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CISG-online 2217

Jurisdiction Germany

Tribunal Oberlandesgericht Hamm (Court of Appeal Hamm)

Date of the decision 30 November 2010

Case no./docket no. I-19 U 147/09

Case name Pigs case

Gründe:
I. 1
Nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird wegen der tatsächlichen Feststellungen auf das angefoch-
tene Urteil verwiesen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie rügt die Verletzung formellen und 2
materiellen Rechts. Sie behauptet, die Beklagte habe bei Vertragsschluss die Lieferung PRRS-
Virus freier Tiere ausdrücklich zugesichert aber dementgegen infizierte Tiere geliefert. Die je-
denfalls unstreitig erfolgte Zusage der Beklagten, Tiere aus klinisch PRRS-freien Betrieben zu
liefern, habe das Landgericht unzutreffend dahin ausgelegt, dass lediglich die Lieferung von
Tieren ohne erkennbare klinische Krankheitszeichen vereinbart worden sei. Die Beklagte habe
sich jedoch durch die Zusage verpflichtet, nicht infizierte Tiere zu liefern. Unabhängig davon
stelle die Lieferung infizierter Tiere eine mangelhafte Leistung dar. Infizierte Tiere könnten
weder nach den in Litauen noch nach den in Deutschland geltenden Standards für die Zucht
verwendet werden. Die Leistung der Beklagten sei aber auch aus anderen Gründen mangel-
haft:

Die Beklagte habe abweichend von der bestellten Genetik «Large White» Sauen und einen 3
Eber einer anderen Rasse geliefert. Außerdem habe die Beklagte die fehlerhaften Zuchtbe-
scheinigungen nicht durch korrekte Bescheinigungen ersetzt. Die nachgereichten Zuchtbe-
scheinigungen seien ebenfalls fehlerhaft, da nur die Ohrmarkennummern der betroffenen
Tiere nicht aber die Zuchtdaten ausgetauscht worden seien.

Die Klägerin beantragt, 4


die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Abänderung des angefochtenen Urteils
60.533,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 12.12.2007 sowie
vorgerichtliche anteilige Rechtsanwaltskosten in Höhe von 892,44 € zu zahlen;

hilfsweise
das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht Münster zurück zu ver-
weisen.

Die Beklagte beantragt, 5


die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzli- 6
chen Vorbringens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten 7
Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Erklärungen der Parteien zu Protokoll verwie-
sen. Der Senat hat Beweis erhoben durch die Anhörung des Sachverständigen Dr. H[…]. We-
gen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zur Sitzung
vom 09.11.2010 verwiesen.

II. 8
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

1. 9
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe
von 60.533,90 € wegen einer nicht vertragsgemäßen Leistung aus Art. 74, 45 Abs. 1 lit. b, 35
Abs. 1 und 2 CISG.

Zutreffend geht das Landgericht von der Anwendbarkeit des sog. UN-Kaufrechts auf den vor- 10
liegenden Rechtstreit aus. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem grenzüberschreiten-
den Kaufvertrag. Die Anwendbarkeit des CISG folgt aus Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG. Zwar haben die
Parteien in dem Kaufvertrag vom 14.04.2006 unter Art. 9 Nr. 1 vereinbart, dass für ihre
Rechtsbeziehungen deutsches Recht gelten soll. Dies führt aber gem. Art. 1 Abs. 1 lit. b CISG
zu keinem anderen Ergebnis. Das CISG ist Teil des deutschen Rechts. Es geht als Spezialgesetz
für den internationalen Warenkauf dem deutschen Kaufrecht vor (BGH NJW 1999, 1260,
Tz. 13; Lurger in IHR 2005, 177, 178). Seine Anwendbarkeit ist weder durch Art. 2 lit. a–f CISG
noch gem. Art. 6 CISG durch eine vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen.

Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch gem. Art. 35 Abs. 1 11
und 2 CISG liegen nicht vor. Der Senat kann nicht feststellen, dass die Beklagte vertragswidrige
Waren geliefert hat.

Dahin stehen kann für die Entscheidung des Rechtstreits, ob die Beklagte an die Klägerin 12
Schweine geliefert hat, die mit dem PRRS-Virus infiziert waren. Die Beklagte war nach dem
Kaufvertrag vom 14.04.2006 lediglich verpflichtet, klinisch PRRS-freie Tiere zu liefern. Dieser
Verpflichtung ist die Beklagte nachgekommen. Unstreitig waren sämtliche der gelieferten
Tiere bei ihrer Ablieferung am 11.10.2006, also bei Gefahrübergang gem. Art. 67 Abs. 1 S. 2
CISG, äußerlich gesund.

a) 13
Die Beklagte hat nicht entgegen Art. 35 Abs. 1 CISG Tiere geliefert, die der vertraglich 11 zu-
gesagten Qualität nicht entsprachen. Eine vertragliche Vereinbarung, nach der die Beklagte
die Lieferung PRRS-Virus-freier Tiere schuldete, ergibt sich weder aus dem schriftlichen Kauf-
vertrag vom 14.04.2006 noch aus einer mündlichen Zusage der Beklagten.

aa) 14
Der Senat konnte nicht feststellen, dass die Beklagte wirksam eine vertragsergänzende, aus-
drückliche mündliche Zusage abgeben hat, PRRS-Virus-freie Tiere zu liefern. Die Klägerin hat
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eine solche Zusage weder nachvollziehbar dargelegt noch wäre sie wirksam. Die Qualität der
zu liefernden Schweine ist in dem schriftlichen Kaufvertrag unter Art. 5 und 6 im Einzelnen
festgelegt. Die Verpflichtung, PRRS-Virus-freie Tiere zu liefern, ergibt sich daraus nicht.

Unter Art. 7 Zif. 2 des Kaufvertrages haben die Parteien vereinbart, dass alle weiteren Verein- 15
barung oder Zusagen der Schriftform bedürfen. Nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 CISG kann ein schrift-
licher Vertrag, der eine sog. Schriftformklausel enthält, grundsätzlich nur durch eine schriftli-
che Vereinbarung wirksam geändert werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Schriftform-
klausel durch Individualabrede oder als Allgemeine Geschäftsbedingung Eingang in den Ver-
trag gefunden hat (Münchener Kommentar-Gruber, BGB, 5. A., Art. 29 CISG Rn. 9). Art. 29
Abs. 2 S. 1 CISG findet nur dann keine Anwendung, wenn die Schriftformklausel lediglich der
Beweissicherung dient (Schlechtriem/Schwenzer-Schroeter, CISG, 5. A., Art. 29 Rn. 15; Mün-
chener Kommentar-Gruber, BGB, 5. A., Art. 29 CISG Rn. 11) oder wenn das Berufen der Be-
klagten auf die fehlende Verschriftlichung gem. Art. 29 Abs. 2 S. 2 CISG treuwidrig wäre.

(1) 16
Aus dem Verhalten der Parteien ergeben sich keine Anhaltspunkte, die für eine mündliche
Zusage der Beklagten sprechen, PRRS-Virus-freie Tiere zu liefern. Der festgestellte Gesche-
hensablauf spricht vielmehr dafür, dass es die von der Klägerin behauptete Zusage der Be-
klagte nicht gegeben hat.

Dies ist die einzig schlüssige Erklärung dafür, weshalb die Klägerin auf die angebotene Blutun- 17
tersuchung als einzige zuverlässige Möglichkeit verzichtet hat, eine Infektion der bestellten
Tiere sicher auszuschließen. Es ist auch nicht plausibel, aus welchem Grund die Klägerin den
Wunsch PRRS-Virus-freie Tiere zu erhalten, nicht nach der entsprechenden Aufforderung
durch die Beklagte schriftlich mitgeteilt hat und außerdem auf die schriftliche Ergänzung des
Vertrages über die Zusage der Lieferung PRRS-Virusfreier Tiere verzichtet hat, während der
Vertrag zugleich unter den Art. 5 und 6 eine ganze Reihe von Qualitätsmerkmalen der zu lie-
fernden Schweine regelt. Gerade wenn die Klägerin mit Tieren aus Deutschland und insbeson-
dere aus dem Münsterland eine PRRS-freie Herde aufbauen wollte, ist der Verzicht auf die
Verschriftlichung dieser Vereinbarung schlechterdings nicht nachvollziehbar. Nach dem Gut-
achten des Sachverständigen Dr. H[…] vom 11.06.2008 kann hierzulande gerade nicht ohne
besondere Vereinbarung mit der Lieferung PRRS-Virus-freier Tiere gerechnet werden.

(2) 18
Darüber hinaus würde die Wirksamkeit einer mündlichen Zusage der Beklagten gem. Art. 29
Abs. 2 S. 1 CISG an dem unter Art. 7 Zif. 2 vereinbarten Schriftformerfordernis für vertragser-
gänzende Abreden scheitern. Es ist weder erkennbar, dass der Schriftformklausel nur dekla-
ratorische, beweissichernde Funktion zukommen sollte noch dass sich die Beklagte gem.
Art. 29 Abs. 2 S. 2 CISG treuwidrig auf das Schriftformerfordernis beruft. Gem. Art. 29 Abs. 2
S. 1 CISG ist im Zweifel zu vermuten, dass der Schriftformabrede konstitutive Bedeutung zu-
kommen soll (Schlechtriem/Schwenzer-Schroeter, CISG, 5. A., Art. 29 Rn. 15). Soll die Klausel
im Sinne einer beweissichernden Regelung aufgefasst werden, sind an die dafür erforderli-
chen Tatsachengrundlagen strenge Anforderungen zu stellen (Schlechtriem/Schwenzer-
Schroeter, a.a.O.). Der zu beurteilende Sachverhalt ergibt keinen Anhalt dafür, dass die Par-

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teien einen Teil ihrer Abreden zu Beweiszwecken verschriftlicht und außerhalb der Vertrags-
urkunde weitere Vereinbarungen getroffen haben. Ein solches Verhalten der Parteien wäre
nur dann denkbar, wenn die schriftlich fixierten Vertragsinhalte zu irgendeinem Zeitpunkt zwi-
schen den Parteien streitig waren. Dies war nicht der Fall.

Die Beklagte beruft sich auch nicht treuwidrig i.S.d. Art. 29 Abs. 2 S. 2 CISG darauf, dass der 19
Vertrag wirksam nur durch eine schriftliche Vereinbarung hätte ergänzt werden können. Der
Beklagten wäre es nur verwehrt sich auf die Schriftformklausel zu berufen, wenn die Parteien
im Bewusstsein der Schriftformklausel trotzdem eine formlose ergänzende Vereinbarung ge-
schlossen haben (Schlechtriem/Schwenzer-Schroeter, CISG, 5. A., Art. 29 Rn. 25) und sich die
Klägerin auf eine Zusage der Beklagten, PRRS-freie Tiere zu liefern, verlassen hätte. Dazu hätte
die Klägerin im Vertrauen auf die formlose Vertragsänderung disponieren müssen (vgl.
Schlechtriem/Schwenzer-Schroeter, CISG, 5. A., Art. 29 Rn. 27; Münchener Kommentar-Gru-
ber, BGB, 5. A., Art. 29 CISG Rn. 14; Staudinger-Magnus, CISG, Stand 2005, Art. 29 Rn. 18).
Dass sie etwa wegen der behaupteten Zusage andere Vertragsangebote abgelehnt hätte oder
deshalb auf eine ursprünglich beabsichtigte Blutuntersuchung verzichtet hätte, behauptet die
Klägerin nicht. Aus dem Schreiben der Beklagten vom 01.12.2006 (Bl. 70 GA) ergibt sich viel-
mehr, dass die Beklagte die Klägerin ausdrücklich aufgefordert hat, die gewünschten Quali-
tätsmerkmale der zu liefernden Schweine schriftlich niederzulegen, ohne dass eine Reaktion
der Klägerin erfolgt ist.

bb) 20
Eine vertragliche Verpflichtung, PRRS-Virus-freie Tiere zu liefern, ergibt sich auch nicht aus der
unstreitigen Zusage der Beklagten, Tiere aus klinisch PRRS-freien Betrieben zu liefern. Dass die
Beklagte ihre Zusage gem. Art. 8 Abs. 1 CISG in dieser Weise verstanden wissen wollte, ist
nicht ersichtlich. Die Beklagte hat während des gesamten Rechtsstreits darauf verwiesen, zu
einer Lieferung PRRS-Virus-freier Tiere nicht verpflichtet gewesen zu sein. Die Zusage der Be-
klagten ist gem. Art. 8 Abs. 2 CISG auch nach dem objektiven Empfängerhorizont dahin zu ver-
stehen, Tiere liefern zu wollen, die nicht akut erkrankt sind und aus Beständen stammen, in
denen die Infektion nicht klinisch ausgebrochen ist.

Damit hat sich die Beklagte aber nicht verpflichtet, PRRS-Virus-freie Tiere zu liefern bzw. Tiere 21
zu liefern, bei denen die Erkrankung in absehbarer Zeit jedenfalls nicht ausbricht. Denn klinisch
nicht erkrankte Tiere sind nicht zwingend Virus-frei. Eine Zusage, Tiere zu liefern, die in Zu-
kunft nicht erkranken, kann ohnehin nicht verbindlich abgegeben werden. Ob sich die Erkran-
kung nach einer Infektion klinisch manifestiert, ist nicht vorhersehbar. Die Reichweite der Zu-
sage über die Qualität der zu liefernden Tiere ergibt sich für den objektiven, fachkundigen
Erklärungsempfänger bereits aus den in der Region im Jahre 2006 herrschenden Umständen,
die der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung umfassend erläutert hat. Da-
nach gehört der Handel mit PRRS-Virus-freien Tieren im Münsterland bis heute nicht zum
Standard. Dies liegt in der hohen Durchseuchungsrate der Schweinebestände mit PRRS-Vieren
begründet, der im Mittel über 80% liegt. Hinzu kommt, dass die Infektion mit PRRS-Viren nicht
ohne weiteres erkennbar ist. Die Inkubationszeit liegt bei bis zu 30 Tagen, wobei nicht bei allen
infizierten Tieren die Krankheit tatsächlich ausbricht. Daher können auch in klinisch PRRS-
freien Beständen infizierte Tiere nachgewiesen werden. Ohne eine besondere Untersuchung

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der einzelnen Tiere ist nicht erkennbar, ob im Bestand Tiere mit einer PRRS-Infektion vorhan-
den sind. Daher vollzog sich der Handel mit Schweinen für die Mast und die unteren Vermeh-
rungsstufen ohne Rücksicht auf eine mögliche PRRS-Infektion der Tiere. Angesichts dessen
stellt die Zusage, PRRS-Virus-freie Tiere liefern zu wollen, ein vom Handelbrauch abweichen-
des Verhalten dar. Eine solche Zusage müsste unzweifelhaft und ausdrücklich erklärt werden.
Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen.

b) 22
Die Beweisaufnahme hat auch nicht ergeben, dass die gelieferten Tiere entgegen Art. 35
Abs. 2 lit. a CISG für den gewöhnlichen Gebrauchszweck nicht geeignet sind. Der vorgesehene
Gebrauchszweck der Tiere ergibt sich aus dem Kaufvertrag vom 14.04.2006.

aa) 23
Danach wollte die Klägerin «Jungsauen» zum «Aufbau einer Vermehrungsherde» erwerben.
Dabei ging es der Klägerin, wie sie in der Berufung ausdrücklich klarstellt, nicht um den Aufbau
einer Mastferkelproduktion sondern um die Vermehrung von Jungsauen, die ihrerseits für die
Mastferkelproduktion verwendet werden. Dieses Zuchtziel deckt sich nach den Erläuterungen
des Sachverständigen mit dem im Vertrag schriftlich fixierten Verwendungszweck.

Das vertraglich vereinbarte Zuchtziel erforderte zumindest im Jahr 2006 nicht die Lieferung 24
PRRS-Virus-freier Tiere. Dies ergibt sich aus dem schriftlichen Sachverständigengutachten vom
11.06.2008 und dessen mündlicher Erläuterung durch den Sachverständigen Dr. H[…] vor dem
Senat. Der Sachverständige hat nachvollziehbar dargestellt, dass aufgrund der hohen Durch-
seuchungsrate in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006 PRRS-infizierte Schweine frei gehandelt
wurden, soweit die Tiere nicht für Basiszuchtbetriebe oder für besondere Eberzuchtstationen
bestimmt waren.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist die Klägerin bei der Abwicklung des Kauf- 25
vertrages von der Beklagten exakt nach dem seinerzeit regional herrschenden Standard be-
dient worden. Die Klägerin wollte Tiere zum Aufbau eines Jungsauen-Vermehrungsbetriebes
erwerben. Zu diesem Zweck wurden im Jahr 2006 in Nordrhein-Westfalen Schweine ohne
Rücksicht auf das Vorliegen einer PRRS-Infektion gehandelt. Daraus, dass sich nach dem Ab-
schluss des Vertrages und Lieferung der Tiere eine andere Entwicklung ergeben hat und heute
PRRS-infizierte Tiere nur noch eingeschränkt in Vermehrungsbetrieben Verwendung finden,
kann die Klägerin im Hinblick auf die vertraglichen Verpflichtungen der Beklagten aus dem
Jahr 2006 keine Rechte herleiten.

Die Einwendungen der Klägerin gegen das Sachverständigengutachten sind im Ergebnis nicht 26
tragfähig und geben keinen Anlass für die Anordnung einer weiteren Begutachtung gem. § 412
Abs. 1 ZPO. Unzulänglichkeiten des erstatteten Gutachtens sind nicht ersichtlich. Die Klägerin
stützt ihre Einwendungen gegen das Gutachten insbesondere auf eine Stellungnahme der
Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 26.03.2008 (Bl. 283 f. GA), wonach PRRS-infi-
zierte Tiere nicht zur Zucht geeignet seien. Der Sachverständige hat sich mit der abweichen-
den Bewertung auseinander gesetzt. Danach ist nicht erkennbar, dass die von dem Gutachten
abweichende fachliche Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen bezogen
auf die im Jahr 2006 geltenden Zuchtstandards zutreffend ist. Objektiv mag die im Schreiben

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vom 26.03.2008 vertretene Auffassung richtig sein. Dies ändert aber nichts an der Tatsache,
dass die Zuchteignung PRRS-infizierter Tiere im Jahr 2006 überwiegend anders beurteilt
wurde und der Handel mit infizierten Tieren auf der Vermehrungsstufe deutscher Standard
war. Der Beklagten kann daher nicht vorgeworfen werden, eine vertragswidrige Leistung er-
bracht zu haben.

Unerheblich ist außerdem der Einwand der Klägerin, infizierte Tiere dürften nach litauischen 27
Standards nicht für die Zucht verwendet werden. Im internationalen Warenverkehr ist zur Be-
urteilung des Umstands, ob eine Ware dem gewöhnlichen Gebrauchszweck entspricht, auf
den im Land des Verkäufers herrschenden Standard abzustellen (OGH Österreich, IHR 2006,
110 ff.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Einhaltung der Käuferlandbestimmungen aus-
drücklich vereinbart wurde (Lurger in IHR 2005, 221, 227). Eine solche Vereinbarung trägt die
Klägerin nicht vor.

bb) 28
Auch in Bezug auf die gelieferten Eber lässt sich eine vertragswidrige Leistung nicht feststellen.
Die Beklagte schuldete nicht die Lieferung PRRS-Virus-freier Eber. In dem schriftlichen Kauf-
vertrag ist für die Eber kein von den Sauen abweichender Verwendungszweck vereinbart wor-
den. Eber und Zuchtsauen sollten gleichermaßen für den Aufbau der Zuchtherde Verwendung
finden, also auf der Vermehrungsstufe eingesetzt werden. Daher waren Tier gleicher Art und
Güte zu liefern.

Aus dem Behaupten der Klägerin, sie habe bei Vertragsschluss mit der Beklagten vereinbart, 29
die Eber direkt an die Eberstation M zu liefern, kann nicht die Verpflichtung der Beklagten zur
Lieferung PRRS-Virus-freie Eber konstruiert werden. Die Klägerin hat weder eine solche zu-
sätzliche vertragliche Vereinbarung substantiiert darlegt noch liegen Tatsachen vor, die ent-
gegen der Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 S. 1 CISG die Wirksamkeit der mündlichen Absprache
neben dem schriftlichen Vertrag rechtfertigen.

(1) 30
Nach dem schriftlichen Vertrag war eine Lieferung der Tiere «frei Hof» vorgesehen. Nicht
nachvollziehbar ist, weshalb eine maßgebliche Änderung der getroffenen Vereinbarung, einen
Teil der Tiere an einen anderen Ort zu liefern, nicht schriftlich fixiert worden ist. Dies gilt vor
allem, wenn die Änderung des ursprünglich vereinbarten Lieferortes bei korrekter Vertrags-
abwicklung Einfluss auf die Qualität der zu liefernden Eber gehabt hätte. Hätten die Eber tat-
sächlich von vorneherein an die Station geliefert werden sollen, hätte dies nach den Erläute-
rungen des Sachverständigen nicht nur die Lieferung PRRS-Virus-freier Tiere erforderlich ge-
macht, sondern auch die Durchführung weiterer kostenträchtiger Maßnahmen wie die vorhe-
rige Quarantäne und Untersuchung der Tiere. Dass die Parteien über die Folgen einer solchen
abweichenden Lieferbestimmung gesprochen oder Vereinbarungen getroffen haben, behaup-
tet die Klägerin nicht. Eben so wenig erschließt sich, weshalb die Klägerin vor diesem Hinter-
grund nicht zumindest das Angebot der Beklagten einer Blutuntersuchung im Hinblick auf die
Eber angenommen hat.

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(2) 31
Darüber hinaus gibt es keinen Anhalt dafür, dass die Parteien im Bewusstsein der Schriftform-
klausel formlos eine Vertragsänderung über den Bestimmungsort und den Verwendungs-
zweck der Eber vereinbart haben und die Klägerin im Vertrauen auf die formlose Vertragsän-
derung disponiert hätte.

c) 32
Eine Vertragswidrigkeit der Leistung folgt auch nicht aus Art. 35 Abs. 2 lit. b CISG. Es ist nicht
ersichtlich, dass die Klägerin bei dem Erwerb der Tiere für den Aufbau der Zucht in Litauen auf
besondere Sachkenntnisse oder auf das Urteilsvermögen der Beklagten vertraut hat, weil die
Beklagte spezielle Kenntnisse für die Erreichung des von der Klägerin verfolgten Vertrags-
zwecks hatte (vgl. Schlechtriem/Schwenzer-Schwenzer, CISG, 5. A, Art. 35 Rn. 22, 23, vgl. Lur-
ger in IHR 2005, 221, 225–228).

2. 33
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Schadenersatzanspruch aus Art. 74, 45 Abs. 1 lit. b,
35 Abs. 2 lit. a CISG wegen der behaupteten Lieferung nicht reinrassiger Tiere.

a) 34
Hinsichtlich der gelieferten Zuchtsauen kann offen bleiben, ob die behauptete Vertragswid-
rigkeit tatsächlich vorliegt und zumindest zwei der gelieferten Zuchtsauen nicht reinerbig der
Genetik «Large White» angehörten.

Die Klägerin hat den geltend gemachten Mangel nicht gem. Art. 39 CISG rechtzeitig gerügt. 35
Damit gilt die Lieferung der Zuchtsauen als genehmigt. Der Mangel fehlender Reinerbigkeit ist
erstmals im laufenden gerichtlichen Verfahren mit dem Schriftsatz vom 11.10.2007 geltend
gemacht worden. Bekannt war er der Klägerin jedoch spätestens seit dem 23.07.2007. Unter
diesem Datum hat sich die Klägerin eine Bescheinigung der Staatlichen Station der Schweine-
züchterei über die fehlende Reinerbigkeit der Tiere zur Vorlage beim Landgericht Münster
ausstellen lassen.

Damit hat die Klägerin den Mangel erstmals mehr als 2½ Monate nach seinem Auftreten an- 36
gezeigt. Die angemessene Rügefrist nach Art. 39 CISG beträgt nach der einschlägigen Kom-
mentar-Literatur hingegen 1 Monat (Schlechtriem/Schwenzer-Schwenzer, CISG, 5. A., Art. 39
Fn. 104), nach der Rechtsprechung 2–7 Wochen (Lurger in IHR 2005, 177, 185). Selbst wenn
die von der Rechtsprechung angenommene längere Rügefrist von 7 Wochen zu Grunde gelegt
wird, ist die Anzeige des Mangels außerhalb der angemessenen Frist erfolgt.

b) 37
Eine Vertragswidrigkeit der Leistung ergibt sich auch nicht dadurch, dass der zum Ausgleich
etwaiger Transportschäden kostenfrei gelieferte Eber unstreitig nicht der Genetik «Large
White» angehörte. Die Klägerin hat vier Eber der Genetik «Large White» bestellt und erhalten.
Damit hat die Beklagte ihre vertraglichen Pflichten erfüllt. Die Beklagte hat durch die Lieferung
des zusätzlichen Tiers auch keine Aufklärungspflichten verletzt. Die Genetik der Tiere ergibt
sich aus den Zuchtbescheinigungen. Im Übrigen trägt die Klägerin nicht vor, dass ihr durch die
Lieferung des zusätzlichen Ebers einer anderen Genetik ein Zuchtschaden entstanden ist.

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3. 38
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen der Lieferung
von 4 Zuchtsauen und 2 Ebern mit ursprünglich fehlerhaften Zuchtbescheinigungen aus
Art. 74, 45 Abs. 1 lit. b, 35 Abs. 2 lit. a CISG. Im Ergebnis ist der Klägerin kein Schaden entstan-
den.

Grundsätzlich kann die Lieferung von Tieren mit fehlerhaften Zuchtbescheinigungen zwar ei- 39
nen Schadenersatzanspruch begründen. Die betroffenen Tiere können entgegen Art. 35
Abs. 2 lit. a CISG nicht für den gewöhnlichen Gebrauchszweck, nämlich für die Zucht, verwen-
det werden. Dies wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt und ergibt sich zudem aus
der Bescheinigung der Staatlichen Zuchtsauenstation vom 15.05.2007. Die betroffenen Zucht-
sauen hatten danach lediglich Schlachtwert.

a) 40
Soweit die Sauen aufgrund der falschen Zuchtbescheinigungen nicht für die Zucht verwendet
werden konnten, ist der Schaden jedoch durch die kostenfreie Lieferung der vier weiteren
Sauen kompensiert. Nach dem Vertrag vom 14.04.2006 hatte die Klägerin lediglich einen An-
spruch auf die Lieferung von 78 mangelfreien Zuchtsauen. Tatsächlich hat sie aber 82 Tiere
erhalten.

b) 41
Hinsichtlich der Eber ist die Klägerin den Nachweis schuldig geblieben, dass die Tiere nach
Übersendung der korrigierten Zuchtbescheinigungen nicht vertragsgemäß verwendet werden
konnten. Daher ist davon auszugehen, dass die Beklagte ihre Leistung erfolgreich gem. Art. 46
Abs. 3 CISG nachgebessert hat. Die Identität der Zuchtdaten in den alten und neuen Zuchtbe-
scheinigungen bei abweichenden Ohrmarkennummern hat die Klägerin nur für die Zucht-
sauen belegt und mit Schreiben vom 09.11.2006 gerügt. Einen konkreten Fehler hinsichtlich
der korrigierten Zuchtbescheinigungen für die Eber hat die Klägerin nicht vorgetragen. Die
betroffenen Eber mit den Ohrmarkennummern […]2 und […]3 sind trotz der ursprünglich feh-
lerhaften Zuchtbescheinigungen unproblematisch in der Eber-Station M[…] eingestellt wor-
den. Die Rückgabe der Tiere an die Klägerin erfolgte nicht wegen der fehlerhaften Zuchtbe-
scheinigungen, sondern weil bei einem der Tiere eine Infektion mit PRRS-Viren festgestellt
wurde. Es gibt – anders als für die Zuchtsauen – keinen Beleg darüber, dass die Eber nicht für
die Zucht verwendet werden konnten, sondern der Schlachtung zugeführt werden mussten.

4. 42
Eine Rückverweisung der Sache an das Landgericht kam gem. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht in
Betracht, da der Rechtsstreit nach der weiteren Beweisaufnahme durch die Anhörung des
Sachverständigen gem. § 411 Abs. 3 ZPO entscheidungsreif war.

Die Entscheidungen über die Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97
Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gem. § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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