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1. Objektives Rechtfertigungselement
a) Notwehrlage: Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff:
- Angriff ist jede Beeinträchtigung rechtlich geschützter Güter und Interessen durch menschli-
ches Verhalten. Maßgeblich ist eine objektive ex-post-Betrachtung.
- Gegenwärtig ist der Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch an-
dauert (Achtung: anders als bei § 34 StGB reicht hier eine Dauergefahr nicht aus).
- Rechtswidrigkeit ist gegeben, wenn ein Widerspruch zur obj. Rechtsordnung (nicht nur StGB)
und keine Duldungspflicht besteht (zB bei seinerseits durch Notwehr gerechtfertigtem Angriff).
b) Notwehrhandlung
kann nur gg. den Angreifer bzw. dessen Rechtsgüter richten, nicht gegen Dritte (nur §§ 34, 35 StGB.
Eine Güterabwägung findet wegen des Rechtbewährungsgedankens nicht statt. „Das Recht
braucht dem Unrecht nicht zu weichen“!
P Gegenangriff - Notwehrhandlung ? A
P provoziert A, dieser greift daraufhin P an (z.B. durch Faustschläge, § 223). P verteidigt sich mit ei-
nem Gegenangriff (z.B. Messerstich, §§ 223, 224 I). Ist P durch Notwehr gem. § 32 gerechtfertigt?
Beachte: Der Angriff des A muss rw sein, ansonsten fehlt es für P schon an einer Notwehrlage. Die
Rw.keit des Angriffs des A kann insb. ausscheiden, wenn die Provokation des P rw war, da der Angriff
des A dann gerechtfertigt sein könnte (probl. ist dabei häufig die Gegenwärtigkeit des Provokations-
Angriffes, bspw. Bsp.: Beleidigung: Angriff auf die Ehre ist idR schon abgeschlossen).
(P) Welche Qualität muss das provozierende Verhalten haben ? es ist zu differenzieren:
rm u. sozialadäquate Hdlg.: nicht strafr.relevant Kein Bedürfnis für Einschr. der NotwehrR
rechtswidrige Handlung: Provokation (+)
Handlung ist rechtmäßig, aber sozialethisch missbilligenswert: Provokation str.:
Bsp.(vereinfacht nach BGHSt 42, 97): In einem überfüllten Eilzug setzte sich J zum späteren Ange-
klagten A in ein Abteil der 1. Klasse, obwohl J nur eine Fahrkarte der 2. Klasse hatte. J war durch Al-
kohol „leicht bis mittelgradig“ berauscht; Biergeruch breitete sich im Abteil aus. Obwohl A in nur weni-
gen Minuten aussteigen musste, öffnete er das Fenster, um den nur leicht bekleideten J aus dem Ab-
teil „hinaus zu ekeln“. J schloss das Fenster und drohte A; A öffnete es wieder und zeigt J ein Messer.
Ob J das Messer im Halbdunkeln wahrnahm, ließ sich nicht klären. Es kommt nach einem Angriff des
J zur Eskalation und zum Kampf, der mit einer tödlichen Stichverletzung des J endet.
arg. gegen Provokation: Störender bewegt sich auf dem Boden des Rechts;
arg. für Provokation: Die Gebotenheit ist eine sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts, also
muss es hier auch auf sozialethische Beurteilung ankommen
(a) Absichtsprovokation
Es werden im wesentlichen drei verschiedene Ansichten vertreten:
Rechtsprechung und Teile des Schrifttums : Versagung jeglichem Notwehrrecht.
Arg.: Rechtsmissbräuchlichkeit, eigentlicher Angreifer ist der Provozierende, Einwilligung in den Angriff
(fraglich, da wohl keine Einwilligung in eine Verletzung)
große Teile der Literatur abgestuftes Notwehrrecht („Ausweichen vor Schutzwehr vor Trutzwehr“):
zunächst muss der Provozierende ausweichen oder weglaufen; nur wenn dies nicht mögl. Ist, ist eine
Schutzwehr zulässig; nur wenn diese nicht mögl. ist, darf der Provozierende zur Trutzwehr übergehen.
Das Maß der hinzunehmenden Angriffsintensität hängt dabei von der Schwere der Provokation ab.
actio illicita in causa: knüpft für die Rechtswidrigkeit an die Provokationshandlung an (die konkrete
Verteidigungshandlung gilt hingegen als gerechtfertigt). Dagegen spricht, dass das Verhalten dann
gleichzeitig rw und - als Abschluss des in Gang gesetzten Ablaufs – rm wäre. Zudem fehlt es an der
obj. Zurechnung, da der Provozierte selbst entscheidet, ob er angreift = sich provozieren lässt.
(P) Fahrl.Strafbarkeit bei Rechtfertigung (BGH NJW 01,1075ff. = L&L 01, 409ff.):
A erlitt bei einer Schlägerei, bei der M zugegen war, erhebliche Knieverletzungen und wollte sich aus
diesem Grunde an M rächen. Hierfür gewann er den C, der dem M durch einen Schrotschuss ähnliche
Verletzungen beibringen sollte. C lockte den M unter einem Vorwand zu einem entlegenen Waldstück,
wobei er die Schrotflinte in seiner Jacke verbarg. M führte seinerseits einen Totschläger mit sich.
C entschloss sich nun, zum Zwecke der Durchführung dem M zunächst einen schweren Faustschlag
zu versetzen, danach wollte er M in das Knie schießen. M konnte den Faustangriff stoppen und ver-
setzte dem C mit dem Totschläger einen wuchtigen Stoß, so dass dieser stark blutend zu Boden ging.
Daraufhin holte M abermals mit dem Totschläger aus und stürzte sich auf den C. Dieser verspürte
Todesangst, zog die Waffe und erschoss den M.
LG:
§ 212 StGB (-) → zwar § 32 StGB (-) wg. Provokation, aber § 33 StGB (+) (fragl. wg. Gebotenheit)
§ 227 StGB (+) → Anknüpfungspunkt liegt hier bereits in erstem Angriff des C auf M (Faustschlag),
mit dem die tödlich endende Kausalkette in Gang gesetzt wurde → zu diesem Zeitpunkt § 33 StGB (-)
§§ 226, 22, 23 StGB (+)
BGH:
§ 212 StGB (-) → § 32 StGB (+) bzgl. Schuss; zwar Notwehrprovok., aber abgestuftes Notw.R (+)
§ 227 StGB (-) → § 32 StGB (+) bzgl. Schuss s.o.
2008 RA Dr. Philipp Hammerich
Juristisches Repetitorium Seite 4
hemmer
§§ 212, 22, 23 StGB (-) → kein Tatentschluss bzgl. Tötung bei Überfall
§§ 227, 22, 23 StGB (-) → Vers. der Erfolgsqualif.: kein Tatentschl. bzgl. schw. Folge bei Überfall s.o.;
erfolgsqualifizierter Vers.: schwere Folge nicht durch Überfall unmittelbar herbeigeführt
§ 222 StGB (+) → Pflichtwidrigkeit des C ist darin zu sehen, mit dem M in den Wald zu gehen, um ihn
dort schwer zu verl.. Aus einem solchen Verhalten kann auch nach allg.Lebenserfahrung schwerwie-
gende Gefahrenlagen und damit auch der Tod des M, wie die im vorliegenden Fall, resultieren.
§§ 226, 22, 23 StGB (+)
3. Subjektives Rechtfertigungselement
In diesem Zusammenhang ist folgendes umstritten:
a) erfordern Rechtfertigungsgründe bei Vorsatzdelikten ein subj. Rechtfertigungselement?
mA (-); hM (+), da ges.Unrecht, also Handlungsunwert und Erfolgsunwert, muss kompensiert werden.
b) welche Anforderungen sind an das subj. Rechtfertigungselement zu stellen?
h.M.: Verteidigungswille erforderlich. mA: Handeln in Kenntnis der Notwehrlage ausr.
Folgeproblem: was ist die Rechtsfolge des fehlenden subj. Elements?
eA: nur der Erfolgsunwert wird kompensiert, so dass wie beim Versuch das Handlungsunwert übrig
bleibe Strafbar daher nur nach Versuch §§ 22ff. StGB analog
aA: Bestrafung wegen Vollendung, da der tb-liche Erfolg eingetreten ist und es ansonsten zu Strafbar-
keitslücken komme, da der Versuch nur ausnahmsweise unter Strafe gestellt werde.
Beachte: Auch eine Fahrlässigkeitstat kann über Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt sein.
e.A.: subj. Rechtfertigungselement erforderl.; HM aber (-), da Fahrlässigkeitsdelikte kein subj. Element
erfordert, so dass es einer entspr. Kompensation auf der Stufe der Rechtswidrigkeit nicht bedarf.
Weiterer wichtiger Fall zur Notwehr: (vereinfacht nach BGH NJW 2000, 1348 = L&L 2000, 713ff.):
Ladendetektiv L sprach den Kunden D an, bei dem er glaubte, gesehen zu haben, dass er einige CDs
in seine Jackentasche gesteckt hatte. Nachdem sich der körperlich weit überlegene D der Feststellung
der Personalien widersetzte und flüchten wollte, sprang ihn der L von hinten an, wobei er seinen linken
Arm um dessen Hals legte. Beide gingen zu Boden und während L versuchte, den D „am Boden zu
fixieren“, rief er um Hilfe und forderte D mehrfach auf, sich zu ergeben. D zeigte jedoch keine Reakti-
on. Nach wenigen Minuten und herbeigeholter Hilfe wurde vom regungslos am Boden liegenden D
abgelassen. Dessen Gesicht hatte sich blau verfärbt. Er war infolge der Strangulation durch L erstickt.
§ 227 StGB? → bis zum Anlegen des Würgegriffs bzgl. §§ 223,239,240 jedenfalls § 127 I 1 StPO (+)
→ ab dem Ansetzen des Würgegriffs § 127 I 1 StPO (-), aber § 32 StGB?
um eine Flucht des D zu verhindern? → § 32 StGB (-), da keine ggw. Notwehrlage mehr, weil kein
tätlicher Angriff des D mehr; Irrtum mögl., allerdings nach § 17 StGB wohl vermeidbarer Verbotsirrtum
als Reaktion auf tätlichen Angriff des D? → zunächst § 32 (+), aber RF entfällt mit der Bewusstlo-
sigkeit des D; dann aber ETBI: § 16 I 1 StGB analog; § 227 StGB (-), aber § 222 StGB (+)
1. § 34 StGB
a) Objektives Rechtfertigungselement
(1) Notstandslage: Gegenwärtige Gefahr für geschützte Rechtsgüter
Gefahr = Zustand, bei dem Eintritt e. Schadens wahrscheinlich ist.(obj. ex-ante-Urteil)
Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn der Zustand bei natürlicher Weiterentwicklung jederzeit in einen
Schaden umschlagen kann, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen getroffen werden.
Auch bei Dauergefahr anzunehmen, wenn zur wirksamen Abwendung sofortiges Handeln ange-
zeigt ist (Bsp.: Immer wiederkehrender Spanner).
2008 RA Dr. Philipp Hammerich
Juristisches Repetitorium Seite 5
hemmer
(2) Notstandshandlung
Richtet sich die Handlung gegen eine Sache, so sind §§ 228, 904 BGB vorrangig zu prüfen; § 34 StGB
erfasst als lex specialis nur andere Eingriffe in Rechtsgüter Dritter
(aa) Gefahr nicht anders abwendbar
Erforderlichkeit; Unterschied zu § 32 StGB: Von Ausweichmöglichkeit ist Gebrauch zu machen
(bb) Interessenabwägung
Wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses (zu berücksichtigen: Rang- und Wertverhält-
nis der betroffenen Rechtsgüter (Indiz: Aufzählungsreihenfolge des § 34 StGB, Strafandrohungen des
BT) und konkrete Umstände des Falles, z.B. Art, Ursprung, Nähe der Gefahr; bes. Gefahrtragungs-
pflichten; Rettungschancen für das bedrohte Rechtsgut Keine Abwägung „Leben gegen Leben“ !!!
(cc) Angemessenheit
Handlung muss nach anerkannten Wertvorstellungen der Allg.heit als sachgemäße und dem Recht
entspr. Lösung des Konflikts erscheinen. Kein Eingriff in das höchstpersönliche Recht auf Selbstbe-
stimmung (zwangsweise durchgeführte Blutentnahme, um das Leben eines anderen zu retten, ist
grds. nicht angemessen. Ausn. möglich bei engsten Schutz- und Beistandspflichten (zB Eltern - Kind).
b) Subj. Rechtfertigungselement Handeln in Kenntnis und aufgrund (str., s.o.) der Notstandslage
Arg.: - Systematischer Zusammenhang mit Abs. 2 zeigt, dass nur Strafverfolgungsorgane bei
Verdacht handeln dürfen und damit gerechtfertigt sind.
- Dem vermeintlichen Täter würde das Notwehrrecht genommen.
- Altruistisch Handelnder ist über Erlaubnistatbestandsirrtum hinreichend geschützt.
b) Festnahmehandlung
Sie muss zur Identitätsfeststellung erforderlich sein und unterliegt strenger Verhältnismäßigkeitsprü-
fung. Wesentliche Eingriffe in die körperliche Integrität sind nicht zulässig.
c) Subj. Rechtfertigungselement Handlung muss in Kenntnis des Festnahmerechts erfolgen.
Disposi- TB muss Handeln gegen Einwilligender muss verfü- Es gilt das Gleiche wie bei
tions- oder ohne den Willen des gen dürfen; (-) bei RG der der Einwilligung.
fähigkeit Betroffenen voraussetzen Allg.heit u. eigenen Leben
Form Keine ausdrückl. Erklä- Jede nach außen erkennb. ex-ante-Beurteilung aus der
rung erforderlich! Es ge- Manifestation; keine WE Sicht des Rechtsgutsinha-
nügt der innere beste- erf.! Äußerung muss ein- bers; objektive Kriterien ha-
hende Wille. deutig sein/kein Widerruf ben nur Indizwirkung
Zeitpunkt Vor oder während der Tat Vor/während Hdlg.; keine Erklärung fehlt gerade!
nachtr. Gen. wie bei GoA
Freiwilligkeit Willensmängel sind un- Ernstlichk. /Freiwilligk. erf; Erklärung fehlt gerade!
beachtlich außer Zwang keine wes. Willensmängel
2008 RA Dr. Philipp Hammerich
Juristisches Repetitorium Seite 7
hemmer
X. Züchtigungsrecht
h.M.: nur für die Eltern, nicht für Lehrer
(P): § 1631 II BGB („Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen ...
und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“). Aber: Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6
I GG fordert sinnvolle Erziehungsmaßnahmen; darunter können auch leichte körperl. Züchtigungen
fallen. Deshalb verf. konforme Ausl. des § 1631 II BGB in engen Grenzen: Maßvolle, im konkr. Fall
angemessene und vom Erziehungsgedanken beherrschte Züchtigung ist nicht „entwürdigend“ iSd §
1631 II BGB.
Früher: einhellige Meinung, dass Rechtfertigungsgrund, heute tw. vertreten, dass nicht tatbe-
standsmäßig, da eine nicht „entwürdigende“ Züchtigung auch keine „üble unangemessene Behand-
lung“ i.S.d. § 223 StGB sei.
Bei sonstigen Erziehungsmaßnahmen (z.B. Einsperren im Zimmer): Rechtfertigungsgrund. Auch
hier müssen die oben genannten Kriterien erfüllt sein.