaaten
unterstützen. Fiskalpolitik spiegelt letztendlich andererseits beibehalten. Die Verträge sehen eine
die politischen Prioritäten wider. multilaterale Überwachung und damit auch eine
Die Vorschläge der Kommission sehen eine wichtige Rolle für die Mitgliedstaaten vor. Dies
stärkere mittelfristige Ausrichtung der Haushalts- muss weiterhin gewährleistet sein.
politik vor. Dies hat Vorteile, vor allem weil fi- Wir werden uns in den kommenden Wochen
nanzpolitische Risiken über den kurzfristigen und Monaten weiterhin intensiv und konstruktiv
Horizont hinausgehen und nicht außer Acht ge- mit unseren europäischen Kolleginnen und Kolle-
lassen werden können. Und es kann Ländern gen beraten. Unser Ziel ist es, für Europa und
kurzfristig mehr Spielraum für politische Prioritä- seine Bürgerinnen und Bürger ein fiskalisches
ten geben, wenn sie sich zu Wirtschaftsreformen, Regelwerk zu erarbeiten, das beides miteinander
die langfristig die öffentlichen Finanzen und die verbindet: tragfähige öffentliche Finanzen und
Schuldentragfähigkeit verbessern, verpflichten Handlungsspielraum, um aktuelle und zukünftige
und damit beginnen, diese Reformen umzusetzen. Herausforderungen bewältigen zu können.
Gleichzeitig müssen wir uns fragen, wie wirksam
Reform- und Ausgabeentscheidungen sein wer- T Dieser Text ist ein gemeinsamer Artikel der
den, wenn sie zu weit im Voraus getroffen wer- Finanzminister von elf EU-Staaten: Christian
den. Wir bezweifeln, dass wir die besten Ergeb- Lindner (Deutschland), Zbyněk Stanjura (Tsche-
nisse erzielen können, wenn der Zeithorizont für chien), Magnus Brunner (Österreich), Assen Vas-
eine notwendige Konsolidierung weit über den silev (Bulgarien), Stephanie Lose (Dänemark),
Zyklus einer Legislaturperiode hinaus geht. Marko Primorac (Kroatien), Klemen Boštjančič
Werden Pläne zu weit im Voraus festgelegt, (Slowenien), Gintarė Skaistė (Litauen), Arvils
besteht die Gefahr, dass sie durch aktuelle Ent- Ašeradens (Lettland), Mart Võrklaev (Estland),
wicklungen überholt werden, dass wir in Europa Yuriko Backes (Luxemburg)
FORUM 7
KOMMENTAR
Westliches
Wegducken
CLEMENS WERGIN
E
s kann inzwischen kaum noch
Zweifel daran geben, dass Russ-
land den Kachowka-Staudamm
gesprengt und damit eine menschen-
gemachte Katastrophe ausgelöst hat.
Denn nachdem norwegische Erdbeben-
forscher ermittelt haben, dass es tat-
sächlich, wie Augenzeugen berichten,
eine nächtliche Explosion am Stau-
damm gab, bevor der in den Wasser-
massen versank, darf auch die These
als widerlegt gelten, der Damm sei
möglicherweise wegen des hohen Was-
serdrucks im bis zum Rand gefüllten
Reservoir kollabiert.
Russland hat in diesem Krieg viele
Tabus gebrochen, aber die Sprengung
des Dammes stellt noch einmal eine
neue Dimension von Kriegsverbrechen
dar. Und deshalb ist es so problema-
tisch, dass der Westen und die interna-
tionale Gemeinschaft bisher nur mit
verurteilenden Statements darauf rea-
giert haben, aber keine neuen Maß-
nahmen gegen Russland beschlossen.
Das ist erstaunlich, weil sich im Wes-
ten eigentlich ein Konsens heraus-
gebildet hat, dass es falsch war, Russ-
land bei früheren Kriegen nicht klarere
Stoppzeichen gezeigt zu haben und
dass auch die Straflosigkeit bei frühe-
ren Kriegsverbrechen Moskau nur
ermuntert hat, immer neue zu be-
gehen. Aufgrund dieser Vorerfahrungen
sollte klar sein, dass der Kreml west-
liches Wegducken nur als Anreiz für
weitere Verbrechen sehen wird. So ist
etwa bekannt, dass Russland inzwi-
schen noch zwei weitere, kleinere
Dämme zerstört hat, um den ukrai-
nischen Vorstoß in der Oblast Sapo-
rischschja zu erschweren und offenbar
auch weitere Katastrophen vorbereitet.
So sollen die Russen laut ukrainischem
Geheimdienst eine Fabrik im Norden
der Krim vermint haben, in der 200
Tonnen Ammoniak gelagert werden.
Zudem spielt Russland auch seit Mona-
ten damit, eine Havarie im russisch
kontrollierten größten Atomkraft Eu-
ropas in Saporischschja auszulösen.
Westliche Politiker haben in der
Vergangenheit stets einen Mangel an
Fantasie an den Tag gelegt, wenn es
darum ging, sich vorzustellen, zu wel-
chen Gräueltaten Russland noch alles
fähig sein würde. Doch inzwischen
sollte klar sein, dass Russland in der
Ukraine zu einer Politik der verbrann-
ten Erde übergegangen ist. Und je
niedriger der Preis, den Russland für
die Zerstörung des Staudammes zahlen
muss, desto höher die Wahrscheinlich-
keit, dass Moskau bald die nächste
Umweltkatastrophe auslösen wird.
Dann vielleicht im Atomkraftwerk von
Saporischschja.
clemens.wergin@welt.de
LESERBRIEFE
Deutscher Sonderweg
Zu: „Nancy Faesers neuer
Asyl-Vorstoß“ vom 12. Juni
Was für ein unwürdiges Schauspiel, das
die Innenministerin nach dem EU-
Asylkompromiss vollzieht. Wohl unter
dem Druck der linken Flügel der SPD
und der Grünen hat sie angekündigt,
über die Hintertür doch noch versu-
chen zu wollen, den von diesen Flügeln
gewünschten und auf dem EU-Gipfel
abgelehnten deutschen Sonderweg
durchzusetzen, um so Familien mit
Kindern an den Asylverfahren an den
EU-Außengrenzen vorbei direkt nach
Deutschland bringen zu können. Dieses
Ansinnen zeigt, dass moralisch über-
höhte Vorstellungen in vielen Köpfen
dieser Parteien wichtiger sind als
Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit.
GERHARD BANHOLZER, PER MAIL
Ihre Post an: DIE WELT, Brieffach 2410, 10888
Berlin, E-Mail: forum@welt.de
Leserbriefe geben die Meinung unserer Leser wie-
der, nicht die der Redaktion. Wir freuen uns über
jede Zuschrift, müssen uns aber das Recht der
Kürzung vorbehalten. Aufgrund der sehr großen
Zahl von Leserbriefen, die bei uns eingehen, sind wir
leider nicht in der Lage, jede einzelne Zuschrift zu
beantworten.
8 GESELLSCHAFT DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023

S
LIEBESDIENSTE ie war noch sehr jung, als ter den Kulissen bleiben. Und da spüre
sie mit ihrer Stimme ich die Rebellin in mir, die da sagt: Die
Deutschland verzauberte. müssen mich schon ertragen. Auch mit

So können Sie sich neu in Eva Briegel (44), Frontfrau

der Gießener Band Juli,
surfte auf einer wahrlich perfekten
tausend Falten. Jede Falte von Keith Ri-
chards nimmt man einfach so hin. Der
Blick auf ältere Frauen dagegen ist ger-
Ihren Partner verlieben
„UNSERE
Welle, als sie ihre Karriere startete. Die ne voller Häme. Da muss sich noch eini-

E
ersten vier Singles der Band landeten ges ändern.
alle auf Platz eins in den Charts. Zwi-
ine Freundin er- ELKE NATERS sen und die des Partners schen den Alben tauchte Briegel immer Lassen Sie sich dann wohl die Haare

Beziehung
zählte mir neulich, einzunehmen. Das allein mal wieder ins Privatleben ab. 2010 färben?
dass sie an einem ist schon ein großes Ge- wurde sie Mutter einer Tochter, wäh- Ja, bestimmt (lacht). Grau ist nicht so
Tiefpunkt ihrer Ehe ent- schenk, das wir uns viel zu rend der letzten Pause beendete sie ihr meins.
schieden hat, ihren Mann selten geben, weil jeder Studium. Nach neun Jahren meldet

zur
wieder mit einem liebe- seinen Standpunkt vertei- sich die Band Juli mit dem Album „Der Gleich Ihr erstes Album holte 2004/
vollen Blick zu begegnen. digt und dem anderen un- Sommer ist vorbei“ und einer Deutsch- 2005 siebenmal Gold dreimal Platin
Sie sagte: „Ich konnte nichts Liebens- ter die Nase reibt, damit er endlich mal land-Tournee zurück. Eva Briegel und wurde Nummer eins. Was macht

WELT
wertes mehr an ihm finden. Alles, was versteht und zuhört. Der liebevolle Blick spricht über Social-Media-Ängste, ihr so was mit einem?
ich sah, veranlasste mich zu Kritik oder lässt das für einen Moment vergessen. Uni-Leben und Falten. Ist ja schon ein Weilchen her, aber ich
schlechter Laune.“ Er konnte ihr nichts Er ist ganz beim anderen. Er nimmt das erinnere mich, dass es für uns alle ein
recht machen. Stattdessen hatte sie Beste an und sucht das Gute. Wie meine VON STEFAN FROMMANN großer Spaß war. Es war wie ein Rake-
sich daran gewöhnt, ihn so zu sehen. Freundin sagte: „Wenn mir etwas nicht tenabschuss, wir wurden in den Orbit
„Als ich mich eines Tages fragte: Wa- gefällt, dann schaue ich so lange hin, bis WELT: Sie haben seit 2014 pausiert. geschleudert und waren auf einmal pro-

war gekappt“
rum bin ich eigentlich noch mit ihm zu- ich etwas Schönes entdecke.“ Was haben Sie seitdem gemacht? fessionelle Musiker. Geschadet oder
sammen?, wurde mir bewusst, wie ich Es gibt immer Schönes zu entdecken, Ich habe meinen Bachelor gemacht in verändert hat es uns nicht. Ich erkenne
ihn sehe – und das erschreckte mich“, wenn wir bereit sind, danach zu su- Psychologie. Ich gebe zu, das hat ein we- in uns noch heute die Studies von da-
sagte sie. „Schon allein deshalb, weil chen. Manchmal müssen wir unsere ei- nig gedauert (lacht). Und ich habe mich mals, jede Persönlichkeit ist noch so wie
ich anderen Menschen dabei helfe, genen Widerstände überwinden, wenn gekümmert um alte Freunde und die damals. Es hat uns nicht verzofft, das
mehr Mitgefühl füreinander aufzubrin- die Realität nicht unseren Vorstellun- Familie. hätte durchaus auch anders kommen

Juli waren die angesagteste

gen und empathischer zu sein. Und gen entspricht. Indem wir nicht mehr können.
hier saß ich, mit dem eiskalten, lieblo- auf Widerstände reagieren, sondern sie Also haben Sie die Zeit komplett für

deutsche Band des neuen

sen Blick auf meinen Mann und null bewusst wahrnehmen und aushalten, sich genutzt? „Perfekte Welle“ wurde nach dem
Mitgefühl, was er meiner Ansicht nach können Wunder geschehen. Jeder Wi- Kreative Arbeit kann auslaugen. Die Tsunami 2004 von den Radiosendern
auch nicht verdiente.“ derstand, den andere in uns auslösen,
In diesem Augenblick wusste sie, ist eine Gelegenheit, gelassener und lie-
permanente Beschäftigung mit sich
selbst und seinem Inneren ist superan- Jahrtausends. Nach neun aus dem Programm genommen. So et-
was passiert auch nicht jedem. Wie
dass sie etwas ändern musste. „Dass bevoller zu werden – für uns selbst.
ICH etwas ändern musste und wollte. Denn letztendlich betrifft es immer un-
strengend, glauben Sie mir. Ich wollte
mit dem Studium etwas Kognitives leis-
Jahren Pause kehren die haben Sie das verkraftet?
Natürlich haben wir das verstanden. Ich
Und das habe ich dann auch getan. Ich ser eigenes Herz. ten, außerdem wollte ich ein Diplom bei Gießener zurück. Frontfrau habe aber zum Glück noch niemanden

Eva Briegel über eine völlig

habe das angewandt, was ich immer Ein Klient, der darunter leidet, dass mir hängen haben. Das Studieren war so getroffen, der das Lied mit der Kata-
lehre: Wenn mir etwas nicht gefiel, ha- er oft heftig reagiert, wenn ihm etwas cool – ich saß in der letzten Reihe im strophe in Verbindung gebracht hat.
andere Musikbranche
be ich so lange hingesehen, bis ich et- gegen den Strich läuft, erzählte mir auf Hörsaal mit einer Clique von ein paar Das ist mir sehr wichtig, dass es kein
was sah, das mir gefiel und habe mei- die Frage, wie er sich in solchen Situa- älteren Studenten, die auch schon eini- Trigger ist. Die Katastrophe hat viel-
nen Mann neu entdeckt.“ tionen lieber erleben würde, von einem ges hinter sich haben. mehr bei mir dazu geführt, dass ich die
Dadurch hat sich ihr Blick auf ihren Kurierfahrradfahrer, den er vor vielen Perfekte Welle heute noch hören kann.
Mann verändert, sie entdeckte neue Jahren in New York beobachtet hatte. Warum haben Sie sich für Psycho- Denn es hat Platz gemacht für weitere
Qualitäten, die ihr bislang entgangen Ein Autofahrer schnitt ihm die Spur ab logie entschieden? gute Lieder.
waren, und neue, die ihr noch nicht be- und hätte ihn fast überfahren, wenn er Ich wollte das schon immer, hatte den
wusst waren. „Vielleicht hat auch mein nicht blitzschnell ausgewichen wäre. Quereinstieg aber verpasst, weil ich Sie waren sehr jung schon so erfolg-
veränderter Blick sein Verhalten verän- Der Kurier fuhr einen eleganten Bogen mich früher nicht in der Lage sah, dort reich. Wie war das?
dert, das kann gut sein. Ich habe mich um das „Hindernis“, machte ein Ge- dreimal die Woche um acht Uhr früh Damals war das eine andere Bekannt-
langsam wieder in meinen Mann ver- räusch, indem er den angehaltenen aufzuschlagen. Jetzt hatte ich hunderte heit als heute. Du warst als Musiker in
liebt. Das war verrückt, wie die Liebe Atem ausstieß, das sich wie ein von Wartesemestern und habe das Ding den Medien präsenter, man kannte da-
zurückkommt, wenn man sich nur ent- „Huuiiii“ anhörte, und fuhr weiter, als durchgezogen. Das passt sehr gut zu durch dein Gesicht. Du bist auf der
scheidet, jemand anders zu sehen. Mit wäre nichts geschehen. Daran erinnert meinem Plan, mich einmal um die men- Straße aufgefallen. Wir waren super-
Liebe zu sehen. Was man mit seinen er sich jetzt jedes Mal, wenn ihm „je- tale Gesundheit von Musikern zu küm- jung, und auf einmal fiel unser Schutz
Kindern ja ständig macht: Egal, wie mand in die Quere kommt“. Huuiii. mern. Da liegt nämlich ganz viel im Ar- weg. Wir konnten nicht wie Grönemey-
sehr sie einem auf die Nerven gehen – Tief durchatmen. Mehr nicht. gen. In der Branche bräuchten viele er sagen, wir ziehen jetzt nach England,
wenn sie abends friedlich in ihrem Diese Geschmeidigkeit und Flexibili- Leute Unterstützung, aber viele Thera- oder wie Fahrin Urlaub, der die Hälfte
Bettchen liegen, ist man wieder voller tät kann und muss man trainieren. peuten wissen leider nicht, wie die Be- des Jahres irgendwo auf Weltreise ist.
Liebe für sie. Das funktioniert auch mit Geistig wie körperlich. Jede widrige Si- lastungen wirklich aussehen. Das gilt Wir fühlten uns total unter Beobach-
dem Mann.“ tuation ist eine Gelegenheit dafür. Das auch für Kritikfähigkeit. tung und haben uns unheimlich nach
Auch ich habe mich immer wieder in lässt sich nicht nur auf den geliebten Ruhe gesehnt.
meinen Mann neu verliebt, nachdem Menschen anwenden, sondern auch auf Was heutzutage besonders wichtig ist
mir der liebevolle Blick für ihn verloren alle Situationen im Leben. Der liebevol- wegen der Online-Kommentare? Sie flüchteten regelrecht auf die
gegangen war. Wurde mir das bewusst, le Blick ist der Herzöffner. Der Schlüs- Absolut. Diese zum Teil gemeinen Kom- Bühne?
und ich schaute wieder genau hin, wur- sel zum Herzen. mentare bekommen immer mehr Kann man so sagen, wir waren jahrelang
de mir klar, dass mein Mann nicht bes- Nur durch ein offenes Herz kann Macht. Man sieht oder kennt den ande- nur auf Tour. Danach waren wir richtig
ser sein konnte, als ich ihn sah. Meine Freude und Liebe fließen. Wir ver- ren ja nicht einmal. Da ist es nicht damit erschöpft, körperlich wie mental. Ich
Unzufriedenheit hatte nichts mit ihm schließen unser Herz, weil wir glauben, getan, dem Künstler zu sagen, er solle habe gemerkt, dass ich ganz viel im Le-
zu tun, sondern mit meiner Wahrneh- dass wir es dadurch beschützen. Das da drüberstehen. Da muss man auf eine ben meiner Freunde und meiner Fami-
mung. Ich hätte mich auch auf andere passiert ganz unbewusst, und genau andere Art drauf reagieren. Wie genau, lie verpasst hatte. Da habe ich mir ge-
Dinge konzentrieren können, wie zum das Gegenteil ist der Fall. Der Liebe das lerne ich noch. Ich mache als Nächs- schworen: Das passiert dir nicht noch
Beispiel darauf, dass er jeden Morgen wird die Luft abgedreht, und man tes meinen Master, und dann wartet ei- mal. Auf die Überholspur zu ziehen und
für die Kinder sorgte, während ich im selbst leidet am meisten darunter. Ein ne Therapeutenausbildung, wo man nichts mehr mitzubekommen, das kann
Bett bleiben konnte. Obwohl er das re- verschlossenes Herz schützt also nicht, sich dann spezialisiert. böse enden. Deshalb machen wir diese
gelmäßig tat, war es nicht selbstver- sondern schadet einem nur selbst. Ein regelmäßigen, längeren Pausen.
ständlich. Dafür bin ich ihm immer einziger Gedanke, eine Entscheidung, Hätten Sie sich als junge Künstlerin
noch dankbar. Nur weil etwas regelmä- kann das ändern. Mit ein wenig mehr psychologische Betreuung gewünscht? 2008 verschwanden Sie erstmalig
ßig getan wird und nicht erwähnt wird, Gelassenheit, Akzeptanz, Bewusstsein Ich hätte mir jemanden gewünscht, komplett aus der Öffentlichkeit.
bedeutet das nicht, dass es ein beson- und liebevollem Blick wird vieles gleich der sonst Sportler betreut. Dieses auf Alle haben gesagt: Holt die Leute jetzt
AMÉLIE SIEGMUND

derer Liebesdienst ist. Aber das über- ein ganzes Stück leichter. den Punkt fit zu sein, das hat uns ab, spielt Konzerte, macht weiter Mu-
sieht man eben leicht. Künstlern nie jemand beigebracht. Wir sik. Wir haben bei der Arbeit zur zwei-
Nicht die Liebe verschwindet also, T Elke Naters hat mit ihrem Mann waren die Band von nebenan, sympa- ten Platte aber gemerkt, dass das Mate-
sondern der liebevolle Blick füreinan- Sven Lager Bücher geschrieben und thisch, natürlich, alle meinten nur, lass rial dünn wird. Wir waren ja nur auf
der. Es ist eine Nachlässigkeit, die sich Paare in ihrer School of Love Berlin die mal so wie sie sind. Ich hätte gut Tour, hatten immer dieselben Leute
einschleicht, aber große Folgen haben beraten. Nach seinem Tod im April 2021 Hilfe benötigt, wenn ich mal was ver- um uns herum. Es gab wenig, worüber
kann. Empathie spielt dabei eine große führt sie die Kolumne und Beratungen semmelt habe. Ein Beispiel: Bei einem wir singen konnten. Über Popkultur
Rolle, die eigene Perspektive zu verlas- allein weiter. Festival namens Life Earth war ich to- Brauchen Sie die Bühne? Manche Sänger verlieren im Alter die und Festivalszene, aber das hat für an-
tal aufgeregt, ich hatte keinen Moni- Ich fühle mich superglücklich, dass ich Stimme. dere Leute ja überhaupt keine Rele-
torsound, wollte maximal Power ge- diese Band habe. Sie ist meine Zeitkap- Ja, ich weiß, das macht mich unheimlich vanz. Unsere Beziehung zur Welt war
ben, bin gesprungen und gerannt – und sel. Wenn ich mit ihr auf die Bühne ge- traurig. Wenn man Sänger ist und nicht gekappt. Ich brauche Musik, um Dinge,

21-Jährige stirbt bei Attacke hab so schief gesungen. Das kann mal
passieren, aber fängst du an, darüber
nachzudenken, wie viele Leute vor der
he, fällt alles von mir ab, ich fühle mich
dann wieder so jung.
mehr singen kann, verliert man seine
Bestimmung. Der Körper muss angstlos
sein, um gut singen zu können. Auf der
die in meinem Leben passieren, zu ver-
arbeiten. Wenn da aber nichts mehr
passiert, wird alles sehr beliebig. Wir
nahe Schloss Neuschwanstein Bühne standen und erst vor dem Fern-
seher saßen, dann wird es hart. Da hät-
Haben es Künstler schwerer als zu der
Zeit, als Sie begannen?
anderen Seite muss ich sagen: Wenn die
Leistung stimmt, erwarte ich vom Pu-
waren wirklich weit weg vom normalen
Leben.

Mann stößt zwei Touristinnen Abhang hinunter

te ich mir einen Coach gewünscht, der Ja, weil die Leute immer mehr wegblei- blikum, dass es mich auch akzeptiert,

I
n der Nähe von Schloss Neuschwan-
stein in Bayern hat ein Mann am
Mittwoch zwei Touristinnen ange-
griffen und einen steilen Abhang hinun-
ter gestoßen. Eine 21-Jährige starb in
der Nacht zum Donnerstag an ihren
schweren Verletzungen, wie das Polizei-
präsidium in Kempten mitteilte. Eine
weitere, 22 Jahre alte Frau befindet sich
im Krankenhaus. Gegen den 30-jährigen
mutmaßlichen Angreifer wurde am
Donnerstag Haftbefehl erlassen. Bei
dem Mann und den beiden Opfern han-
delt es sich um US-Bürger.
Die beiden jungen Frauen trafen den
Angaben zufolge am Mittwochnachmit-
tag auf einem Wanderweg östlich der
Marienbrücke in der Gemeinde
Schwangau zufällig auf den Mann und
schlossen sich ihm an. Die Brücke bietet
einen guten Blick auf die Pöllatschlucht
und das darüber liegende Schloss Neu-
schwanstein. Der Tourist habe die bei-
den dann unter einem Vorwand auf ei-
nen schwer einsehbaren Trampelpfad
gelotst, der zu einem Aussichtspunkt
führt. Dort soll er die 21-Jährige ange-
griffen haben. Als ihre 22-jährige Beglei-
terin einschreiten wollte, soll er diese
gewürgt und einen steilen Abhang hi-
nunter gestoßen haben. Einem Spre-
cher der Staatsanwaltschaft Kempten
zufolge soll es dann zu einem versuch-
ten Sexualdelikt an der 21-Jährigen ge-
kommen sein. Auch diese soll der Mann
anschließend in die Schlucht hinab ge-
stoßen haben, wo sie nach 50 Metern
neben ihrer Begleiterin zum Liegen ge-
kommen sei.
Beide Frauen wurden von der Berg-
wacht geborgen. Mit einem Großaufge-
bot fahndete die Polizei nach dem Täter.
Dabei wurden auch Hunde und ein Poli-
zeihubschrauber eingesetzt. Polizeibe-
amte nahmen den Mann wenig später in
Tatortnähe fest. Der zuständige Ermitt-
lungsrichter am Amtsgericht Kempten
erließ gegen den 30-Jährigen Haftbe-
fehl. Gegen ihn wird wegen versuchten
Mordes und Mordes sowie wegen eines
Sexualdelikts ermittelt. Die Polizei
sucht nun Zeugen des Vorfalls. AFP/kami
mich vor der Show ermahnt, die Sache ben. Kaum jemand geht noch spontan wenn ich 50, 60 oder 70 bin. Da wäre ich Lebten Sie denn das Leben eines
und auch mich ein bisschen ernster zu zum Konzert. Das hat immer mehr echt sauer, wenn die Leute nicht mehr Rockstars?
nehmen. Eventcharakter. Natürlich liegt das kämen, nur weil sie mich für alt halten Auch nicht. Dafür waren wir viel zu dis-
auch an den Preisen. Zwei Tickets kos- würden. zipliniert. Heute dies, morgen das. Kein
Also einen Aufpasser? ten vielleicht 200 Euro, dazu die Anrei- 70er-Jahre-Rockstar-Leben mit Privat-
Eher eine Mami. Eine, die darauf achtet, se, Parkplatz, Getränke, möglicherwei- Haben Sie es als Frau schwieriger als jet, Groupies und Drogen. Man lebt in
dass die Garderobe schön warm ist, se eine Übernachtung oder ein Babysit- Männer? Kennen Sie viele ältere einer Villa, und Eric Clapton kommt
dass ich vor der Show ordentlich was ter. Ich kann es den Leuten nicht ver- Frontfrauen? vorbei, und man spielt mit ihm sechs
gegessen habe. All solche Sachen. Und übeln, wenn sie sich das immer genauer Wir haben mal mit Suzi Quatro gespielt, Wochen lang stoned irgendwelche Riffs.
mich nicht einfach unvorbereitet auf überlegen. das war ein cooles Konzert. Die hat es Unser Leben bestand aus Konzerten,
die Bühne stolpern lässt. Oder mich wirklich noch drauf. Ansonsten Blondie, Festivals und Studios, und das war mir
sechs Stunden nach der Show noch im Was denken Sie, wie lange Sie Musik also Deborah Harry. Das war es. irgendwie zu künstlich. Ich musste
Backstage-Bereich rumhängen lässt, machen können? dringend mal wieder echte Leute ken-
sondern ins Bett schickt. Mich hatte Corona gleich am Anfang in Und hätten Sie da Lust drauf? nenlernen, die keine Musik machen.
seiner wilden Form erwischt. Danach Man braucht richtig Mut, um was wirk- Deshalb haben wir die längere Pause
Auf dem neuen Album wirken Sie hatte ich anderthalb Jahre mit Long lich Tolles im Alter zu machen. Johnny eingelegt.
ziemlich melancholisch. Woran liegt Covid Symptomen zu kämpfen. Ich Cash hatte diesen Mut, als er dieses
das? war ständig schlapp, und sobald ich ei- schwarze Album gemacht hat. Davor ha- Sie haben die sechs Jahre Auszeit ge-
Eigentlich bin ich eher ein heiterer nen Miniinfekt bekam, hatte das sofort be ich große Hochachtung. Marlene nutzt, um voll ins Privatleben einzu-
Mensch. Juli ist immer von beidem et- Auswirkungen auf die Lunge. Sie pfiff, Dietrich hat sich zurückgezogen, sie tauchen. Sie haben 2010 eine Tochter
was, fröhlich-heiter, aber auch traurig- und ich war kurzatmig, das Ganze en- wollte, dass wir sie in Erinnerung behal- bekommen.
melancholisch. Dadurch entsteht diese dete dann in Asthma. Da wäre an Kon- ten, wie sie mal war. Ich finde das eine Ja, ich habe mit meinem Freund Andy
Mischung aus all den Empfindungen. zerte nicht zu denken gewesen, und sehr menschenfeindliche Sicht auf sich eine Familie gegründet, und als es mit
Mir fällt es aber immer leicht, die Kurve natürlich hat mich das nachdenklich selbst. Frauen neigen dazu, sich zurück- Juli wieder losging, habe ich Yoko, so
zum Positiven zu kriegen. Zum Absau- gemacht: Früher konnte man am zuziehen, bevor jemand auf die Idee heißt unsere Tochter, als Baby mit auf
fen habe ich kein Talent. Beim Hörer Abend sechs Bier reinkippen und am kommt, sie dafür zu kritisieren, dass sie Tour genommen. Mein Mann konnte
kommt am besten das an, was er gut nächsten Tag problemlos singen, und noch da sind. Frau soll schön und gut auch mit, weil seine Band Mia Pause ge-
empfangen kann. jetzt das! sein, sonst soll sie bitte Backstage hin- macht hatte, das war richtig schön.

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WIRTSCHAFT UND GELD
DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023 SEITE 9 *

BÖRSEN-WELT: INDIZES
DAX 16290,12 Dow Jones 34340,87 Euro in $ 1,0935 Gold $ / Feinunze 1957,70 Rohöl $ / Barrel 75,22 Bund-Future 132,79 Kanada Großbritannien Deutschland Japan
20023,48 +0,04 1544,84 +0,34 16290,12 –0,13 33485,49 –0,05

DAX
• ••••• Europa

15.06. Kurs Veränderung 12 Monate Marktk. Div. Div. KGV Kurs

in €
Veränderung
Vortag in % Tief
12 Monate
Vergleich
Marktk.
Hoch Mrd. €
Div.
in €
Div.
Rend.
KGV
2023
•
4367,39 –0,20
•
• •
in € Vortag in % Tief Vergleich Hoch Mrd. € in € Rend. 2023
Adidas NA 174,18 WW –0,3 93,40 _________b _ 179,6 31,35 0,70 0,40 Henkel Vz. 73,94 WW –0,4 57,30 ________b __ 78,84 13,17 1,85 2,50 21,43 Frankreich
Airbus 129,86 +0,2 WW 86,53 __________b 131,2 102,64 1,80 1,39 22,58 Infineon NA 38,76 WW –0,3 20,68 __________b 39,16 50,61 0,32 0,83 19,38 USA 7290,91 –0,51
Allianz vNA 209,80 0,0 W 156,2 _______b ___ 228,4 84,62 11,40 5,43 8,82 Mercedes-Benz 75,18 WW –0,2 50,19 __________b 75,92 80,43 5,20 6,92 6,19 34340,87 +1,06
BASF NA 46,36 WWWW –1,0 37,90 _____b _____ 54,04 41,43 3,40 7,33 11,31 Merck 164,20 WWWWWWWWW –2,3 153,1 __b ________ 202,8 21,22 2,20 1,34 20,40 Australien
Bayer NA 51,81 0,0 W 46,70 ___b _______ 65,66 50,90 2,40 4,63 10,16 MTU Aero 226,00 W –0,1 149,2 ________b __ 245,1 12,08 3,20 1,42 22,94 Schweiz 7370,00 +0,21
Beiersdorf 119,80 +0,3 WW 88,94 ________b __ 128,6 30,19 0,70 0,58 31,12 Münch. R. vNA 327,90 +0,2 WW 212,7 _________b _ 346,9 44,75 11,60 3,54 10,93 Brasilien 11302,83 +0,22
WW –0,3 WWWWWWWWW –2,5

•
__________b ________b __
BMW St. 112,52 68,44 113,5 67,74 8,50 7,55 8,15 Porsche AG Vz. 114,30 81,00 120,8 52,06 - 19,54 119143,05 +0,69
WWWWWWW –1,8 WWWW –0,8

•
________b __ ___b _______

•
Brenntag NA 72,84 53,58 77,60 11,25 1,45 1,99 13,61 Porsche Vz. 57,46 48,38 74,98 8,80 2,56 4,46 3,24
Commerzbank 10,12 WWW –0,6 5,65 _______b ___ 12,01 12,67 0,20 1,98 6,98 Qiagen 42,29 W –0,1 39,62 ___b _______ 49,37 9,63 - 24,17
Continental 72,02 +0,2 WW 44,31 ________b __ 79,24 14,40 1,50 2,08 10,07 Rheinmetall 247,70 +1,0 WWWW 140,5 ________b __ 281,3 10,79 4,30 1,74 17,69
Covestro
Daimler Truck
Dt. Bank NA
Dt. Börse NA
40,89
32,38
9,64
169,25
+0,2 WW
WW –0,2
WWWWWWWWWWW –3,0
+1,3 WWWWWW
27,69
22,48
7,25
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________b __
_________b _
_____b _____
_____b _____
44,10
33,31
12,36
186,4
7,90
26,65
19,66
32,16
0,30
3,60
-
-
3,11
2,13
45,43
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4,94
18,50
RWE St.
SAP
Sartorius Vz.
Siem.Energy
39,99
124,78
345,40
23,07
+0,1 W
WWW –0,6
+1,5 WWWWWW
WWWWWWWWWW –2,7
34,40
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______b ____
__________b
___b _______
_________b _
43,96
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24,81
27,04
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12,93
18,44
0,90
2,05
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-
2,25
1,64
0,42
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38,59 •
Dt. Post NA 44,17 +1,2 WWWWW 29,68 __________b 44,64 54,73 1,85 4,19 13,19 Siem.Health. 52,52 WW –0,4 40,32 _______b ___ 58,08 59,24 0,95 1,81 29,18 Argentinien Südafrika Indien China
Dt. Telekom 19,36 +1,2 WWWWW 17,35 ___b _______ 23,13 96,56 0,70 3,61 12,49 Siemens NA 165,78 +0,9 WWWW 93,67 __________b 166,3 132,62 4,25 2,56 20,22 378695,36* –0,84 3444,15 +1,17 62917,63 –0,49 19827,89 +2,13
E.ON NA 11,15 WWWWW –1,1 7,28 ________b __ 12,29 29,45 0,51 4,57 12,39 Symrise 95,16 +2,6 WWWWWWWWWW 90,08 __b ________ 115,1 13,30 1,05 1,10 29,28

D
Fresenius 25,49 WW –0,3 19,69 ______b ____ 29,71 11,67 0,92 3,61 9,27 Vonovia NA 18,48 WWWWWWWWW –2,3 15,27 __b ________ 33,16 14,70 0,85 4,60
Hann. Rück NA 190,65 WW –0,3 131,4 ________b __ 206,8 22,99 6,00 3,15 12,80 VW Vz. 130,08 WWWWW –1,3 112,8 ____b ______ 153,7 26,82 8,76 6,73 4,23 Veränderungen sind zum Vortag und in Prozent.
Heidelb. Mat. 72,50 WWWWWW –1,4 38,73 __________b 73,88 14,00 2,60 3,59 9,24 Zalando 25,75 WWWWWWWWWW –2,5 19,18 __b ________ 45,81 6,79 - 46,82 * = Preis vom Vortag oder letzt verfügbar. Alle Angaben ohne Gewähr. Quelle

Digitaler Euro er Plan der Ampelfraktio-

nen im Bundestag zum
Hackschnitzeln oder Holzpellets geben
wird. Bislang ist Holz die einzige nen-

nur Ergänzung Umbau des Heizungsge-

setzes ist aus Sicht von
nenswerte erneuerbare Energiequelle
im Wärmesektor. Nach Habecks altem

zu Cash
Bundeswirtschaftsminis- Gesetzentwurf sollten Holzheizungen
ter Robert Habeck (Grüne) grundsätz- im Neubau verboten und im Altbau an
lich okay, bis auf eine Kleinigkeit: „Das teure, aufwändige Voraussetzungen ge-
Bundesbank erneuert einzige, was mich nicht zufrieden ge- knüpft werden. Nach einem Aufschrei
Bekenntnis zum Bargeld
macht hat, ist, dass wir für zwei Seiten des Protests, vor allem aus Bayern, wo

D
fünf Tage gebraucht haben.“ im Herbst Landtagswahlen anstehen,
wurde diese Einschränkung in den
ie Bundesbank hat angesichts VON DANIEL WETZEL „Leitplanken“ nun einkassiert. Die Re-
der voranschreitenden Diskus- gel, dass ab dem Jahr 2028 neue Heizun-

PICTURE ALLIANCE / IMAGEBROKER/ARNULF HETTRICH

sion um die Einführung eines
digitalen Euro ihr Bekenntnis zum Bar-
geld erneuert. Dies stehe nicht im Wi-
derspruch zu den Erwägungen, einen
digitalen Euro in Umlauf zu bringen,
sagte Bundesbank-Präsident Joachim
Nagel in einer Grußbotschaft zu einem
Bargeld-Symposium der deutschen No-
tenbank in Berlin. „Ein digitaler Euro
hätte ähnliche Eigenschaften und Vor-
züge wie Bargeld – nur eben in digitaler
Form“, sagte Nagel. Wie auch Bargeld
würde er Europa unabhängiger von in-
ternationalen Anbietern im Zahlungs-
Der Minister meint das zweiseitige
Konzeptpapier, mit dem die Parlamen-
tarier das umstrittene Gesetz entschär-
fen wollen, um es noch rechtzeitig vor
der Sommerpause in drei Wochen ver-
abschieden zu können. Es trägt den Ti-
tel „Leitplanken zur weiteren Beratung
des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG)“.
Alles was strittig war, wird darin abge-
räumt: Das Verbot von Gaskesseln und
Pelletheizungen ist vom Tisch, die fak-
tische Wärmepumpen-Pflicht erst ein-
mal aufgehoben. Stattdessen sollen nun
die „Leitplanken“ den Weg zu einer so-
gen zu 65 Prozent mit erneuerbarem
Brennstoff betrieben werden müssen,
werden mit Holz und Pellets nun „aus-
nahmslos erfüllt“.
So weit, so beruhigend für die Bio-
masse-Fans. Doch für Unsicherheit
sorgt ein rätselhafter Satz in den „Leit-
planken“: „Beim Einsatz von Holz und
Pellets sind Fehlanreize zu vermeiden.“
Was heißt das genau? Die Heizungsbau-
er und Brennstofflieferanten wittern in
dem erklärungsbedürftigen Satz die Ge-
Wärmebildaufnahmen machen Energieverlust sichtbar. Rötliche Töne signalisieren schlechte Effizienz fahr neuer Einschränkungen im Klein-
gedruckten. Ob das neue Gesetz wirk-

Rätselraten um die
verkehr machen. „Dabei soll der digitale zial verträglichen Wärmewende absi- lich so „technologieoffen“ sein wird,
Euro das Bargeld keinesfalls ersetzen, chern. Doch sie allein sind noch kein wie die FDP verspricht, wird auch von
sondern lediglich ergänzen,“ betonte er. Gesetzentwurf – und zentrale Punkte der Klärung dieser Frage abhängen.
Solange die Nachfrage nach Bargeld sind unklar, offen für Interpretationen
MIETER-BELASTUNG UMSTRITTEN

fortbestehe, würden die EZB und die
nationalen Notenbanken der Euro-Län-
der Bargeld jederzeit in ausreichender
Menge zur Verfügung stellen, sagte Na-
gel. Die Eurogruppe sollte sich mit der
Heizungsnovelle
oder sogar rund heraus widersprüch-
lich. Eine Übersicht über die größten Mit den Kosten des Einbaus einer wo-
Ungereimtheiten zeigt, dass auf den Ge- möglich teuren klimaneutralen Heizung
setzgeber in den drei Wochen bis zur sollen „Mieter nicht über Gebühr belas-
Sommerpause noch gewaltiger Klä- tet werden“, versprechen die „Leitplan-

Die Ampel-Fraktionen wollen dem Gebäude-Energie-Gesetz mit ihren

Option eines digitalen Euro befassen,
wie es im Umfeld des Bundesfinanzmi-
nisteriums hieß. Die Europäische Zen-
tralbank (EZB) werde dazu den Euro-Fi-
nanzministern einen Überblick geben.
Noch im Juni dürfte es dann einen Le-
gislativvorschlag der EU-Kommission
geben. Dabei müsse der Mehrwert für
Nutzer erkennbar werden.
Die EZB hatte im Herbst 2021 eine
zweijährige Untersuchungsphase einge-
leitet, um die Kerneigenschaften eines
Digital-Euro zu bestimmen. Im Oktober
will der EZB-Rat entscheiden, ob dem
Projekt endgültig grünes Licht erteilt
werden soll. Die daran anschließende
Vorbereitungsphase könne zwei bis drei
Jahre dauern, sagte EZB-Direktor Fabio
Panetta unlängst. Die Digital-Version
der Gemeinschaftswährung könne so-
mit in etwa drei oder vier Jahren als
Zahlungsmittel in den Umlauf gebracht
werden.
Aus Sicht der Deutschen Kreditwirt-
schaft (DK) sollte ein digitaler Euro die
bestehenden Bezahlmöglichkeiten für
die Verbraucher ergänzen, wie es in ei-
nem am Donnerstag veröffentlichten
Positionspapier hieß. „Als zweite neue
Geldform sollte von der EZB tokenisier-
tes Zentralbankgeld für Kreditinstitute
geschaffen werden (Wholesale-Digita-
rungsbedarf wartet.
WÄRMEPLANUNG AUF DEM LAND
Das neue Konzept sieht vor, dass Hei-
zungsvorgaben für Bürger erst gelten,
wenn der Versorger eine „kommunale
Wärmeplanung“ vorgelegt hat, was bis
2028 erfolgen muss. „Solange keine
Kommunale Wärmeplanung vorliegt,
gelten beim Heizungstausch die Rege-
lungen des GEG noch nicht“, heißt es in
den „Leitplanken“. Offen bleibt die Fra-
ge, was für Orte gilt, in denen die kom-
munale Wärmeplanung nicht bis 2028
erstellt werden kann: Gilt das Heizge-
setz dort sofort – oder nie?
Das ist keine akademische Frage:
Nach dem Gesetzentwurf von Bundes-
bauministerin Klara Geywitz (SPD) da-
zu sollen nur Gemeinden ab 10.000 Ein-
wohnern zu so einer Planung verpflich-
tet werden. Was ist mit dem großen
Rest? „Das Wärmeplanungsgesetz sollte
für alle Kommunen gelten. Dabei soll-
ten gerade auch ländliche und dünner
Israels Geheimrakete soll Deutschland schützen
Die Bundeswehr kann bisher keine ballistischen Flugkörper abschießen. Mit dem Kauf des Abwehrsystems Arrow 3 soll sich das ändern
ken“. Bislang können laut Paragraf 559
BGB Vermieter acht Prozent der Kosten
„Leitplanken“ eine ganz neue Richtung geben. Doch vieles bleibt unklar
einer Modernisierungsmaßnahme auf
die Mieter abwälzen. Einige wollen die-
se Modernisierungsumlage aus Grün-
den des Mieterschutzes auf vier Pro-
besiedelte Gebiete mit eingeschlossen Menschen dort weiterhin keine Investi- bis 2045, dem Zieldatum der vollständi- zent absenken, die Linken im Bundes-
werden“, findet zwar der Bundesver- tionssicherheit in Heizungsfragen gibt“. gen Dekarbonisierung Deutschlands tag fordern sogar die komplette Ab-
band der Energie- und Wasserwirt- weiterbetrieben werden? Oder nur für schaffung. Nun ist in den „Leitplanken“
schaft (BDEW). Doch eine Absenkung UNKLARER ÜBERGANG drei Jahre, wie es im ursprünglichen auf einmal sogar von der Einführung
der 10.000-Einwohner-Grenze verken- Außerhalb von Neubaugebieten dürfen Entwurf hieß? Auch diese Frage muss „einer weiteren Modernisierungsumla-
ne die Realitäten auf dem Land, warnt Eigentümer auch ab 2024 weiterhin bis zur Sommerpause geklärt werden. ge“ die Rede. Was damit gemeint sein
der baupolitische Sprecher der CDU/ Gasheizungen einbauen, wenn diese könnte, darüber rätseln Mieterverbände
CSU-Fraktion im Bundestag, Jan-Marco „auf Wasserstoff umrüstbar“ sind. Was HEIZÖL AUF DEM HOLZWEG und Wohnungswirtschaft noch.
Luczak: „Das Gebäude-Energie-Gesetz aber, wenn die kommunale Wärmepla- Unklar ist, ob die geplanten Erleichte- Völlig mysteriös wird die neue Umla-
und die kommunale Wärmeplanung zu nung 2028 ergibt, dass ein klimaneutra- rungen für Gasheizungen auch für Öl- ge zu Lasten der Mieter durch das Ver-
verzahnen und parallel und synchron zu les Wärmenetz dort gar nicht verlegt heizungen gelten, die besonders im Vi- sprechen, dass die Heizungsförderung
beraten, ist richtig.“ Kleinere Kommu- werden kann: Muss die Heizung dann sier von Klimaschützern sind. Noch ver- des Bundes so hoch ausfallen soll, dass
nen hätten allerdings „in der Regel wieder herausgerissen werden? Und brennt jede fünfte Heizung in Deutsch- die Mieter „auch unter Berücksichti-
nicht das Know-how und die personel- falls ja: wann? Laut „Leitplanken“ wird land Heizöl. Flüssige Bio-Brennstoffe gung der weiteren Modernisierungsum-
len Kapazitäten für eine Wärmepla- es für Heizungen, die ab 2024 in Un- wären vielleicht eine Option, doch die lage finanziell profitieren“ sollen. Das
nung“. In der Folge, fürchtet Luczak, kenntnis der Ergebnisse der Kommu- „Leitplanken“ blenden das Thema kom- klingt nach einer Quadratur des Krei-
„wird 2028 praktisch für den gesamten nalplanung eingebaut werden, „ange- plett aus. ses, die vor der parlamentarischen Som-
ländlichen Raum keine Wärmeplanung messene Übergangsfristen“ geben. Aber Unklar bleibt ebenso, ob es noch eine merpause wohl nur schwerlich gelingen
vorliegen können, so dass es für die was ist angemessen? Kann die Heizung Regulierung bei der Verbrennung von dürfte.

D
ler Euro)“, hieß es darin. Diese zweite
Form für den Interbankenmarkt neben
einem Digital-Euro für die Verbraucher er Angriffskrieg Russlands in weit oberhalb der Region, die vom US- zwischen Israel und Deutschland“. dien, Japan und Singapur auch Arrow 3 vier Milliarden Euro steigen. Dabei soll
könne bei Kapitalmarkttransaktionen der Ukraine hat gezeigt, wo Abwehrsystem Patriot der Bundeswehr Wörtlich: „Deutschland und Europa beschaffen, was aber nicht gelang. Arrow aus dem sogenannten „Sonder-
und im Zahlungsverkehr zur Effizienz- auch in Deutschland riesige Ab- abgedeckt wird. Israel hat das Arrow- insgesamt werden von diesem Schritt Als die CDU/CSU-Fraktion im Bun- vermögen“ für die Bundeswehr bezahlt
steigerung genutzt werden. wehrlücken bestehen und die Bundes- System einst entwickelt, um gegen bal- profitieren, ebenso wie die israelische destag im März eine Anfrage an die werden.
„Wir unterstützen das Ziel der EZB, wehr Defizite hat. Dazu gehört die Ab- listische Raketen aus dem Iran ge- Wirtschaft.“ Bundesregierung mit 38 Fragen zu Ar- Die Entscheidung Berlins zum Kauf
dass der Zugang und die Nutzung des wehr ballistischer Angriffsraketen, die schützt zu sein, erklärt der Münchner Das jetzt von Deutschland bestellte row 3 stellte, blieb ein großer Teil aus von Arrow 3 aus Israel stößt unter ande-
Digitalen Euro möglichst nutzerfreund- bis in den Weltraum aufsteigen und Raketenexperte Markus Schiller auf An- Arrow-3-Raketensystem wurde vom Geheimhaltungsgründen unbeantwor- rem in Paris nicht auf Begeisterung.
lich gestaltet sein müssen“, erklärte die dann von großer Höhe aus ihr Ziel an- frage. Die Reichweite und Fähigkeiten staatlichen israelischen Luftfahrt- und tet. Mit dem System „soll vor allem der Deutschland sieht sich in einer Füh-
DK. Dies sei jedoch für Banken mit Kos- steuern. Deutschland will mit dem Kauf des Arrow-Systems sind größer als das Rüstungskonzern Israel Aerospace In- Schutz der Bevölkerung und des deut- rungsrolle beim geplanten europäi-
ten verbunden. Die DK fordert deshalb des israelischen Raketenabwehrsystems ebenfalls in Israel entwickelte Iron-Do- dustries (IAI) gemeinsam mit dem US- schen Staatsgebietes, aber auch ein we- schen Raketenschutzschild (European
ein „faires Vergütungsmodell“. Alle ent- Arrow 3 nachrüsten. me-Abwehrsystem, das kleinere, niedrig Konzern Boeing entwickelt. Die Kosten sentlicher Beitrag zur Raketenabwehr Sky Shield). Doch Frankreich hat eigene
stehenden Kosten müssten berücksich- fliegende Raketen bekämpft. Die Idee für eine Arrow 3-Rakete werden auf drei im Bündnis geleistet werden“, heißt es Vorstellungen und setzt auf ein mit Ita-
tigt werden. Der erwartete Legislativ- VON GERHARD HEGMANN gestaffelter Schutzkuppeln im Luft- Millionen Euro geschätzt. Sie soll an- in den Antworten. Keine konkreten lien entwickeltes Raketenschutzschild
vorschlag der EU-Kommission sei eine raum über Israel bis zur Raketenabwehr greifende Flugkörper möglichst direkt Aussagen werden zum Zeitpunkt der (SAMP/T Mamba). Hinter dem Schutz
wichtige Weichenstellung zur Schaf- Der Haushaltsausschuss hat jetzt als im Weltraum gegen atomare oder kon- abschießen, also mit „hit-to-kill“ Tech- Einsatzbereitschaft oder den Kosten ge- von Deutschland und Europa gegen An-
fung eines rechtlichen Rahmens. rtr ersten Schritt 560 Millionen Euro für ventionelle Sprengköpfe wird künftig nologie. Die Besonderheit: Außer Israel macht. Angeblich soll das System 2025 griffe aus der Luft steht also auch ein
die Beschaffung bewilligt. Das Abwehr- auch auf Deutschland übertragen. hat bislang kein anderer Staat das Ar- in Deutschland verfügbar sein. politisches, militärisches und indus-
system Arrow und die dazugehörige Ra- Israels Botschafter in Deutschland, row-3-Abwehrsystem, weil das Land of- Das Budget für ein Raketenabwehr- trielles Tauziehen. So sind in Polen und
kete Arrow 3 (dritte Generation) ist als Ron Prosor, würdigte die Entscheidung fensichtlich seine Militärgeheimnisse system für Flugkörper großer und mitt- Rumänien bereits die Raketenabwehr-
äußere Abwehrkuppel über Deutsch- zugunsten des Arrow-Abwehrsystems. nicht verbreiten will. Der Lieferung lerer Reichweite betrage insgesamt drei systeme Aegis-Ashore des US-Herstel-
Qualitäts-
land gedacht. Flugkörper großer und In einem Tweet beim Kurznachrichten- nach Deutschland muss neben Israel Milliarden Euro, lautete die Antwort lers Lockheed Martin aufgebaut, die
mittlerer Reichweite sollen noch außer- dienst Twitter bezeichnete er den noch die USA zustimmen, wovon aller- der Bundesregierung auf die Anfrage auch mögliche anfliegende Flugkörper
test für halb der Atmosphäre in etwa 100 Kilo- Schritt als „eine bedeutende Aufwer- dings auszugehen ist. Angeblich wollten der Opposition. Allerdings gibt es Spe- aus Russland entdecken und oberhalb
Druckereien ©2022 QUALITÄTSSTEUERUNG
meter Höhe zerstört werden. Das wäre tung der strategischen Beziehungen bisher die Türkei, Großbritannien, In- kulationen, dass die Kosten wohl auf der Atmosphäre abschießen sollen.

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10 WIRTSCHAFT UND GELD
Europas Jugend fürchtet
um ihren Wohlstand
Laut einer Studie sind junge Deutsche pessimistischer.
Eine schnelle Trendumkehr ist nicht in Aussicht
E
uropas Jugend verliert den Glau-
ben an eine bessere Zukunft.
Junge Menschen blicken pessi-
mistischer nach vorn, sie empfinden ih-
re Gesellschaften als ungerechter und
verabschieden sich von der Idee, dass
alle die gleichen Zukunftschancen ha-
ben. Das sind Ergebnisse der aktuellen
Jugendstudie „Junges Europa 2023“.
Das Meinungsforschungsunternehmen
YouGov hat dafür im Auftrag der TUI-
Stiftung mehr als 7000 junge Menschen
im Alter zwischen 16 und 26 Jahren in
Deutschland, Großbritannien, Frank-
reich, Spanien, Italien, Griechenland
und Polen befragt.
VON TOBIAS KAISER
Der zentrale Befund der Meinungs-
forscher: Europas Jugend glaubt mehr-
heitlich nicht mehr daran, dass sie es
einmal besser haben wird als ihre El-
tern. Demnach fürchten 52 Prozent der
Befragten, dass ihr Lebensstandard ge-
ringer oder tendenziell geringer sein
werde als der ihrer Eltern. Lediglich et-
was mehr als jeder fünfte Befragte (22
Prozent), denkt, dass es ihr oder ihm
einmal besser gehen wird als den eige-
nen Eltern.
Diese pessimistische Einstellung zur
Zukunft fanden die Meinungsforscher
in allen teilnehmenden Ländern, selbst
in Polen und Deutschland, wo junge
Menschen bisher überdurchschnittlich
optimistisch nach vorn geblickt hatten.
Noch 2019 hielten sich Pessimisten und
Optimisten in der jungen Generation
weitgehend die Waage.
Damals glaubten 37 Prozent, einmal
einen besseren Lebensstandard als ihre
Eltern zu erreichen; 35 Prozent erwarte-
ten, das Wohlstandsniveau ihrer Eltern
nicht halten zu können. Seitdem ist der
Anteil der Pessimisten auf 44 Prozent in
die Höhe geschnellt und derjenige der
Optimisten auf 27 Prozent gefallen.
Forscher, die die Umfrageergebnisse
ausgewertet haben, gehen davon aus,
dass hierzulande und in Polen der russi-
sche Angriff auf die Ukraine und der an-
dauernde Krieg das Zukunftsvertrauen
der jungen Menschen stark erschüttert
haben. Sie warnen allerdings auch da-
vor, es sich mit dieser Erklärung zu ein-
fach zu machen. Die düstere Stimmung
der jüngeren Generation lasse sich
nicht allein auf diesen einzelnen Grund
zurückführen. Die Entwicklung sei
langfristig.
„Einen einschneidenden ,Ukraine‘-
oder ,Corona-Effekt‘ gibt es nicht“, sagt
der Politikwissenschaftler Thorsten
Faas von der FU Berlin, der die Studie
wissenschaftlich begleitet hat. „Das Le-
bensgefühl junger Europäer trübt sich
längerfristig und kontinuierlicher ein.
Das bedeutet aber auch, dass eine plötz-
liche Trendumkehr nicht sehr wahr-
scheinlich ist.“
Die Befürchtung, dass es für jüngere
Generationen schwieriger sein wird,
den materiellen Lebensstandard ihrer
Eltern zu halten, ist hierzulande nicht
neu. Derlei Bedenken werden seit Jahr-
zehnten geäußert.
Das Auslaufen des Wirtschaftswun-
ders, die Ölkrise in den 70er-Jahren, der
Bericht des Club of Rome zur Ressour-
cenknappheit, der Kalte Krieg, die auf-
kommende Massenarbeitslosigkeit An-
fang der 80er-Jahre, große Renten- und
Deutschlands ungenutztes Potenzial bei der Zuwanderung
Die Regierung will Personalengpässe durch ausländische Arbeitskräfte abfedern. Eine neue OECD-Studie zeigt jetzt die Defizite in der bisherigen Migrationspolitik auf
H
ubertus Heil kam kürzlich aus
Brasilien zurück. Die Mission
des Arbeitsministers in Süd-
amerika: Möglichst viele Arbeitskräfte
für die heimische Pflege anwerben. Neu
ist diese Strategie nicht. Schon Ex-Ge-
sundheitsminister Jens Spahn (CDU)
ging in Lateinamerika auf Werbetour
für die Bundesrepublik – mit über-
schaubarem Erfolg.
VON JAN KLAUTH
Auf 400.000 ausländische Arbeits-
kräfte pro Jahr beziffert das Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) den zusätzlichen Bedarf in allen
Sektoren. Zuletzt wurde nur knapp ein
Viertel dieses Zielwertes erreicht. Dass
Deutschland künftig stärker auf Zuwan-
derung setzen will und Heil und seine
Kabinettskollegen dazu gerade das
„modernste Einwanderungsrecht Euro-
Gesundheitsreformen, Globalisierung,
Automatisierung, Jobverlagerung, der
Strukturwandel der deutschen Schwer-
industrie, die Finanzkrise oder der Kli-
mawandel – im vergangenen halben
Jahrhundert gab es immer wieder Ent-
wicklungen, die Junge wie Alte verunsi-
chert haben.
Dass aber ausgerechnet jetzt eine
überwiegende Mehrheit der jungen
Menschen mit wenig Zuversicht in die
Zukunft blickt, ist erstaunlich. In
Deutschland sind so viele Menschen wie
nie zuvor in Arbeit.
Die Arbeitslosigkeit ist derweil in
Deutschland fast verschwunden. Laut
dem europäischen Statistikamt Euros-
tat lag die entsprechende Quote im
April, dem letzten Monat, aus dem Zah-
len für alle EU-Länder vorliegen, bei
nur noch 2,9 Prozent. Wissenschaftler
sprechen schon ab einer Arbeitslosig-
keit von vier Prozent von „Vollbeschäf-
tigung“. Nach der Zählweise der Bun-
desagentur für Arbeit, die anders rech-
net, lag sie zuletzt bei 5,5 Prozent.
In anderen europäischen Ländern
sieht es ähnlich aus. Nach einem steilen
Anstieg in der Corona-Krise ist die Ar-
beitslosigkeit in der EU und der Euro-
Zone so niedrig wie seit 15 Jahren nicht
mehr. In der Euro-Zone liegt sie bei 6,5
Prozent. Selbst in den südeuropäischen
Staaten, die in der Euro-Schuldenkrise
und dem darauffolgenden Jahrzehnt
unter hoher Arbeitslosigkeit gelitten
hatten, geht die Arbeitslosigkeit stark
zurück. Allerdings: Die Jugendarbeitslo-
sigkeit bleibt hoch; in Griechenland und
Spanien beträgt sie beispielsweise fast
30 Prozent. In diesen Ländern ist denn
auch der Anteil der jungen Menschen
hoch, die nicht daran glauben, dass sie
den Lebensstandard ihrer Eltern halten
oder gar übertreffen können. In Italien,
das seit Jahrzehnten kaum wirtschaft-
lich wächst, rechnen 57 Prozent der Be-
fragten nicht damit, den Lebensstan-
dard ihrer Eltern halten oder gar über-
treffen zu können.
Ein weiterer möglicher Grund für
den zunehmenden Pessimismus: Die
hohe Inflation. Zwei von drei jungen
Deutschen sagten den Meinungsfor-
schern, dass die Verteuerung sie belaste
oder sogar sehr belaste. In Polen, wo
der Optimismus ebenfalls eingebrochen
ist, sind es gar 78 Prozent der jungen
Menschen, denen die hohe Inflation zu-
setzt. Die Studie zeigt auch, dass das
Ungleichheitsempfinden bei jungen
Menschen weit verbreitet ist. 68 Pro-
zent sehen das Einkommen im eigenen
Land als ungleich verteilt an, und 62
Prozent empfinden auch Ungleichheit
im Bereich Wohnen und Immobilien.
Ähnlich sieht es bei den Karrieremög-
lichkeiten und dem Vermögen aus, wo
61 bzw. 60 Prozent der Jugendlichen
große Unterschiede wahrnehmen.
Wie stark die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse die Einschätzung der eigenen
Möglichkeiten beeinflussen können,
zeigt die Entwicklung in Griechenland:
Dort ist mit der wirtschaftlichen Erho-
lung der vergangenen Jahre auch der
Optimismus bei den jungen Menschen
zurückgekehrt: Im Jahr 2017, kurz nach
dem Höhepunkt der griechischen
Schuldenkrise, sagten lediglich zwölf
Prozent der Jungen, dass sie es einmal
besser haben würden als ihre Eltern.
Heute sind es immerhin 23 Prozent.
pas“ auf den Weg bringen, ist kein Zu-
fall. Der Arbeitskräftemangel vernichtet
bereits heute mehrere Milliarden Euro
an Wertschöpfung jährlich, aktuell feh-
len dem Land fast zwei Millionen Ar-
beitskräfte.
Und die Lücke wird noch größer: We-
gen der Überalterung drohen laut dem
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
aufgrund der Überalterung bis 2030
fünf Millionen weitere Beschäftigte
wegzufallen. Folgt die Politik den Hand-
lungsempfehlungen von Ökonomen,
wird die Zuwanderung nach Deutsch-
land in den kommenden Jahren deutlich
steigen. Damit schreibt sich ein Trend
fort. In kaum ein anderes wohlhabendes
Land sind in den vergangenen Jahren so
viele Menschen eingewandert wie nach
Deutschland.
Eine neue Studie der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) liefert auf
DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023
Investitionsquote in Bremen am niedrigsten
Infrastruktur wird kaum noch erneuert
Bruttoanlageinvestitionen zum Bruttoinlandsprodukt in Prozent* Nettoanlageinvestitionen in Prozent des BIP
Mecklenburg-Vorpommern 27,7 9,0
Niedersachsen 27,3 SH
Bayern 24,5 8,0
MV
Brandenburg 23,9 HH 7,0
HB
Baden-Württemberg 23,4 BE 6,0
Schleswig-Holstein 22,2 NI
Sachsen 21,7
ST
BB 5,0
Rheinland-Pfalz 21,7 NW 4,0
Thüringen 20,2 TH SN
Sachsen-Anhalt 19,9 HE 3,0
Hessen 19,3 RP 2,0 2,0 Nicht-staatliche
Hamburg 18,2 SL 1,0 Sektoren
Berlin 18,0 BY
0,0 0,0 Sektor Staat
Saarland 17,9 BW
Nordrhein-Westfalen 16,4 –1,0
Bremen 15,8 1991 1995 1999 2003 2007 2011 2015 2019 2022
*Stand 2019, Quelle: Statistische Ämter der Länder Quelle: Statistisches Bundesamt
Der STAAT
Produktivität wuchs früher viel schneller
Arbeitsproduktivität je geleistete Arbeitsstunde, indexiert 1991 = 100
150
stellt das
145 145,3
140
+0,4%
zum Vorjahr
135
Investieren ein
130
125
120
115
Eine IW-Untersuchung offenbart, dass die
110
105
Ausgaben für Forschung oder Infrastruktur
100
stagnieren. Ein Risiko für den Standort D
1991 1995 1999 2003 2007 2011 2015 2019 2022
M
Quelle: Statistisches Bundesamt
arode Schulen, gesperr- nach IW-Berechnungen seit der Jahr- in der Studie zu lesen. Während die Pri- die Entwicklung der digitalen Infra-
te Brücken, verspätete tausendwende keinen nennenswerten vatwirtschaft unter Kapitalstock vor al- struktur oder die Modernisierung der
Züge, stockendes Inter- Beitrag mehr zur Steigerung der Pro- lem Maschinen und Anlagen versteht, Energieinfrastruktur. Dazu kommen
net, Verwaltung uner- duktivität geleistet. „In Deutschland gehören zum staatlichen Kapitalstock noch einmal mindestens 39 Milliarden
reichbar. Immer mehr hat sich die Produktivitätsentwicklung unter anderem Schulen, Straßen und Euro pro Jahr, die notwendig sind, um
Menschen in Deutschland schämen sich seit der Jahrtausendwende abge- Krankenhäuser, aber auch Universitä- wie versprochen die Verteidigungsaus-
für die Infrastruktur hierzulande, fin- schwächt“, sagt Grömling. Bereits in ten, Entwicklungseinrichtungen und gaben auf zwei Prozent des Brutto-
den, dass sie dem Anspruch nicht ge- den vergangenen beiden Dekaden fielen Forschungsinstitute, aus denen nicht inlandsprodukts zu hieven. Nicht im-
recht wird, die Europas größte Volks- die Fortschritte mit durchschnittlich selten Geschäftsideen hervorgehen. mer sind Investitionen klar zu identifi-
wirtschaft an sich selber stellen muss. rund 0,9 Prozent pro Jahr merklich ge- Auch die Bedeutung der digitalen Netze zieren, manchmal sind die Grenzen zu
ringer aus als noch in den 1990er Jah- und der Verkehrsinfrastruktur dürfen anderen Staatsausgaben fließend: „För-
VON DANIEL ECKERT ren. In Westdeutschland waren die Zu- nicht unterschätzt werden: Verfügt eine derprogramme zur Dekarbonisierung
wächse in den vorhergehenden Deka- Region nicht über schnelles Internet, ist der Wirtschaft beispielsweise stellen
Auch die deutschen Unternehmen den nochmals deutlich höher. sie nicht an das Straßen- und Schienen- zwar keine öffentliche Investition dar,
werden auf vielen Gebieten abgehängt. In ihrer Studie argumentieren die netz angebunden, wird sich ein mittel- sie machen aber einen Teil der privaten
Teils ist diese Misere gefühlt – doch viel IW-Forscher, die schwachen deutschen ständischer Unternehmer zweimal Investitionen überhaupt erst möglich“,
zu oft auch real. Zuletzt offenbarte das Produktivitätszahlen seien zum Teil der überlegen, dort Produktionskapazitä- heißt es in der Studie.
schrumpfende Bruttoinlandsprodukt, ausgebliebenen Erneuerung der Infra- ten aufzubauen. Von verlässlicher, be- Mit einer umfassenden Umfrage un-
dass die Bundesrepublik international struktur geschuldet. Deren Defizite zahlbarer Energie ganz zu schweigen. Je ter Unternehmen weisen die IW-For-
zurückfällt. Für die realen Defizite gibt hielten auch Unternehmen davon ab, höher die Qualität des staatlichen Kapi- scher nach, dass Firmen in der Tat auf
es zahlreiche Gründe, einen davon zeigt hierzulande zu investieren. WELT hat talstocks, desto besser die Vorausset- Investitionen der öffentlichen Hand
nun eine Studie des Instituts der deut- vorab Einblick in die Studie. zungen für künftiges Wachstum, also warten, manchmal gar eigene Investiti-
schen Wirtschaft (IW) auf, die WELT Ein höherer Output pro geleisteter künftigen Wohlstand. Verfällt die staat- onsentscheidungen davon abhängig ma-
exklusiv vorliegt. Die Ökonomen Hu- Arbeitsstunde, so die Definition von liche Infrastruktur hingegen, verdüs- chen. Auf einen sofortigen Produktivi-
bertus Bardt und Michael Grömling Produktivität, wird für Deutschland tern sich die Aussichten auf künftige tätsschub hoffen sie dabei gar nicht so
weisen darin nach, dass die staatlichen schon deshalb nötig sein, um die Effekte Produktivitätssteigerungen. sehr, obwohl staatliche Aufträge will-
Investitionen schon seit vielen Jahren der Demografie auszugleichen. Wenn Nach IW-Erkenntnissen ist der kommene Umsatzbringer sind. Mittel-
zu gering und falsch ausgerichtet sind, die geburtenstarken Jahrgänge in den Nachholbedarf erheblich. „Um den oh- fristige Impulse halten sie für stärker
um einen Beitrag zum künftigen Reich- nächsten Jahren in Rente gehen, wer- nehin moderaten Wachstumsbeitrag als kurzfristige. „Ein Drittel der Unter-
tums des Landes zu leisten. den den Betrieben deutlich weniger Ar- des staatlichen Kapitalstocks auf dem nehmen sieht eine Steigerung der eige-
Motor des Wohlstands sind in einer beitnehmer zur Verfügung stehen – da- Niveau der 1990er Jahre konstant zu nen Investitionstätigkeit im durch öf-
Marktwirtschaft zwar Unternehmen mit werden weniger Arbeitsstunden ab- halten, hätten jährlich rund 45 Milliar- fentliche Investitionen verbesserten
und ihre Beschäftigten; damit sie inno- gerufen werden können. Die logische den Euro mehr investiert werden müs- Umfeld“, so ein Umfrage-Ergebnis.
vativ sind und ihr Potenzial voll entfal- Konsequenz: Gelingt es nicht, die Pro- sen“, heißt es in der Studie. Die For- In den einzelnen Wirtschaftsberei-
ten können, muss der Staat jedoch die duktivität deutlich zu erhöhen, wird scher beziffern den Investitionsstau der chen fallen die Effekte öffentlicher In-
Grundlagen schaffen. In einer Wissens- sich das aktuelle Wohlstandsniveau öffentlichen Hand bis Mitte des nächs- vestitionen – je nach Transmissionska-
gesellschaft vor allem in Form einer hierzulande kaum halten lassen – mit ten Jahrzehnts auf mindestens 450 Mil- nal – unterschiedlich stark aus. Vor al-
funktionierenden Infrastruktur, die auf weitreichenden Folgen für die Sozial- liarden Euro. Die mit der Pandemie und lem Bauunternehmen und Hersteller
dem neuesten Stand ist. systeme, die auf eine starke deutsche dem Krieg in der Ukraine einhergehen- von Investitionsgütern sehen stärkere
In Wahrheit altert die deutsche Infra- Wirtschaft angewiesen sind. den Investitionsausfälle hätten den positive Impulse. Regional betrachtet
struktur vielerorts erkennbar. Zwar gibt Die Entwicklung der vergangenen Rückstand noch verstärkt. Schon der zeigt die Umfrage keine großen Unter-
der Staat jedes Jahr Milliarden aus, Jahre ist nicht vielversprechend: „Von Investitionsbedarf für die in die Jahre schiede. In Westdeutschland wird staat-
zieht man aber den Effekt der Abnut- der staatlichen Kapitalstockbildung ka- gekommenen Infrastrukturen sei riesig. lichen Investitionen ein etwas stärkerer
zung von diesen Bruttoinvestitionen ab, men in Deutschland zuletzt überhaupt Als Beispiele nennen sie die Erneue- Investitions- und Transformationsef-
haben Bund, Länder und Kommunen keine Produktivitätsimpulse mehr“, ist rung und den Ausbau des Bahnnetzes, fekt zugetraut als in Ostdeutschland.
mehr als 300 Seiten nun eine der bis- rene Menschen. Doch die zeitlichen Un- Integrationspolitik“ als vor zehn Jahren wanderte auch mit größerer Wahr-
lang ausführlichsten Datensammlungen terschiede sind immens. „Migranten, und der günstigeren Arbeitsmarktlage scheinlichkeit unter der relativen Ar-
zur Migration in sämtlichen EU- und die im Rahmen des Familiennachzugs auch das gestiegene Bildungsniveau der mutsgrenze ihres jeweiligen Aufent-
OECD-Ländern. Während in der EU oder aus humanitären Gründen Aufnah- neu zugewanderten Menschen. So hat- haltslandes“, heißt es in der Analyse
rund 54 Millionen Menschen im Aus- me finden, fällt der Arbeitsmarktzugang ten 2020 in der EU 36 Prozent und im weiter. So ist in den meisten Ländern
land geboren sind, sind es in den 38 anfangs noch schwer, nach zehn Jahren OECD-Raum 47 Prozent der Migranten, die Armutsquote von Kindern aus Mig-
OECD-Ländern insgesamt 141 Millio- haben sie aber fast genauso gute Ar- die in den vorangegangenen fünf Jahren rantenhaushalten mindestens 50 Pro-
nen. 83 Indikatoren aus den Bereichen beitsmarktchancen wie im Inland gebo- zugewandert waren, einen tertiären Bil- zent höher. Unter dem Strich macht die
Arbeitsmarkt, Bildung, Lebensverhält- rene“, schreiben die Autoren, unter ih- dungsabschluss. Zehn Jahre zuvor wa- Studie auch deutlich, wie groß das unge-
nisse und gesellschaftliche Teilhabe ha- nen Thomas Liebig, Ökonom und Mi- ren es nur 22 Prozent beziehungsweise nutzte Potenzial durch die Zuwande-
ben die Forscher untersucht. grationsexperte bei der OECD. 32 Prozent. rung aus volkswirtschaftlicher Perspek-
Die Studie betont besonders die Er- Dennoch helfe Zuwanderung maß- Doch die Autoren um Liebig betonen tive ist. Es sei der Zuwanderungsbevöl-
folge der Zuwanderung. Lehrreich ist geblich dabei, Personalengpässe zu be- auch, dass gerade bei den Beschäfti- kerung im Allgemeinen nicht gelungen,
die Analyse für Deutschland aber auch heben. So ist den Daten zufolge durch gungs- und Lebensverhältnissen weiter- ganz gegenüber der im Inland gebore-
deshalb, da die Forscher aufzeigen, wo Neuzuwanderung die Erwerbsbevölke- hin Anlass zur Sorge bestehe. In einigen nen Bevölkerung aufzuholen, heißt es.
die Defizite in der Migrationspolitik lie- rung im OECD-Raum in den vergange- Bereichen seien „keine wesentlichen Denn trotz der Bildungserfolge gibt es
gen. Denn diese haben konkrete Auswir- nen fünf Jahren um elf Millionen und in Verbesserungen zu erkennen“. So ist et- weiterhin Schattenseiten: „Das Bil-
kungen auf Wirtschaft und Arbeits- der EU um vier Millionen gewachsen. wa der Anteil der Wohnungseigentümer dungsniveau von mehr als einem Drittel
markt. So könnten in der vom Arbeits- Auch in Deutschland spiegelt sich das unter den im Ausland geborenen Perso- aller im Ausland Geborenen liegt in der
kräftemangel geplagten EU heute 2,4 wider: Die Zahl der Erwerbstätigen war nen niedriger. Ein überproportional ho- EU nicht über Grundschulniveau“,
Millionen Menschen mehr erwerbstätig mit fast 46 Millionen noch nie so hoch her Anteil der Zugewanderten lebt zu- schreiben die Autoren. Damit ist dieser
sein, würden Zugewanderte genauso wie heute. Ursache für die Zunahme dem in minderwertigen Wohnungen. Anteil mehr als doppelt so hoch wie in
leicht Arbeit finden wie im Inland gebo- sind laut OECD neben einer „besseren „In vier von fünf Ländern leben Zuge- der im Inland geborenen Bevölkerung.
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12 WIRTSCHAFT UND GELD * DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023

Steigende Hypothekenzinsen
D SCHLAG
ie EU-Kommission hat Konzerne jeden Anreiz haben, nach
Google am Mittwochnach- Schlupflöchern zu suchen. „Vielleicht
mittag ein „Statement of wäre der strukturelle Eingriff jetzt rich-
belasten die Briten objections“, also eine Mit- tig, Vestager könnte ein Exempel statuie-

gegen Google
teilung mit Beschwerde- ren“, sagt Podszun.

Teuerung könnte Immobilienpreise unter Druck setzen

punkten zum Thema Wettbewerb im On- Für Margrethe Vestager endete das

B
line-Werbemarkt, zukommen lassen. Mandat als Wettbewerbskommissarin
Was harmlos klingt, birgt so großen voraussichtlich mit der Europawahl
ritischen Hausbesitzern ist keine markt. Laut Daten vom 13. Juni hat die Sprengstoff für den Konzern wie zuvor 2024, der Fall könnte ihre letzte Chance
Verschnaufpause gegönnt: Die Zahl der Beschäftigten in den drei Mo- kein anderes Wettbewerbsverfahren. sein, ihren Kampf gegen die marktbe-

Die Europäische Union fordert die Aufspaltung

Hypothekenzinsen im Land stei-
gen kontinuierlich weiter. HSBC, eine
der großen Hypothekenbanken, hat in-
nerhalb von sieben Tagen gleich zwei-
mal die Hypothekenangebote gestoppt,
um kurz darauf mit höheren Zinsen
wieder an den Markt zu gehen. „In den
vergangenen Tagen sind die Finanzie-
rungskosten gestiegen, und, wie bei an-
deren Banken, müssen wir das in unse-
ren Hypothekensätzen spiegeln“, teilte
das Institut mit.
VON CLAUDIA WANNER
AUS LONDON
Anfang der Woche hatte Bank Sant-
ander Angebote für Neukunden kurz-
naten bis Ende April zugelegt. Löhne herrschenden US-Tech-Riesen mit einem
und Gehälter, ohne Boni, sind im glei- VON BENEDIKT FUEST spektakulären Erfolg abzuschließen.
des Werbegeschäfts. Das Unternehmen
chen Zeitraum im Schnitt um 7,2 Pro- Denn von den bisherigen Verfahren, die
zent gestiegen. Für die Bank of England Nichts weniger als die Aufspaltung allesamt mit Milliarden-Bußgeldern en-
sei vor allem der Gehaltszuwachs ein
erhebliches Problem, sagte Hussain
von Googles Werbegeschäft stellt die zu-
ständige Kommissarin Margrethe Vesta- hat allen Grund dazu, nervös zu reagieren deten, zeigten sich die US-Konzerne nur
wenig beeindruckt. Doch dafür müsste
Mehdi, Stratege bei HSBC Asset Mana- ger in Aussicht, damit würde sich Vestager nun beeilen:
gement. „Das Niveau ist einfach zu die EU erstmals direkt die Google hat nun zunächst
hoch, um das Inflationsziel von zwei Entflechtung eines US-Inter- mehrere Monate Zeit, auf das
Prozent zu erreichen.“ Ein neuerlicher netriesen anstreben. „Das Schreiben der EU mit einer
Zinsschritt bei der nächsten Sitzung der Unternehmen verstößt gegen Gegendarstellung zu antwor-
Bank of England am 22. Juni gilt als aus- die EU-Kartellvorschriften, ten und selbst Vorschläge zu
gemacht. indem es den Wettbewerb in machen, wie der Konzern sei-
Viele Verbraucher trifft die aktuelle der Werbetechnologiebran- ne von der EU marktbeherr-
Situation doppelt hart. Die Lebenshal- che („Adtech“) verzerrt“, lau- schend kritisierte Position ab-
tungskosten sind in den vergangenen tet die Anklage der Wettbe- schwächen könnte – etwa
Monaten angesichts der Teuerung oh- werbshüter. „Die Kommission durch den freiwilligen Ver-
nehin rasant gestiegen. Wer einen Im- beanstandet, dass Google sei- kauf von Diensten oder durch

FAIRFAX MEDIA VIA GETTY IMAGES/THE SYDNEY MORNING HERALD

fristig vom Markt genommen, um neue
Preise anzukündigen. Den gleichen
Schritt sind andere Banken und Bau-
sparkassen gegangen, unter anderem
die Clydesdale Bank, NatWest und die
Coventry Building Society. Im Schnitt
wurden für eine zwei Jahre laufende
Hypothek 5,75 Prozent fällig. 24 Stun-
den später waren es laut der Preisver-
gleichsseite Moneyfacts 5,9 Prozent.
Anders als in Deutschland sind in
Großbritannien kurz laufende Hypothe-
ken nicht ungewöhnlich. Laut Daten der
Bank of England nutzen 15 Prozent der
Häuslebauer flexible Raten, die direkt
an den Marktzins angepasst werden.
Die Mehrzahl vereinbart Zinsen für
zwei bis fünf Jahre. Ein neuer Vertrag
bedeutet angesichts der Zinswende im
vergangenen Jahr für die betroffenen
Haushalte einen deutlichen Sprung bei
der Zinsbelastung. Ihre bestehenden
Verträge sind meist noch mit weniger
als zwei Prozent verzinst. „Die Erwar-
tung, dass die Zinsen über 5,5 Prozent
steigen könnten, hat die besten Hypo-
theken-Deals vom Markt gefegt“, sagte
Susannah Streeter, Leiterin Geld und
Märkte beim Finanzdienstleister Har-
greaves Lansdown. „Die Kaufkraft der
1,3 Millionen Haushalte, die dieses Jahr
neue Hypotheken verhandeln müssen,
wird das erheblich schwächen.“
Großbritannien kämpft – noch mehr
als die meisten westeuropäischen Staa-
ten – mit einer hartnäckig hohen Inflati-
on. Im April lag der Wert bei 8,7 Pro-
zent. Zum ersten Mal seit zehn Mona-
ten war die Teuerung damit wieder ein-
stellig. Gleichzeitig floriert der Arbeits-
mobilienkredit abzahlt, muss sich nun
zusätzlich auf immer höhere Raten ein-
stellen. Eine Beispielrechnung von Har-
greaves Lansdown macht das deutlich:
Für eine 25 Jahre laufende Hypothek
über 200.000 Pfund (233.874 Euro)
steigt die monatliche Rate bei einem
Sprung von zwei auf 5,9 Prozent um
mehr als ein Drittel auf 1276 Pfund (1489
Euro). Jeden Monat erhöht das die zu
zahlende Rate um mehr als 400 Pfund
(467 Euro). Laut der Berechnungen des
Dienstleisters könnte das 88 Prozent
der betroffenen Haushalte in finanzielle
Schwierigkeiten bringen.
Die Folgen für den Immobilienmarkt
halten sich bisher noch in Grenzen.
Laut der Bausparkasse Halifax lagen die
Preise im Mai um ein Prozent unter
dem Vorjahr. Doch die Analysten der
Ratingagentur Moody’s sehen eine Kor-
rektur um zehn Prozent in den kom-
menden zwei Jahren voraus. „Die an-
dauernd hohe Inflation und der jüngste
Anstieg der Darlehenszinsen werden zu
einer Korrektur des britischen Immobi-
lienmarktes führen“, schreiben die
Moody’s-Analysten. Das dürfte wieder-
um auf die Realwirtschaft durchschla-
gen, warnte Bill Blain, Stratege bei
Shard Capital. Im Verhältnis zu den
Einkommen seien Wohnimmobilien
heute so teuer wie zuletzt in der Mitte
des 19. Jahrhunderts, gleichzeitig seien
die Realeinkommen seit bald 20 Jahren
nicht gewachsen. Der wichtigste Trei-
ber für die hohen Preise sei das knappe
Angebot. Doch die hohen Zinsen könn-
ten die Preise unter Druck setzen – mit
erheblichen Folgen für die Wirtschaft.
ne eigenen Online-Display- Verhaltensverpflichtungen.
Werbetechnologiedienste „Natürlich geht hier die
zum Nachteil konkurrieren- Kommission auch mit einer
der Anbieter von Werbetech- Maximal-Forderung in die
nologiediensten, Werbetrei- Verhandlungen“, kommen-
benden und Online-Publis- tiert Justus Haucap, ehemali-
hern bevorzugt.“ Nur eine ger Vorsitzender der Mono-
„Zwangsveräußerung eines polkommission des Bundes.
Teils seiner Dienste“ würde „Ob man dann tatsächlich die
die Wettbewerbsbedenken Aufspaltung durchsetzt, steht
der Kommissare ausräumen. auf einem anderen Blatt.“
Google versucht in einer Erst nach diesen Verhandlun-
ersten Erklärung dennoch, gen kann die Kommission das
den Ball flach zu halten: „Die endgültige Verdikt verhängen,
Untersuchung der Kommissi- dass danach voraussichtlich
on konzentriert sich auf einen Wenn es nach dem Willen der EU geht, wird das Geschäft von Google neu aufgeteilt noch jahrelang vor EU-Ge-
eng eingegrenzten Aspekt un- richten verhandelt werden
seres Werbegeschäfts und ist wird. Offen ist zudem, wie die
nicht neu“, sagt Googles Werbegeschäft- weiten Teilen dominierend. Konkret hat scher ‚Stellschrauben’ kontrollieren“, die Kommission ein eventuelles Verkaufsge-
Chef Dan Taylor. „Wir widersprechen der der Internet-Riese auf der Publisher-Sei- „in ganz unterschiedlichen Kombinatio- bot durchsetzen will, denn die EU kann
Auffassung der Kommission und werden te mit „Double Click“ einen Marktanteil nen genutzt werden können, um die Er- nur für Europa Maßnahmen festsetzen,
entsprechend reagieren.“ Google hat al- von über 80 Prozent, mit „Google Ads“ gebnisse des Systems (…) zu beeinflus- einen Durchgriff auf Googles Heimat-
len Grund dazu, nervös zu reagieren, auf der Werbekundenseite einen Markt- sen“. Sollten die EU-Wettbewerbshüter markt USA hat sie nicht. „Damit ist frag-
denn der Grundvorwurf der Kommission anteil von etwa 50 Prozent und mit sei- zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, lich, wie ein Verkaufsgebot aussehen
bezieht sich beileibe nicht nur auf einen ner Werbebörse „Ad Exchange“ ebenfalls dann würden sie sich voraussichtlich könnte“, sagt Haucap. „Denn die Werbe-
kleinen Teil des Geschäftsbereichs On- 50 Prozent Marktanteile. nicht mit einer bloßen Verpflichtung Technologie inklusive der damit verbun-
line-Werbung. Es geht den Kommissaren Das Bundeskartellamt hatte in einer Googles zur Verhaltensänderung zufrie- denen Patente kann Google ja nicht nur
nicht um die Werbung, die Google bei Sektoruntersuchung des Online-Werbe- dengeben, prognostiziert Rupprecht für Europa verkaufen.“
seinen Online-Suchereignissen auf den marktes Ende 2022 diagnostiziert, dass Podszun, Professor für Wettbewerbs- Früher hätte sich Google der Unter-
eigenen Seiten ausspielt. Vielmehr ist der hier „eine ungewöhnliche, in anderen recht an der Universität Düsseldorf. stützung durch die US-Regierung in ei-
Konzern längst der Vermittler für große Branchen kaum in vergleichbarer Weise „Die Kommission geht seit Jahren ge- nem Streit mit Europa sicher sein kön-
Teile des Online-Werbegeschäfts von beobachtbare Situation“ entstanden ist: gen Big Tech vor, ohne dass sich die Kon- nen. Doch im Februar haben auch die US-
sämtlichen Webseiten im Netz. „Mit Google ist ein Unternehmen an ei- zerne wesentlich beeindruckt zeigen. Au- Wettbewerbshüter Klage gegen Googles
Vestagers Wettbewerbshüter kritisie- ner Vielzahl an Punkten eines hochkom- genscheinlich hat man inzwischen einge- Werbemarkt-Praktiken eingereicht – und
ren die grundlegende Praxis von Google, plexen und verwobenen Systems prä- sehen, dass man angesichts der krassen die Vorwürfe lauten ähnlich wie die der
dabei sowohl auf der Seite der Websei- sent, das (…) die technischen Grundlagen Verflechtungen im Markt mit Verhaltens- EU. „Die USA sind vielleicht zeitlich ein
tenanbieter und Verleger aktiv zu sein als für die Auslieferung von Online-Wer- auflagen nicht mehr richtig weiter- wenig langsamer“, kommentiert Haucap.
auch auf der Seite der Werbekunden und bung, insbesondere auch nicht suchge- kommt.“ Denn diese Verhaltensauflagen „Doch tendenziell könnte eine gemeinsa-
Anzeigenvermittler. Dank dieser Praxis bundener Online-Werbung, legt.“ Damit müssen die Wettbewerbshüter anschlie- me Lösung von USA und EU im Fall Goo-
ist Google im Online-Werbemarkt zu könne der Konzern „hunderte techni- ßend jahrelang kontrollieren, während gle Sinn ergeben.“

ANZEIGENSONDERVERÖFFENTLICHUNG

Veröffentlichung der Anteilspreise von UniRak Nachh.A net* € LU0718558728 86,29 +8,26 DekaSpezial CF € DE0008474669 514,03 +43,59 Hamb Stiftung T € DE000A0YCK26 106,42 +0,64 LRI Invest S.A. UniGlobal* € DE0008491051 348,09 +51,76
UniRak NachhaltigA* € LU0718558488 89,32 +9,40 DekaTresor € DE0008474750 82,37 -0,54 Haspa TrendKonz P € LU0382196771 84,52 -7,78 UniGlobal-net-* € DE0009750273 208,98 +48,87
Qualitätsfonds — mitgeteilt von Div.Strateg.CF A € DE000DK2CDS0 181,95 +38,45
ALTIS Bal Value* € LU0142612901 93,82 +29,81
UniNordamerika* € DE0009750075 508,75 +48,47
UniZukunft Klima A* € DE000A2QFXR5 42,92 - Haspa TrendKonz V € LU1709333386 90,35 -6,67 ALTIS Global Res* € LU0188358195 157,86 +40,63
Infront Financial Technology GmbH UniZukunft Kli-neA* € DE000A2QFXS3 43,60 - DivStrategieEur CF € DE000DK2J6T3 100,52 +35,45 LBBW Bal. CR 20 € LU0097711666 43,20 +0,87 UnionGeldmarktfds* € DE0009750133 46,96 -0,20
NW Global Strategy* € LU0303177777 91,99 +16,89
Euro Potential CF € DE0009786277 155,34 +17,40 LBBW Bal. CR 40 € LU0097712045 50,44 +6,17 UniRak* € DE0008491044 136,80 +11,97
15.06.23 Währung ISIN Rückn. 3J. Perf. EuropaBond CF € DE000DK091G0 91,93 -20,96 UniRak Kons.-net-A* € DE000A1C81D8 106,66 -5,79
LBBW Bal. CR 75 € LU0097712474 66,75 +19,44
EuropaBond TF € DE0009771980 33,46 -21,68 UniRak Konserva A* € DE000A1C81C0 108,52 -4,78
Frankf.Sparinrent € DE0008479981 49,26 -2,21 Priv BaPrem Chance € DE0005320022 153,89 +25,99 UniRak -net-* € DE0005314462 73,25 +10,80
Frankf.Sparinvest € DE0008480732 154,53 +23,19 Priv BaPrem Ertrag € DE0005320030 44,77 -7,31 UniRenta* € DE0008491028 16,72 -14,95
Nachhaltigkeits-Fonds (ESG) Alte Leipziger Trust GlobalChampions CF € DE000DK0ECU8 280,95 +40,76 UniStrat: Ausgew.* € DE0005314116 67,40 +9,79
€uro Short Term € DE0008471699 39,54 -6,87 GlobalChampions TF € DE000DK0ECV6 253,32 +37,79 UniStrat: Konserv.* € DE0005314108 66,93 -1,56
Aktien Deutschland € DE0008471608 116,05 +11,17 Mainfr. Strategiekonz. € DE000DK2CE40 177,02 +14,92 DWS www.meag.com privatanleger@meag.com
AL Trust €uro Relax € DE0008471798 47,96 -6,54 Mainfr. Wertkonz. ausg. € DE000DK1CHU9 95,04 -4,35
Multi Asset In.CFA € DE000DK2J662 81,14 +1,62 Offene Immobilienfonds Dividende A* € DE000A1W18W8 58,14 +37,19
AL Trust Stab. € DE000A0H0PF4 61,22 -0,54 EM Rent Nachh.* € DE000A1144X4 40,62 -10,24 Union Investment Luxemburg
AL Trust Wachst IT € DE000A2PWPE6 63,11 +11,83 Multirent-Invest € DE0008479213 28,56 +2,07 grundb. europa IC: € DE000A0NDW81 39,68 +8,09
Multizins-INVEST € DE0009786061 23,45 -8,82 grundb. europa RC € DE0009807008 39,57 +6,56 ERGO Vermög Ausgew* € DE000A2ARYT8 53,09 +7,29 PrivFd:Konseq.pro* € LU0493584741 102,22 -3,40
AL Trust Wachstum € DE000A0H0PG2 79,80 +9,57
NachSeAkReEdTF € DE0009771907 44,24 +13,77 grundb. Fok Deu RC € DE0009807081 54,24 +6,06 ERGO Vermög Flexi* € DE000A2ARYP6 55,48 +15,07 UniAsia Pac.net* € LU0100938306 135,34 +4,44
Trust €uRen IT € DE000A2PWPA4 41,27 -18,76
Naspa-Fonds € DE0008480807 37,62 +3,30 ERGO Vermög Robust* € DE000A2ARYR2 47,26 -3,77 UniAsia Pacific A* € LU0100937670 132,70 +5,54
Tel.: 069 / 7147-652 www.deka.de Trust €uro Renten € DE0008471616 36,77 -18,66 grundb. Fokus D IC: € DE0009807099 54,81 +7,72
RenditDeka € DE0008474537 20,88 -11,43 EuroBalance* € DE0009757450 59,49 +13,54 UniAusschü. net- A* € LU1390462262 46,46 +12,14
DBA ausgewogen € DE000DK2CFR7 116,35 +4,45 Trust Akt Europa € DE0008471764 52,53 +23,56 grundb. global IC: € DE000A0NCT95 52,99 +7,00 UniAusschüttung A* € LU1390462189 46,05 +13,14
RenditDeka TF € DE000DK2D640 26,98 -11,76 EuroErtrag* € DE0009782730 64,03 +0,39
DBA dynamisch € DE000A2DJVV1 105,20 +9,49 Trust Chance € DE000A0H0PH0 93,07 +22,07 grundb. global RC € DE0009807057 52,44 +5,53 UniDividAss net A* € LU0186860663 58,33 +33,45
RentenStratGl TF € DE000DK2J6Q9 73,50 -12,82 EuroFlex* € DE0009757484 41,09 -1,89
DBA konservativ € DE000DK2CFP1 99,77 -1,76 Trust Chance IT € DE000A2PWPC0 74,75 +25,51 UniDividendenAss A* € LU0186860408 59,35 +34,86
RentenStratGlob CF € DE000DK2J6P1 74,01 -11,82 EuroInvest A* € DE0009754333 93,42 +32,53
DBA moderat € DE000DK2CFQ9 107,99 +1,15 Trust Glb Inv IT € DE000A2PWPB2 72,67 +18,64 UniDyn.Europa A* € LU0085167236 134,10 +37,59
RentenStratGlob PB € DE000DK2J6R7 74,02 -11,68 EuroKapital* € DE0009757468 51,54 +26,17
DBA offensiv € DE000DK2CFT3 218,19 +30,59 Trust Glbl Invest € DE0008471715 110,00 +18,89 UniDynamic Gl. A* € LU0089558679 100,24 +37,98
Rntfds RheinEdit € DE0008480666 27,54 -3,76 EuroRent A* € DE0009757443 26,51 -13,41
Deka-BaAZSt off 23 € DE000A2N44K6 104,51 - Trust Stab IT € DE000A2PWPD8 54,25 +1,02 UniEMGlobal* € LU0115904467 83,86 +1,39
Rntfds RheinEdit oA € DE0009771915 28,24 -5,06 FairReturn A* € DE000A0RFJ25 50,81 -4,42
Deka-Nach.E.St CF A € LU2206794112 98,46 - Technologie CF € DE0005152623 67,51 +48,95 GlobalAktien* € DE000A2PPJZ8 50,61 - UniEurKap Corp-A* € LU0168092178 34,26 -3,70
Deka-Nachh ManSel € DE000DK1CJS9 106,20 +3,66 Technologie TF € DE0005152631 53,70 +46,16 GlobalBalance DF* € DE0009782763 66,34 +5,70 UniEurKap.Co.net A* € LU0168093226 34,76 -4,56
Deka-NachhAkt CF € LU0703710904 247,53 +38,21 BNP Paribas Real Estate UmweltInvest CF € DE000DK0ECS2 202,70 +42,79 www.flossbachvonstorch.de +49 221 33 88 290 GlobalChance DF* € DE0009782789 74,43 +28,22 UniEuropa* € LU0047060487 2629 +31,98
Deka-NachhRent CF A € LU0703711035 115,65 -5,94 BNP Pa MacStone P € DE000A2DP6Y8 23,42 -3,36 UmweltInvest TF € DE000DK0ECT0 180,50 +39,74 Nachhaltigkeit A* € DE0001619997 135,49 +34,29 UniGlobal Div A* € LU1570401114 120,46 +31,90
Deka-NachStrInv CF € DE000DK2EAD4 133,07 +19,39 INTER ImmoProfil € DE0009820068 57,68 +5,66 Weltzins-Invest P € DE000A1CXYM9 19,11 +1,68 MuAsset-Balanced R € LU0323578145 156,76 +2,38 ProInvest* € DE0009754119 202,68 +21,33 UniGlobal Div-netA* € LU1570401544 118,30 +30,84
Deka-NachStrInv TF € DE000DK2EAE2 128,67 +16,83 MuAsset-DefensiveR € LU0323577923 128,36 -1,58 VermAnlage Komfort* € DE000A1JJJP7 57,81 +5,38 UniIndustrie 4.0A* € LU1772413420 70,41 +29,51
Nachh Dynamisch CF € DE000DK0V6U7 87,11 - VermAnlage Ret A* € DE000A1JJJR3 69,39 +11,61 UniOpti4* € LU0262776809 95,78 -0,50
MuAsset-Growth R € LU0323578491 184,01 +7,27
Nachh Mlt Asset CF € DE000DK0V5F0 98,21 +7,09 UniSec. BioPha.* € LU0101441086 165,06 +27,71
Deka International (Lux) Multiple Opp R € LU0323578657 288,17 +13,39
Nachh Mlt Asset TF € DE000DK0V5G8 96,89 +5,49 UniSec. High Tech.* € LU0101441672 189,42 +48,38
Nachhltg Gl Champ CF € DE000DK0V554 125,15 - 1822 Str.Cha.Pl. € LU0151488458 135,48 +22,07 UniStruktur* € LU1529950914 103,80 +6,96
NachSeAkREd CF € DE000DK0V7B5 86,96 - 1822 Str.Chance € LU0151488029 90,54 +19,96 Metzler Asset Management GmbH UniVa. Global A* € LU0126315885 145,65 +53,54
Naspa Na PS-Chance € LU0104457105 59,28 +19,37 1822 Str.Ert.Pl. € LU0151486320 41,84 -7,18 Gutmann Kapitalanlage RWS-DYNAMIK A* € DE0009763334 32,97 +17,11
Naspa Na PS-ChanceP € LU0202181771 119,04 +20,85 PB Balanced € DE0008006263 52,66 +0,51 1822 Str.Wachstum € LU0151487302 47,58 -2,80 RWS-ERTRAG A* € DE0009763375 14,39 -1,98
PRIME VAL Growth A € AT0000803689 137,20 +7,21
Naspa Na PS-Ertrag € LU0104455588 42,39 -5,70 PB Europa* € DE0009770289 50,98 +22,80 Berol.Ca.Chance € LU0096429435 63,86 +19,82
Naspa Na PS-Wachst € LU0104456800 41,01 -3,72 PB Eurorent € DE0008006255 48,82 -10,65 Berol.Ca.Premium € LU0096429609 81,62 +28,16
PRIME VAL IncomeA € AT0000973029 124,80 -2,27 Union Invest Real Estate
Naspa-Ak.Gb NachCF € DE0009771956 83,10 +28,97 PB Megatrend € DE0005317374 179,35 +35,13 Berol.Ca.Sicherh. € LU0096428973 38,88 -4,73 UniImmo:Dt.* € DE0009805507 96,41 +7,69
Naspa-Ak.Gb NachTF € DE000DK0LNH7 122,03 +26,77 PB Triselect € DE0009770370 46,28 +8,04 Berol.Ca.Wachst. € LU0096429351 37,03 -0,91 UniImmo:Europa* € DE0009805515 54,47 +5,52
DekaEuAktSpezAV € LU1508335152 133,96 +26,28 UniImmo:Global* € DE0009805556 49,60 +1,43
DekaEuAktSpezCF(A) € LU0835598458 188,78 +26,31
Metzler Asset Management GmbH Deka-EuropaVal.TF € LU0100186849 57,12 +31,25
C&P Funds (Creutz & Partners) LiLux Convert* € LU0069514817 240,56 +10,09
RWS-Aktienf.Nachh* € DE0009763300 93,49 +19,19
Deka-FlexZins CF € LU0249486092 957,68 +0,14
LiLux-Rent* € LU0083353978 215,13 +1,73
Universal Lux.
C&P Funds ClassiX* € LU0113798341 87,37 +61,03 Deka-FlexZins PB € LU0475811682 964,37 +0,11
C&P Funds QuantiX* € LU0357633683 148,32 +36,68 www.hal-privatbank.com CondorBalance-UI* € LU0112268841 91,40 +9,47
Deka-FlexZins TF € LU0268059614 959,16 +0,05 CondorChance-UI* € LU0112269146 93,19 +34,91
DekaGlobAktLRCF(A) € LU0851806900 221,71 +33,23 ERBA Invest OP € LU0327349527 28,39 -2,32 CondorTrends-UI* € LU0112269492 99,49 +28,72
ODDO BHF Asset Management Deka-Indust 4.0 CF € LU1508359509 192,17 +32,02 HAL Europ SmCap Eq € LU0100177426 151,84 +38,09 ODDO BHF Asset Management
Exk:PolarisBal DRw € LU0319574272 82,86 +12,78 Commerz Real Deka-Indust 4.0 TF € LU1508360002 183,52 +29,19 HAL MultiAsset Con € LU0456037844 101,92 -8,04 Basis-Fonds I Nach* € DE0008478090 139,83 +1,91
Exk:PolsDyn DRw € LU0319577374 100,05 +25,51 hausInvest € DE0009807016 44,08 +7,41 Deka-Mul Asset Ert € LU1508354294 91,16 -3,33 HAL MultiAsset Dyn € LU0090344473 123,66 +22,56 DC Value One I(t)* € DE000A0YAX64 252,37 +28,54
Polaris Flexi DRw € LU0319572730 86,74 +13,99 HMI Chance € LU0194947726 72,91 +29,32 W&W Int. Asset Mgmt. Dublin
MB Fd Max Value € LU0121803570 162,35 +41,76 DC Value One P(t)* € DE000A0YAX72 221,63 +26,36
Polaris Mod DRw* € DE000A0D95Q0 69,45 +2,97 HMI Chance+ € LU0213544652 76,57 +40,44 FT EuroGovernm. M* € DE000A0NEBR5 48,66 -7,13 SouthEast Asian Eq* € IE0002096034 123,75 +14,72
MB Fund Flex Plus € LU0230369240 61,52 +7,86
HMI Ertrag+ € LU0194942768 35,74 -2,24 Substanz-Fonds* € DE000A0NEBQ7 1235 +12,64
DAVIS FUNDS SICAV HMI Wachstum € LU0194946595 39,91 -2,75 MB Fund Max Global € LU0230368945 109,79 +39,10
Vermögens-Fonds* € DE000A0MYEJ6 791,74 +6,45
Global A* $ LU0067889476 44,87 +16,31 Köln Str.Chance € LU0101437480 67,26 +17,65 MB Fund Max Pl € DE000A2N68L3 34,81 -53,70
MB Fund S Plus € LU0354946856 81,31 -30,70
Warburg Invest
Value Fund A* $ LU0067888072 67,92 +30,09 Köln Str.Ertrag € LU0101436672 40,42 -6,05
Köln Str.Wachstum € LU0101437217 39,91 -1,48 DMüller Prem Akt € € DE000A111ZF1 85,26 -10,13
KölnStr.Chance+ € LU0117172097 59,40 +24,35 ODDO BHF Luxemburg
UnterStrat Eu CF € LU1876154029 170,56 +42,43 Grand Cru € LU0399641637 177,83 +10,89
ÖkoVision Classic € LU0061928585 203,69 +5,71 Grand Cru (CHF) CH LU0580157419 127,02 +9,60 Sonstige
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BW Zielfonds 2025 € DE000DK0ECP8 39,69 -5,75 www.union-investment.de
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Deka-Europa Akt Str € DE0008479247 80,71 +35,00 Deka-PfSel ausgew € DE000A2N44B5 103,95 +8,66 HWB Vict.Str.Pf. R* € LU0277941570 1236 -6,46 Uni21.Jahrh.-net-* € DE0009757872 44,25 +34,35
PrivatFonds: Nachh* € LU1900195949 50,66 -2,06 DekaFonds CF € DE0008474503 119,28 +24,35 Deka-PfSel dynam € DE000A2N44D1 117,18 +23,00 HWB Vict.Str.Pf. V* € LU0141062942 1237 -6,47 UniDeutschl. XS* € DE0009750497 166,66 -1,49
UniNachh AkEu A* € LU0090707612 65,37 +39,50 DekaFonds TF € DE000DK2D7T7 289,80 +21,69 Deka-PfSel moderat € DE000A2N44C3 95,81 +0,07 HWB Wdelan + R* € LU0277940929 46,56 -6,03 UniEuroAktien* € DE0009757740 86,36 +33,46
UniNachh AkEu netA* € LU0096427496 54,91 +38,13 Deka-Global Bal CF € DE000DK2J8N2 100,06 +1,38 DekaStruk.5Chance € DE000DK1CJP5 185,23 +23,24 UniEuropa-net-* € DE0009750232 87,27 +31,63
HWB Wdelan + V* € LU0254656522 46,87 -5,41
UniNachh Akt Glob* € DE000A2N7V22 130,10 +37,12 Deka-Global Bal TF € DE000DK2J8P7 97,85 +0,32 DekaStruk.5Chance+ € DE000DK1CJQ3 295,55 +26,61 UniEuroRenta* € DE0008491069 57,58 -12,18
UniNachh AktDeu nA* € DE000A2QFXN4 88,11 - Deka-MegaTrends CF € DE0005152706 125,77 +47,70 DekaStruk.5Ertrag+ € DE000DK1CJM2 90,32 -6,07 UniEuroRentaHigh Y* € DE0009757831 30,93 -1,77
UniNachh AktDeut A* € DE0009750117 227,56 +21,30 Deka-Na.Div Str CF € DE000DK0V521 121,33 - DekaStruk.5Wachst. € DE000DK1CJN0 95,47 -1,75 UniFav.:Akt. -net-* € DE0008007519 128,43 +40,61
UniNachhaltig A Gl* € DE000A0M80G4 144,28 +38,56 Deka-Nach Div RhEd € DE000DK0EF98 99,13 +24,00 Hamb Stiftung D € DE000DK0LJ38 913,61 +1,77 IPConcept (Luxembourg) S.A. Unifavorit: Aktien* € DE0008477076 204,16 +42,09 +49 69 26095760 fundsservice@infrontfinance.com
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UniRak Nach.K-net-* € LU1572731591 100,85 -6,31 Deka-Sachwer. TF € DE000DK0EC91 104,42 +9,49 Hamb Stiftung P € DE000A0YCK42 81,31 +0,68 ME Fonds Special V € LU0150613833 3341 +28,30 UniFonds-net-* € DE0009750208 81,94 +7,09 Fondsgesellschaften als besonderen Service für deren Anleger.

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DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023
E Polens Trainer hat wenig
s beginnt im Kleinen. Und
bei den Kleinen. Und so fan-
den die ersten Veranstal-
tungen rund um die Welt-
spiele der Special Olympics
schon Tage vor der eigentlichen Eröff-
nung statt – zum Beispiel im Berliner
Stadtteil Pankow mit einem inklusiven
Sportevent für rund 70 Kinder. Vier- bis
Achtjährige mit und ohne Behinderung
tobten durch einen Parcours mit Spiel-
stationen - „Spielplatz Special Olym-
pics“ nannte sich das. Ganz im Sinne
von Eunice Kennedy Shriver, der
Schwester der US-Politiker John F., Ro-
bert F. und Edward Kennedy.
VON MELANIE HAACK UND
RIKE FABIA LOHMANN
Auf ihre Initiative entstand in den
1960er-Jahren die Bewegung der Special
Olympics. Ihr Sohn weilt nun bereits
seit Mittwoch in Berlin, wo Samstag die
16. internationalen Sommerspiele der
weltweit größten Sportbewegung für
Menschen mit geistiger Behinderung
und Mehrfachbehinderung eröffnet
werden. „Es hat sich viel getan, zweifel-
los, aber noch immer kämpfen Men-
schen mit geistiger Beeinträchtigung
um Anerkennung“, sagt Timothy Shri-
ver, Vorsitzender von Special Olympics
International: „Sie müssen noch viel
mehr in ihren Stärken und nicht in ih-
ren Schwächen wahrgenommen wer-
den.“ Die Weltspiele sollen dazu beitra-
gen. „Ich habe unzählige Menschen mit
geistiger Beeinträchtigung erlebt“, so
Shriver: „Sie sind Vorbilder. Vorbilder
für Menschlichkeit, für Gerechtigkeit,
für Mitgefühl, für Stärke. Eigentlich für
all die Dinge, auf die es im Leben wirk-
lich ankommt.“
Bis zum 25. Juni werden in der deut-
schen Hauptstadt rund 7000 Aktive aus
190 Ländern in 26 Sportarten um per-
sönliche Erfolge und Platzierungen
kämpfen. Damit ist es das größte Multi-
sportevent in Deutschland seit den
Olympischen Spielen 1972 in München.
Es geht dabei um vieles, darum, den
Teilnehmern eine Bühne zu geben, sie
selbst und ihre Leistungen zu feiern
und wertzuschätzen. Es geht um Begeg-
nungen, den Abbau von Vorurteilen und
vor allem darum, Aufmerksamkeit für
dies Thema zu schaffen. „Es gibt noch
viel zu tun“, sagt Shriver, der sich noch
gut an die Anfänge erinnern kann, auch
wenn er damals, als seine Mutter die
Special-Olympics-Bewegung ins Leben
rief, noch ein Kind war.
Im Gespräch mit WELT erzählt der
63-Jährige: „Ich erinnere mich daran,
dass meine Mutter wütend über die Art
und Weise war, wie Menschen mit geis-
tiger Beeinträchtigung von der Gesell-
schaft behandelt wurden. Dass sie aus-
geschlossen, isoliert wurden. Gar ver-
steckt.“ Seine Tante Rosemary Kenne-
dy, 1918 geboren, war geistig leicht ein-
geschränkt. „Als sie ein Kind war, wurde
sie isoliert, das stimmt. Im Leben mei-
ner Mutter, in meinem, in dem meiner
Geschwister hat sie aber immer eine
große Rolle gespielt“, sagt er.
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7000 Athleten: Die Weltspiele sind das größte Multisport-Event in Deutschland seit Olympia 1972 in München
„Vorbilder für Mitgefühl,
Stärke, Menschlichkeit“
Am Samstag werden in Berlin die Weltspiele der Special Olympics
eröffnet. Damit verbunden ist auch die Hoffnung auf Verbesserungen
Im jungen Erwachsenenalter ließ Ro-
semarys Vater aus Furcht um den Ruf
der Familie eine umstrittene Operation
an ihr durchführen, bei der ihr Gehirn
schwer geschädigt wurde. Sie konnte
anschließend kaum noch sprechen.
„Dennoch war sie ein aktives und wich-
tiges Mitglied unserer Familie. Ich sehe
heute noch vor mir, wie glücklich meine
Mutter in Rosemarys Gegenwart war“,
erzählt Shriver. „Rosemary hatte viele
Stärken, so wie alle Menschen mit geis-
tiger Beeinträchtigung. Dass das in der
Gesellschaft nicht gesehen wurde, hat
meine Mutter frustriert.“ Eunice Ken-
nedy Shriver nahm die Dinge selbst in
die Hand, eröffnete im Juni 1963 ein
Sommercamp in ihrem Garten, wo Kin-
der und Jugendliche mit geistigen Be-
einträchtigungen ihre Fähigkeiten in
spielerischen und sportlichen Aktivitä-
ten entwickelten. So entstand das Camp
Shriver auf der Familienfarm – und Ti-
mothy war mittendrin.
Die Camps wurden zu einem großen
Erfolg, weshalb seine Mutter 1969 in
Chicago die ersten Special Olympics or-
ganisierte; daraus entstand schließlich
eine globale Bewegung mit Sommer-
und Winterspielen im Vier-Jahres-
Rhythmus. Eröffnet wird das Ereignis in
Berlin denn auch mit einer großen Feier
am Samstag im Olympiastadion, die Fa-
SPORT 13
Lust auf Deutschland-Spiel
Fußball-Nationalmannschaft testet in Warschau
W
as ein Jahr vor dem Beginn offensichtlich als notwendiges Übel, der
der Heim-Europameister- Fokus des Portugiesen liegt auf dem
schaft die Euphorie und Be- EM-Qualifikationsspiel vier Tage später
geisterung rund um die Nationalelf neu in Moldawien.
entfachen sollte, endete mit Anfeue- „Ich bin von der Ansetzung nicht be-
rungsrufen für Werder Bremen und geistert. Beim Spiel gegen Deutschland
Pfiffen gegen das Team von Bundestrai- kann ich die Mannschaft nicht gut auf
ner Hans-Dieter Flick. Das schmeichel- das Duell mit Moldawien vorbereiten.
hafte 3:3 Deutschlands gegen die Ukrai- Es sind zwei völlig unterschiedliche
ne in Bremen legte wieder einmal die Gegner, die einen völlig anderen Stil ha-
spielerischen Probleme der National- ben“, sagt Santos. Da Polen seinen Auf-
mannschaft schonungslos offen. Beson- takt in die EM-Qualifikation 1:3 gegen
ders in der Defensive hakt es. Tschechien verloren hat, darf sich das
Nach nur vier Siegen aus den vergan- Team in Moldawien keine weitere Nie-
AFP/ RAUL ARBOLEDA
genen 14 Spielen haben Flick und sein derlage erlauben.
Team am Freitag in Polen (20.45 Uhr, „Ich bin Trainer, kein Journalist oder
ARD und im WELT-Liveticker) die Kommentator“, so Santos über das un-
Möglichkeit, es besser zu machen und liebsame Prestigeduell mit der DFB-
endlich mal wieder eine überzeugende Auswahl. „Ich bin für die Leitung der
Leistung zu bringen. Zwei neue Spieler polnischen Nationalmannschaft und die
könnten dabei helfen. Champions-Lea- von ihr erzielten Ergebnisse verant-
gue-Sieger Ilkay Gündogan hat nach sei- wortlich. Der Verband hat beschlossen,
ner späteren Anreise zur Fußball-Natio- ein Spiel gegen Deutschland zu spielen
nalmannschaft am Donnerstag jedoch – und ich respektiere das“, sagte er, ob-
nicht am Abschlusstraining teilgenom- wohl es ihm nicht gefalle.
men. Der 32 Jahre alte Mittelfeldspieler Der 68-Jährige werde aber wohl trotz
von Manchester City absolvierte am des unliebsamen Termins keine B-Elf
Donnerstag auf dem Frankfurter DFB- gegen Deutschland aufs Feld schicken.
Campus eine individuelle Einheit auf ei- „Ich werde dieses Spiel sehr ernst neh-
nem Nebenplatz. Der wie Gündogan am men, weil ich es hasse, zu verlieren.“
Vorabend angereiste Außenbahnspieler Für die Deutschen werde es „eine
Robin Gosens vom Final-Verlierer Inter schwierige Aufgabe, aber die wichtigste
Mailand übte dagegen gleich mit der Aufgabe für uns wird das Qualifikati-
Mannschaft. Das Individual-Training onsspiel sein“.
vor der Abreise nach Warschau könnte Da Deutschland als Gastgeber für die
ein Zeichen sein, dass Bundestrainer Europameisterschaft im kommenden
ckel der Spiele ist bereits in der Haupt- auch durch die Pandemie dringend nö- Hansi Flick in Warschau nicht mit Gün- Jahr automatisch qualifiziert ist, hat das
stadt angekommen und die 7000 Teil- tig ist. „Wir können froh und dankbar dogan in der Startelf plant. Team bis zum Eröffnungsspiel am 14.
nehmer seit Tagen im sogenannten sein, dass wir jetzt die Spiele haben, um Doch selbst mit Gündogan auf dem Juni 2024 nur noch Freundschaftsspie-
Host-Town-Programm an unterschied- Voraussetzungen zu schaffen, Men- Platz scheinen die Voraussetzungen für le. Nach dem Spiel in Warschau geht es
lichen Orten Deutschlands unterge- schen mit Beeinträchtigung wieder in ein Spiel mit hohem Wettkampf-Cha- am kommenden Dienstag gegen Kolum-
bracht. 216 Kommunen bieten den Bewegung zu bringen“, sagt Sven Al- rakter eher schlecht. Polens National- bien, im Herbst heißen die Gegner dann
Sportlern Unterkunft und Begegnung, brecht: „Aufgrund der massiven Auswir- trainer Fernando Santos sieht die Partie Japan, USA und Frankreich. step
bevor es nach Berlin geht. „Wir brau- kungen durch die Corona-Pandemie ist
chen Begegnung. Und wir brauchen Or- der Sport in den Organisationen der Be-
te, an denen Menschen Sport treiben hindertenhilfe noch nicht wieder auf
können. Das ist die große Chance des
Host-Town-Programms“, sagt Sven Al-
brecht, Bundesgeschäftsführer der Spe-
dem Niveau wie vor Corona.“
Ursprünglich war 2018, als die Vorbe-
reitungen für die Special Olympics be-
Ulms Basketballer vor
cial Olympics und verantwortlich für gannen, als Ziel ausgegeben worden,
dem ganz großen Triumph
A
die Organisation der Weltspiele. hierzulande die Teilhabe beeinträchtig-
Die Eröffnungsfeier wird im Prozede- ter Menschen in Sportvereinen von acht
re jener Zeremonie bei Olympischen auf 16 Prozent bis zum Jahr 2024 „mit usnahmespieler T.J. Shorts fass- sich viele Fehler. Dass die Höhe der Nie-
Spielen ähneln – inklusive des Ein- dem Rückenwind der Weltspiele“ zu te sich nach der massiven derlage Bedeutung habe, glaube er aber
marschs der Athleten. Auftreten wer- verdoppeln. In der Pandemie aber kam Schlappe für seine Bonner Bas- nicht. „Es ist eine Niederlage. Es ist
den die norwegische Pop-Band Madcon, der Sport komplett zum Erliegen, die ketballer kurz. „Alles ist schiefgegan- egal, ob wir mit einem, zwei oder 100
die den offiziellen Song geschrieben Zahlen sanken, und die Situation hat gen“, sagte der verschwitzte Star der Punkten Abstand verlieren. Wir müssen
hat, sowie die Blue Man Group. Eröffnet sich bis heute nicht auf das Niveau vor Telekom Baskets am Mittwochabend am Freitag gewinnen.“
werden die Spiele von Bundespräsident der Pandemie verbessert. „Wir müssen nach dem 84:112 bei Ratiopharm Ulm. Ulms Trainer Anton Gavel, dessen
Frank-Walter Steinmeier. dieses Pfund in der Hand behalten“, Die in der regulären Saison so überlege- Team nach der Hauptrunde nur auf
Shriver hofft, dass die Kraft dieser sagt Albrecht mit Blick auf die Zeit nach nen Bonner wirken im Finale angeschla- Rang sieben lag, versuchte den Kanter-
Veranstaltung nachhaltig auch konkrete den Spielen. „Wir müssen die Kommu- gen. Beim Stand von 1:2 muss in der sieg ebenfalls herunterzuspielen. „Es ist
Verbesserungen bringen wird. „Wir nen weiter motivieren, mit uns daran zu Best-of-five-Serie schon an diesem Frei- nur ein Sieg. Wir brauchen immer noch
brauchen zum Beispiel mehr gemischte arbeiten und inklusive Netzwerke vor tag (20.30 Uhr/Sport1 und Magenta- einen. Es gibt nichts mehr, wofür wir
Schulen, die Inklusion geht noch nicht Ort zu schaffen.“ Wesentlich ist für ihn sport) ein Sieg her, um die Chance auf uns schonen sollten“, sagte der Ex-Pro-
weit genug“, sagt er. Die Teilhabe beein- dabei auch die Fortbildung der Lehr- die erste Meisterschaft zu wahren. fi. Man wolle „alles daran setzen“, die-
trächtigter Menschen an Sportvereinen kräfte, um in Schulen inklusiven Sport- Shorts, bester Spieler der Saison, sen Sieg Freitag in eigener Halle zu fei-
und in der Gesellschaft allgemein soll unterricht anzubieten, der dann in Ver- wirkte am Mittwochabend aber ent- ern. Ein mögliches fünftes Spiel fände
einen kräftigen Schub erhalten, der einen fortgesetzt werden kann. nervt und frustriert, Shorts erlaubte Sonntag in Bonn statt. DPA/PK
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14 FEUILLETON DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023

J
ede Begegnung mit Ljudmila
Ulitzkaja, die zu den bedeu-
tendsten russischen Autorin-
nen gehört und ein wunderba-
rer und mutiger Mensch ist,
war mir eine Freude. Seit dem brutalen
Angriffskrieg Russlands gegen die Ukrai-
ne lebt Ulitzkaja in Berlin, zwar in Sicher-
heit, aber mit dem ständigen Gefühl von
„Schmerz, Angst und Scham“. Schon im-
mer hat sie der repressiven Staatsmacht
den Kampf angesagt: 1968, als ihre Freun-
din Natalja Gorbanewskaja zusammen
mit sechs Kollegen auf dem Roten Platz
gegen den Einmarsch russischer Truppen
in Prag protestiert hatte und verurteilt
werden sollte, weigerte sich Ulitzkaja,
vor Gericht gegen sie abzustimmen. Kurz
darauf verlor sie ihre Stelle als Genetike-
rin, womit ihre wissenschaftliche Karrie-
re beendet war. Auch unter Putin ließ sie
es an scharfen Worten nie fehlen. Sie pro-
testierte gegen den Tschetschenien-Krieg
und gegen manipulierte Wahlen. 2014,
nach der völkerrechtswidrigen Annexion
der Krim, nahm sie an einem Antikriegs-
kongress in Moskau teil und wurde an-
schließend mehrfach bedroht. Ebenfalls
2014 veröffentlichte sie im „Spiegel“ ihre
bei der Eröffnung der Salzburger Fest-
spiele gehaltene Rede „Leb wohl, Euro-
pa“. Darin heißt es: „Ich bin eine russi-
liche Warnungen gehört haben. Ein gra-
vierendes Versäumnis.
Ljudmila Ulitzkajas Bücher – Romane,
Erzählbände, Erinnerungstexte, Theater-
stücke und Essays – handeln von der
komplexen Verflechtung von Politik und
Alltag. Wer wie die Autorin 1943 in der
Sowjetunion geboren wurde, hat davon
mehr als ein Liedchen zu singen. Ver-
wandte und Bekannte waren im Strafla-
ger gewesen, das sie oft nicht überlebten,
oder hatten im Krieg gekämpft und waren
verwundet zurückgekehrt. Man zwängte
sich in einer engen Kommunalwohnung
zusammen, stand Schlange nach Lebens-
mitteln, Schuhen und Jeans. In der Sow-
jetzeit spielen denn auch die meisten von
Ulitzkajas Werken: die Erzählung „So-
netschka“, die Romane „Medea und ihre
Kinder“, „Ein fröhliches Begräbnis“, „Er-
gebenst, euer Schurik“, „Daniel Stein“,
„Die Jakobsleiter“ und „Das grüne Zelt“.
Vor dem Hintergrund einer aufgewühlten
Zeit leuchten sie aufs minuziöseste Men-
schenschicksale aus: mit allen psychologi-
schen, familiären und gesellschaftlichen
Facetten, mit allen moralischen Dilem-
mata, die ein totalitäres Regime seinen
Bürgern aufzwingt. Ulitzkaja weiß, worü-
ber sie schreibt. Wie die Heldinnen ihres
Romans „Das grüne Zelt“ verbreitete sie
einst selbst im Samisdat von der Zensur

sche Schriftstellerin jüdischer Herkunft
und christlicher Prägung. Mein Land hat
gegenwärtig der Kultur, den Werten des
Humanismus, der Freiheit der Persön-
lichkeit und der Idee der Menschenrech-
KLARHEIT,
verbotene Literatur – und musste dafür
büßen. Sie kennt den ärmlichen Alltag in
den „Kommunalkas“, die dadurch er-
schwerten Beziehungen zwischen Paaren,
sie kennt das Los der doppelt belasteten

te (…) den Krieg erklärt. Mein Land
krankt an aggressiver Unbildung, Natio-
nalismus und imperialer Großmanns-
sucht. – Ich schäme mich für mein unge-
WEITSICHT UND
Frauen, ihren Konflikt zwischen Beruf
und Familie, zwischen Fürsorge und
Selbstverwirklichung, ihre Fähigkeit zur
Freundschaft und ihre Einsamkeit. Und

bildetes und aggressives Parlament, für
meine aggressive und inkompetente Re-
gierung, für die Staatsmänner an der
Spitze, Möchtegern-Supermänner und
Anhänger von Gewalt und Arglist, ich
schäme mich für uns alle, für unser Volk,
das seine moralische Orientierung verlo-
ren hat.“ Mit prophetisch-hellsichtigen
Sätzen geht es weiter: „Mein Land bringt
die Welt mit jedem Tag einem neuen
Krieg näher, unser Militarismus hat be-
reits in Tschetschenien und Georgien die
Krallen gewetzt, und nun trainiert er auf
MENSCHLICHKEIT
wo eigene Erfahrungen nicht ausreichen,
greift sie auf die ihrer Vorfahren oder Be-
kannten zurück.
Im Roman „Die Jakobsleiter“ schildert
sie anhand von Briefen, Fotos und histori-
schen Dokumenten das Schicksal ihrer
Großeltern väterlicherseits: Jakow Ulitz-
ki (im Roman Ossetzki), Wirtschaftswis-
senschaftler, wurde unter Stalin als an-
geblicher Volksfeind in die Verbannung
geschickt, worauf seine Frau Marussja Die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja hat das Grauen des Krieges lange
kommen sehen. Die Stadt Lübeck hat ihr nun den Günter-Grass-Preis verliehen.
sich von ihm scheiden ließ und den ge-
meinsamen Sohn alleine aufzog. Eine von

Eine Würdigung. Von Ilma Rakusa

der Krim und in der Ukraine.“ Die Rede
endet mit den traurigen Worten: „Heute
können wir russischen Kulturschaffen-
den, der kleine Teil von ihnen, zu dem ich
gehöre, nur noch eines sagen: Leb wohl,
Europa!“ Nun, da die Katastrophe einge-
treten ist, bleibt die Frage, warum deut-
sche Politiker und Bürgerinnen nicht auf
Leute wie Ulitzkaja und deren überdeut-
zahllosen Tragödien, die die offizielle Ge-
schichtsschreibung verdrängte bzw. dem
Vergessen überantwortete. Das gilt auch
im Fall von Daniel Rufeisen, den Ulitzkaja
persönlich kannte und als Daniel Stein
zur Hauptfigur ihres gleichnamigen Ro-
mans gemacht hat.
Der Jude Daniel Stein arbeitete zu-
nächst als Dolmetscher bei der Gestapo,

FREITAG
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10.45 ¥ g Meister des Alltags Show
11.15 ¥ g Gefragt – Gejagt 12.00 ¥ g
Tagess. 12.15 ¥ g ARD-Buffet Maga-
zin 13.00 ¥ g ARD-Mittagsmagazin
14.00 ¥ g Tagesschau Mit Wetter
14.10 ¥ g Haustierprofis
15.00 ¥ g Tagesschau Mit Wetter
15.10 Sturm der Liebe Telenovela
16.00 ¥ g Tagesschau Mit Wetter
16.10 ¥ g Verrückt nach Meer
17.00 ¥ g Tagesschau Mit Wetter
17.15 ¥ Brisant Boulevardmagazin
18.00 ¥ g Gefragt – Gejagt
18.50 ¥ g Quizduell-Olymp Show
19.45 ¥ g Wissen vor acht –
Zukunft Magazin
19.50 ¥ g Wetter vor acht
19.55 ¥ g Wirtschaft vor acht
20.00 ¥ g Tagesschau
20.15 ¥ g Fußball: Testspiel
Polen – Deutschland
Aus Warschau (PL)
22.45 ¥ g Fußball: UEFA Nations
League Zsfg. der Spiele: Spani-
en – Italien, Malta – England,
Gibraltar – Frankreich, Andor-
ra – Schweiz, Lettland – Türkei
23.30 ¥ g Polizeiruf 110: Nacht-
dienst TV-Krimi (D 2017)
 1.00 g Tagesschau
 1.05 ¥ g Brokenwood – Mord
in Neuseeland: Tödliche
Niederlage TV-Krimi (NZ
2015) Mit Neill Rea, Fern
SutherlandRegie: Mike Smith
PHOENIX
17.15 Fatshaming – Kampf für Akzep-
tanz 17.30 phoenix der tag 18.00
phoenix persönlich 18.30 Die China-
Falle: wie erpressbar sind wir? 19.15
Lieblingspartner in Europa – Wie Chi-
na in Serbien Fuß fasst Reportage
20.00 ¥ Tagess. 20.15 Der Fall Tutan-
chamun Dokumentationsreihe 22.30
Bangkok – Die Stadt der Könige Doku-
mentation 23.00 phoenix der tag 0.00
phoenix persönlich 0.30 Ukraine Krieg
nachgehakt 0.45 History Deutsch-
land – Meilensteine und Mythen
STREAMING-TIPP
Tyler Rake: Extraction 2 (Actionthriller)
Chris Hemsworth schlüpft wieder in die
Rolle des australischen Söldners. Nach-
dem Tyler Rake die Ereignisse des ersten
Films nur knapp überlebt hat, bekommt
er es gleich mit der nächsten tödlichen
Mission zu tun. Diesmal soll er die Familie
eines georgischen Gangsters aus dem
Gefängnis befreien, in dem sie festgehal-
ten wird. Das Drehbuch schrieb Joe Rus-
so, der den Film u.a. mit seinem Bruder
Anthony und Chris Hemsworth auch
produzierte.Netflix
ZDF
5.30 ¥ g ZDF-Morgenmagazin 9.00 ¥
g Heute im Parlament 10.00 ¥ g Ba-
res für Rares – Lieblingsstücke 10.30 ¥
g Notruf Hafenkante 11.15 ¥ g SO-
KO Wismar Deckmäntel 12.00 g heute
12.10 g drehscheibe Magazin 13.00 ¥
g ARD-MiMa Mit Tagesschau
14.00 g heute – in Deutschland
14.15 g Die Küchenschlacht Show
15.00 ¥ g heute Xpress
15.05 ¥ g Bares für Rares Magazin
16.00 ¥ g heute – in Europa
16.10 ¥ g Die Rosenheim-Cops
17.00 ¥ g heute Nachrichten
17.10 ¥ g hallo deutschland
17.45 ¥ g Leute heute Magazin
18.00 ¥ g SOKO Wien Krimi-Serie
19.00 ¥ g heute
19.25 ¥ g Bettys Diagnose Kran-
kenhaus-Serie. Konfrontation
20.15 ¥ g Die Chefin
Krimi-Serie. Spender 5634
21.45 ¥ g Letzte Spur Berlin
Krimi-Serie. Vorahnung
22.30 ¥ g heute journal
23.00 ¥ g Till Reiners: Flamingos
am Kotti Show
23.45 ¥ g aspekte
Reportagereihe. Familien und
ihr emotionales Erbe – Wie El-
tern und Ahnen uns prägen
 0.30 g heute journal update
 0.45 ¥ g Ermittler! Dokumentati-
onsreihe. Skrupellose Räuber
 1.30 ¥ g Deutschlands Kampf
um die Freiheit. Der große
Test. Dokumentation
EUROSPORT 1 / SPORT 1
Eurosport: 17.15 Mountainbike: Welt-
cup Cross-Country Short Track Damen
19.30 Radsport: Belgien-Rundfahrt 3.
Etappe (Wh.) 20.00 Powerlifting: Klassi-
sche Weltmeisterschaften Damen bis
76 kg und Herren bis 93 kg 23.00 Rad-
sport: Slowenien-Rundfahrt 3. Etappe
Sport1: 18.30 American Pickers – Die
Trödelsammler Doku-Soap. Bonnie und
Clyde / Alles absurd (Wh.) 20.30 Basket-
ball: BBL geplant: Finals, Spiel 4: ratio-
pharm Ulm – Telekom Baskets Bonn
22.30 American Pickers Doku-Soap
NDR
18.00 Ländermagazine 18.15 ¥ g Hof-
geschichten 18.45 ¥ g DAS! Magazin
19.30 Ländermagazine 20.00 ¥ g Ta-
gesschau 20.15 ¥ g Leinen los am
Jadebusen – Zwischen Tiefwasserha-
fen und Traditionssegler Dokumentati-
on 21.15 ¥ g Schlossgeister mit
Dachschaden: Mit Mut, Mörtel und
ohne Millionen – ganz privat Reporta-
gereihe 21.45 ¥ g NDR Info 22.00 ¥ g
Popschlager, die Sie kennen sollten
22.30 ¥ g 3 nach 9 0.30 ¥ g deep
und deutlich1.30 ¥ g 3 nach 9 (Wh.)
SAT.1
5.30 g SAT.1-Frühstücksfernsehen
Magazin. Gast: Sarah Engels, Mike Singer,
Marie Helmschmied. Moderation: Matthi-
as Killing, Karen Heinrichs 10.00 g Die
Ruhrpottwache – Vermisstenfahnder
im Einsatz 10.30 g Die Ruhrpottwa-
che – Vermisstenfahnder im Einsatz
11.00 g Auf Streife – Die Spezialisten
12.00 g Auf Streife 13.00 g Auf Streife
14.00 g Klinik am Südring
15.00 g Klinik am Südring
16.00 g Volles Haus! SAT.1 Live
Magazin. Mit Ingo Lenßen
18.00 g Lenßen übernimmt
18.30 g Lenßen übernimmt
19.00 g Lenßen übernimmt
Doku-Soap. Stummer Protest
19.25 g Lenßen übernimmt Doku-
Soap. Der verlorene Sohn
19.55 g SAT.1 Nachrichten
20.15 g 111 Show. tolle Traumty-
pen! / perfekte Peinlichkeiten!
Mit den Traumtypen ist das ja
so eine Sache: Diejenigen, die
tatsächlich Traumtypen sind,
wollen nichts davon wissen
und sind eher peinlich berührt.
Und dann gibt es dann auch
noch diejenigen, die sich für
Traumtypen halten, es aber
meistens nicht sind.
 0.00 g 111 Show. tolle Traumty-
pen! Was macht einen
Traummann aus? In der Clip-
show werden 111 spezielle
Traumtypen vorgestellt, mal
lustig, mal skurril. (Wh.)
MDR
17.45 ¥ g aktuell 18.05 ¥ g Wetter
für 3 18.10 ¥ g Brisant 18.54 ¥ g Un-
ser Sandmännchen 19.00 ¥ g Regio-
nal 19.30 ¥ g aktuell 19.50 ¥ g Ele-
fant, Tiger & Co. 20.15 ¥ g Musik für
Sie 21.45 ¥ g MDR aktuell 22.00 ¥ g
Riverboat Talkshow. Die MDR-Talkshow
aus Leipzig. Gäste: Peter Hick, Ulrich Wal-
ter, Wolf-Dieter Storl, Birgit Schrowange,
Maja Weigt, Nico Santos, Mariella Ahrens
0.00 ¥ g Hartwig Seeler – Ein neues
Leben Kriminalfilm (D 2020) 1.30 ¥ g
Seepferdchen Dokudrama (D 2020)
WDR
16.00 ¥ g aktuell Magazin 16.15 g
Hier und heute 18.00 ¥ g WDR aktu-
ell / Lokalzeit 18.15 ¥ g 2 für 300
18.45 ¥ g Aktuelle Stunde Magazin
19.30 g Lokalzeit 20.00 ¥ g Tages-
schau 20.15 ¥ g Geheimnis Dokumen-
tationsreihe 21.45 ¥ g WDR aktuell
22.00 ¥ g Kölner Treff Talkshow. Gäs-
te: Louis Klamroth, Anna Loos, Lotta Lub-
koll, Tahnee, Juliette Schoppmann, Joe
Bausch, Olaf Malolepski 23.30 ¥ g Ne-
ver Ever mit Negah Amiri Talkshow
0.00 ¥ g Kölner Treff Talkshow (Wh.)
RTL 3SAT ARTE PRO SIEBEN KABEL 1
5.20 g CSI: Den Tätern auf der Spur 17.00 ¥ g Abenteuer Neuseeland 16.55 g Die unberührte Wildnis 5.30 g Galileo 6.25 g Speechless 6.55 5.40 ¥ õ g Elementary Krimi-Serie
6.00 g Punkt 6 7.00 g Punkt 7 8.00 g Dokumentationsreihe. Auf- der Pyrenäen Dokumentati- ¥ õ g Two and a Half Men Hier 10.00 ¥ õ g The Mentalist Krimi-Se-
Punkt 8 9.00 Gute Zeiten, schlechte Zei- bruch der Glücksritter / Vor- onsreihe. Der Bartgeier, Gigant kommt der Weihnachtsmann / Mütter an rie. Im Wein liegt Wahrheit / Mitten im
ten 9.30 Unter uns Soap 10.00 g Ulrich stoß ins Unbekannte. Tiefe Re- der Gipfel. Der Bartgeier der der Kletterwand 7.50 ¥ g The Big Bang Sommer / Die rote Wolke / Keine Lust auf
Wetzel – Das Strafgericht Doku-Soap. genwälder, riesige Gletscher, Pyrenäen fasziniert Wissen- Theory 9.10 ¥ õ g Last Man Stan- Shakespeare / Die Aura des Todes
Medium wird auf Friedhof attackiert 11.00 fauchende Vulkane, eine zer- schaftler – einige seiner Verhal- ding Big Brother / Ruhetag / Kyles 14.50 ¥ õ g Castle Krimi-Serie
g Barbara Salesch – Das Strafgericht klüftete Küste: An kaum einem tensweisen sind ihnen bis Freund / Mandys Party / New York, New Anatomie eines Mordes
Doku-Soap 12.00 g Punkt 12 Magazin anderen Ort der Welt prallen heute ein Rätsel. (Wh.) York 11.30 ¥ g Scrubs Mein Vollmond / 15.50 g News
15.00 g Barbara Salesch – so viele Landschaftsformen 17.50 g Die Winzlinge in freier Mein Chefchirurg / Meine 37 Minuten / 16.00 ¥ õ g Castle
Das Strafgericht Doku-Soap aufeinander wie in Neuseeland. Wildbahn Dokureihe Mein Finale / Mein Finale 13.50 ¥ õ g Krimi-Serie. Fast berühmt
16.00 g Ulrich Wetzel – 18.30 g nano Magazin 18.30 g Fragile Schönheit Mittel- Two and a Half Men Sitcom. Sei stark, 16.55 g Abenteuer Leben täglich.
Das Strafgericht Doku-Soap 19.00 ¥ g heute meer Dokumentationsreihe Wonder Woman! / Die Männergruppe Das beste Hotel der Welt
17.00 g Ulrich Wetzel – 19.20 g Kulturzeit Magazin. Das 19.20 Arte Journal 14.45 ¥ g Young Sheldon 17.55 g Mein Lokal, Dein Lokal –
Das Jugendgericht 3sat-Kulturmagazin von ZDF, 19.40 Rettet die Reste! – Ideen 15.35 ¥ g The Big Bang Theory Der Profi kommt
17.30 Unter uns Soap ORF, SRF und ARD. Moderati- gegen Lebensmittelver- Sitcom Reportagereihe. „Piazza“,
18.00 g Explosiv – Das Magazin on: Cécile Schortmann schwendung Reportage 17.00 g taff Magazin Nieuwvliet / Niederlande
18.30 g Exclusiv 20.00 ¥ g Tagesschau 20.15 g Kommissar Marthaler – 18.00 Newstime 18.55 g Achtung Kontrolle!
18.45 g RTL Aktuell 20.15 ¥ g Verräter – Tod am Engel des Todes Kriminalfilm 18.10 ¥ g Die Simpsons Trickserie Reportagereihe. Übergewicht
19.05 Alles was zählt Soap Meer Politthriller (D 2017) (D 2015) Mit Matthias Koeberlin 19.05 g Galileo mit Bootsanhänger –
19.40 Gute Zeiten, schlechte Zeiten 21.45 ¥ g Kreta – Insel der Götter 21.45 g Das Boot – Welterfolg Magazin. Fünf Dinge Wüste Verkehrspolizei Mainz
20.15 g Die ultimative Chart- 22.00 ¥ g ZIB 2 aus der Tiefe Dokumentation 20.05 ¥ g Sparkasse Zukunft- 20.15 ¥ õ g Criminal Minds
Show Die erfolgreichsten 22.25 ¥ õ g The Courier – Tödli- 22.40 g Scorpions – Konzert vom strends by #OneTomorrow – Krimi-Serie. Die Verwandlung /
Sommerparty-Hits. Gäste: No cher Auftrag Actionfilm (GB Hellfest 2022 Nachhaltigkeit lohnt sich Hundert und ein halber Tag /
Angels, Stereoact, Michael Pa- 2019) Mit Olga Kurylenko 23.55 Tracks East Magazin 20.15 ¥ õ g James Bond 007: Herzblut / Alles was bleibt.
trick Kelly, Moguai, Ilira, Alvaro 23.55 g 10vor10  0.30 g Hängt ihn höher Goldfinger Agentenfilm Floressa, ein Mitglied der
Soler, Lou Bega, Leony, Mickie  0.25 ¥ g extra 3 Magazin. U. a.: Western (USA 1968) Mit Clint (GB 1964) Mit Sean Connery, „Siebenten-Tags-Adventisten“,
Krause, DJ Antoine. Experte: Vorwürfe gegen Rammstein – Eastwood, Inger Stevens, Gert Fröbe, Honor Blackman wird in Alabama auf dem Ge-
Frank Ehrlacher. Moderation: Penis geht, Arsch darf bleiben. Ed Begley. Regie: Ted Post Regie: Guy Hamilton lände der Freikirche ermordet.
Oliver Geissen. Die Sonne Mit Christian Ehring  2.20 g Josephine Baker, Ikone 22.40 ¥ õ g James Bond 007: Alle Indizien passen zur Hand-
scheint und im Freien ist Som-  1.10 ¥ Willkommen Österreich der Befreiung Dokumentation Feuerball Agentenfilm (GB schrift eines Serienkillers, der
merparty-Stimmung angesagt. 1965) Mit Sean Connery vor 30 Jahren aktiv war.
 0.00 g RTL Nachtjournal  1.30 ¥ õ g James Bond: 007  0.15 ¥ õ g Criminal Minds Kri-
 0.35 g Die ultimative Chart-  0.05 g Dashcam – Die jagt Dr. No Agentenfilm (GB mi-Serie. Die Verwandlung. Die
Show Die erfolgreichsten schlimmsten Autofahrer der 1962) Mit Sean Connery, Ursula BAU sucht im Süden der USA
Sommerparty-Hits (Wh.)  6.00 g Die Welt am Morgen Welt Reportagereihe Andress, Joseph Wiseman einen Mörder, dessen Hand-
 4.00 g Der Blaulicht-Report Min-  9.00 g WELT-Newsroom  1.40 g Mit Vollgas durch die Regie: Terence Young schrift an einen Serienkiller
derjährige wird in Auto gezerrt 12.00 g Die Welt am Mittag Alpen – Der Ötztaler  3.40 g Watch Me – das Kinomag. von vor 25 Jahren erinnert.
12.45 Börse am Mittag Magazin Mopedmarathon
RBB 13.00 g Die Welt am Mittag  2.30 g Die Edeltuner aus dem VOX BILD
14.00 g WELT-Newsroom Ruhrgebiet Dokumentation
16.00 ¥ g rbb24 16.15 ¥ g In aller 17.00 g Die Welt am Abend 6.30 g CSI: NY 7.15 g CSI: Den Tätern 13.00 g In Seenot Dokumentationsrei-
Freundschaft – Die jungen Ärzte 17.05 17.45 Börse am Abend Magazin auf der Spur Spurlos / Unter Strom 9.05 he. Die MV Rocknes 13.50 g In Seenot
¥ g Panda & Co. 17.53 ¥ g Sand- 18.00 g Die Welt am Abend g CSI: Miami 10.00 g CSI: Miami Ein 14.40 g Pfusch am Bau – Warum
männchen 18.00 g rbb24 18.15 g 20.05 g Mit Vollgas durch die Netz voller Spinnen / Innere Angelegen- Gebäude einstürzen
schön + gut 18.45 g STUDIO 3 19.30 ¥ Alpen – Der Ötztaler Moped- heiten 11.55 g vox nachrichten 12.00 15.25 g Pfusch am Bau – Warum
g Abends. 20.00 ¥ g Tagess. 20.15 ¥ marathon Dokumentation g Shopping Queen Doku-Soap 13.00 Gebäude einstürzen
g Die schönsten Berliner Inselpara- 21.05 g Die Edeltuner aus dem g Zwischen Tüll und Tränen Doku- 16.10 g Aufwärts – Die spektaku-
diese Reportage 21.45 ¥ rbb24 22.00 ¥ Ruhrgebiet Dokumentation Soap. U. a.: Gütersloh, „Passion“ lärsten Aufzüge
g Die größten Schlager-Kulthits der 22.05 g Festung auf vier Rä- 20.05 Jährlich kommen mehr als 14.00 g Mein Kind, dein Kind – Dokumentation
80er Show. Mit Roland Kaiser, Die Flip- dern – Brabus Invicto 2000 Mofa- und Mopedfahrer in das Wie erziehst du denn? Doku- 17.05 Auto Bild TV – Das Magazin
pers, Münchner Freiheit 23.30 ¥ g 23.05 g Landen, Löschen, La- Ötztal und machen die Alpenstraßen Soap. Lavinyah vs. Sarah 17.50 g Auto Bild TV – Das Maga-
Knapp daneben Show. Musik & Talk mit den – Cargo-Drehkreuz zu ihrer Rennstrecke. Es ist das ver- 15.00 g Shopping Queen zin Der Bugatti Chiron und der
Heiner Knapp1.00 ¥ g Super.Markt Leipzig Dokumentation rückteste Zweitakt-Event Europas. 16.00 g Das Duell – Zwischen Tüll Mercedes-AMG C 43 4Matic
und Tränen Doku-Soap 18.35 g BILD NEWS
17.00 g Zwischen Tüll und Tränen 18.40 g Lost Places Dokumentati-
HR BR SWR 18.00 g First Dates – Ein Tisch für onsreihe. Pyramids Finland
zwei Doku-Soap 19.25 g BILD NEWS
16.45 hessenschau 17.00 hallo h. 17.45 15.30 ¥ Schnittgut Magazin 16.00 ¥ 15.15 ¥ Wer weiß denn sowas? 16.00 ¥ 19.00 g Das perfekte Dinner 19.30 g Lost Places
hessenschau 17.55 Sport 18.00 Mainto- BR24 16.15 ¥ Wir in Bayern 17.30 Regi- Aktuell 16.05 ¥ g Kaffee oder Tee Doku-Soap. U. a.: Tag 5: Ste- Dokumentationsreihe
wer 18.25 ¥ g Brisant 18.45 ¥ Die onal 18.00 ¥ Abendschau 18.30 ¥ BR24 17.00 ¥ Aktuell 17.05 ¥ g Kaffee oder phan, Mönchengladbach Der geheime U-Boot-Hafen
Ratgeber 19.15 alle wetter 19.30 ¥ g 19.00 ¥ Unser Land Magazin. Moderati- Tee 18.00 Aktuell Magazin 18.15 ¥ 20.15 g Goodbye Deutschland! 20.00 g BILD NEWS
hessenschau Magazin 20.00 ¥ Tages- on: Florian Kienast 19.30 ¥ Landgast- Mensch Heimat Dokumentationsreihe Die Auswanderer Doku-Soap. 20.05 g Der Zweite Weltkrieg in
schau 20.15 ¥ g An der Toskanischen häuser Hopfen & Malz Reportagereihe 18.45 ¥ Landesschau BW 19.30 ¥ Ak- Grenzenlose Liebe. U. a.: Kai Zahlen Dokumentationsreihe.
Küste – Von Pisa bis zur Insel Elba 20.00 ¥ Tagesschau 20.15 ¥ Hubert tuell Magazin 20.00 ¥ g Tagess. 20.15 Kron, Neue Heimat Afrika! D-Day / Kapitulation
21.00 ¥ g Die Provence mit allen Sin- und Staller Krimi-Serie. Amors tödlicher ¥ g Rheinland-Pfalz feiert! Show 22.15 g Pixels Sci-Fi-Film (USA/ 21.45 g Die Welt in Flammen
nen erleben – Lavendel, Licht und Le- Pfeil / Wenn der Postmann ... Mit Christian 21.45 ¥ Aktuell 22.00 ¥ Nachtcafé Talk- CHN/CDN 2015) Mit Adam 23.35 g Lügen und Fälschungen
bensart Dokumentation 21.45 hessen- Tramitz 21.45 ¥ BR24 22.00 Bayerischer show. Die SWR Talkshow. Leben mit der Sandler, Michelle Monaghan, Dokumentationsreihe. Der
schau Mag. 22.00 Entlang der Loire – Filmpreis 2022 Show. Moderation: Chris- Unsicherheit 23.30 ¥ Krause kommt! Peter Dinklage (Wh.) Steinzeitmensch von Piltdown
Von Orléans bis Angers 22.30 ¥ 3 nach toph Süß 0.15 ¥ Ein Mordsteam Ac- Gespräch. Über Nacht bei Sally Özcan  0.20 g vox nachrichten  0.20 g Lügen und Fälschungen
9 Talkshow 0.30 g Never Ever tionkomödie (F 2012) Mit Omar Sy 0.20 kabarett.com Show1.05 ¥ Sträter  0.40 g Snapped Dokumentationsreihe

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 DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023 FEUILLETON 15
wurde dann Partisan und später Mitar- wichtig ist nur, wie du lebst, was du tust
beiter des sowjetischen Geheimdienstes. bzw. nicht tust.“
Dreimal zum Tode verurteilt, überlebte Richtig – wobei für Ulitzkaja das
er jedes Mal, konvertierte zum Christen- Schreiben wesentlich zu diesem Tun ge-
tum und emigrierte schließlich nach Isra- hört. Sie legt dar, fragt und mahnt – aus
el, wo er bei einem (vermutlich inszenier- Verantwortung, Fürsorge, innerer Not-
ten) Unfall umkam. Immer wieder ver- wendigkeit. An die russische Bevölkerung
sucht Ulitzkaja zu zeigen, wie sich die richtet sich ihr Appell, die Erinnerung
große Geschichte im Leben des Einzel- nicht zu vergessen, denn „die Ursache all
nen spiegelt und dass jedes Menschenle- unserer Probleme liegt in der fehlenden

FOUR SEVEN/YOUTUBE/SCREENSHOT WELT

ben Aufmerksamkeit verdient. Ihr Erzäh- Erinnerungskultur“. Seit Putin die Men-
len speist sich aus jenen „faits divers“, die schenrechtsorganisation Memorial ver-
das Leben ausmachen. Jede Kleinigkeit boten hat, steht es um die Aufarbeitung
zählt, denn sie ist unabdingbarer Teil ei- der stalinistischen Vergangenheit mit ih-
nes großen Puzzles. In dieser Haltung ren grausamen Verbrechen schlecht. Oh-
geht es nicht zuletzt um Ethos. ne solche Aufarbeitung aber könne es kei-
Dazu ein Beispiel, das keinem fiktiona- ne funktionierende Zivilgesellschaft und
len, sondern einem Erinnerungstext der keinen Weg in die Zukunft geben, ist sich
Autorin, betitelt „In Richtung Liebe“, ent- Ulitzkaja sicher.
stammt. Ulitzkaja erzählt von eigenen Ulitzkajas Klarheit, Weitsicht und tiefe
Lieben und von der großen heimlichen Menschlichkeit beruhen auf dem Be- Maurice Conrad (r.) bei „GAY vs. STRAIGHT (Krankes Rapbattle)“
Liebe ihrer Mutter zu einem Mann na- wusstsein einer großen Verletzlichkeit.

Maurice Conrads
mens Boris, der fünfmal aus deutschen Der Mensch ist als Körperwesen fragil
Lagern floh, zuletzt, indem er von einer und sterblich, seelisch in Ambivalenzen
Nordseeinsel durch eiskaltes Wasser zum verstrickt, fehlbar und unvollkommen.
Festland schwamm, um dort von den ei-
genen Leuten fast umgebracht zu wer-
den. Dieser Boris besaß einen Lederman-
Doch gerade das macht ihn liebenswert.
Mutig hat Ulitzkaja den positiven Helden
des Sozialistischen Realismus dekonstru-
mega Stunt
tel, an dem er sehr hing. „Den Lederman- iert, hat nah- und streitbare Figuren ge- Ein Rap-Battle macht deutlich, wie die
Queerbewegung aus ihrer Opferrolle kommt
tel, den Boris bis Ende der fünfziger Jahre schaffen, in denen sich ihre Leserinnen
trug, hatte er als junger Kerl von seinem wiedererkennen konnten. Und mutig hat

P
ersten Lohn gekauft, noch vor dem Finni- sie sich selbst entblößt, indem sie in auto-
schen Krieg, in den er mit achtzehn ge- biographischen Texten über ihr zeitweise
schickt wurde. Ein wertvolles Stück für vertracktes Privatleben, über ihre Krebs- olitisch gibt es wenig Schnitt- Begegnung mit dem Vater des Kontra-
einen jungen Mann. Aus dem Finnischen erkrankung und die verschlungenen We- mengen. Seit seiner frühen Ju- henten. Dort, wo rüde Schwulenver-
Krieg kehrte er zurück, und bevor er 1941 ge ihrer Sinnsuche berichtet hat. Typisch gend engagiert sich Maurice achtung kulturell eher normal ist oder
in den Zweiten Weltkrieg zog, vergrub er Frau? Ich würde sagen: Typisch Ulitzkaja, Conrad in den Bereichen „Klima- & war, setzt Conrad einen queeren Ma-
den Mantel im Vorgarten seines Hauses. ehrlich und liebenswert. Liebe ist übri- Umweltschutz, LGBTQ*, Urheber- chismo, der sich nicht hinter hohlen
Heimgekehrt, grub er seinen Schatz aus gens eine zentrale Vokabel in Ulitzkajas recht & Seenotrettung“, wie der 23- LinkedIn-Phrasen oder der wohlfeilen
und trug den Mantel noch rund dreißig Literatur. Während Hass so gut wie gar Jährige auf seiner Homepage berich- Flaggenfolklore des Woke-Kapitalis-
Jahre. Abgewetztes, brüchiges Leder.“ nicht vorkommt. Oder wenn, dann wird tet. Der ehemalige Piratenpartei-Mann mus versteckt, sondern auf das
Mit wenigen Sätzen gelingt Ulitzkaja er von der Liebe vertrieben. Und in den sitzt derzeit für die Klimaliste im Selbstbewusstsein und die Pointen ei-
das Porträt eines Mannes – und ein Ab- jüngsten Texten der Autorin dominiert Mainzer Stadtrat und schreibt in der ner freiheitsverliebten Emanzipati-
riss seiner Zeit. Zu solchen Schilderun- noch ein Wort: Dankbarkeit. Es ist nicht tazigen Aktivistojournalistik eine Ko- onsbewegung setzt. Conrad tritt
gen gehört Empathie sowie Respekt für einer Altersmilde, sondern einer Alters- lumne. Jetzt hat er sich – wie auf You- angstfrei auf und erzählt seine sexuel-
das Individuum und seine Eigenheiten. weisheit geschuldet. Der gelassene Blick tube unter dem Suchbegriff „Gay vs. len Vorlieben und seine Geschichte,
In ihren Essays scheut sie sich nicht, per- zurück erkennt im Kleinen das Große, in Straight (Krankes Rapbattle)“ nachzu- die ohne die Impotenz verlogener
sönlich zu sein, doch meidet sie alles, was den Bruchstücken die Konturen eines sehen – auf eine Bühne gewagt, auf der Sonntagspredigten auskommt.
nach Ideologie aussieht. Der Sowjetkom- Ganzen und weiß die Spreu vom Weizen sein queerer Lifestyle als schräg, bes- Während Sven Lehmann als
munismus hat ihr den Glauben an eine zu trennen. Und der Kopf stimmt zu: Gut tenfalls, wahrgenommen wird: Er trat Queerbeauftragter Meinungsfreiheit
alleingültige Wahrheit definitiv ausge- so, auch wenn nicht alles ideal war. Dank- beim Battle-Rap an – und ihm gelang einschränken will und „Hass“ und
trieben. Als individuelle Sinnsuche ver- barkeit meint nicht Selbstgenügsamkeit. dabei etwas Bemerkenswertes. „Hetze“ als Totschlagargument be-
bucht Ulitzkaja ihre Konversion vom Ju- Davon ist Ljudmila Ulitzkaja weit ent- nutzt, plädiert Conrads nicht so lyri-
dentum zur russischen Orthodoxie fernt. Sie arbeitet, sie schreibt, sie gibt VON ULF POSCHARDT sches Ich mit krassen Formulierun-
(1969, noch zu Sowjetzeiten), sowie ihre nicht auf. Uns bleibt zu hoffen, dass sie gen für eine denkbar freie Form des
spätere Abwendung vom Christentum in noch lange weitermachen wird. Er befreite die gerne heulsusige Schlagabtausches, die auch eine
Richtung einer offenen Religiosität, weil Queerbewegung aus der Opferrolle sprachliche Verletzung und Herab-
„eine Ausrichtung auf die Vertikale von T Ilma Rakusa, 1946 geboren, ist und gab mit harten, ja brutalen Rhy- setzung des Gegners inkludiert. Ag-
Schweizer Schriftstellerin. Obenste-
AFP/JOEL SAGET

jedem beliebigen Punkt aus beginnen mes dem heterosexuellen Rapper-Kli- gression wird nicht abgespalten,
kann“. Sie, die in ihrem Regal stets die al- hender Text ist eine gekürzte Fassung schee contra. Dort, wo der Ge- sondern ausgelebt. Ordoliberal in ei-
te zerlesene Tora ihres Urgroßvaters hü- ihrer Laudatio auf Ljudmila Ulitzkaja schlechtsakt mit der Mutter als maxi- nem im Hip-Hop klassisch geworde-
tete, bekennt heute: „Es ist vollkommen anlässlich der Verleihung des Günter- male Provokation des Gegners gilt, er- nen Diskursformat.
Glaubt an keine alleingültige Wahrheit: Ljudmila Ulitzkaja egal, woran du glaubst und wie intensiv, Grass-Preises der Stadt Lübeck. zählt Conrad derbe von der sexuellen Insofern: ein mega Stunt.
VON STEFAN HEINE
RÄTSEL UND SUDOKU

Jede Ziffer von eins bis neun wird in jeder Spalte, jeder Zeile und
in jedem 3x3-Feld genau einmal eingetragen. Das obere Sudoku
ist von mittlerer Schwierigkeit, das Rätsel darunter etwas leichter.

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16 FEUILLETON
A
dam Smith wuchs in einer Welt auf,
in der die Kirche noch etwas zu sa-
gen hatte, eine Welt der verbotenen
Bücher: Als er in Oxford einmal auf
seinem Zimmer in David Humes
„Traktat über die menschliche Natur“ las,
stürmten wachhabende Professoren die Stube,
um das häretische Buch zu konfiszieren, denn
Hume galt wegen seiner empiristischen Skepsis
als Gotteslästerer. Der Student Smith erhielt ei-
nen Verweis, konnte darüber aber kaum über-
rascht sein. In einem Brief, dem ältesten aus sei-
ner Hand überlieferten Schriftstück, hatte er
sich zuvor bei seiner Mutter über die falsche
Schwerpunktsetzung an seiner Universität be-
klagt: „Unser einziges Geschäft hier ist es, zwei
Mal am Tag zum Gebet und zwei Mal pro Woche
zur Vorlesung zu gehen.“
VON HAZIRAN ZELLER
Die Anekdote deutet an, dass Fortschritt im
18. Jahrhundert nicht vom englischen Zentrum
des britischen Empire ausging. In der schotti-
schen Peripherie hingegen waren die Universitä-
ten progressiver, weshalb der Norden eine ganze
Reihe von Geistesgrößen hervorbrachte. Smiths
Zugehörigkeit zu dem, was als Schottische Auf-
klärung in die Geschichte einging, wird zuweilen
zu seiner Entlastung angeführt. Denn wenige
Denker stehen unter stärkerem Ideologiever-
dacht als der Begründer der bürgerlichen Öko-
nomietheorie. Freilich ist es auch bei kaum ei-
nem Denker leichter, den auf ihm lastenden Ver-
dacht zu entkräften als bei Smith.
Kontemporäre Interpreten weisen zurecht
darauf hin, dass seine Interessen vielfältiger wa-
ren, als es das Vorurteil über ihn will – so auch
der jüngst bei Suhrkamp veröffentliche Band
mit Texten von Smith. Er enthält neben Auszü-
gen aus den beiden Hauptwerken („Theorie der
moralischen Gefühle“, „Wohlstand der Natio-
nen“) auch zwei bislang nicht ins Deutsche
übersetzte Aufsätze des Jubilars. „Philosophi-
sche Schriften“ lautet der Titel, der das Pro-
gramm des Bandes zusammenfasst: Smith war
mehr als ein Ökonom – ein umfassender Gelehr-
ter, ein Aufklärer.
Die jetzt erstmals in unsere Sprache übertra-
genen Essays können das gut belegen. Sie behan-
deln Themen wie ästhetische Nachahmung und
Erkenntnistheorie. Insbesondere der Aufsatz mit
dem sperrigen Titel „Die Prinzipien, welche phi-
losophische Untersuchungen leiten und lenken,
illustriert durch: Die Geschichte der Astrono-
mie“ steht für den fundamentalen Anspruch der
Smithschen Philosophie. Der Autor wagt sich da-
rin auf das Gebiet der Geschichtsphilosophie
und fragt nach dem Ursprung der Erkenntnis.
Dafür setzt Smith in der frühesten Vorge-
schichte an, respektive zu einer Zeit, als die
Menschheit mit der Erklärung der allermeisten
Naturphänomene noch ihre Probleme gehabt
haben dürfte. Seine Überlegung ist, dass die
Menschen auch schon damals jede Unterbre-
chung des gewöhnlichen Ablaufs der Dinge als
störend empfunden hätten. Die mal peinliche,
mal Bewunderung erzeugende Empfindung von
Ungereimtheiten – Blitz und Donner sind das
Beispiel – sieht Smith daher am Ursprung aller
Theoriebildung: „Das Staunen also ist das erste
Prinzip, das die Menschen zum Studium der Phi-
losophie antreibt.“ Unbekanntes soll in Bekann-
tes verwandelt werden – so lautet die Formel
von Smiths Theorie der Theoriebildung, die
Norbert Paulo in seinem lesenswerten Nach-
wort auf den Begriff „Psychologie der wissen-
schaftlichen Erkenntnis“ bringt.
Auch in den bisher schwerer zugänglichen
„Vorlesungen über Jurisprudenz“, die den Band
komplettieren, wendet Smith eine historische
Methode an, und entwirft in Ansätzen eine ideal-
typische Geschichte der Regierungsformen. Er
B
lauer Himmel, weiße Wolken! Hervorra-
gendes Hysteriker-Wetter ist das heute
hier im schönen Bayern. Lange haben
wir darauf gewartet, nun ist es so weit: das gro-
ße Finale, der Spieltag der Spieltage, in der ba-
juwarischen Meisterschaft der Schnappat-
mung. Wir freuen uns auf ein irrsinniges Fern-
duell zwischen Erding und Nürnberg. Mit vie-
len Fake-News, Verbalschlägen unter die Leder-
hosengürtellinie, wütender Empörung und or-
dentlich Mimimi.
Schauen wir uns die Vereine an. Hier der
Evangelische Kirchentag. Der Titelverteidiger
geht mit einer Top-Besetzung an den Start:
Scholz, Baerbock. Gitarrengruppen aus dem
ganzen Land, nein, der ganzen Welt! Ein „KI-
Gottdesdienst“. Und wir hören von einem ganz
besonderen Joker. Das Stadion in Nürnberg
nicht ganz ausverkauft. 70.000 sind gekom-
men, 100.000 wurden erwartet. Doch sie glau-
ben hier an fest an sich, an ihr „Sommermär-
chen des Glaubens.“
Dann Erding, der Herausforderer. Ganz neu
in der Liga der hysterischen Hechler. Tolle Auf-
baubauart des „Dietmar Hopp der Flughafen-
Metropole in Citynähe“, wie sie ihn hier in Er-
ding nennen, den Widman Franzl, Optiker im
Hauptberuf. Ganz allein stand er noch in der
Hinrunde auf dem Marktplatz und hielt ein
Schild hoch: „Stoppt die Heizungsideologie“.
Der Rest ist Geschichte: Die in Erding und Um-
gebung weltbekannte Kabarettistin Monika
„die Gruberin“ Gruber fand das „super“ und
ließ alle ihre internationalen Kontakte bis nach
München spielen. Ganz, ganz starker Kader
heute: Markus Söder, der „Lothar Matthäus der
DIE WELT FREITAG, 16. JUNI 2023
barn durch geschickte Import- und Exportpoli-
tik zu überlisten. Solch ein Gegeneinander er-
schien Smith in der Praxis problematisch, die
zugehörige Theorie oberflächlich. Er wandte
sich vom Markt ab und der Güterherstellung zu,
womit er den Ursprung volkswirtschaftlicher
Wertschöpfung sehr viel konkreter erfasste. Die-
se Verlagerung der Perspektive auf die Sphäre
der Produktion ließ auch Karl Marx Smith unter
den bürgerlichen Ökonomen hervorheben.
Heute zählt die Schrift zu den Klassikern. Ihr
Staunen
ergeht es wie allen substantiellen Werken, die
nicht mehr ernstgenommen werden, weil sie all-
zu bekannt sind. Hinzu kommt, dass in der ge-
genwärtigen Volkswirtschaftslehre jeder syste-
als Prinzip
matische Anspruch in Smiths Denken verdrängt
wird. Die in der Disziplin immer noch vorherr-
schende Marktgläubigkeit, eigentlich etwas Vor-
bürgerliches/Merkantilistisches, besagt, Ange-
bot und Nachfrage würden es richten. Doch die
Kaum ein Denker steht stärker
Metapher von der unsichtbaren Hand verwies
auch auf eine vernünftige Organisation des Gan-
unter Ideologieverdacht als
zen. Dieser in Smith keimende Gedanke, der
Reichtums einer Gesellschaft lasse sich objektiv
Adam Smith, oft gelabelt als erfassen und folglich auch gerecht verteilen, ist
revolutionär geblieben.
Drehbuchautor des So umstürzend sein Denken war, so wenig
entsprach gerade der reife Smith als Person dem
Kapitalismus. Dabei war er, Typus des Revolutionärs. Subversiv war er wenn
der vor 300 Jahren geboren
dann unfreiwillig. So in der Frage der Nachlass-
verwaltung seines besten Freundes David Hume.
wurde, ein umfassender
Dessen Gesundheitszustand verschlechterte
sich nur wenige Wochen nach der Veröffentli-
Gelehrter, ein Aufklärer chung des „Wohlstands der Nationen“ und die
britischen Feuilletons blickten gespannt nach
Edinburgh, wo der bekennende Atheist auf dem
Sterbebett lag: Man wollte wissen, ob der Ketzer,
dem zu Lebzeiten jede akademische Stellung
verweigert wurde, doch noch die Taufe anneh-
men würde; für alle Fälle sozusagen. Aber statt
sich um das Jenseits zu kümmern, besorgte Hu-
me die Frage, wer seine letztverfasste Schrift,
HERITAGE IMAGES/ GETTY IMAGES/ HULTON ARCHIVE
die „Dialoge über natürliche Religion“, wohl he-
rausgeben könnte und natürlich dachte er zuerst
an seinen engsten Gefährten Smith. Der konnte
sich zwar nicht zur Übernahme des Auftrages
durchringen, veröffentlichte aber eine ebenso
ehrliche wie liebevolle Darstellung der letzten
Tage seines Freundes, der kurz darauf ungetauft
starb. Dafür wurde Smith mit Schmähungen
überzogen, wie sie einen Aufklärer nur adeln
können. Er resümierte, sein Bericht über Humes
Tapferkeit habe ihm „zehnmal mehr Beschimp-
fungen eingebracht als die sehr heftigen Atta-
„Ich habe begonnen, ein Buch zu schreiben, um die Zeit vergehen zu lassen“: Adam Smith (1723-1790) cken auf das gesamte Handelssystem Großbri-
tanniens“.
Wie sich den Worten unschwer entnehmen
hatte sie ab 1748 in Edinburgh gehalten, wohin es als die Fähigkeit, sich in eine andere Person hi- Schützling ganze anderthalb Jahre im Süden lässt, gefiel Smith die Rolle des Rebellen nicht
ihn nach dem Studienabschluss im englischen neinzuversetzen und ihr Tun und Leiden nach- Frankreichs zu verbringen, wo sich der Reiseleh- allzu sehr. Er war eher ein Institutionenmensch.
Exil gezogen hatte. Ein privater Bildungsverein zuempfinden. Den höchsten Punkt in Smiths rer Smith schrecklich langweilte. „Ich habe be- Als man ihm etwas später den Ehrentitel des
verschaffte ihm die Möglichkeit, öffentliche Vor- Entwurf nimmt ein fiktiver Beobachter ein, der gonnen, ein Buch zu schreiben, um die Zeit ver- Rektors der Universität Glasgow zutrug, nahm er
träge zu halten, deren Qualität sich rumsprach: unparteiisch und panoptisch über allem wacht. gehen zu lassen“, schrieb er von Toulouse an mit den Worten an: „Der dreizehn Jahre, die ich
Bald saß auch der verehrte Hume im Publikum. In Gedanken nehmen wir seine Perspektive ein, Hume nach Paris. Zwar betonen Biografen, als Mitglied dieser Körperschaft verlebt habe, er-
Smiths Edinburgher Auftritte waren ein derarti- was uns mit Stolz oder mit Scham erfüllt, je Smith habe die Arbeit am ökonomischen Haupt- innere ich mich als der nützlichsten und darum
ger Erfolg, dass sie dem damals 28-Jährigen, der nachdem, wie wir uns verhalten haben. werk, das hier gemeint ist, bereits sehr viel frü- glücklichsten und ehrenvollsten Periode meines
bislang nichts publiziert hatte, sogleich einen Diese nicht nur psychologisch äußerst weit- her in Glasgow und eigentlich schon bei seinen Lebens.“ Viel zu tun gab es in der Funktion des
Ruf an die Heimatuniversität in Glasgow ein- reichende Morallehre ist heute eher in der Fach- Vorlesungen in Edinburgh begonnen. Und trotz- Rektors nicht. Trotzdem verfasste Smith kein
brachten. Hier lehrte Smith die folgenden zwölf welt bekannt. In der damaligen Zeit wurde sie dem hat die Geschichte ihren Reiz: Die Geburt großes Werk mehr. Teils weil er ein geselliges Le-
Jahre und verfasste das erste von nur zwei Bü- auch vom Publikum begeistert aufgenommen. der Volkswirtschaftslehre aus dem Ungeist des ben vorzog, teils weil er als Zollkommissar mit
chern, die er zu Lebzeiten veröffentlichte: „Die Lange galt die „Theorie der moralischen Gefüh- touristischen Ennui. anderen Aufgaben beschäftigt war.
Theorie der moralischen Gefühle.“ Sie macht le“ als Smiths größtes Werk. Übersetzungen Die „Inquiriy into the Nature and Causes of Dabei wäre Forschungsmaterial genug vor-
den größten Teil des jetzt erschienen Bandes aus. folgten rasch und machten den Autor auch auf the Wealth of Nations“ gilt als das Skript für den handen gewesen. Wir können uns nur ausmalen,
Die Deutschen sind an den kategorischen Im- dem Kontinent bekannt, insbesondere in Frank- Kapitalismus und manchem daher politisch als was aus den 16 Manuskriptbänden hätte werden
perativ Immanuel Kants gewöhnt, dessen reich und Deutschland. fragwürdig, doch war das Buch in seiner Zeit ei- können, die er von Freunden kurz vor seinem
Pflichtstrenge die Sinnlichkeit nicht gerade auf- Vom europäischen Festland sollte sich Smith ne kritische Theorie. Smith attackiert darin die Tod, als er sich selbst schon nicht mehr bewegen
wertet; darum klingt die Leitidee der Gefühls- schon recht bald selbst ein Bild machen. Er ver- auf persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen ba- konnte, ins Feuer werfen ließ. Nur eine Handvoll
ethik in ihren Ohren leicht frivol, aber tatsäch- ließ die Glasgower Universität, um einen jungen sierende Produktionsweise, also den in Europa Essays aus dem riesigen Korpus blieben ver-
lich vertritt Smith in seiner Moralphilosophie Hochadeligen auf seiner kontinentalen Kava- vorherrschenden Feudalismus, mitsamt seines schont, und es ist ein großes Glück, zwei dieser
die Auffassung, dass sich das Gute als ein emo- liersreise zu begleiten. Das erste Ziel war Paris, Überbaus einer merkantilistischen Staatstheo- Texte endlich auf Deutsch vorliegen zu haben.
tionaler Impuls gewissermaßen in unserem Kör- wo auch die Gesellschaft Humes lockte, den rie. Der Merkantilismus verstand unter Reich- Die „Philosophischen Schriften“ sind ein würdi-
per regt. Sympathie ist der Grundbegriff seiner Smith mittlerweile als seinen Freund bezeichne- tum einen Effekt des geschickten Handels: Der ges Geschenk zum 300. Geburtstag und werden
Ethik, verstanden als Zuneigung, aber in einem te. Merkwürdigerweise verließ er die Hauptstadt Wohlstand derjenigen Volkswirtschaft wachse, die Auseinandersetzung mit Adam Smith beför-
anderen als dem uns vertrauten Sinn, nämlich aber schon nach kurzer Zeit, um mit seinem die in der Lage sei, ihre konkurrierenden Nach- dern. Seine Philosophie hat es verdient.
DAS WAR DIE WOCHE nen spielen kann und schon gespielt hat – oft in Das Publikum tobt. Das ist ein Treffer, und es
einem einzigen Spiel. folgt gleich der nächste: Wenn die Regierung ei-
VON PETER HUTH Die Szene: Die Fans hatten sich mit Plakats- nen Funken Anstand hätte, müsste sie zurück-
logans wie „Raus der aus der WHO“, „Frieden“, treten! Dann der Hattrick: „Die schweigende
„Unser Land zuerst“ und „Ihr zwingt uns zu Mehrheit muss sich die Demokratie zurückho-
Zieht den Bayern die gar nichts!“ in Stimmung gebracht, also jenen
semantischen Bengalos, die auch immer von
den Hooligans im rechten Block abgefeuert
len.“ Wutbürgersport in Perfektion.
Und Aiwanger liefert. Und wie! „Ansage an
die Medien! Stellt Euch endlich auf die Seite
Wärmepumpen aus werden – da versucht der Söder zu deeskalie-
ren! Ja, mein Gott, ist dem denn alle Spielerfah-
rung verloren gegangen? „Undemokratisch“
der normalen Bevölkerung!“ Da wird doch das
Mieder im Dirndl verrückt! So einen hat ja noch
keiner rausgehauen. Ist das die Entscheidung?
wirft er den tapferen Klartextsagern zu, distan- Nein. Denn auch Nürnberg hat noch einen
Bundespolitik“ ist dabei, genauso wie Hubert sind es, was die Fans hören wollen. Mit solchen ziert sich von der Hooligan-Szene. „Hau ab!“, Joker. Und was für einen. Gebürtig in Südafri-
Aiwanger, der irrlichternde Anti-Libero der Re- Treffern („Buchtitel: „Und erlöse uns von den skandieren die Unzufriedenen. Und Söder? Der ka, spielt Pastor Quinton Ceasar erst seit ein
gionalpräfektur Bayern. Blöden“) hat sie sich in die Nationalmann- ruft: „Haut selber ab! Wer pfeift, gehört nicht paar Saisons für die Evangelen in der Gemar-
Doch zuerst nach Nürnberg. Wunderschön schaft der Hysteriker gespielt. nach Bayern!“ Kann er diesen Schnitzer noch kung Wiesmoor. Sicher ein Risiko, ihn ausge-
spielen sie das, die Evangelen. Es wird gesun- In Nürnberg steht Olaf Scholz, Kapitän der mal ausbügeln? Nein. rechnet in der Schlussphase aufzustellen. Ein
gen, gebetet, gedacht. Fast brasilianisch ver- Regierung, auf dem Platz. Wir wissen, wie er In Nürnberg plätschert das Spiel jetzt so da- Ausnahmespieler, optisch präsent, genau das
spielt. Wirklich sehenswert. Aber: Wo ist da der spielt. Lässt sich weit nach hinten fallen. Doch hin. Rudelbildung in Workshops, wieder viel Gegenteil von Olaf Scholz. Caesar ruft: „Wir
Hang zum Tor? Nur ganz verhalten mal ein dann kommt er, nach vorne, prescht mit einem Gesang auf den Tribünen und dem Spielfeld. können nicht mehr warten!“ Worauf? Auf die
Konter nach vorne: Klimaschutz, Weltfrieden, Trick in Richtung Tor… aber was macht er da? Die Züge sind alle zu lasch, zu wenig pfiffig. Da Revolution! „Jetzt ist die Zeit!“ Für mutige
hier und da eine Solidaritätsadresse. Ja, da Mensch, Olaf! Er verhaspelt sich, macht er da ist vieles gut gedacht: Klimaschutz, Asyl für al- Entscheidungen, die wirkliche Veränderungen
brandet Applaus auf, das wollen sie sehen, die einen Witz über Flüchtlinge? Ist das Gelb oder le, Solidarität. Leute, Leute, das ist hier ist Hys- ermöglichen. Gegen alles soll gekämpft werden
Zuschauer hier. Doch ist das echt noch Luft Rot? Wir warten auf das Urteil der Schiedsrich- teriker-Sport, kein Bungee-Spiel beim Kiffer- oder auch dafür: die Rechte von Behinderten,
nach Oben! Protest statt Protestantismus, ter im Social-Media-Keller. Jetzt die Entschei- Picknick. „KI“-Gottesdienst – das ist zu ge- das Klima, die Diskriminierung der Homosexu-
mehr Klartext, mal ein paar heftige Thesen in dung – das geht gar nicht! Unglücklicher wollt, zu generisch, zu modernistisch. Das alte ellen. Und: „Wir sind die letzten Generation!“
die Luft nageln, so wie einst der Martin, der Lu- Scholz. Und er kommt nicht mehr ins Spiel zu- Problem des FC Martin Luther. Da muss noch Caesar macht es vor: So geht evangelische Hys-
ther, der ewige Ehrenspielführer. rück. Verteidigt Waffenlieferungen an die was kommen! terie, so reißt man die Leute mit, nur so kann
Da legt man in Erding, 13.000 Fans sind ange- Ukraine. So was mag hier keiner hören, hier Denn Erding legt jetzt vor. Joker Hubert Ai- die Welt besser werden. Denn: „Gott ist queer!“
reist, sogar aus München und Moosburg an der will das Publikum den bedingungslosen Ku- wanger, eigentlich noch in der Regionalliga, will Diese beiden Teams tun sich am Ende nichts.
Isar, wie es heißt, schon ganz anders vor. Moni- schelfrieden! Scholz geht vom Feld. zeigen, dass er zu Höherem berufen ist. Er geht Zwar scheint die Zeit einiger Stammspieler vor-
ka Gruber, wer denn auch sonst, geht zum An- Eigentor! Eigentor! Eigentor in Erding. Auch in jeden Zweikampf. Keilt aus gegen die „Berli- bei, aber es gibt Hoffnung im Nachwuchsbe-
griff über. Die Masse tobt. Ihre Sätze wie „Ich hier ist es einer der Topstars, der plötzlich aus- ner Chaoten“, das Team der Grünen (nach Hö- reich. Das verspricht für die nächste Saison viel
hab zwei abgeschlossene Berufsausbildungen – gepfiffen wird! Markus Söder, die Nummer 6, henflug zu Saisonbeginn in der Rückrunde aus Polemik, viel Meinung, Angriffslust und wenig
das sind schon mal zwei mehr als der Durch- 12, 56 und 87, steht da plötzlich in der Kritik der der Kurve geflogen wie sonst nur der HSV). Er Fakten. Genau das, was wir Zuschauer so mö-
schnittsbundestagsabgeordnete der Grünen“ Fans. Ausgerechnet Söder, der auf allen Positio- fordert den Rücktritt der gesamten Regierung. gen. Es lebe der Sport!
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