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Übersicht zu den Rechtfertigungsgründen


Rechtfertigungsgründe = Erlaubnissätze, die das durch obj. und subj. Tb. verwirklichte Erfolgs- und
Handlungsunrecht ausnahmsweise kompensieren

I. Notwehr und Nothilfe, § 32 StGB


Der Notwehr liegt das Rechtsbewährungsprinzip zugrunde („Das Recht dem Unrecht nicht zu wei-
chen“). Ferner tritt der in Notwehr handelnde für den Bestand der gesamten Rechtsordnung ein. Dies
erklärt das sehr scharfe Notwehrrecht, das zum einen grds. keine Verhältnismäßigkeitsprüfung kennt
und zum anderen auch schon bspw. wegen eines Angriffs auf das Eigentum ausgeübt werden darf.
Von Notwehr spricht man sofern der Angegriffene selbst die Abwehrhandlung vornimmt. Nothilfe meint
hingegen den Fall; dass ein Dritter die Abwehrhandlung zu Gunsten des Angegriffenen vornimmt.
Notwehr kommt in Betracht, wenn sich die Handlung gegen einen menschlichen Angreifer und dessen
Rechtsgüter richtet. Geht die Gefahr von einer Sache aus, die auch nicht von einem Menschen in-
strumentalisiert wurde, so ist § 228 BGB anzuwenden

1. Objektives Rechtfertigungselement
a) Notwehrlage: Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff:
- Angriff ist jede Beeinträchtigung rechtlich geschützter Güter und Interessen durch menschli-
ches Verhalten. Maßgeblich ist eine objektive ex-post-Betrachtung.
- Gegenwärtig ist der Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch an-
dauert (Achtung: anders als bei § 34 StGB reicht hier eine Dauergefahr nicht aus).
- Rechtswidrigkeit ist gegeben, wenn ein Widerspruch zur obj. Rechtsordnung (nicht nur StGB)
und keine Duldungspflicht besteht (zB bei seinerseits durch Notwehr gerechtfertigtem Angriff).

P: Notwehrfähigkeit von Rechtsgütern der Allgemeinheit


Rechtsgüter der Allgemeinheit wie die öff. Sicherheit und Ordnung, Gewässerreinheit oder Tier-
schutz begründen keine notwehrfähigen subjektiven Rechte des Bürgers. Ihr Schutz ist Aufgabe
der zuständigen Staatsorgane (Gewaltmonopol). Insofern kommt nur § 34 StGB in Betracht.

b) Notwehrhandlung
kann nur gg. den Angreifer bzw. dessen Rechtsgüter richten, nicht gegen Dritte (nur §§ 34, 35 StGB.

aa) Geeignetheit der Notwehrhandlung


(+), wenn durch sie der Angriff sofort und endgültig beendet oder zumind. abgeschwächt werden kann.

bb) Erforderlichkeit der Notwehrhandlung


Die Handlung ist erforderlich, wenn die das mildeste der gleich geeigneten Mittel ist.
Das Risiko einer möglicherweise nicht ausreichenden Verteidigung oder weiteren Beeinträchtigun-
gen muss der Angegriffene nicht eingehen. Gleichwohl muss bei Vorliegen mehrerer gleich effek-
tiver Mittel das mildeste gewählt werden. Maßgeblich ist eine ex-ante-Betrachtung.
(P): Ungewollte Auswirkungen der Notwehrhandlung:
Ist die Handlung erf., so ist ein aus der typ. Gefährlichkeit der Handlung resultierender, ungewollt
eingetretener Erfolg unbeachtlich. Abzustellen ist nur auf die Notwehrhandlung, nicht auf den tat-
sächlich eingetretenen Erfolg. (Bsp.: bei einem gerechtfertigten Schlag mit der Pistole auf den
Kopf löst sich dabei ein Schuss, der den Angreifer tötet)

Eine Güterabwägung findet wegen des Rechtbewährungsgedankens nicht statt. „Das Recht
braucht dem Unrecht nicht zu weichen“!

2008 RA Dr. Philipp Hammerich


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bb) Gebotenheit der Notwehrhandlung


In Ausnahmefällen muss das Notwehrrecht aus sozialethischen Gründen eingeschränkt werden.:
• Unerträgliches Missverhältnis zw. Art und Umfang der drohenden Verletzung und der Verlet-
zung des Angreifers; hier lebt die allgemeine Güterabwägung wieder auf. „Kirschbaumfall“!
• Angriffe erkennbar schuldlos Handelnder, von Kindern, Geisteskranken; das Rechtsbewäh-
rungsprinzip verlangt keine Verteidigung. Es gilt „Ausweichen vor Schutzwehr vor Trutzwehr“!
• enge familiäre Beziehung; hM verlangt Hinnahme leichter Verletzungen (P) „Gewalt in der
Ehe“Der BGH hierzu in § 212, 16, 32, 33 StGB (NStZ-RR 2002, 303ff. = Life&Law 2003, 29ff.)
Allein die subjektive Befürchtung, ein Angriff stehe unmittelbar bevor, begründet für sich ge-
nommen noch keine Notwehrlage. Auf die rechtlichen Grundsätze der Putativnotwehr findet §
33 StGB keine Anwendung. Die frühere Rechtsprechung des BGH, dergemäß Ehegatten unter
bestimmten Umständen abverlangt wird, auf ein sicher wirkendes, aber tödliches Verteidi-
gungsmittel zu verzichten, auch wenn die Anwendung eine Beseitigung der Gefahr nicht mit Si-
cherheit erwarten lässt, bedarf zumindest der Einschränkung. Ob an dieser Rechtsprechung
festgehalten werden kann, bleibt offen. Ein Ausweichen der Ehefrau statt der Verwendung ei-
nes möglicherweise tödlich wirkenden Verteidigungsmittels kann zumutbar sein, wenn die fami-
liäre Auseinandersetzung in neuerliche Gewalttätigkeiten des Ehemanns zu eskalieren droht
und eine lang andauernde gewalttätige Vorgeschichte mit mehrfacher Trennung der Eheleute,
aber Rückkehr der Ehefrau (eines der Opfer der Gewalttätigkeiten) zu ihrem Ehemann besteht.
• Unfugabwehr, Bagatellangriffe (z.B. „Anleuchten mit der Taschenlampe“)
Eingriffe in die körperliche Integrität dürften kaum gerechtfertigt sein.
• Notwehrprovokation:
P Provokation A

rw. provozierter Angriff

P Gegenangriff - Notwehrhandlung ? A

P provoziert A, dieser greift daraufhin P an (z.B. durch Faustschläge, § 223). P verteidigt sich mit ei-
nem Gegenangriff (z.B. Messerstich, §§ 223, 224 I). Ist P durch Notwehr gem. § 32 gerechtfertigt?
Beachte: Der Angriff des A muss rw sein, ansonsten fehlt es für P schon an einer Notwehrlage. Die
Rw.keit des Angriffs des A kann insb. ausscheiden, wenn die Provokation des P rw war, da der Angriff
des A dann gerechtfertigt sein könnte (probl. ist dabei häufig die Gegenwärtigkeit des Provokations-
Angriffes, bspw. Bsp.: Beleidigung: Angriff auf die Ehre ist idR schon abgeschlossen).

(P) Welche Qualität muss das provozierende Verhalten haben ? es ist zu differenzieren:
 rm u. sozialadäquate Hdlg.: nicht strafr.relevant  Kein Bedürfnis für Einschr. der NotwehrR
 rechtswidrige Handlung: Provokation (+)
 Handlung ist rechtmäßig, aber sozialethisch missbilligenswert: Provokation str.:
Bsp.(vereinfacht nach BGHSt 42, 97): In einem überfüllten Eilzug setzte sich J zum späteren Ange-
klagten A in ein Abteil der 1. Klasse, obwohl J nur eine Fahrkarte der 2. Klasse hatte. J war durch Al-
kohol „leicht bis mittelgradig“ berauscht; Biergeruch breitete sich im Abteil aus. Obwohl A in nur weni-
gen Minuten aussteigen musste, öffnete er das Fenster, um den nur leicht bekleideten J aus dem Ab-
teil „hinaus zu ekeln“. J schloss das Fenster und drohte A; A öffnete es wieder und zeigt J ein Messer.
Ob J das Messer im Halbdunkeln wahrnahm, ließ sich nicht klären. Es kommt nach einem Angriff des
J zur Eskalation und zum Kampf, der mit einer tödlichen Stichverletzung des J endet.
arg. gegen Provokation: Störender bewegt sich auf dem Boden des Rechts;
arg. für Provokation: Die Gebotenheit ist eine sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts, also
muss es hier auch auf sozialethische Beurteilung ankommen

2008 RA Dr. Philipp Hammerich


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 Behandlung der Notwehrprovokation


Die Behandlung der Notwehrprovokation ist im einzelnen strittig. Wichtig ist die Differenzierung zwi-
schen Absichtsprovokation und fahrlässigen Notwehrprovokation.
 Hat der Provokateur die Notwehrlage absichtlich herbeigeführt, um den anderen „unter dem Deck-
mantel der Notwehr“ verletzen zu können, so liegt eine Absichtsprovokation vor.
Die Fälle der nicht absichtlichen Notwehrprovokation, dh (bedingt) vorsätzlich oder fahrlässig her-
beigeführter Angriff, werden unter dem Stichwort „fahrlässige Notwehrprovokation“ diskutiert.

(a) Absichtsprovokation
Es werden im wesentlichen drei verschiedene Ansichten vertreten:
 Rechtsprechung und Teile des Schrifttums : Versagung jeglichem Notwehrrecht.
Arg.: Rechtsmissbräuchlichkeit, eigentlicher Angreifer ist der Provozierende, Einwilligung in den Angriff
(fraglich, da wohl keine Einwilligung in eine Verletzung)
große Teile der Literatur abgestuftes Notwehrrecht („Ausweichen vor Schutzwehr vor Trutzwehr“):
zunächst muss der Provozierende ausweichen oder weglaufen; nur wenn dies nicht mögl. Ist, ist eine
Schutzwehr zulässig; nur wenn diese nicht mögl. ist, darf der Provozierende zur Trutzwehr übergehen.
Das Maß der hinzunehmenden Angriffsintensität hängt dabei von der Schwere der Provokation ab.
actio illicita in causa: knüpft für die Rechtswidrigkeit an die Provokationshandlung an (die konkrete
Verteidigungshandlung gilt hingegen als gerechtfertigt). Dagegen spricht, dass das Verhalten dann
gleichzeitig rw und - als Abschluss des in Gang gesetzten Ablaufs – rm wäre. Zudem fehlt es an der
obj. Zurechnung, da der Provozierte selbst entscheidet, ob er angreift = sich provozieren lässt.

Problem: Absichtlich provozierter Angriff erfolgt intensiver als erwartet.


Der BGH bleibt auch in diesen Fällen bei der strengen Versagung des Notwehrrechts. Die wohl hL
lässt hingegen zumindest ein abgestuftes Notwehrrecht wiederaufleben (Fahrlässigkeitsvorwurf).

(b) Fahrlässige Notwehrprovokation


Hat der Provokateur den Angriff (bedingt) vorsätzlich oder fahrlässig hervorgerufen, so steht ihm nach
überwiegender Ansicht nur ein eingeschränktes, abgestuftes Notwehrrecht. Das Maß der hinzuneh-
menden Beeinträchtigung richtet sich nach der Schwere und Vorwerfbarkeit der Provokation. Eine
völlige Versagung wird nicht gefordert.

(P) Fahrl.Strafbarkeit bei Rechtfertigung (BGH NJW 01,1075ff. = L&L 01, 409ff.):
A erlitt bei einer Schlägerei, bei der M zugegen war, erhebliche Knieverletzungen und wollte sich aus
diesem Grunde an M rächen. Hierfür gewann er den C, der dem M durch einen Schrotschuss ähnliche
Verletzungen beibringen sollte. C lockte den M unter einem Vorwand zu einem entlegenen Waldstück,
wobei er die Schrotflinte in seiner Jacke verbarg. M führte seinerseits einen Totschläger mit sich.
C entschloss sich nun, zum Zwecke der Durchführung dem M zunächst einen schweren Faustschlag
zu versetzen, danach wollte er M in das Knie schießen. M konnte den Faustangriff stoppen und ver-
setzte dem C mit dem Totschläger einen wuchtigen Stoß, so dass dieser stark blutend zu Boden ging.
Daraufhin holte M abermals mit dem Totschläger aus und stürzte sich auf den C. Dieser verspürte
Todesangst, zog die Waffe und erschoss den M.
LG:
§ 212 StGB (-) → zwar § 32 StGB (-) wg. Provokation, aber § 33 StGB (+) (fragl. wg. Gebotenheit)
§ 227 StGB (+) → Anknüpfungspunkt liegt hier bereits in erstem Angriff des C auf M (Faustschlag),
mit dem die tödlich endende Kausalkette in Gang gesetzt wurde → zu diesem Zeitpunkt § 33 StGB (-)
§§ 226, 22, 23 StGB (+)
BGH:
§ 212 StGB (-) → § 32 StGB (+) bzgl. Schuss; zwar Notwehrprovok., aber abgestuftes Notw.R (+)
§ 227 StGB (-) → § 32 StGB (+) bzgl. Schuss s.o.
2008 RA Dr. Philipp Hammerich
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§§ 212, 22, 23 StGB (-) → kein Tatentschluss bzgl. Tötung bei Überfall
§§ 227, 22, 23 StGB (-) → Vers. der Erfolgsqualif.: kein Tatentschl. bzgl. schw. Folge bei Überfall s.o.;
erfolgsqualifizierter Vers.: schwere Folge nicht durch Überfall unmittelbar herbeigeführt
§ 222 StGB (+) → Pflichtwidrigkeit des C ist darin zu sehen, mit dem M in den Wald zu gehen, um ihn
dort schwer zu verl.. Aus einem solchen Verhalten kann auch nach allg.Lebenserfahrung schwerwie-
gende Gefahrenlagen und damit auch der Tod des M, wie die im vorliegenden Fall, resultieren.
§§ 226, 22, 23 StGB (+)

3. Subjektives Rechtfertigungselement
In diesem Zusammenhang ist folgendes umstritten:
a) erfordern Rechtfertigungsgründe bei Vorsatzdelikten ein subj. Rechtfertigungselement?
mA (-); hM (+), da ges.Unrecht, also Handlungsunwert und Erfolgsunwert, muss kompensiert werden.
b) welche Anforderungen sind an das subj. Rechtfertigungselement zu stellen?
h.M.: Verteidigungswille erforderlich. mA: Handeln in Kenntnis der Notwehrlage ausr.
 Folgeproblem: was ist die Rechtsfolge des fehlenden subj. Elements?
eA: nur der Erfolgsunwert wird kompensiert, so dass wie beim Versuch das Handlungsunwert übrig
bleibe  Strafbar daher nur nach Versuch §§ 22ff. StGB analog
aA: Bestrafung wegen Vollendung, da der tb-liche Erfolg eingetreten ist und es ansonsten zu Strafbar-
keitslücken komme, da der Versuch nur ausnahmsweise unter Strafe gestellt werde.
Beachte: Auch eine Fahrlässigkeitstat kann über Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt sein.
e.A.: subj. Rechtfertigungselement erforderl.; HM aber (-), da Fahrlässigkeitsdelikte kein subj. Element
erfordert, so dass es einer entspr. Kompensation auf der Stufe der Rechtswidrigkeit nicht bedarf.

Weiterer wichtiger Fall zur Notwehr: (vereinfacht nach BGH NJW 2000, 1348 = L&L 2000, 713ff.):
Ladendetektiv L sprach den Kunden D an, bei dem er glaubte, gesehen zu haben, dass er einige CDs
in seine Jackentasche gesteckt hatte. Nachdem sich der körperlich weit überlegene D der Feststellung
der Personalien widersetzte und flüchten wollte, sprang ihn der L von hinten an, wobei er seinen linken
Arm um dessen Hals legte. Beide gingen zu Boden und während L versuchte, den D „am Boden zu
fixieren“, rief er um Hilfe und forderte D mehrfach auf, sich zu ergeben. D zeigte jedoch keine Reakti-
on. Nach wenigen Minuten und herbeigeholter Hilfe wurde vom regungslos am Boden liegenden D
abgelassen. Dessen Gesicht hatte sich blau verfärbt. Er war infolge der Strangulation durch L erstickt.
§ 227 StGB? → bis zum Anlegen des Würgegriffs bzgl. §§ 223,239,240 jedenfalls § 127 I 1 StPO (+)
→ ab dem Ansetzen des Würgegriffs § 127 I 1 StPO (-), aber § 32 StGB?
um eine Flucht des D zu verhindern? → § 32 StGB (-), da keine ggw. Notwehrlage mehr, weil kein
tätlicher Angriff des D mehr; Irrtum mögl., allerdings nach § 17 StGB wohl vermeidbarer Verbotsirrtum
als Reaktion auf tätlichen Angriff des D? → zunächst § 32 (+), aber RF entfällt mit der Bewusstlo-
sigkeit des D; dann aber ETBI: § 16 I 1 StGB analog; § 227 StGB (-), aber § 222 StGB (+)

II. Rechtfertigender Notstand


Zu beachten ist, dass die zivilrechtlichen Notstandsregeln BGB (§ 228, § 904) den allg. rechtfertigen-
den Notstand des § 34 StGB verdrängen. Kommen sie in Betracht, sind sie also vorrangig zu prüfen!

1. § 34 StGB
a) Objektives Rechtfertigungselement
(1) Notstandslage: Gegenwärtige Gefahr für geschützte Rechtsgüter
Gefahr = Zustand, bei dem Eintritt e. Schadens wahrscheinlich ist.(obj. ex-ante-Urteil)
Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn der Zustand bei natürlicher Weiterentwicklung jederzeit in einen
Schaden umschlagen kann, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen getroffen werden.
Auch bei Dauergefahr anzunehmen, wenn zur wirksamen Abwendung sofortiges Handeln ange-
zeigt ist (Bsp.: Immer wiederkehrender Spanner).
2008 RA Dr. Philipp Hammerich
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(2) Notstandshandlung
Richtet sich die Handlung gegen eine Sache, so sind §§ 228, 904 BGB vorrangig zu prüfen; § 34 StGB
erfasst als lex specialis nur andere Eingriffe in Rechtsgüter Dritter
(aa) Gefahr nicht anders abwendbar
Erforderlichkeit; Unterschied zu § 32 StGB: Von Ausweichmöglichkeit ist Gebrauch zu machen
(bb) Interessenabwägung
Wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses (zu berücksichtigen: Rang- und Wertverhält-
nis der betroffenen Rechtsgüter (Indiz: Aufzählungsreihenfolge des § 34 StGB, Strafandrohungen des
BT) und konkrete Umstände des Falles, z.B. Art, Ursprung, Nähe der Gefahr; bes. Gefahrtragungs-
pflichten; Rettungschancen für das bedrohte Rechtsgut Keine Abwägung „Leben gegen Leben“ !!!
(cc) Angemessenheit
Handlung muss nach anerkannten Wertvorstellungen der Allg.heit als sachgemäße und dem Recht
entspr. Lösung des Konflikts erscheinen. Kein Eingriff in das höchstpersönliche Recht auf Selbstbe-
stimmung (zwangsweise durchgeführte Blutentnahme, um das Leben eines anderen zu retten, ist
grds. nicht angemessen. Ausn. möglich bei engsten Schutz- und Beistandspflichten (zB Eltern - Kind).

b) Subj. Rechtfertigungselement Handeln in Kenntnis und aufgrund (str., s.o.) der Notstandslage

2. Die zivilrechtlichen Notstandsregeln im Überblick


RF-Grund § 228 BGB defensiver Notstand § 904 BGB aggressiver Notstand
Anw.bereich Einwirkung auf fremde Sache, durch Einwirkung auf fremde Sache, die in keiner
die Gefahr droht Beziehung zur Gefahrenquelle steht
Notstandslage Drohende Gefahr für Notstandstäter Gegenwärtige Gefahr für Notstandstäter
oder Dritten (dann Notstandshilfe) oder Dritten (dann Notstandshilfe)
Perspektive Obj. ex-ante Betrachtung eines obj. sachkundigen Beobachters
Notstandshdlg. Erforderlichkeit Notwendigkeit
Güterabwägung Schaden darf nicht außer Verhältnis Drohender Schaden muss ggü dem bei der
zur drohenden Gefahr stehen. Umgek. Abwehr verursachten Schaden unvhm groß
VHM; Eigentümer muss Beeintr. e. sein. Eigentümer muss Beeintr. dulden, aber
gefahrtragenden Sache dulden. nicht ersatzlos (SchErs § 904 S.2 BGB)
Angemessenheit Nicht erforderlich Nicht erforderlich
Subj.RF-Elenent Handeln in Kenntnis u aufgr. (str.) der Notstandslage

III. Vorläufige Festnahme, § 127 StPO


Differenziere zwischen Abs. 1 und 2; Abs. 1 gilt für jedermann
1. Prüfungsschema Abs.1
a) Festnahmelage
Täter wird auf fr. Tat betr./verfolgt u ist der Flucht verdächtig o. seine Identität nicht sofort feststellb.
Problem: Muss tatsächlich Straftat vorliegen?
• BGH: Dringender Tatverdacht nach pflichtgemäßer Prüfung genügt.
Arg.: - Altruistisches Handeln liegt im Interesse der Allgemeinheit und soll gefördert werden.
- Festnehmender soll nicht Irrtumsrisiko tragen. Schnelles Handeln ist gefragt.
- StPO-Maßnahmen erfordern grds. keinen Nachweis der Täterschaft
• BayObLG (JR 1987, S. 344 ff.)
Tatverdacht genügt, wenn das objektiv erkennbare Geschehen ohne vernünftige und begründete
Zweifel den Schluss auf das Vorliegen einer Straftat zulässt (entspricht weitgehend BGH)
• Starke Mindermeinung : Tatverdacht genügt nicht.

2008 RA Dr. Philipp Hammerich


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Arg.: - Systematischer Zusammenhang mit Abs. 2 zeigt, dass nur Strafverfolgungsorgane bei
Verdacht handeln dürfen und damit gerechtfertigt sind.
- Dem vermeintlichen Täter würde das Notwehrrecht genommen.
- Altruistisch Handelnder ist über Erlaubnistatbestandsirrtum hinreichend geschützt.

b) Festnahmehandlung
Sie muss zur Identitätsfeststellung erforderlich sein und unterliegt strenger Verhältnismäßigkeitsprü-
fung. Wesentliche Eingriffe in die körperliche Integrität sind nicht zulässig.
c) Subj. Rechtfertigungselement Handlung muss in Kenntnis des Festnahmerechts erfolgen.

2. Prüfungsschema Abs. 2 (gilt nur für Strafverfolgungsorgane)


a) Festnahmelage
Vor. für Erlass eines Haftbefehls müssen vorliegen, §§ 112ff. StPO. Wichtig: dringender TV genügt!
b) Festnahmehandlung = s.o. c) Subjektives Rechtfertigungselement = s.o.
IV. Einwilligung – Einverständnis – mutmaßliche Einwilligung
1. Einleitung
Die Einwilligung ist bei Straftaten gegen den Einzelnen ein RF-Grund. Sie begründet sich im
SelbstbestimmungsR des Opfers und setzt ein disponibles Rechtsgüter voraus. Jedoch ist bei StrafTB,
deren deliktischer Charakter spezifisch dadurch geprägt wird, dass sie gegen den Willen des Betroffe-
nen erfolgen (bspw. §§ 123, 181, 177, 239, 240, 242 StGB) bei einer Billigung durch den Betroffenen
bereits der TB nicht verwirklicht. Man spricht insofern von einem tb-ausschließenden Einverständnis.
Als Einwilligungsersatz fungiert die mutmaßliche Einwilligung. Eine solche liegt vor, wenn die Zustim-
mung des Betroffenen nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, eine Würdigung aller Umstände aber
die Annahme erlaubt, dass der Betroffene, falls man ihn fragen könnte, zustimmen würde. Es handelt
sich um ein Einwilligungssurrogat, das ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den wahren Willen des
Rechtsgutsinhabers trifft.

1. Die Voraussetzungen im Überblick


Einverständnis Einwilligung Mutmaßliche Einwilligung

Disposi- TB muss Handeln gegen Einwilligender muss verfü- Es gilt das Gleiche wie bei
tions- oder ohne den Willen des gen dürfen; (-) bei RG der der Einwilligung.
fähigkeit Betroffenen voraussetzen Allg.heit u. eigenen Leben

Einwilli- Natürliche Willensfähig- Natürliche Einsichts- und Hypothetische Einwilligungs-


gungs- keit genügt, da Einver- Urteilsfähigkeit erforderl. fähigkeit, allerdings subsidiär
fähigkeit ständnis rein tatsächli- (Geschäftsfähigkeit nicht ggü wirkl. Willen
chen Charakter hat. erf., str. bei Verm.delikten).

Form Keine ausdrückl. Erklä- Jede nach außen erkennb. ex-ante-Beurteilung aus der
rung erforderlich! Es ge- Manifestation; keine WE Sicht des Rechtsgutsinha-
nügt der innere beste- erf.! Äußerung muss ein- bers; objektive Kriterien ha-
hende Wille. deutig sein/kein Widerruf ben nur Indizwirkung

Zeitpunkt Vor oder während der Tat Vor/während Hdlg.; keine Erklärung fehlt gerade!
nachtr. Gen. wie bei GoA

Freiwilligkeit Willensmängel sind un- Ernstlichk. /Freiwilligk. erf; Erklärung fehlt gerade!
beachtlich außer Zwang keine wes. Willensmängel
2008 RA Dr. Philipp Hammerich
Juristisches Repetitorium Seite 7
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Sittenwid- Unbeachtlich Grds. unbeachtlich; Aus- §228 u.Geschäftsbesorgung


rigkeit nahme: § 228 StGB! darf nicht sittenwidrig sein

subj.Vor. Kenntnis des Einver- Kenntnis und Handeln auf- Geschäftsbesorgungswille =


Bei (mut- ständnisses. Wenn (-): grund der Einwilligung Wille iSd RG-inhabers zu
maßl) Einwil- Obj. TB entfällt, es bleibt Wenn subj. RF-Element handeln. Gewissenhafte
ligung subj. Strafbarkeit wegen un- (-): s.o. Ausführungen bei Prüfung zur Ermittlung des
RF-Element) tauglichen Versuchs Notwehr hyp.Willens zwingend

Irrtümliche Vorsatz entfällt Erlaubnistatbestandsirrtum Tat bleibt rm, wenn wahrer


Annahme gem. § 16 I 1. Wille trotz gewissenhafter
Prüfung verfehlt

V. (P) Rechtfertigung durch „Unrechtsnormen“


Unbillige Ergebnisse lassen sich über die sog. Radbruch’sche Formel lösen. Hiernach verliert Recht
seinen materiell-rechtlichen Gehalt, sofern es im eklatanten Widerspruch zu den Menschenrechten
besteht. In diesem Fall kann also von entsprechenden Gesetzen keine Rechtfertigungswirkung aus-
gehen. Dies stellt auch keinen Verstoß gegen dar.

VI. Rechtfertigende Pflichtenkollision


An diese ist immer im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte zu denken. Rechtfertigend ist eine
Pflichtenkollision nämlich nur, wenn den Handelnden mehrere Erfolgsabwendungspflichten (Hand-
lungspflichten) treffen, von denen er nur eine auf Kosten der anderen erfüllen kann. Subjektiv muss
mit dem Bewusstsein gehandelt werden, überhaupt eine der Erfolgsabwendungspflichten zu erfüllen.

VII. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB


Voraussetzungen:
• Täter muss objektiv und subjektiv berechtigte Interessen verfolgen.
• Äußerung muss zur Wahrnehmung dieser Interessen geeignet und erforderlich sein.
• Äußerung muss sich aufgrund einer Interessenabwägung auch als angemessenes Mittel erweisen.
Häufig wird die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit, Art. 5 I GG, in diesem Kontext zu prüfen sein.
P: „Soldaten sind Mörder. Weltweit“ (BVerfG NJW 95, 3303)
Lässt eine Äußerung mehrere Deutungsmöglichkeiten zu, so sind unter Berücksichtigung von Art. 5
GG die Varianten anzunehmen, die nicht tatbestandsmäßig oder aber gerechtfertigt sind.

VIII. Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, § 218a StGB


§ 218a I StGB enthält bei Erfüllung bloß prozeduraler Bedingungen (Beratung, Frist) einen Tb-
ausschließenden Grund. § 218a II, III StGB enthalten RF-gründefür die dort genannten Indikationstat-
bestände als Spezialfälle des § 34 StGB.

IX. Selbsthilfe, §§ 229, 859 BGB


nur bei zivilrechtl. Anspr.; aber Vorrang der ordentlichen Gerichte (keine Selbstjustiz)

X. Züchtigungsrecht
 h.M.: nur für die Eltern, nicht für Lehrer

2008 RA Dr. Philipp Hammerich


Juristisches Repetitorium Seite 8
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(P): § 1631 II BGB („Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen ...
und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“). Aber: Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6
I GG fordert sinnvolle Erziehungsmaßnahmen; darunter können auch leichte körperl. Züchtigungen
fallen. Deshalb verf. konforme Ausl. des § 1631 II BGB in engen Grenzen: Maßvolle, im konkr. Fall
angemessene und vom Erziehungsgedanken beherrschte Züchtigung ist nicht „entwürdigend“ iSd §
1631 II BGB.
Früher: einhellige Meinung, dass Rechtfertigungsgrund, heute tw. vertreten, dass nicht tatbe-
standsmäßig, da eine nicht „entwürdigende“ Züchtigung auch keine „üble unangemessene Behand-
lung“ i.S.d. § 223 StGB sei.
Bei sonstigen Erziehungsmaßnahmen (z.B. Einsperren im Zimmer): Rechtfertigungsgrund. Auch
hier müssen die oben genannten Kriterien erfüllt sein.

2008 RA Dr. Philipp Hammerich

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