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17.05.

2021

VO
030777
Grundlagen der Kriminologie

Neunte Einheit am 17. 5. 2021


Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin

Wiederholung vom und Ergänzung zum letzten Mal:

Gewalt im sozialen Nahraum

Besondere Bedeutung:

 aufgrund der weiten Verbreitung („Eine von Fünf“) Copyright: Ringvorlesung von Prof.in
Berzlanovich an der Med.Uni.Wien
 und als Ursache des „Gewaltkreislaufes“
Opfer werden mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder zu Opfern oder aber
zu Täter*innen – im Vergleich zu Menschen, die keine Gewalt erlitten
haben
 wegen der gravierenden gesundheitlichen
und wirtschaftlichen Schäden (Schätzung: Kosten von Polizei, Gericht,
Strafvollzug, Gesundheitsversorgung, Sozialhilfe, Opferhilfe auf 78 Mio
Euro; mit allen wirtsch. Folgekosten ein Vielfaches davon pro Jahr!
(Siehe Haller, B. / David, E., Kosten häuslicher Gewalt in Österreich, Wien 2006)

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Die Strafrechtliche Reaktion …

… ist auch nicht immer mit Vorteilen für die


Opfer verbunden:
 Geldstrafen können überwälzt werden
 Freiheitsstrafen führen zu vorübergehender
Sicherheit aber uU steigender Gewaltbereitschaft
des Verurteilten;
 Diversionelle Maßnahmen oder gar Einstellungen,
aber auch bedingte Strafen können als
Verharmlosung erlebt werden.

Die geringe Strafdrohung …

… für einfache Körperverletzungen wird

 insbesondere dem Unwert typischer „Gewaltkreisläufe“


nicht gerecht!

 verhinderte bisher die Verhängung von


Untersuchungshaft selbst bei vielen Wiederholungstätern

  Neuer Straftatbestand des § 107b StGB

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Ein neuer Straftatbestand


(eingeführt durch das 2. Gewaltschutzgesetz mit 1.6.2009)
§ 107b StGB Fortgesetzte Gewaltausübung
 (1) Wer gegen eine andere Person eine längere Zeit
hindurch fortgesetzt Gewalt ausübt, ist mit Freiheitsstrafe
bis zu drei Jahren zu bestrafen.
 (2) Gewalt im Sinne von Abs. 1 übt aus, wer eine andere
Person am Körper misshandelt oder vorsätzliche mit Strafe
bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen
die Freiheit mit Ausnahme der strafbaren Handlungen nach
§§ 107a, 108 und 110 begeht.
 (3) …

Paradigmenwechsel durch
Gewaltschutzgesetze

 Täter(in) muss gehen – nicht das Opfer

 Initiative und Verantwortung liegt beim Staat;


Schutz erfolgt auch gegen den Willen des Opfers!

 Proaktive Unterstützung des Opfers durch


Gewaltschutzzentren und Interventionsstelle
(Die Hilfe wird an das Opfer herangetragen, Opfer muss
nicht von sich aus die Initiative ergreifen)

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Gewaltschutzgesetz
 § 38a SPG:
Betretungsverbot (und nötigenfalls Wegweisung)

 § 25 (3) SPG: sieht die Beauftragung von


Opferschutzeinrichtungen mit „nachgehender“ Beratung
der bedrohten Personen vor.

 § 56 Abs 1 SPG: Ermächtigung zur Datenübermittlung an


Opferschutzeinrichtungen (Gewaltschutzzentren bzw.
Interventionsstelle Wien)

 § 382b EO: Einstweilige Verfügung zum Schutz vor


Gewalt in der Familie

Streitschlichtung
oder Betretungsverbot?

 Liegen die Voraussetzungen des § 38 a SPG vor, so sollte


grundsätzlich mit einem Betretungsverbot vorgegangen
werden, das ist aber nicht zwingend: der Gesetzeswortlaut
spricht aber „nur“ von einer Ermächtigung.
(Aus der Aufgabe der Gefahrenabwehr ist das aber wohl
als Pflicht zu interpretieren. Ebenso: Vorgabe der
Istanbulkonvention!)
 Streitschlichtung ist weit weniger „Aufwand“ an
Dokumentation und Intervention – wirkt aber wohl auch
nicht annähernd so präventiv, sondern eher verharmlosend.

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1. Schritt: Betretungsverbot (§ 38a SPG)


(und ggf. Wegweisung zur Durchsetzung)

 Voraussetzung: (drohender) gefährlicher Angriff auf


Leben, Gesundheit oder Freiheit
 Betretungsverbot gegen Menschen, von dem die Gefahr
ausgeht, aus Wohnung, die die gefährdete Person bewohnt,
und aus der unmittelbaren Umgebung
 Besitzverhältnisse an der Wohnung irrelevant
 Dauer: 2 Wochen

Praktische Umsetzung der Wegweisung

 Schlüsselabnahme
 Abklären einer Unterkunftsmöglichkeit
 „Kofferpacken“ unter Aufsicht
 neue Zustelladresse
 Informationsblatt
 genaue Dokumentation
 Information der „Interventionsstelle“ bzw. der
Gewaltschutzzentren und, soweit Kinder betroffen sind,
des Kinder- und Jugendhilfeträgers!

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Die Verletzung des Betretungsverbotes…

 … stellt eine Verwaltungsübertretung dar.


(§ 84 Abs 1 Z 2 SPG)

 Wien 2010: rund 300 Verwaltungsstrafen bei 3000


Betretungsverboten

 Lässt die gefährdete Person die / den vom


Betretungsverbot Betroffenen in die Wohnung machte sie
sich früher auch (wegen Beihilfe) dieser
Verwaltungsübertretung schuldig, seit 2013 jedoch nicht
mehr!

Festnahme zur Durchsetzung des


Betretungsverbotes

 Gemäß Wiederin, Einführung in das


Sicherheitspolizeirecht, 1998, Rz 492 steht jedoch die
Festnahmebefugnis des § 35 VStG zur Verfügung, da die
Missachtung des Betretungsverbotes eine
Verwaltungsübertretung gemäß § 84 (1) Z 2 darstellt.

 Wenn allerdings neuerlich ein gefährlicher Angriff droht


ist eine neuerliches Betretungsverbot ggf kombiniert mit
Wegweisung möglich!

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Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt


– Wien 2013 / 2015 / 2019

 Meldungen §38a SPG – Betretungsverbote 3.429 / 3.138 / 2.789


davon (in 4 Monaten) 73 inkl. Kinderbetreuungseinrichtungen
2015 in 12 Monaten: 152
 Meldungen Strafanzeige
(insb. Stalking, ohne BV) 374 / 385 / 579
 Meldungen Streitschlichtungen 45 / 37 / 25
_______________________________________________________
 Gesamt 3.848 / 3.560 / 3.393

Ein Betretungsverbot ist ein


Grundrechtseingriff!
 Die Wegweisung bzw. das Betretungsverbot muss zeitlich
relativ knapp beschränkt sein, da dies einen
Grundrechtseingriff darstellt, der ohne richterliche
Entscheidung erfolgt.
 Deswegen ist auch die Überprüfung der Zulässigkeit
jeder solchen Anordnung durch die Sicherheitsbehörde
innerhalb von 48 Stunden vorgeschrieben.

 Im Falle der Aufhebung ist auch die „gefährdete“ Person


unverzüglich zu informieren.

 Überprüfung durch zuständige/n Polizeijuristin/en bzw.


Beamten der Bezirksverwaltungsbehörde (Art. 78a Abs 1
B-VG)?

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Was passiert in den 2 Wochen des


Betretungsverbotes?
 Überprüfung der Zulässigkeit der Maßnahme innerhalb
von 48 Stunden durch die Sicherheitsbehörde (siehe oben)

 Überprüfung der Einhaltung des Betretungsverbotes


innerhalb der ersten drei Tage
 Interventionsstelle nimmt Kontakt mit der gefährdeten
Person auf
 Entscheidung der gefährdeten Person
 Fortsetzen der Beziehung (nach Betretungsverbot)
 längere „Bedenkzeit“ (bis zu sechs Monaten)
(Antrag auf einstweilige Verfügung)
 Trennung (Einstweilige Verfügung in Verbindung mit
Scheidungsklage, Räumungsklage etc.)

3. Schritt: Längere Bedenkzeit durch


einstweilige Verfügung

 Geregelt in § 382 b EO (Exekutionsordnung)

 Antrag beim zuständigen Bezirksgericht


 Wird der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach

Erlassung des Betretungsverbotes gestellt, so


verlängert sich dieses auf vier Wochen
 Das Bezirksgericht hat die Polizei von der Einbringung

des Antrags in Kenntnis zu setzen!

 Nun auch ohne anhängiges Scheidungs- oder


Räumungsverfahren für bis zu sechs Monate möglich

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Vorteil der Einstweiligen Verfügung


gegenüber einer regulären Klage

 Wesentlich rascher!

 Es reicht die „Bescheinigung“ der


Voraussetzungen

 u.U. einseitig, dh in dringenden Fällen muss nicht


einmal der Gegner gehört werden
 Deswegen aber auch grs nur „einstweiliger
Charakter“

Voraussetzungen
einer EV gemäß § 382b EO

 Voraussetzungen:
 (Drohung mit) körperlichem Angriff oder Psychoterror

 dringendem Wohnbedürfnis des Antragstellers, wenn

das weitere Zusammenleben unzumutbar ist


(nicht mehr beschränkt auf nahe Angehörige!)

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Einstweilige Verfügungen
gemäß § 382 e und g EO

 Dienen dem allgemeinen Schutz vor Gewalt (lit e) bzw.


vor Eingriffen in die Privatsphäre („Stalking“, lit g)

soweit nicht eine Wohnung betroffen ist, die der


Antragsgegner selbst (mit)benützt (hat).

Einstweilige Verfügungen
gemäß § 382 e und g EO

 Diese Einstweiligen Verfügungen können sogar - ohne


anhängiges Hauptverfahren (also, ohne, dass eine
Unterlassungsklage eingebracht wird) – für bis zu einem
Jahr erlassen werden.

 Weiters sind sie im Falle des Zuwiderhandelns um bis zu


ein Jahr verlängerbar!

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Verwaltungsstrafbestimmung

 Mit September 2013 ist eine Verwaltungsstrafbestimmung


in Kraft getreten, die das Zuwiderhandeln gegen
einstweilige Verfügungen, die ein Kontakt- oder
Betretungsverbot zum Inhalt haben, mit einer Geldstrafe
bis zu 500 Euro bestrafen.
(Im Falle der Uneinbringlichkeit 2 Wochen Freiheitsstrafe)

Endgültige Trennung?

 Dauer der einstweiligen Verfügung verlängert sich bis zum


Abschluss eines der folgenden Gerichtsverfahren
 Scheidungsverfahren
 Delogierungsverfahren
 Antrag auf alleinige Benützung
der Wohnung

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Zusammenfassung
Das „Gewaltschutzgesetz“ baut auf das Zusammenspiel von
 Sicherheitspolizeigesetz (Verwaltung) und

 und Einstweiliger Verfügung (EV) (Justiz) auf.


 Die Polizei hat im Rahmen der Wegweisung auch Umstände zu
erheben, die für die Erlassung einer EV entscheidend sind.
 Der Antrag auf Erlassung einer EV verlängert die Dauer der
Wegweisung auf bis zu vier Wochen, um einen durchgehenden
Schutz der gefährdeten Person zu ermöglichen, wenn das Gericht
entsprechend schnell entscheidet.
Von der Einbringung eines Antrages hat das Gericht
unverzüglich die Sicherheitsbehörde in Kenntnis zu setzen. (§
38a (7) SPG)

Große Bedeutung der Interventionsstellen!

 Entscheidend für den Erfolg des Gewaltschutzgesetzes war


die Einrichtung der Interventionsstelle (Wien) bzw.
Gewaltschutzzentren (in den anderen Bundesländern)
gegen Gewalt in der Familie
 die nicht bloß „Anlaufstellen“ sind,

 sondern proaktiv mit den oft stark traumatisierten

Opfern Kontakt aufnehmen und sie zur Selbsthilfe


anleiten bzw. bei Behördenwegen unterstützen.

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Nächste Schritte

 Schulungen von RichterInnen und StaatsanwältInnen

 RichteramtsanwärterInnen werden bereits geschult


 richterlichen Unabhängigkeit versus verpflichtende
Weiterbildung?

 Schulungen im Gesundheitswesen

Kein ausreichender Schutz in


Hochrisikofällen!

Um Hochrisikofälle zu erkennen und richtig zu reagieren:


 Gefährdungseinschätzung

 Entsprechende Tools

 In regelmäßigen Abständen durch alle zuständigen

Institutionen
 Untersuchungshaft?

 Personenschutz?

 Zeugenschutzprogramm?

 Frauenhaus?

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Das Gesundheitssystem
und seine Bedeutung für die
Gewaltprävention

Ansprechpartner für Gewaltopfer

An wen wenden sich weibliche Opfer außerhalb von Familie


und Freundeskreis?

 1. Stelle: ÄrztInnen
 2. Stelle: Frauenberatungs- und Zufluchtseinrichtungen
 3. Stelle: Polizei

Müller/Schröttle, Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von


Frauen in Deutschland. In: IFF Info, Zeitschrift des Interdisziplinären
Zentrums für Frauen und Geschlechterforschung (Sonderheft) Jg.21
(28), Bielefeld 2004

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Leitfaden als Informationsquelle

„Gesundheitliche Versorgung
gewaltbetroffener Frauen“
Ein Leitfaden für Krankenhaus und medizinische Praxis

 Fundstelle:
http://www.bmwfj.gv.at/Familie/Gewalt/Documents/Gewa
lt%20gegen%20Frauen%20A4_minimiert_Homepage.pdf

Warum sprechen ÄrztInnen


die Opfer selten von sich aus an?

 Mangelndes Fachwissen über Gewaltphänomen


 Angst, mit den Mitteilungen und Emotionen nicht
umgehen zu können
 Fehlendes Wissen / Kontakte zu Hilfseinrichtungen
 Strukturelle Probleme: Zeitnot, Arbeitsbelastung

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Ansprechen potentieller Opfer

 erfordert Mut
 Kenntnisse in Gesprächsführung
„Beispielsätze“
 Wissen um Kontakte zu Hilfseinrichtungen –
Flyer/Visitenkarten

 Ausbildung gibt Sicherheit

Verschiedene „Anzeigepflichten“

 neben der Anzeigepflicht im Gesundheitsbereich


gemäß § 54 ÄrzteG gibt es auch noch
 die „Mitteilungspflicht“ bei Verdacht auf
Kindeswohlgefährdung in § 37 Bundes-Kinder- und
Jugendhilfegesetz und die
 strafrechtliche Anzeigepflicht von Behörden gemäß
§ 78 StPO (Strafprozessordnung)

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Für und wieder Anzeigepflicht?

 Welche Argumente sprechen Ihrer


Meinung nach für oder gegen eine
Anzeigepflicht?

Zum Spannungsverhältnis zw.


Verschwiegenheits- und Anzeigepflicht

• Verschwiegenheitspflicht als Regelfall


Ausnahmen insb. Entbindung durch Patient*in, Kindeswohl,
gesetzl. Meldepflichten oder Anzeigepflicht
• Die ärztliche Anzeigepflicht hat Vorteile:
 Das Opfer wird der Verantwortung (ggü. dem Täter)
„enthoben“
 Chance auf Veränderung der Situation
…aber auch gravierende Nachteile:
 Gefahr der Eskalation!
 Opfer, die keine Anzeige wünschen, könnten sich „gezwungen
sehen“, auf medizinische Behandlung zu verzichten!

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Anzeigepflicht gemäß § 54 ÄrzteG neu


BGBl. I Nr. 105/2019, in Kraft getreten am 30.10.2019

Anzeigepflicht besteht

• immer bei Todesfolge

• bei schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung


grundsätzlich auch,
und zwar ohne die bisher geltende Einschränkung bei
minderjährigen Opfern, wenn sich der
Verdacht gegen (nahe) Angehörige des Minderjährigen
richtet.

Anzeigepflicht gemäß § 54 ÄrzteG neu

•Bei schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung


zum Nachteil minderjähriger Opfer

kommt daher als mögliche Ausnahme von der Anzeigepflicht


nur § 54 Abs. 5 Ziffer 2 in Betracht:
„Eine Pflicht zur Anzeige nach Abs. 4 besteht nicht, wenn
[…]

2. die Anzeige im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit


beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen
Vertrauensverhältnisses bedarf, sofern nicht eine unmittelbare Gefahr
für diese oder eine andere Person besteht […].“

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Abgrenzung
leichte / schwere Körperverletzung

 Eine Körperverletzung ist schwer,


 wenn sie an sich schwer ist …

 Verletzung eines großen Gefäßes mit großem Blutverlust


 Knochenbruch (Ausnahmen unbedeutender Knochen)
 Eröffnung der Bauch- oder Brusthöhle oder eines Gelenks;
 Verletzung innerer Organe
 …
 …oder wenn die Tat eine länger als 24 Tage dauernde
Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur
Folge hat.

Anzeigepflicht gemäß § 54 ÄrzteG neu

Bei Misshandlungen, Vernachlässigung


und sexuellen Übergriffen
(ohne schwere Körperverletzung oder Vergewaltigung)

besteht bei Erwachsenen grundsätzlich KEINE


Anzeigepflicht ,
außer
• wenn sie ihre Interessen nicht selbst
wahrnehmen können
• „oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder
einer geistigen Behinderung“ wehrlos sind !

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Kinder als Mitbetroffene von Gewalt

Laut einer Evaluationsstudie


von Corinna Seith und Barbara Kavemann
hatten von 158 Kindern, die aufgrund häuslicher Gewalt an
sozialpädagogischen oder therapeutischen Angeboten im Rahmen
des Projekts „Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt“
teilnahmen,

 77% vor Beginn des Unterstützungsangebots selbst Gewalt


erlebt, und zwar etwa
die Hälfte durch den Vater und
knapp ein Fünftel durch die Mutter.

Kinder als Mitbetroffene von Gewalt


Laut derselben Evaluationsstudie
von Corinna Seith und Barbara Kavemann
hatten von diesen 158 Kindern

 85% das Bedrohen der Mutter (3% jenes des Vaters)

 66% das Stoßen, Schlagen oder Treten der Mutter und


(3% j. d. Vaters)

 13% das sexuelle Bedrängen oder Vergewaltigen der Mutter


(0% j. d. V.)
miterlebt

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Die „Anzeigepflicht“ an den


Kinder- und Jugendhilfe-Träger

 … ist geregelt in § 37 Bundes-Kinder- und


Jugendhilfegesetz

 als „Mitteilungspflicht“ bei Verdacht auf


Kindeswohlgefährdung

§ 37 B-KJHG „Mitteilungen bei Verdacht


der Kindeswohlgefährdung“

§ 37. (1) Ergibt sich in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit der


begründete Verdacht, dass Kinder oder Jugendliche misshandelt,
gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden oder
worden sind oder ihr Wohl in anderer Weise erheblich gefährdet ist,
und kann diese konkrete erhebliche Gefährdung eines bestimmten
Kindes oder Jugendlichen anders nicht verhindert werden, ist von
folgenden Einrichtungen unverzüglich schriftlich Mitteilung an den

örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger zu erstatten: %

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% „Mitteilungspflichtige“ gemäß § 37 B-KJHG

1. Gerichten, Behörden und Organen der öffentlichen


Aufsicht;
2. Einrichtungen zur Betreuung oder zum Unterricht
von Kindern und Jugendlichen;

3. Einrichtungen zur psychosozialen Beratung;


4. privaten Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe;

5. Kranken- und Kuranstalten;


6. Einrichtungen der Hauskrankenpflege;

„Mitteilungspflichtige“ gemäß § 37 B-KJHG

(2) Die Entscheidung über die Mitteilung ist erforderlichenfalls im


Zusammenwirken von zumindest zwei Fachkräften zu treffen.

(3) Die Mitteilungspflicht gemäß Abs. 1 trifft auch:


1. Personen, die freiberuflich die Betreuung oder den Unterricht
von Kindern und Jugendlichen übernehmen;
2. von der Kinder- und Jugendhilfe beauftragte freiberuflich tätige
Personen;

3.

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Die Anzeigepflicht des KJH-Trägers und


anderer Behörden gemäß § 78 StPO

Anzeigepflicht
§ 78 StPO (1) Wird einer Behörde oder öffentlichen Dienststelle
der Verdacht einer Straftat bekannt, die ihren gesetzmäßigen
Wirkungsbereich betrifft, so ist sie zur Anzeige an Kriminalpolizei
oder Staatsanwaltschaft verpflichtet.
(2) Eine Pflicht zur Anzeige nach Abs. 1 besteht nicht
 1. wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen
würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen
Vertrauensverhältnisses bedarf, oder …

Die Anzeigepflicht des Kinder- und


Jugendhilfeträgers gemäß § 78 StPO
 … oder
 2. wenn und solange hinreichende Gründe für die Annahme
vorliegen, die Strafbarkeit der Tat werde binnen kurzem durch
schadensbereinigende Maßnahmen entfallen.
 (3) Die Behörde oder öffentliche Dienststelle hat jedenfalls alles
zu unternehmen, was zum Schutz des Opfers oder anderer
Personen vor Gefährdung notwendig ist; erforderlichenfalls ist
auch in den Fällen des Abs. 2 Anzeige zu erstatten.

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Vorrang von
Aufklärung und Dokumentation?

 … ist meiner Meinung nach der Anzeige


vorzuziehen, wo keine Anzeigepflicht besteht, um
zu vermeiden, dass Opfer der Spitalsbehandlung
„ausweichen“ um eine Anzeige zu vermeiden

 Aus demselben Grund lehne ich auch eine


Ausdehnung der Anzeigepflicht strikt ab.

Wer unterstützt ÄrztInnen


und andere Vertreter*innen
der Gesundheitsberufe?

•Opferschutzgruppen, die gemäß § 15d KAG


in Schwerpunktkrankenhäusern einzurichten sind, eventuell auch über
informelle Kontakte?

•Polizei und Opferhilfseinrichtungen stehen auch dem behandelnden


Personal für Auskünfte zur Verfügung;

•Durch das Auflegen von Informationsbroschüren von


Hilfseinrichtungen im Warteraum / am WC erreicht man vielleicht
sogar Opfer, bei denen man selbst keinen Verdacht hinsichtlich erlittener
Gewalthandlungen hatte.

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