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Plenarprotokoll 13/24

Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

24. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abge Ulrich Heinrich F.D.P. 1639 D


ordneten Gottfried Tröger - 1623 A Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . 1640 A
Ulrich Heinrich F.D.P. 1641 A
Erweiterung der Tagesordnung 1623 A
Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1643 A
Absetzung des Punktes 8 von der Tages Ulrich Junghanns CDU/CSU 1644 C
ordnung 1623 D Heide Wright SPD 1646 D
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/
Abwicklung der Tagesordnung 1623 D
CSU 1648 B, 1650 D
Begrüßung des Präsidiums des nieder- Detlev von Larcher SPD 1649 B
sächsischen Landtages unter Vorsitz des Detlev von Larcher SPD 1650 C
Landtagspräsidenten, Herrn Horst Milde 1650 B Georg Pfannenstein SPD 1651 A
Tagesordnungspunkt 4: Ulrike Höfken-Deipenbrock BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN 1653 B
a) Unterrichtung durch die Bundesregie- Günter Graf (Friesoythe) SPD 1654 B
rung: Agrarbericht 1995; Agrar- und
Jochen Borchert CDU/CSU 1654 C
ernährungspolitischer Bericht der
Bundesregierung (Drucksachen 13/400
und 13/401 [Materialband])
Tagesordnungspunkt 5:
b) Unterrichtung durch die Bundesregie-
Beschlußempfehlung und Bericht des
rung: Waldzustandsbericht der Bun-
Ältestenrates zur Gestaltung der Sitz-
desregierung 1994 (Drucksache 13/
anordnung im neuen Plenarsaal im
146)
Reichstagsgebäude in Berlin (Druck-
Jochen Borchert, Bundesminister BML 1624 A, 1652 C sache 13/685)
Horst Sielaff SPD . . . . . . . 1625 C, 1645 C Brigitte Baumeister CDU/CSU 1655 C
Egon Susset CDU/CSU . . . . . . . 1627 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 1656 C
Günter Graf (Friesothye) SPD . . . . 1629 A Peter Conradi SPD 1657 D
Günther Bredehorn F.D.P. 1631 B Clemens Schwalbe CDU/CSU . . . 1658 D
Ulrike Höfken-Deipenbrock BÜNDNIS 90/ Hans Klein (München) CDU/CSU , . 1659 B
DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . 1631 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
Günther Bredehorn F.D.P. 1633 B NEN 1660 A
Dr. Günther Maleuda PDS . . . . . 1635 A Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU . . . 1660 D
Albert Deß CDU/CSU 1637 A Ulrich Heinrich F D P. 1661 A
Dr. Gerald Thalheim SPD . 1638C, 1653 D Brigitte Baumeister CDU/CSU .. . 1662 A
Horst Sielaff SPD . . . . . . . . . 1639 C Ulrich Heinrich F.D.P 1662 C
II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Freimut Duve SPD 1663 B Anke Fuchs (Köln) SPD 1694 D


Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE
90/DIE GRÜNEN 1663 D GRÜNEN 1695 D
Klaus-Jürgen Warnick PDS 1664 A Jörg Tauss SPD 1695 D
Joachim Hörster CDU/CSU (zur GO) 1665 B Klaus Kirschner SPD . . . . . . . 1699 C

Namentliche Abstimmung 1665 B Tagesordnungspunkt 16:


Ergebnis 1665 C Überweisungen im vereinfachten Verfah-
ren
Tagesordnungspunkt 6:
a) Erste Beratung des von der Bundesre-
Beschlußempfehlung und Bericht des gierung eingebrachten Entwurfs eines
Ältestenrates: Rechtsstellung der Ab- Gesetzes zu dem Abkommen vom
geordneten der PDS im 13. Deutschen 25. März 1981 zwischen der Bundesre-
Bundestag (Drucksache 13/684) publik Deutschland und dem König-
Joachim Hörster CDU/CSU 1668 A reich Marokko über Kindergeld
(Drucksache 13/665)
Dr. Peter Struck SPD 1669 A
Dr. Gregor Gysi PDS. . . . . . . . 1669 C b) Erste Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines
Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Gesetzes zu dem Abkommen vom
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . 1670 A 20. September 1991 zwischen der Bun-
Jörg van Essen F.D.P, 1670 D desrepublik Deutschland und der Tu-
Manfred Müller (Berlin) PDS 1671 C nesischen Republik über Kindergeld
(Drucksache 13/664)
Tagesordnungspunkt 7: - c) Erste Beratung des vom Bundesrat ein-
a) Erste Beratung des von der Bundesre- gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes
gierung eingebrachten Entwurfs eines zur Änderung des Strafvollzugsgeset-
Dritten Gesetzes zur Änderung des zes (Drucksache 13/117)
Fünften Buches Sozialgesetzbuch d) Erste Beratung des vom Bundesrat ein-
(Drucksa-—3.SGBV-Änderungse tz gebrachten Entwurfs eines Zweiund-
che 13/340) dreißigsten Gesetzes zur Änderung
b) Unterrichtung durch die Bundesregie- des Lastenausgleichsgesetzes (Druck-
rung: Zweiter Bericht des Bundesmini- sache 13/188)
steriums für Gesundheit zur Entwick- e) Antrag des Bundesministeriums der Fi-
lung der Beitragssätze in der gesetzli- nanzen: Einwilligung gemäß § 64
chen Krankenversicherung und zur Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die
Umsetzung der Empfehlungen und Veräußerung des Standortübungsplat-
Vorschläge der Konzertierten Aktion zes München ( „Panzerwiese") (Druck-
zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit, sache 13/432)
Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen (Zweiter Bericht f) Antrag des Bundesministeriums der Fi-
nach 141 Abs. 4 SGB V) (Drucksache nanzen: Einwilligung gemäß § 64
12/8570) Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die
Horst Seehofer, Bundesminister BMG 1673 B, 1698 C Veräußerung einer Teilfläche der bun-
Rudolf Dreßler SPD 1675 D deseigenen Liegenschaft „Lee-Bar-
racks" in Mainz-Gonsenheim an die
Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . 1679 A, 1686 D
Grundstücksverwaltungsgesellschaft
Horst Seehofer CDU/CSU 1679 B, 1680 A, 1693 D, der Stadt Mainz mbH (GVG) (Druck-
1695 B sache 13/551)
Wolfgang Zöller CDU/CSU . . 1680 A, 1697 D
in Verbindung mit
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/
CSU . . . . . . . . . . . . . 1683 B, 1686 D
Zusatztagesordnungspunkt 4:
Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
NEN ..... 1687 A Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 1689 A a) Erste Beratung des von der Fraktion
Jürgen W. Möllemann F.D.P. . . . . . 1689 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Dr. Martin Pfaff SPD 1689 D
Änderung von Vorschriften über die
Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . 1691 D Besetzung von Gremien (Drucksache
Klaus Kirschner SPD 1693 A 13/693)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 III

b) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE organisation (IDA) - (Drucksachen 12/


GRÜNEN: Änderung des Gesetzes 8566, 13/442)
über die Errichtung einer Schulden-
verwaltung des Vereinigten Wirt- h) Beschlußempfehlung des Haushalts-
schaftsgebietes (Drucksache 13/692) . 1700 B ausschusses zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung: Überplan-
Tagesordnungspunkt 17: mäßige Ausgaben bei Kapitel 12 15 -
Flugsicherung; Titel 67102 - Erstat-
Abschließende Beratungen ohne Aus- tung von Einnahmeausfällen der DFS
sprache Deutsche Flugsicherung GmbH auf
Grund von Gebührenbefreiungen
a) Zweite und Dritte Beratung des vom
(Drucksachen 13/103, 13/443)
Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Geset- i) Beschlußempfehlung des Haushalts-
zes zur Verhütung und Bekämpfung ausschusses zu der Unterrichtung
übertragbarer Krankheiten beim Men- durch die Bundesregierung: Überplan-
schen (Gesetz zur Änderung des Bun- mäßige Ausgaben bei Kapitel 25 02 Ti-
des-Seuchengesetzes) (Drucksachen tel 622 01 - Zuweisungen an Länder
13/119, 13/706) zur Verbilligung von Zinskosten
b) Zweite und dritte Beratung des von den (Drucksachen 12/8608, 13/444)
Fraktionen CDU/CSU, SPD, F.D.P. und j) Beschlußempfehlung des Haushalts-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- ausschusses zu der Unterrichtung
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur durch die Bundesregierung: Überplan-
Änderung der Vorschriften über parla- mäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel
mentarische Gremien (Drucksachen 896 03 - Bilaterale Technische Zusam-
13/543, 13/662) menarbeit mit Entwicklungsländern
c) Beschlußempfehlung des Haushalts-
- -(Drucksahen13/6,13/45)
ausschusses zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung: Überplan- k) Beschlußempfehlung des Haushalts-
mäßige Ausgaben bei Kapitel 05 02 Ti- ausschusses zu der Unterrichtung
tel 686 30 - Beitrag an die Vereinten durch die Bundesregierung: Überplan-
Nationen - (Drucksachen 13/151, 13/ mäßige Ausgaben bei Kapitel 31 04 Ti-
438) tel 685 02 - Sonderprogramm zur
Schaffung zusätzlicher Ausbildungs-
d) Beschlußempfehlung des Haushalts- plätze in den neuen Ländern und Ber-
ausschusses zu der Unterrichtung lin (Ost) und bei Kapitel 3104 Titel
durch die Bundesregierung: Überplan- 685 03 -; Beteiligung des Europäischen
mäßige Ausgaben bei Kapitel 05 02 Ti- Sozialfonds am Sonderprogramm zur
tel 686 43 - Beitrag zu den Kosten der Schaffung zusätzlicher Ausbildungs-
EU-Friedensmission in Jugoslawien - plätze in den neuen Ländern und Ber-
(Drucksachen 12/8538, 13/439) lin (Ost) - (Drucksachen 12/8585, 13/
446)
e) Beschlußempfehlung des Haushalts-
ausschusses zu der Unterrichtung 1) Beschlußempfehlung des Haushalts-
durch die Bundesregierung: Überplan- ausschusses zu der Unterrichtung
mäßige Ausgabe bei Kapitel 09 02 Titel durch die Bundesregierung: Überplan-
891 91 - Kapitalzuführung an die DFA- mäßige Ausgaben bei Kapitel 18 03 Ti-
Fertigungs- und Anlagenbau GmbH - telgruppe 01 -; Kindergeld nach dem
(Drucksachen 13/42, 13/440) Bundeskindergeldgesetz (Drucksachen
13/92, 13/447)
f) Beschlußempfehlung des Haushalts-
ausschusses zu der Unterrichtung m) Beschlußempfehlung des Haushalts-
durch die Bundesregierung: Überplan- ausschusses zu der Unterrichtung
mäßige Ausgaben bei Kapitel 23 02 Ti- durch die Bundesregierung: Überplan-
tel 686 08 - Ernährungssicherungspro- mäßige Ausgabe bei Kapitel 17 04 Titel
gramme; Kapitel 23 02 Titel 686 24 - 68123 - Sonderleistungen für Zivil-
Nahrungsmittelhilfe (Drucksachen 12/ dienstleistende nach Maßgabe des Un-
8567, 13/441) terhaltssicherungsgesetzes (Drucksa-
chen 12/8562, 13/448)
g) Beschlußempfehlung des Haushalts-
ausschusses zu der Unterrichtung n) Beschlußempfehlung des Haushalts-
durch die Bundesregierung: Haushalts- ausschusses zu der Unterrichtung
führung 1994; Einwilligung in eine durch die Bundesregierung: Überplan-
überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel mäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Ti-
23 02 Titel 836 02 - Beteiligung der tel 646 12 - Erstattung von Invaliden-
Bundesrepublik Deutschland am Kapi- renten und Aufwendungen für Pflicht-
tal der Internationalen Entwicklungs beitragszeiten bei Erwerbsunfähigkeit
IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

in dem in Artikel 3 des Einigungsver- durch die Bundesregierung: Außer-


trages genannten Gebiet - (Drucksa- planmäßige Ausgaben bei Kapitel
chen 12/8559, 13/449) 11 12 apl. Titel 856 32 - Darlehen an
die Bundesanstalt für Arbeit - (Druck-
o) Beschlußempfehlung des Haushalts- sachen 13/175, 13/458)
ausschusses zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung: Überplan- w) Beschlußempfehlung des Petitionsaus-
mäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Ti- schusses: Sammelübersicht 14 zu Peti-
tel 656 04; Zuschüsse zu den Beiträgen tionen (Drucksache 13/576)
zur Rentenversicherung der in Werk-
stätten beschäftigten Behinderten x) Beschlußempfehlung des Petitionsaus-
(Drucksachen 12/8554, 13/450) schusses: Sammelübersicht 15 zu Peti-
tionen (Drucksache 13/577)
p) Beschlußempfehlung des Haushalts-
ausschusses zu der Unterrichtung in Verbindung mit
durch die Bundesregierung: Überplan-
mäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Ti-
tel 681 02 - Aufwendungen des Bundes Zusatztagesordnungspunkt 5:
für die gesetzliche Unfallversicherung
(Drucksachen 12/8550, 13/451) Weitere abschließende Beratungen ohne
Aussprache
q) Beschlußempfehlung des Haushalts-
ausschusses zu der Unterrichtung
a) Zweite und Dritte Beratung des vom
durch die Bundesregierung: Überplan-
Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei-
mäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Ti-
nes Gesetzes zur Änderung des Geset-
tel 656 04 -; Zuschüsse zu den Beitra-
zes über den Finanzausgleich zwi-
gen zur Rentenversicherung der in
schen Bund und Ländern (Drucksa-
Werkstätten beschäftigten Behinderten
chen 13/203, 13/686)
- (Drucksachen 12/8605, 13/452)
r) Beschlußempfehlung des Haushalts- b) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
ausschusses zu der Unterrichtung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.:
durch die Bundesregierung: Haushalts- Erneute Überweisung von Vorlagen
und Wirtschaftsführung 1994; Antrag aus früheren Wahlperioden (Drucksa-
auf Erteilung der Einwilligung in eine che 13/725) . . . 1701 A
überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel
06 40 Titel 896 21 -; Leistungen zur
Schaffung von Lebensgrundlagen für Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung):
die deutschen Minderheiten - bis zur
Höhe von 28 500 TDM - (Drucksachen Fragestunde
13/22, 13/453)
- Drucksache 13/676 vom 3. März
s) Beschlußempfehlung des Haushalts- 1995 -
ausschusses zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung: Überplan- Fertigstellung der deutsch-polnischen
mäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Ti- Gemeinschaftszollanlage Frankfurt/Oder;
tel 68111 - Eingliederungshilfe für Auswirkungen des Importverbots für
Spätaussiedler - (Drucksachen 12/ Schrottfahrzeuge auf die Grenzabferti-
8606, 13/454) gung in Polen
t) Beschlußempfehlung des Haushalts- MdlAnfr 28, 29
ausschusses zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung: Überplan- Ulrich Junghanns CDU/CSU
mäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Ti- Antw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1705 D, 1706 B
tel 68111 - Eingliederungshilfe für
Spätaussiedler - (Drucksachen 13/170, ZusFr Ulrich Junghanns CDU/CSU . . . 1706 B
13/456)
u) Beschlußempfehlung des Haushalts- Sicherung des Fortbestands des Mansfel-
ausschusses zu der Unterrichtung der Kupfer- und Messingwerks in Hett-
durch die Bundesregierung: Überplan- stedt und der dortigen Arbeitsplätze
mäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Ti- MdlAnfr 30
tel 681 12 - Sachkosten bei Teilnahme
an Deutsch-Sprachlehrgängen für Frederik Schulze CDU/CSU
Spätaussiedler - (Drucksachen 12/ Antw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1706 D
8604, 13/457)
ZusFr Frederik Schulze CDU/CSU . . . 1707 A
v) Beschlußempfehlung des Haushalts-
ausschusses zu der Unterrichtung ZusFr Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . 1707 A
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 V

Erhaltung der Arbeitsplätze bei der Priva- Stromimporte aus osteuropäischen Atom-
tisierung des Aluminiumwerks Aluhett kraftwerken (ohne Containment) nach
GmbH (Hettstedt) Deutschland
MdlAnfr 31 MdlAnfr 39
Frederik Schulze CDU/CSU Simone Probst BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Antw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF .. 1707 B NEN
1707 C Antw PStS Dr. Heinrich L. Kolb BMWi . 1715 B
ZusFr Frederik Schulze CDU/CSU . . .
ZusFr Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . 1707 C ZusFr Simone Probst BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN 1715 C
Finanzielle Beteiligung der Bundesrepu- ZusFr Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE
blik Deutschland am Weiterbau des Atom- GRÜNEN 1715 C
kraftwerks Mochovce (Slowakei) ange- ZusFr Horst Kubatschka SPD 1715 D
sichts des fragwürdigen Sicherheitsstan- ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/
dards DIE GRÜNEN 1716 A
MdlAnfr 32, 33
Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE Gaspreisschätzungen in der Least-Cost-
GRÜNEN Studie der Europäischen Bank für Wieder-
aufbau und Entwicklung zum slowaki-
Antw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1708 A, 1710 B
schen Atomkraftwerk Mochovce
ZusFr Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE
1708 B, 1711 A MdlAnfr 40
GRÜNEN
Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE
ZusFr Monika Ganseforth SPD . 1708 D, 1711 C
GRÜNEN
ZusFr Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE
Antw PStS Dr. Heinrich L. Kolb BMWi . 1716 B
GRÜNEN 1709 A, 1711 D
ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/
ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN 1716 D
DIE GRÜNEN 1709 B, 1711 B
ZusFr Wolfgang Behrendt SPD 1717 B
ZusFr Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN 1710 A ZusFr Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . 1717 C
ZusFr Horst Kubatschka SPD . . . . 1711 C
ZusFr Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE
ZusFr Wolfgang Behrendt SPD 1712 B
GRÜNEN 1717 D
Politische Einflußnahme auf die Europäi- ZusFr Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/
sche Bank für Wiederaufbau und Entwick- DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . 1717 D
lung (EBRD) bei der Beurteilung der Wirt-
schaftlichkeit des slowakischen Atom-
kraftwerks Mochovce Zusatztagesordnungspunkt 2:
MdlAnfr 35 Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun-
Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE desregierung zur künftigen Ausgestal-
GRÜNEN tung des Familienlastenausgleichs
Antw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF . . 1712 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 1718 B
ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 1719 A
DIE GRÜNEN 1712 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE
ZusFr Wolfgang Behrendt SPD 1713 B GRÜNEN 1720 A
ZusFr Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 1721 A
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . 1713 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . 1722 A
ZusFr Monika Ganseforth SPD . . . 1713 D Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 1723 A
ZusFr Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/ Lydia Westrich SPD . . . . . . . . . 1724 B
DIE GRÜNEN 1714 A Friedrich Merz CDU/CSU 1725 B
ZusFr Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE Hildegard Wester SPD 1726 B
GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . 1714 B
Renate Diemers CDU/CSU 1727 B
Lieferung von Rüstungsgütern durch Fir- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär
men des Bereichs „Kommerzielle Koordinie- BMF 1728 B
rung" der früheren DDR während des ira- Nicolette Kressl SPD 1729 D
nisch-irakischen Krieges in diese Länder Johannes Singhammer CDU/CSU .. 1730 D
MdlAnfr 38 Lisa Seuster SPD 1731 C
Volker Neumann (Bramsche) SPD Hans Michelbach CDU/CSU 1732 C
Antw PStS Dr. Heinrich L. Kolb BMWi . . 1714 C Dr. Karl I I. Fell CDU/CSU (Erklärung nach
ZusFr Volker Neumann (Bramsche) SPD . 1714 D § 30 GO) . . . . . . . 1733 C
VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Tagesordnungspunkt 9: Grenze im Straßenverkehr auf


0,0 Promille (Drucksache 13/694)
a) Beschlußempfehlung des Petitionsaus-
schusses: Sammelübersicht 7 zu Peti- Siegfried Scheffler SPD 1749 A
tionen (Maßnahmen zur Verbesserung Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/
der Rüstungsexportkontrollen im Hin- CSU 1751 B
blick auf mögliche Menschenrechtsver- Arne Fuhrmann SPD 1752 D
letzungen) (Drucksache 13/332)
Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE
b) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- GRÜNEN 1753 B
schusses: Sammelübersicht 8 zu Peti-
Ernst Hinsken CDU/CSU 1754 B
tionen (Export von Kriegsschiffen aus
den Beständen der ehemaligen NVA- Horst Friedrich F.D.P. 1755 A
Marine und U-Booten nach Indonesien) Heinz Lanfermann F.D.P 1755 B
(Drucksache 13/333)
Dr. Dagmar Enkelmann PDS 1756 D
Frederik Schulze CDU/CSU 1734 B
Gernot Erler SPD 1735 B Zusatztagesordnungspunkt 6:
Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Zweite und dritte Beratung des von der
NEN 1736 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . 1737 B eines Gesetzes über die Zusammenarbeit
Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . 1737 D mit dein internationalen Strafgerichts-
hof für das ehemalige Jugoslawien (Jugo-
Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . 1738 B
slawien-Strafgerichtshof-Gesetz) (Druck-
Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sachen 13/57, 13/207, 13/716)
NEN 1739 B
Norbert Röttgen CDU/CSU 1758 A
Gernot Erler SPD 1739 C
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 1759 D
Eva-Maria Bulling-Schröter PDS . . . - 1740 A
Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . 1761 A
Wolfgang Dehnel CDU/CSU 1740 D
Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
NEN 1761 D
Tagesordnungspunkt 10:
Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 1762 D
Antrag der Abgeordneten Franziska
Eichstädt-Bohlig, Elisabeth Altmann Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 1763 C
(Pommelsbrunn) und der Fraktion Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun-
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Verkauf desministerin BMJ . . . . . . . . . 1764 B
ehemals militärisch genutzter Woh- Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . . 1765 A
nungen durch das Bundesministerium
der Finanzen (Drucksache 13/364) Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . 1765 D
Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1742 C
Anlage 1
Susanne Jaffke CDU/CSU 1744 B
Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1767*' A
Karl Diller SPD 1745 B
Lisa Peters F.D.P. 1746 D
Klaus-Jürgen Warnick PDS 1747 D Anlage 2
Steuerliche Auswirkungen bei Einführung
Tagesordnungspunkt 11: eines Betriebskostenpauschalabzugs ana-
log zum österreichischen EStG unter Zu-
a) Erste Beratung des von der Fraktion grundelegung einer Umsatzgrenze von
der SPD eingebrachten Entwurfs eines 500 TDM; Auswirkungen bei Erhöhung
Gesetzes zur Änderung des Straßen- dieser Umsatzgrenze
verkehrsgesetzes (Drucksache 13/422)
MdlAnfr 25, 26 - Drs 13/676
b) Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar -ReinrKziskewitz
CDU/CSU
Enkelmann und der weiteren Abgeord-
neten der PDS: Senkung der Promille SchrAntw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1767* B
Grenze im Straßenverkehr auf
0,0 Promille (Drucksache 13/612) Anlage 3
in Verbindung mit Möglichkeit einer Reduzierung oder Auf-
hebung des Solidaritätszuschlags noch vor
Zusatztagesordnungspunkt 3: 1997 bei einer sparsameren Haushaltsfüh-
rung
Antrag der Abgeordneten Gila Alt-
mann (Aurich), Albert Schmidt (Hitz- MdlAnfr 27 - Drs 13/676 -
hofen) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Benno Zierer CDU/CSU
DIE GRÜNEN: Senkung der Promille SchrAntw PStS Dr. Kurt Faltlhauser BMF 1767* D
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 VII

Anlage 4 Anlage 10
Bemühungen Bayerns um Privatisierung Probleme der Maßnahmeträger von Ar-
der Maxhütte beitsbeschaffungsmaßnahmen bei der
Aufbringung der Eigenbeteiligung für das
MdlAnfr 36, 37 - Drs 13/676 -
Jahr 1994; Rückgang der Arbeitsbeschaf-
Ludwig Stiegler SPD
fungsmaßnahmen
SchrAntw PStS Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 1768* A MdlAnfr 51 - Drs 13/676
SPD -KlausHageman
Anlage 5 SchrAntw PStS I forst Günther BMA . . . 1771* C
Einschränkung der Kontrollpflicht bei der
Ausfuhr von Dual-Use-Gütern auf nur Anlage 11
noch 13 Staaten gemäß der neuen „Liste K" Ausbau der Bahnhöfe Allersberg und Kin-
der Außenwirtschaftsverordnung ding zu Regionalbahnhöfen und Anbin-
MdlAnfr 41, 42 - Drs 13/676 dung des öffentlichen Personennahver-
SPD -GernotErle kehrs an die ICE-Strecke Ingolstadt-Nürn-
berg
SchrAntw PStS Dr. Heinrich L. Kolb BMWi 1768* C
MdlAnfr 52, 53 - Drs 13/676 -
Verena Wohlleben SPD
Anlage 6 SchrAntw PStS Johannes Nitsch BMV . . 1771* D
Verhinderung des Einsatzes von Glyko-
peptid-Antibiotika als Futtermittelersatz in
Anlage 12
der Tiermast, insbesondere in Schweine -
und Hiihnermastbetrieben Stand der Planungen für die niederländi-
sche Güterverkehrsstrecke Betuwe-Lijn
MdlAnfr 43, 44 - Drs 13/676 -
und die deutsche Anschlußstrecke Emme-
Dr. Angelica Schwall-Düren SPD rich-Oberhausen-Duisburg
SchrAntw PStS Wolfgang Gröbl BML . . 1769* B MdlAnfr 54, 55 - Drs 13/676
Dr. Barbara Hendricks SPD
Anlage 7 SchrAntw PStS Johannes Nitsch BMV . . 1772* B
Produktionsmenge und gegenwärtige
bzw. zukünftige Produktionsstandorte von Anlage 13
Öko-Diesel (Rapsöl-Methylester, RME); Landeverbot für laute Flugzeuge auf deut-
Art der derzeit mit Öko-Diesel betriebe- schen Flughäfen
nen Fahrzeuge; Eignung zur Verwendung
bei Bundeswehr, Deutscher Bahn und MdlAnfr 56 - Drs 13/676 -
Bundesgrenzschutz Wolfgang Behrendt SPD
SchrAntw PStS Johannes Nitsch BMV . . 1772* D
MdlAnfr 45, 46 - Drs 13/676 -
Heinz Schmitt (Berg) SPD
SchrAntw PStS Wolfgang Gröbl BML . . 1770* A Anlage 14
Fertigstellung und Finanzierung der ICE-
Trasse Leipzig-Nürnberg; strukturpoliti-
Anlage 8 sche Folgen der verzögerten Inbetriebnah-
Nutzung des ehemaligen NATO-Pipeline- me dieser ICE-Verbindung
Netzes in der Pfalz für den Transport und MdlAnfr 57, 58 - Drs 13/676 -
die Lagerung von Öko-Diesel (RME); Kon- Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE
kurrenzfähigkeit von Öko-Diesel im Ver- GRÜNEN
gleich zu anderen Treibstoffen
SchrAntw PStS Johannes Nitsch BMV . . 1773* C
MdlAnfr 47, 48 - Drs 13/676 -
Lydia Westrich SPD
Anlage 15
SchrAntw PStS Wolfgang Gröbl BML . . 1770* D
Unregelmäßigkeiten bei den Gehaltszah-
lungen der Deutschen Bahn AG
Anlage 9 MdlAnfr 59, 60 - Drs 13/676 -
Zahlung von Pflegeversicherungs-Vor- Joachim Hörster CDU/CSU
schüssen für den Übergangsmonat April SchrAntw PStS Johannes Nitsch BMV . . 1774* A
1995
MdlAnfr 49, 50 - Drs 13/676 - Anlage 16
Günter Graf (Friesoythe) SPD
Verzicht der amerikanischen Regierung
SchrAntw PStS Horst Günther BMA 1771* B auf den Bau einer mit hochangereichertem
VIII Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Uran betriebenen Fortgeschrittenen Neu- MdlAnfr 68, 69 - Drs 13/676


tronenquelle (ANS); Auswirkungen auf SPD -RudolfBindg
den geplanten Forschungsreaktor Mün-
chen II SchrAntw StM Dr. Werner Hoyer AA . . 1775* D

MdlAnfr 61, 62 - Drs 13/676 Anlage 21


SPD -HorstKubatschka
Bericht des Sonderberichterstatters der
SchrAntw PStS Bernd Neumann BMBF 1774* B VN-Menschenrechtskommission zur an-
geblichen Diskriminierung der Sciento-
Anlage 17 logy-Organisation in der Bundesrepublik
Deutschland
Antrag auf Erteilung einer Unbedenklich-
keitsbescheinigung für den geplanten For- MdlAnfr 70, 71 - Drs 13/676
schungsreaktor München II SPD -Renat Ren bach
MdlAnfr 63, 64 - Drs 13/676 - SchrAntw StM Dr. Werner Hoyer AA . . 1776* A
Wolf-Michael Catenhusen SPD

SchrAntw PStS Bernd Neumann BMBF . 1774* D Anlage 22

Militärabkommen zwischen Rußland und


Anlage 18 Serbien; Auswirkungen dieses Abkom-
Todesurteil eines pakistanischen Gerichts mens auf den serbischen Aggressions-
gegen zwei Christen wegen angeblicher krieg gegen Bosnien-Herzegowina und
„Gotteslästerung"; Situation der christli- Kroatien
chen Minderheit in Pakistan
MdlAnfr 72 - Drs 13/676 -
MdlAnfr 65 - Drs 13/676 - Jürgen Augustinowitz CDU/CSU
Roland Kohn F.D.P.
SchrAntw StM Dr. Werner Hoyer AA . . 1776* C
SchrAntw StM Dr. Werner Hoyer AA 1775* A
Anlage 23
Anlage 19
Vorstellungen der Bundesregierung zur
Anklage gegen Mitglieder der oppositio- Osterweiterung der NATO und der West-
nellen Partei Dalmatinska Akzija; Verhin- europäischen Union in Hinblick auf die
derung einer zunehmend undemokrati- „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspo-
schen Entwicklung Kroati ens litik" (GASP) der Europäischen Union

MdlAnfr 66, 67 - Drs 13/676 - MdlAnfr 73, 74 - Drs 13/676


Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ SPD -Dr.ElkeLonhard
DIE GRÜNEN
SchrAntw StM Dr. Werner Hoyer AA . . 1776* D
SchrAntw StM Dr. Werner Hoyer AA . 1775* B
Anlage 24
Anlage 20
Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesord-
Bericht des Sonderberichterstatters der nungspunkt 10 (Antrag: Verkauf ehemals
VN-Menschenrechtskommission zur an- militärisch genutzter Wohnungen durch
geblichen Diskriminierung der Sciento- das Bundesministerium der Finanzen)
logy-Bewegung in der Bundesrepublik
Deutschland; Reaktion der Bundesregie- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin
rung BMF 1777*D
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1623

24. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Die Sitzung ist hof für das ehemalige Jugoslawien (Jugoslawien-Straf-
eröffnet. gerichtshof-Gesetz) - Drucksachen 13/57, 13/207, 13/
716 -
Zunächst möchte ich dem Kollegen Gottfried Trö- 7. Erste Beratung des von den Abgeordneten Annelie Bun-
ger, der am 20. Februar 1995 seinen 60. Geburtstag tenbach, Kerstin Müller (Köln), Elisabeth Altmann und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
feierte, nachträglich die herzlichsten Glückwünsche Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsför-
des Hauses aussprechen. derungsgesetzes (§ 116) - Drucksache 13/691 -

(Beifall) - 8. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstel-
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- lung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei
Arbeitskämpfen - Drucksache 13/715 -
dene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in
der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rita Grießha-
ber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ Zeit und Geld für Kinder - Drucksache 13/711 -
DIE GRÜNEN: Beginn der Verhandlungen der Bundes-
regierung mit der Regierung in Belgrad am 6. März Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so-
1995 über die Rückführung von Asylbewerbern und/
oder Bürgerkriegsflüchtlingen (In der 23. Sitzung am
weit erforderlich, abgewichen werden.
8.März195beitsldg)
Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesord-
2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: nungspunkt 8, Programm für Klimaschutz, abzuset-
Haltung der Bundesregierung zur künftigen Ausgestal-
tung des Familienlastenausgleichs
zen. Außerdem soll am Freitag die Beratung des Ent-
wurfs zum Arbeitsförderungsgesetz vor Tagesord-
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann
(Aurich), Albert Schmidt (Hitzhofen), Rainder Steen-
nungspunkt 13 aufgerufen werden. Die Beratungen
block und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ohne Aussprache werden heute vor der Fragestunde,
Senkung der Promille Grenze im Straßenverkehr auf die gegen 14.15 Uhr beginnen wird, aufgerufen.
0,0 Promille - Drucksache 13/694 -
4. weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Sind Sie mit diesen interfraktionellen Vereinbarun-
(Ergänzung zu TOP 16) gen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Wi-
a) Erste Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/ derspruch. Dann ist es so beschlossen.
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung von Vorschriften über die Beset-
zung von Gremien - Drucksache 13/693 - Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf:
b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
GRÜNEN:
desregierung
Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer
Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsge- Agrarbericht 1995
bietes - Drucksache 13/692 -
5. weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Agrar- und ernährungspolitischer Bericht
(Ergänzung zu TOP 17) der Bundesregierung
a) Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung - Drucksachen 13/400 und 13/401 (Mate-
des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen rialband) -
Bund und Ländern - Drucksachen 13/203, 13/686 -
Überweisungsvorschlag:
b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Er-
(federführend)
neute Überweisung von Vorlagen aus früheren
Haushaltsausschuß
Wahlperioden - Drucksache 13/725 -
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
6. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregie- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
Zusammenarbeit mit dem internationalen Strafgerichts heit
1624 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch


b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Die Prognose für das laufende Wirtschaftsjahr
desregierung 1994/95 ist zwar wieder günstiger. Zu der Einkom-
mensverbesserung, die prognostiziert wird, trägt si-
Waldzustandsbericht der Bundesregierung cher auch bei, daß die Agrarreform erste Erfolge
1994 zeigt, daß z. B. die Getreidemärkte entlastet sind.
— Drucksache 13/146 Das Marktgleichgewicht trägt dazu bei, daß sich die
—Überwisungvorschlag: Marktpreise vom Interventionspreisniveau wegent-
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
wickelt haben. Vor allem aber erwarten wir auf
(federführend) Grund der positiven Preisentwicklung bei Vered-
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- lungsprodukten eine bessere Entwicklung.
heit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- Aber prozentuale Einkommenssteigerungen be-
nologie und Technikfolgenabschätzung
deuten nur sehr wenig, wenn die absolute Höhe un-
Zum Agrarbericht liegt je ein Entschließungsan- zureichend ist. Dies ist der Fall. Bei den meisten Be-
trag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., der trieben dürfte trotz der erwarteten Zuwächse von 7 %
SPD sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bis 12 % noch nicht wieder das Gewinniveau von
vor. Zum Waldzustandsbericht liegt je ein Entschlie- 1988/89 erreicht werden. Damit bleibt die Einkom-
ßungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion menssituation auch im laufenden Wirtschaftsjahr au-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. ßerordentlich schwierig.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für Meine Damen und Herren, die Bundesregierung
die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgese- wird weiterhin dafür eintreten, den Agrarstandort
hen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann Deutschland mit einer leistungsfähigen, marktorien-
ist es so beschlossen. tierten und umweltverträglichen Land-, Forst- und
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun- Ernährungswirtschaft zu sichern. Dies muß der künf-
desminister für Ernährung, Landwirtschaft und For- tige Weg sein.
sten, Jochen Borchert.
Fortschritte bei der Sicherung des Agrarstandor-
tes Deutschland sind zu begrüßen, so sie denn
Jochen Borche rt , Bundesminister für Ernährung, wirklich eingetreten sind.
Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein schwieriges Un- So der Kollege Sielaff. Angesichts der jetzt beschlos-
terfangen, wenn man in der vorgegebenen kurzen senen Neukonzeption der einzelbetrieblichen Inve-
Zeit zwei umfangreiche und in ihren Auswirkungen stitionsförderung, Herr Kollege Sielaff, werden Sie
weitreichende Berichte der Bundesregierung vorstel- die Erfolge der Bundesregierung sicher zu würdigen
len soll. wissen.
Nach dem Agrarbericht 1995 sind im früheren (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Wir werden es
Bundesgebiet die Gewinne der landwirtschaftlichen ja gleich hören!)
Vollerwerbsbetriebe im Wirtschaftsjahr 1993/94
durchschnittlich um etwa 6 % gesunken, und zwar Wir haben die Fördergrundsätze weiterentwickelt
auf 41 962 DM je Vollerwerbsbetrieb und 29 152 DM und vereinfacht und bereits 1995 die einzelbetriebli-
je Familienarbeitskraft. Ursachen dieser Entwicklung che Investitionsförderung gezielt um 100 Millionen
waren vor allem preisbedingt geringere Einnahmen DM durch Umschichtungen in der Gemeinschafts-
bei Milch und Schweinen. aufgabe verstärkt. Damit können bereits 1995 mit
den zusätzlichen Mitteln der einzelbetrieblichen För-
Die Einkommensentwicklung ist, abhängig von ei-
derung des Bundes und der Länder Investitionen in
ner Reihe von Faktoren, regional sehr unterschied-
Höhe von rund 1 Milliarde DM in den Einzelbetrie-
lich. Generelle Einkommensverbesserungen konnten
ben zusätzlich gefördert werden. Dies ist, glaube ich,
die Betriebe in Bayern und in den neuen Ländern er-
eine deutliche Unterstützung der Anstrengungen der
zielen. In Bayern ist die positive Gewinnentwicklung
landwirtschaftlichen Be triebe, sich auf den europäi-
u. a. auf die Aufstockung des soziostrukturellen Ein-
schen Wettbewerb vorzubereiten. Wir erreichen da-
kommensausgleichs mit Landesmitteln zurückzufüh-
mit, daß junge Landwirte, die einen Investitionsan-
ren - Auswirkungen der von der SPD jetzt auch wie-
der im Entschließungsantrag kritisierten Gießkan- trag stellen, nicht auf die Warteliste kommen, son-
nenförderung. Andere Bundesländer haben den dern sehr schnell gefördert werden.
Landwirten dieses Geld - immerhin fast 1 800 DM je Herr Kollege Thalheim, das 100-Millionen-DM-
Vollerwerbsbetrieb - vorenthalten. Ding Borcherts ist keine Mogelpackung par excel-
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) lence, wie Sie dies wahlkampftaktisch noch im Sep-
tember in einer Pressemeldung verkündet haben.
In den neuen Ländern hat sich die Einkommenssi-
tuation insgesamt weiter verbessert. Es erwirtschafte- (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/
ten je Arbeitskraft die Einzelunternehmen 43 634 CSU]: Hört! Hört!)
DM, die Personengesellschaften 55 766 DM und die
juristischen Personen 31 478 DM an Gewinn. In dem Das „100-Millionen-DM-Ding" wurde zur Stärkung
Gewinn sind die Fremdlöhne enthalten, um hier ver- unserer Landwirtschaft umgesetzt. Ich hoffe, daß Sie
gleichbare Zahlen zu erreichen. dies jetzt auch verkünden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1625
Bundesminister Jochen Borchert
Ziel der Agrarpolitik ist auch für die Zukunft, mit Politik der Bundesregierung ist daher, die konse-
einer intensiven Förderung der Investionen der Be- quente Vorsorgestrategie für Umwelt, Klima und
triebe und mit gezielten Maßnahmen für unter- Wälder und die konsequente Zukunftssicherung für
schiedliche Standorte eine flächendeckende Land- eine leistungsfähigere Land- und Forstwirtschaft
wirtschaft zu sichern, Bauern im Wettbewerb im eu- fortzusetzen. Hauptschwerpunkte werden dabei
ropäischen Binnenmarkt zu unterstützen, indem die auch in Zukunft sein: Fortsetzung der Luftreinhalte-
Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Deutschlands maßnahmen und ein Ausbau dieser Maßnahmen;
und innerhalb der Europäischen Union abgebaut ha- notwendige flankierende forstliche Maßnahmen;
ben. Dazu gehört auch, daß wir die Agrarreform wei- Fortsetzung der Waldschadensforschung und regel-
ter vereinfachen und sie dort weiterentwickeln, wo mäßige Überwachung des Waldzustandes sowie Un-
ihre Ziele nicht erreicht werden. Wir werden deshalb terhaltung einer möglichst großen genetischen Viel-
die Zielerreichung nach der Umsetzung der dritten falt von Baum- und Straucharten - und dies auf natio-
Stufe der Agrarreform sehr kritisch überprüfen und naler Ebene, aber auch in einer engen internationa-
sie dort weiterentwickeln, wo die Ziele der Agrarre- len Zusammenarbeit.
form nicht erreicht worden sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wald-
und Forstwirtschaft haben für die Bundesregierung Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
eine herausragende Bedeutung. Dies spiegelt sich Wort dem Kollegen Horst Sielaff.
auch in unseren Fördermaßnahmen zur Stärkung
unserer Wälder und in den Maßnahmen zur Luft-
reinhaltung und Umweltentlastung wider. Dennoch Horst Sielaff (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
gibt es nach dem Waldzustandsbericht 1994 bei den und Herren! Ich bin schon ein wenig verdutzt
Waldschäden noch keinen Anlaß zur Entwarnung. (Zuruf von der CDU/CSU: Was?)
25 % der Bäume - das entspricht in etwa dem Vor- und frage: Ist das alles, was der Landwirtschaftsmi-
jahresniveau - sind deutlich geschädigt. Die Bundes- nister in dieser Situation bei der Vorstellung des
-
regierung wird daher ihre Vorsorgestrategie auf na- Agrarberichts 1995 zu sagen hat? Er hat sich auf we-
tionaler und internationaler Ebene konsequent fort- nige Sätze zur Darstellung der Situation der landwirt-
führen, um den Waldzustand zu verbessern. Dabei schaftlichen Be tr iebe beschränkt,
setzen die Maßnahmen in allen Bereichen an, die zur
Beeinträchtigung der Wälder führen. Ohne Zweifel (Zuruf von der F.D.P.: Dies ist der Tag des
beeinflußt auch die Landwirtschaft - ebenso wie je- Parlaments, Herr Kollege!)
der andere Wirtschaftszweig und die gesamte Bevöl- und wichtige Themen wurden ausgeklammert.
kerung - Klima und damit Ökologie und somit auch
den Wald. Meine Damen und Herren, dies ist der erste Agrar-
bericht, den Bundesminister Borchert in voller eige-
(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ ner Verantwortung vorstellt. Da schaut der Interes-
CSU]: Das hat mal ein früherer Staatssekre sierte genauer hin und ist neugierig, wie das Ver-
tär behauptet!) sprechen zur Sicherung des Agrarstandortes
Deutschland eingehalten werden soll und wo deutli-
Aber ich meine, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. che Akzente des verkündeten „Neuen Weges" ge-
(Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!) setzt oder erkennbar sind. Ich gebe zu, Herr Minister,
meine Erwartungen waren hoch, vermutlich zu hoch.
Einseitige Schuldzuweisungen, die die Landwirt- Leider werden deshalb die Erwartungen enttäuscht,
schaft als Hauptverursacher von Waldschäden in die und man wird sich in einem Punkt dem Urteil des
Ecke stellen, sind völlig überzogen und gehen an Göttinger Agrarwissenschaftlers Professor Günther
den Realitäten vorbei. Schmitt zum Agrarbericht 1995 - leider, sage ich -
anschließen müssen: „Agrarpolitik ohne jede Orien-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge tierung".
ordneten der F.D.P.)
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
Die Ursachen für die neuartigen Waldschäden mit - Liebe Frau Kollegin, wenn Sie dazwischenrufen,
den Luftschadstoffen Schwefeldioxid, Stickstoffoxid, das hätte ich gestern schon aufgeschrieben, dann
Ammoniak und Ozon sind zu vielschichtig, als daß muß ich Sie enttäuschen. Ich gebe Ihnen gerne
man sie mit einer einseitig begründeten Schablone meine „fliegenden" Blätter, die ich soeben hier be-
erklären könnte. schrieben habe, und ich gebe Ihnen auch gerne mein
(Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/ Manuskript, das gestern geschrieben worden ist.
CSU]: Sehr richtig!) Dann werden Sie feststellen, daß ich aktuell auf das
eingehe, was hier gesagt wird, und nicht lediglich
Mit den Luftreinhaltemaßnahmen der Bundesre- vorfabrizierte Stellungnahmen verlese.
gierung haben sich in den alten Ländern von 1980 (Beifall bei der SPD)
bis 1991 die Schwefeldioxidemissionen um 70 % und
die Stickstoffoxidemissionen um 15 % vermindert. Meine Damen und Herren, dieser Bericht, der uns
Die Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft vorgelegt worden ist, und das, was Herr Borchert so-
verringerten sich von 1985 bis 1991 um gut 20 %. eben gesagt hat, hören sich wie ein Managementbe-
1626 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Horst Sielaff
richt eines Unternehmens an. Ich gestehe, ich kann Jahren dabei sind, ein Markenfleischprogramm auf
angesichts der dramatischen Situation in unserer den Weg zu bringen. Die Unterstützung der Bundes-
Landwirtschaft nicht so ruhig bleiben. Wenn, Herr regierung hierfür war bisher gleich null. Ohne die
Bundesminister, nach vielen Jahren Ihrer Agrarpoli- Unterstützung von Niedersachsen und Nordrhein-
tik nahezu 50 % der Vollerwerbsbetriebe in den Westfalen in der Anlaufphase wäre dieses Marken-
neuen Ländern Vermögensverluste erleiden und Sie fleischprogramm, das einen gewissen Pilotcharakter
das zugeben müssen, also die Betriebe von der Sub- hat, nicht auf den Weg gebracht worden.
stanz leben, wie der Bericht ausweist, dann ist das
kein Grund, auf diese Politik stolz zu sein. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist doch Auf
gabe der Länder!)
(Beifall bei der SPD)
Meine Damen und Herren, wir sollten in schwieri-
Sie müssen, glaube ich, deutlicher werden, in sich gen Situationen den Schwarzen Peter nicht immer
gehen und den Bäuerinnen und Bauern endlich sa- hin- und herschieben. Darum sagen wir: Wir wollen
gen, wie sie im nächsten Jahrhundert bestehen sol- eine Gesamtkonzeption, die aufeinander abgestimmt
len. Sie müssen den Bäuerinnen und Bauern sagen, ist. Wir wollen nicht, daß sich der Agrarminister in
was sie ihren Kindern raten sollen, welchen Berufs- Wahlkämpfen in Nordrhein-Westfalen und anderswo
weg sie angesichts dieser Entwicklung einschlagen einmischt und so tut, als sei er nicht verantwortlich,
sollen. Sie müssen endlich auch eine Gesamtkonzep- und hinterher den Ländern die Schuld gibt.
tion für die Entwicklung des ländlichen Raumes vor-
legen. Davon ist in diesem Bericht und auch in Ihren Meine Damen und Herren, ich sagte, die Situation
Ausführungen nichts zu finden. - das hat Herr Borchert bestätigt - für die bundes-
Statt klarer Worte, statt Transparenz - ich wieder- deutsche Landwirtschaft bleibt dramatisch. Eine
hole das, was mein Kollege Thalheim richtig benannt Strategie zur Entwicklung der ländlichen Räume
hat - werden Mogelpackungen als großer Erfolg ver- oder zum Erhalt ihrer Funktionsfähigkeit ist nicht er-
kauft. Gerade die Diskussion um die angebliche Auf- kennbar. Auch in der EU ist die Handschrift des bun-
stockung der einzelbetrieblichen Investitionsförde- desdeutschen Ministers nicht ,auszumachen, obwohl
- Korrekturen an der EU Agrarreform dringend not-
rung, die Sie heute erneut angesprochen haben, ist -

ein Beispiel dafür. Abgesehen davon, daß diese Mit- wendig sind.
tel an anderer Stelle in der Gemeinschaftsaufgabe
„Agrarstruktur" nicht zur Verfügung stehen, wird Ich nenne einige Beispiele: Die lange Bindung
der Ausgleichszahlungen an die Produktion führt
sich das Mehr allenfalls in der Bewilligung von Ver-
-

pflichtungsermächtigungen niederschlagen. Das verständlicherweise - dazu, daß die Landwirte ihre


heißt nichts anderes, als daß sich die Investitionen betrieblichen Entscheidungen vorwiegend an den
zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit, der Prämien ausrichten. Im jetzigen System werden ein-
Marktorientierung und der Wettbewerbsfähigkeit in seitig die Marktfruchtbetriebe begünstigt und die
der deutschen Landwirtschaft nicht 1995, sondern arbeitsintensiveren Veredelungsbetriebe benachtei-
bestenfalls in den folgenden Jahren niederschlagen ligt, obwohl gerade letztere die Schaffung von Ar-
beitsplätzen in der Landwirtschaft, in der Vermark-
werden. Das hat zur Folge, daß dann gleichzeitig nur
wenige Investitionen zur Verbesserung der Infra- tung und Verarbeitung auch im ländlichen Raum
struktur in ländlichen Räumen und im Rahmen der bewerkstelligen und begünstigen. Die Bindung der
Dorferneuerung gefördert werden können, meine Ausgleichszahlungen an die Produktion führt au-
Damen und Herren. Krönung dieser „Erfolgspolitik" ßerdem dazu, daß die Kreislaufwirtschaft und die
Nachhaltigkeit der Landbewirtschaftung empfind-
ist, daß neben dieser Umschichtung Kürzungen der
Bundesmittel zur Entwicklung landwirtschaftlicher lich gestört werden, ist also auch ökologisch proble-
Betriebe und des ländlichen Raumes in der Gemein- matisch.
schaftsaufgabe 1995 um immerhin 76 Millionen DM Die Bundesregierung muß deshalb tatkräftiger
vorgenommen werden. werden, um in Brüssel die Produktionsbezogenheit
Meine Damen und Herren, auch die im Anschluß der Ausgleichszahlungen zu mildern oder langfristig
an Schweinepest und Rinderwahnsinn jetzt anlau- gar zu beseitigen. Soziale und ökologische Kriterien
fenden Bemühungen - müssen in der Praxis und beim Vollzug der EU-
Agrarreform einen wesentlich höheren Stellenwert
(Zuruf des Abg. Reinhard Freiherr von erhalten, und der erforderliche Arbeitseinsatz in den
Schorlemer [CDU/CSU]) unterschiedlichen Betriebsformen muß bei der Prä-
- nicht nur in Niedersachsen; da sind wohl einige miengewährung wesentlich stärker berücksichtigt
sehr schlecht informiert, Herr von Schorlemer - um werden.
Herkunftsnachweise, Markenprogramme zeigen
(Beifall bei der SPD)
Versäumnisse dieser Bundesregierung auf.
(Beifall bei der SPD) Sich abzeichnende Fehlentwicklungen der EU-
Agrarpolitik müssen schnellstens korrigiert werden.
Diese Bemühungen sind zwar richtig und sinnvoll -
wir haben das ausdrücklich gesagt -, aber sie kom- Es muß auch dem Eindruck entgegengearbeitet
men viel zu spät. Unterhalten Sie sich, meine Damen werden, als werde in Brüssel vorwiegend in der über-
und Herren von der Regierungskoalition, z. B. einmal mächtigen Kommission entschieden, die Agrarmi-
mit den Verantwortlichen von „Neuland", die seit nister selbst seien vorwiegend zu Frühstücksdirekto-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1627
Horst Sielaff
ren degradiert und national könne nichts mehr ent- gische Verfahren in unserem Bereich nicht brauchen,
schieden werden. sie überflüssig sind und in der Regel wenig für die
Bauern bringen und wenig mit bäuerlicher Landwirt-
(Zuruf von der CDU/CSU: Es geht nichts schaft zu tun haben.
über ein gutes Frühstück!)
Meine Damen und Herren, was von der bisherigen
Meine Damen und Herren, wir haben gestern eine Agrarpolitik dieser Bundesregierung zu halten ist,
Veranstaltung mit der Milchwirtschaft gehabt. Was hat Ihnen und uns ein Insider aus Ihren Reihen erst
dort berichtet worden ist, muß uns hellhörig machen. kürzlich deutlich gemacht. Der langjährige Parla-
Der Minister ist verpflichtet, im Ministerrat zumin- mentarische Staatssekretär und letzte Vorsitzende
dest die Dinge anzusprechen, die in der Kommission des Umweltausschusses des Bundestages und jetzige
praktisch unter der Decke ständig geregelt und ver- Präsident der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald,
ändert werden. Tut er das nicht, dann sind die natio- von Geldern,
nalen Agrarminister entweder überflüssig, oder sie
kommen ihren Aufgaben nicht nach. Wir können uns (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/
aussuchen, auf welche Seite wir uns stellen. Wir er- CSU]: Da kommt Freude auf, Herr Sielaff!)
warten von Ihnen, Herr Borchert, stärkere Konturen
auch in Brüssel. hat Ihnen und Ihren Parteifreunden ein langes Sün-
denregister in Sachen Agrarumweltpolitik vorge-
(Klaus Dieter Reichardt [Mannheim] [CDU/ legt.
CSU]: Von Scharping ist da nichts zu erwar
ten!) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
CSU]: Da hat er ins falsche Buch geguckt!)
- Herr Scharping ist nicht Agrarminister dieser Bun-
desregierung. Extensivierung der Landbewirtschaftung, Flächen-
bindung der Tierhaltung, den längst überfälligen Er-
(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!) laß der Düngeverordnung - jetzt soll sie ja endlich
- kommen, sie wurde von Halbjahr zu Halbjahr ver-
Sie sollten bei Ihren eigenen Leuten bleiben. schoben - und einiges andere mehr mahnt er zu
Meine Damen und Herren, wir wollen eine flä- Recht an.
chendeckende, umweltverträgliche Landbewir-
schaftung nach nachprüfbaren Kriterien. Begriffe wie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
„ordnungsgemäß" und „gute fachliche Praxis" oder
Sie müssen zum Schluß kommen.
gar Ihre Formulierung aus dem Entschließungsan-
trag: „ ... die Belange sowohl der Landwirtschaft als
auch des Natur- und Umweltschutzes weitestmöglich Horst Sielaff (SPD): Ja, Herr Präsident, ich bin
in Einklang zu bringen" sind zu nichtssagend, als beim Schlußsatz.
daß sie hierfür tauglich wären. Landwirtschaft muß
auch da erhalten werden, wo sie aus ökologischen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
Gründen, wo sie von der Benachteiligung der Böden CSU]: Das ist auch gut so!)
und des Klimas her nicht wettbewerbsfähig sein
kann und wo sonst eine Verödung der Landschaft Das alles sind Forderungen, die wir seit langem mit
eintritt. Nachdruck erheben. Das Urteil aus Ihren eigenen
Reihen über Ihren „Neuen Weg", den Agrarstandort
(Beifall bei der SPD) Deutschland zu sichern, ist verheerend. Ich habe
dem nichts hinzuzufügen.
Bäuerliche Landwirtschaft heißt dann auch: ver-
besserte Mindestanforderungen für artgerechte (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Tierhaltung. Ist es artgerechte Tierhaltung, Herr Bor- GRÜNEN und der PDS)
chert, wenn 90 % der rund 99 Millionen Legehennen
bei uns weiterhin in Käfigen gehalten werden mit
dem Platzanspruch von ungefähr einer Telefonbuch- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
seite? Ich weiß, daß es genügend Wissenschaftler Wort dem Kollegen Egon Susset.
gibt, die mit dem schlagenden Argument, nur ein op-
timal gehaltenes Tier bringe derart hohe Leistungen,
Egon Susset (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
wie es diese Hühner tun, von dieser Diskussion im-
sehr verehrten Damen und Herren! Daß der Kollege
mer wieder ablenken wollen. Wenn wir die bäuerli-
Sielaff hohe Erwartungen in die Tätigkeit unseres
che Landwirtschaft ernst nehmen, dann müssen wir
Bundeslandwirtschaftsministers hat, hat er ja zum
die bäuerliche Produktion in allen Bereichen in den Ausdruck gebracht. Er hat zwar noch höhere gehabt,
Vordergrund stellen und dürfen uns nicht vor diesen
Diskussionen drücken. (Horst Sielaff [SPD]: „Hatte"!)
Und auch diesen Punkt möchte ich ansprechen: aber nur für den Fall, daß der Wähler keine Einsicht
Wir müssen mit der Gentechnologie auch in der mit dieser Republik gehabt hätte. Wenn Frau Grie-
Landwirtschaft vorsichtig umgehen. Den Verzicht fahn hier jetzt Erwartungen erfüllen müßte,
darauf, den Einsatz der Gentechnik bei der Erzeu-
gung und Verarbeitung von Lebensmitteln voranzu- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
treiben, halte ich für notwendig, da wir gentechnolo- Günther Bredehorn [F.D.P.]: Moni, Moni!)
1628 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Egon Susset
dann sähe es schlechter aus, wo doch feststellbar ist Der Minister hat gerade auf die Einkommensent-
- ich habe dazu gerade ein paar Pressemeldungen wicklung in Bayern hingewiesen. Ich möchte auf die
gesehen -, daß sie sich um die Einkommen der eige- in Baden-Württemberg hinweisen; wir sind an zwei-
nen Familie weit besser kümmert als sie sich um die ter Stelle.
Einkommen der Landwirte gekümmert hätte.
(Zurufe von der CDU/CSU: Bravo!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Zuruf von der SPD: Wir diskutieren über Das hat wie in Bayern auch mit Landesagrarpolitik
den Agrarbericht, Herr Kollege!) zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, ich habe gedacht, daß
Herr Kollege Sielaff auf seinen Entschließungsantrag Unser Ziel ist es, den Agrarstandort Deutschland
eingeht. in Europa zu sichern und der Landwirtschaft mit ei-
nem beachtlichen Produktionswert von mehr als
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Davon hat er sich
60 Milliarden DM den Weg in die Zukunft zu ebnen,
schon distanziert! - Horst Sielaff [SPD]: Sie
damit sie die von der Gesellschaft gewünschten viel-
können doch lesen, oder nicht?)
fältigen Funktionen erfüllen kann, nämlich auch die
Er ist auf unseren Entschließungsantrag eingegan- Landschaft zu erhalten und gleichzeitig Arbeits-
gen. Ich möchte, bezugnehmend auf den Entschlie- plätze in der Landwirtschaft und im vor- und im
ßungsantrag der SPD, den Kollegen Dr. Thalheim, nachgelagerten Wirtschaftsbereich zu sichern.
der, wie ich gehört habe, als nächster sprechen wird, Die umfangreichen Direktzahlungen sind auch
fragen, wie er den Landwirten in den neuen Ländern
Ausgleich für Leistungen der Landwirtschaft bis hin
klarmachen will, wie es aussähe, wenn die einseitige
zur Landschaftspflege und haben damit ihren stabili-
Begünstigung der Marktfruchtbetriebe im Interesse
sierenden Effekt auf den ländlichen Raum. Kürzlich
einer nachhaltigen Landbewirtschaftung abgebaut
hat ein Gespräch mit dem Deutschen Bauernverband
würde.
und den Verbänden der Agrarwirtschaft beim Bun-
(Günther Bredehorn [F.D.P.]: Ja!) deskanzler stattgefunden. Wir konnten allenthalben
der Presse entnehmen, daß die Vertreter zufrieden
Wie stünde es dann wohl um die Einkommen der Be- gegangen sind, weil der Bundeskanzler auf Bun-
-

triebe dort? deskanzler Kohl ist, wenn es um die Agrarpolitik


(Günther Bredehorn [F.D.P.]: Da wäre es geht, Verlaß - der Landwirtschaft die Hilfen auch auf
zappenduster!) Dauer zugesichert hat. Dies ist anzuerkennen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wie Sie das erklären, Dr. Thalheim, ist dann Ihre Sa-
che. Die Bundesregierung stellt auch in diesem Jahr im
Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern
Wer die produktionsbezogenen Zuwendungen
den vollen Anteil des soziostrukturellen Einkom-
hier wieder völlig in Frage stellt, der stellt natürlich
mensausgleichs und der Anpassungshilfen für die
auch die Agrarpolitik in Frage, die wir wollen,
neuen Länder zur Verfügung.
(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) (Horst Sielaff [SPD]: Wie lange läuft das
und zwar im Interesse der jungen Landwirte, die denn?)
auch in den Jahren 1994, 1995 und 1996 bereit sind, Die Bundesregierung hat auch ohne Zögern Mittel
einen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen. für Verluste der Landwirte durch die Schweinepest
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. bereitgestellt, damit die Verweigerungshaltung Nie-
Günther Bredehorn [F.D.P.]) dersachsens nicht zu Lasten der betroffenen Schwei-
nehalter geht.
Meine Damen und Herren, der Agrarbericht be-
schreibt mit vielen Fakten und Zahlen die Lage und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
die strukturelle Entwicklung der Landwirtschaft. Die Zu den Erfolgen, meine Damen und Herren, zählt
Einkommensentwicklung ist durchwachsen; wir wis- die im allseitigen Konsens beschlossene Agrarsozial-
sen das. Nach deutlichen Gewinnrückgängen in den reform. Sie garantiert für die Landwirtschaft eine fi-
beiden Vorjahren hat sich die Einkommenslage in nanziell stabile und verläßliche Alterssicherung,
vielen Betrieben erfreulicherweise wieder etwas auf- sorgt für Beitragsgerechtigkeit und bringt den Bäue-
gehellt. Das findet auch in wachsender Investitions- rinnen die seit langem geforderte soziale Absiche-
bereitschaft seinen Niederschlag. Auch daran läßt rung.
sich das ablesen.
Die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
hat - auch dank umfangreicher, von der SPD in ih- Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
rem Entschließungsantrag nun in Frage gestellter gen Graf?
Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung - erhebliche
Fortschritte in der Umstrukturierung hin zu einer
Egon Susset (CDU/CSU): Bitte.
wettbewerbsfähigen Landwirtschaft gemacht. Die
Einkommen sind zwar je nach Betriebsform unter-
schiedlich, aber insgesamt günstig. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1629

Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Habe ich eben an Zahlungen an die Landwirte geleistet, und was
richtig verstanden, Herr Kollege, daß Sie von der hat der Bund geleistet?
Verweigerungshaltung Niedersachsens gesprochen
haben? Wenn ich richtig informiert bin - und ich (Zuruf von der CDU/CSU: Der Bund ist
glaube, das ist das ganze Hohe Haus -, hat das Land nicht zuständig gewesen!)
Niedersachsen gerade vor dem Hintergrund der Wenn Sie jetzt sagen, das Land verweigert sich, dann
Schweinepest erhebliche finanzielle Aufwendungen wissen Sie genausogut wie ich, daß Bund und Land
getätigt, um die Landwirte in den betreffenden Re- praktisch vereinbart haben, daß das Land Nieder-
gionen davor zu bewahren, daß sie praktisch vor dem sachsen klagt, und daß der Bund sich, solange die
Aus stehen. Ich bitte Sie ganz konkret: Stellen Sie in Klage anhängig ist, verpflichtet hat, für den Fall, daß
diesem Hause einmal klar, welche Finanzleistungen Ankaufsaktionen stattfinden, den entsprechenden
das Land Niedersachsen vor dem Hintergrund der Anteil zu übernehmen.
Schweinepest erbracht hat und welche Finanzlei-
stungen der Bundeslandwirtschaftsminister, diese
Bundesregierung, erbracht hat! Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
Graf, Sie müssen schon eine Frage stellen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Auf
gabe der Länder!)
Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Ich habe die erste
noch einmal - -
Egon Susset (CDU/CSU): Das Land Niedersach-
sen hat - wie alle anderen Bundesländer - die Lei- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: „Stimmen Sie
stungen erbracht, die auf dieses Bundesland auf mir zu ...", oder so ähnlich.
Grund der Schweinepestfälle dort entfielen. Es hat
aber für die Zukunft erklärt, daß es nicht bereit sei,
diese Hilfe weiterhin zu leisten, Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Jawohl.

-
(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)
Egon Susset (CDU/CSU): Die EU und die jeweili-
sondern die Mittel vom Bund haben möchte. Das gen Bundesländer - eines davon ist Niedersachsen -
Land ist in der Zwischenzeit vor Gericht gegangen, haben die Kosten, die durch Keulung entstanden
und vor Gericht soll geklärt werden, wer zahlungs- sind, ersetzt. Vielleicht können Sie die Zahlen über
pflichtig ist. Meiner Meinung nach, Herr Kollege die Höhe der Kosten nachliefern. Dann werde ich sie
Graf, ist es vor dem Hintergrund der schwierigen Si- dem Hohen Hause mitteilen.
tuation der betroffenen Betriebe überhaupt nicht ein-
sehbar, daß man erklärt: Wir sind nicht mehr bereit (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Es ist
zu zahlen. Der Bund ist bereit zu zahlen. Der Bundes- schon beeindruckend, daß Sie die Zahlen
landwirtschaftsminister hat seinerzeit auch vor dem nicht haben!)
Hintergrund der Haushaltsberatungen entspre- Meine Damen und Herren, deutliche Fortschritte
chende Mittel zur Verfügung gestellt. konnten bei der Milchquotenregelung erreicht wer-
den. Die Bedingungen für die Milcherzeugung sind
durch erleichterte Handelbarkeit, Saldierung der
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
Milchquoten und mehr Pächterschutz wesentlich
lassen Sie eine zweite Zwischenfrage zu?
verbessert worden. Das Verbot der Anwendung des
(Zuruf von der CDU/CSU: Die wird nicht Leistungssteigerers BST gilt für weitere fünf Jahre.
besser!) Das ist ein Erfolg der deutschen Präsidentschaft in
Brüssel und ein Erfolg von Bundeslandwirtschaftsmi-
nister Jochen Borchert.
Egon Susset (CDU/CSU): Dann dauert meine
Rede etwas länger. Von der Bundesregierung erwarten wir für die Zu-
sammenführung der unterschiedlichen Milchquo-
tensysteme in Deutschland ein Konzept, das betrieb-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das ist das liche Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
Schicksal, das wir gemeinsam teilen.
Die Agrarreform hat eine positive Entwicklung in
Gang gesetzt. Die Marktentlastung bei Getreide und
Egon Susset (CDU/CSU): Ich habe nichts dage- Rindfleisch hat die Erwartungen zum Teil übertrof-
gen. Ich bin zur Stunde verfügbar. fen. Es gibt heute schon Nachfragen nicht nur nach
Rindfleisch, sondern auch nach Butter, die nicht be-
dient werden können. Das ist ein Faktum. Auch ge-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege stern abend - Herr Kollege Sielaff, Sie haben dieses
Graf. Gespräch gerade erwähnt - war davon die Rede.
Aus gutem Grund setzen wir wie EU-Agrarkom-
Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Herr Kollege, Sie missar Fischler auf Kontinuität in der reformierten
haben meine Frage leider nicht beantwortet. Ich Agrarpolitik einschließlich des Preisausgleichs und
hatte nach konkreten Zahlen gefragt: Was hat das damit auf Verläßlichkeit für die Landwirte. Das stän-
Land Niedersachsen im Rahmen der Schweinepest dige Reformgerede verunsichert in unverantwortli-
1630 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Egon Susset
cher Weise die Landwirte, die einen tiefgreifenden Gesetzesinitiative richtet sich in Wirklichkeit gegen
Anpassungsprozeß durchmachen. Die Kommissions- die bäuerliche Veredelung.
vorschläge für Preissenkungen noch vor der dritten
Reformstufe, wie sie jetzt vorliegen, lehnen wir strikt (Horst Sielaff [SPD]: So ein Unsinn! Das ist
ab. ein Diskussionspapier, über das man nach-
denken sollte! - Ulrich Hein ri ch [F.D.P.]:
Das ist zweimal im Bundesrat eingebracht!
(Horst Sielaff [SPD]: Richtig!) - Horst Sielaff [SPD]: Sie lehnen doch alles
ab! 1988 hat Bayern das gleiche gewollt!)
Wohl aber brauchen wir einen weiteren Abbau an
Bürokratie sowie größere Praxisnähe. - Eben das ist im Bundesrat eingebracht worden. Wir
werden darüber diskutieren.
(Horst Sielaff [SPD]: Ebenfalls richtig!) Im übrigen müssen Landwirtschaft und Handel
über Herkunft und Erzeugungsweise klar und ein-
Um unsere Landwirtschaft für die Zukunft zu deutig informieren und beim Verbraucher den Heim-
rüsten, müssen Wettbewerbsverzerrungen in der EU vorteil nutzen.
und strukturelle Defizite abgebaut werden.
Jetzt, Herr Kollege Sielaff, zum Markenfleischpro-
Die deutsche Landwirtschaft muß entsprechend gramm. Markenfleischprogramme machen die Bun-
dem Ratsbeschluß vom Dezember 1994 vor Wäh- desländer, ob es Schleswig-Holstein, Bayern oder Ba-
rungsnachteilen angemessen geschützt werden. Die den-Württemberg ist. Herkunfts- und Qualitätszei-
Währungsturbulenzen der letzten Tage und die Ent- chen sind in erster Linie eine Sache der Bundeslän-
wicklung des belgischen Franc und der D-Mark der,
mahnen uns zu Wachsamkeit. Wir wissen, daß es (Horst Sielaff [SPD]: Nicht nur!)
schon heute Probleme beim Export in Weichwäh-
rungsländer wie beispielsweise Italien gibt. Hier ent- und so soll es auch bleiben.
stehen schon Einnahmeverluste. Deshalb- kommt es
(Günther Bredehorn [F.D.P.]: Eine regionale
uns darauf an, daß die Währungsunion so früh wie
Aufgabe!)
möglich zustande kommt, damit diese Ungerechtig-
keiten beseitigt werden können. Meine Damen und Herren, es gilt, das Aufgaben-
feld der Landwirtschaft Schritt für Schritt zu erwei-
Eine Harmonisierung beim Pflanzen und Tier- - tern, auch durch die sinnvolle Nutzung von Brachflä-
schutz ist überfällig. Unsere Landwirte brauchen chen für Energie und Industrierohstoffe.
-

Chancengleichheit im europäischen Wettbewerb.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Bei der strukturellen Anpassung der Betriebe lei- Die Chancen der erneuerbaren Energien, insbeson-
stet die Bundesregierung mit der verbesserten inve- dere der nachwachsenden Rohstoffe für Klima- und
stiven Förderung ab diesem Jahr einen beträchtli- Umweltschutz, Sicherung der Energieversorgung
chen Beitrag. Aber auch künftig müssen Kapazitäts- und Ressourcenschonung werden zunehmen; das ist
ausweitungen im Schweinesektor gefördert werden anerkannt. Daher muß vor allem die weitere Markt-
können, jedenfalls dort, wo die regionale Erzeugung einführung der nachwachsenden Rohstoffe durch
laufend zurückgeht; denn sonst verlieren wir ständig ökonomische Anreize und Steuervorteile, aber auch
Marktanteile. durch ordnungsrechtliche Maßnahmen wie Anwen-
dungsgebote unterstützt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn SPD und GRÜNE ihre Ideologie vergessen
und uns dabei unterstützen, dann, glaube ich, kom-
In der Veredelung gibt es viele Probleme. men wir dabei ein Stück weiter und geben wir unse-
Schlechte Nachrichten über Schweinepest, Tierquä- ren jungen Hofnachfolgern Zeichen der Ermutigung.
lereien beim Transport und die Rinderseuche BSE
haben die Verbraucher stark verunsichert. Leidtra- Meine Damen und Herren, wir debattieren auch
gende sind die Rindfleischerzeuger und die Fleisch- über den Waldzustandsbericht. Wir appellieren an
wirtschaft, weil der Rindfleischverzehr in der Zwi- Sie, Herr Minister, bald das angekündigte Programm
schenzeit stark zurückgegangen ist. zur Zukunft des Waldes vorzulegen. Die Bedingun-
gen für eine lohnende Forstwirtschaft müssen ver-
Die deutschen Verbraucher können jedoch dem bessert werden, weil nur eine intakte Forstwirtschaft
qualitativ hochwertigen Rindfleischangebot ver- die Waldpflege leisten kann, die für die Gesundheit
trauen. Daher wird die Auseinandersetzung um ein unserer Wälder unabdingbar ist. Im übrigen führen
Importverbot für Rindfleisch aus Großbritannien sei- wir unsere konsequente Politik für den Schutz des
tens der SPD-regierten Länder mit Scheinheiligkeit Waldes von der Aufforstung bis zur Förderung des
geführt. Holzabsatzes fort.
Aber mit aller Entschiedenheit, so muß ich jetzt
(Horst Sielaff (SPD): Ach!) doch sagen, verwahren wir uns gegen die wissen-
schaftlich nicht haltbaren Vorwürfe des Präsidenten
Auch die vom SPD-regierten Niedersachsen angeb der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, unseres
lich zum Schutz bäuerlicher Betriebe eingebrachte ehemaligen Kollegen von Geldern. Ich würde also
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1631
Egon Susset
hier durchaus sagen: Lieber Wolfgang, du hast jetzt Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundes-
mehr Zeit, seit du nicht mehr im Parlament bist; infor- tagsfraktion tritt für geeignete und verläßliche Rah-
miere dich besser, bevor du dann hier solche Dinge menbedingungen in der Landwirtschaft, in der Er-
in die Welt setzt. nährungswirtschaft und in der Forstwirtschaft ein,
damit in allen Regionen Deutschlands auch in Zu-
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. kunft - ich sage: in allen Regionen; Herr Kollege Sie-
- Lachen bei der SPD) laff, da bin ich Ihrer Meinung; auch in Gebieten, die
Meine Damen und Herren, in der Agrarmarktpoli- von Natur aus nicht so begünstigt sind - Landbewirt-
tik hat die Bundesregierung ein großes Arbeitspen- schaftung betrieben werden kann. Aber die Land-
sum zu erledigen. Wir unterstützen uneingeschränkt wirte müssen eigenverantwortlich ihre Betriebe auch
die Position des Bundeslandwirtschaftsministers, im in überbetrieblicher Zusammenarbeit weiterentwik-
Grundsatz am bewährten System der EU-Zucker- keln und sich neuen Herausforderungen stellen.
marktordnung festzuhalten. Der Bundeswirtschafts- (Horst Sielaff [SPD]: Das ist richtig!)
minister sollte hier auch nach Möglichkeit seine doch
im Moment noch deutlich werdende Verweigerungs- Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist auch in Zu-
haltung etwas zurücknehmen. Vielleicht könnten die kunft ein verläßlicher Partner der Land- und Ernäh-
Kollegen der F.D.P. sich einmal mit dem Kollegen rungswirtschaft.
Rexrodt in Verbindung setzen.
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
(Beifall bei der CDU/CSU - Horst Sielaff CSU]: Sehr richtig!)
[SPD]: Da sieht man wieder die Differenzen
innerhalb der Regierungskoalition!) Wir wissen, daß wir mit Jochen Borchert einen Mi-
nister haben, der nicht nur im Kabinett der Bundesre-
publik Deutschland, sondern auch in Brüssel mit un-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie serer Unterstützung die deutsche Land- und Ernäh-
eine Zwischenfrage des Kollegen Günther Brede- rungswirtschaft und damit den ländlichen Raum und
horn? alle, die in diesen Bereichen ihre Arbeitsplätze ha-
-
ben, unterstützt.
Egon Susset (CDU/CSU): Bitte. (Beifall bei der CDU/CSU - Horst Sielaff
[SPD]: Davon hört man nur nichts!)
Günther Bredehorn (F.D.P.): Herr Kollege Susset, Daß dies für die nächsten vier Jahre möglich ist,
ist Ihnen zu diesen Gesprächen zwischen Landwirt- war an dem Abend, als ich mich hier das erste Mal
schaftsminister, Finanzminister und Wirtschaftsmi- mit der Ministerin Griefahn gestritten habe, zumin-
nister vielleicht bekannt, daß man sich im Grundsatz dest auf dieser Seite noch nicht absehbar. Aber der
einig ist, die Zuckermarktordnung um sechs Jahre zu Wähler hat für uns und für die Landwirtschaft ent-
verlängern? schieden.
(Horst Sielaff [SPD]: Das weiß der agrarpoli Ich danke für die Aufmerksamkeit.
tische Sprecher der Union nicht! So geheim
halten die das!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Egon Susset (CDU/CSU): Gut, wenn das so ist. Ich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat
habe nämlich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister nun die Kollegin Ulrike Höfken-Deipenbrock.
einen Brief geschrieben und habe eigentlich erwar-
tet, daß ich bis heute Antwort habe. Weil die Dinge
nun so angesprochen worden sind, habe ich gedacht: Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE
Da wir jetzt so nahe beisammen sind, könnten wir ja GRÜNEN): Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen!
einmal nachfragen. - Also, es ist gut, wenn dann Sehr verehrter Herr Minister! Herr Susset, ich bin
Ende März beim Agrarministerrat entschieden wer- sehr überrascht. Sicher haben sich der Wähler und
den kann. die Wählerin für Sie entschieden. Aber damit haben
sie sich mit Sicherheit nicht für die Landwirtschaft
Nun, meine Damen und Herren, die Reform der entschieden,
Weinmarktordnung muß darauf abzielen, Über-
schüsse bei Tafelwein abzubauen. Gleichzeitig müs- (Günther Bredehorn [F.D.P.]: Aber sicher
sen nationale Zuständigkeiten für Qualitätswein und doch!)
die bewährten Weinbereitungsverfahren der nördli- wie wir ja auch an Hand dieses Agrarberichts sehen
chen Anbaugebiete der EU davon unberührt bleiben. können.
Einschnitte in die Qualitätsweinproduktion würden
nicht helfen, den Tafelweinmarkt zu ordnen. Ich bin auch sehr überrascht über die Äußerungen
von Minister Borchert zum Agrarbericht. Drei dürre
Deshalb ist es gut, daß die Bundesregierung, die Sätze zur Situation der Landwirtschaft und zur künf-
Bundesländer und die Weinwirtschaft einvernehm- tigen Entwicklung! Da ich weiß, daß der Herr Mi-
lich diese Position einnehmen. Wir sind auch mit den nister sehr detailgenau und kenntnisreich ist, hätte
Kollegen aus dem Europäischen Parlament in ständi- ich doch eine glänzendere Bestattungsrede erwartet.
ger Diskussion und hoffen, daß wir hier eine vernünf-
tige, annehmbare Regelung zustande bringen. (Horst Sielaff [SPD]: Sehr gut!)
1632 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Ulrike Höfken-Deipenbrock
Was als Erfolg gekennzeichnet wird, ist wie immer Überlegungen kann sich die Bundesregierung eine
unterschiedlich - von uns auf jeden Fall - zu sehen. solche Entwicklung nicht weiter leisten.
Der Rückgang der Betriebsgewinne und des verfüg-
baren Einkommens in der Landwirtschaft - beson- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ders in den alten Ländern - zeigt auf, daß der Auf- sowie bei Abgeordneten der SPD)
trag, die Einkommen der Landwirte in Europa zu si-
Je nach Betriebsstruktur werden 30 bis 50 % des
chern, nicht erfüllt worden ist. Die Gewinne in den
Einkommens der Landwirte und Landwirtinnen auf
neuen Bundesländern sehen zwar auf dem Papier
Grund von Subventionen und öffentlichen Geldern
schön aus, sind aber durchaus in Frage gestellt,
erzielt. Ich finde es absurd, Herr Susset, daß Sie im-
wenn man berücksichtigt, daß die Verpflichtung zur
mer auf Bayern mit einem besseren Betriebsergebnis
Rückzahlung von Schulden und zur Zahlung von
durch staatliche Zahlungen verweisen. Wo sind wir
Zinsen jetzt einsetzt.
denn, daß wir eine solche Situation als Erfolg feiern
können! Wir wollen das landwirtschaftliche Einkom-
Es ist sehr gewagt von der Bundesregierung, vor- men durch die Preise der Produkte sichern und nicht
auszusagen, daß sich die Betriebsergebnisse verbes- durch staatliche Subventionszahlungen, die ja letzt-
sern werden - insbesondere im Hinblick auf die jetzi- endlich das Einkommen der Betriebe nicht langfristig
gen Währungsdisparitäten. Es ist zwar richtig, eine sichern und vor allem die Ansprüche der Verbrau-
Währungsunion zu fordern - das tun wir auch -, aber cher und Verbraucherinnen auf gesunde Lebensmit-
es sind Einkommensverluste und vor allem eine ganz tel sowie der Umwelt nicht erfüllen.
entscheidende Verschlechterung der Wettbewerbsfä-
higkeit der deutschen Landwirte gegenüber den eu- (Egon Susset [CDU/CSU]: Machen Sie ei
ropäischen Ländern zu erwarten. nen Vorschlag!)

Hier sind die britischen Großrinderzüchter und Die Seuchen in der Tierhaltung sind erwähnt wor-
Milchviehhalter in einer sehr viel besseren Situation den.
als wir.
Wir müssen verzeichnen, daß wir immer stärkere
-
Probleme in der Qualität der Nahrungsmittel erhal-
Die Wettbewerbsverzerrung greift aber natürlich ten. Sie lassen sich nicht wegreden. Da hilft es auch
nicht nur innereuropäisch, sondern sehr wohl auch nicht, Sündenböcke zu suchen oder die Landwirt-
außereuropäisch. In einer solchen Situation erwarte schaft reinwaschen zu wollen. Diese Entwicklung
ich ein paar Worte über das Ziel der Bundesregie- insbesondere im tierischen Bereich ist eine Folge ei-
rung, die Landwirtschaft der Bundesrepublik auf den ner verfehlten Agrarpolitik. Hier ist eine Wende in
internationalen Wettbewerb auszurichten. Die Ge- der Tierhaltung angesagt. Eine artgerechte Tierhal-
fahr ist groß, daß man dann vor der Situation steht, tung muß eingeleitet werden, selbstverständlich ver-
daß sich genau diese Orientierung als Bumerang er- bunden mit einer Verbesserung des Betriebseinkom-
weist und die Landwirte in eine ganz schlechte Situa- mens und besseren Produkten.
tion bringt. Eine regionale Ausrichtung der Produk-
tion, der Landwirtschaft, der Verarbeitung und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vermarktung wäre sehr viel hilfreicher, um das Ein- und bei der SPD)
kommen der Betriebe zu sichern und die Arbeits-
plätze zu halten. Wir haben über 100 Milliarden DM Kosten für er-
nährungsbedingte Krankheiten. Herr Sielaff hat die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gentechnik erwähnt. Die Gentechnik in der Land-
wirtschaft wird die Verbreitung von Allergien noch
verstärken. Darin sind sich die Wissenschaftler einig.
Wir haben einen ganz drastischen Verlust von Ar-
beitsplätzen in der Landwirtschaft und im ländlichen (Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie ein
Raum zu verzeichnen; allein 50 000 Arbeitsplätze in mal, wo die Nahrungsmittel herkommen!)
der direkten landwirtschaftlichen Produktion im Be-
richtszeitraum. Das ist eine Zahl, an der die Bundes- Herr Ernährungsminister, wir brauchen eine
regierung ganz offensichtlich völlig vorbeigeht. Bei Wende in der Ernährungspolitik, die uns von diesen
jedem Bet rieb - wie bei Zeiss Jena, ähnlichen Betrie- Kosten befreit und die Gesundheit der Menschen
ben oder dem Kohlebergbau - würde man auf- wiederherstellt. Das beinhaltet, daß Nahrungsmittel
schreien; aber in der Landwirtschaft wird diese Ar- rückstandsfrei und frei von Krankheitserregern sein
beitsplatzvernichtung still übergangen. Eine solche müssen.
Entwicklung
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Ulri ch Heinrich [F.D.P.]: Die steht doch im und bei der SPD - Ulrich Heinrich [F.D.P.]:
Bericht! Dann wird sie auch nicht übergan Das liegt nicht an der Landwirtschaft!)
gen!) - Aber selbstverständlich liegt das an der Landwirt-
schaft. Die Nahrungsmittel werden von der Land-
- natürlich steht sie im Bericht, aber Sie haben sie nie wirtschaft bereitgestellt.
erwähnt; sie wird letztendlich immer unterschlagen -
erfordert ein ganz massives arbeitsmarktpolitisches Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es ist die Nah
Beschäftigungsprogramm für den ländlichen Raum rungsmittelindustrie, die die Nahrungsmit
und die Landwirtschaft. Aus arbeitsmarktpolitischen tel verändert!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1633
Ulrike Höfken-Deipenbrock
- O nein, nicht nur die Nahrungsmittelindustrie. Welche Folgerungen können wir daraus ziehen?
Aber sie gehört zu unserem Tätigkeitsbereich. Welche Erkenntnisse haben wir? Für mich sind es
alarmierende Warnzeichen, daß die deutsche Land-
Zum Thema Klimaschädigungen. Natürlich sind wirtschaft im eigenen Land ständig Marktanteile ver-
nicht nur nachwachsende Rohstoffe ein Beitrag zur liert und die deutschen Landwirte bei den Betriebs-
möglichen Verbesserung des Klimas, sondern ein gewinnen im unteren Drittel der EU-Mitgliedstaaten
Beitrag muß auch darin bestehen, alle klimaschädi- liegen.
genden Emissionen aus der Landwirtschaft zu redu-
zieren und zu beseitigen. Es ist nun einmal Tatsache, Die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und
daß die ökologische Landwirtschaft um fast 40 % we- Wirtschaftlichkeit unter Beachtung umweltverträgli-
niger CO2-Emissionen aufweist als die konventio- cher Wirtschaftsweise, die Stärkung der Unterneh-
nelle. merlandwirtschaft sowie Marktorientierung haben
daher höchste Priorität für die F.D.P.-Agrarpolitik.
Zur einzelbetrieblichen Förderung mein letzter
Satz. Nach dem Gießkannenprinzip ausgeteilt, wird (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
sie keine Verbesserung der landwirtschaftlichen Si- ten der CDU/CSU)
tuation erreichen können. Wir fordern, die Mittel der
einzelbetrieblichen Förderung an die Kriterien der Die einzelbetriebliche Förderung muß zukünftig
umweltgerechten Landwirtschaft zu binden und die stärker an der Wirtschaftlichkeit ausgerichtet, verein-
Hälfte der Gelder im Bereich der Förderung von Ver- facht und finanziell deutlich besser ausgestattet wer-
marktung und der Schaffung moderner Dienstlei- den. Daher begrüße ich für die F.D.P.-Fraktion, daß
stungsstrukturen für den Agrarbereich zu verwen- die Bundesmittel für die einzelbetriebliche Investiti-
den. Dann können wir uns sicher darauf einigen, daß onsförderung im Jahre 1995 um 100 Millionen DM
damit mehr Betriebe erhalten werden können als mit erhöht werden. Diese Politik wollen wir weiterent-
den staatlichen Subventionen insgesamt. wickeln, um die Finanzmittel noch gezielter für die
Zukunftsentwicklung unserer Landwirtschaft einzu-
Danke schön. setzen.
-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Nach Auslaufen der EU-Sonderregelung für die
bei der SPD und der PDS)
neuen Bundesländer brauchen wir gleiche Förderbe-
dingungen in ganz Deutschland. Wir können unsere
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat im EU-Vergleich deutlich sichtbaren Strukturdefizite
nun der Kollege Günther Bredehorn. nicht länger durch eine Politik der Strukturerhaltung
ausgleichen. Diese Politik haben wir schon zu lange
betrieben.
Günther Bredehorn (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Agrarbericht 1995 ist (Horst Sielaff [SPD]: Aha!)
trotz einiger kritischer Stimmen von Professoren und
Journalisten, wie ich meine, eine hervorragende Do- Ein besonders eklatantes Beispiel falscher Wei-
kumentation der Situation in der Landwirtschaft. chenstellung ist der von der niedersächsischen SPD-
Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Be-
Die Gewinne - das haben wir gehört - sind noch grenzung der Konzentration in der Tierhaltung. Mit
einmal zurückgegangen. Der Strukturwandel hält diesem Gesetz trifft man gerade die flächenarmen,
weiter an, ja, er hat sich in den letzten fünf Jahren viehstarken, bäuerlich strukturierten Veredelungs-
sogar eindeutig verstärkt. Für das laufende Wirt- betriebe bis ca. 40 ha. Für diese Betriebe, die bisher
schaftsjahr werden zwar wieder Gewinne prognosti- nicht gewerblich waren, will man sämtliche staatli-
ziert. Aber man muß hier ganz deutlich feststellen: chen Förderleistungen, steuerlichen Erleichterungen
Wir erreichen noch nicht einmal das Gewinniveau zu sowie Begünstigungen im Baurecht, Grundstücks-
Anfang der 90er Jahre. und Landpachtverkehrsrecht sowie die Gasölverbilli-
gung streichen.
Trotzdem - auch das muß man sagen - zeigt der
Agrarbericht: Gut geführte Betriebe mit ausreichen- Mit einem solchen Gesetz behindert man die Ein-
den Produktionskapazitäten sind auch unter den ge- kommens- und Entwicklungsmöglichkeiten bisher
genwärtigen Rahmenbedingungen in der Lage, eine gesunder bäuerlich strukturierter Betriebe, nimmt ih-
Entlohnung wie in der gewerblichen Wirtschaft zu nen die Wettbewerbsfähigkeit und zwingt sie zur
erzielen. 17,5 % der Vollerwerbsbetriebe erreichen Aufgabe. Mit diesem Gesetz wird aber keineswegs
immerhin einen Gewinn von über 70 000 DM. Die die Entwicklung zu den sogenannten Massentierhal-
Einkommen je Arbeitskraft in den durchweg besser tungen und Agrarfabriken verhindert, die auch bis-
strukturierten landwirtschaftlichen Unternehmen in her gewerblich waren. Dieses Machwerk ist schon im
den neuen Bundesländern lagen deutlich höher als Jahre 1993 eingebracht worden.
in Westdeutschland.
(Horst Sielaff [SPD]: 1988 schon von Bay-
Diese wenigen Angaben aus dem Agrarbericht zei- ern!)
gen die Tendenz: Der Strukturwandel wird sich wei-
terhin fortsetzen, und es wird zu einem weiteren - 1993 von Niedersachsen. - Der Bundesrat hat es
Rückgang der Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft Gott sei Dank mit großer Mehrheit abgelehnt. Da
kommen. mals hieß das Ding ja noch „Gesetz zum Schutz der
1634 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Günther Bredehorn
bäuerlichen Betriebe". Jetzt ist man wohl ein wenig desminister, daß er bei den Gesprächen mit den Län-
ehrlicher geworden; denn diese Namensgebung ist dern darauf achtet, daß die knappen Mittel für den
ja fast schon zynisch, denn genau das Gegenteil wird Küstenschutz möglichst sachgerecht und effektiv
erreicht. eingesetzt werden.
(Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Das reden (Beifall der Abg. Lisa Peters [F.D.P.])
Sie gegen Ihre eigene Überzeugung!)
Für die Zukunftsentwicklung auf dem Milchmarkt
In den neuen Bundesländern gibt es - darüber müssen wir eigentlich jetzt die Weichen stellen. Die
freuen wir uns - eine positive Entwicklung der Ein- vor zehn Jahren eingeführte Milchquotenregelung -
kommen. Das zeigt doch auch, daß wir dort mit der wir feiern ja in diesem Jahr Jubiläum; ob es ein
Umstrukturierung der Landwirtschaft auf dem richti- Grund zum Feiern ist, habe ich meine Zweifel - hat
gen Weg sind. Die Politik hat trotz der Fehler, die ihr Ziel nach meiner Ansicht nicht erreicht. Es gibt
auch gemacht worden sind - das ist unbestreitbar -, nach wie vor den Mengenüberschuß: 120 % Selbst-
die richtigen politischen Rahmenbedingungen ge- versorgung. Der Finanzbedarf aus öffentlichen Haus-
schaffen. Aber entscheidend waren die Menschen, halten ist nach wie vor hoch, und die Erzeugerpreise
die mit sehr viel Mut und Unternehmerwillen unter sind niedriger als vor zehn Jahren. Vor zehn Jahren
schwierigsten Begleitumständen einen Neuanfang haben wir einen Erzeugerpreis von 61,7 Pfennig ge-
gewagt haben. habt; er ist dann bis zum Jahre 1989 auf 68,6 Pfennig
angestiegen. Im Jahr 1994 waren es 56,6 Pfennig.
Ich bin fest davon überzeugt, daß die in den neuen
Bundesländern entstehenden wettbewerbs- und lei- Ich zeige Ihnen das einmal an einem praktischen
stungsfähigen Bet ri ebe gute Markt- und Zukunfts- Beispiel auf. Ein ganz normaler mittelständischer
chancen haben und der Konkurrenz in Europa ge- bäuerlicher Betrieb mit 50 Kühen und 300 000 Kilo
wachsen sind. Milchanlieferung erzielt in diesem Jahr 36 000 DM
Nicht nur für Landwirte, sondern für Hunderttau- weniger als vor fünf Jahren, und das angesichts der
sende von Menschen, die im Schutz der Deiche an Kostensteigerung, die er ja auch auffangen muß.
-
der Nordseeküste leben, ist der Küstenschutz, der ja Daran erkennt man die Dramatik in diesem Bereich.
im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zu 70 % aus Was noch gravierender ist: Ein großer Teil der Quote,
Bundesmitteln bezahlt wird, lebensnotwendig, ja rund 50 %, ist bei Landwirten, die selber nicht mehr
überlebensnotwendig. Seit der großen Sturmflut melken. Hier wurden handelbare Besitzstände ge-
1962 nehmen die Höhe und die Häufigkeit der schaffen zu Lasten der noch aktiv melkenden Land-
Sturmfluten ständig zu. Allein in Niedersachsen müs- wirte.
sen von den rund 600 km Seedeichen über 100 km (Zuruf von der SPD: Richtig!)
dringend erhöht werden.
Wir diskutieren ja zur Zeit alle möglichen Lösungs-
Als Abgeordneter aus dem Küstenbereich bin ich vorschläge. Da spricht man über eine Bewirtschafter-
in großer Sorge, weil mit den zur Verfügung stehen- regelung ähnlich wie in den neuen Bundesländern,
den Küstenschutzmitteln immer weniger Deichbau über einen Quotenpool, über A- und B-Quote. Meine
maßnahmen möglich sind. Ausgleichs- und Ersatz- Damen und Herren, ich frage: Sollten wir nicht den
maßnahmen sowie immer höhere Ansprüche des Na- Mut haben, eine mehr marktwirtschaftliche Lösung
tur- und Umweltschutzes - daraus resultierend Mehr- anzustreben und darüber nachzudenken und zu dis-
kosten durch Deichverstärkung nur noch Binnen- kutieren, ob wir die Quote nach dem Jahr 2000 in
lands; keine Bodenentnahmen im Deichvorland, dieser Form noch brauchen?
keine Sandentnahme im Watt, dadurch erhöhte
Transportwege für Kleiboden und Sandanfuhr - er- Ich möchte zum Schluß kommen. Die deutsche
fordern erheblich höhere Aufwendungen. Dadurch Landwirtschaft befindet sich auch durch die Auswir-
stehen für den eigentlichen Deichbau leider immer kungen der EU-Agrarreform und der GATT-Verein-
weniger Mittel zur Verfügung. Teilweise sind diese barungen sicher in einem schwierigen strukturellen
Anforderungen total überzogen und ökologisch auch Anpassungsprozeß. Um so wichtiger sind klare und
nicht begründbar. Man rechnet damit, daß so minde- verläßliche Rahmenbedingungen durch eine zu-
stens rund 10 % und in Einzelfällen durchaus bis zu kunftsorientierte Agrarpolitik. Für die F.D.P. heißt
30 % der Mittel abfließen. Wenn also in Niedersach- das: Förderung der Wettbewerbsfähigkeit unserer
sen 1995 rund 94 Millionen DM für den Küstenschutz leistungsbereiten, marktorientierten und umweltver-
ausgegeben werden, stehen von diesen Mitteln über träglich wirtschaftenden landwirtschaftlichen Be-
10 Millionen DM für den Deichbau überhaupt nicht triebe, Förderung des Übergangs in den Zu- oder Ne-
zur Verfügung. Das heißt, mindestens zwei Kilometer benerwerb oder alternativer Erwerbsmöglichkeiten
Deiche können nicht verstärkt und gesichert werden. im ländlichen Raum, Bezahlung für ökologische und
Ich meine, hier ist die Politik gefragt und keine Ideo- landschaftspflegerische Leistungen der Landwirt-
logen wie unsere niedersächsische Greenpeace- Akti- schaft, die über die Vorgaben einer ordnungsgemä-
vistin. ßen Bewirtschaftung hinausgehen, und soziale Abfe-
derung durch Produktionsaufgaberente oder Alters-
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) hilfe für ausscheidende Landwirte. Daran wird die
Es geht um die Frage, ob nicht ein vernünftigerer F.D.P.-Fraktion in dieser Legislaturperiode arbeiten.
Ausgleich zwischen dem notwendigen Land- und Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Menschenschutz und dem berechtigten Anliegen
des Naturschutzes möglich ist. Ich erwarte vom Bun- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1635

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Berücksichtigt man eine durchschnittliche Verzin-
nun der Kollege Günther Maleuda. sung des Eigenkapitals, dann bleibt den Vollerwerbs-
betrieben ein Arbeitsertrag von durchschnittlich
16 280 DM je Arbeitskraft und Jahr. Ich stimme hier
Dr. Günther Maleuda (PDS): Herr Präsident! Meine der Argumentation und Bewertung bezüglich der
Damen und Herren! Allgemein bekannt ist, daß der Einkommen in der Landwirtschaft, wie sie gerade von
Agrarbericht in der Öffentlichkeit eine recht kritische Frau Höfken dargestellt wurde, zu. Eine Konsequenz
Bewertung erfahren hat, sowohl in den Betrieben aus all diesen Problemen ist, daß bei Betriebsinhabern
und Verbänden als auch in den Fraktionen. Das be- mit einem Alter von über 45 Jahren nur rund ein Drit-
trifft vor allem das Schönreden von Ergebnissen. Ich tel einen Hofnachfolger benennen kann.
meine, der bisherige Verlauf der heutigen Debatte
bestätigt eigentlich diese Tendenz des Schönredens Drittens. Die sich verschlechternden Rahmenbe-
von Ergebnissen. dingungen, die steigenden Kosten und sinkenden
Erlöse und das Fehlen von Arbeitsplätzen im nicht-
Meine Damen und Herren, die Dr. Seibold Marke- landwirtschaftlichen Bereich zwingen die Bauern,
tingforschung GmbH hat Ende 1994 im Auftrag der ihre Betriebe weiter zu spezialisieren und die Pro-
Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft und der duktion zu intensivieren.
Deutschen Messe AG Hannover eine Umfrage zu
Problemen und Informationsbedürfnissen von Land- Die sich daraus ergebenden Umweltbelastungen
wirten in West- und Ostdeutschland durchgeführt. können auch nicht mit dem Argument vom Tisch ge-
Diese Untersuchungen erfolgten gleichzeitig in wei- wischt werden, daß in den letzten sechs Jahren der
teren sieben Ländern der Europäischen Union und in Absatz von Stickstoffdüngemitteln um 34 % zurück-
der Schweiz. Dabei zeigten sich eine ganze Reihe in- gegangen ist. Verglichen mit dem Einsatz im Jahr
teressanter Ergebnisse. 1980/81 sank der Stickstoffeinsatz nur um 17 % bei
einer Flächenstillegung von fast 10 % Dünger- und
Von den fünf am meisten genannten Themen Pflanzenschutzaufwand erfolgt also vor allem auf
stand nur in Deutschland das Problem der Einkom- den ertragreichen Flächen. Wie sonst soll man sich
-
menssituation und der Einkommensalternativen an ständig steigende Erträge je Hektar erklären? Es
erster Stelle. In allen anderen Ländern kommt dieses stellt sich die Frage: Warum fehlt im Agrarbericht die
Thema unter den ersten fünf Schwerpunkten gar früher vorhandene Zeile „Nährstoffaufwand je Hek-
nicht vor. Die zweite Stelle nimmt in Deutschland das tar genutzter Fläche"?
Thema „Zukunft der EU-Agrarpolitik " ein.
Viertens. Trotz einer Stabilisierung der wirtschaftli-
Ich meine: Das Dilemma der deutschen Bauern ist chen Verhältnisse in den ostdeutschen Agrarunter-
- wie auch durch den vorliegenden Agrarbericht nehmen hat die Agrarpolitik der Regierung auch dort
1995 bestätigt wird -, daß ihre Interessen auf dem Al- tiefe Spuren hinterlassen. 78 % der 1989 in der Land-
tar der Exportinteressen der Industrie und einer wirtschaft Beschäftigten haben inzwischen ihren Ar-
überholten Landwirtschaftsstrategie geopfert wer- beitsplatz verloren; im letzten Jahr mußten wieder
den. Es fehlt eine differenzierte, zukunftsorientierte 15 % entlassen werden.
Agrarpolitik.
Fünftens. Durch die Vernichtung von Arbeitsplät-
Bei jeder Kritik durch die Bauern wird der zen und von Produktivvermögen ist es für ostdeut-
Schwarze Peter nach Brüssel geschoben. Die deut- sche Bauern besonders schmerzlich, daß z. B. in
schen Bauern fordern deshalb zu Recht eine klare Sachsen-Anhalt an Stelle der Selbstversorgung des
Antwort auf die Frage: Wie geht es mit der Landwirt- Landes mit Fleisch, Milch und Eiern nur noch ein
schaft in Deutschland in den nächsten Jahren weiter? Selbstversorgungsgrad von 50 % erreicht wird; in
Die dazu im Agrarbericht gegebenen Antworten rei- Mecklenburg-Vorpommern liegt er bei Schweine-
chen nicht aus. Das zeigt sich vor allem an folgenden fleisch weit unter 50 %. Von drei modernen
Problemen. Schlachthöfen in Mecklenburg-Vorpommern ist
einer zuviel. Nicht einmal mit der Produktion aus
Erstens. Das Höfesterben hat sich in Westdeutsch Westdeutschland ist die Versorgung im Osten zu
landwierbschugtfoez.193/4sig sichern. Wir haben keine Überproduktion auf diesem
die Anzahl der Betriebsaufgaben um 2,9 % gegen- Gebiet; wir haben einen großen Importbedarf.
über dem Vorjahr. Allein 1993 haben in den alten
Bundesländern ca. 20 000 Landwirte die Rinder- und
ca. 22 000 die Schweineproduktion aufgegeben. Ein- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
>chätzungen besagen, daß in den nächsten Jahren Sie müssen zum Schluß kommen.
noch 50 % der Betriebe die Milchproduktion einstel-
lenköt.
Dr. Günther Maleuda (PDS): Herr Präsident, ich
Zweitens. Seit 1989/90 sind die Einkommen in der nahm an, daß in dieser Runde zehn Minuten zur Ver-
westdeutschen Landwirtschaft mit einer geringfügi- fügung stehen.
gen Verbesserung 1991/92 auch ohne Einbeziehung
der Inflationsrate kontinuierlich zurückgegangen.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Dann ist es hier
(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Schamlosig falsch angezeigt worden. Ich bitte um Entschuldi-
keit ist das!) gung.
1636 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Günther Maleuda (PDS): Ich bedanke mich. nal- und Umweltpolitik zu verbinden. Ausgangs-
punkt für die Agrarstrukturpolitik muß es sein, Über-
In Brüssel versucht Herr Bundesminister Borchert einstimmung zwischen Nachfrage nach Nahrungs-
zu Recht, lange Tiertransportzeiten zu verhindern. gütern mit gesichertem Verbraucherschutz, landwirt-
Im eigenen Land erfolgt jedoch zu wenig, um den schaftlichen Rohstoffen und Umweltleistungen einer-
Rückgang der Tierbestände aufzuhalten, um so seits und der Produktion dieser Güter andererseits
lange Massentiertransporte überflüssig zu machen. herzustellen.
Während die dänischen Landwirte in den zurücklie-
genden fünf Jahren die Schlachtschweinproduktion Vertragslandwirtschaft steht auf der Tagesord-
um 5 Millionen Stück und die Holländer um nung der Bundesrepublik Deutschland. Es muß eine
1,5 Millionen Stück erhöht haben, sind bei uns die stabile Kette von der Rohstoffproduktion über die
Schlachtschweinbestände um 10 Millionen zurück- Verarbeitung bis zum Handel geschmiedet werden.
gegangen. Eine eigentümliche Arbeitsteilung! All Die Tätigkeit von Erzeugergemeinschaften und CMA
das sind doch letztlich Zeichen verfehlter Agrarpoli- weisen bereits in die richtige Richtung. Der Erfolg
tik. wird wesentlich davon abhängen, wie es gelingt, das
Sechstens. Mit dem Gesetz über die Bodenpriva- Mitspracherecht der Bauern als Unternehmenseigner
tisierung in Ostdeutschland, den ständig steigenden bei jedem Schritt zu sichern und sie nicht zum Emp-
Zinsen für die Altschulden, der Verschleuderung fänger von Befehlen aus Brüssel zu machen.
des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, der not-
wendigen Auszahlung der Genossenschaftsanteile Die Abgeordnetengruppe der PDS ist der Mei-
an ausgeschiedene LPG-Mitglieder und dem feh- nung, daß der Agrarstandort Deutschland nicht nur
lenden Eigenkapital ist ein weiterer Prozeß der marktorientiert definiert werden kann; im Mittel-
Differenzierung und Beseitigung von Agrarpoten- punkt aller Überlegungen müssen vielmehr die so-
tial in Ostdeutschland vorprogrammiert. Das Wach- zialen Interessen der Bauern, der in der Landwirt-
sen und Weichen wird bei Fortsetzung der gegen- schaft Beschäftigten, der Menschen, die auf den Dör-
wärtigen Agrarpolitik dort leider auch weitergehen. fern leben, und aller Bürger unseres Landes stehen,
Die Einwände des CDU-Landwirtschaftsministers
- die sich gesund ernähren wollen und die die Erhal-
aus Sachsen über eine zu positiv eingeschätzte tung des natürlichen Lebensraumes brauchen wie
Situation der Landwirtschaft in Ostdeutschland die Luft zum Atmen.
gründen sich gerade auf die Instabilität vieler land-
wirtschaftlicher Unternehmen, über die auch die Meine Damen und Herren, meine begrenzte Rede-
gestiegenen Einkommen nicht hinwegtäuschen zeit gestattet mir nur noch einige Bemerkungen zum
können. Waldzustandsbericht 1994. Es wäre wohl richtiger,
„Waldschadensbericht" zu sagen, da ja zu belegen
Die Antwort der Bundesregierung auf all diese ist, daß 1994 jeder vierte Baum erhebliche Schäden
Tatsachen und auf die Forderung der Bauern nach aufwies.
einer zukunftsorientierten Agrarpolitik lautet, daß
der Agrarstandort Deutschland am ehesten durch Unsere Abgeordnetengruppe unterstützt die von
eine leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorien- der SPD in ihrem Entschließungsantrag formulierte
tierte und umweltverträgliche Land-, Forst- und Er- Position. Andererseits verweisen wir auf den Um-
nährungswirtschaft gesichert werden kann. Was für stand, daß seitens der Regierung geeignete Maßnah-
eine Zukunft aber haben Unternehmen, die nicht men ergriffen werden sollten, die den Wald als Allge-
über ein einkommenssicherndes Ertragspotential meingut schützen.
verfügen? Wie soll ökologisches Wirtschaften bei
sinkendem Einkommen der Verbraucher realisiert Dieser Schutz erfordert schon gar nicht die Privati-
werden? Auf welchem Wege sollen wettbewerbsfä- sierung von Staats-, Kommunal- und Treuhandwald.
hige Strukturen entstehen bzw. weiter ausgebaut Vielmehr müssen die Ziele, Aufgaben und Funktio-
werden? nen des Waldes zunehmend unter Kontrolle gestellt
Die Problemlösung wird im Agrarbericht auf der werden.
Seite 14 sehr ernüchternd formuliert. Wörtlich heißt
es: (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Geld muß auch
verdient werden! Sonst kann man die Steu
Der Strukturwandel wird in den kommenden ern nicht bezahlen!)
Jahren maßgeblich durch Betriebsaufgaben im
Zuge des Generationswechsel bestimmt wer- Die Bundesregierung sollte berücksichtigen, welche
den. Gefühle bei den Bürgern in den neuen Bundeslän-
Statt auf zukunftsorientierte Agrarpolitik setzt die dern aufkommen, wenn sie als neue Waldeigentümer
Bundesregierung offensichtlich auf diesem Gebiet solche Namen hören wie Fürst Alexander von Isen-
auf eine biologische Lösung. burg, Prinz von Sachsen-Coburg,

Aus alledem kann es nur eine Konsequenz geben: (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die halten ihre
Eine erstrebenswerte Zukunft gibt es für die Land- Wälder in Ordnung!)
wirtschaft nur durch eine neue Agrarpolitik. Die
Landwirtschaft ist und bleibt eine tragende Säule für Prinz Reuß, Prinz Hohental usw.
die Entwicklung der ländlichen Räume. Das erfor-
dert, zukünftig Agrarpolitik untrennbar mit Regio- (Zurufe von der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1637
Dr. Günther Maleuda
Wir sind gegen eine großflächige Beschilderung Wer sich so verhält, verliert jede Glaubwürdigkeit.
„Privatwald - Betreten verboten". Da ist uns die Brüssel soll statt dessen dafür sorgen, daß Wettbe-
„Umwelteule" lieber. werbsverzerrungen in Europa zum Nachteil der deut-
schen Landwirtschaft schnellstens beseitigt werden.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Die deutlich verbesserte Gewinn- und Einkom-
ten der SPD - Weitere Zurufe von der CDU/ menssituation in den neuen Bundesländern ist für die
CSU) CSU-Landesgruppe Anlaß, die Förderbedingungen
in den alten und den neuen Bundesländern mög-
lichst schnell anzupassen, um Wettbewerbsverzer-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat rungen zum Nachteil der bäuerlich strukturierten
der Kollege Albert Deß. Landwirtschaft in den alten Bundesländern abzu-
bauen. Der bayerische BBV-Präsident Gerd Sonnleit-
ner hat recht, wenn er sagt: „Die Entwicklung einer
Albe rt Deß (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kol- blühenden ostdeutschen Landwirtschaft darf nicht
leginnen und Kollegen! Es ist schon ein starkes
mit dem Verwelken der bäuerlichen Landwirtschaft
Stück, wenn ein Vertreter der SED-Nachfolgepartei
in den alten Bundesländern einhergehen." Ab
das Höfesterben beklagt. Waren es nicht die Kommu- 1. Januar 1997 müssen in Ost und West gleiche För-
nisten und ihre Helfershelfer, die in einem unvorstell- derbedingungen gelten.
baren Ausmaß bäuerliche Strukturen zerschlagen
haben? Die CSU bekennt sich auch weiterhin zum bäuerli-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chen Familienbetrieb als dem Leitbild ihrer Land-
wirtschaftspolitik sowie zu den notwendigen und un-
Der Agrarbericht für 1995 zeigt, daß trotz einer zu verzichtbaren Leistungen, die der Flankierung des
erwartenden Einkommensverbesserung im laufen- schwierigen strukturellen Anpassungsprozesses in
den Wirtschaftsjahr alle Anstrengungen notwendig der Landwirtschaft dienen.
sind, um unseren Bäuerinnen und Bauern und - vor al-
lem unserer Jugend wieder eine Perspektive zu ge- Es darf nicht sein, daß wir eine EU-Verordnung
ben. nach der anderen in nationales Recht umsetzen,
während in Italien bis heute das Milchgarantiemen-
Die positive Vorausschätzung im laufenden Wirt- gensystem nur auf dem Papier existiert. Unsere Bau-
schaftsjahr ist mit größter Vorsicht zu bewerten, da ern haben einfach kein Verständnis mehr für immer
gerade die Währungsturbulenzen in einigen europäi- neue Auflagen und Vorschriften.
schen Ländern dem deutschen Agrarexport größte
Probleme bereiten. Der Verfall der Lira z. B. führt zu (Horst Sielaff [SPD]: Wo sitzt denn der Mini
dramatischen Erlösverlusten im Export nach Italien. ster?)
Seit der Wiedervereinigung unseres Landes betra-
gen die Einkommensverluste unserer Vollerwerbs- - Ja, Sie müssen mit Ihren Agrarministern reden,
landwirte in den alten Bundesländern - summiert ge- dort, wo die Sozialdemokraten in Europa regieren,
sehen - 24,2 %. Um diese Verluste rechnerisch aus- damit der Minister Mehrheiten zusammenbringt.
zugleichen, wären allein 32 % Gewinn notwendig.
Mit 7 bis 12 % Gewinn in der Vorausschätzung sind (Lachen bei der SPD)
wir also noch weit von einem Ausgleich für die Ein-
kommensverluste der vergangenen Jahre entfernt. Gern unterstützt die CSU Herrn Minister Borchert
Es sind deshalb alle Anstrengungen notwendig, um in seinem Bemühen, in Brüssel einen Abbau des bü-
die Einkommenstrendwende abzusichern. rokratischen Aufwandes bei der Umsetzung der
Agrarreform zu erreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es darf
in Brüssel keine weiteren Preisbeschlüsse geben, die Die EU-Regelungen bezüglich des Anbaus nach-
sich negativ auf die landwirtschaftlichen Einkommen wachsender Rohstoffe auf Stillegungsflächen sind
auswirken. unerträglich. Um gerade die Bauern nicht zu entmu-
tigen, die als Pioniere die Sache der nachwachsen-
(Horst Sielaff [SPD]: Was war das?) den Rohstoffe voranbringen, müssen hier praxisge-
- Herr Sielaff, Sie können das Protokoll nachlesen. rechte Lösungen gefunden werden. Ich möchte mich
bei Bundesminister Theo Waigel für seine positiven
Der von Brüssel verfolgten Preisdruckpolitik muß Entscheidungen zugunsten von nachwachsenden
massiver Widerstand entgegengebracht werden. Ziel Rohstoffen bedanken. Ohne seine Mithilfe gäbe es
der Agrarreform war es, die Agrarmärkte zu entla- heute nicht bereits über 300 Biodieseltankstellen in
sten, um über den Markt wieder bessere Agrarpreise Deutschland.
zu erreichen. Deshalb war es für mich unverständ-
lich, daß man in Brüssel kurz vor dem Ziel einge- (Beifall bei der CDU/CSU)
knickt ist und die Flächenstillegungsrate von 15 auf
12 % - wohlgemerkt: gegen den Widerstand von Mi- Erfreulich ist auch, daß immer mehr Autohersteller
nister Borchert - gesenkt hat. 7 Millionen Tonnen Ge- ihre Fahrzeuge biodieseltauglich anbieten.
treide können dadurch mehr produziert werden und
belasten damit wieder die Märkte. (Horst Sielaff [SPD]: Das ist zu wenig!)
1638 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Albert Dell
Hier kann bereits von einem Erfolg gesprochen wer- weiter Preisdruckpolitik betreibt, muß wissen: Man
den. In Bayern entstehen immer mehr Anlagen, die kann die Agrarpreise so weit absenken, bis keine
aus Biomasse Energie erzeugen. Ministerpräsident Bauern mehr da sind. Die Zeche würden dann mit Si-
Edmund Stoiber hat vorgegeben, daß bis zum Jahr cherheit die Verbraucher bezahlen.
2000 5 % des bayerischen Energiebedarfs mit Bio-
masse gedeckt werden sollen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damit hat Bayern im Gegensatz zu SPD-regierten


Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun
Ländern wieder einmal eine Vorreiterrolle übernom-
das Wort dem Kollegen Dr. Gerald Thalheim.
men. Und, Herr Kollege Sielaff, der bayerische CSU-
Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet hat in sei-
nem Ministerium mehr Finanzmittel zur Förderung Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Präsident! Meine
der nachwachsenden Rohstoffe zur Verfügung als sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundes-
alle SPD-regierten Bundesländer zusammen. minister, im vorliegenden Agrarbericht mußten Sie
einräumen, daß im früheren Bundesgebiet im Wirt-
(Beifall bei der CDU/CSU) schaftsjahr 1993/94 die Gewinne der landwirtschaft-
Auffallend im Agrarbericht 1995 ist, daß unter den lichen Vollerwerbsbetriebe um 6,1 % zurückgingen.
alten Bundesländern Bayern das einzige ist, in dem Von einer ganzen Reihe Redner wurde das hier
die Bauern einen Einkommenszuwachs von 2,6 % bestätigt. Herr Susset, ob man das lediglich als
verzeichnen konnten. Die Auszahlung des Länderan- „durchwachsen" bezeichnen kann? Da wäre ich
teils beim soziostrukturellen Einkommensausgleich skeptisch. Ich bin der Meinung, viele der Betroffe-
durch den Freistaat Bayern hat dabei entscheidend nen sehen das sehr dramatisch. Die Verunsicherung
mitgewirkt. und die Zukunftsängste bei den Landwirten sind
groß.
Herr Kollege Sielaff, es ist schon ein Stück Heuche-
- Herr Bundesminister, daran ändert auch die Tatsa-
lei und Unverfrorenheit,
che nichts, daß Sie für das Wirtschaftsjahr 1994/95
(Horst Sielaff [SPD]: „Heuchelei" hat er ge wieder eine Einkommenssteigerung prophezeien,
sagt!) ohne - das räumen Sie ein - daß der Stand der Vor-
jahre wieder erreicht werden soll. Angesichts der ak-
wenn die SPD in ihrem Antrag den Eigenkapitalver- tuellen Risiken auf den Kapitalmärkten finde ich eine
lust vieler Betriebe beklagt und dort, wo sie in den solche Prognose mehr als gewagt. Der deutschen
Ländern die politische Verantwortung trägt, den Landwirtschaft drohen auf Grund der D-Mark-Auf-
Bauern berechtigte Ausgleichszahlungen vorenthal- wertung erhebliche Wettbewerbsnachteile. Ich kann
ten werden. Sie von dieser Stelle aus nur auffordern, alles in Ihrer
Macht Stehende zu tun, um hier Nachteile für die
(Beifall bei der CDU/CSU - Horst Sielaff deutsche Landwirtschaft abzuwenden. Das gilt auch
[SPD]: Unsinn!) für die Ausgleichszahlungen wegen Überschreitung
Auf der anderen Seite werden die Bauern durch der im Blair-House-Abkommen garantierten Öl-
überzogene Auflagen schikaniert. Wer sich so ver- saatenflächen. Von einer Regelung, wie sie jetzt vor-
hält, ist agrarpolitisch unglaubwürdig. gesehen ist, wären vor allem die neuen Länder
betroffen. Ich kann Sie nur auffordern, endlich das
(Beifall bei der CDU/CSU) Regelungschaos in diesem Bereich zu beenden.
Die Angst vor einer Bundesumwelt- und Landwirt- Herr Borchert, in der Haushaltsdebatte im Septem-
schaftsministerin Griefahn war bei den bayerischen ber haben Sie für den Fall eines Wahlsieges der SPD
Bauern so groß, daß sie mit über 85 % die CSU ge- davor gewarnt, daß Landwirtschaftspolitik aus dem
wählt haben. Hinterzimmer des Umweltministeriums gemacht
würde. Von einigen Rednern ist das hier wiederholt
(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der worden. Angesichts der Einkommensentwicklung
SPD) der Landwirte wäre ich mit solchen Behauptungen
wesentlich vorsichtiger.
Ich bin der Meinung, die Angst war begründet.
Kollege Deß, es kann auch nicht die Lösung sein,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die daß Eigenkapitalverluste der Landwirtschaft mit öf-
deutsche Landwirtschaft hat in den letzten Jahren ei- fentlichen Mitteln ausgeglichen werden. Auch wenn
nen enormen Wandel im Osten und im Westen ertra- es in Bayern so ist, kann das nicht darüber hinweg-
gen müssen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, daß die täuschen, daß der Politikansatz an dieser Stelle falsch
Rahmenbedingungen so vorgegeben werden, daß ist.
die Bäuerinnen und Bauern in unserem Land eine
Chance erhalten, an der allgemeinen Einkommens- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr.
entwicklung teilzunehmen. Günther Maleuda [PDS])
In keinem Land der Welt sind im Verhältnis zur Um bei Ihrem Bild mit dem Hinterzimmer zu blei-
Kaufkraft die Nahrungsmittel so billig wie in ben: Ich habe manchmal eher den Eindruck, Sie be-
Deutschland. Wer, wie die Kommission in Brüssel, treiben Politik wie aus dem Hinterzimmer einer Wer-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1639
Dr. Gerald Thalheim
beagentur, mit vielen Broschüren - Sie wollen in Ih- Eine Verbesserung halten wir tatsächlich für au-
rem Etat allein 1,7 Millionen DM dafür ausgeben - ßerordentlich wichtig: die Durchlässigkeit zwischen
den Systemen. Daß Anwartschaften mitgenommen
(Horst Sielaff [SPD]: Hört! Hört! Da hat er werden können, war auch unser Vorschlag schon bei
Geld! - Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten der Formulierung des Agrarsozialreformgesetzes.
[CDU/CSU]: Das ist auch wichtig!) Ich kann Sie nur auffordern, diese Möglichkeiten
aufzugreifen. Wir sind hier auf alle Fälle zu einem
und vor allem mit Ankündigungen.
Gespräch und zu Verbesserungen in der Sache be-
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Bundesankündi reit.
gungsminister!)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
- Ja, schön bebildert mit dem Konterfei des gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sie-
Ministers, Herr von Stetten. Da haben Sie schon laff?
recht.
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Er ist doch ein gut Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ja.
aussehender Mann!)
Am Anfang war es Ihr sogenannter „neuer Weg". Horst Sielaff (SPD): Herr Kollege Thalheim, ist Ih-
Dann kam die mindestens zehnmal verkaufte Erhö- nen bekannt, daß es - Sie wissen, wir haben in der
hung der Mittel für die einzelbetriebliche Förderung. Fraktion darüber diskutiert, daß die Durchlässigkeit
Auch heute wurde das hier wieder genannt. In der und einige Korrekturen an der Agrarsozialreform
Öffentlichkeit haben Sie es versäumt, darauf auf- sinnvoll sein können - einen Brief unseres Kollegen
merksam zu machen, daß die Mittel für die Gemein- Schreiner an den Minister Blüm gibt, aber der Mini-
schaftaufgabe, aus der diese ja kommen, gekürzt ster Blüm bisher das von uns erbetene Gespräch
wurden und daß das Ziel mit Umschichtungen er- nicht zustande kommen läßt?
reicht wird, daß also auf anderen Gebieten - wegge- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
nommen wird. DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)
Man fragt sich: Was wird Ihre nächste Ankündi-
gung sein? Bei der Agrarsozialreform kündigten Sie Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ich halte das nicht nur
großartige Änderungen bei der Pflichtversicherung für sinnvoll, Herr Kollege Sielaff, sondern auch für
in einigen Bereichen an, notwendig. Ich wiederhole mich an dieser Stelle: In
nächster Zeit muß darüber diskutiert werden; aber
(Horst Sielaff [SPD]: Landtgswahlkampf!) wichtig ist, hier erst einmal die Entwicklung abzu-
warten. Wir müssen die Beratung der Betroffenen
obwohl Sie sehr genau wissen, daß die erreichten fi- verstärken. Sozialpolitik ist im Grunde genommen
nanziellen Stabilisierungen über die Defizithaftung Politik für den Einzelfall, in den alle Dinge bis hin zur
des Bundes die solidarische Pflichtversicherung zur Sozialbiographie eingehen. Hier ist einfach eine um-
Voraussetzung hatten. In der Öffentlichkeit haben fassende Information im Einzelfall notwendig.
Sie versucht, den Eindruck zu erwecken, als wäre es
die SPD, die sich einer solchen Korrektur entgegen-
stellte. Herr Minister, richtig ist, daß Sie mit dem An- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie
sinnen, die Befreiungstatbestände zu erweitern, be- eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
reits bei Ihren eigenen Sozialpolitikern gescheitert
wären, erst recht beim Bundesfinanzminister. Herr Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ja.
Minister, so kann man als ehemaliger Haushälter
nicht Politik betreiben.
Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Thalheim,
Deshalb möchte ich hier ausdrücklich positiv fest- sind Sie mit mir der Meinung, daß wir die einzelnen
stellen, daß die Kollegen Susset und Heinrich für die Positionen sehr sorgfältig überprüfen müssen, daß
Koalitionsfraktionen am erreichten Konsens bei der wir abwarten müssen, bis wir von den Alterskassen
Altersversorgung der landwirtschaftlichen Familien auch entsprechende Statistiken vorgelegt bekom-
festhalten wollen. Dies begrüßen wir ganz außeror- men, um dann auch die Einzelfälle richtig würdigen
dentlich. zu können, und daß wir uns davor hüten sollten,
Schnellschüsse auch in der Form, wie sie gerade vom
(Günther Bredehorn [F.D.P.]: Sogar verbes Kollegen - -
sern wollen wir noch!)
(Horst Sielaff [SPD]: Nein, keine Schnell
Auch der Bundeskanzler hat gegenüber dem Deut- schüsse! Gespräche darüber!)
schen Bauernverband ausdrücklich die zukunftswei- - Gespräche darüber sind nur sinnvoll, wenn man
sende Agrarsozialreform gelobt. Unterlagen dafür hat.
Sie bringen den Einwand, daß es doch Verbesse-
rungen gegeben habe. Wichtig ist aber vor allem, Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Kollege Heinrich,
erst einmal die Betroffenen umfassend zu informie- nicht anders wollte ich mein Plädoyer verstanden
ren. Ein Großteil der Kritik geht auch auf mangelnde wissen. Bloß wäre es richtig gewesen, Sie hätten
Kenntnisse zurück. diese Hinweise bereits einmal innerhalb der Koali-
1640 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Gerald Thalheim


tionsfraktionen gegeben, als es um die Abfassung produkten, sprich: Sonderangeboten, einen Wettbe-
der Presseerklärungen zur Ankündigung der Korrek- werbsvorteil im Kampf um die Märkte versprechen,
turen im Agrarsozialreformgesetz ging. werden alle unsere Bemühungen zur Erzeugerpreis-
stabilisierung ins Leere gehen.
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Der Minister kon
sultiert mich nicht vor seinen Presseerklä (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
rungen!) ten der F.D.P.)
- Das ist aber ein erheblicher Mangel, wenn er Sie Wenn ich das hier sage, so nicht in der Illusion, daß
als profilierten Sozialpolitiker Ihrer Fraktion nicht wir von seiten der Politik viele Möglichkeiten zur
konsultiert. Korrektur hätten. Ich sage das vor allem unter dem
Aspekt, das öffentliche Bewußtsein für diese Ent-
(Heiterkeit bei der F.D.P.) wicklung zu schärfen.
Die Landwirte brauchen die Verbraucher als Ver-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Dr. Thal-
bündete in der Auseinandersetzung um angemes-
heim, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des sene Preise für gute Qualität, wobei wir bei guter
Kollegen Deß? Qualität nicht nur an die Einhaltung lebensmittelhy-
gienischer Vorschriften denken. Dazu gehören nach
Dr. Gerald Thalheim (SPD): Ja. unserer Auffassung auch die Bedingungen, unter de-
nen bestimmte Agrarerzeugnisse produziert werden.
Dabei denke ich an Punkte wie den Tierschutz oder
Albe rt Deß (CDU/CSU): Herr Kollege Thalheim,
sind Sie bereit, bezüglich des Vorwurfs des Kollegen die umweltverträgliche Landwirtschaft. Die Ursa-
chen für die Einkommensverluste sind jedoch nicht
Sielaff, Minister Blüm habe einen Brief nicht beant-
wortet, zur Kenntnis zu nehmen, daß im Hause Blüm nur bei den Preisen zu suchen. In Ost und West wur-
Staatssekretär Rudolf Kraus für die Agrarsozialre- den die Möglichkeiten der Kostenminderung zu
wenig genutzt.
form zuständig ist und dieser nach einer schweren
-
Erkrankung erst seit Montag wieder im Hause Blüm Es wäre eine Chance, Herr Bundesminister, für Ih-
anwesend ist? ren neuen Weg gewesen, hier Lösungsmöglichkeiten
aufzuzeigen. Ich denke dabei an vielfältige Wege der
(Horst Sielaff [SPD]: Das ist doch keine Ent
Kooperation bis hin zur Erleichterung der Erschlie-
schuldigung!)
ßung außerlandwirtschaftlicher Einkommensquellen.
Nicht ohne Grund haben die Gesellschaften bürgerli-
Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Kollege Deß, die chen Rechts in den neuen Ländern die besten Ein-
Bundesregierung hat so viele Staatssekretäre, daß kommensperspektiven. Im Rahmen der Umstruktu-
ich der Meinung bin, es hätte sich durchaus jemand rierung nimmt ihre Zahl deutlich zu. Ich denke, das
finden lassen, der diesen Brief beantwortet. könnte auch ein Beispiel sein und Modellcharakter
haben, was die Lösung der Probleme in der Land-
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
wirtschaft in den alten Ländern, vor allem auf dem
GRÜNEN und der PDS - Günter Graf [Frie
Gebiet der Einkommen, anbelangt.
soythe] [SPD]: Das war eine gute Vorlage,
Herr Kollege!) Herr Bundesminister, mir geht es ähnlich wie Ih-
nen. Die Zeit ist zu kurz - bei mir natürlich in umge-
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach den
kehrtem Sinne -, um die Versäumnisse der Bundes-
Angaben des Agrarberichts - damit möchte ich zu ei-
regierung in den zehn Minuten aufzuzählen. Ich
nem weiteren schwierigen Problem kommen - ist der
habe mir noch vier Punkte aufgeschrieben, was die
Einkommensrückgang vor allen Dingen die Folge
neuen Länder anbelangt. Lassen Sie mich auf zwei
niedrigerer Erzeugerpreise insbesondere bei
Aspekte eingehen.
Schlachtvieh, in zunehmendem Maße auch bei
Milch. Erst gestern abend konnten wir zu diesem Trotz aller positiven Entwicklungen - herauszuhe-
Thema eindrucksvolle Zahlen hören. So deutlich ben sind die Investitionen im Vermarktungsbereich -
diese Aussage ist - auch heute hier in der Debatte -, gibt es nach wie vor große Probleme. Es wäre ein
so unklar bleibt, welche Schlußfolgerungen die Bun- Fehler, einzelne positive Beispiele der Einkommens-
desregierung aus dieser Entwicklung zieht. Im entwicklung dafür zu benutzen, die Förderung insge-
Agrarbericht zumindest finden sich kaum Hinweise samt zurückzufahren. Der Rückgang der Tierbe-
darauf, wie die Bundesregierung dem begegnen will. stände ist ausreichend Beleg dafür, wie kompliziert
Es besteht die Gefahr, daß alle Maßnahmen mit die Situation ist.
öffentlichen Geldern zur Einkommensstabilisierung
in der Landwirtschaft durch einen weiteren Rück- Ich bin der Meinung, wir brauchen Korrekturen
gang der Erzeugerpreise zunichte gemacht werden. vor allem auf zwei Gebieten. Zum einen sind die Ba-
Das Problem im Agrarsektor ist nicht, von einigen sisflächen zu nennen. Sie wissen, daß in den näch-
Ausnahmen abgesehen, die Konzentration auf der sten Jahren die prämienbegünstigten Flächen um
Seite der Produzenten, sondern die Konzentration 150 000 ha zurückzufahren sind. Das würde eine
bei den Abnehmern. ganze Reihe Betriebe vor erhebliche Schwierigkeiten
stellen und die Einkommen weiter reduzieren. Der
Solange sich die Großkonzerne der Lebensmittel- andere Punkt sind nach wie vor die Probleme bei der
verarbeitung und des Lebensmitteleinzelhandels von Entschuldung. Beide Schwerpunkte wirken nicht so-
besonders niedrigen Preisen bei Fleisch und Milch- fort. Es gibt erst einmal noch Luft in den nächsten
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1641
Dr. Gerald Thalheim
Jahren. Wenn wir aber eine zukunftsträchtige Ent- nen und durch die Einführung des Dreiwegekataly-
wicklung der Betriebe herbeiführen wollen, dann sators erzielt worden. Ermutigend ist auch die Ent-
sind Lösungen für die beiden Probleme notwendig. wicklung in den neuen Bundesländern. Gegenüber
Ich kann Sie nur bitten, diese Hinweise aufzuneh- den 36 % festgestellten deutlichen Schäden im Jahre
men. Nicht umsonst hat auch der Präsident des Deut- 1990 hat es eine Verbesserung auf 23 % im Jahre
schen Bauernverbandes, Herr Heereman, gefordert, 1994 gegeben. Das ist wirklich eine erfreuliche Tat-
bei den Altschulden etwas zu unternehmen. Ich sache, und daran sieht man auch, Herr Kollege Ma-
kann mich diesen Forderungen nur anschließen. leuda, was die Landwirtschaft bzw. die Volkswirt-
schaft in der damaligen DDR hinterlassen hat, das
Besten Dank.
können wir heute langsam, aber sicher verbessern,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne im Gegensatz zu dem, was Sie uns vorhin hier er-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zählt haben.
und der PDS)
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
ten der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
Wort nun dem Kollegen Ul rich Heinrich. Insgesamt besteht aber kein Grund zur Entwar-
nung. 25 % aller Bäume weisen deutliche Schäden
auf, d. h. jeder vierte Baum hat einen Nadel- bzw.
Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr Blattverlust von mehr als 25 %.
verehrten Damen und Herren! Der Zustand des Wal-
des ist fast vergleichbar mit der finanziellen Situation (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
unserer Landwirtschaft. Fast 30 % sind in ihrer Exi- DIE GRÜNEN]: Woran liegt das?)
stenz bedroht. Ich glaube, das ist eine Zahl, die man
Am stärksten betroffen sind die Laubbäume mit
zur Kenntnis nehmen muß und die auch dieser
30 %, wobei die Eiche mit 45 % vorn liegt.
Agrarbericht deutlich ausweist. Ich möchte mich
aber in meiner Rede nicht auf die Situation im Agrar- Noch besorgniserregender ist die Entwicklung in
bereich konzentrieren, sondern mich mehr- mit dem den Höhenlagen über 500 m, z. B. im Schwarzwald.
Waldzustandsbericht auseinandersetzen. Aber bevor Dort sind die Waldschäden am deutlichsten zu regi-
ich hierauf näher eingehe, möchte ich noch einmal strieren; d. h. der Anteil der Waldflächen in den
die grundlegende Bedeutung des Waldes für die ge- Schadstufen 2 bis 4 hat sich zwischen 1991 und 1994
samte Gesellschaft verdeutlichen. um 11 % auf sage und schreibe 33 % erhöht. Das
Deutschland ist zu nahezu 30 % mit Wald bedeckt. heißt, jeder dritte Baum ist deutlich geschädigt.
Damit stellt der Wald für uns auch flächenmäßig ei- Meine Damen und Herren, wo liegt die Ursache
nen unverzichtbaren Teil menschlichen Lebens- für die weitere Verschlechterung des Waldzustan-
raums dar. Der Wald bietet vielfältige Nutz-, Schutz- des? Unser Ökosystem ist ein hochkompliziertes und
und Erholungsfunktionen. Davon profitiert letztend- komplexes Gebilde, das auf Schadstoffe, wenn be-
lich die gesamte Gesellschaft. stimmte Grenzen überschritten werden, mit starken
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Reaktionen antwortet. Diese kritischen Punkte wur-
ten der CDU/CSU) den beim Wald teilweise wesentlich überschritten.
Hauptverantwortlich dafür ist die Verbrennung fos-
Dieses vielfältige Leistungsangebot konnte bisher siler Energieträger. Insbesondere der weiterhin stei-
nahezu kostenlos von allen Bürgern genutzt werden, gende Kraftverkehr ist die Ursache für die zuneh-
da die Waldbesitzer die Finanzierung der Pflege und mende Schädigung des Waldes. Obwohl wir wich-
Aufrechterhaltung aus dem Erlös des Holzes erwirt- tige Erfolge bei der Verringerung der SO2-Emissio-
schaften konnten. nen erreichen konnten, hat der zunehmende Kraft-
verkehr diese Erfolge wieder kompensiert.
Die Gesunderhaltung des Waldes ist untrennbar
mit einer rentablen Forstwirtschaft gekoppelt. Lohnt Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Er-
sich die Arbeit im Forst nicht mehr, ist die Gesund- kenntnissen? Den Weg in die richtige Richtung zei-
heit des Waldes doppelt gefährdet. gen nachwachsende Rohstoffe, regenerative Ener-
gien. Sie sind von zentraler Bedeutung auch zur Ver-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
ten der CDU/CSU) besserung des Waldzustandes. Dabei ist die Palette
möglicher Nutzungen riesengroß. Die wichtigsten
Deshalb muß den Waldbesitzern wieder eine ver- Einsatzbereiche sind zur Zeit der sogenannte Biodie-
nünftige Perspektive geboten werden. Dies ist aus sel und die thermische Nutzung von Biomasse. Ge-
ökologischen und ökonomischen Gründen sinnvoll rade die bessere energetische Verwertung von Rest-
und richtig. stoffen aus der gewerblichen Be- und Verarbeitung
von Holz, die das Stromeinspeisungsgesetz jetzt er-
Wir wissen heute sehr viel mehr über die Ursachen möglicht, oder die Förderung regionaler Blockheiz-
und Verursacher der Waldschäden als noch vor zehn kraftwerke genauso wie die Nutzung der Wind- und
Jahren. Möglich war dies nur durch eine intensive Wasserkraft gehören mit dazu. Schließlich stellt auch
Forschung. In diesem Zusammenhang ist natürlich die Wärmedämmung von Gebäuden einen wichtigen
die Frage wichtig, ob wir das zusätzliche Wissen zur Bereich dar, in dem nachwachsende Rohstoffe in der
Beseitigung der Schadursachen auch erfolgreich ge- Zukunft eine bedeutende Rolle spielen werden.
nutzt haben. Ich sage hier: zum Teil ja. Erfolge sind
z. B. bei der Reduzierung der Schwefeldioxidemissio- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
1642 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Ulrich Heinrich
Die in der Koalitionsvereinbarung beschlossene wo Sie, Herr Fischer, Ihr Klientel in der Zukunft of-
Markteinführung nachwachsender Rohstoffe ist ein fensichtlich vermuten. Aber der durchschnittliche Ar-
erfolgversprechender Weg, um die Belastung mit kli- beitnehmer, der Arbeiter, kann dieses Programm
marelevanten Emissionen zu senken und damit den nicht finanzieren.
Wald zu entlasten. Berechnungen zeigen, daß alleine
die Verwertung des deutschen Biomassepotentials (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
zur Wärme- und Stromproduktion den jährlichen Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
CO2-Ausstoß um bis zu 120 Millionen t senken DIE GRÜNEN]: Partei der kleinen Leute!
könnte. Um das einmal in die richtige Relation zu Anwälte der kleinen Leute!)
bringen: Dies wären nach den vorliegenden Berech-
nungen beachtliche 13 % weniger CO2-Emissionen - Mir als gestandenem Hohenloher Bauer - Herr Fi-
scher, hören Sie zu! - brauchen Sie nicht vorzuma-
als im Vergleichsjahr 1993. Dieses Potential, meine
chen, wer hier der Anwalt kleiner Leute ist und wer
sehr verehrten Damen und Herren, muß genutzt wer-
den; denn in relativ kurzer Zeit haben wir hier eine es nicht ist.
hohe Wirtschaftlichkeit zu erwarten. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne DIE GRÜNEN]: Wir kommen doch aus der
ten der CDU/CSU) selben Gegend! Es sitzt ein Hohenloher vor
Ihnen!)
Als weitere Maßnahme zur CO2-Minderung sollte
generell eine aufkommensneutrale CO2-/Energie- - Das weiß ich, deshalb sage ich das ja direkt zu Ih-
steuer eingeführt werden, die als Lenkungssteuer ei- nen. Ich bin erst vor wenigen Tagen durch Ihren ehe-
nen sparsamen Energieverbrauch praktisch er- maligen Wohnort gefahren.
zwingt. Darüber hinaus brauchen wir eine aufkom-
mensneutrale Umlage der Kfz-Steuer auf die Mine- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
ralölsteuer und die Einführung einer ökologisch sinn- DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht im Schloß ge
vollen und verkehrsunabhängigen Entfernungspau- boren!)
-
schale. Auch die Einführung treibstoffsparender
Fahrzeuge würde natürlich dem Klima und dem - Ich weiß, unten im Tal.
Wald guttun. Als Beispiel sei hier nur der Treibstoff-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo es
verbrauch von durchschnittlich drei Litern bei dem
darum geht, die Verursacher von klimarelevanten
Swatchauto genannt.
Emissionen zu suchen, können wir selbstverständ-
Diese Maßnahmen müssen wir massiv fordern und lich auch nicht die Landwirtschaft außen vor lassen.
unterstützen. Ich fasse zusammen: Diese Maßnah- Es wäre unredlich, hier so zu tun, als würde nicht
men sind ökologisch sinnvoll und - ich bitte Sie, hier auch die Landwirtschaft einen negativen Beitrag
genau zuzuhören - finanzierbar für den Verbraucher dazu leisten. Wir sind aufgefordert, mitzuhelfen, daß
und führen zudem zu einer Reduzierung unnötiger die Methan-, Ammoniak- und die Distickstoffoxid-
Bürokratie, wie wir sie heute leider Gottes haben. emissionen, das sogenannte Lachgas, in Zukunft re-
duziert werden. Dabei machen wir selbstverständlich
(Beifall bei der F.D.P.) mit, und ich fordere die Bundesregierung auf, durch
Das sind entscheidende Vorteile, die insbesondere entsprechende Rahmenbedingungen und Unterstüt-
im direkten Vergleich, meine Damen und Herren von zungen auch Investitionen mitzufördern.
den GRÜNEN, auffallen. Die Erhebung zusätzlicher
Abgaben und Steuern, wie Sie das immer wieder f or
dern, ist keine sinnvolle Alternative. Was grüne Um- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
weltpolitik heißt, wird deutlich, wenn man sich die Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluß
vorgeschlagenen Maßnahmen noch einmal vor Au- kommen.
gen führt. Das hört sich dann so an: Einführung einer
Schwerverkehrsabgabe, Einführung einer Stickstoff-
abgabe, Erhöhung der Mineralölsteuer auf runde Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ich sage aber eines: Nicht
fünf Mark, richtig ist die Behauptung der Schutzgemeinschaft
Deutscher Wald, daß die Landwirtschaft der Haupt-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS verursacher für das Waldsterben sei. Das ist total da-
SES 90/DIE GRÜNEN) neben.
sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie und natür- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
lich die Einführung einer Energiesteuer als Ersatz für
den Kohlepfennig. Die deutsche Landwirtschaft macht selbst nach dem
Ein solches Sammelsurium von Vorschlägen, die Bericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdat-
nicht zu Ende gedacht sind, bringt unserer Umwelt mosphäre" nur einen ganz geringen Teil der Waldbe-
überhaupt nichts. Meine Damen und Herren, Ihre lastung aus. Aber ich stehe dazu, und ich bin bereit,
Vorschläge sind vom Bürger schlichtweg nicht finan- daran mitzuarbeiten, auch diesen geringen Teil ab-
zierbar. Das kann sich nur eine ganz geringe Upper- zubauen.
class leisten,
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sind denn die Haupt
DIE GRÜNEN]: Besserverdienende!) verursacher?)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1643
Ulrich Heinrich
- Ich habe es gerade gesagt. Hätten Sie zugehört, Schadenserfassung 1984, und noch nie war ein so ho-
wüßten Sie es. her Prozentsatz der Bäume geschädigt. Eine ähnliche
Tendenz ist für die südlichen Bundesländer zu beob-
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ achten. Hier ist noch ein knappes Drittel der Bäume
DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn optisch gesund; noch nie gab es wie 1994 29 % stark
Rexrodt!) geschädigte Bäume.
Herr Präsident, ich habe noch einen schönen Inzwischen ist die lebenswichtige Filterfunktion
Schlußsatz. des Waldes so stark beeinträchtigt, daß teilweise
(Heiterkeit) Schadstoffausträge - das muß Mann und Frau sich
auf der Zunge zergehen lassen - in umweltbelasten-
Leider ist der Wald längst nicht mehr die Sparkasse dem Ausmaß aus dem Wald zu verzeichnen sind. Ich
der Bauern. Die Gesellschaft hat diese Reserve der kann dies bei bestem Willen nicht als ein Verharren
Landwirte angezapft und den Wald ohne Entschädi- auf hohem Niveau interpretieren, sondern nur als
gung als Deponie für die von ihr verursachten Luft- eine weitere deutliche Verschlechterung des Wald-
schadstoffe benutzt. In der Sparkasse sind deshalb zustandes.
allenfalls noch Hosenknöpfe.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herzlichen Dank.
Gemessen an Ihren eigenen Ansprüchen und An-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) kündigungen sind 10 Jahre Waldschadensbericht 10
vergeudete Jahre.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun Besser wirkt auf den ersten Blick die Entwicklung
das Wort der Kollegin Steffi Lemke. in den neuen Bundesländern, die im Gesamtdurch-
schnitt positive Akzente setzt. Aber an welchem
Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Werter Maßstab orientiert sich diese Einschätzung? Daß der
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor großflächigen Deindustrialisierung im Osten dieses
uns liegt der Waldschadensbericht der Bundesregie- Landes, also dem Sterben zugegebenermaßen schad-
rung 1994. Ich gratuliere Ihnen zu diesem Werk, Herr stoffschleudernder Bet ri ebe auch geringere Schad-
Borchert. Ihnen ist es gelungen, wenn auch auf ho- stoffniedergänge folgen, ist logisch. Diese gerade im
hem Niveau, den Schaden zu begrenzen. Alles wird sozialen Bereich mit verheerenden Folgen belastete
wieder gut werden. - So jedenfalls will der vorlie- Entwicklung aber in der Hochglanzverpackung
gende Bericht gelesen werden, und so suggerieren „Waldzustandsbericht" zu verkaufen grenzt an Zy-
es uns auch die Koalitionsredner. nismus.
Unsere Aufgabe als Oppositionsfraktion in diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bundestag ist es aber nicht, etwas schönzureden. Das
können andere ohnehin viel besser als ich. Wir ha- Ich komme aus einem Bundesland, in dem die Ent-
ben die vorgelegten Leistungsnachweise der Bun- wicklung als besonders positiv dargestellt wird. Ent-
desregierung kritisch zu überprüfen. In dieser Hin- warnung in Sachsen Anhalt? Um diese Frage zu be-
-

sicht ist der Waldschadensbericht leider ein sehr antworten, bringt ein kleiner Spaziergang in den Elb-
dankbares Aufgabengebiet. auen mehr als Ihr Waldschadensbericht. Der Zustand
unserer Eichen dort ist erschreckend und verschlech-
Herr Borchert, es ist nicht nur kein Anlaß zur Ent- tert sich nach wie vor. Die Überlebenschancen der
warnung gegeben, sondern auch Zeit, die Warnung Bäume sind in der Summe gering. Dabei sind die
des Waldökosystems endlich ernst zu nehmen. meisten dieser Riesen, die unter normalen Bedingun-
gen 1 000 Jahre und mehr alt werden können, nicht
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einmal 200 Jahre alt. Hier stirbt nicht allmählich eine
Ich möchte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, son- Baumart, hier stirbt eine Landschaft.
dern auch die Bäume. Ich hätte mir deshalb auch ge-
Von einer solchen Entwicklung ist im Waldscha-
wünscht, Herr Maleuda, daß Sie etwas intensiver auf
densbericht nichts zu lesen, was auch auf seine syste-
den Waldschadensbericht eingegangen wären und
matischen Schwächen zurückzuführen ist. Stark ge-
diese Debatte nicht als Eigentumsdebatte miß-
schädigt geschlagene, sozusagen notgeschlachtete
braucht hätten.
Bäume tauchen im Waldzustandsbericht erst gar
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht auf. Im Gegenteil, sie wirken sich durch ihr
Nichtauftauchen positiv auf die Gesamtstatistik aus.
Der Bericht sagt aus, daß die Waldschäden das Durch die Darstellung von reinen Länderdurch-
hohe Niveau der Vorjahre beibehalten haben. Diese schnittswerten wird die regional teilweise drastische
Tatsache an sich ist schon bedrohlich genug. Sie Entwicklung außerdem verdeckt. Selbst an zusam-
spiegelt aber nur die halbe Wahrheit wider, nämlich menhängenden Waldstücken ändert sich an Länder-
den bundesweiten Durchschnitt. Wenn wir aus der grenzen auf wunderbare Weise die Entwicklungsten-
heutigen Bundesrepublik die Länder gesondert be- denz.
trachten, für die Sie seit 10 und mehr Jahren zustän-
dig sind, hilft auch der tiefste Griff in die Wundertüte Betrachtet wird des weiteren nur der Zustand der
der Statistik nicht mehr viel. Im Klartext: In den mord- Baumkronen. Aussagen z. B. zum Zustand des Wald-
westdeutschen Bundesländern ist der Anteil der op- bodens - überlebenswichtig vor allem für die Wälder
tisch gesunden Bäume der niedrigste seit Beginn der kommender Generationen - werden nicht ge tr offen.
1644 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Steffi Lemke
Wurzelschäden sind kein Kriterium. Die ausschließli- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin,
che Fixierung auf Kronenschäden macht nur Spät- das war Ihre erste Rede in diesem Hause. Ich möchte
wirkungen deutlich und verschleiert die jetzige Ten- Ihnen nach der Übung dazu herzlich gratulieren.
denz.
(Beifall)
Ich will gar nicht leugnen, daß einige technische Ich erteile nun dem Kollegen Ulrich Junghanns das
Entwicklungen der letzten Jahre den Schadstoffein- Wort.
trag, insbesondere von Schwefel, gesenkt haben.
Diese zu begrüßende Entwicklung reicht aber bei
weitem nicht aus, um die notwendigen Verbesserun- Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr
gen des Waldzustands zu erreichen. Die positiven Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolle-
Wirkungen der Katalysatoreinführung werden z. B. ginnen und Kollegen! Ich möchte mich noch einmal
durch das ungebrochene Wachstum des Verkehrs- den Fragen der Landwirtschaftsbetriebe in unseren
aufkommens und die weitere Verlagerung von Gü- jungen Bundesländern zuwenden. Dafür ist eine Vor-
terverkehren auf die Straße mehr als neutralisiert. bemerkung notwendig, um Tatsachen sprechen zu
lassen.
Ich stehe hier heute als eine der jüngsten Bundes- Betreffs der jungen Bundesländer wird heuer aus
tagsabgeordneten vor Ihnen und fordere Sie deshalb dem Agrarbericht 1995 immer so vordergründig her-
auf, Herr Borchert und die Regierungskoalition, die ausgelesen, den Bauern im Osten gehe es besser als
Zukunftssicherung für folgende Generationen zu be- den westdeutschen. Als Abgeordneter aus Branden-
treiben, und zwar eine Zukunftssicherung, die die- burg könnte ich ja an solchen Erfolgsszenarien
sen Namen auch verdient. Freude hegen, wenn, ja, wenn solche oberflächli-
chen, undifferenzierten Be trachtungen nicht so trü-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gerisch wären.
der SPD und der PDS)
(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll
Die Instrumentarien dazu liegen bereit. Einige von mer)
-
ihnen hat Herr Hein rich genannt. Ich bleibe dabei,
daß wir eine ökologische Steuerreform brauchen, die Der Agrarbericht ist zwar durch ein weiter ausgereif-
nicht aufkommensneutral ist. Was Sie versprechen - tes Netz ausgewerteter Landwirtschaftsbetriebe be-
nachwachsende Rohstoffe als Allheilmittel -, ist ge- legt; die Ergebnisse reichen jedoch noch nicht für
rade im Bereich des Waldschadensberichtes auch nur eine Hochrechnung. Sie werden wie in den Vorjah-
eine Illusion. Sie wissen, daß der Stickoxidausstoß ren als arithmetische Durchschnitte ausgewiesen.
bei Biodiesel nicht niedriger ist als bei normalem Gesicherte Aussagen über die nachhaltige wirt-
Kraftstoff und daß gerade dieser Schadstoff im Au- schaftliche Lage der Landwirtschaftsbetriebe in den
genblick der Hauptschädling für die Wälder ist. verschiedenen Rechtsformen sind noch nicht mög-
lich.
Die Rettung unserer Waldbestände ist keine Auf- Davon ausgehend, wird die agrarpolitische Be-
gabe, die zum Aussitzen taugt. Das sollten Sie in den trachtung erst solide, wenn neben der Gewinnbe-
letzten zehn Jahren gelernt haben. Die Bevölkerung trachtung gleichermaßen gesehen und gewertet
dieses Landes weiß dies auch. Nach einer Burda-Um- wird, daß ostdeutsche Vollerwerbsbetriebe eine sehr
frage aus dem Jahre 1993 wären 77 % unserer Bürge- dünne Kapitaldecke und die Landwirtschaftsbe-
rinnen und Bürger bereit, im Jahr 100 DM für die triebe aller Rechtsformen einen höheren Investitions-
Aufforstung geschädigter Wälder zu spenden. Sie se- bedarf bei geringer Deckung haben, die bei großer
hen, werte Ministerinnen und Minister, wie groß der Fremdfinanzierungsbelastung die Unternehmenssta-
Glaube der Bevölkerung in Ihre Umweltpolitik im- bilität beeinträchtigen.
mer noch ist.
Im Agrarbericht wird deshalb richtig resümiert,
In meiner Heimat sind zur Zeit Luther-Zitate sehr daß die Ergebnisse nach wie vor von der anhalten-
in Mode. Eines kennt fast jeder, und mit diesem den Umstrukturierung geprägt sind - eine beispiel-
möchte ich schließen: lose Umstrukturierung, wie ich meine, bei der im
Rückblick der wohl schwierigste Streckenabschnitt
Und wenn ich wüßt', daß morgen die Welt unter- zurückgelegt wurde. Nach zwei Anwendungsjahren
geht, würd' ich heute noch ein Apfelbäumchen der Agrarreform haben sich die 22 477 Vollerwerbs-
pflanzen. betriebe, Einzelunternehmen und Personengesell-
schaften sowie rund 2 800 juristische Personen priva-
(Egon Susset [CDU/CSU]: Wieviel haben ten Rechts weitestgehend auf die Rahmenbedingun-
Sie schon gepflanzt?) gen eingestellt. Ich möchte entgegen anderen Dar-
stellungen in dieser heutigen Debatte hervorheben,
Lassen Sie sich hinsichtlich des Waldschutzes von daß diese sehr wohl unternehmerische Visionen ha-
diesem durch Aktivität geprägten Optimismus zu un- ben, die sie auch mit Kraft und Energie umzusetzen
ser aller Nutzen leiten. gewillt sind.
Danke. Das bestätigt, meine ich, die agrarpolitische Kurs-
bestimmung von Koalition und Bundesregierung. Zu-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dem sprechen diese Fortschritte für die unternehme-
der SPD und der PDS) rischen Leistungen der Bauern unserer Länder, was
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1645
Ulrich Junghanns
auch einmal von dieser Stelle Anerkennung finden Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Herr Sielaff? Natür-
soll. lich, bitte schön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) Horst Sielaff (SPD): Herr Kollege, Sie sprachen so-
eben die Vielfalt der Betriebsformen an. Können Sie
Dabei bin ich überhaupt nicht geneigt, Mißstände mir vielleicht sagen, wie Sie folgende Äußerung un-
unter den Teppich zu kehren. Schwarze Schafe sind seres Kollegen Norbert Schindler hier im Deutschen
kein spezifisches ostdeutsches Problem, aber nach Bundestag, des pfälzischen Bauernpräsidenten - der
der Erfahrung, daß schon eine schlechte Bohne den an der Debatte hier leider seit längerer Zeit nicht teil-
Kaffee verderben kann, muß in unseren Ländern nimmt -, bewerten? Er hat nach einem Zeitungsbe-
auch heute noch Hinweisen nachgegangen werden, richt am 4. März erklärt:
die beispielsweise auf Geschäftsführungen hindeu-
ten, denen persönlich das Hemd näher ist als der Er sehe die Zukunft der Landwirtschaft insbeson-
Rock und die die Unternehmen samt Existenzen ge- dere in einer gesunden mittelbäuerlichen Struk-
fährden oder Vermögensauseinandersetzungen hin- tur und erteilte Großbetrieben, wie sie in Frank-
tertreiben. reich vorzufinden sind, eine Absage.

Unsere bisherigen Erfahrungen, meine Damen und - Jetzt kommt der entscheidende Satz -:
Herren, lassen uns mit einer sehr klaren Problem-
sicht zuversichtlich auf den weiteren Umstrukturie- Auch die Großbetriebe in den neuen Bundeslän-
rungsprozeß der ostdeutschen Land- und Ernäh- dern müßten verkleinert werden, sagte der Bau-
rungswirtschaft blicken. Maßgeblich ist dafür, daß ernpräsident.
die EU-gestützten Fördersonderkonditionen für un-
Herr Schindler ist Ihr Kollege. Meine Frage: Wie
sere jungen Länder bis 1996 Gültigkeit haben.
bewerten Sie diese Aussage, wenn Sie von der Viel-
Gleichzeitig sind mit dem Gesetz zur Bereinigung
falt der Betriebe sprechen?
des Umwandlungsrechts, dem Sachenrechtsbereini-
gungsgesetz und dem Entschädigungs-- und Aus-
gleichsleistungsgesetz wichtige Rahmenbedingun- Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Ich sage Ihnen und
gen für die weitere Unternehmensoptimierung ge- meinem Kollegen Schindler, daß ich bei der Struktur-
setzt. Diese werden und wollen aber niemandem - entwicklung sowie bei Optionen und Visionen dieser
das möchte ich betonen - das unternehmerische Ri- Entwicklung in der zweiten Instanz von Größenord-
siko abnehmen. Hier teile ich die Erwartung, daß das nungen spreche und in erster Instanz für mich wich-
im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz tig ist, welches tragfähige Unternehmenskonzept in
begründete Bodenerwerbsprogramm nun schnell Gang kommt.
umgesetzt wird.
Für mich ist das - weil die Diskussion zu oberfläch-
Dringender ist aber noch, weil keine Pachtphase lich geführt wird - keine Frage nach Größenordnun-
vorgeschaltet ist, die Privatisierung des Waldes un- gen. Sie ist an einer Stelle, was die Umweltverträg-
ter Ausschöpfung aller Möglichkeiten des Gesetzes lichkeit angeht, natürlich eine sehr relevante Frage.
ohne Verzug in Gang zu setzen. Zu Recht erwarten Aber wir sollten uns auf diesem Weg, auf dem wir,
die Beteiligten da einfache Verfahrensregeln. glaube ich, gemeinsam noch zu lernen haben, doch
nicht durch solche kontroversen Fragen letztlich in
Lieber Kollege Maleuda, an dieser Stelle möchte Grabenkämpfe zurückziehen, sondern uns die Offen-
ich sagen: Die ideologische Mär von der Verteufe-
heit bewahren, über neue Wege nachzudenken.
lung des Privatwaldes lassen wir lieber im Stall ste-
hen. Ich empfehle, im Waldgesetz zur Sozialver- Herr Sielaff, Sie möchten noch eine Frage stellen?
pflichtung des Waldbesitzes nachzulesen. Ich - Bitte.
glaube, da können wir auch erleben, daß wir auf die-
sem Gebiet der Waldpflege sehr gut vorankommen.
Horst Sielaff (SPD): Herr Kollege, habe ich Sie rich-
Die brennendste Frage ist aber jetzt, meine Damen tig verstanden, daß Sie sagen, daß diese Diskussion
und Herren: Wie wird die Förderkulisse für die Be- überflüssig ist, Gräben aufreißt und allein die Um-
triebe in unseren neuen Ländern ab 1. 1. 1997 ausse- weltverträglichkeit nach Ihrem Verständnis Krite-
hen? - Meine Auffassung ist: rium für die Größe der Bet ri ebe sein kann?
Erstens. Die zukünftige einheitliche deutsche
Agrarpolitik muß offensiv die tatsächlichen struktu- Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Sie haben mich
rellen Unterschiede berücksichtigen sowie die fort- falsch verstanden. Das ist nichts Neues. Diese Ver-
schreitende Entwicklung zu effizienten Betriebs- kürzung gibt nicht meine Antwort im ersten Teil wie-
strukturen wirksam unterstützen. Die vom Bundes- der.
kanzler gegenüber dem Berufsstand für die Land-
wirtschaft in Deutschland formulierte Zukunftsma- Zweitens. Ich halte unter Berücksichtigung der
xime „Einheit in Vielfalt" trifft den Kern der Sache. Ziel-1-Gebietsfestlegung bis 1999 Forderungen nach
unveränderter Verlängerung aller Sonderkonditio-
nen für ebenso unvertretbar, wie es töricht wäre,
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie glauben zu wollen, daß überhaupt keine Spezifizie-
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sielaff? rungen neuer Bundesländer mehr notwendig seien.
1646 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Ulrich Junghanns
Vor allem die Tierproduktion bedarf gegenüber legungen nicht auch noch mit dem Abzug von Aus-
den entwickelten Marktfruchtbetrieben weiterge- gleichszahlungen zu belegen und im Jahre 1995 Sal-
hender Flankierungen. Das ist ein akutes Problem, dierungsmöglichkeiten einzuräumen. Auch sollte un-
wie das schon verschiedene Vorredner hier anführ- tersucht werden, welche Ursachen zur Überschrei-
ten. tung geführt haben.
Mangelnde Kapitalausstattung für erforderliche In- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
vestitionen, aber ebenso die verbreitete Unterneh- DIE GRÜNEN]: Die Zeit ist abgelaufen!)
mensauffassung, sich zunächst einmal auf der siche-
Wir stellen fest, Herr Fischer, daß sie in unseren Län-
ren Seite des Marktfruchtanbaus bewegen zu wol-
dern vor allen Dingen auf die zusätzliche Inan-
len, werden heute als Gründe angeführt, die im Zu-
spruchnahme freiwilliger Flächenstillegung zurück-
sammenhang mit der Diskussion um den drastischen
zuführen ist.
Tierbestandsabbau geführt werden.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Das kann es aber nicht gewesen sein. Das sage ich
DIE GRÜNEN]: Jetzt hat es sich ausgefest
ganz bewußt auch an die Bauern in den neuen Bun-
stellt!)
desländern. Unternehmenserträge aus Arbeit sind
vor allem über eine moderne Veredlung machbar. Da
füllen die ostdeutschen Unternehmen ihre eigentli- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie müssen jetzt
che Marktposition noch nicht aus. wirklich aufhören, Herr Kollege.
Man hat ja bis zu einem bestimmten Punkt Ver-
ständnis, wenn Landesminister den Druck abwälzen Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Ich möchte damit
wollen, indem sie wieder einmal zu dieser Frage sagen -
mehr investive Hilfen vom Bund einfordern. Aber bei
diesem Problem ist der Handlungs- und Gestaltungs- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein, Sie möch-
spielraum in den Ländern tatsächlich größer. Die ten jetzt nichts mehr sagen. Es ist jetzt eine Minute
Ziel- 1 -Gebietsfördermittel sowie das Investitionsför- überzogen.
-
dergesetz Aufbau-Ost bieten den Rahmen für landes-
spezifische, problembezogene Investitions und Ka-
Ulrich Junghanns (CDU/CSU): - daß diese diffe-
-

pitalhilfen, wenn man das will. Ich meine, in diesem


renzierte Betrachtung auch eine differenzierte Reak-
Saal müßten wir uns als Agrarpolitiker darüber einig
tion möglich machen sollte.
sein, daß in den neuen Bundesländern diese Mittel
nicht an der Land- und Forstwirtschaft vorbeigetra- Danke schön.
gen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Nun noch zur Grundflächenüberschreitung in un-
seren jungen Ländern: Nach der Aufstockung 1993 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
um 331 000 ha zeigt die Überschreitung von 134 000 jetzt die Abgeordnete Heidi Wright.
ha 1994, daß noch immer ein Basisflächenproblem
besteht. Die Bemühungen der Bundesregierung, den
Sanktionsmechanismus abzuwenden, sind bislang in Heidi Wright (SPD): Frau Präsidentin! Kolleginnen
Brüssel auf Granit gestoßen. Unvoreingenommen und Kollegen! Alle Jahre wieder schlagen im Mai die
muß auch einmal hervorgehoben und anerkannt Bäume aus, fallen im Herbst die Blätter und legt die
werden, daß allseits bekannte Sanktionsverfahren Bundesregierung im Dezember den Waldschadens-
nicht dazu vereinbart sind, um sie dann im Über- bericht vor. Das war einmal. Im Mai schlagen immer
schreitungsfall auszusetzen. Darauf sollte man sich weniger Bäume aus, weil viele den Winter- und Früh-
langsam, aber sicher einstellen. jahrsstürmen zum Opfer gefallen sind. Im Herbst fal-
len immer weniger Blätter, weil von Bäumen der
Aus Erkenntnis der Sanktionswirkungen in unse- Schadensgruppe 4 und 5 eh nichts mehr fällt, und
ren Ländern, besonders in Brandenburg mit einem der Waldschadensbericht im Dezember ist zu einem
ohnehin großen Stillegungsanteil, auf die Betriebser- Waldzustandsbericht mutiert, eine rein rhetorische
gebnisse bitte ich Sie dennoch, Herr Bundesminister Schadensbegrenzung.
Borchert, weiterhin für Erleichterungen einzutreten.
Herr Minister Borchert hat sich auch nur in dürren
Worten dem Waldzustandsbericht gewidmet. Das
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie müssen zum paßt zu dem Zustand des Waldes: dürr.
Schluß kommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten der PDS)
Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Ich komme zum
Schluß. Seit mehr als zehn Jahren werden die Schäden,
pardon, der Zustand des Waldes statistisch erfaßt,
werden Ursachen, Emittenten und Tonnen der Emis-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das heißt, Ihre
sionen gemessen und aufgelistet. Um den Hauptver-
Redezeit ist schon vorbei. ursacher der Waldschäden kann ein Wettkampf ge-
führt werden. Das beruhigt dann den jeweiligen Ver-
Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Ein kurzer Ge- lierer. Aber nicht Ablenkungs- und Verharmlosungs-
danke noch. - Denkbar ist, die zusätzlichen Still- strategien, Betroffenheits- oder Verdrängungsrheto-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1647
Heidi Wright
rik, sondern politische Verantwortung müssen end- Herr Staatssekretär Gröbl, eine Wald-AG würde
lich Platz greifen, mit dem einzigen Ziel, Schadstoff- nicht die positive Waldpflege der privaten Waldbesit-
einträge in großem Maße zurückzuführen und dem zer bringen. Diese Erfahrungen und diese Verant-
Wald und uns selbst zum Überleben zu verhelfen, wortlichkeit ist dort in Generationen im Familienbe-
trieb weitergegeben worden. Aktionäre einer Wald-
(Beifall bei der SPD) AG hätten sicherlich ganz andere Ziele.

auch in dem Wissen und der Bürde, daß selbst radi- (Beifall bei der SPD)
kale Minderung der Schadstoffeinträge noch lange
zu einer Verschlechterung der Böden, des Trinkwas- Ein weiterer Punkt: Es hat die Industriemanager
sers, des Klimas und des Waldes führt; denn die Gift- der Auto-, Energie- und Schwerindustrie in der Ver-
einträge sind nachhaltig. Es hat aber gar keinen gangenheit nicht in den Schmollwinkel getrieben,
Zweck, die Kummerfurche entlangzuharken und als ihre tödliche, schädliche Luftfracht als Verursa-
Verantwortlichkeiten umzuschichten, Statistiken cher des Waldsterbens benannt wurde. Warum also,
durch Weglassen der Schadensstufe 5 - die haben Herr Minister Borchert, jetzt, nach den drastischen
wir ja gar nicht - zu verschönen. Nein, wir müssen Worten der Schutzgemeinschaft „Deutscher Wald",
endlich handeln. die jetzt die Landwirtschaft als Hauptverursacher der
Waldschäden darstellt, der Schmollwinkel?
Es ist dies eine Querschnittsaufgabe des Wirt-
schaftsministeriums - dazu hat Herr Heinrich Worte Es ist entbehrlich, die Rangfolge der Emittenten
gefunden -, des Umweltministeriums, des Landwirt- streitig zu diskutieren. Vielmehr muß nach dem
schaftsministeriums, Herr Borchert, ja der gesamten Motto „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt" gehandelt
Bundesregierung. Denn es geht selbstverständlich werden.
nicht nur um den deutschen Staats-, Körperschafts-
und Privatwald. Es geht nicht nur um die Schwarz- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
waldtanne und die Spessarteiche. Es geht um die
Rettung eines lebenswichtigen Ökosystems. Aber, Herr Minister, Sie müssen die Gefahr erken-
nen, auch die Gefahr, die von der Landwirtschaft
Kolleginnen und Kollegen, trotz aller richtigen Er- ausgeht. Ihre Aufgabe, Herr Minister Borchert - wir
kenntnisse in den Waldzustandsberichten der ver- werden Ihnen im Ausschuß sehr gerne dabei helfen -,
gangenen Jahre und aller Beteuerungen in den ist es doch, Land- und Forstwirtschaft, aber auch Um-
Sonntags- und Bundestagsreden ist festzustellen: Ja, welt- und Landwirtschaftspolitik aufeinander abzu-
Herr Heinrich, wir wissen zwar immer mehr, verän- stimmen.
dern aber viel zuwenig.
Nur eine ökologisch wirtschaftende Landwirt-
schaft mit der Verantwortung für ihre Produkte
(Beifall bei der SPD) ebenso wie für die Böden, das Trinkwasser und den
Wald findet die Akzeptanz der Bevölkerung. Das Ziel
Ich will mich auf die Waldwirtschafts-, Forst- und der SPD-Politik und das Ziel jeder verantwortlichen
Landwirtschaftspolitik beschränken, Herr Minister Politik muß es sein, konsequent reformerisch die Be-
Borchert. Es ist festzuhalten: Der deutsche Wald ist dürfnisse der Menschen in der Gegenwart so zu er-
Holzacker, der so langfristig keine wirtschaftliche füllen, daß die Lebensbedingungen auch zukünftiger
Perspektive bieten kann. Denn er ist ein unnatürli- Generationen berücksichtigt sind, also einen sozia-
cher, labiler Altersklassenwald. Das heißt, er ist zum len und ökologischen Generationenvertrag zu schaf-
Kahlschlag sortiert, aufgelistet nach Baumart und fen und zu erfüllen.
Baumalter. Er ist Monokultur, und es ist ihm eine mo-
nofunktionale Rolle zugedacht. Kriterien waren und Am Beispiel Wald ließe sich das exemplarisch sta-
sind kurzfristige Funktionalität und Rentabilität. tuieren. Allen Wohl und keinem Wehe - das wird
nicht gehen. Deshalb wird die SPD Forderungen er-
Weil ich ein optimistischer Mensch bin, suche, er- heben, die dann in der Umsetzung mittel- und lang-
kenne und benenne ich gern auch positive Entwick- fristig den Weg zu einer auch von der Forstwirtschaft
lungen. So ist festzustellen, daß sich bei privaten akzeptierten Landwirtschaft bereiten.
Waldbesitzern schon über Generationen die Erkennt-
nis durchgesetzt hat, daß naturnahes Wirtschaften Wir brauchen die Bindung der Tierhaltung an die
und biologische Vielfalt des Waldes, also nachhal- Fläche, die Einführung einer Düngemittelverord-
tige Waldwirtschaft, Segen bringt. nung, eine nationale bzw. eine europaeinheitliche
Abgabe auf mineralische und organische Stickstoffe,
Schäden sind hier weit geringer als in den staatlich eine Regelung der Verwendung von Pflanzenschutz-
geführten Wäldern. Der privat geführte Wald ist we- mitteln durch eine Änderung des Pflanzenschutzge-
niger anfällig gegen Windbruch und Insektenplage, setzes. Wir brauchen die Revision des Bundesnatur-
ist widerstandsfähiger, weil naturnah. Dennoch schutzgesetzes mit der Verankerung einer naturver-
möchte ich nicht einem Ausverkauf des Staatswaldes träglichen Land- und Forstwirtschaft.
hin zu einer Wald-AG das Wort reden, sondern einer
Politik die nachhaltige Forstwirtschaft, ökologische (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie
Landwirtschaft und wirksamen Umweltschutz zum des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt]
Schutz unserer Wälder festschreibt. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
1648 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Heidi Wright
Wir brauchen aber auch eine Perspektive für den die Schweinepest. Er wollte wissen, was diese Bun-
deutschen Holzmarkt, der sich zur Zeit gegen das desregierung hier konkret getan hat. Diese Bundes-
unter Sozial- und Ökodumping geschlagene Holz regierung hat ein Notprogramm in Höhe von
aus dem Osten behaupten muß. 15 Millionen DM aufgelegt und weitere 20 Millionen
DM für die betroffenen Landwirte zur Verfügung ge-
(Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.] meldet sich zu stellt.
einer Zwischenfrage)
Egon Susset wurde auch noch gefragt: Was macht
- Nein, Herr Heinrich, ich bin gleich fertig. Meine denn Niedersachsen? Das will ich Ihnen sagen. Nie-
Redezeit ist schon abgelaufen. dersachsen verweigert sich. Das ist für mich vollkom-
Wir brauchen in unserer Forstwirtschaft gut ausge- men unverständlich.
bildete Fachleute. Deren Bestand darf nicht bis zur (Horst Sielaff [SPD]: Das stimmt doch gar
Schmerzgrenze reduziert werden. Es gibt viel zu tun, nicht! Das ist ein Streitfall der Zuständig
Herr Minister Borchert. Ich hoffe, Sie haben die poli-
keit!)
tische Entschlossenheit und den politischen Mut.
Sie wissen ganz genau, daß sich der Landwirtschafts-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne minister in Niedersachsen für die Landwirte verwen-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
den müßte. Ich fordere die niedersächsischen Kolle-
und der PDS) gen ausdrücklich auf, dies ebenfalls zu tun und dar-
auf hinzuwirken, daß Niedersachsen seinen 30%igen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich gratuliere Anteil zahlt. 70 % zahlt die EU; jetzt sollen auch die
Ihnen im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede. Niedersachsen ihren Beitrag leisten. Sie wissen, daß
sie dazu verpflichtet sind.
(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen
und der PDS) (Detlev von Larcher [SPD]: Wieviel Millio
nen hat denn Niedersachsen gezahlt?)
Dann bekommt man doppelten Beifall.
- Ich möchte auch ganz kurz zur Kollegin Höfken
Jetzt hat die Abgeordnete Hannelore Rönsch das
Deipenbrock Stellung nehmen. Frau Kollegin, es be-
Wort.
drückt schon ein wenig, wenn Sie die Landwirte da-
für verantwortlich machen, daß es in unserer Gesell-
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Frau schaft ernährungsbedingte Krankheiten gibt. Leider
Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ei- liegt dies vielfach am Verhalten der Verbraucher. Wir
gentlich wollte ich mich heute bei der Diskussion des dürfen die Landwirte mit ihren Produkten dafür nicht
Agrarberichts 1995 auf die sozial- und ernährungs- in die Haftung nehmen.
politischen Teile konzentrieren. Aber das, was die
Kollegen, die vor mir gesprochen haben, dazu gesagt (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie
haben, hat mich veranlaßt, hiervon abzuweichen. sind dafür verantwortlich!)

Herr Kollege Sielaff, als Neuling in der Landwirt- Hier, meine ich, müssen wir sehr deutlich unterschei-
schaftspolitik war ich natürlich ausgesprochen ge- den und müssen auch in der Sprache ausgesprochen
spannt, welche Perspektiven der Landwirtschaftspo- vorsichtig sein.
litik Sie entwickeln würden. Sie haben in Ihrer Rede (Zuruf von der SPD: Das schreiben Sie sich
einen Ist-Zustand beschrieben. Sie haben, wie das einmal selbst in das Stammbuch!)
Ihrer Rolle als Opposition entspricht, nur auf den
Landwirtschaftsminister eingedroschen, aber keine Abenteuerlich wird es, wenn die PDS über Wald-
eigenen Vorstellungen entwickelt, bis die Redezeit schäden spricht.
zu Ende war. (Zuruf von der F.D.P.: So ist es! Das kann
Dann habe ich gedacht: Dr. Thalheim wird vortra- man wohl sagen!)
gen, wie die Opposition in der Zukunft die Landwirt- Sie ist die Nachfolgerin der SED, die den Wald in den
schaftspolitik gestaltet sehen will. fünf neuen Bundesländern - -
(Horst Sielaff [SPD]: Sie haben die Forde
rungen nicht gehört!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin
Auch da war die Redezeit sehr schnell zu Ende, und Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
wir haben immer noch nichts von den Perspektiven gen von Larcher?
gehört, auf die sich unsere Bäuerinnen und Bauern
verlassen können. Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Aber
selbstverständlich. Ich hätte nur den Gedanken über
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
die PDS noch gern zu Ende gesagt, Herr Kollege von
Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)
Larcher. Dann sehr gerne.
Das ging dann munter so weiter.
Die PDS, Nachfolgepartei der SED, die in der ehe-
Der Kollege Graf ist vielleicht jetzt in seinem Büro maligen DDR den Wald ausgedünnt hat, kaum nach-
und schaut auf der Seite 143 des Agrarberichts nach. geforstet hat und durch die Umweltbelastung natür-
Dort werden nämlich die Fragen, die er meinem Kol- lich auch diese Schäden verursacht hat, will uns
legen Susset gestellt hat, beantwortet; da geht es um heute erklären, wie Waldschäden zu verhindern
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1649
Hannelore Rönsch (Wiesbaden)
sind. Abenteuerlich wird es aber dann, wenn auch Wir setzen auf die Entwicklung leistungs- und
noch den Zeiten nachgetrauert wird, als Erich Ho- marktgerechter Betriebe. Wettbewerb und Leistung
necker in der Schafheide das Wild vor der Flinte müssen sich für alle Betriebe wieder lohnen.
hatte.
(Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Was heißt
(Zuruf von der PDS: Schorfheide!) das? Reden Sie einmal Klartext, was Sie
denn meinen!)
- Sie wissen es selbstverständlich besser als ich. Ich
habe dort nie gejagt, glauben Sie es mir. Ich wünsche mir dies ganz besonders für die Fami-
lienbetriebe, deren Erhalt auch für die Zukunft si-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chergestellt sein muß. Sie sind das Kernstück unserer
Landwirtschaft.
Ich habe mir sagen lassen: Die Schorfheide war ein-
gezäunt. Da stand ein Schild: „Staatsgebiet". Dann Ich bin deshalb ausgesprochen glücklich darüber,
ist das Wild dorthin getrieben worden, so daß er es daß wir jetzt 110 000 Bäuerinnen mit in die Altersver-
abschießen konnte. sorgung der Landwirte aufnehmen können.

Und von Ihnen sollen wir uns jetzt sagen lassen, (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Sie sehen
wie der Wald neu zu gestalten ist. Meine sehr geehr- aber gar nicht so aus!)
ten Damen und Herren, da muß ich sagen: Ich bin Das hat sehr lange gedauert. Ich bin ebenfalls froh
nicht bereit, das mitzumachen. darüber, daß dies im Konsens geschehen konnte.
(Horst Sielaff [SPD]: Eine Schande, was Sie (Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])
da machen!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt
Ich wollte mich auf die Sozialpolitik konzentrieren jetzt einige Punkte, die zum Nachdenken Anlaß ge-
und will jetzt ganz kurz darauf eingehen. ben. Uns alle erreichen Briefe, daß es an der einen
oder anderen Stelle nach der Einführung am 1. Ja-
- nuar 1995 zu Schwierigkeiten kommt. Aber wenn Sie
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie wollten jetzt mit den betroffenen Frauen oder ihren Männern dar-
aber die Zwischenfrage zulassen, ja? über diskutieren, sehen Sie, daß es oft Fragen sind,
die durch Beratung noch gelöst werden können. Ich
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Ent- wende mich ein wenig dagegen, das ganze Gesetz,
schuldigung. Ja, selbstverständlich. das wir gerade verabschiedet haben, jetzt in Frage
zu stellen.
(Horst Sielaff [SPD]: Der Borchert wollte das
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Also, Herr Lar-
doch!)
cher. - Ich halte die Uhr an.
Ich glaube, daß wir den Frauen durch Beratung ein
wesentliches Stück entgegenkommen können und
Detlev von Larcher (SPD): Frau Kollegin Rönsch, daß wir noch in diesem Jahr einen großen Teil der
könnten Sie uns bitte die Zahlen sagen, nämlich wie- Kritikpunkte ausräumen können.
viel Millionen DM Niedersachsen während der letz-
ten Schweinepest ausgegeben hat? (Horst Sielaff [SPD]: Also doch!)

(Zuruf von der F.D.P.: Das Thema ist schon


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Der Herr Kol-
abgehandelt!)
lege Larcher will es noch einmal mit einer Zwischen-
frage versuchen.
Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr
Kollege Larcher, ich glaube, es waren um die Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Nein.
65 Millionen DM. Nun muß ich sagen: Ich stehe nicht
hier, um die Landespolitik Niedersachsens zu vertre-
ten. Momentan ist es da ja auch ein bißchen schwie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nicht mehr?
rig, zu wissen, wer da Verantwortung trägt. Darüber
wird ja, glaube ich, gerade noch geredet. Ich habe Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Die
die Zahlen für Niedersachsen nicht exakt präsent. werde ich nicht mehr zulassen. Herr Kollege von Lar-
Aber ich glaube, es sind 65 Millionen. Nur, es ist cher, kommen Sie in den Landwirtschaftsausschuß;
nicht meine Aufgabe, hier die Zahlen von Nieder- da wird man klüger - auch ich.
sachsen zu vertreten. Ich möchte jetzt, Herr Kollege
von Larcher, in meiner Rede fortfahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der F.D.P. - Horst Sielaff [SPD]: Aber so
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich oft waren Sie auch nicht im Landwirt
denke, daß uns der Agrarbericht insgesamt hoffen schaftssausschuß!)
läßt. Wir haben nach einem großen Strukturwandel
Meine Damen und Herren, schwierig bleibt weiter-
Vorschätzungen von 1994 und 1995, die mit Sicher-
hin die Situation der Landwirtschaft und der Frauen
heit einen guten Schritt nach vorne weisen. Nach
in der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern.
dem Rückgang in den vergangenen Jahren haben
wir auch bei den alten Ländern ein wenig Hoffnung. (Unruhe)
1650 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Hannelore Rönsch (Wiesbaden)


- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe Ich heiße Sie im Namen des ganzen Hauses herz-
gerade in dieser Woche ein Zitat von Johannes Rau lich willkommen und hoffe, daß Ihr kurzer Besuch in
gelesen, Bonn zu einer weiteren Vertiefung unserer guten
parlamentarischen Kontakte beiträgt.
(Horst Sielaff [SPD]: Ach was!)
Herr Larcher hat das Wort zu einer Kurzinterven-
der irgend etwas zu den Schreiern in den Parlamen- tion erbeten.
ten sagte. Ich habe es nicht ganz präsent, Herr Sie-
laff, aber ich kann es Ihnen nachher geben; ich habe
es in der Tasche. Es war nämlich sehr spannend. Detlev von Larcher (SPD): Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bisher habe ich gedacht,
Lassen Sie mich noch einige Gedanken zur Situa- Zwischenfragen dienen dazu, die Debatte zu bele-
tion der Frauen in der Landwirtschaft in den neuen ben. Ich verstehe nicht, wie man sagen kann: Kom-
Bundesländern sagen; denn sie sind es, die von der men Sie in den Landwirtschaftsausschuß, dann wer-
Umstrukturierung ganz besonders betroffen sind. den Sie klüger. Ich fand, Ihre Rede zeugte nicht von
ausgesprochener Klugheit in Landwirtschaftsfragen.
(Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Richtig! Al
les wird kaputtgehauen!) (Zustimmung bei der SPD)
Ihr Anteil an der Arbeitslosigkeit in der Landwirt- Ich will nun das, was ich Sie fragen wollte, in der
schaft lag 1993 bei 59,6 %. Kurzintervention vortragen. Sie haben gesagt: Wir
wollen nicht ein Gesetz ändern, das gerade erst in
Die Bundesregierung hat daher verstärkt Arbeits- Kraft getreten ist. Ich kenne den ganz konkreten Fall
beschaffungsmaßnahmen im landwirtschaftlichen einer Frau eines Nebenerwerbslandwirts, die zehn
Bereich durchgeführt. Darüber hinaus werden Mo- Jahre lang Lohnempfängerin war und dann aufge-
dellprojekte auch in den einzelnen Bundesländern, hört hat, weil sie Kinder bekommen hat, und die
z. B. in Sachsen-Anhalt, durchgeführt, und es sind gerne wieder arbeiten will. Sie hat jetzt das Problem,
Beratungsstellen eingerichtet worden. Die Gesamt- daß sie seit dem 1. Januar in die Alterskasse der
kosten belaufen sich bis 1996 auf 8 Millionen
- DM. Landwirte einzahlen muß, ohne nachher etwas her-
Ich denke, jede einzelne Mark ist hier ausgespro- auszubekommen, weil sie ja nicht über die entspre-
chen gut angelegt. chende Dauer in diese Kasse einzahlen wird. Sie
möchte gerne, daß es zu einer Verrechnung zwi-
Wir müssen den Frauen helfen, daß sie ihr Selbst-
schen der Alterskasse der Landwirte und der Renten-
wertgefühl erhalten oder wiedererlangen. Auf alle
versicherung kommen kann. Ich glaube, hier ist in
Fälle müssen wir auch erreichen, daß sie eine finan-
der Tat eine Gesetzeslücke, die man schließen muß.
zielle Unabhängigkeit zurückgewinnen.
Ich hoffe, Sie werden sich dem nicht verweigern.
Ich hätte gerne noch zum ernährungspolitischen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Teil dieses vorliegenden Berichts einige Anmerkun- ten der PDS)
gen gemacht. Aber die Redezeit gibt das nicht mehr
her.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Kurzinter-
Ich warne nur noch uns alle und ganz besonders vention ist nicht dazu gedacht, daß man eine Frage
diejenigen, die im Landwirtschaftsausschuß sind, stellt.
daß wir mit Panikmache Einbrüche auch auf den
deutschen Märkten und bei den deutschen Landwir- Jetzt gebe ich der Kollegin Rönsch das Wort zur
ten erzielen. Unsere Landwirte bürgen für gute und Antwort, ebenfalls in Form einer Kurzintervention.
qualitativ hochwertige Waren. Wir sollten nicht in Pa-
nikmache verfallen; denn die Einbrüche sind sonst Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Frau
auch auf dem deutschen Markt zu spüren. Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der
erste Teil Ihrer Frage besteht aus Chauvi-Sprüchen;
Die Landwirte und ihre Familien können nach die-
die hätten Sie vielleicht gestern am Weltfrauentag
sem Agrarbericht in eine gute Zukunft schauen. Ich
besser loswerden können. Das sollten wir doch im
glaube auch, die Verbraucherinnen und Verbraucher
Plenum bleibenlassen.
sind mit den Produkten, die unsere deutsche Land-
wirtschaft erzeugt, ausgesprochen gut bedient. Herr Kollege von Larcher, ich habe sehr deutlich
gemacht, daß es noch Kritikpunkte gibt; denn es hat
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sich jetzt, nach Inkrafttreten des Gesetzes, herausge-
stellt, daß es an der einen oder anderen Stelle noch
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- hakt. Insofern müssen wir uns neue Gedanken ma-
nen und Kollegen! Auf der Ehrentribühne hat das chen. Wir müssen als erstes beraten, und dann müs-
Präsidium des niedersächsischen Landtages unter sen wir sehen, welche Irritationen noch bestehen
Vorsitz des Landtagspräsidenten, Herrn Horst Milde, und was geändert werden muß. Ich habe Ihnen dies
Platz genommen. von hier vorne ausdrücklich zugestanden. Zuhören
hätte an dieser Stelle sicher ein Stückchen weiterge-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne führt.
ten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)
Wir sind sehr aktuell; Niedersachsen spielte in der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nun gebe ich
Debatte durchaus eine Rolle. dem Abgeordneten Georg Pfannenstein das Wort.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1651

Georg Pfannenstein (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Um dies zu erreichen, muß mit mehr Ehrlichkeit
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute das Ver- und mehr Offenheit als bisher operiert werden. Das
gnügen, meine Erstlingsrede hier im Parlament zu tatsächliche Ausmaß der Waldkatastrophe muß je-
halten. Der Zustand unserer Wälder, mit dem sich dem vor Augen geführt werden. Die Transparenz
meine Rede befaßt, ist für mich allerdings weit weni- und die daraus resultierende Akzeptanz sind aber
ger Grund zur Freude als die Gelegenheit, heute die mit den bisher praktizierten Schadenserhebungen
rhetorische Feuertaufe in diesem Hohen Hause zu nicht machbar. Wer sich - wie die Bundesregierung -
bestehen. bei der Schadensfeststellung lediglich auf die stich-
probenartige Erfassung des Zustands der Baumkro-
(Zustimmung bei der SPD) nen beschränkt und die Flächen mit abgestorbenen
und gefällten Bäumen sowie die abgeräumten Wald-
Die Vorlage des Waldzustandsberichts durch die flächen aus der Schadensbilanz heraushält, muß sich
Bundesregierung ist längst zu einem Ritual gewor- den allzu berechtigten Vorwurf der Verschleierung
den, das möglichst pflichtschuldig abgespult wird. gefallen lassen. Erst wer die Begutachtung der Wald-
Die gezielte Verharmlosung, die damit betrieben böden, die Wasserversorgung, den Wurzelzuwachs
wird, beginnt bereits mit der Formulierung der Über- und den Holzzuwachs in die Begutachtung einflie-
schrift. Sie heißt beschönigend „ Waldzustandsbe- ßen läßt, wird einen Schadensbericht ermöglichen,
richt", wohingegen sie doch zumindest Waldscha- der ungeschönt den tatsächlichen Zustand des Öko-
densbericht oder noch zutreffender Waldsterbensbe- systems Wald wiedergibt.
richt lauten müßte.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wie groß mögen die tatsächlichen Schäden sein,
und der PDS) wenn schon die Begutachtung der Baumkronen eine
so desaströse Bilanz ergibt? Keinem seriösen Arzt
Gleichsam in Watte verpackt, versucht die Bundes- würde es einfallen, einen Schwerkranken lediglich
regierung in diesem Bericht, den katastrophalen Zu- vom Hals aufwärts zu untersuchen, ohne den übri-
stand unserer Wälder zu verharmlosen und - das Pro- gen Körper einzubeziehen.
blem zu verniedlichen, um von ihrem Versagen abzu-
lenken. 1983 wurde ein Aktionsprogramm „Rettet (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
den Wald" beschlossen. Das Ziel dieses Aktionspro- ten der PDS)
gramms, die Schadstoffemissionen aus Verkehr, In-
dustrie, Energieerzeugung und Landwirtschaft in so Trotz dieser kopflastigen Beobachtungsmethoden
ausreichendem Maße zu verringern, daß zumindest veranschaulichen die Ergebnisse des jährlichen
eine Stagnation der Waldschäden auf dem damals Waldschadensberichts aber immerhin Trends und lie-
bereits hohen Niveau erreicht werden könnte, wurde fern Anhaltspunkte für einen höchst alarmierenden
schlichtweg verfehlt, was letztendlich auch nieman- Zustand. Jeder vierte Baum weist deutliche Schäden
den verwundern kann; denn die Aktivität der Bun- auf. Nur noch 1 % der über 60 Jahre alten Bäume
desregierung reduziert sich zumeist auf Ankündi- kann als gesund eingestuft werden.
gungen von Aktivitäten zur Rettung des Waldes.
Angesichts dieser vernichtenden Bilanz erscheint
(Beifall bei der SPD) es geradezu absurd, wenn wir Drittweltstaaten die
Ausbeutung und Vernichtung der tropischen Wälder
Mit unzureichenden und unbefriedigenden Aktio- vorwerfen, während wir in unserem ureigensten Le-
nen ist aber niemandem gedient, am allerwenigsten bensraum nahezu tatenlos dem Siechen des Waldes
dem Ökosystem Wald und dem Patienten Wald. zusehen, obgleich wir ungleich größere Möglichkei-
Nach nunmehr zwölfjähriger Tatenlosigkeit, einher- ten zum Gegensteuern hätten als die Staaten des Sü-
gehend mit einem ausgeprägten Hang zur Verdrän- dens.
gung dieses die ganze Bevölkerung betreffenden
Problems, muß endlich gehandelt werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
(Zuruf von der CDU/CSU: Was hat die SPD und der PDS)
in ihrer Regierungszeit getan?)
Meine Damen und Herren, solange wir im Glashaus
Jeder versäumte Tag beschleunigt den Schädigungs- sitzen, sollten wir tunlichst nicht mit Steinen werfen.
prozeß und führt zu irreversiblen Schäden am Ökosy-
stem Wald und an der Gesundheit der Bevölkerung Die das Waldsterben verursachenden Faktoren
und damit zu enormen Verlusten für die Volkswirt- sind längst ausgemacht und wissenschaftlich hinrei-
schaft. chend belegt. Die zerstörerische Wirkung von Luft-
schadstoffen wie Schwefeldioxid, Stickoxiden, Am-
Wer die ökonomische und ökologische Leistungs- moniak und flüchtigen Verbindungen wie Benzol ist
fähigkeit der Wälder nachhaltig schützen will, muß ebenso bekannt wie deren Herkunft und deren Fol-
zwingend die gesamte Bevölkerung in einen Denk- gen. Es fehlt lediglich das Handeln. Nur in einer inte-
und Lernprozeß einbinden, um die Akzeptanz für grierten Verkehrs , Agrar und Umweltpolitik kön-
- -

einschneidende waldrettende Maßnahmen zu erzie- nen die umfassenden und notwendigen Maßnahmen
len. zur Rettung des Ökosystems Wald und zur drasti-
schen Verminderung der Luftschadstoffe und damit
(Beifall bei der SPD) ein durchgreifender Klimaschutz durchgesetzt wer-
1652 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Georg Pfannenstein
den. Eine verantwortungsbewußte Bundesregierung auf die Lebensqualität der Menschen aus. Es ist
muß weitaus konsequenter und intensiver, als dies keine leere Formel, wenn man sagt: Zuerst stirbt der
derzeit der Fall ist, durch ressortübergreifende Maß- Wald und dann der Mensch. Wenn sich die Kronen
nahmen zur Tat schreiten. der Bäume lichten, wird sich der Mensch, die angeb-
liche Krone der Schöpfung, irgendwann um Kopf
Ich möchte mich hier auf zwei Bereiche konzentrie- und Kragen bringen. Er atmet die gleiche Luft wie
ren: die Verkehrs- und die Energiepolitik, weil hier der Wald, nur noch etwas intensiver.
schnelle und tiefgreifende Erfolge für unsere Umwelt
zu erzielen sind. Verkehr vermeiden, verlagern und Vielen Dank.
schadstoffärmer als bisher abwickeln - so muß die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Devise lauten. „Freie Fahrt für freie Bürger", dieser
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
beliebte wie unvernünftige Slogan, dem unter den
PDS)
EU-Staaten zumindest in Sachen Tempolimit nur
noch die Deutschen verfallen sind, ist angesichts der
unübersehbaren Folgen einer ungezügelten Ver- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Lieber Herr Kol-
kehrsentwicklung längst nicht mehr zeitgemäß. lege, wir gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Sie
war auch von vorbildlicher Kürze.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall im ganzen Hause)
und der PDS)
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Ernäh-
Die waldschädigende Luftverunreinigung durch rung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.
den Autoverkehr ist längst bewiesene Tatsache. Die
Begrenzung dieser Auswirkung hat höchste Priorität Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung,
und ist überfällig. Die Verlagerung des Personen- Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Meine
und Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre jetzt
muß über neue Leistungsanteile geregelt werden. gern auf einige Perspektiven der Opposition in be-
Hier ist die neue Bahn AG wirklich gefordert,
- auch zug auf die Agrarpolitik eingegangen. Da diese aber
über Preise etwas zu tun. fehlen, will ich mich wenigstens mit einigen Kritik-
Bestehende Wasserwege können intensiver für punkten auseinandersetzen, die von der Opposition
den Gütertransport und damit wirtschaftlicher ge- in der Debatte geäußert wurden.
nutzt werden. Herr Kollege Sielaff, es ist schon interessant, daß
Das Verhalten der Verkehrsteilnehmer muß und auch heute wieder das Doppelspiel deutlich gewor-
kann in Richtung Verkehrsvermeidung und umwelt- den ist: Die SPD hat heute kritisiert, daß wir eine Ge-
verträglicher Verkehr positiv beeinflußt werden. Die meinschaftsaufgabe um 76 Millionen DM gekürzt ha-
Abgasgrenzwerte für Pkws und Lkws müssen weiter ben. Herr Kollege Waigel, ich bin sicher, in der letz-
herabgesetzt werden. Der Schadstoffausstoß des Au- ten Märzwoche wird dann wieder heftig kritisiert
toverkehrs muß über einen durchschnittlichen werden, daß Sie nicht konsequent genug konsolidie-
Höchstverbrauch von fünf Litern pro gefahrene ren.
100 km begrenzt werden. Sie haben darüber hinaus kritisiert, daß die
Europaeinheitliche Geschwindigkeitsbeschrän 100 Millionen DM Umschichtung 1995 nicht zu Inve-
kungen und die aufkommensneutrale Umwandlung stitionen, sondern zu Verpflichtungsermächtigungen
der bisherigen Kilometerpauschale in eine Entfer- führen. Aber sie werden sicher zu einem Teil zu Inve-
nungspauschale sind unabdingbare Rahmenbedin- stitionen führen. Insgesamt wird diese Umschichtung
gungen für ein geändertes, positives Verkehrsverhal- von 100 Millionen DM dazu führen, daß 1995 Investi-
ten. Auch umweltschädigende Subventionen wie die tionen in den Betrieben in der Größenordnung von
Steuerfreistellung des gewerblich verbrauchten 1 Milliarde DM zusätzlich bewilligt werden können.
Flugbenzins müssen aufgehoben werden. In welchem Umfang dies bereits 1995 zu Barausga-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ben führt, hängt natürlich vom Tempo der Bewilli-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gungen und von der Durchführung der Maßnahmen
ab. Unstrittig aber ist, daß mit dieser Umschichtung
Im Energiebereich muß die effektivere Energie- das Investitionsniveau insgesamt um 1 Milliarde DM
nutzung und die Erschließung alternativer Energie- aufgestockt wird.
quellen Priorität erhalten. Die Solarenergie muß so
gefördert werden, daß sie nicht länger ein Schatten- Ich würde es ja gern sehen, daß nicht nur in die-
dasein fristet, sondern ihren verdienten Platz an der sem Jahr, 1995, mehr bewilligt wird. Deswegen habe
Sonne bekommt und damit zu einem bedeutenden ich bereits im letzten Jahr die Länder aufgefordert,
Energieträger der Zukunft werden kann. mehr Mittel für die einzelbetriebliche Förderung zur
Verfügung zu stellen. Leider ist dies nicht passiert.
(Beifall bei der SPD) Deshalb haben wir uns zu der Regelung durchgerun-
gen, diese Mittel im Vorwegabzug zu sperren, damit
Meine Damen und Herren, wenn nur ein Teil der hier mehr umgesetzt wird.
von mir angesprochenen Maßnahmen bei konse-
quenter Umsetzung und bei Durchbrechung liebge- Aber Ihre Kritik an der einzelbetrieblichen Förde-
wordener, aber unsinniger Tabus die Situation unse- rung geht ja weiter, wie aus einer Pressemeldung
res Waldes deutlich verbessert, wirkt sich das auch deutlich wird. Die Umstellung in der einzelbetriebli-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1653
Bundesminister Jochen Borchert
chen Förderung wird von Ihnen als Abwendung von Jochen Borche rt , Bundesminister für Ernährung,
einer gezielten Förderung kritisiert; denn die Einfüh- Landwirtschaft und Forsten: Erstens. Soweit es um
rung und stärkere Betonung eines Agrarkreditinstru- die staatlichen Preise im Rahmen der EG-Agrarpoli-
ments wird von Ihnen als Gießkannenförderung be- tik geht, gibt es Ausgleichszahlungen.
zeichnet. Zum Glück wird dieser Agrarkredit ja nicht
Zweitens. Die Betriebe haben im Bereich der Ver-
nur von uns durchgesetzt, sondern vom Berufsstand
in seiner gesamten Breite gefordert und begrüßt. edlungswirtschaft und in vielen anderen Bereichen
ausreichende Möglichkeiten, durch zusätzliche Inve-
Wer den Agrarkredit als Gießkannenförderung be- stitionen ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern. Sie
zeichnet, der bringt doch damit zum Ausdruck, daß haben im Rahmen der Investitionen natürlich auch
er den Bauern offensichtlich unternehmerische Ent- die Möglichkeit, mit Investitionen weiter zu rationali-
scheidungen nicht zutraut. Man muß beim Agrarkre- sieren, damit Kosten zu sparen und ihre Betriebe un-
ditprogramm doch davon ausgehen, daß hier Kredite ternehmerisch besser auf die zukünftige Situation
aufgenommen werden, um für die Entwicklung der auszurichten.
Bet ri ebe sinnvolle Investitionen vorzunehmen. Wer Ich will gern noch einen Punkt von Herrn Sielaff
dies kritisiert, hat offensichtlich ein merkwürdiges aufgreifen. Wenn Sie kritisieren, daß die Markt-
Verständnis von der unternehmerischen Tätigkeit der fruchtbetriebe überdurchschnittlich begünstigt wür-
Bauern. den, dann hätte ich dazu gern ein Wort von Herrn
Ein weiterer Punkt: Sie haben bemängelt, daß in Thalheim gehört, wie er dies den Marktfruchtbetrie-
der europäischen Agrarpolitik die Handschrift ben in den neuen Ländern verdeutlichen will. Sie
Deutschlands nicht ausreichend auszumachen sei. wissen, daß die Ausgleichszahlungen im Zuge der
Sie hätten korrekter sagen sollen, daß hier zum Agrarreform die Preissenkungen ausgleichen und
Glück die Handsch ri ft der SPD nicht auszumachen nicht zu einer überdurchschnittlichen Bevorzugung
sei. der Marktfruchtbetriebe führen. Aber ich bin gern
bereit, diese Kritik von Ihnen in den neuen Ländern
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - zu vertreten.
Horst Sielaff [SPD]: Was soll denn das? Die
Herr Graf, zum Thema Schweinepest in Nieder-
Opposition sitzt nicht in den Gremien!)
sachsen. Niedersachsen hat sich geweigert, die not-
- Nein, aber Sie vermissen natürlich, was Sie gern wendigen Mittel des Landes für die Seuchenbe-
durchgesetzt hätten. kämpfung zur Verfügung zu stellen. Niedersachsen
hat erklärt, daß es keine Aufkaufmaßnahmen mehr
Die SPD hat noch 1992 gefordert: Die Bundesregie- finanziere. Erst dann haben wir erklärt: Der Bund ist
rung muß von dem von ihr im wesentlichen immer bereit, eine Vereinbarung abzuschließen. Wir dürfen
noch verfolgten falschen agrarpolitischen Konzept diesen Streit nicht auf dem Rücken der Bauern aus-
der Mengensteuerung wegkommen, sie muß dage- tragen. Deshalb haben wir gesagt: Wir treten in Vor-
gen stärker zu dem in einer Marktwirtschaft wichti- lage, wir finanzieren, bis das Urteil vorliegt. Aber der
gen Ins trument der Steuerung über die Preise über- richtige Weg wäre doch gewesen, daß Niedersach-
gehen. In Verbindung damit haben Sie gleichzeitig sen in Vorlage tritt, weil das eine Landesaufgabe ist.
die Forderung erhoben: Von der allgemeinen Zielset- Wenn es Zweifel gibt - diese Zweifel hat nur Nieder-
zung, einen freien Welthandel mit offenen Grenzen sachsen und kein anderes Land -, ob diese Finanzie-
zu schaffen, darf der EG-Agrarbereich nicht ausge- rung eine Landesaufgabe ist, können wir sie so lange
nommen werden. übernehmen, bis es gerichtlich geklärt ist.
Diese Handschrift in der Agrarpolitik der Europäi- Hinter der Weigerung steht, daß das Land Nieder-
schen Union haben wir zum Glück verhindert. sachsen seit Jahren die nach der Verfassung zuläs-
sige Grenze der Kreditaufnahme überschritten hat
(Albert Deß [CDU/CSU]: Das wäre das und alles tut, um eine weitere Kreditaufnahme zu
Ende der Landwirtschaft gewesen!) verhindern. Deswegen war es nicht bereit, die Ko-
sten der Seuchenbekämpfung in Niedersachsen wei-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie ter zu übernehmen. Hier wird deutlich, wie groß das
eine Zwischenfrage der Abgeordneten Höfken? Engagement und die Bereitschaft der SPD sind,
Landwirten in einer schwierigen Situation zu helfen.
Vielen Dank.
Jochen Borchert, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Aber gern. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort zu ei-
GRÜNEN): Ich wüßte doch gerne einmal, wo Sie ner Kurzintervention von zwei Minuten gebe ich dem
denn die unternehmerische Freiheit der Landwirtin- Abgeordneten Gerald Thalheim.
nen in der Bundesrepublik sehen erstens angesichts
der Nachfragemacht der Konzerne auf der Handels- Dr. Gerald Thalheim (SPD): Frau Präsidentin!
seite, zweitens angesichts von Milchquoten und Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sehe
Weinmengenregulierungen und drittens angesichts mich durch den Redebeitrag des Kollegen Maleuda
einer staatlich verordneten Preispolitik bei unzurei- von der PDS zu einer Kurzintervention veranlaßt.
chendem Ausgleich. Herr Maleuda hat in seinem Beitrag die Betriebsauf-
1654 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Gerald Thalheim


gaben in der alten Bundesrepublik lautstark bedau- Ich sage Ihnen: Die Tierseuchenbekämpfung ist
ert. Ich bin als Kind Zeuge der zwangsweisen Be- letztlich eine nationale Aufgabe. Es geht um die
triebsaufgaben in der alten DDR geworden, die mei- deutsche Landwirtschaft in ihrer Gesamtheit. Dazu
nen politischen Lebensweg mit geprägt haben. Ich haben Sie heute in dieser Debatte keinerlei Antwort
habe sehr viel Abstand zur Politik gehalten. gegeben. Ich halte das schon fast für skandalös.
Man muß wissen: Herr Maleuda war Vorsitzender (Beifall bei der SPD)
der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands in
der ehemaligen DDR.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zur
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Kurzintervention gebe ich das Wort dem Abgeordne-
ten Borchert.
Die Zwangskollektivierung hat geradezu zum
Selbstverständnis der DBD gehört. Die Zwangskol-
lektivierung war nicht nur mit Eingriffen in die Ei- Jochen Borchert (CDU/CSU): Herr Kollege Graf,
gentumsverhältnisse verbunden, sondern auch in er- von allen Bundesländern wird unstrittig anerkannt,
heblichem Umfange mit Menschenrechtsverletzun- daß Seuchenbekämpfung Landessache ist. Alle Län-
gen. der finanzieren die Maßnahmen der Tierseuchenbe-
kämpfung.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
F.D.P.) (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Darüber
streiten wir doch gar nicht!)
Wenn man als langjähriger Vorsitzender einer sol-
chen Partei, die einen Teil der politischen Verantwor- - Natürlich streiten wir darum.
tung dafür mitzutragen hat, heute Betriebsaufgaben
bedauert, dann ist das für mich nicht viel mehr als (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Wir strei
peinliche Heuchelei. ten nicht um die Seuchenbekämpfung!)
-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der - Natürlich streiten wir darum, ob die Finanzierung
F.D.P. sowie des Abg. Werner Schulz [Ber der Seuchenbekämpfung Landesmaßnahme ist oder
lin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nicht.

(Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Es geht um


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zu ei- den Ankauf!)
ner Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kolle-
gen Graf. Diese Maßnahmen werden von allen Bundeslän-
dern aus Landesmitteln finanziert. Niedersachsen
hat in diesem Jahr nach erneuten Schweinepestaus-
Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Die letzten Bemer- brüchen im Lande erklärt, daß es weitere Beihilfeak-
kungen des Bundeslandwirtschaftsministers veran- tionen im Rahmen der Seuchenbekämpfung nicht
lassen mich zu dieser Intervention. Herr Borche rt , es mehr finanziert. Damit war der Aufkauf von Schwei-
ist schon nicht in Ordnung, daß Sie hier in der Öffent- nen im Emsland gefährdet, obwohl die Bauern nicht
lichkeit den Schwarzen Peter wieder dem Land Nie- wußten, wohin mit den Schweinen. In dieser Situa-
dersachsen zuschieben, obgleich Sie in Ihren inter- tion haben wir erklärt, daß wir den Streit nicht auf
nen Berichten, die uns ja allen bekannt sind, die Lei- dem Rücken der Bauern austragen dürfen; wenn
stungen des Landes Niedersachsen gewürdigt ha- Niedersachsen behauptet, dies sei keine Landesmaß-
ben. nahme, sind wir als Bund bereit, unter der Vorausset-
zung in Vorlage zu treten, daß Niedersachsen gleich-
Ich möchte das in aller Deutlichkeit wiederholen: zeitig klagt, damit endgültig geklärt wird, ob dies
Wir haben immer gesagt, daß die Schweinepest si- eine Landes- oder eine Bundesmaßnahme ist. Aber
cherlich eine besondere Situation des Landes dar- dadurch, daß das Land Niedersachsen die dringend
stellt. Aber wir haben eine solche Situation auch in notwendigen Maßnahmen den Schweinehaltern in
Mecklenburg-Vorpommern, in Nordrhein-Westfalen Niedersachsen verweigert hat, hat es die Bauern
und auch in Bayern gehabt. Ich weiß nicht, wie Sie praktisch zum Pfand gemacht, um den Bund zu er-
reden würden, wenn die Schweinepest so massiv, pressen, hier die Finanzierung vorzunehmen. Dies
wie es in Niedersachsen der Fall gewesen ist, in Bay- hat es noch in keiner anderen Situation gegeben.
ern auftreten würde. Deswegen mußte der Bund hier eintreten.
Ich nenne Ihnen einmal die Zahlen: Allein aus Herr Graf, wir können die Diskussion ja gern fort-
Tierseuchengründen wurden 160 Millionen DM auf- führen. Wie schwierig die Verhandlungen in dieser
gewandt, und zwar 80 Millionen DM von der Tier- Situation sind, wissen Sie ja am besten. Bereits Ge-
seuchenkasse und 80 Millionen DM vom Land Nie- spräche auf der Arbeitsebene zwischen dem Bundes-
dersachsen. Darüber hinaus hat das Land für den na- ernährungsministerium und dem zuständigen Lan-
tionalen Anteil 69,5 Millionen DM für Ankauf, Trans- desministerium in Niedersachsen sind von Ihnen zu
port, Kühlung und Schlachtung aufgewandt. Das ist falschen Presseerklärungen mißbraucht worden.
schon ein Riesenberg. Daß ein Land dabei irgend-
wann an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit heran- (Widerspruch des Abg. Günter Graf
kommt, ist einzusehen. [Friesoythe] [SPD])
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1655
Jochen Borchert
- Aber natürlich! Als wir darüber verhandelt haben, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen
wie die Finanzierung durchgeführt werden soll, woll- die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD je zehn
ten Sie in einer Pressemeldung den Eindruck erwek- Minuten, die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE
ken, der Bund würde sich seiner Zusage entziehen, GRÜNEN und der F.D.P. sowie die PDS je fünf Minu-
obwohl Sie wußten, daß dies nicht stimmt. Der Bund ten Redezeit erhalten. - Ich höre keinen Wider-
steht zu seinen Zusagen; das Land hat sich seiner spruch. Dann ist das so beschlossen.
Verpflichtung verweigert.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ordnete Brigitte Baumeister.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- Brigi tt e Baumeister (CDU/CSU): Frau Präsiden-
mit die Aussprache. tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- Nach mehr als einem Jahr intensivster Diskussion
lagen auf den Drucksachen 13/400, 13/401 und 13/ in der Baukommission über die Sitzanordnung des
146 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- neuen Plenarsaales in Berlin sind wir heute zusam-
schüsse vor. mengekommen, um in diesem Hause darüber zu
befinden.
Der Agrarbericht 1995 soll zusätzlich dem Aus-
schuß für Arbeit und Sozialordnung, dem Ausschuß Zur Diskussion stehen zwei Varianten der Sitzan-
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie dem ordnung: zunächst einmal die kreisrunde, wie wir sie
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- in diesem neuen Plenarsaal haben, und zum anderen
cherheit überwiesen werden. eine elliptische Form. Baukommission und Ältesten-
rat - das ist Ihnen bekannt - haben sich für die ellipti-
Der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ sche Form entschieden, und dies aus gutem Grund.
CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/697 und der Man mag sich vielleicht fragen, ob es überhaupt
Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE noch sinnvoll ist, darüber in diesem Hohen Hause
GRÜNEN auf Drucksache 13/708 soll an dieselben
- noch einmal zu diskutieren. Aber, Herr Conradi, wir
Ausschüsse überwiesen werden wie der Agrarbe- sind gerne dem Wunsch der Opposition nachgekom-
richt. men, darüber zu dieser Stunde zu diskutieren und zu
Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD entscheiden.
auf Drucksache 13/713 soll zur federführenden Bera- Kreisförmig oder elliptisch - das ist die Frage, das
tung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft sind die Möglichkeiten. Wir alle wissen, es gibt in
und Forsten sowie zur Mitberatung dem Ausschuß den verschiedenen Parlamenten der Welt verschie-
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem denste Sitzanordnungen. Ich glaube, eine Sitzanord-
Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaft nung, die von uns Europäern als traditionsreich emp-
überwiesen werden. funden wird, ist die englische.
Der Entschließungsantrag der Fraktion BÜND- (Unruhe)
NIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/707 soll an
dieselben Ausschüsse wie der Waldzustandsbericht
überwiesen werden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin,
entschuldigen Sie bitte.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 13/714 soll zur federführenden Bera- Ich bitte um etwas mehr Ruhe. Es ist für die Kolle-
tung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft gin sonst sehr schwer zu sprechen. Ich bitte auch,
und Forsten sowie zur Mitberatung an den Ausschuß den Mittelgang frei zu machen.
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den
Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Wirtschaft Sie haben das Wort.
und an den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, For-
schung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Brigi tt e Baumeister (CDU/CSU): Die traditionsrei-
überwiesen werden.
che englische Sitzanordnung ist uns allen geläufig.
Sind Sie damit einverstanden? - Damit sind die Das englische Parlament mußte zweimal darüber ent-
Überweisungen so beschlossen. scheiden, nämlich nach einem Brand 1834 und 1943,
als Bomben das Parlamentsgebäude in England zer-
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: stört haben. Sie haben sich aus gutem Grunde immer
für die gleiche Sitzanordnung entschieden.
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ältestenrates zur Wir Deutsche haben schon mehrfach über die Sitz-
anordnung befunden. In jüngster Geschichte stehen
Gestaltung der Sitzanordnung im neuen Ple sich gegenüber: der alte Plenarsaal, den manche
narsaal im Reichstagsgebäude in Berlin noch kennen, das für viele, die hier sitzen, noch alt-
- Drucksache 13/685 - vertraute Wasserwerk und dieser neue Plenarsaal, in
dem wir auch schon einige Erfahrungen haben sam-
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten meln können. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß
Peter Conradi, Franziska Eichstädt-Bohlig, Klaus wir der Empfehlung des Ältestenrates nachkommen
Jürgen Warnick und weiterer Abgeordneter vor. sollten. Wir sollten aus den Erfahrungen, die wir ge-
1656 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Brigitte Baumeister
macht haben, lernen und uns deshalb für die ellipti- Brigi tt e Baumeister (CDU/CSU): Gern.
sche Anordnung entscheiden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Kollegin Baumei-
ster, ich habe nur eine Frage. Sie sagten, der Ab-
Unser gemeinsames Ziel war - und damit möchte ich stand ist bei Ihrer Ellipse geringer. Aber wie ist es
das begründen -, daß wir ein dichteres, ein von der bei den Leuten, die an den Außenpunkten der El-
Atmosphäre günstigeres Parlament schaffen, daß wir lipse sitzen? Können Sie vielleicht dem Hause mittei-
eine Anordnung schaffen, in der eine interessantere len, wie weit die dann vom Zentrum der Ellipse ent-
und lebhaftere Debattenführung möglich ist, als sie fernt sind?
hier in diesem Plenarsaal zur jetzigen Stunde vollzo-
gen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Na, Frau Kollegin?)
Brigi tte Baumeister (CDU/CSU): Herr Kollege
Ich bin mir zwar darüber klar, daß eine optimale Büttner, ich habe eben gesagt, ideal wäre es für
Sitzanordnung die wäre, bei der alle in der ersten mich, wenn alle mit gleichem Abstand in der ersten
Reihe sitzen, wo Sie sitzen, Herr Fischer. Reihe säßen. Da uns dies nicht gelungen ist, haben
wir versucht, dieses Problem zu optimieren, und bei
(Peter Conradi [SPD]: Jawohl, 672 Ab
einer Optimierung ist diese Ellipse herausgekom-
geordnete in der ersten Reihe!)
men.
Aber uns ist nach intensiven Beratungen nicht ver-
gönnt gewesen, eine solche Lösung zu finden. Die (Zuruf von der SPD: Wir können ja überein
ander sitzen!)
gibt es meines Wissens nur bei der ARD, und die ha-
ben wir kürzlich schon einmal diskutiert.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Büttner
Eine Voraussetzung dafür, diese dichtere Atmo- möchte eine Nachfrage stellen. Gestatten Sie das?
sphäre zu schaffen, näher an Redner und Zuhörer
-
heranzurücken, ist, daß man den Abstand verringert.
Der Abstand hier in diesem sogenannten Behnisch- Brigi tt e Baumeister (CDU/CSU): Ja.
Saal beträgt 7 m.
Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Ich habe die
(Zuruf von der SPD: 6,40 m!)
Nachfrage: Wie weit ist denn der Abstand, wenn ich
Bei der kreisförmigen Anordnung in dem Vorschlag draußen an der Ellipse sitze? Sie sprechen von Opti-
von Foster, den die SPD favorisiert, beträgt dieser mierung. Dann muß das doch weiter sein.
Abstand nahezu 8 m. Bei der elliptischen Form, die
wir favorisieren, beträgt der Abstand zwischen erster (Josepf Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Sitzreihe und Redner 5,6 m. Meine sehr verehrten DIE GRÜNEN]: Das ist eine Diskriminie
Damen und Herren, diese 2 m Differenz machen rung der PDS! Die sitzt dann noch weiter
deutlich, worum es uns geht, nämlich um eine bes- weg!)
sere Funktionalität, um eine bessere Debattenfüh-
rung und um eine lebhafte Diskussion, die wir ganz Brigi tt e Baumeister (CDU/CSU): Ich habe Ihnen
gern haben möchten. gesagt, die optimale Lösung gibt es nicht. Im übrigen
sind wir an die räumlichen Gegebenheiten des
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Reichstages gebunden. Da bestimmen die Außen-
Für einige Kolleginnen und Kollegen von der SPD wände die Größenordnung. Dadurch gibt es Un-
scheint diese Funktionalität nicht im Vordergrund zu gleichgewichte, übrigens auch beim Kreis. Es ist ge-
stehen, sondern sie orientieren sich an etwas ande- nau dasselbe, wenn Sie die Kreisfunktion haben und
rem, nämlich an ihrer Ideologie. hier diese Linie ziehen; das ist ja klar.
(Lachen bei der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu die-
ser ideologischen Betrachtung möchte ich Ihnen sa-
Nach dieser Ideologie darf es nicht sein und soll es gen, daß Bundesrat, Bundesregierung und Parlament
nicht sein, daß sich Regierung und Parlament gegen- nach meinem Verständnis nun einmal verschiedene
übersitzen. Es soll auch nicht sein, daß es bei Bun- Verfassungsorgane sind und sich eben nicht in einem
desrat und Bundesregierung eine Erhöhung gibt, die herrschaftsfreien Diskurs am runden Tisch befinden.
in diesem Plan allein damit zu begründen ist, daß Dies wird in unserer Anordnung der elliptischen
eine bessere Sichtbeziehung ermöglicht wird. Aber Form auch zum Ausdruck gebracht und bedeutet
dies - hier spreche ich die GRÜNEN an - ist für uns keinerlei Bevorzugung von Bundesregierung und
keine Frage der Ideologie. Darauf können wir gern Bundesrat.
verzichten.
Die Debatte vom 5. Juni 1987 und auch die vom
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU 13. Oktober 1988 - wenn man sie nachliest - haben
und der F.D.P.) im übrigen auch zum Ausdruck gebracht, daß die el-
liptische Form damals durchaus eine große Chance
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, gehabt hätte, wenn sie schon vorgelegen hätte. Denn
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten die Alternative lautete damals: entweder kreisförmig
Büttner? oder eine frontale Anordnung wie im alten Bonner
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1657
Brigitte Baumeister
Plenarsaal. Deren Nachteile aber, auf die in der De- Schließlich war immer von „Belebung der Parla-
batte immer wieder verwiesen wurde, sind in der mentsarbeit" die Rede. Ich denke, wir sollten uns,
nunmehr vorliegenen elliptischen Form nicht enthal- wie ich schon sagte, nichts vormachen: Dies hängt
ten. nicht in erster Linie von der Sitzordnung ab, sondern
von den Menschen und von der Spannkraft des Gei-
Der Kollege Conradi hat hier damals Winston
stes, von der Überzeugungskraft der Sprache, von
Churchill zitiert, der gesagt hat:
der Klarheit der Argumente, von der Souveränität
Die Essenz einer guten Unterhausdebatte ist ihr der Redenden und Handelnden. Qualität, so meine
Gesprächscharakter, ist die Möglichkeit für ra- ich, und so hat es damals die SPD-Abgeordnete
sche, informelle Unterbrechungen und Wort- Dr. Hartenstein zu Protokoll gegeben, speist sich aus
wechsel. anderen Quellen. Sie ist weder durch eine kreisför-
mige noch durch eine elliptische Sitzanordnung zu
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das erzeugen.
House of Commons kennt, weiß, daß dies dort mit
am besten möglich ist. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Sie sollten ein Dreieck
Unser damaliger Plenarsaal wurde als überdimen- wählen!)
sionierte Turnhalle bezeichnet; in dieser sei eine At-
mosphäre für eine Plenardebatte kaum oder nicht Ich denke, daß die Ellipse die besten Vorausset-
gut möglich. Ich meine, daß die Nachteile bei dieser zungen für eine gute Debatte, für eine lebhafte Dis-
elliptischen Form, wie wir sie favorisieren, ausge- kussion in diesem Hohen Hause schafft. Sie wissen,
merzt sind und daß eine Schulatmosphäre dort nicht daß die CDU/CSU immer für die beste aller Lösun-
aufkommt. Im übrigen teile ich diese meine Ansicht, gen zu gewinnen ist. Deshalb stimmen wir diesem
die auch die der Fraktion ist, auch mit Professor Eller, Vorschlag zu. Ich bitte Sie, dem Votum der Baukom-
der für den nordrhein-westfälischen Landtag verant- mission und des Ältestenrates zuzustimmen, die für
wortlich zeichnete. eine elliptische Sitzanordnung im neuen Reichstags-
gebäude votiert haben.
Fritz Bohl hat den Befürwortern der runden - Sitz-
ordnung damals entgegengehalten, daß eine leben- Vielen Dank.
dige Parlamentsdebatte in erster Linie eine Frage der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Geschäftsordnung und der Abgeordneten selbst sei.
Dies kann ich nachdrücklich unterstützen. Deshalb
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt
liegt es in erster Linie an uns, wie wir diese gestalten,
Peter Conradi.
und hat nur in zweiter Linie etwas mit der Sitzanord-
nung zu tun. Das Hauptargument für eine kreisrunde
Anordnung war im übrigen, daß wir uns ins Gesicht Peter Conradi (SPD): „Hat der Bundestag nichts
sehen können. Dies ist auch bei der elliptischen An- Wichtigeres zu tun, als über seine zukünftige Sitzord-
ordnung gewährleistet. nung zu diskutieren?',

Herr Ehmke hat damals gesagt, eine kreisförmige (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/
Sitzanordnung würde die Besucher und die Fernseh- CSU)
zuschauer optisch erfahren lassen, daß die Regierung
so mag sich mancher Zuhörer fragen. - Ihre Reak-
weder dem Parlament vorsitzt noch ihm übergeord-
tion, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
net ist. Sie würde die Bank des Bundesrates als
CDU/CSU, erstaunt mich. Es ist kaum ein Jahr her,
Strukturelement unserer föderativen Ordnung in die
da haben wir hier auf Wunsch von Dr. Wolfgang
Gesamtdebatte einbauen. Das, meine Damen und
Schäuble und Ihrer Fraktion eine zweistündige De-
Herren, ist aber ein weiteres Argument dafür, daß
batte über die 14tägige Umhüllung des Reichstags-
wir die elliptische Anordnung wollen. Denn wenn
gebäudes durch Christo geführt und in namentlicher
Sie heute einen Blick auf die Bundesratsbank wer-
Abstimmung darüber entschieden. Alle anderen
fen,
Fraktionen waren der Meinung, das könne man im
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Im Ältestenrat beraten.
mer!) (Freimut Duve [SPD]: Ja, genau!)
sehr geehrter Herr Radunski, dann stellen Sie fest - Aber wir sind Ihrem Wunsch nachgekommen. Ge-
auch im Fernsehen -, daß diese Bänke leerer als die rüchteweise habe ich gehört, die CSU wolle, daß wir
der Parlamentarier sind. nächstens hier im Plenum auch über Joseph Beuys
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und die Kuppel reden.

Wenn die Zuschauer draußen dies sehen, sind sie im- (Freimut Duve [SPD]: Ja!)
mer der Meinung, daß sich die Abgeordneten nicht Wenn wir hier zwei Stunden über eine 14tägige
hier, sondern außerhalb dieses Hohen Hauses befin- Kunstaktion gesprochen haben, dann wird das Haus
den. doch wohl Zeit finden, über seine eigene Sitzord-
nung zu diskutieren und zu befinden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Ra ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
dunski wird hier eisern nicht beachtet!) und der PDS)
1658 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Peter Conradi
Die Sitzordnung trägt dazu bei, ob unsere Debatte Tisch von Regierung, Bundesrat und Parlament bei-
eine langweilige Vorlesung oder ein lebhafter Aus- behalten würden. Frau Kollegin Baumeister, es geht
tausch von Argumenten ist. Darüber hinaus macht nicht um die Frage „Kreis oder Ellipse?" - wobei ich
sie unser Verständnis von Parlament und auch unser vermute, daß die Quadratur der Ellipse mindestens
Verhältnis zur Regierung deutlich. Im Plenarsaal so schwierig wäre wie die Quadratur des Kreises -,
wird die Regierung des Volkes durch das Volk und
für das Volk sichtbar, und die bauliche Form, in der (Beifall bei der SPD)
das geschieht, ist keineswegs belanglos. Architektur- sondern es geht um unser Selbstverständnis als Par-
formen sind nun einmal nicht beliebig, sie sind nicht lament. Das war in der heiß umstrittenen Debatte da-
autonom. Sie zeigen den Zustand einer Gesellschaft, mals vor acht Jahren schon so: Wir wollen nicht, daß
und sie zeigen, was uns wichtig ist. die Regierung über uns sitzt, daß sie uns vorsitzt.
Dieser Plenarsaal beispielsweise hat uns weithin in
(Beifall bei der SPD)
der Welt, weit über Deutschland hinaus, Ansehen
und Anerkennung eingetragen. Die Mitglieder der Regierung sind nicht unsere Vor-
gesetzten, der Bundesrat schon gar nicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
und der PDS) GRÜNEN und der PDS)
Von einer gelassenen, heiteren Selbstdarstellung des Es ist eine Regierung des Parlaments. W i r sind vom
Parlaments haben die Kritiker gesprochen. Und im Volk gewählt, nicht die Regierung, und w i r wählen
Blick auf den Reichstagsumbau: Dies hier ist kein pa- die Regierung; wir wählen sie auch wieder ab. Auch
thetischer, sondern ein bescheidener Bau, der die wenn sich ab und zu einmal ein paar Beamte ein-
Menschen nicht klein macht, der sie nicht ausrichtet, schleichen, es ist eine parlamentarische Regierung,
sondern ihnen etwas über uns ausrichten will. Er hat und das soll sichtbar werden. Sie ist uns nicht vorge
auch etwas Spielerisches, etwas Heiteres; Politik ist setzt.
ja nicht immer nur todernst. Ich wünschte mir,
- es ge-
länge uns - vielleicht finde ich da Ihre Zustimmung -,
ein wenig von der rheinisch-katholischen „Leichtig- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
keit des Seins" , die für die alte Bundesrepublik gar eine Zwischenfrage des Kollegen Schwalbe?
nicht so schlecht war, in das preußisch-durchsäuerte
und gelegentlich pathetisch-steinerne Berlin mitzu-
bringen. Peter Conradi (SPD): Bitte, Herr Kollege!

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten


der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNIS Clemens Schwalbe (CDU/CSU): Herr Conradi, ist
SES 90/DIE GRÜNEN - Joseph Fischer Ihnen eigentlich aufgefallen, daß die Regierung bei
[Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der jetzigen Sitzanordnung in diesem Saal genauso
Das sauertöpfisch-preußische! Endlich sagt hoch sitzt wie bei der elliptischen Anordnung des
es einmal einer!) Reichstages?

Das täte Berlin gut, und dafür wollen wir es an „An-


mut und Mühe" , an „Leidenschaft und Verstand" Peter Conradi (SPD): Wir haben damals eine Sitz-
nicht fehlen lassen. ordnung beschlossen, bei der der Bundeskanzler und
der Vizekanzler hier vorn im inneren Kreis saßen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Wir entscheiden heute über die Sitzordnung. Ich DIE GRÜNEN]: Die müßten eigentlich vor
vertrete hier nicht einen SPD-Antrag, sondern einen dem Parlament knien!)
interfraktionellen Antrag, unter dem Namen von Ab-
geordneten aus allen Fraktionen außer der F.D.P. ste- Auf Wunsch von Herrn Kohl - hier sitzen Zeugen des
hen. Es kommt darauf an, eine Sitzordnung zu fin- damaligen Gesprächs - ist das dann eine Stufe zu-
den, die Konzentration schafft und die bei allem rückgesetzt worden.
Trennenden nach außen deutlich macht, was uns zu-
sammenhält, was uns gemeinsam ist. Welche Form (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Dem ha
wäre dafür besser geeignet als der Kreis? Der Kreis ben Sie aber zugestimmt! - Zuruf von Bun
ist eine starke, einprägsame Form. desminister Dr. Jürgen Rüttgers)

Wolfgang Schäuble hat in der Debatte über die - Nein, nicht mit meiner Zustimmung! Das wissen
Reichstagsumhüllung von der Kraft des Symbols ge- Sie sehr wohl, Herr Rüttgers. Zwischenrufe von der
sprochen. Nicht ohne Grund haben sich in der ehe- Regierungsbank sind so eine Sache. Wenn Sie als
maligen DDR nach dem Zusammenbruch des SED- Abgeordneter eine Zwischenfrage stellen wollen,
Regimes die Menschen am Runden Tisch zusammen- Herr Rüttgers, bin ich einverstanden.
gesetzt. Vorher war das anders. In der Volkskammer (Beifall bei der SPD)
saß die Regierung oben, und die Abgeordneten sa-
ßen wie im Hörsaal vor der Regierung. Das heißt, in Die Theorie der Gewaltenteilung - da die Regie-
der DDR war der Runde Tisch ein Symbol, und ich rung, dort das Parlament - stimmt nicht mehr. In
fände es ein gutes Symbol, wenn wir den Runden Wirklichkeit haben wir eine Gewaltenverschrän-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1659
Peter Conradi
kung: Die Mehrheit des Hauses bildet aus ihrer Mitte des Parlaments unter den Parlamentariern sitzt und
die Regierung, trägt sie durch dick und dünn, nicht wie früher in der DDR gegenüber auf der
Empore. Es ist doch gerade das Kennzeichen totalitä-
(Freimut Duve [SPD]: Mehr durch dünn als
rer Parteien und Regierungsformen, daß die Abge-
durch dick!)
ordneten wie im Kino den Hinterkopf des Vorder-
verteidigt sie tapfer gegen die völlig unberechtigten manns sehen und oben dann die Regierung thront.
und bösen Anwürfe der Opposition. Die Opposition Genau das wollen wir nicht.
dagegen versucht, der Regierung und der Mehrheit
das Leben schwerzumachen und so rasch wie mög- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
lich selbst parlamentarische Regierung zu werden. DIE GRÜNEN)

Das Bild der Regierung, die dem Parlament erhöht


gegenübersitzt, entstammt einer früheren Verfas- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir wollen diese
sungswirklichkeit. Es ist interessant, daß in großen Debatte. Deswegen halte ich bei Zwischenfragen die
traditionellen Parlamenten, etwa in England oder in Uhr an. Herr Kollege Klein hat sich zu einer weiteren
Frankreich, kein Mensch auf die Idee käme, die Re- Zwischenfrage gemeldet.
gierung dem Parlament gegenüberzusetzen. Da sitzt
die Regierung mitten im Parlament, und zwar vor Hans Klein (München) (CDU/CSU): Herr Kollege
den Fraktionen, die sie tragen. Conradi, würden Sie mir auch zustimmen, daß es auf
(Zuruf von der CDU/CSU: In Frankreich?) der Welt eine Reihe bedeutender und unzweifelhaf-
ter Demokratien gibt, in denen die Regierung dem
Nun mag es bei uns - vermutlich in allen Fraktionen - Parlament gegenübersitzt, und daß dies nichts mit to-
Abgeordnete geben, die ein besonderes Bedürfnis talitären Systemen zu tun hat?
nach Obrigkeit haben, sei es die Obrigkeit der Bun-
desregierung oder die Obrigkeit der Fraktionsfüh-
rung. Der eine oder die andere von uns mag natür- Peter Conradi (SPD): Das ist richtig. Aber in der
lich auch hoffen, eines Tages als Minister oder Parla- Mutter der Parlamente, im britischen Unterhaus, wie
- in der französischen Nationalversammlung - das sind
mentarischer Staatssekretär da oben auf dem Trepp-
chen zu stehen, aber die rechnerische Wahrschein- nun einmal die ältesten demokratischen Parlamente -
lichkeit ist relativ gering. ist es anders. Auch bei uns hier hat sich das doch be-
währt.
Deswegen sage ich: Lassen Sie uns auch in Berlin
aus dem Oben und Unten, aus dem Gegenüber wie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
der ein Miteinander im Kreis machen, und haben Sie ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
keine Sorge: Auch bei der kreisförmigen Anordnung und der PDS)
werden unter uns Gleichen einige ein wenig gleicher
sein. Wir haben nach der damaligen strittigen Debatte die
Regierung vom Podium in unsere Mitte herunterge-
holt. Das hat dem Parlament und unserem Ansehen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie nicht geschadet.
eine Zwischenfrage des Kollegen Klein?
Ich bitte Sie deshalb, für den Änderunsantrag zu
stimmen, weil der Kreis auch in der Politik ein schö-
Peter Conradi (SPD): Herr Abgeordneter, mit Freu-
nes, starkes, einfaches, verständliches Symbol ist
den.
und weil der Kreis, in dem Bundesregierung und
Bundesrat mit dem Parlament zusammen über die
Hans Klein (München) (CDU/CSU): Herr Kollege Zukunft unseres Landes reden, der Verfassungswirk-
Conradi, würden Sie mir zustimmen, daß es eine lichkeit besser entspricht als das Gegenüber aus der
höchst fragwürdige Angelegenheit ist, sich aus ei- Kaiserzeit.
nem anderen parlamentarischen und Wahlrechtssy-
stem ein Stück herauszuschneiden und in eine völlig Ich weiß, es geht „nur" um eine Formsache. Aber
anders geartete Tradition eingliedern zu wollen? jede Form, auch jede Architekturform, hat ihren In-
Denn Sie haben in England, das Sie als Beispiel ge- halt, und jeder Inhalt sucht die ihm gemäße Form. So
rade angeführt haben, ein Wahlrecht, das immer sucht auch die Demokratie für ihren zentralen Raum,
klare Verhältnisse zwischen Opposition und Regie- den Plenarsaal, die geeignete bauliche Gestalt. Wir
rungsmehrheit schafft. Folglich sitzt man sich da in wollen das nicht überbewerten. Wie diese Abstim-
anderer Weise gegenüber. Dagegen schafft unser mung hier ausgeht, das wird die deutsche Demokra-
Wahlrecht eine völlig anders geartete Situation, in tie nicht erschüttern, und ich räume ein, es gibt ge-
der das Gegenüber von Parlament und Regierung wichtigere Fragen deutscher Politik als diese. Gleich-
auch einen anderen Sinn ergibt. wohl meine ich, wir sollten diese Frage nicht unter
Wert behandeln. Wir würden uns selbst damit unter
Wert behandeln; mit den oft zitierten Worten von
Peter Conradi (SPD): Ich stimme Ihnen gerne zu.
Adolf Arndt aus seiner Rede „Demokratie als Bau-
Ich habe nicht vorgeschlagen, bei uns die englische herr":
Sitzordnung des Gegenübers oder die französische
Sitzordnung des Halbkreises einzuführen. Ich habe Eine Demokratie ist nur soviel wert, wie sich ihre
vielmehr darauf hingewiesen, daß in diesen parla- Menschen wert sind, daß ihnen ihr öffentliches
mentarischen Demokratien die Regierung als Teil Bauen wert ist.
1660 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Peter Conradi
Ich danke Ihnen. eine symbolische, aber es ist eben auch eine ganz
praktische Frage; es ist eine Frage, wie wir uns selbst
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne als Volksvertretung verstehen und in einem solchen
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Raum verhalten.
und der PDS)
Wir bauen ja in Berlin, in einer Stadt, in der die
Menschen jahrzehntelang um Demokratie und Frei-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat heit kämpfen mußten, in einer Stadt, in der im Osten
jetzt der Abgeordnete Gerald Häfner. die Parteibonzen selbstverständlich immer über und
gegenüber den macht- und kompetenzlosen Volks-
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau vertretern thronten und in der im Westen lange nur
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- eingeschränkte Souveränität bestand.
ren! Mir kommt das, was wir hier be treiben, ein biß-
chen wie die Echternacher Springprozession vor. Wir bauen in einer Stadt, in der die Bürgerinnen
Schon 1988 habe ich in der Debatte zum selben und Bürger selbst mit dem Ruf „Wir sind das Volk"
Punkt gesagt, jeder blamiert sich, so gut er kann, und den Regierenden entgegenschrien, was das Grund-
da gab es noch Applaus von allen Seiten. Jetzt soll es axiom der Demokratie ist, nämlich: alle Staatsgewalt
also noch schlimmer werden: Das ist heute mittler- geht vom Volke aus, so Art. 20 des Grundgesetzes,
weile die sechste Debatte des Bundestages über also nicht mehr Herrschaft über das Volk, sondern
seine Sitzordnung. 1948 hat Professor Schwippert Regierung durch das Volk und für das Volk. Wir
schon sehr deutlich - und es lohnt sich, das nachzule- bauen in einer lange Zeit und in vielen Bereichen im-
sen - die Meinung vertreten, daß eine kreisrunde mer noch geteilten Stadt, und wir wollen, daß diese
Stadt und ihre Menschen und daß die Menschen in
Sitzordnung die einer Demokratie baulich angemes-
beiden Teilen dieser Republik zusammenwachsen.
senste wäre.
Worin könnte sich all dies besser ausdrücken als in
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) einer runden Sitzordnung?
Darauf hat Herr Dr. Adenauer erwidert, das - sei zwar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
richtig und der Vorschlag ausgezeichnet, aber - ich und bei der SPD)
zitiere - für den Anfang der parlamentarischen Ar-
beit sollte man nicht gleich zu solch radikalen Neue- Wir bauen auch in der Stadt der runden Tische,
rungen greifen. - Das war 1948, meine Damen und und ich möchte, daß wir diese bedeutende Tradition
Herren. nicht so schnell vergessen. Ein Stück weit kann und
sollte auch das Parlament ein Runder Tisch sein!
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Schließlich bauen wir in einem Gebäude, das in
seiner ganzen Gestalt vom Geist des Wilhelminis-
Ich frage mich allerdings ernsthaft, welche Überzeu- mus, vom Geist des Kaiserreiches geprägt ist. Wir
gungskraft dieses Argument jetzt, da wir seit Jahren können diesen Plenarsaal gestalten und sollten dabei
in einem kreisrunden Plenarsaal tagen, noch haben der Schwere und Last dieses Gebäudes hier etwas
soll und ob dies wirklich noch solch eine radikale von Leichtigkeit, von Offenheit, von Transparenz,
Vorstellung ist. von Dialog und vom Geist lebendiger Demokratie
entgegensetzen.
Ich erinnere mich auch an das Verhalten der F.D.P.
1987 und 1988. Wir hatten hier im Hause nach langer
Debatte endlich eine kreisrunde, höhengleiche Sitz- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es ist der
ordnung beschlossen, und dann kam die Partei der Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Mahlo
schlechten Verlierer und sagte: April, April, das neh- geäußert worden.
men wir nicht hin; und die F.D.P. verlangte eine er-
neute Abstimmung, weil es ja immer schon offenbar
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
für einige im Hause weitaus wichtiger war, erhöht zu
Selbstverständlich, gerne.
sitzen, als Fragen der Demokratie, des Grundgeset-
zes, der Gewaltenteilung ernst zu nehmen und zum
Ausgangspunkt unserer Politik zu machen. Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Herr Kollege,
könnten Sie sich vorstellen, daß Sie als Opposition
Dann haben wir wieder darüber debattiert, uns einmal einen Minister kritisieren und ihn ansprechen
wieder für die höhengleiche kreisrunde Sitzordnung wollten, und finden Sie es dann sehr praktisch, daß
entschieden, und jetzt kommt sie wieder, die De- Sie sich dabei den Hals verrenken und nach hinter
batte, ob wir einen kreisrunden oder lieber doch wie- sich sprechen müßten?
der einen frontalen elliptischen Plenarsaal haben
wollen, wie das früher war.
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lie-
Das ist beileibe kein unbedeutendes Thema, son- ber Herr Kollege Mahlo, ich finde es ausgesprochen
dern die Baugestalt ist Ausdruck einer Denkhaltung praktisch und angenehm, daß wir hier nicht mehr
und auch Ausdruck einer politischen Haltung. Sie wie im Kino, wie im Omnibus oder wie im Hörsaal
spiegelt unser Verständnis von Demokratie und das sitzen und Vorträgen erlauchter Herren lauschen,
von unserer eigenen Arbeit wider. Deshalb, lieber
Kollege Conradi, bei aller inhaltlichen Zustimmung: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Es ist nicht nur eine symbolische Frage; es ist zwar ten der PDS)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1661
Gerald Häfner
sondern daß wir miteinander reden können und ich Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ich habe Sie gefragt, ob (C)
Sie, lieber Herr Kollege, wenn ich hier spreche oder Sie denn nicht die Pläne gelesen hätten, in denen
da drüben sitze, sehen kann - nicht nur den Minister ganz klar zum Ausdruck kommt, daß man auch in
und den Redner. Ich finde es gut, daß wir alle einan- der elliptischen Form einander gegenüber sitzt.
der im Blick haben und dadurch Auge in Auge und
(Lachen bei der SPD)
auf gleicher Höhe miteinander debattieren können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt
bei der SPD und der PDS) hatte ich gehofft, Ihnen würde eine bessere Frage
Aber es geht ja nicht nur um die kreisrunde Form. einfallen als die nach dem Lesen der Pläne.
Es geht ja noch um etwas viel Erstaunlicheres. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
steht übrigens gar nicht in dem Antrag. Das hat man und bei der SPD)
ein wenig versteckt, aber es steht in den Unterlagen
zum Antrag: Die Regierung legt Wert darauf, erhöht Ich habe die Pläne gelesen und eben aus diesem
zu sitzen, sagt die Koalition; sie möchte über dem Grund so Stellung genommen, wie Sie das soeben von
Parlament thronen. Ich kann eine Legitimation dafür mir gehört haben. Das, was Sie heute so schönfärbe-
im Grundgesetz nicht finden. Im Grundgesetz ist von risch elliptische Form nennen, bedeutet, daß das Ple-
Gewaltenteilung und von Gewaltenverschränkung num, das hier im Moment zum Kreis gebogen ist, zu-
die Rede. Von einer Über- oder Unterordnung steht rückgedrängt wird auf gut die Hälfte des Plenarsaals
dort jedoch nichts geschrieben. und daß dafür die Regierung und auch der Bundesrat -
den wir nicht vergessen wollen, auch wenn er selbst
heute und übrigens auch sonst nicht sehr zahlreich ver-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es liegt noch
treten ist - uns auf der andern Seite gegenüber sitzen.
eine Bitte des Abgeordneten Heinrich um eine Zwi-
schenfrage vor. Ich möchte aber zum Schluß noch einmal auf den
Wunsch der Koalition nach Erhöhung der Regie-
Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Häfner, nach rungssitze zurückkommen. Wir sollten das nicht auf
- die leichte Schulter nehmen. Ich halte das wirklich
Ihrer Aussage gerade eben habe ich den Eindruck,
daß Sie die Pläne noch nicht gesehen haben; denn für einen architektonischen Anschlag auf das Grund-
auch bei der elliptischen Form sitzen selbstverständ- gesetz und auf die Demokratie.
lich Opposition und Regierung oder gegebenenfalls (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
die großen Parteien einander gegenüber. So gesehen bei der SPD und der PDS - Widerspruch bei
besteht überhaupt kein Unterschied. der CDU/CSU und der F.D.P. - Dr.-Ing.
(Zurufe von der SPD und der PDS: Frage! - Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Absoluter
(D)
Frage!) Quatsch, was Sie da sagen!)

Ich möchte außerdem darauf hinweisen: Sie haben Das hat mit unserer Verfassungsordnung nichts zu
gerade eben fälschlich noch einmal gesagt, daß es tun. Das konnte man zu Zeiten des Kaiserreiches im
uns auf eine Erhöhung ankomme. Es kommt uns Preußischen Landtag machen, aber doch nicht in ei-
aber nicht auf eine Erhöhung an, sondern es kommt nem demokratischen Parlament.
uns darauf an, wie die Anordnung insgesamt vorge-
nommen wird. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestattest Du
eine Zwischenfrage der Abgeordneten Baumeister?
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege,
Sie hätten eine Frage stellen müssen. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
möchte gerade den Gedanken noch vollenden. Dann
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr gestatte ich selbstverständlich die Zwischenfrage.
Kollege, die Vielzahl spontaner Debattenbeiträge in Diese Sache ist ja nicht die einzige beabsichtigte
dieser Debatte ist ja im Grunde erfreulich und ist das, Änderung. Der Kanzler möchte und hat durchge-
was ich mir unter einem lebendigen Parlament vor- setzt, daß - anders als von den Architekten vorgese-
stelle. hen - das Kanzleramt höher ist als die auf der Achse
(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ im Parlamentsviertel daneben liegenden Parlaments-
NEN) bauten. Ich finde das peinlich und lächerlich. Ich
finde, das haben weder der Kanzler noch diese Bun-
Deswegen bin ich auch nicht böse, daß Sie keine desregierung nötig.
Frage gestellt haben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS
(Zuruf von der CDU/CSU: Hat er!) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
- Doch, haben Sie? - Dann bitte ich Sie, die Frage zu Wer Größe durch bauliche Höhe ausdrücken muß
wiederholen. und will, der hat schon verloren.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
DIE GRÜNEN und bei der SPD) bei der SPD und der PDS - Zuruf von der
CDU/CSU: Ein Quatsch, was Sie erzählen!)
Ich habe eine längere Ausführung gehört und dabei
Ihren Standpunkt kennengelernt und verstanden. Jetzt bitte ich um Ihre Frage.
1662 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Herr Kollege, ha- Strophen. Es ist eine Abwandlung des berühmten
ben Sie in meiner Rede mitbekommen, daß es mir in Goethe/Schiller-Distichons. Es heißt:
keinster Weise um eine Erhöhung der Bundesregie-
Das ist nicht des Kanzlers Größe:
rung ging, sondern daß ich gesagt habe, daß dies
zu sitzen auf erhabnem Thron.
überhaupt keine Frage für uns ist? Vielmehr wurde
Klimatod sofort bekriegen,
aus anderen Gesichtspunkten heraus diskutiert.
Arbeitslosigkeit besiegen,
Aber wir sind gerne bereit, darauf zu verzichten.
Argumente klug zu wiegen
(Zuruf von der F.D.P.: Da hat er nicht aufge gäb' echte Größe, höher'n Lohn.
paßt!)
(Zurufe von der CDU/CSU: Aufhören!)
Im übrigen: Wenn Sie das nicht gehört haben soll-
Die zweite Strophe, der Rat an den Kanzler, lautet:
ten, dann darf ich noch bemerken, daß dies an der
schlechten Akustik dieses Plenarsaals liegt, wo Sie Äußerlich erhöht zu sitzen,
eben wesentlich weiter auseinander sitzen das ist läppisch, führt zu Witzen!
Höher steh'n an Geist und Taten,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU würden wir dem Kanzler raten!
und der F.D.P. - Widerspruch bei der SPD)
(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE
und, lieber Herr Kollege, aus diesem Grunde Ihnen GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)
wahrscheinlich diese meine Passage nicht gegenwär-
tig ist.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU jetzt der Abgeordnete Hein ri ch.
und der F.D.P.)
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sag auch ein
Gedicht auf!)
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liebe
Frau Kollegin, ich will den weniger sachlichen Teil
Ihrer Frage nicht beantworten, aber den,- über den Ulrich Heinrich (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine
ich mich freue; denn er zeigt, daß solche Debatten sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche
Sinn haben. Wenn Sie nach dieser Debatte tatsäch- Bundestag beschäftigt sich heute wieder einmal mit
lich die 17,5 cm, über die inzwischen wirklich schon sich selbst, und das aus gutem Grund. Aber es ist na-
alle lachen, aus dem Antrag streichen, dann sind wir türlich deutlich zu sagen, daß das zuständige Gre-
schon ein ganzes Stück näher beieinander. mium für den Umbau des Reichstags, der Ältestenrat,
ein klares Votum abgegeben hat, bei dem die Oppo-
Ich habe mir erlaubt und möchte dies zum Ab- sition in der Minderheit geblieben ist. Aus diesem
schluß - - Grund müssen wir uns heute erneut mit dem Sach-
verhalt beschäftigen, und zwar im Plenum des Deut-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein, Ihre Rede- schen Bundestages.
zeit war leider schon abgelaufen. Ich habe anschlie- Es ist ein Novum, daß man innerhalb von acht Jah-
ßend die Frage und Ihre Antwort zugelassen. Aber ren zweimal einen Plenarsaal, ein nationales Parla-
Ihre Redezeit war tatsächlich leider vorbei, auch für ment, an verschiedenen Orten planen, bauen und
weitere Zwischenfragen. Das tut mir leid, Herr Kol- umbauen soll. Hier spiegelt sich ganz sicherlich die
lege. bewegte Geschichte unseres deutschen Vaterlandes
wider. Wir haben somit die Chance, über die Erfah-
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich rungen, die wir hier im neuen Plenarsaal gemacht
bedaure das sehr, denn ich habe ein Gedicht zu die- haben, zu befinden und notwendige Korrekturen
sem Anlaß geschrieben. Ich hätte das gerne zum be- vorzunehmen.
sten gegeben, kann es aber leider nicht mehr tun.
(Beifall bei der F.D.P.)
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, ei-
GRÜNEN, bei der SPD sowie bei Abgeord nen kleinen Moment. Ich muß für Ruhe sorgen. Es ist
neten der PDS) jetzt dermaßen unruhig, daß ich bitte, den Raum in
der Mitte sofort freizumachen, damit der Kollege in
Ruhe sprechen kann.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Moment! Ich
habe so selten ein selbstgemachtes Gedicht in die- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
sem Hause gehört, daß ich ausnahmsweise dazu das ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
Wort gebe. GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Ulrich Heinrich (F.D.P.): Am meisten stört mich, daß
PDS) der Blickkontakt zwischen Redner und Plenum in
diesem Plenarsaal nicht so gut ist, wie er im Wasser-
werk war.
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vie-
len Dank! Jetzt hoffe ich, liebe Präsidentin, daß das (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
nicht zu lang wird. Das Gedicht hat nämlich zwei ten der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1663
Ulrich Heinrich
Das, glaube ich, ist doch schon ein deutlicher Hin- hen sitzen, noch erkennbar machen, wer Bundesrat,
weis. Man redet ein bißchen ins Leere, auch wenn Bundesregierung und Bundestag ist.
der Saal gut gefüllt ist, wie wir das zur Zeit haben.
Ich denke zu Recht mit Wehmut an das Wasserwerk, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne
wo wir in diesem Punkt wesentlich bessere Verhält- ten der CDU/CSU)
nisse hatten.
Wir wollen keine Nivellierung, und wir wollen keine
Die Voraussetzungen für eine lebhafte und interes- Vermischung, sondern wir wollen, daß auch der Be-
sante Debatte, in einem Raum, wo Rede, Gegenrede, trachter von außen das erkennen soll. Sie legen of-
Zwischenrufe und Mißfallensäußerungen eine dichte fenbar keinen Wert darauf; denn es hat sich deutlich
Debattenatmosphäre entstehen lassen, sind bei der gezeigt, daß Sie mit Ihrer Zwischenfrage in eine ganz
von der Opposition vertretenen Variante nicht opti- andere Richtung gezielt haben.
mal. Dies kommt von der runden Sitzanordnung, die
zwangsläufig eine größere Distanz zwischen Redner Ich möchte sagen: Wir haben im Deutschen Bun-
und Plenum zur Folge hat. destag und hier im Plenum klare und exakte
Regeln. Wir versagen z. B. einem Mitglied des
(Dr. Karl-Heinz Homhues [CDU/CSU]: Ge Bundesrates, sich zwischen den Gängen und den
nau richtig! - Gegenruf des Abg. Freimut Sitzreihen der Abgeordneten zu bewegen. Das
Duve [SPD]: Tüttelkram!) gleiche gilt für Minister der Bundesregierung, die
nicht gleichzeitig ein Bundestagsmandat haben.
Wären Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
Diese Regelung ist gut so. An dieser Regelung
sition, bereit, diese Argumente für eine optimale De-
wollen wir festhalten.
battengestaltung aufzunehmen und zur Grundlage
Ihrer Entscheidungen zu machen, müßten Sie eigent- Dann möchten wir aber auch, daß, wenn wir
lich für die elliptische Form stimmen. schon solche Regelungen haben, diese auch für
(Beifall bei der F.D.P.) den Betrachter von außen erkennbar sind; denn
unsere Demokratie leidet auch darunter, daß vieles
-
Aber es ist schon bezeichnend, daß Sie, wenn ich Sie mißverstanden wird und daß der Bürger draußen
richtig verstanden habe, mehr oder weniger eine nicht mehr versteht, was hier tatsächlich vollzogen
ideologische Betrachtungsweise in dieser Richtung wird.
als Ihre Grundhaltung darstellen.
Dazu gehört für mich nicht nur ein Stück Symbo-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - lik, sondern auch ein Stück spiegelbildlicher Darstel-
Widerspruch bei der SPD) lung unserer repräsentativen demokratischen Struk-
tur in der Bundesrepublik Deutschland.
Was soll es denn, wenn wir alles nivellieren und nicht
mehr erkennbar machen wollen, wie sich die einzel-
nen Verfassungsorgane im Parlament des Deutschen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie,
Bundestages widerspiegeln. Herr Kollege, eine Zwischenfrage der Kollegin Kö-
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) ster-Loßack?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ja, bitte sehr.
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Dr. Angelika Köster Loßack (BÜNDNIS 90/DIE
-

Ulrich Heinrich (F.D.P.): Ja. GRÜNEN): Herr Kollege, um der Nivellierung, die
Sie als Problem beschworen haben, eventuell entge-
Freimut Duve (SPD): Herr Kollege, da Sie das Lieb- genzuwirken: Vielleicht könnten wir uns das Modell
lingswort der Regierungsfraktion „Ideologie" jetzt des Orchestergrabens für die Regierungsbänke vor-
stellen?
eingeführt haben und eine Ideologie in der Regel ei-
nen philosophischen Urvater hat, könnten Sie mir (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten
bitte sagen, welchen philosophischen Vater Sie beim der SPD)
Kreis, der ältesten Form, die wir in der Menschheits-
geschichte kennen, ausmachen?
Ulrich Heinrich (F.D.P.): Darüber können wir dann
Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege Duve, es geht in der Baukommission noch einmal befinden. Wenn
hier nicht um die Frage der ideologischen Beschrei- wir uns für die elliptische Form entschieden haben,
bung des Kreises, sondern es geht darum, dann sind wir offen. Wie das die Kollegin Baumeister
bereits signalisiert hat, kommt es uns nicht darauf an,
(Horst Sielaff [SPDJ: Lassen Sie die Kampf die Regierung und den Bundesrat erhöht zu plazie-
begriffe weg!) ren, sondern wir sind durchaus auch der Meinung,
daß wir die Sitzbänke auf einer Ebene mit dem Bun-
ob wir die verfassungsmäßigen Verhältnisse unserer destag anordnen lassen sollten.
Bundesrepublik Deutschland, nämlich die eines fö-
derativen Staatsaufbaus, auch für diejenigen, die Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt:
oben in den Zuschauerrängen und vor dem Fernse Wenn Sie Ihre ideologische Betrachtungsweise - ich
1664 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Ulrich Heinrich
sage das betont noch einmal, Herr Kollege Duve - ordneten haben muß, geschämt bei dem Gedanken,
einmal beiseite schieben und sich den Argumenten ein paar „Otto Normalverbraucher" von draußen hät-
öffnen, die ich gerade vorgetragen habe, dann wer- ten das Trauerspiel miterleben können. Ich bin ge-
den Sie Ihrem eigenen Antrag nicht zustimmen, son- gangen.
dern die Ergebnisse der Baukommission und des Al-
testenrates akzeptieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Wie immer!)

Herzlichen Dank. Wir haben uns interfraktionell darauf geeinigt,


endlich etwas für Obdachlose zu tun. Gestern nach-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne mittag haben wir noch einmal mit Vertretern der ver-
ten der CDU/CSU) schiedensten Ausschüsse zusammengesessen. Einer-
seits finden wir keinen haushaltstechnischen Weg,
um die benötigten 50 Millionen DM für ein minima-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
les Obdachlosenprogramm aufzutreiben, diskutie-
jetzt der Kollege Klaus-Jürgen Warnick.
ren andererseits eine Stunde später über den Kup-
pelneubau im Reichstag, der ca. 30 Millionen DM ko-
Klaus Jürgen Warnick (PDS): Frau Präsidentin!
-
sten wird.
Meine Damen und Herren! Bevor ich zum alles und
alle bewegenden Problem der Sitzordnung komme, Nun aber zur Sitzordnung. Die ideologischen
möchte ich ein paar grundsätzliche Ausführungen Grabenkämpfe sind gewaltig. Rund oder Ellipse,
machen. Ich habe in den letzten vierzehn Tagen im das ist hier die Frage. Aber im Ernst: Wenn man
Zusammenhang mit der beabsichtigten Einführung sich schon entscheiden muß, dann ist nach unse-
des Vergleichsmietensystems in Ostdeutschland rer Auffassung die Kreisform wesentlich günsti-
viele gut besuchte Mieterveranstaltungen durchge- ger; wir favorisieren sie. Sie spiegelt unser Ver-
führt. ständnis vom Verhältnis von Parlament zur Regie-
rung besser wider.
Dabei hatte ich stets auch Gelegenheit, Rechen-
-
schaft über meine Arbeit im Bundestag abzulegen. (Beifall bei Abgeordneten der PDS)
Ich kann Ihnen sagen: Die Bürgerinnen und Bürger
sind immer wieder hellauf begeistert, wenn sie Daß es bei dieser Sitzordnung auch schon einmal
hören, mit welchen immens wichtigen Themen wir vorkommen kann, daß der Fernsehzuschauer bei
uns hier beschäftigen. Viele sind arbeitslos oder zu weitem Kameraschwenk am Bildschirmrand die
wissen nicht mehr, wie sie in Zukunft die Miete ungeliebten Abgeordneten der PDS sieht, wird
bezahlen sollen. Währenddessen befassen sich ihre diese Demokratie doch wohl unbeschadet überste-
Volksvertreter damit, wie sie irgendwann im hen.
Reichstag sitzen werden. Die Vorredner haben ja
zum Teil schon auf diese Peinlichkeit hingewiesen. (Beifall bei Abgeordneten der PDS)
Sie befassen sich damit hier nur deswegen, weil sie
Noch ein paar Worte zur Abstimmung über die
sich in Kommissionen nicht einigen können. Man
zukünftige Sitzordnung. Altbundespräsident von
muß sich auch einmal die Debatte von vorhin an-
Weizsäcker hat in der vergangenen Woche etwas
schauen, diese „unwichtige Debatte" zum Waldzu-
Bemerkenswertes festgestellt, daß nämlich ein In-
standsbericht. Man muß einmal sehen, wie viele
strument die parlamentarische Demokratie beherr-
Leute da im Saal waren und wie viele Leute im
sche, welches in unserer demokratischen Verfas-
Saal waren, als es um verschwendete Fördergelder
sung offiziell gar nicht vorkomme: die Macht der
im Osten ging. Es waren 30, 40 Parlamentarier.
Fraktionsdisziplin, und daß dadurch bei eigentlich
Jetzt haben wir einen vollen Saal. Alle diskutieren
klaren Mehrheitsmeinungen unter den Abgeordne-
mit Feuereifer und sind voll dabei, mit Zwischenru-
ten trotzdem keine entsprechenden Mehrheiten im
fen und mit Zwischenfragen. Parlament zustande kämen. Ich muß zugeben:
Seit ich hier in Bonn ein klein wenig mitmachen Noch vor einem halben Jahr war ich so naiv, zu
darf, verstehe ich zum Teil das unheimlich glauben, daß es im Bundestag geheime Abstim-
schlechte Ansehen von Abgeordneten in der brei- mungen gibt. Nun muß ich feststellen, daß das Ge-
ten Öffentlichkeit viel besser. Bei repräsentativen wissen der einzelnen Abgeordneten unter sehr gu-
Umfragen nach dem Image kommen wir ziemlich ter Kontrolle ist. Hammelsprung, Handheben oder
weit hinten. namentliche Abstimmung sollen dafür sorgen, daß
ein Gewissen ja nicht in die Versuchung gerät, zu
Gestern in der Baukommission war auch wieder so stolpern und womöglich von der Fraktionsmehrheit
eine Sternstunde der Parlamentarier. Es ging um die abzuweichen. Lediglich bei Personalentscheidun-
Frage der zukünftigen Kuppel im Reichstag. Da gen und im extremen Einzelfall dürfen die Parla-
kann uns vielleicht auch noch so eine lustige Debatte mentarier - mit viel Angst der Fraktionsoberen -
ins Haus stehen wie zur heutigen Frage der Sitzord- frei und geheim entscheiden. Wie schön könnte es
nung. Ich muß hier ehrlich sagen: Obwohl ich als Ab- sein, wenn die Abgeordneten jetzt über die Sitzord-
geordneter zweiter Klasse in der Kommission nicht nung geheim abstimmen würden. Da wäre wenig-
mit abstimmen darf und demzufolge dafür keine Ver- stens ab und zu ein wenig Spannung vor den Ent-
antwortung trage, habe ich mich trotzdem geschämt, scheidungen im Parlament.
geschämt vor dem Architekten, der mittlerweile ein
furchtbares Bild von der Entschlußkraft von Abge- (Beifall bei der PDS)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1665
Klaus-Jürgen Warnick
Ein Gutes hat die Diskussion aber doch. Die Endgültiges Ergebnis Hans-Joachim Hacker
Eiereien mit der PDS werden in den Skizzen zur Klaus Hagemann
Abgegebene Stimmen: 632; Manfred Hampel
neuen Sitzordnung wiederum deutlich. Zu Recht
davon: Christel Hanewinckel
planen Sie uns auch für die nächsten Wahlperio- Alfred Hartenbach
den ein. ja: 306 Klaus Hasenfratz
nein: 324 Dr. Ingomar Hauchler
(Beifall bei der PDS) Reinhold Hemker
enthalten: 2 Rolf Hempelmann
Es ist aber eine Sitzordnung eingezeichnet, die es
Dr. Barbara Hendricks
so mit Sicherheit nicht geben wird. Die PDS in zu- Monika Heubaum
rückgesetzter Reihe, wieder als Aschenputtel - das Ja Uwe Hiksch
ist im Reichstagsgebäude eine Illusion. Denn entwe- Reinhold Hiller (Lübeck)
der sind wir in vier Jahren im Bundestag als Fraktion Stephan Hilsberg
CDU/CSU Gerd Höfer
vertreten oder gar nicht. Denn, meine Damen und
Herren von der Koalition, Sie würden mich schwer Jelena Hoffmann (Chemnitz)
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Frank Hofmann (Volkach)
enttäuschen, wenn Sie nicht bis zur nächsten Bun-
Ingrid Holzhüter
destagswahl eine Möglichkeit finden würden, das Erwin Horn
Schlupfloch, über die drei Direktmandate in den Eike Maria Anna Hovermann
Bundestag zu gelangen, zu schließen. Da ist ja auf SPD Lothar Ibrügger
Sie auf alle Fälle Verlaß. Wolfgang Ilte
Brigitte Adler Barbara Imhof
Ich danke Ihnen. Gerd Andres Brunhilde Irber
Hermann Bachmaier Gabriele Iwersen
(Beifall bei der PDS) Ernst Bahr Renate Jäger
Doris Barnett Jann-Peter Janssen
Klaus Barthel Ilse Janz
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe die Ingrid Becker-Inglau Dr. Uwe Jens
Aussprache. Hans-Werner Bertl Volker Jung (Düsseldorf)
Friedhelm Julius Beucher Sabine Kaspereit
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst Rudolf Bindig Susanne Kastner
über den Änderungsantrag der Abgeordneten Peter Dr. Ulrich Böhme (Unna) Ernst Kastning
Conradi, Franziska Eichstädt-Bohlig, Klaus-Jürgen Arne Börnsen (Ritterhude) Hans-Peter Kemper
Anni Brandt-Elsweier Klaus Kirschner
Warnick und weiterer Abgeordneter auf Drucksache Tilo Braune
13/727, kreisrunde Sitzordnung. Wird eine namentli- Marianne Klappert
Dr. Eberhard Brecht Siegrun Klemmer
che Abstimmung beantragt? - Herr Hörster, bitte. Edelgard Bulmahn Hans-Ulrich Klose
Ursula Burchardt Dr. Hans-Hinrich Knaape
(Peter Conradi [SPD]: Er will das wohl zu Hans Martin Bury Walter Kolbow
einer Koalitionsfrage machen!) Hans Büttner (Ingolstadt) Fritz Rudolf Körper
Marion Caspers-Merk Nicolette Kressl
Wolf-Michael Catenhusen Volker Kröning
Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ich Peter Conradi Thomas Krüger
beantrage, wie vorhin bereits angekündigt, nament- Dr. Herta Däubler-Gmelin Horst Kubatschka
liche Abstimmung über den Änderungsantrag des Christel Deichmann Eckart Kuhlwein
Kollegen Conradi und weiterer Kollegen. Karl Diller Christine Kurzhals
Dr. Marliese Dobberthien Dr. Uwe Küster
Peter Dreßen Brigitte Lange
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Fraktion der Rudolf Dreßler Detlev von Larcher
CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich Freimut Duve Waltraud Lehn
eröffne damit die Abstimmung. - Ludwig Eich Robert Leidinger
Peter Enders Klaus Lennartz
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Gernot Erler Dr. Elke Leonhard
seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht Petra Ernstberger Klaus Lohmann (Witten)
Annette Faße Christa Lörcher
der Fall. Ich schließe damit die Abstimmung. Ich bitte Elke Ferner Erika Lotz
die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, Lothar Fischer (Homburg) Dr. Christine Lucyga
und unterbreche bis zum Vorliegen des Ergebnisses Gabriele Fograscher Dieter Maaß (Herne)
die Sitzung. Iris Follak Winfried Mante
Norbert Formanski Dorle Marx
(Unterbrechung von 12.52 bis 13.01 Uhr) Dagmar Freitag Ulrike Mascher
Anke Fuchs (Köln) Christoph Matschie
Katrin Fuchs (Verl) Ingrid Matthäus-Maier
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Meine Damen Arne Fuhrmann Heide Mattischeck
und Herren, ich gebe das von den Schriftführerinnen Monika Ganseforth Markus Meckel
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli- Norbert Gansel Ulrike Mehl
chen Abstimmung über den Änderungsantrag des Konrad Gilges Herbert Meißner
Abgeordneten Peter Conradi, der Abgeordneten Iris Gleicke Angelika Mertens
Franziska Eichstädt-Bohlig und weiterer Abgeordne- Günter Gloser Dr. Jürgen Meyer (Ulm)
Günter Graf (Friesoythe) Ursula Mogg
ter auf Drucksache 13/727 bekannt: Abgegebene Angelika Graf (Rosenheim) Jutta Müller (Völklingen)
Stimmen 632. Mit Ja haben gestimmt 306; mit Nein Dieter Grasedieck Christian Müller (Zittau)
haben gestimmt 324. Enthaltungen 2. Achim Großmann Volker Neumann (Bramsche)
Karl-Hermann Haack Gerhard Neumann (Gotha)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Extertal) Dr. Edith Niehuis
1666 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsidentin Dr. Antie Vollmer


Dr. Rolf Niese Uta Titze-Stecher Christian Sterzing Wolfgang Dehnel
Do ri s Odendahl Adelheid Tröscher Manfred Such Hubert Deittert
Günter Oesinghaus Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Antje Vollmer Gertrud Dempwolf
Leyla Onur Günter Verheugen Ludger Volmer Albert Deß
Manfred Opel Ute Vogt (Pforzheim) Helmut Wilhelm (Amberg) Renate Diemers
Adolf Ostertag Karsten D. Voigt (Frankfurt) Margareta Wolf-Mayer Wilhelm Dietzel
Kurt Palis Hans Georg Wagner Werner Dörflinger
Albrecht Papenroth Hans Wallow Hansjürgen Doss
Dr. Willfried Penner Dr. Konstanze Wegner PDS Ma ri a Eichhorn
Dr. Martin Pfaff Wolfgang Weiermann Wolfgang Engelmann
Georg Pfannenstein Reinhard Weis (Stendal) Wolfgang Bierstedt Rainer Eppelmann
Dr. Eckhart Pick Matthias Weisheit Petra Bläss Heinz Dieter Eßmann
Joachim Poß Gunter Weißgerber Maritta Böttcher Horst Eylmann
Rudolf Purps Gert Weisskirchen (Wiesloch) Eva Bulling-Schröter Anke Eymer
Hermann Rappe Jochen Welt Heinrich Graf von Einsiedel Ilse Falk
(Hildesheim) Hildegard Wester Dr. Ludwig Elm Dr. Kurt Faltlhauser
Karin Rehbock-Zureich Lydia Westrich Dr. Dagmar Enkelmann Jochen Feilcke
Margot von Renesse Inge Wettig-Danielmeier Dr. Ruth Fuchs Dr. Karl H. Fell
Renate Rennebach Helmut Wieczorek (Duisburg) Dr. Gregor Gysi Ulf Fink
Otto Reschke Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Uwe-Jens Heuer Dirk Fischer (Hamburg)
Bernd Reuter Dieter Wiefelspütz Dr. Barbara Höll Klaus Francke (Hamburg)
Dr. Edelbert Richter Berthold Wittich Ulla Jelpke Herbert Frankenhauser
Günter Rixe Dr. Wolfgang Wodarg Gerhard Jüttemann Dr. Gerhard Friedrich
Gerhard Rübenkönig Hanna Wolf Dr. Heidi Knake-Werner Erich G. Fritz
Dr. Hansjörg Schäfer Heide Wright Rolf Köhne Hans-Joachim Fuchtel
Gudrun Schaich-Walch Uta Zapf Rolf Kutzmutz Michaela Geiger
Dieter Schanz Dr. Christoph Zöpel Andrea Lederer Norbert Geis
Rudolf Scharping Peter Zumkley Dr. Christa Luft Dr. Heiner Geißler
Bernd Scheelen Heidemarie Lüth Michael Glos
Siegf ri ed Scheffler Dr. Günther Maleuda Wilma Glücklich
Horst Schild BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Manfred Müller (Berlin) Dr. Reinhard Göhner
Otto Schily Rosel Neuhäuser Peter Götz
Dieter Schloten Elisabeth Altmann Dr. Uwe-Jens Rössel Dr. Wolfgang Götzer
Horst Schmidbauer (Pommelsbrunn) Christina Schenk Joachim Gres
(Nürnberg) Gila Altmann (Aurich) Steffen Tippach Kurt-Dieter Grill
Dagmar Schmidt (Meschede) Volker Beck (Köln) Klaus-Jürgen Warnick Wolfgang Gröbl
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Angelika Beer Dr. Winfried Wolf Hermann Gröhe
Regina Schmidt-Zadel Matthias Berninger Gerhard Zwerenz Claus-Peter Grotz
Heinz Schmitt (Berg) Annelie Buntenbach Manfred Grund
Dr. Emil Schnell Amke Dietert-Scheuer Horst Günther (Duisburg)
Walter Schöler Franziska Eichstädt-Bohlig Nein Carl-Detlev Freiherr von
Ottmar Schreiner Dr. Uschi Eid Hammerstein
Gisela Schröter Andrea Fischer (Berlin) Gottf ri ed Haschke
Dr. Mathias Schubert Joseph Fischer (Frankfurt) CDU/CSU (Großhennersdorf)
Richard Schuhmann Rita G rießhaber Gerda Hasselfeldt
(Delitzsch) Gerald Häfner Ulrich Adam Rainer Haungs
Reinhard Schultz Antje Hermenau Peter Altmaier Otto Hauser (Esslingen)
(Everswinkel) Kristin Heyne Anneliese Augustin Hansgeorg Hauser
Volkmar Schultz (Köln) Ulrike Höfken-Deipenbrock Jürgen Augustinowitz (Rednitzhembach)
Dr. R. Werner Schuster Michaele Hustedt Dietrich Austermann Klaus-Jürgen Hedrich
Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Manuel Kiper Heinz-Günter Bargfrede Manfred Heise
Dr. Angelica Schwall-Düren Monika Knoche Franz Peter Basten Dr. Renate Hellwig
Ernst Schwanhold Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Wolf Bauer Ernst Hinsken
Rolf Schwanitz Steffi Lemke Brigitte Baumeister Peter Hintze
Bodo Seidenthal Vera Lengsfeld Meinrad Belle Josef Hollerith
Lisa Seuster Dr. Helmut Lippelt Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Karl-Heinz Hornhues
Horst Sielaff Oswald Metzger Hans-Dirk Bierling Joachim Hörster
Erika Simm Kerstin Müller (Köln) Dr. Joseph-Theodor Blank Hubert Hüppe
Johannes Singer Winfried Nachtwei Renate Blank Peter Jacoby
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Christa Nickels Dr. Heribert Blens Susanne Jaffke
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Cem Özdemir Peter Bleser Georg Janovsky
Wolfgang Spanier Gerd Poppe Dr. Norbert Blüm Helmut Jawurek
Dr. Dietrich Sperling Simone Probst F ri edrich Bohl Dr. Dionys Jobst
Jörg-Otto Spiller Dr. Jürgen Rochlitz Dr. Maria Böhmer Dr.-Ing. Rainer Jork
Antje-Marie Steen Halo Saibold Jochen Borchert Michael Jung (Limburg)
Ludwig Stiegler Christine Scheel Wolfgang Bosbach Ulrich Junghanns
Dr. Peter Struck Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Egon Jüttner
Joachim Tappe Rezzo Schlauch Klaus Brähmig Dr. Harald Kahl
Jörg Tauss Albert Schmidt (Hitzhofen) Rudolf Braun (Auerbach) Bartholomäus Kalb
Dr. Bodo Teichmann Wolfgang Schmitt Paul Breuer Steffen Kampeter
Margitta Terborg (Langenfeld) Monika Brudlewsky Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Jella Teuchner Ursula Schönberger Georg Brunnhuber Manfred Kanther
Dr. Gerald Thalheim Waltraud Schoppe Dankward Buwitt Irmgard Karwatzki
Wolfgang Thierse Werner Schulz (Berlin) Manfred Carstens (Emstek) Volker Kauder
Dietmar Thieser Rainder Steenblock Peter H. Carstensen Peter Keller
Franz Thönnes Marina Steindor (Nordstrand) Eckart von Klaeden
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1667
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Bernd Klaußner Dr. Hermann Pohler Margarete Späte Gisela Frick
Hans Klein (München) Ruprecht Polenz Carl-Dieter Spranger Paul K. Friedhoff
Ulrich Klinkert Marlies Pretzlaff Wolfgang Steiger Horst Friedrich
Hans-Ulrich Köhler Dr. Albert Probst Erika Steinbach Rainer Funke
(Hainspitz) Dr. Bernd Protzner Dr. Wolfgang Freiherr Hans-Dietrich Genscher
Manfred Kolbe Dieter Pützhofen von Stetten Dr. Wolfgang Gerhardt
Norbert Königshof en Thomas Rachel Dr. Gerhard Stoltenberg Joachim Günther (Plauen)
Eva-Maria Kors Hans Raidel Andreas Storm Dr. Karlheinz Guttmacher
Hartmut Koschyk Dr. Peter Ramsauer Max Straubinger Dr. Helmut Haussmann
Manfred Koslowski Rolf Rau Michael Stübgen Ulrich Heinrich
Thomas Kossendey Helmut Rauber Egon Susset Walter Hirche
Rudolf Kraus Peter Harald Rauen Dr. Rita Süssmuth Dr. Burkhard Hirsch
Wolfgang Krause (Dessau) Otto Regenspurger Michael Teiser Birgit Homburger
Andreas Krautscheid Christa Reichard (Dresden) Dr. Susanne Tiemann Dr. Werner Hoyer
Arnulf Kriedner Klaus Dieter Reichardt Dr. Klaus Töpfer Ulrich Irmer
Heinz-Jürgen Kronberg (Mannheim) Gottfried Tröger Detlef Kleinert (Hannover)
Dr.-Ing. Paul Krüger Erika Reinhardt Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Roland Kohn
Reiner Krziskewitz Hans-Peter Repnik Gunnar Uldall Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. Hermann Kues Roland Richter Wolfgang Vogt (Düren) Jürgen Koppelin
Werner Kuhn Roland Richwien Dr. Horst Waffenschmidt Dr.-Ing. Karl-Hans Laerman
Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Rieder Dr. Theodor Waigel Heinz Lanfermann
(Heidelberg) Dr. Erich Riedl (München) Alois Graf von Waldburg-Zeil Sabine Leutheusser
Karl Lamers Klaus Riegert Dr. Jürgen Warnke Schnarrenberger
Dr. Norbert Lammert Dr. Heinz Riesenhuber Kersten Wetzel Uwe Lühr
Helmut Lamp Hannelore Rönsch Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Jürgen W. Möllemann
Armin Laschet (Wiesbaden) Gert Willner Günther Fried ri ch Nolting
Herbert Lattmann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Bernd Wilz Dr. Rainer Ortleb
Dr. Paul Laufs Dr. Klaus Rose Willy Wimmer (Neuss) Lisa Peters
Karl-Josef Laumann Kurt J. Rossmanith Matthias Wissmann Dr. Günter Rexrodt
Werner Lensing Adolf Roth (Gießen) Simon Georg Wittmann Dr. Klaus Röhl
Christian Lenzer Norbert Röttgen - (Tännesberg) Cornelia Schmalz-Jacobsen
Peter Letzgus Dr. Christi an Ruck Dagmar Wöhrl Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Walter Link (Diepholz) Volker Rühe
Michael Wonneberger Dr. Irmgard Schwaetzer
Eduard Lintner Dr. Jürgen Rüttgers
Elke Wülfing Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Klaus W. Lippold Roland Sauer (Stuttgart)
Peter Kurt Würzbach Dr. Max Stadler
(Offenbach) Ortrun Schätzle
Cornelia Yzer Carl-Ludwig Thiele
Dr. Manfred Lischewski Dr. Wolfgang Schäuble
Wolfgang Zeitlmann Dr. Dieter Thomae
Wolfgang Friedrich Lohmann Hartmut Schauerte
Wolfgang Zöller Jürgen Türk
(Lüdenscheid) Heinz Schemken
Julius Louven Karl-Heinz Scherhag Dr. Wolfgang Weng
Sigrun Löwisch Gerhard Scheu (Gerlingen)
FDP
Heinrich Lummer Norbert Schindler
Dr. Michael Luther Dietmar Schlee
Erich Maaß (Wilhelmshaven) Ulrich Schmalz
Ina Albowitz Enthalten
Dr. Dietrich Mahlo Dr. Gisela Babel
Bernd Schmidbauer
Claire Marienfeld Christian Schmidt (Fürth) Hildebrecht Braun
Erwin Marschewski Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Augsburg) SPD
Günter Marten (Halsbrücke) Günther Bredehorn
Dr. Martin Mayer Andreas Schmidt (Mülheim) Jörg van Essen Brigitte Schulte (Hameln)
(Siegertsbrunn) Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Olaf Feldmann Dr. Norbert Wieczorek
Rudolf Meinl Hans Peter Schmitz
Dr. Michael Meister (Baesweiler) Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Friedrich Merz Michael von Schmude
Rudolf Meyer (Winsen) Birgit Schnieber-Jastram Der Sache nach bedeutet das eine Mehrheit für die
Hans Michelbach Dr. Andreas Schockenhoff Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf Drucksa-
Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Rupert Scholz che 13/685, über die wir meines Erachtens nicht
Dr. Gerd Müller Reinhard Freiherr mehr abstimmen müssen.
Engelbert Nelle von Schorlemer
Bernd Neumann (Bremen) Dr. Erika Schuchardt (Widerspruch)
Johannes Nitsch Wolfgang Schulhoff - Wir stimmen also formal darüber ab. Wer stimmt für
Claudia Nolte Dr. Dieter Schulte die Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf Druck-
Dr. Rolf Olderog (Schwäbisch Gmünd)
sache 13/685? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die
Friedhelm Ost Gerhard Schulz (Leipzig)
Eduard Oswald Frederik Schulze Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Norbert Otto (Erfurt) Diethard Schütze (Berlin) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Dr. Gerhard Päselt Clemens Schwalbe
Dr. Peter Paziorek Wilhelm-Josef Sebastian
Hans-Wilhelm Pesch Horst Seehofer Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Ulrich Petzold Wilfried Seibel
Anton Pfeifer Heinz-Georg Seiffert Beratung der Beschlußempfehlung und des
Angelika Pfeiffer Rudolf Seiters Berichts des Ältestenrates
Dr. Gero Pfennig Johannes Selle
Dr. Friedbert Pflüger Bernd Siebert Rechtsstellung der Abgeordneten der PDS im
Beat rix Philipp Jürgen Sikora 13. Deutschen Bundestag
Dr. Winfried Pinger Johannes Singhammer
Ronald Pofalla Bärbel Sothmann - Drucksache 13/684 -
1668 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Dazu liegt ein Änderungsantrag der PDS vor. Parlamentsfraktion als einer notwendigen Ein-
richtung des Verfassungslebens aus der Aner-
Interfraktionell ist für die Aussprache eine Fünf- kennung der Parteien (Art. 21 GG). Das ändert
Minuten-Runde vereinbart worden. - Ich sehe kei- aber nichts daran, daß die Bildung der Fraktionen
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. auf der in Ausübung des freien Mandats getroffe-
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Hör- nen Entscheidung der Abgeordneten beruht und
ster. der Bundestag für die Festlegung der Fraktions-
stärke einen eigenen, auf seiner Geschäftsord-
nungsautonomie beruhenden Gestaltungsspiel-
Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin! raum hat.
Meine Damen und Herren! Wir haben in der konsti-
tuierenden Sitzung des 13. Deutschen Bundestages Das Bundesverfassungsgericht hat also das, was der
bereits über das hier anstehende Problem gespro- Deutsche Bundestag in der 12. Wahlperiode in seiner
chen. Wir haben damals die Geschäftsordnung des Geschäftsordnung festgeschrieben hatte, querge-
Deutschen Bundestages aus der 12. Wahlperiode schrieben und außer Streit gestellt, was die Verfas-
übernommen. Das hatte zur Konsequenz, daß diesem sungskonformität anbetrifft.
Hohen Hause nach der Geschäftsordnung vier Frak-
tionen angehören, nämlich die der CDU/CSU, der (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard
SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Hirsch)
F.D.P., und daß wir darüber hinaus gemäß § I 0 Abs. 4
Seit dieser Zeit haben sich die Verhältnisse nicht so
unserer Geschäftsordnung die Mitglieder der PDS als
verändert, daß man an diesen Entscheidungen des
Gruppe akzeptieren.
12. Deutschen Bundestages etwas ändern muß. Wir
Abgesehen von einem Bundestagsbeschluß im haben die Fraktionsstärke des Deutschen Bundesta-
Jahre 1960 bekam die Frage der Gruppenbildung ges gegenüber der 12. Wahlperiode unverändert ge-
und der Rechte von Gruppen innerhalb des Bundes- lassen. Da die PDS auf Grund der Entscheidung der
tages erst wieder aktuelle Bedeutung, als wir unser Wähler in diesem Hohen Hause die Fraktionsstärke
Vaterland vereinigen konnten und aus der - Volks- nicht erreicht hat, muß sie sich mit dem Status einer
kammer 144 Abgeordnete in den Deutschen Bundes- Gruppe zufriedengeben, was der Verfassung ent-
tag delegiert wurden, darunter 24 von der PDS. spricht und was auch den Entscheidungen der Wäh-
ler Rechnung trägt. Daher werden wir dem Ände-
Zu Beginn der 12. Wahlperiode waren als Folge rungsantrag der PDS nicht zustimmen, sondern der
der getrennten Anwendung der Fünfprozentklausel Beschlußempfehlung des Ältestenrates.
im westlichen und östlichen Wahlgebiet politische
Gruppierungen in den Bundestag gewählt worden,
deren Mandatsanteil unter 5 % lag. Das führte dazu, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
daß wir diese Gruppierungen im Bundestag als ge- Hörster, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen. -
schlossene politische Gruppierungen, sozusagen als Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Gruppe, anerkannten. Dieser Beschluß wurde auf die
PDS und die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an-
gewendet. Joachim Hörster (CDU/CSU): Ich möchte die Zwi-
schenfrage nicht gestatten,
Der vom Ältestenrat verabschiedete und in der
12. Wahlperiode vom Bundestag beschlossene Grup- (Zuruf von der PDS: Sehr demokratisch!)
penstatus stellte sicher, daß die Mitglieder der Grup-
pen an der parlamentarischen Meinungs- und Wil- weil wir uns in der Sache sehr intensiv beraten ha-
lensbildung umfassend beteiligt wurden. Sie erhiel- ben und ich nicht den Eindruck habe, daß die Zwi-
ten in den Plenarverhandlungen Redezeit entspre- schenfrage des Kollegen Gysi das Plenum erhellen
chend ihrer Stärke. Es ist darauf hinzuweisen, daß ih- könnte.
nen in der Praxis großzügig entgegengekommen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
wurde.
(Lachen und Widerspruch bei der PDS)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es ist Ihre freie
Sie konnten wie Fraktionen nach dem angewandten Entscheidung, die keiner Begründung bedarf. Sie ha-
Proportionalverfahren vollberechtigte Mitglieder in ben das Wort.
die Fachausschüsse entsenden. Sie hatten das Recht,
Gesetzentwürfe, Anträge, Entschließungsanträge so-
wie Große und Kleine Anfragen einzubringen. Das Joachim Hörster (CDU/CSU): Ich wollte es aber
heißt, es ist in vollem Umfang ihrem Anliegen Rech- gerne begründen, Herr Präsident.
nung getragen worden.
Wir haben in den zurückliegenden Wochen und
Das Verfahren ist dann Gegenstand einer Prüfung Monaten die Gremien des Deutschen Bundestages
durch das Bundesverfassungsgericht gewesen. Das besetzt. Wir haben bei der Besetzung dieser Gremien
Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: entgegen dem, was die PDS in der Öffentlichkeit
fälschlicherweise behauptet, diese Gruppierung
Der Grundsatz der Chancengleichheit der Partei nicht ausgegrenzt,
en beeinflußt nicht den Status der Abgeordneten
im Parlament. Zwar folgt die Anerkennung der (Lachen bei der PDS)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1669
Joachim Hörster
sondern wir haben sie mit vollen Rechten an den sere Verantwortung als Abgeordnete, die Rechtspre-
Ausschuß- und Gremienbesetzungen teilnehmen las- chung unseres höchsten Gerichtes zu berücksichti-
sen, gen. Das tun wir, und deshalb kann ich in keinem
Punkte dem Änderungsantrag zustimmen, den die
(Widerspruch bei der PDS) Gruppe der PDS vorgelegt hat.
soweit das ihre zahlenmäßige Stärke in diesem Ho- (Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS/Linke Liste]
hen Hause gerechtfertigt hat. Nur, wenn der Wähler meldet sich zu einer Zwischenfrage)
entschieden hat, daß Sie hier lediglich mit 30 Ab-
geordneten sitzen, dann können Sie nicht dieselben - Nun wollen Sie wohl eine Zwischenfrage stellen.
Ansprüche geltend machen wie die großen Fraktio- Wenn der Präsident Ihnen das Wort erteilt, habe ich
nen wie SPD und CDU/CSU die auf Grund des Wäh- nichts dagegen, Herr Kollege Gysi.
lervotums mit 250 und mehr Abgeordneten in diesem
Hause vertreten sind. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Na bitte, Herr
(Beifall bei der CDU/CSU) Kollege Gysi, dann können Sie Ihre Zwischenfrage
stellen.
Das kann auch durch eine Geschäftsordnungsent-
scheidung, wie Sie sie gerne hätten, nicht geändert
Dr. Gregor Gysi (PDS/Linke Liste): Herr Kollege
werden.
Struck, ich möchte die Frage stellen, ob Sie nicht ak-
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. zeptieren, daß das Bundesverfassungsgericht nur
darüber entschieden hat, was im Umgang eines Par-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge laments mit den eigenen Abgeordneten rechtlich
ordneten der F.D.P.) möglich ist, wohingegen es heute zunächst um eine
politische Entscheidung geht. Der Spielraum, den
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun das Parlament hat, ist ja vom Bundesverfassungsge-
dem Kollegen Peter Struck das Wort. richt nicht dergestalt begrenzt worden, daß man uns
- nicht den Fraktionsstatus geben dürfte, sondern al-
lenfalls dergestalt, daß man ihn uns nicht geben
Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine Da- muß.
men und Herren! Wir haben heute eine wichtige Ent-
scheidung über den Status der Kolleginnen und Kol- Besteht da nicht doch ein Unterschied, ob man ein
legen der Gruppe der PDS zu treffen. Ich kann ver- Sonderwahlrecht für eine Legislaturperiode hat, als
stehen, daß das für diese Gruppe von besonderer Be- es möglich war, mit nur 5 % der Stimmen in den
deutung ist und daß das Ergebnis dieser Entschei- neuen Bundesländern in den Bundestag einzuzie-
dung für die Kolleginnen und Kollegen aus dieser hen, oder ob es um das Wahlrecht geht, das hier seit
Gruppe möglicherweise Anlaß sein wird, unsere Ent- Jahrzehnten gilt? Jetzt sind wir nach einem Wahl-
scheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, wenn recht in diesen Bundestag eingezogen, das genauso
sich die Mehrheit in diesem Hause auf Grund der Be- schon 1965 oder 1975 gegolten hat, also ohne jede
schlußempfehlung des Ältestenrats gegen ihre Ände- Sonderregelung. Muß man da nicht davon ausgehen,
rungsanträge ausspricht. daß ein nach Wahlrecht gleichberechtigter Einzug
dazu führen sollte, daß es Einschränkungen in den
Ich spreche für die SPD-Fraktion und erkläre, daß Rechten einer Partei im Bundestag nicht gibt, die bei
wir der Beschlußempfehlung des Ältestenrates aus dem zu verabschiedenden Gruppenstatus doch ziem-
verschiedenen Gründen zustimmen. Nach unserer lich erheblich sind? Das ist in erster Linie eine politi-
Auffassung stimmt unsere Geschäftsordnung, die die sche Frage.
Fünfprozentklausel für den Status einer Fraktion
enthält, mit dem überein, was auch im Wahlrecht Im übrigen geht es hierbei auch darum, daß man
gilt. Es gibt keinen Grund, davon abzuweichen. nicht automatisch 20 % der Stimmen in den neuen
Wenn wir in der Geschäftsordnung von der Fünfpro- Bundesländern wesentlich geringer bewertet als ei-
zentklausel abweichen würden, meine Damen und nen solchen Anteil in den alten Bundesländern.
Herren von der Gruppe der PDS, dann stellt sich
schon die Frage, an welchem Punkt der Fraktionssta- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Und nun
tus beginnen soll. Wir haben das in der vergangenen kommt noch Ihre Frage, wenn ich das richtig ver-
Legislaturpe ri ode nach der Bundestagswahl 1990 an stehe.
Hand des Status der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN und auch an Hand des Status der Gruppe der
PDS ausführlich diskutiert. Dr. Peter Struck (SPD): Ich habe sie schon verstan-
den, Herr Präsident, auch wenn er es nicht in Frage-
Die Entscheidungen des Ältestenrates und des Ple- form gekleidet hat. - Also, Herr Kollege Gysi, wir
nums sind Gegenstand eines Überprüfungsverfah- sind jetzt schon in einer rechtlichen Bewertung des-
rens in Karlsruhe gewesen. Ich bin der festen Über- sen, was der Ältestenrat vorgelegt hat und was Sie
zeugung, daß das, was der Ältestenrat mit Mehrheit mit Ihrem Änderungsantrag rechtlich erreichen wol-
vorschlägt, dem entspricht, was das Bundesverfas- len. Man kann juristisch schon so argumentieren wie
sungsgericht festgelegt hat. Ich würde niemals einer Sie. Ich bin selbst Jurist von Beruf und weiß - Sie wis-
Beschlußempfehlung des Ältestenrates zustimmen, sen das auch -, daß diejenigen, die juristisch ausge-
wenn ich Sorge habe müßte, daß das Bundesverfas- bildet sind sagen: Vor Gericht und auf hoher See ist
sungsgericht diese Entscheidung aufhebt. Es ist un- man in Gottes Hand. - Möge es dann doch das Bun-
1670 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Peter Struck


desverfassungsgericht entscheiden, wenn Sie den Redebausteine, mit denen Gregor Gysi jongliert, mit
Weg dorthin gehen. denen er mittlerweile die Hälfte seiner Reden auf
Parteitagen ausfüllt. Genau mit dieser Mischung aus
Meine Position ist folgende: Ich sehe bei dem, was Betroffenheit, aus Empörung und aus Befindlichkeit
der Ältestenrat vorgeschlagen hat - Sie haben mit wird Zustimmung erreicht; denn die wenigsten in
Recht gesagt, es sei eine politische Frage -, keine den ostdeutschen Bundesländern möchten doch die-
politische Diskriminierung Ihrer Gruppe. Ich bin ser Partei „Dem Morgenrot entgegen" folgen, weil
vielmehr der Auffassung, daß wir - Herr Kollege Hör- die Skepsis überwiegt, daß man mit diesen Brüdern
ster hat das in etwas polemischer Art dargelegt; es ist weder „zur Freiheit" noch „zur Sonne" kommt.
bekanntlich nicht meine Art, polemisch vorzutragen -
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
(Lachen bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN)
die Gruppe, der Sie vorsitzen, Herr Kollege Gysi, Wer die PDS nicht als Fraktion anerkennt - ich
schon so behandelt haben, als sei sie eine Fraktion, sage das an die Adresse der Koalition -, macht sie
so daß ich nicht glaube, daß Ihr Argument - das Sie groß. Aber das will die Koalition offensichtlich; denn
auch in der Öffentlichkeit darstellen -, Sie würden unter dem Daueraufkleber „Wir sind ausgegrenzt"
über diesen Status auch politisch diskriminiert, be- verschwindet eigentlich die politische Schwäche der
rechtigt ist. bunten Liste, die quer im Lager der Opposition liegt.
Fazit: Die Entscheidung, die das Plenum heute ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
mutlich gegen Ihren Antrag treffen wird, muß juri-
stisch überprüft werden, wenn Sie glauben, daß das Nur so läßt sich verdecken, daß der Wahlkampfjoker
juristisch nicht zu vertreten sei. Ich bin aber der fe- Stefan Heym nun wahrlich kein parlamentarisches
sten Überzeugung, daß unsere Entscheidung auch As ist. Aber offenbar möchte die Koalition, daß die
vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben PDS das nächste Mal nicht allein über drei Direkt-
wird. mandate in den Bundestag kommt, sondern die Fünf-
prozenthürde überspringt.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun Die PDS ist allerdings nicht so ausgegrenzt, wie sie
dem Kollegen Werner Schulz das Wort. immer tut, oder zurückgesetzt, wie es Gregor Gysi
sagt. Er als einzelner sitzt z. B. - anschaulich - in der
Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gleichen Reihe wie der Bundeskanzler,
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! (Heiterkeit bei der PDS)
Zum wiederholten Male - hoffentlich letztmalig und
in aller Klarheit -: Wir wollen, daß die PDS volle par- um die vorherige Debatte über die Sitzordnung auf-
lamentarische Rechte und damit Arbeitsmöglichkei- zugreifen.
ten erhält und als Fraktion Anerkennung findet. Wir
Meine Damen und Herren, geben wir der PDS
werden deswegen der Beschlußempfehlung des Al-
doch keine Chance zur Verfassungsklage! Schließ-
testenrates nicht zustimmen und in der Konsequenz lich sollten die Gelder der SED, die längst nicht alle
dessen den Änderungsantrag der PDS unterstützen.
bekannt sind, in gemeinnützige Zwecke fließen und
Unsere Geschäftsordnung läßt es zu, daß die
nicht in Prozeßkosten und damit in die Bundeskasse
30 Abgeordneten der PDS - es fehlen nur vier am
oder womöglich in die Taschen von Anwälten - ich
Fraktionsstatus - als Fraktion anerkannt werden kön-
will nicht sagen, sogar von Notaren.
nen. Doch hier geht es eigentlich nicht um eine Ge-
schäftsordnungsfrage, sondern um eine politische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frage.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun
und bei der PDS) dem Kollegen Jörg van Essen das Wort.
Ich sage noch einmal mit aller Klarheit: Wir wollen,
daß die Mitglieder der Partei, die vor kurzem noch zu Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da-
90 % einer Partei angehört haben, die Opposition kri- men und Herren! Der Vorhang geht heute auf für
minalisiert hat, heute - und darin liegt die Souveräni- eine neue Aufführung des immer gleichen Stücks:
tät der parlamentarischen Demokratie - die Möglich- arme, benachteiligte PDS. Daß die PDS nicht arm ist,
keit bekommen, Opposition auszuüben oder zu üben; weiß jeder. Benachteiligt ist sie auch nicht. Sie ist mit
ihren Abgeordneten demokratisch in dieses Haus ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wählt worden. Sie kann - selbstverständlich für eine
Demokratie - sich an der Arbeit in diesem Hause be-
denn der innerparteiliche Leitsatz der PDS heißt
doch wohl: Veränderung beginnt mit Opposition. - teiligen. Wer sich einmal anschaut, was der Ältesten-
Wir nehmen das ernst, was sich die PDS selbst als rat für die Rechtsstellung der Abgeordneten der PDS
Aufgabe gestellt hat. empfiehlt, stellt schnell fest, daß Ihrer Gruppe na-
hezu alle Rechte eingeräumt werden, die auch einer
Alle betonen die inhaltliche Auseinandersetzung Fraktion zustehen. Insbesondere die wichtigen Mit-
mit der PDS. Wohlan, dann greifen wir sie doch auf! gestaltungsmöglichkeiten stehen ihr ohne Einschrän-
Ein Hauptinhalt ihrer Politik ist im Moment die starre kungen zu. Sie kann stimmberechtigte Mitglieder in
Empörung über die Situation der Benachteiligten. Ausschüsse und Kommissionen entsenden, Gesetz-
Das gehört zum festen Repertoire, das sind die festen entwürfe, Anträge, Entschließungsanträge sowie
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1671
Jörg van Essen
Große und Kleine Anfragen einbringen und Aktuelle Manfred Müller (Berlin) (PDS): Herr Präsident! Ver-
Stunden verlangen. Und sie macht auch Gebrauch ehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte ist
davon. schon deutlich geworden, daß hier politisch entschie-
den wird. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß es
All das macht deutlich, daß weiterhin das gilt, was gelingt, die Abgeordneten von unserer Argumenta-
Vertreter des Bundestages in der mündlichen Ver- tion, die im übrigen nicht neu ist, zu überzeugen.
handlung bei einer früheren Klage der PDS vor dem
Bundesverfassungsgericht erklärt haben: Sinn der Der Ältestenrat hat einige Zeit gebraucht, um zur
Handhabung der Geschäftsordnung des Bundesta- Rechtsstellung der Abgeordneten der PDS eine Be-
ges ist es, die im Deutschen Bundestag vertretenen schlußempfehlung vorzulegen. Ich erinnere - das ha-
Gruppen zu integ ri eren, und nicht, sie auszugrenzen. ben meine Vorredner auch schon getan -: Die PDS
Wir haben uns bei unserer Entscheidung im Älte- hat vier Direktmandate errungen, ist mit insgesamt
stenrat in vollem Umfang an die Vorgaben des Bun- 30 Abgeordneten in den 13. Bundestag eingezogen
desverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom gegenüber 17 Abgeordneten der PDS/Linke Liste im
16. Juli 1991 gehalten. Zu den Feststellungen des 12. Deutschen Bundestag, und sie hat nahezu 5 %
Bundesverfassungsgerichts gehört auch, daß die An- der Abgeordnetensitze errungen. Die Situation der
erkennung der Parlamentsfraktionen als eine der PDS im 13. Deutschen Bundestag hat sich also ge-
notwendigen Einrichtungen des Verfassungslebens genüber der Situation der PDS/Linke Liste im vori-
aus der Anerkennung der Parteien in Art. 21 Grund- gen Bundestag erheblich verändert, u. a. auch des-
gesetz folgt, dies aber nichts daran ändert, daß der halb, weil die PDS/Linke Liste 1991 über eine Son-
Bundestag für die Festlegung der Fraktionsstärke ei- derregelung in den Bundestag eingezogen war.
nen eigenen, auf seiner Geschäftsordnungsautono-
mie beruhenden Gestaltungsspielraum hat. Dieser Noch 1991 ist vor dem Bundesverfassungsgericht
Gestaltungsspielraum bedeutet, daß er weder ge- im Organklageverfahren zur Rechtsstellung der
zwungen werden kann, die Zahl der Mitglieder für PDS/Linke Liste erklärt worden, daß einer Partei, die
Fraktionen niedriger anzusetzen als in seinem heute nur knapp die Fünfprozentgrenze verfehlt habe, der
noch geltenden Beschluß von 1969, als noch niemand Fraktionsstatus zu gewähren sei. Diese Äußerung
an die PDS gedacht hat, noch daß er daran gehindert war kein Fauxpas, sondern entsprach einer Rechts-
ist, sie gegebenenfalls sogar höher anzusetzen. auffassung, wie sie insbesondere von dem früheren
Kommentator der Geschäftsordnung des Deutschen
Die praktische Arbeit des Bundestages hat im übri- Bundestages, dem ehemaligen Direktor beim Deut-
gen bisher gezeigt, daß in der Frage der Mitwir- schen Bundestag, Hans Trossmann, vertreten wurde.
kungsmöglichkeiten der PDS eher großzügig als zu- Damals hat wohl noch niemand damit gerechnet, daß
rückhaltend verfahren worden ist. In einer Vielzahl man mit einer PDS im 13. Deutschen Bundestag in
von Fällen ist der PDS mehr Redezeit eingeräumt eine solche vertrackte Situation kommen würde.
worden, etwa wenn sie Antragstellerin war und es
daher sachgerecht war, ihr eine besondere Möglich- Wir werden den Deutschen Bundestag aber nun
keit zur Antragsbegründung einzuräumen. beim Wort nehmen - heute mit der Abstimmung über
(Zuruf des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS]) unsere Anträge, für den nicht überraschenden Fall
der Ablehnung dieser Anträge vor dem Bundesver-
- Das ist so geschehen, Herr Gysi, das können Sie fassungsgericht. Wir, die Abgeordneten der PDS, ha-
nicht bestreiten. Wir haben das auch jetzt getan. Ich ben nun auch genug Gründe, an der Aufrichtigkeit
bin zwar als Geschäftsführer neu im Amt, weiß aber, derjenigen Fraktionen zu zweifeln, die für diese Be-
daß es so etwas durchaus schon oft gegeben hat. Ich schlußempfehlung des Ältestenrats zeichnen, daran
bin sicher, daß wir auch in Zukunft nicht anders ver- zu zweifeln, daß es ihnen um den Ablauf der parla-
fahren werden. mentarischen Arbeit im Bundestag geht.
Ich höre, daß die PDS erneut das Bundesverfas-
sungsgericht in Karlsruhe anrufen wird. Ich kann das Wie in der Begründung zu unseren Anträgen aus-
nur begrüßen; denn dann werden die Fragen geklärt. führlich dargestellt, wurde in früheren Legislaturpe-
Sie wird nach meiner Einschätzung keinen Erfolg ha- rioden auch kleineren Zusammenschlüssen von Ab-
ben und durch das Ergebnis des Prozesses dazu bei- geordneten, so der Deutschen Bauernpartei oder
tragen, daß aus dem Vermögen der nicht armen und dem Zentrum, der Fraktionsstatus gewährt, ohne daß
nicht benachteiligten PDS dann doch die eine oder die sogenannte Funktionstüchtigkeit der parlamen-
andere Mark im Staatssäckel landet. tarischen Arbeit für den Bundestag jemals in Frage
stand. Die Zusammenschlüsse waren den großen
Vielen Dank. Fraktionen nämlich politisch genehm, es waren
keine Gegner und keine Konkurrenten.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Die Gründe für die jetzige Ausgrenzung der PDS
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun zeigen sich deutlich vor diesem historischen Hinter-
das Wort dem Kollegen Manfred Müller. grund und angesichts der vielfältigen Behinderun-
(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Kollege van Essen gen unserer parlamentarischen Arbeit, etwa bei der
weiß nicht einmal, daß es keine Gebühren Verweigerung von längeren, zusammenhängenden
beim Bundesverfassungsgericht gibt!) Redezeiten, der Wahl zum Vermittlungsausschuß
oder gar dem ungeheuerlichen Verhalten bei der
- Es kann trotzdem teuer werden, Herr Kollege Gysi. Wahl zum Gemeinsamen Ausschuß.
1672 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Manfred Müller (Berlin)


Einer der Höhepunkte dieser ganzen Auseinander- meinsam auf mit kleinkarierter Rechthaberei! Unter-
setzung ist auch die Verweigerung von finanziellen stützen Sie zumindest unsere Hilfsanträge! Nur dann
Zuwendungen des Bundes an eine parteinahe Stif- können Sie bei der nächsten Wahl erklären, Sie hät-
tung der PDS. Das ist kleinkariert, intolerant und un- ten einen gleichberechtigten Gegner bekämpft.
demokratisch.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS)
(Beifall bei der PDS - Joachim Hörster Zwingen Sie uns also nicht, unser Recht wie schon
[CDU/CSU]: Nein, das ist demokratisch und 1991 erneut vor dem Bundesverfassungsgericht ein-
gesetzeskonform!) zuklagen!

Bekämpfen Sie uns politisch-inhaltlich - da stimme Ich danke Ihnen.


ich Ihnen, Herr Schulz, voll zu -, die Geschäftsord- (Beifall bei der PDS)
nung ist dafür untauglich!

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe
DIE GRÜNEN) damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß-
Wer von der herrschenden Meinung abweichende empfehlung des Ältestenrates und über verschie-
Auffassungen und Haltungen nicht ertragen kann, dene Anträge der PDS. Wir haben es verstanden, die
sollte zumindest akzeptieren, daß die Abgeordneten relativ einfache Problemlage in eine ziemlich kompli-
der PDS von mehr als zwei Millionen Wählerinnen zierte Geschäftsordnungslage zu verwandeln.
und Wählern gewählt wurden, die sich ebenfalls aus-
gegrenzt fühlen müssen. (Joachim Hörster [CDU/CSU[: So ist es! Das
sehe ich auch so!)
Juristisch ist das alles nur haltbar, wenn mit der
Deshalb bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit.
Funktionstüchtigkeit des Deutschen Bundestages
zusammenhängende Gründe geltend gemacht wer- Wir stimmen zunächst über Nr. 3 der Beschlußemp-
den können. Wie aber wollen Sie das erreichen? In fehlung des Ältestenrates auf der Drucksache 13/684
der Beschlußempfehlung des Ältestensrates sind je- ab. Der Ältestensrat empfiehlt, den Antrag der PDS
denfalls keine Gründe genannt. Das zirkelschlüssige auf Drucksache 13/4 - Änderung von § 10 der Ge-
Argument, unser Gruppenstatus - mit den damit ein- schäftsordnung in der Weise, daß die PDS Fraktion
hergehenden eingeschränkten Rechten - habe sich wird - abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfeh-
bewährt, können Sie wohl nicht ernsthaft ins Feld lung ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen-
führen. Für 30 Ihrer Kolleginnen und Kollegen hat er probe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Be-
sich nicht bewährt. Wie wollen Sie begründen, daß schlußempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion
30 Abgeordnete der PDS von einer vollen Mitwir- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS an-
kung im Ältestensrat ausgeschlossen werden, von ei- genommen.
nem Organ, das wesentlich zur Verständigung bei-
tragen soll, wenn nicht damit, daß Sie mit den Nun kommen wir zu den Nrn. 1 und 2 der Be-
30 Abgeordneten der PDS tatsächlich keine politi- schlußempfehlung des Ältestenrates auf Drucksache
sche Auseinandersetzung, erst recht keine Verstän- 13/684. Dazu liegen Änderungswünsche der PDS auf
digung wollen? Wie wollen Sie sachlich begründen, Drucksache 13/724 vor.
daß Sie der PDS verweigern, nach § 35 unserer Ge- Mit Buchstabe A dieser Änderungswünsche wird
schäftsordnung in größeren Debatten Redezeiten bis Anerkennung der PDS als Fraktion durch besonde-
zu 15 Minuten zusammenzufassen? ren Beschluß des Bundestages beantragt. Wer für
den Buchstaben A des Änderungsantrages der PDS
Die Willkürlichkeit - und deren politischer Hinter- stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen-
grund - wird erst recht offenbar an der Tatsache, daß probe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Än-
Sie der PDS lediglich den hälftigen Grundbetrag zu- derungsantrag der PDS mit der gleichen Mehrheit
billigen und uns damit in unserer Arbeitsfähigkeit wie vorhin abgelehnt.
entscheidend schwächen. Die PDS würde ca. 3 Mil-
lionen DM jährlich an Grundbeträgen mehr erhalten, Unter Buchstabe B des Änderungsantrages auf
wenn sie nur vier Sitze mehr errungen hätte. Wo ist Drucksache 13/724 werden sieben Änderungen des
da der Sinn, wenn es nicht der ist, unsere Arbeit ge- in der Beschlußempfehlung des Ältestenrates vorge-
genüber den anderen Fraktionen zu behindern? Wie sehenen Gruppenstatus gewünscht. Darüber stim-
wollen Sie an Hand dieser Vergleichszahlen rechtfer- men wir jetzt ab. Wer für diese Änderungen stimmt,
tigen, daß Sie den kleineren Fraktionen, die keines- den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -
wegs doppelt so groß sind und auch nicht doppelt so- Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag unter
viel Arbeit leisten, einen doppelt so hohen Grundbe- Buchstabe B ist mit der gleichen Mehrheit wie vorhin
trag zubilligen, übrigens einen ebenso hohen Grund- abgelehnt.
betrag wie den großen Fraktionen? Damit ist der Änderungsantrag auf Drucksache 13/
724 insgesamt abgelehnt.
Mit unseren Hilfsanträgen verfolgen wir das Ziel,
gerecht behandelt und den Fraktionen mindestens Nun kommen wir zu den Nrn. 1 und 2 der
gleichgestellt zu werden. Auch wenn Sie unserem Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf Druck-
Hauptantrag nicht zustimmen wollen: Hören wir ge- sache 13/684. Wer diesen Nrn. 1 und 2 der Beschluß-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1673
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
empfehlung des Ältestenrates zustimmt, den bitte ich ren 1991 und 1992 steht die gesetzliche Krankenver-
um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthal- sicherung damit wieder auf einem soliden Funda-
tungen? - Dann sind die Nrn. 1 und 2 der Beschluß- ment. Man kann mit Fug und Recht sagen, daß diese
empfehlung mit der gleichen Mehrheit wie vorhin Reform ein Erfolgsmodell war und ist.
angenommen. Damit ist die Beschlußempfehlung des
Ältestenrates auf Drucksache 13/684 zur Rechtsstel- (Beifall bei der CDU/CSU)
lung der Abgeordneten der PDS im 13. Deutschen Der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz
Bundestag insgesamt angenommen. wurde zum 1. Januar 1995 in den alten Ländern aul
13,2 % und in den neuen Ländern auf 12,8 % redu-
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b ziert.
auf: Die erste Botschaft: Wir haben nach wie vor Über-
schüsse und eine Tendenz zu sinkenden Beiträgen in
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
der gesetzlichen Krankenversicherung.
rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Die zweite wesentliche Botschaft - auch das war
Sozialgesetzbuch - 3. SGB V-Änderungs- ein Kernziel des Gesundheitsstrukturgesetzes -: Die
gesetz - (3. SGB V-ÄndG) Beitragssatzunterschiede zwischen den verschiede-
nen Krankenkassen sind spürbar verringert worden.
- Drucksache 13/340 - Das ist ein Erfolg des Risikostrukturausgleichs. 36
aller gesetzlich Krankenversicherten hatten zu Be-
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- ginn der Gesundheitsreform einen Beitragssatz, der
desregierung Zweiter Bericht des Bundes- mehr als einen Prozentpunkt vom durchschnittlichen
ministeriums für Gesundheit zur Entwick- allgemeinen Beitragssatz abwich. Jetzt ist diese Ab-
lung der Beitragssätze in der gesetzlichen weichung nur noch bei 16 % der Krankenversicher-
Krankenversicherung und zur Umsetzung ten gegeben. Wenn man einmal die Versicherten be-
der Empfehlungen und Vorschläge der trachtet, die sogar um mehr als zwei Punkte vom all-
Konzertierten Aktion zur Erhöhung - der gemeinen durchschnittlichen Beitragssatz abwei-
Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit und Wirt- chen, dann stellt man fest, daß sich dieser Anteil von
schaftlichkeit im Gesundheitswesen 16 % Anfang 1993 auf jetzt unter 3 % verringert hat.
(Zweiter Bericht nach § 141 Abs. 4 SGB V) Der Risikostrukturausgleich hat also seine gewollten
Wirkungen entfaltet. Damit sind entscheidende Vor-
- Drucksache 12/8570 -
aussetzungen für einen fairen Kassenwettbewerb
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für und auch für die erweiterte Wahlfreiheit der Versi-
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - cherten ab 1996 geschaffen worden.
Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so Das dritte - auch das war und bleibt ein Ziel dieser
beschlossen. Reform : Die Qualität der medizinischen Versor-
-

gung ist gesichert. Ich denke, wir haben in den letz-


Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bun- ten 24 Monaten den Beweis dafür angetreten, daß
desminister Seehofer das Wort. Leistungsfähigkeit einerseits und Sparsamkeit ande-
rerseits kein Gegensatz sind. Die erzielten Einspa-
rungen gingen nicht zu Lasten der medizinischen
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Versorgung. Vielmehr wurden Wirtschaftlichkeitsre-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und serven mobilisiert.
Herren! Das Gesundheitsstrukturgesetz ist bekannt-
lich am 1. Januar 1993 in Kraft getreten. Die wesent- Ich stelle nach zwei Jahren Gesundheitsstrukturre-
lichen Instrumente dieses Gesetzes sind ebenso wie form mit besonderer Freude fest: Das deutsche Ge-
die Budgetierung auf drei Jahre ausgelegt, also bis sundheitswesen gehört nach wie vor zu den lei-
Ende 1995. Deshalb haben wir jetzt zwei Drittel der stungsfähigsten auf der Welt. Ich behaupte sogar, es
Laufzeit dieses Gesetzes im Kern hinter uns. Es ist ist das leistungsfähigste auf dieser Erde. Das ist die
sicher an der Zeit, im Zusammenhang mit dem ge- wichtigste Botschaft für die Versicherten und für die
setzlichen Auftrag zur Berichterstattung über die Bei- Kranken: Das Sparen ging nicht zu ihren Lasten.
tragsentwicklung in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung eine Bilanz zu ziehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.)
Das Ziel dieses Gesetzes war es, die Harmonie von
Ich möchte einige Einzelpunkte aus der Finanzent-
Einnahmen und Ausgaben festzustellen. Wir können
wicklung 1994 gesondert herausgreifen.
auch nach dem zweiten Jahr der Laufzeit festhalten,
daß dieses Ziel nicht nur erreicht, sondern sogar In den neuen Ländern hatten wir ein leichtes Defi-
übertroffen worden ist. Nach dem sehr großen Über- zit von 200 Millionen DM. Das ist eine Folge der ge-
schuß im Jahre 1993 haben wir nach den Finanzer- wollten großzügigen Ausnahmen aus den Budget-
gebnissen auch 1994 innerhalb der gesetzlichen und Übergangsregelungen, die der Gesetzgeber be-
Krankenversicherung insgesamt einen Überschuß wußt eingegangen ist, um den Übergang in den
von rund 2,1 Milliarden DM erwirtschaftet. Nach der neuen Ländern auf ein selbstverwaltetes freiheitli-
Ausgabenexplosion mit Rekorddefiziten und dem ches Gesundheitssystem ohne größere Verwerfun-
sprunghaften Anstieg der Beitragssätze in den Jah- gen zu ermöglichen.
1674 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Bundesminister Horst Seehofer


Ich nenne als Besonderheit des Jahres 1994 zwei- Das liegt an einer Entscheidung des Gesetzgebers,
tens die siebenprozentige Steigerungsrate bei der die parteiübergreifend im Zusammenhang mit der
konservierenden zahnärztlichen Behandlung. Ich er- Rentenreform 1989 gefällt wurde, nämlich daß für Ar-
wähne dies deshalb, weil man die Behauptung eini- beitslose nicht mehr von 100 %, sondern nur noch
ger zahnärztlicher Funktionäre im September und von 80 % ihrer Bemessungsgrundlage die Beiträge
Oktober des Jahres 1994, man könnte Patienten an die Krankenversicherung ab 1995 gezahlt wer-
mangels Finanzen nicht mehr behandeln, also die den. Das verringert die Einnahmeerwartung der ge-
Boykottdiskussion, bei einer Steigerungsrate von 7 setzlichen Krankenversicherung ganz erheblich, in
nachträglich nur als - um keinen härteren Begriff zu Milliardenhöhe, meine Damen und Herren, und dies
gebrauchen - gesundheitspolitisches Schauermär- führt dazu, daß die Einnahmeentwicklung in der ge-
chen des Jahres 1994 einstufen kann. Es hat sich das setzlichen Krankenversicherung 1995 nur sehr
herausgestellt, was wir bereits im September/Okto- schmal ist, und die Budgets beziehen sich ja auf die
ber gesagt haben, daß die Versorgung der Patienten sehr schmale Einnahmeerhöhung.
zu jedem Augenblick auch finanziell gewährleistet
und gesichert war. Man sollte sich diesen Vorgang Ich füge aber noch einmal hinzu, daß dies eine Ent-
merken, denn wir werden mit Sicherheit, wenn nicht scheidung des Deutschen Bundestages aus dem
dieses Jahr, aber vielleicht auch schon dieses Jahr, Jahre 1989 war, parteiübergreifend im Zusammen-
ähnliche Schauermärchen und den Versuch solcher hang mit dem Konsens zur Rentenreform, und daß
Schauermärchen wieder erleben. wir gewissermaßen jetzt auch die Folgen innerhalb
der gesetzlichen Krankenversicherung zu vollziehen
Ein Sorgenkind sind die stationäre Versorgung haben.
und die Fahrtkosten. Hier liegen die Ausgaben bei
weitem über den Einnahmen. Die stationären Kosten Gleichzeitig - auch das muß hinzugefügt werden -
sind in den alten Bundesländern annähernd um 7 haben wir eine Entlastung der Krankenversicherung
gestiegen, die Fahrtkosten um 14 %. Damit haben durch die Pflegeversicherung ab 1. April 1995 von
die Fahrtkosten im vierten Jahr hintereinander zwei- bis zu 3 Milliarden DM, weil die Pflegegelder und
stellige Steigerungsraten. Pflegehilfen in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung wegfallen und von der Pflegeversicherung er-
Meine Damen und Herren, da gibt es jetzt nicht wirtschaftet werden. Insgesamt können wir davon
nur eine Verantwortung der Selbstverwaltung, son- ausgehen, daß wir auch 1995 finanziell ein ausgegli-
dern hier sind auch alle Bundesländer in besonderer chenes Ergebnis in der gesetzlichen Krankenversi-
Weise gefordert, die im Bereich der Fahrtkosten und cherung erreichen können, allerdings nur unter der
der Krankenhäuser besondere Verantwortung tra- Voraussetzung, daß die Instrumente des Gesund-
gen. heitsstrukturgesetzes mit größter Sorgfalt und Aus-
gabendisziplin umgesetzt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ansonsten, meine Damen und Herren, könnte es
Ich füge ausdrücklich hinzu, daß ich hier Verständ-
sein, daß wir schon 1995 in eine Schieflage bei der
nis für die Klage der niedergelassenen Ärzte habe,
Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der gesetzli-
die Klage nämlich, daß sie sehen müssen, wie ein
chen Krankenversicherung kommen. Das ist keine
Teil des Sparvolumens aus den Sparmaßnahmen, die
neue Erkenntnis. Die Koalition hat bereits im Früh-
sie im ambulanten Bereich mit sehr hohem Verant-
jahr 1992, also bevor das Gesundheitsstrukturgesetz
wortungsbewußtsein verwirklicht haben, vom statio-
verabschiedet wurde, mehrfach öffentlich erklärt,
nären Bereich, vom Krankenhausbereich, geschluckt
daß aus ihrer Sicht das Gesundheitsstrukturgesetz
wird. Ich füge hinzu: Es kann nicht so bleiben, daß
nur zeitlich befristet Wirkung entfalten wird und daß
ein Teil der Beteiligten im deutschen Gesundheits-
wir deshalb eine weitere Reform brauchen.
wesen sich sehr korrekt an die gesetzgeberischen
Vorgaben hält und in einem anderen Teil mit außer- Meine Damen und Herren, im Moment können wir
ordentlicher Großzügigkeit diese Sparanstrengun- zufrieden sein. Wir dürfen uns aber nicht darauf ver-
gen zunichte gemacht werden. lassen, daß diese gesundheitspolitische Schönwetter-
periode anhält. Spätestens mit dem Ablauf der drei-
Ich möchte mich ausdrücklich beim gesamten
Pharmabereich und beim gesamten ambulanten me- jährigen Budgetierung müssen wir uns wieder auf
dizinischen und ärztlichen Bereich bedanken, weil schwierigere Zeiten einrichten.
dort die Sparmaßnahmen des Gesundheitsstruktur- Meine Damen und Herren, daran ändern auch uto-
gesetzes sehr korrekt und verantwortungsbewußt pische, visionäre und meines Erachtens sehr theoreti-
eingehalten und umgesetzt wurden. sche Vorstellungen mancher Beteiligter in der derzei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tigen Diskussion nichts. Ich bekomme immer den
Vorschlag, doch noch die Strukturelemente des
Zur Finanzentwicklung 1995. Die Prognose für die Gesundheitsstrukturgesetzes umzusetzen; dann
Grundlohnsummenentwicklung beträgt in den alten brauchten wir keine weitere Gesundheitsreform und
Ländern 1,7 %, in den neuen Ländern 3,5 %. Meine liefen nicht Gefahr, an der Schnittstelle von 1995 zu
Damen und Herren, das ist eine sehr geringe Steige- 1996 möglicherweise in rote Zahlen zu kommen.
rungsrate.
Ich stelle hier noch einmal öffentlich fest: Alle
Viele werden sich fragen: Wieso nur 1,7 % und Strukturelemente des Gesundheitsstrukturgesetzes,
3,5 % Steigerung, wenn aktuelle Tarifabschlüsse, die die einen Finanzeffekt auslösen können, sind umge-
doch deutlich darüber liegen, vorausgesagt werden? setzt. Es ist von keiner Maßnahme, die struktureller
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1675
Bundesminister Horst Seehofer
Natur ist, ein zusätzlicher finanzieller Ertrag zu er- Wer dies weiter verfolgt, meine Damen und Her-
warten. ren, wird von mir Tag für Tag die Frage bekommen:
Wollen Sie, daß in diesen drei Gebieten zu Lasten der
Ich nehme als ein Beispiel für viele andere Dinge Versicherten irgend etwas ausgegrenzt wird? Wei-
die immer wieder in die Diskussion gebrachte Posi- chen Sie dann nicht aus mit dem WIdO und 6 Mil-
tivliste bei den Arzneimitteln. Meine Damen und liarden DM für zweifelhafte Arzneimittel in der Bun-
Herren, es war immer meine Auffassung - darauf desrepublik Deutschland!
komme ich noch zurück -, daß eine Liste der verord-
nungsfähigen Medikamente allenfalls unter Quali- Lieber Kollege Dreßler, setzen wir uns zusammen!
tätsgesichtspunkten diskussionswürdig ist, daß es Ich lege Ihnen eine Liste vor, und Sie streichen mir
aber eine blanke Illusion ist, zu glauben, eine Liste die Medikamente an, die zu Lasten der Versicherten
der verordnungsfähigen Medikamente könnte auch ausgegrenzt werden sollen. Ich bin überzeugt, Herr
nur 1 DM zugunsten der gesetzlichen Krankenversi- Dreßler, Sie werden mir kein einziges Arzneimittel
cherung einsparen. ankreuzen. Das ist doch auch die Art und Weise der
Meine Damen und Herren, ich habe große Skepsis. Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland, daß
Ich sage: Nach meiner Überzeugung wird die Positiv- man damit ganze Talk-Shows - eineinhalb Stunden -
liste nicht kommen. bestreiten kann. Alle reden über die Positivliste und
treten für sie ein, aber kein Journalist kommt auf den
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Klare Erkennt Gedanken, einen der teilnehmenden Politiker oder
nis!) Ärzte zu fragen: Sagen Sie mir bitte ein Medikament,
das nach Ihrer Ansicht ausgegrenzt werden soll! Das
Ich stelle jetzt den Anhängern der Positivliste, da- ist die Art und Weise der Diskussion, die in der Bun-
mit sie sich nicht zu sehr mit der Stange im Nebel der desrepublik Deutschland geführt wird.
Theorie in den nächsten Wochen und Monaten in In-
terviews in manchen Boulevardzeitungen noch her- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
umbewegen, drei ganz einfache Fragen, und zwar
Fragen, die mir von der Anhängerschaft der Positivli- Wir werden uns an alles halten, was im Gesetz
ste als Bedingungen definiert worden sind.- steht. Aber Sie werden Gelegenheit bekommen, uns
konkret zu sagen, welches Medikament zu Lasten
Erste Frage: Will jemand von der SPD wirklich, daß der Versicherten ausgegrenzt wird; denn, meine Da-
auch nur ein Medikament der Naturheilmittel aus men und Herren, Positivliste heißt im Klartext: Das
dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenver- soll eine Liste sein, die weniger Medikamente für die
sicherung ausgegrenzt wird? Sagen Sie das hier der Versicherten vorsieht als heute.
deutschen Öffentlichkeit!
Da gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder ver-
Zweite Frage: Wollen Sie, daß auch nur ein einzi-
ges Bagatellarzneimittel aus der Liste der verord- ordnet der Arzt überhaupt kein Medikament mehr,
weil er der Meinung ist, das Gespräch reicht aus,
nungsfähigen Medikamente mit der Folge ausge-
oder der Arzt verordnet, und der Versicherte muß es
grenzt wird, daß es der Versicherte selbst zu bezah-
len hat? bezahlen, oder der Arzt verordnet nicht mehr das
Medikament, das ausgegrenzt wurde, sondern ein
Dritte Frage: Wollen Sie, daß auch nur eine Indika- anderes Medikament, das in der Liste ist.
tion - wie von manchen beabsichtigt - bei den Lei-
stungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit Wir wissen aus der Vergangenheit, daß dies dazu
der Folge ausgegrenzt wird, daß beispielsweise Mit- führt, daß Medikamente, die bisher billig waren,
tel gegen Gehirnleistungsstörungen, die bei Alzhei- durch teure ersetzt werden, und Medikamente, die
mer-Krankheiten für die Betroffenen eine sehr not- man bisher zur sanften Medizin gezählt hat, plötzlich
wendige Hilfe sind, herausfallen? durch die Chemie ersetzt werden. Beides ist sozialpo-
litisch und gesundheitspolitisch unerwünscht. Das ist
Wenn ich aber die Fragen beantworten würde, so die Realität.
wie sie die SPD in der Öffentlichkeit gegenüber der
Bevölkerung beantwortet, muß ich folgendes feststel- (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch
len: Sie wollen das Naturheilmittel nicht herausfallen bei der SPD)
lassen. Das wollen auch wir nicht. Sie wollen nicht,
daß Bagatellarzneimittel zu Lasten der kleinen Leute, - Lieber Kollege Dreßler, ich bin gut aufgelegt. Ich
die einen schmalen Geldbeutel haben, ausgegrenzt gestatte eine Zwischenfrage. Ich bin einverstanden.
werden. Das wollen auch wir nicht. Wir alle wollen
nicht, daß ganze Indikationen in der Versorgung der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
Bevölkerung aus der Leistungspflicht bei Medika-
Dreßler, dann schreiten Sie zur Tat.
menten herausgenommen werden.
Meine Damen und Herren, ich stelle mir die Frage:
Was soll denn die theoretische Diskussion über eine Rudolf Dreßler (SPD): Herr Minister Seehofer, darf
Positivliste, wenn die drei wesentlichen Elemente ich aus Ihren Darlegungen, die Sie gegenüber dem
nach Übereinstimmung aller Politiker in der Bundes- Bundestag gerade gemacht haben, entnehmen, daß
republik Deutschland nicht angetastet werden sol- Ihnen erst in den letzten zwei Monaten, sprich: nach
len? ungefähr zweijähriger Gültigkeit eines Gesetzes, die
inhaltliche Ausgestaltung einer Positivliste durch
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ihre Beamten erklärt worden ist?
1676 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Unterstellung. Das nehmen Sie jetzt bitte aber zu-
Nein, lieber Herr Dreßler, ich bin von Ihnen persön- rück, damit hier kein falscher Eindruck entsteht.
lich aufgeklärt worden. Wir beide haben darüber ge-
sprochen. Der Kollege Dreßler hat mir einige Bedin- Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
gungen als Geschäftsgrundlage für eine Positivliste Das nehme ich zurück.
genannt. Einen Teil dieser Bedingungen habe ich
jetzt hier für die Öffentlichkeit wiedergegeben.
Rudolf Dreßler (SPD): Gut.
(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sehr interessant!)
Eines ist der wesentliche Unterschied zum Jahre Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
1992. Diejenigen, die uns die Positivliste vorgeschla- Aber dann darf ich aus den Gesprächen, die wir dazu
gen haben, können jetzt nicht nachschieben: Dieses geführt haben, zitieren.
und jenes und ein Drittes kommt mit uns aber nicht (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das ist ja in
in Frage. Ich sage, Herr Dreßler; Sie und einige Ihrer teressant! - Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Gibt
Kolleginnen und Kollegen haben sich durch öffentli- es keine Protokollanten? - Horst Friedrich
che Festlegungen, durch Podiumsdiskussionen ge-
[F.D.P.]: Es ist immer schlecht, wenn es kein
meinsam mit Koalitionsabgeordneten in einer Weise Wortprotokoll gibt!)
eingelassen, daß ich nicht mehr davon ausgehen
kann, daß diejenigen, die uns die Positivliste vorge- Ich sage ja: Ich habe die Fragestellungen, die ich
schlagen haben, die wir 1992 mitbeschlossen haben, hier eingebracht habe, für mich beantwortet. Herr
in der Öffentlichkeit dazu stehen, wenn es konkret Dreßler hat gesagt: Naturheilmittel, homöopathische
wird. Mittel, die positiv monographiert sind, können nicht
ausgegrenzt werden. Da habe ich gesagt, das wäre
Ein Spiel mache ich nicht mit: daß wir etwas umset- rechtswidrig, das könnte nicht gemacht werden.
zen, was Sie uns vorgeschlagen und was wir mit be- Ganz eindeutig.
schlossen und mit zu verantworten haben, und an-
schließend werden wir von Ihnen dafür geprügelt,
- (Rudolf Dreßler [SPD]: Gut!)
daß wir das umsetzen, was Sie uns vorgeschlagen ha-
Ich habe jetzt die Frage gestellt: Gibt es im Deut-
ben. Das machen wir nicht mit.
schen Bundestag jemanden, der ein Naturheilmittel,
(Beifall bei der CDU/CSU) ein sanftes Arzneimittel, aus dem Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung ausgrenzen
will? Das habe ich für mich beantwortet: Ich will das
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sind Sie ein- nicht. - Darin stimmen wir überein.
verstanden, daß Herr Dreßler eine zweite Frage
stellt? Nur, Herr Kollege Dreßler, das Problem beginnt
dann, wenn eine ganze Indikation ausgegrenzt wird.
Wenn eine ganze Indikation ausgegrenzt wird, kön-
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: nen Sie nicht sagen: Das chemische Arzneimittel
Ja. wird aus dem Leistungskatalog der GKV herausge-
(Zuruf von der CDU/CSU: Obwohl die erste worfen, und das Naturheilmittel bleibt drin. - Das
ungehörig war!) würde beim Verfassungsgericht keinen Tag gelten.
(Rudolf Dreßler [SPD]: Ja, natürlich nicht!
Rudolf Dreßler (SPD): Unabhängig davon, Herr Das steht auch im Gesetz!)
Minister, daß das letzte, was Sie hier geäußert haben, Da haben Sie mir gesagt, Sie hätten vor Ihrer Frak-
eine Unterstellung war, frage ich Sie, ob Sie sich er- tion - nicht jetzt, sondern damals bei der Verabschie-
stens erinnern, daß ich in dem Gespräch, das wir er- dung des GSG - die Zusicherung gegeben. Das ha-
wähnterweise geführt haben, die Frage gestellt ben mir verschiedene Fraktionskollegen erzählt,
habe, ob Sie bereit wären, falls Gerüchte stimmten, auch der damalige Fraktionsvorsitzende, der mich
daß der Elferrat den Gesetzestext bei seiner Be- um Auskunft gebeten hat. Ich habe gesagt: Das steht
schlußfassung verletze, der da sagt, daß positiv mo- zwar nicht im Gesetz, aber offensichtlich sind diejeni-
nographierte homöopathische Mittel bis zum gen, die das Gesetz verabschiedet haben, von der
31. Dezember 1992 automatisch in die Positivliste Geschäftsgrundlage ausgegangen, daß Naturheilmit-
kommen, sich dem zu widersetzen, und ob Sie sich tel nicht ausgegrenzt werden können und sollten, je-
zweitens erinnern, daß Sie mir darauf geantwortet denfalls diejenigen nicht, die positiv monographiert
haben: „Falls Sie das nicht einhalten, werde ich das jetzt auf dem Markt sind, auch dann nicht, wenn ein
nicht unterschreiben", und daß ich dann gesagt ganzes Indikationsgebiet ausgegrenzt wird.
habe: Dann sind wir uns einig; dann gibt es keine
Probleme. (Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist falsch!)
Das ist mein Problem.
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
Herr Kollege Dreßler, wenn Sie hier heute öffent-
Dann gibt es keine Positivliste, haben Sie gesagt.
lich sagen: „Ganze Indikationsgebiete auszugrenzen
trage ich mit, auch dann, wenn Naturheilmittel be-
Rudolf Dreßler (SPD): Dann gibt es keine Pro- troffen sind; ich bin bereit, Mittel gegen geringfügige
bleme, habe ich gesagt. Das ist ja nun wirklich eine Gesundheitsstörungen in die Verantwortung des Pa-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1677
Bundesminister Horst Seehofer
tienten zu übertragen" - das hat nämlich nichts mit - Ich habe damit überhaupt kein Problem.
Qualität zu tun, sondern mit sozialen Aspekten -,
dann lade ich Sie ein, zum Institut zu fahren und das (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Unser Mi
fachlich zu erörtern. nister hat kein Problem!)

Nur eines kann man nicht machen: Man kann Wir haben ein Gesetz und zwei Möglichkeiten.
nicht für die Positivliste eintreten und gleichzeitig Wahrscheinlich müssen wir beide Möglichkeiten be-
Bedingungen dafür definieren, was mit der Positivli- schreiten. Die eine Möglichkeit ist, daß Sie den Sach-
ste nicht geschehen darf, und zwar sozial, pharmako- verständigen sagen, das wollen Sie oder wollen Sie
logisch und medizinisch. Herr Dreßler, aus dieser nicht.
Diskussion werde ich Sie nicht entlassen.
Die zweite Möglichkeit ist, daß Sie vom Gesund-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU heitsminister, der nach dem Gesetz dafür verantwort-
und der F.D.P. - Rudolf Dreßler [SPD]: Wir lich ist, eine Liste bekommen, die Sie im Bundesrat
sind mittendrin!) billigen oder ablehnen können. Ich sage Ihnen nur:
Nach § 92a Abs. 5 Nr. 3 Sozialgesetzbuch V kön- Die Liste wird drei Dinge nicht enthalten. Sie wird
nen Arzneimittel gegen geringfügige Gesundheits- keine Indikationsgebiete ausschließen, weil ich das
störungen in der Positivliste nicht mehr enthalten aus verschiedenen Gründen - es würde die Zeit
sein. Nennen Sie der deutschen Öffentlichkeit ein heute überschreiten, darauf einzugehen - für außer-
oder zwei Arzneimittel, die nach Ihrer Auffassung ordentlich verhängnisvoll halte. Sie wird keine Aus-
jetzt zu Lasten des Versicherten ausgegrenzt werden grenzung von Bagatellarzneimitteln zu Lasten der
sollen! Versicherten enthalten.

Ich bitte um Vorschläge. Wenn Sie die Vorschläge (Zuruf des Abg. Horst Schmidbauer [Nürn
nicht selbst machen wollen, könnte ich Ihnen über berg] [SPD])
einen Pharmakologen eine Liste zukommen lassen,
und Sie kreuzen mir das an, was nach § 92a Abs. 5 - Ich habe kein Problem, Herr Schmidbauer. Sie ha-
Nr. 3 ausgegrenzt werden soll. Wir müssen- in ben in der „AZ" gesagt, wenn ich diese Meinung
Deutschland damit aufhören, daß man als Politiker verträte, würde ich wortbrüchig. Jetzt werden wir
ständig nur mit allgemeinen Aussagen Politik betrei- einmal sehen, welchen Dingen Sie zustimmen und
ben kann und nicht die moralische Pflicht hat, kon- welchen nicht. Sie veranstalten nach außen ein Thea-
kret zu werden. ter, und nach innen sind wir offensichtlich einer Mei-
nung, daß die Positivliste nicht der große Renner sein
(Beifall bei der CDU/CSU) kann.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister, (Beifall bei der CDU/CSU - Rudolf Dreßler
der Kollege Dreßler möchte noch eine Frage stellen. [SPD]: Sie haben das Theater doch veran
staltet!)

Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: - Nein, Wolfgang Lohmann, Herr Möllemann, Herr
Bitte. Thomae und Wolfgang Zöller haben in aller Gelas-
senheit auf dieses Problem hingewiesen. Sie haben
Rudolf Dreßler (SPD): Herr Kollege Seehofer, nach- gesagt: Gehen wir ehrlich mit der Bevölkerung um.
Der große Wurf wird das nicht werden. Deshalb: Fin-
dem wir den ersten Teil des Gesetzes abgearbeitet
ger weg! - Dann haben Sie von Wortbruch gespro-
und augenscheinlich einvernehmlich festgestellt ha-
chen. Wir halten mit allen Mitteln daran fest. Jetzt
ben, was bis zum 31. Dezember positiv monogra-
stehen Sie im Deutschen Bundestag auf und sagen:
phierte Präparate betrifft, darf ich Sie jetzt fragen: Ist
Wo ist eigentlich das Problem? In den Punkten, die
Ihnen bekannt, daß wir beide gemeinsam mit den
Sie genannt haben, sind wir einer Meinung.
Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundes-
tags in dieses Gesetz im folgenden Absatz den Fall (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)
geregelt haben, daß andere Präparate, Indikations-
gruppen nicht durch mich oder durch Sie - das ist Wir halten das fest, Herr Dreßler.
nämlich nicht unsere Aufgabe -, sondern durch das
Arzneimittelinstitut zur Streichung vorgeschlag en (Zurufe von der SPD)
werden, und daß das logischerweise in der Konse-
quenz auch homöopathische Indikationsgruppen - Wir halten fest, Frau Schaich-Walch und Frau
treffen kann? Steen: Wir sind einer Meinung. Dann darf aber auch
Herr Schmidbauer nicht mehr in München rumlau-
Wenn das so ist - und das steht im Gesetz -, frage fen und sagen: Wortbruch. Es kümmert mich zwar
ich Sie: Wo liegt eigentlich Ihr Problem, Herr Mi- nicht so sehr, wenn der das sagt. Das bereitet mir
nister? keine schlaflose Nacht. Ich stelle jetzt fest: Wir sind
in unserer Meinung ziemlich deckungsgleich. Ich
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: halte das für das Protokoll fest.
Ihr Problem liegt in Ihrer Aussage mir gegenüber -
Das zweite ist die Illusion, man könnte die Budge-
(Rudolf Dreßler [SPD]: Ihr Problem! Wo liegt tierung fortführen. Erstens müssen Sie auch hier in-
Ihr Problem?) nerhalb der SPD Klarheit schaffen. Herr Müntefe-
1678 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Bundesminister Horst Seehofer


ring, Sozialminister von Nordrhein-Westfalen hat am Wir sind noch längst nicht über den Berg; es wird
9. Dezember 1994 ein monatelanger Prozeß. Aber ich bin in meinem
Optimismus leicht bestärkt worden, daß diese Part-
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wann war das?) nerschaft möglich ist.
- 9. Dezember 1994, Ende des letzten Jahres - in der Meine Damen und Herren, es wird ein freiheitli-
„Ärzte-Zeitung" erklärt: „Wir halten uns an das, was ches und sozial ausgerichtetes Gesundheitswesen
in Lahnstein vereinbart worden ist. Die Budgetierung bleiben. Herr Dreßler, was Sie immer wieder in man-
hat ein Ende und es wird so kommen, wie es verein- chen Interviews mit dem sehr charmanten Begriff
bart worden ist. Das zeigt die Begrenztheit planwirt- „Schweinekram" umschreiben, ist eine bloße Unter-
schaftlicher Ins trumente. " stellung, eine pure Vermutung.
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wer hat das ge (Rudolf Dreßler [SPD]: Ach ja?)
sagt?)
Herr Dreßler, ich sage hier noch einmal: Eine Ge-
- Der SPD-Sozialminister Müntefering in der „Ärzte sundheitsreform, die etwa den Schwerpunkt hätte,
Zeitung" im Dezember 1994. Nachdem ein führender daß Kranke die Zeche bezahlen, wird es mit diesem
Gesundheitspolitiker der SPD im Dezember 1994 er- Gesundheitsminister und auch mit der CDU/CSU
klärt hat, daß die Budgetierung kein Mittel über 1995 nicht geben.
hinaus ist, kann doch die SPD-Bundestagsfraktion
(Beifall bei der CDU/CSU)
von der Koalition, wie geschehen, nicht fordern: Hört
euer Geschwätz mit der Dritten Reform auf; verlän- Wir können doch keine aktuelle Diskussion füh-
gert die Budgetierung. Auch das ist doppelzüngige ren, die besagt: Die Menschen sind mit Steuern und
Politik, die wir nicht durchgehen lassen. Abgaben nicht weiter zu belasten. Politiker, die das
erkennen, können nicht gleichzeitig den Kranken
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine höhere Selbstbeteiligung auferlegen. Das kann
es nicht geben. Deshalb bleibt es eine soziale Kran-
Deshalb bleibt nur eine Möglichkeit. Wir müssen
kenversicherung. Man kann nicht den einfachen
uns rechtzeitig Gedanken machen, wie wir- das deut-
Weg gehen, einfach irgendwelche Leistungen her-
sche Gesundheitswesen mit seiner sozialen Ausrich-
tung und in seiner hohen Qualität zukunftsweisend auszuschmeißen - das ginge dann zu Lasten der Ver-
sicherten - oder die Selbstbeteiligung zu erhöhen.
für den Rest dieses Jahrhunderts und darüber hinaus
gestalten. Es führt kein Weg daran vorbei, sich die- Wir müssen schon unser Gehirnschmalz einsetzen,
sen Reformüberlegungen zu stellen. Trotz des GSG um Strukturelemente zu finden, die aus sich heraus
geeignet sind, diese Dinge in den richtigen Proportio-
und des von mir nicht bestrittenen Erfolges des GSG
auch bei vielen strukturellen Maßnahmen - den Risi- nen zu halten.
kostrukturausgleich habe ich ja angesprochen - müs- Darüber hinaus ist es mein Anliegen - das werden
sen wir zur Kenntnis nehmen: Die Bremswirkung wir in der Koalition gemeinsam machen -, die Selbst-
verliert zunehmend an Kraft. Ich bin dafür, daß wir verwaltung zu stärken und der Selbstverwaltung im
nicht wieder so lange warten, bis uns das Wasser an Vertragswesen und im Wettbewerb die Möglichkei-
der Unterlippe steht und wir dann unter Zeitdruck ten zu geben, die sie seit Jahren von der Politik ein-
ohne ausreichende fachliche Abklärung in der Hek- fordert, damit sie aus eigener Kraft heraus Qualität,
tik ein Gesetz machen. Vielmehr bin ich dafür, daß soziale Dimension und Beitragssatzstabilität in der
wir Politiker jetzt die Zwischenzeit nutzen, um ein gesetzlichen Krankenversicherung gewährleisten
langfristiges, möglichst von vielen partnerschaftlich kann. Vorfahrt für die Selbstverwaltung - das wer-
mitgetragenes Konzept für die Zukunft zu entwik- den wir jetzt mit allem Ernst verwirklichen. Gleich-
keln. Ich frage: Muß denn die Politik mit Reformen zeitig werden wir die Beitragssatzstabilität gewähr-
immer warten, bis der Leidensdruck so groß ist, daß leisten. Beide Dinge gleichzeitig sicherzustellen, das
man keine Wahl mehr hat? ist eine bessere Antwort auf die Probleme, als immer
wieder neue Paragraphen und Gesetze zu schaffen.
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein, das muß
sie nicht!) Es sind seit 1977 6 800 Einzelbestimmungen ergan-
gen. Mit 6 800 Einzelbestimmungen hat der Gesetz-
Wir brauchen diese Reformen, nicht um die Men- geber immer wieder in das deutsche Gesundheitswe-
schen zu ärgern, sondern um dieses gewaltige und sen eingegriffen. Aber er war nicht in der Lage, die
hochwertige System sicher in die Zukunft hinüberzu- Finanzprobleme dauerhaft zu lösen. Deshalb müssen
führen. wir einmal innehalten und überlegen, ob der alte
Weg der Regulierungsspirale der richtige ist oder ob
(Zuruf von der SPD: Dann tun Sie das
wir nicht neue Wege gehen müssen, um das Gesund-
auch!)
heitswesen von dem ständigen politischen und staat-
Das ist der Weg; ihn beschreiten wir. Ich setze auf lichen Eingriff freizuhalten.
die Partnerschaft mit allen Beteiligten. Die Gesprä- Ich bin für den neuen Weg, für den Vorrang der
che, die wir bisher geführt haben, haben mich in mei- Selbstverwaltung unter Aufrechterhaltung der sozia-
nem Optimismus leicht bestärkt, daß wir die nächste len Ausrichtung der gesetzlichen Krankenversiche-
Gesundheitsreform möglicherweise in Partnerschaft rung.
mit den Krankenkassen, den Ärzten, den Kranken-
häusern und dem Pharmabereich zustande bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1679

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Martin hingewiesen habe: Wer durch höhere Selbstbeteili-
Pfaff, Sie haben das Wort. gung einen zusätzlichen Ertrag zugunsten der ge-
setzlichen Krankenversicherung erzielen will, wird
Dr. Martin Pfaff (SPD): Herr Präsident! Herr Bun- dies nur erreichen können, wenn er den Kranken-
desminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die hausaufenthalt und die ärztliche Behandlung in
heutige Plenardebatte sollte eigentlich zum 3. SGB- diese Selbstbeteiligung einbezieht.
V-Änderungsgesetz sein, Herr Minister, und die heu-
Wer dies nicht tut, hat keine Mark zusätzliche Ein-
tige Plenardebatte sollte eigentlich zum Zweiten Be-
nahmen, weil in allen anderen Bereichen die Selbst-
richt des Bundesministeriums der Gesundheit zur
beteiligung zum Teil schon über 10 % liegt - übri-
Entwicklung der Beitragssätze und zur Umsetzung
gens auch auf Grund des Vorschlages der SPD-Bun-
der Empfehlungen der Konzertierten Aktion sein. Sie
destagsfraktion, die Selbstbeteiligung bei Arzneimit-
sollte auch - das war sie teilweise sogar - zur Umset-
teln von der Packungsgröße abhängig zu machen.
zung des Gesundheitsstrukturgesetzes sein.
Sie haben zwar nicht die Selbstbeteiligung vorge-
Die heutige Debatte hat aber für mich, für uns, schlagen, aber die Art und Weise der Bemessungs-
meine ich, das gesundheitspolitische Dilemma auf- grundlage vorgeschlagen und zur Bedingung ge-
gezeigt, in dem Sie sich, Herr Seehofer, in dem sich macht. Diese Bedingung hat die Versicherten
die Koalition befindet. Sie hat die Widersprüche auf- 600 Millionen DM mehr gekostet.
gezeigt, in denen sich Ihre eigenen Berichte und Ihre
persönlichen Aussagen verstricken. Dennoch hat sie Weil wir diese nicht mehr weiter belasten können,
ein klein wenig, so hoffe ich jedenfalls, eine Chance habe ich den Ärzten und anderen gesagt: Sie müssen
für diese Legislaturperiode aufgezeigt. wissen, wenn Sie solche Forderungen stellen, daß
dies die Beteiligung an der ärztlichen Dienstleistung
Ich beginne mit dem strategischen Dilemma. Unser und am Krankenhausaufenthalt bedeutet. Aber bei-
früherer Kollege Paul Hoffacker hat es auf den Punkt des ist aus meiner Sicht nicht vorstellbar.
gebracht, als er sagte: Sie können hier einerseits un-
streitige Gesetze einbringen, wie das, was von dem (Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Und
GKV-Anpassungsgesetz jetzt noch im 3. SGB-V-Än- die Frage?)
derungsgesetz enthalten ist. Das heißt, Sie können
hier faktisch den Eindruck, den viele haben, verstär- - Ob er das zur Kenntnis nehmen will, Herr Schmid-
ken, daß nämlich die Regierungskoalition in der Ge- bauer. Sie müssen lernen zuzuhören.
sundheitspolitik dieser Epoche ein zahnloser Tiger
ist. Und dies ist ein Beispiel.
Dr. Martin Pfaff (SPD): Herr Bundesminister Seeho-
Sie können andererseits natürlich nichtzustim- fer, ich nehme natürlich gerne alles zur Kenntnis -
mungsbedürftige Gesetze einbringen. Sie können auch wenn es mich manches Mal erstaunt -, was Sie
aus der Mottenkiste - Sie haben es kurz angespro- zur Gesundheitspolitik sagen. Sie denken aber über
chen - die Selbstbeteiligung wieder auferstehen las- eine unsinnige Regelung - so ähnlich haben Sie und
sen. andere Kollegen die Regelung an anderer Stelle ge-
Ich war doch sehr erstaunt, Herr Bundesminister: nannt - im Krankenhaus nach, wo der einzelne Pa-
Ist es nicht so, daß Sie am 10./11. Januar in den Ge- tient bzw. die einzelne Patientin eine äußerst be-
sprächen mit den Ärzten die Selbstbeteiligung the- schränkte Einwirkung auf die Verweildauer, auf die
matisiert haben, daß Sie die Ärzte gefragt haben, daß Behandlungsdauer hat. Wir wissen doch, daß die jet-
Sie einen Prüfauftrag an Ihr eigenes Haus gegeben zigen Formen eigentlich unsinnig sind, weil sie größ-
haben, über die Steuerungswirkung der Selbstbetei- tenteils zu hohe Verwaltungskosten nach sich zie-
ligung zu recherchieren? Dabei wissen wir doch alle, hen. Die Wirkung der zehnprozentigen Selbstbeteili-
daß sie nicht steuerungswirksam ist - deshalb kann gung, die Sie auf dem Petersberg am 10./11. themati-
man sie vergessen - und daß sie die sozialpolitischen siert haben, kennen wir.
Ziele der gesetzlichen Krankenversicherung verletzt
Auch Ihre Fachbeamten waren bei der Vier-Län-
- deshalb muß man sie vergessen. Sie haben ja fä-
der-Konferenz vor wenigen Tagen, bei der es um die
hige Fachbeamte. Warum hören Sie nicht auf sie?
Reformerfahrungen in den USA, in Kanada, Holland
Warum bringen Sie dieses Gespenst, das wir in Lahn-
stein, hoffte ich, endgültig begraben hatten, heute und Deutschland ging. Dort war das einhellige Vo-
wieder in den Bundestag? tum der führenden Gesundheitsökonomen der Welt:
Laßt doch die Hände von der Selbstbeteiligung. Ent-
weder steuert sie nicht - dann kann man sie verges-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Pfaff, ge- sen -, oder sie schränkt die Inanspruchnahme durch
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten die unteren sozialen Schichten ein; dann muß man
Seehofer? sie vergessen. Ich bin eigentlich enttäuscht, daß Sie
das hier immer wieder vorbringen müssen.
Dr. Martin Pfaff (SPD): Selbstverständlich.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Horst Seehofer (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege
Pfaff, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich bei
all den Gesprächen der letzten drei Monate auf dem Vizepräsident Hans Klein: Der Kollege Zöller
Petersberg immer wieder auf folgenden Umstand würde ebenfalls gerne eine Zwischenfrage stellen.
1680 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Ma rtin Pfaff (SPD): Ja, gerne, wenn es meine Seite sagen Sie, die Demographie und der technische
Redezeit nicht verändert, Herr Präsident, mit Genuß. Fortschritt seien keine kurzfristigen Faktoren für die
Ausgabendynamik; aber langfristig müsse man sehr
wohl das gesamte System in Frage stellen. Mit
Vizepräsident Hans Klein: Natürlich nicht. Bitte,
Freude glaubte ich feststellen zu können, daß Sie vor
-

Herr Kollege Zöller.


Weihnachten und heute teilweise wieder gesagt ha-
ben: Wir wollen keine Rationierung; wir wollen keine
Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Herr Kollege Pfaff, Schmälerung des Leistungskataloges; wir wollen
sind Sie mit mir einer Meinung, daß man, wenn man keine Regel- und Wahlleistungen, und wir wollen
eine Frage stellt und die Hintergründe damit durch- keine Privatisierung der Gesundheitsrisiken. Aber
leuchtet, auch zu der Erkenntnis kommen kann, daß genau das machen Sie. Sie sprechen in Ihren Fragen
man gerade das, was Sie uns unterstellen, ausschlie- an den Sachverständigenrat die Leistungsausgren-
ßen will und daß man den Leuten, die immer von zung, die Rationierung, das Abkassieren, die Regel-
mehr Selbstbeteiligung sprechen, mit Zahlen klarma- und Wahlleistungen und ähnliches mehr an.
chen will, daß die Forderung nach mehr Selbstbetei-
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
ligung ein Schuß in den Ofen ist?
CSU]: Schlimmer geht es nicht! - Wolfgang
Zöller [CDU/CSU]: Sie unterstellen uns
Dr. Ma rtin Pfa ff (SPD): Herr Kollege Zöller, würden Dinge, die niemand behauptet hat!)
Sie mir zustimmen, daß es, wenn man eine Frage
stellt, für die man die Antwort eigentlich schon in der Wenn ich noch im Sachverständigenrat wäre, Herr
Tasche hat, eine Form der Verdummung der Ge- Bundesminister, würde ich mich echt veräppelt füh-
sprächspartner und eine Schaufensteraktion ist und len. Denn entweder ist dieser Auftrag an den Sach-
keine inhaltlich-materielle Handlung? verständigenrat ernst - dann müßte man eigentlich
auch warten, bis die Befunde vorliegen -, oder es ist
(Beifall bei der SPD) ebenfalls nur eine Schaufensterveranstaltung.
Denn Ihre Beamten wissen ganz genau - auch Sie Ich komme jetzt zur Empfehlung der Konzertier-
-
wissen es -, wie sich die Selbstbeteiligung auswirkt. ten Aktion. Dazu wird in dem Bericht zu Recht und
korrekterweise festgestellt, daß die Empfehlungen
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mir ist zwar
neu, daß ich Beamter bin oder Beamte zum Krankenhausbereich noch nicht vollständig, zu
habe! Aber das ehrt mich!) den Heil- und Hilfsmitteln kaum und im Rettungs-
dienst gar nicht umgesetzt sind. Dann folgt die Kritik
an der Konzertierten Aktion, daß sie nicht in der
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Pfaff, Sie Lage ist zu steuern. Jetzt sage ich aber: Die Kon-
sollten vielleicht nicht ganz so streng in der Beurtei- zepte, die hier zugrunde liegen, also die Budgetie-
lung sein. Sonst dürfte ich als amtierender Präsident rung der Ausgaben und die Steuerung über Mengen
einen Großteil der Fragen nicht zulassen. und Preise, stehen eigentlich seit 1977 im Gesetz.
Das sollte einmal jemand verfolgen. Nein, es ist doch
Dr. Ma rtin Pfa ff (SPD): Alles klar. Ich danke Ihnen, am mangelnden politischen Willen und am fehlen-
Herr Präsident, für diese Information. den Mut gescheitert, unpopuläre Entscheidungen
gegen mächtige Interessengruppen durchzusetzen.
Sie haben eine zweite Möglichkeit, liebe Kollegin- Das war doch das Problem.
nen und Kollegen von der Regierungskoalition: Sie
können noch tiefer in die Mottenkiste hineingreifen (Beifall bei der SPD)
und solche Änderungen im Leistungsrecht durchfüh- Herr Bundesminister, wir bekennen uns zum Ge-
ren, für die Sie die Zustimmung des Bundesrates sundheitsstrukturgesetz.
nicht brauchen. Aber wenn Sie das machen, dann
verletzen Sie nicht nur den Geist von Lahnstein, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann unter
dann verletzen Sie nicht nur den ausbalancierten stellen Sie den anderen nicht Dinge, die sie
Konsens des Gesundheitsstrukturgesetzes, nicht gesagt haben!)
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nennen Sie Wir fordern auch ein, daß es nach Buchstabe korrekt
einen von der Koalition, der das will! Wer umgesetzt wird.
will das denn?)
dann, Herr Bundesminister, gehen Sie hinter Ihr ei- Vizepräsident Hans Klein: Herr Professor, gestat-
genes Wort zurück, das Sie im Ausschuß mehrfach ten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordne-
gegeben haben. Deshalb sage ich noch einmal: Was ten Horst Seehofer?
im Konsens vereinbart wurde, kann nur im Konsens
verändert werden. Dr. Ma rtin Pfaff (SPD): Ja, natürlich, Herr Präsident.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr.
Offensichtlich habe ich im Vergleich zu anderen
ein größeres Interesse an dem Thema des heutigen
Tages, nämlich vor allem am Zweiten Bericht und Horst Seehofer (CDU/CSU): Herr Kollege und Pro-
auch ein wenig am Dritten Änderungsgesetz. Hier fessor Pfaff, Sie wissen ganz genau, daß in der Kon-
sehe ich erhebliche Widersprüche. Auf der einen zertierten Aktion alle Bundesländer sitzen. Sie wis-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1681
Horst Seehofer
sen auch ganz genau, daß mein dreijähriges Bemü- Im Jahre 1994 begann bereits wieder die Ausga-
hen in der Konzertierten Aktion in wichtigen Fel- bendynamik. Sie wird sich im Jahre 1995 fortsetzen.
dern, die Sie gerade angesprochen haben, an dem Dies ist eine bedrohliche Entwicklung, die nicht mit
massiven Widerstand der Bundesländer gescheitert dem Berichtstext und auch nicht mit Ihrer Darstel-
ist, insbesondere bei den Fahrtkosten und den im lung übereinstimmt.
vierten Jahr zweistelligen Steigerungsraten.
Es ist ja keine Kunst, ein Kostendämpfungsgesetz
zu formulieren und es zeitlich so zu plazieren, daß
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Seehofer, man über die nächste Bundestagswahl kommt. Es
jetzt müßten Sie aber etwas fragen. stellt sich allerdings die Frage, ob die „Budgetierung
mit Zähnen", die wir ja gemeinsam beschlossen ha-
Horst Seehofer (CDU/CSU): Ich frage deshalb, ob ben - lassen Sie uns das nicht vergessen -, jetzt ein
es denn zutrifft, daß zu diesen mächtigen Lobbyisten anderes Muster bewirkt. Wir sehen bisher, daß sich
verbänden in der Konzertierten Aktion, die Sie ge- die alten Muster auch jetzt wiederholen, so daß,
nannt haben, möglicherweise auch das eine oder an- wenn nichts geschieht, eine ganz ernsthafte Entwick-
dere SPD-geführte Land gehört, das bei den Kran- lung auf uns zukommt.
kenhaus- und den Fahrtkosten sehr wohl die Interes- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Es geschieht ja
sen der dortigen Träger vertreten hat und nicht zu was!)
Sparmaßnahmen bereit war.
- Das werden wir sehen.
Dr. Ma rt in Pfa ff (SPD): Herr Bundesminister, eine Ich komme zu den Strukturelementen des Ge-
Ihrer Aussagen, die ich wirklich mit Respekt zur sundheitsstrukturgesetzes. Ich weiß, daß, wie ein in-
Kenntnis genommen habe, war folgende. Im Ge- ternationaler Vergleich zeigt, die Budgetierung die
sundheits-Reformgesetz haben wir den Kranken- Ausgaben steuern kann, wenn sie richtig angewen-
hausbereich wegen der Macht der Länder ausge- det wird. Sie garantiert aber nicht rationale Struktu-
klammert. Sie haben gesagt: Ich habe daraus gelernt; ren. Das wissen wir aus der internationalen Erfah-
-
das war falsch, das wollen wir im Gesundheitsstruk- rung. Die Hoffnung aller, die hier in diesem Hause
turgesetz nicht wiederholen. Jetzt frage ich Sie: sitzen, muß es doch sein, daß diese Form der „Bud-
Warum existiert diese Lernfähigkeit nicht auch bei getierung mit Zähnen" wirksamer ist als das, was wir
den Themen, die wir hier ansprechen? Warum wer- beim KVKG, beim KVEG und beim GRG und ähnli-
den die bösen Buben immer in den Ländern, bei der chem erlebt haben. Da bin ich wirklich sehr skep-
Konzertierten Aktion, bei den Spitzenverbänden tisch geworden.
oder bei den Ärzteverbänden gesucht? Wenn wir die
Schwächen dieses Instruments so lange gekannt ha- Ich bin übrigens auch sehr erstaunt, Herr Bundes-
ben, dann gibt es keine Entschuldigung dafür, daß minister, daß Sie es für wichtiger erachtet haben,
wir nicht versucht haben, diese zu beheben. heute vormittag die Presse über diese Ergebnisse zu
unterrichten, bevor Sie dem Plenum des Deutschen
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das haben Bundestages zu einer so wichtigen Entwicklung
Ihre Kollegen jetzt nicht verstanden!) Rede und Antwort gestanden haben. Das verstehe
ich wirklich nicht.
Ich komme zum nächsten Punkt. Herr Bundesmini-
ster, der Bericht zeigt auf - Sie haben es heute wie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
der betont -, daß das Beitragsniveau gesunken ist DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Uner
und daß sich die Beitragssatzspanne verringert hat. hört!)
Das ist richtig. Allerdings haben Sie heute nicht deut-
lich genug dargestellt - jedenfalls für mich nicht Nun komme ich zu den strukturgestaltenden Ele-
deutlich genug -, daß die Grundlohnsumme im Jahre menten des Gesundheitsstrukturgesetzes. Ja, es gibt
1994 in den alten Bundesländern um 2,5 % und in Bereiche, die nicht genügend geregelt wurden. Das
den neuen Bundesländern um 9,17 % gestiegen ist, sage ich ohne Wenn und Aber. Beispielsweise haben
daß die Kassenausgaben aber um ein Vielfaches, wir wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden
nämlich um 6,8 % in den alten Ländern und um Zeit die Wettbewerbsparameter nach einem Risiko-
15,5 % in den neuen Ländern, gestiegen sind. strukturausgleich in Lahnstein nicht im Detail disku-
tieren können. Das konnten wir auch im Gesetzge-
Das heißt, es zeichnet sich exakt dieselbe Situation bungsverfahren nicht verfolgen. Flexible Vertrags-
ab, die wir schon einmal hatten. Es ist eine bekannte formen und Erprobungsregelungen sind legitime
Situation: Bei jedem Kostendämpfungsgesetz gibt es, Themen, über die man reden kann. Es geht auch um
wie wir wissen - das Gesundheitsstrukturgesetz ist die Frage: Wer hat die Verantwortung für die Steue-
ein Kostendämpfungs- und ein Strukturgestaltungs- rung in einer Welt von Fallpauschalen und Sonder-
gesetz - mehrere Phasen. Zunächst gibt es die An- entgelten? Das einzelne Krankenhaus kann man
kündigungs- oder Vorwegnahmephase. Die hatten nicht prügeln, wenn es sich an die Strukturen an-
wir im Jahre 1992. Da sind die Ausgaben beim Zahn- paßt. Wer trägt aber die Gesamtverantwortung, ins-
ersatz gestiegen. gesamt und in der Region? Wo sind die regionalen
Instrumente?
Dann kam die Umsetzungsphase des Gesetzes. Die
Ausgaben sind entsprechend gesunken, und die Bei- Übrigens noch etwas. Wenn wir schon die Wettbe-
träge haben sich stabilisiert oder wurden gar ge- werbslandschaften neu ordnen wollen, Herr Bundes-
senkt. minister - Sie haben ja eine Kommission mit Profes-
1682 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Martin Pfaff


sor Wasem als Vorsitzenden -, dann gehört auch die Wo ist die materielle Umsetzung der Arztzahlsteue-
Wettbewerbslandschaft innerhalb der PKV geregelt; rung? Auch bei der Kapazitätsverordnung wird ent-
denn es geht doch nicht an, daß einzelne PKV-Versi- weder die Bedarfsplanung weniger restriktiv ge-
cherte nicht umwechseln können, weil sie die Rück- handhabt - dann muß aber budgetiert werden -,
lagen nicht mittragen. Noch weniger geht es an, daß oder, wenn sie wirklich restriktiv gehandhabt wird,
der Wettbewerb im Rosinenpicken zwischen PKV dann wird sich eine Situation ergeben, die wir in
und GKV in der Zukunft fortgesetzt wird. Lahnstein allesamt nicht vorhergesehen haben, daß
es nämlich junge Ärztinnen und Ärzte gibt, die schon
Es wäre des Schweißes der Edlen würdig zu fra- Mitte der neunziger Jahre keine Zulassung mehr fin-
gen, welche Konsequenzen sich in einer solchen, den werden.
besseren Wettbewerbsordnung ergeben. Darauf ha-
ben wir bisher keine Antwort gegeben. Großgeräterichtlinien - Abstaffelung weder formell
noch materiell noch Bedarfsplanung. Ambulantes
Zweitens gibt es aber auch Konkretisierungsdefi- Operieren im niedergelassenen Bereich; Honorarzu-
zite bei Bereichen, die wir in Lahnstein geregelt ha- wachs durch die Mengenexpansion aufgefressen; im
ben, beispielsweise dabei, wie die Verzahnung von Krankenhausbereich zu geringe Anreize - bis zu
ambulant und stationär tatsächlich aussehen soll. 10 % des Leistungsgeschehens kämen hierfür in
Frage. Richtgrößen: Fehlmeldung, außer, natürlich,
Dann gibt es Umsetzungsdefizite bei geregelten
aus Bayern, Herr Bundesminister. Darüber werden
und konkretisierten Bereichen, und, Herr Bundesmi-
wir uns natürlich nicht streiten. Wo sind die Richtgrö-
nister, da kann ich Ihnen überhaupt nicht folgen.
ßen, die wir eigentlich alle haben wollten, die Arznei-
Fangen wir doch einmal beim Krankenhaus an: Fall-
mittelfestbeträge usw. usf.?
pauschalen und Sonderentgelte. Sie decken einen
viel zu geringen Teil des Leistungsgeschehens. Es ist Meine Redezeit ist nicht mehr so lang, sonst wäre
heute absehbar, daß sie nicht kostendämpfend, son- ich sehr gern auf die Positivliste eingegangen. Herr
dern in der Tendenz eher kostensteigernd wirken Bundesminister, tun Sie doch Ihren Teil, damit uns
werden. diese Positivliste, die als Phantom durch die Diskus-
sionen geistert, endlich einmal vorgelegt werden
-
(Zuruf von der SPD: Dank der Bundespfle kann, damit wir uns inhaltlich damit auseinanderset-
gesatzverordnung!) zen können.
- Ja, dank der Bundespflegesatzverordnung, natür- (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/
lich. CSU: Sie muß doch erst im Juni vorgelegt
Es wird weiter leider einen Verschiebebahnhof ge- werden!)
ben, wo Teile der Kosten, die eigentlich in die Pau- Ich höre hier Wertungen, ohne daß die Liste vorge-
schalen gehörten, zu dem noch immer nach dem al- legt ist. Deshalb sage ich: Es ist nicht die Aufgabe
ten Prinzip der Selbstkostendeckung geregelten Be- des Deutschen Bundestages, über einzelne Natur-
reich verschoben werden. heilmittel, über Bagatellheilmittel oder über Pharma-
kotherapie zu entscheiden. Das ist die Aufgabe der
Das ist die Achillesferse des gesamten Gesund- Sachverständigen und nicht der Politik. Damit wäre
heitsstrukturgesetzes; denn ohne eine wirksame sie auch hinlänglich überfordert.
Steuerung im Krankenhaus wird es nie und nimmer
eine Beitragssatzstabilität im deutschen Gesund- Zum Risikostrukturausgleich gäbe es mehreres zu
heitswesen geben. So einfach und so bedrohlich ist sagen. Das ist, Herr Bundesminister, dankenswerter-
das. weise einer der Bereiche, wo die Umsetzung - mit ei-
nigen Pannen - im großen und ganzen geklappt hat.
Auch was die Monistik angeht - selbst wenn wir in Ich erinnere mich noch an unsere Dialoge und
Lahnstein eine allgemeine Richtung vorgegeben ha- nehme mit breitem Lächeln die tatsächliche Umset-
ben -, so reicht das nicht aus. Man müßte da weiter zung zur Kenntnis; denn das, was wir an Unschärfen
gehen. gesehen und als praktisch machbar eingeschätzt hat-
Die EBM-Reform: Ich würde mich ja freuen, wenn ten, hat sich realisiert. Auch die Individualisierung
die Leistungskomplexhonorare dem entsprechen der Rentnerbeiträge wäre möglich gewesen, wenn
würden, was wir in Lahnstein wollten. Man kann man die zwei Jahre etwas besser genutzt hätte.
doch nicht sagen, Herr Bundesminister, dies sei ma- Jetzt komme ich zum Ausblick. Herr Bundesmi-
teriell umgesetzt, weil es ein Papier gibt oder weil nister, Sie selbst haben die Zukunft angesprochen.
eine Vereinbarung existiert. Nein, nicht die formelle, Ich sage noch einmal: Es gibt zwei Strategien. Ent-
sondern die materielle Wirkung dieser Instrumente weder muß man die Strukturelemente beschleunigen
ist wichtig. Wir haben doch alle ein vitales Interesse und mit Biß versehen. Aber da sehe ich, wie uns al-
daran, daß die Strukturelemente funktionieren. len die Zeit davonläuft. Oder es gibt die zweite Stra-
tegie: Wenn wir vermeiden wollen, daß die Kosten
Ich sage jetzt schon: Das, was angedacht ist - Ordi-
explodieren, wenn wir nicht eine Ausgabendynamik
nationsgebühr, Konsultationsgebühr, Therapiemo-
altgewohnter Art ab 1. Januar haben wollen, dann
dule, 50 bis 55 % in Leistungskomplexen, und zwar müssen wir, ob wir es wollen oder nicht - es gibt sehr
für die Zuwendung und nicht für die Technik -, ver-
positive, aber auch kritische Argumente -, die Bud-
hindert leider nicht die Fortsetzung der Ausgabendy-
getierung in irgendeiner Form fortsetzen.
namik, der Mengendynamik in diesem Bereich. Das
ist bedenklich. (Zuruf des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1683
Dr. Martin Pfaff
Diejenigen, die das nicht wollen, die sich verwei- Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol-
gern, tragen eine besondere Verantwortung. Das lege Lohmann. Solange Sie sich in Ihrer Rede an den
sagt einer, der sich für Fallpauschalen und Sonder- Kollegen Dreßler wenden: Er ist im Moment abge-
entgelte und für Leistungskomplexe im ambulanten lenkt, wenn auch auf eine sehr angenehme Weise.
Bereich ausgesprochen hat.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der hört hin
(Bundesminister Horst Seehofer: Müntefe ten recht gut!)
ring!)
Bitte fahren Sie fort.
- Herr Bundesminister, die Fachleute sagen uns übri-
gens auch, daß die Positivliste aus Qualitäts- und
Transparenzgesichtspunkten notwendig ist. Sie Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Es
sagen: Die Zeit schreit nach einem Konsens, die Zeit hat mir nichts ausgemacht. Bei Herrn Dreßler hatte
schreit nach einem sinnvollen inhaltlichen Dialog ich es nicht anders erwartet. Aber ich sprach soeben
aller, die sachkundig sind. mit Herrn Professor Pfaff.
(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Die Zeit Unsere Koalition sagt: Das eine zur Kenntnis neh-
schreitet voran!) men, aber an die Zukunft denken und auf dieser Ba-
sis nach neuen Lösungen suchen. Wenn immer wie-
Herr Bundesminister, Sie sagten, Sie setzen auf die der behauptet wird: Ihr seid nicht bereit, bestimmte
Partnerschaft. Aber es ist doch nicht die SPD, die in Dinge des Lahnstein-Kompromisses umsetzen, bei-
der jetzigen Situation den Konsens verweigert. Es ist spielsweise die Positivliste, dann kann ich nur mit
die Koalition, die unter sich nicht einig werden kann Adenauer sagen, Herr Kollege Dreßler und Herr Kol-
und deshalb keine Perspektiven hat. lege Kirschner: Sie werden mich nicht daran hindern,
(Beifall bei der SPD) wieder etwas klüger geworden zu sein.

Herr Bundesminister, wenn Sie so weitermachen, (Rudolf Dreßler [SPD]: Das ist aber eine mu
wenn Sie GKV-Anpassungsgesetze bringen, - von de- tige Aussage!)
nen Sie selber wissen, daß sie Lahnstein in Frage Denn wo kämen wir hin, wenn Politik darin bestehen
stellen, wenn Sie die Positivlisten in Frage stellen, müßte, daß einmal mit größerer oder kleinerer Mehr-
wenn Sie die Umsetzung nicht mit Nachdruck betrei-
heit Beschlossenes nie wieder in Frage gestellt wer-
ben, dann provozieren Sie geradezu ein Schlußwort den dürfte?
von mir: Herr Bundesminister, nicht in Lahnstein, in
Philippi sehen wir uns wieder! (Klaus Kirschner [SPD]: Das tut doch nie-
mand!)
(Beifall bei der SPD - Heiterkeit des Bun
desministers Horst Seehofer - Wolfgang Zum Stichwort Positivliste stellen wir fest, daß es
Zöller [CDU/CSU]: Schon wieder ein neuer seit jener Zeit eine Reihe von Änderungen, Regelun-
Urlaubsort!) gen und Ergebnissen gegeben hat - siehe Verord-
nungsverhalten der Ärzte beispielsweise -,
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wolfgang (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Zulassungsver
Lohmann, Sie haben das Wort. fahren!)

so daß auf diese Horrorliste verzichtet werden


Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): könnte, von der Sie sich selbst längst verabschiedet
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und haben.
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Pro-
fessor Pfaff, ich habe einen Teil der Einlassungen von (Klaus Kirschner [SPD]: Sie kennen doch
Ihnen nicht erwartet, von Herrn Dreßler oder Herrn die Positivliste gar nicht!)
Kirschner eher, die ich länger kenne. Denn Sie konn-
ten zumindest immer den Eindruck vermitteln, - Zu Ihnen komme ich noch, Herr Kirschner.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Daß er etwas Nun haben Sie klagend festgestellt, daß die Bud-
von der Sache versteht!) getierung fortgesetzt werden müßte, weil weitere
große Defizite drohten. Niemand von uns kann tat-
daß Sie in der Sache diskutieren und vor allen Din- sächlich sagen, daß die Gefahr von Defiziten nicht
gen nicht mit Unterstellungen oder sogar Verleum- wieder auf uns zukäme. Das ist gar keine Frage. Der
dungen arbeiten. Deswegen bin ich ein bißchen ent- Minister hat das eindeutig erklärt. Deshalb muß wei-
täuscht. tergedacht werden: Was kommt danach? Das haben
wir von Anfang an gesagt.
Sie haben mit dem Hinweis begonnen - das war zu
Recht -, wir seien zusammengekommen, um den Be- Wir sind der Auffassung, daß wir zu unserem Wort
richt des Bundesministers zu diskutieren und die stehen müssen: Die Budgets müssen ersatzlos weg-
Zahlen zu hören. Die Zahlen hat er Ihnen genannt, fallen.
das Positive und das teilweise Bedenkliche an den
Zahlen. Unsere Fraktion und unsere Koalition sagen: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so
Die Zahlen sind das eine. wie bei der F.D.P.)
1684 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


Denn wir waren uns bei der Verabschiedung des Ge- von mir - gibt, die genau die von Ihnen gemachten
setzes im Herbst 1992 einig, daß eine dauerhafte Unterstellungen ausdrücklich in Abrede stellen und
oder langfristige gesetzliche sektorale Budgetierung klarstellen, daß so etwas in dem neuen Gesetzent-
zu Rationierungseffekten im System wurf nicht kommen-wird, den wir hoffentlich im Kon-
sens verabschieden werden.
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist es!)
und damit letztendlich zur Verschlechterung der Ver- (Beifall bei der CDU/CSU)
sorgungsqualität führen muß.
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lohmann - -

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lohmann,


gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfaff?
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU):
Das gilt bei mir zunächst fort.
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU):
Ich hatte vorhin das Vergnügen, ständig an den
Zwiegesprächen teilzunehmen, die sich daraus erga- Vizepräsident Hans Klein: Was? Daß Sie keine
ben, daß von verschiedenen Seiten Zwischenfragen Zwischenfrage beantworten?
kamen, und wäre jetzt dankbar, wenn ich im Zusam-
menhang fortsetzen könnte. Vielleicht habe ich zum
Schluß noch ein bißchen Zeit für Zwischenfragen. Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU):
(Zuruf des Abg. Rudolf Dreßler [SPD]) Herr Kollege Pfaff weiß, daß ich für Zwiegespräche
mit ihm immer sehr aufgeschlossen bin. Aber nach
- Durch Sie vor allen Dingen klüger werden, ja. dem, was ich eben erlebt habe, bin ich skeptisch ge-
worden.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das möchte ich
mir aber doch ersparen!) (Dr. Martin Pfaff [SPD]: Den Vorwurf der
-
Sie beklagen also Defizite, Sie unterstellen nicht Verleumdung sollten Sie, denke ich, doch
umgesetzte Bestandteile des Gesundheitsstrukturge- ein bißchen relativieren!)
setzes, und das einzige, was Ihnen auf Grund der be-
Ihre Alternative, nach der wir ja immer fragen, ist
fürchteten künftigen Defizite einfällt, ist die Fortset-
die konsequente Umsetzung der strukturellen Ele-
zung der Budgetierung um mindestens drei Jahre.
mente des Gesundheitsstrukturgesetzes - ich habe
Damit das nicht so auffällt, wird uns die Schuld in die
mir das aufgeschrieben -, die Verlängerung der ge-
Schuhe geschoben: Normalerweise hätten Sie - die
setzlichen sektoralen Budgetierung um zwei bis drei
SPD - sich längst daran gehalten, und es würde aus-
Jahre, um diese Umsetzungsphase abzusichern, und
fallen; aber wir müssen es jetzt leider so machen,
anschließend, also ab 1998, die Fortführung der Re-
weil ja die böse Regierung oder Koalition einen Teil
formüberlegungen im Hinblick auf das kommende
des bisherigen Beschlusses noch nicht umgesetzt
Jahrtausend. Wenn ich es überspitzt formuliere, heißt
hat.
das doch: kein Handlungsbedarf, lieber mit Scheu-
Der Minister hat mit Recht gesagt, daß alles, was klappen weiter, bis das System vor die Betonwand
finanzwirksam ist, umgesetzt sei. Es geht ja leider in der Unbezahlbarkeit läuft, und dann können wir wie-
weiten Bereichen um die Finanzen. Das System der mit dem Hammer zuschlagen.
selbst, was die Versorgung der Bevölkerung anbe-
langt, ist im Grunde genommen gut, ist spitze, wie Andererseits pfeifen die Spatzen - nämlich Ihre ei-
gesagt worden ist. genen Spatzen in der SPD - von allen Dächern, daß
es längst nicht alle so sehen, wie Sie es behaupten.
Wir setzen demgegenüber auf die Fortsetzung ei- Die SPD-regierten Länder sind ja längst mit Eifer da-
ner modernen Gesundheitsstrukturpolitik und sind bei, ihre gesundheitspolitischen Vorstellungen für
es deswegen auch leid, nach jedem Kostendämp- eine Fortführung der Gesundheitsstrukturpolitik zu
fungsschritt - Herr Dreßler, Sie waren ja in den sieb- erarbeiten. Aber was will nun eigentlich die SPD? Ich
ziger Jahren auch immer dabei - stets nur auf eine zitiere einmal aus der „Frankfurter Allgemeinen
neue Kostenexplosion quasi zu warten, um dann er- Zeitung" vom 23. Februar 1995:
neut mit Kostendämpfung reagieren zu müssen. Wir
wollen endlich aus dieser Kostendämpfungs- und Re- Der Sozialstaat stößt an die Grenzen der Bezahl-
gelungsspirale heraus und zu auch dauerhaft tragfä- barkeit ... Unsere Gesellschaft wird sich auf Dau-
higen Strukturen kommen. er nicht der Mühe entziehen können, das soziale
Sicherungssystem in allen seinen Verästelungen
Da sollte man nicht mit Unterstellungen und Mut- darauf abzuklopfen, ob und in welchem Umfang
maßungen oder mit den eben schon einmal genann- es zu ergänzen, zu verstärken oder an neue Ent-
ten, ausgesprochen gut klingenden Begriffen wie wicklungen anzupassen ist.
„Schweinkram", „Eigenbeteiligung bei Medikamen-
ten" und „stärkere Ausgrenzung von Leistungen" ar- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wer hat das ge
beiten, also mit all den Unterstellungen, die Sie eben sagt?)
wiederholt haben. Nehmen Sie doch bitte einmal zur
Kenntnis, daß es inzwischen mehrere Veröffentli- - Das hat Friedhelm Farthmann, Chef der sozialde
chungen von an der Diskussion Beteiligten - auch mokratischen Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfa-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1685
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
len, gesagt. Ich muß sagen: Recht hat der Mann, und dig zu fühlen, das Gesetz im Grunde genommen zu
wo er recht hat, soll er es auch bekommen. konterkarieren - um kein stärkeres Wort zu gebrau-
chen -, und andererseits zu sagen: Guckt einmal
(Rudolf Dreßler [SPD]: Ich bitte, sofort Herrn
dorthin, die anderen sind schon viel weiter wegge-
Geißler zu zitieren! - Gegenruf von der laufen! - Meine Damen und Herren, wir sind es ein-
CDU/CSU: Zur Gesundheit hat er noch
fach leid, die Politik in dieser Weise zu betreiben.
nichts gesagt!)
Ich möchte deswegen noch ein paar Anmerkungen Deswegen noch ein Satz zur Positivliste. Das gilt
zur Umsetzung machen. Wie Sie wissen, hat das Mi- hier genauso. Die Gründe, warum wir der Auffas-
nisterium am 16. Februar 1995 im Gesundheitsaus- sung sind, daß eine Positivliste kontraproduktiv
schuß eine Bilanz der bisherigen Umsetzungsarbeit wäre, nicht mehr benötigt wird und auch nicht kom-
vorgelegt. Diese Bilanz - das ist heute wiederholt men wird, sind bekannt. Was Sie darüber denken
worden - zieht den eindeutigen Schluß, daß die eben und in Nuancen die einzelnen Kolleginnen und Kol-
genannten finanzwirksamen Elemente alle umge- legen geäußert haben, ist doch auch offensichtlich.
setzt sind. In zwei strittigen Bereichen - auch das ist Hier wird im Grunde genommen ein schlimmes Spiel
heute schon diskutiert worden - wird allerdings das, getrieben. Es wird gesagt: Wir wollen die Positivliste.
was im GSG steht, selbst von Ihnen ins Gegenteil Ein gemeinsamer Beschluß muß ohne Wenn und
verkehrt. Der eine Bereich ist die Positivliste und der Aber durchgesetzt werden. Was dann in der Positiv-
andere sind die Instandhaltungsinvestitionen im liste möglicherweise steht, soll der Bundesminister
Krankenhaus. entscheiden und verantworten, und zwar auf Grund
der Vorschläge des Instituts.
Bei der Verabschiedung des GSG war es Konsens,
daß neben den sogenannten Erst- oder Ersatzinvesti-
tionen auch die Instandhaltungsinvestitionen im Vizepräsident Hans Klein: Sind Sie zur Beantwor-
Grundsatz in die Finanzierungs- und Planungsver- tung einer Zwischenfrage bereit, Herr Kollege?
antwortung der Länder fallen. Auf der Grundlage ei-
ner Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
-
vom Januar 1993 haben die SPD-geführten Länder Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU):
diese bisher unstrittige Auffassung geändert und in Nein, ich bleibe dabei. - Dann werden wir diejenigen
ihr Gegenteil verkehrt. Nunmehr sind, jedenfalls so sein, die der Öffentlichkeit zeigen können, daß das,
die SPD, für die Finanzierung der Instandhaltungsin- was dort auf Grund der Vorschläge eventuell ausge-
vestitionen plötzlich die Krankenkassen zuständig. grenzt werden soll, von uns, nämlich der Opposition,
Die SPD verschiebt mit dieser Kehrtwendung um im Interesse der Patienten verhindert worden ist. - So
180 Grad so ganz nebenbei 1 Milliarde DM in die fi- soll gespielt werden. Wir meinen: So spielen wir
nanzielle Verantwortung der Krankenkassen. nicht.
Wenn also Sie, meine Damen und Herren von der Herr Kollege Kirschner, ich sehe, daß Sie heute
Opposition, die Union öffentlich davor warnen zu noch einen Redebeitrag zu leisten haben. Sie waren
müssen meinen, doch ja die Beschlüsse von Lahn- nicht in der Lage oder nicht bereit, die Frage in einer
stein nicht zu verlassen, so frage ich: Was ist denn der letzten Sitzungen des Gesundheitsausschusses
Ihre konkrete Politik? Was tun die SPD-geführten zu beantworten, die ich an Sie gestellt habe, ob Sie
Bundesländer, die ja auch beteiligt waren? beispielsweise bereit sind, eines der Mittel, mehrere
Ich mache das einmal an dem vorhin schon zitier- oder alle Mittel gegen periphere arterielle Durchblu-
ten, früheren Kollegen und wichtigen Minister in tungsstörungen, Nootropika, systematische und topi-
Nordrhein-Westfalen Müntefering fest. Ich habe den sche Venenmittel oder externe Antirheumatika - ich
Artikel dabei. habe die Liste hier; ich könnte sie Ihnen noch einmal
vorlesen, will es Ihnen aber ersparen -, wodurch ins-
(Klaus Kirschner [SPD]: Sehr guter Mi gesamt ungefähr 6 Milliarden DM eingespart werden
nister!) könnten, nicht mehr als Bestandteil einer Liste anzu-
- Ja eben. Deswegen lassen Sie sich das einmal sa- erkennen und dies auch mit zu vertreten. Wenn Sie
gen. Er sagt: „Es wird Zeit, Alarm zu schlagen." In den Mut hätten, dazu etwas zu sagen, und wenn Sie
den letzten Wochen, so Müntefering, zeige sich im- sagen würden: Jawohl, das haben wir gewollt; die
mer deutlicher, daß die Koalition von Teilen des Re- Sachverständigen haben das vorgeschlagen, der Mi-
formwerkes abrücke und die Umsetzung des Geset- nister hat es unterschrieben, wir stehen dazu!, dann
zes blockiere. kann man vielleicht noch einmal über das Thema re-
den, so aber nicht.
(Klaus Kirschner [SPD]: Das ist allerdings
wahr!) (Abg. Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]
meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Da frage ich mich: Wo lebt dieser Mann eigentlich?
(Klaus Kirschner [SPD]: In Nordrhein-West
falen! Wo denn sonst? - Jörg Tauss [SPD]: Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lohmann,
Das ist eine Realität!) es liegt schon wieder ein Zwischenfragewunsch vor.

Das ist doch diese typische Politik: Haltet den Dieb!


Das heißt, sich einerseits im Krankenhausbereich für Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU):
die Instandhaltungsinvestitionen nicht mehr zustän Ich habe eigentlich gedacht, Herr Präsident - -
1686 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsident Hans Klein: Ich bin leider verpflich- Ziel verantwortungsbewußter Gesundheitspolitik
tet, Sie jedesmal zu fragen. Wenn die Kollegen es muß es doch sein, das in Lahnstein im Konsens Ent-
nicht einsehen, kann ich es nicht ändern. Ich muß Sie schiedene da zu ergänzen und zu ändern, wo eine
immer wieder von neuem fragen. Realisierung nicht sinnvoll oder sogar kontraproduk-
tiv sein würde.
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): (Klaus Kirschner [SPD]: Wer bestimmt das?)
Ich würde mir nie erlauben, Sie zu kritisieren. Ich
wollte nur sagen, ich verstehe nicht, daß einige Kolle- Meine Damen und Herren von der SPD, wer nicht
gen es nicht hören können, was ich gesagt habe. Ich mehr in der Lage ist, dazuzulernen und Entscheidun-
möchte jetzt im Zusammenhang vortragen. gen der Vergangenheit in Frage zu stellen, der ver-
liert jede Politikfähigkeit.
Frau Schaich-Walch, ich habe auch den erwähnten
Text dabei. Ich will es nur zeigen, damit nicht jemand (Zuruf von der SPD: Das ist unglaublich!)
sagt, daß ich das so nicht gesagt habe. Die Veröffent-
lichung liegt sogar schriftlich als Aufsatz vor. Sie ha- Die CDU/CSU-Fraktion möchte sich das jedenfalls
ben sinngemäß folgendes gesagt: nicht nachsagen lassen.

Erstens. Die Positivliste darf kein Korrekturinstru- Da ich jetzt sogar noch zwei Minuten Zeit habe,
ment für erteilte Zulassungen werden. wäre ich in der Lage, Fragen zu beantworten.
Zweitens. Es dürfen durch die Positivliste keine In- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
novationsbehinderungen eintreten. Es müssen so- DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, meine Trop
ziale Belange berücksichtigt werden. fen!)
Drittens. Substitutionseffekte und damit Verteue- Wenn die aber nicht kommen, dann bedanke ich
rungen der Arzneimittelversorgung müssen vermie- mich für Ihre Aufmerksamkeit.
den werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Viertens. Die bewährten hausärztlichen- Medika-
mente - dazu zählen auch die Arzneimittel der be-
sonderen Therapieeinrichtungen - müssen in die Po- Vizepräsident Hans Klein: Zu einer Kurzinterven-
sitivliste aufgenommen werden. Es darf, so Frau tion erteile ich das Wort dem Kollegen Pfaff; bitte
Schaich-Walch, weder ein Substitutionseffekt noch vom Platz aus.
eine Therapielücke entstehen.
Dazu sage ich, ähnlich wie vorhin bei Herrn Farth- Dr. Martin Pfaff (SPD): Herr Kollege Lohmann,
mann: Recht hat die Frau! Und wo sie recht hat, muß das Protokoll wird es zeigen, Sie haben mir nicht
sie auch recht behalten. Ich frage dann nur: Wozu nur Fehlaussagen bzw. Unterstellungen, sondern
dann eigentlich eine Positivliste, eine Liste, in der al- auch Verleumdungen hier in den Mund gelegt,
les das steht, was wir zur Zeit auch haben? Wollen und das trifft mich schon angesichts der Rolle, die
Sie, weil die Farbe Ihnen besser gefällt, die „Rote Li- ich versucht habe im letzten Deutschen Bundestag
ste" des Bundesverbandes der Pharmazeutischen In- und auch in Lahnstein bei diesem Gesetzgebungs-
dustrie, des BPI, verfahren zu spielen. Wenn Sie mir rhetorische
Überspitzungen - na gut, das gehört auch mal
(Klaus Kirschner [SPD]: Rot ist immer gut!) dazu - vorwerfen, dann sage ich dazu gar nichts.
die gültig ist, zur Positivliste erheben? Vielleicht ist Aber ich möchte Sie jetzt doch ganz herzlich bitten
Ihnen diese Farbe lieber, aber jedenfalls steht das al- - das sage ich ohne jede Polemik -, entweder die-
les da drin. sen Vorwurf zurückzunehmen oder ihn jetzt zu
belegen.
Wir möchten uns an diesen Spiegelfechtereien
nicht beteiligen und wollen deswegen auch die Ge- Danke.
spräche, die jetzt geführt werden, woran einige ha-
ben teilnehmen können, andere nicht. Es ist das Na- (Beifall bei der SPD)
türlichste von der Welt, daß man versucht, alle auf
dem Gesundheitsmarkt in allen Schichten der Bevöl- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lohmann.
kerung und unter allen Beteiligten diskutierten un-
terschiedlichen Lösungsansätze, wenn man ehrlich
und fair ist, zunächst einmal seriös zu diskutieren, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU):
abzufragen, was der einzelne will, ob er dafür seriöse Herr Kollege Pfaff, was den Beleg anbelangt, was Sie
Gründe anbringen kann oder ob er möglicherweise ganz konkret gesagt haben, so muß ich genau wie
Hintergedanken für solche Wünsche hat, um sich auf Sie warten, bis das Protokoll da ist. Meine Erinne-
dieser Basis ein Urteil zu bilden. Und wenn Sie dann rung ist - deshalb stehe ich auch dazu -, daß Sie u. a.
so freundlich sind und diese und jene Äußerung gesagt haben: Wer schon solche Fragen stellt - bei-
auch einmal nachlesen und auch wirklich ernst neh- spielsweise zum Stichwort Selbstbeteiligung -, der
men - dafür wäre ich dankbar; gleiches möchte ich hat auch die entsprechenden Vorstellungen und die
auch bei Ihnen gern tun -, dann werden Sie feststel- entsprechenden Wünsche. Dann haben Sie entspre-
len, daß die vorhin gemachten Unterstellungen alle chende Behauptungen vorgetragen. Ich sage: Das ist
falsch sind. eben eine Verleumdung. Wenn Sie das so gesagt ha-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1687
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
I ben und auch so gemeint haben, dann kann es nicht Begründet wird diese Forderung vordergründig mit
anders sein. dem demographischen Wandel, dem medizinisch
echnisFortudensigKot.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Morgen früh, halb sechs, Herr Minister, Sie als Minister dürfen selbstver-
Rheinwiesen! - Heiterkeit - Rudolf Dreßler ständlich immer, wenn Sie es wünschen, eine Presse-
[SPD]: Säbel! - Joseph Fischer [Frankfurt] konferenz abhalten. Aber mich hat es doch sehr be-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Säbel oder fremdet, daß Sie heute morgen, bevor Sie das dem
Pistolen! Anders geht es nicht!) Parlament zugeleitet haben, neue Daten zur Gesund-
Herr Professor Pfaff, wenn ich sage: Sie sehen jünger heitsstrukturreform, zur Krankenkassenabrechnung
aus, als Sie sind!, und Sie mir dann unterstellen woll- vorgelegt haben. Das wollte ich hier einmal gesagt
ten, ich wollte Sie verleumden, dann ist das doch si- haben. Ich fand schon, daß das eine Mißachtung des
cher falsch, oder nicht? Parlaments war.
(Rudolf Dreßler [SPD]: Jetzt küßt euch! - Es hat sich gezeigt, daß die SPD in der Tat unabläs-
Zuruf von der CDU/CSU: Geht einen trin sig Bekenntnisse zum GSG ablegt. Aber viel interes-
ken, ihr beiden! Ich gehe mit! - Weitere Zu santer sind die Pressemitteilungen der CDU der letz-
rufe) ten Zeit, im Vorfeld dieser gesundheitspolitischen
Debatte, die wir hier heute haben. Herr Lohmann,
Vizepräsident Hans Klein: Also nach normalen Re- von Ihnen hätte ich hier eine ganz andere Rede er-
geln, Herr Professor Pfaff, war dies eine ganz tolle wartet.
Feststellung.
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Ja, und jetzt? -
Ich erteile das Wort der Kollegin Marina Steindor. Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Welche
denn? Sagen Sie es einmal!)
Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen --t und Sie haben in der letzten Zeit ein Papier veröffentlicht,
Herren! Gesundheitspolitisch kommt es in Deutsch- in dem Sie ein neues Konzept für die Gesundheits-
land derzeit zu allerlei Merkwürdigkeiten. Durch die politik entwickelt haben und in dem Sie sich ganz im
Vorgaben des Grundgesetzes ist in weiten Bereichen Sinne des Neokonservatismus der 90er Jahre geäu-
der Gesundheitspolitik ein politisches Patt entstan- ßert
den, da Bundesregierung und SPD-Bundestagsfrak-
tion in dieser Frage regelrecht aneinandergekettet (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was ist denn
sind. Es kommt in dieser Frage, wie wir es eben sehr das? Ist das was zum Essen?)
schön erlebt haben, zu geradezu theaterreifen Auf-
führungen. und hin zu Facetten der F.D.P.-Politik bewegt haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Uwe Lühr [F.D.P.]: Das kann man nur lo
Thema heute sollte eigentlich die relativ unumstrit- ben!)
tene Änderung des Fünften Buches Sozialgesetz-
buch sein. Wir sollten einen veralteten Bericht des Dort haben Sie sich von Prinzipien, die man eigent-
Bundesministers für Gesundheit lich bei Wählern Ihrer Partei gut aufgehoben vermu-
tet, verabschiedet.
(Bundesminister Horst Seehofer: Keine Be
leidigungen!) (Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Na, na! -
über die Entwicklung der Beitragssätze der Kranken- Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
versicherung diskutieren, der noch den Geist von CSU]: Beispiele!)
Lahnstein, der hier immer wieder einmal beschworen
wird, atmet. Um das Ganze zu vernebeln - ich werde noch aus-
führen, was Sie vorgeschlagen haben -, kommt es Ih-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ein Geist at rerseits unablässig zu Bekenntnissen zum Solidarsy-
met nicht!) stem. Man beachte aber die feinsinnigen Unterschei-
In dem Text dieses Berichtes ist keine Kritik an dem dungen: Heute hat der Minister nur noch von „so-
Gesundheits Strukturgesetz zu entdecken. Derselbe
-
zialer Ausrichtung" des Gesundheitssystems gespro-
CDU/CSU-Minister hat sich aber, wie sein Abrücken chen.
von der Positivliste zeigt, wie seine Presseverlautba-
rungen zeigen, innerlich schon lange vom GSG ver- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ausgewogen
abschiedet. heit!)

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weiterent Ich konnte Ihrer Pressemeldung entnehmen, daß
wickelt!) Sie einen Teilausstieg aus dem Solidarsystem der
Er forderte - das hat er heute ausdrücklich gesagt - Krankenversicherung planen,
schon vor der Verabschiedung des GSG eine dritte
Stufe. (Bundesminister Horst Seehofer: Falsch! -
Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Auch das ha
(Bundesminister Horst Seehofer: Ja!) ben Sie falsch entnommen!)
1688 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Marina Steindor
indem Sie die Arbeitgeber ein Stück weit aus der Ge- Wir haben die Situation, daß ein marktliberal aus-
samtverantwortung für die Krankenkasse entlassen, gerichtetes System von sogenannten freien Berufen -
die Arbeitgeberbeiträge durch Schaffung einer Ober- dazu gehören Masseurinnen und Masseure, Ärztin-
grenze prozentual festlegen und den Rest der Kran- nen und Ärzte, Krankengymnastinnen und Kranken-
kenkassenbeiträge auf dem Rücken der Versicherten gymnasten und auch marktliberaler ausgerichtete
frei floaten lassen. Krankenhäuser - auf ein nach innen solidarisch aus-
gerichtetes Krankenkassensystem folgt. In Lahnstein
(Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Für einen hat ein christlich-sozialer Minister mit dem Risiko-
Teilausstieg ist nur der Schröder!) strukturausgleich und der Kassenwahlfreiheit einen
- Das ist ein anderes Politikfeld, Herr Möllemann. Schritt - das wurde von der SPD eingebracht - in
Das wissen Sie ganz genau. Aber wir sind ja beide Richtung wohlfahrtsstaatliche Einheitskasse akzep-
neu in der Gesundheitspolitik. tiert. Eigentlich hätte man erwarten können, daß Sie,
Herr Minister, in der Tradition der bismarckschen
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ konservativen Sozialstaatspolitik das Kastensystem
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der nach gesellschaftlichen Schichten und Berufs-
F.D.P.) gruppen aufgeteilten Krankenkassen mit Zähnen
und Klauen verteidigt hätten. Jetzt erkenne ich Ten-
Ich werte diese Presseerklärung als einen Abbau denzen, daß die Christlich-Soziale Union auf dieses
des Solidarsystems, als die Entwicklung eines Schmalspursolidarsystem einschwenkt. Das geht in
Schmalspursolidarsystems, das Sie im Hinterkopf ha- Richtung der Linie der F.D.P.
ben.
Die F.D.P. würde sich bei diesem Kurs, wenn Sie
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Woher wissen ihn weiterfahren, politisch durchsetzen. Das wird sie
Sie, was er im Hinterkopf hat?) sehr freuen; denn die F.D.P. betreibt eine Politik, mit
der sie bei dem Durcheinander der Facetten unseres
Ich hätte von Ihnen eigentlich erwartet, daß Sie das
Gesundheitssystems die Systemgegensätze marktli-
hier offen ausführen und nicht nur in Pressemittei-
- beral ausgleichen will. Sie will, daß alles marktliberal
lungen an die Öffentlichkeit geben.
wird. Die Krankenkassen sollen privatisiert werden;
Sie haben vor, die Diskussion um die Krankenkas- auch die Arbeitgeberentlastung ist ihre Idee.
senbeiträge an die Standortsicherungsdebatte zu
Wir hingegen sagen bei Kenntnisnahme dieser wi-
koppeln. Die SPD, die solchen Änderungen ja im
dersprüchlichen Facetten des Gesundheitssystems,
Bundesrat zustimmen muß, wird in den nächsten
daß die Erhaltung und der Ausbau des Solidarsy-
Jahren - davon bin ich fest überzeugt - in dieser De-
batte unter Druck gesetzt, in der Hoffnung, daß sie, stems der Krankenversicherung der Ausgangspunkt
für jegliche Reform des Gesundheitswesens sein
ähnlich wie bei der Pflegeversicherung, irgendwann
muß. Wir wollen solidarisch ausgerichtete Ärztinnen
einmal, nach jahrelanger Auseinandersetzung, wenn
und Ärzte sowie Versorgungsstrukturen. Wir wollen
man das genügend hochgeschaukelt hat, umfällt.
die ambulante Versorgung aus dem Konzept des
(Bundesminister Horst Seehofer: So weit ha EBM genauso befreien wie die SPD. Wir wollen aber
ben wir noch gar nicht gedacht!) auch Krankenhäuser, die die Versorgung der Patien-
ten im Vordergrund sehen und nicht Gewinninteres-
Ich hoffe nicht, daß es soweit kommt. sen.
Aber ich möchte Ihnen noch etwas anderes sagen. Für uns - das möchte ich noch einmal ausdrücklich
Sie haben heute ausgeführt, Herr Minister Seehofer, betonen - ist Gesundheit kein Bereich für die Markt-
daß unser Gesundheitssystem in der letzten Zeit wirtschaft. Es geht dabei um existentielle Bedürf-
durch 6 800 Einzelbestimmungen geändert worden nisse der Menschen.
ist. Meine Damen und Herren, auch wir finden, daß
dieses Gesundheitssystem wirklich Konstruktions- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
fehler hat, weil es aus Versatzstücken unterschiedli- bei der PDS)
cher, nicht miteinander vereinbarer Sozialstaatsmo-
delle besteht. Es geht um ein gewachsenes System der kollektiven
Absicherung von Lebensrisiken. Für uns ist die soli-
(Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] darische Krankenversicherung eine kulturelle Errun-
[CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischen genschaft von höchstem Wert.
frage)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, gestatten
Sie eine Zwischenfrage? Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein tragen-
des solidarisches Band in dieser fragmentierten, indi-
vidualisierten Gesellschaft, und sie ist einer der
Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Grundpfeiler unserer Demokratie. Deshalb kann es
Nein. Ich möchte meine Äußerungen zu diesem Teil nicht angehen, daß man die Arbeitgeber ein Stück
gern ohne Unterbrechung zu Ende bringen. Wenn weit daraus entläßt. Bei Gesundheitspolitik geht es
ich schnell genug bin, am Ende der Rede, selbstver- um Schmerzen, um Krankheiten, um Angst vor dem
ständlich. Wir können uns aber auch im Ausschuß Tode, und das darf keine Sache des Geldbeutels wer-
noch unterhalten. den.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1689
Marina Steindor
Wenn Sie, Herr Minister Seehofer, immer behaup- gen, daß der Hinweis mit der Jungfernrede kommen
ten, wir müßten das Solidarsystem der Krankenkas- würde. Es ist schon etwas Ungewöhnliches, in mei-
sen vom Staub des letzten Jahrhunderts befreien, nem Alter und bei meinen Dienstjahren hier eine
dann sage ich, daß das, was Herr Lohmann derzeit Jungfernrede halten zu dürfen.
an die Presse gibt, die Menschen ein Stück weit in
die existentielle Angst des letzten Jahrhunderts zu- (Heiterkeit)
rückversetzt,
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
(Zuruf von der CDU/CSU: Eben nicht! Das Kollegen, unser Gesundheitswesen ist krank. Es
Gegenteil ist der Fall!) krankt an Überregulierung. Es krankt an den Wir-
kungen eines seit 20 Jahren währenden Kosten-
als Gesundheit noch viel stärker als heute eine Frage dämpfungsbürokratismus in Gestalt von 6 800 Ein-
der sozialen Schicht war. zelregelungen. Dirigismus und Interventionismus
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ sind der Rheumatismus unseres freiheitlichen Ge-
CSU]: Eben nicht, gnädige Frau!) sundheitssystems.
(Beifall bei der F.D.P. - Joseph Fischer
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Lohmann, [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
jetzt werden Sie zu einer Zwischenfrage geradezu Harte Kritik an der Bundesregierung!)
aufgefordert.
Gesundheitspolitischen Rheumatismus behandelt
man aber nicht mit Ideen, die selbst rheumatisch
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU):
sind, weil sie zu lange in den Feuchtkellern der Büro-
Ich möchte die knappe Zeit nicht lange in Anspruch
kratie gelagert haben. Die gesellschaftlichen Heraus-
nehmen. Ich frage deshalb mit einem einzigen Satz:
forderungen der nächsten Jahrzehnte, die das Ge-
Sind Sie in der Tat der Meinung, daß unsere Sozialsy-
sundheitswesen an die Politik stellt, sind enorm. Sie
steme schlechthin und das Gesundheitssystem im
sind mit einem System, das sich hart an der Grenze
besonderen in keinerlei Beziehung zu den ökonomi-
schen Verhältnissen und zu der Frage- Standort zum staatlichen Gesundheitswesen bewegt, nicht zu
meistern. Die F.D.P. wird sich daher dem Konzept ei-
Deutschland stehen? Dieser Meinung sind Sie in vol-
nes bloß graduellen Wandels, der den gegenwärti-
lem Umfang und mit allen Konsequenzen tatsäch-
gen Regulierungsdschungel weiter düngt, entgegen-
lich? - Die Frage ist zu Ende!
stellen.

Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Diese Frage ist natürlich sehr schwierig. Wir haben Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Mölle-
weitere Vorschläge zu machen. Wir sagen, daß die mann, Herr Kollege Professor Pfaff meldet sich zur
Konstruktion des Gesundheitssystems nicht stimmt. ersten Zwischenfrage, die man Ihnen gerne stellen
Wenn Sie darin marktliberale Systeme haben, die würde.
vorrangig gewinnorientiert arbeiten, dann kann das
immer nur dazu führen, daß die Kosten steigen. Sie
Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Ich hätte sie früher
können in diesem Bereich keine reellen Preise ha-
erwartet, aber bitte schön.
ben. Wir sind der Auffassung, daß bei dem System
der kollektiven Absicherung die Arbeitgeber und die
Arbeitnehmer in dieser Gesellschaft gleichermaßen Dr. Martin Pfaff (SPD): Herr Kollege Möllemann,
mitmischen müssen. Da kann man die Arbeitgeber ich bin jetzt total verwirrt. Ihr Koalitionspartner, Herr
nicht einfach aus der Sache entlassen. Bundesminister Seehofer, hat unser Gesundheitswe-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer will sen das beste in der Welt genannt, und Sie sagen,
denn das?) daß es krank ist. Können Sie mich bitte ein bißchen
aufklären?
Der Gesundheitsmarkt an sich - dem würde ich na-
türlich zustimmen - ist ein sehr großer. Wir hatten
das bei der letzten Debatte schon diskutiert. Der Ge- Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Herr Kollege, die
sundheitsmarkt hat einen größeren Umfang als der Tatsache, daß Sie total verwirrt sind, habe ich vorhin
gesamte Bundeshaushalt. Es stimmt schon, daß er an schon an Ihrer Rede beobachten können.
sich ein Wirtschaftsfaktor ist.
(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU)
Das ist nichts Neues. Deswegen werde ich das nicht
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen weiter kommentieren. Hören Sie einfach weiter zu.
Jürgen Möllemann das Wort. Dann wird Ihnen das, glaube ich, nicht entgehen.
(Zurufe von der CDU/CSU und dem BÜND
Wir wollen keinen graduellen, wir wollen einen
NIS 90/DIE GRÜNEN: Jungfernrede! - Hei
prinzipiellen Wandel im Gesundheitswesen. Wir leh-
terkeit)
nen die Konzepte derjenigen ab, die Probleme da-
durch glauben lösen zu können, daß sie auf einen ge-
Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Ich habe gewußt, sundheitspolitischen Druckkessel schlicht einen wei-
lieber Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kolle- teren Deckel legen. Wer glaubt, das wirke positiv,
1690 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Jürgen W. Möllemann
versteht weder etwas von elementarer Physik noch ten strukturierten Gesundheitswesens zu erarbei-
von Gesundheit. ten.
(Beifall bei der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Ihr habt das auch nö
tig!)
Denn wer wollte ernsthaft glauben, eine chirurgische
Ausgabenkappung sei ohne krasse Qualitätsverluste Das Gesundheitssystem der Zukunft darf den Na-
möglich? Die Budgetierung ist und war kein Steue- men der Freiheit nicht nur tragen, um dem alten Diri-
rungsinstrument der Gesundheitspolitik, sondern gismus neuen Schmuck anzulegen.
eine etatistische Notbremse, die wir Liberalen nur
(Zuruf von der SPD: Wo bleibt der Beifall?)
unter der Bedingung ihrer zeitlichen Begrenzung ak-
zeptiert haben. Die negativen Auswirkungen der Nein, das Gesundheitssystem der Zukunft muß frei-
Budgetierung beispielsweise auf die ärztliche Versor- heitlich im Sinne eines wettbewerblich organisierten
gungssituation sind bekannt. Der Punktwert für das und gesteuerten Systems sein, und in einem solchen
ambulante Operieren ist so weit gefallen, daß viele Wettbewerbsmodell wird die Budgetierung ebenso-
Anbieter nicht mehr in der Lage sind, kostendeckend wenig einen Platz haben wie eine Positivliste.
zu arbeiten, es sei denn, unter Verzicht auf die Be-
handlung von Kassenpatienten. Das kann doch von (Beifall bei der F.D.P.)
niemandem gewünscht sein. Alle diejenigen, die sich
Da mögen Sie darüber lamentieren, daß wir uns
auch über das Jahr 1995 hinaus auf dem Budgetie-
aus dem Konsens von Lahnstein hinausschleichen
rungssofa ausruhen wollen, lade ich daher zu einem
wollten, aber hier liegt ein Irrtum vor. Wir schleichen
gesundheitspolitischen und gedanklichen Trimm-
uns nicht hinaus, wir gehen hinaus, aufrecht und
sport ein.
klar, weil wir an diesem Punkt lieber sachdienliche
Wir brauchen, verehrte Kolleginnen und Kollegen Politik machen, als uns an einen kleinsten gemeinsa-
von der SPD, nach dem, was Sie bisher gesagt ha- men Nenner zu klammern, und ich füge hinzu: Ein
ben, Lösungen und keine Ausreden. Selbst Herr Lahnstein II sollte es nicht geben.
Müntefering - er ist nun einmal Gesundheitsminister
- (Beifall bei der F.D.P.)
im Land Nordrhein-Westfalen -,
Meine Damen und Herren, ein Wettbewerbsmo-
(Klaus Kirschner [SPD]: Zu Recht!) dell, wie immer dies im einzelnen auch aussehen
beklagt sich mittlerweile - ich zitiere ihn - über die mag, wird die Wettbewerbskräfte auf breiter Front
klassisch planwirtschaftliche Situation, Stichwort zur Entfaltung bringen müssen. Es muß dem Versi-
Budgetierung, unseres Gesundheitswesens. cherten ein Höchstmaß an Wahlmöglichkeiten an die
Hand geben.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Hört! Hört!)
(Zuruf von der SPD: So war es vor drei Jah
Ist es eigentlich vernünftig, etwas, was im Konsens ren auch!)
beschlossen wurde, von dem dann einer Ihrer füh-
So muß sich der Versicherte für Kostenerstattung, für
renden Kollegen selbst sagt, das sei eine klassische
Beitragsrückvergütungssysteme oder innovative Ver-
planwirtschaftliche Situation, um des Konsenses wil-
sorgungsformen entscheiden können. Das Motto lau-
len zu erhalten? - Ich meine das nicht. Ich würde
tet natürlich Selbstverantwortung, Selbststeuerung
gerne von Johannes Rau wissen, was denn nun gilt:
und Selbstbeteiligung.
die Meinung seines ortsansässigen Kollegen Dreßler
oder die seines Ressortministers Müntefering. Ich kann hier nur staunen, wie man einen Begriff
zu diskreditieren versucht, der in weiten Teilen des
(Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll Gesundheitswesens doch von allen gemeinsam ge-
mer) wollt wird. Deswegen wird man so nicht weiter vor-
Auf der anderen Seite verwahren wir uns, meine gehen können.
Damen und Herren, auch gegen eine Art intellek- Auch im Vertragsrecht müssen wettbewerbliche
tuellen Schweinsgalopp, mit dem mancher noch in Freiräume geschaffen werden.
allernächster Zeit eine vermeintlich neue Struktur
des Gesundheitswesens politisch präjudizieren und
festzurren möchte. Das Gebot der Stunde kann unse- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
res Erachtens nur lauten - übrigens ein typisches Ge- eine Zwischenfrage?
bot der Fastenzeit, lieber Herr Fischer; ich dachte,
Sie seien mit der beschäftigt -,
Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Ich würde den Ge-
(Zuruf von der SPD: Er telefoniert!) danken gern erst zu Ende führen.

innezuhalten, Raum zu schaffen für einen gesund- Warum müssen sich die Aufsichtsbehörden perma-
heitspolitischen Paradigmenwechsel. nent in Verträge einmischen, die auf freiwilliger Ba-
sis zwischen Leistungsanbietern und Kankenkassen
Wir veranstalten deswegen hier im alten Plenar- geschlossen worden sind? Warum müssen Verträge
saal Wasserwerk einen gesundheitspolitischen Kon- eigentlich einheitlich und gemeinsam von den Kran-
greß, um im Dialog mit allen Beteiligten die Eck- kenkassen geschlossen werden, wenn sie doch im
punkte eines nach wettbewerblichen Gesichtspunk- Wettbewerb zueinander stehen sollen? Warum will
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1691
Jürgen W. Möllemann
man verhindern, daß Krankenkassen die positiven Nur ein liberales, nach wettbewerblichen Kriterien
Effekte ihres Verhandlungsgeschicks gegenüber den strukturiertes Gesundheitswesen wird aus unserer
Leistungsanbietern über niedrigere Beitragssätze an Sicht der Größe der Aufgaben gewachsen sein kön-
ihre Versicherten weitergeben können? nen, die in der Gesundheitspolitik auf uns zukom-
men.
(Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!)
An die Adresse meiner Vorrednerin habe ich dann
Freiberuflichkeit, Therapiefreiheit und freie Arzt- doch die Bitte: Frau Kollegin, Sie haben, wie auch
wahl sind und bleiben Grundpfeiler unseres Gesund- ich, das zu bürokratischen Perfektionismen neigende
heitswesens. Die heutigen Zulassungsbeschränkun- System der Vergangenheit kritisiert. Aber Sie haben
gen müssen in einem System, das flexibel sein soll, dann darauf verzichtet, darzulegen, welche Alterna-
auf den Prüfstand. Wer eine Gesundheitsversorgung tive die GRÜNEN demnächst denn entwickeln wol-
auf hohem Niveau will, muß auf das Wissen der Lei- len.
stungsanbieter setzen, der darf z. B. nicht den aner-
kannten Heilberuf des Apothekers durch angebliche (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Rationalisierungsmaßnahmen à la Versandhausapo- Das kommt!)
theke kaputtmachen. Sie haben sich darauf beschränkt, darzulegen, daß
sich Gesundheitspolitik und das Gesundheitssystem
Dem Versicherten muß die Möglichkeit gegeben nicht an Marktmechanismen orientieren sollen.
werden, über den Umfang seiner Aufwendungen für
Gesundheit selbst zu entscheiden. Es ist zwar klar, (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das war eine tolle
daß es einen solidarisch zu finanzierenden Kernbe- Botschaft!)
reich des medizinisch Notwendigen geben muß.
Diese Forderung darf aber nicht dazu mißbraucht - Diese Botschaft - ich weiß nicht, ob Sie die tatsäch-
werden, einer Volksversicherung das Wort zu reden. lich ernstgemeint haben. Dies meine ich etwa im
Blick auf den Umgang von Krankenhäusern mit öf-
Es ist mit unseren liberalen Überzeugungen jeden- fentlichen Mitteln. Diese Botschaft, glaube ich, wäre
falls nicht zu vereinbaren, daß der Staat darüber ent- nun wirklich nicht zu vertreten.
scheidet, wieviel seinen Bürgern ihre Gesundheit Ich freue mich jedenfalls darauf, meine lieben Kol-
wert zu sein hat. Hier müssen die Entscheidungs- leginnen und Kollegen, an der vom Bundesminister
kompetenzen aus den Händen des Staates in diejeni- und den Sprechern der Koalition des öfteren ange-
gen seiner Bürger zurückgegeben werden. kündigten tatsächlichen Reform unseres Gesund-
(Beifall bei der F.D.P.) heitswesens unter dem Titel „Weg von staatlicher Be-
vormundung und Inte rv ention hin zu einem wirkli-
Deshalb gehen die Vorstellungen - etwa der Zahn- chen Freiheits- und Wettbewerbsmodell" mitarbeiten
ärzte - in die richtige Richtung: Grundversorgung zu können.
über die gesetzliche Krankenversicherung, alles dar-
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
über hinaus in die freie Entscheidung der Versicher-
ten. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
(Zurufe von der SPD)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
Im übrigen soll sich jeder sein eigenes Gesundheits- jetzt die Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs.
paket auch selbst und eigenständig gestalten kön-
nen. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Frau Präsidentin! Meine Da-
Wir werden ein solches Wettbewerbsmodell gegen men und Herren! Der heute zur Debatte stehende
die gedankliche „große Koalition" derjenigen vertre- zweite Bericht des Bundesministeriums für Gesund-
ten, die den heute bestehenden Interventionismus, heit zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetz-
Bürokratismus und Etatismus unter lediglich ande- lichen Krankenversicherung und zur Wirksamkeit
rem Namen fortschreiben wollen. Etatismus nenne der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen be-
ich jede Bevormundung des Bürgers in Fragen der stärkt leider erneut, jedenfalls für mich, die Erkennt-
Gesundheitspolitik, die in den ureigensten Entschei- nis, daß die Regierung vor der großen Aufgabe, die
dungsbereich des einzelnen fallen. gesetzliche Krankenversicherung langfristig - ich
betone: langfristig - zu stabilisieren, versagt hat.
Meine Damen und Herren, auch im Gesundheits- Fest steht: Alle bisherigen Interventionsbemühun-
wesen muß der erwähnte Etatismus endlich abdan- gen haben nur kurzfristige Wirkung erzielt und letzt-
ken. Es reicht nicht aus, wenn Herr Müntefering auf lich mehr neue Probleme geschaffen, als bestehende
der einen Seite und die gesundheitspolitischen Spre- gelöst. Mit dem Gesundheits-Reformgesetz, das 1989
cher der Koalition und der Bundesminister auf der in Kraft trat, wurden zwar erhebliche finanzielle Auf-
anderen Seite vollkommen zu Recht das Dilemma be- wendungen auf die Versicherten abgewälzt, die da-
klagen, daß nun schon über fast zwei Jahrzehnte ein mit angestrebte Kostendämpfung wurde jedoch be-
Interventionismus nach dem anderen, eine Kette von stenfalls für nur zwei Jahre erreicht.
Interventionismen, erfolgt ist, die zu der erwähnten
großen Zahl von mehreren tausend Regelungen ge- Bereits 1992 war erneut eine dramatische Situation
führt hat, und daß letztendlich schon wieder über die in der gesetzlichen Krankenversicherung entstan-
nächste Kette nachgedacht wird. den. Bei einem Rekorddefizit von fast 10 Milliarden
1692 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Ruth Fuchs


DM stieg der durchschnittliche Versicherungsbei- zum Ende dieses Jahres, wie vorgesehen, aufzuhe-
trag mit 13,4 % auf einen neuen Höchstwert. Auch ben und gleichzeitig die Beitragssätze stabil halten
den letzten Zweiflern mußte übrigens in diesem Zu- zu wollen. Dabei ist bekannt, daß es damit, vermittelt
sammenhang klarwerden, daß Zuzahlung und über welche Mechanismen auch immer, über kurz
Selbstbeteiligung als Steuerungsinstrumente in der oder lang entweder zu gravierenden Leistungsein-
gesetzlichen Krankenversicherung absolut untaug- schränkungen oder aber zu neuen schweren finan-
lich sind. ziellen Belastungen der Patienten kommen muß.
Zugleich war erneut erkennbar, daß solche enor- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na, na!)
men Kostenschübe unmittelbar nach einem Kosten-
dämpfungsgesetz nichts mit den im Gesundheitswe- - Wir werden es sehen. Ich würde mich freuen, wenn
sen durchaus vorhandenen, aber nur längerfristig es umgekehrt wäre, Herr Thomae. Aber ich be-
wirksamen aufwandssteigernden Faktoren zu tun fürchte es so, und ich stehe nicht alleine da, wie mir
haben. Sie sind ganz eindeutig vor allem das Ergeb- bekanntgeworden ist.
nis der aktuellen Strukturmängel und Steuerungs- (Beifall bei der PDS - Wolfgang Zöller
fehler innerhalb des Versorgungssystems. [CDU/CSU]: Sie werden sich mit uns
Dennoch drehte es sich auch bei dem im zweiten freuen!)
Halbjahr 1992 eingebrachten Gesundheitsstruktur- Jedenfalls sehen große Teile der Bevölkerung, vor al-
gesetz trotz der später hinzugekommenen Elemente len Dingen der Betroffenen, das auch so.
einer echten Strukturreform erneut mehr oder weni-
ger nur um eine kurzfristige finanzielle Entlastung Auch ein Wettbewerb der Kassen, der offensicht-
der Krankenversicherungen. Daß diese allerdings lich sogar auf der Grundlage unterschiedlicher Lei-
wirklich nur im Sinne jener vielbeschworenen Not- stungsangebote geführt werden soll, bietet keinerlei
bremsung für die Jahre 1993 und 1994 erreicht Garantie dafür, ein solches Szenario zu verhindern.
wurde, ist allerdings nicht sonderlich verdienstvoll,
ist sie doch in erster Linie das Ergebnis durchgreifen- Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Her-
der Budgetierungen aller wichtigen Sektoren des ren, erleben wir gegenwärtig eine geradezu gespen-
Gesundheitswesens, aber auch solcher Instrumenta - stische Debatte. Da wird munter geredet von Eigen-
rien wie nochmals erhöhter finanzieller Belastungen verantwortung und Eigenvorsorge, von Regel- und
der Patienten oder Zulassungssperren für ärztliche Wahlleistungen, vom Abspecken des Leistungskata-
Niederlassungen. logs oder auch von einem Einfrieren der Beitrags-
sätze, aber möglichst nur des Arbeitgeberanteils. Es
Die Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen haben scheint also im Gesundheitswesen inzwischen so et-
trotz Härtefallregelungen inzwischen für viele chro- was wie eine „unheilige Allianz" am Werk zu sein,
nisch kranke, ältere und behinderte Menschen ein die zu allem möglichen entschlossen ist, nur nicht
kaum noch erträgliches Maß erreicht. zum einzig Notwendigen: zu einer vernünftigen
Auch wuchert innerhalb des Gesundheitswesens Strukturpolitik.
die Bürokratie weiter. Eine nicht mehr übersehbare Sicher ist allerdings: Sollte auch nur einiges von
Zahl von Prüfverfahren, Richtgrößen und anderen diesen obskuren Botschaften verwirklicht werden, so
Reglementierungen erschweren die medizinische Ar- wäre das gleichbedeutend mit dem Ende des bisheri-
beit. gen sozialstaatlichen und solidarischen Krankenver-
Besonders schlimm finde ich auch, daß mit den sicherungssystems in Deutschland.
kurzfristig verfügten Niederlassungssperren die be- (Zuruf von der CDU/CSU: Wo steht das?)
ruflichen Perspektiven der jungen Ârztegeneration
drastisch in Frage gestellt sind, statt mehr Ärzten - Das steht nirgendwo. Ich sage das so, und ich be-
mehr Raum für eine zuwendungsorientierte Medizin fürchte das so.
zu geben. In der Konsequenz hat sich inzwischen
Was seit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung
auch die Zahl der Weiterbildungsstellen in den Kran-
speziell auch im Gesundheitswesen an Sozialstaat,
kenhäusern erheblich verringert - all das angesichts
an Interessenvertretungen für die sozial schwächsten
von etwa 80 000 Humanmedizinstudenten, die in den
nächsten Jahren ins Berufsleben eintreten wollen. Teile der Bevölkerung und insgesamt an zivilgesell-
schaftlichem Fortschritt erreicht wurde, soll nun wie-
Andererseits ist festzustellen, daß ausgerechnet der aufgehoben werden. Um nicht mehr und nicht
die strukturellen Reformelemente des Gesetzes bis- weniger geht es unseres Erachtens gegenwärtig.
her noch gar nicht oder nur in Ansätzen wirksam ge-
worden sind. Hier sei nur an die vorgesehenen Ver- Herr Kollege Möllemann, Sie sprachen von Bevor-
änderungen in der Krankenhausfinanzierung oder mundung durch den Staat. Ich komme aus einem
auch an die ersten Schritte zum Umbau des ärztli- Staat, der bevormundet hat. Auch ich wünsche das
chen Vergütungssystems erinnert - vom speziellen nicht. Aber um Fürsorge des Staates geht es mir.
Schicksal der Positivliste ganz zu schweigen. (Beifall bei Abgeordneten der PDS)
Während also das Gesundheitsstrukturgesetz in Zum Abschluß noch ein Wort.
seinen Auswirkungen noch keineswegs übersehen
werden kann, wird nun bereits zu einer neuen (Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid]
Reformetappe geblasen. Regierung und Koalition [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischen-
kündigen dabei das Kunststück an, die Budgetierung frage)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1693

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie gnügungspflichtige Angelegenheit ist. Das befreit
eine Zwischenfrage, Frau Kollegin? Sie aber nicht von der Pflicht, Herr Bundesgesund-
heitsminister, das GSG umzusetzen. Das gilt auch für
die Positivliste, wie es im Gesetz steht.
Dr. Ruth Fuchs (PDS): Ich habe diesbezüglich
schon einmal negative Erfahrungen gemacht. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
bitte, jetzt noch nicht. Ein halbes oder dreiviertel ten der PDS)
Jahr später bin ich gerne bereit, auf solche Fachfra-
gen zu antworten. Ich sage Ihnen: Es ist unverständlich, wenn Sie ei-
nerseits fordern, die Instrumente des GSG konse-
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
CSU]: Dann haben wir die Reform von der quent umzusetzen, und dann die Positivliste in
Frage stellen. Nicht das Parlament und nicht die Mit-
Bühne!)
glieder des Gesundheitsausschusses sind hier in der
Verantwortung. Sie sind in der Verantwortung, einen
Dr. Ruth Fuchs (PDS): Ich möchte nur noch einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorzulegen.
Satz sagen. Ich wünsche dem heute ebenfalls auf der
Tagesordnung stehenden Entwurf eines Dritten Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wolf
setzes zur Änderung des Fünften Buchs Sozialgesetz- gang Zöller [CDU/CSU]: Das macht er!)
buch, und zwar in der vorliegenden Form, eine ra-
sche Verabschiedung und eine schnelle Inkraftset- Sie wissen ganz genau, was das Gesetz vor-
zung, denn in der Praxis wird diese Umsetzung ge- schreibt. Dieser Verantwortung - dazu fordern wir
braucht. Sie auf - haben Sie zunächst einmal nachzukommen.
Wenn Sie hier fragen, welches Medikament hinein
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. soll oder herausgenommen werden soll, dann kann
(Beifall bei der PDS) ich Ihnen nur eines sagen: Ich kenne Ihren Verord-
nungsentwurf bis heute noch nicht. Wir warten alle
gespannt auf Ihren Vorschlag, den Sie zu unterbrei-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das- Wort hat ten haben.
jetzt der Abgeordnete Klaus Kirschner.
Die drei Fragen, die Sie hier stellen, müssen Sie
sich selbst beantworten. So ist der Weg, und der Bun-
Klaus Kirschner (SPD): Frau Präsidentin! Meine desrat wird dem zustimmen oder nicht. Das ist Ihre
Damen und Herren! Der von der Bundesregierung Aufgabe, dafür sind Sie letzten Endes Minister. Ganz
vorgelegte Gesetzentwurf des Änderungsgesetzes einfach.
zum SGB V ist mit dem Satz umschreibbar: Er kommt
spät, aber er kommt wenigstens. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Denn mehr als ein Drittel der Bestimmungen des ten der PDS - Bundesminister Horst Seeho
vorgelegten Gesetzentwurfes soll rückwirkend in fer: Beantworten Sie Fragen?)
Kraft treten. Ich kann nur feststellen, Herr Bundes-
- Herr Kollege Seehofer, ich habe noch nie eine
gesundheitsminister: Auch ein Bundesminister hat
zuerst seine Hausaufgaben zu machen. Dem Profil Frage abgelehnt.
eines Bundesankündigungsministers für Gesundheit
(Widerspruch bei der CDU/CSU - Wolfgang Horst Seehofer (CDU/CSU): Herr Kollege Kirsch-
Zöller [CDU/CSU]: Da müssen Sie selber la ner, würden Sie politisch, nicht in Ihrer Kompetenz
chen!) als Mitglied des Deutschen Bundestags, sondern als
Angehöriger der Mehrheitspartei, die im Bundesrat
- ja, das wird Ihnen nicht gefallen - entsprechen Sie die Mehrheit stellt, einer Liste zustimmen, die der
spätestens seit Ihren Versprechungen vom April Gesundheitsminister in seiner Verantwortung vorlegt
1994, und die zugunsten der Patienten die Arzneimittel
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der umfaßt, die heute in Deutschland zugelassen sind
PDS) und für die Verordnung zur Verfügung stehen? Ich
würde momentan eine solche Liste als die einzige
wo Sie angekündigt haben, zum BSE eine klare Linie mögliche Alternative unter gesundheitspolitischen
einzuschlagen und sozialen Gesichtspunkten betrachten. Würden
Sie einer solchen Liste zustimmen?
(Bundesminister Horst Seehofer: Wo?)
- beim BSE -, als das jetzt mit der Verordnung der (Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Reichen Sie
Fall ist. Ich sage nur: Das können wir uns nicht lei- doch die Rote Liste ein, Herr Minister!)
sten.
Er hat gesagt, ich habe eine Verantwortung. Die
Sie kündigen die nächste Reformstufe für die ge- möchte ich gerne wahrnehmen. Aus meiner Verant-
setzliche Krankenversicherung an, und andererseits wortung heraus halte ich es gegenüber den Patien-
werden die Hausaufgaben von Ihnen sträflichst ver- ten, den Kranken und den Versicherten nur für ver
nachlässigt. Nun weiß jeder, daß die gesetzliche antwortbar, alle Medikamente, die heute für die The-
Krankenversicherung ein vermintes Gelände - das rapie zur Verfügung stehen und zugelassen sind,
bestreitet niemand - und alles andere als eine ver- dem Bundesrat als Positivliste zuzuleiten.
1694 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Horst Seehofer
Ich wollte Herrn Kirschner, der diese Verantwor- Klaus Kirschner (SPD): Herr Kollege Seehofer, Sie
tung eingefordert hat, fragen, ob er einer solchen Li- werden mich doch nicht dazu bringen,
ste politisch seine Unterstützung in Aussicht stellen
(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
kann.
daß ich Ihnen die Arbeit abnehme.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kirschner, (Beifall bei der SPD)
bitte.
Ich sage Ihnen doch nur ganz einfach eines - ich
freue mich ja, daß das zu Heiterkeitsstürmen ge-
Klaus Kirschner (SPD): Herr Bundesgesundheits- radezu herausfordert -: Noch gibt es - ich denke, da
minister, sind wir uns einig - eine klare Verantwortungstei-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich würde ja lung zwischen Exekutive und Legislative. Ich denke,
sagen!) zuerst einmal ist der Bundesgesundheitsminister am
Zug, seinen Vorschlag vorzulegen. Dann wird man ja
§ 34a SGB V lautet: sehen, was in seinem Vorschlag enthalten ist. Dann
Der Bundesminister für Gesundheit erläßt durch wird darüber zu diskutieren sein. Wir warten zuerst
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundes- einmal auf das, was die Fachleute vorlegen.
rates die Vorschlagsliste nach § 92a Abs. 5 als Li- (Zuruf von der CDU/CSU: Er sagt es Ihnen
ste verordnungsfähiger Fertigarzneimittel in der doch gerade! - Horst Seehofer [CDU/CSU]:
vertragsärztlichen Versorgung nach Prüfung ih- Ich sage es doch gerade!)
rer Vereinbarkeit mit den in § 92 a aufgestellten
Voraussetzungen und anderen Rechtsvorschrif- - Entschuldigen Sie bitte; ich kenne doch überhaupt
ten. gar nicht, was der Bundesgesundheitsminister vorle-
gen will. Das soll er zuerst einmal machen.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Macht er!)
Die Listen, die der Kollege Lohmann herumreicht,
Die Rechtsverordnung ist erstmals bis zum habe ich nicht.
31. Dezember 1995 zu erlassen. -
(Wolfgang Friedrich Lohmann [Lüden
Das heißt ganz einfach: Wir warten einmal darauf, scheid] [CDU/CSU]: Ich habe Ihnen das ja
was Sie denn eigentlich vorlegen werden. gegeben! Sie wollen es nicht lesen!)
(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich sage Ihnen nur eines - ich weiß nicht, ob ich das
So einfach ist das. Ich wüßte nicht, daß die Mehr- Gesetz falsch lese -: Das Gesetz sieht doch zunächst
heitsverhältnisse plötzlich anders geworden sind, so einmal vor, daß ein Vorschlag der Sachverständigen
daß Sie jetzt einen Rollentausch machen wollen. des Arzneimittelinstituts kommt. Dieser Vorschlag
wird dann dem Bundesgesundheitsminister zugelei-
tet. Danach ist es seine und nicht meine Aufgabe,
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine Vorschlagsliste zu unterbreiten.
eine zweite Frage des Abgeordneten Seehofer?
(Wolfgang Friedrich Lohmann [Lüden
scheid] [CDU/CSU]: Das tut er ja auch!)
Klaus Kirschner (SPD): Gern.
Dann werden wir unsere Meinung dazu sagen; vor-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir wären ja her werden wir nichts unternehmen. Wir wollen ein-
zufrieden, wenn er die erste beantwortet!) mal abwarten, was der Bundesgesundheitsminister
vorschlägt.
Horst Seehofer (CDU/CSU): Herr Kollege Kirsch-
ner, der Bundesminister für Gesundheit würde es Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
nach dem heutigen Informationsstand unter Beach- jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs?
tung des § 34 a SGB V, den Sie gerade vorgelesen ha-
ben, unter juristischen, pharmakologischen, medizi-
nischen und sozialen Gesichtspunkten - Klaus Kirschner (SPD): Ja, selbstverständlich.

Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Kollege, teilen Sie


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie müssen fra-
gen, Herr Minister. meine Sorge, daß nach den Bemerkungen des Bun-
desgesundheitsministers von eben nur alles das in
die Liste geschrieben wurde, was heute schon ver-
Horst Seehofer (CDU/CSU): - für notwendig er- ordnet werden kann, und daß der Bundesgesund-
achten, die heute zugelassenen Arzneimittel in die heitsminister mit dieser Positivliste gar keine Struk-
Liste der verordnungsfähigen Medikamente aufzu- turreform beabsichtigt, sondern versucht, sich aus
nehmen, weil alles andere juristisch, pharmakolo- der Verantwortung zu schleichen? Teilen Sie diesen
gisch, gesundheitspolitisch und sozial zu Lasten der Eindruck, den ich aus seiner Frage gewonnen habe?
Menschen geht. Wenn ich die Verantwortung in der
Art wahrnehme, wie Sie es von mir fordern, möchte
Klaus Kirschner (SPD): Ich kann das nur voll und
ich Sie fragen: Würden Sie heute die politische Un-
ganz teilen.
terstützung für ein solches Vorgehen signalisieren
können? (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1695
Klaus Kirschner
Für uns ist die Positivliste ein Instrument der Quali- - Der Bundesgesundheitsminister hat einen Vor-
tätssicherung. schlag zu machen, und den hat er dem Bundesrat zu-
zuleiten. Dann wird dies zu prüfen sein.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wissen
doch gar nicht, wie die Positivliste aus (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Den hat er
sieht!) eben gemacht!)
- Da haben Sie recht. - Ich wiederhole mich: Für uns Lassen Sie uns doch abwarten, was er da alles vor-
ist die Positivliste ein Instrument der Qualitätssiche- legt. Eine Liste, wie sie der Herr Kollege Lohmann
rung. Deshalb warten wir ab, was vorgelegt wird. ständig durch die Gegend flattern läßt, interessiert
Aus dieser Verantwortung werden wir den Bundes- mich nicht. Vielmehr geht es darum, daß der Bundes-
gesundheitsminister nicht entlassen. Das sind seine gesundheitsminister seiner Verantwortung nachzu-
Aufgabe und seine Verantwortung. kommen hat. Wir werden nicht zulassen, daß die Rol-
len vertauscht werden. Auch das sage ich Ihnen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wolf klipp und klar.
gang Zöller [CDU/CSU]: Wir werden Sie
nicht entlassen, eine Antwort zu geben! - (Beifall bei der SPD)
Abg. Horst Seehofer [CDU/CSU] meldet
sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es gibt eine wei-
- Soll ich weiterreden? Ich frage Sie: Wollen Sie sich tere Bitte nach einer Zwischenfrage von der Kollegin
da hinsetzen? Steindor.

(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Klaus Kirschner (SPD): Ja, bitte schön.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: In Anbetracht (Abg. Jörg Tauss [SPD] meldet sich eben
der Tatsache, daß Herr Seehofer jederzeit in seiner falls zu einer Zwischenfrage)
Eigenschaft als Bundesminister reden darf, stellt sich
-
die Frage, ob wir ihm mehr als zwei Zwischenfragen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Aber ich bitte
einräumen sollten. doch alle Kollegen, im Interesse auch derjenigen, die
später noch reden müssen - ich halte ja jedesmal die
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er kann doch
als Abgeordneter fragen! - Wolfgang Loh Uhr an -, mit den Zwischenfragen etwas zurückhal-
mann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wenn tend zu sein. Aber bitte, wenn Sie sie gestatten.
hier schon Gedichte vorgetragen werden,
dann kann man auch eine weitere Frage zu Marina Steindor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
lassen!) Herr Kirschner, teilen Sie meine Auffassung, daß
eine Positivliste per definitionem nicht die gesamte
Wenn Sie das gestatten? - Bitte. Liste der verordnungsfähigen Medikamente sein
kann und daß in den europäischen Nachbarstaaten,
Horst Seehofer (CDU/CSU): Herr Kollege Kirsch- die eine Positivliste haben, die Menschen nicht ge-
ner, ich frage Sie jetzt noch einmal - das ist meine sünder und nicht kränker sind als in der Bundesrepu-
Verantwortung nach der Prüfung -: Wenn ich eine blik Deutschland?
Verordnung mit zwei Paragraphen vorlege, die besa-
gen, daß erstens in die Liste der verordnungsfähigen Klaus Kirschner (SPD): Zum letzteren: Es ist si-
Medikamente alle derzeit zugelassenen Arzneimittel cherlich sehr schwierig, das zu vergleichen. Aber ich
aufgenommen werden - das wäre der § 1 - und daß will grundsätzlich dazu sagen - ich denke, darauf
diese Verordnung - das wäre § 2 - am 1. Januar 1996 zielt Ihre Frage ab -: Das Instrument der Positivliste
in Kraft tritt, könnten Sie dann einer solchen Sache ist nicht in der Bundesrepublik Deutschland erfun-
politisch zustimmen? den worden, sondern auch andere Länder arbeiten
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das dritte damit mit sehr guten Erfolgen. Ich denke, darum
Mal keine Antwort! - Weiterer Zuruf von geht es letzten Endes bei dem Instrument der Positiv-
der CDU/CSU: Scharping fragen!) liste.
(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
Klaus Kirschner (SPD): Herr Kollege, ich unter- CSU]: Die positivste Positivliste hat die ehe
breite Ihnen den Vorschlag: Reden Sie doch nicht malige DDR gehabt!)
ständig, was in die Liste aufgenommen werden soll
oder nicht, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine weitere
(Lachen bei der CDU/CSU) Zwischenfrage, bitte.

sondern kommen Sie dem nach, was das Gesetz vor-


sieht. Das ist Ihre Aufgabe als Verordnungsgeber, Jörg Tauss (SPD): Herr Kollege Kirschner, wie be-
nichts anderes. urteilen Sie den Vorgang unter dem Gesichtspunkt
des heute Gesagten, daß hochrangige Beamte bei-
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Herr Kirsch spielsweise aus dem Bundesministerium für Bildung,
ner, so schwach wie heute waren Sie schon Wissenschaft, Forschung und Technologie in öffentli-
lange nicht mehr!) chen Veranstaltungen auftreten und darum bitten,
1696 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Jörg Tauss
der Bundesregierung Argumente dafür zu liefern, die mensteigerung von knapp 2,5 % und Ausgabenstei-
dazu führen können, daß die Positivliste, die ja im gerungen zwischen 6,5 und 7,5 %. Ich meine, diese
Gesetz steht, nicht umgesetzt werden muß? Warnsignale kann doch niemand ignorieren. Im übri-
gen können wir die Aussagen zu den Ausgabenent-
wicklungen der letzten Jahre in dem heute unter die-
Klaus Kirschner (SPD): Herr Kollege Tauss, es ist
doch völlig klar - wer will denn das bestreiten? -, daß sem Tagesordnungspunkt vorgelegten Bericht nach-
lesen. Ich denke, notwendig ist - deshalb läßt sich
es bei der gesetzlichen Krankenversicherung - der
diese Diskussion auch nicht von der Positivliste tren-
Kollege Möllemann hat das vorher deutlich gemacht -
nen -, die Instrumente des GSG wirklich konsequent
sehr unterschiedliche Interessen gibt. Dabei ist unbe-
umzusetzen.
stritten, daß bei einer Positivliste auch wirtschaftli-
che Interessen berührt werden. Genau darum geht
es. Meine Damen und Herren, noch einige Bemerkun-
gen zum vorliegenden Gesetzentwurf. Ein Beispiel
Deshalb sage ich noch einmal: Wir halten die Posi- für wichtige Regelungen, die längst hätten in Kraft
tivliste für notwendig. Es muß entschieden werden, getreten sein müssen, sind die Verteilungsregelun-
was zur vertragsärztlichen Verordnung gehört, und gen für die Krankenversicherungsbeiträge, die von
zwar unter dem Gesichtspunkt der Qualität. Um den Rentenversicherungen für die pflichtversicher-
nichts anderes geht es. ten Rentner an die Bundesversicherungsanstalt für
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Angestellte gezahlt werden, die diese dann an die
Krankenkassen zu leiten hat.
Daß dabei wirtschaftliche Interessen berührt sind,
sagte ich schon. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
CSU]: Das ist wahr!)
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie ist das mit
der Therapiefreiheit?)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, um das
- Kollege Dr. Thomae, was heißt denn das - das Unwort des Jahres 1994 nicht noch einmal in Mißkre-
würde ich schon gerne wissen wollen -: „Wie ist es dit zu bringen: Es handelt sich bei der seit dem
mit der Therapiefreiheit?" Heißt das - darf ich Sie so 1. Januar 1995 bestehenden Regelungslücke nicht
interpretieren? -, daß alles - - um „peanuts"; es geht vielmehr um fehlende Rege-
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Zugelassen ist! lungen für annähernd 30 Milliarden DM.
- Zuruf von der SPD: Um die Zulassung
geht es ja gerade!) Das erst jetzt vorgelegte 3. SGB-V-Änderungsge-
setz enthält immer noch nicht sämtliche für die Kran-
- Aber, jetzt bitte ich Sie! Wir führen doch eine sehr kenversicherung notwendigen Regelungen. Ein Bei-
ernsthafte Diskussion - die führen Sie in Einzelge- spiel für einen Mangel des 3. SGB-V-Änderungsge-
sprächen, die führen wir im Ausschuß - darüber: Was setzes ist das weitere Hinausschieben von im Ge-
ist notwendig, was ist nicht notwendig? sundheitsstrukturgesetz verbindlich vorgegebenen
Ich sage dazu nur eines: Wir werden hier doch in Transparenzregelungen. Bekanntlich ist ja zur Ver-
Kürze den Entwurf eines Psychotherapeutengesetzes besserung der Kosten- und Leistungstransparenz in
beraten. Auch da wird darüber diskutiert werden der gesetzlichen Krankenversicherung neben ande-
müssen: Was ist notwendig und was nicht? Sonst ren Transparenzdaten die Einführung der Diagnose-
wäre das schon lange im Leistungskatalog drin. verschlüsselung im ambulanten und im stationären
Bereich zum 1. Januar 1995 vorgesehen. Die jetzt an-
Nur das Schlagwort „Therapiefreiheit" in den gestrebte Verschiebung der Verschlüsselung um ein
Raum zu stellen - ich bitte Sie! Sie können doch nicht Jahr ist ein Rückschritt und eine Verbeugung vor der
sagen: Alles, was heute an Therapien überhaupt an- bisherigen Untätigkeit der Ärzteschaft, den Diagno-
geboten wird, gehört in den Leistungskatalog. Viel- seschlüssel fristgerecht einzusetzen. Sie ist aber auch
mehr geht es darum - und das ist Aufgabe aller Be- eine Ohrfeige für die Krankenhäuser, die den Dia-
teiligten, nicht zuletzt auch Aufgabe der Selbstver- gnoseschlüssel fristgerecht einsetzen. Damit wird die
waltung von Ärzten und Krankenkassen, d. h. des Umsetzung des GSG-Konzeptes zur Verbesserung
Bundesausschusses -, festzulegen, welche Therapien der Leistungs- und Kostentransparenz und der dar-
gesichert sind. auf basierenden Regelungen zur Wirtschaftlichkeits-
prüfung und Qualitätssicherung vorerst nicht mög-
Allerdings sage ich Ihnen auch ganz offen: Uns lich.
geht es darum, daß alles das, was zur Behandlung
von Krankheiten medizinisch notwendig ist, ohne
Abstriche in den Leistungskatalog hineinkommt. Letztlich werden damit auch weiterhin Entschei-
dungen aus dem hohlen Bauch provoziert. Denn,
Meine Damen und Herren, nun möchte ich noch meine sehr verehrten Damen und Herren, so klein-
ein paar Bemerkungen zur Umsetzung der struktu- klein sich diese Regelung auch anhört: Transparenz-
rellen Maßnahmen des Gesundheitsstrukturgeset- daten bilden die Grundlagen für weitreichende Ent-
zes machen. Der Bundesgesundheitsminister hat vor- scheidungen zur Steuerung des Gesundheitswesens.
hin gesagt: Die Instrumente des GSG sind konse- Kein Unternehmen, das immer wieder Entscheidun-
quent umzusetzen. Die Finanzdaten, die er vor weni- gen ohne betriebswirtschaftlich fundierte Kennzah-
gen Stunden der Öffentlichkeit vorgestellt hat, zei- len treffen muß - genau darum geht es -, hat auf
gen beispielsweise: Wir haben eine Grundlohnsum- Dauer eine Überlebenschance, wenn dadurch mögli-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1697
Klaus Kirschner
cherweise kostenintensive Fehlentscheidungen her- nichts kurz vor der Bundestagswahl 600 Millionen
ausgefordert werden. Das ist eines der größten struk- DM als Wahlgeschenke über den Tisch geschoben
turellen Defizite im System der gesetzlichen Kran- werden sollen, die letzten Endes die Versicherten
kenversicherung. hätten zahlen müssen?

Nachdem es nun aber so ist, wie es ist, das GSG (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
damit auch in diesem Punkt nicht konsequent umge- Wir haben Ihnen den richtigen Weg gewiesen, in-
setzt wird und nachdem jetzt eine neue Fassung des dem wir gesagt haben: Gefragt ist die Solidarität in-
Diagnoseschlüssels zum 1. Januar 1996 angekündigt nerhalb der Ärzteschaft. Diese Umverteilung hat in-
worden ist, werden wir unter Rückstellung aller Be- nerhalb der Ärzteschaft stattzufinden. Dieses ist der
denken und unter der Voraussetzung, daß ab 1. Ja- richtige Weg.
nuar 1996 die neue Fassung zeitgleich Anwendung
sowohl im ambulanten als auch im stationären Be- Im übrigen: Lassen Sie sich doch etwas einfallen,
reich findet, den Gesetzentwurf insgesamt mittragen. und denken Sie über das nach, was innerhalb der
Ich sage Ihnen aber jetzt schon: Wir werden einen Ärzteschaft diskutiert wird, nämlich ob es nicht sinn-
entsprechenden Entschließungsantrag der SPD-Bun- voll ist, zwei getrennte Honorartöpfe zu schaffen.
destagsfraktion zur Einführung des ICD-Schlüssels Dann haben Sie das Problem gelöst. Wir sind für ent-
einbringen. Ich kündige Ihnen dies hiermit an. An sprechende Vorschläge offen.
der Zustimmung Ihrerseits, daß dies verbindlich zum
1. Januar 1996 in Kraft tritt, werden wir ja sehen, wie Meine Damen und Herren, ich erinnere auch an
glaubwürdig Ihr Verschiebungsargument ist. den von Ihnen ebenfalls im Entwurf eines GKV-An-
passungsgesetzes unternommenen und von uns ver-
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na!) eitelten Versuch der Abkehr vom Sachleistungsprin-
zip in der gesetzlichen Krankenversicherung.
- Das werden wir dann sehen.
Ich erinnere ferner an den Versuch - der Kollege
Meine Damen und Herren, ein weiteres Beispiel Möllemann hat ja darauf hingewiesen -, in der zahn-
-
dafür, daß der vorgelegte Gesetzentwurf noch immer medizinischen Versorgung bei den Zahnfüllungen
nicht alles Notwendige enthält und damit immer ein Konzept der Grund- und Wahlleistungen durch
noch nicht einem entsprechenden Auftrag des Ge- die Hintertür einzuführen. Das ist Leistungsausgren-
sundheitsauschusses des Deutschen Bundestages zung durch die kalte Küche. Das wird die SPD nicht
zum GSG gerecht wird, sind die fehlenden Folgere- mitmachen.
gelungen zu der festgelegten Schließung des DO-Sy- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die SPD hat bei
stems bei den sogenannten RVO-Krankenkassen. der letzten Reform ganze Blöcke ausge
grenzt!)
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Ge-
setzentwurf - das habe ich Ihnen gesagt - zügig be-
raten. Ich warne Sie jedoch vor der Versuchung, wie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie
beim GKV-Anpassungsgesetz Wahlgeschenke zu eine Zwischenfrage?
verteilen oder sich von gemeinsam ausgehandelten
Grundlagen für die Weiterentwicklung des Gesund-
Klaus Kirschner (SPD): Bei Herrn Kollegen Zöller
heitswesens zu verabschieden, wie Sie es im vergan-
immer.
genen Jahr bereits erfolglos getan haben.

Ich sage Ihnen auch eines: Versuchen Sie nicht, Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Danke schön. - Auf
das Artikelgesetz für Aussiedler mit dranzuhängen. Grund dessen, was Sie eben sagten, frage ich Sie:
Solche Spielchen werden wir nicht mitmachen, bzw. Stimmen Sie meiner Meinung zu, daß das bisherige
dann sage ich Ihnen nicht mehr die zügige Beratung System eigentlich ungerecht ist? Wenn nämlich je-
zu. Ich denke, es ist in unser aller Interesse, daß Sie mand eine Zahnversorgung für 4 000 DM wählt, be-
das nicht tun. kommt er einen Zuschuß von 40 %. Hat er aber mehr
Geld und wählt sich einen Zahnersatz für 12 000
Meine Damen und Herren, ich sagte vorhin: Wir DM, bekommt er einen absolut gesehen wesentlich
könnten schon weiter sein. Im vergangenen Jahr ha- höheren Zuschuß. Wir befinden uns also momentan
ben Sie den Entwurf eines GKV-Anpassungsgeset- in der fatalen Situation, daß wir die Reichen auf Ko-
zes vorgelegt. Dieser Entwurf ist an uns gescheitert, sten derer bezuschussen, die weniger verdienen.
weil wir die damals vorgesehenen Mehrausgaben in
Höhe von 600 Millionen DM nicht akzeptieren konn-
ten. Klaus Kirschner (SPD): Der höchste Zuschuß be-
trägt 60 %. Ich gebe Ihnen gern zu, daß das ein Pro-
(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Schade, blem ist. Herr Kollege Zöller, ich nehme aber diese
schade!) Unzulänglichkeit lieber in Kauf, als zu einem Festbe-
tragssystem zu kommen, was ein großer Teil der
- Kollege Dr. Thomae, ich frage mich: Wie glaubwür- deutschen Zahnärzte will. Sie alle kennen doch die
dig sind Sie eigentlich, wenn Sie einerseits sagen, Gefahren, die dahinterstecken: Ein Festbetragskon-
die Lohnnebenkosten dürften sich nicht erhöhen, da zept läuft letzten Endes auf eine Versorgung nur
es um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Indu- noch mit Grundleistungen hinaus, und darüber hin-
strie gehe, während andererseits mir nichts, dir aus gibt es eben Wahlleistungen. Damit haben Sie
1698 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Klaus Kirschner
dann durch die Hintertür die Zweiklassenmedizin Klaus Kirschner (SPD): Lassen Sie mich einen
eingeführt. Schlußsatz sagen, Frau Präsidentin. Die SPD setzt auf
Kontinuität und Berechenbarkeit. Wir werden unter
Ich sage Ihnen ein Zweites: Alles, was über die dem geschilderten Vorbehalt den vorgelegten Ent-
Festbeträge hinausgeht, fällt aus der Wirtschaftlich- wurf eines 3. SGB-V-Änderungsgesetzes zügigst be-
keitsprüfung • und aus den Qualitätssicherungsmaß- raten.
nahmen heraus. Wenn Sie dies tun, Herr Kollege Zöl-
ler, werden Sie ein anderes Krankenversicherungssy- Vielen Dank.
stem schaffen. Dann bekennen Sie sich bitte auch
(Beifall bei der SPD und der PDS)
dazu! Mit uns werden Sie das nicht hinbekommen.
(Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat
Ich sage noch einmal: Das jetzige System weist Un- jetzt Herr Minister Seehofer.
zulänglichkeiten auf, aber das Konzept von Grund-
und Wahlleistungen wird unsere gesetzliche Kran- Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
kenversicherung völlig verändern in Richtung einer Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Damit
Zweiklassenmedizin. Ich kann nur hoffen, daß Sie sich in den nächsten Wochen bis zur Wahl in Nord-
dies nicht wollen. rhein-Westfalen nicht einige Dinge immer wieder
festmachen, die niemand will, möchte ich ganz klar
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen ma- feststellen:
chen zu der derzeit geführten und, wie ich Ihnen sa-
gen möchte, völlig überhasteten und unproduktiven, Erstens. Niemand beabsichtigt Rationierung oder
ja sogar kontraproduktiv angezettelten Diskussion Leistungsausgrenzung.
über eine weitere Reform im Gesundheitswesen. Sie
(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt!)
können sich noch so sehr davon distanzieren, aber
Ihr Fragenkatalog fragt letzten Endes nach Lei- Zweitens. Ich habe hier noch einmal gesagt: Ich
stungskürzungen und nach einer grundlegenden halte höhere Selbstbeteiligungen im deutschen Ge-
Neubestimmung des Leistungskatalogs, -nach einer sundheitswesen nicht mehr für verantwortbar und
Klassifizierung des gesundheitsgefährdenden Ver- möglich.
haltens und letzten Endes nach einem Ausschluß von
mehr oder weniger selbstverschuldeten Krankheiten. Drittens. Herr Kirschner, damit Sie auch zu den
Vertrags- und Wahlleistungen keinen Popanz auf-
Herr Minister Seehofer, wenn Sie dem Kollegen bauen: Es könnte durchaus sein, daß man zu der Auf-
Möllemann vorhin aufmerksam zugehört haben, fassung kommt, die Vertragsleistungen seien der Lei-
können Sie doch nicht bestreiten, daß die F.D.P. - ich stungskatalog, den wir heute in der deutschen Zahn-
denke, daß der Herr Möllemann für die F.D.P. und heilkunde haben.
damit für einen Teil der Regierungskoalition redet -
wohl eine ganz andere Intention dieser Weiterent- (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)
wicklung der gesetzlichen Krankenversicherung in Ich möchte Sie fragen, ob Sie dagegen sein können.
den Raum stellt, als Sie es vorhin mit Ihren Fragen
und Antworten getan haben. Viertens. Noch einmal zur Positivliste: Ich lasse es
einfach nicht im Raum stehen, wenn gesagt wird, un-
Sie können hier nicht sagen, die SPD male ein sere Haltung zur Positivliste sei ein Kniefall vor der
Schreckensbild an die Wand. Wenn ich mir die Rede Pharmalobby.
von Herrn Kollegen Möllemann noch einmal vor Au-
gen halte, dann war es genau das, was Sie in Abrede (Zuruf von der SPD: Was sonst?)
gestellt haben, was aber ein Teil der Koalition will, Wir beurteilen das allein im Hinblick auf die Auswir-
nichts anderes. kungen auf den Patienten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Widerspruch bei der SPD)
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der PDS) Und wenn für den Patienten 10 000 oder 20 000 Me-
dikamente weniger zur Verfügung stehen als heute,
Ich sage Ihnen noch eines, meine Damen und Her- ist dies zunächst einmal ein Schlag gegen die Versi-
ren von der Koalition. Bevor Sie sich zu weiteren Re- cherten und Kranken.
formankündigungen motiviert fühlen, die Sie dann,
wenn Sie die Mehrheitsverhältnisse endlich begrif- (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)
fen haben, wieder zurücknehmen müssen, sage ich Wir haben einen Schlag mitgemacht, den Sie zu
Ihnen zum x-tenmal: Für die SPD ist die Rationie- verantworten haben, Herr Kirschner, Herr Pfaff und
rung von Leistungen indiskutabel. Herr Schmidbauer, nämlich die Umstellung der
(Zurufe von der CDU/CSU: Für uns auch! - Selbstbeteiligung auf die Packungsgröße, die die
Da sind wir uns einig!) Versicherten mit 600 Millionen DM mehr belastet.
Sie verschweigen in der Öffentlichkeit, daß diese
- Wenn wir uns einig sind, ist das ja prima. Umstellung, die Sie zur Bedingung für die Zustim-
mung zur Gesundheitsreform gemacht haben, die
Versicherten mit 600 Millionen DM belastet.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Aber Ihre Rede-
zeit ist jetzt zu Ende. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1699
Bundesminister Horst Seehofer
Ein zweiter Schlag gegen die Versicherten und Pa- Klaus Kirschner (SPD): Herr Bundesgesundheits-
tienten, den Sie uns aufdrücken wollen und den wir minister, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so erre-
dann politisch zu verantworten haben, findet mit der gen.
Koalition nicht statt: eine Leistungsausgrenzung auf
Grund einer Positivliste, aus der wir nach Ihrer Vor-
stellung das eine oder andere Naturheilmittel heraus- Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
nehmen müßten, weil wir ganze Indikationen her- Nein, ich bin sehr gelassen. Warten Sie mal ab, wenn
ausnehmen, aus der wir Billigarzneimittel heraus- ich mich aufrege!
nehmen müßten, weil das nach Ihrer Vorstellung
weiter verfolgt werden soll. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der
F.D.P.)
(Widerspruch bei der SPD)
- Dann sagen Sie bitte, daß Sie das nicht wollen; Klaus Kirschner (SPD): Ich wollte Ihnen nur die
dann ist die Positivliste heute um 15.43 Uhr mit Zu- Frage stellen, ob Ihnen nicht gegenwärtig ist, wel-
stimmung der Opposition beerdigt. Aber sagen Sie chen Text wir gemeinsam in den § 92a hineinge-
es! schrieben haben. Dann frage ich Sie des weiteren,
(Beifall bei der CDU/CSU) Herr Bundesgesundheitsminister: Warum lassen Sie
nicht zu, daß die elf Sachverständigen des Arzneimit-
telinstituts ihren Vorschlag auf den Tisch legen, um
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Bundesmi- dann Ihre Entscheidung zu treffen? Warum nehmen
nister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sie nicht Ihre Verantwortung wahr? Gehen Sie mit
Kirschner? mir einig, daß Sie diese Verantwortung wahrzuneh-
men haben? Oder wollen Sie sie nicht wahrnehmen?
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
Ich lasse die Zwischenfrage zu, aber vielleicht kann (Zuruf von der SPD: Drücken will er sich!)
der Fragesteller noch auf folgendes eingehen.
- Zum zweiten. Herr Bundesgesundheitsminister,
Herr Kirschner, wenn ich mich recht erinnere, ha- wenn Sie so tun, als ob eine Positivliste des Teufels
ben wir am Ende der letzten Legislaturperiode hier wäre, warum haben Sie bzw. Ihr Vorgänger eine Ne-
im Bundestag und mit Zustimmung der Bundeslän- gativliste in Kraft gesetzt?
der eine Reform des Arzneimittelrechts im Konsens
verabschiedet,
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) Ich fange bei dem letzten und Einfachsten an. Ein
Arzneimittel, das negativ monographiert ist, kommt
und zwar eine Reform des Arzneimittelrechts mit der in der Vergangenheit und in der Zukunft auf die Ne-
Qualitätssicherung bei den Nachzulassungen der gativliste und wird nicht verordnet. Darum geht es
fiktiv zugelassenen Arzneimittel. Mit Ihrer Zustim- nicht.
mung ist beschlossen worden, daß fiktiv zugelassene
Arzneimittel, also Alt-Arzneirhittel, entweder ein nor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -
males Zulassungsverfahren durchlaufen oder, wenn Zuruf von der F.D.P.: Kann nicht zugelassen
das nicht gewollt ist, bis zum Jahre 2004 verkauft werden! - Klaus Kirschner [SPD]: Sie haben
werden können. doch gerade von Bagatellarzneimitteln ge
Herr Kirschner, wie wollen Sie der Öffentlichkeit redet!)
erklären, daß Sie vor wenigen Monaten hier im Deut- - Herr Kirschner, wir müssen hier doch wirklich kei-
schen Bundestag mit beschlossen haben, daß diese nen Unterricht erteilen. Das negativ monographierte
Arzneimittel, die Sie heute als bedenklich einstufen, hat mit Bagatellarzneimitteln überhaupt nichts zu
nach dem Arzneimittelrecht bis zum Jahre 2004 ver- tun. Es ist ein zweifelhaftes Arzneimittel. Ein Baga-
kauft werden dürfen? Jetzt wollen Sie die gleichen tellarzneimittel ist ein Arzneimittel, das aus sozialen
Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzli- Gründen ausgegrenzt werden kann, weil es so billig
chen Krankenversicherung zu Lasten der Patienten ist oder nur bei geringfügigen Gesundheitsstörungen
hinauswerfen. So liederlich und so schlampig dürfen eingesetzt wird.
Politiker bei der Gesetzgebung nicht arbeiten,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Noch einmal, damit wirklich klar ist, was wir mei-
nen - jetzt wird mir erst deutlich, daß wir offensicht-
daß wir nun das Gegenteil dessen machen, was wir lich völlig unterschiedliche Informationsstände ha-
vor einigen Monaten gemacht haben. ben -: Das, was negativ monographiert ist, ist in der
Vergangenheit auf die Negativliste gekommen und
Vielleicht beerdigen wir sie jetzt, wenn Sie, Herr wird in der Zukunft auf die Negativliste kommen.
Kirschner, mir hier erklären: Keine Naturheilmittel
raus, keine ganzen Indikationsgebiete raus und Zweitens. Im Jahre 1992 hatten wir im Grundsatz
keine Bagatellarzneimittel raus. Das will niemand in noch einen totalen Konsens über die Positivliste.
der Koalition, weil es den kranken Menschen treffen Jetzt stelle ich nach x Podiumsdiskussionen fest, daß
würde. Wenn Sie das hier erklären - mittlerweile ist die SPD-Abgeordneten, weiblich und männlich, er-
es 15.45 Uhr -, dann wäre die Positivliste heute im klären: Das und jenes kommt mit mir persönlich
großen Konsens beerdigt. nicht mehr in Frage.
1700 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Bundesminister Horst Seehofer


Drittens. Natürlich spreche ich mit den Sachver- 1991 zwischen der Bundesrepublik
ständigen und mit dem Bundesausschuß Ärzte/Kran- Deutschland und der Tunesischen Repu-
kenkassen. Wenn die ein völlig neues Argument ha- blik über Kindergeld
ben - was die Koalition und ich heute nicht sehen -,
werden wir das gewichten und in unsere Entschei- - Drucksache 13/664 —
dung einbeziehen. Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)
Ich habe Ihnen vorhin eine Frage gestellt. Aus heu- Auswärtiger Ausschuß
tiger Sicht würde ich in Wahrnehmung meiner Ver- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
antwortung beim Prüfen des § 34 a, der die Rechts-
grundlage für die Verordnung ist, dem Bundesrat c) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
eine Verordnung mit zwei Paragraphen zuleiten. Ich brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
würde schreiben: § 1. Alle Arzneimittel, die in der Änderung des Strafvollzugsgesetzes
Bundesrepublik Deutschland zugelassen sind - und
damit qualitativ in bezug auf die Wirksamkeit und — Drucksache 13/117
das Risiko geprüft, also in Ordnung sind -, bilden die —Überwisungvorschlag:
Liste der verordnungsfähigen Medikamente. - Denn Rechtsausschuß
ich will den Patienten nichts wegnehmen. - § 2.
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1996 in Kraft. d) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines Zweiunddreißig-
Eines können wir nicht machen. Mit Ihrer Zustim- sten Gesetzes zur Änderung des Lastenaus-
mung haben wir im September 1994, wenn ich mich gleichsgesetzes (32. ÄndG LAG)
recht erinnere, gegenüber der Öffentlichkeit in ei-
nem Gesetz gesagt: Arzneimittel sind erstens zuge- — Drucksache 13/188
lassen, wenn sie ausdrücklich ein Zulassungsverfah- —Überwisungvorschlag:
ren durchlaufen haben, und zweitens können alle Innenausschuß (federführend)
übrigen Arzneimittel noch bis zum Jahre 2004 ver- Finanzausschuß
kauft werden. Jetzt können wir nicht wenige- Monate
später den Patienten und den Herstellern sagen: Das e) Beratung des Antrags des Bundesministeri-
alles war ein Irrtum; jetzt geht alles von vorne los. ums der Finanzen
Das geht nicht. Ein bißchen Geradlinigkeit und
Glaubwürdigkeit tut dem Deutschen Bundestag bei Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundes-
seinen Entscheidungen gut. haushaltsordnung in die Veräußerung des
Standortübungsplatzes München („Pan-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - zerwiese")
Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Sie verwech
seln die Rote Liste mit der Positivliste!) - Drucksache 13/432 —
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da-
mit die Aussprache. f) Beratung des Antrags des Bundesministeri-
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- ums der Finanzen
lagen auf den Drucksachen 13/340 und 12/8570 an Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundes-
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse haushaltsordnung in die Veräußerung ei-
vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die ner Teilfläche der bundeseigenen Liegen-
Überweisungen so beschlossen. schaft „Lee-Barracks" in Mainz-Gonsen-
heim an die Grundstücksverwaltungsge-
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a bis 16f so- sellschaft der Stadt Mainz mbH (GVG)
wie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:
- Drucksache 13/551 —
16. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Überweisungsvorschlag:
a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Haushltcß
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 25. März 1981 ZP4 weitere Überweisungen im vereinfachten
zwischen der Bundesrepublik Deutschland Verfahren
und dem Königreich Marokko über Kin- a) Erste Beratung des von der Fraktion B Ü ND-
dergeld
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
- Drucksache 13/665 — wurfs eines Gesetzes zur Änderung von
Überweisungsvorschlag:
Vorschriften über die Besetzung von Gre-
mien
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)
Auswärtiger Ausschuß - Drucksache 13/693 —
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Überweisungsvorschlag:
b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
Innenausschuß (federführend)
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
zes zu dem Abkommen vom 20. September ordnung
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1701
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜND- Berichterstattung:
NIS 90/DIE GRÜNEN Abgeordnete Dr. Erich Riedel (München)
Ina Albowitz
Änderung des Gesetzes über die Errich- Eckart Kuhlwein
tung einer Schuldenverwaltung des Verei- Antje Hermenau
nigten Wirtschaftsgebietes
d) Beratung der Beschlußempfehlung des
- Drucksache 13/692 - Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
Überweisungsvorschlag: Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzausschuß (federführend) Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- 05 02 Titel 686 43
ordnung
Ausschuß für Wirtschaft - Beitrag zu den Kosten der EU-Friedens-
mission in Jugoslawien -
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse - Drucksachen 12/8538, 13/439 -
zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? -
Berichterstattung:
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Abgeordnete Dr. Erich Riedel (München)
Ina Albowitz
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17a bis 17x so- Eckart Kuhlwein
wie die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf: Antje Hermenau
17. Abschließende Beratungen ohne Aussprache e) Beratung der Beschlußempfehlung des
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
a) Zweite und Dritte Beratung des vom Bun- Unterrichtung durch die Bundesregierung
desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes zur Verhü- Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 09 02
tung und Bekämpfung übertragbarer Titel 891 91
Krankheiten beim Menschen (Gesetz zur - Kapitalzuführung an die DFA-Ferti-
Änderung des Bundes-Seuchengesetzes - gungs- und Anlagenbau GmbH -
BSeuchÄndG)
- Drucksachen 13/42, 13/440 -
- Drucksache 13/119 -
Berichterstattung:
Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Abgeordnete Kurt Rossmanith
schusses für Gesundheit (14. Ausschuß) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
Manfred Hampel
- Drucksache 13/706 - Antje Hermenau
Berichterstattung: f) Beratung der Beschlußempfehlung des
Abgeordneter Dr. Harald Kahl Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
b) Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen CDU/CSU, SPD, F.D.P. und Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten 23 02 Titel 686 08 - Ernährungssicherungs-
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der programme -
Vorschriften über parlamentarische Gre- Kapitel 23 02 Titel 686 24 - Nahrungsmit-
mien telhilfe -

- Drucksache 13/543 - - Drucksachen 12/8567, 13/441 -


Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Berichterstattung:
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Abgeordnete Dr. Emil Schnell
Geschäftsordnung (1. Ausschuß) Michael von Schmude
Antje Hermenau
- Drucksache 13/662 - Jürgen Koppelin
Berichterstattung: g) Beratung der Beschlußempfehlung des
Abgeordneter Dieter Wiefelspütz Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
c) Beratung der Beschlußempfehlung des
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Haushaltsführung 1994;
Unterrichtung durch die Bundesregierung Einwilligung in eine überplanmäßige Aus-
gabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 02
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel
05 02 Titel 686 30 - Beteiligung der Bundesrepublik Deutsch-
land am Kapital der Internationalen Ent-
- Beitrag an die Vereinten Nationen - wicklungsorganisation (IDA) -
- Drucksachen 13/151, 13/438 - - Drucksachen 12/8566, 13/442 -
1702 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


Berichterstattung: dern und Berlin (Ost) - und bei Kapitel
Abgeordnete Dr. Emil Schnell 31 04 Titel 685 03 -
Michael von Schmude
Antje Hermenau - Beteiligung des Europäischen Sozial-
Jürgen Koppelin fonds am Sonderprogramm zur Schaffung
zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neu-
h) Beratung der Beschlußempfehlung des en Ländern und Berlin (Ost) -
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksachen 12/8585, 13/446 -

Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel Berichterstattung:


Abgeordnete Dieter Schanz
12 15 - Flugsicherung -
Steffen Kampeter
Titel 671 02 - Erstattung von Einnahmeaus Antje Hermenau
fällen der DFS Deutsche Flugsicherung Jürgen Koppelin
GmbH auf Grund von Gebührenbefreiun
1) Beratung der Beschlußempfehlung des
gen
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
-

- Drucksachen 13/103, 13/443 - Unterrichtung durch die Bundesregierung

Berichterstattung: Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel


Abgeordnete Hans Georg Wagner 18 03 Titelgruppe 01
Bartholomäus Kalb - Kindergeld nach dem Bundeskindergeld-
Kristin Heyne gesetz -
Jürgen Koppelin
- Drucksachen 13/92, 13/447 -
i) Beratung der Beschlußempfehlung des
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Berichterstattung:
-
Unterrichtung durch die Bundesregierung Abgeordnete Peter Jacoby
Ina Albowitz
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel Siegrun Klemmer
25 02 Titel 622 01 Kristin Heyne
- Zuweisungen an Länder zur Verbilligung m) Beratung der Beschlußempfehlung des
von Zinskosten - Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
- Drucksachen 12/86 08, 13/444 -
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 04
Berichterstattung: Titel 681 23
Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin - Sonderleistungen für Zivildienstleistende
Dr. Rolf Niese nach Maßgabe des Unterhaltssicherungs-
Antje Hermenau gesetzes -
j) Beratung der Beschlußempfehlung des - Drucksachen 12/8562, 13/448 -
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Ina Albowitz
Titel 896 03 Siegrun Klemmer
Kristin Heyne
- Bilaterale Technische Zusammenarbeit
mit Entwicklungsländern - n) Beratung der Beschlußempfehlung des
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
- Drucksachen 13/66, 13/445 - Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berichterstattung: Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel
Abgeordnete Dr. Emil Schnell 11 13 Titel 646 12
Michael von Schmude
Antje Hermenau - Erstattung von Invalidenrenten und Auf-
Jürgen Koppelin wendungen für Pflichtbeitragszeiten bei
Erwerbsunfähigkeit in dem in Artikel 3 des
k) Beratung der Beschlußempfehlung des Einigungsvertrages genannten Gebiet -

Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der


Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksachen
– 12/8559, 13/449

Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel Berichterstattung:


31 04 Titel 685 02 Abgeordnete Karl Diller
Hans-Joachim Fuchtel
- Sonderprogramm zur Schaffung zusätzli- Antje Hermenau
cher Ausbildungsplätze in den neuen Län Ina Albowitz
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1703
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
o) Beratung der Beschlußempfehlung des Berichterstattung:
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Unterrichtung durch die Bundesregierung Ina Albowitz
Uta Titze-Stecher
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel Antje Hermenau
11 13 Titel 656 04
s) Beratung der Beschlußempfehlung des
- Zuschüsse zu den Beiträgen zur Renten- Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
versicherung der in Werkstätten beschäf- Unterrichtung durch die Bundesregierung
tigten Behinderten -
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel
- Drucksachen 12/8554, 13/450 - 11 12 Titel 681 11
Berichterstattung: - Eingliederungshilfe für Spätaussiedler -
Abgeordnete Karl Diller
Drucksachen 12/8606, 13/454 -
Hans-Joachim Fuchtel
-

Antje Hermenau Berichterstattung:


Ina Albowitz Abgeordnete Karl Diller
Dietrich Austermann
p) Beratung der Beschlußempfehlung des Antje Hermenau
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Ina Albowitz
Unterrichtung durch die Bundesregierung
t) Beratung der Beschlußempfehlung des
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
11 13 Titel 681 02 Unterrichtung durch die Bundesregierung
- Aufwendungen des Bundes für die ge- Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel
setzliche Unfallversicherung - 11 12 Titel 681 11
- Drucksachen 12/8550, 13/451 - - Eingliederungshilfe für Spätaussiedler
Berichterstattung: -Drucksahen13/70, 456-
Abgeordnete Karl Diller Berichterstattung:
Hans-Joachim Fuchtel Abgeordnete Karl Diller
Antje Hermenau Dietrich Austermann
Ina Albowitz Antje Hermenau
q) Beratung der Beschlußempfehlung des Ina Albowitz
Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der u) Beratung der Beschlußempfehlung des
Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel Unterrichtung durch die Bundesregierung
11 13 Titel 656 04 Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel
11 12 Titel 681 12
- Zuschüsse zu den Beiträgen zur Renten-
versicherung der in Werkstätten beschäf- - Sachkosten bei Teilnahme an Deutsch-
tigten Behinderten - Sprachlehrgängen für Spätaussiedler -
- Drucksachen 12/8605, 13/452 - - Drucksachen 12/8604, 13/457 -

Berichterstattung: Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Abgeordnete Karl Diller
Hans-Joachim Fuchtel Dietrich Austermann
Antje Hermenau Antje Hermenau
Ina Albowitz Ina Albowitz

r) Beratung der Beschlußempfehlung des y) Beratung der Beschlußempfehlung des


Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung Unterrichtung durch die Bundesregierung
Außerplanmäßige Ausgaben bei Kapitel
Haushalts- und Wirtschaftsführung 1994;
11 12 apl. Titel 856 32
Antrag auf Erteilung der Einwilligung in - Darlehen an die Bundesanstalt für Arbeit -
eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel
06 40 Titel 896 21 - Drucksachen 13/175, 13/458 -

- Leistungen zur Schaffung von Lebens- Berichterstattung:


grundlagen für die deutschen Minderhei- Abgeordnete Karl Diller
ten - bis zur Höhe von 28 500 TDM - Dietrich Austermann
Antje Hermenau
- Drucksachen 13/22, 13/453 - Ina Albowitz
1704 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer


w)Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt da-
tionsausschusses (2. Ausschuß) gegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung einstimmig angenommen
Sammelübersicht 14 zu Petitionen worden.
- Drucksache 13/576 - Wir kommen zur
x) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- dritten Beratung
tionsausschusses (2. Ausschuß)
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
Sammelübersicht 15 zu Petitionen dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
- Drucksache 13/577 - Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen
ZP5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- Hauses angenommen worden.
sprache Wir kommen nun zu 20 Beschlußempfehlungen
des Haushaltsausschusses zu über- und außerplan-
a) Zweite und Dritte Beratung des vom Bun-
mäßigen Ausgaben im Haushaltsjahr 1994. Der
desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset-
Haushaltsausschuß empfiehlt jeweils Kenntnis-
zes zur Änderung des Gesetzes über den
Finanzausgleich zwischen Bund und Län- nahme.
dern Da die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
die Gruppe der PDS unterschiedlich abzustimmen
- Drucksache 13/203 -
wünschen, ist es mir nicht möglich, über die Be-
(Erste Beratung 15. Sitzung) schlußempfehlungen gemeinsam abstimmen zu las-
sen. Ich habe deshalb mehrere Abstimmungsblöcke
Beschlußempfehlung und Bericht des Fi- gebildet.
nanzausschusses (7. Ausschuß)
Tagesordnungspunkt 17c: Wir kommen zunächst
- Drucksache 13/686 - zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des
Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausga-
Berichterstattung: ben beim Beitrag an die Vereinten Nationen, Druck-
Abgeordnete Gisela Frick sachen 13/151 und 13/438. Wer stimmt dafür? - Wer
Christine Scheel stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluß-
Johannes Selle empfehlung ist damit einstimmig angenommen wor-
Volker Kröning den.
b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ Tagesordnungspunkt 17d - Drucksachen 12/8538
CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und und 13/439 -: Beitrag zu den Kosten der EU-Frie-
F.D.P. densmission in Jugoslawien. Wer stimmt dafür? -
Erneute Überweisung von Vorlagen aus Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthal-
früheren Wahlperioden tung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Gruppe der PDS angenommen.
- Drucksache 13/725 -
Tagesordnungspunkt 17e - Drucksachen 13/42
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zu und 13/440 -: Kapitalzuführung an die DFA-Ferti-
Tagesordnungspunkt 17a: Wer dem vom Bundesrat gungs- und Anlagenbau GmbH. Wer stimmt dafür? -
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthal-
Bundes-Seuchengesetzes - Drucksachen 13/119 und tung der Gruppe der PDS mehrheitlich angenom-
13/706 - in der Ausschußfassung zustimmen möchte, men.
den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt da- Tagesordnungspunkte 17f und 17g - Drucksachen
gegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist da-
12/8567, 13/441, 12/8566 und 13/442 -: Ernährungs-
mit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
sicherungsprogramme und Nahrungsmittelhilfe, Be-
Ich komme zur teiligung am Kapital der Internationalen Entwick-
lungsorganisation. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dritten Beratung dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Tagesordnungspunkt 17h - Drucksachen 13/103
ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der und 13/443 -: Erstattung von Einnahmeausfällen der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hau- Deutschen Flugsicherung GmbH. Wer stimmt dafür?
ses angenommen worden. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthal-
tung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit
Tagesordnungspunkt 17b: Wir kommen zur Ab- den Stimmen aller anderen Fraktionen und Gruppen
stimmung über den von den Fraktionen der CDU/ angenommen.
CSU, SPD, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Vor- Tagesordnungspunkte 17i bis 17k - Drucksachen
schriften über parlamentarische Grémien, Drucksa- 12/8608, 13/444, 13/66, 13/445, 12/8585 und 13/446 -:
chen 13/543 und 13/662. Ich bitte diejenigen, die Verbilligung von Zinskosten, Bilaterale Technische
dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustim- Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, Schaf-
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1705
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
fung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen setzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte die-
Ländern. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
Enthaltungen? - Mit den Stimmen des ganzen Hau- um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Ent-
ses angenommen. haltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den
Tagesordnungspunkte 171 und 17m - Drucksa- Stimmen aller anderen in zweiter Beratung ange-
chen 13/92, 13/447, 12/8562 und 13/448 -: Kinder- nommen.
geld, Sonderleistungen für Zivildienstleistende. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- Wir kommen zur
gen? - Diese Beschlußempfehlungen sind bei Enthal-
dritten Beratung
tung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit
den Stimmen aller anderen angenommen. und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
Tagesordnungspunkte 17n bis 17q - Drucksachen
ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
12/8559, 13/449, 12/8554, 13/450, 12/8550, 13/451,
Gesetzentwurf ist bei einigen Enthaltungen mehr-
12/8605 und 13/452 -: Erstattung von Invalidenren-
heitlich angenommen.
ten, gesetzliche Unfallversicherung, Zuschüsse zu
Rentenversicherungsbeiträgen. Wer stimmt dafür? - Zusatzpunkt 5 b: Antrag der Fraktionen CDU/CSU,
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. auf er-
die Beschlußempfehlungen einstimmig angenom- neute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahl-
men. perioden, Drucksache 13/725. Wer stimmt für den
Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Tagesordnungspunkt 17r - Drucksachen 13/22
Einstimmig so angenommen.
und 13/453 -: Leistungen zu Lebensgrundlagen
deutscher Minderheiten. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Ablehnung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einiger Fragestunde
Stimmen der Gruppe der PDS sowie bei einigen Ent-
haltungen ist die Beschlußempfehlung mehrheitlich - Drucksache 13/676 -
angenommen. Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des
Tagesordnungspunkte 17s und 17t - Drucksachen Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwor-
12/8606, 13/454, 13/170 und 13/456 -: Eingliede- tung steht bereit,der Parlamentarische Staatssekretär
rungshilfen für Spätaussiedler. Wer stimmt dafür? - Dr. Kurt Faltlhauser.
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Die Fragen 25, 26 und 27 werden auf Wunsch der
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthal- Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten
tung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS sind werden als Anlagen abgedruckt.
die Beschlußempfehlungen mehrheitlich angenom-
men. Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Ulrich
Junghanns auf:
Tagesordnungspunkt 17u - Drucksachen 12/8604
Wie gewährleistet die Bundesregierung entgegen neuerli-
und 13/457 -: Deutsch-Sprachlehrgänge für Spätaus- cher, durch schleppenden Baufortgang genährter Zweifel die
siedler. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - termingerechte, für Mitte 1995 vorgesehene Fertigstellung und
Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen aus der Inbetriebnahme der Gemeinschaftszollanlage am Grenzüber-
Gruppe der PDS ist diese Beschlußempfehlung mit gang Frankfurt (Oder)/Swiecko II, und zu welchem Zeitpunkt
wird die Fertigstellung der Nordbrücke Grenzübergang Frank-
den Stimmen aller anderen angenommen. furt (Oder) BAB 12 gesichert?
Tagesordnungspunkt 17v - Drucksachen 13/175 Bitte, Herr Staatssekretär.
und 13/458 -: Darlehen an die Bundesanstalt für Ar-
beit. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen?-BeiEnthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/ Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung mit den desminister der Finanzen: Herr Kollege Junghanns,
Stimmen aller anderen angenommen. die Liberalisierung des Warenverkehrs in Osteuropa
hat das Verkehrsaufkommen an den großen Grenz-
Tagesordnungspunkte 17w und 17x: Beschlußemp- übergängen zur Republik Polen um ein Vielfaches
fehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksa- ansteigen lassen. Die zum Teil gravierenden Abferti-
chen 13/576 und 13/577. Das sind die Sammelüber- gungsprobleme sind auf die nach wie vor unzurei-
sichten 14 und 15. Wer stimmt für diese Beschluß- chende Infrastruktur zurückzuführen. Die Bundesre-
empfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - gierung ist bestrebt, durch Neu- und Umbauten so-
Die Beschlußempfehlungen sind bei Enthaltung der wie durch provisorische Maßnahmen die Situation zu
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der entspannen. Sie hat insgesamt für eigene große Bau-
Gruppe der PDS mit den Stimmen aller anderen maßnahmen und Zuschüsse zu polnischen Baumaß-
Fraktionen angenommen. nahmen Mittel in Höhe von insgesamt 260 Millionen
DM veranschlagt und zum Teil auch bereits veraus-
Zusatzpunkt 5 a: Abstimmung über den vom Bun-
gabt.
desrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Die Bundesregierung verfolgt auch weiterhin die
Bund und Ländern, Drucksache 13/203. Der Finanz- Politik der Öffnung neuer Grenzübergänge, weil sich
ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/686, den Ge- dadurch der Verkehr verteilen kann und so die ein-
1706 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser


zelnen Übergänge entlastet werden. Wegen der gro- der von Ihnen in Ihrer Frage angesprochenen Verein-
ßen politischen Bedeutung haben auch der Bundes- barung zwischen dem Chef des Kanzleramtes und
kanzler und der polnische Ministerpräsident hier Im- dem polnischen Ministerrat ist es an dem Grenzüber-
pulse gegeben und miteinander geredet. gang Frankfurt (Oder) zu erheblichen Verbesserun-
gen gekommen. Seit dem 9. September 1994 wird
Die Fertigstellung der Gemeinschaftsanlage in z. B. beim Grenzübergang Frankfurt (Oder)-Stadt-
Swiecko, der sogenannte Terminal II, fällt allerdings brücke die Ein- und Ausreise für Pkws auf insgesamt
ausschließlich in den Verantwortungsbereich der pol- vier Spuren durchgeführt. Davor erfolgte die Abferti-
nischen Seite. Neben einer Vielzahl von Gesprächen gung in jeder Fahrtrichtung einspurig. Das ist also
auf allen Ebenen, Herr Kollege, in denen immer wie- eine wesentliche Erleichterung. Diese Erhöhung der
der auf die große Bedeutung des Grenzübergangs Abfertigungskapazitäten war nach der Umsetzung
Frankfurt (Oder)/Swiecko und die Dringlichkeit der sehr schnell spürbar, die Wartezeiten am Grenzüber-
Angelegenheit hingewiesen worden ist, versucht die gang Stadtbrücke sind nach Meldungen, die uns vor-
Bundesregierung, durch unterstützende Maßnahmen liegen, spürbar zurückgegangen. Mittlerweile kann
den Baufortgang zu beschleunigen. So sind bereits man von normalen Verhältnissen sprechen, was auch
20 Millionen DM im September 1994 für die Bauar- von der Stadt Frankfurt (Oder) bestätigt wird.
beiten zur Verfügung gestellt worden. Von der polni-
schen Verwaltung sind allerdings erst 8,6 Millionen Seit dem 30. September 1994 wird beim Grenz-
DM abgerufen und verausgabt worden. Also an un- übergang Frankfurt (Oder)-Autobahn die Pkw-Ein-
serem Geld und unserer Bereitschaft scheint es offen- und -Ausreise insgesamt auf acht Spuren abgefertigt,
bar nicht zu liegen. Nach jüngsten Mitteilungen des was zu einer Verkürzung der Wartezeiten führte. Ich
zuständigen Ressorts ist dennoch mit der Fertigstel- hoffe, daß diese acht Spuren auch immer entspre-
lung der Anlage etwa im Juli 1995 zu rechnen. chend besetzt sind und es nicht so ist wie etwa am
Brenner. Dort gibt es zwar fünf oder sechs Spuren,
Die zuständigen Ressorts achten darauf, daß der aber nur in einem Häuschen sitzen die Abfertigungs-
Umzug der deutschen Dienste zum Terminal II rei- beamten. Ich hoffe, das ist in diesem Fall nicht so. Zu-
bungslos und zügig vonstatten gehen kann. Die Fer- vor erfolgte die Abfertigung auf zwei Spuren pro
tigstellung und Inbetriebnahme der zweiten- Oder-
Richtung.
brücke im Zuge der Richtungsfahrbahnen Warschau
Berlin der A 12/E 30 soll im Dezember 1995 erfolgen. Beide Seiten arbeiten ständig daran, die Lkw-Ab-
fertigung zu verbessern. Die Abfertigungsmodalitä-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- ten werden ständig an die veränderten Verkehrs-
frage, bitte. und Raumverhältnisse angepaßt. Eine grundlegende
Verbesserung der Situation in West-Ost-Richtung
wird es erst geben, wenn die für Juli 1995 von der
Ulrich Junghanns (CDU/CSU): Herr Staatssekre- polnischen Seite in Aussicht gestellte Fertigstellung
tär, weil zwischen diesen beiden Baumaßnahmen, der gesamten Güterabfertigungsanlage Swiecko II
dem Terminal Swiecko II und der Nordbrücke in tatsächlich verwirklicht wird. Erst dann kann dort die
Frankfurt (Oder) im Zuge der Autobahn, in der Tat polnische Einfuhrabfertigung in Betrieb gehen. Da-
internationale Projekte miteinander in Verbindung durch wird die Möglichkeit gegeben sein, die durch
stehen, frage ich, um eine Sicherstellung des laufen- den Lkw-Stau hervorgerufenen schwierigen Verhält-
den Betriebes über das ganze Jahr und über alle Bau- nisse im Bereich der Zufahrt zum Grenzübergang auf
schritte hinweg zu gewährleisten: Welches Ressort in deutschem Gebiet zu entspannen.
der Bundesregierung hat die Aufgabe der Koordinie-
rung zwischen diesen Projekten? Das von Polen vor kurzem eingeführte Importver-
bot für Schrottfahrzeuge führte zu einem erheblichen
Rückgang dieser Transporte nach Polen. Transporte
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
von Schrottfahrzeugen, die im Transit durch Polen
desminister der Finanzen: Meines Wissens ist das das
befördert werden, haben dagegen zugenommen.
Bauministerium in Zusammenarbeit mit dem Ver-
kehrsministerium. Aber wer in Einzelfragen - das
sind ja verschiedene Fragestellungen - jeweils die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Keine weitere
Zuständigkeit hat, müßte ich Ihnen schriftlich mittei- Zusatzfrage. - Dann rufe ich die Frage 30 des Abge-
len. ordneten Frederik Schulze auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergrei-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dann rufe ich fen, um den Bestand der Hettstedter Firma Mansfelder Kupfer-
und Messingwerk (MKM) zu sichern und dort eine möglichst ho-
die Frage 29 des Abgeordneten Junghanns auf: he Zahl von Arbeitsplätzen zu erhalten?
In welcher Weise haben die im September 1994 von dem Chef
des Bundeskanzleramtes und dem polnischen Ministerrat ge- Bitte, Herr Staatssekretär.
troffenen Vereinbarungen zur Entspannung der teilweise chao-
tischen Situation an den deutsch-polnischen Grenzübergängen
- vornehmlich in Frankfurt (Oder) BAB 12 und Stadtbrücke - ge- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
führt, und welche Auswirkungen auf die Grenzabfertigung hat desminister der Finanzen: Herr Kollege Schulze, der
das jüngst von Polen eingeführte Importverbot für Schrottfahr- Beteiligungs-Management-Gesellschaft Berlin GmbH
zeuge? liegen mehrere Angebote zur Privatisierung der
MKM, der Mansfelder Kupfer und Messing GmbH,
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- vor. Diese Angebote werden derzeit unter Einschal-
desminister der Finanzen: Herr Kollege, im Rahmen tung einer unabhängigen Investmentbank ausge-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1707

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser


wertet und beurteilt, wie dies bei großen Vorhaben nen DM gewährt. Damit hat die KfW einen wichtigen
üblich ist und sein muß. Beitrag zur Erhaltung der Arbeitsplätze bei der
Aluhett geleistet.
Ziel ist es, die MKM so zu privatisieren, daß im
Rahmen eines tragfähigen Konzeptes eine möglichst
hohe Zahl von Arbeitsplätzen auf Dauer erhalten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
werden kann. Die Prüfung der Übernahmeangebote frage, bitte.
wird zügig durchgeführt, um die Privatisierungsver-
handlungen bald abschließen zu können. Frederik Schulze (CDU/CSU): Herr Staatssekretär,
können Sie sich vorstellen, daß eine handlungsfähi-
Frederik Schulze (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, gere Regierung im Land Sachsen-Anhalt diese Ent-
können Sie einen etwaigen Zeitrahmen nennen? wicklung positiv begleiten könnte?

Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Nein. desminister der Finanzen: Ich stelle anheim, welche
Fördermittel die Landesregierung zur Verfügung
stellt und aus welchem Haushalt. Ich könnte mir vor-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Haben Sie eine stellen, daß man über eine Bürgschaft für Kredite
weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. weitere Maßnahmen vornimmt. Das würde allerdings
Dann hat der Kollege Rössel das Wort. voraussetzen, daß ein Unternehmenskonzept vor-
liegt, das nach strenger Einzelfallprüfung für erfolg-
versprechend gehalten wird. Das Bürgschaftspro-
Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Die Region Hettstedt/ gramm des Bundes ist von dem Unternehmen bisher
Mansfeld gehört zu den in Deutschland am meisten nicht in Anspruch genommen worden, und ein An-
von Arbeitslosigkeit betroffenen Regionen. Ende Au- trag wurde auch noch nicht gestellt. Nehmen Sie das
gust enden Fördermaßnahmen für 800 frühere Be-
als Hinweis.
schäftigte des Betriebes, weil die Maßnahmen nach
§ 249h des Arbeitsförderungsgesetzes auslaufen.
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, den Be- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
stand von 800 Arbeitsplätzen durch eine gezielte För- frage des Abgeordneten Dr. Rössel.
derung mit Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit zu
gewährleisten, und, wenn ja, wie könnte die Hilfe Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Zum Problemkreis
aussehen? Aluhett: Der Betrieb befindet sich in Gesamtvollstrek-
kung, eingeleitet vom Amtsgericht Halle. Im Zusam-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- menhang damit werden etwa 120 Arbeitskräfte ent-
desminister der Finanzen: Wie sie meiner Antwort lassen. Dazu die Frage: Gibt es seitens der Bundesre-
auf die Frage von Herrn Kollegen Schulze schon ent- gierung Möglichkeiten, den Abbau der Arbeitsplätze
nehmen konnten, setzt die Bundesregierung darauf, im Rahmen der Gesamtvollstreckung sozialverträg-
möglichst viele Arbeitsplätze durch die Privatisie- lich dadurch zu gestalten, daß 118 Arbeitskräfte, die
rung sicherzustellen. Wir sind daran interessiert, daß jetzt entlassen werden sollen, durch Fördermaßnah-
die Privatisierung möglichst schnell vorangetrieben men unterstützt werden? Dies vor allem deshalb,
wird. Sie wissen, daß die Maßnahmen nach dem von weil es sich um Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
Ihnen genannten § 249h gewissermaßen Hilfsmaß- mer handelt, die 54 Jahre und älter sind. Für solche
nahmen, Defensivmaßnahmen sind. Wir setzen auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer existieren bei
die offensive Strategie. Treuhandbetrieben und bei Betrieben der Treuhand-
nachfolge Sonderbedingungen dergestalt, daß sie bis
(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Darf ich nach- zum Erreichen des Rentenalters 80 % ihres Nettoloh-
fragen?) nes bekommen. Meine Frage lautet: Kann die Bun-
desregierung darauf hinwirken, daß diese Möglich-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein, Sie haben keit auf einen Betrieb, der nicht mehr in Treuhand-
leider nur eine Zusatzfrage. Nur der Fragesteller nachfolge steht, ausgedehnt wird, und, wenn ja, wie
selbst hat zwei. Aber es gibt noch eine weitere Frage, könnte das aussehen?
die mit diesem Thema zu tun hat, nämlich die Frage 31,
die ich jetzt aufrufe: Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär bei Bun-
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher ergrif- desminister der Finanzen: Herr Kollege, soweit mir
fen, um eine möglichst hohe Zahl von Arbeitsplätzen in der Hett- Informationen vorliegen - ich sage das mit einem ge-
stedter Firma Aluhett zu erhalten? wissen Vorbehalt, wie man es bei Einzelfällen immer
Herr Staatssekretär. tun sollte -, ist dieses Aluminiumwerk im Rahmen ei-
nes Management-Buy-out von der Treuhandanstalt
bereits im Jahre 1992 privatisiert worden. Die we-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- sentlichen Bedingungen und Verpflichtungen des
desminister der Finanzen: Von der Kreditanstalt für Privatisierungsvertrages sind erfüllt worden.
Wiederaufbau, Herr Kollege Schulze, wurden der
Aluhett bereits im Rahmen ihres Umweltprogramms Für die Nachfolgeorganisation der Treuhandan-
Mittel in Höhe von 5,19 Millionen DM und im Rah- stalt, die Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte
men des Mittelstandsprogramms weitere 18,3 Millio- Sonderaufgaben, gibt es - das haben wir geprüft -
1708 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser


keine Möglichkeit, dem Unternehmen im Rahmen des Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vertragsmanagements zu helfen. Aber gegenwärtig An die Europäische Bank für Wiederaufbau und Ent-
wird geprüft, wie es mit der Privatisierung aussieht. wicklung, an die EBRD. Ist Ihnen auch das nicht be-
Die amerikanische Investmentgesellschaft namens kannt?
„advent international" - was immer das auch sei - hat
an der Übernahme von Aluhett großes Interesse ge-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
zeigt. Ich glaube, das wäre ein vernünftiger Weg.
desminister der Finanzen: Das ist uns nicht bekannt,
nein. Wenn Sie den Brief vorliegen haben, wäre es
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Schulze, interessant, wenn Sie ihn der Bundesregierung zur
haben Sie auch noch eine Zusatzfrage? Verfügung stellen würden. Es wäre ein ungewöhnli-
cher Vorgang.
(Frederik Schulze [CDU/CSU]: Nein!)
- Gut. Dann ist damit die Frage 31 abgeschlossen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine zweite Zu-
Wir kommen zur Frage 32 der Abgeordneten Mi- satzfrage bitte.
chaele Hustedt.
Folgt die Bundesregierung der Einschätzung von Teilen des Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bayernwerke-Managements und der Preußen-Elektra AG, wel- Plant die Bundesregierung, dem deutschen Direktor
che ihren Ausstieg aus dem Projekt Mochovce damit begründe- bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und
te, daß der ökonomische Nutzen des Projektes nicht gewahrt sei,
daß - wie auch die Europäische Investitionsbank feststellt - die Entwicklung eine Anweisung dahingehend zu ge-
Energieerzeugung durch Erdgas finanziell günstiger sei, daß die ben, dem Kredit für die Nachrüstung des slowaki-
Entsorgungsfrage ungeklärt sei und daß die vom Westen gefor- schen AKW Mochovce zuzustimmen?
derte Abschaltung der Risikoreaktoren von Bohunice im Jahr
2000 unsicher und aus Gründen der nationalen Souveränität der
Slowakei nicht durchsetzbar sei? Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Bitte, Herr Staatssekretär. desminister der Finanzen: Sie wissen, daß die ent-
sprechenden Kriterien für die Kreditvergabe gegen-
wärtig noch einmal sorgfältig geprüft werden. Das
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- habe ich auch im Finanzausschuß den Kollegen
desminister der Finanzen: Die Bundesregierung, schon mitgeteilt. Die Prüfung ist noch nicht abge-
Frau Kollegin, hat keine Mitteilung seitens des Bay- schlossen. Erst dann wird die Bundesregierung ent-
ernwerke- oder des Preußen-Elektra-Managements sprechende Weisungen geben.
erhalten, die die in Ihrer Frage angeführten Beden-
ken gegen das Vorhaben zum Gegenstand hat. Dar-
über hinaus ist es nicht richtig, Frau Kollegin, daß Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
sich das Bayernwerk gegen das Vorhaben entschie- frage der Kollegin Ganseforth.
den hat. Das Bayernwerk hat zuletzt am 14. Februar
bei einem Treffen mit anderen Projektsponsoren in Monika Ganseforth (SPD): Herr Staatssekretär,
Wien bestätigt, sich an dem Projekt zu beteiligen, wenn Sie keine Briefe und Berichte über diesen Vor-
d. h. an der Betreibergesellschaft gemeinsam mit der gang bekommen haben: Hat sich die Bundesregie-
französischen Gesellschaft Electricité de France und rung vielleicht selber darum gekümmert? Es gibt ein
der slowakischen Elektrizitätsgesellschaft. Das sind Gutachten, das nachweist, daß die Wirtschaftlichkeit
unsere Erkenntnisse. des Fertigbaus nicht gegeben ist, weil - ein ganz ak-
tuelles Thema - die Umrechnung des Dollarkurses
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- nicht richtig berücksichtigt worden ist und die Ver-
frage, bitte. zinsung z. B. der Rückstellungen auch nicht berich-
tigt worden ist. Das heißt, daß es Rechenfehler gibt -
die auch zugegeben werden -, die dazu führen, daß
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Zubau rentabel gerechnet wird. Wenn Sie also
Sollte Ihnen ebenso nicht bekannt sein, daß die ame- keine entsprechenden Briefe bekommen haben: Ha-
rikanische Regierung einen Brief an die Europäische ben Sie sich selber um dieses Gutachten und um den
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung geschrie- Vorgang gekümmert?
ben hat, in dem sie bezweifelt, daß die Daten, die
herausgegeben werden, richtig sind?
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Zunächst einmal, Frau
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Kollegin, ist es sicherlich nicht Aufgabe der Bundes-
desminister der Finanzen: Die amerikanische Regie- regierung, alle Briefvorgänge irgendwelcher interna-
rung? tionaler Banken vorliegen zu haben. Das würde ich
für eine administrative Überforderung einer Regie-
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rung halten. Das gilt ganz generell.
Die amerikanische Regierung.
Zum ökonomischen Nutzen dieses Kraftwerkes. Es
wurde von der Europäischen Bank für Wiederaufbau
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- und Entwicklung eine Least-Cost-Analyse erstellt.
desminister der Finanzen: An wen hat sie einen Brief Hiernach ist die Fertigstellung der zwei Blöcke des
geschrieben? Kernkraftwerkes Mochovce die kostengünstige Aus-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1709
Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
baualternative für die Slowakei. Somit kann auch Nun ist das Finanzministerium ja auch dafür zu-
nicht, wie Sie vermuten, pauschal festgestellt wer- ständig, daß mit solchen Fragen, da ja auch deut-
den, daß die Energieerzeugung durch Erdgas finan- sches Geld in den Krediten steckt, verantwortungs-
ziell günstiger ist. voll umgegangen wird. Deswegen die Frage an Sie:
Wie beurteilen Sie diesen Fall, in dem die Refinanzie-
In einer solchen Studie werden natürlich nicht aus- rung dieser Kredite wohl sehr unsicher ist, u. a. des-
schließlich günstige oder ausschließlich schlechte wegen, weil die bundesdeutschen Energieversor-
Werte für den vergleichbaren Gaspreis berücksich- gungsunternehmen genügend Strom haben?
tigt. Vielmehr wird versucht - systematisch richtig,
wie ich meine -, einen Mittelwert verschiedener
Schätzungen zu finden. Nichts anderes ist in den Un- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
tersuchungen, die der Europäischen Bank für Wie- desminister der Finanzen: Sie haben letztlich eine
deraufbau und Entwicklung bisher vorliegen, ge- Reihe von Fragen gestellt.
schehen.
Ich wiederhole, daß wir nicht beabsichtigen, die
Abweichende Schlußfolgerungen, Frau Kollegin, Unternehmensentscheidungen - gleichgültig, wel-
der Europäischen Investitionsbank beruhen auf einer chen privaten Unternehmens in der Bundesrepublik
recht günstigen Annahme über die Entwicklung der Deutschland - zu beurteilen. Jedes Energieversor-
Gaspreise. Andere Institutionen hingegen, wie z. B. gungsunternehmen kann aus einem Projekt ausstei-
die Internationale Energie-Agentur der OECD, sagen gen, weil es ohnehin zuviel Strom hat, weil es meint,
ihrerseits weit höhere Gaspreise für die Zukunft vor- es habe eine ausreichende Versorgung. Die Unter-
aus. Das zeigt, daß Sie die Parameter nehmen kön- nehmen können aussteigen, weil sie die Sicherheits-
nen, wie Sie wollen. Seriöserweise müssen Sie Mit- lage für nicht ausreichend halten; sie können ausstei-
telwerte annehmen. gen, weil sie die administrativen Vorläufe für zu lang
halten. Gleichgültig wie, wir beurteilen dies nicht.
Wir beurteilen nur eines: Auf welcher Grundlage
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
wird die Europäische Bank urteilen? Die Prüfung
frage der Abgeordneten Saibold, bitte. läuft schon sehr lange, wenn ich darauf hinweisen
darf; nach meinem Wissen zwei Jahre. Nach welchen
Kriterien urteilt diese Bank, urteilt die Bank richtig,
Halo Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
und können wir unserem Vertreter in dieser Europä-
Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung
ischen Bank in London entsprechende Empfehlun-
denn nun die Tatsache, daß die Preußen-Elektra aus
gen geben? Diese Empfehlungen können noch nicht
der Finanzierung ausgestiegen ist und das Bayern-
gegeben werden, weil die Prüfungen noch nicht ab-
werk aber dabeibleibt? Sind die Sicherheitsvorkeh-
geschlossen sind.
rungen, die Preußen-Elektra aussteigen lassen, für
das Bayernwerk ausreichend? Sind Sie auch der Mei- Bei der Prüfung durch die Europäische Bank für
nung, daß das deswegen beibehalten werden kann? Wiederaufbau und Entwicklung werden, wenn ich
richtig informiert bin - lassen Sie mich einmal blät-
tern, damit ich das möglichst präzise vortrage -, insge-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- samt vier Kriterien zugrunde gelegt: Erstens müssen
desminister der Finanzen: Ich kann nicht irgendwel- westliche Sicherheitsstandards erfüllt sein. Zweitens
che Entscheidungen von Firmen nachvollziehen. Das muß die Stillegung eines risokoträchtigeren Kern-
ist nicht Aufgabe der Bundesregierung. Das Bayern- kraftwerkes in Bohunice erfolgen; das ist ein Block
werk - so war die Behauptung in der ersten Frage - älterer sowjetischer Bauart. Drittens muß eine Um-
sei nicht mehr dabei. Ich habe gesagt: Nach unserer weltverträglichkeitsprüfung erfolgreich abgeschlos-
Erkenntnis ist das Bayernwerk dabei. Warum es da- sen sein. Viertens muß die Fertigstellung dieses Kraft-
beibleibt, ist seine Sache. Das ist ein privates Unter- werks die wirtschaftlich günstige Alternative für die
nehmen. Slowakei darstellen. Es sind also vier Prüfungskrite-
rien, auf die wir uns konzentrieren werden.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine weitere Zu- Lassen Sie mich aber zu Ihrer Frage nach der Wirt-
satzfrage, Frau Kollegin Schönberger, bitte. schaftlichkeit noch eine Bemerkung machen - die
Konzentration auf die Wirtschaftlichkeit dieses Kraft-
werkes erstaunt mich schon -: Ich glaube, wir sollten
Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unsererseits ein hohes Interesse daran haben, daß in
NEN): Selbst wenn es nicht Aufgabe der Bundesre- den östlichen Staaten, die ja nicht so weit weg sind,
gierung ist, die Unternehmenspolitik von Preußen- sichere Kraftwerke gebaut werden und alte, sehr un-
Elektra zu bewerten, so ist es jedoch signifikant, daß sichere Kernkraftwerke endlich abgeschaltet werden.
die Preußen-Elektra z. B. erklärt hat, ein Grund für
ihr Aussteigen sei, daß sie als Energieversorgungs- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
unternehmen über genügend Strom verfüge und die Deshalb steigt die Preußen-Elektra aus!)
Refinanzierung, die ja über Stromlieferungen aus
Deshalb ist eine entsprechende Investition in ein
Mochovce in die Bundesrepublik geplant ist, für sie
Kraftwerk mit westlichem Standard eine, wie ich
überhaupt keinen Wert habe, weil sie genügend
meine, auch für unsere Sicherheit gute Investition.
Strom habe. Ähnlich ist es mit allen anderen Energie-
versorgungsunternehmen. (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!)
1710 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine weitere Zu- Nachrüstung auf einen westlichen Sicherheitsstan-
satzfrage der Kollegin Buntenbach. dard in Greifswald nicht möglich gewesen wäre. So
hat die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf
Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus-Die-
NEN): Sie haben ja eben von dem Überprüfungsver- ter Feige und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
fahren gesprochen, das da läuft. Meines Wissens ist NEN auf Drucksache 12/8529 vom 17. Oktober 1994
ein Kriterium dieser Überprüfung, daß die Entsor- mitgeteilt, daß auch das Kernkraftwerk Greifswald
gungsfrage geklärt ist und daß die vom Westen ge- nachrüstbar gewesen wäre.
forderte Abschaltung der Risikoreaktoren von Bohu- Dies hat Bundesumweltministerin Frau Dr. Merkel
nice im Jahr 2000 sichergestellt ist. Diese Abschal- noch einmal in der Aussprache zum Antrag der Frak-
tung ist ja nach wie vor unsicher und aus Gründen tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Nichtbewilli-
der nationalen Souveränität der Slowakei eventuell gung des EBRD-Kredits für den Weiterbau des Atom-
nicht durchsetzbar. kraftwerks in der Slowakei betont. Ich verweise hier
Wenn dies eins der Kriterien ist - das war ja ein auf die Bundestagsdrucksachen 12/8529 vom
Teil der Frage 32 der Kollegin Hustedt, den Sie noch 17. Oktober 1994 und 13/309 vom 25. Januar 1995.
nicht beantwortet haben -, hätte ich schon gern noch
eine Antwort auf die Frage, wann diese Überprüfun- Das Kernkraftwerk Greifswald wurde damals
gen endgültig abgeschlossen sind. nicht nachgerüstet, Frau Kollegin, weil sich kein Be-
treiber fand, der bereit gewesen wäre, die mit einer
solchen Nachrüstung in Deutschland verbundenen
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- verfahrensmäßigen Risiken - und das sind auch poli-
desminister der Finanzen: Sie haben zwei Fragen ge- tische Risiken; das will ich aber jetzt hier nicht aus-
stellt, Frau Kollegin. Das erste ist die Frage des Zeit- weiten, obwohl das sehr interessant wäre - und dar-
punkts. Ich stelle anheim: Ich kann Ihnen nicht sa- aus resultierenden Kosten zu übernehmen.
gen, wann diese Prüfungen abgeschlossen sind. Das
sind unabhängige Institutionen, die die Überprüfun- Das sind ja nicht nur Kosten hinsichtlich der Tech-
gen durchführen. Ich weise nur darauf hin, daß die nik, sondern das sind vor allem Kosten hinsichtlich
Prüfung schon relativ lange läuft. der Zeit, Kosten bezüglich der Finanzierung, der Un-
sicherheit und der hohen Risiken, die mit solchen In-
Die zweite Frage ist die nach der Entsorgung.
Nach meiner Kenntnis - ich könnte Ihnen das auch vestitionen verbunden sind. Es sind im übrigen nicht
noch schriftlich übermitteln auf Grund der vielen Un- die Risiken der Auswirkungen gemeint, sondern die
terlagen, die es hierzu gibt - haben sie eine Zwi- Risiken, die die Frage betreffen, ob man das Projekt
schenlagerungskapazität von mindestens 90 Jahren. überhaupt realisieren darf.
Für die Endlagerung gibt es internationale Gesprä- Vor allem standen damals genügend alternative
che, wie das gegenwärtig üblich ist. Kapazitäten in Ostdeutschland zur Verfügung. So-
wohl die Reaktorblöcke in Greifswald wie in Mo-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen zur chovce sind nach Einschätzung westlicher Experten
Frage 33 der Abgeordneten Hustedt: grundsätzlich nachrüstbar.
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß die Gewährung
von Krediten und Beihilfen (KfW, Hermes, EBRD, EURATOM)
Die EBWE hat von renommierten westlichen Insti-
für ein ökonomisch fragwürdiges Projekt die Gefahr in sich tutionen, nämlich der Gesellschaft für Anlagen und
birgt, Steuergelder in gewaltiger Höhe zu verschwenden, zumal Reaktorsicherheit GmbH und dem französischen In-
die Umrüstung der Reaktoren von Greifswald - wie in Mochovce stitut de Protection de Sûreté Nucléaire, die Frage
der sowje ti sche Reaktortyp WWER 440/213 - zur Erreichung ei-
nes westlichen Sicherheitsstandards aus sicherheitstechnischen
der sicherheitstechnischen Nachrüstung prüfen las-
und finanziellen Erwägungen heraus von der Bundesregierung sen. Diese Institutionen sind zu dem Ergebnis ge-
abgelehnt wurde und keinesfalls sicher ist, daß die beantragten kommen, daß diese Anlage einen westlichen Sicher-
1,3 Mrd. DM ausreichen werden, um in Mochovce einen westli- heitsstandard gewährleistet.
chen Sicherheitsstandard zu gewährleisten, wie auch das Euro-
päische Parlament in seiner Entschließung vom 15. Februar 1995
betont?
Die Empfehlungen dieser Institutionen wurden
selbstverständlich bei der Prüfung des Vorhabens
Bitte, Herr Staatssekretär. durch die Bank berücksichtigt und gehen auch voll-
ständig in die Kostenanalyse ein. Insofern, Frau Kol-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- legin, kann nicht behauptet werden, daß die bean-
desminister der Finanzen: Frau Kollegin, die Bundes- tragten 1,4 Milliarden DM - in Ihrer Anfrage sagen
regierung teilt die in Ihrer Frage zum Ausdruck kom- Sie 1,3 Milliarden DM - nicht ausreichen werden, um
mende Ansicht nicht. Das Vorhaben Mochovce ist in Mochovce einen westlichen Sicherheitsstandard
kein ökonomisch fragwürdiges Projekt, sondern es zu gewährleisten.
zeichnet sich nach der Durchführung umfangreicher
Studien unter Abwägung verschiedener Alternativen Bei der Frage der Sicherheit sollten aber nicht nur
als die wirtschaftlichste Alternative aus. die Aspekte der Nachrüstbarkeit berücksichtigt wer-
den, sondern auch die Frage, was wäre, wenn west-
Es ist richtig, daß die Reaktoren von Greifswald liche Finanzinstitutionen ein solches Vorhaben wie
und die in Mochovce einem gleichen sowjetischen Mochovce nicht unterstützen würden. In diesem Fall
Reaktortyp, nämlich dem WWRR 440/213, entspre- kann man wohl davon ausgehen, daß das Kernkraft-
chen. Es ist aber nicht richtig, Frau Kollegin, daß die werk dort mit einem Sicherheitsstandard fertigge-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1711
Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
stellt wird, der auf westlichem Niveau liegt. Dies Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage
wäre eine deutliche Verbesserung nicht nur der Um- des Kollegen Kubatschka.
weltauswirkungen, sondern auch des Sicherheits-
standards vor Ort und für uns.
Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, Sie
haben gerade von seriösen Stellen gesprochen, die
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage das überprüfen. Welchen Sicherheitsstandard aus
der Kollegin Hustedt. welcher Zeit nehmen sie an, aus dem Jahre 1965
oder aus dem Jahre 1995? Auch bei uns hat sich ja
der Sicherheitsstandard verändert.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Können Sie mir sagen, wann die Entscheidung über
die Kreditvergabe fällt? Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Herr Kollege, Sie wissen
sicherlich, daß das Atomrecht vorschreibt, daß je-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- weils das aktuellste Sicherheitsniveau zugrunde zu
desminister der Finanzen: Ich habe Ihnen gesagt, legen ist. Das ist Gesetzestext, den Sie, wie ich mich
daß ich über Zeitvorgänge keine Auskünfte geben erinnere, mit verabschiedet haben.
kann.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): frage der Kollegin Ganseforth.
Meine Information ist, daß sie nächste Woche fällt.
Monika Ganseforth (SPD): Herr Staatssekretär, wie
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- beurteilen Sie die einstimmige Empfehlung des
desminister der Finanzen: Dann sind Sie besser infor- österreichischen Parlaments, aus ökonomischen und
miert als ich. ökologischen Gründen den Ausstieg aus der Nachrü-
stung von Mochovce zu empfehlen, und könnten Sie
Michaele Hustedt (BÜNDNIS DIE GRÜNEN): sich vorstellen, daß der Bundestag eine ähnliche
Dann erspare ich mir alle weiteren Fragen. Empfehlung ausspricht?

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
verständlich!)
desminister der Finanzen: Zunächst einmal kann ich
mir nicht vorstellen, daß der Bundestag in seiner
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dann eine Mehrheit eine ähnliche Empfehlung ausspricht. Aber
Nachfrage der Kollegin Schönberger. das müßte man einer entsprechenden Vorprüfung,
die ja, wie ich schon wiederholt gesagt habe, noch
nicht abgeschlossen ist, anheimstellen.
Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Staatssekretär, Sie haben gerade sehr Es ist mir, wenn ich Ihnen das sagen darf, bekannt,
weit ausgeführt, daß Mochovce nach Fertigstellung daß es auch einen Schriftverkehr zwischen der öster-
westlichen Sicherheitsstandard erfüllen würde. Es ist reichischen Regierung und der Bundesregierung in
klar, daß Mochovce nach Fertigstellung kein Con- dieser Frage gibt. Es bleibt den Österreichern über-
tainment haben wird, lassen, in ihrer Atompolitik so zu verfahren, wie sie
es tun. Ich will das nur in einem Satz kommentieren:
(Günther Fried ri ch Nolting [F.D.P.]: Frage!) Ich halte es doch für bedenklich, daß man seinerseits
daß es keine Sicherung gegen Flugzeugabstürze ha- im eigenen Land keine Atomkraftwerke duldet, aber
ben wird, daß es nicht erdbebensicher sein wird, daß den Strom von Kraftwerken nimmt, die einen sehr
es z. B. in der Bundesrepublik Deutschland und übri- dubiosen Sicherheitsgrad haben. Ob das eine inter-
gens auch in Frankreich schlicht und einfach nicht national wirklich vertretbare Position ist, wage ich zu
genehmigungsfähig wäre. Wie können Sie ange- bezweifeln.
sichts dessen sagen, daß dieses Atomkraftwerk nach
Ausrüstung mit Steuerungssystemen von Siemens Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
westlichen Sicherheitsstandards genügen würde? frage der Kollegin Saibold.
Das würde es natürlich nicht.
Halo Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die feste
desminister der Finanzen: Der Finanzminister, den Überzeugung des Europaparlaments, daß die Sicher-
ich hier, Frau Kollegin, vertrete, behauptet seiner- heit kein verhandlungsfähiges Thema sein kann und
seits nicht, daß die entsprechenden westlichen Si- daß eine Senkung europäischer Sicherheitsstandards
cherheitsstandards sichergestellt sind. Der Finanzmi- keinesfalls in Betracht gezogen werden dürfe, noch
nister weist darauf hin, daß seriöse Institutionen, die dazu, wenn es darum geht, daß auch mit deutschen
das ausführlich und lange geprüft haben, ihrerseits Mitteln ein Atomkraftwerk wie in Mochovce unter-
gesagt haben: Dieses Konzept entspricht den westli- stützt wird? Sie wissen auch, daß sich Ihre CSU-Kol-
chen Sicherheitsstandards. Das berichte ich Ihnen legen vor Ort ganz ausdrücklich gegen dieses Vorha-
hier. Nur so kann ich seriöserweise vorgehen. ben in Mochovce aussprechen. Teilen Sie nicht die
1712 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Halo Saibold
Meinung, daß deren Sorgen wirklich begründet sind, zinsungsfaktor, den ich persönlich für abenteuerlich
genau wie die des Europaparlaments? hoch ansehe. Üblicherweise werden 10 % zugrunde
gelegt. Wenn man den üblicherweise zugrunde ge-
legten Abzinsungsfaktor von 10 % zugrunde legt,
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
dann rechnet sich das ganz ausgezeichnet.
desminister der Finanzen: Ich würde die Auffassun-
gen des Europaparlaments ausdrücklich zu meinen Sonstige Bemerkungen zu einem Institut habe ich
eigenen Überzeugungen machen. Senkung des Si- als Vertreter des Finanzministers hier nicht zu ma-
cherheitsstandards, bitte schön, nicht. Deshalb wird chen. Wenn ich hier in der Aussprache stehen würde,
die Prüfung ergeben müssen, wenn man Geld gibt, würde ich allerdings meine Bemerkungen dazu ma-
daß die Sicherheitsstandards westlicher Niveaus tat- chen. Darauf können Sie sich verlassen.
sächlich eingehalten werden. Deshalb wird ja auch
geprüft. Ich würde aber hinzufügen, daß die realen
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das dürfen Sie
Sicherheitsstandards in Europa dadurch verbessert
nicht. - Es gibt keine weitere Zusatzfrage.
werden, daß ein derartiges Kernkraftwerk an die
Stelle kommt, an der vorher ein wesentlich marode- Die Frage 34 können wir nicht beantworten, weil
res stand. die Kollegin nicht im Raum ist. Damit verfällt die
Frage.
(Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ
NEN]: Das nicht abgeschaltet wird!) Wir kommen zur Frage 35 der Abgeordneten Ur-
sula Schönberger:
- Bitte?
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, de-
(Halo Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ nen zufolge die Least-Cost-Studie der Europäischen Bank für
NEN]: Das nicht abgeschaltet wird!) Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in einer ursprünglichen
Fassung zuungunsten des Atomkraftwerks Mochovce ausgefal-
- Wenn Sie das als Zusatzfrage - len ist und erst nach politischer Einflußnahme eine Parameter-
konstellation gewählt wurde, welche das Atomkraftwerk als
wirtschaftlichste Alternative erscheinen läßt, und welche Maß-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das geht
- nicht. nahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um eine unbeein-
flußte Einschätzung der Wirtschaftlichkeit der verschiedenen
Alternativen zu erhalten?
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Dann mache ich einen Zu-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
satz ohne Frage. Es gibt ausdrücklich die Zusage des
desminister der Finanzen: Frau Schönberger, um
Präsidenten, daß für den Fall der Finanzierung dieses
eine unbeeinflußte Einschätzung der Wirtschaftlich-
Kraftwerks das alte abgeschaltet wird. Mehr als diese
keit der verschiedenen Alternativen zu erhalten, läßt
Zusage kann man wirklich nicht erwarten. Also stel-
die Bundesregierung die vorgelegte Least-Cost-Stu-
len Sie hier nicht Behauptungen auf, die in keiner
Weise belegt sind! die unter Zuhilfenahme von Experten auf die Berech-
tigung ihrer Annahmen und Plausibilität sorgfältig
prüfen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
frage des Kollegen Behrendt. Sie merken, es wiederholt sich. Ihre Fragen haben
ja auch einen Wiederholungscharakter.

Wolfgang Behrendt (SPD): Herr Staatssekretär, Bei ihren Wirtschaftlichkeitsberechnungen ist die
Sie haben soeben gesagt, daß auch Sie die Nach- Europäische Bank in London ursprünglich von meh-
rüstung des Kernkraftwerks für eine ökonomisch reren Diskontierungsfaktoren ausgegangen. In Be-
sinnvolle Lösung halten. Ist Ihnen bekannt, daß das antwortung Ihrer Frage betone ich noch einmal, daß
Öko-Institut Freiburg an der Least-Cost-Planning- der Diskontierungsfaktor von 10 % ein sinnvoller
Studie, die eine wesentliche Grundlage der Ent- wäre.
scheidung der EBRD sein wird, ganz erhebliche Kri-
Im übrigen: Selbst bei einem Diskontierungsfaktor
tik geäußert und u. a. gesagt hat, man gehe in der
von 12 % wäre die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens
Studie von überhöhten Energiebedarfsprognosen
immer noch gegeben, auch wenn der Unterschied
aus, es sei mit fehlerhaftem Zahlenmaterial gearbei-
zur nächstbesten Alternative auf Grund der erhöhten
tet worden, insbesondere habe man einen überhöh-
Kapitalkosten nicht so deutlich ausfallen würde. Sie
ten Stromverbrauch und überhöhte Verbrauchszu-
können selbst für den von mir persönlich als aberwit-
wächse zugrunde gelegt und neben der Unterschät-
zig hoch angesehenen Diskontierungsfaktor von
zung der Entsorgungskosten insbesondere auch
12 % immer noch eine Wirtschaftlichkeit errechnen.
einen zu niedrigen Abzinsungsfaktor zugrunde ge-
legt?
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
frage der Kollegin Schönberger.
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Wenn ich den einzigen
Punkt, der den Finanzminister betreffen kann, her- Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ausgreife, nämlich den Abzinsungsfaktor, so weise NEN): Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang
ich Sie darauf hin, daß zunächst einmal nach meiner - das war auch Teil meiner Frage, auf den Sie nicht
Kenntnis in einem ersten Versuch der Abzinsungs- eingegangen sind - einen Artikel des „Handels-
faktor auf 12 % festgelegt worden ist. Das ist ein Ab- blatts" vom 31. Januar, in dem genau aufgeführt wor-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1713
Ursula Schönberger
den ist, daß in einem ersten Vorergebnis dieser Stu- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
die andere Alternativen, u. a. ein Gaskraftwerk, als desminister der Finanzen: Herr Kollege, ich will nicht
wesentlich wirtschaftlicher bezeichnet waren? Das von „erheblichen Zweifeln" sprechen. Auf Grund
„Handelsblatt" schreibt: der Berichte und der Diskussion hat die Bundesregie-
rung ihrerseits die Prüfung mit besonderer Sorgfalt
Interventionen seitens des französischen EBRD- noch einmal aufgenommen - das ist klar -, und zwar
Projektmanagers haben dem Vernehmen nach zu in jeder Beziehung. Die Begutachtung dieses Pro-
einer Veränderung der Untersuchungen geführt. jekts wird von der Bundesregierung mit hoher Auf-
Man spricht in diesem Falle von Manipulationen. merksamkeit und großer Sorgfalt verfolgt. Darauf
Wie beurteilen Sie als Bundesregierung ein solches können Sie sich verlassen.
Vorgehen, bei dem es um ein für die Zukunft und
Gesundheit von vielen Menschen so wichtiges Pro- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
jekt geht? frage der Kollegin Saibold.

Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Halo Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
desminister der Finanzen: Frau Kollegin, halten Sie Staatssekretär, ist der Bundesregierung bei der Über-
es nicht für eine Zumutung, zu verlangen, daß die prüfung dieser Least-Cost-Studie aufgefallen, daß
Bundesregierung auf Dinge, die in einer Zeitung bei der Berechnung der Preise für die Brennstoffko-
dem Vernehmen nach unterstellt werden, und auf sten ein anderer Wechselkurs angenommen wurde
Einflußnahmen, die niemand überprüfen kann und als bei den anderen Kosten, was dazu geführt hat,
die irgend jemand behauptet, eingehen soll? Ich ver- daß die Gaskraftwerke schlechter abschneiden, da
weigere jede Aussage auf Grund derartiger sehr ne- sich ihre Kosten zu einem großen Teil aus Brennstoff-
bulöser Berichte. kosten zusammensetzen?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim
frage des Abgeordneten Behrendt. - Bundesminister der Finanzen: Frau Kollegin, ich
werde hier Ihren Einzelprüfungen von Gutachten
(Ursula Schönberger [BÜNDNIS 90/DIE oder von entsprechenden Berechnungen nicht wei-
GRÜNEN): Ich habe noch eine zweite Zu ter folgen. Ich halte das nicht für seriös. Mir liegt
satzfrage!] dieses Gutachten nicht vor. Ihnen liegen offenbar
auch nur, Ausschnitte vor. Wir können uns hier nur
- Richtig, Entschuldigung. auf ein korrektes Verfahren einlassen, nämlich daß
Zweite Zusatzfrage der Abgeordneten Schönber- die Bundesregierung mit ihren qualifizierten Kräften
ger. die entsprechenden Untersuchungen, die von der
Europäischen Bank in Auftrag gegeben worden
sind, sorgfältig nachprüft. Dann erst kann man eine
Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Entscheidung treffen.
NEN): Wie erklärt sich denn die Bundesregierung,
daß in dieser Least-Cost-Studie eine Verzinsung der
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
Rückstellungen für Entsorgung von 8 bis 15 %, d. h.
frage der Kollegin Ganseforth.
ein Nominalzins von 11 bis 19 %, angenommen
wurde? Es ist üblich, eine Verzinsung von 2 bis 4 %
anzunehmen. Geben Sie mir recht, daß eine solche Monika Ganseforth (SPD): Herr Staatssekretär, ich
Annahme über die Verzinsung für die Rückstellung habe jetzt zur Kenntnis genommen, daß Sie die öko-
von Entsorgung höchstens bei Spekulationsgeschäf- nomische Kritik auf seriöse Weise nachprüfen wol-
ten zutrifft, aber nicht bei einer realen Anlage von len. Ist Ihnen bekannt, daß es hierbei nicht darum
Kapital? geht, ein gut oder schlecht nachgerüstetes Atom-
kraftwerk zu betreiben, sondern daß es um die Alter-
native Atomkraftwerk oder Gaskraftwerk geht?
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Ich gebe Ihnen nicht recht.
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Frau Kollegin, die Einlei-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- tung Ihrer Frage hat sofort meinen Widerspruch her-
frage des Abgeordneten Behrendt. ausgefordert. Die Bundesregierung prüft nicht in be-
sonderer Weise nur die ökonomischen Aspekte, son-
dern selbstverständlich alle Aspekte der gesamten
Wolfgang Behrendt (SPD): Herr Staatssekretär,
vier Bereiche, die ich Ihnen am Anfang schon ge-
würden Sie mir zustimmen, daß die Tatsache, daß die
nannt habe. Sonst wäre es keine seriöse vollständige
Europäische Kommission die Europäische Investiti-
Prüfung durch die Bundesregierung.
onsbank beauftragt hat, ein eigenes Gutachten zu fi-
nanz- und volkswirtschaftlichen Aspekten der Finan- Ich verkneife es mir aber nicht, doch eine Berner
zierung auszuarbeiten, zu der Überlegung Anlaß kung zu dem Aspekt der ökonomischen Prüfung zu
gibt, daß man auch dort der Least-Cost-Studie, die machen, insbesondere wenn die Fragen von Abgeord-
von der EBRD in Auftrag gegeben worden ist, erheb- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN kommen.
liche Zweifel entgegenbringt? Es geht Ihnen nach unserer Überzeugung darum, ein
1714 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser


neues, nach unserer Einschätzung sicheres Kernkraft- gewünscht. Dann bedanke ich mich bei Ihnen, Herr
werk möglicherweise zu verhindern. Die ökonomische Staatssekretär Faltlhauser, für die Beantwortung der
Argumentation ist - so scheint es mir - für Sie eine Fragen.
Hilfsbrücke, um besser dagegen argumentieren zu
können. Es ist ja erklärt worden, daß die Sicherheitskri- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht
terien in ausreichender Weise erfüllt werden.
Herr Staatssekretär Dr. Kolb bereit.
(Monika Ganseforth [SPD]: Ich darf noch
Hinsichtlich der Fragen 36 und 37 ist eine schriftli-
einmal fragen: Gaskraftwerk kommt nicht
che Beantwortung beantragt worden. Die Antworten
in Frage? Das haben Sie nicht beantwortet!)
werden als Anlagen abgedruckt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie können Wir kommen zu Frage 38 des Abgeordneten Vol-
keine Zusatzfrage mehr stellen. - Eine Zusatzfrage ker Neumann (Bramsche):
der Kollegin Buntenbach. War der Bundesregierung bekannt, daß während des irakisch
iranischen Krieges, als sie Ausfuhrgenehmigungen für Rü-
stungsgüter an die Kriegsgegner durch die Münchner Firma Te-
Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lemit zuließ, die DDR in ähnlicher Weise unbedenklich über Fir-
NEN): Herr Staatssekretär, daß die ökonomischen men des Bereichs „Kommerzielle Koordinierung" den Irak und
den Iran mit Rüstungsgütern belieferte?
Nachfragen lediglich als Hilfsbrücke dienen, möchte
ich zurückweisen. Es geht um die Vergabe dieses Bitte, Herr Staatssekretär.
Kredites.
Ich habe auch noch eine ökonomische Nachfrage. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, haben desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Neumann,
Sie auf die Frage der Kollegin Schönberger gesagt, die Bundesregierung war darüber unterrichtet, daß
daß eine Verzinsung der Rückstellungen mit nomi- die DDR während des ersten Golfkrieges zwischen
nal 11 % bis 19 % auch anders als über Spekulations- dem Irak und dem Iran, d. h. von 1980 bis 1988,
geschäfte zu erreichen wäre. Meine Frage: beide Parteien mit Rüstungsgütern beliefert hat. Die
- In wel-
chen Bereichen läßt sich das außerdem erreichen? Bundesregierung hat ihre Erkenntnisse über Lief e-
rungen der damaligen DDR an den Irak und den
Iran dem 1. Untersuchungsausschuß mitgeteilt.
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Ich habe schon zu Ihrer Ich verweise zudem auf die Ausführungen des Ab-
Kollegin gesagt, daß ich die Verzinsungsannahmen, schlußberichtes, in dem auf den Seiten 189 bis 194,
die Sie vergleichend anstellen, nicht für adäquat 492 bis 494, 516 bis 517 und 521 bis 522 die entspre-
halte. Ich glaube aber nicht, daß wir jetzt über Ver- chenden Aktivitäten der DDR umfassend dargestellt
zinsungsgrößenordnungen in den verschiedensten werden.
Bereichen einen Dialog führen sollten.
Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Ich habe eine
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- Zusatzfrage.
frage der Kollegin Hustedt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): frage. Bitte, Herr Neumann.
Habe ich Sie bei der Beantwortung der Frage von
Frau Ganseforth richtig verstanden, daß Sie die Al- Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Wie bewertet
ternative, dort ein Gaskraftwerk zu bauen, nicht die Bundesregierung die Tatsache, daß die DDR an
überprüfen? Ist das überhaupt nicht in Ihrem Über- zwei kriegsführende Parteien gleichzeitig Waffen ge-
prüfungsauftrag enthalten? liefert hat, und wie bewertet sie ihr eigenes Verhal-
ten, daß sie im gleichen Zeitraum westdeutschen Fir-
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- men Genehmigungen für Rüstungsexporte an diese
desminister der Finanzen: Erstens darf ich darauf kriegsführenden Parteien erteilt hat?
hinweisen, daß die Bundesregierung nicht baut und
kein Projektträger ist. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Neumann,
Zweitens darf ich Sie darauf hinweisen, daß wir soweit hier Bewertungen abzugeben waren, hat die
nur das prüfen können, was tatsächlich vorliegt. Es Bundesregierung dies im 1. Untersuchungsausschuß
geht hier darum - das ist unsere Aufgabe -, die Serio- getan. Ich glaube, Sie waren Mitglied dieses Unter-
sität der Vergabe eines Kredites einer internationalen suchungsausschusses,
Bank, an der wir beteiligt sind, zu prüfen. Diese Prü-
fung erfolgt nach verschiedenen Kriterien, nach Si- (Volker Neumann [Bramsche] [SPD]: Si
cherheits-, Wirtschaftlichkeits- und sonstigen Krite- cher!)
rien; diese habe ich Ihnen schon vorgetragen. Wei- der sehr umfangreiches Material geliefert hat: den
tere Prüfungen haben wir nicht vorzunehmen.
Abschlußbericht, den Anhang, drei Anlagebände,
zusammen fast 5 000 Seiten beschriebenes Material.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wenn ich es Ich habe dem insbesondere aus Sicht des Bundesmi-
richtig sehe, werden keine weiteren Zusatzfragen nisteriums für Wirtschaft hier nichts hinzuzufügen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1715

Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Ich habe eine 12 Millionen Gigawattstunden. Für Tschechien ist
zweite Zusatzfrage. demgegenüber saldiert ein leichter Exportüberschuß
nach Deutschland, also ein Stromimport nach
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine zweite Zu- Deutschland, von 990 Gigawattstunden in 1994 fest-
satzfrage, bitte. zustellen.
Generell gilt für den Stromaustausch im internatio-
Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Zu dem Zeit- nalen Verbund, daß die Austauschmengen nicht be-
punkt war uns noch nicht bekannt, daß die Bundes- stimmten Kraftwerkskapazitäten zugeordnet werden
regierung in der gleichen Weise westdeutschen Fir- können, da bei der Stromerzeugung in der Regel ver-
men Genehmigungen erteilt hat, Rüstungsgüter zu schiedene Energieträger eingesetzt werden.
exportieren, wie es die DDR gemacht hat. Unsere Be-
wertung der Tatsache wäre sicher anders ausgefal- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
len, wenn wir das gewußt hätten. Deshalb frage ich frage der Kollegin Probst, bitte.
aus heutiger Sicht: Wie bewerten Sie das Verhalten
der Bundesregierung, der Firma Telemit Genehmi- Simone Probst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei
gungen zu erteilen, während des ersten Golfkrieges einer solchen politischen Nicht-Verantwortlichkeit
sowohl an den Irak als auch an den Iran Rüstungsgü- fällt mir leider nichts mehr ein.
ter zu liefern?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das war keine


Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- Frage. - Eine Zusatzfrage der Kollegin Saibold.
desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Neumann,
auch hier habe ich keine Bewertung hinzuzufügen.
Wenn Sie keine Kenntnis von diesen Ausfuhren hat- Halo Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
ten, ist es für Sie natürlich eine bedauerliche Tatsa- Parlamentarischer Staatssekretär Kolb, begrüßt die
che. Die Tatsache aber, daß Ausfuhrgenehmigungen Bundesregierung die Absicht der Bayernwerk AG,
an die Firma Telemit erteilt worden sind, war keine aus Mochovce Atomstrom zu einem Preis von ca.
Geheimsache. Es sind ja auch keine Exporte nach 6 Pfennig pro Kilowattstunde einzuführen und dann
dem Kriegswaffenkontrollgesetz gewesen, sondern in der Bundesrepublik zu einem Preis von minde-
es sind für sonstige Rüstungsgüter nach dem Außen- stens 18 Pfennig zu verkaufen, oder sieht sie darin
wirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverord- nicht auch eine neue Form der Ausbeutung der Slo-
nung Genehmigungen erteilt worden. Aber, wie ge- wakischen Republik, von den ökologischen Folgen
sagt, aus Sicht der Bundesregierung sind hierzu jetzt einmal ganz zu schweigen?
keine zusätzlichen Bewertungen abzugeben.
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen desminister für Wirtschaft: Frau Kollegin Saibold, ich
dann zur Frage 39 der Abgeordneten Probst, die jetzt bin zunächst einmal froh, daß es Ihnen nicht die
im Raum ist: Sprache, insbesondere nicht die Frage verschlagen
hat. Aber ich glaube, ich werde später noch zu Mo-
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zu Stromimporten chovce mich zu äußern hier Gelegenheit haben. Ich
nach Deutschland aus Mittel- und Osteuropa, wo der Strom z. T.
in Atomkraftwerken ohne Containment erzeugt wird, die in
will die Frage, ob das Bayernwerk und wenn ja, zu
Deutschland niemals genehmigungsfähig wären? welchem Preis Strom aus diesem Kraftwerk impor-
tiert - wie gesagt, eine Zuordnung zu einem einzel-
Bitte, Herr Staatssekretär. nen Kraftwerk ist ohnehin nicht möglich - hier aber
nicht kommentieren. Das ist auch nicht die Aufgabe
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- des Bundesministeriums für Wirtschaft.
desminister für Wirtschaft: Frau Kollegin Probst, es
liegt grundsätzlich in der unternehmerischen Ent- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
scheidung der deutschen Verbundunternehmen, ob frage des Kollegen Kubatschka.
und, wenn ja, in welchem Umfang sie stromwirt-
schaftlich mit Partnerunternehmen in Mittel- und
Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, be-
Osteuropa zusammenarbeiten.
deutet die Aussage, die Sie gemacht haben, daß zur
Zum Stromaustausch und damit auch zu Stromim- Zeit die Tschechische Republik nicht fähig wäre,
porten sind technische Möglichkeiten zum einen Strom zu exportieren?
durch die zur Zeit noch gegebene Integration des ost-
deutschen Hochspannungsnetzes in den osteuropäi- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun-
schen Stromverbund sowie zum anderen über eine desminister für Wirtschaft: Ich habe nur gesagt, daß
Gleichstromkurzkopplung zwischen Etzenricht in das zur Zeit saldiert nicht stattfindet. Ob die Tsche-
Bayern und Hradec in Tschechien gegeben. chische Republik dazu in der Lage wäre, entzieht
In den Jahren 1993 und 1994 hat ein Stromaus- sich meiner Beurteilung. Aber ausschließen kann ich
tausch in geringen Mengen lediglich mit Polen und es nicht.
Tschechien stattgefunden. Bei saldierter Betrachtung
ergibt sich für Polen dabei ein Überschuß der Liefe- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
rungen aus Deutschland, und zwar 1994 von frage der Kollegin Schönberger.
1716 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stet und verbessert werden. Damit wird eine mög-
NEN): Ich habe eine Zusatzfrage, weil mir eines an lichst frühe Außerbetriebnahme der alten Blöcke Bo-
Ihren Ausführungen nicht ganz klar ist: hunice 1 und 2 ermöglicht.
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das Die Bundesregierung betrachtet es nicht als ihre
muß ja nicht am Staatssekretär liegen!) Aufgabe, Gaspreisprognosen durchzuführen und zu
veröffentlichen.
Es ist doch so, daß die Refinanzierung des Kredits
teilweise über Stromlieferungen aus Mochovce un- In der Least Cost Analyse der Europäischen Bank
- -

ter anderem auch nach Deutschland stattfinden soll. für Wiederaufbau und Entwicklung zum Atomkraft-
Wir wissen alle, daß das natürlich nicht unbedingt werk Mochovce werden auch die Investitionen und
heißt, man kann jetzt genau sehen, wieviel Strom da Kosten eines kombinierten Gas- und Dampfkraft-
herauskommt. Es findet vielmehr eine Verrechnung werks als Alternative zur Fertigstellung der zwei
statt. Kernkraftwerksblöcke untersucht.
Bei der Prognose der Gaspreise haben die Auto-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte die Frage. ren wegen der Unsicherheit der Voraussage von zu-
künftigen Gaspreisen und wegen der unterschiedli-
Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen Aussage der verschiedenen Prognosen drei
NEN): Es steht sozusagen klar da: Soundsoviel Pro- Szenarien unterstellt: Im unteren Szenario wird die
zent aus der Stromproduktion von Mochovce - das auch von Ihnen angesprochene Prognose der EIB
wird noch genau ausgehandelt - soll in die Bundesre- verwendet. Dabei wird unterstellt, daß sich die Preise
publik kommen und mit 6 Pfennig pro Kilowatt- für Erdgas weiterhin an den Preisen des Heizöls
stunde vergütet werden. Also beziehen wir damit orientieren. Neue Technologien bei der Erschließung
Strom aus Mochovce. Daher können Sie doch nicht neuer Felder würden den Anstieg der Gaspreise ver-
sagen: Nein, das tun wir nicht. Das ist doch Teil der ringern und relativ niedrige Gaspreise bringen.
Refinanzierung des Kredits. Beim Basisfall - das ist die Erhöhung um ca. 5 % -
wurden die Prognosen der IEA verwendet. Der Preis-
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- anstieg bei dieser Prognose ist höher, da neben der
desminister für Wirtschaft: Frau Kollegin Schönber- Orientierung am Ölpreis auch die Rentabilität der
ger, ich will darauf hinweisen, daß es sich zwar um Förder- und Transportanlagen stärker in Betracht ge-
Wirtschaftlichkeitsrechnungen handelt, aber gleich- zogen wird.
wohl mehr eine finanzwirtschaftliche Betrachtung ist.
Das dritte Szenario ist das Hoch-Szenario, also die
Insofern kann und will ich Ihnen hier auch keine
Erhöhung um ca. 9 %. Da wird die Prognose der
Antwort geben, die Ihnen der Kollege Faltlhauser als
UNIPEDE, also des Verbandes der Internationalen
der Vertreter des zuständigen Bundesministeriums
Stromproduzenten und -verteiler, herangezogen.
der Finanzen hätte geben müssen, geben wollen
oder geben können. Zur Wahrscheinlichkeit des Eintreffens dieser drei
Szenarien kommt das Gutachten zu dem Ergebnis,
(Horst Kubatschka [SPD]: Geben sollen!)
daß das untere Szenario mit Schätzungen der EIB
Ich bin auf jeden Fall nicht der richtige Adressat für wahrscheinlicher ist als das Hoch-Szenario und des-
Ihre Frage. halb auch ein höheres Gewicht haben sollte. Beim
unteren Szenario wird von einem Preisanstieg in
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen da- 1999 von 1,7 % und für 2000 von 1,8 % ausgegangen.
mit zur Frage 40 der Abgeordneten Schönberger: Im übrigen: Der von der Weltbank verwendete
Wie schätzt die Bundesregierung angesichts von Liberalisie- Gaspreis bezieht sich ausschließlich auf die Ukraine
rungstendenzen auf dem internationalen Markt für Erdgas die und sieht keine Steigerung vor. Nach der Studie ist
Tatsache ein, daß in der Least-cost-Studie der Europäischen dieser Preis allerdings nicht auf die Slowakei über-
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) zum Atom-
kraftwerk Mochovce Gaspreissteigerungen bis zum Jahr 2000 in
tragbar, und zwar erstens wegen der höheren Trans-
einer Höhe von 5-9 Prozent (Szenario HIGH und BASE der Stu- portkosten und zweitens wegen der unterschiedli-
die) pro Jahr angenommen werden und damit deutlich höhere chen Beziehungen zu Rußland.
Annahmen getroffen werden als entsprechende Einschätzun-
gen der Weltbank und der Europäischen Investitionsbank (EIB)
und damit die Wirtschaftlichkeit eines Gaswerkes, welche be- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
kanntlich erheblich von den angenommenen Brennstoffkosten frage der Kollegin Schönberger, bitte.
abhängig ist, verworfen wird?

Bitte, Herr Staatssekretär. Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-


NEN): Wenn ich das, was Sie gesagt haben, richtig
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- verstanden habe, nimmt die Bundesregierung von
desminister für Wirtschaft: Frau Kollegin Schönber- sich aus keine Bewertung der Entwicklung der Gas-
ger, die Bundesregierung hat in der Antwort auf die preise vor, sondern verläßt sich ganz auf die Studie
Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der EBRD. Wie bewerten Sie denn in diesem Zusam-
NEN vom 17. Oktober 1994 ausführlich zur Fertig- menhang, daß die US amerikanische Regierung an-
-

stellung des Kernkraftwerks Mochovce Stellung ge- scheinend nicht so großes Vertrauen darin hat, eben
nommen. Sie befürwortet das Projekt, bei dem zwei auf Grund der ganzen Entwicklungen, die diese Stu-
Anlagen mit westlicher Sicherheitstechnik nachgerü- die durchgemacht hat, wie ich vorhin ausgeführt
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1717
Ursula Schönberger
habe? Wie bewerten Sie die Tatsache, daß die US- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
amerikanische Regierung eine neuerliche Berech- frage der Kollegin Saibold.
nung des Alternativszenarios Gaskraftwerk fordert?
Könnte es nicht sein, daß die Bundesregierung, da Halo Saibold (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
sie ja in einer Entscheidungsverantwortung steht, Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß die Bundes-
gut daran täte, sich dem Anliegen der US-amerikani- regierung auf Grund der ganzen Debatte, die ja
schen Regierung anzuschließen und eine neuerliche schon längere Zeit läuft, doch mitbekommen hat, daß
Berechnung dieser Alternative Gaskraftwerk vorzu- es hier um eine sehr umstrittene Angelegenheit geht.
nehmen? Deswegen frage ich Sie: Sind denn bereits einmal
Verhandlungen mit der Slowakischen Republik da-
hin gehend geführt worden, daß die Bundesregie-
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- rung Unterstützung bei der Erschließung des vorhan-
desminister für Wirtschaft: Frau Kollegin Schönber- denen Energieeinsparpotentials, bei besserer Ener-
ger, Sie haben mich richtig verstanden. Ich zitiere gienutzung oder dem Aufbau von alternativen Ener-
gern noch einmal den einschlägigen Satz meiner giequellen leistet? Oder wird sie es in Zukunft noch
Antwort: „Die Bundesregierung betrachtet es nicht tun, bevor diese Anweisung an die Bank geht?
als ihre Aufgabe, Gaspreisprognosen durchzuführen
und zu veröffentlichen."
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Was das Verhalten oder Aktionen der US-amerika- desminister für Wirtschaft: Frau Kollegin Saibold, die
nischen Regierung anlangt, so steht es mir nicht an, Bundesregierung ist im ständigen Austausch mit der
dieses zu kommentieren. slowakischen Regierung. Ich kann Ihnen allerdings
auf Grund der Vielzahl der jeweils diskutierten The-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine zweite Zu- men nicht aus eigener Kenntnis beantworten, ob die-
satzfrage der Kollegin Schönberger, bitte. ses Thema bisher eine Rolle gespielt hat. Ich nehme
aber gern mit, daß hier eine besondere Sensibilität
besteht.
Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Kann ich - für mich abschließend - hinsicht- (Rudolf Bindig [SPD]: Heißen Sie Hase? -
lich dessen, was Sie und Ihr Kollege ausgeführt ha- Weil Sie von nichts etwas wissen!)
ben, annehmen, daß Sie sich allein auf dieses sehr - Nein, mein Name ist Kolb.
umstrittene Gutachten der EBRD stützen werden,
daß Sie also nicht eigenverantwortlich mit eigenen
Überprüfungen und vielleicht auch etwas kritischer Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz-
an dieses Projekt herangehen werden? frage der Kollegin Hustedt.

Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
desminister für Wirtschaft: Für sich persönlich, Frau Unter Aufnahme Ihres Freudschen Versprechers
Kollegin Schönberger, können Sie dies gern tun. Ich frage ich Sie: Wollen auch Sie uns nicht sagen, wann
kann Ihnen allerdings dazu nicht die Zustimmung, die Entscheidung über die Kreditvergabe fallen
die Billigung der Bundesregierung aussprechen. Kol- wird?
lege Faltlhauser hat deutlich gemacht, daß es zu-
nächst die Aufgabe der kreditvergebenden Bank ist,
die entsprechenden Prüfungen durchzuführen. Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft: Dann müßte ich die Ge-
genfrage stellen, welchen Freudschen Versprecher
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- Sie meinen; denn es ist ja das Wesen von Verspre-
frage des Kollegen Behrendt. chern, daß sie einem selbst nicht auffallen. Aber ich
kann es nicht kommentieren, weil ich die Grundlage
nicht habe.
Wolfgang Behrendt (SPD): Herr Staatssekretär,
können Sie mir erläutern, warum die Weltbank auf (Rudolf Bindig [SPD]: Er hat von nichts eine
Grund des von ihr erstellten Gutachtens zu der Über- Ahnung!)
zeugung gelangt, keine Darlehen für Nuklearpro-
jekte in Mittel- und Osteuropa zu vergeben, Sie aber
zu einer völlig gegensätzlichen Schlußfolgerung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegen,
kommen? wir sind eigentlich am Ende der für die Fragestunde
ausgemachten Zeit. Es gibt eine Zusatzfrage der Kol-
legin Buntenbach, die ich noch zulasse. Herr Staats-
Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- sekretär wird antworten. Dann müssen wir die Frage-
desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Behrendt, stunde abschließen.
das kann ich leider nicht, da ich dieses Gutachten
nicht kenne.
Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Wolfgang Behrendt [SPD]: Das ist aber NEN): Ich möchte von Ihnen gern wissen, wann
traurig!) denn über diese Kreditvergabe entschieden wird.
1718 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- Zweiter Mangel: Der Vorschlag ist nach wie vor so-
desminister für Wirtschaft: Die Frage, Kollegin Bun- zial nicht gerecht. Da Sie bei der Steuer am Kinder-
tenbach, haben Sie ja dem Kollegen Faltlhauser freibetrag festhalten, werden doch Spitzenverdiener
schon gestellt. monatlich sehr viel mehr entlastet als Durchschnitts-
und Geringverdiener. Können Sie uns einmal erklä-
(Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE ren, warum Sie, wenn Sie, wie Sie sagen, kein Geld
GRÜNEN]: Es könnte ja sein, daß irgend je haben, um das Erstkindergeld stärker als auf 200 DM
mand in der Bundesregierung das weiß!) zu erhöhen, das Geld haben, bei der Steuer über den
Er ist Vertreter des zuständigen Ministeriums. Das Kinderfreibetrag Spitzenverdienern - das sind die,
Bundesministerium für Wirtschaft kann Ihnen - da die mehr als 240 000 DM zu versteuerndes Einkom-
nicht betroffen - diese Antwort nicht geben. Tut mir men im Jahr haben - Monat für Monat über den Kin-
leid. derfreibetrag 277 DM Entlastung zu geben? Das sind
77 DM jeden Monat und 924 DM im Jahr mehr für
Spitzenverdiener als für den Durchschnittsverdiener.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit sind wir Das Verfassungsgericht forde rt dies nicht. Deswegen
am Ende der für die Fragestunde ausgemachten Zeit, fordern wir Sie auf, das Geld, das Sie da hineinstek-
ja, schon darüber hinaus. Ich danke Ihnen, Herr ken, zu benutzen, um das Kindergeld für das erste
Staatssekretär, für die Beantwortung. Die restlichen und das zweite Kind weiter anzuheben.
Fragen werden schriftlich beantwortet werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Ich schließe die Fragestunde. ten der PDS)
Wir kommen nunmehr zum Zusatzpunkt 2:
Dritter Mangel: Der Familienlastenausgleich bleibt
Aktuelle Stunde weiterhin sehr kompliziert. Sie schaffen zwar die Ein-
kommensgrenzen beim Kindergeld und den Kinder-
auf Verlangen der Fraktion der SPD geldzuschlag ab; das ist positiv. Aber es ist halbher-
Haltung der Bundesregierung zur -künftigen zig; denn wir bleiben bei dem dualen System - Kin-
Ausgestaltung des Familienlastenausgleichs dergeld und Kinderfreibetrag - mit einer sehr kom-
plizierten Regelung für die Steuerbürger. Diese müs-
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- sen sich nach Ihren bisherigen Vorstellungen am
gin Ingrid Matthäus-Maier. Jahresanfang entscheiden, ob sie das eine oder das
andere wählen. Wie kann das ein Arbeitsloser wis-
(Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard sen, wenn er gar nicht weiß, ob er im Laufe des Jah-
Hirsch) res eine Anstellung findet? Unser SPD-Modell eines
einheitlichen Kindergeldes als Abzug von der Steu-
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Präsident! Frau erschuld bleibt, auch was die Verwaltungsvereinfa-
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- chung angeht, die bessere Alternative, und deswe-
ren! Die Vorschläge der Koalition sind ein deutlicher gen treten wir dafür ein.
Schritt in Richtung auf unser SPD Modell eines ein-
Der gravierendste Mangel ist aber der zuerst ge-
-

heitlichen Kindergeldes in Höhe von 250 DM vom


ersten Kind an. Ich stelle mit Genugtuung fest: Hät- nannte, die unzureichende Höhe des Kindergeldes.
ten wir unser 250-DM-Kindergeld-Modell nicht im- Die von Frau Nolte verwandten Zahlen sind irrefüh-
mer wieder so hartnäckig vertreten und gegen Ihre rend. Sie preist eine Kindergelderhöhung von
Kritik verteidigt, dann wäre die Regierung heute 130 DM an. Da kann ich mich nur wundern! Erinnern
nicht so weit, wie sie ist. Sie sich denn nicht an die Debatte von vor genau ei-
nem Jahr, bei der - quer durch alle Fraktionen -
(Beifall bei der SPD) herbe Kritik an der Vorgängerin, Frau Rönsch, geübt
wurde, weil sie bei der Übergangslösung zum Exi-
Erinnern Sie sich noch? Noch vor zwei Wochen stenzminimum den Beziehern niedrigster Einkom-
wollte Finanzminister Waigel das Erstkindergeld men den Kindergeldzuschlag vorenthalten hat? Statt
überhaupt nicht anheben. Erst unser Druck hat Be- sich dafür zu schämen, prahlt die Familienministerin
wegung in Ihre Reihen gebracht. Das ist ein Erfolg mit einer Zahl, die nur dadurch zustande kommt, daß
der Opposition. den Familien mit niedrigsten Einkommen bleibendes
(Beifall bei der SPD) Unrecht über Jahre zugefügt wurde.

Trotzdem kann man mit Ihrem Vorschlag nicht zu- (Beifall bei der SPD)
frieden sein. Drei Mängel fallen besonders auf; da
muß die Regierung nachbessern. Nein, wir stellen fest: Die Entlastung von 65 DM
beim Erstkindergeld ist ein richtiger Schritt; aber er
Erster Mangel: Der Vorschlag ist unzureichend. reicht nicht. Beim zweiten Kind beträgt die Entla-
Viele Familien bekommen keine oder nur eine ge- stung nur noch 5 DM; auch das ist unzureichend.
ringe Entlastung; Familien mit mehreren Kindern Beim dritten Kind kann eine Entlastung von 15 DM
verschlechtern sich unter Umständen sogar gegen- nicht das letzte Wort sein. Beim vierten Kind und bei
über dem geltenden Recht. Das darf nicht sein. Des- weiteren Kindern gibt es sogar eine Verschlechte-
wegen bleibt das Ziel der SPD: 250 DM Kindergeld rung von mindestens 5 DM; das ist doch abenteuer-
vom ersten Kind an und 350 DM ab dem vierten lich! Kann denn bei Ihnen eigentlich niemand rech-
Kind. nen?
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1719
Ingrid Matthäus-Maier
Die Menschen rufen in unseren Büros an. Ich sage nen, die keine Kinder und infolge dessen eine gerin-
ihnen: Rufen Sie nicht bei der SPD an, gere Belastung, ein doppeltes Einkommen und im
Alter eine doppelte Rente haben. Das wollen die
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Stimmt!) Leute!
rufen Sie beim Bundeskanzler an! Der ist für diesen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
unzureichenden Vorschlag verantwortlich, und der
soll das gefälligst ändern. Wir Sozialdemokraten blei- Deswegen sage ich ganz einfach, was wir wollen:
ben bei 250 DM, und das ist besser, meine Damen Wir wollen statt 70 DM für das erste Kind 200 DM für
und Herren. das erste Kind, statt 130 DM für das zweite Kind
200 DM für das zweite Kind, statt 220 DM für das
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dritte Kind 300 DM und statt 240 DM für das vierte
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Kind ebenfalls 300 DM.
PDS)
(Zuruf von der SPD: Das ist doch Volksver
dummung, was Sie machen!)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat
der Kollege Dr. Heiner Geißler. Der Freibetrag wird von etwas über 4 000 DM auf
6 264 DM erhöht.
Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Herr Präsident! Schließlich machen wir noch etwas: Nicht Beamte
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau und Bürokraten verrechnen und gleichen aus, son-
Matthäus-Maier, wenn wir jetzt schon beim Rechnen dern die Bürgerinnen und Bürger haben das freie
sind und Sie ein Existenzminimum von 7 200 DM für Recht, zu entscheiden, ob sie den Freibetrag oder
richtig halten - - das Kindergeld wollen. Das entscheiden sie danach,
was für sie günstiger ist.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Habe ich ja
gar nicht gesagt! Entschuldigung, Sie ver Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese
wechseln im Moment Herrn Fell mit -mir!) Lösung ist im übrigen auch geeignet, verfassungs-
rechtlich das Problem zu lösen - da haben Sie recht -,
- Nein, nein. daß ich mit 200 DM nicht die Freibetragswirkung er-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Doch!) reiche, die ich auch für einen Einkommensbezieher
zwischen 160 000 DM und 280 000 DM erreichen
Herr Präsident, darf ich die Kollegin kurz fragen, muß. Das ist verfassungsrechtlich einwandfrei und
welches Existenzminimum sie für richtig hält? beläuft sich auf 272 DM. Das erreichen Sie mit Ihren
250 DM auch nicht. Deswegen ist es gut, daß diese
Einkommensbezieher für den Freibetrag votieren
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
können.
Geißler, wir können an sich von den Regeln der Ak-
tuellen Stunde nicht abweichen. Ich würde Ihnen Frau Matthäus-Maier, niemand - mit ganz weni-
einfach raten, daß Sie Ihre eigene Meinung vortra- gen Ausnahmen; ich zeige Ihnen diese Tabelle -
gen. Das wäre das Einfachste. Sie verbrauchen Ihre steht sich schlechter. Das ist einfach nicht wahr! Vor
Zeit, Herr Kollege. Sie sollten Ihre Meinung vortra- allem verbessern wir für die unteren Einkommensbe-
gen. zieher die Situation ganz entscheidend: Jemand mit
A 3 und einem Kind: 704 DM mehr, A 9: 620 DM
mehr, A 12: 458 DM mehr, A 15: 400 DM mehr. Bei
Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Also gut, ich mache
einem Verheirateten mit zwei Kindern: A 3: 704 DM
weiter.
mehr, Facharbeiter mit 65 000 DM: 1 156 DM mehr,
Frau Kollegin Matthäus-Maier, damit wir uns dar- A 12: 1 000 DM mehr, verglichen mit dem Tarif 1990.
über im klaren sind: Selbst wenn Sie sich auf das Exi- Wir haben bei Einkommensbeziehern mit vier Kin
stenzminimum von 6 264 DM einließen, kämen Sie dern in ganz wenigen Gruppierungen Schlechterstel-
mit den 250 DM, die Sie vorschlagen, auch nicht hin. lungen gegenüber dem jetzigen Zustand - und das
Da fehlt dann zwar nicht viel; aber bei einem Steuer- auch nur in einstelligen Beträgen. Und wenn der
satz von 53 % fehlen mindestens - rechnen Sie es neue Grundfreibetrag einberechnet ist, dann ist
nach - 22 DM, und wenn Sie den Solidaritätszu- höchstwahrscheinlich auch diese Schlechterstellung
schlag noch dazurechnen, dann fehlen Ihnen 30 oder beseitigt.
40 DM. Diese verfassungsrechtliche Problematik
Mir - uns allen - wären, Frau Matthäus-Maier,
müssen Sie lösen. Aber darüber wollte ich eigentlich
250 DM auch lieber als 200 DM. Das ist richtig.
hier gar nichts sagen.
(Beifall bei der SPD)
Die Debatte ist hier von Frau Matthäus-Maier so
begonnen worden, wie wir mit der letzten aufgehört Wir unterscheiden uns von Ihnen nur dadurch, daß
haben. Gerichtsurteile sind damals verlesen worden, wir klar sagen: Mehr als 6 Milliarden DM können wir
Professorengutachten, SPD-System, CDU-Modell, nicht finanzieren. Sie können diese 250 DM auch nur
F.D.P.-Vorschlag und alles mögliche. Die Leute wol- deswegen finanzieren, weil Sie das Ehegatten-Split-
len von uns nicht hören, mit welchem System wir sie ting in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM
beglücken, sondern die Väter und Mütter mit ihren kappen wollen. Genau dies halten wir nicht für rich-
Kindern wollen von uns hören, wie wir ihre konkrete tig. Dies ist möglicherweise verfassungswidrig. Es ist
Lage verbessern, und zwar auch im Vergleich zu de- politisch falsch. Wenn Sie diese Kappung des Ehe-
1720 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Heiner Geißler


gatten Splittings nicht haben, landen Sie, genauso
- ausfällt als die Steuerentlastung bei Familien mit hö-
wie wir, bei 200 DM. Deswegen müssen Sie Ihren Fi- herem Einkommen. Meinen Glückwunsch an die Fa-
nanzierungsvorschlag mit 250 DM noch einmal über- milienpolitiker der Koalition zu diesem verteilungs-
legen. politischen Gesellenstück!
Ein letztes Wort. Bei Ihrem neuesten Modell scheint unter all die-
sem Stückwerk schon die Ahnung hervor, daß damit
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ihre Redezeit das Problem längst nicht befriedigend gelöst ist. Sie
ist abgelaufen, Herr Dr. Geißler. denken weitere Stufen der Reform an. Warum denn
damit warten? Warum sind Sie so kleinmütig? Mit
der sogenannten Finanzamtslösung haben Sie doch
Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Selbstverständlich
zugegeben, daß das bisherige Nebeneinander einen
müssen wir im Laufe dieser Legislaturperiode über
unnötig hohen Verwaltungsaufwand erfordert.
die 200 DM reden.
Meine Damen und Herren, es ist unmöglich, die
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Dr. Geiß- Reform des Familienleistungsausgleichs von der an-
ler, Ihre Redezeit ist abgelaufen. deren großen Aufgabe, der Freistellung des Existenz-
minimums, zu trennen. Beides zusammen ist zwei-
felsohne - das haben auch Sie gerade gesagt - eine
Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Wir sagen ja: Ent-
gewaltige Aufgabe. Deswegen wird sie auch nicht zu
sprechend dem Existenzminimum muß in dieser Le-
packen sein, ohne an liebgewordene Besitzstände
gislaturperiode auch der Familienleistungsausgleich
heranzugehen. Ich meine - im Gegensatz zu Ihnen,
insgesamt - und damit auch das Kindergeld und
Herr Kollege Geißler -, daß es heute ein Anachronis-
nicht nur der Freibetrag - angehoben werden.
mus ist, rund 40 Milliarden DM in die steuerliche
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Subventionierung der Ehe zu stecken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN


Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich -erteile der
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Kollegin Andrea Fischer das Wort.
So hoch sind die Steuerausfälle durch das Ehegatten
Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Splitting. Aber beim Kindergeld geizen Sie und feil-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! schen um jede Mark.
Für alle Beobachter und Beobachterinnen des steuer-
lichen Geschehens ist es kaum mehr zu begreifen: Mühsam arbeiten Sie sich an den Vorgaben des
Seit Jahr und Tag foppen Sie uns und die Eltern mit Bundesverfassungsgerichts ab und werden dabei be-
zaghaften, halbherzigen, ideenarmen Vorschlägen stenfalls nur den Mindestanforderungen der ver-
für Reförmchen. Die Probleme der Lebensgemein- schiedenen Urteile gerecht. Aber es geht doch um
schaft mit Kindern sind davon nicht kleiner gewor- mehr als um steuer- und familienpolitische Flickschu-
den, aber deren Zorn auf schlechte Familienpolitik sterei. Es geht darum, die gesellschaftliche Teilhabe
der Bundesregierung dafür immer größer. von Menschen mit niedrigem Einkommen und von
Menschen mit Kindern sicherzustellen. Es geht
Herr Waigel, das Bundesverfassungsgericht hat Ih- darum, Solidarität und Gemeinsinn nicht als wohl-
nen doch umfangreiche Hausaufgaben ins Heft ge- feile Form für Feiertagsreden zu reservieren, sondern
schrieben; Sie müssen das Existenzminimum freistel- praktisch und konkret werden zu lassen.
len und das Leben mit Kindern finanziell erleichtern.
(Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser: Wir Bündnisgrünen werden Ihnen deshalb ein in-
Ich werde es ihm sagen!) tegriertes Steuerreformpaket vorlegen, das drei Eck-
punkte umfassen wird: erstens die steuerliche Frei-
Verstehen Sie mich nicht falsch: Nicht daß ich es für stellung des Existenzminimums, zweitens die sozial-
besonders glücklich hielte, daß das Bundesverfas- verträgliche Ablösung des Ehegatten-Splittings
sungsgericht die Richtlinien der Steuerpolitik fest- durch eine individualisierte Besteuerung der Ehegat-
legt. Aber was blieb denn den Geringverdienenden ten mit dem notwendigen Ausgleich für die Bezieher
und den Eltern anderes übrig, als sich an diese In- niedriger Einkommen und drittens ein einkommens-
stanz zu wenden, wenn die Bundesregierung ihnen unabhängiges Grundkindergeld von 300 DM pro
nur die kalte Schulter zeigt? Kind, das bei niedrigem Einkommen aufgestockt
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird. Zweifellos werden auch diese Reformen nicht
sowie bei Abgeordneten der PDS) alle der Probleme lösen, über die wir heute reden.
Aber ich meine, daß sie der sozialen Ausgrenzung
Und was muten Sie uns jetzt zu? - Unverdrossen deutlich etwas entgegensetzen würden.
krähen Sie „Weiter so! " Es bleibt beim Nebeneinan-
der von Kinderfreibetrag und Kindergeld. Mit dem Bei Meinungsumfragen fand das Allensbacher In-
schicken Begriff der Wahlfreiheit vertuschen Sie, daß stitut heraus, daß nahezu alle Menschen eine bessere
es Kindergeld für die Einkommensschwächeren und finanzielle Förderung des Lebens mit Kindern wol-
Kinderfreibetrag für die Gutverdienenden geben soll len. Gleichzeitig ist aber nur bei relativ wenigen die
- das Ganze mit dem pikanten Ergebnis, daß das Kin- Bereitschaft vorhanden, vom Eigenen für dieses
dergeld für untere Einkommensgruppen niedriger hehre Ziel abzugeben. Meine Damen und Herren
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1721
Andrea Fischer (Berlin)
von der Koalition, in diesem traurigen Sinne sind Ihre Von der Koalition wurde dieser Vorschlag über-
Vorschläge populistisch. Die Folgen wird die schwin- nommen und nur in einem Punkt abgeändert: Das
dende Zahl von Eltern mit Kindern bitter zu spüren Kindergeld wird nicht mit dem Steuervorteil verrech-
bekommen. net, sondern es wird ein Wahlrecht eingeräumt, und
mit dieser Änderung kann die F.D.P. leben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der PDS) In den Gesprächen mit dem Koalitionspartner ist es
also gelungen, diese gute Lösung in wesentlichen
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Teilen umzusetzen. Insbesondere möchte ich Fami-
Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele. lienministerin Nolte herzlich für ihr Engagement und
ihre eigene Meinung in dem gesamten Diskussions-
Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Sehr geehrter Herr prozeß danken. Denn es ist wahrlich nicht üblich,
Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese daß sich ein Minister oder eine Ministerin zugunsten
Debatte ist nicht eine Debatte um die Familie, son- einer als besser erkannten Lösung dafür einsetzt, daß
dern sie ist eine sehr konkrete Debatte für die Fami- das Ministerium zukünftig gut 20 Milliarden DM
lie. Eines will ich vorwegnehmen: Sieger sind die Fa- nicht mehr auf der Ausgabenseite vorweisen kann.
Aber gute Politik zeigt sich eben in der Sache und
milien. Daß mich dies auch als Vater von drei kleinen
nicht nur in der Ausgabenseite eines Etatpostens.
Kindern besonders freut, liegt auf der Hand.
Die vorgelegte Lösung ist familienfreundlich, ver- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
waltungsvereinfachend, finanzpolitisch solide und
Die wichtigsten Vorzüge des Koalitionsmodells
vor allem verfassungsf est.
bestehen darin, daß der verfassungsrechtliche
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Grundsatz des Freistellens des Existenzminimums er-
füllt ist, das Erstkindergeld deutlich erhöht wurde,
Das zeigt auch, daß diese Koalition handlungs- und das Verwaltungsverfahren drastisch vereinfacht
entscheidungsfähig ist. Wir alle - da schließe ich aus- wird. Die doppelte Antragstellung gegenüber dem
drücklich die Opposition mit ein - sind ja auch nicht Finanzamt und dem Arbeitsamt entfällt. Der Verwal-
deshalb in den Bundestag gewählt worden, um uns tungskostenzuschuß von 650 Millionen DM pro Jahr
gegenseitig Fehler vorzurechnen, sondern um die an die Bundesanstalt für Arbeit für die Auszahlung
Zukunft für dieses Land zu gestalten. von knapp drei Vierteln des Kindergeldes entfällt.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Mehr als 1 000 öffentliche Verwaltungen werden von
der Auszahlung des Kindergeldes entlastet. Ange-
Und deshalb ist es gut, daß die Aktuelle Stunde nicht sichts knapper öffentlicher Kassen konnte eine Ver-
von einem unfruchtbaren Streit über unterschiedli- besserung an Leistungen für die Familien von 6 Mil-
che Lösungsansätze geprägt ist. Sie ist und sollte da- liarden DM erreicht werden.
von geprägt sein, daß diese Koalition einen konkre-
ten Vorschlag vorgelegt hat, von dem ich meine und Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere
hoffe, daß dieser eine breite Zustimmung des gesam- Demokratie krankt an mangelnder Verständlichkeit
ten Deutschen Bundestages findet. unterschiedlichster Regelungen. Wer das derzeitige
System des Familienleistungsausgleichs - welches in
Der Kinderfreibetrag wird auf das Existenzmini-
einer Broschüre der Bundesregierung auf annähernd
mum von 6 264 DM im Jahr erhöht. Das Kindergeld
40 Seiten dargestellt wurde - verstehen will, muß
wird für das erste und zweite Kind auf 200 DM im
schon Spezialist sein. - Wenn wir heute die Stunde
Monat und ab dem dritten Kind auf 300 DM im Mo-
Null hätten, würde ich garantieren, daß keinem die
nat erhöht. Die Familien haben ein Wahlrecht zwi-
derzeitige Regelung einfallen würde.
schen der Inanspruchnahme von Kindergeld und
Kinderfreibetrag, so daß sich jeder Steuerpflichtige (Zuruf von der SPD: Das ist richtig!)
auswählen kann, ob er das Existenzminimum für
seine Kinder steuerfrei gestellt haben will oder ob er Im übrigen sind wir auch gar nicht so weit auseinan-
einen Abzug des Kindergeldes von der Steuerschuld der. Das begrüße ich ausdrücklich. Insofern - auch
wählt. das möchte ich an dieser Stelle sagen - bedanke ich
mich für die „weiche" Reaktion seitens der SPD auf
Die F.D.P. hat sich in ihrem Wahlprogramm für
unsere Vorschläge. - Ein System, welches die Bürger
mehr Leistungen für die Familie und für eine Verwal-
aber nicht verstehen können, kann von ihnen auch
tungsvereinfachung eingesetzt. Die F.D.P. hat sich für
nicht als gut empfunden werden.
das Bürgergeld eingesetzt und freut sich, daß mit die-
sem Modell der erste Schritt in diese Richtung ge- Dieser Vorschlag der Koalition ist ein Vorschlag für
gangen wird. die Familien, für mehr Verständlichkeit in der Demo-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) kratie und legt damit die Grundlage für mehr Akzep-
tanz gegenüber unserem Staat.
Wir freuen uns auch über Begleiter auf diesem Wege.
Ich würde mich freuen, wenn in der Familienpoli-
Das F.D.P. Modell sieht vor, das Existenzminimum
-
tik diese revolutionäre Veränderung des bisherigen
für Kinder von der Steuer freizustellen, das Kinder- Systems
geld spürbar zu erhöhen und den Steuervorteil aus
dem Steuerfreibetrag mit dem Kindergeld zu ver- (Detlev von Larcher [SPD]: Seit wann sind
rechnen. Dieses sollte über das Finanzamt erfolgen. Sie revolutionär?)
1722 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Carl-Ludwig Thiele
breite Zustimmung finden könnte. Ich möchte an die- Wir demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten
ser Stelle ausdrücklich betonen, daß die Kommunen waren und sind der Auffassung, daß einzig eine nur
und die Länder nicht schlechtergestellt werden sol- nach dem Alter gestaffelte einheitliche Kindergeld-
len, sondern von dem Bund einen entsprechenden zahlung an jedes Kind in Höhe des tatsächlichen
Ausgleich aus dem Steueraufkommen des Bundes er- Existenzminimums eine sozial gerechte und auch
halten sollen. unbürokratische Lösung darstellt. Das Ehegatten
Splitting wäre zumindest durch ein Familien-Split-
Lassen Sie uns zugunsten der Kinder, zugunsten ting zu ergänzen. Herr Waigel, Ihre Vorschläge sind
der Frauen und zugunsten unserer Familien nun- eine einzige Mogelpackung!
mehr kleinliches Töpfchen- und Rollendenken zu-
rückstellen und diesen Schritt mutig in die neuge- (Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser:
staltete Zukunft gehen. Nennen Sie mich doch ruhig Faltlhauser!)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Behauptung in der Beschlußvorlage der Koali-
tionsfraktionen, das Existenzminimum der Kinder
werde durch den erhöhten Freibetrag voll berück-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat sichtigt, entbehrt jeglicher Grundlage. Die seit dem
die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll. 1. Juli 1994 geltenden Regelsätze des Bundessozial-
hilfegesetzes weisen für die Kinder Regelsätze zwi-
Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da- schen 248 und 269 DM aus. Das Statistische Bundes-
men und Herren! Alle Jahre wieder legt der Bundes- amt schätzt die Aufwendungen für ein Kind auf
kanzler ein herzergreifendes Bekenntnis zur Familie durchschnittlich 800 DM pro Monat.
ab. Unübertroffen ist die scharfsinnige Einsicht, die Bei der Wahl zwischen Kindergeld und Kinderfrei-
Herr Kohl dem Bundestag in seiner Regierungserklä- betrag wird nur ein kleiner Personenkreis bei der
rung am 5. November 1994 mitteilte: Entscheidung für den Freibetrag besser abschneiden
Wir wissen, daß die Familie der Ort ist, wo über als mit der Wahl der Zahlung von pauschal 200 bzw.
unsere Zukunft entschieden wird. - 300 DM Kindergeld. Erst wenn die Grenzsteuerbela-
stung bei Ein- und Zweikindfamilien 38,3 % über-
Zweieinhalb Jahre benötigte die Bundesregierung, steigt, rentiert sich der Kinderfreibetrag. Diese
um tatsächlich Vorschläge für familienpolitische Be- Grenzsteuersätze werden z. B. bei einem zu versteu-
schlüsse vorzulegen, nachdem das Bundesverfas- ernden Einkommen von 77 112 DM bzw. 154 224 DM
sungsgericht festgestellt hatte, daß das Existenzmini- erreicht. Für die Masse der Steuerpflichtigen wäre
mum für Kinder steuerfrei zu stellen ist - getreu dem damit der Kinderfreibetrag abgeschafft und durch
Motto der Regierungspolitik: Aussitzen und „Es muß ein einheitliches Kindergeld ersetzt - was die Oppo-
etwas geschehen, aber es darf nichts passieren! " sitionsparteien immer forderten und die Koalitions-
fraktionen stets ablehnten. Jetzt versuchen sie, ihren
Wenn Frau Ministe rin Nolte jetzt erkennt, daß Fa- Schwenk auch noch zu vertuschen, indem sie dema-
milienförderung endlich Vorfahrt haben muß, so gogisch von einer Wahlfreiheit reden, die für die mei-
frage ich Sie, liebe Frau Ministerin: Wer hat denn - sten keine ist.
um bei Ihrem Bild zu bleiben - bis heute den Kreis-
verkehr bevorzugt? Bei der faktischen Abschaffung Der Vorschlag, den Sie vorgelegt haben, muß
des Asylrechtes oder beim Einsatz der Bundeswehr sich schließlich auch am bisher geltenden System
in Somalia haben Sie doch ein ganz anderes Tempo messen lassen und daran, was im Referentenent-
vorgelegt und auch durchgezogen. wurf zum Jahressteuergesetz 1996 zum höheren
Kindergeld und zu höheren Kinderfreibeträgen
Mehr als 2,2 Millionen Kinder, d. h. jedes siebte steht. Der Kinderfreibetrag von 4 104 DM bedeutete
Kind in den alten und jedes fünfte Kind in den neuen bei einem Grenzsteuersatz von 19 % eine Begünsti-
Bundesländern, leben in Familien, deren Nettoein- gung von rund 65 DM im Monat, so daß mit dem
kommen unterhalb der Armutsgrenze, unterhalb des
bisherigen Kindergeld 135 DM für das erste Kind
Sozialhilfesatzes, liegt. Mindestens eine weitere Mil- herauskamen, für das zweite Kind 195 DM, für das
lion Kinder wachsen in Familien auf, die alleine auf dritte mindestens 285 DM und für das vierte min-
Sozialhilfe angewiesen sind. Auch ein zunehmender destens 305 DM.
Teil der Jugendlichen lebt von der „Stütze", in Ost-
deutschland bereits jeder dritte. Der Referentenentwurf sieht jedoch eine Grenzbe-
lastung von 29 % vor. Damit macht der Kinderfreibe-
Pünktlich zum Internationalen Frauentag hat die trag bereits 99,18 DM im Monat, also rund 100 DM,
Koalition nun mitgeteilt, wohin es familienpolitisch aus. Das erste Kind brächte damit 170 DM, das
gehen soll. Doch selbst die regierungsfreundliche zweite jedoch bereits nur 230 DM, das dritte 320 DM
Presse war nicht zu Jubelarien aufgelegt. Ich muß sa- und das vierte 340 DM. Das heißt, nur Einkindfami-
gen: Das wundert mich nicht. Denn wer selber unter lien würden entsprechend dieses neuen Vorschlags
der Förderung der Familien nur die Förderung der eine leichte Verbesserung erhalten. Zweikindfami-
Ehe versteht, der wird bei einer Lösung, deren wich- lien bleiben bei Null, und bei Dreikindfamilien ist es
tigster Aspekt für Herrn Waigel darin besteht, daß er schon wesentlich schlechter.
nur 6 Milliarden DM anstatt 16 Milliarden DM bei
Zahlung eines erhöhten einheitlichen Kindergeldes
bereitstellen muß, keine Vorfahrt für Familienförde- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Dr. Höll,
rung erkennen können. Sie müssen zum Abschluß kommen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1723

Dr. Barbara Höll (PDS): Ein letzter Satz. - Aus Ihren - Frau Matthäus, wer mehr als zwei Kinder hat, wird
Meldungen geht überhaupt nicht hervor, wie das bei es wissen: In der Praxis fängt die größte Mehrbela-
Empfängerinnen von Unterhalt gerechnet werden stung ab dem dritten Kind an.
soll. Wird das Kindergeld weiter wegen die Sozial-
hilfe aufgerechnet? Dann ist es eine glatte Lüge, daß (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was ist mit
mit diesen Vorschlägen alle Kinder bessergestellt zwei Kindern?)
werden.
- Für das zweite Kind werden wir eine weitere Entla-
Ich muß sagen, meine Damen und Herren von der stung vielleicht beim nächsten Schritt realisieren
Regierungskoalition: Wir von der PDS sind nicht ent- können. Aber ich denke, ab dem dritten Kind und
täuscht. Wir haben von Ihnen leider schon nichts an- den weiteren Kindern wird es für die Familien immer
deres mehr erwartet. schwieriger, den Unterhalt sicherzustellen.
Ich danke. Zugegeben, der derzeitige Familienlastenaus-
(Beifall bei der PDS) gleich mit Kindergeldzuschlag, Kinderfreibetrag,
Kindergeldsockelbeträgen, Minderungsstufen beim
Einkommen ist kompliziert. Um so besser ist der jet-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das zige Vorschlag, weil er Vereinfachung schafft. Er ist
Wort der Bundesministerin für Familie, Senioren, schlüssig, und im Ergebnis wird er auch die Verwal-
Frauen und Jugend, Claudia Nolte. tung entlasten.

Zwischen dem, was die SPD will, und unserer Lö-


Claudia Nolte, Bundesministerin für Familie, Senio- sung gibt es zwei wesentliche Unterschiede:
ren, Frauen und Jugend: Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Vorgestern hat die Koalition Erstens. Unser Optionsmodell ist verfassungskon-
ein Eckwertepapier zum Familienleistungsausgleich form. Ihr Einheitsvorschlag könnte in Karlsruhe nicht
beschlossen, das es verdient, in einer Aktuellen bestehen, da er den Vorgaben der einschlägigen Ur-
Stunde debattiert zu werden. Sie werden verstehen, teile des Bundesverfassungsgerichts nicht standhält.
daß ich als Familienministerin mich über die gefun-
dene Lösung ganz besonders freue. Unser Konzept (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
des dualen Familienleistungsausgleichs ist ein großer
Erfolg für die Familien in Deutschland. Wir stellen in allen Einkommensgruppen, so wie es
erwartet wird, das Existenzminimum für Kinder frei.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer dagegen polemisiert, der muß letztendlich sa-
gen, was er wirklich will: Will er die Steuerprogres-
Gestatten Sie mir, daß ich noch einmal die Eck- sion abschaffen, die nämlich die Ursache dafür ist,
werte nenne, die mir besonders wichtig waren. Wir daß entsprechend der Leistungsfähigkeit von Fami-
erfüllen die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts lien die Steuer progressiv ist und entsprechend dann
und besteuern nicht das Einkommen der Eltern, das auch Entlastungen progressiv wirken, oder will er
für den Unterhalt der Kinder benötigt wird. Wir erhö- bewußt eine nicht verfassungsmäßige Regelung in
hen das Kindergeld auf 200 DM für das erste und das Kauf nehmen?
zweite Kind und auf 300 DM für das dritte und jedes
weitere Kind. Damit verbessern wir die Familienför- Zweitens. Unser Optionsmodell ist finanzierbar. Ich
derung für Familien mit mittleren und unteren Ein- will die Familienentlastung zum Januar 1996 und
kommen erheblich. nicht irgendwann an einem Sankt-Nimmerleins-Tag
oder irgendwann im nächsten Jahrtausend.
Natürlich, Frau Matthäus-Maier, weiß ich um die
Schwachstellen, die wir heute noch haben. Um so (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
besser ist es doch, daß wir einen Ausgleich herbei-
führen. In der Praxis ergeben sich für Familien in den Natürlich könnte auch ich mir ein höheres Kinder-
genannten Einkommensbereichen real die zitierten geld vorstellen. Das wünschen wir uns alle. Aber
Verbesserungen. eine Diskussion nach dem Motto „Wer bietet mehr?"
(Zuruf von der F.D.P.: So ist es! - Ingrid ist doch vollkommen unseriös. Die Finanzminister
Matthäus-Maier [SPD]: Wie hoch ist denn der SPD-regierten Bundesländer haben selbst er-
die Verbesserung beim zweiten Kind?) klärt, das von Ihnen auch heute wieder vorgeschla-
gene 250-DM-Einheitskindergeld ist derzeit über-
Da wir wissen, daß das Pro-Kopf-Einkommen in haupt nicht finanzierbar. Ihre Parteigenossen errech-
den Familien mit zunehmender Kinderzahl sinkt, hal- neten einen Fehlbetrag von über 13 Milliarden DM;
ten wir an einem Zählkindergeld fest. Ein Einheits- ich glaube, daß das eher die untere Grenze ist. Das
kindergeld wird der Belastung, die Mehrkinderfami- Loch würden Sie auch nicht allein mit der Abschaf-
lien haben, nicht gerecht. Aus diesem Grunde sind fung des Ehegatten-Splittings stopfen können.
wir dafür, daß ab dem dritten Kind ein höheres Kin-
dergeld gezahlt wird. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das will ja
keiner abschaffen! - Joachim Poß [SPD]:
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Das ist eine Frechheit, diese Unterstellung!
Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Und wie hoch - Weiterer Zuruf von der SPD: Sie müssen
ist die Entlastung beim zweiten Kind?) sich einmal informieren!)
1724 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Bundesministerin Claudia Nolte


Erstens halte ich das für familienpolitisch falsch. Zum Durch diesen Koalitionsvorschlag erhalten Fami-
anderen würde das nicht den Entlastungsbetrag lien also höchstens folgende reale Entlastungen: Für
bringen, den Sie dafür haben müßten. das erste Kind 65 DM, für das zweite Kind 5 DM, für
das dritte Kind 15 DM, beim vierten und allen weite-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Keiner will ren Kindern führt die vorgeschlagene Regelung so-
das Splitting abschaffen!) gar zu einer Verschlechterung.

Der Vorschlag der Koalition dagegen ist finanzier- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Mehrbela
bar. Ich danke ausdrücklich meinen Kollegen und stung!)
Kolleginnen der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion, Das ist Tatsache, und das benutzt auch Herr Dr. Fell
die an diesem neuen Vorschlag sehr konstruktiv ge- in seiner Veröffentlichung.
arbeitet und von Familienförderung nicht einfach nur
gesprochen haben. Denn auch das ist ein Fakt: Nur Heute wird von Ihnen - auch von Herrn Thiele -
durch solide Finanzpolitik ist es überhaupt nur mög- viel von vertikaler und horizontaler Gerechtigkeit
lich, daß wir 1996 Familien um insgesamt 6 Milliar- geredet und wiederholt das Verfassungsgericht be-
den DM entlasten. müht. Kein Mensch versteht das: horizontale und
vertikale Gerechtigkeit, aber es klingt herrlich wis-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) senschaftlich; also muß es natürlich auch richtig sein.
Wenn die Finanzminister der Länder konstruktiv (Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser:
mit uns zusammenarbeiten, dann werden wir es Das sagt das Verfassungsgericht, Frau Kol
schaffen, daß diese erheblichen familienpolitischen legin! - Zuruf von der SPD: Keine Zwi
Leistungen 1996 wirklich erreicht werden. Natürlich schenrufe von der Regierungsbank!)
haben wir vor, diese weiter auszubauen. Denn auch
Dabei umschreibt diese Formel die schreiende Unge-
ich glaube, diesem wichtigen und guten Schritt müs-
rechtigkeit, daß das Existenzminimum von Kindern
sen weitere Schritte folgen. Die Mütter und Väter er-
nicht gleichmäßig beurteilt wird; denn um nichts an-
warten von uns nicht, daß wir darüber streiten, wie
- könnte, deres geht es als um das nackte Existenzminimum
die beste Lösung rein theoretisch aussehen
für Kinder, wenn wir uns den bisherigen Familienla-
sondern sie wollen von diesen Verbesserungen end-
stenausgleich von Kindergeld, Kindergeldzuschlag
lich etwas spüren, die wir alle im Wahlkampf ange-
und Kinderfreibetrag anschauen. Das gilt auch für
kündigt haben.
die neuen Vorschläge.
Die Koalition hat ein Modell eingebracht, das die Wenn wir aber schon auf der minimalen Stufe Fa-
finanziellen Spielräume der Familien spürbar verbes- milienleistungsausgleich betreiben, dann kann mir
sert, verfassungskonform und solide finanziert ist. niemand klarmachen, warum diese Förderung nicht
Wenn es Ihnen wirklich um die Familien geht, dann für alle Kinder gleich sein soll, ja gleich sein muß.
schließen Sie sich unseren Vorstellungen an.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg.
Danke. Dr. Barbara Höll [PDS])

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Bundesverfassungsgericht hätte 1990 mit sei-
nem Urteil nicht im Traum an Nachhilfestunden, Kla-
vierstunden oder ähnliches, was wir für die Kinder
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der sonst noch machen müssen, zu denken gewagt. Wir
Kollegin Lydia Westrich das Wort. reden hier über die allernotwendigsten Ausgaben für
Essen, für Kleidung, für Wohnung, und die sind für
alle Kinder gleich.
Lydia Westrich (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Daß auch der neue Ansatz von 200 DM Kindergeld
verehrten Damen und Herren! Herr Geißler und auch zu niedrig ist, wird nicht nur von den Familienver-
Frau Ministeri n Nolte, wir wissen schon lange, daß bänden kritisiert, sondern auch von Teilen Ihrer
Frau Matthäus-Maier viel besser rechnen kann als Fraktion. Deshalb ist unser SPD-Modell, das gleich-
die meisten aus der Koalition. mäßiges Kindergeld von 250 DM für das erste, zweite
und dritte Kind und 350 DM ab dem vierten Kind vor-
(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sieht, das einzige, das sowohl die Vorgaben des Bun-
Sie vergessen bei Ihrer Rechnung nämlich immer die desverfassungsgerichts als auch die Grundbedingun-
gen sozialer Gerechtigkeit erfüllt. Die Finanzierung
Mindestentlastung aus dem Kinderfreibetrag oder
den Zuschlag. Sie beträgt für jedes Kind einfach haben wir wiederholt dargestellt.
65 DM. Das bedeutet: Für das erste Kind gibt es (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
135 DM - bis jetzt 70 DM Kindergeld und 65 DM Ent-
lastung -, für das zweite Kind 195 DM - 130 DM Kin- Das Ehegatten Splitting ist für mich keine heilige
-

dergeld und 65 DM Entlastung -, für das dritte Kind Kuh. Es ist einfach nicht einzusehen, daß z. B. Leute
285 DM - 220 DM Kindergeld und 65 DM Entla- wie ich ohne Kinder durch Kappung - ausdrücklich:
stung -, für das vierte Kind 305 DM - 240 DM Kinder- Kappung! - des Ehegatten-Splittings nicht zur Finan-
geld und 65 DM Entlastung. zierung des Familienleistungsausgleichs herangezo-
gen werden können. Es ist also durchaus noch Luft
(Zuruf von der SPD: Nun sagt etwas dazu!) da, um Familien besser fördern zu können.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1725
Lydia Westrich
Erstens könnte durch den Wegfall des Kinderfrei- Meine Damen und Herren von der Opposition:
betrages ohne weiteres das Kindergeld jetzt schon et- Jede Familie, egal mit welcher Kinderzahl, stellt sich
was angehoben werden, so daß alle Familien ein ein- so besser als vorher und als gegenwärtig mit der
heitliches Kindergeld für ihr Kind erhalten könnten. komplizierten Regelung von Kindergeld, Kindergeld-
Freibeträge haben es ja an sich, oft diejenigen zu för- zuschlag und Kinderfreibetrag.
dern, deren Förderung es weniger bedarf. Zweitens
könnten zudem zusätzliche Mittel durch die Kap- Ich will Ihnen, Frau Westrich und Frau Kollegin
pung des Ehegatten-Splittings aufgebracht werden. Matthäus-Maier, die Zahlen dazu vortragen. 4 800
DM Kindergeld im Jahr für eine Familie mit zwei
In Ihrem Vorschlag fehlt es an wirklichem, tatsäch- Kindern ist unser Vorschlag. Heute: Eine Familie mit
lichem Mut, neue Wege zu gehen, Unangenehmes einem Jahresbruttoeinkommen von 15 000 DM, also
anzupacken, um Familien besser fördern zu können. einem sehr niedrigen Einkommen, hat eine Entla-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne stung von knapp 4 000 DM - bestehend aus Kinder-
freibeträgen, Kindergeld und Kindergeldzuschlag.
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der PDS) (Zuruf von der SPD: Das liegt doch unter
Ihre Vorlage schweigt sich auch darüber aus, wann dem Sozialhilfesatz!)
sich die Familien für welche Lösung - Kindergeld
- Ich komme auch zu allen anderen Zahlen, Herr Kol-
oder Freibetrag - zu entscheiden haben oder ob sie lege.
gar die Entscheidung zu ihrem Vorteil revidieren
können. Mit der Wahlmöglichkeit zwischen Kinder- Alle Familien stellen sich besser. Ein Facharbeiter,
geld und Kinderfreibetrag setzt die Bundesregierung 65 000 DM Jahreseinkommen brutto, bekommt
voraus, daß jede Familie selbst zu wissen hat, was für durch Kinderfreibetrag, Kindergeld und Kindergeld-
sie besser ist, das Kindergeld oder der Kinderfreibe- zuschlag heute 3 654 DM, in Zukunft 4 800 DM. Das
trag. Die Transparenz fehlt in Ihrem Vorschlag ganz. ist für den Großteil unserer Familien in Deutschland
eine exemplarische Zahl: 1 146 DM mehr durch den
Gleichwohl ist Ihr neuer Vorschlag ein Schritt in
Vorschlag der Koalition, meine Damen und Herren.
die richtige Richtung und spricht für Ihre -Lernfähig-
keit - warum auch nicht? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der SPD) So könnten wir die Beispiele beliebig fortsetzen.
Unser Trommelfeuer konnte Ihren Ohren ja auch Die Botschaft lautet: Alle Familien in Deutschland
kaum länger verborgen bleiben. Seien Sie mutiger, werden durch diesen Vorschlag der Koalition begün-
meine Damen und Herren von der Koalition, und stigt.
bleiben Sie nicht auf halbem Wege stehen! Der rich-
Lassen Sie mich ein Wort zu der Aufteilung zwi-
tige Weg ist ein einheitliches höheres Kindergeld für
schen Kindergeld für das erste und zweite und Kin-
jedes Kind, das vom Finanzamt ausgezahlt werden
dergeld ab dem dritten Kind sagen. Es ist ehrenhaft,
kann. Das ist dann eine wirkliche eklatante Steuer-
daß wir lange um die Frage gerungen haben, ob wir
vereinfachung - für die Beamten, für die Arbeitgeber
bereits dem ersten Kind ein höheres Kindergeld zu-
und für die Familien.
kommen lassen sollen.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Dies ist keine Frage der politischen Zockerei, son-
Sie müssen aber wirklich zum Schluß kommen. dern dies ist ehrenhaft, weil wir uns lange um die
Frage kümmern mußten, Frau Matthäus-Maier: Wo
können wir mit begrenzten Mitteln am meisten für
Lydia Westrich (SPD): Das wäre echt schlanker die Familie tun?
Staat. Die Familien werden Ihnen für jede Mark
mehr danken. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das haben
wir auch sehr gelobt!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Unsere Erkenntnis lautet: Für viele Familien ist es
GRÜNEN und der PDS) nicht die Entscheidung, ob sie ein Kind, zwei Kinder,
drei Kinder oder vier Kinder haben wollen, sondern
für viele Familien in Deutschland lautet die Frage:
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wollen wir ein Kind oder kein Kind?
Wort dem Abgeordneten Friedrich Merz.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Völlig rich
tig!)
Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! 6 Milliarden DM Deswegen ist es richtig, daß wir einen erheblichen
mehr für die Familien, das ist die Botschaft dieser Beitrag für das erste Kind in den Familien leisten.
Entscheidung der Koalition, insgesamt für 14 Mil-
lionen Kinder in Deutschland 42 Milliarden DM Kin- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
dergeld. Kein Land auf dieser Welt kann mehr bie-
ten, kein Land stellt die Kinder besser als wir in Es ist aber auch richtig, daß wir für das dritte Kind
Deutschland. einen erheblich höheren Beitrag leisten. Die Fami-
lienministerin hat darauf hingewiesen, daß dies rich-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tig ist.
1726 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Friedrich Merz
Lassen Sie mich zum Schluß zwei Bedingungen sa- ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird" und
gen, die, Frau Matthäus-Maier, sozusagen die Ge- „daß bei der Besteuerung einer Familie das Existenz-
schäftsgrundlage für diesen Vorschlag sind: Es muß minimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei
dabei bleiben, daß ein Wahlsystem beibehalten wird, bleiben muß".
daß diejenigen, die für den Steuerfreibetrag optieren
Ich stelle also fest: Weder ist es eine familienpoliti-
wollen, dies auch können.
sche Großtat der Koalition, den Kompromißvorschlag
Zweitens - und dies ist die Aufforderung an die jetzt vorzulegen, denn die Vorgabe des Verfassungs-
SPD - : Es muß dabei bleiben, daß diese Leistung für gerichts ist sehr eindeutig und zudem auch noch sehr
die kinderreichen Familien von Bund, Ländern und betagt, noch ist er das, als was er verkauft werden
Gemeinden gleichermaßen finanziert wird. soll, nämlich ein Familienleistungsausgleich. Er ist
nicht mehr als der zaghafte Versuch - in Anlehnung
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist rich an das SPD-Modell, nur leider nicht so konsequent
tig!) und folgerichtig -, steuerliche Gerechtigkeit für Fa-
Die Ernsthaftigkeit Ihrer Forderungen, ein noch milien herzustellen.
höheres Kindergeld auszuzahlen, können Sie da- Wenn man sich die Zahlen etwas genauer ansieht,
durch unter Beweis stellen, daß die SPD-geführten stellt man fest, daß es tatsächlich nur ein Versuch ist.
Bundesländer bei diesem Modell ihre Zustimmung 6 312 DM galten schon für das Jahr 1991 als Exi-
erteilen stenzminimum für Kinder. Für heute, also für 1994/
(Zuruf von der SPD: Da kommt der 95, hat der wissenschaftliche Beirat für Familienfra-
Schwarze Peter!) gen schon eine Summe von 7 200 DM ermittelt. Sie
wurde eben von Herrn Geißler bestätigt. In der Ver-
und es nicht allein dem Bund überlassen, einen er- einbarung sind 6 264 DM ausgewiesen, also ein Fehl-
heblichen Teil des Kindergeldes für die Familien zu betrag von ca. 1 000 DM jährlich.
zahlen, die die Option Kindergeld wählen.
Entsprechend ist die Zahl von 200 DM für das Kin-
Meine Damen und Herren, hier steht der Bund ge- dergeld zu gering. 250 DM, wie unser Vorschlag lau-
-
meinsam mit den Ländern in der Verantwortung, und tet, müßten es schon sein, wenn sie, wie das Verfas-
an dieser Frage wird sich im weiteren Gesetzge- sungsgericht es vorgibt, das Ergebnis der Steuerfrei-
bungsverfahren herausstellen, wie ernsthaft die For- stellung des Existenzminimums sein sollen. Warum
derung der SPD ist, den Familien in Deutschland ein sind Sie so halbherzig? Ist es denn tatsächlich so, daß
höheres Einkommen zukommen zu lassen. die Vorgabe von Herrn Waigel, daß der ganze Spaß
nicht mehr als 6 Milliarden DM kosten darf, für Sie
Herzlichen Dank. wichtiger ist als die Herstellung steuerlicher Gerech-
(Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.) tigkeit für Familien?
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Immerhin ist es tröstlich, daß angekündigt wird,
Wort der Abgeordneten Hildegard Wester. den von den Koalitionsfraktionen so bezeichneten
Familienleistungsausgleich in den Folgejahren unter
Hildegard Wester (SPD): Herr Präsident! Meine Berücksichtigung der Veränderung des Kinderexi-
Damen und Herren! Ich möchte mich weniger mit stenzminimums weiterzuentwickeln. Das ist auch
den Zahlenspielereien beschäftigen, als vielmehr eine zwingende Notwendigkeit und hat, wie ich
eine Wortspielerei machen. schon eingangs erwähnte, noch nichts mit einem tat-
sächlichen Familienleistungsausgleich zu tun. Die
Was uns derzeit nämlich von den Regierungspar- ge tr offene Regelung berücksichtigt und honoriert
teien vorgelegt wird, ist angeblich der Versuch, den noch nicht einmal im Ansatz das, was sie vorgibt,
Familienlastenausgleich zu einem Familienlei- nämlich die Leistungen der Familien für die Gesell-
stungsausgleich weiterzuentwickeln. Dieses Vorha- schaft, indem sie Kinder erzieht.
ben setzt aber voraus, daß wir es zum jetzigen Zeit-
punkt schon mit einem tatsächlichen Familienlasten- „Zukunft des Humanvermögens" hat die Bundes-
ausgleich zu tun haben. regierung ihren Fünften Familienbericht genannt.
Damit hat sie sich schon im Titel dazu bekannt, daß
Familienlastenausgleich heißt hier nicht mehr und Kinder zu haben und zu erziehen keine reine Privat-
nicht weniger, als daß die Familien das Existenzmini- angelegenheit ist, sondern daß dies eine gesellschaft-
mum ihres Kindes steuerfrei behalten. Dies ist kei- liche Leistung ist, auf die wir und spätere Generatio-
neswegs eine Förderung der Familie, sondern ist al- nen existentiell angewiesen sind. Die ökonomischen
lenfalls die Herstellung steuerlicher Gerechtigkeit. Lasten, die durch die Versorgung und Erziehung von
(Beifall bei der SPD) Kindern entstehen, von den reinen Unterhaltskosten
bis hin zu Einnahmeeinbußen durch teilweise oder
Das Bundesverfassungsgericht stellte nämlich be- völlige Berufsaufgabe und Verzicht auf eine eigen-
reits 1990 fest - ich muß leider noch einmal zitieren; ständige, tatsächliche Altersabsicherung, werden
es wurde eben beklagt, daß das Gericht so oft zitiert derzeit noch nicht einmal im Ansatz ersetzt. Nein, im
werden muß -, „daß der Staat dem Steuerpflichtigen Gegenteil, sie sind noch immer nicht im Bewußtsein
sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muß, der Bevölkerung und erst recht nicht der Regierung
als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für verankert; denn noch immer spricht Frau Nolte z. B.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1727
Hildegard Wester
davon, daß es bei dem, was uns heute vorgelegt menbedingungen, die zu Zeiten der SPD-Regierung
wird, um eine Förderung der Familie handelt. Ich utopisch schienen.
habe gerade dargestellt, daß es bestenfalls um eine
steuerliche Gerechtigkeit geht. (Widerspruch bei der SPD)

Kindergeld und Steuerfreibetrag werden von den Wir werden diese Rahmenbedingungen konti-
meisten Menschen als Förderung der Familie be- nuierlich ausbauen. Dazu gehört der Familienlasten-
trachtet. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, deut- ausgleich, den wir weiter verbessern und durch
lich zu machen, daß dieser Zustand bei weitem noch einen Familienleistungsausgleich neu gestalten.
nicht erreicht ist. Selbst wenn man alle staatlichen
Leistungen an den durchschnittlichen Versorgungs- (Beifall bei der CDU/CSU)
und Betreuungsaufwendungen für Kinder betrach- Dieser Familienleistungsausgleich ist so angelegt,
tet, stellt man fest, daß diese nicht mehr als 10 % aus- daß er, wie es Bundeskanzler Helmut Kohl bereits
machen; denn hier muß der Tatsache Rechnung ge- 1991 in seiner Regierungserklärung formuliert hat,
tragen werden, daß Familien selbst am Aufkommen „Familien um so stärker fördert, je niedriger ihr Ein-
der Einkommen-, Lohn- und Umsatzsteuer beteiligt kommen und je höher die Kinderzahl ist".
sind.
Unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Bun-
Noch ein Wort zu der angeblichen Wahlfreiheit, desverfassungsgerichts vom 29. Mai und 12. Juni
die im Modell der Koalition enthalten ist und über 1990 werden wir mit unserem Familienleistungsaus-
die schon mehrfach gesprochen wurde. Es liegt doch gleich bewirken: erstens die steuerliche Freistellung
völlig klar auf der Hand, daß diese Maßnahme nur des Existenzminimums von Kindern, zweitens die
deswegen eingeführt wurde, um den 10 %, die die Förderung der Familie um so mehr, je geringer das
Steuerkomponente wählen werden, ihre Vorteile zu Einkommen und je größer die Kinderzahl ist, und
erhalten, die sie bei jeder Form der Steuerlösung ha- drittens den Abbau wirtschaftlicher Benachteiligung
ben werden. von Eltern mit Kindern im Vergleich zu Kinderlosen.
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)
- Diese Zielsetzung wird mit unseren Vorstellungen
Außerdem darf nicht darüber hinweggesehen wer- im Rahmen des Familienleistungsausgleichs erreicht.
den, daß die Entlastung durch das Kindergeld als Wir wollen, daß jede Familie frei entscheiden kann,
Auszahlungsbetrag bei zunehmender Kinderzahl ab- ob sie das deutlich erhöhte Kindergeld oder den
nimmt. Auch das wurde eben von meiner Kollegin steuerlichen Freibetrag, der das volle Existenzmi-
Westrich noch einmal sehr eindeutig dargestellt. nimum abdeckt, in Anspruch nehmen will. Deshalb,
meine Damen, meine Herren, halten wir auch beim
Familien müssen also in Zukunft sehr genau prü- Familienleistungsausgleich am dualen System fest.
fen, welche Lösung für sie die bessere ist. Dazu wer-
den viele einen Steuerberater aufsuchen müssen. Wo (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
also auf der einen Seite durch die Finanzamtslösung
bürokratischer Aufwand weggenommen wird, wird Mit der neuen Familienförderung wollen wir mehr
auf der anderen Seite neuer produziert. Transparenz und gleichzeitig steuerliche Vereinfa-
chungen durch einen einheitlichen Einkommensbe-
(Beifall bei der SPD - Ingrid Matthäus griff schaffen.
Maier [SPD]: Leider!)
Beide Wege der Familienförderung - Freistellung
Warum gibt es keine klaren Lösungen, die dazu des Existenzminimums für Kinder und Kindergeld -
führen, daß tatsächlich jedes Kind dem Staat gleich sollen über die Finanzämter erfolgen. Dabei werden
viel wert ist? Ein Existenzminimum ist ein Existenz- wir eine unveränderte Lastenverteilung zwischen
minimum, egal für welches Kind. Wir werden unsere den Gebietskörperschaften beim Familienleistungs-
Bemühungen, dieses Ziel und darüber hinaus die ausgleich sicherstellen.
Anerkennung der Leistung von Familien zu errei-
chen, fortsetzen. Unsere Weiterentwicklung des Familienlastenaus-
gleichs durch einen Familienleistungsausgleich be-
Ich danke Ihnen. deutet - ich sage das noch einmal im Klartext - Frei-
stellung des Existenzminimums von jetzt 4 104 DM
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
auf 6 264 DM pro Jahr. Das Kindergeld für das erste
ten der PDS)
und zweite Kind wird auf 200 DM monatlich angeho-
ben, für die weiteren Kinder erfolgt eine Erhöhung
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der auf 300 DM pro Monat.
Kollegin Renate Diemers das Wort.
Ich stelle fest: Mit der Freistellung des Kinderexi-
stenzminimums in einem Schritt erfüllen wir nicht
Renate Diemers (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe nur präzise die Anforderungen des Bundesverfas-
Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Sie, meine sungsgerichts. Vielmehr verbessern wir damit deut-
Damen und Herren von der Opposition, es immer lich die finanziellen Leistungen für rund zehn Millio-
wieder verdrängen oder vergessen machen wollen: nen Familien. Damit ist sichergestellt, daß künftig
Unverwechselbares Merkmal unserer Familienpolitik keine Mutter und kein Vater mehr Sozialhilfe bean-
ist, daß wir Rahmenbedingungen geschaffen haben, tragen muß, um den Lebensunterhalt für die Kinder
die die Familien fördern und stärken. Das sind Rah- zu decken.
1728 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Renate Diemers
Mit den genannten Eckdaten des Familienlei- Trotz dieser Stabilitätspolitik und der soliden Haus-
stungsausgleichs lösen wir unsere Zusage ein, deutli- haltspolitik haben wir gesagt: Ein Bereich muß aus-
che Verbesserungen für die Familienförderung bei genommen bleiben, die Familie. Angesichts der
einer stärkeren Orientierung des Kindergeldes am haushaltspolitischen Vorgaben stellen die 6 Milliar-
Einkommen und gemessen an der Kinderzahl zu den DM ohne Gegenfinanzierung ein außergewöhn-
schaffen. lich positives Signal dar.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Frau Matthäus-Maier fragt: Können Sie mir erklä-
und der F.D.P.) ren, wie Sie in Ihren Berechnungen auf die 6 Milliar-
den DM kommen?
Mit dieser Umgestaltung, die nach unserer festen
Überzeugung am 1. Januar 1996 wirksam werden (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das habe ich
muß, werden die Familien mit einem Finanzvolumen doch gar nicht gesagt! Ich habe doch kein
von 6 Milliarden DM entlastet. Dabei steht für uns Wort davon gesagt!)
außer Frage, daß der Familienleistungsausgleich in Frau Matthäus-Maier, wir rechnen so: Nach unserem
den Folgejahren unter Berücksichtigung der Dyna- bisherigen System geben wir 36,5 Milliarden DM
misierung des Kinderexistenzminimums einer ständi- aus. Das neue System kostet 42,5 Milliarden DM. Die
gen Weiterentwicklung unterliegt. Differenz beträgt 6 Milliarden DM. Ich nenne Ihnen
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon auch gleich die Rechnungsgrundlagen, so daß Sie
nicht falsch nachrechnen, sondern ausnahmsweise
überzeugt: Unser Familienleistungsausgleich, der die
Förderung von Familien mit geringem Einkommen einmal richtig. Wir sind davon ausgegangen, daß von
und entsprechend der Kinderzahl gewährleistet, 16 Millionen sogenannten steuerlichen Kindern - es
klingt schlecht; aber es heißt so - 2,2 Millionen ohne
wird nicht nur von uns, er wird von den Familien und
der Bevölkerung als richtig und gerecht empfunden. Kindergeldanspruch sind und 1 Million für den Kin-
derfreibetrag optieren. Dadurch kommen wir ziem-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - lich genau auf diese 6 Milliarden DM.
Joachim Poß [SPD]: Da hat der Herr- Fell Jetzt sagt Frau Wester: Sie betreiben hier Zahlen-
aber heute etwas anderes erzählt! - Carl spielereien. Ich glaube, die Leute interessieren die
Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das hat mich auch Zahlen, und weiter die Frage, was sie am Ende des
erstaunt!) Monats bekommen und was sie am Ende des Jahres
haben. Auf der Basis unseres Modells sehen diese
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Zahlen außergewöhnlich gut aus. Ich glaube, wir
Wort dem Staatssekretär Faltlhauser. sollten die Zahlenspielereien weitertreiben.
(Zurufe von der SPD)
Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- 2 700 DM - Frau Kollegin; konzentrieren Sie sich
desminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Da- einmal auf das Zuhören und nicht auf das Dazwi-
men und Herren! Die Reaktionen der Opposition ge- schenschreien - im Monat bei drei Kindern ergibt un-
stern, die Ausführungen heute und die Gesamtstim- ter Berücksichtigung der weiteren Möglichkeiten
mung bestätigen eigentlich eines: Die Opposition ist dieses Vorschlags 225 DM und über den Tarif, der im
über den Vorschlag der Koalition erschrocken, etwas Jahressteuergesetz steht, zusätzlich noch 51 DM. Das
geschockt. Wir haben sie - wie man etwas salopp sa- sind dann für diese Familie pro Monat 276 DM mehr.
gen kann - kalt erwischt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
und der F.D.P.)
Oder nehmen wir den Fall des klassischen Durch-
Wir haben eine gute Einigung zustande gebracht, schnittsverdieners, der ein Einkommen von 4 500
die erstens verfassungskonform ist, zweitens steuer- DM und zwei Kinder hat und in der Steuerklasse II
systematisch und logisch sauber ist und die oben- ist. Er kriegt insgesamt 164 DM im Monat mehr; das
drein noch den Rahmen von 6 Milliarden DM einhält. sind im Jahr rund 2 000 DM mehr. Ich glaube, das ist
Das hätten Sie nicht gedacht; das ärgert Sie. wirklich eine wesentliche Verbesserung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der F.D.P.) und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, es gibt im Haushalt ein Jetzt sagen Sie, Frau Matthäus-Maier, lässig: Wel-
generelles Moratorium. Trotz hoher Anforderungen chen Mut haben Sie eigentlich? Sie können nicht
gibt es im Jahre 1995 einen Anstieg des Haushalts rechnen. - Ich sage Ihnen: Sie rechnen falsch, und
von nur 0,9 %. Das hat etwas damit zu tun, daß alle zwar wissend.
Währungen dieser Welt gegenwärtig in das stabile (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat man
Land Deutschland fließen, daß die D-Mark Zufluchts- ja in der Vergangenheit gesehen, wer bes
währung wird. Das ist ein Erfolg dieser Regierung ser rechnet!)
und ihrer Stabilitätspolitik.
Sie haben mich schon einmal in der Fragestunde
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - darum gebeten, daß ich Ihnen vorrechnen soll,
Lachen bei der SPD) warum Ihre 250 DM nicht verfassungskonform sind.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1729
Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
Da habe ich Ihnen gesagt: Ich schicke Ihnen die de- Administration, die sogenannte Finanzamtslösung,
taillierten Berechnungsgrundlagen. Das habe ich mit wie uns Herr Kollege Poß wiederholt vorgetragen
Schreiben vom 24. Februar gemacht. Darin habe ich hat. Auch Ihr Vorschlag, also der nichtverfassungs-
Ihnen dargelegt, daß es einfach verfassungsrechtlich konforme,
notwendig ist, eine typisierende Betrachtung bei den
Steuersätzen und bei der Umrechnung von Kinder- (Lachen bei der SPD)
geld in Kinderfreibetrag vorzunehmen, daß dabei braucht diese Finanzamtslösung. Herr Scharping
aber zwei Bedingungen zu erfüllen sind: Erstens. Es sagt: Ich will das; das muß durchgesetzt werden! Bis
darf nur eine relativ kleine Zahl von Steuerpflichti- jetzt haben wir von den SPD-Finanzministern immer
gen, die auf Grund ihrer Einkommenshöhe mit ei- Signale bekommen, daß sie das nicht wollen, daß es
nem höheren Steuersatz als dem angenommenen be- ihnen zuviel ist.
lastet werden, benachteiligt werden. Zweitens. Diese
Steuerpflichtigen dürfen nach den Vorgaben des (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt
Verfassungsgerichts nicht zu hoch benachteiligt wer- nicht! Das ist die Unwahrheit!)
den.
Wir, diese Bundesregierung, der Bundesfinanzmi-
Ich habe Ihnen vorgerechnet, daß auf Basis dieser nister und die Familienministerin Nolte, schreiben
Vorgaben für die Umrechnung eines einheitlichen morgen die Finanzminister der Länder ausführlich
Kindergeldes, wie Sie es vorschlagen, ein Steuersatz an. Wir schreiben Ihnen, wie es ist, und stellen Ihnen
von mindestens - das ist meine persönliche Einschät- auf der Basis dieses Systems präzise Fragen. Dann
zung - 51 % notwendig ist. Vor dem Hintergrund die- sagt uns bitte, ob ihr es macht oder nicht.
ser unwiderlegten und, wie ich meine, unwiderleg- Ich kann nur sagen: Sie von der SPD haben es in
baren Vorgabe sind Ihre 250 DM zuwenig und des- der Hand, daß dieses System von den Ländern umge-
halb verfassungswidrig. setzt wird, weil Sie die Mehrzahl der Finanzminister
stellen.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)
Sie stellen sich hierher und sagen, unser Vorschlag
wäre nicht ausreichend. Ihr Vorschlag ist falsch; das Sie sind aufgefordert, mit Ihren Kollegen draußen in
ist der Punkt. den Ländern zu reden und zu sagen: Setzt das Fi-
nanzamtssystem durch! Blockiert nicht, damit es den
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Familien und Kindern zugute kommen kann. Sie sind
dran, meine Damen und Herren!
Diese Koalition hat einen Vorschlag vorgelegt, der
verfassungskonform ist, der haushaltsmäßig und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
steuersystematisch richtig ist. Sie stehen mit einem Detlev von Larcher [SPD]: Sie spielen
eigentlich zerbrochenen Krug eines Vorschlags da, Schwarzer Peter! - Gegenruf des Abg. Carl
der nicht ausreicht. Ich glaube, das ist eine ziemlich Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das ist der Joker
schwache Position. Die Bürger draußen merken das und nicht der Schwarze Peter!)
mittlerweile.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun
Gemäß unserem Vorschlag - Frau Kollegin Wester, der Kollegin Nicolette Kressl das Wort.
Sie sind darauf eingegangen - besteht folgende Si-
tuation: Derjenige, der 200 DM Kindergeld für das
erste Kind bekommt, ist damit bis zu einem Steuer- Nicolette Kressl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol-
satz von 38,3 % gewissermaßen verfassungsgemäß leginnen und Kollegen! Und sie bewegen sich doch -
bedient. Dies ist logisch, weil sein Einkommen mit dieses leicht abgewandelte Zitat von Galileo Galilei
seinem individuellen Steuersatz bemessen wird. Die- fiel mir spontan ein, als die Eckwerte der Koalition
jenigen, deren Einkommen mit einem Steuersatz be- zum Familienlastenausgleich bekannt wurden.
lastet wird, der über diesen 38,3 % liegt, haben die
Möglichkeit, den Freibetrag zu wählen. Dieser Frei- Erleichtert, nicht erschrocken, Herr Faltlhauser,
betrag ist von dieser Regierung in einem Bericht, der kann man feststellen, daß es hier eine politische Be-
Ihnen schriftlich vorliegt, übereinstimmend mit 6 288 wegung der Koalition gegeben hat, eine Bewegung
DM vorgegeben. in die Richtung, die die SPD mit ihrem Antrag auf ei-
nen gerechten, unbürokratischen und verfassungs-
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) gemäßen Familienleistungsausgleich vorgeschlagen
hat.
Manchmal gibt es leichte DM-Änderungen; das hat
(Beifall bei der SPD)
etwas mit dem Teilungsfaktor 12 zu tun.
Man geht davon aus, daß Galileo Galilei diese
Das heißt, wir haben hier einen Vorschlag vorlie- Worte nach der Folter gesagt haben soll. Natürlich
gen, der im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen gehe ich in diesem Fall nicht von Folter aus. Offen-
Anforderungen wesentlich sauberer ist. sichtlich aber waren die politischen Argumente der
SPD ganz wirkungsvoll.
Lassen Sie mich aber noch eines zum Schluß sa-
gen, liebe Kollegen von der SPD: Sie brauchen für (Zuruf von der CDU/CSU: Überschätzen Sie
die Realisierung dieses Vorschlags draußen, in der sich mal nicht!)
1730 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Nicolette Kressl
Zweifellos ist es eine Bewegung in die richtige gen. In das Jahressteuerpaket - so hört man - soll die
Richtung, daß eine gleiche Entlastung von 200 DM Regelung nicht aufgenommen werden.
angeboten wird, was wahrscheinlich für 90 % der El-
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wo denn
tern günstiger als der Freibetrag sein wird. Sozialde-
sonst?)
mokratinnen und Sozialdemokraten fordern diese
gleiche Entlastung für alle Familien. Aber die Bewe- Konkrete Gesetzesvorschläge liegen auch noch nicht
gung ist eben nur ein kleiner Halbkreis, wenn Sie bei auf dem Tisch. Da kann sich niemand des Eindrucks
den ungerechten Freibeträgen bleiben, die ja be- erwehren, daß es ja nicht zu schnell gehen soll; eher
kanntermaßen Spitzenverdiener mit mehr Geld för- soll ein wenig verzögert werden. Da soll noch mit
dern. den Ländern geredet werden; da muß noch überprüft
werden. Ich frage Sie: Warum haben Sie bei der Ab-
Es ist eine Bewegung in die richtige Richtung, daß schaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht mit den
eine Finanzamtslösung gesucht wird. Als ich hier Ländern und den Kommunen ausführlich geredet?
übrigens am 19. Januar für die SPD-Fraktion die Fi-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
nanzamtslösung vorgestellt habe, habe ich aus den
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
vorderen Reihen höhnische Bemerkungen gehört,
PDS)
und nun findet sich genau diese Finanzamtslösung in
Ihren Eckwerten. Es werden hier keine Schwarzen Peter zu Lasten
der Familien hin- und hergeschoben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Joachim Poß [SPD]: So ist es!)
Daß es jetzt aber endlich schnell geht, das erwarten
Aber auch hier ist doch die Bewegung in die rich- die Menschen, und das fordern wir von der Regie-
tige Richtung wieder nur ein kleiner Kreis statt eines rung ein. Setzen Sie Ihre Eckwerte schnell um! Ma-
großen Schrittes. Ein wirklich unbürokratischer Weg chen Sie schnell detaillierte Vorschläge! Wenn Sie
wäre auch hier gefunden worden, wenn Sie nicht bei dann noch ein paar Ungerechtigkeiten ausmerzen,
einem Zweiklassensystem von Freibeträgen - für hohe können wir im Interesse der Familien gemeinsam
Einkommen und Kindergeld für alle anderen stek- den ersten großen Bogen schlagen. Dann ist eines si-
kengeblieben wären und nicht auch noch die Ent- cher: Wenn die Richtung stimmt, wenn auch die
scheidung für eines von beiden den Steuerzahlerin- Wege stimmen, bewegt sich die SPD mit.
nen und -zahlern aufgebürdet hätten.
Vielen Dank.
Es ist eine Bewegung in die richtige Richtung, daß
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne
Familien mit niedrigem Einkommen stärker entlastet ten der PDS)
werden, ebenfalls eine der sozialdemokratischen
Forderungen seit langem. Aber auch hier wieder nur
Halbherzigkeit. Statt 250 DM Kindergeld für jedes Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun
Kind, wie von der SPD vorgeschlagen, gibt es nur dem Kollegen Johannes Singhammer das Wort.
200 DM. Das ist unzureichend. Dazu kann ich auch
Ihren Kollegen Herrn Fell zitieren, der z. B. gesagt Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Präsi-
hat: Für das zweite Kind erhält man heute ein Kin- dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist erfreu-
dergeld von 130 DM und einen Kindergeldzuschlag lich, wenn sich alle hier im Bundestag versammelten
bzw. eine Mindestentlastung von 65 DM, also Parteien gemeinsam um das Wohl der Familie und
195 DM. Das sind 5 DM weniger als Ihre vorgeschla- ihre finanzielle Situation Sorgen machen. CDU und
genen 200 DM. Das gleiche können Sie übrigens CSU haben sich aber nicht nur Sorgen gemacht, son-
auch in der „Süddeutschen Zeitung" bei Herrn Hen- dern haben Ankündigungen vor der Wahl rasch in
nemann nachlesen. ein Konzept umgesetzt. Dieses Konzept bietet der Fa-
milie als Lebensform mit Zukunft wieder eine finan-
Es ist, wie gesagt, die richtige Richtung, eine glei- ziell feste Basis.
che Entlastung vorzuschlagen. Aber Ihr Existenzmi-
nimum ist zu niedrig. Auch dazu hat sich Herr Fell (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
entsprechend geäußert. Ganz abgesehen davon ar- Auf dem jetzt gefundenen Fundament des Fami-
beiten Sie mit Ihrem Betrag des Existenzminimums lienlastenausgleiches kann planvoll weitergebaut
im besten Fall für den heutigen Tag, aber bestimmt werden, um vor allem Familien mit mehr Kindern
nicht für den 1. Januar 1996, an dem diese Regelung von den Randbereichen unserer Leistungsgesell-
in Kraft treten soll. Sagen Sie bitte nicht, es gäbe schaft wegzubringen. Weitere Bausteine sind: Er-
keine Möglichkeiten, den Familien mehr - im wah- leichterungen für den Erwerb von Wohnungseigen-
ren Sinne des Wortes - gerecht zu werden. Im SPD- turn für Familien mit Kindern, Anerkennung von Fa-
Antrag werden konkrete und realistische Finanzie- milienarbeit in der Rentenversicherung und Verbes-
rungsvorschläge gemacht. serungen beim Erziehungsgeld. Das alles ist auch
notwendig. Wenn die Geburtenentwicklung ein Indi-
Aber bleiben wir doch einmal beim 1. Januar 1996. kator für die Befindlichkeit der Familien in Deutsch-
Dann soll, und zwar nach den Vorgaben des Bundes- land ist, dann kann es uns eben nicht gleichgültig
verfassungsgerichtes, die neue Regelung in Kraft tre- sein, wenn die Geburtenzahlen wie z. B. im vergan-
ten. Da müssen Sie sich dann noch viel mehr bewe- genen Jahr um 3,7 % zurückgehen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1731
Johannes Singhammer
Was die Familien in den nächsten Jahren brau- Was die Familien in Deutschland von der Politik er-
chen, ist eine konzertierte Aktion aller Gutwilligen in warten, sind die richtigen Worte und gute Taten. Das
Bund, Ländern und Kommunen. Nur wenn alle ge- Koalitionskonzept ist eine gute Tat. Wir sollten es um-
meinsam an einem S trang ziehen, kann eine nach- s etz en.
haltige Veränderung erreicht werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege
In diesem Zusammenhang muß es auch erlaubt Singhammer, bei einem Vater von sechs Kindern ist
sein, zu fragen, was dort, wo die SPD oder die GRÜ- es etwas gewagt, von einer Jungfernrede zu spre-
NEN die Möglichkeit haben, selbst federführend Fa- chen.
milienpolitik zu gestalten, getan worden ist - Taten (Heiterkeit)
statt Worte.
Aber da es die erste Rede ist, die Sie in diesem Haus
Ich betrachte einmal München, meine Heimat- gehalten haben, möchte ich Ihnen im Namen des
stadt, die ein besonders schwieriges Pflaster für Fa- Hauses herzlich gratulieren.
milien ist - ich rede da nicht von ungefähr, denn als
Vater von sechs Kindern weiß ich, wovon ich spre- (Beifall)
che -: Seit 1990 hat eine rot-grüne Stadtregierung
Ich erteile nun der Kollegin Lisa Seuster das Wort.
das Sagen, und seither geschah folgendes: Gestri-
chen wurde das Sonderförderprogramm für mehr als
7 000 Familien im Wohnungsbau; gestrichen wurde Lisa Seuster (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin-
das kommunale Wohngeld für mehr als 5 100 Fami- nen und Kollegen! Ich bin seit 1987 im Bundestag
lien; abgeschafft wurde die Umzugskostenbeihilfe und seitdem auch im Familienausschuß. Wir haben
für rund 3 100 Familien; gekürzt und gekappt wurde in jedem Jahr den Familienlastenausgleich minde-
selbst der Fahrdienst für Familien mit behinderten stens einmal im Ausschuß und auch mindestens ein-
Kindern. mal im Plenum des Deutschen Bundestages heftig
-
diskutiert.
Es macht keinen Sinn, wenn auf Bundesebene bei
den Familienleistungen zugelegt wird und in der Die SPD-Fraktion hat immer ihr Modell, das ein-
größten deutschen Kommune im wiedervereinigten heitliche Kindergeld, als ihren Favoriten dargestellt
Deutschland mit der Abrißbirne gegen freiwillige Fa- und deutlich gemacht, daß es gerecht und eben auch
milienleistungen vorgegangen wird. verfassungskonform ist. Wir haben im Laufe dieser
Jahre lediglich den Betrag geändert. Wir waren ur-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sprünglich einmal bei 200 DM, und wir sagen jetzt:
Neben allem finanzpolitischem Engagement ist es Es müssen mindestens 250 DM sein, um den Fami-
genauso wichtig, die traditionelle Familie als Leit- lien gerecht zu werden.
bild nicht ständig zu demontieren und ein Zerrbild Wer diese Diskussion in den vielen Jahren verfolgt
zu zeichnen: Als würden unter deutschen Dächern hat, weiß, daß Sie immer behauptet haben, unser
Kinder pausenlos mißhandelt, Ehepartner sich per- Modell sei nicht verfassungskonform. Und das haben
manent gegenseitig mit dem Scheidungsanwalt dro- Sie heute schon wieder getan. Diese Regierung hat
hen, und als würde nur darauf gewartet, daß Großel- jahrelang gegen das Modell gewettert.
tern in Heime abgeschoben werden können - wie
eine Münchener Zeitung vor kurzem sinngemäß zi- Anläßlich des 50. Geburtstages von Frau Rönsch
tiert hat. hat der heutige Bundespräsident - damals noch Ver-
fassungsgerichtsprâsident - eine Rede zum Fami-
Ein Umdenken in der Bewertung der Familie ist lienleistungsausgleich gehalten. Sicherlich war das
auch bei denjenigen im Deutschen Bundestag not- Geburtstagskind der Hoffnung, er würde unser Mo-
wendig, die in dieser Debatte den Begriff „Familie" dell als verfassungswidrig darstellen. Ganz im Ge-
zwar oft verwenden, aber bei der entscheidenden Be-
genteil, er hat dieser Regierung ganz deutlich ge-
ratung diesen Begriff nicht über die Lippen bekom-
sagt, daß die niedrigen Leistungen für die Familien
men. Den GRÜNEN ist es in der zurückliegenden Le- nicht verfassungskonform seien und die Regierung
gislaturperiode bei der Vorlage ihres Verfassungs- aufgefordert sei, endlich etwas zu tun, damit die Fa-
entwurfs zu Art. 6 des Grundgesetzes - trotz ausführ- milien gerecht behandelt werden.
licher sechs Absätze mit 35 Zeilen - konsequent ge-
lungen, den Begriff „Familie" nicht ein einziges Mal (Beifall bei der SPD)
zu erwähnen. Statt dessen ist dort viel von Lebensfor-
men und Lebensgemeinschaften, welcher Art auch Er hat auch sehr deutlich gesagt, daß dieser Aus-
immer, die Rede. gleich durchaus durch Steuerfreibeträge plus Kinder-
geld geleistet werden könne. Er hat aber auch sehr
Aber eines ist auch klar: Wer die herausragende deutlich gesagt, daß man dies nur durch ein Kinder-
Stellung der Familie, wie sie in Art. 6 des Grundge- geld abdecken könne, daß das System egal sei, die
setzes festgeschrieben ist, nivelliert, abträgt, wer sie Höhe müsse stimmen. Das ist der Punkt.
mit anderen Lebensformen gleichstellt, verbessert
nicht die Fördermöglichkeiten für Familien, sondern Selbst diese Worte von Roman Herzog haben bei
verringert sie. der Koalition keinen Wandel ihrer Modellvorstellung
gebracht. Noch vor wenigen Wochen ist in der De-
(Beifall bei der CDU/CSU) batte über den Familienleistungsausgleich wiederum
1732 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Lisa Seuster
gesagt worden - und zwar von Herrn Dr. Fell, der ja Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das
gleichzeitig Präsident des Familienbundes der Deut- Wort dem Kollegen Hans Michelbach.
schen Katholiken ist -, daß unser Modell ungerecht,
nicht verfassungskonform und irreführend sei. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident!
Heute sagt er auch wieder, das Modell, das die Ko- Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als stolzer Vater
alition diesmal ist es die Koalition - vorgelegt habe, von drei Töchtern
sei nicht verfassungskonform, weil der Betrag zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
niedrig sei. Diesmal muß ich Herrn Dr. Fell zustim- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/
men. DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD) freue ich mich, daß wir heute die Möglichkeit haben,
über die Förderung von Familien mit Kindern zu dis-
Wenn ich sehe, daß beim zweiten Kind lediglich kutieren. Ich freue mich ebenfalls darüber, daß sich
5 DM mehr an Leistung erfolgen und bedenke, daß mittlerweile auch die SPD und selbst die GRÜNEN
Sie unser Modell immer kritisiert haben, ist es klar, des Themas Familienförderung annehmen, wenn
daß Sie jetzt Ihrer Argumentation auch treu bleiben. auch halbherzig, sehr spät und leider oft nur zu
Wenn die von der Koalition geplante Lösung mit Wahlkampfzwecken.
der Wahlmöglichkeit zwischen Kindergeld und Dagegen war und ist die Familienförderung für die
Steuerfreibetrag zwar auch nicht völlig unserem Mo- Union eine politische und gesellschaftliche Kernauf-
dell entspricht, aber ihm in der Umsetzung zumin- gabe. Politik für die Familie hat für uns stets allerer-
dest nahekommt - in Ihren eigenen Reihen war zu ste Priorität.
hören, daß etwa 90 % der Betroffenen sich für das
Kindergeld entscheiden werden, also 10 % für die (Beifall bei der CDU/CSU)
Wahlmöglichkeit des Freibetrags -, so bedeutet das, Als Partei, die sich des Wertes von Ehe und Familie
daß Sie zu 90 % auf unseren Vorschlag eingegangen stets bewußt war und ist und die dem Schutz von Fa-
sind. Jetzt fehlen noch die 10 %, und die könnten Sie milie und Ehe seit jeher Vorrang einräumt, haben wir
-
auch noch bringen. unsere langjährige Regierungsverantwortung ge-
(Beifall bei der SPD) nutzt und wichtige familienpolitische Errungen-
schaften auf den Weg gebracht. So war es die Union
Heute begrüßt Frau Rönsch, daß dieser Kompromiß und niemand anders, die den Familien das Erzie-
geschlossen worden ist, den sie jahrelang durch ihr hungsgeld, den Erziehungsurlaub und die Anerken-
starres Festhalten am dualen System „Kinderfreibe- nung von Erziehungszeiten in der Rentenversiche-
trag - Kindergeld" bekämpft und verhindert hat. rung gebracht hat.
Um es noch einmal zu sagen: Diese Lösung hat (Beifall bei der CDU/CSU)
Macken. Wir sind damit nicht einverstanden. Spit-
Seit Dienstagnachmittag aber freue ich mich vor al-
zenverdiener erhalten wieder deutlich mehr, auch
lem über eins: Unsere intensive Meinungsbildung in
wenn es jetzt nur noch 10 % sind. Sie erhalten 77 DM
der Koalition zum Familienleistungsausgleich hat zu
mehr als die Familien mit dem geringen Einkommen.
einem transparenten, gerechten und vor allem finan-
(Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt „sie er zierbaren Ergebnis geführt.
halten"?) (Lydia Westrich [SPD]: Endlich!)
- Ja, sie erhalten mehr Entlastung für ihre Kinder. Wir haben ein gutes Konzept erreicht; eine Lösung
Genau das ist es, was wir als ungerecht empfinden, für eine klare, steuergerechte und soziale Familien-
und dagegen wehren wir uns. förderung ist gefunden. Unser Modell ist ein wirkli-
Gehen Sie also den letzten Schritt auf uns zu! Ge- cher Gewinn für die Familien.
hen Sie auf die 250 DM zu! Dagegen ist der SPD-Vorschlag verfassungswidrig.
Die GRÜNEN wollen natürlich die Auflösung des
Wenn Herr Geißler mit seinem Zwischenruf: „Wie
Ehegatten-Splittings,
hoch ist das Existenzminimum bei Ihnen?" Nebelker-
zen werfen will, muß ich sagen: Herr Geißler, eines (Margot von Renesse [SPD]: Auflösung?
ist ganz sicher, 250 DM sind mehr als 200 DM. Das Wer sagt denn das?)
können wir mit Sicherheit sagen.
weil sie die Familien eher schwächen wollen. Aber
(Beifall bei der SPD) das Ehegatten-Splitting impliziert gerade die steuer-
liche Anerkennung der Familienarbeit, und das ist
Damit sollten Sie sich nicht über die Macken hinweg- uns wichtig.
retten können. 250 ist vielleicht auch noch wenig,
aber mehr als 200. (Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das Mit dem Familienleistungsausgleich ist es uns
in den Ausschüssen noch beraten. Ich hoffe, daß wir jetzt gelungen, zwei Vorgaben gleichzeitig zu erfül-
uns über die 10 % dann auch noch werden einigen len: Zum einen bleibt der finanzielle Aufwand inner-
können. halb der vorgegebenen 6-Milliarden-DM-Grenze,
und zum anderen entspricht der Freibetrag in etwa
(Beifall bei der SPD) dem Existenzminimum eines Kindes und gewährlei-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1733
Hans Michelbach
stet somit seine vom Bundesverfassungsgericht gebo- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich möchte nur
tene steuerliche Freistellung nach dem Leistungs- vorsorglich den neuen Kolleginnen und Kollegen sa-
prinzip sowie vertikale und horizontale Gerechtig- gen, daß unsere Geschäftsordnung nicht vorschreibt,
keit. Unser Vorschlag ist deshalb der einzige verfas- daß man bei seiner ersten Rede die Zahl seiner Kin-
sungskonforme, der gleichzeitig die Situation der Fa- der angibt.
milien im Bereich der niedrigen Einkommen klar und
deutlich verbessert. (Heiterkeit und Beifall)

Sie müssen immer in allen Einkommensbereichen Herr Kollege, es ist Ihre erste Rede gewesen, und
Ehepaare mit Kindern besserstellen als kinderlose ich möchte Ihnen dazu im Namen des Hauses eben-
Paare. Warum wollen Sie von der SPD das nicht be- falls herzlich gratulieren.
greifen? Mit Steuergerechtigkeit hat der SPD-Vor- (Beifall)
schlag nichts zu tun. Dazu kommen die Neidargu-
mente - sie sind ja bekannt - gegen höhere Einkom- Ich erteile dem Kollegen Dr. Karl Fell das Wort
men. Aber was soll das? Der Staat nimmt den Bezie- nach § 30 der Geschäftsordnung. - Sie haben zwei
hern der höheren Einkommen nur weniger weg; er Minuten.
gibt ihnen nichts. Das sollten Sie einmal klar und
deutlich sehen.
Dr. Karl H. Fell (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
(Beifall bei der CDU/CSU) Damen und Herren! Von Frau Kollegin Westrich, ihr
folgend in einem Zwischenruf von Herrn Kollegen
Unsere Pläne entlasten die Familie, stärken ihre fi- Poß und dann auch noch einmal von den Kolleginnen
nanzielle Leistungsfähigkeit und werden der ober- Kressl und Seuster bin ich gewissermaßen zum Kron-
sten Maxime der Familien- und Steuerpolitik der zeugen ihrer Kritik an dem Modellvorschlag der Ko-
Union gerecht, die da lautet: Ehepaare mit Kindern alition aufgerufen worden. Dagegen verwahre ich
und Alleinerziehende müssen steuerlich besser da- mich, und das möchte ich klarstellen.
stehen als kinderlose Steuerzahler. Im übrigen wurde
die Berücksichtigung der „kindesbedingten Minde- Erstens. Wer genau gelesen hat, weiß, daß mein
rung der Leistungsfähigkeit" im Steuerrecht stets Vorwurf mangelnder Verfassungskonformität ge-
auch vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich genüber dem Koalitionsvorschlag sich darauf be-
verlangt. schränkte, daß beim Existenzminimum für ein Kind
6 264 DM und nicht 7 200 DM zugrunde gelegt wor-
Unser Förderansatz wird die Familien um 6 Milliar- den sind. Das ist der Vorwurf der nicht ausreichen-
den DM zusätzlich entlasten. Insgesamt werden so den Verfassungskonformität.
über 42 Milliarden DM für deren finanzielle Unter-
stützung zur Verfügung stehen, was eine Steigerung (Zuruf von der SPD: Das reicht doch wohl!)
von immerhin 16 % bedeutet. Wenn das keine Steige-
rung für die Familienförderung ist! Zweitens habe ich immer deutlich gesagt - inso-
weit ist Ihnen meine Position bekannt -, daß ich für
Sie können natürlich viel mehr fordern. Warum for- eine Entlastung, für die Gewährleistung der Steuer-
dern Sie eigentlich nicht gleich 1 000 DM? gerechtigkeit und für eine Förderung nach der Be-
darfsgerechtigkeit im dualen System unverändert
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) bin.
Unsolide, Frau Matthäus-Maier, und populistische Drittens. Wenn mein Vorwurf der Nichtverfas-
Forderungen der SPD sind in diesem Zusammen- sungskonformität aus Ihrer Sicht gegenüber dem
hang - das haben auch unsere Leute draußen begrif- Vorschlag der Koalition berechtigt ist, dann ist er es
fen - zwar publikumswirksame Wahlfangköder, erst recht gegenüber Ihrem Vorschlag;
schweben aber im realitätsfernen Raum. Das sollte
man deutlich sehen. Ihre Vorschläge dienen nicht (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist aber
wirklich dem Wohl der Familien, weil sie nicht durch- nicht so interessant!)
setzbar sind. Sie sind eher ein verzweifelter Versuch,
über plakative Versprechungen unzufriedene Wähler - Frau Matthäus-Maier, Sie müßten es wirklich bes-
hinter sich zu scharen. ser wissen - denn mit Ihrem einheitlichen Kindergeld
wären Sie erst und nur dann verfassungskonform,
(Detlev von Larcher [SPD]: Wer hat denn wenn es die Höhe von mindestens 53 % des Existenz-
300 DM gefordert? War das nicht die CDA?) minimums für Kinder erreichen würde.
Ich meine, daß wir einen guten Weg gehen, wenn (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
wir der Stabilität den absoluten Vorrang vor politi- Das sind 300 DM im Monat!)
schen Wunschvorstellungen geben. Wir halten außer
direkten Familienfördermaßnahmen eben auch die Der Koalitionsvorschlag erreicht mit dem Wahl-
Stabilität der Finanzen und eine niedrige Inflations- recht diese Verfassungskonformität sehr wohl, weil
rate für die besten sozialen Leistungen für unsere er für die Bezieher höherer Einkommen durch die
Bürger. Deshalb sollten wir sowohl bei den Steuer- Wahl des Freibetrages die Steuerentlastung sicher-
vergünstigungen als auch beim Kindergeld diese Lö- stellt, und bei allen Einkommensbeziehern, bei de-
sung schaffen. Lassen Sie es uns gemeinsam tun! nen der Grenzsteuersatz niedriger als 38,2 % ist, ist
diese Freistellungsquote in dem Kindergeld von
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 200 DM enthalten.
1734 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Dr. Fell, In einer sachgleichen Eingabe wird die Forderung
Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen sich hier auf aufgestellt, Hermes-Bürgschaften für Rüstungsex-
eine persönliche Erklärung beschränken. porte deutscher Unternehmen gesetzlich zu verbie-
ten.
Dr. Karl U. Fell (CDU/CSU): Viertens. Frau Kollegin Was ist nun von solchen Darstellungen und Vor-
Kressl, der Freibetrag bedeutet keine ungerechte schlägen zu halten? Grundsätzlich herrscht sicherlich
Förderung, sondern lediglich die Beseitigung einer Übereinstimmung in diesem Hohen Haus, daß Rü-
von der Verfassung nicht gerechtfertigten Besteue- stungsexporte ein sensibles Thema darstellen. Da
rung. brauche ich gar nicht erst die gern zitierte deutsche
Vergangenheit zu bemühen. Auch ohne diese kann
es sich eine demokratische, den Prinzipien von Frie-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit ist die
den und Freiheit verpflichtete Gesellschaft wie die
Aktuelle Stunde beendet.
unsrige nicht leisten, sich durch hemmungslosen und
Der Tagesordnungspunkt 8 ist abgesetzt. unkontrollierten Waffenexport hervorzutun. Von da-
her ist jedem Hinweis nach Verstößen gegen die gel-
tenden Gesetze und jeder Kritik an der Unzuläng-
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a und 9 b auf:
lichkeit dieser Gesetze nachzugehen.
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuß)
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege,
Sammelübersicht 7 zu Petitionen darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen?

(Maßnahmen zur Verbesserung der Rü-


stungsexportkontrollen im Hinblick auf Frederik Schulze (CDU/CSU): Selbstverständlich.
mögliche Menschenrechtsverletzungen)
- Drucksache 13/332 - Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Meine verehr-
ten Kollegen, ich bitte, die Gespräche nach draußen
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- zu verlegen, wenn Sie dem Redner nicht zuhören
tionsausschusses (2. Ausschuß) wollen.
Sammelübersicht 8 zu Petitionen
Frederik Schulze (CDU/CSU): Aber, meine Damen
(Export von Kriegsschiffen aus den Be-
und Herren, moralisch fragwürdig ist auch die Instru-
ständen der ehemaligen NVA-Marine und
mentalisierung des Themas Rüstungsexport aus
U-Booten nach Indonesien)
ideologischen Gründen, z. B. um die Bundesregie-
- Drucksache 13/333 – rung und die sie tragenden Fraktionen in das Licht
von hemmungslosen Rüstungsexporteuren zu stel-
Zur Sammelübersicht 7 liegt ein Änderungsantrag len.
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zur Sam-
melübersicht 8 ein Änderungsantrag der Fraktion Die Eingabe der Vereinigung der Verfolgten des
der SPD vor. Naziregimes ist von ihrem Bundessprecher, Herrn
Lorenz Knorr, verfaßt worden. Besagter Herr Lorenz
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Knorr hat sich auch als Verfasser einer bei Pahl-Ru-
gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- genstein, einem von einer gewissen Partei dieses
hen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann Hauses gesponserten Verlag, herausgegebenen
ist so beschlossen. „Geschichte der Friedensbewegung in der Bundesre-
publik Deutschland" einen Namen gemacht. Dort er-
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol-
fährt man Wissenswertes über den politischen Stand-
lege Frederick Schulze.
punkt des Petenten. So kommentiert er den Regie-
rungswechsel der Jahre 1982/83 - übrigens ein her-
Frederik Schulze (CDU/CSU): Herr Präsident! vorragender Glücksfall für Deutschland - folgender-
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In ihrer maßen - ich zitiere:
Eingabe vom 2. Februar 1994 fordert die Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschi- Mit der CDU/CSU waren und sind jene Kräfte
sten, eine Überprüfung der Praxis deutscher Waf- wieder an die Regierungsmacht gelangt, die mit
fenexporte mit dem Ziel, solche Exporte grundsätz- der Gründung der BRD den neuen Staat mit US-
lich zu unterbinden. Dem Schreiben des Vorsitzen- Hilfe auf die alte militärobrigkeitsstaatliche Tra-
den dieser Vereinigung, Herrn Lorenz Knorr - ich dition festlegten.
komme auf ihn später zurück -, läßt sich unschwer (Beifall bei Abgeordneten der PDS - Bernd
entnehmen, daß er der Auffassung ist, daß die Bun- Reuter [SPD]: Was hat das denn mit den U-
desregierung und die sie stützenden Fraktionen kei- Booten für Indonesien zu tun?)
nerlei Interesse an einer Verschärfung der Bedingun-
gen und Kontrollen für den Rüstungsexport haben. - Ich komme gleich darauf zurück. - Wie bereits ge-
Es wird unterstellt, daß die Bundesregierung aus sagt: Das Thema Rüstungsexport ist immer eine of-
wirtschaftlichen Gründen sogar daran interessiert fene Diskussion wert. Daß allerdings Herr Knorr und
sei, diese Bestimmungen zu locke rn . seine Gesinnungsgenossen nur vordergründig an
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1735
Frederik Schulze
diesem Thema interessiert sind, braucht nicht be- gemacht wurden. Der Kaufpreis ist nie bekanntgege-
zweifelt zu werden. ben worden.
Da seine Petition nur eine von mehreren sachglei- Die Liste der Kriegsschiffe, mit denen sich diese
chen Anfragen war, werde ich im folgenden versu- Petition beschäftigt, umfaßt 16 Küstenschutzschiffe
chen, mit einer Schilderung der Exportpraxis und Ex- der PARCHIM-Klasse, 12 Landungsboote Frosch I,
portkontrolle bei Rüstungsgütern die Haltung der 2 Gefechtsversorger Frosch II und 9 Minensuch- und
Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen -räumboote der Kondor-II-Klasse.
zu erläutern. Die Schiffe wurden dadurch teilentmilitarisiert,
Diese führte den Petitionsausschuß im Januar die- daß Waffenleitanlagen ausgebaut wurden und Rake-
ses Jahres übrigens dazu, sich den in den Petitionen ten- und Artilleriebewaffnung entnommen wurde.
gestellten Forderungen nicht anzuschließen, viel- Aber es ist noch eine erhebliche militärische Bewaff-
mehr die Petitionsverfahren abzuschließen. Die Ko- nung geblieben, u. a. Fliegerabwehrbewaffnung, U-
alition plant keine Aufweichung der bewährten und Boot-Abwehrbewaffnung, Anlagen für elektronische
strengen Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahre Kampfführung - das ist alles draufgeblieben, Herr
1982, die insbesondere für Nicht-NATO-Staaten re- Kollege -, ferner Minenabwehrbewaffnung, irrtüm-
striktive Bestimmungen vorsehen. Die liberaleren lich sogar Fliegerfaustabschußgeräte, die abgebaut
Exportpraktiken anderer Länder werden keineswegs werden sollten, und Buglandeklappen.
von der Bundesregierung angestrebt. Vielmehr ist es Man kann also nicht sagen, daß diese Schiffe in
das erklärte Ziel unserer Politik, eine Harmonisie- Ausflugsschiffe umgewandelt worden sind, sondern
rung der Rüstungsexportpolitik innerhalb der Euro- sie sind Kriegsschiffe geblieben. Der offizielle Ver-
päischen Union unter Zugrundelegung der strengen tragszweck ist Küstenschutz, Seewegsicherung, Be-
deutschen Maßstäbe zu erreichen. Unsere Maßstäbe kämpfung von Piraterie und Schmuggel und dabei
gelten weltweit als die absolut strengsten. besonders Drogenhandel.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Technisch verwundert es natürlich ein bißchen,
In den vergangenen Jahren hat die Bundesregie- daß man für diese Zwecke u. a. zwölf Landungsboote
rung das deutsche Exportkontrollsystem den aktuel- braucht. Jeder weiß, daß das Entscheidende nicht die
len Gegebenheiten angepaßt. Dabei gilt es auch, die Bewaffnung eines Schiffes ist, sondern die Panze-
Strukturen im Bereich des illegalen Technologie- rung, die es zu einem kriegstauglichen Gerät macht.
transfers zu bekämpfen. Initiativ gewesen ist die Seitdem dieser Vertrag bekannt ist, ist er in der
Bundesregierung auch bei der Schaffung eines UN- ganzen bundesdeutschen Öffentlichkeit umstritten,
Waffenregisters. Dies sollte auch bekannt sein. In und er hat auch mehrfach den Bundestag beschäf-
Brüssel wird zur Zeit eine Gemeinschaftsregelung für tigt. Der Grund liegt in dem Vertragspartner, nämlich
die Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Ver- der Art des Regimes in Indonesien. Es ist ein Re-
wendungszweck erarbeitet. Das Inkrafttreten dieser gime, das West-Papua widerrechtlich besetzt hält,
Verordnung macht einige Anpassungen in der deut- das seit 1975 Ost-Timor widerrechtlich annektiert hat
schen Außenwirtschaftsverordnung notwendig. Die und das den Widerstand, der dort dagegen geleistet
geplante EU-Verordnung sieht umfassende Ausfuhr- wurde, rücksichtslos unterdrückt hat. Es gab 300 000
kontrollen für Dual-use-Güter vor, die alle potentiel- Tote in West-Papua und 200 000 Tote - das ist ein
len Interessenten mit gleicher Strenge behandeln. Es Drittel der dortigen Bevölkerung - in Ost-Timor.
muß auch das Ziel der Bundesregierung sein, daß wir
unsere sehr stringenten Forderungen im EU-Rahmen Alles, was wir aus diesem Land hören, läßt die
weiter durchsetzen. Daran arbeiten wir, und ich bin Kette eines kompletten Registers von Menschen-
guter Hoffnung, daß wir dieses Ziel erreichen wer- rechtsverletzungen und Völkerrechtsverletzungen,
den. von Terrorakten, von Massakern, von sogenannten
extralegalen Hinrichtungen, Verschleppungen, Ver-
Ich bitte daher, das Petitionsverfahren abzuschlie- schwindenlassen und Unterdrückung von öffentli-
ßen, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. cher Meinung erkennen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Nun hat die Bundesregierung immer versichert,
daß sie genau geprüft habe, ob die nationalen Vor-
schriften eingehalten worden sind, also das Kriegs-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat
waffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz
der Kollege Gernot Erler.
und die bekannten politischen Grundsätze der Bun-
desregierung für den Export von Kriegswaffen und
Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr sonstigen Rüstungsgütern vom 28. April 1982.
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es geht um
(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Und des
eine Petition, in der Einspruch erhoben wird gegen
Grundgesetzes!)
ein von der Bundesregierung genehmigtes Rüstungs-
exportgeschäft mit Indonesien. Der Kaufvertrag Wir wissen alle, daß diese Vorschriften verlangen,
stammt vom 24. November 1992. Es geht um daß, wenn es sich um Waffenlieferungen handelt, um
39 Kriegsschiffe, die rechtlich am 4. Januar 1993 an Verträge über den Export von Rüstungsgütern außer-
die indonesische Regierung übergeben wurden, aber halb der NATO, diese nur ausnahmsweise zulässig
danach noch in Werften des Bundeslandes Mecklen- sind, nämlich dann, wenn - das ist jetzt ein wörtli-
burg-Vorpommern teilentmilitarisiert und fahrfertig ches Zitat - „vitale außenpolitische und sicherheits-
1736 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Gernot Erler
politische Interessen der Bundesregierung" dafür über beraten, kann man in der Praxis nichts mehr
sprechen. In mehreren Antworten auf parlamentari- machen. Aber wir haben die große Chance, den
sche Anfragen hat die Bundesregierung immer wie- zweiten großen Schatten, der auch auf die Verwer-
der behauptet, daß diese „vitalen Interessen" vor- tung des enormen Waffenerbes der DDR, nämlich
handen seien. Sie hat es aber nicht einmal für nötig der NVA, gefallen ist, zu korrigieren. Der eine Schat-
gehalten, das auch tatsächlich zu begründen. ten besteht darin, daß die gewaltige Armeeausrü-
stung mitten hinein in den kurdisch-türkischen Bür-
(Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜND gerkrieg geliefert worden ist, der andere Schatten in
NIS 90/DIE GRÜNEN]) diese Lieferung von 39 Kriegsschiffen.
Und doch hat auch die Bundesregierung bei dieser Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß die Antrag-
Angelegenheit kalte Füße bekommen. Im November steller aus Dresden und aus Halle kommen, daß ge-
1991 hat sie die Verhandlungen mit Blick auf die rade sie sich mit dieser Petition an den Deutschen
Menschenrechtssituation in Indonesien vorüberge- Bundestag gewandt haben. Wir haben die Chance,
hend unterbrochen, hat sie aber „nach erneuter Prü- ein Zeichen zu setzen, nämlich heute anders zu ent-
fung" , wie sie gesagt hat, 1992 wieder aufgenom- scheiden: so wie uns das die UN-Menschenrechts-
men. kommission empfiehlt, wie es das Europaparlament
In Wirklichkeit hat sich aber die Menschenrechtssi- empfiehlt, wie es der Europarat empfiehlt und wie es
tuation in dieser Phase keineswegs verbessert. Das die WEU beschlossen hat. Wir müssen die erschüt-
kann man leicht an den internationalen Entschlie- ternden Berichte der Menschenrechtsorganisationen,
ßungen und Resolutionen ablesen, etwa der UN- von Amnesty International und von anderen NGOs
Menschenrechtskommission, die im März 1993 - in- ernst nehmen und uns auf die Seite der bedrängten
teressanterweise sogar auf Mitinitiative der Bundes- und bedrohten Menschen - in der Region West-Pa-
regierung - eine Verurteilung dieser Menschen- pua, in Aceh, in Osttimor - in diesem Lande schla-
rechtsverletzungen in Indonesien ausgesprochen gen, wo sie nach wie vor Terror, Verfolgung und Ver-
hat. Man kann es ablesen an der Empfehlung des nichtung ausgesetzt sind.
Europarates und des Europaparlamentes, - die die Gerade wegen dieses Vertrages haben wir als Bun-
Aufforderung enthält, kein Kriegsmaterial nach Indo- desrepublik eine besondere Verpflichtung zur Beob-
nesien zu verkaufen. Das war im Februar 1993, also achtung und Einwirkung auf das nach wie vor men-
zwei Monate nach der rechtlichen Erfüllung des Ver- schenverachtende Regime in Indonesien. Das alles
trages. Man kann es auch an einem sehr wichtigen können wir zum Ausdruck bringen, indem wir ein
Beschluß der WEU - auch er ist unter Mitwirkung solches Zeichen setzen und praktisch ein Stück weit
der Bundesrepublik zustande gekommen - ablesen, einen Fehler korrigieren, der uns insgesamt belastet.
der am Ende die Aufforderung enthält - ich zitiere -,
„ ein unverzügliches Waffenembargo über Indone- In diesem Kontext, wohl wissend, daß in der Sache
sien zu verhängen und unverzüglich militärische Ab- nichts mehr zu machen ist, empfehle ich, dem Anlie-
kommen mit Indonesien und Hilfe für Indonesien gen der Petenten aus Dresden und Halle zu entspre-
auszusetzen". chen und dem Änderungsantrag, den die SPD-Frak-
tion gestellt hat, zuzustimmen.
Da das alles Forderungen waren - letztere stammt
z. B. vom 17. Juni 1993 -, die zusammen mit unseren Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
westlichen Verbündeten und Freunden, die ja auch (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
in der WEU versammelt sind, formuliert worden sind, GRÜNEN und der PDS)
bedeutet das, daß sich die Bundesregierung in der
Frage dieses Waffengeschäftes ins Abseits gestellt
hat, sich völlig isoliert hat. Sie hat sich nicht einmal Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Meine verehr-
an die Aufforderung, die sie in diesem Kontext selber ten Kollegen, ich möchte Sie noch einmal bitten, die
initiiert und formuliert hat, gehalten. Gesprächsrunde nach draußen zu verlegen; sonst
werde ich die Sitzung unterbrechen.
Dieselbe Bundesregierung erklärt uns häufig - ge-
rade in diesen Tagen wieder -, daß unter dem Begriff Ich erteile nun das Wort der Abgeordneten Ange-
der Harmonisierung der Regelungen mit denen der lika Beer.
Mitglieder der EU bei uns möglicherweise liberalere
Rüstungsregeln Platz greifen sollen. Offenbar heißt Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
„Harmonisierung" aus der Sicht der Bundesregie- Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei
rung, eine Einbahnstraßenidee zu verwirklichen: dieser Debatte geht es um zwei Petitionen. Die
Harmonisierung dann, wenn es um größere Liberali- zweite enthält die Aufforderung an die Bundesregie-
sierung der Rüstungsexporte geht, nicht aber dann, rung, gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbesse-
wenn man mit den eigenen Bündnispartnern ein Si- rung der Rüstungskontrolle im Hinblick auf mögliche
gnal gegen ein solches menschenverachtendes Re- Menschenrechtsverletzungen vorzunehmen. Es er-
gime setzen wollte. gibt sich von selber, daß diese Petition mit der Peti-
tion zu Indonesien zusammengezogen worden ist.
Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt uns
diese Petition eine Chance. Wir alle wissen, daß die In diesem Zusammenhang halte ich es für notwen-
Schiffe nicht mehr rückholbar sind; sie sind bereits in dig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß Deutsch-
der Hand Indonesiens. Da wir erst eindreiviertel land zu den führenden Rüstungsexporteuren der
Jahre, nachdem die Petition eingebracht wurde, dar- Welt gehört. Nach Angaben des Stockholmer Frie-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1737
Angelika Beer
densforschungsinstituts SIPRI und des UN-Waffenre- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
gisters belegte Deutschland 1992 den dritten und Kollege Irmer, bei der Zahl der Länder, in denen sich
nach dem Zerfall der früheren Sowjetunion den zwei- deutsche Waffen befinden und in die sie trotz der so-
ten Platz im Bereich der weltweiten Rüstungsex- genannten restriktiven Rüstungsexportkontrolle der
porte. Diese Waffen kamen und kommen auch heute Bundesregierung auch weiterhin geliefert werden,
noch in vielen Konflikten zum Einsatz. Ich nenne nur dürften wir heute an führender Stelle sein, wenn zu-
einige: Nicaragua, Afghanistan, den Nahen Osten, gleich die Frage der Menschenrechtsverletzungen
den indischen Subkontinent. Wie sich während des überprüft wird. Ich erinnere an die Fragestunde
ersten Golfkrieges zeigte - in der heutigen Frage- heute nachmittag, in der es darum ging, ob es NVA-
stunde ist das durch die Bundesregierung noch ein- Waffen waren, die an den Iran und den Irak gleich-
mal bestätigt worden -, wurden deutsche Waffen so- zeitig geliefert worden sind, was durch die Bundesre-
gar an die Kriegsgegner geliefert, nämlich sowohl an gierung bestätigt wurde.
den Iran als auch an den Irak. Das heißt, daß Men-
schenrechtsverletzungen immer noch in Kauf ge- Auf die Frage, ob der Bundesregierung bekannt
nommen und befördert werden, wenn es um wirt- sei, daß gleichzeitig bundesdeutsche Waffen an zwei
schaftlichen Profit und die Vertretung deutscher In- Kriegsgegner, die jeweils im eigenen Land nicht nur
teressen geht. die Opposition zielstrebig hinrichten und ermorden,
sondern sich auch gegenseitig bekämpfen, geliefert
Viele Bürgerinnen des Landes, die den friedens- wurden und die gleiche Praxis erfolgte, sah sich die
politischen Auftrag des Grundgesetzes weitaus Bundesregierung heute leider nicht in der Lage, das
ernster nehmen als die Bundesregierung, sind über zu kommentieren oder gar eine Art des Bedauerns
die Rüstungsexportpolitik Deutschlands zu Recht deutlich zu machen.
empört. Sie fordern im einen Fall konkret die Ein-
stellung der Waffenlieferungen nach Indonesien und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gestatten Sie
im anderen Fall die Verschärfung der Rüstungs- eine Frage des Kollegen Kolb?
exportkontrolle.
Die Koalition allerdings hält es nicht für notwen- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja.
dig, sich mit den Bedenken, die die Petentinnen und
Petenten geltend gemacht haben, überhaupt ernst- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön.
haft auseinanderzusetzen. Seit Mitte der 80er Jahre
ist die militärische Zusammenarbeit mit Indonesien
ausgebaut worden. Inzwischen werden dort Hub- Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Frau Kollegin, nach-
schrauber der DASA und Kriegsschiffe der Lürssen- dem Sie wiederholt die heutige Fragestunde ange-
Werft in Lizenz nachgebaut. sprochen haben: Würden Sie bitte zur Kenntnis neh-
men, daß das Bundesministerium für Wirtschaft heute
in keiner Weise NVA Exporte in die betroffenen
-

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Regionen bestätigt oder sonstwie eingeräumt hat?
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ir-
mer?
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber,
Herr Kollege, wir haben doch strafrechtliche Verfah-
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ren und Urteile gehabt, in denen nachgewiesen
Gern, Herr Kollege Irmer. wurde, daß, durchaus mit Kenntnis der Bundesregie-
rung - ich gebe zu, da sind durch die Opposition
noch einige Lücken zu klären, insbesondere was die
Ulrich Irmer (F.D.P.): Vielen Dank. - Ich komme et- Tätigkeit des damaligen BND-Chefs Kinkel betrifft;
was spät, weil ich Mühe hatte, auf mich aufmerksam aber wir sind dabei, auf dieser guten Spur voranzu-
zu machen. kommen -, westdeutsche Waffen von westdeutschen
Lieferanten in die gleichen Krisenregionen geliefert
(Zuruf von der CDU/CSU: Das liegt am worden sind. Ich verweise auf das Beispiel Türkei, -
Rundbau!) die Türkei ist ein NATO-Partner -, wo ein Völker-
Trotzdem möchte ich Sie gern fragen, Frau Kollegin, krieg gegen die kurdische Bevölkerung stattfindet.
ob Sie nicht den Unterschied zwischen deutschen Auch in diesem Fall herrscht unverständliche Blind-
Rüstungsexporten, d. h. solchen, die offiziell stattfin- heit. Gerade gestern hat der Haushaltsausschuß
den und von der Bundesregierung genehmigt wer- 150 Millionen DM für Kriegsschiffe, für Fregatten, für
den, und solchen, die unter Umgehung sämtlicher eine Armee freigegeben, die im eigenen Land die
gesetzlicher Bestimmungen von kriminellen Elemen- Opposition zielstrebig vernichtet. Ich glaube, daß das
ten illegal vorgenommen werden, kennen und ob Sie als Beispiel reicht, um die Bedeutung der, wie man so
mir nicht bestätigen wollen, daß wir vor etlichen Jah- schön sagt, restriktiven Exportpraxis der Bundesre-
ren, als diese illegalen Exporte bekannt wurden, un- gierung deutlich zu machen.
ser Waffenexportgesetz so verschärft haben, daß es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
jetzt das schärfste in der Welt überhaupt ist, das von und der PDS)
den Gesetzen in keinem anderen Land übertroffen
wird. Verehrte Damen und Herren, wir sagen gar nicht,
daß diese nicht vollständig demilitarisierten Kriegs-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schiffe in Ost-Timor eingesetzt werden. Aber ich bitte
1738 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Angelika Beer
diejenigen, die sich im Menschenrechtsbereich enga- genmerk auf die Petition legen, die sich mit der Lie-
gieren, einmal auf ihr Faxgerät zu sehen. Vor einer ferung von Schiffen aus Beständen der ehemaligen
Stunde kam von Amnesty International eine neue NVA nach Indonesien beschäftigt. Sie alle wissen,
„urgent action" mit der Bitte, sich für 30 verhaftete daß die Bundesregierung in mehreren Stellungnah-
Oppositionelle in Indonesien einzusetzen, weil man men eindeutig geäußert hat, daß die Menschen-
befürchtet, daß sie der schwersten Folter unterliegen. rechtssituation in Indonesien nach wie vor unbefrie-
Das ist der eigentliche Kern der Politik, die wir kritisie- digend ist und daß sie weiterhin auf allen Ebenen
ren und um die es in dieser Petition geht. Der Bundes- darauf hinwirken wird, Verbesserungen herbeizu-
regierung scheint es egal zu sein, ob die Opposition in führen.
Indonesien gefoltert oder ermordet wird, ob die Zei- -
tungen, die über diesen skandalösen Waffendeal be- (Beifall bei der F.D.P.)
richtet haben, hinterher verboten worden sind oder Dennoch, meine Damen und Herren, hat sie im
Protestdemonstrationen wie damals in China auf dem vorliegenden Fall auf der Basis einer gründlichen
„Platz des Himmlischen Friedens" blutig niederge- Einzelfallprüfung der Lieferung von unbewaffneten
schlagen worden sind. Das ist die Blindheit einer - Herr Kollege Erler, ich betone hier ausdrücklich:
Außenwirtschaftspolitik, die hier zur Debatte steht. Es von unbewaffneten - Küstenschutzschiffen aus den
ist eigentlich traurig, daß Sie sie hier noch verteidigen. immensen Beständen der ehemaligen NVA zuge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stimmt. Ich will dazu folgende Bemerkungen ma-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der chen.
PDS) Erstens. Die Bundesregierung hat in ihrem Asien
Ich möchte bei diesem Punkt auf das Auswärtige Konzept festgeschrieben, daß sie den Dialog mit den
Amt hinweisen, das sich auch mit dieser Petition be- asiatisch-pazifischen Staaten vertiefen will. Das
schäftigt hat. Es hat bestätigt, daß im Falle der Ex- heißt, Gespräche und Gesprächsbereitschaft sind die
porte nach Indonesien „vitale - d. h. außen- und si- Grundlage dafür, auch unsere Vorstellungen von
cherheitspolitische - Interessen der Bundesrepublik" Menschenrechten transportieren zu können.
für die Lieferung der Waffen sprechen würden. Wei-
Zweitens. Als besondere Problembereiche deut-
terhin hat Herr Regierungssprecher Vogel gesagt, in
schen Interesses - Herr Kollege, Sie sind darauf ein-
Rüstungsexportfragen sei man bemüht, Indonesien
gegangen - im Hinblick auf diese Region bezeichnet
einem NATO-Staat gleichzustellen.
das Asien-Konzept die Sicherheit der pazifischen
(Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein) Seewege, den Schutz vor Terrorismus und Piraterie
und die Eindämmung des Drogenhandels. Beim
Das ist doch eine Blindheit und eine massive Unter- Kampf gegen das internationale Verbrechen muß
stützung von Menschenrechtsverletzungen des Regi- also notwendigerweise und richtigerweise auch mit
mes in Indonesien. Wir sind nicht bereit, das hinzu- den Staaten Asiens kooperiert werden, und ich
nehmen. denke, dem stimmen Sie auch zu.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zu Ihrer Information: Die Schwerpunkte internatio-
sowie bei Abgeordneten der SPD) naler Piraterie liegen in indonesischen Gewässern.
Ich möchte - die Zeit ist zu Ende - zum Abschluß Dort hat es zwischen 1991 und 1993 jährlich über 100
appellieren, beiden Anträgen, sowohl dem Ände- registrierte Akte der Piraterie gegeben, wobei wahr-
rungsantrag der SPD als auch dem des BÜNDNIS- scheinlich die Dunkelziffer noch bedeutend höher
SES 90/DIE GRÜNEN, zuzustimmen. Wir dürfen in liegen wird.
dieser wichtigen Frage, die in der aktuellen Debatte
Drittens. Ich komme auf einen Punkt, den Sie an-
nur ein Land, ansonsten aber unzählige mehr betrifft,
gesprochen haben. Die an Indonesien überlassenen
nicht zulassen, daß die Bundesregierung die ernst-
Schiffe sind laut Vertragsvereinbarungen im demili-
haften Bedenken der Menschen aus der Bevölke-
tarisierten Zustand übergeben worden,
rung, die sich an die Regierung wenden, ignoriert.
Diese Frage sollte im Parlament und in der Bundes- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
regierung beraten werden, damit wir tatsächlich zu NEN]: Das stimmt doch nicht!)
einer effektiven Politik kommen. Das bedeutet für
uns, daß langfristig Rüstungsexporte an diese das heißt, die Waffenleitanlagen sowie die Raketen
Regime generell eingestellt werden. und die Artilleriebewaffnung sind entfernt worden.
Das heißt darüber hinaus, Herr Kollege, daß die
Danke schön. Boote aufgrund ihres von mir genannten Ausrü-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stungsstandes nur zum Küstenschutz, zur Seewegsi-
sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann cherung und zur Bekämpfung der Piraterie und des
[PDS]) Schmuggels, besonders des Drogenhandels, einge-
setzt werden können.

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Günther Es geht also nicht um Waffen, wie Sie hier vorge-
Nolting, Sie haben das Wort. tragen haben, und Sie haben ja den WEU-Beschluß
ausdrücklich erwähnt, sondern es geht um Schiffe
für den Küstenschutz - wie von mir aufgezeigt.
Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hauptau- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1739
Günther Friedrich Nolting
Viertens. Im konkreten Fall kann auch kein Zu- Gernot Erler (SPD): Herr Kollege Nolting, nachdem
sammenhang zu Menschenrechtsfragen hergestellt Sie mich hier der Falschaussage bezichtigt haben,
werden, denn eine Bedrohung von Menschenrechts- möchte ich Sie fragen: Haben Sie denn Veranlas-
gruppen, Dissidenten oder der Opposition geht nicht sung, an der schriftlich vorgelegten Drucksache 12/
von Schiffen und Booten aus, die in internationalen 6512, an der Beantwortung durch die Bundesregie-
Gewässern zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt rung, zu zweifeln? Dort wird nämlich zu der Teilde-
werden. mobilisierung ausgeführt - ich zitiere jetzt nur ein-
-mal von einer der Schiffsklassen, der „PARCHIM"
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Klasse -, daß dort noch vorhanden sind:
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen ist Fliegerabwehrbewaffnung, U-Boot-Abwehrbe-
die getroffene Einzelfallentscheidung der Bundesre- waffnung, hydroakustische und funktechnische
gierung berechtigt. Die F.D.P. ist daher dafür, das Pe- Geräte, Anlagen gegen die elektronische Kampf-
titionsverfahren abzuschließen. Ich verweise hier führung, Anlagen für den magnetischen Eigen-
auch auf die Antwort der Bundesregierung auf eine schutz, ABC-Schutzeinrichtungen;
Kleine Anfrage der SPD -
So geht das weiter bei den anderen Schiffsklassen.
Würden Sie unter dem Eindruck dieser Drucksache,
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Nolting - - deren Richtigkeit zu bezweifeln ich keinen Anlaß
habe, vielleicht Ihre Behauptung, ich hätte hier fal-
Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): - einen Mo- sche Aussagen über die Teildemobilisierung ge-
ment, bitte - zu dieser Thematik vom 28. Dezember macht, zurücknehmen?
1993, Drucksache 12/6512. Herr Kollege Erler, Sie
hätten dies noch einmal nachlesen sollen; ich denke, Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Kollege,
dann hätten Sie diese falschen Behauptungen hier Sie haben in diesem Zusammenhang erwähnt, daß
nicht wiederholt. hier gegen die Opposition vorgegangen werden
könnte, daß hier die Menschenrechte verletzt wer-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Nolting, den könnten. Ich stelle die Gegenfrage: Kann mit ei-
die Kollegin Beer möchte gern eine Zwischenfrage ner der Einrichtungen in irgendeiner Weise das be-
stellen. Inzwischen hat sich auch der Kollege Erler zweckt werden, was Sie hier behauptet haben?
erhoben, um eine Zwischenfrage zu stellen.
(Beifall bei der F.D.P. - Widerspruch beim
Sind Sie bereit, beide Zwischenfragen zu beant- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Gernot Erler
worten? [SPD]: Ja, mit den Landungsbooten sehr
wohl!)

Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Ja, ich bin be- Herr Präsident, ich möchte bitte fortfahren. - Auf
reit, beide Zwischenfragen zu beantworten. Grund des hier Vorgetragenen lehnen wir auch den
Änderungsantrag der SPD ab.
Ich bitte meine Bemerkung eben zu entschuldigen.
Zu den Eingaben, die hier gekommen sind, die die
Verbesserung der Rüstungsexportkontrollen for-
Vizepräsident Dr. Hans Klein: Die Uhr steht schon. dern, und zum Änderungsantrag vom BÜNDNIS 90/
- Bitte, Frau Beer. DIE GRÜNEN will ich mich kurz fassen. Die Bundes-
republik - und ich wiederhole hier das, was der Kol-
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr lege Irmer in der Frage vorhin schon angedeutet hat -
Kollege Nolting, ist Ihnen bekannt, daß die neuwerti- hat nach wie vor die restriktivsten Rüstungsexport-
gen Minenräum- und -suchschiffe Kondor II nicht, kontrollen der Welt.
wie vom Bundessicherheitsrat verlangt, vollständig Frau Kollegin Beer, es nützt überhaupt nichts,
demilitarisiert waren, sondern daß die funktionstüch- wenn Sie hier heute wieder das SIPRI-Märchen aus
tigen Abschußrampen mitgeliefert worden sind, d. h. dem Jahr 1992 mit Deutschland als dem angeblich
daß die Schiffe nicht, wie Sie hier behaupten, demili- drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt wieder auf-
tarisiert, sondern nur teildemilitarisiert waren? wärmen. Diese Fiktion ist durch eine Studie der Stif-
Ist Ihnen weiter bekannt, daß im Bereich gerade tung „Wissenschaft und Politik" bereits im letzten
der fraglichen Region eine Aufrüstung im Marine- Jahr, also 1994, widerlegt worden, die ich Ihnen
und Luftbereich stattfindet, d. h. mit einer Kriegs- gerne gleich noch zur Lektüre weitergebe. Aber ich
schiffausrüstung auch die Militäroption Indonesiens denke, Sie verfahren hier nach dem Motto:
erhöht wird? (Zuruf der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN])
Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Es ist mir be- Ich lasse mir meine Vorurteile nicht kaputtrecher-
kannt, daß sich an einigen wenigen Schiffen nicht, chieren. - Ich übergebe Ihnen gerne gleich diese Stu-
wie Sie sagen, Abschußrampen befinden, sondern die, und ich hoffe, daß Sie dann zu einem anderen
daß es Möglichkeiten zur eingeschränkten Flugab- Ergebnis kommen.
wehr gibt, daß aber darüber hinaus die weiteren Be-
hauptungen, die Sie hier aufstellen, nicht zutreffen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
1740 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Günther Friedrich Nolting


Meine Damen und Herren, die vorhandenen recht- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, ich darf
lichen Grundlagen für den Export von Rüstungsgü- Sie einen Moment unterbrechen. Meine verehrten
tern sind umfassend und ausreichend. Aus diesem Kolleginnen und Kollegen, die Geräuschkulisse ist
Grunde ist die F.D.P.-Fraktion für den Abschluß des sehr groß.
Verfahrens und gegen den Änderungsantrag von
(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
NEN]: Die Regierung hat Angst vor der Op
Vielen Dank. position!)
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Eine ganze Reihe von Gesprächen wird an den Rän-
Peter Hintze [CDU/CSU]: Das war eine her dern geführt. Ich bitte Sie, wenn Sie Gespräche füh--
vorragende Rede!) ren wollen: Tun Sie das außerhalb des Saals!
(Beifall)
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle
Bitte, fahren Sie fort.
gin Eva-Maria Bulling-Schröter.
(Peter Hintze [CDU/CSU]: Uns bleibt nichts Eva-Maria Bulling-Schröter (PDS): Begründet wer-
mehr erspart!) den die Rüstungsexporte mit vitalen, d. h. außen-
und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesre-
Eva-Maria Bulling-Schröter (PDS): So ist es. - Herr publik Deutschland. Die Frage ist: Wessen Interessen
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ei- werden hier vertreten? Vielleicht die von Krauss-
gentlich ist es traurig, daß sich Bürgerinnen und Bür- Maffei, Siemens, Dasa und einiger anderer?
ger mit Problemen an den Petitionsausschuß wenden (Günther Fried rich Nolting [F.D.P.]: Das
müssen, die unter einer Regierung, die sich christ- kommt ausgerechnet von der PDS!)
lich, liberal und sozial nennt, gar nicht zur Diskus-
sion stehen dürften. Mit Hermes-Bürgschaften werden dann die Boten
des Todes finanziert. Statt dessen könnten die Gelder
In den abzustimmenden Petitionen werden gesetz- für tatsächlich humane Projekte jeglicher Art einge-
geberische Maßnahmen zur Verbesserung der Rü- setzt werden.
stungsexportkontrollen im Hinblick auf mögliche
Menschenrechtsverletzungen gefordert und Rege- Deutschland ist laut Friedensforschungsinstitut SI-
lungsvorschläge unterbreitet, so im konkreten Fall PRI auf Platz drei der Rüstungsexporteure aufge-
der Lieferung von 39 Kriegsschiffen aus Beständen rückt, ein wahrlich unrühmlicher Rekord; denn damit
der ehemaligen NVA-Armee nach Indonesien. Wir werden Konflikte in Krisenregionen nicht entspannt,
meinen, die Anliegen der Petenten sind berechtigt. sondern verschärft, werden Völkermord und Unter-
drückung unterstützt.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS)
(Beifall bei der PDS)
Wenn die Bundesregierung behauptet, sie halte
sich an politische Grundsätze für den Export von Die Partei des Demokratischen Sozialismus fordert
Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die deshalb: erstens - -
auch dem Problem der Menschenrechtsverletzungen (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Rechnung tragen, dann frage ich mich: Was sind das
für Grundsätze? Nach den tiefgreifenden Verände-
rungen in den letzten Jahren in vielen Ländern der Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, ich
Erde stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit fürchte, Sie werden nicht mehr alle aufzählen kön-
diese Grundsätze diesen Veränderungen Rechnung nen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
tragen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der
Selbst wenn der Parlamentarische Staatssekretär F.D.P.)
beim Bundesministerium für Wirtschaft in seiner Stel-
lungnahme vom 28. März 1994 zur Petition feststellt, Eva-Maria Bulling-Schröter (PDS): Sie werden das
daß die Bundesregierung über eines der weltweit sicher in einer anderen Debatte hören. Kurz und gut:
strengsten und wirksamsten Exportkontrollsysteme Wir fordern, dem berechtigten Anliegen der Petenten
verfügt, bleibt die Feststellung: Aus Deutschland zu entsprechen.
werden Waffen exportiert. Mit Rüstung „made in
Germany" werden Kriege geführt. Das geschieht in (Beifall bei der PDS - Zuruf)
wachsendem Maße - z. B. im Krieg Ankaras gegen - Ich bin aus Bayern.
das kurdische Volk. Im übrigen: Die nächsten
150 Millionen für Fregatten für die Türkei sind ge- (Peter Hintze [CDU/CSU]: Das ist schlimm
nehmigt. genug!)

Diese Grundsätze erlauben auch per Ausnahmege-


nehmigung die Lieferung von Kriegsschiffen nach In- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Wolfgang
donesien zur Aufrechterhaltung der Militärdiktatur, Dehnel, Sie haben das Wort.
obwohl selbst die Bundesregierung in ihrer Stellung-
nahme zugesteht, daß die Einhaltung der Menschen- Wolfgang Dehnel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr
rechte in Indonesien unbef ri edigend ist. Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Peti-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1741
Wolfgang Dehnel
tionsverfahren werden im Ergebnis nicht besser, So sind für mich die Abrüstung von ehemaligen
wenn sie immer neu aufgerollt werden. Es ist wie bei Kriegsschiffen der NVA und der anschließende Ex-
Speisen, die man zu oft aufwärmt: Sie bekommen ei- port nach Indonesien sowie deren überprüfte und
nen faden Beigeschmack. zugesicherte dortige Verwendung ausschließlich für
Zwecke des Küstenschutzes und der Seewegsiche-
(Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch rung
bei der SPD)
(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Das betrifft auch die Petitionen zu den Rüstungsex-
NEN]: Das ist ein Witz!)
portkontrollen im Hinblick auf mögliche Menschen-
rechtsverletzungen im allgemeinen - siehe die Sam- sowie zur Bekämpfung des Schmuggels, insbeson-
melübersicht 7 - und zum Export von 39 Schiffen der dere des Drogenschmuggels, sicherheits- und haus-
ehemaligen NVA-Marine nach Indonesien im beson- haltspolitisch nicht zu beanstanden.
deren - siehe Sammelübersicht 8.
Schon mehrfach hatten der Deutsche Bundestag (Gernot Erler [SPD]: Und was ist mit Lan-
dungsbooten?)
und seine Fachausschüsse über diese Problematik
beraten und die Exportpolitik bei Rüstungsgütern Man denke daran, daß Indonesien einen Inselstaat
einer parlamentarischen Kontrolle unterzogen. Das mit über 1 000 Inseln darstellt.
Ergebnis war immer eindeutig: Der Bundesregierung
kann keine Verletzung der politischen Grundsätze Im Gegenteil: Die Verschrottung der sonst un-
von 1982 für den Export von Kriegswaffen und son- brauchbaren Schiffe hätte dem Bund erhebliche Ko-
stigen Rüstungsgütern vorgeworfen werden. sten aufgebürdet, ganz zu schweigen von Vertrags-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) strafen, von Konkursen beteiligter Firmen an der Ost-
seeküste, die erst mit hohen Kosten seitens der Treu-
Es trifft zu, daß es immer wieder Verstöße und ein hand, des Bundes und der Länder produktionstech-
Unterlaufen der Gesetzgebung von einzelnen Firmen nisch umgestellt werden mußten.
gibt. Doch haben die Bundesregierung und die Justiz
die nötigen Konsequenzen walten lassen, um diese Meine Damen und Herren, ich halte die regelmä-
Fälle aufzuklären. ßige Unterrichtung der Bundesregierung an die zu-
ständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages
Ich bin auf Grund des bisherigen Vorgehens der über Stand und Entwicklung der Ausfuhrgewährlei-
Bundesregierung sicher, daß einer immer wieder an- stungen des Bundes für ausreichend. So werden par-
gesprochenen und befürchteten Aufweichung dieser lamentarische und öffentliche Kontrolle gewährlei-
bewährten Richtlinien, die auch dem Problem der stet. Gerade für dieses demokratische Grundrecht
Menschenrechtsverletzungen Rechnung tragen, ent- bin ich schon vor der Wende eingetreten.
schieden und rechtzeitig entgegengewirkt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, angesichts der vielen
Krisenherde, Menschenrechtsverletzungen und der In der DDR wurden ja sogar Waffen exportiert, die
Zunahme der internationalen Kriminalität verstehe mit sogenannten Solidaritätsgeldern, also Spenden
ich natürlich die Besorgnis der Petenten und auch der Bevölkerung, finanziert wurden. So war es nicht
der Opposition. Aber warum verweigerte diese dann verwunderlich, daß in vielen Krisengebieten Ka-
die Zustimmung zum Verbrechensbekämpfungsge- laschnikows, Panzer der T-Serie, MIG-Flugzeuge
setz und zu dem darin geforderten sogenannten und anderes Kriegsgerät, meist sowjetischer Bauart
Lauschangriff? und Lizenz, auftauchten. Mit der vor fünf Jahren er-
(Gernot Erler [SPD]: Das darf doch nicht kämpften deutschen Einheit und der damit verbun-
wahr sein!) denen Demokratie haben wir nicht nur diesem Un-
wesen den Garaus gemacht.
Wie will man denn den bestens ausgerüsteten krimi-
nellen Einzeltätern und Banden auf die Schliche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
kommen? Ja, man muß schon in seinen Forderungen ordneten der F.D.P.)
und in seinem Handeln konsequent sein.
Die Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik in
(Beifall bei der CDU/CSU) Verbindung mit Menschenrechtsfragen bleibt für
mich - gerade bei den sich gegenwärtig vollziehen-
Vor dieser Aufgabe sah sich auch die Bundesregie- den Neugliederungen und -formierungen von Staa-
rung bei der Eingliederung und Umstrukturierung ten und deren gesellschaftlichem Neuaufbau - ein
der NVA der Ex-DDR in die Bundeswehr und NATO besonders sensibler Bereich, auf den auch sensibel
gestellt. Was gerade auf diesem Gebiet in kurzer Zeit reagiert werden muß.
geleistet wurde, ist doch unbestritten ein herausra-
gendes und historisch einzigartiges Beispiel der Zu- Aber, meine Damen und Herren, ich vertraue der
sammenführung zweier völlig konträrer Systeme. Bundesregierung und den Kollegen in den entspre-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU chenden Fachausschüssen, ich bin davon überzeugt,
und der F.D.P.) daß sie weiterhin in besonderem Maße den neuen
politischen Entwicklungen Rechnung tragen, und ich
In dieser Einschätzung stimmen übrigens die Militärs empfehle deshalb, die Petitionsverfahren der Sam-
und Politiker inner- und außerhalb Europas überein. melübersichten 7 und 8 abzuschließen.
1742 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Wolfgang Dehnel
Danke schön. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Elisabeth Altmann das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.)
Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und
Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus- Herren! Nach dem Abzug der Alliierten wurden und
sprache. werden im gesamten Bundesgebiet viele Wohnun-
gen und die dazugehörigen ehemalig militärisch ge-
(Günther F riedrich Nolting [F.D.P.]: Ihr seid nutzten Flächen frei. Bei unserer allgemeinen Woh-
wenig Leute! Ihr stellt Anträge und habt nungsnot und den überhöhten Mieten könnten wir-
keine Leute! - Gegenrufe von der SPD) uns darüber freuen. Hier sind Wohnungen frei; sie
Wenn Sie, Herr Nolting, die Debatte unterbrechen könnten sofort als Sozialwohnungen bezogen wer-
könnten, dann kommen wir zur Abstimmung über den. Das wäre eine längst überfällige Entlastung für
die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses den Wohnungsmarkt, eine dringend notwendige
auf Drucksache 13/332, Sammelübersicht 7. Dazu Entlastung für die gebeutelten Portemonnaies von
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen, von
DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/710 vor, über den kinderreichen Familien, alleinerziehenden Müttern
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände- und Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen.
rungsantrag? - Wer stimmt dagegen? — Wer enthält Zu unserer Erinnerung: Eine Million Menschen in
sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abge- Deutschland verfügen über keine Wohnung oder
lehnt. sind obdachlos. Die Mietbelastung ist für 1,8 Mil-
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Peti- lionen Menschen untragbar geworden. Immer mehr
tionsausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Menschen droht die Zwangsräumung. Es ist aller-
Die Beschlußempfehlung ist angenommen. höchste Zeit, schnellstens aktiv zu werden.

Wir kommen jetzt zur Beschlußempfehlung des Pe- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, ich muß
titionsausschusses auf Drucksache 13/333, Sammel- Sie einen Moment unterbrechen. - Verehrte Kolle-
übersicht 8. Dazu liegt ein Änderungsantrag der gen, die Sie im Mittelgang eine Konferenz abhalten:
Fraktion der SPD auf Drucksache 13/712 vor. Wer Tun Sie das bitte außerhalb!
stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Bitte fahren Sie fort.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Peti-
tionsausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/
Die Beschlußempfehlung ist angenommen. DIE GRÜNEN): Was geschieht jedoch bis heute mit
diesen leerstehenden Wohnungen und Freiflächen?
(Günther F riedrich Nolting [F.D.P.]: So ganz Ich will dies exemplarisch an Hand einiger Beispiele
ernst nehmt ihr eure eigenen Anträge doch aus Baye rn aufzeigen.
nicht!)
Erstens Herzogenaurach: Allein in meinem Wahl-
kreis in Herzogenaurach stehen auf der Herzobase
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: 108 große Wohnungen leer. Als ich im vergangenen
Sommer mit dem Fahrrad über die Herzobase fuhr,
Beratung des Antrags der Abgeordneten Fran-
kam sie mir vor wie eine Geisterstadt. Alles vorhan-
ziska Eichstädt-Bohlig, Elisabeth Altmann
den: Kindergarten, Schule, Geschäfte, weite Grünflä-
(Pommelsbrunn), Helmut Wilhelm (Amberg)
chen - nur menschenleer. Anderenorts gibt es Fami-
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
lien, die auf kleinstem Raum zusammenleben müs-
Verkauf ehemals militärisch genutzter Woh- sen, keine Grünflächen haben - und da liegt es brach.
nungen durch das Bundesministerium der Fi- Zweitens Schwabach: Dort stehen einerseits seit
nanzen fast drei Jahren 102 große Wohnungen leer; anderer-
- Drucksache 13/364 — seits haben 500 Familien dort Antrag auf Sozialwoh-
nung gestellt.
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß (federführend) Des weiteren liegen in Augsburg riesige Flächen
Verteidigungsausschuß an der Prinz-Karl-Kaserne brach; in Kitzingen sind
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ca. 750 ha zu verplanen - das ist ein Sechstel der Flä-
Vielleicht können wir den Auszug derjenigen, die che der gesamten Gemeinde -; in Fürth sind es 1 400
dieser Debatte nicht folgen wollen, etwas beschleu- Wohnungen.
nigen und auch etwas ruhiger gestalten. Dann kön- Im übrigen: Im Großraum Nürnberg haben sich in
nen wir nämlich mit der Tagesordnung fortfahren. den letzten fünf Jahren die Mieten um ca. 50 % er-
höht. Es herrscht ein riesiger Mangel an bezahlba-
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die rem Wohnraum. Hier hätten die Wohnungen nicht
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei länger als einen Monat leerstehen dürfen.
die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehn Minu-
ten erhalten soll. - Dagegen erhebt sich kein Wider- In Aschaffenburg werden noch 900 Wohnungen
spruch. Dann ist das so beschlossen. von der US-Army mit Beschlag belegt, aber sie wer-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1743
Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
den nicht mehr voll genutzt. Würde man jetzt planen, Motto: Entweder kauft die Stadt zu einem hohen
so könnte man die Übergabe vorbildlich vollziehen. Preis, oder die Wohnungen werden öffentlich ausge-
schrieben. Zu diesem Zeitpunkt entstand unser An-
Diese Beispiele gelten nicht nur für Baye rn , son- trag.
dern für das gesamte Bundesgebiet. Die Familie, die
hier eben auch von den Unionsparteien so hochge- Erst massiver Protest des Stadtrats, des Bürgermei-
halten wurde, steht angeblich im Zentrum der Bun- sters, von Bürgern und Bürgerinnen und Abgeordne-
despolitik. Ich frage: Wie sieht dann diese Familien- ten aller Parteien konnte diesem Treiben ein Ende
politik ganz konkret aus? Da geht es doch nicht um bereiten. Letzte Woche ist es dann endlich zu einer
menschliche Schicksale. Vielmehr werden zuerst ein- Einigung gekommen. Alle be troffenen Kommunen
mal Paragraphen erfüllt; denn laut Bundesgesetz warten nun auf die Bekanntgabe des Ergebnisses -
müssen die Wohnungen verkleinert werden, damit es wird recht spannend gemacht - und erhoffen sich
sie als Sozialwohnungen vermietet werden können. dann eine zügige Übergabe und einen akzeptablen
Wie lange können und wollen Sie sich das leisten? Preis.
Der lange Leerstand der Wohnungen verursacht Wie war es denn in Neu Ulm, Herr Waigel? In Ih-
-

zudem Schäden an der Bausubstanz, verführt zu rem Wahlkreis hat die Übergabe sehr früh zu einem
Vandalismus und belastet wieder die Steuerzahler sehr günstigen Preis stattgefunden. 800 DM pro Qua-
und Steuerzahlerinnen. Das ist doch ein sozialer Miß- dratmeter kosteten da die Wohnungen. Deshalb ver-
stand. stehe ich die Vorgänge in Erlangen nicht. Die Stadt
Erlangen hat ebenso wie Neu-Ulm einen Mietspie-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gel; sie hat wie Neu-Ulm eine Entwicklungssatzung
sowie bei Abgeordneten der SPD) und eine städtische Wohnungsbaugesellschaft. Die
Deshalb fordere ich die Regierungsparteien auf, die Verhandlungen aber gestalteten sich wesentlich
Wohnungen unverzüglich an die Kommunen zu ver- schwieriger.
kaufen, und zwar zu einem bezahlbaren Preis.
In Bad Tölz z. B. standen die Blocks über zwei
Was aber tut angesichts dieser Situation der Bun- Jahre lang leer; dort verhandelte man drei Jahre. Ei-
desfinanzminister, der eben noch hier saß? nige Wochen nach einer Aktuellen Stunde im Bayeri-
schen Landtag gab es dann vom Bund einige Millio-
(Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki: nen DM Preisnachlaß. Welche politischen Zusam-
Er ist auch noch da! Dahinten!) menhänge es da mit Ihrem Parteifreund Stoiber ge-
- Okay. geben hat, Herr Waigel, kann und will ich hier nicht
mehr untersuchen.
Um das Schuldenloch zu stopfen, tritt er wie ein
Spekulant auf. So läßt er z. B. die Kommune zuerst Um Licht in dieses Dunkel zu bringen, fordern wir,
einen Bebauungsplan erstellen und legt dann bei der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, erstens einen Bericht
Bewertung den stark gestiegenen Grundstückspreis zu erstellen, wem der Wohnungsbestand nach Abzug
zugrunde. Anschließend gibt er 50 % Rabatt. der Alliierten zum Kauf angeboten wurde, zweitens
mitzuteilen, an wen dann tatsächlich verkauft wurde,
(Lisa Peters [F.D.P.]: Das stimmt nicht!) und drittens, darüber hinaus zu einem fairen Preis
Das kann dann so aussehen: Bei militärischer Nut- vorrangig an die Kommunen oder ihre Wohnungs-
zung, so z. B. in München, liegt der Wert bei 20 bis baugesellschaften zu verkaufen.
30 DM pro Quadratmeter. Bei Baugrund schnellt der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wert auf 1 500 DM in die Höhe; das ist eine riesige sowie des Abg. Horst Kubatschka [SPD])
Steigerung. Davon kann der Minister dann 50 % Ra-
batt geben. Erst dann sind die Kommunen in der Lage, Zukunfts-
perspektiven zu entwickeln. Wichtige planerische
Herr Waigel, als Bayer müßten Sie doch die bayeri- Vorhaben der Kommunen wie sozialer Wohnungs-
sche Verfassung kennen. Dort heißt es: Steigerungen bau, sinnvolle Ausweisung von Gewerbe-, Freizeit-
des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- und und Naturschutzflächen dürfen nicht ausgebremst
Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für werden, erst recht nicht vom Bundesfinanzministe-
die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Können Sie rium. Bezahlbare Wohnungen zu bauen und zur Ver-
sich darüber hinwegsetzen? Können Sie mir erklä- fügung zu stellen ist auch eine kommunale Aufgabe.
ren, welchen Arbeits- und Kapitalaufwand Sie hier
getätigt haben? Ganz folgerichtig hat der Deutsche Städtetag die
zögerliche Übergabe der Liegenschaften mit Rück-
Ein Tauziehen ganz spezieller Art entwickelte sich übertragungsansprüchen bemängelt. Diese Liegen-
zwischen den Kommunen und dem Minister Waigel. schaften wurden den Kommunen, z. B. Schwabach
In Erlangen habe ich dieses Hickhack ganz nah er- und Gießen, während der NS-Zeit geraubt bzw. vom
lebt. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft hatte Bürgermeister „verschenkt", was immer auch das zu
seit Monaten alle Voraussetzungen für eine Über- der Zeit geheißen hat.
nahme der Siedlung geschaffen. Nichtsdestotrotz
wollte der Minister daran vorbei. Der Preis wurde Was tut der Bund? Um noch einmal auf Schwabach
von 20 Millionen DM auf 32 Millionen DM heraufge- zurückzukommen, auf das Kasernengelände. Er
schraubt. Dann, bevor wieder ein Nachlaß gegeben treibt den Streitwert mit der Kommune so hoch, daß
wurde, sah es so aus, als sollten die Wohnungen an sie nicht mehr mithalten kann. 20 Millionen Streit-
Spekulanten teuer verkauft werden - nach dem wert, die Gerichtskosten gehen in die Millionen,
1744 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)


500 000 DM für einen Rechtsanwalt. Da geht eine hinderteneinrichtungen, Krankenhäuser, Jugendhil-
Kleinstadt einfach in die Knie. Ich fordere Sie auf, feobjekte sowie die Förderung von Schulen und
dieses seit über 50 Jahren bestehende Unrecht wie- Hochschulen bis hin zum Aufbau der Verwaltung in
der rückgängig zu machen. den neuen Bundesländern.
Die Kommunen hatten schwer zu tragen. Vielleicht waren es zu Beginn objektive oder auch
subjektive Gründe im Verwaltungsverfahren, wenn
Erstens. Sie waren in ihren Entwicklungsmöglich-
es nicht überall in den Kommunen zu einer zügigen
keiten durch die militärischen Areale gehemmt.
Umsetzung von Grundstücksverwertungen gekom-
Zweitens. Die Bevölkerung trug die Belastungen men war. Vielleicht waren es auch Schwierigkeiten
der militärischen Übungen all die Jahre. Das heißt, der Bauleitplanung, die von Fall zu Fall zu unter-
sie akzeptierten Tiefflüge, Panzerübungen, Truppen- schiedlichen Problemen geführt hatten. Das kann ich
bewegungen, NATO-Herbst-Manöver. für sie im Spezialfall nicht beurteilen. Aber mit Si-
cherheit hat sich das Verfahren bewährt. Denn allein
Drittens. Auch die Beseitigung der Altlasten wer- im Januar und Februar wurden sowohl von den Be-
den die Kommunen mitzutragen haben. Truppen- richterstattern als auch den Kollegen im Haushalts-
übungsplätze, Militärflughäfen, Munitionsdepots ausschuß schon wieder insgesamt zwölf Liegen-
hinterlassen gravierende Umweltschäden. Ein Teil schaftsverkäufe gebilligt, vor allen Dingen auch un-
der Erlöse aus den Verkäufen müßte zur Sanierung ter der Maßgabe der Preisverbilligung.
verwendet werden.
So wurden zur Linderung der Wohnungsnot meh-
rere tausend Wohnungen veräußert, insgesamt bis
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, Ihre Re- Februar 21 000 Stück. Von den insgesamt übernom-
dezeit ist abgelaufen. Noch ein Satz. menen Wohnungen sind 84 000 vermietet, davon al-
lein 68 000 in den neuen Bundesländern. In den gro-
ßen Universitätsstädten unseres Landes trägt der
Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/
Bund durch den um 50 % verbilligten Verkauf von
DIE GRÜNEN): Es ist an der Zeit, 50 Jahre nach Be-
Grundstücken zur Schaffung von studentischem
endigung des Krieges Grund und Wohnungen jenen
Wohnraum bei.
zu geben, denen sie eigentlich gehören. Hier könn-
ten Sie den schlanken Staat praktizieren und zeigen,
Jetzt lassen Sie mich auf ein anderes Beispiel ein-
wie ernst Sie es damit meinen, Genehmigungen zu
gehen. Das Konzept der Stadt Freiburg in bezug auf
beschleunigen. Damit könnten Sie ein Stück Ge-
das Gelände der ehemaligen französischen Vaban-
schichtsbewußtsein demonstrieren.
que-Kaserne hat dazu geführt, daß auf dieser Fläche
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der erhöhte Bedarf der Stadt nach Wohn- und Ge-
werbeflächen gedeckt und dem Studentenwerk Frei-
burg die Möglichkeit zur Errichtung von mehr als
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kolle- 1 000 Wohnheimplätzen gegeben wird. Ich denke,
gin Susanne Jaffke. das spricht auch für sich.

Zu dem hier vorliegenden Antrag der Fraktion


Susanne Jaffke (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN läßt sich nun folgendes
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe soeben gelernt, sagen: Die Forderung, ehemals militärisch genutzte
daß Erlangen eine Kleinstadt mit 100 000 Einwoh- Wohnungen vorrangig an Kommunen bzw. an kom-
nern in Bayern ist. Damit kann ich nicht dienen. Ich munale Wohnungsbaugesellschaften preisverbilligt
komme aus Mecklenburg-Vorpommern. Da haben anzubieten, ist durch das Gesetz abgedeckt und wird
wir winzige Siedlungen. Aber ich bin immer lernfä- durch das Bundesministerium der Finanzen reali-
hig; ich finde das schön. siert. Dabei kommen den Kommunen zusätzlich Son-
derkonditionen zugute, sofern die erworbenen Lie-
Liebe Kollegen, lassen Sie mich zunächst auf diese
genschaften gemäß Haushaltsvermerk Nr. 5 bei Kap.
Dinge allgemein eingehen.
0807 im Einzelplan 08, Bundesministerium der Fi-
Dem Bund wurden seit dem Jahre 1990 Liegen- nanzen, für den sozialen Wohnungsbau genutzt wer-
schaften mit einer Gesamtfläche von 2 900 Quadrat- den sollen. Den Erwerbern wird dabei bei einer Bele-
kilometer zugeführt. Zu diesen Liegenschaften zäh- gungsbindung von mindestens 15 Jahren ein Preis-
len u. a. auch 1 149 Kasernenareale und 3 144 Wohn- nachlaß bis zu 50 % gewährt, wenn sichergestellt ist,
liegenschaften mit einem Bestand von über 100 000 daß die bebauten bzw. unbebauten Grundstücke für
Wohnungen. den öffentlich geförderten Wohnungsbau verwendet
werden. Dieser Preisnachlaß kann auch dann ge-
Die Konversion dieser Liegenschaften war von An- währt werden, wenn der Erwerber selbstgenutztes
fang an das erklärte Ziel. Aus diesem Grunde wurde Wohneigentum bildet und die Voraussetzung für
bereits Anfang 1992 von der Bundesregierung ein eine Förderung im sozialen Wohnungsbau nach den
breitgefächertes Verbilligungsprogramm für die jeweiligen Landesbestimmungen erfüllt, jedoch För-
Veräußerung von Liegenschaften entwickelt. Die dermittel wegen Ausschöpfung des Verpflichtungs-
Förderungen reichen vom sozialen Wohnungsbau rahmens nicht bewilligt werden können. Gleichzeitig
und vom Studentenwohnungsbau über zahlreiche können Kaufpreisstundungsregelungen nach Haus-
soziale Anliegen wie Altenheime, Pflegeheime, Be- haltsvermerk Nr. 20 im Kap. 0807 beantragt werden.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1745
Susanne Jaffke
Zu dem hier in der Begründung des Antrags vorlie- gen für die Gemeinden und die betroffene Bevölke-
genden konkreten Fall der ehemaligen Housing rung überhaupt zu erreichen, was wir jetzt erreicht
Area in Erlangen möchte ich den Ausführungen der haben. Wir stellen es mit Stolz fest; aber es ist nach
Kollegin Karwatzki, die sich diesbezüglich eher ein- wie vor völlig unzureichend.
gearbeitet hat, nur so viel hinzufügen, daß seit 1994
bei der Kaufpreisbildung für bundeseigene Ge- (Beifall bei der SPD)
schoßwohnungen der ortsübliche Vergleichsmietzins
für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau Der jüngste Erfolg in den laufenden Haushaltsbe-
bei der Veräußerung an Gebietskörperschaften und ratungen wurde auf mein Betreiben erzielt. Vor ei-
von diesen getragene Wohnungsbaugesellschaften nem halben Jahr habe ich darauf aufmerksam ge-
zugrunde gelegt wird, sofern diese Wohnungen für macht, daß es beispielsweise der Caritas Trier nicht
mindestens 20 Jahre zu einem entsprechenden Miet- möglich war, Wohnungen zu erwerben, um dort mo-
zins an Sozialmieter vermietet werden. Dieser Haus- dellhaft die Unterbringung von Obdachlosen zu or-
haltsvermerk besteht seit dem Haushaltsjahr 1994 ganisieren und sie über längere Zeit zu betreuen. Es
und wird nach unseren Vorstellungen von der für das war der Caritas nicht möglich, dafür eine Verbilli-
Haushaltsjahr 1996 geplanten Veränderung nicht be- gung zu erreichen. Jetzt ist es gelungen, diese Ver-
troffen sein. billigung zugunsten der Unterbringung von Obdach-
losen in die Verbilligungstatbestände aufzunehmen.
Bei den bislang getätigten Veräußerungen der ehe-
Ich bedanke mich bei den Mitberichterstattern aus-
mals militärisch genutzten Liegenschaften, die ja der
drücklich für dieses Verständnis.
Zustimmung der Berichterstatter zum Einzelplan 08
bedurften, wurden meines Wissen vorrangig immer
Wir begrüßen auch, daß es gelungen ist, eine ge-
die Kommunen berücksichtigt. Ich mache das ganze wisse Vorrangstellung für Familien mit Kindern bei
erst seit dieser Legislaturperiode; deshalb kann ich
dem Erwerb von Liegenschaften, von Häusern zu er-
nur für diesen Zeitraum Aussagen treffen.
möglichen, die beispielsweise von den Briten und
Dabei wurde fast ausnahmslos von der Sonderkon- den Belgiern in NRW, die im Unterschied zu den
dition Gebrauch gemacht. Aus diesem Grund sehe amerikanischen und französischen Wohnungen nicht
ich den Punkt a des hier vorliegenden Antrags schon im Geschoßwohnungsbau errichtet wurden, sondern
als erfüllt an. Der Punkt b wird mit Sicherheit ein zu einzelnstehende Häuser sind, freigemacht wurden.
bewältigendes Problem für die Beamten der Liegen- Sie sollen vorrangig Familien mit Kindern angeboten
schaftsabteilung im BMF sein, so daß wir dann in den werden. Durch diese Vorrangstellung der Familien
Ausschüssen den Bericht zur Kenntnis nehmen kön- mit Kindern ist automatisch der Kreis der möglichen
nen. Mitmieter eingegrenzt. Durch die Auflage, daß die
Wohnungen nur zur Eigennutzung verbilligt erwor-
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ben werden können, ist klar, daß sie damit eine ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wisse Vorrangstellung haben und eine gewisse Ver-
günstigung finanzieller Art erreichen können. Das
nenne ich positiv.
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen
Karl Diller das Wort. Aber das, was erreicht worden ist, bleibt weit hin-
ter dem zurück, was notwendig ist.
Karl Diller (SPD): Herr Präsident! Verehrte Frau
Altmann, es soll kein persönlicher Vorhalt Ihnen ge- Deshalb hat meine Fraktion im Haushaltsplanbera-
genüber sein, weil Sie ja neu hier im Plenum sind, tungsverfahren beantragt, endlich ein Bundeskon-
aber ich hätte mich gefreut, wenn sich Ihre Fraktion versionsprogramm zu schaffen. Wir haben vorge-
in der letzten Wahlperiode bezüglich dieser Frage schlagen, dazu einen Grundstock finanzieller Art mit
auch nur ein einziges Mal im Haushaltsausschuß en- 50 Millionen DM anzulegen, und hinzugefügt, daß
gagiert hätte. alle Mehreinnahmen aus Vermietung und Verpach-
tung bzw. aus dem Verkauf militärischer Liegen-
Der Haushaltsausschuß ist federführend, begin- schaften diesem Konversionsfonds zur finanziellen
nend 1989/90. Damals hat der amerikanische Vertei- Aufstockung zusätzlich zufließen sollen. Nach jetzi-
digungsminister Cheney bekanntgegeben, daß welt- ger Erkenntnis wären das im laufenden Haushalts-
weit zwölf Airbases der Amerikaner geschlossen jahr mehrere hundert Millionen DM gewesen. Leider
werden, darunter auch die in meinem Bundesland Gottes ist dieser Vorschlag am unverständlichen
gelegene Airbase „Zweibrücken". Ich habe mich im Nein der Koalition gescheitert. Wir kritisieren das
Haushaltsausschuß bezüglich dieser Frage enga- ausdrücklich.
giert.
Die Haltung der Koalition und der Bundesregie- (Beifall bei der SPD)
rung, insbesondere des Finanzministeriums, war zu-
nächst von völliger Ablehnung geprägt, was die Meine Damen und Herren, diese Mittel - so unser
Frage angeht, inwieweit sich der Bund bei der Be- Vorschlag - sollten in Ergänzung des KONVER-Pro-
wältigung der Konversion engagiert. gramms der Europäischen Union und ergänzend zu
den Hilfen der einzelnen Länder gewährt werden,
Jahr um Jahr hat es bei den Haushaltsplanberatun- und zwar finanzschwachen Gemeinden in strukturell
gen unseres Engagements bedurft, Stück für Stück schwierigen Gebieten. Denn ausgerechnet dort ist ja
das an Verbilligungstatbeständen, an Vergünstigun- das Problem, in einer relativ kleinen Gemeinde eine
1746 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Karl Diller
riesige militärische Liegenschaft einer zivilen Nut- Eine für die SPD unverzichtbare Forderung ist, daß
zung zuzuführen, in seiner Herausforderung extrem. der Bund als Eigentümer dieser Liegenschaften end-
Es kann nur durch zusätzliche Hilfen auch des Bun- lich auch seiner gesamtstaatlichen Verpflichtung ge-
des bewältigt werden. recht wird und sich um das Problem der Beseitigung
ökologischer Altlasten kümmert.
Meine Damen und Herren, ich mache Sie darauf (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph
aufmerksam, daß diese Koalition nicht nur die von Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
uns zu begrüßenden Verbesserungen beschlossen NEN])
hat, sondern gleichzeitig Verschlechterungen, die
wir zu kritisieren haben. Die Koalition hat darauf be- Es geht nicht an, daß der Bund einfach sagt: Das hat
standen, daß der bisher mögliche Stundungszinssatz jetzt 40 oder 30 oder 20 Jahre vor sich hingegammelt;
- das waren 5 % im Westen und 4 % in den neuen dann kann das auch noch weitere 40 oder 30 oder
Bundesländern - auf 2 v. H. über den Diskontsatz 20 Jahre vor sich hingammeln. Dies ist unser Land.
verschlechtert wird. Das heißt, der Stundungszins- Dies ist Eigentum des Bundes. Deswegen haben wir
satz geht gegenwärtig von 5 % bzw. 4 % auf 6,5 %. als Eigentümer die Verantwortung, hier für geord-
nete Verhältnisse zu sorgen.
Der Antrag der SPD, generell für soziale Zwecke (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph
Liegenschaften verbilligt an Gemeinden, Kirchen Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
usw. zu veräußern, ist leider Gottes ebenfalls am NEN])
Nein der Koalition gescheitert.
Das Problem, das die Kollegin der GRÜNEN, Frau
Die Sozialdemokraten werden sich weiter dafür Altmann, angeschnitten hat, ist - das haben meine
einsetzen, daß erstens ein Konversionsfonds des Bun- Ausführungen, glaube ich, hinreichend deutlich ge-
des geschaffen wird, zweitens die Verbilligungstat- macht - nur ein Teilaspekt einer sehr komplexen Fra-
bestände ausgeweitet werden und, drittens, insbe- gestellung.
sondere die Rücknahme der Verbilligungsprozent- Das auslösende Moment „Erlangen" ist zur Zufrie-
sätze neu beraten und darüber neu entschieden denheit aller, wie ich hoffe, gelöst. Dennoch bleibt
wird. das Anliegen grundsätzlicher Art. Deswegen stim-
men wir der Überweisung zu und würden uns
Ich mache darauf aufmerksam: Nach geltendem freuen, wenn künftig auch die Fraktion des BÜND-
Recht werden ab dem Jahre 1996 z. B. Liegenschaf- NISSES 90/DIE GRÜNEN im Haushaltsausschuß in
ten, die im Jahre 1992 freigegeben worden sind, diesem Bereich engagiert mitdiskutieren würde.
nicht mehr verbilligt abgegeben werden können.
Denn eine Verbilligung von 50 % soll es ab 1996 nur (Beifall bei der SPD - Joseph Fischer
noch im ersten Jahr nach der Freigabe geben, eine [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Verbilligung von 40 % im zweiten Jahr, eine von Wenn die Fraktion der SPD in Zukunft en-
25 % im dritten Jahr und eine von 0 % ab dem vierten gagierte Oppositionspolitik macht, verspre-
Jahr nach der Freigabe. Wir halten das für unzumut- che ich Ihnen das!)
bar.
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, bevor ich
Ich weise darauf hin, daß der Präsident der Oberfi- Ihnen das Wort gebe, erlauben Sie mir, ein Wort an
nanzdirektion Koblenz bei einer Anhörung im Land die Adresse eines Besuchers auf der Tribüne zu rich-
Rheinland-Pfalz zu Protokoll gegeben hat, er halte ten, dem ich gerade durch einen entsprechenden
diese degressive Staffelung für zu knapp bemessen. Wink das Zeitunglesen sozusagen untersagt habe. -
Demokratie, so sein Hinweis, braucht Zeit. Deswe- Wissen Sie, es gibt gewisse Formen der demonstrati-
gen müssen wir den Kommunen Zeit lassen, diese ven Unhöflichkeit, die nur hier unten erlaubt sind.
neue Herausforderung der Freigabe einer Liegen- (Heiterkeit - Joseph Fischer [Frankfurt]
schaft zu bewältigen. Man kann nicht sagen: Nur
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dürfen die
wenn ihr im ersten Jahr schon zugreift, kriegt ihr Zuschauer denn in der Nase bohren, Herr
50 %, egal, was ihr hinterher machen könnt. Das ist Präsident? - Gegenruf des Abg. Joachim
unzumutbar.
Hörster [CDU/CSU]: Wenn es ihre eigene
ist, ja! - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜND-
(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Wo Herr Laube NIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Nase gehört
recht hat, hat er recht!) mir!)
Frau Kollegin Lisa Peters, Sie haben das Wort.
Im Rahmen der Konversion bleibt die zügige Frei-
gabe der Liegenschaften durch die Militärs eine un-
verzichtbare Forderung für die SPD. Es ist nicht hin- Lisa Peters (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr ge-
zunehmen, daß die Alliierten beispielsweise erst ehrten Herren! Meine Damen! Eigentlich wäre ich
dann einen Wohnblock räumen, wenn auch der nun geneigt, mich hier hinzustellen und von der Kon-
letzte Amerikaner oder die letzte französische Fami- version in unserer Stadt zu erzählen. Ich will mich
lie ausgezogen ist. Das ist unzumutbar. Wir müssen aber doch ein bißchen an meinem Konzept entlang-
mit den Alliierten darüber reden, daß die Freigabe hangeln und hoffe, daß ich das in fünf Minuten
Zug um Zug erfolgt. schaffe.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1747
Lisa Peters
Der von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alle Kommunen, die sich rechtzeitig damit befaßt
eingebrachte Antrag beschäftigt sich mit der aktuel- haben, die rechtzeitig nachgedacht und geplant ha-
len Situation einer Liegenschaftsveräußerung in Er- ben, haben jetzt die Nase vorn. Sie haben in der Re-
langen. Dieser aktuelle Anlaß läßt sich nach meiner gel die Verträge unter Dach und Fach, bevor die Nut-
Ansicht - das haben meine Vorredner schon gesagt - zung aufgegeben wird. Vertrauensvolle Gespräche
auch auf München, Cottbus, Rostock, Kassel und mit dem zuständigen Vermögensamt oder mit der
Buxtehude übertragen. In vielen Gemeinden der Oberfinanzdirektion sind natürlich Voraussetzung.
Bundesrepublik werden ehemals militärische Lie- Kaufen kann man dann, wenn man die zukünftige
genschaften einer zivilen Nutzung zugeführt. Ausge- Nutzung rechtzeitig geplant hat und so Verbilli-
löst wurde das Ganze durch die Wiedervereinigung. gungstatbestände schon beim Ankauf in Abzug brin-
Das mußte hier nicht noch erwähnt werden. gen kann.

In der 12. Wahlperiode habe ich mich sehr intensiv (Zustimmung des Abg. Joseph Fischer
mit Konversion beschäftigt, weil das wirklich völli- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
ges Neuland war. Damals mußte man sich alles das, Deshalb halte ich all das, was eben hier gesagt wor-
was wir jetzt wissen, erarbeiten. Die Beschlüsse des den ist, überhaupt nicht für richtig. Wir wissen das
Sommers 1991, die die Auflösung oder Dezimierung doch alle seit Sommer 1991. Es sind hinterher nur ei-
von militärischen Standorten zum Inhalt hatten, tra- nige Liegenschaften hinzugekommen. Spätestens im
fen manche Gemeinde, manche Stadt und manche Herbst 1991 hätte jeder wissen müssen, was er mit
Region hart. Auch das ist schon gesagt worden. einer solchen Liegenschaft, sofern er eine in seiner
Kommune hat, machen will. Nein, nein, es geht gar
Alliierte Streitkräfte und Soldaten der Bundeswehr nicht ums Geld. Das ist auch anders zu machen. Da-
stellten einen großen Wirtschaftsfaktor dar. Gemein- für haben wir ja wirklich gute Verbilligungstatbe-
den und Städte, die Länder und der Bund mußten stände.
- Ich weiß, wovon ich rede; wir haben ein 23
viele Gespräche führen. Es wurde hart um Details ge- ha-Arsenal in Buxtehude übernommen. Wir haben
kämpft und letztendlich um Geld gerungen. Dabei auch vor dem 31. Dezember gekauft und werden es
wurden Kompromisse gemacht, der Strukturwandel entsprechend verwerten. Aber fragen Sie nicht, wie-
berücksichtigt, auf die entleerten Räume Rücksicht viel Gespräche geführt werden mußten und wie wir
genommen, Fördergebiete neu angepaßt und Verbil- von allen Seiten versucht haben, dieses Problem zu
ligungstatbestände geschaffen. Es ist wirklich alles lösen.
gemacht worden.
Ich kann also nur dazu auffordern, daß unsere Kol-
Nun möchte ich meinen Vorredner ansprechen, legen und Kolleginnen in den Kommunen ihr Man-
den Herrn aus dem Haushaltsausschuß. Das Steuer- dat wirklich ernst nehmen und, wenn sie es denn
änderungsgesetz 1992 schuf Klarheit. Die Länder er- noch nicht getan haben, sich jetzt sehr beeilen. Nur
hielten 2 % mehr aus dem Mehrwertsteueraufkom- dann kann es für die Kommunen gut ausgehen, und
men. Die Konversion lag damit bei den Ländern. Ein dann brauchen wir dieses Thema hier auch nicht zu
Konversionsfonds des Bundes wurde nicht gebildet. jeder Zeit wieder zu erörtern. Das ist eine direkte
Die Länder haben es ausdrücklich so gewollt. Ich Aufforderung, all das zu tun, damit es zu einem gu-
sage es noch einmal: Die Länder haben es ausdrück- ten Ende geführt wird. Sand im Getriebe gibt es
lich so gewollt, und zwar sehr gegen unsere Mei- überall.
nung. Wir hätten es gern anders gehabt. Wir hätten
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
auch gern einen Fonds beim Bund angesiedelt. Das
ist damals aber einvernehmlich von den Landesre-
gierungen nicht gewollt worden. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
lege Klaus-Jürgen Warnick.
Heute kann man feststellen, daß die Umwandlung
der militärischen Liegenschaften sehr flott vonstat- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Präsident!
ten geht, aber sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Meine Damen und Herren! Das Geschäftsgebaren
Wir sind jetzt mittendrin. Liegenschaften werden von der Bundesregierung im Umgang mit nicht mehr be-
der Bundesregierung über das Bundesministerium nötigten, ehemals militärisch genutzten Immobilien
der Finanzen veräußert. Das bringt trotz aller Ab- steht nicht zum erstenmal auf der Tagesordnung.
schläge noch gutes Geld. Das weiß man, wenn man Schon in der vergangen Wahlperiode hat die PDS-
im Haushaltsausschuß ist. Da keine Erfahrungen vor- Bundestagsgruppe vorgeschlagen, dieses Bundes-
lagen, war das alles ein langwieriger Prozeß. vermögen den Kommunen zur Erfüllung von woh-
nungs- und sozialpolitischen Aufgaben stark verbil-
Auch von seiten des Finanzministers - das muß ich ligt oder sogar kostenlos zu übergeben. Deswegen
sagen - wurde oft zu hoch gepokert; das ist hier auch begrüßen wir auch den Antrag der Fraktion BÜND-
schon angesprochen worden. Der höchste Preis ist NIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich.
nicht immer die beste Lösung. Liegenschaften müs-
sen sehr schnell veräußert werden. Der Übergang in Gleichzeitig möchten wir darauf hinweisen, daß
der Bewirtschaftung von militärischer zu ziviler Nut- sich das geschilderte Problem grundsätzlich auch auf
zung muß fließend erfolgen. Leerstand ist Wertver- die inzwischen bundeseigenen Wohnungsbestände
lust, und zwar für den Bund. Inzwischen hat Herr der NVA der DDR bezieht. Hinsichtlich dieser NVA-
Waigel das eingesehen. Jedenfalls sind das meine Er- Wohnungen stimmt es eben nicht, was die Kollegin
fahrungen. von der CDU/CSU gesagt hat, daß nämlich der
1748 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Klaus-Jürgen Warnick
Punkt a schon mehr oder weniger erfüllt sei. Ich be- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Meine Zeit ist über-
ziehe mich hier auf eine Anfrage vom vorigen schritten.
Herbst. Dazu wurde ausgesagt, daß 65 000 Wohnun-
gen der NVA übernommen wurden. Davon wurden Ich danke für die Aufmerksamkeit.
lediglich 1 894 verkauft, und zwar 1 177 an Kommu-
nen, 54 an Wohnungsbaugesellschaften, ganze 26 an (Beifall bei der PDS - Joseph Fischer
Mieter und 637 an private Investoren. Gerade diese [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Zahl, fast 40 % an private Investoren, macht uns logi- Das war eine staatsmännische Rede!)
scherweise mißtrauisch.
Wir sind sehr dafür, frei gewordene bzw. frei wer- Vizepräsident Hans Klein: Ich brauche das Einver-
dende Wohnungen der Alliierten, der Bundeswehr ständnis des Hauses, daß die Parlamentarische
und der NVA vorrangig den Kommunen bzw. kom- Staatssekretärin beim Bundesminister für Finanzen
munalen Gesellschaften zum Kauf anzubieten. Das ihre Einlassung zu Protokoll gibt.*) - Es erhebt sich
allein genügt aber nicht in jedem Fall. Nötig sind dagegen kein Widerspruch.
Sonderkonditionen bei vielen Verkäufen. Dabei
muß die Tatsache berücksichtigt werden, daß vor al- Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Be-
lem kleinere Kommunen finanziell nicht in der Lage endigung dieses Themas. Der Ältestenrat schlägt die
sind, selbst bei Verringerung des Kaufpreises die be- Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/364 an
nötigten Summen aufzubringen. Deswegen sollte die die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
Bundesregierung sogar so weit gehen, in gerechtfer- vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offen-
tigten Gründen auf einen Kaufpreis völlig zu verzich- sichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
ten, allerdings nur unter der Bedingung, daß die schlossen.
Kommune diese Objekte zweckgebunden einsetzt
und bei der Übernahme von Wohnungen dauerhafte
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b so-
Mietpreisbindungen und Belegungsrechte gewähr-
wie Zusatzpunkt 3 auf:
leistet.
Für die Bundesrepublik, der diese ehemals militäri- 11. a) Erste Beratung des von der Fraktion der
schen Flächen durch die deutsche Einheit zugefallen SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset-
sind, entsteht trotzdem ein großer Vorteil. Wenn sie zes zur Änderung des Straßenverkehrsge-
es will, kann sie mit diesen Wohnungen in vielen Re- setzes
gionen die größte Wohnungsnot mildern, ohne daß - Drucksache 13/422
ihr zusätzliche Kosten für den sozialen Wohnungs-
—Überwisungvorschlag:
bau bzw. für Förderungsmittel entstehen.
Ausschuß für Verkehr (federführend)
Es macht aber keinen Sinn, diese Objekte mög- Innenausschuß
Rechtsausschuß
lichst gewinnträchtig an Investoren zu verkaufen, um Ausschuß für Gesundheit
mit diesem erworbenen Geld zwei Kilometer weiter
über den Umweg des Bundeshaushalts sozialen b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wohnungsbau zu betreiben, und zwar zu finanziell Dr. Dagmar Enkelmann und der weiteren
wesentlich schlechteren Bedingungen, was den Ein- Abgeordneten der PDS Senkung der Pro-
satz von Mitteln im Verhältnis zu den geschaffenen mille-Grenze im Straßenverkehr auf
Wohnungen betrifft. 0,0 Promille
Wenn die Bundesregierung allerdings mehr an den - Drucksache 13/612 —
Gewinnen für Banken und privaten Investoren als an Überweisungsvorschlag:
einer Verbesserung der Wohnungssituation in den Ausschuß für Verkehr (federführend)
Kommunen interessiert ist, so sollte sie dies sagen. Innenausschuß
Rechtsausschuß
Negative Erfahrungen mit dem Bundesfinanzmi- Ausschuß für Gesundheit
nisterium gibt es aus meiner brandenburgischen Hei-
mat, z. B. in Strausberg. Obwohl die große Mehrzahl ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila
der Mieter in ca. 5 000 Bundesmietwohnungen der Altmann (Aurich), Albert Schmidt (Hitzhofen),
ehemaligen NVA an einer Genossenschaftsbildung Rainder Steenblock und der Fraktion BÜND-
interessiert ist und dies schriftlich bekundet hat, hin- NIS 90/DIE GRÜNEN
tertreibt das Bundesfinanzministerium diese Absich-
ten, indem mit finanzkräftigen Investoren an den Senkung der Promille-Grenze im Straßenver-
Mietern vorbei verhandelt wird. Auch hier wird der kehr auf 0,0 Promille
eigene Anspruch, den Menschen bei der Schaffung - Drucksache 13/694 —
von Wohneigentum zu helfen, ins Gegenteil ver- Überweisungsvorschlag:
kehrt. Im übrigen kann ich diesen Leerstand auch Ausschuß für Verkehr
nur bestätigen, der hier schon mehrfach berichtet Rechtsausschuß (Federführung strittig)
wurde. Innenausschuß
Ausschuß für Gesundheit

Vizepräsident Hans Klein: Ihre Zeit ist weit über-


schritten. *) Anlage 24
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1749
Vizepräsident Hans Klein
Nach einer Vereinbarung ist im Ältestenrat für die Trinkende zurückliegt. Im Bereich zwischen 0,3 und
gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgese- 0,7 Promille hängt die Stärke der Ausfallerscheinun-
hen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann gen davon ab, welche Art der Leistung gefordert
ist es so beschlossen. wird und wie lange das Trinkende her ist.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- Die gleiche Blutalkoholkonzentration wirkt um so
gen Siegfried Scheffler das Wort. gefährlicher, je mehr kontrollierte Handlungen gefor-
dert sind, also etwa in schwierigen Fahrsituationen.
Ich denke, der Straßenverkehr stellt heute fast über-
Siegfried Scheffler (SPD): Herr Präsident! Meine all schwierige Fahrsituationen dar, -
sehr verehrten Damen und Herren! Wenn sich der
Deutsche Bundestag heute erneut mit dem Problem (Elke Ferner [SPD]: Wohl wahr!)
der Absenkung der Alkoholpromillegrenze sowie
der Anerkennung der Atemalkoholanalyse beim vor allem natürlich bei Ungeübten oder sonst in der
Führen von Kraftfahrzeugen befassen muß, dann nur Fahrtüchtigkeit eingeschränkten Fahrern.
deshalb, weil die Koalition dieses Thema mit Rück-
sicht auf die F.D.P. seit nunmehr vier Jahren mit takti- Unbestritten ist auch, daß schon ab 0,3 Promille
schen und parlamentarischen Winkelzügen ver- eine differenzierte Ausfallsituation feststellbar ist,
schleppt. wobei bei der Frage, wieviel es denn sein darf, wis-
senschaftlich mehrheitlich nachgewiesen wird, daß
(Beifall bei der SPD) 0,5 Promille in etwa die Grenze darstellt. Deshalb
Denn bereits seit 1991 liegt dem Bundestag ein SPD auch unser Antrag mit der Festlegung auf 0,5, was
Antrag zur genannten Problematik vor, dem 1992 ein einem Grenzwert von 0,4 Promille einschließlich ei-
entsprechender Gesetzentwurf des Bundesrates nes Sicherheitszuschlages von 0,1 Promille ent-
folgte. Ich betone: Nachgewiesenermaßen, auf spricht.
Grund der Verzögerungstaktik der F.D.P., konnten (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
diese Entwürfe nicht mehr in der 12. Legislatur- Unsicherheitszuschlag!)
periode verabschiedet werden. Und das vor dem
Hintergrund dramatisch steigender Zahlen von Un- Leider ist der Kollege Dirk Fischer nicht hier. Es
fällen mit Personenschäden und Verkehrstoten unter wundert mich schon, daß er als Obmann der CDU/
Alkohol. CSU-Fraktion im Verkehrsausschuß des Deutschen
Bundestages in einem Interview mit der „Welt" vom
Deshalb sogleich die neuesten vorliegenden Zah-
2. Januar 1995 die Meinung vertreten hat, daß Alko-
len ausgewählter Länder des Statistischen Bundes-
hol in Maßen zur deutschen Ernährung wie das tägli-
amtes zu Straßenverkehrsunfällen unter Alkohol
che Brot gehört.
vom November 1994. Leider ist im Vergleich zu 1993
eine erneute Steigerung der bereits auf hohem Ni- (Elke Ferner [SPD]: Hört! Hört! - Wilhelm
veau liegenden Zahlen zu verzeichnen, so z. B. in Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Typisch!)
Brandenburg um 15,9 %, in Berlin um 16,1 %, in
Mecklenburg-Vorpommern gar um 26,6 %; aber auch Ich sage Ihnen: Diese Aussage führt dazu, daß alko-
in den alten Bundesländern: in Schleswig-Holstein holgewöhnte und -gefährdete Autofahrer angesichts
um 46,5 %, in Sachsen gar um 48,8 %. einer Alkoholentwarnung von oberster Stelle aufat-
men.
Offensichtlich hat die Bevölkerung aus dieser Ent-
wicklung mehr gelernt als die Mehrheit der Regie- (Beifall bei der SPD)
rungsparteien. Denn laut Agenturmeldung vom Sie erhalten auf diese Weise das Signal, daß sie in
3. März 1995 sind 79 % der Bevölkerung für eine Sen- Wirklichkeit kein Gefährdungsproblem darstellen.
kung der Promillegrenze im Straßenverkehr. Das er- Ich denke, Dirk Fischer sollte sich lieber den Aussa-
gab eine in der vorigen Woche veröffentlichte EM- gen des Berliner CDU-Verkehrssenators Haase oder
NID-Umfrage. Und in den neuen Bundesländern war seines Fraktionskollegen Norbert Otto von der CDU
die Zustimmung mit 91 % besonders hoch. In den al- anschließen, die nämlich eingesehen haben, daß
ten Ländern sprachen sich 76 % für eine niedrigere Menschen hätten gerettet werden können, wenn die
Promillegrenze aus. Nur 19 % waren bundesweit ge- 0,5-Promille-Grenze bereits seit Jahren gesetzlich
gen die Einführung der 0,5-Promille-Grenze. Meine verankert wäre. Haase nennt die 0,8-Promille-
Damen und Herren von den Koalitionsparteien, hier Grenze sogar unverantwortlich. Recht hat er!
geht es nicht mehr um Ihre alleinigen Interessen. Es
geht um die Durchsetzung der berechtigten Interes- (Beifall bei der SPD und der PDS)
sen der Gesamtbevölkerung.
Zustimmen kann ich natürlich - und das ist auch
Sie sollten sich die Auswertung der wissenschaftli- unsere Forderung -, daß die erlebte Dichte der poli-
chen Literatur zur Wirkung von Alkohol als Ent- zeilichen Überwachung wesentlich erhöht werden
scheidungshilfe einmal ansehen. Folgende Ergeb- muß und daß die Verstärkung der Kontrollen auf den
nisse könnten Sie nämlich feststellen: Bis etwa Straßen ein Signal setzen muß, daß der Staat den
0,3 Promille können keine deutlichen Ausfallerschei- Schutz der Verkehrsteilnehmer vor alkoholbedingten
nungen beobachtet werden. Über 0,7 Promille dage- Gefahren auch durchsetzen will.
gen steigen die Ausfälle in allen Handlungsberei-
chen stark an, unabhängig davon, wie lange das (Zuruf von der SPD: Richtig!)
1750 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Siegfried Scheffler
Auch Herrn Jobst als Vorsitzenden des Verkehrs- Es gibt natürlich noch andere wissenschaftliche Er-
ausschusses sehe ich hier nicht. Es ehrt ihn zwar, daß kenntnisse, so z. B. eine 1992 publizierte US-Studie,
er bereit war, sich durch eigene Erfahrungen mit die den positiven Effekt einer geringeren Promille-
Tests und durch Aussagen von Verkehrsexperten grenze für junge Fahrer nachweist.
umstimmen zu lassen. Aber warum erst nach so vie-
len Jahren und nicht schon bei vorangegangenen (Elke Ferner [SPD]: Aha!)
Abstimmungen? An der Fahruntauglichkeit durch
Alkohol hat sich doch in den letzten Jahren nichts Auch in Deutschland sind motorisierte Jugendliche
geändert - fast nichts. besonders gefährdet. Ich verweise auf die hohen Un-
fallzahlen nach alkoholisierten Discobesuchen. Die
(Elke Ferner [SPD]: So ist das!) Unfallstatistiken weisen nach, daß Jugendliche
schon bei niedrigen Blutalkoholwerten, ab 0,3 Pro-
Eine Veränderung bei der Fahruntauglichkeits- mille, eher verunglücken.
grenze hat es allerdings gegeben: Nach geltender
An dieser Stelle möchte ich auf die ehemalige Fa-
Rechtsprechung liegt ab 1,1 Promille auch ohne
milienministerin Frau Rönsch zu sprechen kommen,
Fahrfehler oder Unfall stets absolute Fahruntüchtig-
auch wenn ich sie hier nicht sehe. Unsere Forderung
keit vor. Zu deren Überprüfung sollte der Gesetzge-
nach weniger Verkehrstoten als „Profilierungssucht
ber der Weiterentwicklung der Technik Rechnung
auf Kosten der Autofahrer" zu bezeichnen, wie sie es
tragen, wenn für die Betroffenen die Wahrung ihrer
getan hat, grenzt meines Erachtens schon an Zynis-
körperlichen Unversehrtheit zu gewährleisten ist.
mus.
Dies ist durch die Meßmethode der Atemalkoholana-
lyse, wie wir sie in unserem Antrag gefordert haben, (Beifall bei der SPD und der PDS - Elke Fer-
gegeben. ner [SPD]: Das ist ja unglaublich!)
Politiker von CDU/CSU und F.D.P. bezweifeln im- Frau Rönsch setzt sich ja an anderer Stelle - was
mer noch, daß nach einer Senkung der Promille- durchaus legitim sein mag - vehement für das unge-
grenze die Verkehrsunfälle mit Alkoholeinfluß tat- borene Leben ein.
sächlich zurückgehen. Ihnen möchte ich an dieser
Stelle das Beispiel der Niederlande nahebringen, wo (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
nach der Absenkung von 0,8 auf 0,5 Promille eine CSU]: Nicht „mag", das ist legitim, Herr
deutliche Verringerung der Fahrten unter Alkohol- Scheffler!)
einfluß zu verzeichnen war. Es kam danach zwar zu
einem geringen Wiederanstieg, der jedoch noch bis Aber es steht jedem Politiker auf der Welt gut an,
zum heutigen Tage, nach zehn Jahren, erheblich un- sich für den Schutz des geborenen Lebens - um bei
ter der Rate von 4 % gegenüber ca. 12 % vor der Ab- dieser Sprachweise zu bleiben - in allen Bereichen
senkung blieb. einzusetzen. Auch deshalb diskutieren wir hier über
die Erhöhung der Verkehrssicherheit.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Scheffler, dem vorgelegten Antrag der PDS besteht meines Er-
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen achtens Aufklärungsbedarf in bezug auf die vorge-
Hinsken? schlagene 0,5-Promille-Grenze. Es wird behauptet,
bei einer solchen Grenze könne man nicht einmal
mehr ein Glas Bier zum Abendessen trinken. Dem ist
Siegfried Scheffler (SPD): Ich möchte hier weiter- nicht so. Alle neueren Ergebnisse der Alkoholfor-
machen, da die Debatte sowieso nur 30 Minuten schung zeigen vielmehr, daß durchaus geringe Men-
dauern soll und es schon spät ist. gen Alkohol getrunken werden können, ohne den
Grenzwert zu erreichen bzw. zu übersteigen.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Sie müssen das zulassen!) In diesem Zusammenhang möchte ich begründen,
warum dem Antrag der PDS auf 0,0 Promille aus un-
- Herr Fischer, ich mache Ihnen zuliebe ja eine serer Sicht nicht zugestimmt werden kann. Es wäre
Menge, ich spiele mit Ihnen auch gerne Fußball; das rechtspolitisch sehr bedenklich, ein Gesetz zu formu-
wissen Sie. Aber da ich noch ein bißchen Schwierig- lieren, dessen massenhafte Übertretung von vornher-
keiten mit dem Stehen habe, möchte ich hier weiter- ein in Kauf genommen wird. Außerdem wird zum
machen. Teil, wie z. B. in der Vergangenheit in der DDR, oh-
nehin eine Alkoholkonzentration von bis zu
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ 0,2 Promille toleriert. Damit stünde die Glaubwürdig-
DIE GRÜNEN]: Ach, Entschuldigung!) keit des Gesetzgebers auf dem Spiel. Doch Gesetze
sind nicht dazu da, daß sie täglich millionenfach
Bei unserem Nachbarland wurde als weiterer Ein- übertreten werden.
flußfaktor dieser positiven Entwicklung die Einfüh-
rung der einfachen, handhabbaren und zuverlässi- Im übrigen verstieße die Bestrafung geringster
gen Atemalkoholanalyse hervorgehoben. Nicht von Blutalkoholkonzentrationen gegen das Verfassungs-
ungefähr schlossen sich diesen Kontrollmethoden in- gebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ich denke,
zwischen England, Frankreich, Österreich und wei- die Einnahme von Medizin mit Alkoholanteilen, z. B.
tere Länder an. von Hustensaft, aber auch geringe Restalkoholmen-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1751
Siegfried Scheffler
gen oder der Genuß eines Eisbechers mit Eierlikör Autofahrer ohne jeden Alkohol fahren und daß
bzw. von flambierten Gerichten können doch nicht von den 4 % der Autofahrer, die mit mehr als
dazu führen, daß die Konsumenten zu Kriminellen 0,3 Promille fahren, nur ein ganz geringer Prozent-
gemacht werden. Es sollte nicht eine denkbare Ideal- satz an Unfällen beteiligt ist, weil Gott sei Dank
regelung verordnet werden, sondern der Gesetzge- nicht alle, die mit Alkohol fahren, auch einen Unfall
ber ahndet schuldhaftes, vorwerfbares Fehlverhal- verursachen.
ten.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
Mir persönlich wäre es nach der deutschen Einheit DIE GRÜNEN]: Aber der Anteil der CSU
sehr viel lieber gewesen, wenn wir uns auf eine Sen- Mitglieder ist dabei besonders hoch!) -
kung auf 0,3 Promille verständigt hätten; denn ich
stimme mit denjenigen überein, die bereits ab dieser - Herr Fischer, mit Alkohol sollten Sie nicht so über-
Grenze, die auch noch gut nachweisbar und vertret- mäßig umspringen.
bar ist, eine Verminderung der Fahrtüchtigkeit sehen Von den ca. 521 000 Unfällen mit fahrerischem
und verlangen, daß bei Verkehrsunfällen vom Ge- Fehlverhalten ist bei 93 % - Sie sollten sich die Zah-
setzgeber dieses schuldhafte Verhalten geahndet len ruhig anhören - überhaupt kein Alkohol im Spiel.
wird. Bei den restlichen 7 % sind 0,84 % mit Fahrrädern be-
teiligt, 0,72 mit Motorrädern, und 5,56 % sind Au-
Aber Politik ist auch immer die Suche nach Kom-
tofahrer. Von 521 000 Unfällen werden also insge-
promissen zwischen den verschiedenen Argumenten
samt etwas mehr als 30 000 von Autofahrern unter
der Politiker und Fachexperten sowie den Interessen
Alkoholeinfluß verursacht, von denen wiederum nur
breiter Schichten der Bevölkerung, eben die Kunst
etwa 1 500 - das sind 0,28 % - mit einem Alkoholge-
des Machbaren. Deshalb ist mir dieser Kompromiß
mit 0,5 Promille lieber. halt von 0,5 his 0,8 Promille. Letztere werden fast alle
strafrechtlich behandelt, weil sie als Unfälle mit Al-
Abschließend noch ein Wort zu Europa kohol indiziert werden.
Eine Regelungsbedürftigkeit kann daher nicht als
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Ihre Rede- dringend angemahnt werden, insbesondere schon
zeit ist schon ein Stück überschritten. Ich bitte Sie, deswegen nicht, weil allein die Herabsetzung der
nur noch einen Abschlußsatz zu sagen. Ordnungswidrigkeitengrenze von 0,8 auf 0,5 Promille
die Fahrer und Täter, die mit mehr als 0,8 Promille
fahren, überhaupt nicht berührt und kaum erwartet
Siegfried Scheffler (SPD): Meines Erachtens be- werden kann, daß diejenigen, die bisher mit 0,5 bis
steht in dieser Richtung keinerlei weiterer Hand- 0,8 Promille gefahren sind oder einen Unfall verur-
lungsbedarf; so haben wir es auch im vorigen Jahr im sacht haben, auf Grund dieser Vorschrift weniger
Verkehrs- und im Rechtsausschuß diskutiert. trinken werden. Das ist ein Trugschluß und durch
Sollten die Regierungsparteien erneut die Feder- Holland überhaupt nicht bewiesen.
führung des Rechtsausschusses einfordern, so wäre Um es klarzustellen: Wenn heute die 0,5-Pro-
dies meines Erachtens reine Verzögerungstaktik und mille-Grenze bestünde, würde ich keinesfalls für
in keiner Weise gerechtfertigt, noch dazu, wo dies eine Änderung auf 0,8 Promille plädieren; aber ich
gegen die Stimmen der SPD im Ältestenrat eingefor- sehe auch keinen Anlaß, aus Gründen, die wissen-
dert würde. schaftlich nicht untermauert sind, ein Gesetz zu än-
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. dern. Übrigens wissen die Befürworter selber ganz
genau - die Beispiele aus Polen, der ehemaligen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne DDR und anderen Ländern zeigen es klar -, daß
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN die Herabsetzung von Promillesätzen keine Ergeb-
und der PDS) nisse bringt.
Wir wollen das Alkoholkonsumproblem überhaupt
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem nicht verniedlichen. Wir wollen notfalls auch drasti-
Kollegen Wolfgang Freiherr von Stetten. sche Maßnahmen ergreifen, um vor Alkoholfahrten
abzuschrecken. Dazu gehört - darauf sollten wir uns
in den Ausschüssen sehr schnell einigen -, daß wir
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
verdachtsfreie Alkoholkontrollen durchführen kön-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und
nen und zu diesem Zweck beweiskräftige Atemalko-
Kolleginnen! Wir haben das Thema im letzten Jahr
holanalysen zulassen.
behandelt und einschließlich Anhörung und Debat-
ten ausführlich diskutiert. Zunächst einmal kann ich (Zuruf des Abg. Siegfried Scheffler [SPD])
erfreulicherweise feststellen, daß die Zahl der tödli-
chen Verkehrsunfälle auch im Jahre 1994 zurückge- - Hören Sie doch erst einmal zu! - Gegebenenfalls
gangen ist. Die Behauptung von PDS und BÜNDNIS 90/ muß, was der eine oder andere Verfassungsrechtler
DIE GRÜNEN, daß 50 % dieser tödlichen Unfälle auf fordert, dazu auch das Grundgesetz geändert wer-
das Konto von Alkohol zurückzuführen seien, ist den, weil eine verdachtsfreie Alkoholkontrolle ohne
schlichtweg falsch. Zustimmung letztlich ein Eingriff in die persönliche
Freiheit, gegebenenfalls auch die körperliche Unver-
Ich werde noch auf die Zahlen zurückkommen. Zu- sehrtheit ist. Darüber sollten wir sehr schnell einen
nächst möchte ich darauf hinweisen, daß 96 % der breiten Konsens finden, weil damit die Abschrek-
1752 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten


kung und damit die Wirkung am schnellsten zu errei- deutliche Zahlen, und daran müssen Sie sich hal-
chen sind. ten!

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Horst Kubatschka [SPD]: „Nur 2 000
DIE GRÜNEN]: Machen wir Konsensge Tote"?)
spräche!) Auch im Osten sind die Zahlen nicht anders. Im
Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang - Osten sind es bei 3 000 Toten 23 % alkoholbedingte
im Gegensatz zu Ihnen, Herr Scheffler - deutlich be- Verkehrstote. Es ist doch schlichtweg eine falsche
tonen, wie verantwortungsbewußt der größte Teil der Behauptung, hier von 50 % zu sprechen.
jungen Autofahrer heutzutage z. B. zu Diskotheken -
Meine Damen und Herren, wenn nach der Statistik
hin- und zurückfährt. In den allermeisten Fällen wird - ich sage das in Anführungszeichen, damit Sie sich
von vornherein einer ausgesucht, der fährt und kei- nicht so aufregen müssen - „nur" 60 bis 100 Tote bei
nen Alkohol trinkt. Verkehrsunfällen ums Leben kommen, die mit einem
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Promillegehalt von 0,5 bis 0,8 Promille verursacht
DIE GRÜNEN]: Haschisch!) wurden, dann kann ich nur sagen: Schlimm genug!
Aber nochmals zur Verdeutlichung: 7 900 Menschen
- „Haschisch" ist kein guter Zwischenruf. Den Besitz sterben ohne jeden Zusammenhang mit Alkohol. Das
von Haschisch wollen Sie für straffrei erklären, aber sind doch die Zahlen, die auf dem Tisch liegen, und
Alkohol wollen Sie kriminalisieren. Was Sie da sa- daran sollten Sie sich halten.
gen, ist doch völlig falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege von Stet-
Elke Ferner [SPD]: Nicht beim Autofahren! ten, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Fuhrmann?
DIE GRÜNEN]: Wenn Sie Haschisch rau
chen, müssen Sie nicht Auto fahren!) Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Bitte schön.
- Sie, Herr Fischer, wollen Haschisch doch freigeben,
und die Alkoholgrenze wollen Sie auf 0,0 Promille (Zuruf von der SPD: Für nur 2 900 Säufer!)
setzen. Da ist in Ihrer Weltanschauung doch irgend
etwas schief. - Sie hören nicht zu. Sonst würden Sie einen solchen
Zwischenruf nicht machen.
(Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Wer immer
Bitte schön.
schräg sitzt, der hat auch schiefe Anschau
ungen!)
Arne Fuhrmann (SPD): Würden Sie mir recht ge-
- So scheint es zu sein. ben, daß es sich lohnt und legitim ist, ein Gesetz zu
Wenn es dennoch immer wieder zu schweren Ver- ändern, wenn es damit möglicherweise dazu kommt,
kehrsunfällen jugendlicher Fahrer auch mit tödli-
daß man eine Zahl von 2 400 Toten reduziert bzw. auf
chem Ausgang kommt, dann liegt das oft an man- eine Zahl von 2 350 herunterdrücken kann?
gelnder Fahrpraxis, jugendlichem Leichtsinn, Ge- (Beifall bei der SPD und der PDS)
schwindigkeitsrausch und gegebenenfalls auch Im-
poniergehabe gegenüber Mitfahrern.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
(Siegfried Scheffler [SPD]: Und am Alko Aber selbstverständlich. Nur ist Ihre Illusion, wenn
hol!) wir die Grenze von 0,8 auf 0,5 Promille senken, daß
diejenigen - das sind über 90 % -, die mit über 0,8
- Ich komme auf den Alkohol, Herr Scheffler, warten und 1,0 Promille fahren, deswegen weniger trinken.
Sie es doch ab! - Der Alkohol ist weit weniger im Das Gegenbeispiel haben wir doch in der ehemali-
Spiel als angenommen. gen DDR, in Polen und in Holland. Das ist alles eine
In diesem Zusammenhang die neuesten Zahlen Illusion.
vom Statistischen Bundesamt - dies gilt vor allem für Aber Ach komme zu einem Vorschlag, den wir viel-
die GRÜNEN und die PDS, weil sie falsche Zahlen leicht gemeinsam annehmen können.
auf den Tisch legen -: 1993 gab es insgesamt 9 949
Verkehrstote, davon leider auch etwa 2 700 zwischen
15 und 25 Jahren. Davon war Alkohol nur bei 2 048 Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, die Kolle-
Verkehrstoten ursächlich. Das sind 21 % und nicht, gin Altmann würde ebenfalls gern eine Zwischen-
wie Sie behaupten, 50 %. frage stellen.

(Elke Ferner [SPD]: Das ist doch zynisch, Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Ich
was Sie treiben! - Horst Kubatschka [SPD]: glaube, es reicht jetzt.
„Nur"?)
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Nun hören Sie doch zu! Sie müssen doch erst ein-
mal zuhören, bevor Sie protestieren! Sie behaupten, - Meine Damen und Herren, Sie sollten, wenn Sie
es sind 50 %, und es sind 21 %. Das sind doch ganz Anträge schreiben, nicht falsche Angaben machen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1753
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Ich möchte meine Rede jetzt zum Schluß bringen. gen! Mir wurde gerade noch nachgerufen, ich solle
bei diesem Problem an die Glaubwürdigkeit denken.
(Beifall des Abg. Rezzo Schlauch [BÜND Ich denke, das möchte ich meinem Vorredner auch
NIS 90/DIE GRÜNEN]) einmal ins Stammbuch schreiben. Das, was hier über
- Es ist nett, Herr Schlauch, daß Sie mir Beifall klat- die Alkoholtoten gesagt worden ist nach dem Motto:
schen. Das habe ich mir immer erträumt. sterben müssen wir alle mal, und da ist es wurscht,
wodurch; ist mehr als zynisch gewesen.
Von sehr viel prominenten Polizeibeamten, Rich-
tern und Staatsanwälten und aus eigener Anschau- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
ung mit drei Kindern zwischen 18 und 24 Jahren CSU]: Sie haben nicht zugehört!) -
weiß ich, daß die Einführung des Führerscheins auf
Probe eine außerordentlich heilsame Wirkung auf Sie wissen doch genau, daß es gerade die Jugendli-
junge Fahrer ausgeübt hat. Hier sollten wir - dieses chen sind, die sich an den Wochenenden immer un-
Problem sollten wir ernsthaft miteinander beraten - ter Alkoholeinfluß im Geschwindigkeitsrausch um
überlegen, ob wir nicht für alle, die einen Führer- den „Baum wickeln".
schein auf Probe haben, auf 0,0 Promille mit Toleranz (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
setzen, weil hier von Wissenschaftlern - diese Er- CSU]: So schlimm sind die Jugendlichen
kenntnisse liegen vor, und sie wurden in der Anhö- gar nicht, wie Sie tun!)
rung vorgetragen - in der Tat vermehrt ein Zusam-
menhang mit Unfällen, verursacht durch Alkohol, ge- Genau Ihre Art der Argumentation bekräftigt diese
sehen wird. Professor Krüger von der Universität Haltung noch: Man kann ja Alkohol trinken, ist ja al-
Würzburg und Professor Schöch von der Universität les gar nicht so schlimm.
Göttingen haben in einer Untersuchung überzeu-
gend dargelegt, daß es einen sehr engen Zusammen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
hang zwischen Alter, Dauer des Führerscheinbesit- bei der SPD sowie der Abgeordneten Dr.
zes und Unfällen mit geringen Alkoholwerten gibt. Dagmar Enkelmann [PDS])

Sie erklären dies sehr einleuchtend damit, daß bei Dann auch noch den Vorschlag zu machen, bis 24
der Jugend zu dem vorhandenen Leichtsinn, dem dürfen sie nicht trinken, aber danach kann es losge-
vorhin schon erwähnten Geschwindigkeitsrausch hen, da kann ich einfach nur sagen: Einem Opfer,
und auch dem Imponiergehabe das Ungewohntsein das totgefahren wird, ist es wurscht, ob da ein Junger
zunächst auch nur geringer Alkoholmengen kommt. oder ein Alter sitzt. Alter schützt nun einmal nicht vor
Nach statistischen Unterlagen verdoppeln junge Torheit.
Menschen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren ihren
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
mittleren Alkoholkonsum. Das heißt, hier liegt eine
bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Gewöhnungsphase vor, deren Gefährlichkeit in den
PDS)
ersten Jahren der Fahrerlaubnis durch ein totales Al-
koholverbot entgegengewirkt werden könnte. Ich finde es sehr schade, daß nur noch so wenige
da sind. Die anderen sind wahrscheinlich schon in
Ich habe mit vielen Jugendlichen über dieses Pro-
die Kneipe abgewandert. Aber das sollen sie auch,
blem diskutiert. Sie würden dies nicht als Diskrimi-
solange sie sich hinterher nicht hinter das Steuer set-
nierung oder Sondermaßregelung betrachten, son-
zen.
dern akzeptieren. Wir hätten damit eine Chance,
dort, wo die Gefahr am größten ist, effektiv einzu-
greifen. Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Frau Kolle-
Meine Damen und Herren, wir sollten nun, ohne gin, vielleicht könnten wir den Ton etwas mäßigen -

polemisch zu sein, darangehen, in kurzer Zeit eine


vernünftige Lösung zu finden, damit wir Alkoholkon- Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
trollen ohne Verdacht einführen können und so not- NEN): Ja, Entschuldigung.
falls auch jemanden, der sich nicht bereit erklärt zu
blasen, zur Blutprobe bringen können. Das wäre das
beste Mittel, um dem Problem Alkohol im Verkehr Vizepräsident Hans Klein: und die Rede nicht
-

entgegenzuwirken. darauf abstellen, was Sie verstanden haben wollen,


was ein Vorredner gesagt hat.
Danke schön.
(Beifall des Abgeordneten Ernst Hinsken
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) [CDU/CSU])

Vizepräsident Hans Klein: Jetzt hat die Kollegin


Gila Altmann das Wort. Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich denke, wer etwas trinken möchte, der soll
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ das tun. Es geht hier heute darum, daß sich niemand
DIE GRÜNEN]: Vergiß die Glaubwürdigkeit alkoholisiert ans Steuer setzen sollte.
nicht!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- Das wird nämlich immer zu wenig deutlich gesagt.
1754 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Gila Altmann (Aurich)


In der heutigen Debatte über die Herabsetzung Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der Promillegrenze am Steuer geht es nicht nur um NEN): Da kann ich natürlich die Gegenfrage stellen:
die gesellschaftlich anerkannteste und völlig legali- Welchen Schluß ziehen Sie daraus? Heißt das, wir
sierte Massendroge - das haben wir leider so zur können es sowieso nicht kontrollieren, also saufen
Kenntnis nehmen müssen -, es geht auch um ein bis zum Umfallen und dann Auto fahren? Das kann
Stück Nachlaßverwaltung des halbfertigen Eini- es doch nun wohl auch nicht gewesen sein.
gungsvertrages mit der ehemaligen DDR, wo bislang
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
nur der Grüne Pfeil übriggeblieben ist.
bei der SPD und der PDS - Widerspruch bei
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ der CDU/CSU - Ernst Hinsken [CDU/CSU]:
CSU]: Mit der Nachlaßverwaltung haben Zwecklos!) -
wir genug Sorgen!) Bei uns ist es so, daß ca. die Hälfte der Verkehrsun-
Es wird sich innerhalb dieser Diskussion zeigen, ob fälle auf Alkoholkonsum zurückzuführen ist.
die ostdeutschen Abgeordneten erneut und frak- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
tionsübergreifend von der Winzer- und Hopfenfrak- CSU]: Das ist völlig falsch! Falsche Stati
tion und den Leittrinkern über den Wessitresen gezo- stik!)
gen werden oder nicht.
Ich möchte Ihnen dazu ein paar Zahlen sagen. Es
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ gibt diesen Großversuch von Köln. Den kennen
CSU]: Soviel Unsinn habe ich überhaupt auch Sie. 20 000 Fahrer und Fahrerinnen sind im Re-
noch nicht gehört!) gierungsbezirk Köln kontrolliert worden. Man hat
95 Blutproben genommen, 66 Führerscheine entzo-
Solange die Volksdroge Alkohol in dieser Gesell-
gen, und der höchste Wert lag bei 3,96 Promille. Ich
schaft, unterstützt durch die Werbung und durch sol-
würde sagen: Diesen Wert erreicht man nicht einmal
che Beiträge, mit Lebensgefühl, Glück und Entspan-
hier im Bundestag. Wollen Sie das als Grenzwert
nung assoziiert wird, werden auch die Zahlen der
nehmen?
Verkehrstoten - da kann ich Ihnen einfach nur sa-
gen: jeder einzelne Verkehrstote ist einfach zuviel - (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der
nicht sinken. PDS - Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
[CDU/CSU]: 7 % der Unfälle sind alkohol
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bedingt!)
bei der SPD und bei der PDS)
Meistens sind nämlich die nichtalkoholisierten und
die schwächeren Verkehrsteilnehmer - das sind Fuß-
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Altmann, gänger, das sind Radfahrer, und das sind vor allem
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen auch Kinder, die eben nicht über Stoßstangen, Si-
Hinsken? cherheitsgurte und Airbags verfügen - Opfer dieser
betrunkenen Autofahrer. Alkohol - das möchte ich
Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch einmal sagen - ist kein Stammtischthema.
NEN): Wo ist er denn? - Hier wurde vorhin von Herrn Scheffler gesagt: Bei
(Heiterkeit) 0,5 Promille fangen die ersten Fehleinschätzungen
an.
Na ja, machen Sie mal!
(Siegfried Scheffler [SPD]: Bei 0,3 Promille!)
- Ja, genau, das wollte ich auch sagen. Schon bei
Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr, Herr Kollege.
0,3 Promille gibt es die ersten Fehleinschätzungen.
Insofern muß man ganz klar sagen, daß es da auch zu
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Frau Kollegin, ist Ih- Selbstüberschätzungen kommen kann.
nen bekannt, daß es z. B. in Ungarn die 0,0-Promille- Grundsätzlich: Trunkenheit am Steuer ist und
Grenze gibt und in Polen die 0,2-Promille-Grenze bleibt eine Straftat und wird in dieser Gesellschaft
(Zuruf von der SPD: Und wer hält sich leider immer noch als Kavaliersdelikt aufgefaßt.
daran?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und daß in Ungarn 14,2 % aller Unfälle trotz 0,0-Pro-
mille-Grenze Alkoholunfälle sind und in Polen bei ei- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, Ihre Re-
ner 0,2-Promille-Grenze, wie ich eben sagte, 28 % al- dezeit ist abgelaufen.
ler Verkehrstoten leider Alkoholtote sind? Worauf
führen Sie das zurück? Sind Sie der Meinung, daß Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dann, wenn man diesen Grenzwert auf 0,0 herab- NEN): Es muß endlich unmißverständlich deutlich
setzt, sich aber niemand daran hält, das Problem be- gemacht werden: Alkohol und Auto fahren schließen
wältigt ist? Es ist doch allemal besser, hier schärfer zu sich aus. Ich finde, wir sollten im Bundestag mit
kontrollieren, als etwas zu beschließen, das von den 0,0 Promille anfangen.
meisten Bürgern dann zu guter Letzt nicht eingehal-
ten wird.
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, Ihre Re-
(Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.) dezeit ist lange abgelaufen.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1755

Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - Der Widerspruch aus den Reihen der SPD nötigt
NEN): Die besten Entscheidungen lassen sich in mich jetzt dazu zu sagen, daß ich diesen Satz nicht
nüchternem Zustand treffen. erfunden habe, sondern daß ich ihn wiederholt habe
nach Ihrem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Schar-
Ich muß noch kurz etwas sagen. ping, der im Mai 1994 - das war, vielleicht zufällig,
ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl - in der Zei-
Vizepräsident Hans Klein: Nein, jetzt nichts mehr. tung „Auto und Straßenverkehr" damit durchaus zu-
treffend zitiert wurde.
Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
NEN): Ich habe ein Röhrchen mitgebracht. Zum Pu- -
sten ist alles da. Wer das möchte, dem kann ich das Alle Jahre wieder wird die Diskussion neu ent-
geben. facht, werden neue Antragsnummern über alte Texte
gesetzt und, wie wir gehört haben, findet auch ein
Vielen Dank. gewisses Recycling von Argumenten statt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Meine Damen und Herren, wer den Bürgerinnen
bei der SPD und der PDS) und Bürgern Vorschriften für ihr Verhalten machen
will, muß natürlich nicht nur seine vielleicht wirklich
Vizepräsident Hans Klein: Zu einer Kurzinterven- gutgemeinten Motive vortragen. Er muß vor allem
tion gebe ich das Wort dem Kollegen Horst Friedrich. die Frage beantworten, ob das von ihm vorgeschla-
gene Mittel, also die vom Bürger verlangte Ein-
schränkung, denn zur Erreichung des vorgegebenen
Horst Friedrich (F.D.P.): Herr Präsident! Die Kolle-
Ziels überhaupt geeignet ist. Über das Ziel sind wir
gin Altmann hat in ihrer Rede fälschlicherweise fest-
uns einig: die Zahl der Alkoholfahrten und Unfallop-
gestellt, die Liberalen seien in der Kneipe. Ich bitte,
fer so weit wie möglich zu senken. Jeder Tote im
für das Protokoll festzuhalten, daß deutlich mehr Li-
Straßenverkehr ist einer zuviel, und das natürlich
berale diese Debatte verfolgen, als GRÜNE im Ple-
erst recht, wenn der Unfall auf Alkoholeinfluß zu-
num anwesend sind.
rückzuführen ist.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU -
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Die Frage ist aber, ob eine Verschärfung oder Aus-
DIE GRÜNEN): Ihr habt es auch nötig, die dehnung des Strafrechts wirklich ein geeignetes Mit-
Debatte zu verfolgen, im Gegensatz zu uns! tel ist, die Unfallzahlen zu senken. Wenn allein die
- Heiterkeit bei der SPD und der PDS) Verschärfung strafrechtlicher Normen zu einer
wirksamen Bekämpfung von Verstößen ausreichen
würde, dürfte es die Vielzahl der Verstöße gegen die
Vizepräsident Hans Klein: Kurze Replik, Frau Alt- geltende Promillegrenze gar nicht geben. Ich darf in
mann, bitte. Erinnerung rufen, daß es nach seriösen Schätzungen
eine enorme Dunkelziffer gibt und daß daher auch
Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nur etwa eine von 600 Fahrten unter Alkoholeinfluß,
NEN): Ich wollte dazu nur sagen: Erstens. Man kann aufgedeckt wird. Das Verkehrsordnungswidrigkei-
auch darüber streiten, wer es nötig hat und wer nicht. tenrecht und das Verkehrsstrafrecht haben aber lei-
der nicht einen solchen Einfluß auf das Verhalten der
(Widerspruch bei der CDU/CSU) Verkehrsteilnehmer, wie viele - dazu gehören selbst
Zweitens. Ich habe nicht zwischen den einzelnen Juristen und Politiker - glauben.
Fraktionen unterschieden, sondern ich habe grund- Hinzu kommt: Strafvorschriften, die ins Leere lau-
sätzlich darauf hingewiesen. fen, weil sie nicht ausreichend kontrolliert und
Ich muß dazu hervorheben: Auch in meiner Frak- durchgesetzt werden, nutzen niemandem und ma-
tion wird dieses Thema unterschiedlich gesehen. chen den Gesetzgeber letztlich unglaubwürdig.
Aber wir haben eine Grundsatzentscheidung. (Elke Ferner [SPD]: Dann müssen Sie die
(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Atemalkoholanalyse einführen!)
Ja, ja.) Wer glaubt, ein Problem gelöst zu haben, hat es in
Wirklichkeit nur auf eine andere Ebene verschoben.
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
lege Heinz Lanfermann.
Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol-
(Elke Ferner [SPD]: Warum nicht der Kol lege, ich muß für einen Moment unterbrechen. - Die
lege Kleinert?) kleine Regierungskonferenz ist jetzt beendet, und
am Ausgang neigt sich die Gesprächsrunde hoffent-
lich dem Ende zu.
Heinz Lanfermann (F.D.P.): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! „Zur Promillegrenze kann ich Bitte, fahren Sie fort.
sagen: Die gegenwärtig bestehenden Regelungen
halte ich für absolut angemessen."
Heinz Lanfermann (F.D.P.): Ich hoffe, daß die Uhr
(Elke Ferner [SPD]: Das glaube ich Ihnen nur für mich weitergelaufen ist, aber nicht für die
gern!) Zählung der Minuten meiner Redezeit.
1756 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Heinz Lanfermann
Meine Damen und Herren, der Kollege von Stetten Es ist also keineswegs so, daß jeder sorglos bis zu
hat hier schon eine Reihe von Zahlen gebracht, so 0,8 Promille trinken dürfte, ohne daß ihm dafür eine
daß ich mich nur noch auf einen Punkt beschränken strafrechtliche Verfolgung drohte.
möchte. Nach der Unfallstatistik liegen die alkohol-
(Elke Ferner [SPD]: Aber die Schwarzfahrer
bedingten Unfälle weitaus überwiegend oberhalb
wollen Sie weiterhin strafrechtlich verfol
der 0,8-Promille-Grenze, 90 % bei mehr als
1,1 Promille und sogar mehr als die Hälfte bei über gen!)
1,5 Promille. Sie müssen, wenn Sie solche Anträge Meine Damen und Herren, jedem Verkehrsteilneh-
stellen, ehrlich dazusagen, daß eine Senkung unter- mer sollte die erhöhte Gefährlichkeit einer jeden
halb dieses Bereichs, nämlich von 0,8 auf 0,5 Promille, auch nur leicht alkoholisierten Autofahrt bereits
die eigentliche Problemzone gar nicht berührt, in die- heute bewußt sein. Dieses Bewußtsein der Bürger zu -
sem Sinne das Gewünschte auch nicht bewirken schärfen ist der entscheidende Beitrag für eine hö-
kann. here Verkehrssicherheit.

Untersuchungen, z. B. der Professoren Krüger und


Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Ihre Rede-
Schöch, haben gezeigt, daß im Bereich zwischen 0,3
zeit ist abgelaufen.
und 0,5 Promille eine gewisse Konsumsperre liegt,
die regelmäßig von vielen nicht überschritten wird,
daß aber diejenigen, die die Grenze von 0,5 Promille Heinz Lanfermann (F.D.P.): Ich fürchte, meine Rede
überschreiten, sicherlich nicht vor der 0,8-Promille- war durch Störungen etwas beeinflußt. - Dann will
grenze haltmachen. ich zum Schluß kommen.
Wenn dies nicht hilft, muß der Staat zu anderen
(Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Fehlein Mitteln greifen. Aber das geeignete Mittel ist nicht
schätzung!) die Absenkung der Promillegrenze, sondern sind er-
heblich verbesserte und effektivere Kontrollen, wo-
Meine Damen und Herren, ich habe eines vermißt. bei die Atemalkoholanalyse natürlich von großer Be-
Sie haben hier einen Antrag gestellt, der eine Ord-
deutung ist, weil sie viel leichter einführbar ist.
nungswidrigkeits- und letztlich auch eine Straf-
rechtsnorm verändern soll. Ich habe aber kein Wort (Elke Ferner [SPD]: Auch dazu müssen Sie
über die Systematik gehört, die es in unserem Gesetz das Gesetz ändern!)
gibt. Sie haben an der Sache, nämlich an der rechtli-
Hierzu haben meine Vorredner einiges gesagt.
chen Änderung, ganz einfach vorbeiargumentiert.
Ich möchte entgegen dem Eindruck, der hier erweckt
worden ist, noch einmal ganz klar feststellen: Die Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege!
0,8-Promille-Grenze ist keine staatliche Erlaubnis für
Trunkenheitsfahrten. Heinz Lanfermann (F.D.P.): Gestatten Sie mir noch
einen letzten Satz, Herr Präsident. Ich will darauf
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - hinweisen, daß es insbesondere die Länder sind, die
Joachim Hörster [CDU/CSU]: So ist es! Das durch eine notwendige Personal- und Sachausstat-
wissen sie aber nicht!) tung der Polizei dazu einen Beitrag leisten müssen.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
ein wohl durchdachtes Sanktionssystem, das die
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der
notwendigen festen Grenzen für Strafbarkeit und
CDU/CSU)
Ordnungswidrigkeit von 1,3 und 0,8 Promille mit
einer Strafandrohung für tatsächlich vorliegende
Fahruntüchtigkeit unabhängig von dem konkreten Vizepräsident Hans Klein: Wenn wir so knapp be-
Meßwert an Blutalkohol kombiniert. Dabei ist die messene Debattenzeiten haben, dann ist der amtie-
hier angesprochene 0,8-Promille-Grenze lediglich rende Präsident natürlich gehalten, besonders streng
der absolute und in jedem Fall geltende Grenzwert, auf die Einhaltung der Redezeit zu achten. Ich bitte
selbst wenn keinerlei Anzeichen für einen Alkohol- darum, bei dem Hinweis „die Redezeit ist abgelau-
einfluß auf die Steuerungsfähigkeit objektiv fest- fen" nur noch einen Satz zu sagen und nicht eine Mi-
stellbar ist. nute weiterzureden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Aber bereits jetzt, bei der geltenden Rechtslage,
wird jeder Fahrer bestraft, der mit einer Alkoholkon- Ich erteile der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das
zentration selbst von z. B. nur 0,3 Promille alkoholbe- Wort.
dingte Auffälligkeiten im Straßenverkehr zeigt, ins- (Zuruf von der CDU/CSU)
besondere natürlich wenn er auch nur am leichtesten
Unfall beteiligt ist. Selbst bei Fahrten über Rotlicht Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Sie müssen mich
gehen die Gerichte davon aus, daß dieser Steue- schon noch ertragen. - Meine angeschlagene
rungsfehler auf den Alkoholeinfluß zurückzuführen Stimme ist übrigens keine Säuferstimme.
ist, zum großen Erstaunen mancher Fahrer, die da-
von betroffen sind. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ge-
stehe: Wir haben Gott sei Dank noch rechtzeitig ge-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) merkt, daß uns beim Abschreiben des Antrags ein
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1757
Dr. Dagmar Enkelmann
Fehler unterlaufen ist, und haben einen neuen Ent- Es geht hier um die Formulierung eines Gebots im
wurf vorgelegt. Leider haben die Kolleginnen und Straßenverkehr. Es geht nicht allein um die rechtli-
Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unseren che Würdigung dieses Problems. Genau von dieser
Fehler übernommen. Entwicklung des Bewußtseins sind wir meilenweit
entfernt. Alkohol am Steuer gilt - ganz besonders un-
Ich stelle hier also ganz deutlich fest: Wir gehen ter Männern - noch immer als Kavaliersdelikt, als et-
noch nicht davon aus, daß allein schon Autofahren, was, das schon mal vorkommen kann, wenn nach
egal ob mit oder ohne Alkohol, eine Ordnungswid- den drei, vier Bierchen die Selbstüberschätzung ein-
rigkeit darstellen sollte. setzt und vor der Kneipentür die geballten Pferde-
stärken warten. -
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/
CSU]: Noch! Wie lange noch?)
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, bitte.
- Ich habe ja gesagt: „noch".

Ich hoffe, daß es den vorliegenden Anträgen zur Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Ich bin gleich fertig.
Senkung der Promillegrenze im Straßenverkehr nicht
so ergeht wie in der letzten Legislaturperiode, als de- Es ist allerdings auch tatsächlich ein Kavaliersde-
ren Behandlung mit fadenscheinigen Argumenten likt; denn nachgewiesenermaßen sind Männer am
von seiten der Regierungskoalition über mehrere Lenkrad aggressiver und rücksichtloser als Frauen.
Jahre verschleppt wurde, was aus Ihrer Sicht, meine Ich meine, daß hier im Gegensatz zum Schwarzfah-
Damen und Herren von der Koalition, durchaus zu ren ein wirklicher Handlungsbedarf besteht.
verstehen ist; denn Sie wissen genau, daß Sie sich in
einer Minderheitsposition befinden, in einer gesell- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
schaftlichen Minderheit auf jeden Fall - die Zahlen (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne
sind hier angesprochen worden -, und wahrschein- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
lich befürchten Sie wegen der Dissidentinnen und GRÜNEN )
Dissidenten in Ihren eigenen Reihen auch eine Nie-
derlage hier im Parlament. Ich schätze, da hat der
Kollege Schäuble wohl noch ein hartes Stück Arbeit Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus-
zu leisten. sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlagen auf den Drucksachen 13/422, 13/612 (neu)
Im Jahre 1993 ging - Herr von Stetten, wir müssen und 13/694 an die in der Tagesordnung aufgeführten
vielleicht mal unsere Quellen überprüfen; ich habe Ausschüsse vorgeschlagen.
nämlich andere Zahlen als Sie - die Hälfte aller Ver-
kehrstoten, nämlich 4 956 von 9 913 Unfallopfern, auf Die Federführung ist jedoch strittig: Die Fraktion
das Konto von Alkohol am Steuer. Die wenigsten Op- der SPD wünscht die Federführung beim Ausschuß
fer waren tatsächlich die Schuldigen. Das sollte man für Verkehr, die Fraktionen der CDU/CSU und der
dabei immer bedenken. F.D.P. beim Rechtsausschuß. Wer stimmt für den
Überweisungsvorschlag der SPD? - Gegenprobe! -
Bei Unfällen mit Personenschaden verläuft der Un- Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist ab-
fall unter Beteiligung einer alkoholisierten Person gelehnt.
deutlich schwerer als mit einer nüchternen.
Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der
Ich denke, daß allein diese Zahlen ausreichende Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.? - Wer
Argumente dafür sind, daß in der Frage Alkohol am stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Steuer dringender Handlungsbedarf besteht Der Überweisungsvorschlag ist angenommen.

(Beifall bei der PDS)


Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
und daß es in Sachen Promillegrenze keine Kompro-
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
misse geben darf. Egal, ob 0,3 oder 0,5: Jeder Grenz-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
wert ist willkürlich, stellt aber grundsätzlich einen
Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem
Freibrief für alkoholisiertes Fahren dar. Das belegt
internationalen Strafgerichtshof für das ehe-
unter anderem das drastische Ansteigen der Zahl al-
malige Jugoslawien (Jugoslawien-Strafge-
koholbedingter Unfälle in den neuen Bundeslän-
richtshof-Gesetz)
dern nach dem Wegfall der 0,0-Promille-Regelung.
Bei nicht wenigen war das das Signal: Endlich dürfen - Drucksachen 13/57, 13/207 -
wir trinken und fahren. Wieviel menschliches Leid
hat das gebracht? Auch daran sollten wir denken. (Erste Beratung 9. Sitzung)

Um nicht mißverstanden zu werden: Die PDS ist Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts-
keine Partei der Askese oder der Blaukreuzler, und ausschusses (6. Ausschuß)
unser Pressesprecher ist nicht gerade ein Beleg für
- Drucksache 13/716 -
unsere Forderung. Dennoch: Nur ein klares Votum
für 0,0 Promille kann zum Bewußtsein beitragen, daß Berichterstattung:
sich Alkoholkonsum und das Führen eines Kraftfahr- Abgeordnete Norbert Röttgen
zeugs grundsätzlich ausschließen müssen. Dr. Jürgen Meyer (Ulm)
1758 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Vizepräsident Hans Klein


Darf ich Sie bitten, den Saal ein bißchen rascher zu sion sehen. Es geht um nichts anderes als um die
verlassen, damit wir mit der Beratung der Tagesord- Durchsetzung elementarer Regeln der internationa-
nung, die sich ohnehin schon um zweieinhalb Stun- len Gemeinschaft. Es geht darum, absolute Mindest-
den verzögert hat, fortfahren können. standards der Humanität durchzusetzen.

Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt ein Ände- Meine Damen und Herren, die kardinale Schwä-
rungsantrag der Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch, che des Völkerrechts war doch immer, daß es an ei-
Hans-Dietrich Genscher, Cornelia Schmalz-Jacob- nem wirksamen Sanktionsinstrumentarium gefehlt
sen, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig und Dr. Max Stadler hat. Es hat nicht an gutem Willen oder an materiel-
vor. lem Recht gefehlt. Es hat vielmehr gefehlt und fehlt
-
an Institutionen und Sanktionen. Es hat an der
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Durchsetzung des materiellen Rechts gefehlt. Darum
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Da- ist die Errichtung dieses Jugoslawien-Strafgerichts-
gegen erhebt sich offenkundig kein Widerspruch. hofs ein ganz bedeutender Schritt für eine Verände-
Dann ist das so beschlossen. rung, für eine Verbesserung unserer politischen in-
ternationalen Ordnung.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Norbert Röttgen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
ordneten der F.D.P.)
Norbert Röttgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Diese grundsätzlich positive Feststellung aber be-
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ge- deutet natürlich nicht, daß wir diese Resolution des
setzentwurf der Bundesregierung beinhaltet die Um- UNO-Sicherheitsrats und auch das deutsche Umset-
setzung einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates zungsgesetz unkritisch betrachten. Das kann es bei
aus dem Jahre 1993. Der Sicherheitsrat hat darin be- aller positiven Feststellung und Bewertung dieser
schlossen, einen internationalen Strafgerichtshof zur Entwicklung ganz sicher nicht heißen. Es geht unter
Verfolgung von Personen zu errichten, denen anderem und in besonderer Weise darum, daß auch
schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht die sich nun in der Entwicklung befindende interna-
im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zur Last ge- tionale Strafjustiz in der gesamten Bandbreite der
legt werden. Verfahren von der Ermittlung bis hin zur Vollstrek-
kung den Grundsätzen entspricht, die wir an ein
Ich glaube, wir sollten diese Debatte über die Er-
rechtsstaatliches Verfahren stellen.
richtung dieses Gerichtshofes dazu nutzen, um uns
zu vergegenwärtigen, daß hiermit seit den Kriegsver
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sind der
brecherprozessen in Nürnberg und Tokio erstmalig
Auffassung, daß die Errichtung des Jugoslawien-
wieder ein internationaler Strafgerichtshof errichtet
Strafgerichtshofes diesen rechtsstaatlichen Anforde-
wird. Damit kommt der Errichtung eines solchen Ge-
rungen gerecht wird, wenngleich sich dies natürlich,
richtes eine besondere Bedeutung zu; denn die Er-
wie ich bereits festgestellt habe, insgesamt noch in
richtung dieses Gerichtes bringt in besonderer Weise
der Entwicklung befindet und die einzelnen Instru-
die Umbruchphase zum Ausdruck, in der wir uns be-
mente noch entwicklungsfähig sind.
finden, die Umbruchphase in der politischen Welt-
ordnung, übrigens mitsamt ihrer Ambivalenz.
Ich möchte feststellen: Die Todesstrafe wird ausge-
Zum einen gab es in der Zeit des Ost-West-Konflik- schlossen. Der Grundsatz „ne bis in idem" ist veran-
tes keinen Krieg in Europa. Jetzt gibt es ihn. Er wird kert. Ausgeschlossen ist auch ein Verfahren gegen
mit barbarischen Methoden und mit einer Grausam- Abwesende. Grundlegende rechtsstaatliche Garan-
keit geführt, die sich Menschen wie ich z. B., die tien sind also festgehalten.
diese Realität nicht erlebt haben, wohl gar nicht vor-
stellen können. Ich möchte auf einen besonderen Gesichtspunkt
eingehen, der mit dem strafrechtlichen Legalitäts-
Auf der anderen Seite war die Weltgemeinschaft in grundsatz zusammenhängt: In dem Statut, das hier-
der Zeit des Ost-West-Konfliktes nicht in der Lage, für maßgeblich ist, sind keine konkreten Strafandro-
sich auf die Errichtung eines solchen internationalen hungen fixiert. Wie bereits gesagt, ist der Ausschluß
Strafgerichtshofs und einer solchen Strafgerichtsbar- der Todesstrafe festgestellt. Im übrigen aber gilt: Die
keit zu verständigen. Insofern ist die Erkenntnis wohl Sanktion ist Freiheitsstrafe.
richtig: Unsere Weltordnung ist instabiler geworden.
Aber diese Instabilität bringt auch die Chance mit Nun könnte man überlegen: Ist das zu unbe-
sich, eine neue und auch eine gerechtere Weltord- stimmt? Ich hin der Auffassung, daß dies letztlich
nung als die alte, stabile des Ost-West-Konflikts zu nicht zu beanstanden ist. Zum einen ist es sowohl im
schaffen. Völkergewohnheitsrecht als auch im Vertragsrecht
üblich, keine konkreten Strafen anzudrohen; es ent-
In Beziehung dazu sehe ich auch die Errichtung spricht also dem, was völkerrechtlicher Standard ist.
des internationalen Strafgerichtshofs für das ehema- Zum anderen möchte ich feststellen: Bei der Verwerf-
lige Jugoslawien. Ich halte die Errichtung dieses Ge- lichkeit und dem Ausmaß der Verwerflichkeit der
richtes für ein Element dieser neuen, gerechteren Straftaten im ehemaligen Jugoslawien, um die es
Weltordnung, einer neuen Weltfriedensordnung. Ich hier geht - gröbste Delikte wie Völkermord und an-
glaube, wir müssen dieses Gesetz in dieser Dimen- deres - kann offenkundig nur eine Freiheitsstrafe in
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstau, den 9. März 1995 1759

Norbert Röttgen
Betracht kommten deren angemessene Höhe dann in und ähnlichen Tatbeständen sehr punktuell greifen-
das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Wir sind der des Gesetz. Ich glaube, daß es eine ausreichende
Auffassung, daß hier keine durchgreifenden Beden- Klarstellung ist, wenn wir dies in die Begründung
ken bestehen. aufnehmen. Die Rechtslage ist eindeutig.

Ich möchte auf einen letzten Gesichtspunkt einge- Zur Sachfrage als solcher möchte ich bemerken:
hen, der natürlich ein sehr zentraler und wichtiger Sie ist damit nicht geklärt. Wir haben im Rechtsaus-
ist. Er betrifft die Frage der Überstellung der Perso- schuß mit der gleichen Einmütigkeit festgestellt, daß
nen, gegen die sich der Verdacht richtet, an einer sol- wir die Frage, die davon zu trennen ist, ob wir die
chen Straftat beteiligt gewesen zu sein, oder auch die Möglichkeit eröffnen wollen, deutsche Staatsangehö- -
Überstellung an ein Land zur Vollstreckung. Sowohl rige zu überstellen, ob wir also die Verfassung än-
in der Resolution als auch in dem Umsetzungsgesetz, dern wollen - das ist die Voraussetzung dafür -, bei
dort in § 3, ist fixiert, daß die Überstellung möglich diesem Gesetzentwurf nicht debattieren wollen. Wir
ist. wollen das separat erörtern. Das ist sicherlich eine
Diskussion, die man sehr sorgfältig, sehr abwägend
Ich möchte auch an dieser Stelle, hier im Deut- führen muß. Das wollen wir mit dieser aktuellen De-
schen Bundestag, feststellen, daß nach Art. 16 Abs. 2 batte nicht vermischen. Wir sind zu einer separaten
des Grundgesetzes die Bestimmung der Überstel- sachlichen Diskussion darüber bereit, ob in diesem
lung nicht auf deutsche Staatsangehörige anwend- Punkt eine Verfassungsänderung durchgeführt wer-
bar ist; das ist ganz wichtig. § 3 dieses Gesetzes ist den soll.
also im Zusammenhang mit Art. 16 Abs. 2 des
Grundgesetzes zu sehen. Aus dieser verfassungs- Insgesamt möchte ich abschließend feststellen: Die
rechtlichen Bestimmung folgt unmittelbar, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der Auffassung,
Überstellung Deutscher ausgeschlossen ist. Daß die- daß dieser Gesetzentwurf politisch nachdrücklich zu
ses Gesetz, auch das Umsetzungsgesetz, nicht auf begrüßen ist und durchgreifende rechtliche, auch
Deutsche anwendbar ist, bedeutet ein unmittelbares, rechtsstaatliche Bedenken nicht bestehen. Wir ma-
verfassungsrechtliches Verbot der Auslieferung, hier chen mit der Errichtung dieses Gerichts einen großen
konkret der Überstellung. weltpolitischen Fortschritt. Ich glaube, es ist nicht
vermessen, das so zu formulieren.
Wir haben im Rechtsausschuß sehr intensiv disku-
Danke sehr.
tiert, ob diese Verfassungsrechtslage sozusagen de-
klaratorisch Aufnahme in das Umsetzungsgesetz fin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge
den soll. Es wurde konkret folgende Formulierung ordneten der F.D.P.)
vorgeschlagen: „Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes
bleibt unberührt." Diese Formulierung haben wir auf
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Professor
Anregung der F.D.P. intensiv erörtert.
Dr. Jürgen Meyer, Sie haben das Wort.
Wir sind nach dieser intensiven Diskussion einhel-
lig zu der Überzeugung gekommen, daß wir von die- Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Präsident!
sem Formulierungsvorschlag Abstand nehmen soll- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin mit
ten, und zwar deshalb, weil es eine völlige Selbstver- meinem Vorredner der Auffassung, daß die heute an-
ständlichkeit ist, daß das einfache Gesetz nicht ge- stehende Verabschiedung des Jugoslawien-Strafge-
eignet ist, die Verfassung zu ändern. Darum wollen richtshof-Gesetzes ein nicht unwichtiger Meilenstein
wir diese Feststellung auch nicht in das einfache Ge- auf dein Weg zur Weiterentwicklung des internatio-
setz aufnehmen. Wir halten es nicht für eine gute Ge- nalen Strafrechts ist. Nach Jahrzehnten erfolglosen
setzgebungstechnik, zu sagen: Ein einfaches Gesetz Bemühens gelingt es nun erstmals, für genau aufge-
verändert die Verfassung nicht. Das ist eine völlige führte schwerste Verbrechen einen internationalen
Selbstverständlichkeit. Aus der Zusammenschau des Strafgerichtshof einzurichten, der für Verbrechen,
einfachen Rechtes und des Verfassungsrechtes ergibt begangen in einem bestimmten Zeitraum in einem
sich die klare und eindeutige Rechtslage: Deutsche bestimmten Territorium, nämlich seit 1991 im ehema-
werden nicht ausgeliefert und auch nicht überstellt. ligen Jugoslawien, zuständig sein soll.
Wir haben, glaube ich, einen guten Kompromiß für Dies ist ein beachtlicher Fortschritt für den Gedan-
dieses Problem gefunden. ken des Völkerstrafrechts. Wir erfüllen damit einen
Teil der völkerrechtlichen Verpflichtung aus Kapitel VII
(Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. der Charta der Vereinten Nationen. Aber dieses Ge-
Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]) setz ist nur ein erster Schritt zur Unterstützung des
internationalen Gerichtshofes.
Wir haben nämlich gesagt: Wir nehmen das in die
Begründung des Gesetzes auf, so daß ausdrücklich (Beifall bei der SPD)
festgestellt wird, daß der Deutsche Bundestag dieses
Problem gesehen hat. Nach geltendem deutschen Verfassungsrecht dür-
fen nämlich nur ausländische, nicht aber deutsche
Ich möchte eine letzte Bemerkung dazu machen. Angeklagte an den Gerichtshof überstellt werden.
Dies ist ein Gesetz, das nicht in breiten Bevölke- Ein vom Generalbundesanwalt wegen schwerster
rungskreisen Anwendung findet, so daß man sagen Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien angeklagter
könnte: Hier besteht ein besonderer Informationsbe- Beschuldigter wird demnächst nur deshalb in Den
darf, wie die Rechtslage ist. Es ist ein bei Völkermord Haag zur Rechenschaft gezogen werden können,
1760 Deutscher Bundestag - 13, Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


weil er serbischer Staatsangehöriger ist. Es kann zung der Gegenseitigkeit. Das heißt, wir müßten
aber nach unserer Auffassung und auch nach der auch bereit sein, deutsche Staatsangehörige zur Ver-
Auffassung des Bundesrates nicht hingenommen handlung vor einem amerikanischen Gericht auszu-
werden, daß sich deutsche Söldner, die im ehemali- liefern. Dem steht jedoch die Verfassung entgegen.
gen Jugoslawien Mord, Folter, Vergewaltigung oder
andere Verbrechen begangen haben sollen, oder Rü- Das ist ein Problem, das sich in einer Vielzahl von
stungsexporteure, die sich am Völkermord beteiligt Fällen in den vergangenen Jahrzehnten gestellt hat
haben, nicht vor diesem Gerichtshof verantworten und über das wir nachdenken müssen.
müssen. Eine Lösung könnte darin bestehen, den Art. 16
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Abs. 2 des Grundgesetzes drastisch einzuschränken. -
ten der PDS) Eine andere aber - dafür habe ich immer wieder plä-
diert - könnte darin bestehen, unter den zivilisierten
Deshalb ist zu begrüßen, daß der Rechtsausschuß Staaten der Welt den Grundsatz der stellvertreten-
dem Wunsch der SPD und des Bundesrates zuge- den Strafrechtspflege durchzusetzen.
stimmt hat, über eine Änderung des Verbotes der
(Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Und wer ist zi
Auslieferung und der Überstellung von deutschen
vilisiert?)
Staatsangehörigen weiterzuberaten, um die völker-
rechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Das würde bedeuten, daß beispielsweise die USA in
Deutschland auch insoweit erfüllen zu können. Der Erweiterung des Territorialitätsprinzips bereit wären,
Internationale Strafgerichtshof darf keine Sonderein- eigene Staatsangehörige, aber auch andere Straftä-
richtung nur für ausländische Straftäter sein. Es han- ter, die in den USA festgenommen werden, vor Ge-
delt sich also um einen unvo llkommenen Schritt, den richt zu stellen, gegebenenfalls abzuurteilen, und
wir heute tun. dieses Urteil - Prinzip der stellvertretenden Straf-
rechtspflege - dann von anderen zivilisierten Staaten
Wir Sozialdemokraten wollen ebenso wie der Bun-
- selbstverständlich auch von der Bundesrepublik -
desrat, daß durch ein weiteres, verfassungsändern-
anerkannt würde. Das ist die andere Möglichkeit,
des Gesetz möglich gemacht wird, daß deutsche
und darüber müssen wir nachdenken.
Staatsangehörige, die schwerste Verbrechen im ehe-
maligen Jugoslawien begangen haben, an den Inter- (Dr. Burkhard hirsch [F.D.P.]: Und wer ent
nationalen Strafgerichtshof überstellt werden und scheidet, wer zivilisiert ist?)
sich vor diesem Gericht verantworten müssen.
- Das ist eine Frage der Geltung rechtsstaatlicher
Die Problematik wird sehr schwierig, wenn es an Grundsätze. Ich nehme an, die Länder, die ich ge-
die verfassungsrechtliche Umsetzung geht. Deshalb nannt habe, Herr Kollege Hirsch, sind doch über je-
ist es sicher klug, daß wir im Rechtsausschuß gesagt den Zweifel erhaben.
haben: Wir wollen dieses gesondert beraten.
(Rainer Funke [F.D.P.]: Nein!)
Da stellt sich z. B. die grundsätzliche Frage, ob und
inwieweit das Auslieferungsverbot nach Art. 16 - Ja, Herr Kollege Lanfermann, dann müssen Sie
Abs. 2 des Grundgesetzes für deutsche Staatsange- auch Roß und Reiter nennen, wenn Sie anderer Auf-
hörige noch zeitgemäß ist. Sicher gilt weiterhin der fassung sind.
Grundgedanke, daß deutsche Staatsangehörige dem (Beifall bei der SPD - Heinz Lanfermann
Staat gegenüber eine Loyalitätsverpflichtung haben [F.D.P.]: Ich war das gar nicht, Herr Kollege
und deshalb auch einen Schutzanspruch gegenüber Meyer!)
dem Staat haben. Aber ich frage: Steckt hinter dem
absoluten Auslieferungsverbot nicht auch so etwas - Ich nehme Ihre Rücknahme gern entgegen.
wie Mißtrauen gegenüber fremden Justizorganen?
(Heinz Lanfermann [F.D.P.]: Nein, keine
Ich weise auf die ganz erheblichen Probleme hin, Rücknahme! Ich war es nicht! - Heiterkeit)
die es im Rechtshilfeverkehr etwa zwischen der Bun- - Dann sagen Sie, was Sie nicht waren, und ich
desrepublik und den Ländern des angloamerikani-
werde Ihnen sagen, was daran verkehrt gewesen ist.
schen Rechtskreises gibt. Beispielsweise kann ein
amerikanischer Tourist oder früherer Besatzungssol- (Erneute Heiterkeit)
dat, der in der Bundesrepublik eine schwere Straftat
begangen hat und nicht verhaftet werden konnte In unserem Zusammenhang geht es aber um einen
und in seine Heimat zurückgekehrt ist, für diese zunächst einmal kleineren Schritt, nämlich die Mög-
schwere Straftat bisher nicht zur Rechenschaft gezo- lichkeit, durch eine Modifizierung des Ausliefe-
gen werden. rungsverbots dafür zu sorgen, daß auch deutsche
Söldner - ich nannte die Fallgruppe - dem Internatio-
Warum? In den USA und in anderen Ländern des nalen Gerichtshof in Den Haag überstellt werden
angloamerikanischen Rechtskreises gilt das Territo- können. Natürlich geht es bei dem, was die F.D.P.
rialitätsprinzip, d. h. die amerikanische Strafgewalt vorschlägt, nicht darum, daß sie straffrei bleiben sol-
gilt nur für Taten, die auf amerikanischem Territo- len. Aber ist es denn, frage ich Sie, überzeugend,
rium begangen worden sind. Deshalb sind die USA ausländische Kriegsverbrecher dem Gericht in Den
bereit, auch eigene Staatsangehörige an andere Haag zu überstellen und deutsche Staatsangehörige,
Staaten - in meinem Beispielfall an die Bundesrepu- die dieselben Taten begangen haben, der Verhand-
blik - auszuliefern, allerdings unter der Vorausset- lung eines Provinzgerichts ohne gleiche Sachkennt-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1761

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


nis und Kompetenz zu überantworten? Ist es eigent- aber ist, daß Sie damit eine Weichenstellung versu-
lich überzeugend, deutsche Richter an einem inter- chen - bitte, fühlen Sie sich da durchschaut! -,
nationalen Strafgericht über ausländische Staatsan- (Heiterkeit)
gehörige richten zu lassen, nicht aber über deut-
sche? den zweiten Schritt, den ich vorhin als notwendig er-
(Beifall bei der SPD) läutert habe, auf Dauer zu unterlassen. Sie wollen,
daß Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes, was deutsche
Staatsangehörige angeht, unberührt - also unverän-
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Meyer, ge- dert - bleibt. Und wir wollen - es ist die Mehrheit im
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirsch? Rechtsausschuß, die das will - genau darüber sehr in-
tensiv und aufgeschlossen weiterverhandeln. Ihnen
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Ja, bitte. fehlt die notwendige Aufgeschlossenheit.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Verehrter Herr Kol-
Meine sehr geehrten Damen und Herren, solange
lege, nun verstehe ich Sie überhaupt nicht mehr. Ist
das Auslieferungsverbot unserer Verfassung nicht für
es denn nicht so, daß Sie mit dem Gesetzentwurf,
die Verfahren des Internationalen Strafgerichtshofes
den Sie hier beschließen wollen, auch nach Ihrer ei-
modifiziert ist, haben wir unsere völkerrechtliche
genen Aussage genau das beschließen, was Sie zu
Verpflichtung aus Kapitel VII der Charta der Verein-
beklagen vorgeben? Denn Sie ändern ja, wie Sie vor-
ten Nationen nicht erfüllt. Das Zusammenwachsen
hin ausgeführt haben, doch mit diesem Gesetz auch
der Staaten auch in Europa ist nach unserer Überzeu-
nicht die Verfassung. Das heißt, daß auch mit dem
gung nur auf dem Weg der Kompetenzübertragung
Gesetzesbeschluß, den Sie hier vertreten, die Folge
möglich, also auch auf dem Weg der Übertragung
eintritt, die Sie gar nicht haben wollen. Sie müßten
von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrich-
doch dann die Verfassung ausdrücklich ändern.
tungen, wie sie in Art. 24 Abs. 1 des Grundgesetzes
Oder wie sehe ich das?
ausdrücklich vorgesehen ist. Und das ist keine Auf-
gabe rechtsstaatlicher Grundsätze, sondern eine
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Herr Kollege Frage des Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit zwi-
Hirsch, Ihre Frage ist nur scheinbar scharfsinnig; schenstaatlicher oder supranationaler Organe. Ich
fordere Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
(Heiterkeit) der F.D.P., also auf: Lassen Sie ab von national-libera-
lem Denken und verabschieden Sie sich von einem
denn ich habe vorhin ausgeführt - gestatten Sie mir,
überholten Souveränitätsdenken! Darum geht es
es zu wiederholen -, daß wir dieses Gesetz nur als
doch beim Zusammenwachsen innerhalb Europas.
ersten Schritt ansehen und daß wir als sozialdemo-
kratische Bundestagsfraktion gemeinsam mit dem (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch
Bundesrat den zweiten Schritt einer Modifizierung heute nicht das Thema!)
des absoluten Auslieferungsverbots einfach auch
Der Internationale Strafgerichtshof ist ein wichti-
deshalb für notwendig halten, weil dieses eine völ-
ges Instrument auf dem Weg zu einer europäischen
kerrechtliche Verpflichtung aus der UN-Charta ist,
Friedensordnung. Wenn Sie das Recht mit uns als ein
über die wir uns nicht einfach hinwegsetzen können.
nicht unwesentliches Mittel zur Herstellung von
Und jetzt will ich Ihnen in meiner Antwort auch Frieden sehen - mit Justinian: „opus iustitiae pax" -,
gleich sagen, warum ich Sie überhaupt nicht ver- dann sollten Sie den Gesetzen zur Einrichtung einer
stehe. internationalen Strafgerichtsbarkeit mit uns zustim-
men, und zwar nicht halbherzig, sondern indem Sie
(Erneute Heiterkeit) die heute noch offenen Fragen mit uns einer baldi-
Sie haben doch in Ihrem Änderungsantrag den Vor- gen Lösung zuführen.
schlag gemacht Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Den ich noch (Beifall bei der SPD)
begründen werde!)
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
- den Sie sicherlich schön begründen könnten, wenn lege Gerald Häfner.
Sie auf der Rednerliste stünden
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr
(Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Ich tue das!) Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir re-
den in diesem Hause gerade in diesen Tagen beson-
- sehr gut -, daß im Gesetz selbst festgeschrieben ders häufig über Verbrechensbekämpfung, über dra-
werden soll: Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz bleibt unbe- konische Strafen für Ladendiebe und für Schwarz-
rührt. Nun sagen Sie damit einmal - das hat mein fahrer und über viele andere Petitessen mehr. Gleich-
Vorredner schon richtig ausgeführt - etwas Selbst- zeitig - und ich habe der Debatte entnommen, daß
verständliches. Daß in einem einfachen Bundesge- wir alle das mit Abscheu und Ohnmacht registrieren -
setz die Verfassung nicht geändert werden kann, ist laufen Mörder und Schlächter, die ihre Morde und
eine Banalität und muß nicht festgestellt werden. grausamen Taten unter dem Schutz eines verbreche-
Sonst müßten wir in jedem Bundesgesetz sagen, daß rischen politischen Systems vollbracht haben, frei
wir das Grundgesetz damit nicht ändern. Wichtiger herum, ohne daß sie Strafen in irgendeiner Weise be-
1762 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Gerald Häfner
fürchten müssen. Im Gegenteil, es ist in der Regel so, Bundesrepublik Deutschland im internationalen Be-
daß die, die sich in besonders übler Weise in entspre- reich wenigstens in ersten Spurenelementen durch-
chend totalitären und diktatorischen Systemen her- zusetzen hilft. Wir sollten uns also einen Ruck geben
vorgetan haben, auch anschließend wieder oben und mit der Verabschiedung dieses Gesetzes das
schwimmen. Das ist etwas, was uns und was das in- jetzt Notwendige und Mögliche tun.
ternationale Recht nicht in Ruhe lassen kann. Inso-
fern kann Rechtspolitik, denke ich, auch immer wie- Gleichzeitig ist der klarstellende Hinweis, Art. 16
der frustrieren, wenn man feststellt, daß hier den Abs. 2 des Grundgesetzes bleibe unberührt, richtig,
kleinen Verbrechern nachgelaufen wird, während unschädlich und somit auch kein Stilbruch in diesem
die schrecklichsten Taten, die in der Welt vollbracht Gesetz, vor allem, wenn wir uns wechselseitig selbst
werden, ungesühnt bleiben. verpflichten, mit dem Ziel eines völkerrechtlich ver--
bindlich abgesicherten Internationalen Gerichtshofs
Insofern ist der heute hier vorliegende Gesetzent- langfristig auch an diesen Art. 16 Abs. 2 des Grund-
wurf tatsächlich ein Meilenstein im internationalen gesetzes heranzugehen. Dieser Artikel ist ja seiner-
Recht, im Völkerrecht. Er ist ein Meilenstein, weil er zeit unter völlig anderen Gesichtspunkten geschaf-
deutlich macht, daß das Prinzip der Nichteinmi- fen worden. Den Verfassungsgebern hat damals si-
schung im Bereich von Mord, Völkermord, Vergewal- cherlich nicht die Möglichkeit eines Internationalen
tigung usw. auf dieser Erde nicht mehr weiter gelten Gerichtshofes vor Augen gestanden, wie wir ihn hier,
kann und darf. Er ist ein Meilenstein, weil er endlich zunächst bezogen auf einen einzigen Fall, schaffen
auch denen, die unter dem Schutz eines totalitären und wie wir ihn in Zukunft sicherlich auch darüber
Regimes in großem Umfang Menschen umbringen hinaus brauchen werden.
und vergewaltigen, unmißverständlich klarmacht,
daß sie in Zukunft möglicherweise doch Strafe be- Wir werden also dem Gesetzentwurf zustimmen
fürchten müssen. Das halte ich für etwas außeror- und uns an der Erarbeitung eines späteren erweiter-
dentlich Wichtiges. ten Entwurfes beteiligen, der dann auch die Ände-
rung des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes beinhal-
Gleichwohl ist das, was wir hier auf den Weg brin- ten muß.
gen, zwar einerseits eine historische und wichtige,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
andererseits aber doch auch eine heikle Sache, die
rechtlich nicht ohne gravierende Probleme ist. Ich und bei der SPD)
denke, auch das muß gesagt werden. Der Internatio-
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem
nale Strafgerichtshof basiert nämlich nicht auf einem
Kollegen Detlef Kleinert.
völkerrechtlichen Vertrag, sondern wurde auf Grund
einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten
Detlef Kleine rt (Hannover) (F.D.P.): Herr Präsident!
Nationen errichtet. Es gibt begründete Zweifel
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine
daran, daß eine solche Resolution die Kompetenz zur
Weltfriedensordnung, und zwar eine Weltfriedens-
Einsetzung eines solchen Internationalen Strafge-
ordnung viel mehr und viel lieber durch das Recht als
richtshofes deckt. Ich bin allerdings der Meinung,
durch Waffen, ist etwas, wovon wir alle immer wie-
daß diese Kompetenz von einer solchen Resolution
der träumen, worum wir alle uns bemühen müssen
abgedeckt ist, solange die so geschaffene Gerichts-
und worum es schon sehr viele Bemühungen gege-
barkeit auf einen bestimmten Konflikt und damit
ben hat. Ich stimme den Vorrednern zu, daß mit der
auch auf einen örtlich und zeitlich eng definierten
Einrichtung dieses Strafgerichtshofes nach Jahrzehn-
Anwendungsbereich begrenzt ist. Das bedeutet -
ten vergeblicher Bemühungen in dieser Richtung,
darauf hat mein Kollege Professor Meyer zusammen
wie Herr Kollege Meyer ausgeführt hat, ein ganz we-
mit anderen hier und in der Rechtsausschußdebatte
sentliches Stück zur Weiterführung solcher Absich-
ja ebenfalls schon hingewiesen -: Wir werden das,
ten gegeben ist.
was wir hier in diesem einen konkreten Fall und
noch auf sehr dünnem rechtlichen Eis beginnen, Es liegt in der Natur dieser großen Aufgabe, die
ganz dringend ausdehnen und sehr schnell auf ein immer wieder so viele Rückschläge mit sich gebracht
völkerrechtlich abgesichertes Fundament stellen hat - bis in die jüngste Zeit, schmerzlich sichtbar und
müssen. Wir brauchen einen Internationalen Ge- fühlbar -, daß die Schritte, die derzeit überhaupt nur
richtshof, der Verbrechen gegen humanitäre Grund- möglich sind, nicht vollkommen sind. Deshalb ist
sätze, gegen die Menschlichkeit verbindlich zu ahn- auch das Gesetz, das heute hier zur Verabschiedung
den vermag. ansteht, im wahrsten Sinne des Wortes eine lex im
perfecta. Es ist ja nicht so ganz die Art des feinen Ge-
Ich möchte kurz noch etwas zu Art. 16 Abs. 2 des
setzgebers, daß wir den größten Teil der Einwohner
Grundgesetzes sagen. Ich denke, wir sind uns einig, dieses Landes und insbesondere alle deutschen Bür-
daß Art. 16 Abs. 2 von diesem Gesetzentwurf nicht
ger von der Auslieferung, die wir hier gesetzlich re-
berührt werden kann. Und ich will noch eine weitere
geln wollen, ausdrücklich ausnehmen und nur dieje-
Anmerkung machen, die rechtspolitisch vielleicht ein
nigen ausliefern, die mehr oder weniger zufällig in
bißchen spitzfindig klingt. Sie bezieht sich auf die
unser Land geraten sind und sich hier als Ausländer
Bedenken, die hinsichtlich des Art. 101 des Grundge-
aufhalten. Da muß man sich schon einmal überlegen,
setzes - also das Verbot eines Ausnahmegerichtes -
was es in Wirklichkeit bedeutet, ein deutsches Ge-
geltend gemacht werden. Ich denke vielmehr, daß
setz mit dieser Auswahl zu verabschieden.
hier gerade kein Ausnahmegericht geschaffen
wurde, sondern etwas - wenn auch rechtlich noch (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Das ist ge
auf dünnem Eis -, was Verfassungsgrundsätze der nau das Problem!)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1763
Detlef Kleinert (Hannover)
Deshalb hat es auch gewisse Schwierigkeiten bei Ich danke Ihnen sehr.
der hier mehrfach angesprochenen Frage gegeben,
ob und wie wir das unseren internationalen Partnern, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
denen gegenüber wir ja verpflichtet sind, hier han- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol-
delnd tätig zu werden, mit dem Wortlaut des Geset- lege Professor Dr. Uwe-Jens Heuer.
zes genügend deutlich machen. Daher kam unsere
Anregung in der Sitzung des Rechtsausschusses zu Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Herr Präsident! Meine
erwägen, ob nicht durch den Zusatz „Art. 16 Abs. 2 Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf
des Grundgesetzes bleibt unberührt" das durchaus und die dahinterstehende Resolution des Sicherheits-
Selbstverständliche - ich folge dieser Beurteilung al- rates haben mich in einen ernsthaften Konflikt ge-
ler Vorredner -, daß nämlich das Grundgesetz nicht bracht, der mich veranlaßt, mich bei der Abstim-
einfachgesetzlich gebrochen werden kann, jeden- mung der Stimme zu enthalten. Ich will Ihnen die
falls aus Gründen der Fairneß, aus gewissen Stil- Gründe dafür darlegen.
gründen auch im Gesetzestext und nicht nur, wie
jetzt geschehen, im Bericht des Ausschusses zum Einerseits bin ich für die strafrechtliche Verfolgung
Ausdruck gebracht werden sollte. schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit im
ehemaligen Jugoslawien wie anderswo, wie ich
Es gibt Gegenargumente, die schon dargestellt überhaupt für eine internationale Strafgerichtsbar-
worden sind. Wir haben uns von diesen Gegenargu- keit zur Verfolgung von Verbrechen gegen den Frie-
menten letztlich überzeugen lassen. Gegen die Be- den, von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen
gründung, die ich soeben hier skizziert habe, steht die Menschlichkeit bin.
die andere Begründung, daß man erstens etwas
In diesem Zusammenhang begrüße ich auch die
Selbstverständliches nicht ins Gesetz hineinschrei-
jahrelangen Bemühungen der UN-Völkerrechtskom-
ben soll. Dieses Gegenargument allerdings würde
mission, einen internationalen Strafgerichtshof zur
ich gegenüber dem Gebot der größeren Klarheit ge-
Verfolgung dieser Verbrechen zu schaffen. Ich frage
rade im internationalen Bereich nicht so hochschät-
mich erstens jedoch - hier stimme ich auch dem zu,
zen.
was der Kollege Häfner gesagt hat -, ob die Einset-
Das zweite war der Gedanke, wir könnten damit zung von Sondertribunalen durch den Sicherheits-
zum Ausdruck bringen wollen, daß wir an eine Ä n- rat der Vereinten Nationen ein geeignetes und
derung des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes über- durch die UN-Charta legitimiertes Verfahren ist, nur
haupt nicht denken. Ich muß also überhaupt nicht weil die Völkergemeinschaft bisher nicht in der Lage
nationalliberal sein. Die Freien Demokraten würden war, den notwendigen Strafgerichtshof zu bilden.
durchaus bereit sein, sich mit Ihnen darüber zu un- Der Sicherheitsrat wirkt hier als Gesetzgeber und mit
terhalten, welche enormen Verdienste unsere Vor- dem Tribunal, das als sein Hilfsorgan fungiert, zu-
gänger gehabt haben, die sich nationalliberal ge- gleich als Richter. Für beide Funktionen gibt ihm die
nannt haben. Wenn man allerdings Mißverständnisse Charta in meinen Augen kein Mandat.
vermeiden will, müßte man immer wieder neu defi- Dieser tiefe Eingriff in die Gerichtsbarkeit und das
nieren, was das in dieser Zusammensetzung heißt, Auslieferungsrecht aller Staaten ist mit einer Beru-
damit es dann nicht eines Tages aus Versehen nicht fung auf Kapitel VII der Charta nicht zu rechtferti-
mehr liberal ist. Deshalb wollen wir uns diese Diskus- gen. Dem Sicherheitsrat sind dort quasi Polizeifunk-
sion heute wohl nicht weiter gönnen. Dieser Ein- tionen zugeordnet. Er kann Maßnahmen zur Wah-
wand überzeugt jedenfalls. rung und Wiederherstellung des Friedens gegen ei-
nen Staat ergreifen. Der Sicherheitsrat kann aber
Wir wollten das gesamte Verfahren, dem schließ-
nicht - das ist dort nicht festgelegt - als Gesetzgeber
lich konkrete Anlässe zugrunde liegen, bei unserer
und - mittelbar - als Richter gegen Personen auftre-
Wertschätzung dieses Schrittes überhaupt nicht wei-
ten. Das gibt die UN-Charta nicht her.
ter behindern. Deshalb sind wir dankbar, daß durch
die Diskussion deutlich gemacht worden ist: Wir alle Die Schaffung von Ad hoc Gerichten ist zweitens
-

wollen sehr gründlich über notwendige weitere Kon- immer fragwürdig. Sie ist es insbesondere, weil sie
sequenzen, insbesondere über eine Änderung des notwendig selektiv ist. Das gewählte Verfahren
Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes für solche und ver- schließt es von vornherein aus, daß es gegen den Wil-
gleichbare Zwecke, nachdenken. len eines ständigen Mitglieds des Sicherheitsrates
ein internationales Tribunal geben wird. Inzwischen
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kleinert, bitte! haben wir schon zwei Ad hoc-Tribunale: eines für
das ehemalige Jugoslawien und eines für Ruanda.
Vielleicht haben wir schon morgen ein drittes und
Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Dazu gehört al-
viertes. Daß wir je eines zur Verfolgung von Verbre-
lerdings auch, wie Herr Häfner es schon angedeutet
chen etwa in Tschetschenien haben werden, ist wohl
hat, daß man sich in zukünftigen Fällen sehr genau
ausgeschlossen, weil Rußland das mit einem Veto
mit der Frage befaßt, ob die materiellen und forma-
verhindern würde. Nach meiner Ansicht würde nur
len Regelungen, nach denen ein solcher Gerichtshof
ein auf einer soliden völkerrechtlichen Grundlage er-
arbeitet, so ausgestaltet sind, daß wir es im Hinblick
richteter Strafgerichtshof die Probleme lösen.
auf unser mühsam errungenes rechtsstaatliches Sy-
stem verantworten können, unsere Staatsbürger ei- Ich habe drittens schließlich auch Bedenken we-
ner solchen Gerichtsbarkeit auszuliefern. Das wird gen der unpräzisen Strafnormsetzung durch den Si-
Gegenstand solcher Überlegungen sein müssen. cherheitsrat. Das Statut des Tribunals enthält zwar
1764 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Dr. Uwe-Jens Heuer


die Beschreibung der verbotenen Handlungen, der halb sie von einem deutschen Rechtswissenschaftler
in Art. 24 enthaltene Strafrahmen - „die allgemeine auch als „Quantensprung" bezeichnet wurden -,
Praxis der Gerichte im ehemaligen Jugoslawien" - ist sind wir nach Maßgabe des vorliegenden Gesetzes
aber mehr als vage. - Hier in diesem Hause wurde zu erfüllen bereit, und damit besonders auch dazu,
häufig auf die Verletzung strafrechtlicher und straf- auf Ersuchen des Gerichtshofs hier anhängige Straf-
prozessualer Prinzipien der DDR hingewiesen, teil- verfahren auf den Gerichtshof überzuleiten und mut-
weise leider durchaus zu Recht. Dann müssen Sie maßliche Täter an den Gerichtshof zu überstellen.
aber hier gleiche Maßstäbe anlegen! - Herwig Rog-
gemann hat in der „Zeitschrift für Rechtspolitik" - Für uns hat dies dadurch besondere Brisanz und
Heft 8/94 - zutreffend darauf hingewiesen, daß es Dringlichkeit erhalten, daß sich der erste Fall, der im-
praktisch an einer konkreten Strafdrohung mit Straf- April dieses Jahres vor dem Internationalen Jugosla-
art und Strafrahmen fehlt. Täterschaft und Teil- wien-Strafgerichtshof verhandelt werden soll, gegen
nahme, Rechtfertigungs- und Entschuldigungs- einen in Deutschland inhaftierten Serben richtet.
gründe sind teils ungenau, teils gar nicht geregelt. Auch wenn er sich, falls er nicht nach Den Haag
Ich meine also, daß das Ganze - darauf ist hier auch überstellt würde, ab April wegen mehrfachen Mor-
von anderen hingewiesen worden - in hohem Maße des und Beihilfe zum Völkermord vor einem deut-
der rechtsstaatlichen Qualität ermangelt, und das be- schen Gericht auf Grund der Anklage des General-
deutet, daß die gute und billigenswerte Absicht in bundesanwalts - und nicht irgendeines Provinzan-
Frage gestellt wird. Es sind diese rechtsstaatlichen klägers - verantworten müßte, müssen wir bestrebt
Bedenken -
sein, ihn rechtzeitig dem Gerichtshof zu überantwor-
ten. Dies können wir nur dann tun - und dadurch
Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Heuer, auch einen Vorwurf gegenüber Deutschland vor dem
Ihre Redezeit! Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ausschließen -,
wenn wir noch in diesem Monat die gesetzliche
Dr. Uwe Jens Heuer (PDS): ich bin beim letzten
- - Grundlage dafür schaffen.
Satz, Herr Präsident -, die mich veranlassen, dem
Entwurf meine Zustimmung zu versagen und mich Vor diesem Hintergrund sieht das Ihnen vorlie-
der Stimme zu enthalten. Ich darf anfügen, daß die gende Gesetz die Auslieferung ausländischer Ange-
Mehrheit der Gruppe der PDS diese Ansicht teilt. klagter vor. Wir sind uns alle einig, daß mit diesem
Gesetz eine Überstellung Deutscher an den Gerichts-
(Beifall bei der PDS) hof nicht ermöglicht wird, da dies gegen das Verbot
in Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes verstieße. Eine
Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort der
Überstellung von Deutschen an den Gerichtshof
Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser
wäre eben erst dann möglich, wenn zusätzlich ein
Schnarrenberger.
verfassungsänderndes Gesetz verabschiedet würde.
Sabine Leutheusser Schnarrenberger, Bundesmi-
-
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines verfas-
nisterin der Justiz: Herr Präsident! Meine sehr ver- sungsändernden Gesetzes nicht vorgelegt.
ehrten Damen und Herren! Im Interesse der Sache
Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen, daß
liegt mir daran, festzuhalten, wie weitgehend die
Rang und Bedeutung unserer Verfassung, auch unter
Übereinstimmung innerhalb der Fraktionen in allen
Berücksichtigung etwaiger völkerrechtlicher Ver-
Grundsatzfragen ist. Wir alle stehen fassungslos vor
pflichtungen, es verbieten, leichtfertig Eingriffe in
den Entwicklungen im ehemaligen Jugoslawien, den
Grundrechte vorzunehmen, zumal in solche, die seit
Greueltaten, die dort begangen worden sind, und
fast 200 Jahren im Recht deutscher Länder - in Ba-
sind betroffen, zu erfahren, wie beschränkt die Ein-
den-Württemberg seit 1803 - verwurzelt sind, hohe
wirkungsmöglichkeiten der Staatengemeinschaft auf
Bedeutung für die Souveränität des Staates, aber
die am Bürgerkrieg Beteiligten sind.
auch für den konkreten Schutz des einzelnen gegen-
Eine gewisse Hoffnung ergibt sich nun aus der über fremder Gewalt haben; aber auch in Grund-
Entschlossenheit der Vereinten Nationen, zumindest rechte, die von den Nationalsozialisten durch mas-
für eine strafrechtliche Ahndung der im Verlauf des senhafte Deportationen jüdischer Mitbürger unter-
Konflikts begangenen Verbrechen gegen das huma- laufen wurden, weshalb unsere Verfassung mit Be-
nitäre Völkerrecht zu sorgen. Wir alle waren und dacht das Auslieferungsverbot in Art. 16 GG in den
sind uns auch heute noch einig, mit dieser Aufgabe Kontext des Ausbürgerungsverbotes gestellt hat.
einen von der Völkergemeinschaft legitimierten In-
ternationalen Gerichtshof zu betrauen. Also müssen Wir stehen also nicht unter Zeitdruck und sollten
wir es begrüßen, daß der Sicherheitsrat der Verein- diese Frage deshalb sehr sorgfältig und vor allem
ten Nationen gerade auch deutschen Vorschlägen auch im Rahmen einer öffentlichen Diskussion be-
gefolgt ist und einen Internationalen Jugoslawien handeln.
Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet hat.
Vielen Dank.
Das dem Gerichtshof von den Vereinten Nationen
gegebene Statut enthält für alle Staaten Verpflich- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so
tungen, die auf das in der UN-Charta enthaltene wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Recht der Vereinten Nationen zurückgeführt wer- DIE GRÜNEN)
den, friedenssichernde Maßnahmen anzuordnen.
Diese Verpflichtungen, die über die internationale Vizepräsident Hans Klein: Ich schließe die Aus-
strafrechtliche Rechtshilfe weit hinausgehen - wes- sprache.
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1765
Vizepräsident Hans Klein
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich dem Seite sieht, dann kann er sich der Entscheidung nicht
Kollegen Dr. Burkhard Hirsch zur Begründung des entziehen und nicht sagen: Da vertraue ich schon
Änderungsantrages auf Drucksache 13/743 das Wort. darauf, daß ein Gericht das später richten wird und
die Entscheidung für mich trifft.
Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege (Beifall bei der F.D.P.)
Meyer, wenn Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes eine
Nun hat der Berichterstatter darauf hingewiesen,
Ausgeburt nationalstaatlichen Denkens ist, dann ist
daß im Bericht des Rechtsausschusses die Rechtslage
das eine sehr mutwillige Interpretation der Vorstel-
klargestellt sei. Nur, verehrter Herr Kollege: Geset-
lungen der Verfassungsväter.
zesbeschluß wird nicht die Gesetzesbegründung,
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schon gar nicht der Bericht des Rechtsausschusses.
Gesetzesbeschluß wird der Text, den wir beschließen
Der Änderungsantrag behindert in keiner Weise - nichts sonst. Das ist der Punkt. Ein Gesetz soll und
die Auslieferung eines mutmaßlichen Kriegsverbre- muß so sein, daß der Leser den Worten trauen kann,
chers aus Jugoslawien an den Internationalen Ge- die er liest, und daß er nicht erst später, wenn er et-
richtshof. Es geht uns um etwas ganz anderes, näm- was über Normenhierarchie lernt, erkennt, daß er
lich um den eindeutigen Umgang mit unserer Ver- über den wirklichen Inhalt einer Bestimmung im
fassung, d. h. um die eindeutige gesetzliche Bestim-
dunkeln gelassen wird. Bei irgendwelchen Kleinig-
mung für die Frage, ob und wann wir einem Men-
keiten könnte man das vielleicht als läßliche Sünde
schen den Schutz unserer Rechtsordnung versagen akzeptieren. Aber in der Frage, welchen Rechts-
und ihn dem Internationalen Gerichtshof für Ent- schutz wir nach unserer Verfassung einer Person ge-
scheidung und Strafvollzug überstellen. währen, die unserer Rechtsordnung vertraut, darf es
Das Gesetz geht nach seinem eindeutigen Wortlaut keine Unklarheit und keine Zweideutigkeiten ge-
und dem Sachzusammenhang davon aus, daß alle ben. Das ist der Sinn unseres Änderungsantrages.
Personen, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörig-
keit, dem Gericht zur Verhandlung und zur Strafvoll- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
streckung bei Straftaten auszuliefern sind, für die das
inte rn ationale Gericht zuständig sein soll. Der klare Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her-
Wortlaut des Gesetzes steht in einem eindeutigen ren, zu dem von der Bundesregierung eingebrachten
und klaren Widerspruch zu Art. 16 Abs. 2 unserer Entwurf des Jugoslawien- Strafgerichtshof-Gesetzes,
Verfassung. Das ist der Punkt. Drucksachen 13/57, 13/207 und 13/716, hat der Kol-
lege Hirsch soeben den Änderungsantrag auf Druck-
Die Begründung des Gesetzentwurfes geht noch sache 13/743 der Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch,
weiter: In ihr wird ausgeführt, daß wir durch die Ent- Hans-Dietrich Genscher, Cornelia Schmalz-Jacob-
scheidung des Sicherheitsrates völkerrechtlich ver- sen, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig und Dr. Max Stadler
pflichtet seien, unsere Verfassung zu ändern. Der begründet. Darüber stimmen wir zunächst ab. Wer
Rechtsausschuß geht in seinem Bericht davon aus, stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt
daß die Resolution des Sicherheitsrates ohne wei- dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist
tere Umsetzungsakte unmittelbar bindende Wir- der Änderungsantrag abgelehnt.
kung für die Mitgliedstaaten der Vereinten Natio-
nen schaffe. Es gehe um die reibungslose Erfüllung Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
bestehender Verpflichtungen. der Ausschußfassung zustimmen möchten, um ihr
Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Ich will hier nicht darüber debattieren, was wir in Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
Zukunft tun sollten. Der Gesetzgeber entscheidet, nommen.
was er jetzt tut - nicht de lege ferenda. Da muß man
Dritte Beratung
ja sehr wohl die Frage stellen, ob unsere Verfassung
wirklich zur Disposition des Sicherheitsrates steht. und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen
Ich bin der Überzeugung, daß über unsere Verfas- und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
sung nur dieser Gesetzgeber und sonst niemand zu wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer lehnt
entscheiden hat. den Gesetzentwurf ab? - Wer enthält sich der Stim-
(Beifall bei der F.D.P. - Norbert Geis [CDU/ me? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
CSU]: Unbestritten!) Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages-
Darum fragen wir uns, warum der Gesetzgeber ohne ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deut-
zwingende Not einer Entscheidung ausweicht, die er schen Bundestages auf morgen, Freitag, 10. März
treffen muß. Denn wenn der Gesetzgeber selber ei- 1995, 9 Uhr ein.
nen Konflikt zwischen einer dargestellten völker- Die Sitzung ist geschlossen.
rechtlichen Verpflichtung auf der einen Seite und der
verfassungsrechtlichen Rechtslage auf der anderen (Schluß der Sitzung: 21.33 Uhr)
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1767*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 (Österreich sieht einen pauschalen Betriebsausgabenabzug in


Höhe von 12 v. H. des Umsatzes für Kleinbetriebe mit einem Um-
satz bis zu 3 Mio. ÖS vor) bei Zugrundelegung einer Umsatz-
Liste der entschuldigten Abgeordneten grenze von 500 TDM in Abstimmung mit der Buchführungs-
pflichtgrenze nach § 141 der Abgabenordnung, und wie beur-
teilt die Bundesregierung eine solche Regelung im Sinne der an-
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
gestrebten Steuervereinfachung?
Wie beurteilt die Bundesregierung eine Erhöhung der Buch-
Beck (Bremen), BÜNDNIS 9. 3. 95 führungsgrenze über 500 TDM hinaus und entsprechende Aus-
Marieluise 90/DIE wirkungen auf die Steuerpraxis?
GRÜNEN
Berger, Hans SPD 9. 3. 95 Zu Frage 25:
Blunck, Lilo SPD 9. 3. 95* * Die Höhe eines Steuerausfalls kann wegen fehlen-
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 9. 3. 95* * der Berechnungsgrundlagen nicht geschätzt werden.
Ebensowenig kann zur Zeit abgesehen werden, in
Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 9. 3. 95 welchem Umfang die Bet riebe von einer solchen Ver-
Dr. Glotz, Peter SPD 9. 3. 95 einfachungsmaßnahme Gebrauch machen könnten.
Heistermann, Dieter SPD 9. 3. 95
Das österreichische Einkommensteuerrecht sieht
Heym, Stefan PDS 9. 3. 95 seit 1994 eine Betriebsausgabenpauschalierung vor.
Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 9. 3. 95 Auch das österreichische Finanzministerium kann
Hornung, Siegfried CDU/CSU 9. 3. 95* zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine verläßli-
chen Angaben darüber machen, in welchem Umfang
Dr. Jacob, Willibald PDS 9. 3. 95
die Betriebsausgabenpauschale dort in Anspruch ge-
Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 9. 3. 95 nommen wird. Dies wird erst nach der Bearbeitung
Knoche, Monika BÜNDNIS 9. 3. 95 der Erklärungen für den Veranlagungszeitraum 1994
90/DIE möglich sein.
GRÜNEN
Wie ein 12%iger pauschaler Betriebsausgabenab-
Kunick, Konrad SPD 9. 3. 95 zug vor dem Hintergrund der Steuervereinfachung
Labsch, Werner SPD 9. 3. 95 gewertet werden kann, läßt sich erst beantworten,
Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 9. 3. 95 wenn Erfahrungen mit der im Referentenentwurf
zum Jahressteuergesetz 1996 vorgeschlagenen Pau-
Limbach, Editha CDU/CSU 9. 3. 95
schalierungsregelung vorliegen.
Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 9. 3. 95
Michels, Meinolf CDU/CSU 9. 3. 95* Zu Frage 26:
Schäfer (Mainz), Helmut F.D.P. 9. 3. 95 Die Erhöhung der Umsatzgrenze über 500 000 DM
Dr. Scheer, Hermann SPD 9. 3. 95* hinaus würde für sich allein nicht zu einer wesentli-
Schmidt (Aachen), Ursula SPD 9. 3. 95 chen Lockerung der Buchführungspflicht führen. Ist
Schumann, Ilse SPD 9. 3. 95 dies gewollt, müßten auch die Betragsgrenzen für
das Betriebsvermögen und für den gewerblichen Ge-
Sorge, Wieland SPD 9. 3. 95 winn angehoben werden.
Vergin, Siegfried SPD 9. 3. 95
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß
Vosen, Josef SPD 9. 3. 95 eine ordnungsgemäße Buchführung neben ihrer
Wohlleben, Verena SPD 9. 3. 95 wichtigen Funktion, Grundlage für die Ermittlung
Zierer, Benno CDU/CSU 9. 3. 95 des steuerlichen Gewinns zu sein, auch dazu dient,
die Lage und die Zukunftsaussichten eines Unter-
nehmers zuverlässig nach be triebswirtschaftlichen
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Gesichtspunkten einzuschätzen.
sammlung des Europarates
für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union

Anlage 2 Anlage 3

Antwort Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Falthauser auf die des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf die
Fragen des Abgeordneten Reiner Krziskewitz (CDU/ Frage des Abgeordneten Benno Zierer (CDU/CSU)
CSU) (Drucksache 13/676 Fragen 25 und 26): (Drucksache 13/676 Frage 27):
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der von den Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß angesichts von
steuerlichen Auswirkungen betroffenen Betriebe und die Höhe Steuergeldverschwendungen in Ostdeutschland und angesichts
des entstehenden Steuerausfalls bei Einführung eines Betriebs- eines deutschen Nettobeitrags an die Gemeinschaften der Euro-
kostenpauschalabzugs analog zum österreichischen EStG päischen Union von 22 Mrd. DM mit bisher steigender Tendenz
1768* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

durch Rückführung der Nettobeiträge, durch sparsame Haus- Mehrere Gespräche mit gleicher Zielsetzung, an
haltsführung, strikte Beachtung des Subsidiaritätsprinzips vor
allem bei Vorschlägen für neue Programme der Gemeinschaften
denen Bundesregierung und Bayerische Staatsregie-
und durch Überprüfung bestehender Ausgaben so viel Geld auf rung zusammenwirken, wurden in Brüssel geführt.
deutscher Seite eingespart werden kann, daß der Solidaritätszu-
schlag schon vor 1997 reduziert oder ganz aufgehoben werden Zu Frage 37:
kann?
Sollte die Europäische Kommission entscheiden,
Zwischen dem Solidaritätszuschlag und dem deut- daß die Maßnahmen nach dem Stahibeihilfenkodex
schen EU-Beitrag gibt es keinen Zusammenhang. nicht von der Kommission genehmigt werden kön-
nen, wird die Bundesregierung im Kontakt mit der
Der Solidaritätszuschlag ist im Rahmen der Soli-
Bayerischen Staatsregierung die Frage prüfen, ob ein
darpaktverhandlungen beschlossen worden, um zu-
Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung
mindest teilweise den Einnahmeverzicht des Bundes
nach Art. 95 EGKS-V gestellt werden soll.
im Rahmen des neugestalteten bundesstaatlichen Fi-
nanzausgleichs auszugleichen. Der Bund verzichtet Ein solcher Antrag hat nur dann Erfolg, wenn alle
allein 1995 zugunsten Ostdeutschlands auf Steuer- Ratsmitglieder ihm zustimmen. Nach den Erfahrun-
einnahmen von etwa 35 Milliarden DM; demgegen- gen der jüngsten Zeit ist damit kaum zu rechnen, zu-
über wird der Solidaritätszuschlag voraussichtlich mal der Ministerrat am 17. Dezember 1993 einstim-
nur rd. 26 Milliarden DM erbringen. mig beschlossen hat, neue Anträge auf Genehmi-
gung von Beihilfen nach Art. 95 EGKS-V zu vermei-
Der Solidaritätszuschlag kann erst dann abgebaut
den. Außerdem müssen die Rückwirkungen eines
werden, wenn die Belastungen aus den Finanzaus-
solchen Antrages auf andere Beihilfenfälle berück-
gleichsleistungen des Bundes abnehmen oder sein
sichtigt werden.
Aufkommen dauerhaft stärker ansteigt als bisher an-
genommen. Ein erster Schritt dürfte aber spätestens
1998 möglich sein.

Anlage 5

Anlage 4 Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Heinrich L. Kolb auf die
Anwort Fragen des Abgeordneten Gernot Erler (SPD)
des Parl. Staatssekretärs Heinrich L. Kolb auf die Fra- (Drucksache 13/676 Fragen 41 und 42):
gen des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) Wie begründet die Bundesregierung im einzelnen die Ein-
(Drucksache 13/676 Fragen 36 und 37): schränkung der Kontrollpflicht bei der Ausfuhr von Dual-Use-
Gütern, die für konventionelle Waffensysteme bestimmt sein
Wie beurteilt die Bundesregierung die Bemühungen des Frei- können, auf nur noch 13 Staaten, ausweislich der neuen „Liste K"
staates Bayern, unter Einsatz öffentlicher Mittel die Konsolidie- in der notwendigen Neuformulierung der Außenwirtschaftsver-
rung durch Privatisierung der Maxhütte voranzubringen, und ordnung?
wird sie den Freistaat dabei im Beihilfekontrollverfahren der Eu-
ropäischen Union unterstützen? Welche Möglichkeiten bestehen in Zukunft, nationale Sonder-
regelungen, wie sie in der deutschen „Liste K" bei der Ausfuhr
Würde die Bundesregierung im Falle einer Negativentschei- von Dual-Use-Gütern zum Ausdruck kommt, durch Kontrollen
dung der Europäischen Kommission in Sachen Maxhütte gege- im Intra-EU-Warenverkehr wirksam zu halten?
benenfalls die Entscheidung des Ministerrates anstreben, und
wie beurteilt sie die Erfolgsaussichten einer solchen Initiative?
Zu Frage 41:
Zu Frage 36: Auch aus der Mitte des Deutschen Bundestages ist
die europäische Harmonisierung der Ausfuhrkon-
In dem laufenden Beihilfenkontrollverfahren ste- trollvorschriften wiederholt gefordert worden. Eine
hen die Bundesregierung und die Bayerische Staats- Harmonisierung auf dem deutschen Kontrollniveau
regierung in engem Kontakt.
ist nicht erreichbar.
Die Entscheidung über die Vereinbarkeit der fi- Die Entscheidung der Bundesregierung für die
nanziellen Leistungen des Freistaates Bayern im Zu- Länderliste K war das Ergebnis sehr sorgfältiger Ab-
sammenhang mit der Privatisierung der Neuen Max- wägung zwischen exportkontrollpolitischer Verant-
hütte in Sulzbach-Rosenberg obliegt dabei zunächst
wortung und integrationspolitischer Verpflichtung
der Europäischen Kommission. Der Ausgang dieser
durch Verabschiedung der EG-dual-use-Verord-
Prüfung ist offen.
nung.
Die Bundesregierung hat auf der Grundlage von
Die neue Liste K enthält zunächst einen „harten
Informationen der Bayerischen Staatsregierung in
Kern" von 5 Ländern (Iran, Irak, Libyen, Nordkorea
mehreren Mitteilungen an die Kommission die Auf-
und Syrien), die wegen ihrer vielfältigen Beschaf-
fassung dargelegt, daß die finanziellen Leistungen
fungsaktivitäten insbesondere auch in der konventio-
der Bayerischen Staatsregierung im Zusammenhang
nellen Rüstung aufgenommen werden mußten.
mit der Veräußerung ihrer Anteile dem Verhalten ei-
nes privaten Unternehmers unter marktwirtschaftli- Mit der Aufnahme von Angola, Ex-Jugoslawien,
chen Bedingungen entsprächen und damit keine Bei- Myanmar und Somalia trägt die Bundesregierung
hilfe seien. der internationalen Beschlußlage Rechnung, da ge-
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1769*

gen diese Staaten entweder auf EU- oder VN-Ebene Nach Kenntnis der Bundesregierung wird der vom
flächendeckende Militärembargos bzw. reine Waf- Robert-Koch-Instut vermutete Zusammenhang zwi-
fenembargos beschlossen wurden. Für die Aufnahme schen der Verwendung von Glykopeptid-Antibiotika
von Afghanistan, Kuba, Libanon und Mosambik wa- in der Tierfütterung und dem Auftreten von glyko-
ren primär außenpolitische Erwägungen maßgeblich. peptid-resistenten Enterokokken beim Menschen je-
doch derzeit von kompetenten Fachleuten als wis-
Politische Veränderungen in mehreren Regionen senschaftlich nicht gesichert angesehen. Hierfür wer-
(insbesondere in Südafrika, Osteuropa und in Nah- den vor allem folgende Überlegungen angeführt:
ost) haben es erlaubt, deutsche Sonderkontrollen im
konventionellen Bereich gegenüber einer Reihe von 1. Glykopeptid-resistente Enterokokken werden
Ländern zu reduzieren. auch bei Tierarten, an die keine Antibiotika verfüt-
tert werden, wie z. B. Hund oder Pony, nachgewie-
Die neue Liste K stellt eine Momentaufnahme dar. sen.
Sie wird laufend überprüft.
2. Solche resistenten Keime werden auch in der Um-
Zu Frage 42: welt, z. B. in Abwässern, gefunden.
Grundvoraussetzung für eine wirksame Kontrolle 3. Obwohl in den USA Glykopeptid-Antibiotika als
durch nationale Sonderregelungen ist es, daß die Futterzusatzstoffe nicht verwendet werden, gibt es
Sonderregelungen nicht durch einen freien Intra-EU- dort höhere Resistenzraten gegen Glykopeptid-
Warenverkehr umgangen werden können. Aus die- Antibiotika als in Deutschland.
sem Grund hat sich die Bundesregierung bei den Ferner wird von Kritikern angeführt, daß die vom
Verhandlungen in Brüssel für die Aufnahme einer Robert-Koch-Institut vorgelegten Zahlen weder stati-
entsprechenden Kontrollmöglichkeit des Intra- stisch noch epidemiologisch ausreichen, um bereits
EU-Warenverkehrs eingesetzt (vgl. Art. 19 Abs. 3 eine Infektionskette vom Tier auf den Menschen ab-
EG-VO). leiten zu können. So können die bei Menschen und
Die durch diese EG-Norm ermöglichte einseitige in städtischen Kläranlagen nachgewiesenen Resi-
Belastung des Intra-EU-Warenverkehrs kann aus in- stenzen z. B. auch dahingehend interpretiert werden,
tegrationspolitischen Gründen nur noch auf die ex- daß eine Resistenzübertragung in umgekehrter Rich-
portkontrollpolitisch wirklich notwendigen Fallgrup- tung vom Menschen auf das Tier als Folge der Ver-
pierungen beschränkt werden; anderenfalls müßte wendung bestimmter Antibiotika in der Humanthe-
damit gerechnet werden, daß die Mitgliedstaaten bei rapie erfolgt. Diese epidemiologischen Zusammen-
einer Abänderung der EG-VO diese Klausel mit qua- hänge bedürfen weiterer Aufklärung.
lifzierter Mehrheit streichen könnten. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die
Insgesondere die Kontrolle nicht gelisteter Waren - Problematik einer möglicherweise durch bestimmte
d. h. eine sehr umfassende Kontrolle - wie im Fall der Fütterungsantibiotika induzierten Resistenz aus
Auffangnorm des § 5c AWV, muß sich daher auf we- Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes
nige Destinationsländer beschränken. dringend der Klärung bedarf. Sie hat deswegen un-
verzüglich, nachdem ihr die Ergebnisse des Robert-
Koch-Instituts bekannt wurden, die für die Zulas-
sung von Zusatzstoffen zuständigen Dienststellen
der EU-Kommission sowie die Mitgliedstaaten unter-
Anlage 6 richtet und die Erörterung der Frage in den zuständi-
gen EG-Sachverständigengremien initiiert.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fra- Zu Frage 44:
gen der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren Die Zulassung von Futtermittelzusatzstoffen erfolgt
(SPD) (Drucksache 13/676 Fragen 43 und 44): seit 1970 EG-einheitlich nach den Bestimmungen der
Teilt die Bundesregierung die Besorgnis, daß der Einsatz von Richtlinie 70/524/EWG über Zusatzstoffe in der Tier-
Glykopeptiden als Futtermittelzusatz in der Tiermast (speziell ernährung. Die Beratungen über Zulassungsanträge
der Schweine- und Hühnermast) nachteilige Auswirkungen für erfolgen auf der Grundlage umfangreicher Zulas-
die menschliche Gesundheit haben kann, insbesondere unter
sungsunterlagen, deren gesundheitliche Aspekte in
dem Aspekt der neuesten Untersuchungen des Robert-Koch-In-
stituts, wonach die Entwicklung von krankheitserregenden Kei- Deutschland vom Bundesinstitut für gesundheitli-
men in der menschlichen Darmflora (sog. Enterokokken) begün- chen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin
stigt werden kann, die dann beim Menschen gegen das vor eini- (BgVV) geprüft werden (vor 1994 vom Bundesge-
gen Jahren noch wirksame Antibiotikum Glykopeptid resistent
sind und evtl. eine Heilung problematisch machen?
sundheitsamt).
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung zur Verhinde- Die Bundesregierung wurde erstmals Mitte 1994
rung des Einsatzes von Glykopeptid-Antibiotika in der Tiermast, vom BgVV auf Untersuchungen des Robert-Koch-In-
insbesondere in Schweine- und Hühnermastbetrieben ergrei- stituts über die Problematik der möglichen Entwick-
fen, um die Möglichkeit einer Beeinträchtigung/Schädigung der
lung von Glykopeptid-Antibiotika-Resistenzen durch
menschlichen Gesundheit durch diese Präparate auszuschalten?
Futtermittelzusatzstoffe aufmerksam gemacht. Sie
hat daraufhin - wie bereits erwähnt - unverzüglich
Zu Frage 43:
eine Diskussion dieser Frage in den zuständigen EG-
Die genannten Untersuchungen des Robert-Koch- Sachverständigengremien initiiert. Die bisherigen
Institutes sind der Bundesregierung bekannt. Erörterungen haben gezeigt, daß die vom Robert-
1770* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Koch-Institut vorgelegten Daten noch nicht für (vor allem an Dichtungen und Kraftstoffleitungen).
Schlußfolgerungen ausreichen. Die Bundesregierung Technische Schwierigkeiten (z. B. Kompressionsver-
hat inzwischen den Mitgliedstaaten und der EG luste, verstopfte Kraftstoffilter) sind ansonsten nicht
Kommission eine weitere Stellungnahme des Robert- auszuschließen.
Koch-Institutes zur Verfügung gestellt. Die Beratung
hierüber ist für März 1995 vorgesehen. Neben dem Problem der motortechnischen Eig-
nung stellt sich allen potentiellen Verwendern die
Unabhängig davon hat die Bundesregierung die Frage, ob die RME-Verwendung sich mit den spezifi-
für diese gesundheitspolitische Frage zuständigen schen Anforderungen, die sich aus dem Auftrag oder
Bundesinstitute aufgefordert, die Frage der Glyko- dem Unternehmensziel ergeben, insbesondere auch
peptid-Resistenz in einem wissenschaftlichen Fach- im Hinblick auf die verfügbaren RME-Mengen und-
gespräch unter Einbindung externer Fachleute zu die Eigenschaften des RME vereinbaren läßt.
klären und zu bewerten.
Derzeit wird RME in kommunalen Fuhrparks, in
Fahrzeugen des Landhandels und der landwirt-
schaftlichen Genossenschaften, in privaten Unter-
nehmen, beim Betrieb von Taxis und bei privaten
Anlage 7 Verbrauchern - allerdings in noch relativ geringem
Umfang - eingesetzt.
Antwort
Die Bundeswehr hat Versuche mit RME durchge-
des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fra- führt. Hierbei traten insbesondere Probleme bei den
gen des Abgeordneten Heinz Schmitt (Berg) (SPD) Kraftstoffleitungen auf. Da aber Qualitäten verwen-
(Drucksache 13/676 Fragen 45 und 46): det wurden, die nicht der jetzt erlassenen Vornorm
Wieviel Öko-Diesel (Rapsoel-Methylester, RME) wird derzeit DIN 51606 entsprachen, sind diese frühen Ergeb-
in den einzelnen Bundesländern in Deutschland produziert, und nisse nur bedingt aussagekräftig. Die Bundeswehr
welche neuen Produktionsstandorte (mit Mengenangabe) sind setzt die Untersuchungen zur technischen Eignung
für die nächsten Jahre geplant? von RME in ihrem Bereich fort.
Welche Fahrzeuge/Verkehrsmittel werden derzeit mit Öko-
Diesel betrieben und ist Öko-Diesel zur Verwendung bei der Die Deutsche Bahn AG (DB) setzt RME in Fahrzeu-
Bundeswehr, der Deutschen Bahn AG und/oder beim Bundes- gen der Bautrupps ein. Im Streckenverkehr einge-
grenzschutz geeignet? setzte Loks können nach in Versuchen gewonnenen
Erkenntnissen der DB nicht mit RME betrieben wer-
Zu Frage 45: den, weil die Leistungsminderung zu erheblichen
Schwierigkeiten führen würde. Hingegen fällt der
Die Produktionskapazität für Rapsmethylester in
Leistungsverlust der Motoren in den Fahrzeugen der
Deutschland ist derzeit noch gering. Eine kleinere
Bautrupps nicht so stark ins Gewicht.
Anlage in Leer/Ostfriesland ist derzeit in der Lage,
etwa 5 000 t/a zu erzeugen. Darüber hinaus verfügt Der Bundesgrenzschutz (BGS) hat bisher keine
die Fa. Henkel in Düsseldorf über eine Großanlage Versuche mit RME durchgeführt. Ausschlaggebend
zur Herstellung von Pflanzenölmethylester. Es wird dafür sind vor allem der höhere Preis für RME sowie
davon ausgegangen, daß dort freie Kapazitäten für erwartete technische Probleme in einem Fuhrpark,
die Treibstofferzeugung von etwa 60 000 bis 80 000 t der vorwiegend aus Altfahrzeugen besteht. Der BGS
vorhanden sind. Die Anlage in Leer/Ostfriesland soll, hat auch in naher Zukunft keine entsprechenden
nach Aussagen des Betreibers, auf eine Kapazität Versuche geplant.
von etwa 60 000 t/a erweitert werden. In Gmünden
am Main entsteht eine Anlage mit 100 000 t/a. Die Einen aus meiner Sicht sehr interessanten Bereich
dritte Anlage mit einer Kapazität von 10 000 t/a soll haben Sie allerdings in Ihrer Frage nicht angespro-
in Kiel entstehen. Zusammen mit den jetzt vorhande- chen. Dies sind umweltsensible Bereiche. Ich denke
nen Anlagen könnte damit in etwa zwei Jahren eine vor allem an die Binnengewässer. So beabsichtigt der
Kapazität von rd. 230 000 t/a erreicht werden. Freistaat Bayern ein Schiff auf dem Tegernsee auf
den Betrieb von Biodiesel umzurüsten und damit
Planungen zur Erstellung neuer Anlagen zur Her- erste Erfahrungen zu sammeln.
stellung von Rapsmethylester bestehen in den Län-
dern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Hessen. Diese
Planungen befinden sich in den Anfängen; konkrete
Aussagen über Standorte und Kapazitäten können
noch nicht getroffen werden. Anlage 8

Zu Frage 46: Antwort

In umfangreichen Motorentests und Fahrversu- des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fra-
chen, die zum Teil noch fortgesetzt werden, ist der gen der Abgeordneten Lydia Westrich (SPD)
Einsatz von Rapsmethylester (RME) untersucht wor- (Drucksache 13/676 Fragen 47 und 48):
den. Einige Kraftfahrzeughersteller haben inzwi- HältesdiBunrgfümölichundwrsegf.
schen bestimmte Fahrzeugtypen RME-tauglich aus- dafür einsetzen, das ehemalige NATO-Pipeline-Netz einschließ-
gerüstet und für den Betrieb mit RME freigegeben. lich der Tanklager und Pumpstationen - hier insbesondere be-
reits stillgelegte Lager in der Pfalz (z. B. in Hinterweidenthal,
Auch in Altfahrzeugen kann RME eingesetzt wer- Kusel-Bedesbach) - für den Transport und die Lagerung von
den, allerdings nur nach technischen Anpassungen Öko-Diesel (RME) zu nutzen?
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1771*

Wie beurteilt die Bundesregierung die Konkurrenzfähigkeit ten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung für
von Öko-Diesel (RME) im Vergleich zu anderen Treibstoffen? die häusliche Pflege fortführen und das Pflegegeld
nach § 37 SGB XI ebenfalls vorschüssig auszahlen.
Zu Frage 47: Auf diese Weise wird ein nahtloser Übergang bei der
Probleme bei der Bevorratung von Biodiesel sind Pflegegeldzahlung gewährleistet, ohne daß die in
der Bundesregierung bisher, auch in Anbetracht der den Fragen zugrundegelegten Übergangsprobleme
anfallenden Mengen, nicht bekannt geworden. Da- auftreten.
her hat die Frage der Verwendung ehemaliger
NATO-Einrichtungen in diesem Zusammenhang
keine Rolle gespielt. -
Sofern Unternehmen interessiert sind, ehemalige Anlage 10
Einrichtungen der NATO aus dem Bestand des Bun-
desministers der Finanzen zur Bevorratung von Bio- Antwort
diesel zu übernehmen, sollten sie Verbindung mit
der zuständigen Oberfinanzdirektion aufnehmen. des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Frage
des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Druck-
Zu Frage 48: sache 13/676 Frage 51):
Biodiesel konkurriert am Treibstoffmarkt mit Die- Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage von Selbstver-
waltungsorganen der Arbeitsämter, die darüber klagen, daß die
seltreibstoff auf petrochemischer Basis.
Maßnahmeträger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die ge-
Die technische Eignung von Biodiesel in entspre- forderte, im Jahr 1994 erhöhte Eigenbeteiligung vielfach nicht
aufbringen konnten, was in wesentlichen Bereichen zu einem
chend angepaßten Motoren ist weitgehend herge- Wegbrechen der bewährten Trägerlandschaft und damit zu
stellt und durch eine Vielzahl von Fahrversuchen, deutlich weniger Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geführt hat,
nicht zuletzt aufgrund umfangreicher Förderung und bis wann kann mit einer Änderung der Bestimmungen ge-
durch BML, belegt. Die Verwendung wird u. a. durch rechnet werden?
noch fehlende Herstellerfreigaben beeinträchtigt.
Die Bundesregierung geht nicht davon aus, daß
Der aus Raps von stillgelegten Flächen hergestellte die Änderung der förderungsrechtlichen Vorausset-
Rapsmethylester (RME) wird zu Tankstellenabgabe zungen bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch
preisen von 1,15-1,20 DM/l angeboten. Unter Be- das Beschäftigungsförderungsgesetz 1994 vom
rücksichtigung von Mehrverbrauch, zum Teil auch 26. Juli 1994 zu einem Wegbrechen der bewährten
Leistungsminderung und Mehrpreis beläuft sich die Trägerlandschaft und damit zu deutlich weniger Ar-
Wettbewerbsdifferenz insgesamt auf 0,10-0,15 DM/l. beitsbeschaffungsmaßnahmen führt. Daher ist eine
Möglich wird die Annäherung an den Dieselpreis Änderung der rechtlichen Bestimmungen nicht vor-
u. a. deshalb, weil auf reine Biokraftstoffe in Deutsch- gesehen.
land keine Mineralölsteuer erhoben wird.
Es ist nicht zutreffend, daß die Änderung der förde-
rungsrechtlichen Voraussetzungen zum Ziel hatte,
die Eigenbeteiligung der Träger zu erhöhen. Denn
die Höhe der Lohnkostenzuschüsse wurde nicht ver-
Anlage 9 ändert, sondern nur die Höhe der Bemessungsgrund-
lage. Danach richten sich die Lohnkostenzuschüsse
Antwort nach 90 Prozent des Lohnes für vergleichbare unge-
förderte Arbeiten. Da nicht alle Arbeitslosen in sol-
des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fra- che mit öffentlichen Mitteln bezahlte und bef ristete
gen des Abgeordneten Günter Graf (Friesoythe)
Tätigkeiten vermittelt werden können, ist es gerecht-
(SPD) (Drucksache 13/676 Fragen 49 und 50):
fertigt, daß der Abstand zu den Arbeitslosengeldbe-
Wie gedenkt die Bundesregierung das Problem zu lösen, daß ziehern nicht zu groß wird und mit den begrenzten
Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz vorschüssig, Mitteln möglichst viele Beschäftigungen gefördert
nach dem Pflegeversicherungsgesetz aber nachträglich gezahlt
werden und somit Pflegebedürftige, die in der Regel auf laufen- werden.
de Zahlungen angewiesen sind, den Übergangsmonat April
1995 aus eigenen finanziellen Mitteln überbrücken müssen?
Kann die Bundesregierung sicherstellen, daß die Pflegebe-
dürftigen in den Fällen zu Frage 49 oder bei einem nicht mögli-
chen nahtlosen Übergang von der einen in die andere Zahlungs- Anlage 11
art Vorschüsse erhalten können, um Notlagen bei den betroffe-
nen Personen zu vermeiden?
Antwort
Die von Ihnen befürchteten Übergangsprobleme des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die Fra-
werden in der Praxis nicht auftreten. Die Kranken- gen der Abgeordneten Verena Wohlleben (SPD)
kassen stellen zur Zeit mit Rücksicht auf das Urteil (Drucksache 13/676 Fragen 52 und 53):
des Bundessozialgerichts vom 25. Oktober 1994
(3/1 RK 51/93) bei dem Pflegegeld nach § 57 SGB V Treffen Meldungen zu, daß der im Rahmen des Baus der ICE
Strecke zwischen Ingolstadt und Nürnberg geplante Ausbau der
von der nachschüssigen auf die vorschüssige Zah- Bahnhöfe Allersberg und Kinding zu Regionalbahnhöfen durch
lungsweise um. Die Pflegekassen werden diese ge- das Bundesministerium für Verkehr und die Deutsche Bahn AG
änderte Praxis zum 1. April 1995 mit dem Inkrafttre- inzwischen in Frage gestellt wird?
1772* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Welche Alternativlösungen streben das Bundesministerium Nach den Untersuchungen der deutschniederlän-
für Verkehr und die Deutsche Bahn AG an, um sicherzustellen,
daß der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) - wie zuge-
dischen Arbeitsgruppe vom September 1991 werden
sagt - auf der ICE-Strecke in diesem Bereich verkehren kann im Schienengüterverkehr für das Jahr 2010 zwischen
und die Anbindung der beiden Orte gewährleistet wird? Emmerich und Oberhausen in beiden Richtungen zu-
sammen rund 160 Züge erwartet.
Zu Frage 52:
Für den Schienenpersonenfernverkehr ist ein Stun-
Nach Information der Deutschen Bahn Aktienge- dentakt zu erwarten.
sellschaft, die die unternehmerische Verantwortung
für die Neu-/Ausbaumaßnahme Nürnberg-Ingol- Die Frequenz der Züge des Nahverkehrs hängt da-
stadt-München trägt, ist der auf dem Neubaustrek- von ab, wieviel Nahverkehrsleistungen bestellt wer- -
kenabschnitt vorgesehene Ausbau der Bahnhöhe Al- den. Die ab 1996 greifende Regionalisierung des
lersberg und Kinding zu Regionalbahnhöfen plane- Schienenpersonennahverkehrs überträgt die Verant-
risch als Option berücksichtigt. Er soll im Einverneh- wortung dafür auf die Bundesländer.
men mit dem Freistaat Bayern planfestgestellt wer-
den. Der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft liegt die Zu Frage 55:
Erklärung des Freistaates Bayern vor, im Rahmen der
zum 1. Januar 1996 in Kraft tretenden Regionalisie- Mit der Strecke Emmerich-Oberhausen liegt eine
rung Nahverkehrsleistungen bestellen sowie für den leistungsfähige, zur Zeit nur mäßig ausgelastete
Ausbau erforderliche Finanzierungsmittel bereitstel- Schienenverbindung vor, die zunächst keine zusätzli-
len zu wollen. chen Ausbaumaßnahmen erforderlich macht.
Die erste Betriebsstufe der Betuwe-Linie erfordert
Zu Frage 53: deshalb lediglich im Knoten Oberhausen Ausbau-
maßnahmen.
Aus den in der Antwort zu Frage 52 genannten
Gründen stellt sich die Frage nach Alternativlösun- Im übrigen handelt es sich in der ersten Phase in
gen aus Sicht der Bundesregierung nicht. Deutschland lediglich um eine intensivere Nutzung
der bereits bestehenden Eisenbahninfrastruktur. Erst
das für den Endausbau ggf. erforderliche dritte Gleis
zwischen Wesel und Oberhausen stellt eine wesentli-
che Änderung dar.
Anlage 12
Die Bundesregierung geht davon aus, daß dort
Antwort dann im Rahmen der Lärmvorsorge die entsprechen-
den gesetzlichen Regelungen zum Schutz der An-
des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die Fra- wohner durch die Deutsche Bahn AG beachtet wer-
gen der Abgeordneten Dr. Barbara Hendricks (SPD) den.
(Drucksache 13/676 Fragen 54 und 55):
Hat die Bundesregierung Kenntnis über den aktuellen Pla-
nungsstand der niederländischen Güterverkehrsstrecke Betu
we-Lijn, und welche Zugfrequenz wird nach Fertigstellung der
Betuwe-Lijn auf der Anschlußstrecke Emmerich-Oberhausen-
Duisburg erwartet?
Anlage 13

Welche Maßnahmen beabsichtigt die Deutsche Bahn AG zu Antwort


treffen, um auch nach Fertigstellung der niederländischen Gü-
terverkehrsstrecke die verschiedenen Bedarfe auf der deut- des Parl. Staatsskretärs Johannes Nitsch auf die
schen Anschlußstrecke Emmerich-Oberhausen-Duisburg zu
befriedigen und zugleich erträglich für die Anwohner zu gestal-
Frage des Abgeordneten Wolfgang Behrendt (SPD)
ten? (Drucksache 13/676 Frage 56):
Hält die Bundesregierung ein Landeverbot für laute Flugzeu-
Zu Frage 54: ge auf deutschen Flughäfen nach dem Vorbild des internationa-
len Flughafens Zürich-Kloten, wo ab April laute Flugzeuge zwi-
Die neue Koalitionsregierung in den Niederlanden schen 19 und 9 Uhr nicht mehr starten und landen dürfen, für
hatte am 20. Oktober 1994 eine Kommission einge- wünschenswert und durchführbar?
setzt, um die Entscheidung des Vorgängerkabinetts
zur Betuwe-Route überprüfen zu lassen. Die Korn- Die Behandlung von lauteren Flugzeugen - den so-
mission hat am 23. Januar 1995 das Ergebnis ihrer genannten Kapitel-2-Flugzeugen - auf deutschen
Untersuchungen der Öffentlichkeit vorgelegt. Dem- Verkehrsflughäfen ist unterschiedlich. Während
nach gibt es angesichts der zu erwartenden Zu- einige wenige noch keine Nachtflugbeschränkungen
nahme der Güterströme in der Ost-West-Verbindung haben (Leipzig, Paderborn/Lippstadt) und somit
keine Alternative zur Betuwe-Route. auch für Kapitel-2-Flugzeuge uneingeschränkt an-
fliegbar sind, hat der größere Teil entsprechende Be-
Mit der Empfehlung der Betuwe-Route-Kommis- schränkungen für Kapitel-2-Flugzeuge.
sion ist der Entscheidungsprozeß um die Betuwe-
Linie in den Niederlanden noch nicht beendet. Das Diese Maßnahmen führen bei einzelnen Verkehrs-
niederländische Kabinett will in diesem Monat sei- flughäfen zu einem totalen Nachtflugverbot (Düssel-
nen Beschluß fassen. dorf), bei anderen zu einem Nachtflugverbot mit
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1773*

Ausnahmen beispielsweise für Postflüge (z. B. Frank- Im Zusammenhang mit der am 1. April 1995 begin-
furt). Der Flughafen Tegel hat ein ganztägiges Be- -
nenden schrittweisen Fernhaltung von Kapitel-2
triebsverbot für Kapitel-2-Flugzeuge. Flugzeugen von Flugplätzen in der Europäischen
Union ist eine weitere Entspannung der Lärmsitua-
Die neueren, leiseren Kapitel-3-Flugzeuge dürfen tion zu erwarten.
dagegen auf den Verkehrsflughäfen nachts - teil-
weise in der Zahl der Flüge kontingentiert - verkeh-
ren (z. B. München). Vor diesem Hintergrund hält die Bundesregierung
eine generelle Ausdehnung der nächtlichen Be-
Die Art der Nachtflugbeschränkungen orientiert schränkungszeiten nicht für erforderlich. Wenn je-
sich an der Lage des Flughafens in Bezug auf die Be- doch bei besonderen örtlichen Bedingungen weiter- -
siedelung in seinem Umfeld; die zeitlichen Beschrän- gehende Beschränkungen für Kapitel-2-Flugzeuge
kungen beginnen im allgemeinen um 23.00 Uhr und auf einzelnen Verkehrsflughäfen für erforderlich ge-
dauern bis ca. 7.00 Uhr. halten werden, wird sich die Bundesregierung dem
nicht widersetzen.
Nach § 6 Luftverkehrsgesetz in Verbindung mit
§ 31 Luftverkehrsgesetz obliegt den Ländern die Zu-
ständigkeit für die Genehmigung der Anlage und
des Betriebs von Flugplätzen mit Ausnahme der Prü-
fung und Entscheidung, inwieweit durch die Anle-
gung und Betrieb des Flugplatzes öffentliche Interes- Anlage 14
sen des Bundes - bei Einschränkung von Betriebszei-
ten ist das immer gegeben - berührt werden. Antwort

Laute Flugzeuge aus dem Nachtflugbetrieb zu ver- des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die Fra-
drängen, ist übereinstimmende Politik der Bundesre- gen des Abgeordneten Werner Schulz (Berlin)
gierung, der Länder und der kommunalen Gebiets- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/676
körperschaften. Während die Bundesregierung auf Fragen 57 und 58):
ökonomische Mittel setzt, versucht die örtliche Flug-
hafenpolitik häufig über das Mittel weitgehender be-
Bis wann kann nach den Planungen des Bundesministeriums
trieblicher Beschränkungen Flugverkehr erst der lau- für Verkehr die ICE-Trasse Leipzig-Nürnberg fertiggestellt sein,
teren dann aber auch der weniger lauten Flugzeuge und wie ist die Finanzierung hierfür gesichert?
zu verhindern. Dem kann die Bundesregierung nicht
folgen, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland Welche Überlegungen haben die Bundesregierung veranlaßt,
angemessen wettbewerbsfähig bleibt. Neben den diese ICE-Strecke weniger vordringlich als andere einzustufen,
ökologischen Gesichtspunkten müssen die ökonomi- und welche strukturpolitischen Folgen erwartet die Bundesre-
schen Wirkungen von Betriebsbeschränkungen für gierung für die betroffenen Länder und insbesondere für den
sächsischen Wirtschaftsraum Leipzig-Zwickau-Chemnitz von
einer erheblichen Verzögerung der Inbetriebnahme dieser ICE
- die Wirtschaft der Region, Verbindung?

- die am Luftverkehr unmittelbar Beteiligten (Luft-


fahrtunternehmen, Flughafengesellschaften), Zu Frage 57:
- den Luftverkehr als Teil des Gesamtverkehrs, Der vorliegende Entwurf des Dreijahresplanes
sieht sowohl für die Neubaustrecke Ebensfeld-Erfurt
abgewogen werden.
als auch für die Neubaustrecke Erfurt-Leipzig im
Angesichts der Tatsache, daß die deutschen Ver- Zuge der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit"
kehrsflughäfen nachts so gut wie keinen Luftverkehr Nr. 8.1 beziehungsweise 8.2 einen Baubeginn in den
mit Kapitel-2-Flugzeugen haben, hält die Bundesre- Jahren 1995 bis 1997 vor. Diese beiden Neubaustrek-
gierung die Gebührenpolitik der Verkehrsflughäfen, ken sind mit einem Mittelansatz in Höhe von 600 be-
ziehungsweise 100 Millionen DM für die Jahre 1995
- durch Bonuslisten den Luftverkehr mit neueren bis 1997 im Dreijahresplan enthalten. Eine schnellst-
Kapitel-3-Flugzeugen zu fördern (Rabatte bis mögliche Fertigstellung dieser beiden Projekte wird
50 %), dementsprechend angestrebt.

- durch Aufschläge in den Nacht- und Randzeiten


(bis zu 61 %) den Einsatz von lauten Flugzeugen Zu Frage 58:
ökonomisch unattraktiv zu machen,
Von einer weniger dringlichen Einstufung kann
für ein richtiges und wirkungsvolles Instrument. keine Rede sein. Wie bereits ausgeführt, haben
die beiden Neubaustrecken im Zuge der ICE-Ver-
Die Gebührendifferenzierung führt zu einer Sprei- bindung Leipzig-Nürnberg als Verkehrsprojekte
zung von insgesamt ca. 400 % für ein Flugzeug glei- „Deutsche Einheit" höchste Priorität und sind dem-
cher Gewichtsklasse aber unterschiedlicher Lärm- gemäß im Dreijahresplan enthalten. Die Frage nach
emissionen. Der kontinuierliche Rückgang der einge- strukturpolitischen Folgen für den Wirtschaftsraum
setzten lauteren Kapitel-2-Flugzeuge bestätigt das Leipzig-Zwickau-Chemnitz stellt sich in bezug auf
vorgenannte Instrumentarium. diese ICE-Verbindung nicht.
1774* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

Anlage 15 Zu Frage 61:

Antwort Die Bundesregierung nimmt die Entscheidung der


des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die Fra- amerikanischen Regierung zur Kenntnis, auf den
gen des Abgeordneten Joachim Hörster (CDU/CSU) Bau der geplanten Neutronenquelle „Advanced
(Drucksache 13/676 Fragen 59 und 60): Neutron Source" zu verzichten. Es handelt sich um
eine inneramerikanische Prioritätenentscheidung
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das Durchein- aus überwiegend finanziellen Gründen.
ander bei den Gehaltszahlungen der Deutschen Bahn AG nicht
nur demotivierend auf die Mitarbeiter wirkt, sondern daß der in
diesem Durcheinander zu Tage tretende Umgang der Deut-
schen Bahn AG mit ihren Mitarbeitern auch das Ansehen des Zu Frage 62:
Eigentümers schädigt?
Was haben die von der Bundesregierung in die zuständigen Der Bau des FRM-II steht in Übereinstimmung mit
Leitungsgremien der Deutschen Bahn AG entsandten Vertreter den Ergebnissen der INFCE-Konferenz zur Bewer-
getan, um die Mißstände abzustellen, und sind von den Unregel-
mäßigkeiten nur die Gehälter der nachgeordneten Mitarbeiter tung des Brennstoffkreislaufes unter Aspekten der
oder gleichermaßen auch die Gehaltszahlungen der Vorstands- Nichtverbreitung, auf der das RERTR-Programm
mitglieder betroffen? fußt. Bei dieser Konferenz wurde einvernehmlich an-
erkannt, daß es trotz wünschenswerter Reduzierung
Zu Frage 59: des Anreicherungsgrades des Brennstoffs von For-
schungsreaktoren bestimmte Verwendungen gibt,
Bei den betroffenen Mitarbeitern der Deutsche die in angemessener Weise nur mit hochangereicher-
Bahn Aktiengesellschaft ist verständlicherweise Un- tem Uran erreicht werden können. Die Bundesregie-
mut und Verärgerung aufgekommen. Der Vorstand rung hat wiederholt dargelegt, daß sie in der Nut-
der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft bedauert die zung von hochangereichertem Uran für den FRM-II
Fehler in der Entgeltabrechnung und hat die Mitar- keinen Verstoß gegen inte rnationale Verpflichtungen
beiter um Entschuldigung gebeten. zu erkennen vermag. Die Bundesregierung sieht des-
Die Deutsche Bahn Aktiengesellschaft hat die Feh- halb in der Entscheidung des US-Departments of
ler in den Entgeltabrechnungsprogrammen inzwi- Energy keinen Anlaß, die Pläne der TU München für
schen im wesentlichen beseitigen können. Mit der den Bau des Forschungsreaktors FRM-II zu überprü-
Entgeltzahlung am 15. Februar 1995 hat sie die Ent- fen.
geltabrechnungen und -zahlungen für das Jahr 1994
richtiggestellt.

Zu Frage 60:
Der Bund hat die Deutsche Bahn Aktiengesell- Anlage 17
schaft in deren Aufsichtsrat aufgefordert, die Fehler
in der Gehaltsabrechnung abzustellen. Antwort
Er wird sich hierüber im Aufsichtsrat erneut be-
richten lassen. des Parl. Staatssekretärs Bernd Neumann auf die Fra-
gen des Abgeordneten Wolf-Michael Catenhusen
Die übertariflichen Gehälter, zu denen auch die (SPD) (Drucksache 13/676 Fragen 63 und 64):
der Mitglieder des Vorstandes der Deutschen Bahn
Aktiengesellschaft gehören, waren, da sie in einem Liegt dem zuständigen Bundesministerium bereits ein Antrag
gesonderten Abrechnungskreis bearbeitet werden, auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung für den
von den Unregelmäßigkeiten nicht betroffen. geplanten Forschungsreaktor München II vor, wenn ja, seit
wann?

Sieht die Bundesregierung die Voraussetzungen für eine sol-


che Bescheinigung gegeben?

Anlage 16
Zu Frage 19:
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Bernd Neumann auf die Fra- Das Land Bayern hat am 3. Februar 1995 die Ertei-
gen des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) lung einer Unbedenklichkeitserklärung für die Er-
(Drucksache 13/676 Fragen 61 und 62): schließungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der
Wie bewertet die Bundesregierung den Verzicht der amerika- Errichtung einer Hochflußneutronenquelle in Gar-
nischen Regierung auf den Bau einer mit hochangereichertem ching beantragt.
Uran betriebenen Fortgeschrittenen Neutronenquelle (ANS)?
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß damit
der geplante Forschungsreaktor München Il weltweit der einzi- Zu Frage 20:
ge Forschungsreaktor für den Betrieb mit hochangereichertem
Uran ist, der nach dem Anlaufen des internationalen Programms
zur Anreicherungsreduzierung für Forschungs- und Versuchs- Ob die Kriterien für die Erteilung einer Unbedenk-
reaktoren (RERTR) 1978 neu errichtet werden soll? lichkeitserklärung erfüllt sind, wird derzeit geprüft.
Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1775*

Anlage 18 Der Prozeß gegen 9 Mitglieder der „Dalmatinska


Akcija", die verdächtigt werden, am 28. September
Antwort 1993 einen Bombenanschlag auf die eigenen Büro-
räume organisiert zu haben, ist der Bundesregierung
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage bekannt. Dieser Prozeß ist derzeit noch nicht abge-
des Abgeordneten Roland Kohn (F.D.P.) (Drucksache schlossen. Da der Sprengstoffanschlag als terroristi-
13/676 Frage 65): scher Akt eingestuft wurde, läuft das Verfahren vor
Mit welchen Schritten wird die Bundesregierung auf die von dem Militärgericht. Der Prozeß verläuft nur schlep-
einem pakistanischen Gericht gegen zwei Christen wegen an- pend, da die anfänglichen Zeugen ihre vor der Poli-
geblicher „Gotteslästerung" erlassenen Todesurteile reagieren, zei gemachten Aussagen im Gerichtsverfahren wi-
und wie beurteilt die Bundesregierung die Situation der christ- derrufen haben und das Gericht noch nicht alle neun
lichen Minderheit in Pakistan generell?
Angeklagten vernehmen konnte. Die letzte Verhand-
lung fand im Oktober 1994 statt. In Haft befindet sich
Die von Ihnen angesprochenen Todesurteile sind nur der mutmaßliche unmittelbare Täter, der im Rah-
inzwischen durch Freisprüche aufgehoben worden. men der polizeilichen Ermittlungen gestanden hatte,
Die beiden Ch ri sten befinden sich, wie auch von den die Bombe gelegt zu haben, das Geständnis vor
Medien berichtet worden ist, in Deutschland. Die Gericht jedoch widerrief. Die Prozeßbeobachter, zu
Bundesregierung ist erleichtert darüber, daß die To- denen zahlreiche Sympathisanten der Dalmatinska
desurteile durch Freisprüche aufgehoben wurden. Akcija, unabhängige Menschenrechtsorganisationen
Die Bundesregierung hat von Anfang an energi- und Journalisten gehören, haben die Verfahrens-
sche Schritte unternommen, um ihre Bestürzung weise des Gerichts bisher nicht beanstandet.
über das Unrechtsurteil zum Ausdruck zu bringen Mit zunehmender Prozeßdauer sind die Spekula-
und es aus der Welt zu schaffen. Der deutsche Ver- tionen über etwaige politische Hintergründe zurück-
treter bei der Menschenrechtskommission in Genf, gegangen. Fest steht bislang nur, daß aufgrund des
Bundesminister a. D. Baum, hat den pakistanischen inzwischen fragwürdig gewordenen polizeilichen Er-
Delegierten auf die Urteile angesprochen und ihn mittlungsergebnisses das Gericht die Anklage ange-
über die Bestürzung der Bundesregierung und der nommen hat und der Prozeß bisher fair verhandelt
deutschen Öffentlichkeit unterrichtet. Mehrfach hat wurde.
die Europäische Union in Pakistan in gleicher Ange-
legenheit demarchiert. Die Deutsche Botschaft in Zagreb verfolgt weiter-
hin den Prozeß und unterrichtet die Bundesregierung
Zum zweiten Teil der Frage ist festzustellen, daß regelmäßig über seine Entwicklung. Die Bundesre-
Pakistan ein Land mit einem funktionierenden gierung nutzt ihrerseits jede Gelegenheit, um im Ge-
Rechtssystem ist. Die Rechte der christlichen Minder- spräch mit der kroatischen Regierung noch vorhan-
heit sind grundsätzlich gewährleistet. Gleichwohl ist dene Mängel bei der Schaffung eines demokrati-
in Pakistan wie in einer Reihe anderer Länder ein Er- schen Rechtsstaates in Kroatien anzusprechen.
starken extremistischer religiöser Bewegungen zu
beobachten, das das gerade in Südasien traditionelle
Nebeneinander verschiedener Religionen in Tole-
ranz und gegenseitiger Achtung bedroht. Die Bun-
desregierung ist zuversichtlich, daß Pakistan auch in Anlage 20
Zukunft die Rechte der christlichen und anderer
Minderheiten garantieren und durchsetzen wird. Antwort
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen
des Abgeordneten Rudolf Bindig (SPD) (Drucksache
13/676 Fragen 68 und 69):
Anlage 19 Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß der Be-
richt zum Thema Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der
Religion oder Überzeugung, der der diesjährigen Sitzung der
Antwort VN-Menschenrechtskommission von Sonderberichterstatter
Amor gemäß Resolution 1994/16 vorgelegt wurde, Behauptun-
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen gen der Scientology-Bewegung wegen angeblicher Diskrimi-
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) nierung in der Bundesrepublik Deutschland enthält, und wie hat
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/676 die deutsche Delegation bei der Sitzung auf diese Tatsache
reagiert?
Fragen 66 und 67):
Wann und in welcher Form wird die Bundesregierung zum In-
Ist der Bundesregierung bekannt, daß seit November 1993 halt dieser Vorwürfe detailliert und öffentlich Stellung bezie-
Mitglieder der oppositionellen Partei Dalmatinska Akzija in hen?
einem Prozeß angeklagt sind, unter dem Vorwurf, ihr eigenes
Parteigebäude durch ein Sprengstoffattentat zerstört zu haben,
um so den Staat Kroatien zu schädigen, und wie beurteilt die Zu Frage 68:
Bundesregierung dieses Verfahren, das der Schwächung der de-
mokratischen Opposition Kroatiens dienen soll?
Die Bundesregierung hält den ungeprüften Ab-
druck von Behauptungen der Scientology-Bewegung
Ist die Bundesregierung bereit, ihre Kontakte zur Regierung wegen angeblicher Diskriminierung in der Bundesre-
von Kroatien zu nutzen, um darauf hinzuwirken, diesen Prozeß
nach rechtsstaatlichen Kriterien zu Ende zu bringen, und wie
publik Deutschland für eine inakzeptable Vorge-
will sie einer zunehmend undemokratischen Entwicklung Kroa- hensweise des Sonderberichterstatters Amor. Sie hat
tiens entgegenwirken? daher während der Sitzung der 51. Menschen-
1776* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

rechtskommission der Vereinten Nationen gegen- ihrer Stellungnahme vertreten. Diese Stellungnahme
über dem mit der Redaktion des Berichts befaßten wird dem Menschenrechtszentrum in Kürze übermit-
Menschenrechtszentrum der Vereinten Nationen in telt.
Genf demarchiert. Dabei hat sie ausführlich die vom
Sonderberichterstatter praktizierte Aufnahme unge- Zu Frage 71:
prüfter Deutschland-kritischer Mitteilungen kritisiert
und nachdrücklich den Anspruch der Bundesregie- Die Scientology-Organisation ist auch auf der
rung auf eine gleichgewichtige Darstellung ihrer OSZE-Überprüfungskonferenz in Budapest (10. Ok-
Stellungnahme vertreten. Darüber hinaus hat der tober bis 2. Dezember 1994) aufgetreten. In der Ar-
Leiter der deutschen Delegation zur 51. Sitzung der beitsgruppe 3 dieser Konferenz konnten an bestimm-
Menschenrechtskommission, Gerhart Baum, unmit- ten Sitzungen auch Nichtregierungsorganisationen
telbar nach dortiger Vorstellung des Berichts des teilnehmen und eigene Diskussionsbeiträge leisten.
Sonderberichterstatters den Bericht in scharfer Form Von diesem Recht hat die Scientology-Organisation
öffentlich verurteilt. Gebrauch gemacht und dabei der Bundesrepublik
Deutschland vorgeworfen, ihr die Religionsfreiheit zu
verweigern und ihre Mitglieder zu diskriminieren.
Zu Frage 69: Die deutsche Delegation ist diesen Angriffen ent-
schieden entgegengetreten. Nach ihrem Eindruck
Die Bundesregierung wird nach Abstimmung mit
hat die Scientology-Organisation kaum Resonanz bei
den beteiligten Bundesländern dem Menschen-
anderen Staaten gefunden. Im Schlußdokument fin-
rechtszentrum der Vereinten Nationen in Kürze eine
den sich die Anliegen der Scientology-Organisation
Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen über-
nicht wieder.
mitteln.

Anlage 22
Anlage 21
Antwort
Antwort
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage
des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz (CDU/
der Abgeordneten Renate Rennebach (SPD) (Druck- CSU) (Drucksache 13/676 Frage 72):
sache 13/676 Fragen 70 und 71):
Welche Informationen liegen der Bundesregierung über das
Militärabkommen zwischen Rußland und Serbien vor, und wie
Teilt die Bundesregierung meinen Eindruck, daß die UNO mit
beurteilt die Bundesregierung dieses Abkommen mit Blick auf
dem Deutschland-Teil des Berichts vom 20. Dezember 1994 des
eine Beendigung des serbischen Aggressionskrieges gegen Bos-
Sonderberichterstatters Amor zum Thema Intoleranz und Diskri-
nien-Herzegowina und Kroatien?
minierung aufgrund der Religion oder Überzeugung der Scien-
tology-Organisation dahin gehend Hilfestellung geleistet hat,
daß diese den Bericht als Bestätigung für ihre geschmacklosen Einzelheiten des Abkommens über militärische Zu-
Thesen im Rahmen ihrer Diffamierungskampagne in der ameri- sammenarbeit zwischen Rußland und der Bundesre-
kanischen Tagespresse gegen die Bundesrepublik Deutschland
und gegen deutsche Scientology-Kritiker verwendet, und wenn publik Jugoslawien (Serbien/Montenegro) sind der
ja, wie will die Bundesregierung mögliche weitere Unterstützun- Bundesregierung nicht bekannt. Die Unterzeichner
gen dieser Art zukünftig verhindern? verlautbarten, daß das Abkommen erst nach Aufhe-
bung der Sanktionen gegen die Bundesrepublik Ju-
Welche weiteren internationalen Gremien sind bislang nach
Kenntnis der Bundesregierung von der Scientology-Organisati- goslawien (Serbien/Montenegro) in Kraft treten soll.
on für ihre Diffamierungskampagne gegen die Bundesrepublik Dem Vernehmen nach soll das Abkommen, in Anleh-
Deutschland und gegen deutsche Scientology-Kritiker bzw. zur nung an andere in der jüngsten Vergangenheit von
Verbreitung ihrer Ideologie und Zwecke benutzt worden, und Rußland abgeschlossene militärische Kooperations-
wie hat die Bundesregierung darauf im Einzelfall reagiert?
abkommen mit anderen Staaten, im wesentlichen Be-
stimmungen über militärische Kontakte und Aus-
Zu Frage 70: tauschprogramme enthalten. Nach Einschätzung der
Bundesregierung wird mit dem Abschluß dieses Ab-
Die Bundesregierung teilt diesen Eindruck. Daher kommens im gegenwärtigen Augenblick ein falsches
hat der Leiter der deutschen Delegation zur Signal gegeben. Es ist den Friedensbemühungen der
51. Sitzung der Menschenrechtskommission der Ver- Kontaktgruppe nicht dienlich.
einten Nationen, Gerhart Baum, unmittelbar nach
dortiger Vorstellung des Berichts des Sonderbericht-
erstatters den Bericht in scharfer Form öffentlich ver-
urteilt. Zudem hat die Bundesregierung gegenüber
dem mit der Reaktion des Berichts befaßten Men- Anlage 23
schenrechtszentrum der Vereinten Nationen in Genf
demarchiert und dabei ausführlich die vom Sonder- Antwort
berichterstatter praktizierte Aufnahme ungeprüfter
Deutschland-kritischer Mitteilungen kritisert. Außer- des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen
dem hat sie nachdrücklich den Anspruch der Bun- der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) (Druck-
desregierung auf eine gleichgewichtige Darstellung sache 13/676 Fragen 73 und 74):
Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995 1777*

Welche politisch-operativen Vorstellungen hat die Bundesre- optionen der WEU auch zur Stärkung der Gemeinsa-
gierung von einem „strategisch parallelen" Erweiterungsprozeß
men Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der
der NATO und der Europäischen Union bzw. der „Gemeinsa-
men Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) der Europäischen EU einzusetzen.
Union?
Die auf dem Petersberg beschlossene Einrichtung
Welche politisch-operativen Vorstellungen hat die Bundesre-
gierung über die Zukunft des europäischen Pfeilers der NATO,
einer militärischen Planungszelle der WEU und die
der WEU in Hinblick auf die weitere Vergemeinschaftung der Zuordnung nationaler und multinationaler Streitkräf-
Außen und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP)?
- teverbände, darunter auch das Eurokorps, sind in-
zwischen weitgehend abgeschlossen. Beim weiteren
Zu Frage 73: Ausbau der operationellen Fähigkeiten der WEU
steht für die Bundesregierung die Verbesserung der
Europäische Union und Nordatlantische Allianz Führungsfähigkeit der WEU und die Fortentwick-
sind zwei Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsar- lung der WEU zugeordneten Einheiten zu Streitkräf-
chitektur. Ziel der Bundesregierung ist die enge wirt- tepaketen für die verschiedenen Petersberg-Aufga-
schaftliche, politische und auch sicherheitspolitische ben im Vordergrund. Weiteres Element zur Stärkung
Verflechtung der neuen Demokratien mit der EU. der operativen Handlungsfähigkeiten der WEU ist
Eine dem Ziel eines „immer engeren Zusammen- die Möglichkeit, für WEU-Operationen zukünftig auf
schlusses" verpflichtete Europäische Union kann die kollektive Ressourcen der NATO und hier insbeson-
Sicherheit neuer und künftiger Mitglieder nicht ge- dere auf alliierte Streitkräftekommandos (CJTF) zu-
ringer einschätzen als die der alten Mitgliedstaaten. rückzugreifen. Die hierzu laufenden Arbeiten sind
Zonen ungleicher Sicherheit in der EU sind mit ihrem von besonderer Wichtigkeit.
Selbstverständnis nicht zu vereinbaren. Neue Mit-
glieder, die es wünschen, müssen daher gleichbe-
rechtigt an der Sicherheitsdimension der EU teilneh-
men und der WEU und auch der NATO beitreten
können. Denn das Atlantische Bündnis bleibt der
weitere Rahmen, in den auch die europäische Sicher- Anlage 24
heits- und Verteidigungsidentität eingebettet ist.
Zu Protokoll gegebene Rede
Die Bundesregierung hat diese Position im Laufe zu Tagesordnungspunkt 10
der Beratungen im Bündnisrahmen und mit den ein- (Antrag: Verkauf
zelnen Bündnispartnern vertreten. Sie hat Nieder- ehemals militärisch genutzter Wohnungen
schlag gefunden im Kommuniqué der Außenmini- durch das Bundesministerim der Finanzen)
stertagung des Bündnisses am 1. Dezember 1994, wo
es in Ziff. 5 heißt: „Die Erweiterung der NATO wird
die Erweiterung der Europäischen Union ergänzen, Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim
ein gleichlaufender Prozeß, der auch seinerseits we- Bundesminister der Finanzen: Bei der Veräußerung
sentlich dazu beiträgt, Sicherheit und Stabilität auf bundeseigener Wohnungen sucht die Bundesvermö-
die neuen Demokratien im Osten auszudehnen." gensverwaltung grundsätzlich die Abstimmung mit
der Gemeinde, in deren Bereich sich das Verkaufsob-
jekt befindet. Die Kommunen sollen schon frühzeitig
Zu Frage 74: prüfen können, ob sie die Liegenschaft selbst erwer-
Die Maastrichter Erklärung der WEU vom ben oder ob eine Veräußerung zur Sicherung woh-
10. Dezember 1991 enthält die Vorgabe, die WEU als nungspolitischer Anliegen an einen bestimmten Drit-
Mittel zur Stärkung des europäischen Pfeilers der At- ten sachdienlich erscheint. So wurde auch von der
lantischen Allianz und als Verteidigungskomponente Oberfinanzdirektion Nürnberg im Jahre 1994 mit
der Europäischen Union weiterzuentwickeln. den 272 Wohnungen der amerikanischen Wohnsied-
lung in Erlangen verfahren. In den Verhandlungen
Beide Funktionen kann die WEU nur als militä- mit der erwerbsinteressierten Gemeinnützigen Woh-
risch handlungsfähige Organisation erfüllen. Dabei nungsbaugesellschaft Erlangen zeigten sich unter-
geht es nicht um die kollektive Verteidigung. Die schiedliche Wertvorstellungen, die zunächst als nicht
operative Wahrnehmung dieser Aufgabe bleibt, wie überbrückbar erschienen.
bereits im WEU-Vertrag festgelegt, auch weiterhin
der NATO übertragen. Die WEU wird aber seit ihrer Unterschiedliche Wertvorstellungen gehören im
Ministerratstagung auf dem Petersberg (19. Juni Immobilienbereich zum Alltag. Für eine an Rechts-
1992) zu einer militärisch handlungsfähigen Organi- vorschriften gebundene Verwaltung sind dabei nur
sation für humanitäre Einsätze, friedenserhaltende begrenzte Verhandlungsspielräume möglich. So kam
Aufgaben und Kampfeinsätze bei der Krisenbewälti- es, daß der beiderseits vorhandene gute Wille, sich
gung (sog. Petersberg-Aufgaben) ausgebaut. Mit der über den Kaufpreis als Grundlage eines General-
Schaffung eigener europäischer Handlungsoptionen mietvertrages zu verständigen, ohne greifbares Er-
für dieses Aufgabenspektrum übernehmen die euro- gebnis blieb.
päischen Bündnispartner größere Verantwortung für
ihre gemeinsame Sicherheit und entlasten die nord- Inzwischen gibt es ein Einvernehmen mit der er-
amerikanischen Partner im Bündnis. Die institutio- werbsinteressierten Gesellschaft, so daß wir eigent-
nelle Verbindung, die durch den Maastrichter Ver- lich „die Akte Erlangen" schließen können, denn
trag zwischen EU und WEU geschaffen wurde, er- beide Parteien haben sich bereits über einen Notar-
möglicht es zugleich, die militärischen Handlungs- termin verständigt. Der gestellte Antrag und die mit
1778* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 24. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1995

ihm verfolgte Zielrichtung bieten aber Veranlassung Der Antrag macht auch deshalb keinen Sinn, weil
zu einigen grundsätzlichen Anmerkungen: den Kommunen bereits jetzt absoluter Vorrang für
den Erwerb von Wohnungen eingeräumt wird, die
Wir sollten davon absehen, durch parlamentari- von „Sozialmietern" genutzt werden sollen. Zudem
sche Anträge den Eindruck zu erwecken, uns in die unterliegen die Ergebnisse der Kontrolle des Bundes-
laufende Geschäftstätigkeit der Bundesvermögens- rechnungshofes und unseres Rechnungsprüfungs-
verwaltung einmischen zu wollen. Wir müssen den ausschusses. Insofern handelt das Bundesministe-
Mitarbeitern dieser Verwaltung die Chance geben, rium der Finanzen bereits jetzt in dem von den An-
ihre Aufgabe im Rahmen der geltenden rechtlichen tragstellern geforderten Sinne.
Vorschriften zu erfüllen. Wir dürfen uns nicht einsei-
tig in die Interessen der vor Ort am Erwerb interes- Deshalb meine Bitte: Prüfen Sie, ob wir uns die
sierten Gesellschaften einbeziehen lassen und die Behandlung des Antrages in den Ausschüssen
eine oder andere fragwürdige Verhandlungsposition nicht infolge der aktuellen Entwicklung sparen
zu unserer eigenen machen. können.

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