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Haftungsrecht

Rechtsanwalt
Thomas Wagner

© RA Thomas Wagner
Haftungsrecht
Fall: Eine Pflegekraft verwechselt aus Unachtsam-
keit beim vorbereiten einer Injektion zwei Am-
pullen. Die Injektion verursacht beim Heimbe-
wohner schwere organische Schäden.

Welche rechtlichen Folgen kann das fehlerhafte


Handeln für sie haben? Wer kann Ansprüche
geltend machen?

2
T
© RA Thomas Wagner
h
Haftungsrecht
Versiche-
Zivil- Straf- Arbeits- Heim- Berufs-
rungs-
recht recht recht recht recht
recht

Schadens- Eintritt Aberkennen


ersatz + Versetzung Beschäf-
Strafe der von Titel/
Schmerzens- Abmahnung
Ver- tigungs- Berufs-
Kündigung verbot verbot
geld sicherung

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Haftungsrecht

Schaden

Strafrecht Zivilrecht

Strafe Schadensersatz
⚫ Freiheitsstrafe ⚫ materiell

⚫ Geldstrafe ⚫ immateriell

Verantwortlichkeit
= Haftung 4
Haftungsrecht
zivilrechtliche Haftung

⚫ Heimbewohner kann Schmerzensgeld verlangen (=


immaterieller Schaden)

⚫ Krankenkasse kann Schadensersatz verlangen (Er-


satz der Kosten für erforderliche Krankenhausbe-
handlung

⚫ zahlt Heim oder Pflegekraft nicht muss Klage am


Zivilgericht eingereicht werden

⚫ Staat wird hier nicht von sich aus tätig 5


Haftungsrecht
Zivilrechtliche
Haftung

vertraglich deliktisch
§ 280 Abs. 1 §§ 823 ff. BGB
BGB

für fremdes für eigenes


Verschulden Verschulden
für eigenes für eigenes
§ 278 BGB § 831 BGB
Verschulden Verschulden
Erfüllungsgehilf Verrichtungsge
e hilfe
Haftungsrecht
strafrechtliche Haftung

⚫ Staatsanwaltschaft ermittelt und prüft, ob eine


Straftat begangen wurde

⚫ außer bei Antragsdelikten auch dann, wenn der


Verletzte das gar nicht will, weil er z.B. durch
Schadensersatz schon besänftigt ist

⚫ hier liegt fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB)


vor
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Haftungsrecht
⚫ fahrlässige Körperverletzung ist relatives Antrags-
delikt

⚫ Ermittlung und Anklage nur, wenn Strafantrag des


Verletzten (Heimbewohner) vorliegt

⚫ Ausnahme: wenn StA öffentliches Interesse an der


Strafverfolgung bejaht

⚫ liegt Strafantrag/öffentliches Interesse vor und


kommt es zur Anklage entscheidet Strafgericht
durch Urteil
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Haftungsrecht
⚫ hier Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe
möglich

Exkurs Strafe:

Funktion der Strafe:


⚫ Resozialisierung (Spezialprävention)

⚫ Abschreckung (Generalprävention)

⚫ Schutz der Bevölkerung

⚫ Gerechtigkeit = Sühne und Vergeltung

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Haftungsrecht

Strafmonopol des Staates

Offizialdelikte Antragsdelikte (relative) absolute


Antragsdelikte
⚫Verfolgung ⚫Verfolgung nur bei
von Amts wegen Strafantrag Verfolgung nur bei

Strafantrag
⚫alle Verbrechen ⚫oder bei öffentlichem
und viele Vergehen Interesse der Strafver- ⚫z.B.
folgung Hausfriedensbruch,
⚫z.B. Mord, Totschlag, Beleidigung
Raub, Erpressung, ⚫ z.B. vorsätzliche und
Diebstahl, Unterschla- fahrlässige Körper- ⚫im Wege der
gung, Betrug verletzung Privatklage

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Haftungsrecht
arbeitsrechtliche Haftung

⚫ neben zivil- und strafrechtlichen Folgen können


sich arbeitsrechtliche Konsequenzen ergeben

⚫ Pflegekraft kann zukünftig untersagt werden


Spritzen zu setzen

⚫ Versetzung, Abmahnung, Kündigung

⚫ Weigerung der Pflegekraft zukünftig zu spritzen


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Haftungsrecht
Versicherungsrecht

⚫ Tritt eine Versicherung für den Schaden ein?

⚫ Versicherung würde Schadensersatz und


Schmerzensgeld zahlen

⚫ andernfalls müssten Pflegekraft oder Heim für den


Schaden aufkommen

⚫ Absicherung in Haftungsfällen bietet eine Betriebs-


haftpflichtversicherung
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Haftungsrecht
Heimrecht

⚫ Heimaufsicht kann bei schwerwiegenden und/oder


wiederholten Pflichtverletzungen Beschäftigungs-
verbot gemäß § 12 SächsBeWoG aussprechen

Berufsrecht

⚫ erhebliche Pflichtverstöße können zur Aberken-


nung der Berufsbezeichnung führen

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Haftungsrecht
Rechtliche Haftungsprüfung

⚫ Wer haftet wann und wofür?

⚫ Haftung (+), wenn

− Tatbestand (+)
− Rechtswidrigkeit (+)
− Schuld (+)

⚫ Merke: = dreigliedriger Deliktsaufbau!


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Haftungsrecht
Rechtliche Haftungsprüfung
(dreigliedriger Deliktsaufbau)

Tatbestands- ⚫ Entspricht ein bestimmtes Verhalten dem


mäßigkeit Gesetzeswortlaut?

Rechts- ⚫ Greifen keine Rechtfertigungsgründe für ein bestimmtes


widrigkeit Verhalten ein?
⚫ Man darf sich z.B. gegen einen Angreifer wehren
(Notwehr)

⚫ Kann einer Person ein bestimmtes von der Rechtsordnung


missbilligtes Verhalten vorgeworfen werden?
Schuld ⚫ So handelt z.B. ein „Geisteskranker“ nicht schuldhaft, da er nicht
der Lage ist, die Verwerflichkeit seines Handelns zu erkennen
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Haftungsrecht
Fall: Ein Pfleger schlägt einen Heimbewohner,
nachdem dieser trotz mehrmaliger Bitten nicht im
Bett liegen bleiben will.

Prüfungsfolge Tatbestand

⚫ nicht „gesundes Rechtsempfinden“ ist


entscheidend

⚫ „Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung“

⚫ Suche nach einer Rechtsnorm, die zum fehler-


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haften Verhalten passt
Haftungsrecht
⚫ hier kommt für strafrechtliche Beurteilung § 223
StGB in Betracht: Wer eine andere Person
körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit
schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren
bestraft.

⚫ Körperlich mißhandelt = üble, unangemessene


Behandlung, durch die das körperliche Wohl-
befinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird

⚫ Schläge sind unangemessene Behandlung,


Schmerzen hat Bewohner auch erlitten
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Haftungsrecht
Fall: Der Bewohner Herr B. lebt auf einer geronto-
psychiatrischen Pflegestation. Er ist dabei, sich zu
einer Bewohnerin in deren Bett zu legen. Die
Mitbewohnerin ist völlig verängstigt und ruft um
Hilfe. Nur mit Gewaltanwendung kann B von
seinem Vorhaben abgebracht werden. Dabei führt
ihn der Pfleger P. im schmerzhaften „Polizeigriff“
aus dem Zimmer.

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Haftungsrecht
Prüfungsfolge Rechtswidrigkeit

⚫ P hat B Schmerzen zugefügt = Tatbestand des §


223 StGB (körperliche Misshandlung) ist erfüllt

⚫ aber: kann P hier zur Verantwortung gezogen


werden?

⚫ erfüllt ein Sachverhalt die Voraussetzungen eines


gesetzlichen Tatbestandes, liegt in der Regel auch
Rechtswidrigkeit vor
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Haftungsrecht
⚫ hat jemand fehlerhaft gehandelt, hat er gegen die
Rechtsordnung verstoßen

⚫ aber: es gibt Fälle, bei denen Eingriff in Rechts-


güter anderer erforderlich ist

⚫ z.B. Feuerwehr tritt Tür ein, um alte Frau aus


brennendem Haus zu retten (Sachbeschädigung
der Tür?)

⚫ ein Passant betritt gegen den Willen eines Mieters


dessen Wohnung um telefonisch Hilfe für
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Unfallverletzte zu holen (Hausfriedensbruch?)
Haftungsrecht
⚫ hier sind zwar gesetzliche Tatbestände erfüllt (§§
303, 123 StGB)

⚫ grundsätzlich liegt damit auch Rechtswidrigkeit vor

⚫ aber: Rechtswidrigkeit nicht gegeben, wenn sog.


Rechtfertigungsgrund vorliegt

⚫ Rechtfertigungsgründe: Notwehr, Nothilfe, Notstand

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Haftungsrecht
⚫ hier sind zwar gesetzliche Tatbestände erfüllt (§§
303, 123 StGB)

⚫ grundsätzlich liegt damit auch Rechtswidrigkeit vor

⚫ aber: Rechtswidrigkeit nicht gegeben, wenn sog.


Rechtfertigungsgrund vorliegt

⚫ Rechtfertigungsgründe: Notwehr, Nothilfe,


Notstand, Einwilligung

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Haftungsrecht
Rechtfertigungsgründe

⚫ jeder gegenwärtige, rechtswidrige Angriff auf ein


Notwehr/Nothilfe fremdes Rechtsgut darf abgewehrt werden
(§ 32 StGB)
⚫ Notwehr ist Selbsthilfe
⚫ Nothilfe ist Hilfe für einen anderen

Notstand ⚫ jede gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr


(§ 34 StGB) für ein Rechtsgut, die keinen menschlichen Angriff
darstellt, darf abgewehrt werden

⚫ ist ihrem Wesen nach Verzicht auf Rechtsschutz


⚫ Beschränkung auf die Fälle in denen Rechtsordnung
Einwilligung/ dem Geschützten die Möglichkeit einräumt a. G.
mutmaßliche seines Selbstbestimmungsrechtes auf Schutz der
Einwilligung Rechtsordnung zu verzichten
⚫ in Fällen rechtlich zulässiger, aber aus tatsächlichen
Gründen fehlender Einwilligung bleibt Raum für 23
mutmaßliche Einwilligung
Haftungsrecht
Notwehr/Nothilfe § 32 StGB

⚫ wer eine Tat begeht

⚫ um gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff

⚫ von sich oder einem anderen abzuwehren

⚫ ist durch Notwehr/Nothilfe gerechtfertigt

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Haftungsrecht
Bsp.: Psychotischer Patient greift von hinten Arzt mit
Messer an und Pfleger schlägt Patient nieder, um
Arzt zu schützen

⚫ rechtswidriger, gegenwärtiger Angriff auf Arzt

⚫ Pfleger ist durch Nothilfe gerechtfertigt

⚫ Grundsatz bei Notwehr: „das Recht hat dem


Unrecht nicht zu weichen“

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Haftungsrecht
⚫ jeder Mensch darf sich gegen einen Angriff auf ein
Rechtsgut wehren (keine Rechtsgutabwägung)!

⚫ Verteidigungsmittel darf nicht vollkommen unver-


hältnismäßig sein

⚫ Bsp.: Kinder wollen aus einem Garten vom Baum


Obst stehlen, der Eigentümer schießt mit einem
Jagdgewehr auf die Kinder

⚫ bei mehreren verfügbaren Mitteln ist das mildeste


zu wählen
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Haftungsrecht
⚫ man muss dem Angriff nicht ausweichen (keine
Pflicht zur Flucht)

⚫ aber: Verteidigungsrecht hat Grenzen bei ver-


wirrten und desorientierten Menschen!

⚫ Pflegekraft muss immer mildestes Mittel wählen


oder ausweichen, wenn möglich!

⚫ im Fall hilft Pfleger der Bewohnerin, um sie vor B


zu schützen, der schmerzhafte „Polizeigriff“ ist
gerechtfertigt, wenn kein milderes Mittel zur
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Verteidigung in Betracht kommt
Haftungsrecht
Notwehr /Nothilfe

⚫ Patient A greift Sie an. (Rechtsgut: körperliche


menschlicher Unversehrtheit)
Angriff auf ein ⚫ Patient B zerstört das Eigentum seiner Mitpatienten
Rechtsgut (Rechtsgut Eigentum)
⚫ Pfleger P beleidigt Patienten (Rechtsgut: Ehre)

⚫ liegt vor, wenn Angriff unmittelbar bevorsteht oder


Gegenwärtigkeit noch nicht abgeschlossen ist
des Angriffs ⚫ Bsp.: Patient zerstört gerade Bücher seiner
Mitpatienten
⚫ Gegenbsp.: Patient droht lediglich damit, die Bücher
zu zerstören

⚫ ist gegeben, wenn Angriff selbst nicht durch Recht-


Rechtswidrigkeit
des Angriffs fertigungsgrund gerechtfertigt ist
⚫ Gegenbsp.:Patient A schlägt Sie, weil Sie in sein 28
Zimmer eingedrungen sind, um ihn zu berauben
Haftungsrecht
Fall: Bewohner B., zeitlich desorientiert, hat das
Heim verlassen und kommt auch nach Stunden
nicht wieder zurück. Er benötigt dringend Insulin,
andernfalls drohen ernste Gesundheitsgefahren.
Pflegerin P benachrichtigt aus diesem Grund die
Polizei.

Notstand § 34 StGB

⚫ P hat Schweigepflicht verletzt (Information über


Krankheit eines Bewohners)

⚫ Verhalten von P aber durch Notstand gerechtfertigt 29


Haftungsrecht
⚫ Bewohner B befand sich in Lebensgefahr, die durch
Benachrichtigung der Polizei abgewehrt werden
konnte

Prüfung, ob Handlung durch Notstand gerecht-


fertigt ist:

⚫ nicht anders abwendbare Gefahr


⚫ Rechtsgutabwägung = geschütztes Rechtsgut
(im Fall: Leben/Gesundheit) ist gegenüber
verletztem Rechtsgut (im Fall: persönlicher
Geheimnisbereich höher zu bewerten)
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Haftungsrecht
⚫ Grad der drohenden Gefahr muss erheblich
sein
⚫ Handlung muss angemessen sein

⚫ wichtige Fallgruppe des rechtfertigenden


Notstandes: Fixierung von verwirrten/suizidalen
Heimbewohnern zur Abwendung von Selbst- und
Fremdgefährdung

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Haftungsrecht
Einwilligung

⚫ Rechtswidrigkeit kann weiterhin entfallen durch


Einwilligung in Rechtsgutverletzung

⚫ Träger eines Rechtsgutes (Opfer,Verletzter) kann


auf Schutz des Rechtsgutes grundsätzlich ver-
zichten

⚫ Einwilligung ist Rechtfertigungsgrund für


Verletzer/Schädiger und lässt Haftung entfallen
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Haftungsrecht
⚫ Beispiele: Schneiden von Haaren und Fingernägel,
Injektionen, Operationen sind Eingriffe in die
körperliche Unversehrtheit

⚫ Verletzungen sind durch vorherige Einwilligung


gerechtfertigt

⚫ Ausnahme: keine Einwilligung bei sittenwidriger


Handlung!

⚫ Sittenwidrig ist was gegen „das Anstandsgefühl


aller billig und gerecht Denkenden“ verstößt
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(Reichsgericht Leipzig 1901)
Haftungsrecht
⚫ § 228 StGB: Wer eine Körperverletzung mit
Einwilligung der verletzten Person vornimmt,
handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz
der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

Beispiele für Sittenwidrigkeit:

⚫ Strafrecht: früher Prostitution, Tötung auf


Verlangen § 216 StGB, Kannibalismus (Kannibale
von Rotenburg), sadomasochistische Praktiken nur,
wenn konkrete Todesgefahr (BGH 2StR 503/03,
Urteil vom 26.5.2004: Körperverletzung mit
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Todesfolge u. nicht nur fahrlässige Tötung)
Haftungsrecht
⚫ Zivilrecht: allgemein bei krassem Missverhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung und bei Aus-
nutzung einer Zwangslage oder Unerfahrenheit
z.B. Kreditgeschäfte zu überhöhten Zinsen (Bsp.:
Zinsen für Kredit 20% pro Monat (BGH: Wucher bei
Überschreitung der Zinsen von 100% oder 12%
absolut) oder Knebelungsverträge z.B. sog.
Bierlieferungsverträge oder Kauf eines Radarwarn-
gerätes

⚫ § 138 BGB: sittenwidrige Rechtsgeschäfte sind


nichtig
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Haftungsrecht
⚫ Fall: Herr M, 86 Jahre alt, lebt im Pflegeheim
Burgfrieden. Er ist ein hilfsbereiter und (an sich)
sehr liebenswerter Bewohner. Er hat nur einen Tick:
In Phasen von Verwirrtheitszuständen fängt er das
Sammeln an. Neulich ging er abends in die Zimmer
der Mitbewohner und sammelte alle Zahnprothesen
ein. Die diensthabende Schwester hatte dies nicht
rechtzeitig bemerkt. Nicht alle Zahnprothesen
konnten später den „Trägern“ zugeordnet werden,
trotz mühevoller „Anproben“.

Es mussten einige neue Zahnprothesen angefertigt


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werden. Muss Herr M dafür zahlen?
Haftungsrecht
⚫ Herr M hat Tatbestand des § 823 BGB erfüllt

⚫ Rechtsgut Eigentum verletzt (zwar nicht zerstört


aber unbrauchbar gemacht)

⚫ Rechtfertigungsgrund (-), da weder in Notwehr


noch im Notstand gehandelt; Einwilligung der
Bewohner lag auch nicht vor (sie waren nicht
einverstanden mit der Sammelaktion)

⚫ Rechtsordnung verbietet solch ein Verhalten, aber


konnte Herr M anders handeln? Kann er zur
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Verantwortung gezogen werden?
Haftungsrecht
⚫ Schuld- bzw. Deliktfähigkeit von M?

⚫ Merke: Schuld-/Deliktfähigkeit = Einsichtsfähigkeit


in das Unrecht seines Handelns

⚫ Schuldfähigkeit im Strafrecht = Deliktfähigkeit im


Zivilrecht

⚫ Herr M beging die Sammelaktion in einer Phase


der Verwirrtheit

⚫ im Fall ist daher Deliktfähigkeit von Herrn M zu


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prüfen!
Haftungsrecht
⚫ hier könnte § 827 BGB einschlägig sein: „Wer in
einem die freie Willensbestimmung ausschließen-
den Zustand krankhafter Störung der Geistestätig-
keit einem anderen einen Schaden zufügt, ist für
den Schaden nicht verantwortlich.“

⚫ ärztliches Gutachten könnte Herrn M aufgrund


seiner demenziellen Erkrankung Deliktunfähigkeit
attestieren

⚫ Herr M wäre dann nicht verantwortlich für


eingetretenen Schaden und müsste nicht zahlen
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Haftungsrecht
⚫ wird Schuldfähigkeit bejaht, dann Prüfung ob
schuldhaft, d.h. vorwerfbar, gehandelt wurde

⚫ keine Haftung (Strafe) ohne Schuld („nulla poena


sine culpa“)!

⚫ Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahr-


lässigkeit (als Schuldformen oder Schuldgraden)

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Haftungsrecht
Schuldformen
(Zivilrecht)

Vorsatz Fahrlässigkeit

Bewusstes und gewolltes außer Acht lassen der im


Handeln Verkehr erforderlichen
Sorgfalt

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Haftungsrecht
Schuldfähigkeit im Deliktfähigkeit im
Strafrecht Zivilrecht

schuldunfähig sind deliktunfähig sind


⚫ Kinder unter 14 Jahren (§ 19 ⚫ Kinder unter 7 Jahren,

StGB) § 828(1) BGB


⚫ Bewusstseinsgestörte, krankhaft ⚫ Bewusstlose und Geisteskranke,

seelisch Gestörte (§ 20 StGB) § 827 BGB

bedingt schuldfähig sind bedingt deliktfähig sind


⚫ Jugendliche (14-17 J.) §§ 1, 3 ⚫ Minderjährige (von 7-17 J.),

JGG § 828 (2) BGB

unbeschränkt schuldfähig sind


⚫ alle Übrigen unbeschränkt deliktfähig sind
⚫ alle Übrigen

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Haftungsrecht

Sterbehilfe

Hilfe beim Hilfe zum


Sterben Sterben

Sterbehilfe passive aktive passive


indirekte Beihilfe
ohne Sterbehilfe Sterbehilfe Sterbehilfe
Sterbehilfe) zum
Lebens- Behandlungs- strafbar! Behandlungs-
Sterbehilfe Suizid
verkürzung verzicht § 216 verzicht
mit Lebens- wieder
rechtlich ge- Behandlungs- StGB Behandlungs-
verkürzung straflos!
boten! abbruch abbruch
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Haftungsrecht
1. Sterbehilfe ohne Lebensverkürzung

⚫ Wichtig: Alle Maßnahmen, die einer Erleichterung


des Sterbens dienen, ohne dass eine
Lebensverkürzung bezweckt wird, stellen eine auch
rechtlich gebotene Sterbehilfe dar.

⚫ Pflicht der behandelnden Ärzte, Schmerzen der


Patienten zu lindern

⚫ Verstoß führt zur Haftung


(Zivilrecht: Schadensersatz+Strafrecht: Körper-
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verletzung)
Haftungsrecht
2. Sterbehilfe mit Lebensverkürzung (indirekte
Sterbehilfe)

⚫ bleibt straflos!

⚫ z.B. dosierte Vergabe von Medizin (z.B. Morphin)


zur Schmerzlinderung

⚫ Problem: hochdosiert kann es bei Morphin zur


Atemdepression und damit zum vorzeitigen Tod
kommen

⚫ bewusste Vergabe einer Überdosis, um Leben 45


Leidender zu beenden, ist strafbar (§ 216 StGB)
Haftungsrecht
3. Hilfe zur Selbsttötung

⚫ grundsätzlich nicht strafbar (neue Rechtslage seit


2020 § 217 StGB) verfassungswidrig (BVerfGE vom
02/2020)

⚫ Suizid ist nicht strafbar, also ist auch Beihilfe zum


Suizid grundsätzlich nicht strafbar

⚫ Beispiele: Bereitstellen von Gift, Medikamenten,


Waffen oder Hilfsmitteln

⚫ Achtung: gilt nur bei voll verantwortlichen Personen


(also nicht bei psychisch Kranken oder Dementen) 46
Haftungsrecht
⚫ bei Personen, die infolge psychischer Störungen
suizidale Tendenzen zeigen, ist grundsätzlich die
zugrundeliegende Störung zu behandeln und
Suizide sind zu verhindern (das ist auch Aufgabe
des Pflegepersonals)

⚫ bei Menschen, die bewusst durch Suizid aus dem


Leben gehen wollen, besteht keine Verpflichtung
zum Einschreiten

⚫ auch stete Kontrolle suizidbereiter Menschen (z.B.


durch Kontrolle des Nachttisches) verstößt gegen
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rechtlich geschützte Autonomie des Menschen
Haftungsrecht
4. aktive Sterbehilfe

⚫ in Deutschland strafbar!

⚫ Strafbarkeit nach §216 StGB (Tötung auf Ver-


langen) oder § 212 StGB (Totschlag)

⚫ auch wenn der voll verantwortliche Patient sich den


Tod ernsthaft wünscht, darf ihm die „erlösende
Spritze“ nicht verabreicht werden

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Haftungsrecht
5. Behandlungsverzicht und Behandlungs-
abbruch

⚫ = straflose passive Sterbehilfe

⚫ Behandlungsabbruch: = Einstellen lebensver-


längernder Maßnahmen, wenn Krankheit einen
tödlichen Verlauf genommen hat

⚫ Beispiele: Beendigung künstlicher Beatmung,


Einstellen der PEG-Ernährungs- und Flüssigkeits-
zufuhr
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Haftungsrecht
⚫ bei lebensverlängernden Maßnahmen ist
grundsätzlich Wille des Patienten maßgebend

⚫ wünscht er keine weitere Behandlung nach


eingehender Beratung und Aufklärung, ist diese zu
unterlassen

⚫ Behandlung gegen den Willen des Betroffenen ist


Körperverletzung (§ 223 StGB)!

⚫ Problem: Patient kann sich nicht mehr äußern oder


ist nicht mehr voll verantwortlich
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Haftungsrecht
⚫ bei lebensverlängernden Maßnahmen ist
grundsätzlich Wille des Patienten maßgebend

⚫ wünscht er keine weitere Behandlung nach


eingehender Beratung und Aufklärung, ist diese zu
unterlassen

⚫ Behandlung gegen den Willen des Betroffenen ist


Körperverletzung (§ 223 StGB)!

⚫ Problem: Patient kann sich nicht mehr äußern oder


ist nicht mehr voll verantwortlich
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Haftungsrecht
⚫ liegt keine Patientenverfügung vor, darf
Behandlung grundsätzlich nicht abgebrochen
werden (aber: mutmaßlicher Wille ist zu beachten!)

⚫ liegt Patientenverfügung vor, muss der in der


Verfügung niedergelegte Wille beachtet werden
(Patientenverfügungen sind grundsätzlich bindend)

⚫ Voraussetzung:
⚫ Verfügung muss Maßnahmen ganz konkret
benennen (allgemeine Formulierungen
entfalten nur begrenzte Bindungswirkung)
⚫ kein Verhalten (averbal) im Widerspruch zum 52
niedergelegten Willen in der Verfügung
Haftungsrecht

Viel Glück und viel Erfolg!


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