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030473 Übung aus Straf- und Strafprozessrecht Univ.-Prof. DDr.

Peter Lewisch
SoSe 2023

Lösungsskizze Fall 1

Variante 1:

Strafbarkeit des A gem § 84 Abs 4 StGB (Var: an sich schwere Gesundheitsschädigung)?

Tatbestandsprüfung:

Tatsubjekt („wer“) = A; Tatobjekt („ein anderer“) = X; Tathandlung (Erfolgsverursachungsdelikt) =


ungeschützter Geschlechtsverkehr; Taterfolg (schwere Gesundheitsschädigung, Gesundheitsschädigung
ist die Herbeiführung oder Verschlimmerung einer Krankheit, also einer körperlichen oder seelischen
Funktionsstörung mit Krankheitswert) = Infizierung mit dem HI-Virus; die Infektion mit dem HI-Virus ist
bereits die Gesundheitsschädigung, es muss noch nicht zum Ausbruch der Krankheit gekommen sein.
Dabei handelt es sich um eine an sich schwere Gesundheitsschädigung laut Gesamtbetrachtung der
Kriterien Wichtigkeit des betroffenen Organs bzw Körperteils, Intensität und Ausmaß der
Krankheitserscheinungen, Gefährlichkeit der Beeinträchtigung und Chancen des Heilungsverlaufs;
Kausalität gegeben, denkt man sich das Verhalten des A weg, wäre der Erfolg in der konkreten Gestalt
nicht eingetreten.

Bezüglich obj Zurechnung: Nach hM indiziert beim Vorsatzdelikt die Kausalität das Vorliegen der übrigen
Zurechnungselemente (Adäquanz, Risikozusammenhang sowie Risikoerhöhung ggü rechtmäßigem
Alternativverhalten). Daher unproblematisch.

Subjektiver Tatbestand: Vorsatz bzgl Gesundheitsschädigung gefordert und auch gegeben. A hält es
ernstlich für möglich und findet sich damit ab, dass sich X durch den ungeschützten Geschlechtsverkehr
mit dem HI-Virus infizieren könnte: Er stellt sich das Ansteckungsrisiko als reale Möglichkeit vor Augen
und beschließt, trotzdem den ungeschützten Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Bzgl schwerer
Gesundheitsschädigung ist kein Vorsatz erforderlich; es reicht Fahrlässigkeit aus; hier hat A sogar Vorsatz
auf die schwere Gesundheitsschädigung. A handelt tatbestandsmäßig.

Rechtfertigung:

Tatbestandsmäßigkeit indiziert Rechtswidrigkeit; keine Rechtfertigungsgründe.

Schuld:

Schuldebene bereitet keine Probleme.

A ist strafbar gem § 84 Abs 4 StGB.

(Anm: Man kann durchaus auch mit der Prüfung des § 83 Abs 1 StGB beginnen und danach „eine Stufe
höher steigen“ und § 84 Abs 4 StGB prüfen. § 84 Abs 4 ist aber eine eigenständige erschwerende
Ausprägung der Körperverletzung und keine Qualifikation zu § 83/1, wie nach altem Recht).

(Anm: Strafbarkeit gem § 84 Abs 4 auch wegen einer „länger als 24 Tage dauernden

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Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit“ vorstellbar, abhängig von SV).

Strafbarkeit des A gem § 178 StGB?

Tatbestandsprüfung:

Tatsubjekt („wer“) = A; Tathandlung (Handlung, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer
übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen) = ungeschützter Geschlechtsverkehr, wobei
bereits einmaliger ungeschützter Geschlechtsverkehr ausreicht, weil dadurch das Risiko der
Weiterverbreitung gegeben ist; der HI-Virus ist eine übertragbare Krankheit; (Anmerkung: § 178 StGB ist
ein abstraktes Gefährdungsdelikt; es ist daher nicht notwendig, dass eine Person tatsächlich infiziert wird
oder auch nur konkret gefährdet wird). Objektiver TB erschöpft sich in der Vornahme einer gefährlichen
Handlung von bestimmter Qualität.

Subjektiver Tatbestand: Tatbildvorsatz in Form des Eventualvorsatzes gefordert; A hält es ernstlich für
möglich und findet sich damit ab, eine Handlung vorzunehmen, die geeignet ist, die Gefahr der
Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen, weil er erkennt, was er tut,
nämlich als HIV-Infizierter einen ungeschützten Geschlechtsverkehr durchführen. A handelt also
tatbestandsmäßig.

Rechtfertigung:

Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit, es liegen keine Rechtfertigungsgründe vor.

Schuld:

Schuldebene bereitet keine Probleme.

Sonstige Voraussetzungen der Strafbarkeit:

Objektive Bedingung der Strafbarkeit (Vorliegen einer beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen
Krankheit) = durch Aids-Erkrankung gegeben, weil eine meldepflichtige Krankheit.

A ist strafbar gem § 178 StGB.

§ 84 Abs 4 StGB und § 178 StGB stehen zueinander in echter Konkurrenz.

Begründung: Je eigenständiges Unrecht (Verletzung der körperlichen Integrität versus


Gemeingefährdungsdelikt); Bestrafung nach beiden Bestimmungen erforderlich, um Unwert der Tat
insgesamt zu erfassen.

Strafrahmenbestimmung gem § 28 StGB: Höchste Mindeststrafe und höchste Höchststrafe aus beiden
Strafbestimmungen werden zusammengeführt.

Variante 2 (keine Ansteckung):

Strafbarkeit des A gem § 84 Abs 4 StGB?


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Tatbestandsprüfung:

X erleidet keine Gesundheitsschädigung; Erfolg nicht eingetreten, daher objektiver Tatbestand nicht
erfüllt.
A ist nicht strafbar gem § 84 Abs 4 StGB.

Strafbarkeit des A gem §§ 15, 84 Abs 4 StGB?

Tatbestandsprüfung:

A hat vollen Tatentschluss; er hält es ernstlich für möglich und findet sich damit ab, dass sich X mit dem
HI-Virus infizieren könnte (siehe oben); A hat also Vorsatz auf eine schwere Gesundheitsschädigung. A
nimmt eine Ausführungshandlung (= ungeschützter Geschlechtsverkehr) vor; diese Ausführungshandlung
ist tauglich, weil es ja jedenfalls möglich gewesen wäre, dass sich X infiziert. A handelt tatbestandsmäßig.

Versuch der schweren Körperverletzung nach neuer OGH-Rsp möglich.

Rechtfertigung:

Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit; es liegen keine Rechtfertigungsgründe vor.

Schuld:

Schuldebene unproblematisch.

A ist strafbar gem §§ 15, 84 Abs 4 StGB.

Strafbarkeit des A gem § 178 StGB?

Wie bei 1., weil es für das abstrakte Gefährdungsdelikt keinen Unterschied macht, ob X tatsächlich
infiziert wird (ist ja abstraktes Gefährdungsdelikt: Es kommt nur auf die Verwirklichung der Handlung an,
es gibt keinen Erfolg, es kann daher auch kein Erfolg entfallen).

A ist strafbar gem § 178 StGB.

§§ 15, 84 Abs 4 StGB und § 178 StGB stehen zueinander wiederum in echter Konkurrenz.

Variante 3 (Erfolgsverursachung nicht nachweisbar):

Strafbarkeit des A gem § 84 Abs 4 StGB?

Tatbestandsprüfung:

Tatsubjekt, Tatobjekt, Tathandlung und Erfolg wie bei 1. Allerdings kann die Kausalität nicht
nachgewiesen werden; daher ist gem dem Grundsatz in dubio pro reo davon auszugehen, dass As

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Verhalten nicht kausal war für den Eintritt des Erfolgs. Der objektive Tatbestand ist daher nicht erfüllt.

A ist nicht strafbar gem § 84 Abs 4 StGB.

Strafbarkeit des A gem §§ 15, 84 Abs 4 StGB?

Prüfung wie 2. Völlig idente Sachlage. In Var 2 kommt es nicht zum Erfolgseintritt, in Var 3 ist
Erfolgseintritt (in dubio) nicht zurechenbar. Aber Versuchsprüfung wie bei 2., denn vorsätzlich die
Ausführungshandlung verwirklicht, hat A.

A ist strafbar gem §§ 15, 84 Abs 4 StGB.

Strafbarkeit des A gem § 178 StGB?

Prüfung wie 2. Wiederum spielen die Unklarheiten bei der Zurechnung im Rahmen des Erfolgsdelikts
§ 84 keine Rolle bei der Verwirklichung des abstrakten Gefährdungsdelikts des § 178 StGB. Der
ungeschützte Geschlechtsverkehr bleibt eine gefährliche Handlung von der gesetzlich geforderten
Qualität.

A strafbar gem § 178 StGB.

§§ 15, 84 Abs 4 StGB und § 178 StGB stehen wiederum zueinander in echter Konkurrenz.

Variante 4 (A glaubt nicht an Ansteckung)

(Strafbarkeit des A gem § 84 Abs 4 StGB:

Äußerer Tatbestand erfüllt (siehe oben). Vorsatz? Um eventualvorsätzlich zu handeln, müsste A in Bezug
auf alle Elemente des äußeren Tatbestands, und damit auch in Bezug auf den Erfolgseintritt, ihre
Verwirklichung vorhersehen und – dessen ungeachtet – weiterhandeln. Dies ist nicht der Fall: A geht
davon aus, dass sich die X nicht anstecken wird. Er vertraut auf das Ausbleiben des Erfolgs. Daher keine
Vorsatzstrafbarkeit für die Körperverletzung/Gesundheitsschädigung.)

Strafbarkeit des A gem § 88 Abs 1 StGB?

Tatbestandsprüfung:

§ 88 Abs 1 StGB ist ein Fahrlässigkeitsdelikt. Der äußere Tatbestand entspricht § 83 Abs 1 StGB mit der
Maßgabe, dass der Täter den Erfolg fahrlässig herbeiführt. Anders als § 84 Abs 4 StGB, der alle Merkmale
der schweren vorsätzlichen Körperverletzung selbst im Tatbestand benennt (und daher eine
eigenständige, schwerere Deliktsvariante bildet), setzt das Fahrlässigkeitspendant in § 88 Abs 4 Fall 1
StGB verweisend auf der Verwirklichung des § 88 Abs 1 StGB auf; es handelt sich um eine unselbstständige
Deliktsqualifikation. Bei dieser Gesetzestechnik empfiehlt es sich, zunächst die Verwirklichung des
Grunddelikts und hernach den Qualifikationsfall zu prüfen.

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Tatsubjekt („wer“) = A; Tatobjekt („ein anderer“) = X; objektiv sorgfaltswidrige Handlung = ungeschützter


Geschlechtsverkehr; objektive Sorgfaltswidrigkeit ergibt sich aus dem Vergleich mit dem Verhalten einer
differenzierten Maßfigur (gewissenhafter, einsichtiger und besonnener Mensch aus dem Verkehrskreis
des Täters); Taterfolg (an sich schwere Gesundheitsschädigung) = Infizierung mit dem HI-Virus; Kausalität
gegeben, denkt man sich das Verhalten des A weg, wäre der Erfolg in der konkreten Gestalt nicht
eingetreten. Adäquanz gegeben, weil es nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt, dass der
Sexualpartner bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit dem HI-Virus infiziert wird.
Risikozusammenhang gegeben, weil genau diese Ansteckung verhindert werden soll. Auch
Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten zu bejahen; das Risiko des Erfolgseintritts
hat sich durch das sorgfaltswidrige Verhalten (ungeschützter Geschlechtsverkehr) im Vergleich zum
rechtmäßigen Verhalten (Geschlechtsverkehr mit Kondom) zweifelsfrei erhöht. Das Verhalten des A ist
tatbestandsmäßig.

Rechtfertigung:

Tatbestandsmäßigkeit indiziert Rechtswidrigkeit; keine Rechtfertigungsgründe.

Schuld:

Subjektive Sorgfaltswidrigkeit und subjektive Zurechenbarkeit werden durch die entsprechenden


objektiven Kategorien grundsätzlich indiziert. Wenn man es genauer sagen will: Subjektive
Sorgfaltswidrigkeit liegt vor, A ist nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten in der Lage,
objektive sorgfaltsgemäß zu handeln. Auch die subjektive Zurechenbarkeit des Erfolges liegt vor, weil A
in der Lage war vorauszusehen, dass der Erfolg durch sein Verhalten eintreten würde. Auch ist von einer
Maßfigur in der konkreten Situation des A realistischerweise durchaus ein rechtmäßiges Verhalten zu
erwarten.

Strafbarkeit des A gem § 88 Abs 1 iVm Abs 4 1. Fall StGB (Var: an sich schwere Gesundheitsschädigung)

Die Infektion begründet das Vorliegen einer an sich schweren Gesundheitsschädigung. Diese ist auch
(entsprechend der vorigen Darstellung) zurechenbar.

A ist strafbar gem § 88 Abs 1 iVm Abs 4 1. Fall StGB.

(Anm: Strafbarkeit gem § 88 Abs 1 iVm Abs 4 auch wegen einer „länger als 24 Tage dauernden
Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit“ vorstellbar, abhängig von SV).

Strafbarkeit des A gem § 88 Abs 1 iVm Abs 3 (und in weiterer Folge Abs 4 2. Fall StGB)

Wie steht es um den Qualifikationsfall der grob fahrlässigen Gesundheitsschädigung (Abs 3) oder auch im
Falle von deren Bejahung der grob fahrlässigen Verwirklichung einer gar an sich schweren
Gesundheitsschädigung (Abs 4 Fall 2)?

Grob fahrlässige Deliktsbegehung umfasst zwei Merkmale (§ 6 Abs 3 StGB), nämlich (i)
ungewöhnliche/auffallende Sorglosigkeit und (ii) Vorhersehbarkeit eines entsprechenden Erfolgs als
gerade wahrscheinlich.

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Im konkreten Fall ist die erste Voraussetzung tendenziell zu bejahen; eine Ansteckung bei einmaligem
ungeschütztem Geschlechtsverkehr ist aber jedenfalls objektiv nicht sehr wahrscheinlich; die
Ansteckungswahrscheinlichkeit ist sogar relativ niedrig. § 6 Abs 3 StGB ist damit nicht erfüllt.

A ist daher nicht strafbar gem § 88 Abs 3 (und daher auch nicht gem § 88 Abs 4 Fall 2 StGB).

Strafbarkeit des A gem § 178 StGB?

Wie bei 1. Äußerer Tatbestand daher verwirklicht. Der Vorsatz ist immer die Spiegelung des äußeren
Tatbestands auf die „innere Seite“. Der Vorsatz muss daher alle Element des jeweiligen äußeren
Tatbestands erfassen; aber auch nur diese. § 178 StGB verlangt daher – in Spiegelung des objektiven
Tatbestands – den Vorsatz darauf, eine Handlung vorzunehmen, die geeignet ist, die Gefahr der
Verbreitung einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen. Auch in dieser Fallvariante
hat A Vorsatz auf die Vornahme dieser Handlung. Ein Erfolgseintritt („Ansteckung“) ist nicht Teil des
objektiven Tatbestands. Daher muss der Täter auch subjektiv – wie in Teil 1 bereits dargestellt – keinen
Vorsatz darauf haben, dass eine konkrete Person angesteckt wird.

A ist strafbar gem § 178 StGB.

Konkurrenz zwischen § 88 Abs 1 iVm Abs 4 StGB und § 178 StGB ist strittig, in Übereinstimmung mit
dem Konkurrenzverhältnis zwischen vorsätzlicher Körperverletzung und § 178 StGB (siehe oben) zu
bejahen.

Variante 5 (keine Ansteckung):

Strafbarkeit des A gem § 88 Abs 1 (iVm Abs 4 1. Fall StGB)?

Tatbestandsprüfung:

Tatsubjekt, Tatobjekt und objektiv sorgfaltswidrige Handlung wie 4.; jedoch kein Erfolgseintritt, daher
objektiver Tatbestand nicht erfüllt. Keine Strafbarkeit.

(Beim Vorsatzdelikt gibt es für solche Konstellationen „als kleine Variante“ eine – vom Vorsatz getragenen
– Versuchsstrafbarkeit; bei den Fahrlässigkeitsdelikten gibt es das nicht. Die bloße Sorgfaltswidrigkeit (zB
Autofahren im Stadtverkehr mit 60 km/h) steht nicht unter Strafe; es handelt sich um typisches
Verwaltungsunrecht. Nur in manchen Konstellationen pönalisiert der Gesetzgeber die fahrlässige
Vornahme gefährlicher Verhaltensweisen als solche; das sind eben die abstrakten Gefährdungsdelikte:
Diese kann man – je nach tatbestandlicher Ausgestaltung – vorsätzlich oder auch fahrlässig begehen.)

A ist nicht strafbar gem § 88 Abs 1 (iVm Abs 4 1. Fall StGB).

Daher auch nicht strafbar für § 88 Abs 3 StGB (handelt auch nicht grob fahrlässig).

Strafbarkeit des A gem § 178 StGB?

Wie bei 4., weil es für das abstrakte Gefährdungsdelikt keinen Unterschied macht, ob X tatsächlich
infiziert wird. Es gibt bei § 178 StGB keinen Erfolg und damit auch keine Erfolgszurechnung und keine
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Kausalitätsprüfung. Es kommt für den objektiven Tatbestand nur auf die Verwirklichung der (im TB
umschriebenen) gefährlichen Handlung an. Und zu dieser Handlungsvornahme kommt es (siehe erste
Stunde). Es ist dem A – ungeachtet des Umstands, dass es nicht zu einer Ansteckung kommt – auch völlig
klar, dass er eine gefährliche Handlung mit der tatbestandlich vorausgesetzten Eignung verwirklicht. Er
handelt daher in Bezug auf die objektiven Tatbestandselemente des § 178 StGB eventualvorsätzlich. Aids
ist wiederum nach dem Aids-Gesetz eine anzeige-/meldepflichtige Krankheit; auch die gesetzliche
Strafbarkeitsbedingung ist daher erfüllt.

A ist strafbar gem § 178 StGB.

Variante 6 (Erfolgsverursachung nicht nachweisbar):

Strafbarkeit des A gem § 88 Abs 1 (iVm Abs 4 1. Fall StGB)?

Tatbestandsprüfung:

Tatsubjekt, Tatobjekt, objektiv sorgfaltswidrige Handlung und Erfolg wie bei 4. Allerdings kann die
Kausalität nicht nachgewiesen werden; daher ist gem dem Grundsatz in dubio pro reo davon auszugehen,
dass As Verhalten nicht kausal war für den Eintritt des Erfolgs. Der objektive Tatbestand ist daher nicht
erfüllt. Beurteilung im Ergebnis daher wie bei 5.

A ist nicht strafbar gem § 88 Abs 1 (iVm Abs 4 1. Fall StGB oder iVm Abs 3).

Strafbarkeit des A gem § 178 StGB?

Prüfung wie 4. Wiederum spielen die Unklarheiten bei der Zurechnung im Rahmen des Erfolgsdelikts
§ 88 Abs 1 iVm Abs 4 1. Fall StGB keine Rolle bei der Verwirklichung des abstrakten Gefährdungsdelikts
des § 178 StGB. Es gibt keinen Taterfolg und daher auch keine Kausalitätsprüfung. Der ungeschützte
Geschlechtsverkehr bleibt eine gefährliche Handlung von der gesetzlich geforderten Qualität. Es ist dem
A auch klar, dass er eine solche gefährliche Verhaltensweise verwirklicht. Er handelt daher vorsätzlich.
Aids ist wiederum nach dem Aids-Gesetz eine anzeige-/meldepflichtige Krankheit; auch die gesetzliche
Strafbarkeitsbedingung ist daher erfüllt.

A strafbar gem § 178 StGB.

(Insgesamt kein Fall des § 179 StGB: dieser wäre zB anwendbar bei fahrlässiger Verkennung der eigenen
Infektion.)

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