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BeckRS 2018, 5576

VG Münster (1. Kammer), Beschluss vom 12.04.2018 - 1 L 2222/17

Titel:

Haltungs- u. Betreuungsverbot, Tierversuchstiere, Amtstierarzt, offenbare


Unrichtigkeit, Tierschutz, Bestandskraft, Schmerzen oder Leiden oder erhebliche
Schäden, Halterin von Tierversuchsmäusen, Tierhaltung

Normenkette:

VwGO § 80 Abs. 3 u. 5 S. 1, § 114 S. 1

Amtliche Leitsätze:

1. Erfolgloser vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Ordnungsverfügung, mit der das


Halten und Betreuen von Tieren, die zum Einsatz in Tierversuchen gezüchtet und
gehalten werden, untersagt worden ist.

2. Den Feststellungen der beamteten Amtstierärzte gemäß § 15 Abs. 2 TierSchG


kommt sowohl hinsichtlich der Frage, ob grobe oder wiederholte Zuwiderhandlungen
gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen vorliegen, als auch hinsichtlich der Frage,
ob den Tieren die in § 16a Abs. 1 TierSchG vorausgesetzten qualifizierten Folgen
zugefügt worden sind, eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu.

Rechtsgebiete:

Verwaltungsverfahren und -prozess, Sonstiges besonderes Verwaltungsrecht

Schlagworte:

Haltungs- u. Betreuungsverbot, Tierversuchstiere, Amtstierarzt, offenbare


Unrichtigkeit, Tierschutz, Bestandskraft, Schmerzen oder Leiden oder erhebliche
Schäden, Halterin von Tierversuchsmäusen, Tierhaltung

ECLI:

ECLI:DE:VGMS:2018:0412.1L2222.17.00

Rechtskraft:

unbekannt

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

1Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 18. Dezember 2017 gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2017 hinsichtlich Ziffer 1

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wiederherzustellen, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg.

21. Die auf die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides bezogene Anordnung der
sofortigen Vollziehung (bei der Bezeichnung „Ziffer 2“ handelt es sich ganz offensichtlich
um einen Schreibfehler und damit um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 42 Satz
1 VwVfG NRW) genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Die
Antragsgegnerin hat mit der Begründung zum Ausdruck gebracht, dass sie sich des
Ausnahmecharakters der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst gewesen ist. Die
Begründung weist auch einen ausreichenden Bezug zu dem vorliegenden Einzelfall auf,
indem sie auf die spezifischen Gefahren für den Tierschutz abstellt, die hier aus einem
weiteren Abwarten bis zur Bestandskraft des Bescheides resultieren.

32. Die vom Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende und am
voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens orientierte Interessenabwägung
zwischen dem privaten Interesse der Antragstellerin, von Vollzugsmaßnahmen einstweilen
verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides
vom 11. Dezember 2017 fällt zu Lasten der Antragstellerin aus.

4Die getroffene Anordnung unter Ziffer 1 des Bescheides, durch die der Antragstellerin das
Halten und Betreuen von Tieren, die zum Einsatz in Tierversuchen gezüchtet und gehalten
werden, untersagt worden ist, erweist sich nach der in dem vorliegenden Verfahren allein
möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig – a) – und
es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung – b) –.

5a) Das Haltungs- und Betreuungsverbot aus der Ordnungsverfügung vom 11. Dezember
2017 (dort Ziffer 1) erweist sich nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.

6Rechtsgrundlage für das von der Antragsgegnerin verfügte Haltungs- und


Betreuungsverbot ist § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbsatz 1 TierSchG.

7Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde demjenigen, der den Vorschriften des
§ 2, einer Anordnung nach Nr. 1 oder einer Rechtsverordnung nach § 2a wiederholt oder
grob zuwidergehandelt und dadurch den von ihm gehaltenen oder betreuten Tieren
erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden
zugefügt hat, das Halten oder Betreuen von Tieren einer bestimmten oder jeder Art
untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er weiterhin derartige
Zuwiderhandlungen begehen wird.

8Die Antragstellerin hat als Halterin von Tierversuchsmäusen – aa) – grob gegen
einschlägige tierschutzrechtliche Anforderungen verstoßen und den Mäusen hierdurch
erhebliche und länger anhaltende Schmerzen und Leiden sowie erhebliche Schäden
zugefügt – bb) –. Die Prognose geht zu ihren Lasten – cc) –. Auf der Rechtsfolgenseiten
liegen keine Ermessensfehler der Antragsgegnerin vor – dd) –.

9aa) Die Antragstellerin ist als vormalige Halterin im Sinne des § 2 TierSchG die richtige
Adressatin der Ordnungsverfügung. Halter eines Tieres im Sinne von §§ 2 und 16a Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 TierSchG ist derjenige, der die tatsächliche Bestimmungsmacht über das Tier
im eigenen Interesse und nicht nur ganz vorübergehend ausübt. Es gilt ein weiter
Halterbegriff, d.h. neben dem Halter im engeren Sinne ist auch der Betreuer umfasst. (Vgl.
BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 2016 – 3 B 34.16 –, juris, Rn. 14; OVG NRW, Urteil
vom 8. November 2007 - 20 A 3885/06 – juris, Rn. 22, 24;
Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 2, Rn. 4 u. § 16a, Rn. 44.)

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10Hiernach war die Antragstellerin Halterin der Mäuse. Denn die maßgeblichen Tiere in den
Boxen 9, 10 und 11 waren sowohl nach der Beschriftung der Käfigboxen als auch nach den
Angaben in den Tierversuchsgenehmigungsunterlagen für die genehmigte Tierhaltung, aus
der die Mäuse entnommen wurden (Az. 84-002.04.2014.A263), ihrer Arbeitsgruppe bzw.
ihr als Versuchsleiterin zugeordnet. Die Antragstellerin bestimmte als Versuchsleiterin den
Aufenthaltsort der Tiere. Nach gegenwärtiger Einschätzung der Kammer nach Aktenlage
war sie es auch, die jeweils die Anweisung gab, ob, wann und welche Tiere in den
Kellerraum verbracht wurden (vgl. Aussage des Herrn C. gegenüber der
Untersuchungskommission der Universität Münster vom 30. November 2017,
Staatsanwaltschaft Münster 540 Js 1127/17 – Strafakte –, Beiakte – BA – Heft 2, dort Bl.
161 f., und Aussage der Frau H. bei der Überprüfung am 20. Juni 2017,
Verwaltungsvorgang - VV -, BA Heft 1, Bl. 8). Als Versuchsleiterin hatte die Antragstellerin
auch den wissenschaftlichen Nutzen an den Tieren.

11bb) Die Antragstellerin hat grob gegen einschlägige tierschutzrechtliche Anforderungen


verstoßen, namentlich gegen die Vorgaben aus § 2 TierSchG, und dadurch jedenfalls den
Mäusen in den Boxen 9 bis 11 erhebliche und länger anhaltende Schmerzen und Leiden
sowie erhebliche Schäden zugefügt.

12Nach § 2 Nr. 1 TierSchG muss derjenige, der ein Tier hält oder betreut, das Tier seiner
Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und
verhaltensgerecht unterbringen. Zum Pflegegebot gehört alles, was man landläufig als gute
Behandlung versteht, auch die Gesundheitsvorsorge und -fürsorge. Dazu gehört auch bei
vielen gehaltenen Tieren stets saubere und hygienisch einwandfreie Verhältnisse zu
schaffen und sich rechtzeitig und konsequent um erkrankte Tiere zu kümmern. (Vgl. VG
Augsburg, Beschluss vom 23. September 2011 – Au 2 S 11.773 –, juris, Rn. 26;
Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 2, Rn. 27.)

13Ein “grober” Verstoß liegt vor, wenn bei einer einmaligen Zuwiderhandlung der Verstoß
schwer wiegt. Dies ist zu bejahen bei einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine
Strafvorschrift. Unterhalb dieser Schwelle kann ein grober Verstoß wegen der Dauer oder
der eingetretenen Folgen der Pflichtverletzung vorliegen (Vgl. ausführlich OVG Lüneburg,
Urteil vom 20. April 2016 – 11 LB 29/15 –, juris, Rn. 48.).

14Schmerzen sind unangenehme Sinnes- und Gefühlserlebnisse, die im Zusammenhang


mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung stehen. Leiden sind alle nicht bereits
vom Begriff des Schmerzes umfasste Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, die über ein
bloßes Unbehagen hinausgehen und eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne fortdauern.
Für das Tatbestandsmerkmal „länger anhaltend“ reicht – ebenso wie bei § 17 Nr. 2b
TierSchG – bereits eine mäßige Zeitspanne aus, weil nicht auf das Zeitempfinden des
Menschen, sondern auf das wesentliche geringere Vermögen des Tiers, physischem oder
psychischem Druck standhalten zu können, abzustellen ist (Vgl. Hirt/Maisack/Moritz,
TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 1, Rn. 12 u. 19 sowie § 17, Rn. 92.).

15Diese Voraussetzungen liegen vor. Dies ergibt sich maßgeblich aus den Darlegungen der
Antragsgegnerin im angegriffenen Bescheid vom 11. Dezember 2017, die durch ihre dem
Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgänge – namentlich das Protokoll über die
außerplanmäßige Kontrolle am 20. Juni 2017, die umfangreiche fotografische
Dokumentation sowie das amtstierärztliche Gutachten vom 7. Juli 2017 – ganz wesentlich
gestützt werden. Dabei ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass den
Feststellungen der beamteten Amtstierärzte gemäß § 15 Abs. 2 TierSchG sowohl

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hinsichtlich der Frage, ob grobe oder wiederholte Zuwiderhandlungen gegen


tierschutzrechtliche Bestimmungen vorliegen, als auch hinsichtlich der Frage, ob den Tieren
die in § 16a Abs. 1 TierSchG vorausgesetzten qualifizierten Folgen zugefügt worden sind,
eine vorrangige Beurteilungskompetenz zukommt. Grund hierfür ist, dass der fachlichen
Beurteilung von Amtstierärzten in einem exakten Nachweisen nur begrenzt zugänglichen
Bereich einzelfallbezogener Wertungen besonderes Gewicht zukommt. (Vgl. BVerwG,
Beschluss vom 2. April 2014 – 3 B 62.13 –, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni
2016 – 20 B 1408/15 –, juris, Rn. 21; Bay. VGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 9 C
16.2022 -, juris, Rn. 13.)

16Der Vortrag der Antragstellerin ist nicht geeignet, diese fachliche Beurteilung zu
entkräften. Das Vorbringen ist zum Teil unsubstantiiert und zum Teil nicht
entscheidungserheblich.

17Soweit die Antragstellerin pauschal behauptet, die Amtstierärztin Frau Dr. T. sei eine
erklärte Tierversuchsgegnerin, ihr tendenziöses Verhalten unterstellt und auch sinngemäß
den Vorwurf der Befangenheit äußert, ist dieses Vorbringen unsubstantiiert. Im Übrigen
waren bei Feststellung der Verhältnisse vor Ort am 20. Juni 2017 insgesamt vier Tierärzte
(nämlich zwei amtliche Tierärzte der Antragsgegnerin und zwei weitere Tierärzte der
Universität Münster, namentlich der Tierschutzbeauftragte Herr Dr. M. und die
bestandsbetreuende Tierärztin Frau Dr. S.) anwesend, die den Zustand der vorgefundenen
Mäuse in den Boxen 9 bis 11 übereinstimmend beurteilt haben.

18Soweit die Antragstellerin der Amtstierärztin Frau Dr. T. Fehler bei der weiteren
Sachbehandlung vorwirft, etwa die möglicherweise illegale Tötung der vorgefundenen Tiere
in den Boxen 9 bis 11, den Verbleib der Mäuse im (ungeeigneten) Kellerraum und die
Tötung von ca. 400 Mäusen, die sich im regulären Tierstall unkontrolliert vermehrt hatten,
führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Behauptete Fehler auf Seiten der Behörde(n) sind
grundsätzlich nicht geeignet, Zuwiderhandlungen der Antragstellerin gegen
tierschutzrechtliche Vorschriften auszugleichen oder zu widerlegen. Das Vorbringen der
Antragstellerin, die Verletzungen der Mäuse (insbesondere der in Box 11) seien nicht so
gravierend gewesen, steht in eklatantem Widerspruch zu den im Verwaltungsvorgang der
Antragsgegnerin dokumentierten Feststellungen der beamteten Tierärzte.

19Darüber hinaus teilt die Kammer die Einschätzung der Antragsgegnerin auch in Ansehung
des Vorbringens der Antragstellerin zu den jeweiligen Mäusen. Im Einzelnen:

20(1) Bei der Maus in Box 9 ist auf den im Verwaltungsvorgang enthaltenen Bildern (s.
auch CD-Rom, Bild 0831) eindeutig ein Hautschnitt sowie das Nichtvorhandensein der
Behaarung im Bereich des Hautschnittes zu sehen, was auf ein vorheriges Rasieren der
Stelle schließen lässt. Auch für den veterinärmedizinischen Laien ist erkennbar, dass es
sich um eine Schnittverletzung und nicht um eine Verletzung durch Bisse oder Risse,
verursacht durch Aufreiten, handelt. Die Annahme eines vorherigen chirurgischen Eingriffs
liegt somit nicht nur nahe, sondern drängt sich geradezu auf. Der Zustand der Maus war
mindestens seit dem Vortag (Montag, den 19. Juni 2017) bekannt, wie sich aus dem
Bestandsbuch der Antragstellerin ergibt (vgl. VV, BA Heft 1, S. 96 f.). Die Antragstellerin
war nach eigenen Angaben jedenfalls seit dem 20. Juni 2017 morgens informiert und wies
Herrn C. an, die Maus nicht zu töten, sondern in den Kellerraum zu verbringen (vgl. auch
Aussage des Herrn C. vor der Untersuchungskommission, Strafakte, BA Heft 2, Bl. 161 f.).
Im Übrigen spricht nach Aktenlage für das Gericht Vieles dafür, dass diese Maus wie auch
die Mäuse in den Boxen 10 und 11 bereits am Montag, den 19. Juni 2017, aufgrund einer

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Anweisung der Antragstellerin in den Kellerraum verbracht wurden. Denn aus der
Protokollierung der Schließungen ergibt sich, dass Herr C. am 19. Juni 2017 in dem
Kellerraum war (vgl. Strafakte, BA Heft 2, Bl. 36). Ferner hat er selbst bei der Befragung
vor Ort am 20. Juni 2017 angegeben, die Maus am Montag, den 19. Juni 2017, eigenhändig
in den Kellerraum umgesetzt zu haben (vgl. vorgenannte Strafakte, Bl. 4). Die Angaben
des Herrn C. im Rahmen der Befragung durch die Untersuchungskommission, er könne sich
nicht mehr erinnern, warum er an diesem Tag (19. Juni 2017) im Kellerraum war (vgl.
Strafakte, Bl. 162 f.), wird demgegenüber vom Gericht als reine Schutzbehauptung
gewertet. Zudem ergibt sich aus dem Schließungsprotokoll nicht, dass Herr C. am 20. Juni
2017 in dem Kellerraum war. Das Gericht überzeugt vor diesem Hintergrund nach
Aktenlage auch die Aussage des Herrn C., er habe die Antragstellerin erst am Morgen des
20. Juni 2017 informiert, nicht.

21Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe die Maus aus
Box 9 gar nicht zu Gesicht bekommen bzw. sei nicht ausreichend informiert gewesen. Denn
als Halterin der Mäuse – vgl. oben aa) – bzw. als Versuchsleiterin war sie für deren
Wohlergehen verantwortlich. Entweder hat das eingerichtete Kontrollsystem (Information
der Wissenschaftler durch die Tierpfleger bei erheblichen Verletzungen oder Erkrankungen;
Schicken eines Fotos) ganz offensichtlich nicht funktioniert, was sich die Antragstellerin
zurechnen lassen muss, oder die Antragstellerin war – entgegen ihrer Angaben – doch
bereits informiert. In beiden Fallkonstellationen ist die Antragstellerin für die Leiden der
Mäuse verantwortlich.

22(2) Bei der Maus in Box 10 stellten die Amtsveterinärin Frau Dr. T. sowie die übrigen
anwesenden Tierärzte vor Ort hochgradige Stereotypien in Form von „im Kreis rennen“
fest. Diese Verhaltensstörung des ständigen Im-Kreis-Laufens ist bei Mäusen ein Indiz für
erheblich anhaltende Leiden im Sinne der §§ 17 Nr. 2b, 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TierSchG.
(Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, Anh. § 2, Rn. 172.)

23Diese Verhaltensauffälligkeit, deren Vorhandensein am 20. Juni 2017 von der


Antragstellerin auch nicht bestritten wird, war ebenfalls bereits am Vortag bekannt. Auch
dies ergibt sich aus dem von der Antragstellerin vorgelegten Bestandsbuch (vgl. VV, BA
Heft 1, S. 97, Eintrag am 19. Juni 2017: „Männchen verhaltensauffällig“, unterschrieben
von Herrn C.).

24(3) Die Maus in Box 11 wies schließlich nach den Feststellungen der Antragsgegnerin
eine daumennagelgroße, nekrotisierende Hautläsion auf. Darüber hinaus befand sie sich in
seitlich gekrümmter Körperhaltung. Beides ist auf den Bildern (insbes. Bild 0836) deutlich
zu erkennen. Die Kammer hat danach keine Zweifel, dass auch diese Maus unter
erheblichen und länger andauernden Schmerzen litt.

25Die Antragstellerin dringt mit ihrem Einwand, es sei nur der genehmigte Tierversuch
durchgeführt worden, nicht durch. Denn der Kellerraum, in dem die Maus am 20. Juni 2017
aufgefunden wurde, ist in den Genehmigungsunterlagen nicht verzeichnet. Ein Tierversuch
hätte hier also gar nicht stattfinden dürfen. Die nach § 8 TierSchG und § 11 TierSchG
erteilten Genehmigungen bzw. Erlaubnisse (u.a. auch Az. 84-002.04.2014.A263) beruhen
auf Anträgen, die im Einzelnen sehr detailliert auflisten, welcher Versuch, von wem
(Versuchsleiter), an welchen Tieren (hier Mäuse), zu welchem Zweck (Notwendigkeit des
Tierversuchs) und in welchem Raum durchgeführt werden soll. Vor diesem Hintergrund
handelte es ich um eine unerlaubte Tierhaltung und es kann daher dahinstehen, ob die
Abbruchkriterien des genehmigten Tierversuchs (Hautläsion größer als 2 cm²) erfüllt

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waren, wofür Überwiegendes spricht, denn jedenfalls litt die Maus – wie auch die anderen
beiden Mäuse – erkennbar unter erheblichen und länger andauernden Schmerzen, die über
das mit dem genehmigten Tierversuch unerlässliche Maß hinausgingen.

26In Anbetracht der dargestellten groben tierschutzrechtlichen Verstöße der Antragstellerin


sind die hygienischen Verhältnisse in dem Kellerraum nicht (mehr) entscheidungserheblich.

27Soweit die Antragstellerin eine Beweiserhebung durch eine dermato-histopathologische


Untersuchung der getöteten Mäuse aus den Boxen 9 bis 11 fordert, ist darauf hinzuweisen,
dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig – und daher auch hier – keine
weitere Sachverhaltsaufklärung durch Beweisaufnahme erfolgt.

28cc) Die Prognose der Antragsgegnerin, es sei mit weiteren Zuwiderhandlungen der
Antragstellerin zu rechnen, ist nicht zu beanstanden und wird hinreichend von Tatsachen
getragen. Das gesamte Verhalten der Antragstellerin ist durch ein erheblich mangelndes
Unrechtsbewusstsein gekennzeichnet. Die von der Antragstellerin begangenen
Zuwiderhandlungen sind vor dem Hintergrund der offenbar seit Jahren (nachgewiesen
mindestens seit 2014, vgl. VV, Bl. 88) bzw. Jahrzehnten (eigener Vortrag der
Antragstellerin: Kellerraum werde seit 1999 genutzt) in dem Kellerraum bestehenden
unerlaubten Tierhaltung besonders wiederholungsträchtig.

29Darüber hinaus spricht Vieles dafür, dass in diesem Raum auch Tierversuche (vgl. eigene
Angaben der Antragstellerin zu der Maus in Box 11) und Zucht (vgl. Aussage des Herrn C.
vor der Untersuchungskommission in Bezug auf die Mäuse in Box 9: „Es kam mir darauf
an, ein neues Zuchtpaar zu bilden.“, vgl. Strafakte, BA Heft 2, Bl. 163) stattfanden. Die
wiederholte Bezeichnung des Kellerraums als „Zwischenlager“ kommt einer
Bagatellisierung des Sachverhalts gleich, die verdeutlicht, dass eine Akzeptanz
tierschutzrechtlicher Vorgaben bei der Antragstellerin offenbar nicht vorhanden ist.

30Die Antragsgegnerin weist zu Recht darauf hin, dass sowohl das Ausmaß, die Dauer, die
Art und Weise der Tierhaltung (ausgesonderte Käfige, Futter und Wasser ohne
Herkunftsnachweis, unzureichendes und unerlaubtes Equipment) als auch die
festgestellten, schwerwiegenden tierschutzrechtlichen Verstöße für den Gesamteindruck
über das Verhalten der Antragstellerin als so gravierend zu bezeichnen sind, dass nicht
ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass sie sich zukünftig an die Vorgaben
des Tierschutzgesetzes halten wird.

31Die Prognose der Antragsgegnerin wird durch das Verhalten der Antragstellerin im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestätigt. Es ist geprägt von mangelnder Einsichts- und
Kritikfähigkeit hinsichtlich eigenen Fehlverhaltens. Das Bagatellisieren des Sachverhalts,
u.a. die Bezeichnung des Kellerraums als „Zwischenlager“, ist hierfür nur ein Beispiel. Dass
die Antragstellerin Anlass zu einer Verhaltensänderung sieht, ist derzeit nicht erkennbar.

32dd) Die Antragsgegnerin hat ferner das ihr durch § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
Halbsatz 1 TierSchG eingeräumte Ermessen, das gerichtlich nur in den Grenzen des § 114
Satz 1 VwGO überprüft werden kann, mit der nach Ziffer 1 getroffenen Anordnung
rechtmäßig ausgeübt. Sie hat von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen
Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht und die gesetzlichen Grenzen des
Ermessens nicht überschritten.

33Das Verbot der Haltung und Betreuung von Tierversuchstieren ist auch verhältnismäßig.
Insbesondere stand der Antragsgegnerin kein milderes Mittel als ein umfassendes Verbot
der Haltung und Betreuung von Tierversuchstieren zur Verfügung, um künftigen Verstößen

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der Antragstellerin gegen die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes ebenso effektiv


vorzubeugen. Das ausgesprochene Verbot ist auch nicht wegen der Auswirkungen auf ihre
Berufstätigkeit unangemessen. Die Antragstellerin ist angestellte Wissenschaftlerin der
Hautklinik des Universitätsklinikums Münster (UKM). Als solche ist sie in Forschung und
Lehre beschäftigt. Trotz der erlassenen Ordnungsverfügung kann sie weiterhin in
Forschungsprojekten ohne Tierbezug und auch in der Lehre tätig sein. So ist die
Antragstellerin nach dem Internetauftritt der Hautklinik des UKM u.a. an der Vorlesung „F
j e x B“ beteiligt und bietet ein Seminar „C 00“ sowie ein Kolloquium „N J“ an. Abgesehen
davon steht der Eingriff in ihre Berufs (ausübungs) freiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG aufgrund
der gravierenden Folgen ihres fortgesetzten Fehlverhaltens und der Bedeutung des in Art.
20a GG als besonderes staatliches Schutzziel normierten Tierschutzes nicht außer
Verhältnis zu dem Zweck des Verbots.

34Der Umstand, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin das Halten und Betreuen von
Tierversuchstieren aller Art unbefristet untersagt hat, führt ebenfalls nicht zur
Unverhältnismäßigkeit des Verbots. Denn die Antragstellerin kann nach § 16a Satz 2 Nr. 3,
2. Hs. TierSchG jederzeit beantragen, ihr das Halten und Betreuen von Tierversuchstieren,
hier insbesondere Mäusen, wieder zu gestatten.

35b) Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnung
nach Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides, welches gegenüber dem privaten
Aufschubinteresse überwiegt, lässt sich nach dem Vorstehenden bereits daraus herleiten,
dass aufgrund der Gefahr weiterer Zuwiderhandlungen der Antragstellerin der Abschluss
des Rechtsbehelfsverfahrens in der Hauptsache aus Gründen des Tierschutzes nicht
abgewartet werden kann.

36Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Zitiervorschlag:
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