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BVerfG: Verfassungswidrigkeit des Verbots der Nachnahmeversendung lebender Tiere - beck-online 27.08.

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BVerfG: Verfassungswidrigkeit des Verbots der NJW 1974, 30


Nachnahmeversendung lebender Tiere

Verfassungswidrigkeit des Verbots der Nachnahmeversendung lebender


Tiere

TierschutzG § 3 Nr. 9; GG Art. 12

Das Verbot der Nachnahmeversendung lebender Tiere ist in seiner gegenwärtigen un-
differenzierten Fassung mit dem GG nicht vereinbar.

BVerfG, Beschluß vom 2. 10. 1973 - 1 BvR 459 u. 477/72

Aus den Gründen:

… B. Die Verfassungsbeschwerden sind begründet.


In seiner derzeitigen generellen Fassung verletzt das Verbot des Nachnahmeversandes die Be-
schwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG.
I. Das neue TierschutzG beruht nach seiner Begründung auf der Grundkonzeption eines ethisch
ausgerichteten Tierschutzes im Sinne einer Mitverantwortung des Menschen für das seiner Obhut
anheimgegebene Lebewesen. Der Gesetzgeber war erklärtermaßen bestrebt, ethische Forderun-
gen einerseits und wirtschaftliche sowie wissenschaftliche Erfordernisse andererseits, die sich auf
dem Gebiet des Tierschutzes häufig gegenüberstehen, miteinander in Einklang zu bringen, wobei
mehr gefühlsbetonte Beurteilungsmaßstäbe zunehmend durch exakte, wissenschaftliche Feststel-
lungen über tierartgemäße und verhaltensgerechte Normen ersetzt werden sollten (vgl. BT-
Drucks. VI/2559, Vorblatt und S. 9).
Im einzelnen lassen sich aus dem Gesetz folgende Grundprinzipien entnehmen: Es strebt nicht an,
Tieren jegliche Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens zu ersparen, sondern wird beherrscht von
der dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechenden Forderung, Tieren nicht „ohne vernünftigen
Grund” „vermeidbare”, das „unerläßliche Maß” übersteigende „Schmerzen, Leiden oder Schäden”
zuzufügen. Dem entspricht sowohl der Verbotskatalog des § 3 in seinen Nrn. 1-8 als auch der
Straftatbestand des § 17 und ebenso die Normierung der Ordnungswidrigkeiten in § 18. Ferner
wird in gewissem Umfang zwischen den verschiedenen Tierarten differenziert, wenn auch nicht so
weitgehend wie im Europäischen Übereinkommen über den Schutz von Tieren im internationalen
Transport. Auch das TierschutzG unterscheidet in den Bestimmungen über Eingriffe, Tierversuche
und Töten, also den notwendig Schmerz oder Schäden verursachenden Handlungen, durchgängig
zwischen den schmerzempfindlichen Wirbeltieren und auch den warmblütigen Tieren, die in erster
Linie schutzbedürftig sind, einerseits und sonstigen Tieren andererseits. Schließlich wird im Gesetz
erkennbar, daß für landwirtschaftliche Nutztierhaltung, für wissenschaftliche Zwecke und aus an-
deren Gründen (waidgerechte Ausübung der Jagd und Bekämpfung von Schädlingen und Krank-
heiten) Sonderregelungen in Betracht kommen.
Die zuvor genannten Entscheidungen zu treffen, obliegt weitgehend der eigenverantwortlichen
Entschließung des Gesetzgebers, der dabei ersichtlich in Einklang mit dem Empfinden breitester
Bevölkerungskreise gehandelt hat. Verfassungsrechtlich nachprüfbar werden diese Entscheidun-
gen erst, wenn und soweit Maßnahmen im Interesse des Tierschutzes die Handlungsfreiheit der
Staatsbürger, insbesondere ihre Berufsfreiheit, berühren. Zu diesen die freie berufliche Betätigung

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einengenden Maßnahmen gehört vor allem das Verbot des Nachnahmeversandes, das sämtliche
Beschwerdeführer dazu zwingt, ein langjährig geübtes Verhalten aufzugeben.
II. 1. Das Verbot ist verfassungsrechtlich als eine Regelung der Berufsausübung zu beurteilen, bei
der der Gesetzgeber grundsätzlich über größere Gestaltungsfreiheit verfügt als bei Eingriffen in
die Freiheit der Berufswahl. Auch solche Berufsausübungsregelungen können freilich auf das

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Tiere (NJW 1974, 30)

Recht zur freien Berufswahl zurückwirken, wenn sie wegen ihrer Folgen die sinnvolle Ausübung ei-
nes Berufs faktisch unmöglich machen. Derart weitgehende Auswirkungen behaupten die be-
schwerdeführenden Großhändler selbst nicht; sie tragen lediglich vor, das Verbot belaste sie er-
heblich und veranlasse sie zur Aufgabe einer Sparte ihres breiten Geschäftsbereichs. Demgegen-
über würde das strittige Verbot nach Darstellung der beschwerdeführenden Geflügelversender de-
ren Betriebe zum Erliegen bringen. Diese Besorgnis läßt sich angesichts der von den Beschwerde-
führern genutzten Marktgegebenheiten und im Blick auf die besondere Struktur ihrer Betriebe
nicht von vornherein von der Hand weisen. Im Unterschied zu den Großbetrieben nutzen diese
kleineren Familienbetriebe die Marktchance aus, in großer Zahl kleine Geflügellieferungen an die
über das Bundesgebiet verstreuten Landwirte zu versenden und dank des Nachnahmeverfahrens
gleichwohl die zahlreichen kleinen Rechnungsbeträge ohne nennenswerte Verluste oder Zahlungs-
verzögerungen und ohne größeren Verwaltungsaufwand einziehen und auf diese Weise rentabel
wirtschaften zu können. Daß für derartige Betriebe ein Verkauf gegen Voreinsendung des Kauf-
preises schwer realisierbar ist, folgt bereits daraus, daß der Geflügelhandel auf einen raschen Um-
schlag zu den an den Geflügelbörsen notierten Tagespreisen eingestellt ist; zudem sind die klein-
bäuerlichen Abnehmer daran gewöhnt und begreiflicherweise daran interessiert, lebende Tiere
nicht vor deren Übergabe zu bezahlen. Schon eher wäre ein Verkauf gegen Rechnung in Betracht
zu ziehen. Ob dies aber im Hinblick auf die damit verbundenen finanziellen Nachteile und verwal-
tungsmäßigen Belastungen für die Beschwerdeführer wirklich tragbar wäre, erscheint nicht
zweifelsfrei.
2. Zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden bedarf es indessen keiner weiteren Ermitt-
lungen darüber, ob das Nachnahmeverbot sich derart einschneidend auswirkt, daß es bei den be-
schwerdeführenden Geflügelversendern sogar die Freiheit der Berufswahl beeinträchtigt. Vielmehr
kann unterstellt werden, daß es sich im Rahmen einer bloßen Berufsausübungsregelung hält, die
sämtliche Beschwerdeführer zwar in der Ausübung ihres Gewerbes nicht unerheblich behindert,
nicht aber zur Aufgabe dieses Gewerbes nötigt.
Auch derartige Regelungen der Berufsausübung sind an die Wahrung des Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes gebunden (vgl. BVerfGE 7, 377, 405 ff. = NJW 58, 1035). Nach der st. Rechtspre-
chung des BVerfG (BVerfGE 30, 292, 316 ff. = NJW 71, 1255) darf die freie Berufsausübung nur
im Interesse des Gemeinwohls beschränkt werden; die Regelung muß ferner geeignet und erfor-
derlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen; schließlich muß bei einer Gesamtabwä-
gung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die
Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein. Je empfindlicher der Einzelne in seiner freien Berufs-
betätigung beeinträchtigt wird, desto gewichtiger müssen die Interessen des Gemeinwohls sein,
denen diese Regelung zu dienen bestimmt ist.

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Diesen Anforderungen hält § 3 Nr. 9 TierschutzG nicht stand.


a) Das Verbot scheint auf den ersten Blick im Interesse eines effektiven Tierschutzes einzuleuch-
ten und hat daher auch in Kreisen des Tierschutzes alsbald Zustimmung gefunden. Bei näherer
Prüfung ergeben sich jedoch bereits Zweifel darüber, ob es sich in seiner vorliegenden Form hin-
reichend mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründen läßt.
Das Verbot war weder in der um einen wirksamen Tierschutz bemühten Regierungsvorlage (BT-
Drucks. VI/2559) für erforderlich gehalten noch in das schon vorher unterzeichnete Europäische
Übereinkommen über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport aufgenommen wor-
den. Nach den Gesetzgebungsmaterialien wurde es ausgelöst durch Klagen über Mißstände im
Nachnahmeversand speziell von Hunden (vgl. das Protokoll über die gemeinsame Sitzung des BT-
Auschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - 64. Sitzung - und des BT-Innenausschus-
ses - 78. Sitzung - v. 8. 2. 1972 mit den Ausführungen des Vizepräsidenten der Arbeitsgemein-
schaft Deutscher Tierschutz, S. 6, und des Hauptgeschäftsführers des Verbandes für das Deutsche
Hundewesen, S. 25 f.); es ist dann ohne Anhörung der dadurch betroffenen Berufsgruppen erst
im letzten Monat vor der Verabschiedung in das Gesetz eingefügt worden (vgl. die Kurzprotokolle
der 70. und 72. Sitzung des BT-Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten v. 9. und
15. 6. 1972 sowie Kurzprotokoll der 86. Sitzung des mitberatenden BT-Innenausschusses v. 8. 6.
1972). Als generalisierender und abstrakter Gefährdungstatbestand durchbricht es die eingangs
genannten Grundprinzipien des Gesetzes in mehrfacher Richtung. Denn es greift selbst bei sol-
chen Sendungen ein, die für die Tiere keine oder keine nennenswerten Schmerzen, Leiden oder
Schäden verursachen; es gilt ferner unterschiedslos für sämtliche Tiere, auch für schmerzunemp-
findliche, und es nimmt schließlich keine Rücksicht darauf, aus welchem Grund der Versand er-
folgt, z.B. zu landwirtschaftlichen, letztlich der Ernährung dienenden Zwecken oder aber zur blo-
ßen Befriedigung privater Bedürfnisse.
Für die Prüfung, ob die Erschwerung der Berufsausübung durch vernünftige Erwägungen des Ge-
meinwohls gerechtfertigt wird, erscheint vor allem wesentlich, daß die Regelung nach dem schrift-
lichen Bericht des zuständigen Auschusses und den Ausführungen der beiden Berichterstatter im
Bundestag mit Annahmen begründet wurde, die sich bei nachträglicher Prüfung nicht bestätigt ha-
ben. Denn die Angabe bei der zweiten und dritten Lesung des TierschutzG im BT am 21. 6. 1972,
der Nachnahmeversand von Tieren sei „seit einiger Zeit” aufgekommen und es würden „jetzt” vie-
le Eintagsküken per Nachnahme versandt (Prot. der 194. Sitzung des BT v. 21. 6. 1972, 6. Wahl-
periode, S. 11391 und 11395), trifft nicht zu, da der Nachnahmeversand von Geflügel bereits seit
Jahrzehnten üblich war. Auch die folgende im schriftlichen Ausschußbericht v. 16. 6. 1972 gege-
bene Verbotsbegründung hat sich für den Bereich des Geflügelversandes und das Verhältnis zwi-
schen Groß- und Einzelhandel nicht erhärten lassen (zu BT-Drucks. VI/3556, S. 2):
Durch Nr. 9 ist ein Verbot des Nachnahmeversandes von Tieren angefügt worden, weil es bei die-
ser Versendungsart häufig zur Annahmeverweigerung durch den Besteller und durch die damit
eintretende Verlängerung der Transportdauer zu erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden bei
einem solchen Tier kommt. Ihm fehlt dabei über Tage hinweg die notwendige Pflege nach einem
Transport oder es kommt, vor allem bei jungen Tieren, durch den meist notwendig werdenden
Rücktransport zu schweren gesundheitlichen Schäden, die nicht selten zum Tode des Tieres
führen.
Demgegenüber hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im vorliegen-
den Verfahren auf Anfrage mitgeteilt, daß über tierschutzrelevante Vorkommnisse beim Bahn-

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transport von Tieren bislang überhaupt keine aussagefähigen statistischen Unterlagen, vorhanden
seien, daß aber eine kurzfristige Erhebung für den Monat September 1972 folgendes ergeben
habe: Bei den 13204 Nachnahmesendungen von Tieren im Expreßgutverkehr seien in 31 Fällen
Ablieferungshindernisse aufgetreten, davon in 22 Fällen wegen Annahmeverweigerung. Nach Be-
seitigung dieser Hindernisse seien 12 Sendungen den Empfängern übergeben und 6 an einen an-
deren Bestimmungsort weitergeleitet worden; 10 Sendungen seien an den Absender zurückge-
gangen. Lediglich 3 Sendungen mit verdorbenem Fischfutter seien vernichtet worden und ferner
aus einer Sendung 9 Fische sowie aus einer anderen Sendung ein Huhn verendet. Durch die Bun-
despost seien im Jahre 1972 rund 61 000 Paketsendungen und 11 000 Briefsendungen mit leben-
den Tieren versandt worden, davon annähernd die Hälfte mit Nachnahme belastet. Davon seien
als unzustellbar an den Absender zurückgegangen 242 Sendungen mit Nachnahme und 191 ohne
solche Belastung. Verluste durch Tod seien auf dem Weg zum Empfänger - soweit feststellbar -
bei 88 Sendungen mit und bei 68 Sendungen ohne Nachnahme eingetreten und auf dem Rückweg
zum Absender in 9 und in 4 Fällen; dabei habe es sich überwiegend um Ziervögel und Zierfische
gehandelt.
Diese Angaben mögen nicht hinreichend repräsentativ und in verschiedener Hinsicht unzulänglich
sein. Immerhin bekräftigen sie die übereinstimmenden und durch weitere Unterlagen belegten An-
gaben der Beschwerdeführer, daß sich - anders als beim Hundeversand - beim Nachnahmever-
sand von Geflügel und an den gewerblichen Einzelhandel bisher keine Mißstände haben nachwei-
sen lassen und daß es hier keineswegs häufig zu Annahmeverweigerungen oder zu Tierverlusten
gekommen ist. Auch der Deutsche Tierschutzbund hat nur über einzelne konkrete Mißstände na-
mentlich beim Hundeversand berichten können. Dieses Ergebnis wird nicht allein auf das Interes-
se der gewerblichen Versender an einem schadensfreien Versand und auf ihre zumeist langjähri-
gen Erfahrungen zurückzuführen sein, sondern

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Tiere (NJW 1974, 30)

auch auf die innerbetrieblichen Maßnahmen von Bundesbahn und Bundespost, wobei nicht un-
wichtig ist, daß der Tierversand durchgängig per Expreß erfolgt.
b) Ob das strittige Verbot allein schon aus den bisherigen Erwägungen verfassungsrechtlich zu be-
anstanden ist, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls hält es in seiner vorliegenden Form
nicht den weiteren Anforderungen stand, die an derartige, die freie Berufsausübung einengende
Maßnahmen zu stellen sind.
Das Verbot erscheint schon wenig geeignet, um den gewünschten Erfolg spürbar zu fördern. Es
bietet keine Gewähr dafür, daß eine Verlängerung der Beförderungsdauer durch Rücktransporte
künftig vermieden oder wesentlich vermindert wird. Fehlerhafte Adressenangaben, Abwesenheit
der Empfänger oder Annahmeverweigerungen aus den verschiedensten Gründen können auch
beim Versand ohne Nachnahmebelastung Rücktransporte verursachen. Nach dem Bericht der
Bundespost lag jedenfalls im Jahre 1972 die Zahl der Rücksendungen bei Nachnahmebelastung
nicht wesentlich höher als in anderen Fällen.
Keinesfalls aber erscheint das Verbot in seiner ausnahmslos alle Tiergattungen, sämtliche Trans-
portarten und jeden Versender erfassenden Tragweite erforderlich, um dem vom Gesetzgeber er-
strebten verbesserten Tierschutz gerecht zu werden. Das Maß der Beeinträchtigung der Tiere

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hängt von der Tierart, der Transporttauglichkeit, der Transportdauer und den Vorsorgemaßnah-
men der Versender ab. Einer Nachnahmeversendung von wirbellosen Tieren stehen aus der Sicht
des Tierschutzes auch nach Meinung des zuständigen Bundesministers keine Bedenken entgegen.
Ähnliches dürfte - wie das Europäische Übereinkommen erkennen läßt - für kaltblütige Tiere gel-
ten. Zum Schutz der übrigen Tiere hätte es nähergelegen, einen ausnahmslosen Versand als Ex-
preßgut an den ersten Wochentagen vorzuschreiben, der die regelmäßige Transportdauer verkürzt
und auch im Falle von Annahmeverweigerungen eine beschleunigte Rücksendung ermöglicht. Je-
denfalls erscheint es wenig folgerichtig, das generelle Nachnahmeverbot auch auf Expreßversen-
dungen zu erstrecken, hingegen die nichtbeschleunigte oder sogar die unfreie Frachtgutversen-
dung weiterhin für sämtliche Tiere zuzulassen, obwohl diese länger dauern kann als ein Expreß-
gutversand selbst in Fällen von Rücktransporten und obwohl auch bei unfreiem Versand die Aus-
lieferung von der vorherigen Einlösung der Frachtkosten abhängig ist. Soweit eine Verpflichtung
zum Expreßgutversand nicht ausreicht, könnten - etwa im Verordnungswege - für die verschiede-
nen Tierarten und Transportmittel Höchstzeiten für den ununterbrochenen Transport festgelegt
werden, wobei zu berücksichtigen wäre, daß z.B. auch nach Meinung des Deutschen Tierschutz-
bundes und der von diesem zugezogenen Sachverständigen die Transportwiderstandsfähigkeit von
Geflügel im Vergleich zu anderen Tieren relativ gut ist. Ferner könnten - ähnlich wie im Europäi-
schen Übereinkommen - Einzelheiten über Verpackung, Fütterung und Tränkung oder auch die so-
fortige Benachrichtigung bei Ablieferungshindernissen auf Kosten des Absenders vorgeschrieben
werden.
Sollten Maßnahmen der genannten Art gleichwohl unzulänglich oder nicht praktikabel sein, dann
erscheint jedenfalls die ausnahmslose Geltung des Nachnahmeverbotes nicht gerechtfertigt. Wie
bereits ausgeführt, haben sich im Nachnahmeversand per Expreß weder beim gewerblichen Geflü-
gelversand an landwirtschaftliche Abnehmer noch im Verhältnis zwischen Groß- und Einzelhandel
Mißstände feststellen lassen. Andererseits werden gerade diese Kreise, zu denen die Beschwerde-
führer gehören, in ihrer beruflichen Betätigung durch das Verbot besonders betroffen. Eine Abwä-
gung zwischen diesen verschiedenen Gesichtspunkten einschließlich einer Prüfung schonenderer
Maßnahmen konnte im Gesetzgebungsverfahren nicht sachgemäß erfolgen, weil sich der Gesetz-
geber - wie ausgeführt - von fehlerhaften Annahmen und unvollständigen Erwägungen hat leiten
lassen. Demgemäß ist ungeprüft geblieben, ob nicht die möglichen Schädigungen derart gering
oder begrenzbar sind, daß sie ähnlich wie bei den im Gesetz zugelassenen Eingriffen, Tierversu-
chen und Tötungen aus „vernünftigem Grund” jedenfalls im Geflügelversand und im Verhältnis
zwischen Groß- und Einzelhandel zu verantworten und mit Rücksicht auf die Betroffenen hinzu-
nehmen wären. Unter Berücksichtigung der nunmehr vorliegenden Anhaltspunkte muß eine Gü-
terabwägung zu dem Ergebnis führen, daß das ausnahmslose Verbot auch des Nachnahmeversan-
des per Expreß jedenfalls die Beschwerdeführer unverhältnismäßig in ihrer beruflichen Betätigung
belastet. Dem könnte bei Aufrechterhaltung des Verbotes im übrigen dadurch abgeholfen werden,
daß Geflügelversender und Großhändler nach Art der Beschwerdeführer eine Ausnahmegenehmi-
gung zur Vorlage bei Bundesbahn und Bundespost erhalten, die von den gemäß § 16 TierschutzG
ohnehin für die Aufsicht zuständigen Behörden - gegebenenfalls unter Beschränkung auf bestimm-
te Tierarten - ausgestellt und bei Mißbräuchen wieder eingezogen werden könnte. Gegen eine der-
artige Regelung ließe sich auch unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität und der Rechtsklarheit
nichts einwenden.
III. Nach alledem ist den Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung der Grundrechte der Be-
schwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG stattzugeben. Dies hat gemäß § 95 Abs. 3 BVerfGG zur Fol-

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ge, daß die Bestimmung des § 3 Nr. 9 TierSchutzG für nichtig zu erklären ist. Wie sich aus den
vorstehenden Ausführungen ergibt, bedeutet dies nicht, daß der Nachnahmeversand lebender Tie-
re unter keinen Umständen verboten werden dürfte. Das BVerfG hat vielmehr erwogen, die Vor-
schrift nur begrenzt unter Differenzierung zwischen den verschiedenen Tierarten, Versendern und
Versandarten zu beanstanden. Für eine geeignete Abgrenzung fehlen indessen ausreichende Un-
terlagen. Auch im Interesse der Rechtsklarheit erschien es daher geboten, die Vorschrift in ihrer
derzeitigen undifferenzierten Fassung insgesamt für nichtig zu erklären und die Abgrenzung einer
Neuregelung zu überlassen, bei der zugleich die zur Vorbereitung der DVO erarbeiteten Untersu-
chungsergebnisse ausgewertet werden können.

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