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Das Verbot der Nachnahmeversendung lebender Tiere ist in seiner gegenwärtigen un-
differenzierten Fassung mit dem GG nicht vereinbar.
einengenden Maßnahmen gehört vor allem das Verbot des Nachnahmeversandes, das sämtliche
Beschwerdeführer dazu zwingt, ein langjährig geübtes Verhalten aufzugeben.
II. 1. Das Verbot ist verfassungsrechtlich als eine Regelung der Berufsausübung zu beurteilen, bei
der der Gesetzgeber grundsätzlich über größere Gestaltungsfreiheit verfügt als bei Eingriffen in
die Freiheit der Berufswahl. Auch solche Berufsausübungsregelungen können freilich auf das
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BVerfG: Verfassungswidrigkeit des Verbots der Nachnahmeversendung lebender
Tiere (NJW 1974, 30)
Recht zur freien Berufswahl zurückwirken, wenn sie wegen ihrer Folgen die sinnvolle Ausübung ei-
nes Berufs faktisch unmöglich machen. Derart weitgehende Auswirkungen behaupten die be-
schwerdeführenden Großhändler selbst nicht; sie tragen lediglich vor, das Verbot belaste sie er-
heblich und veranlasse sie zur Aufgabe einer Sparte ihres breiten Geschäftsbereichs. Demgegen-
über würde das strittige Verbot nach Darstellung der beschwerdeführenden Geflügelversender de-
ren Betriebe zum Erliegen bringen. Diese Besorgnis läßt sich angesichts der von den Beschwerde-
führern genutzten Marktgegebenheiten und im Blick auf die besondere Struktur ihrer Betriebe
nicht von vornherein von der Hand weisen. Im Unterschied zu den Großbetrieben nutzen diese
kleineren Familienbetriebe die Marktchance aus, in großer Zahl kleine Geflügellieferungen an die
über das Bundesgebiet verstreuten Landwirte zu versenden und dank des Nachnahmeverfahrens
gleichwohl die zahlreichen kleinen Rechnungsbeträge ohne nennenswerte Verluste oder Zahlungs-
verzögerungen und ohne größeren Verwaltungsaufwand einziehen und auf diese Weise rentabel
wirtschaften zu können. Daß für derartige Betriebe ein Verkauf gegen Voreinsendung des Kauf-
preises schwer realisierbar ist, folgt bereits daraus, daß der Geflügelhandel auf einen raschen Um-
schlag zu den an den Geflügelbörsen notierten Tagespreisen eingestellt ist; zudem sind die klein-
bäuerlichen Abnehmer daran gewöhnt und begreiflicherweise daran interessiert, lebende Tiere
nicht vor deren Übergabe zu bezahlen. Schon eher wäre ein Verkauf gegen Rechnung in Betracht
zu ziehen. Ob dies aber im Hinblick auf die damit verbundenen finanziellen Nachteile und verwal-
tungsmäßigen Belastungen für die Beschwerdeführer wirklich tragbar wäre, erscheint nicht
zweifelsfrei.
2. Zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden bedarf es indessen keiner weiteren Ermitt-
lungen darüber, ob das Nachnahmeverbot sich derart einschneidend auswirkt, daß es bei den be-
schwerdeführenden Geflügelversendern sogar die Freiheit der Berufswahl beeinträchtigt. Vielmehr
kann unterstellt werden, daß es sich im Rahmen einer bloßen Berufsausübungsregelung hält, die
sämtliche Beschwerdeführer zwar in der Ausübung ihres Gewerbes nicht unerheblich behindert,
nicht aber zur Aufgabe dieses Gewerbes nötigt.
Auch derartige Regelungen der Berufsausübung sind an die Wahrung des Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes gebunden (vgl. BVerfGE 7, 377, 405 ff. = NJW 58, 1035). Nach der st. Rechtspre-
chung des BVerfG (BVerfGE 30, 292, 316 ff. = NJW 71, 1255) darf die freie Berufsausübung nur
im Interesse des Gemeinwohls beschränkt werden; die Regelung muß ferner geeignet und erfor-
derlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen; schließlich muß bei einer Gesamtabwä-
gung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die
Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein. Je empfindlicher der Einzelne in seiner freien Berufs-
betätigung beeinträchtigt wird, desto gewichtiger müssen die Interessen des Gemeinwohls sein,
denen diese Regelung zu dienen bestimmt ist.
transport von Tieren bislang überhaupt keine aussagefähigen statistischen Unterlagen, vorhanden
seien, daß aber eine kurzfristige Erhebung für den Monat September 1972 folgendes ergeben
habe: Bei den 13204 Nachnahmesendungen von Tieren im Expreßgutverkehr seien in 31 Fällen
Ablieferungshindernisse aufgetreten, davon in 22 Fällen wegen Annahmeverweigerung. Nach Be-
seitigung dieser Hindernisse seien 12 Sendungen den Empfängern übergeben und 6 an einen an-
deren Bestimmungsort weitergeleitet worden; 10 Sendungen seien an den Absender zurückge-
gangen. Lediglich 3 Sendungen mit verdorbenem Fischfutter seien vernichtet worden und ferner
aus einer Sendung 9 Fische sowie aus einer anderen Sendung ein Huhn verendet. Durch die Bun-
despost seien im Jahre 1972 rund 61 000 Paketsendungen und 11 000 Briefsendungen mit leben-
den Tieren versandt worden, davon annähernd die Hälfte mit Nachnahme belastet. Davon seien
als unzustellbar an den Absender zurückgegangen 242 Sendungen mit Nachnahme und 191 ohne
solche Belastung. Verluste durch Tod seien auf dem Weg zum Empfänger - soweit feststellbar -
bei 88 Sendungen mit und bei 68 Sendungen ohne Nachnahme eingetreten und auf dem Rückweg
zum Absender in 9 und in 4 Fällen; dabei habe es sich überwiegend um Ziervögel und Zierfische
gehandelt.
Diese Angaben mögen nicht hinreichend repräsentativ und in verschiedener Hinsicht unzulänglich
sein. Immerhin bekräftigen sie die übereinstimmenden und durch weitere Unterlagen belegten An-
gaben der Beschwerdeführer, daß sich - anders als beim Hundeversand - beim Nachnahmever-
sand von Geflügel und an den gewerblichen Einzelhandel bisher keine Mißstände haben nachwei-
sen lassen und daß es hier keineswegs häufig zu Annahmeverweigerungen oder zu Tierverlusten
gekommen ist. Auch der Deutsche Tierschutzbund hat nur über einzelne konkrete Mißstände na-
mentlich beim Hundeversand berichten können. Dieses Ergebnis wird nicht allein auf das Interes-
se der gewerblichen Versender an einem schadensfreien Versand und auf ihre zumeist langjähri-
gen Erfahrungen zurückzuführen sein, sondern
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BVerfG: Verfassungswidrigkeit des Verbots der Nachnahmeversendung lebender
Tiere (NJW 1974, 30)
auch auf die innerbetrieblichen Maßnahmen von Bundesbahn und Bundespost, wobei nicht un-
wichtig ist, daß der Tierversand durchgängig per Expreß erfolgt.
b) Ob das strittige Verbot allein schon aus den bisherigen Erwägungen verfassungsrechtlich zu be-
anstanden ist, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls hält es in seiner vorliegenden Form
nicht den weiteren Anforderungen stand, die an derartige, die freie Berufsausübung einengende
Maßnahmen zu stellen sind.
Das Verbot erscheint schon wenig geeignet, um den gewünschten Erfolg spürbar zu fördern. Es
bietet keine Gewähr dafür, daß eine Verlängerung der Beförderungsdauer durch Rücktransporte
künftig vermieden oder wesentlich vermindert wird. Fehlerhafte Adressenangaben, Abwesenheit
der Empfänger oder Annahmeverweigerungen aus den verschiedensten Gründen können auch
beim Versand ohne Nachnahmebelastung Rücktransporte verursachen. Nach dem Bericht der
Bundespost lag jedenfalls im Jahre 1972 die Zahl der Rücksendungen bei Nachnahmebelastung
nicht wesentlich höher als in anderen Fällen.
Keinesfalls aber erscheint das Verbot in seiner ausnahmslos alle Tiergattungen, sämtliche Trans-
portarten und jeden Versender erfassenden Tragweite erforderlich, um dem vom Gesetzgeber er-
strebten verbesserten Tierschutz gerecht zu werden. Das Maß der Beeinträchtigung der Tiere
hängt von der Tierart, der Transporttauglichkeit, der Transportdauer und den Vorsorgemaßnah-
men der Versender ab. Einer Nachnahmeversendung von wirbellosen Tieren stehen aus der Sicht
des Tierschutzes auch nach Meinung des zuständigen Bundesministers keine Bedenken entgegen.
Ähnliches dürfte - wie das Europäische Übereinkommen erkennen läßt - für kaltblütige Tiere gel-
ten. Zum Schutz der übrigen Tiere hätte es nähergelegen, einen ausnahmslosen Versand als Ex-
preßgut an den ersten Wochentagen vorzuschreiben, der die regelmäßige Transportdauer verkürzt
und auch im Falle von Annahmeverweigerungen eine beschleunigte Rücksendung ermöglicht. Je-
denfalls erscheint es wenig folgerichtig, das generelle Nachnahmeverbot auch auf Expreßversen-
dungen zu erstrecken, hingegen die nichtbeschleunigte oder sogar die unfreie Frachtgutversen-
dung weiterhin für sämtliche Tiere zuzulassen, obwohl diese länger dauern kann als ein Expreß-
gutversand selbst in Fällen von Rücktransporten und obwohl auch bei unfreiem Versand die Aus-
lieferung von der vorherigen Einlösung der Frachtkosten abhängig ist. Soweit eine Verpflichtung
zum Expreßgutversand nicht ausreicht, könnten - etwa im Verordnungswege - für die verschiede-
nen Tierarten und Transportmittel Höchstzeiten für den ununterbrochenen Transport festgelegt
werden, wobei zu berücksichtigen wäre, daß z.B. auch nach Meinung des Deutschen Tierschutz-
bundes und der von diesem zugezogenen Sachverständigen die Transportwiderstandsfähigkeit von
Geflügel im Vergleich zu anderen Tieren relativ gut ist. Ferner könnten - ähnlich wie im Europäi-
schen Übereinkommen - Einzelheiten über Verpackung, Fütterung und Tränkung oder auch die so-
fortige Benachrichtigung bei Ablieferungshindernissen auf Kosten des Absenders vorgeschrieben
werden.
Sollten Maßnahmen der genannten Art gleichwohl unzulänglich oder nicht praktikabel sein, dann
erscheint jedenfalls die ausnahmslose Geltung des Nachnahmeverbotes nicht gerechtfertigt. Wie
bereits ausgeführt, haben sich im Nachnahmeversand per Expreß weder beim gewerblichen Geflü-
gelversand an landwirtschaftliche Abnehmer noch im Verhältnis zwischen Groß- und Einzelhandel
Mißstände feststellen lassen. Andererseits werden gerade diese Kreise, zu denen die Beschwerde-
führer gehören, in ihrer beruflichen Betätigung durch das Verbot besonders betroffen. Eine Abwä-
gung zwischen diesen verschiedenen Gesichtspunkten einschließlich einer Prüfung schonenderer
Maßnahmen konnte im Gesetzgebungsverfahren nicht sachgemäß erfolgen, weil sich der Gesetz-
geber - wie ausgeführt - von fehlerhaften Annahmen und unvollständigen Erwägungen hat leiten
lassen. Demgemäß ist ungeprüft geblieben, ob nicht die möglichen Schädigungen derart gering
oder begrenzbar sind, daß sie ähnlich wie bei den im Gesetz zugelassenen Eingriffen, Tierversu-
chen und Tötungen aus „vernünftigem Grund” jedenfalls im Geflügelversand und im Verhältnis
zwischen Groß- und Einzelhandel zu verantworten und mit Rücksicht auf die Betroffenen hinzu-
nehmen wären. Unter Berücksichtigung der nunmehr vorliegenden Anhaltspunkte muß eine Gü-
terabwägung zu dem Ergebnis führen, daß das ausnahmslose Verbot auch des Nachnahmeversan-
des per Expreß jedenfalls die Beschwerdeführer unverhältnismäßig in ihrer beruflichen Betätigung
belastet. Dem könnte bei Aufrechterhaltung des Verbotes im übrigen dadurch abgeholfen werden,
daß Geflügelversender und Großhändler nach Art der Beschwerdeführer eine Ausnahmegenehmi-
gung zur Vorlage bei Bundesbahn und Bundespost erhalten, die von den gemäß § 16 TierschutzG
ohnehin für die Aufsicht zuständigen Behörden - gegebenenfalls unter Beschränkung auf bestimm-
te Tierarten - ausgestellt und bei Mißbräuchen wieder eingezogen werden könnte. Gegen eine der-
artige Regelung ließe sich auch unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität und der Rechtsklarheit
nichts einwenden.
III. Nach alledem ist den Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung der Grundrechte der Be-
schwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG stattzugeben. Dies hat gemäß § 95 Abs. 3 BVerfGG zur Fol-
ge, daß die Bestimmung des § 3 Nr. 9 TierSchutzG für nichtig zu erklären ist. Wie sich aus den
vorstehenden Ausführungen ergibt, bedeutet dies nicht, daß der Nachnahmeversand lebender Tie-
re unter keinen Umständen verboten werden dürfte. Das BVerfG hat vielmehr erwogen, die Vor-
schrift nur begrenzt unter Differenzierung zwischen den verschiedenen Tierarten, Versendern und
Versandarten zu beanstanden. Für eine geeignete Abgrenzung fehlen indessen ausreichende Un-
terlagen. Auch im Interesse der Rechtsklarheit erschien es daher geboten, die Vorschrift in ihrer
derzeitigen undifferenzierten Fassung insgesamt für nichtig zu erklären und die Abgrenzung einer
Neuregelung zu überlassen, bei der zugleich die zur Vorbereitung der DVO erarbeiteten Untersu-
chungsergebnisse ausgewertet werden können.