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2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11.

März 1954 615

Walter (DP) 619 C, D, 620 A


Storch, Bundesminister für Arbeit . . 619 D

5. betr. Abkommen mit den Krankenkassen


der sowjetisch besetzten Zone über In-
kraftsetzung der §§ 219 und 220 der
Reichsversicherungsordnung:
Freidhof (SPD) 620 A
Storch, Bundesminister für Arbeit 620 A, B

6. betr. Streifbänder mit eingedruckten


Marken und Zehnerblocks mit Post-
karten:
Ritzel (SPD) 620 B, C, D
Dr. Balke, Bundesminister für das
18. Sitzung Post- und Fernmeldewesen . . . 620 B, D

7. betr. Reform des Urheberrechts:


Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954. Dr. Brühler (DP) 620 D
Neumayer, Bundesminister der Justiz 621 A

Geschäftliche Mitteilungen . . 618 A, 641 B, 662 D S8tel.nbachwisrfü40Je


alte Heimkehrer, die während des „Drit-
Nachruf für den verstorbenen Abg. Winter 618 B ten Reichs" ins Ausland gegangen sind:
Frau Dr. Weber (Aachen) (CDU/CSU) 621 A, B
Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Storch, Bundesminister für Arbeit 621 A, B
Dr. Baron Manteuffel-Szoege, Albers,
Wagner (Ludwigshafen) 618 C 9. betr. Zuschüsse oder Darlehen für Alt-
wohnungen:
Mitteilung und Beschlußfassung über inter- Dr. von Buchka (CDU/CSU) . . . . 621 B, C
fraktionelle Vereinbarung betr. Verzicht
auf erneute erste Beratung von Vorlagen, Dr. Preusker, Bundesminister für
deren erster Durchgang im Bundesrat wäh- - Wohnungsbau 621 B, C
rend der ersten Wahlperiode des Bundes-
tags erfolgte (Drucksache 307) 618 C 10. betr. Schicksal der Insassen des Zucht-
hauses Waldheim:
Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Dr. von Buchka (CDU/CSU) . . 621 D, 622 C
Anfragen 32 betr. Nachuntersuchung von Kaiser, Bundesminister für gesamt-
Kriegsbeschädigten des ersten Weltkrieges deutsche Fragen 621 D, 622 C
(Drucksachen 249, 297) und 31 betr. Wieder-
instandsetzung besatzungsgeschädigter Ho- 11. betr. Einbringung der Bundesrechtsan-
tels in Ostbayern (Drucksachen 262, 308) 618 D waltsordnung:
Dr. Welskop (CDU/CSU) 622 C
Zurückziehung des Antrags der Fraktion der
FDP betr. Freifahrten für Spätheimkehrer Neumayer, Bundesminister der Justiz 622 C
(Drucksache 41) 618 D
12. betr. Altersversorgung der Rechts
Fragestunde (Drucksache 267): anwälte:
1. betr. Maßnahmen der Bundesregierung Dr. Welskop (CDU/CSU) 622 D
gegen die irreführende Bezeichnung „Ost- Neumayer, Bundesminister der Justiz 622 D
zone":
Dr. Rinke, (CDU/CSU) 619 A, C 13. betr. Unterbindung des Schlachtens von
Hunden und Katzen zum Zwecke des
Kaiser, Bundesminister für gesamt- Verzehrs:
deutsche Fragen 619 A, C
Abgesetzt 623 A
2. betr. Maßnahmen gegen die Ausfuhr von
Uhrenbestandteilen und demontierten 14. betr. Einstellung von Arbeitskräften aus
Uhrwerken: dem Kasseler Gebiet beim Bundes-
Zurückgezogen 619 C arbeitsgericht und beim Bundessozial-
gericht:
3. betr. Finanzierung einer Ausstellung ka- Dr. Preller (SPD) 623 A, C
nadischer Uhrenproduktion auf der
Messe von Toronto: Storch, Bundesminister für Arbeit 623 B, C
Zurückgezogen 619 C 15. betr. Zusammenfassung der drei Fern-
sprechortsnetze der Stadt Salzgitter:
4. betr. Unterbindung fachärztlicher Unter-
suchung zwecks Feststellung einer Er- Dr. Höck (CDU/CSU) 623 D
werbsminderung bei Rentenempfängern Dr. Balke, Bundesminister für
von über 65 Jahren: das Post- und Fernmeldewesen . . . 623 D
616 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954

16. betr. Verweigerung der Aufnahme von Krammig (CDU/CSU) 627 D


Familien mit Kindern durch Hauseigen- Schäffer, Bundesminister der Finanzen 628 A
tümer: Vertagung der Fragen 26 bis 37 628 A
Dr. Menzel (SPD) 624 C
Dr. Preusker, Bundesminister für Entgegennahme einer Erklärung der
Wohnungsbau 624 C Bundesregierung (Finanz- und Steuer-
reform):
17. betr. Bau der Autobahn Hamm—Kassel: Präsident D. Dr. Ehlers 628 B
Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 625 B Schäffer, Bundesminister der
Dr. Seebohm, Bundesminister für Finanzen 628 C
Verkehr 625 C
Erste Beratung des von der Fraktion der
18. betr. Verlegung der Bundesstraße 241 CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
auf der Strecke zwischen Heiligenstock Gesetzes über die Aufhebung der Verord-
und Freiheit im Kreise Osterode (Harz): nung über die baupolizeiliche Behandlung
Dr. Lindenberg (CDU/CSU) . . 625 D, 626 A von öffentlichen Bauten (Drucksache 254) 641 B
Dr. Seebohm, Bundesminister für Überweisung an die Ausschüsse für Kom-
Verkehr 625 D, 626 A munalpolitik, für Wiederaufbau und
Wohnungswesen, für Finanz- und Steuer-
19. betr. Vorschriften zum Schutz der fragen und für Verkehrswesen . . . . 641 C
Volksgesundheit im Bereich der Milch-
wirtschaft: Erste Beratung des Entwurfs eines Ersten
Abgesetzt 623 A Gesetzes zur Änderung und Ergänzung
des Bundesvertriebenengesetzes (Druck-
20. betr. Arbeitslosenversicherungsschutz sache 222) 641 C
land- und forstwirtschaftlicher Arbeit- Überweisung an den Ausschuß für Heimat-
nehmer in den ehemaligen Ländern vertriebene 641 C
Baden und Württemberg-Hohenzollern:
Frehsee (SPD) 626 A, B Erste Beratung des von den Abg. Frau
Storch, Bundesminister für Arbeit . . 626 B Dietz, Ruf, Bausch u. Gen. eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der
Verordnung zum Schutze der Wirtschaft
21. betr. Vorstellung des Deutschen Bot-
schafters in Kairo gegen die Versteige-- (Drucksache 204) 641 C
rung des Marschallstabs des früheren Dr. Atzenroth (FDP) (Schriftliche
Feldmarschalls von Brauchitsch: Erklärung) 641 D, 663
Dr. Menzel (SPD) 626 C, D Überweisung an die Ausschüsse für Rechts-
Dr. Schröder, Bundesminister des wesen und Verfassungsrecht, für Fragen
Innern 626 C, D der Presse, des Rundfunks und des Films
und für Wirtschaftspolitik 641 D
22. betr. Frage der Berücksichtigung der
Konfession bei Einstellung und Beförde- Erste Beratung des von der Fraktion der
rung von Beamten in den Bundes- CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
ministerien: Gesetzes über die steuerliche Behandlung
Dr. Bucher (FDP) 627 A, B von Leistungen im Rahmen des Familien
ausgleichs (Drucksache 189) 641 D
Dr. Schröder, Bundesminister des
Innern 627 A, B Richter (SPD) 641 D, 646 C
Gräfin Finckenstein (GB/BHE) . . . . 643 B
23. betr. Konfession der Leiter der Per- Frau Dr. Ilk (FDP) 644 B, 647 C
sonalabteilungen oder der Personal- Winkelheide (CDU/CSU) 645 A, D
referenten für die höheren Beamten in
Dr. Schellenberg (SPD) 645 D
den Bundesministerien:
Horn (CDU/CSU) 647 D
Dr. Bucher (FDP) 627 B
Dr. Schröder, Bundesminister des Überweisung an die Ausschüsse für Fi-
Innern 627 B nanz- und Steuerfragen und für Sozial-
politik 648 C
24. betr. Personalbestand und Kosten der
Abteilung Z für die allgemeinen An- Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
gelegenheiten im Bundesministerium des über die Beauftragung von Einrichtungen
Innern: der freien Wohlfahrtspflege mit der nicht-
gewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur
Dr. Bucher (FDP) 627 C Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Dr. Schröder, Bundesminister des Unrechts (Drucksache 223) 648 E
Innern 627 C
Überweisung an den Ausschuß für Arbeit 648 E
25. betr. Festsetzung des allgemeinen Dienst-
alters von aus dem Landesdienst über- Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
nommenen oder unmittelbar im Bundes- eines Gesetzes betr. das Übereinkommen
dienst wiedereingestellten Beamten aus Nr. 63 der Internationalen Arbeitsorgani-
dem Versorgungsanwärterstand: sation vom 20. Juni 1938 über Statistiken
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der Löhne und der Arbeitszeit in den Kredit und für Ernährung, Landwirt-
hauptsächlichsten Zweigen des Bergbaus schaft und Forsten 655 B
und des verarbeitenden Gewerbes ein-
schließlich des Baugewerbes sowie in der Beratung des Entwurfs einer Dreizehnten
Landwirtschaft (Drucksache 126); Münd- Verordnung über Zollsatzänderungen
licher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache 227) in Verbindung mit der
(Drucksache 258) 648 D
Scheppmann (CDU/CSU), Bericht Beratung des Entwurfs einer Vierzehnten
erstatter 648 D Verordnung über Zollsatzänderungen
Dr. Atzenroth (FDP) 650 A (Drucksache 221) und mit der
Richter (SPD) 650 C
Sabel (CDU/CSU) 651 B Beratung des Entwurfs einer Fünfzehnten
Verordnung über Zollsatzänderungen
Abstimmungen 649 D, 651 C (Drucksache 269) 655 B
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Dr. Horlacher (CDU/CSU) 655 C
eines Gesetzes betr. das Übereinkommen Frau Strobel (SPD) 656 D
Nr. 88 der Internationalen Arbeitsorgani- Bauknecht (CDU/CSU) 657 C
sation vom 9. Juli 1948 über die Organisa-
Bender (GB/BHE) 658 B
tion der Arbeitsmarktverwaltung (Druck-
sache 127); Mündlicher Bericht des Aus- Kriedemann (SPD) 658 C
schusses für Arbeit (Drucksache 259) . . . 651 C Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) (CDU/CSU) 658 D
Richter (SPD), Berichterstatter . . 651 D
Abstimmungen 652 A Überweisung der Verordnung Drucksache
227 an den Ausschuß für Außenhandels-
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs fragen und der Verordnungen Druck-
eines Gesetzes betr. das Ü bereinkommen sachen 221 und 269 an die Ausschüsse für
Nr. 96 der Internationalen Arbeitsorgani- Außenhandelsfragen und für Ernährung,
sation vom 1. Juli 1949 über Büros für Landwirtschaft und Forsten 659 A
entgeltliche Arbeitsvermittlung (Neufas
sung 1949) (Drucksache 128); Mündlicher Beratung der Anträge des Bundesministers
Bericht des Ausschusses für Arbeit (Druck- der Finanzen auf nachträgliche Genehmi-
sache 260) 652 A gung der über- und außerplanmäßigen
Richter (SPD), Berichterstatter . . 652 B Ausgaben in den Bundeshaushaltsrechnun-
- gen für das Rechnungsjahr 1949 (21. Sep-
Abstimmungen 652 B tember 1949 bis 31. März 1950) und für das
Rechnungsjahr 1950 (Drucksache 270) in
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Verbindung mit der
eines Gesetzes über das Abkommen zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und Beratung des Antrags des Bundesministers
der Italienischen Republik über Arbeits- der Finanzen auf nachträgliche Genehmi-
losenversicherung (Drucksache 164); Münd- gung der über- und außerplanmäßigen
licher Bericht des Ausschusses für Arbeit Ausgaben in der Bundeshaushaltsrechnung
(Drucksache 261) 652 C für das Rechnungsjahr 1951 (Drucksache
Kuntscher (CDU/CSU), Bericht 304) 659 A
erstatter 652 C Überweisung an den Haushaltsausschuß 659 A
Abstimmungen 653 A
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs betr. Vereinfachung der Grenzformalitäten
eines Gesetzes über weitere Maßnahmen für Reisende (Drucksache 198) 659 B
auf dem Gebiet des Hypotheken- und Dr. Mommer (SPD), Antragsteller . . 659 B
Schiffsbankrechts sowie über Ausnahmen Dr. Schröder, Bundesminister des
von § 247 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetz- Innern 660 B
buchs (Drucksache 195); Mündlicher Bericht
des Ausschusses für Rechtswesen und Ver- Überweisung an den Ausschuß für Angele-
fassungsrecht (Drucksache 255) 653 B genheiten der inneren Verwaltung und
an den Ausschuß für auswärtige Ange-
Dr. Welskop (CDU/CSU), Bericht legenheiten 660 C
erstatter 653 B
Abstimmungen 654 B Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
betr. Konvention zum Schutze der Men-
Erste Beratung des von der Fraktion der schenrechte und Grundfreiheiten (Druck
SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- sache 228) 660 C
zes zur Ergänzung des Umsatzsteuergeset- Dr. Lütkens (SPD), Antragsteller . 660 C
zes (Drucksache 199) 654 C
Neumayer, Bundesminister der
Seither (SPD), Antragsteller 654 C Justiz 662 B
Eberhard (FDP) 654 D
Überweisung an den Ausschuß für Rechts-
Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) (CDU/CSU) 655 B wesen und Verfassungsrecht und an den
Überweisung an die Ausschüsse für Fi- Ausschuß für auswärtige Angelegenhei-
nanz- und Steuerfragen, für Geld und ten 662 C
618 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954

Beratung des interfraktionellen Antrags betr. und der Gewerkschaft wieder aufgenommen. Er
Überweisung von Anträgen an die Aus- hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Hanomag
schüsse (Umdruck 13) 662 D, 664 nicht demontiert wurde und weiterarbeiten durfte.
Beschlußfassung 662 D Nach dem Tode von Dr. Kurt Schumacher ist er
als Abgeordneter des Wahlkreises Stadt Hannover
(Süd) in den 1. Deutschen Bundestag gewählt
Nächste Sitzung 662 D worden; in den 2. Deutschen Bundestag ist er über
die Landesergänzungsliste Niedersachsen gewählt
Anlage 1: Schriftliche Erklärung des Abg worden.
Dr. Atzenroth (FDP) zum Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung der Verordnung Meine Damen und Herren, wir gedenken auch
zum Schutze der Wirtschaft (Drucksache dieses Kollegen, der in langer Krankheit bis zu
204) 663 seinem Tode viel Not erlitten hat, herzlich und
sprechen seinen Angehörigen und seiner Fraktion
Anlage 2: Interfraktioneller Antrag betr unser aufrichtiges Beileid aus. — Sie haben sich
Überweisung von Anträgen an die Aus- zu seinen Ehren von den Plätzen erhoben. Ich
schüsse (Umdruck 13) 664 danke Ihnen.

Ich habe Geburtstagsglückwünsche auszusprechen


zum 65. Geburtstag am 7. März dem Herrn Abge-
ordneten Dr. Baron Manteuffel-Szoege,
(Beifall)
Die Sitzung wird um 9 Uhr 4 Minuten durch den
Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet. zum 64. Geburtstag am 8 . März dem Herrn Abge-
ordneten Albers
(Beifall)
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und und zum 60. Geburtstag am 28. Februar dem Herrn
Herren! Ich eröffne die 18. Sitzung des 2. Deut- Abgeordneten Wagner (Ludwigshafen).
schen Bundestages und bitte um Bekanntgabe der
Namen der entschuldigten Abgeordneten. (Beifall.)
Ich habe bekanntzugeben, daß der Bundesrat in
Lange (Essen), Schriftführer: Es suchen für län- seiner Sitzung vom 19. Februar gemäß Art. 76
gere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Erler Abs. 2 des Grundgesetzes wiederholt zu einigen
für sechs Wochen, Frau Dr. Kuchtner für sechs Vorlagen Stellung genommen hat, deren erster
Wochen, Vizepräsident Dr. Schmid für fünf Wochen, Durchgang beim Bundesrat vor dem September
Dr. Böhm (Frankfurt) für fünf Wochen, alle wegen 1953 lag. Ich verweise auf die Ihnen vorliegende
dienstlicher Inanspruchnahme; Dr. Baade für fünf Drucksache 307. Entsprechend einer interfraktio-
Wochen, Dr. Maier (Stuttgart) für zwei Wochen, nellen Vereinbarung wird mit Ausnahme des Ent-
Frau Beyer (Frankfurt) für zwei Wochen und Voß wurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundes-
für zwei Wochen wegen Krankheit. republik Deutschland zu den vier Genfer Rotkreuz-
Abkommen vom 12. August 1949, dessen erste Be-
Präsident D. Dr. Ehlers: Ich unterstelle, meine ratung von der Tagesordnung der 10. Sitzung ab-
Damen und Herren, daß der Urlaub genehmigt ist. gesetzt wurde, von einer erneuten ersten Lesung
dieser Vorlagen im 2. Bundestag Abstand genom-
men. — Ich darf annehmen, daß das Haus mit
Lange (Essen), Schriftführer: Der Präsident hat dieser Regelung, die das Verfahren vereinfacht,
für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten einverstanden ist.
Ollenhauer, Franke, Diekmann, Hilbert und
Wagner (Ludwigshafen). Der Präsident hat für die Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne
heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Verlesung ins Stenographische Protokoll aufge-
Bausch, Lulay, Gockeln, Dr. Orth, Caspers und nommen:
Brockmann (Rinkerode).
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 26. Februar
1954 die Kleine Anfrage 32 der Fraktion der SPD betreffend
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Nachuntersuchung von Kriegsbeschädigten des ersten Weltkrieges
Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung — Drucksache 249 — beantwortet. Sein Schreiben wird als
Drucksache 297 vervielfältigt.
(die Abgeordneten erheben sich) Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 6. März
1954 die Kleine Anfrage 31 der Abgeordneten Kahn, Höcherl und
haben wir des Todes eines Abgeordneten zu ge- Genossen betreffend Wiederinstandsetzung besatzungsgeschädigter
Hotels in Ostbayern — Drucksache 262 — beantwortet. Sein
denken. Am 7. März ist nach langer Krankheit im Schreiben wird als Drucksache 308 vervielfältigt.
Alter von 65 Jahren der Bundestagsabgeordnete Die Fraktion der FDP hat unter dem 4. Februar 1954 ihren
und das Mitglied der sozialdemokratischen Frak- Antrag betreffend Freifahrten für Spätheimkehrer — Druck-
sache 41 — zurückgezogen.
tion dieses Hauses, Herr Ernst Winter, verstorben.
Er ist am 13. August 1888 in Aerzen bei Hameln
geboren, arbeitete zunächst im Ruhrgebiet, ging Ich rufe dann auf den Punkt 1 der Tagesordnung:
dann nach Hannover und war dort in der Gewerk-
schaft und in der Sozialdemokratischen Partei Fragestunde (Drucksache 267).
tätig. Von 1920 bis 1929 war er Betriebsratsvor-
sitzender in der Hanomag. Dann wurde er Sekretär Wir beginnen sie um 9 Uhr 10. Ich weise darauf
des Deutschen Metallarbeiterverbandes und wurde hin, daß die heute nicht erledigten Fragen in der
während der Hitlerzeit aus diesem Amte entlassen. für morgen angesetzten Fragestunde behandelt
Er ist dann Handelsvertreter gewesen, 1945 wieder werden.
Betriebsratsvorsitzender der Hanomag geworden Zur Frage 1 Herr Abgeordneter Dr. Rinke. Bitte
und hat gleichzeitig seine Tätigkeit in der SPD schön!
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 619

Dr. Rinke (CDU/CSU): den. Durch zutreffende und durch anschauliche Be-
Was ist von der Bundesregierung getan zeichnungen müssen der Welt und unserem Volk
worden, um die deutsche Öffentlichkeit auf die die Zerrissenheit unseres Landes und der Wille zu
irreführende Bezeichnung „Ostzone" für die seiner Wiedervereinigung zum Ausdruck gebracht
sowjetische Besatzungszone Deutschlands hin- werden.
zuweisen? Was beabsichtigt die Bundesregie- (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
rung zu tun, um in Zukunft solchen Hinweisen der SPD.)
breiteste Wirkung zu verschaffen?
Dr. Rinke (CDU/CSU): Damit ist die zweite Frage
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister meines Erachtens noch nicht hinreichend beant-
für gesamtdeutsche Fragen! wortet:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun,
Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche um in Zukunft solchen Hinweisen breiteste
Fragen: Meine Damen und Herren! Ich begrüße Wirkung zu verschaffen?
diese Anfrage des Kollegen Dr. Rinke. Dadurch ist
mir die Möglichkeit gegeben, auch vor dem Deut- Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche
schen Bundestag zum Ausdruck zu bringen, für wie Fragen: Ich glaube, ich habe schon genügend deut-
wichtig ich eine zutreffende Bezeichnung der sowje- lich zum Ausdruck gebracht, Herr Kollege Rinke:
tischen Besatzungszone Deutschlands halte. ich werde im Sinne meiner Erklärung weiter wir-
Bereits im April 1950 hat sich das Kabinett auf ken, auch hier im Hause.
Grund einer Vorlage des Bundesministeriums für (Beifall in der Mitte.)
gesamtdeutsche Fragen mit der Bezeichnung der
Sowjetzone Deutschlands beschäftigt. Der deutschen Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist Frage 1 er-
Öffentlichkeit muß bewußt bleiben, daß nicht die ledigt.
Sowjetzone der Osten Deutschlands ist. Spricht man Die Fragen 2 und 3 sind zurückgezogen worden.
von „deutschen Ostgebieten", so kann man nur an Zur Frage 4 Herr Abgeordneter Walter!
das deutsche Land jenseits der Oder und Neiße
denken. Walter (DP): Ich frage:
(Beifall bei den Regierungsparteien und der Ist die Bundesregierung bereit, die Arbeits-
SPD.) behörden der Länder anzuweisen, daß eine
Die „sowjetische Besatzungszone" ist Mitteldeutsch fachärztliche Untersuchung zum Zwecke der
land. Deshalb ist es sachlich und ist es politisch un Feststellung einer Erwerbsminderung bei Ren-
richtig, dieses Gebiet als „Ostzone" zu bezeichnen. tenempfängern über 65 Jahre nicht mehr vor-
(Erneute Zustimmung in der Mitte.) - genommen wird?
Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
Fragen hat in den vergangenen Jahren wiederholt für Arbeit!
Gelegenheit genommen, auf die Notwendigkeit der
richtigen Bezeichnung des sowjetischen Besatzungs- Storch, Bundesminister für Arbeit: Ich möchte
gebiets hinzuweisen. Im Dezember 1952 ist das dem Herrn Abgeordneten folgendes sagen: In den
Bundesministerium des Innern gebeten worden, „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätig-
einen Runderlaß an die Länder herauszugeben. keit im Versorgungswesen" ist unter B Nr. 25
Diese haben sich ihrerseits aufklärend an alle nach- gesagt:
geordneten und sonstigen Dienststellen gewandt. Beschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet
Durch diese Bemühungen ist erreicht worden, daß haben, werden im allgemeinen von Amts wegen
im Amtssprachgebrauch die Bezeichnung „Ostzone" nicht mehr nachuntersucht.
immer mehr zurückgetreten ist. Das ist eine ganz klare Anweisung, die nach
Auch die Bevölkerung selbst ist fortlaufend an- draußen gegangen ist. Wenn es jetzt Beschädigte
gesprochen worden, insbesondere auch über das gibt, die ihre Beschädigung im zweiten Weltkrieg
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. erlitten haben und deren Akten noch kein ärzt-
Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen liches Formular enthalten — wie das in der über-
selbst verwendet in allen seinen Veröffentlichungen stürzten Form der Erledigung der Anträge in
seit Jahren nur die Bezeichnung „Sowjetzone" oder Bayern teilweise vorgekommen ist —, muß zur
,,sowjetisch besetzte Zone Deutschlands" und übt Vervollständigung der Akten diese ärztliche Unter-
dadurch entsprechenden Einfluß auf die Öffentlich- suchung jetzt allerdings vorgenommen und muß
keit aus. der ärztliche Fragebogen nachträglich in die Akten
Wir haben auch in zahllosen Einzelfällen, im eingefügt werden.
mündlichen und im schriftlichen Verkehr mit Orga-
nisationen, Einzelpersonen, bei Lehrgängen usw. Walter (DP): Mir ist mitgeteilt worden, daß Be-
jede Gelegenheit benutzt, um auf die richtige Be- schädigte von vor dem ersten Weltkrieg noch
zeichnung hinzuwirken. Das Bundesministerium für immer nachuntersucht werden. Ist die Bundes-
gesamtdeutsche Fragen wird fortfahren, auf die Be- regierung bereit, solche Fälle, wenn sie eingetreten
zeichnung „Sowjetzone Deutschlands" oder „sowje- sind, zu bereinigen und den Arbeitsbehörden die
tisch besetzte Zone Deutschlands" an Stelle des Be- entsprechenden Anweisungen zu geben?
griffes „Ostzone" zu drängen.
Storch, Bundesminister für Arbeit: Ich wäre dem
Auch die Jugend muß noch eingehender aufge- Herrn Abgeordneten sehr dankbar, wenn er mir
klärt werden. Ich kann nur wünschen, daß die Be- einen oder zwei konkrete Fälle mitteilte, damit ich
zeichnungen für die einzelnen Gebiete Deutsch- die Akten prüfen und mich auf Grund der Prü-
lands, die noch getrennt voneinander gehalten wer- fungsergebnisse an die Landesbehörden wenden
den, mit Sorgfalt und Genauigkeit angewandt wer- kann.
620 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954

Walter (DP): Das wird umgehend geschehen. drucken von Postwertstempeln auf Postkarten,
Briefumschläge, Kartenbriefe, Streifbänder und
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. Drucksachenkarten. Allerdings berechnet die
Zu Frage 5 Herr Abgeordneter Freidhof! Bundesdruckerei für derartige Aufträge die Druck-
kosten. Für die Kunden der Bundespost dürfte
Freidhof (SPD): Ich frage den Herrn Bundes- diese Einrichtung keine große Bedeutung mehr
minister für Arbeit: haben, weil nach den Wertstempeln die sogenann-
ten Freistempler eingeführt wurden. Mit dieser
Ist die Bundesregierung bereit, mit den
Einrichtung wird das angeschnittene Problem für
Krankenkassen der Sowjetzone ein gegen-
den Absender wirtschaftlicher gelöst. Nach Kennt-
seitiges Abkommen zu treffen, daß die §§ 219,
nis der Bundespost besteht ein Interesse für die
220 der Reichsversicherungsordnung wieder in Wertstempelaufdrucke hauptsächlich bei Phil-
Kraft gesetzt werden können? atelisten, insbesondere den Ganzsachensammlern.
Die Einrichtung für den Wertstempelaufdruck
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister steht jedenfalls den Postkunden zur Verfügung.
für Arbeit, bitte!
Ritzel (SPD): Eine Zusatzfrage, bitte!
Storch, Bundesminister für Arbeit: Zwischen der
Ostzone und der Bundesrepublik — — Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte schön.
(Zuruf: Sowjetzone! — Heiterkeit.) Ritzel (SPD): Da die Erfahrungen in der Schweiz
Zwischen der Sowjetzone und der Bundesrepublik zeigen, daß nicht die Briefmarkensammler an Ein-
ist ein Abkommen hinsichtlich der Sozialversiche- richtungen wie solchen Streifbändern interessiert
rung leider nicht abgeschlossen worden. Die sind, sondern die Masse der Postkunden, frage ich
Bundesregierung sieht auch keine Möglichkeit, mit den Herrn Bundesminister, wann die Post bereit
den dortigen Versicherungsträgern in irgendeine ist, in gleicher kostenloser Weise von den Einrich-
Verhandlung zu kommen. Ich muß Ihnen deshalb tungen und Möglichkeiten Gebrauch zu machen,
leider sagen, daß ich für die nächste Zukunft keine die der Herr Bundespostminister hier selbst als
Möglichkeit für derartige Abkommen sehe. gegeben bezeichnet. Es kommt entscheidend dar-
auf an, daß die Masse der Kunden so bedient wird,
Freidhof (SPD): Eine Zusatzfrage: Ist die Bun- daß sie in der Lage ist, eine derartige Einrichtung
desregierung bereit, für kranke Personen aus der Tag um Tag, und zwar zehntausendfach. benutzen
Sowjetzone, die sich gegenwärtig in der Bundes- zu können. Wann darf damit gerechnet werden,
republik aufhalten, eine entsprechende Unter- daß die Post aus den schweizerischen Erfahrungen
stützung zu gewähren? lernt?

Storch, Bundesminister für Arbeit: Soweit


- die Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und
Leute als Flüchtlinge zu uns kommen, haben sie Fernmeldewesen: Die Möglichkeit für die Post-
3) ja den Flüchtlingsschutz. Diejenigen, die — daran kundschaft, diese Einrichtung zu benutzen, ist ge-
denken Sie wahrscheinlich — aus familiären Grün- geben. Ich habe hier Zahlen über die Benutzung
den zu uns herüberkommen, werden im allge- dieser Einrichtung. Im Höchstfall ist im vorigen
meinen über die Wohlfahrtsbehörden ausreichend Jahr ein Auftrag über 4000 Stück erteilt worden.
versorgt. Das Bedürfnis scheint eben wegen der Freistemp-
ler tatsächlich bei der Postkundschaft nicht sehr
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. groß zu sein.
Zu Frage 6 Herr Abgeordneter Ritzel!
Ritzel (SPD): Eine zweite Zusatzfrage!
Ritzel (SPD): Ich frage den Herrn Bundespost-
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte!
minister:
Sind der Deutschen Bundespost die für die Ritzel (SPD): Ist dem Herrn Postminister be-
Kunden der Post sehr angenehmen Streif- kannt, daß es hier in den breiten Massen d :s Vol-
bänder mit eingedruckten Marken für den Ver- kes unbekannt ist, daß eine solche Einrichtung
sand von Drucksachen sowie Zehnerblocks überhaupt besteht, und daß sie erst geliefert wer-
mit Postkarten bekannt, wie sie von der den kann, wenn sie extra bestellt wird?
schweizerischen Bundespost ohne Zuschlag
ausgegeben werden? Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und
Aus welchen Gründen hat die Deutsche Bun- Fernmeldewesen: Ich habe auf Grund Ihrer An-
despost von dieser vorbildlichen Einrichtung frage Veranlassung genommen, die Kunden der
bisher keinen Gebrauch gemacht? Post noch einmal in geeigneter Weise auf diese
bestehende Einrichtung hinzuweisen.
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
Ritzel (SPD): Ich danke sehr!
für das Post- und Fernmeldewesen!
Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage 6
Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und erledigt.
Fernmeldewesen: Die erwähnte Einrichtung in der
Schweiz bezieht sich nur auf Streifbänder zu Zur Frage 7 Herr Abgeordneter Dr. Brühler.
5 Rappen und auf Postkarten. Die Bundespost hat
abgesehen von den mit Wertaufdruck ohne Auf- Dr. Brühler (DP): Ich frage den Herrn Bundes-
schlag lieferbaren Postkarten über die schweize- justizminister:
rische Einrichtung hinaus noch größere Möglich- Wann beabsichtigt der Herr Bundesminister
keiten für die Kundschaft. Diese Einrichtungen der Justiz den im November 1951 vom Deut-
sind in der Postordnung Anlage 39 aufgeführt. Sie schen Autorenverband erbetenen Gesetzent-
bezieht sich auf die Bedingungen für das Auf wurf zur Reform des Urheberrechts, der nach
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 621
(Dr. Brühler)
den Angaben des Bundesjustizministeriums im weitere 32 Millionen D-Mark für diese Zwecke an .

Laufe des Sommers 1952 veröffentlicht werden die Länder verteilt worden. Damit sind seit 1952
sollte, beim Bundestag einzubringen? jetzt 72 Millionen D-Mark an Bundesmitteln ein-
gesetzt worden, die zusammen mit den Mitteln
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und
der Justiz, bitte! Arbeitslosenversicherung, Landesmitteln und Mit-
teln des freien Kapitalmarktes nicht unerhebliche
Neumayer, Bundesminister der Justiz: Der Ent- Instandsetzungsmaßnahmen haben durchführen
wurf wird voraussichtlich im März 1955 dem Bun- lassen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin
destag vorgelegt werden. für die Bereitstellung von Bundesmitteln sorgen,
Präsident D. Dr. Ehlers: Keine Zusatzfrage; offen- solange nicht durch eine zusätzliche Möglichkeit
bar ist die Frage damit erledigt. der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Alt-
bestandes eine stärkere Instandsetzungsaktion ge-
Zu Frage 8 Frau Abgeordnete Dr. Weber. fördert werden kann. Aus dem Haushalt 1954, der
Ihnen zur Beratung vorliegt, sollen weitere 17 Mil-
Frau Dr. Weber (Aachen) (CDU/CSU): lionen D-Mark für die Instandsetzung von Wohn-
Ist dem Herrn Bundesminister für Arbeit gebäuden vorgesehen werden.
bekannt, daß zur Geltendmachung ihrer Ent-
schädigungsansprüche nach Deutschland zu- Dr. von Buchka (CDU/CSU:) Eine Zusatzfrage.
rückkommende Deutsche, die während des Liegen bereits Erfahrungen über die Auswirkun-
„Dritten Reiches" ins Ausland gegangen waren, gen der getroffenen Maßnahmen vor?
beim Arbeitsamt keine Stelle erhalten, sobald
sie über 40 Jahre alt sind? Können diese Heim- Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau:
kehrer bevorzugt behandelt werden, um auch Die Erfahrungen sind etwas unterschiedlich, da je
noch in fortgeschrittenem Alter Stellungen zu nach dem gewählten Verfahren, in dem die ein-
erhalten? zelnen Länder völlig frei waren, ein schnellerer
oder langsamerer Abfluß der Mittel vor sich ge-
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister gangen ist. Die Maßnahmen sind in den Ländern,
für Arbeit, bitte! in denen sich ein langsamerer Abfluß infolge zu
hoher Sicherheitsforderungen eingestellt hatte, in
Storch, Bundesminister für Arbeit: Nach dem der letzten Zeit verbessert worden.
Zusammenbruch im Jahre 1945 haben sowohl die
Besatzungsmächte als auch die Länder in der Bun- Dr. von Buchka (CDU/CSU): Danke sehr.
desrepublik Anordnungen getroffen, die den Ar-
Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt.
beitsämtern die bevorzugte Arbeitsvermittlung der
Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung zur Zur Frage 10 ebenfalls Herr Abgeordneter Dr.
besonderen Pflicht auferlegt haben. Diese Vor- von Buchka.
schriften gelten heute noch.
Dr. von Buchka (CDU/CSU):
Frau Dr. Weber (Aachen) (CDU/CSU): Eine Zu- Was ist der Bundesregierung über das
satzfrage! Kann das Arbeitsministerium irgend Schicksal der Insassen des Zuchthauses Wald-
etwas dazu beitragen, daß die Arbeitsämter diese heim bekannt, und welche Möglichkeiten sieht
Vorschrift wirklich befolgen? sie, ihnen zu helfen?
Storch, Bundesminister für Arbeit: Wenn Sie Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
mir irgendwelche Einzelfälle mitteilen, kann ich für gesamtdeutsche Fragen!
mich natürlich mit dem Herrn Präsidenten der
Bundesanstalt in Verbindung setzen und ihm an Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fra-
Hand der Unterlagen für einen Fall die Frage vor- gen: Das Zuchthaus Waldheim in der Sowjetzone
legen, warum diese Anordnungen, die heute noch ist im Jahre 1950 durch die Verurteilung von rund
für ihn bindend sind, nicht durchgeführt werden. 3500 Deutschen aus den ehemaligen sowjetischen
Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsen-
Frau Dr. Weber (Aachen) (CDU/CSU): Danke hausen zu einer unsagbar traurigen Berühmtheit
schön! gelangt. Auf Grund eines Erlasses des Leiters der
Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland,
Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 9 Herr Abge- General Tschuikow, vom 14. Januar 1950 sind diese
ordneter Dr. von Buchka. Deutschen damals in völlig unzulänglichen Ge-
richtsverfahren von den Strafkammern des Land-
Dr. von Buchka (CDU/CSU): gerichts Chemnitz ohne individuellen Schuldnach-
Beabsichtigt die Bundesregierung, in ver- weis, zumeist wegen angeblicher Kollektivschuld,
stärktem Ausmaße Zuschüsse oder Darlehen zu Zuchthausstrafen zwischen 6 und 25 Jahren
zu geben, um Altwohnungen vor endgültigem oder zum Tode verurteilt worden. 28 dieser Ver-
Verfall zu bewahren? urteilten sollen hingerichtet sein.

Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister


Der Bundesregierung liegen eingehende Berichte
über diese Verfahren vor, die zwei in die Bundes-
für Wohnungsbau. republik geflohene Protokollantinnen erstattet
haben. Sie sind in der Schrift des Bundesministe-
Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau:
riums für gesamtdeutsche Fragen „Unrecht als
Die Erhaltung des Wohnungsbestandes durch För-
System" auf Seite 67 veröffentlicht.
derung von Instandsetzungsmaßnahmen gehört
nach wie vor zur wohnungspolitischen Zielsetzung Die Bundesregierung ist zwar nicht im einzel-
der Bundesregierung. Erst vor etwa zehn Tagen nen über das Schicksal der Verurteilten von Wald-
sind noch aus Haushaltsmitteln des Jahres 1953 heim unterrichtet. Sie kennt aber das Leid und die
622 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Bundesminister Kaiser)
Not, in denen sich diese Gefangenen seit 1950 be- geredet wird, während Tausende von Deutschen
funden haben und zum Teil noch befinden. widerrechtlich in Zuchthäusern und in Lagern ge-
Der Bundesregierung liegen mehrere eingehende fangengehalten werden. Kultur beginnt bei Recht
Berichte darüber vor. Nachdem erstmals im Früh- und bei Gerechtigkeit.
jahr und Sommer 1952 einige wenige dieser Häft- (Beifall bei den Regierungsparteien und
linge auf Grund von sogenannten Gnadenerlassen bei der SPD.)
aus dem Zuchthaus Waldheim entlassen worden
waren, erlangten im Herbst 1952 auf Grund der Dr. von Buchka (CDU/CSU): Darf ich noch eine
sowjetzonalen Amnestie vom 7. Oktober 1952 rund Zusatzfrage stellen? Ist ungefähr zu übersehen,
1200 Verurteilte die Freiheit. Seitdem sind weitere wie groß die Zahl derer ist, die zur Zeit noch im
Entlassungen nicht erfolgt. Zuchthaus Waldheim festgehalten werden?
Bereits unter dem 4. September 1950 haben der
Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fra-
Bundesminister der Justiz und der Bundesminister
für gesamtdeutsche Fragen eine gemeinsame Er- gen: Eine genaue Angabe darüber sind wir leider
klärung zu den Waldheim-Prozessen abgegeben. In nicht zu geben in der Lage.
dieser Erklärung ist festgestellt, daß die Verurtei- Dr. von Buchka (CDU/CSU): Danke sehr.
lungen durch die Strafkammern des Landgerichts
in Chemnitz gegen die Kontrollratsproklamation Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist die Frage 10
Nr. 3 und gegen Art. 134 der sowjetzonalen Ver- erledigt.
fassung verstoßen. Es ist bekannt, daß den Ange-
klagten weder Wahlverteidiger noch ausreichendes Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Dr. Welskop.
rechtliches Gehör zugestanden worden sind. Die
Urteile waren weitgehend schon vor der Verhand- Dr. Welskop (CDU/CSU): Ich frage den Herrn
lung festgelegt. Sie sind deshalb als Nicht-Urteile Bundesjustizminister:
anzusehen. Dies gilt, wie in einer weiteren gemein- Wann gedenkt die Bundesregierung die
samen Erklärung vom 8. November 1952 festge- Bundesrechtsanwaltsordnung einzubringen?
stellt worden ist, auch für die Urteile, die gegen
die ursprünglich nicht verhandlungsfähigen 30 Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
Häftlinge im Juni 1952 ergangen sind. der Justiz!
Die Bundesregierung hat wiederholt die Alliierte Neumayer, Bundesminister der Justiz: Ich hoffe,
Hohe Kommission auf den Ernst des Problems der
die Bundesrechtsanwaltsordnung im Entwurf dem
politischen Häftlinge in der sowjetischen Besat- Kabinett Anfang April vorlegen zu können.
zungszone hingewiesen. In dieser Hinsicht wird
auf die Note des Herrn Bundeskanzlers an den Dr. Welskop (CDU/CSU): Danke sehr.
geschäftsführenden Vorsitzenden der Alliierten
) Hohen Kommission vom 18. August 1953 Bezug Präsident D. Dr. Ehlers: Keine Zusatzfrage.
genommen. In dieser Note wurde die Alliierte
Hohe Kommission gebeten, bei den sowjetischen Zur Frage 12 ebenfalls Herr Abgeordneter Dr.
Besatzungsbehörden auf eine grundsätzliche Über- Welskop.
prüfung der gegen die politischen Häftlinge er-
gangenen Urteile hinzuwirken. Die Alliierte Hohe Dr. Welskop (CDU/CSU): Ich frage den Herrn
Kommission hat ihrerseits die Bundesregierung Bundesjustizminister:
davon in Kenntnis gesetzt, daß die drei Hohen Wann gedenkt die Bundesregierung ein Ge-
Kommissare mehrfach in dieser Richtung bei der setz über die Altersversorgung der Rechts-
sowjetischen Hohen Kommission vorstellig gewor- anwälte einzubringen?
den sind.
Die Bundesregierung widmet der Not der Ge- Neumayer, Bundesminister der Justiz: Hierzu
fangenen von Waldheim ihre besondere Aufmerk- darf ich folgendes bemerken. Bereits dem ersten
samkeit. Für deren Angehörige im Bundesgebiet Bundestag lag ein Initiativantrag Drucksache
gilt das Gesetz über die Unterhaltshilfe für Ange- Nr. 3966 vor. Dieser Entwurf konnte in der abge-
hörige von Kriegsgefangenen vom 30. April 1952. laufenen Legislaturperiode nicht verabschiedet
Damit sind sie den Angehörigen von Kriegsgefan- werden, zumal die ersten Beratungen im Ausschuß
genen gleichgestellt. für Geld und Kredit und auch im Rechtsausschuß
erkennen ließen, daß der Entwurf doch einer
Angaben über Maßnahmen zugunsten der Häft- wesentlichen Umgestaltung bedurfte. Das Bundes-
linge in Waldheim glaubt die Bundesregierung ins- justizministerium hat es nun übernommen, einen
besondere mit Rücksicht auf die noch in Wald- neuen Gesetzentwurf auszuarbeiten. Diese Arbei-
heim Inhaftierten nicht machen zu können. Der ten sind sogleich in Angriff genommen worden.
Bundestag darf aber überzeugt sein, daß alles getan Sie können naturgemäß nur in engem Zusammen-
wird, um das Los der Gefangenen zu erleichtern wirken mit den Vertretungen der Anwaltschaft
und ihre Freilassung zu erwirken. durchgeführt werden. Das Bundesjustizministerium
Meine Damen und Herren! Es kann kein Zwei- steht deshalb in ständiger Verbindung mit der
fel bestehen, daß die willkürliche Freiheitsberau- Kommission für die Altersversorgung, die die
bung in der Sowjetzone mit zu den schwersten Be- Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände
lastungen der 18 Millionen gehört. Die sowjetische im Bundesgebiet und der Deutsche Anwaltverein
Besatzungsmacht hat zwar eine Teilamnestie er- gebildet haben und die bereits sehr wertvolle Vor-
lassen; wir können nur hoffen, daß die Frei- arbeiten geleistet und wichtiges Material zusam-
lassung raschestens auf alle Gefangenen ausge- mengetragen hat. Diese Kommission hat inzwi-
dehnt wird. Das sollte sich insbesondere auch das schen weitere Ermittlungen über die Altersschich-
sowjetzonale System sagen lassen: Es wirkt ja tung und die Einkommensverhältnisse der Rechts-
geradezu als Hohn, wenn dort von gesamtdeut- anwälte durchgeführt. Es hat sich gezeigt, daß die
schen Komitees, z. B. für kulturelle Beziehungen, bisherigen Unterlagen noch keine zuverlässige
2. Deutscher Bundestag — 15. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 623
(Bundesminister Neumayer)
Grundlage für die Beurteilung der grundsätzlichen Dr. Preller (SPD): Ich danke sehr. Darf ich zu-
Frage bilden, ob und unter welchen Voraussetzun- sätzlich nur noch fragen: Können Sie bereits eine
gen die Beiträge zur Altersversorgung in einer für Angabe machen, bis wann etwa der Aufbau der
den einzelnen Rechtsanwalt erträglichen Höhe ge- beiden Gerichte so vollendet ist, daß mit der Ein-
halten werden können. Die Kommission hat vor stellung der übrigen Arbeitnehmer gerechnet wer-
kurzem einen Vorentwurf fertiggestellt und der den kann?
Arbeitsgemeinschaft der Kammervorstände zuge-
leitet. Die Arbeitsgemeinschaft wird über diesen Storch, Bundesminister für Arbeit: Das oberste
Vorentwurf auf ihrer nächsten Sitzung vom 11. bis Arbeitsgericht wird Anfang nächsten Monats in
13. März voraussichtlich Beschluß fassen. Der Ent- einer feierlichen Sitzung eröffnet werden. Es ist
wurf wird dann dem Bundesjustizministerium zu- ganz klar, daß im Anschluß daran dieses oberste
geleitet werden. Die Prüfung der allerdings sehr Arbeitsgericht seine Arbeit in vollem Umfange
schwierigen verfassungsrechtlichen und wirt- aufnimmt. Daß natürlich der organisatorische Auf-
schaftspolitischen Fragen, welche die geplante Re- bau noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird,
gelung aufwirft, wird beschleunigt zu Ende ge- wissen wir alle. Vor allen Dingen muß sehr darauf
führt werden. Dann soll den gesetzgebenden Kör- gesehen werden, daß dort die Kräfte eingestellt
perschaften ein Entwurf möglichst bald zugeleitet werden, die auch in der Lage sind, die Arbeit bei
werden. Einen Zeitpunkt hierfür kann ich aller- einem obersten Gericht zu verrichten.
dings bei der Schwierigkeit der Materie im Augen-
Soweit das oberste Sozialgericht in Frage kommt,
blick noch nicht mit Sicherheit in Aussicht stellen.
werden wir uns in sehr kurzer Zeit im Richter-
Dr. Welskop (CDU/CSU): Ich danke sehr. Keine wahlausschuß mit der Wahl der Richter zu be-
Zusatzfrage. schäftigen haben. Dann werden wir in der schnellst-
möglichen Form auch dieses oberste Sozialgericht
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren, wirksam werden lassen.
die Fragen 13, 19 und 34 können heute und mor-
gen leider nicht beantwortet werden, da der Herr Dr. Preller (SPD): Ich danke sehr!
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten erkrankt ist und der Herr Staats- Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Herren!
sekretär auch nicht zur Verfügung stehen kann. Darf ich nur den Vorschlag machen, daß wir uns
auch in dieser Frage der Terminologie des Grund-
Zur Frage 14 Herr Abgeordneter Dr. Preller! gesetzes anschließen. Es gibt nach Art. 95 nur ein
Dr. Preller (SPD): Ich frage den Herrn Bundes- Oberstes Bundesgericht; das existiert noch nicht.
arbeitsminister: Im übrigen gibt es obere Bundesgerichte. Ich wäre
Ist es zutreffend, daß an Arbeitskräften, die dankbar, wenn wir diese Ausdrücke — damit in
im Kasseler Gebiet beheimatet sind, für - das der Öffentlichkeit keine Mißverständnisse ent-
Bundesarbeitsgericht lediglich ein Kassenange- stehen — auch hier verwendeten.
stellter und eine Stenotypistin, also zwei von Zur Frage 15 Herr Abgeordneter Dr. Höck.
insgesamt vierundzwanzig vorgesehenen Kräf-
ten, und für das Bundessozialgericht lediglich Dr. Höck (CDU/CSU): Ich möchte den Herrn Bun-
ein Schwerbeschädigter und eine Stenotypistin, desminister für das Post- und Fernmeldewesen
also ebenfalls zwei von hier einundfünfzig fragen:
vorgesehenen Arbeitskräften, sowie gegebe-
nenfalls noch ein Blinder als Telefonist für Gedenkt der Bundesminister für das Post-
beide Gerichte eingestellt werden sollen? und Fernmeldewesen, die drei Fernsprechorts-
netze der Stadt Salzgitter im Sinne des Be-
Was gedenkt der Herr Bundesminister für schlusses des 1. Deutschen Bundestages vom
Arbeit zu tun, um den begreiflichen Wunsch 28. Juli 1950 betr. Watenstedt-Salzgitter (Nr.
der Kasseler Bevölkerung zu erfüllen, aus 1220 der Drucksachen der 1. Wahlperiode,
diesem von Arbeitslosigkeit bekanntlich stark Ziff. II Nr. 4) zu einem Ortsnetz zusammenzu-
betroffenen Gebiet anteilig mehr Arbeits- fassen, oder beabsichtigt er, die Ortsgesprächs
kräfte bei den beiden Gerichten angestellt zu gebühr für das gesamte Stadtgebiet als Aus-
sehen? nahmeregelung nach dem 1. Juni 1954 ein-
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister zuräumen?
für Arbeit, bitte!
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
Storch, Bundesminister für Arbeit: Herr Pro- für das Post- und Fernmeldewesen, bitte!
fessor, zur Zeit werden in Kassel als Vortrupp für
Dr. Balke, Bundesminister für das Post- und
die beiden obersten Gerichte insgesamt 14 Perso-
nen beschäftigt. Davon sind gut die Hälfte Beamte, Fernmeldewesen: Das Problem ist sowohl durch
die nach Kassel versetzt worden sind oder wenig- diese Anfrage wie durch eine Vorstellung des
stens vorübergehend dort Dienst tun. Von den An- Herrn Oberbürgermeisters der Gemeinde Waten-
gestellten sind zwei von auswärts zugezogen, und stedt-Salzgitter an das Bundespostministerium er-
die anderen sind aus dem Kasseler Raum. Wir neut herangetragen worden. Eine eingehende
haben die ausdrückliche Anweisung gegeben, für Nachprüfung der Verhältnisse hat folgendes er-
geben.
die Beschaffung der Arbeitskräfte für das oberste
Arbeits- und für das oberste Sozialgericht sich mit Der 1. Deutsche Bundestag hat in seiner 81. Sit-
dem Kasseler Arbeitsamt in Verbindung zu setzen. zung am 28. Juli 1950 gemäß Punkt 4 des Antrags
Wir haben alle Bewerbungen von Angestellten und des Ausschusses für Wirtschaftspolitik unter an-
Arbeitern, die von auswärts bei uns eingegangen derem beschlossen, „das Bundesministerium für
sind, zurückgewiesen und haben erklärt, daß wir das Post- und Fernmeldewesen zu beauftragen, das
diese Menschen, soweit das möglich ist, aus dem Fernmeldewesen im gesamten Stadtgebiet Waten-
Kasseler Raum zu nehmen gedenken. stedt-Salzgitter einheitlich zusammenzufassen".
624 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Bundesminister Dr. Balke)
Das Stadtgebiet Watenstedt-Salzgitter wurde am mäßigen Ferngesprächsgebühren, nämlich den soge-
1. April 1942 aus 29 selbständigen, örtlich nicht zu- nannten Knotenamtstarif einzuführen. Das heißt:
sammenhängenden Gemeinden der Kreise Wolfen- eine Verlängerung der bisherigen Regelung über
büttel und Goslar gebildet. Es besitzt eine Größe den 31. Dezember statt 31. Mai 1954 hinaus ist
von 209 qkm mit zur Zeit rund 100 000 Einwoh- leider nicht möglich.
nern. In diesem Gebiet befanden sich zur Zeit des
Beschlusses des ersten Deutschen Bundestages 7 Dr. Höck (CDU/CSU): Danke.
Fernsprechvermittlungsstellen mit nicht ganz 2 000
Fernsprechteilnehmern, das entspricht zwei Haupt- Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist damit
anschlüssen auf je 100 Einwohner und 9,6 Haupt- erledigt.
anschlüssen auf 1 qkm. Beide Zahlen liegen unter Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Dr. Menzel!
dem Bundesdurchschnitt und beträchtlich unter
denen vergleichbarer Städte größerer räumlicher Dr. Menzel (SPD):
Ausdehnung. In voller Würdigung des besonderen
Notstandes im Stadtgebiet Watenstedt-Salzgitter Ist dem Herrn Bundesminister für Wohnungs-
und in Beachtung des Beschlusses des Deutschen bau und dem Herrn Bundesminister für Fami-
Bundestages hat das Bundespostministerium die lienangelegenheiten bekannt, daß sich Haus-
Zahl der Fernsprechortsnetze im Stadtgebiet auf eigentümer in zunehmendem Maße weigern,
drei von sieben herabgesetzt und gleichzeitig den Familien — auch wenn sie nur ein oder zwei
Selbstwählferndienst zwischen diesen drei Orts- Kinder haben — in frei gewordene Wohnun-
netzen eingeführt. Der Ausschuß für Wirtschafts- gen aufzunehmen? Was gedenken sie gegen die-
politik des ersten Deutschen Bundestages hat der ses familienfeindliche Verhalten solcher Haus-
Auffassung des Bundespostministeriums, daß hier- eigentümer zu unternehmen?
durch dem Beschluß des Plenums voll Rechnung
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Bundesminister für
getragen sei, nicht widersprochen.
Wohnungsbau, bitte.
Für die vorgeschilderten Maßnahmen wurden
von der Deutschen Bundespost im Rechnungsjahr Dr. Preusker, Bundesminister für Wohnungsbau.
1951 1,5 Millionen DM aus dem Haushalt aufge- Herr Abgeordneter Menzel, Sie haben mit Ihrer
wendet. Für Investitionszwecke im Fernmelde- Frage ein sehr ernstes Problem angerührt. Die
wesen waren damals insgesamt nur 57 Millionen Durchführung der öffentlichen Wohnraumbewirt-
DM verfügbar. Dringender Nachhol- und Wieder- schaftung gehört nach den Bestimmungen des
aufbaubedarf im Bundesgebiet wurde zugunsten Grundgesetzes zum Aufgabenbereich der Länder.
des besonderen Notstandes in Watenstedt-Salzgit- Verwertbares, konkretes Material über die behaup-
ter zurückgestellt. Neben diesen Aufwendungen tete Entwicklung, daß sich Hauseigentümer bereits
für Investitionen und über den Beschluß des Bun- bei Familien mit nur einem oder zwei Kindern
-
destages hinausgehend hat sich das Bundespost- gegen eine Aufnahme sträuben, liegt bei der Bun-
ministerium zur Behebung der Notlage in Waten- desregierung bisher nicht vor. Wohl aber ist der
stedt-Salzgitter von sich aus bereit gefunden, für Bundesregierung bekannt, welche Schwierigkeiten
die Gespräche zwischen den drei Ortsnetzen auf sich bei der Aufnahme von ausgesprochen kinder-
die Erhebung der Ferngesprächsgebühren für die reichen Familien ergeben.
Dauer von zwei Jahren — das ist bis zum 31. Mai
1954 — zu verzichten und nur die Ortsgesprächsge- Soweit jedoch die von Ihnen angeführte Entwick-
bühr zu erheben. Dies bedeutet einen jährlichen lung zutrifft, muß eindeutig festgestellt werden,
Einnahmeverlust in Höhe von rund 225 000 DM für daß in diesen Fällen das Wohnraumbewirtschaf-
die Bundespost, also in diesen beiden Jahren von tungsgesetz vom 31. März 1951 von den Wohnungs-
insgesamt 450 000 DM. Eine Zusammenfassung der behörden der Länder nicht sinngemäß angewendet
drei Ortsnetze zu einem Ortsnetz würde weitere wird. Nach dem Wohnraumbewirtschaftungsgesetz
500 000 DM für neue Investitionen erfordern, wo- hat zwar der Verfügungsberechtigte grundsätzlich
bei der jährliche Einnahmeverlust in gleicher Höhe das Recht, zunächst die Zuteilung im Wege einer
fortbestehen würde. Benutzungsgenehmigung an einen von ihm vor-
Die Finanzlage der Deutschen Bundespost er- geschlagenen Mieter zu verlangen. Ein solcher An-
laubt es nicht, derartig hohe einmalige und lau- trag darf aber nur dann Erfolg versprechen, wenn
fende Zuschüsse aus dem Posthaushalt im Gebiet der vorgeschlagene Mieter mit seiner Familie den
von Watenstedt-Salzgitter zu leisten. Bei den Wohnraum in vollem Umfang nach den gegebenen
Finanzschwierigkeiten der Deutschen Bundespost Bestimmungen auslastet und wenn obendrein nicht
kann ich es nicht vertreten — und ich befinde mich Fälle von größerer Dringlichkeit vorliegen. Die
dabei in Übereinstimmung mit den Vorschriften Wohnungsbehörden können die Benutzungsgeneh-
des Postverwaltungsgesetzes —, im Gebiet einer migung nach § 14 Abs. 1 ablehnen, wenn Wohnraum
politischen Gemeinde Zugeständnisse aufrechtzuer- aus gewichtigen Gründen der Wohnraumbewirt-
halten, die einer örtlich wirksamen Gebührener- schaftung einem anderen als dem vorgeschlagenen
mäßigung gleichkommen. Wohnungsuchenden zuzuteilen ist. Sie können nach
§ 15 Abs. 6 auch ohne Gewährung eines Auswahl-
Nachdem dem Beschluß des 1. Deutschen Bun-
destags durch die Bildung von drei Ortsnetzen und rechtes die Zuteilung an einen bestimmten Woh-
die Einführung des Selbstwählferndienstes Rech- nungsuchenden verlangen, wenn ganz besonders
nung getragen ist und von der Deutschen Bundes- dringende Gründe der Wohnraumbewirtschaftung
post bisher 2 Millionen DM aufgebracht worden eine solche Zuteilung erforderlich machen. Das wäre
sind, um dem Stadtgebiet Watenstedt-Salzgitter in also eine Voraussetzung, deren Vorliegen insbeson-
der Bekämpfung des Notstandes Hilfe zu leisten, dere bei den kinderreichen Familien anzunehmen
sehe ich numehr die Möglichkeiten der Deutschen ist.
Bundespost als erschöpft an. Es ist daher beabsich- Das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz gibt also
tigt, am 1. Januar 1955 für den Fernsprechverkehr als solches bei richtiger Anwendung durchaus die
der drei Ortsnetze untereinander die bestimmungs Möglichkeit, die berechtigten Belange der Familien,
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 625
(Bundesminister Dr. Preusker)
insbesondere der mit ein oder zwei Kindern, zu be- wird, und ungefähr mit welcher Bauzeit wird
rücksichtigen. dann gerechnet werden können?
Ich bin bereits seit meinem Amtsantritt mit den Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
Ländern in einen Erfahrungsaustausch über den für Verkehr.
Vollzug des Wohnraumbewirtschaftungsgesetzes
eingetreten. Dabei wird insbesondere geprüft, ob Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Nach
die derzeitige Regelung der Wohnraumbewirtschaf- dem Bau der Autobahn Hamm—Kassel bin ich hier
tung zu einer Benachteiligung der Familien mit bereits am 21. Januar 1954 vom Herrn Kollegen
Kindern führt. Auch mit der Organisation des Platner gefragt worden. Ich kann meine damalige
Haus- und Grundbesitzes habe ich mich aus der Antwort nur im wesentlichen wiederholen, da sich
gleichen Sorge schon seit einiger Zeit ins Beneh- neue Gesichtspunkte inzwischen nicht ergeben
men gesetzt. haben.
Aber ich bin mir über eines völlig klar: Eine Die Autobahnstrecke Kassel—Hamm war im Vor-
wirklich wirksame Hilfe zur Überwindung des Pro- kriegsplan der Reichsautobahnen vorgesehen. Sie
blems der Unterbringung der kinderreichen und sollte eine direkte Verbindung über Autobahn
auch der Familien mit nur ein und zwei Kindern zwischen dem sächsisch-thüringischen Industrie-
wird sich nur durch eine wesentliche Verstärkung gebiet und dem Ruhrgebiet schaffen. Sie ist in das
und Beschleunigung des Neubaus von Wohnungen Autobahn-Ausbauprogramm der Bundesregierung
ermöglichen lassen. übernommen worden, gehört jedoch zu den Strecken
Wenn dieses Schwergewicht auf den Neubau von zweiter Dringlichkeit, da sie ihren Verkehrswert
Wohnungen gelegt wird, muß ebenso Vorsorge ge- erst erhält, wenn ein freizügiger Verkehr über die
troffen werden, daß die kinderreichen Familien Zonengrenze — wie wir hoffen, recht bald — wie-
dann auch in der Lage sind, die Mieten der größe- der möglich ist.
ren Wohnungen, die für sie errichtet werden, auf- Ein zweibahniger Ausbau der Strecke Hamm—
zubringen. Hierfür will die Bundesregierung in den Kassel wird rund 370 Millionen DM kosten. Über
in Kürze dem Bundestag vorzulegenden Gesetzen die Dauer des Baues kann heute unter diesen Ver-
in verschiedener Hinsicht Sorge tragen. Schon die hältnissen noch nichts gesagt werden.
Große Steuerreform — darüber wird der Herr
Bundesfinanzminister anschließend eine Regie- Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP): Ich danke
rungserklärung abgeben — wird mit ihren Tarif- Ihnen, Herr Minister.
senkungen gerade den kinderreichen Familien eine Präsident D. Dr. Ehlers: Keine Zusatzfrage.
Entlastung bringen wollen. In der im Bundesmini-
sterium für Wohnungsbau in Vorbereitung befind- Herr Abgeordneter Lindenberg zur Frage 18!
lichen Novelle zum Wohnungsbaugesetz wird u. a.
die Gewährung von Zusatzdarlehen für kinder - Dr. Lindenberg (CDU/CSU): Ich frage den Herrn
reiche Familien in allen Fällen vorgeschlagen, in Verkehrsminister:
denen diese Familien sich ein Eigenheim oder eine Ist — wie zugesagt — fest damit zu rechnen,
Kleinsiedlung schaffen oder als Kaufeigentum er- daß die Bundesstraße 241 auf der Strecke
werben wollen. Weiter wird in dieser Novelle vor- zwischen Heiligenstock und Freiheit im Kreise
geschlagen werden, daß bei Wohnungen, die für Osterode (Harz) in diesem Frühjahr entspre-
minderbemittelte Kreise bestimmt sind, das For- chend den bereits ausgearbeiteten Plänen ver-
dern von verlorenen Baukostenzuschüssen von den legt wird, um die Unerträglichkeit der dortigen
Wohnungsuchenden selbst gänzlich verboten wird. Straßenverhältnisse und ihre ungünstigen
Hier lag zweifellos eine Benachteiligung gerade der Rückwirkungen auf den Fremdenverkehr zu
Familienväter mit Kindern vor, die zum Teil, weil beseitigen?
sie eben nur ein niedriges Einkommen besaßen,
nicht in erfolgreichen Wettbewerb mit Kinderlosen Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
treten konnten. Auch in weiteren Vorschriften an- für Verkehr, bitte!
derer Gesetze soll noch versucht werden, dieses Pro-
blem besser zu lösen. Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Die
Das entscheidende Schwergewicht wird aber, um ungünstige Führung der Bundesstraße 241 zwischen
es noch einmal zusammenzufassen, erstens bei der Heiligenstock und Osterode läßt sich bekanntlich
Verstärkung des Neubaus und zum zweiten bei den nur durch eine Verlegung der Straße beseitigen. Die
Folgerungen liegen, die aus dem Erfahrungsaus- Planung der niedersächsischen Straßenbaudirektion
tausch mit den Ländern gezogen werden müssen, ist aber noch nicht abgeschlossen. Es läßt sich schon
damit die Bestimmungen des Wohnraumbewirt- jetzt übersehen, daß die Gesamtkosten etwa 3 1 /2 bis
schaftungsgesetzes wirklich so angewendet werden, 4 Millionen DM betragen werden. Die für den
wie es der vom Bundestag beschlossene und vom Straßenbau zur Verfügung stehenden geringen Mit-
Bundespräsidenten verkündete Wortlaut des Ge- tel gestatten es nur, dieses Bauvorhaben in vier
setzes vorsieht. Etappen durchzuführen. Im Rechnungsjahr 1954 soll
deshalb zunächst die Söse-Brücke bei Osterode
Dr. Menzel (SPD): Danke. wiederhergestellt werden, wobei der Bund von den
Gesamtkosten 85 000 DM übernehmen wird. Die
Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 17 Herr Ab- anderen Bauabschnitte — das Teilstück westlich
geordneter Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein. Osterode bis zur Söse-Brücke, das Teilstück von der
Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP): Ich er- Söse-Brücke bis zur alten Harzstraße und der Aus-
laube mir, die folgende Frage zu stellen: bau der alten Harzstraße bis Heiligenstock — kön-
nen dann erst im Laufe der nächsten Jahre nach
Ist damit zu rechnen, daß der Bau der für und nach durchgeführt werden.
das Paderborner Land so wichtigen Autobahn
Hamm—Kassel nun wirklich bald begonnen Dr. Lindenberg (CDU/CSU): Eine Zusatzfrage!
626 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954

Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, bitte! Storch, Bundesminister für Arbeit: Bitte schön!

Dr. Lindenberg (CDU/CSU): Verträgt sich die Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 21 Herr Ab-
Verteilung des Ausbaus auf mehrere Jahre mit den geordneter Menzel!
Zusagen der Bundesregierung bezüglich des Zonen-
grenzprogramms? Dr. Menzel (SPD):
Stimmt es, daß der Deutsche Botschafter in
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, Herr Bundesmi- Kairo auf Weisung der Bundesregierung bei
nister! der Regierung des Landes Ägypten vorstellig
geworden ist, den Marschallstab des früheren
Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr: Es Feldmarschalls von Brauchitsch nicht zu ver-
kann niemand mehr Geld ausgeben — insbeson- steigern, sondern in deutschen Besitz zurück-
dere beim Straßenbau —, als der Bundestag und zuführen? Worauf beruht das besondere In-
die entsprechenden Institutionen bewilligen. teresse der deutschen Bundesregierung, das sie
zu diesem Schritt veranlaßt hat?
Dr. Lindenberg (CDU/CSU): Danke.

Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 20 Herr Ab- Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
geordneter Frehsee! des Innern, bitte.

Frehsee (SPD) : Ich frage den Herrn Bundes- Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Für
minister für Arbeit: den Herrn Bundesminister des Auswärtigen darf
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die ich die Frage wie folgt beantworten. Der Mar-
land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer schallstab des ehemaligen Generalfeldmarschalls
in den ehemaligen Ländern Baden und Würt- von Brauchitsch ist seinem Eigentümer im August
1945 in offensichtlich nicht einwandfreier Weise
temberg-Hohenzollern keinerlei Arbeitslosen-
weggenommen worden und später auf einem Wege,
versicherungsschutz genießen und in Württem-
berg-Hohenzollern auch keine Arbeitslosenfür- über den sich nichts feststellen läßt, in die Samm-
sorgeunterstützung erhalten, wenn sie arbeits- lungen des früheren ägyptischen Königs Faruk ge-
langt.
los sind? (Heiterkeit.)
Wann gedenkt die Bundesregierung die zur
Herstellung der Rechtseinheit auf diesem Ge- Als bekanntwurde, daß er mit anderen Gegen-
biet erforderliche Novelle zum AVAVG vor- ständen aus diesen Sammlungen in Kairo öffent-
zulegen? lich versteigert werden sollte, wandte sich die
Witwe des im Oktober 1948 verstorbenen General-
Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister feldmarschalls an das Auswärtige Amt mit der
für Arbeit! Bitte, ihr zur Wiedererlangung des wertvollen Er-
innerungsstückes behilflich zu sein. Nach Prüfung
Storch, Bundesminister für Arbeit: Ich kann der Rechtsfrage erhielt der Botschafter der Bun-
Ihnen nur sagen, Herr Abgeordneter, daß die No- desrepublik in Kairo Weisung, sich in geeigneter
velle zum AVAVG schon seit über einem halben Form für diese Wünsche zu verwenden. Seine Dar-
Jahr in meinem Hause fertiggestellt vorliegt. Wir legungen fanden bei der ägyptischen Regierung
haben aber geglaubt, eine derartige grundsätzliche volles Verständnis und Entgegenkommen. Die Zu-
Neuordnung und einheitliche Neuausrichtung in rückziehung des Marschallstabs aus der Verstei-
der Arbeitslosenversicherung in der engsten Ver- gerung wurde alsbald angeordnet.
bindung mit den Selbstverwaltungsorganen der
Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeits- Grundlage der dem Botschafter erteilten Wei-
losenversicherung vornehmen zu sollen. Dadurch sung war die allgemeine Aufgabe der Bundes-
sind die Dinge sehr lange im Hintergrund geblie- regierung, sich der Interessen deutscher Staats-
ben. Ich kann Ihnen aber sagen: Innerhalb der bürger im Ausland anzunehmen. Außerdem schien
nächsten zwei Monate wird diese Novelle zum es richtig, sich dafür einzusetzen, daß ein deutscher
AVAVG von der Bundesregierung verabschiedet Marschallstab nicht in eine öffentliche Versteige-
sein und diesem Hohen Hause zugeleitet werden. rung gerate.

Frehsee (SPD): Darf ich eine Zusatzfrage stellen? (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Zurufe.)
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte!
Dr. Menzel (SPD): Darf ich eine Zusatzfrage
Frehsee (SPD): Herr Bundesminister, wird in stellen?
dieser Novelle auch die Klärung der von mir an-
gesprochenen Fragen erfolgen? Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage, Herr
Abgeordneter.
Storch, Bundesminister für Arbeit: Das ist ja
ganz klar. Wenn wir eine Novelle zum AVAVG Dr. Menzel (SPD): Ist die Bundesregierung be-
machen, dann hat das doch den Hauptzweck, die reit, sich mit der gleichen Intensität auch für die
Rechtsungleichheit, die uns durch das Besatzungs- Rückführung der im „Dritten Reich" ins Ausland
recht 'in den einzelnen Besatzungsgebieten auf- verschleuderten Kunstgegenstände einzusetzen?
erlegt worden ist, wieder zu beseitigen. Wir müs- (Beifall bei der SPD.)
sen doch auf all diesen Gebieten zu einem Recht
kommen, , das für jeden deutschen Menschen in der Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Herr
Bundesrepublik — gleichgültig ob er in Freiburg Kollege, ich kann zu dieser Frage, wie Sie ver-
oder in Hamburg lebt — Geltung hat. stehen werden, nichts Abschließendes sagen. Ich
möchte aber sagen, daß die Frage, wenn sie unter
Frehsee (SPD): Ich danke Ihnen sehr. dem hier aufgestellten Prinzip positiv zu beant-
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 627
(Bundesinnenminister Dr. Schröder)
worten ist, selbstverständlich im selben Sinne be- Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 24 Herr Ab-
antwortet werden wird. geordneter Dr. Bucher.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Dr. Bucher (FDP):
Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 22 Herr Ab- Warum ist im Bundesinnenministerium für
geordneter Dr. Bucher. die allgemeinen Angelegenheiten, die im frühe-
ren Reichsinnenministerium von einem Perso-
Dr. Bucher (FDP): nalreferenten, einem Bürodirektor und zwei
Amtsräten erledigt wurden, eine ganze Ab
Sind die Pressemeldungen richtig, wonach teilung Z mit einer eigenen Unterabteilung
die Einstellung und Beförderung von Beamten „Haushalt und Organisation" erforderlich, und
in den Bundesministerien, um die konfessio- wie hoch ist der Kostenaufwand für diese Ab-
nelle Parität herzustellen oder zu wahren, teilung Z?
unter anderem von der Frage abhängig ge-
macht wird, welcher Konfession der betref-
fende Bewerber angehört? Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister
des Innern!
Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Ich
darf die Frage wie folgt beantworten. Die von Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Ich
dem Herrn Abgeordneten in seiner Anfrage er- darf die Frage wie folgt beantworten. Es ist un-
wähnten Pressemeldungen sind nicht richtig. richtig, daß im Reichsministerium des Innern die
allgemeinen Angelegenheiten von einem Personal-
(Hört! Hört! in der Mitte.) referenten, einem Bürodirektor und zwei Amts-
Das Bundesbeamtengesetz vom 14. Juli 1953 räten erledigt worden sind. Richtig ist, daß bereits
schreibt im § 8 vor, daß die Auslese der Bewerber in der Weimarer Zeit im Reichsministerium des
nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Innern in den vergleichbaren Arbeitsgebieten nicht
ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, weniger Kräfte tätig waren als heute in der Zen-
Glauben, religiöse oder politische Anschauung, tralabteilung des Bundesministeriums des Innern.
Herkunft oder Beziehung vorzunehmen ist. Diese (Hört! Hört! in der Mitte.)
Grundsätze sind für die Personalpolitik der Bun-
desministerien allein maßgeblich. Im übrigen ist diese Abteilung im Laufe der letzten
vier Jahre entsprechend dem ständig wachsenden
Dr. Bucher (FDP): Darf ich eine Zusatzfrage Umfang der Aufgaben dieses Ressorts mit Zu-
stellen? stimmung des Herrn Bundesministers der Finan-
zen und des Haushaltsausschusses des Bundestages
Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte! - auf den jetzigen Stand von einem Abteilungsleiter,
einem Unterabteilungsleiter für Haushalt und Or-
Dr. Bucher (FDP): Werden bei Stellenbewerbun- ganisation und neun Referenten gebracht worden.
gen, insbesondere in Fragebogen, von einzelnen Der Kostenaufwand für diese Abteilung, in der
Ministerien Angaben über die Konfession des Be- alle allgemeinen Angelegenheiten des Ressorts be-
werbers und eventuell seiner Ehefrau verlangt, arbeitet werden, beträgt noch nicht einmal 1/10 %
und was hat diese Maßnahme für einen Sinn? des Haushalts meines Ressorts.

Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Der Dr. Bucher (FDP): Ich danke.
Fragebogen, der den personellen Bewerbungen zu- Präsident D. Dr. Ehlers: Zur Frage 25 Herr Ab-
grunde gelegt wird, ist in diesem Hause bereits geordneter Krammig.
Gegenstand der Erörterung gewesen. Die Frage
nach der religiösen Zugehörigkeit braucht nicht be- Krammig (CDU/CSU): Mit Genehmigung des
antwortet zu werden. Herrn Präsidenten darf ich in Abwesenheit des
(Lachen bei der SPD.) Herrn Abgeordneten Lulay folgende Frage an
Im Fragebogen ist ausdrücklich gesagt, daß die den Herrn Bundesminister der Finanzen richten:
Antwort freigestellt ist. Auf welche Rechtsgrundlage stützt sich der
(Zuruf von der SPD: Warum steht die Frage Bundesminister der Finanzen, wenn er
denn drin?) a) bei den aus dem Landesdienst gemäß § 36
des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom
Präsident D. Dr. Ehlers: Damit ist diese Frage 6. September 1950 in den Bundesdienst über-
erledigt. getretenen bzw. übernommenen Beamten die
Zur Frage 23 Herr Abgeordneter Dr. Bucher! Berichtigung des ADA nach der Verordnung
über die Festsetzung des allgemeinen Dienst-
Dr. Bucher (FDP) : alters der Beamten des einfachen, des mitt-
leren und des gehobenen Dienstes vom 14. No-
Trifft es zu, daß in sämtlichen Bundes- vember 1939 (RGBl. I S. 2317) noch nicht vor-
ministerien der Leiter der Personalabteilung genommen hat, obwohl die Abgabeländer in-
oder der Personalreferent für die höheren Be- zwischen den Rechtszustand nach der genann-
amten heute katholischer Konfession ist? ten Verordnung wiederhergestellt haben, und
(Abg. Sabel: Das ist eine komische Frage!) b) bei den unmittelbar in den Bundesdienst
Dr. Schröder, Bundesminister des Inne rn : Die in
wiedereingestellten Beamten, die aus dem
Versorgungsanwärterstand hervorgegangen
der Anfrage des Herrn Abgeordneten enthaltene sind, bei der Festsetzung des ADA gleichfalls
Vermutung trifft nicht zu. die unter a) genannte Verordnung nicht an-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wendet?
628 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954

Präsident D. Dr. Ehlers: Der Herr Bundesminister an die Regierungserklärung nicht stattfinden soll.
der Finanzen! Wir wollen an der Übung, die allgemeine Aus-
sprache erst anläßlich der ersten Beratung statt-
Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Die Ver- finden zu lassen, festhalten. Ich weise ausdrücklich
ordnung über die Festsetzung des allgemeinen darauf hin.
Dienstalters der Beamten des einfachen, mittleren
und gehobenen Dienstes vom 14. November 1939, Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Reichsgesetzblatt I, Seite 2317, gehört zu den zahl- Schäffer, Bundesminister der Finanzen: Herr
reichen Maßnahmen des „Dritten Reiches", die vor Präsident! Meine Damen und Herren! Entsprechend
dem Krieg und während des Krieges erlassen dem Gesetzgebungsweg, wie ihn Art. '76 des Grund-
wurden, um einen erhöhten Anreiz für die zwölf
jährige Dienstverpflichtung in der Wehrmacht zu gesetzes vorsieht, leitet die Bundesregierung dem
geben und dem Nachwuchsmangel an Unteroffi- Bundesrat heute Gesetzentwürfe über eine Steuer-
reform zu. Sie wird dem Bundesrat außerdem bis
zieren zu begegnen. Diese kriegsbedingte Regelung,
die insbesondere für den Militäranwärter eine Ver- zum 18. März auch die Gesetzentwürfe über eine
günstigung bedeutete, wird in der gesamten Bun- Finanzreform zuleiten, die sich auf die Ermächti-
desverwaltung, also nicht nur bei der Bundes- gung des Art. 107 des Grundgesetzes stützt. Die
finanzverwaltung, sondern auch bei der Bundes- letztgenannten Gesetzentwürfe sind im Kabinett
bahn und Bundespost, nicht mehr angewendet. bereits grundsätzlich genehmigt; sie sollen aber
Dem entspricht auch die überwiegende Praxis der noch in ihrer Wortfassung einer letzten Über-
prüfung in den allernächsten Tagen unterzogen
Länder seit dem Zusammenbruch. Nur in wenigen
werden. Sobald sämtliche Gesetzentwürfe samt
Ländern — Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen
und Rheinland-Pfalz - wird die Verordnung noch ihren Begründungen im Druck vorliegen, werden
angewendet und hier fast 'ausschließlich in der sie informativ auch den Mitgliedern dieses Hauses
Länderfinanzverwaltung. Im übrigen darf ich dar- zugeleitet.
auf hinweisen, daß der Herr Bundesminister des Die Bundesregierung benützt diese Gelegenheit,
Innern beabsichtigt, auf der Grundlage des Bun- dem Deutschen Bundestag durch mich den wesent-
desbeamtengesetzes das allgemeine Dienstalter neu lichen Inhalt dieser Gesetzentwürfe, ihre Beweg-
zu regeln. Bei dieser Neuregelung wird insbeson- gründe und Ziele darzulegen. Es ist das erste Mal,
dere geprüft werden, inwieweit etwaige auf daß die Bundesregierung die Form einer Regie-
Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft beruhende rungserklärung wählt, um den Deutschen Bundes-
Verzögerungen in der Anstellung der Beamten be- tag über den Inhalt von Gesetzentwürfen zu ver-
rücksichtigt werden können. ständigen, noch bevor sie im Weg der ordentlichen
Gesetzgebung dem Deutschen Bundestag zugehen.
Krammig (CDU/CSU): Ich danke dem Herrn Es handelt sich um Gesetzentwürfe von außer-
Minister. - gewöhnlicher Bedeutung nicht nur in yolks- und
finanzwirtschaftlicher Hinsicht, sondern wohl auch
Präsident D. Dr. Ehlers: Meine Damen und Her- für die Verfassungsentwicklung der deutschen Bun-
ren, damit ist die für die Fragestunde vorgesehene desrepublik. Gesetzentwürfe von solch außerge-
Zeit 'abgelaufen. Die Fragen ab Frage 26 werden wöhnlicher Bedeutung können in den vorbereiten-
morgen in der Fragestunde erledigt, wobei ich dar- den Verhandlungen nicht auf dem öffentlichen
auf aufmerksam mache, daß ich bitte, die Druck- Markt besprochen werden. Sie sind nur verständ-
sache 267 morgen wieder mitzubringen, da sie nicht lich, wenn man das ganze Werk, das Ineinander
noch einmal verteilt werden kann. greifen aller Teile kennt und jeden Teil nach sei-
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: nem Zusammenhang mit dem Grundgedanken des
ganzen Gesetzgebungswerkes verstehen kann. Es
Entgegennahme einer Erklärung der Bun- würde störend wirken, wenn Stück für Stück in
desregierung.
der öffentlichen Erörterung ohne diese Kenntnis
Meine Damen und Herren, ich möchte, bevor ich zerpflückt würde, insbesondere wenn in dem Zeit-
dem Her rn Bundesminister der Finanzen das Wort raum der Vorbereitung und Überlegung einzelne
gebe, entsprechend einer Vereinbarung im Äl- Gedanken, die vielleicht noch gar keine feste und
testenrat auf folgendes hinweisen: Die Tatsache, endgültige Form gefunden haben, aus dem Zusam-
daß heute zum erstenmal die Bundesregierung die menhang gerissen, erörtert und nur vom Stand-
Öffentlichkeit von der Tribüne des Bundestags punkt des unmittelbar Beteiligten aus beurteilt
über die Grundzüge eines geplanten Gesetzes un- würden. Eine Erörterung in der Öffentlichkeit läßt
terrichtet, hat nicht den Sinn, den im Grundgesetz sich aber von dem Tag an nicht mehr vermeiden,
vorgeschriebenen Weg der Gesetzgebung abzuän- wo entsprechend unserem in Art. 76 des Grund-
dern. Es ist der Wunsch der Bundesregierung ge- gesetzes vorgesehenen Gesetzgebungsweg Gesetzes-
wesen — den sich der Ältestenrat zu eigen ge- vorschläge dem Bundesrat und damit einem breiten
macht hat —, der oft aufgetretenen Erscheinung, Kreis innerhalb des ganzen Bundesgebietes zu-
daß die Öffentlichkeit, zum Teil auch durch die gehen.
Beratung im Bundesrat, über Gesetzentwürfe Der Bundesregierung sind früher schon Klagen
unterrichtet wurde, ehe der Bundestag selber davon aus den Reihen des Bundestags vorgetragen wor-
Kenntnis hatte, in diesem Falle dadurch zu be-
den, die Abgeordneten würden über den Inhalt
gegnen, daß die Öffentlichkeit von der Tribüne des
Bundestags aus über solche wesentlichen Gesetz- wichtigster Gesetzentwürfe durch die Presse und
entwürfe zuerst unterrichtet wird. Interessentenverbände verständigt, bevor dem Bun-
destag selber das ganze Gesetzgebungswerk zur
(Lebhafte Zustimmung bei den Regierungs Kenntnis gebracht sei und er die Möglichkeit habe,
parteien und bei der SPD.) vom Gesichtspunkt des Ganzen aus zu den Fragen
z
Da es keine Durchbrechung des Weges der Geset Stellung zu nehmen, die an ihn von Beteiligten
gebung sein so ll, hat sich der Ältestenrat dahin ge Stück für Stück herangetragen werden. Die Ach-
einigt, daß eine allgemeine Aussprache im Anschluß tung vor dem Bundestag als gesetzgebender Körper-
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 629
(Bundesfinanzminister Schäffer)
schaft hat deshalb die Bundesregierung veranlaßt, fung unserer gesamten Steuergesetzgebung. Es soll
die Stunde, in der diese neuen großen Gesetzes- für eine menschlich voraussehbare Zeit eine steuer-
werke der Öffentlichkeit doch bekanntwerden, zu liche Stetigkeit gewonnen werden, ohne diese Ste-
benützen, um dem Bundestag die Grundgedanken, tigkeit zu einem Hindernis und einer Fessel des
Beweggründe und Ziele dieses Gesetzgebungswer- wirklichen Lebens werden zu lassen. Das Leben
kes unmittelbar und nicht auf dem Wege über die entwickelt sich ja ständig weiter. Es ist die Auf-
Presse mitzuteilen. gabe jeder Verfassungsgesetzgebung, das Leben
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei nicht zu drosseln, damit das Leben nicht die Ver-
der SPD.) fassung sprengt, sondern die Gesetze so beweglich
Selbstverständlich kann es in diesem Fall nicht zu gestalten, daß die Anpassung an das Leben im
die Aufgabe sein, auf die Einzelheiten der Gesetzes- Rahmen und in Beachtung der Verfassung wirklich
vorschläge einzugehen. Das muß der Stunde vor- möglich ist.
behalten bleiben, in der die Gesetzesvorlagen ent- Diese Leitgedanken der Reform sind in der Be-
sprechend Art. 76 des Grundgesetzes samt der Stel- gründung der Gesetzgebungswerke ausführlich dar-
lungnahme des Bundesrates dem Bundestag durch gelegt. Ich bitte, sich durch den Umfang dieser Be-
die Bundesregierung mit einer eigenen Stellung- gründung nicht davor abschrecken zu lassen, sie
nahme zu den Anregungen des Bundesrates vorge- wirklich zu studieren.
legt werden. Die Bundesregierung ist sich bewußt, (Heiterkeit.)
daß sie damit einen ersten Versuch unternimmt, der Sie ist, insbesondere die Begründung zu den Geset-
vielleicht, wenn er sich als fruchtbar erweist, bei zen der Finanzreform, eine eingehende Arbeit über
kommenden Gesetzgebungsarbeiten von außerge- die Entwicklung des Finanzwesens in Deutschland
wöhnlicher Bedeutung ebenfalls eingehalten wer- seit dem Jahre 1871 geworden. Sie schildert das
den kann. Verhältnis zwischen Reich und Bund einerseits, den
Um Gesetzgebungswerke von wahrhaft großer, Staaten und Ländern andererseits seit 1871. Sie
j a vielleicht geschichtlicher Bedeutung handelt es gibt dem Leser einen Überblick über die Schwierig-
sich hier. Wir haben zwei Gesetzgebungswerke, keiten und die für das ganze Leben der Nation ent-
davon eines über eine Finanzreform in der Bundes- scheidende Bedeutung der Regelung dieses Finanz-
republik. Es setzt sich zusammen aus je einem wesens in unserem Vaterland, das zur kaiserlichen
Gesetz über die Finanzverfassung, über die Anpas- Zeit und in der Weimarer Republik und in den
sung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Tagen der Bundesrepublik ein föderativer Staat, in
Ländern an die Finanzverfassung und über den den unglückseligen Tagen Hitlers ein zentralistisch
inneren Finanzausgleich unter den Ländern. Es gelenkter Staat gewesen ist.
gibt außerdem die Ermächtigung zum Erlaß eines Ich darf mich kurz auf eine zum Verständnis
Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkom- notwendige grundsätzliche Bemerkung zur Ent-
men- und Körperschaftsteuer. Letztere ist - das wicklung des Finanzwesens seit Errichtung der
Bindeglied zum zweiten der beiden Gesetzgebungs- Bundesrepublik beschränken.
werke, nämlich demjenigen über die Steuerreform. Dem Gesetzgeber des Grundgesetzes war auch die
Das Gesetzgebungswerk über die Steuerreform Aufgabe gestellt, das Finanzwesen der Bundes-
enthält einen Gesetzentwurf zur Neuordnung von republik zu regeln. Er hat dies in Abschnitt X
Steuern — das sind Einkommensteuer, Körper- des Grundgesetzes getan, insbesondere hat er in
schaftsteuer, Wohnungsbauprämiengesetz, Gewerbe- Art. 106 des Grundgesetzes die Verteilung des Auf-
steuer und Erbschaftsteuer —, ferner ein Gesetz kommens an allen Steuern vorgenommen. Er teilt
zur weiteren Erhebung der Abgabe Notopfer Ber- in Art. 106 des Grundgesetzes die Zölle, den Ertrag
lin, ein Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuer- der Finanzmonopole, die Verbrauchsteuern mit
gesetzes und endlich das Gesetz über die erwähnte Ausnahme der Biersteuer, die Beförderungsteuer,
neue Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und die Umsatzsteuer und die Vermögensabgaben, die
Körperschaftsteuer auf Grund der Ermächtigung, einmaligen Zwecken dienen, dem Bund zu; die Bier-
die in dem Gesetz über die Finanzverfassung hier- steuer, die Verkehrsteuern — mit Ausnahme der
zu enthalten ist. Beförderungsteuer und der Umsatzsteuer —, die
Ich beginne mit dem Gesetzgebungswerk über die Einkommen- und Körperschaftsteuer, die Vermö-
Finanzreform. Ziel der beiden Gesetzgebungswerke gensteuer, die Erbschaftsteuer, die Realsteuern und
ist erstens, das Verantwortungsbewußtsein in Bund die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis
und Ländern für die Verwendung der aufgebrach- teilt er den Ländern und nach Maßgabe der Landes-
ten Steuermittel möglichst zu steigern. Es soll dem gesetzgebung den Gemeinden und Gemeindever-
Bund wie den Ländern eine hinreichend dauerhafte b änden zu. Der Verfassunggeber des Jahres 1949
Grundlage für die Erfüllung ihrer Aufgaben ge- mußte dabei nicht nur von den Grundsätzen aus-
boten werden. Bund und Länder sollen zur eige- gehen, die er für den föderativen Aufbau der Bun-
nen verantwortlichen Wahrnehmung der ihnen ver- desrepublik in den übrigen Bestimmungen des
fassungsmäßig zukommenden Aufgaben befähigt Grundgesetzes festgelegt hatte, nämlich von der
und verpflichtet werden. Es soll damit das Verant- verfassungsrechtlich gesicherten Eigenstaatlichkeit
wortungsbewußtsein für eine zweckmäßige und der Länder — Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3
sparsame Finanzgebarung in Bund und Ländern des Grundgesetzes —, von dem Grundsatz der ge-
gestärkt werden. Es soll der Wille geweckt werden, meindlichen Selbstverwaltung — Art. 28 Abs. 2
den Wirkungsgrad der Verwaltungsleistungen zu des Grundgesetzes —; er mußte nicht nur beden-
steigern und damit zur Senkung des Steuerbedarfs ken, daß erst durch eine entsprechende Finanzord-
der öffentlichen Gesamtverwaltung beizutragen. nung diese Grundsätze klar umrissen ins Leben
Zweitens ist es das Ziel, die nach den Zeitverhält- treten können, sondern er mußte insbesondere auch
nissen mögliche Stetigkeit auf finanziellem Ge- überlegen, ob die Verteilung der Steuerquellen dem
biet für die Bundesrepublik zu erreichen. Drittens: Bund und seinen Ländern die Erfüllung der Auf-
Soll aber eine finanzielle Stetigkeit erreicht werden, gaben ermöglicht, die ihnen das Grundgesetz zu-
so muß dies verbunden werden mit einer Überprü weist.
6i0 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
In Art. 120 des Grundgesetzes hat der Gesetz- wendungen für Besatzungskosten und sonstige in-
geber dem Bund die Aufwendungen für Besat- nere und äußere Kriegsfolgelasten, wozu auch Ver-
zungskosten, die sonstigen inneren und äußeren teidigungsbeitrag, Verzinsung und Tilgung der
Kriegsfolgelasten und die Zuschüsse zu den Lasten Auslandsschulden gehören, und die Aufwendungen
aus der Sozialversicherung neben den dem Bund für die sozialen Lasten, die sich aus dem Zusam-
natürlich zustehenden Aufgabengebieten besonders menbruch des Jahres 1945 ergeben, haben ein un-
zugewiesen. geahntes Ausmaß erreicht. Ich brauche nur daran
zu erinnern, daß der Bundeshaushalt insgesamt im
In Art. 30 des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber Jahre 1950 einen Umfang von 16,2 Milliarden DM
die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die
gehabt und im Jahre 1954 einen Umfang von 27,1
Erfüllung der staatlichen Aufgaben als Sache der
Milliarden DM erreicht hat. Hand in Hand damit
Länder erklärt. mußte das Steueraufkommen gehen, wenn der
Der Grundgesetzgeber des Jahres 1949 konnte Schutz der Währung und die finanzielle Ordnung
einen ausreichenden Überblick über die Entwick- aufrechterhalten werden sollten. Die Steuerbela-
lung der kommenden Jahre, über die Größenord- stung hat damit ein Ausmaß erreicht, das uns
nung für die einzelnen Aufgaben nicht haben. Er zwingt, nicht nur von jeder weiteren Erhöhung der
hat deshalb in Art. 106 Abs. 3 zunächst festgesetzt, Steuern abzusehen, sondern diese Steuern mög-
daß der Bund durch Bundesgesetz einen Teil der lichst zu senken.
Einkommen- und Körperschaftsteuer zur Deckung (Zuruf rechts: Höchste Zeit!)
seiner Ausgaben in Anspruch nehmen kann, soweit
diese Ausgaben nicht durch andere Einkünfte des Nachdem der Bund ganz überwiegend auf die
Bundes gedeckt werden können. Er hat diese Er- Einkünfte aus indirekten Steuern angewiesen ist
mächtigung aber gekettet an die Zustimmung des und die indirekten Steuern nicht ein Maß erreichen
Bundesrates. Der Bund benötigt also zur Anwen- dürfen, das die Belastung des Verbrauchers als un-
dung dieser Ermächtigung die Zustimmung derer, gerecht erscheinen läßt, ist dem Bund bei den ihm
die auf ihre Einkünfte aus Einkommen- und Kör- eigenen Steuereinkünften eine volkswirtschaftliche
perschaftsteuer zu seinen Gunsten teilweise zu ver- und soziale Grenze gezogen. Er war daher bisher
zichten haben. schon darauf angewiesen, von der Ermächtigung
Das Grundgesetz hat außerdem den Grundsatz Gebrauch zu machen, die Art. 106 Abs. 3 gibt, d. h.
ausgesprochen — Art. 106 Abs. 2 und 3 —, daß der für seine nicht gedeckten Ausgaben einen Teil der
Bund die Leistungsfähigkeit auch der schwächeren Einkommen- und Körperschaftsteuer, die den Län-
Länder zu sichern und eine unterschiedliche Bela- dern zufließt, für sich in Anspruch nehmen. Es ist
stung der Länder mit Ausgaben auszugleichen hat. menschlich an sich schon verständlich, daß die Zu-
Es hat in diesen Bestimmungen vorgesehen, daß stimmung von den im Bundesrat vertretenen Län-
der Bund Zuschüsse gewähren kann und daß- durch dern, die j a damit auf eigene Einnahmen zur Er-
Bundesgesetz bestimmt wird, welche Steuern der füllung ihrer Aufgaben verzichten müssen, nicht
Länder hierbei herangezogen werden und mit wel- leicht gegeben wird. Es wird dies aber noch da-
chen Beträgen und nach welchen Schlüsseln die Zu- durch erschwert, daß die Finanzstärke sich unter
schüsse an die empfangsberechtigten Länder ver- den deutschen Ländern ungleich verteilt und daß
teilt werden. die Steuerkraft der einzelnen Länder stark
schwankt. Nach einer Vorausschau für das Jahr
Der Grundgesetzgeber war sich aber gleichzeitig 1955 würden die Steuereinnahmen für Staat und
bewußt, daß er eine Sicherheit nicht geben kann, Gemeinden in den einzelnen Ländern schwanken
daß dieses von ihm geschaffene System sich auch zwischen 137,7 % und 53,9 %des Bundesdurch-
für die Dauer bewähren würde. Er hat deshalb schnitts, und wenn die Stadtstaaten Hamburg und
hier die Bestimmungen des Grundgesetzes nicht Bremen außer Betracht bleiben, zwischen 113,7 %
mit endgültiger Verfassungskraft versehen, sondern und 53,9 % des Bundesdurchschnitts.
hat im Art. 107 des Grundgesetzes ausdrücklich be-
stimmt, daß die endgültige Verteilung der der kon- Die natürlichen Schwierigkeiten, die sich immer
kurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern dann ergeben, wenn die Zustimmung der Länder
auf Bund und Länder durch einfaches Bundesgesetz, dazu erholt werden soll, daß der Bund seine nicht
das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, später gedeckten Ausgaben durch Inanspruchnahme eines
erfolgen könne. Später, das hieß zunächst bis zum Teils des Aufkommens der Einkommen- und Kör-
31. Dezember 1952. Dieser Termin ist inzwischen perschaftsteuer deckt, steigern sich infolgedessen
bis zum 31. Dezember 1954 verlängert worden. dadurch, daß einzelne Länder, nämlich die finanz-
schwachen, tatsächlich nur schwer in der Lage sind,
Eine etwaige Neuverteilung der der konkurrie- auf diese Einnahmen und Einkünfte zu verzichten.
renden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Die bisherigen Versuche, im Wege eines inneren —
Bund und Länder, so wie sie Art. 107 des Grundge- horizontalen — Ausgleichs unter den Ländern eine
setzes vorsieht, sollte dabei jedem Teil einen geson- Annäherung der Steuerkraft der Länder zu errei-
derten Anspruch auf bestimmte Steuern oder Steuer- chen, sind steigend Schwierigkeiten begegnet und
anteile entsprechend seinen Aufgaben einräumen. Das haben bis heute zu einem genügenden Ausgleich
Grundgesetz ging also davon aus, daß die Auf- nicht geführt. Es ist wohl ein Verdienst der vergan-
gabenverteilung und damit der Finanzbedarf der genen Jahre, daß bisher offene Konflikte auf die-
einzelnen Teile auch die Grundlage für die endgül- sem Gebiet vermieden wurden und wenigstens dei
tige Verteilung dieser Steuern sein soll. Für die notwendigste Ausgleich geschaffen werden konnte
Bundesregierung ergab sich die Frage, ob sie von Der Bundesanteil, der anfänglich 27 % des Aufkom-
der Bestimmung des Art. 107 des Grundgesetzes mens an der Einkommen- und Körperschaftsteuei
Gebrauch machen soll. Die Bundesregierung bejaht betragen hat, ist im Vorjahr auf 38 % festgesetzt
diese Frage, und zwar aus folgenden Gründen: worden, aber nach hartem Ringen und mit einem
Die Aufgaben, die dem Bund durch die Verfas- für den Bund ungenügenden Ergebnis. Wenn da:
sung zugewiesen sind, insbesondere die im Art. 120 Haushaltsjahr 1953 für den Bund mit einem Fehl-
des Grundgesetzes bezeichneten Aufgaben der Auf betrag abschließen wird, so liegt das mit daran, daß
2, Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 631
(Bundesfinanzminister Schäffer)
der Weg des Art. 106 Abs. 3 nicht den Erfolg ge- eines Verfassungskonfliktes vermieden werden, so
habt hat, daß der Bund die Zustimmung des Bun- mußte daran gegangen werden, von der Bestim-
desrats zu einer Inanspruchnahme an Einkommen- mung des Art. 107 des Grundgesetzes Gebrauch zu
und Körperschaftsteuer hätte erreichen können, machen. Es ist eine sittliche Pflicht jeder Regie-
wie sie notwendig gewesen wäre, um einen Aus- rung, vorausschauend alles Mögliche zu tun, um
gleich des Bundeshaushalts herbeizuführen. staatspolitische Erschütterungen, Verfassungskon-
Man muß sich darüber klar sein, daß eine be- flikte zu vermeiden. Es ist auch die besondere Auf-
trächtliche weitere Steigerung des Bundesanteils an gabe der Finanzpolitik eines Staates, vorausschau-
Einkommen- und Körperschaftsteuer mit der ver- end die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um
fassungsmäßig vorgesehenen Zustimmung des Bun- unzweckmäßige und unnötige Belastungen des
desrats, wenn die jetzige Regelung des Finanz- Steuerzahlers, insbesondere Belastungen der brei-
wesens zwischen Bund und Ländern bliebe, künftig ten Massen, zu vermeiden. Dieses Ziel strebt der
immer mehr Schwierigkeiten begegnen wird. Schon Gesetzentwurf über die Finanzreform an.
für das nächste Jahr würde sich nach menschlicher Das Finanzverfassungsgesetz sieht dabei vor,
Voraussicht bei den heutigen Verhältnissen ein not- daß die Bestimmung des Art. 106 des Grundge-
wendiger Bundesanteil an der Einkommen- und Kör- setzes durch neue Bestimmungen ersetzt wird. Es
perschaftsteuer errechnen, der die Zustimmung des geht zunächst davon aus, daß der Bund Ausgaben,
Bundesrats voraussichtlich nicht finden würde und die zur Ausübung der staatlichen Befugnisse und
bei der Finanzschwäche einzelner Länder vielleicht zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben erforder-
gar nicht finden könnte. Es ist feste Überzeugung lich sind, soweit die Wahrnehmung dieser Aufga-
des Bundesfinanzministers, der ja die Pflicht der ben und Befugnisse Sache des Bundes ist, und die
Vorausschau hat, daß wir mit der Anwendung des in Art. 120 Abs. 1 des Grundgesetzes bezeichneten
Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes — die Festset- Ausgaben selbst trägt; daß andererseits die Länder
zung des Bundesanteils — allmählich an der Grenze die Ausgaben tragen, die zur Ausübung der staat-
dessen angelangt sind, was politisch überhaupt er- lichen Befugnisse und zur Erfüllung der staatli-
reichbar ist. chen Aufgaben der Länder erforderlich sind. Damit
Es könnte aber nicht verantwortet werden, daß ist der Grundsatz, der sich heute schon dem Sinn
der Gesetzgeber über die Steuern des Bundes nach aus dem Grundgesetz ergibt, klar umschrie-
allein unter dem Gesichtspunkt, daß eine Erhöhung ben. Er bedeutet nicht ohne weiteres eine sofortige
des Bundesanteils in ausreichendem Maße nicht Änderung des jetzigen, nicht in allem erfreulichen
mehr möglich wäre, dazu gezwungen würde, auf Zustandes. Diese Bestimmung soll aber Richtlinie
das Gebiet der indirekten Steuern, insbesondere für die Zukunft sein. Sie ist geboren aus dem
Geiste der eigenen Verantwortung für die Finanz-
durch Erhöhung der Umsatzsteuer und der Ver-
brauchsteuern, auszuweichen und damit den Ver- gebarung in Bund und Ländern.
braucher, d. h. die breiten Volksschichten, über- Die Regelung des inneren Verhältnisses zwischen
mäßig zu belasten, während die Ungleichheit und Ländern und Gemeinden kann im Weg des
Ungleichmäßigkeit in der Steuerkraft der einzel- Art. 107 des Grundgesetzes nicht gefunden werden.
nen Länder dazu führt, daß gleichzeitig die einen (Abg. Dr. Menzel: Warum nicht?)
zu wenig Einkünfte, andere Länder aber reichliche
Einkünfte erzielen. Es ist nicht nur nach dem Geist Dazu wäre ein besonderes verfassungänderndes
und Wortlaut des Grundgesetzes, sondern auch Gesetz notwendig.
gerade aus diesem Grunde Aufgabe des Bundes, (Abg. Dr. Gülich: Können wir ja machen!)
einen Ausgleich zwischen steuerschwächeren und — Aber nicht auf Grund des Art. 107. — Der
steuerstärkeren Ländern zu finden. Würde der Gesetzentwurf enthält eine Richtlinie, die sich im
Ausgleich nicht gefunden, so würden wir auch
Rahmen der jetzigen Verfassung hält, indem er in
mehr und mehr auf einen Weg gedrängt, der jetzt
Anlehnung an den jetzigen Art. 106 Abs. 2 des
schon unheilvoll begonnen hat, nämlich den Weg,
Grundgesetzes bestimmt, daß durch die Landes-
Aufgaben, die volkswirtschaftlich notwendig sind,
gesetzgebung zu regeln ist, ob und inwieweit Steu-
wie die Förderung unseres Wirtschaftslebens in
ereinnahmen, die den Ländern zustehen, den Ge-
den verschiedensten Zweigen, und die an sich nach
meinden zufließen.
dem Grundgesetz in den Aufgabenbereich der
Länder gehören, nur deswegen für das ganze Bun- Die vorgesehenen Bestimmungen teilen weiter
desgebiet auf den Bund zu übernehmen, weil ein- die verschiedenen Steuern zwischen Bund und
zelne Länder vielleicht aus finanzieller Schwäche Ländern auf. Eine grundsätzliche Änderung des
nicht in der Lage sind, auf diesen Gebieten das zu jetzigen Zustandes sehen sie bei dieser Steuerver-
leisten, was um der allgemeinen deutschen Volks- teilung nicht vor. Insbesondere ist auch von den
wirtschaft willen geleistet werden muß. Entweder Ländern der Gedanke einer Beteiligung der Länder
führt dieser Weg dazu, daß der Grundsatz des Art. 30 an der Umsatzsteuer des Bundes aufgegeben wor-
des Grundgesetzes, wonach die Ausübung der den. Umgekehrt wurde davon abgesehen, gewisse
staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staat- Verkehrsteuern, die ihrer Natur nach nicht regio-
lichen Aufgaben Sache der Länder ist, auf dem nal bedingt sind, wie z. B. Versicherungsteuer, Ka-
Umweg über finanzpolitische und Haushaltsmaß- pitalverkehrsteuer und Wechselsteuer, etwa dem
nahmen immer mehr ausgehöhlt wird, oder dazu, Bund zu übertragen. Das Schwergewicht liegt
daß immer mehr Bundesgelder ohne unmittelbare darin, daß die Verteilung des Aufkommens an Ein-
Einflußnahme des Bundes von anderen Stellen, kommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund
Ländern und Gemeinden, verwaltet und bewirt- und Ländern künftig endgültig geregelt wird. Das
schaftet werden und damit die Zweckmäßigkeit in Aufkommen an Einkommen- und Körperschaft-
der Verwendung dieser Gelder nicht mehr gesi- steuer soll künftig dem Bund zu 40% und den
chert ist. Schon heute werden Milliarden Bundes- Ländern zu 60% zustehen. Vom Standpunkt des
gelder von Stellen verwaltet, auf die der Bund Bundes aus wäre es wünschenswert gewesen, einen
einen unmittelbaren Einfluß nicht ausüben kann. höheren Anteil des Bundes vorzusehen. Dies hätte
Sollten deshalb in der künftigen Entwicklung aber sicherlich außerhalb des politisch Erreichba-
steigende Schwierigkeiten und sollte die Gefahr ren gelegen.
632 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
Dem Gedanken, den Ländern ein Zuschlagsrecht dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen. Sie soll
für Einkommen- und Körperschaftsteuer zu ge- in der auf das geringstmögliche Maß beschränkten
währen, um, wie es hieß, eine Erstarrung der Ein- Höhe, nämlich mit 2,5 v. H. der Einkommen- und
künfte der Länder zu vermeiden, ist in der Regie- Körperschaftsteuerschuld, erhoben werden. Da-
rungsvorlage nicht Rechnung getragen. Tatsächlich durch ist dem Bund eine gewisse finanzielle Be-
würde das nur dazu führen, daß die steuerschwa- wegungsfreiheit gesichert, die bei dem jetzigen
chen Länder wirtschaftlich noch mehr getroffen Rechtszustand nicht gesichert ist. Auf diesem Wege
würden; könnte auch erreicht werden, daß der jährliche
(Sehr richtig! in der Mitte) Streit über die Höhe des Bundesanteils zwischen
denn sie wären die ersten, die von einem solchen Bund und Ländern entfällt. Er ist nach meiner
Zuschlagsrecht Gebrauch machen müßten. Das Überzeugung zum Schaden beider Teile gewesen.
Wirtschaftsleben in den steuerschwachen Ländern
wäre dadurch noch mehr als bisher im Vergleich Es mußte noch einem weiteren Gedankengang
zu den steuerkräftigeren Ländern gedrosselt und Rechnung getragen werden. Auch das Gesetz, das
getroffen. Es wäre mit einer Abwanderung gerade nach Art. 107 des Grundgesetzes geschaffen wird
gewinnbringender, weil leistungsfähiger Betriebe und das die von dem Grundgesetzgeber nicht ge-
aus den steuerschwachen Ländern zu rechnen, schaffene endgültige Verteilung der Steuern auf
wenn von diesem Zuschlagsrecht Gebrauch gemacht Bund und Länder vornimmt, erhält Verfassungs-
würde, und es würde gerade das verhindert, was kraft. Wir haben in unserer finanzpolitischen Ent-
das Grundgesetz als Aufgabe des Bundes bezeich- wicklung zwar einen gewissen Abschnitt erreicht.
net: nämlich die Leistungsfähigkeit auch der Wir können wohl annehmen, daß die vergangenen
steuerschwachen Länder zu sichern. Jahre die Jahre des Wiederaufbaus gewesen sind
und daß wir uns jetzt den Jahren nähern, in denen
Eine Erstarrung der Einkünfte und finanziellen wirtschaftlich und finanzpolitisch statt der unruhe-
Bewegungsfreiheit der Länder tritt dadurch — vollen und stürmischen Bewegung der letzten
abgesehen davon, daß ihnen reichliche andere Ein- Jahre — wenn außen politisch die Ziele erreicht
nahmequellen noch zur Verfügung stehen — nicht werden, die die Bundesregierung anstrebt —
ein. Die Länder können im allgemeinen damit rech- Jahre einer ruhigeren Entwicklung kommen. Jahre,
nen, daß ihre Aufgaben und Ausgaben in dem Ver- in denen wir mit ganz festen und sicheren Ver-
hältnis wachsen, in dem unser gesamtes Wirt- hältnissen rechnen können, wird unsere Generation
schaftsleben wächst, also etwa entsprechend dem schwerlich mehr erleben. Aber es ist unsere Auf-
Wachsen des Bruttosozialprodukts. Steigt das gabe, daß wir alles mögliche tun, um die wirt-
Bruttosozialprodukt aber, so wird auch das Auf- schaftliche, soziale und finanzpolitische Entwick-
kommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer lung in ruhige Bahnen zu lenken.
steigen, und die Länder haben also schon unter
diesem Gesichtspunkt damit zu rechnen, daß dem Eine Verfassung muß auch nichtvoraussehbaren
Steigen ihrer Aufgaben auch, wenn vielleicht auch Verhältnissen gegenüber die Möglichkeit einer An-
in einem geringen zeitlichen Abstand, ein Steigen passung ohne Verfassungskonflikt bieten. Das
-ihrer Einkünfte aus ihrem Anteil an Einkommen Finanzverfassungsgesetz enthält deshalb auch eine
und Körperschaftsteuer entspricht. Revisionsklausel, die bei den bisherigen Bespre-
Ganz anders liegen die Verhältnisse beim Bund, chungen zwischen den Vertretern des Bundes
der, wie die Vergangenheit leider reichlich be- einerseits, den Vertretern der Länder andererseits
wiesen hat, als Träger der Lasten, die sich aus den Gegenstand von besonders eingehenden Erörte-
Verpflichtungen des deutschen Volkes gegenüber rungen war. Der Gedanke, daß der Grundsatz der
dem Ausland ergeben, und als Träger der Lasten, Steuerverteilung nicht nur für die jetzigen Steuern,
die sich als innere und äußere Kriegsfolgen gerade sondern auch für etwa spätere gleichartige Steuern
auf sozialem Gebiet ergeben, einer häufig sehr gilt, ist dabei selbstverständlich. Es mußte aber
starken stoßweisen Mehrbelastung ausgesetzt ist. auch Vorsorge dafür getroffen werden, daß ent-
Der Bund braucht Bewegungsfreiheit in weitaus weder in den Aufgaben zwischen Bund und Län-
höherem Maße als die Länder, um sich den je- dern künftig eine vorläufig nicht voraussehbare
weiligen neuen Lasten anzupassen. Ich habe schon Verschiebung eintritt oder daß sich die Einnahmen
dargelegt, daß nach meiner Überzeugung der in einer Art entwickeln, die nicht vorausgesehen
jetzige Rechtszustand ihm diese Bewegungsfreiheit werden kann. Gerade auf finanzpolitischem Ge-
nicht mehr gewährt, weil die Erhöhung des Bun- biet hat das Bundesverfassungsgericht in einer
desanteils an Einkommen- und Körperschaftsteuer. Entscheidung schon ausgesprochen, daß bei voller
solange er an die Zustimmung der Länder gebun- Anerkennung des Grundsatzes des Art. 109 der
den ist und solange er sich auch an die Leistungs- Verfassung, der in der Haushaltswirtschaft Bund
kraft der finanzschwachen Länder anpassen muß, und Länder selbständig und unabhängig vonein-
heute schon eine Grenze erreicht hat, die mir nicht ander stellt, doch Bund und Länder ihre Haushalte
mehr sehr steigerungsfähig erscheint. Es mußte des- der Bevölkerung der Bundesrepublik gegenüber
halb ein anderer Weg gegangen werden. Der Bund als eine Einheit zu betrachten haben und daß die
muß die Möglichkeit haben, gerade in Notzeiten Länder sie unter dem Gesichtspunkt der Bundes-
einen Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaft- treue, der Bund sie unter dem Gesichtspunkt der
steuer aus eigenem Recht und ohne an die Zustim- Wahrung des föderativen Aufbaus des Grund-
mung des Bundesrates gebunden zu sein, zu er- gesetzes zu handhaben haben. Das ist eine Richt-
heben. linie, die auch bei der Gesetzgebung zu beachten
Deshalb ist in dem Finanzverfassungsgesetz auf ist, und zwar nicht nur für eine Regelung gegen-
wärtiger Verhältnisse, sondern vorsorglich auch für
Grund des Art. 107 des Grundgesetzes eine Er-
spätere, am heutigen Tag nicht voraussehbare
gänzungsabgabe zur Einkommen- und Körper-
Entwicklungen.
schaftsteuer vorgesehen, deren Erträgnis aus-
schließlich dem Bund zufließt. Die Haushaltslage Das Finanzverfassungsgesetz sieht deshalb für
des Bundes macht es notwendig — ich werde vor beide Teile vor, daß auch ohne Verfassungsände-
Besprechung des Gesetzentwurfs über die Steuer- rung eine Anpassung des in dem Finanzverfas-
reform noch darauf zu reden kommen —, von sungsgesetz vorgesehenen Beteiligungsverhältnisses
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 633
(Bundesfinanzminister Schäffer)
an der Einkommen- und Körperschaftsteuer erfol- auszugleichen. Oder, um ein Beispiel zu sagen: die
gen kann und soll, wenn andernfalls der Bund schon damals gegebene höhere Steuerkraft der
oder die Länder auch bei Ausschöpfung aller ihnen Gebietsteile, die heute z. B. im Land Nordrhein-
sonst gegebenen Möglichkeiten ohne ihr Verschul- Westfalen zusammengefaßt sind, hat dazu bei-
den nicht mehr in der Lage wären, ihre Aufgaben tragen müssen, den Bedarf der steuerschwächeren
zum Wohl des Volkes zu erfüllen. Gebietsteile des Staates Preußen, wie Ostpreußen,
Durch diese neuen Bestimmungen des Finanz- Westpreußen, Pommern usw., zu decken. Diese
Folgewirkung, die sich aus der zentralistischen
verfassungsgesetzes betreffend Art. 106 des Grund- Struktur des Staates Preußen ergeben hat, muß
gesetzes wird der sogenannte vertikale Finanzaus- heute im Wege gegenseitiger Zustimmung durch
gleich zwischen Bund und Ländern festgelegt. Wie
Gesetzgebung gelöst werden. Sie muß gelöst wer-
ich schon betont habe, steht der vertikale Finanz- den nicht nur für die Gebiete des früheren Staates
ausgleich, d. h. die Aufteilung der Steuern zwischen Preußen, sondern für das gesamte Bundesgebiet.
Bund und Ländern und die Festlegung des Bun-
Das setzt einen demokratischen Geist und den
desanteils, in innerem, unmittelbarem Zusammen- Geist der brüderlichen Zusammenarbeit aller
hang mit dem horizontalen Finanzausgleich, dem
Finanzausgleich unter den Ländern. Der horizon- Gliedstaaten des Bundes voraus.
tale Finanzausgleich muß die Voraussetzungen da- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
für schaffen, daß ein vertikaler Finanzausgleich
überhaupt zweckmäßig gestaltet werden kann. Ich habe aus den bisherigen Verhandlungen den
Denn, wie ich schon im Vorhergehenden betont Eindruck, daß auf dem von der Bundesregierung
habe, es bestimmt die Finanzlage gerade des vorgeschlagenen Weg, auch wenn die Länder im
schwächsten Gliedes, also des steuerärmsten Lan- Bundesrat sich vielleicht noch auf gewisse Abän-
des, ob und wie weit bei der Regelung des verti- derungen des Schlüssels selbst einigen, doch der
kalen Finanzausgleichs gegangen werden kann. Der Grundsatz dieses Ausgleichs gefunden ist. Unter
vertikale Finanzausgleich kann also nur dann wirk- dieser Voraussetzung dürften die beiden Gesetz-
lich seine Aufgabe erfüllen, wenn er zwischen entwürfe über die Finanzverfassung, also der Ge-
dem Bund und Ländern erfolgt, die in ihrer setzentwurf über den vertikalen Finanzausgleich
Steuerkraft nicht zu sehr verschieden sind. — das Finanzverfassungsgesetz — wie der über
den Länderfinanzausgleich, als ein Sieg des demo-
Das Gesetz über den Länderfinanzausgleich kratischen und brüderlichen Gedankens innerhalb
sucht das zu sichern und gleichzeitig den sich sonst der föderativen Bundesrepublik gewertet werden.
auch jährlich wiederholenden Streit über den
horizontalen Finanzausgleich zu vermeiden. Sein (Heiterkeit.)
Ziel ist, entsprechend den Bestimmungen des Sie dürfen gewertet werden als ein Unterpfand,
Grundgesetzes die Leistungsfähigkeit auch der das die Entwicklung unserer Verfassung den Kon-
steuerschwachen Länder zu gewährleisten und des- fliktsgefahren, die sich aus den derzeitigen finanz-
halb einen angemessenen finanziellen Ausgleich politischen Bestimmungen des Grundgesetzes er-
zwischen den leistungsfähigen und leistungs- geben könnten, entrückt und einen wesentlichen
schwachen Ländern sicherzustellen. Deshalb werden Beitrag für den inneren Frieden der Bundesrepu-
eine Steuerkraftmeßzahl und eine Ausgleichsmeß- blik leistet.
zahl berechnet. Die Steuerkraftmeßzahl stellt die
wirkliche Steuerkraft des einzelnen Landes fest. Auf Grund des Art. 107 des Grundgesetzes be-
Die Ausgleichsmeßzahl stellt fest, in welchem Ver- steht nunmehr auch die Möglichkeit, die Zuschüsse
hältnis diese individuelle Steuerkraft des einzelnen an die steuerschwachen Länder diesen nicht mehr
Landes zu der Steuerkraft aller Länder im Bun- unmittelbar zu überweisen, wie es Art. 106 Abs. 4
desdurchschnitt steht. Die Begründung des Gesetz- des Grundgesetzes bisher vorgeschrieben hat, son-
entwurfs enthält in sehr unterrichtenden Tabellen dern den horizontalen und den vertikalen Finanz-
die rechnerischen Grundlagen für die Berechnung ausgleich miteinander zu verbinden. Die Leistungen
dieses Schlüssels und stellt in einer Tabelle auch der gebenden Länder werden in der Form erhoben,
das Ergebnis fest. Das Ergebnis ist, daß, während daß der Anteil, den sie aus der Einkommen- und
heute das Land mit der höchsten Steuerkraft Körperschaftsteuer an den Bund abzuführen ha-
137,7 % des Bundesdurchschnitts hat und das Land ben, erhöht wird, während bei den steuerschwäche-
mit der niedrigsten nur 53,9 %, nach Durchfüh- ren Ländern der Anteil, den sie an den Bund ab-
rung des horizontalen Finanzausgleichs das Land zuführen haben, entsprechend ermäßigt wird. Es
mit der höchsten Steuerkraft 117,6 %, das Land kann sich infolgedessen künftig ergeben, daß das
mit der niedrigsten Steuerkraft 89,9 % der Bun- -eine Land aus seinem Aufkommen an Einkommen
desdurchschnittszahl für die Steuerkraft der Län- und Körperschaftsteuer mehr als 40 % zu entrich-
der bekommt. Es ist zwar keine Nivellierung er- ten hat, während ein anderes Land bedeutend
reicht — sie war auch bewußt nicht angestrebt —, weniger, im extremen Fall ein besonders steuer-
aber es ist eine Annäherung unter den Ländern schwaches Land vielleicht gar nichts zu entrichten
erreicht. hat.
Natürlich gibt es hier Gegensätze unter den Das ist nicht nur eine Vereinfachung der Ver-
Ländern, zwischen denen, die geben, und denen, waltung, es ist auch eine Sicherung dafür, daß die
die nehmen. Ich darf aber nach der grundsätzlichen Ausgleichszahlungen tatsächlich und fortlaufend
Seite hin betonen, daß dieser innere Ausgleich unter sofort mit dem Aufkommen von Einkommen- und
den Ländern eine notwendige Folge des födera- Körperschaftsteuer entrichtet werden. Dies macht
tiven Aufbaus der Bundesrepublik ist. Als der besonders sinnfällig, daß es der Bund ist, der den
Staat Preußen noch bestand, war es selbstver- Ausgleich unter den steuerkräftigeren und steuer-
ständlich, daß die — auf den Kopf der Bevölke- schwächeren Ländern vorzunehmen hat. Über die
rung gerechnet — höheren Steuerleistungen einzel- Auswirkungen für die einzelnen Länder wird dann
ner Gebietsteile in die allgemeinen Staatskassen zu reden sein, wenn diese Gesetzentwürfe dem
flossen und dazu benützt wurden, die Steuer- Bundestag nach Beratung im Bundesrat vorgelegt
schwäche anderer Gebietsteile des Staates Preußen und zur Entscheidung unterbreitet werden.
624 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag. den 11. März 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
Das Finanzanpassungsgesetz ist ein Gesetz, das Soweit eine Pauschalierung nicht erfolgt, bleibt
die Gedanken des Finanzverfassungsgesetzes und es bei dem bisherigen System der Interessenquote,
des Länderfinanzausgleichs bereits für die Gegen- die aber von 15 auf 25 % gesteigert wird, um ihre
wart vollzieht. Finanzverfassungsgesetz und Län- Wirkung noch zu vermehren.
derfinanzausgleichsgesetz beruhen auf dem Gedan- Die Entlastungen, die der Bundeshaushalt einer-
ken der Verteilung der Steuerquellen entsprechend seits erfährt, und die Entlastungen, die die Län-
der Verteilung der Aufgaben und Ausgaben auf derhaushalte auf der anderen Seite erfahren, glei-
den Bund und die einzelnen Länder. Das Finanz - chen sich bei diesem System fast aus. Es tritt für
anpassungsgesetz geht von dem Grundsatz aus, die Länderhaushalte nur eine geringe, in der Wir-
daß jeder Teil die zur Ausübung der ihm obliegen- kung kaum beachtliche Mehrbelastung ein. — Da-
den staatlichen Befugnisse und zur Erfüllung der mit habe ich die Betrachtung der Vorschläge für
ihm obliegenden staatlichen Aufgaben erforder- die Finanzreform abgeschlossen.
lichen Ausgaben trägt. Es will den Grundsatz, daß
die Eigenverantwortung gestärkt wird, schon für Ich darf nun übergehen zu den Vorschlägen für
die Gegenwart in die Tat umsetzen. die Steuerreform. Ziel der Finanzreform war die
Stetigkeit der Einnahmen und Ausgaben von Bund
Es bestimmt zunächst, daß bei Ausführung von und Ländern und damit die Möglichkeit, für beide
Bundesgesetzen dann, wenn die Landesbehörden Teile eine vorausschauende Haushaltspolitik zu
hierbei an Weisungen von Bundesbehörden gebun- treiben. Diese war bisher dadurch gestört, daß der
den sind, deren Vollzug den Ländern oder Ge- Bund bei Aufstellung seines Haushalts nie sicher
meinden erhebliche Mehrausgaben verursacht, be- damit rechnen konnte, den im Bundeshaushalt ein-
stimmt werden kann, daß der Bund Zuschüsse zu gesetzten Bundesanteil an Einkommen- und Kör-
diesen Ausgaben leistet. Es bestimmt andererseits, perschaftsteuer wirklich zu erhalten. Die Länder
daß die Entschädigung für Verwaltung von Steuern wußten bei der gleichzeitigen Aufstellung ihrer
und sonstigen Einkünften des Bundes durch die Haushalte nicht, ob sie vom Bund zu einem höhe-
Länder künftig ganz wegfällt und umgekehrt eine ren Bundesanteil an der Einkommen- und Kör-
Entschädigung der Länder für die Verwaltung von perschaftsteuer herangezogen würden, als sie bei
Steuern durch den Bund, wie das bei der Bier- der Aufstellung des Haushalts zugrunde gelegt
steuer der Fall ist, ebenfalls entfällt. Die Zuschüsse hatten. Ziel ist weiter, Verschiebungen in den Auf-
in Höhe von 410 Millionen DM, die der Bund und gaben und Ausgaben zu vermeiden und damit das
die Länder bisher an den Lastenausgleich leisten, Gesamtverhältnis zwischen Bund und Ländern zu
werden jedoch künftig voll auf den Bund über- stabilisieren. Die Stetigkeit in den Einnahmen und
nommen. Ausgaben von Bund und Ländern verlangt aber
Bezüglich der Kriegsfolgenhilfe wird ein neuer gebieterisch auch eine Stetigkeit in der Steuer-
Grundsatz eingeführt. Bisher wurden die sehr gesetzgebung von Bund und Ländern, sie verlangt,
hohen Ausgaben für Kriegsfolgelasten vom Bund daß im Rahmen des Möglichen alles getan wird,
getragen und von den Ländern verwaltet. Damit um die ständige Unruhe in der Steuergesetzgebung,
bestand die Gefahr, daß die Wirtschaftlichkeit und die auch eine Beunruhigung der Wirtschaft ist,
Zweckmäßigkeit bei der Verwaltung dieser Gelder künftig zu vermeiden.
in den Hintergrund treten, da es menschlich ist, Die Bundesregierung setzt damit ihre Politik
daß die Sorgfalt bei der Ausgabe fremden Geldes fort, die sie schon bisher verfolgt hat. Ihr Ziel war,
geringer ist als die Sorgfalt bei der Verwaltung die ihr anvertraute junge Währung vor Erschütte-
eigenen Geldes, für das man eine eigene Verant- rungen zu bewahren, die finanzielle Ordnung im
wortung trägt. Es wird daher für einen großen Staatshaushalt aufrechtzuerhalten. Ihr Ziel war,
Teil dieser Ausgaben ein Pauschalsystem festge- das zu erreichen und trotzdem die aus den Jahren,
legt. Das heißt, der Bund zahlt im wesentlichen als die Besatzungsmacht die deutschen Steuerge-
einen Pauschbetrag, der den nachgewiesenen Aus- setze erlassen hatte, übernommene Überbelastung
gaben des Jahres 1953 entspricht. des deutschen Steuerzahlers möglichst zu ermäßi-
gen und tragbar zu gestalten und die wirtschaftlich
Die verwaltenden Stellen, Länder und Gemein- lähmenden Folgen einer Überbelastung des Steuer-
den, haben also den Vorteil, bei sorgsamer und zahlers zu vermeiden.
zweckmäßiger Verwaltung der Gelder ohne Auf-
wand eigener Mittel höhere Leistungen vollbrin- Wir haben aus diesem Grunde in den letzten
gen zu können; sie haben den Nachteil, daß sie Jahren die Steuerreformen der Jahre 1951 und
bei wenig sorgfältiger und wenig zweckmäßiger 1953 durchgeführt. Die Bundesregierung setzt
Verwendung der Gelder mit einem Zuschuß aus ihren Weg fort. Sollte das Ziel der Stetigkeit der
eigenen Mitteln zur Erfüllung der Aufgabe rech- Steuergesetzgebung erreicht werden, so mußte zu-
nen müssen. Die Gesamtverwaltung hat den Vor- nächst das gesamte Steuersystem daraufhin über-
teil, daß die Pauschalierung zu einer beträchtlichen prüft werden, ob ein Anlaß zu einer grundsätz-
Rationalisierung des behördlichen Apparats führt. lichen Änderung des Steuersystems besteht oder
Bei der Kriegsfolgehilfe ist das Pauschalierungs- ob das Steuersystem grundsätzlich beibehalten
system so gewählt, daß es von Jahr zu Jahr pro- werden kann mit den notwendigen Anpassungen
zentual sinkt, um ab 1. 4. 1965 wegzufallen. an die Forderung unserer Zeit, nämlich es so zu
gestalten, daß die Steuern dauernd getragen wer-
Im Jahre 1965 sind wir zwanzig Jahre vom Ende den können.
des Krieges entfernt, und wie schon heute die Auf- (Vizepräsident Dr. Schneider übernimmt
wendungen für Kriegsfolgen im Verhältnis zu den den Vorsitz.)
Aufwendungen für allgemeine Fürsorge von 63,8 %
im Jahre 1949 auf 43,7 % der Gesamtaufwendun- Zu diesem Zweck haben sich verschiedene Gut-
gen gesunken sind, so muß damit gerechnet wer- achterkreise mit der Überprüfung des gesamten
den, daß sie noch weiter Jahr für Jahr sinken, Steuersystems befaßt. Der Öffentlichkeit sind die
um zwanzig Jahre nach Kriegsende, also fast im Vorschläge des Wissenschaftlichen Beirats des
Laufe einer Generation, wegzufallen. Bundesfinanzministeriums, die Vorschläge des In-
2. Deutscher Bundestag - 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 635
(Bundesfinanzminister Schäffer)
stituts für Steuern und Wirtschaft und die Vor- die bisherigen individuellen Steuervergünstigun-
schläge der Sachverständigen der Länder, die so- gen mit Subventionscharakter eine verschieden-
genannten „Diskussionsbeiträge", zugegangen. artige Steuerbelastung ergeben, die in erster Linie
Alle Gutachten sind zu einer gemeinsamen Er- besonders geschickten und gerade zahlungskräf-
kenntnis gekommen, daß nämlich von einer grund- tigen Personen zugute gekommen ist,
legenden Änderung und einem grundlegenden Um- (Hört! Hört! bei der SPD)
bau unseres Steuersystems abgesehen werden soll.
Die Vorschläge, etwa Einkommen- und Körper- soll jetzt im Zusammenhang mit einer allgemeinen
schaftsteuer ganz oder doch überwiegend abzu- Tarifsenkung auch durch einen völlig gleichmäßi-
schaffen und durch eine Erhöhung der Umsatz- gen Tarif die höchstmögliche Gleichmäßigkeit ge-
steuer auszugleichen, also grundsätzlich an Stelle wonnen werden.
der Besteuerung nach Einkommen und Gewinn Die Steuerbelastung soll auch den Grad, der an-
und damit nach der individuellen Leistungsfähig- gesichts der Not, die durch den Krieg geschaffen
keit des einzelnen eine Besteuerung nach dem worden ist, unbedingt erforderlich ist, nicht über-
Verbrauch des einzelnen zu setzen und damit den steigen. Das soll geschehen einmal durch Anpas-
Umsatz an lebensnotwendigen Waren zum Steuer- sung der Freibeträge an die heutige Auffassung,
maßstab zu machen, sind abgelehnt worden. was als Mindesteinkommen zu betrachten ist, und
dann durch einen gleichmäßigen Aufbau der Pro-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) gression in der Belastung bei Einkommen- und
Auch die Bundesregierung muß eine Gesetz- Erbschaftsteuer. Die Steuerbelastung soll weiter
gebung ablehnen, die sich auf solche Gedanken die Gefahr vermeiden, daß das wirtschaftliche Ver-
aufbauen und den kleinen Verbraucher, insbeson- halten des einzelnen sich nicht danach richtet, was
dere auch die kinderreiche Familie, mehr belasten er nach wirtschaftlicher Vernunft und nach den
würde als Kreise, die ein hohes Einkommen oder volkswirtschaftlichen Gesetzen zu tun hätte, son-
hohen Gewinn erzielen und bei denen der der all- dern danach, wie er sich dem Zugriff der Steuer
gemeinen Besteuerung unterliegende Lebensver- möglichst entziehen kann.
brauch im Gegensatz zum Durchschnitt der Bevöl- (Sehr richtig! rechts.)
kerung nur einen kleinen Teil ihrer Lebenshal-
tungskosten überhaupt ausmacht. Bei dieser Steuerreform ist das Ziel angestrebt
worden, dem Großteil der Steuerzahler das Ge-
(Beifall in der Mitte.) fühl zu belassen, daß ihm auf alle Fälle auch nach
Abzug seiner Einkommen- und Körperschaftsteuer
Das Verhältnis der direkten zur indirekten Be- mehr bleibt, als der Steuerträger an sich nimmt.
steuerung im Bundesgebiet ist heute etwa 50 zu Das Einkommen und der Gewinn, den er durch
50. Dieses Verhältnis ist gesund. Es besteht kein zweckmäßige wirtschaftliche Gestaltung seiner
Anlaß, hier durch die Gesetzgebung Änderungen Arbeit erworben hat, soll ihm auch überwiegend
grundsätzlicher Art vorzunehmen. verbleiben. Der Anreiz, volkswirtschaftlich un-
Auch die Wünsche auf grundsätzlichen inneren nötige Ausgaben der Steuer wegen zu machen,
Umbau der Umsatzsteuer, wie sie von manchen soll gemindert, gesundes wirtschaftliches Denken
Wissenschaftlern vorgelegt worden sind, sind nicht geweckt werden. Dadurch soll sich eine für die
übernommen worden, zumal die Durchführung gesamte deutsche Volkswirtschaft nützliche Wir-
dieser Vorschläge eine erneute starke Beunruhi- kung ergeben, weil das wirtschaftliche und zweck-
gung in das Leben unserer Wirtschaft getragen mäßige Verhalten aller Steuerzahler zusammen
hätten, die nun einmal in allen Berechnungen und der Volkswirtschaft dient und das Bruttosozial-
wirtschaftlichen Kalkulationen auf dem jetzigen produkt stärkt.
System der Umsatzsteuer aufbaut. Niemand kann daneben mit mehr innerer Über-
Die Bundesregierung hat sich daher entschlos- zeugung und Wärme denn der Finanzminister
sen, an dem bestehenden Steuersystem grundsätz- selbst als Ziel einer solchen Steuerreform noch den
lich festzuhalten und die Änderungen zu treffen, Wunsch aussprechen, daß die Steuergesetzgebung
die ihr notwendig erscheinen, um eine Steuer- vereinfacht und auch für den Steuerzahler ver-
belastung zu erreichen, von der anzunehmen ist, ständlicher gemacht wird; denn niemand weiß
daß sie von unserer Wirtschaft für längere Dauer besser als er, wie unter dieser unruhevollen,
getragen werden kann. wechselnden, unverständlichen und unübersicht-
lichen Gesetzgebung gerade die Steuerverwaltung
Die Steuerreform bringt infolgedessen eine neue, bei der Einhebung der Steuern leidet.
beträchtliche Ermäßigung der Steuerlast. Auf der
anderen Seite sucht sie das schon in der Steuer- Das Gesetz über die Neuordnung der Steuern
reform 1953 verfolgte Ziel aufrechtzuerhalten und enthält Vorschriften über die Reform der Einkom-
weiterzuführen, die Steuergesetzgebung zu verein- men- und Körperschaftsteuer, über Änderungen
fachen und zu diesem Zweck die Steuervergünsti- -im Wohnungsbauprämiengesetz, in der Gewerbe
gungen möglichst einzuschränken. Wir dürfen nicht und Erbschaftsteuer. Außerdem wird Ihnen vor-
vergessen, daß die Steuervergünstigungen seiner- gelegt werden ein Gesetz bezüglich der Beibehal-
zeit deshalb eingeführt worden sind, weil die tung des Berliner Notopfers und ein Gesetz über
Steuertarife in den Jahren, als die Gesetzgebung die Änderung des Umsatzsteuergesetzes, ferner
in den Händen der Besatzungsmacht lag, nicht so das von mir schon erwähnte Gesetz über eine Er-
ermäßigt werden konnten, wie sie hätten ermäßigt gänzungsabgabe zur Einkommen- und Körper-
werden müssen, und daß deshalb damals eine schaftsteuer, das ja das innere Bindeglied zu den
ganze Reihe von Steuervergünstigungen geschaffen Vorschlägen für die Finanzreform darstellt. Ich
wurden, damit die größten Schäden einer Über- darf die kleineren Gesetze vorausnehmen.
belastung der Wirtschaft durch Steuern vermieden Das Wohnungsbauprämiengesetz enthält im
werden konnten. wesentlichen eine Anpassung der Bestimmungen
Es soll infolgedessen eine erhöhte Gleichmäßig- dieses Gesetzes an die übrigen Gesetze und Einzel-
keit der Besteuerung erreicht werden. Während heiten, über die bei der Einbringung der Gesetz-
6 36 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
entwürfe, nicht aber heute zu sprechen ist. Heute den als Hinweis und als stete Erinnerung für jeden
genügt die Feststellung, daß das Wohnungsbau- einzelnen Deutschen an seine Brüder in Westberlin.
prämiengesetz im wesentlichen unverändert bei- Westberlin soll die Überzeugung behalten, daß die
behalten wird. Bevölkerung des deutschen Bundesgebiets das ihr
Das gleiche gilt von dem Abschnitt über die Mögliche tut, um Wirtschaft und Sozialleben der
Änderung der Gewerbesteuer. Auch diese enthält Stadt Berlin auf dem gleichen Stand wie im übri-
im wesentlichen Anpassungen an die Änderung gen deutschen Bundesgebiet zu halten.
des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes.
Der Gesetzentwurf zur Änderung des Umsatz-
Der Gesetzentwurf über die Änderung der Erb- steuergesetzes bringt ebenfalls keine sehr wesent-
schaftsteuer enthält dagegen wesentliche Milderun- liche Änderung. Das Bundesfinanzministerium
gen der Steuersätze. Auf der einen Seite werden hätte zwar gewünscht, daß das Wesen der Umsatz-
die Freibeträge erhöht, auf der andern Seite wird steuer stärker hätte betont werden können. Die
der Tarif so umgestaltet, daß eine erhebliche Sen- Umsatzsteuer ist eine Steuer, die vom Entgelt er-
kung der Erbschaftsteuer eintritt. Die Erhöhung hoben wird und die grundsätzlich abwälzbar ist.
der Freibeträge wirkt sich als Entlastung gegenüber Sie ist deshalb eine Steuer, die an sich auf Gesichts-
der jetzt bestehenden Steuer hauptsächlich bei klei- punkte wie Gemeinnützigkeit, Wohltätigkeit etc.
neren und mittleren Nachlässen aus und wird die keinerlei Rücksicht nehmen könnte. Die Bundes-
Zahl der Fälle mehren, in denen überhaupt keine regierung hat aber unter den heutigen Verhältnis-
Steuer erhoben wird. Die Umgestaltung des Tarifs sen noch davon abgesehen, diesen Wesenszug der
kommt hauptsächlich größeren Nachlässen zugute. Steuer etwa dadurch zu betonen, daß die entspre-
Für die Steuerklassen I und II, also Vererbung auf chenden Befreiungsvorschriften in dem heutigen
Kinder und Ehegatten, werden wieder die Frei- Gesetz beseitigt worden wären. Sie bleiben. Der
beträge von 1934 eingeführt. Bei den Steuerklassen Bundesfinanzminister möchte aber doch die gesetz-
III und IV werden die Freibeträge wesentlich er- gebenden Körperschaften bitten, auf diese Wesens-
höht. Als Beispiel sei festgestellt, daß bei einem art der Umsatzsteuer bei kommender Gesetzgebung
Erwerb eines einzelnen Erben im Wert von besonders Rücksicht zu nehmen.
30 000 DM in der Steuerklasse I künftig keine
Steuer mehr zu zahlen ist, während die Steuer bis- Der starke Ausfall an Einnahmen, den die Sen-
her 400 DM betrug. Bei einem Erwerb von kung der Tarife bei Einkommen- und Körperschaft-
60 000 DM durch den einzelnen Erben beträgt nach steuer auch für den Bundeshaushalt bedeuten
dem neuen Tarif die Erbschaftsteuer 1600 DM statt wird, hat es notwendig gemacht, bei der Umsatz-
bisher 2800 DM. Bei einem Erwerb in Höhe von steuer in einem Punkt eine Erhöhung des Steuer-
600 000 DM beträgt sie nach dem neuen Tarif satzes vorzuschlagen. Das ist die Erhöhung des
78 600 DM statt bisher 104 400 DM. Auf die Einzel- Steuersatzes für den Großhandel von bisher 1 auf
heiten ist einzugehen, wenn das Gesetz nach- Durch- 1,5 0/o. Die sich daraus errechnende Mehreinnahme
gang im Bundesrat dem Bundestag vorgelegt wird. ist unbedingt notwendig, um das haushaltswirt-
schaftliche Risiko der großen Steuersenkung er-
Zu dem Gesetzgebungswerk über die Steuer- träglich zu gestalten. Dieser Steuersatz bleibt dann
reform gehört auch ein Gesetzentwurf zur Erhe- immer noch unter dem, was in anderen Ländern,
bung der Abgabe „Notopfer Berlin". Eine wesent-
die das deutsche System der Umsatzsteuer haben,
liche Änderung des bisherigen Zustands wird durch
beim Umsatz im Großhandel erhoben wird. Die Er-
diesen Gesetzentwurf nicht angestrebt. Die durch höhung von 1/2% ist auch sicherlich nicht von einer
die Bundesregierung zu entscheidende grundsätz-
solchen Bedeutung, daß sie vom Großhandel nicht
liche Frage war, ob diese Abgabe beizubehalten ist ohne Schaden für die Wirtschaft abgewälzt oder
und ob sie unter dem alten Namen der Abgabe
allenfalls getragen werden könnte.
„Notopfer Berlin" beizubehalten ist. Die Abgabe
hat derzeit bereits ein Erträgnis von mehr als Daneben sieht der Gesetzentwurf eine Anpassung
800 Millionen DM im Jahr. Sie ist finanzwirtschaft- sowohl zugunsten des Steuerpflichtigen wie zuun-
lich unentbehrlich. Ihr Wegfall hätte es unmöglich gunsten der Steuerpflichtigen bei der Lieferung
gemacht, die starke Senkung der Einkommen- und von Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme vor. Es
Körperschaftsteuer, die vorgesehen ist, wirklich zu sollen damit gleiche Wettbewerbsverhältnisse unter
machen. Sie muß auch ihrer Natur nach beibehalten den öffentlich-rechtlichen und privaten Betrieben
werden und konnte nicht in die Einkommen- und geschaffen werden.
Körperschaftsteuer eingebaut werden, weil sie ja Damit darf ich nun zu dem Teil des Gesetzent-
sonst zu einer Steuer geworden wäre, deren Ertrag wurfs über die Neuordnung von Steuern übergehen,
Bund und Ländern im Verhältnis von 40 zu 60 zu- der die öffentliche Anteilnahme wohl besonders er-
fließen würde. Sie muß das bleiben, was sie bis- weckt. Es sind das die geplanten Änderungen in
her war: eine Abgabe, die der Bund, d. h. die Be- der Gesetzgebung der Einkommen- und Körper-
völkerung des gesamten Bundesgebietes in ihrem schaftsteuer. Schon bei der Steuerreform des Jahres
Treueverhältnis zur Stadt Berlin leistet. Unsere 1953 war es das Ziel, eine Senkung der Steuerlast
Hoffnungen und Wünsche, die sich an die Berliner durch eine Senkung der Tarife zu erstreben und
Konferenz geknüpft haben, die Stadt Berlin möge gleichzeitig durch Wegfall der früher sehr zahlreich
wieder zu einer deutschen Stadt im Gebiet eines festgelegten Vergünstigungen eine Vereinfachung
einheitlichen deutschen Staates werden, sind noch der Gesetzgebung und innere Gerechtigkeit der
nicht in Erfüllung gegangen. Wir müssen dieser Steuergesetze zu erreichen. Der neue Gesetzent-
Stadt, die zum Symbol des freien deutschen Geistes wurf hält an diesem Ziel fest. An dem Wegfall der
im Kampf gegen eine Welt der Unterdrückung ge- Vergünstigungen, der in dem Gesetz des Jahres 1953
worden ist, auch weiterhin unsere Treue besonders festgelegt ist, wird festgehalten. Infolgedessen fal-
bekunden. len auch zu dem bereits im Gesetz vom Jahre 1953
(Beifall im ganzen Hause.) vorgesehenen Termin die Vergünstigungen des
Deshalb ist nicht nur die Abgabe als solche, sondern §7c
auch der Name „Notopfer Berlin" beibehalten wor (Hört! Hört! bei der SPD)
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 637
(Bundesfinanzminister Schäffer)
und des § 7 d des Einkommensteuergesetzes weg. Steuerreform des Jahres 1953 gezeigt. Während die
Um eine Schädigung des Wohnungsbaus zu vermei- Lohnsumme im zweiten Rechnungsvierteljahr
den, hat sich die Bundesregierung entschlossen, vor- gegenüber dem gleichen Vierteljahr 1952 um 10 %
zuschlagen, in der Neufassung des Wohnungsbau- weiter zunahm, ist das Lohnsteueraufkommen um
prämiengesetzes eine Bestimmung vorzusehen, die 5,8% gesunken. Im dritten Rechnungsvierteljahr
sachlich zur Folge hat, daß die Leistungen des Bun- 1953 stieg die Lohnsumme gegenüber dem gleichen
deshaushalts für den Wohnungsbau um jährlich bis Vierteljahr 1952 um 13,1%, während das Lohn-
zu 60 Millionen DM erhöht werden. Die Bundes- steueraufkommen um 4,2% gesunken ist. Im vier-
regierung hat sich auch entschlossen, bei der Bera- ten Rechnungsvierteljahr 1953 ist das Lohnsteuer-
tung des Ihnen, meine sehr geehrten Damen und aufkommen — einschließlich des Monats März, für
Herren, zur Zeit vorliegenden Gesetzes über die den nur eine Vorschätzung vorliegen kann — um
Förderung des Kapitalmarktes für eine längere Bei- 2,4% gegenüber dem gleichen Vierteljahr des Jah-
behaltung der Steuerfreiheit der sozialen Pfand- res 1952 gesunken. Die Lohnsumme des vierten
briefe einzutreten und die dazu notwendigen wei- Rechnungsvierteljahres 1953 liegt noch nicht vor.
teren Änderungen in diesem Gesetz zu befürwor- Für die veranlagte Einkommensteuer können
ten. Sie glaubt, daß damit die Voraussetzungen ge- Zahlen heute nicht gegeben werden. Das Bild ist
schaffen werden, um trotz Wegfalls des § 7 c den bei der veranlagten Einkommensteuer deshalb nicht
Wohnungsbau in dem notwendigen und geplanten klar, weil hier die Nachzahlungen früherer Jahre
Umfang fortführen zu können. nach den früheren Tarifen eine große Rolle spielen.
Der neue Gesetzentwurf sieht daneben den Weg-
fall einzelner kleinerer Vergünstigungen vor. Je- Der Bundesminister der Finanzen darf wohl,
doch hat sich die Bundesregierung — wenn auch nachdem sich die Berechnungen über den Steuer-
nicht leichten Herzens — entschlossen, den Frei- ausfall bei der kleinen Steuerreform als richtig er-
betrag des § 13 des Einkommensteuergesetzes in wiesen haben, annehmen, daß auch die Berechnun-
Höhe von 1000 DM für die nichtbuchführenden gen für den Ausfall, der infolge der neuen Sen-
Landwirte vorerst beizubehalten. kung der Tarife zu erwarten ist, richtig sind.
Die Bundesregierung macht in dem Gesetzent- Die neue Senkung der Tarife hat, wie bereits
wurf Vorschläge in der seinerzeit viel umstritte- betont, das Ziel, die wirtschaftliche Initiative zu
nen Frage der gemeinsamen Besteuerung von Ehe- steigern und dazu beizutragen, die Betriebsausgaben
gatten, von denen sie hofft, daß sie nunmehr auf nur nach den Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft,
Verständnis in der Öffentlichkeit stoßen. Diese nicht nach dem Grundsatz der Steuerflucht zu ge-
Frage erhält j a durch die Senkung der Tarife ein stalten. Sie hat damit auch das Ziel einer Besse-
ganz neues Gesicht, und, ohne ironisch zu werden, rung der Steuermoral. Es kann bei tragbaren Tari-
darf ich betonen, daß die neue Regelung auch dem fen von jedem Steuerzahler verlangt werden und
Gedanken der Gleichberechtigung zwischen Mann muß verlangt werden, daß er seine Steuerverpflich-
und Frau besser entspricht. tungen nach dem Gesetz ehrlich und redlich er-
Auf die übrigen Bestimmungen, die zum Groß- füllt. Die Senkung der Tarife hat weiterhin das Ziel,
teil auch technischer Natur sind und den Zweck der in noch stärkerem Maße als bisher auch den brei-
Vereinfachung haben, brauche ich hier, wo es sich ten Schichten die Möglichkeit zu geben, entweder
nur um die Darlegung der Grundgedanken handelt, ihren Verbrauch zu steigern oder zu einer stärke-
nicht einzugehen. ren Bildung von Ersparnissen beizutragen. Sie will
Das Kernstück des Gesetzentwurfs ist die Neu- in den Willensentschluß des einzelnen Verbrauchers
gestaltung der Tarife. Wir haben bereits im Jahre dabei nicht eingreifen. Sie hofft aber, daß die Mil-
1953 eine Senkung der Tarife um rund 15% vor- liardenbeträge, die den Steuerzahlern künftig ver-
genommen. Wenn ich heute rückschauend, soweit bleiben, zum großen Teil zu einer stärkeren Bil-
das bereits möglich ist, die haushaltswirtschaftliche dung von Ersparnissen führen und insbesondere
Auswirkung dieser Steuersenkung des Jahres 1953 damit auch zu einer Belebung des Kapitalmarkts.
betrachte, so darf ich feststellen, daß nach dem Er- Die Bundesregierung hofft, daß infolge der Bele-
gebnis von heute die Schätzungen des Bundesfinanz- bung des Kapitalmarkts mehr und mehr nicht nur
ministeriums sich als richtig erwiesen haben. im Bund, sondern insbesondere auch in den Län-
Wir hatten zunächst für das Jahr 1953 mit einem dern die öffentlichen Investitionen nicht mehr durch
Aufkommen von 4200 Millionen DM aus Lohnsteuer Steuergelder gedeckt werden müssen,
im Bundesgebiet gerechnet. Wir haben dann unter (Sehr gut! bei der CDU/CSU)
Berücksichtigung der vorgesehenen Steuerreform
diesen Ansatz auf 3650 Millionen DM herunterge- sondern daß sie auf dem Weg über den Kapital-
setzt. Dieser so berechnete Ansatz wird durch das markt durch Anleihen bestritten werden können,
tatsächliche Aufkommen des Jahres 1953/54 be- zu deren Verzinsung und Bildung auch die kom-
stätigt. menden Generationen mitzutragen haben, denen
Von den verschiedenen Arten der Einkommen- die Frucht dieser Investitionen zugute kommt.
steuer läßt sich ein klares Bild für die Entwicklung (Beifall bei der CDU/CSU.)
nur bei der Lohnsteuer zeichnen.
Sie hofft, damit für die weitere Zukunft eine Ent-
Die Lohnsteuer hat im ersten Rechnungsviertel-
lastung des öffentlichen Haushalts zu erreichen, die
jahr 1953 eine Zunahme gegenüber dem gleichen
Rechnungsvierteljahr 1952 um 14,1 % gebracht. Die das Wagnis, das in der Tarifsenkung liegt, recht-
Lohnsummen sind im gleichen Vierteljahr gegen- fertigt.
über dem entsprechenden Vierteljahr 1952 um Sie hofft, daß der Anreiz, Betriebsausgaben künf-
11,6% gestiegen. Das Lohnsteueraufkommen stieg tig nicht unter dem Gedanken der Steuerflucht,
also damals stärker als die Lohnsumme, was eine sondern nach den Gesetzen wirtschaftlicher Ver-
Folge des progressiven Aufbaus der Lohnsteuer ist. nunft zu gestalten, dazu beiträgt, das Erträgnis der
Mit Beginn des zweiten Vierteljahrs haben sich Volkswirtschaft zu steigern und damit auch die
die Auswirkungen der Tarifsenkungen der kleinen Steuerkraft der Gesamtheit zu steigern.
638 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
Ich darf aber bemerken, daß allen diesen Be- dem Bundeshaushalt nicht zur Verfügung stehen,
mühungen Grenzen gezogen sind. Die eine Grenze sondern durch Verpflichtungen, die die Besatzungs-
liegt zunächst schon darin, daß ein Volk, dessen mächte bereits eingegangen sind, restlos verfügt
Regierung, wenn sie auch eine Regierung von Ver- und täglich fällig sind.
brechern gewesen ist, einen Krieg begonnen und Der Bundesminister der Finanzen hat sich
diesen Krieg mit einem Zusammenbruch hat enden pflichtgemäß auch Gedanken darüber gemacht, ob
lassen, ein Volk, das infolgedessen heute in vielem das haushaltswirtschaftliche Wagnis einer Tarifsen-
noch auf Hilfe und Unterstützung anderer groß- kung in dem Umfang, wie sie vorgenommen wird,
herziger Völker angewiesen ist, in seiner Steuer- auch getragen werden kann. Er muß hier offen ge-
belastung nicht unter der Belastung der Sieger- stehen, daß unter diesem Gesichtspunkt das Wag-
staaten liegen kann. nis ihm ein sehr großes erscheint. Selbst wenn sich
(Richtig! bei der CDU/CSU.) für den Bundeshaushalt 1955 keine Mehrausgaben
ergeben als die, die heute schon als sicher voraus-
Ich weiß und niemand braucht das zu betonen,
gesehen werden können, so muß der Bundesmini-
daß Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht die
ster der Finanzen heute schon feststellen, daß die
einzigen Steuerlasten sind, die die deutsche Wirt-
Abgleichung des Haushalts 1955/56 noch wesentlich
schaft trägt. Ich weiß, daß wir daneben nicht nur
höheren Schwierigkeiten begegnen wird, als es
die Last der indirekten Steuern, insbesondere der
heim Haushalt 1954/55 bereits der Fall gewesen
Umsatzsteuer, tragen, die in diesem Umfang das
ist.
Ausland vielfach nicht kennt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Daher Ein
Ich weiß, daß auf dem Gebiet der direkten sparungen!)
Steuern neben Einkommen- und Körperschaftsteuer
Die Steuersenkung wird einen verstärkten Appell
noch das Berliner Notopfer, die Ergänzungsabgabe an die Öffentlichkeit erfordern, dem Staat nicht
und insbesondere die Vermögensabgaben für den mehr Ausgaben zuzumuten, als unbedingt notwen-
Lastenausgleich zu berücksichtigen sind.
dig sind, und sie wird im Staatswesen den Zwang
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) zur Sparsamkeit noch mehr verstärken müssen,
Ich kann deshalb feststellen, daß die gesamte (Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich!)
Steuerlast, die die deutsche Bevölkerung trägt, im- als dies bisher der Fall gewesen ist.
mer noch über der Steuerlast anderer Völker liegt;
(Beifall bei der CDU/CSU.)
aber trotzdem muß damit gerechnet werden, daß
bei gleichen Steuerarten, die in allen Ländern das Unter diesem Gesichtspunkt muß ich erklären, daß
Hauptstück der Besteuerung darstellen, das Aus- die vorgenommene Senkung der Tarife das äußerst
land Tarif zu Tarif vergleicht, und ich darf mit Mögliche ist, was die Bundesregierung wagen kann,
einer gewissen Mahnung betonen, daß, wenn die und daß ich nur die Hoffnung aussprechen darf,
neuen Tarife Gesetz werden, die deutschen - Tarife daß dieses Wagnis nicht durch vielleicht unver-
zum Teil unter den Sätzen liegen, die in ande- nünftige Forderungen einzelner Beteiligter ins Un-
ren, reichen Ländern heute noch erhoben werden. verantwortliche gesteigert wird.
Wenn man dabei darauf hinweist, daß wir gleich- Der neue Steuertarif für die Einkommensteuer
zeitig die Steuervergünstigungen aufheben, wäh- unterscheidet sich schon in seinem Aufbau von den
rend andere Länder z. B. das sogenannte splitting bisherigen Steuertarifen. Er ist seinem Wesen
haben, das in seiner Wirkung eine wesentliche Er- nach — wie bisher — progressiv. Das entspricht
mäßigung der Tarife für Verheiratete bedeutet, so dem Grundsatz der Gerechtigkeit, da bei hohen
ist das wohl richtig, schließt aber die Gefahr eines Einkommen der für den Lebensbedarf notwendige
falschen Vergleichs nur von Tarif zu Tarif nicht Teil einen geringeren Hundertsatz des Gesamtein-
aus. Es ist daher bei der Tarifgestaltung auch auf kommens bedeutet als bei niedrigen Einkommen.
die internationale Betrachtung Wert zu legen, und Der neue Steuertarif ist ein sogenannter Formel-
ich muß betonen, daß allein schon unter diesem tarif, er ist nach einer mathematischen Formel auf-
Gesichtspunkt die neuen Tarife die äußerste Grenze gestellt mit dem Ziel, Sprünge und Brüche zu ver-
dessen darstellen, was möglich erscheint. meiden und die Progression automatisch von Mark
Sie stellen auch die äußerste Grenze dessen dar, zu Mark Mehreinkommen steigen zu lassen. Wäh-
was haushaltswirtschaftlich möglich ist. Der Bun- rend alle bisherigen Tarife gewisse Ausbuchtungen
desfinanzminister weiß, welche Schwierigkeiten zeigten zugunsten und zuungunsten irgendwelcher
sich schon für das Rechnungsjahr 1954 ergeben ha- Einkommensschichten, folgt der neue Tarif stetig
ben, den Bundeshaushalt abgeglichen vorzulegen, der mathematischen Regelmäßigkeit, stellt also
und welche Schwierigkeiten sich noch ergeben wer- keine willkürlich gewählte Kurve mehr dar.
den, diese Abgleichung des Bundeshaushalts durch-
zuhalten. Zu dem neuen Steuertarif treten Erhöhungen der
Freibeträge. Die Pauschbeträge für Werbungs-
Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich kosten und Sonderausgaben sind unverändert ge-
betonen, daß der Bundeshaushalt irgendwelche ver- blieben. Die Freibeträge sind dagegen erhöht wor-
steckten Kapitalien nicht kennt. Der deutsche Bun- den, und zwar gerade unter dem Gesichtspunkt
desminister der Finanzen legt der Öffentlichkeit der Begünstigung kinderreicher Familien.
monatlich auf Mark und Pfennig die Ausweise über
seine Ausgaben und seine Einnahmen vor. Er (Beifall bei den Regierungsparteien.)
weist auf Mark und Pfennig aus, wie der Kassen- Ich habe, als ich einmal im Kreise der Länder-
stand im einzelnen Monat und Vierteljahr ist, und finanzminister saß und dort einen Bericht über das
jeder weiß, daß die rückständigen Besatzungskosten Gutachten der Sachverständigen der Länder hörte,
in ihrer Höhe den Kassenbeständen des Bundes ein Scherzwort vernommen. Der Berichterstatter
fast gleichkommen und daß diese rückständigen hat erklärt, daß es sich um einen von Sachverstän-
Besatzungskosten leider Gottes, wie verschiedent- digen aufgestellten Bericht handle, der, wie alles,
lich in der Öffentlichkeit auf Grund von Erklärun- was von guten Sachverständigen bearbeitet wird.
gen der Besatzungsmacht betont werden mußte, in nüchternem Ton gehalten sei; nur an einer Stelle
2. Deutscher Bundestag - 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 639
(Bundesfinanzminister Schäffer)
werde dieser Bericht fast lyrisch, nämlich an der bei einem Einkommen von über 4000 DM 35,4 %,
Stelle, wo die Sachverständigen über die Notwen-
digkeit sprechen, die kinderreiche Familie in der (erneuter Zuruf des Abg. Seuffert: Prozent
von was?)
Steuergesetzgebung zu berücksichtigen und zu be-
günstigen. bei einem Einkommen von über 5000 DM 26,6 %,
Die Bundesregierung hat vielleicht nicht den lyri- von 6000 DM ab 23,7 %, von 8000 DM ab 25,3 %,
schen Ton, (wiederholte Zurufe von der SPD: Prozent
(Abg. Mellies: Ach, heute morgen doch, Herr von was?)
Minister! Sie haben's ganz gut gekonnt!) - der gesamten Steuer natürlich;
aber doch den Grundgedanken dieses Sachverstän- (Abg. Seuffert: Aha, der Steuer!)
digengutachtens auch hier übernommen. Es war
ihr Bestreben, bei den Freibeträgen gerade mit ich weiß nicht, was man, wen man über eine
Rücksicht auf die kinderreiche Familie soweit zu Steuerermäßigung spricht, anderes erlassen kann
gehen, als nur möglich erschien. als die Steuern -,
(Hört! Hört!) (große Heiterkeit und Beifall bei den Re
Die Freibeträge für den Steuerpflichtigen und gierungsparteien - Abg. Seuffert: Das
seine Ehefrau werden erhöht von 800 auf 900 DM. war nicht „natürlich"! Man könnte über
Prozente des Einkommens sprechen!)
(Oho! links.)
Die Freibeträge für die Kinder werden erhöht von bei einem Einkommen von über 10 000 DM 28,2 %,
bisher 600 DM für das erste und zweite Kind auf über 12 000 DM 30,6 %, über 15 000 DM 31,4 %,
720 DM und vom dritten Kind an auf 1440 DM. über 20 000 DM 30,3 %, über 25 000 DM 29,9 %,
über 30 000 DM 29,2 %, über 40 000 DM 29,1 %,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) über 60 000 DM 29,4 %, über 80 000 DM 31,4 %,
Es werden daher künftig Familien mit drei Kin über 100 000 DM 32,9 %, über 500 000 DM 33,5 %,
dern zur Lohnsteuer überhaupt nur herangezogen, über 1 Million DM 31,3 %.
wenn sie ein Einkommen von mehr als 5600 DM
haben, Vergleiche ich die Senkung der Tarife bei der
(erneuter Beifall) Einkommensteuer nach dem vorliegenden Gesetz-
entwurf mit den Steuersätzen, wie sie die kleine
Familien mit vier Kindern erst dann, wenn sie ein Steuerreform im Jahre 1953 vorgesehen hat, so
Einkommen von mehr als 7000 DM haben, ergibt sich folgende Tabelle:
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Die neue Ermäßigung ist bei Einkommen
Familien mit fünf Kindern erst dann, wenn sie ein über 3 000 DM 41,6 %
Einkommen von mehr als 8500 DM haben. „ 4 000 DM 12,8 %
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) - 5 000 DM 7,1 %
Die Steuersätze, mit denen sie herangezogen wer- „ 6 000 DM 6,4 %
den, beginnen bei Überschreitung dieser Einkom- „ 8 000 DM 9,9 %
men dann natürlich sehr gering. „ 10 000 DM 13,9 %
„ 12 000 DM 17,0 %
Die Tarife des Jahres 1949 kannten Höchstsätze „ 15 000 DM 18,8 %
von 94 %. Der Tarif 1951 kannte noch einen „ 20 000 DM 19,1 %
Höchstsatz von rund 80 %. Der Tarif des Gesetz- „ 25 000 DM 18,9 %
entwurfs für das Jahr 1954 kennt nurmehr einen „ 30 000 DM 18,2 %
höchsten Durchschnittssatz von 55 % . Dieser Tarif- „ 40 000 DM 17,2 %
satz von 55 % beginnt erst bei einem Einkommen „ 60 000 DM 16,6 %
von über 600 0000 DM. Die große Masse aller „ 80 000 DM 17,9 %
Steuerzahler, auch der sogenannten großen Steuer- „ 100 000 DM 18,9 %
zahler, wird daher künftig Tarifsätze unter 50 % „ 500 000 DM 24,0 %
im Durchschnitt zu tragen haben. „ 1 Mio DM 21,5 %
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. - Zuruf
von der SPD.) Die Verschiedenartigkeit in der Auswirkung der
Senkung erklärt sich natürlicherweise einerseits
Das ist der psychologische Punkt, bei dem jeder
einzelne sich sagen muß, daß unnötige Ausgaben, aus dem System der Freibeträge und andererseits
daraus, daß der neue Tarif, wie ich betont habe,
die er macht, nicht mehr zum größeren Teil vom
Finanzamt, sondern nunmehr zum größeren Teil ein Tarif ist, der stetig nach mathematischen Ge-
aus seiner eigenen Tasche und auf Kosten seiner setzen die Progression in allen Einkommensschich-
eigenen Lebenshaltung und Ersparnisbildung zu ten durchführt und die Ausbuchtungen der Kurve,
tragen sind. die in dem alten Tarif noch enthalten waren, mit
beseitigt. Wieweit die Steuersenkungen, auch ver-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) glichen mit der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg,
Wenn ich die Tarife nun vergleiche mit den Ta- gerade für die kleinen Einkommen gehen, beweist
rifen der früheren Jahre, so darf ich zunächst aus- die Tatsache, daß die Steuerpflichtigen mit einem
gehen von einem Vergleich mit dem Jahr 1951. Einkommen bis rund 4 500 DM
Denn die Einkommensteuerreform des Jahres 1954 (Zurufe von der SPD: Bei welcher Kauf
muß als Einheit betrachtet werden mit der soge- kraft?)
nannten kleinen Steuerreform des Jahres 1953. Ich
vergleiche also zunächst die Steuerermäßigung, die infolge der gesamten Steuerpolitik der Bundes-
der Gesetzentwurf vorsieht, gegenüber dem Ein- regierung seit dem Jahre 1949 prozentual und
kommensteuertarif 1951. Sie beträgt in Steuer- absolut künftig weniger zu zahlen haben als in
klasse III 1 (Verheirateter mit einem Kind) bei den Jahren vor dem Krieg.
einem Einkommen von über 3000 DM 61,5 %, (Hört! Hört! rechts. - Erneute Zurufe
(Abg. Seuffert: Prozent von was?) von der SPD.)
640 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Bundesfinanzminister Schäffer)
Im Zusammenhang mit dem Tarif der Einkom- Die Bundesregierung hat sich weiter entschlos-
mensteuer muß der Steuersatz der Körperschaft- sen, diese Steuertarife bei der Einkommen- und
steuer stehen. Der Tarif der Körperschaftsteuer ist Körperschaftsteuer — nicht die übrigen Bestim-
notwendigerweise geringer, als der höchste Durch- mungen der Einkommen- und Körperschaftsteuer,
schnittssatz bei der Einkommensteuer ist. Der insbesondere nicht die Bestimmungen der frühe-
höchste Durchschnittssatz bei der Einkommensteuer ren Gesetze für den Wegfall von Vergünstigun-
ist, wie ich betont habe, 55 %. Es werden in der gen — womöglich bereits zum 1. Oktober 1954 in
Öffentlichkeit viele Worte, manchmal auch törichte Kraft treten zu lassen. Dies ist allerdings von Vor-
Worte, über die sogenannte Doppelbesteuerung aussetzungen abhängig. Die Vorverlegung des Ter-
durch Körperschaftsteuer einerseits, Besteuerung mins auf den 1. Oktober 1954 wird Auswirkungen
des Einkommens der Gesellschafter andererseits für den Haushalt nicht nur der Länder, sondern
gesprochen. Man sollte nicht vergessen, daß der auch des Bundes haben. Der Bundeshaushalt muß
Körperschaftsteuersatz ganz bewußt so festgelegt nach den Vorschriften der Verfassung abgeglichen
ist, daß er durch einen geringeren Satz — ver- gehalten werden. Die für den Bundeshaushalt ent-
glichen mit der Einkommensteuer — diese Tat- stehende Deckungslücke muß in irgendeiner Form
sache der Doppelbesteuerung, wenn man das Wort geschlossen werden. Die Bundesregierung wird
überhaupt gebrauchen soll, ausgleicht. Es darf dem Bundestag rechtzeitig die entsprechenden
nicht vergessen werden, daß die Steuerpolitik zum Vorschläge unterbreiten.
Ziele haben muß, in das Wirtschaftsleben mög-
lichst wenig einzugreifen. Sie darf unter keinen Außerdem muß ich pflichtgemäß darauf hinwei-
Umständen dahin wirken, daß der persönliche sen, daß nach allen bisherigen Erfahrungen bei
Unternehmer, der mit seinem ganzen Vermögen Änderungen von Tarifen und Steuergesetzen sich
für den Erfolg oder Mißerfolg seines Unterneh- ein Zeitraum von etwa zwei Monaten nach Ver-
mens einsteht, steuerlich schlechter behandelt kündung der Gesetze als notwendig erwiesen hat,
um den Arbeitgebern und daneben auch der Ver-
wird waltung die Möglichkeit zu geben, den Vollzug der
(Sehr gut! in der Mitte) Gesetze vorzubereiten.
als die anonyme Körperschaft, bei der der ein-
zelne Gesellschafter nur mit einem beschränkten, Ich muß nun auf die schon früher erwähnte
manchmal recht geringen Teil seines Vermögens Ergänzungsabgabe hinweisen. Die Einführung
für den Erfolg und Mißerfolg der Gesellschaft einer Ergänzungsabgabe ist in den Gesetzen über
haftet. die Finanzreform vorgesehen. Sie ist unvermeid-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) lich. Sie ist unvermeidlich aus dem allgemeinen Ge-
sichtspunkt, den ich vorhin erwähnt habe. Der
Unsere Volkswirtschaft braucht den persönlichen Bund muß eine Bewegungsfreiheit auch künftig be-
Unternehmer, und es wäre eine falsche Steuerpoli- halten, um anpassungsfähig für Fälle neuer, heute
tik, die den persönlichen Unternehmer veranlaßt, noch nicht voraussehbarer notwendiger Ausgaben
sein Unternehmen rein aus steuerlichen Gründen des Bundes zu sein.
in eine Körperschaft mit einer beschränkten Haf-
tung umzuwandeln. (Abg. Frau Dr. Weber [Aachen] : Sehr
(Zustimmung in der Mitte.) richtig!)
Infolgedessen muß zwischen dem höchsten Durch- Er darf nicht gezwungen werden, in der Zukunft
schnittssatz der Einkommensteuer, die der per- allein auf das Gebiet der indirekten Steuern aus-
sönliche Unternehmer zu tragen hat, und zwischen zuweichen und damit die Belastung des Verbrau-
dem Satz der Steuer für die anonyme Körperschaft ches der breiten Massen über das Erträgliche und
ein Unterschied bestehen, der die Besteuerung un- Gerechte hinaus zu steigern. Er ist aber auch
ter Berücksichtigung des Umstandes, daß bei der zeitlich gezwungen, von der Ermächtigung,
anonymen Körperschaft der ausgeschüttete Gewinn eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Kör-
perschaftsteuer einzuführen, Gebrauch zu machen.
beim Gesellschafter wiederum besteuert wird,
Die Bundesregierung und der Bundesminister der
möglichst gleichmäßig für beide Teile festsetzt. Es
Finanzen haben sich dabei auf das unerläßliche,
besteht weitgehend Übereinstimmung darin, daß geringstmögliche Maß beschränkt.
der Unterschied zwischen dem höchsten Durch-
schnittssatz der Einkommensteuer und dem Kör- Der Gesetzentwurf über die Ergänzungsabgabe
perschaftsteuersatz etwa 10 Punkte betragen sollte. sieht eine solche in Höhe von 2,5 % des Aufkom-
Aus dieser Erwägung heraus schlägt die Bundes- mens der Einkommen- und Körperschaftsteuer vor.
regierung für die Körperschaften, die bisher einen Das bedeutet also, daß etwa 10 % der Steuersen-
Satz von 60 % zu tragen hatten, neuerdings einen kung durch die notwendige Ergänzungsabgabe
Satz von 45 % vor, was also eine Senkung um ein wieder aufgeholt werden. Ich darf die Hoffnung
Viertel, um 25 %, bedeutet. Aus Gründen der Pflege aussprechen, daß die Gesetzentwürfe nicht vom
des Kapitalmarktes hat sich die Bundesregierung Standpunkt des öffentlichen Haushalts aus im
außerdem entschlossen, die Begünstigung des aus- Laufe der Beratungen eine weitere Verschlechte-
geschütteten Gewinns, der bekanntlich jetzt nur rung erfahren, weil sonst dieser Satz von 2,5 %
mit 30 % Steuersatz belegt ist, vorerst weiter zu Ergänzungsabgabe kaum gehalten werden könnte.
behalten. Sie hat dies getan, obwohl sie an dem Ich habe vorhin grundsätzlich von dem haus-
Grundsatz festhält, in die wirtschaftlichen Ver- wirtschaftlichen Wagnis gesprochen. Ich darf hier
hältnisse möglichst wenig einzugreifen und insbe- die Zahlen geben: Die Entlastung des Steuerzah-
sondere keinen Anreiz zur Umwandlung persön- lers durch die Senkung der Einkommen- und Kör-
licher Unternehmen in anonyme Körperschaften zu perschaftsteuer wird im Kalenderjahr insgesamt
geben. etwa 2300 Millionen DM betragen. Damit diese
(Sehr richtig! in der Mitte.) Zahl richtig gewürdigt wird, darf ich dem gegen-
Die Begünstigung des ausgeschütteten Gewinns er- überstellen, daß das gesamte Aufkommen an Ein-
folgt nur unter dem Gesichtspunkt der Pflege des kommen- und Körperschaftsteuer im Jahre 1950
Kapitalmarktes und ist daher zeitbedingt. überhaupt nur 5,4 Milliarden DM betragen hat.
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 641
(Bundesfinanzminister Schäffer)
Selbstverständlich ist ein entsprechender Aus- Abg. Lücke: Ausschuß für Kommunalpoli
fall für die öffentlichen Haushalte in Bund und tik federführend und Ausschuß für Wie
Ländern damit verbunden. deraufbau und Wohnungswesen mitbera
Ich bemerke ausdrücklich, daß bei dieser Berech- tend, also umgekehrt!)
nung die möglichen günstigen Auswirkungen der — Also, wenn ich richtig verstanden habe, der
Steuersenkung bereits berücksichtgit sind. Diesen Ausschuß für Kommunalpolitik federführend und
Berechnungen ist insbesondere zugrunde gelegt, alle anderen von mir aufgerufenen Ausschüsse
daß sie es der deutschen Wirtschaft ermöglichen, mitberatend. Ist das Haus damit einverstanden?
auch im Jahre 1955 das Bruttosozialprodukt um — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so be-
weitere 5 % zu steigern, also um einen Satz, mit schlossen; die Überweisung ist erfolgt.
dem kein anderes Land in Europa zur Zeit zu
rechnen wagt. Ich rufe auf Punkt 4 der heutigen Tagesordnung:
Das mag kühn erscheinen. Es ist aber ein Be- Erste Beratung des Entwurfs eines Ersten
weis dafür, welches Vertrauen die Bundesregie- Gesetzes zur Änderung und Ergänzung
rung in das deutsche Volk setzt. Die Bundesregie- des Bundesvertriebenengesetzes (Druck-
rung bemüht sich, auf dem finanzpolitischen Ge- sache 222).
biet und dem der Steuergesetzgebung eine Stetig-
keit zu schaffen. Sie entlastet den Steuerzahler bis Auf die Einbringung wird verzichtet, auch auf
zum äußerst Möglichen von den übermäßigen La- Debatte. Ich schlage vor Überweisung an den Aus-
sten, die er bisher zu tragen hatte. Sie gibt dem schuß für Heimatvertriebene. Ist das Haus damit
wirtschaftenden deutschen Volk nicht nur Bewe- einverstanden? — Das ist der Fall. Es ist so be-
gungsfreiheit, sondern will ihm auch Vertrauen schlossen; die Überweisung ist erfolgt.
in die weitere stetige Entwicklung des deutschen
Ich rufe auf Punkt 5 der heutigen Tagesordnung:
Volkes geben. Sie übernimmt damit bewußt ein
großes Wagnis in der Hoffnung, daß Vertrauen mit Erste Beratung des von den Abgeordneten
Vertrauen erwidert wird. Frau Dietz, Ruf, Bausch und Genossen ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Lassen Sie mich schließen mit dem Wunsch, daß ÄnderugVo zmSchutedr
das deutsche Volk dieses Vertrauen erwidert mit Wirtschaft (Drucksache 204).
Fleiß, Tüchtigkeit, Sparsamkeit und Ehrlichkeit
gegenüber dem Staat. Staat und Volk sind eine Wer wünscht das Wort zur Begründung? — Nie-
Einheit, und Staat und Volk haben ein Schicksal. mand. Auch keine Debatte. Dann schließe ich die
Die Bundesregierung ist bemüht, alles zu tun, auf erste Beratung.
daß dieses Schicksal von Staat und Volk sich wei- Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß
ter zum Guten wende. für Rechtswesen und Verfassungsrecht.
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs-- (Abg. Naegel: Und Wirtschaftspolitik! —
parteien.) Zuruf des Abg. Dr. Atzenroth.)
— Gut, ich komme gleich zur Abstimmung. Die
Vizepräsident Dr. Schneider: Mit der Erklärung Freien Demokraten behalten sich vor, zu diesem
des Herrn Bundesfinanzministers ist der Punkt 2 Punkt eine Schriftliche Erklärung*) zu Protokoll
der heutigen Tagesordnung erledigt. zu geben.
Herr Abgeordneter Dr. Lütkens hat mich ge- Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß
beten, bevor ich den Punkt 3 aufrufe, bekanntzu- für Rechtswesen und Verfassungsrecht , als feder-
geben, daß die Sitzung des kleinen Ausschusses führenden Ausschuß sowie an den Ausschuß für
der Europaratsdelegierten um 16 Uhr in dem Zim- Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films
mer stattfinden wird, in dem die geplante Sitzung und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur
des Auswärtigen Ausschusses statfinden sollte. Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? —
Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen; die
Ich rufe nunmehr auf Punkt 3 der heutigen Überweisung ist erfolgt.
Tagesordnung:
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Erste Beratung des von der Fraktion der
Gesetzes über die Aufhebung der Verord- CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
nung über die baupolizeiliche Behandlung Gesetzes über die steuerliche Behandlung
von öffentlichen Bauten (Drucksache 254). von Leistungen im Rahmen des Familien-
ausgleichs (Drucksache 189).
Es ist im Ältestenrat vereinbart worden, daß
weder begründet werden noch eine Debatte statt- Ich höre eben, daß auf die Begründung ver-
finden soll. Ich unterstelle, daß das Haus damit zichtet werden soll. Ich rufe auf zur ersten Be-
einverstanden ist. — Das ist der Fall. ratung. Wird das Wort gewünscht? — Bitte, Herr
Abgeordneter Richter!
Ich schlage vor 'Überweisung
(Abg. Dr. Dresbach: Ausschuß für Kommunal Richter (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
politik!) und Herren! Ich bin erstaunt, daß die antragstel-
lende Fraktion, die CDU/CSU, auf eine Begrün-
an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungs- dung dieses Gesetzentwurfs verzichtet.
wesen federführend und an den Ausschuß für
Finanz- und Steuerfragen sowie an den Ausschuß (Hört! Hört! bei der SPD.)
für Verkehrswesen. Es ist die gleiche Einstellung, die diese Fraktion
(Abg. Dr. Dresbach: Ausschuß für Kom in der gleichen Angelegenheit auch vor Mona-
munalpolitik! Es ist eine ausgesprochen
kommunalpolitische Angelegenheit! — *) Siehe Anlage 1 Seite 663
642 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Richter)
ten in der ersten Legislaturperiode eingenommen besonders sozial halten, — bitte, ich überlasse
hat. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU — Druck- Ihnen die Entscheidung darüber.
sache 189 — sagt, daß Kinderbeihilfen von Ein- (Sehr gut! bei der SPD.)
richtungen von Wirtschafts- und Berufsgruppen
oder Teilen solcher steuer- und beitragsfrei sein Wir jedenfalls lehnen eine derartige Einstellung,
sollen. Die gleiche Regelung war sowohl in dem da wir sie nicht für sozial halten können, mit aller
Initiativgesetzentwurf der SPD über die Gewäh- Entschiedenheit ab.
rung von allgemeinen Kinderbeihilfen — Druck- Es heißt weiter, daß die Kinderbeihilfen auf
sache Nr. 774 aus dem Jahre 1950 — wie auch in Grund von Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen
dem ein Jahr später eingereichten Gesetzentwurf oder sonstigen Regelungen gezahlt werden. Zum
der CDU vorgesehen. Hätten wir diese Gesetze zur Schluß erwähnen Sie noch, daß für Nichtarbeit-
Gewährung von Kinderbeihilfen realisiert, wäre nehmer, die Angehörige einer Wirtschafts- oder Be-
dieses Sondergesetz nicht nötig. rufsgruppe sind, auch Familienausgleichskassen ge-
(Sehr richtig! bei der SPD.) bildet werden können. Wenn also Angehörige der-
artiger Berufsgruppen — sagen wir, der freien Be-
Für die Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit von rufe, der Handwerker, Landwirte — eine Fa-
Kinderbeihilfen war die SPD-Fraktion schon immer milienausgleichskasse bilden, dann — nur dann! —
und wird es auch in Zukunft sein. sind die Leistungen, die für die Kinder gewährt
Im Gesetzentwurf der CDU sind eine Menge werden, steuerfrei. Wenn sie keine Familienaus-
Voraussetzungen vorgesehen, die erfüllt sein müs- gleichskasse bilden, wenn sie die Kinderbeihilfe
sen, bis der Arbeiter oder Angestellte eine Kinder- aus einem sonstigen Fonds oder über eine sonstige
beihilfe steuerfrei erhält. Diese Voraussetzungen Einrichtung zahlen, dann ist sie nicht steuerfrei.
sind letzten Endes das Entscheidende. Zunächst
einmal darf die Kinderbeihilfe je Kind und Monat Es handelt sich hier um die Kinder und nicht um
20 DM nicht übersteigen. Warum? Darf ein Arbeit- das Prinzip oder um die Art, mit welchem Apparat
geber oder dürfen Tarifkontrahenten oder darf der man eine solche Beihilfe leistet. Es geht nicht dar-
Gesetzgeber nicht eine höhere Kinderbeihilfe um, wie man den Apparat nennt, ob Familienaus-
festsetzen, wie sie bei den Beamten des öffent- gleichskasse oder sonstwie. Warum alle diese Vor-
lichen Dienstes, wie sie bei den Arbeitern und An- schriften? Warum die Begrenzung auf 20 DM?
gestellten bei Eisenbahn und Post und Gemeinden Warum die Auszahlung der Kinderbeihilfe durch
usw. durch Tarifvertrag festgelegt und gezahlt die Arbeitgeber, die doch die Aufbringung der
Geschäftsunkosten laufen lassen?Mitelübr
wird? Warum soll diese höhere Kinderbeihilfe
dann nicht steuerfrei sein? Warum soll dann der Jeder weiß, daß eine Aktiengesellschaft, wenn sie
Arbeitnehmer von dieser höheren Kinderbeihilfe Steuerfreiheit bekommt, in Wirklichkeit nur 30 %
Steuern abgezogen bekommen? Nur wenn sie der Mittel aufzubringen hat, daß zirka 70 % der
20 DM nicht übersteigt, meine Herren von der Mittel infolge der Steuerermäßigung praktisch
CDU, dann soll und darf sie nach Ihrem Entwurf von der Allgemeinheit aufgebracht werden.
steuerfrei sein! Warum haben Sie nicht vorgesehen, daß die
Zweitens müssen die Arbeitgeber, die Kinder- Kinderbeihilfen auch im Falle der Krankheit, der
beihilfe an ihre Arbeitnehmer zahlen wollen — so Arbeitslosigkeit. der Berufsunfähigkeit, der Ge-
sagen Sie in Ihrem Entwurf so nett, in der patri- schäftsaufgabe eines Selbständigen, des Konkurses
archalischen Ausdrucksweise, wie sie früher üblich oder auch eines Streiks gezahlt werden? Meine
war: an „ihre" Arbeitnehmer — Familienaus- Damen und Herren, wir wollen die Sache beim
gleichskassen unterhalten. Ja, meine Damen und Namen nennen.
Herren, wenn nun ein Arbeitgeber Kinderbei- (Sehr richtig! bei der SPD.)
hilfen zahlt, dann muß er extra eine Familien-
ausgleichskasse errichten, um die Steuerfreiheit zu All das ist durch Ihr System, das Sie uns unter-
erreichen. breiten, praktisch ausgeschaltet. Weiter ist die
Möglichkeit ausgeschaltet, daß die Handwerker
(Abg. Winkelheide: Ist ja nicht wahr!) und die Landwirte, also die Selbständigen, in Zu-
— Ja bitte, so steht es in Ihrem Entwurf, Herr kunft Kinderbeihilfen erhalten. In einem Schrei-
Kollege Winkelheide. ben der' Bundesvereinigung der 'deutschen Arbeit-
(Abg. Winkelheide: Für die Einrichtung des geberverbände an den Herrn Bundesarbeitsminister
Bergbaus!) vom 6. Juni 1953 über Kinderbeihilfen, das uns in
der vorigen Legislaturperiode unterbreitet wurde
Dann lesen Sie Ihren Entwurf nach, und dann - es ist also kein Geheimnis —, wird zum Aus-
werden Sie mir das bestätigen. Hätten Sie Ihren druck gebracht, daß Handwerk und Landwirtschaft
Entwurf begründet, dann hätten Sie das sogar dem den Standpunkt vertreten, der Ausgleich der Fa-
Hohen Hause unterbreiten müssen. Ein Konto, milienlasten solle auf dem Wege einer steuerpoli-
genannt Kinderbeihilfen, genügt doch für diesen tischen Regulierung erfolgen. Diese Kreise weisen
Fall. Warum hier extra die Gründung einer Fa- darauf hin, daß es ihnen infolge der besonderen
milienausgleichskasse? Struktur ihrer Wirtschaftszweige und der hohen
Zum dritten setzten Sie als Voraussetzung für Zahl der Selbständigen im Vergleich zu den Un-
die Steuerfreiheit fest, daß nur vom dritten Kind selbständigen nicht möglich ist, die erforderlichen
ab Kinderbeihilfe gewährt wird. Wenn der Ar- Mittel aus eigener Kraft aufzubringen. Das sind
beitgeber also schon vom zweiten oder ersten Kind Fakten.
ab Kinderbeihilfe gewähren will, wie das in einer Wenn Sie vom dritten Kind an die Steuerfrei-
Menge von Tarifverträgen zwischen den Arbeit- heit gewähren, für wie viele Kinder setzen Sie sich
gebern und Gewerkschaften vereinbart ist, dann dann ein? Nach den Schätzungen haben wir ins-
muß für das erste und zweite Kind Lohnsteuer ab- gesamt 12,5 Millionen Kinder. Davon werden ab
gezogen werden. Diese Kinderbeihilfen sind dann drittem Kind 1,9 Millionen in Frage kommen.
nicht steuerfrei, denn erst vom dritten Kind ab Wenn man dann die Zahl der Kinder abzieht, die
wird die Steuerfreiheit gewährt. Wenn Sie das für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst usw. ab drittem
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 643
(Richter)
Kind haben, werden es noch weniger. Es werden Handwerker, alle freiberuflich Schaffenden und die
höchstens eineinhalb Millionen Kinder in den Ge- kinderreichen Familien in der Landwirtschaft sind
nuß von Beihilfen kommen, wenn die Arbeitgeber von dieser Gesetzesvorlage ausgenommen.
sie auf Grund der Tatsache, daß sie steuerfrei sind, (Abg. Dr. Miessner: Die Staatsdiener auch!)
einführen. Eineinhalb Millionen von insgesamt
Die dankenswerte Initiative einzelner besonders
12 1 /2 Millionen Kindern! Das ist keine Großtat, das fortschrittlich gesinnter Firmen und ganzer Wirt-
möchte ich Ihnen in aller Offenheit sagen.
schaftszweige, die heute freiwillig Kinderbeihilfen
(Sehr wahr! bei der SPD.) zahlen, soll hier voll anerkannt und in keiner Weise
geschmälert werden. Aber wir halten eine solche
Da wäre mir schon viel wichtiger, wenn wir uns Regelung der Notlage in den kinderreichen Fami-
überlegen würden, ob nicht der Gesetzentwurf des lien für nicht ausreichend. Diese Gesetzesvorlage
Bundesarbeitsministers abgewartet werden soll; bleibt ein Flickwerk. Sie schafft Gegensätze vor-
denn aus allen Presseerklärungen der letzten Mo- wiegend zu denjenigen Firmen, die nicht in der
nate — und die sind sehr häufig abgegeben wor- Lage sind, freiwillig Kinderbeihilfen zu zahlen,
den — geht hervor, daß der Herr Bundesarbeits-
minister bereit und in der Lage ist, pünktlich im (Sehr richtig! rechts)
Frühjahr, wie es hier weiter heißt, den Gesetz- und zu denjenigen Wirtschaftszweigen, die sich
entwurf über Kinderbeihilfe vorzulegen. Ich kenne nicht in einer so günstigen Lage befinden, daß sie
ihn nicht, ich weiß nicht, ob er gut oder schlecht allgemein als Wirtschaftsgruppe daran denken kön-
ist, ob er schon ab zweitem Kind die Kinderbei- nen, freiwillig Kinderbeihilfen zu zahlen. Auch die
hilfe einführt, aus welchen Mitteln sie gezahlt Kinderbeihilfen an Beamte sind nicht steuerfrei.
werden soll, wie hoch sie ist und derartiges mehr. Hier wird also durch diese Gesetzesvorlage eben-
Das ist aber auch nicht das Entscheidende. Viel- falls ein Gegensatz geschaffen.
mehr wird damit die Grundlage einer allgemeinen (Abg. Lücke: Sehr richtig!)
Kinderbeihilfe auch für die Bundesrepublik
Deutschland gelegt, während mit dem vorliegenden Die 35 Mark Kinderbeihilfe etwa, die ein höherer
Gesetzentwurf lediglich die Steuerfreiheit der Kin- Beamter für ein älteres Kind bekommt, sind netto
nur 20 Mark. Bei einem mittleren Beamtengehalt
derbeihilfe vorgesehen ist. wären es etwa 25 Mark. Die 20 Mark Beihilfe für
(Abg. Horn: Natürlich!) ein kleines Kind eines höheren Beamten sind netto
nur 11 Mark, bei einem mittleren Beamtengehalt
Wenn es nun zutreffend ist, daß die SPD, wie etwa 13,50 Mark. Dieser Gesetzentwurf bringt also
Sie j a aus dem Rundfunk und der Presse wohl zu eine weitere Ungerechtigkeit mit sich und schafft
Ihrer Freude heute morgen entnehmen konnten, eine Verschiedenheit zwischen Empfängern von
dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf unterbrei- Kinderbeihilfen.
ten wird, und wenn es weiter zutreffend sein
sollte, daß, wie man in der Presse lesen konnte, Meine Fraktion hält die staatliche Kinderbeihilfe
auch die CDU einen Gesetzentwurf über Gewäh- für unbedingt notwendig.
rung von Kinderbeihilfen einbringt, und der Bun- (Zuruf von der SPD: Kiek mal einer an!)
desarbeitsminister sein Versprechen pünktlich im In 33 Ländern der Erde werden heute Kinder-
Frühjahr hält, dann haben wir drei Gesetzent- beihilfen gezahlt, und in 21 Ländern werden sie
würfe. Ich glaube, dann wird sicherlich etwas vom ersten Kind an gezahlt. Daneben fallen einem
Gutes dabei herauskommen, sofort die beiden großen Ausnahmen von dieser
(Abg. Dr. Schellenberg: Wie im 1. Bundestag!) Regelung nach 1946 in der gesamten Welt auf. Die
eine Ausnahme sind die USA, die die Nichteinfüh-
dann wird sicherlich die Bundesrepublik Deutsch- rung einer staatlichen Kinderbeihilfe mit dem
land als letzter europäischer Staat endlich die all- hohen Lebensstandard in den Vereinigten Staaten
gemeine Kinderbeihilfe auf gesetzlicher Basis ein- begründen. Diese Begründung kann für die Bun-
führen und somit auch eine Verpflichtung erfüllen, desrepublik nicht angeführt werden. Der Vertrie-
wie sie in den internationalen Übereinkommen benenminister Professor Oberländer hat neulich
des Internationalen Arbeitsamtes von Genf fest- ausgerechnet, daß 3 Millionen Menschen in der
gelegt ist. Deshalb bin ich der Auffassung, daß es Bundesrepublik ein Einkommen von weniger als
viel wichtiger ist, die Gesetzentwürfe beschleunigt 120 Mark haben. Von einem hohen Lebensstandard
im Bundestag zu beraten und durchzubringen, als kann man also bei uns sicherlich nicht sprechen,
diesem — nehmen Sie mir das nicht übel — in am wenigsten in bezug auf kinderreiche Familien.
seiner Wirkung tatsächlich kümmerlichen Antrag
der CDU eine ernsthafte Bedeutung beizumessen. Die Jugend ist der kostbarste Schatz einer Na-
tion, und unsere Jugend hat in den furchtbaren
(Beifall bei der SPD.) Kriegsjahren, vor allen Dingen in den Jahren nach
dem Krieg große gesundheitliche Schäden erleiden
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat die müssen. Daher bedarf gerade unsere Jugend in der
Abgeordnete Frau Gräfin Finckenstein. Bundesrepublik ganz besonderer Pflege und För-
derung. Es handelt sich hier doch um das einfachste
Frau Gräfin Finckenstein (GB/BHE): Herr Prä- Problem, das es überhaupt gibt. Um die Jugend
sident! Meine Herren und Damen! Meine Fraktion besser zu pflegen, muß man ihr besser zu essen
stimmt der Gesetzesvorlage zu, denn sie begrüßt geben; und um ihr besser zu essen zu geben,
jede Beseitigung einer Notlage und ganz besonders braucht man mehr Geld, und zwar Bargeld, und
die Beseitigung der Notlage einer kinderreichen möglichst zahlbar an die Mutter, wie es in vielen
Familie. Aber sie tut es ohne große Begeisterung, Ländern geschieht, die eine staatliche Kinderbei-
denn dieser Gesetzentwurf bezieht sich nur auf hilfe zahlen. So begrüßenswert die Steuerermäßi-
einen Teil aller kinderreichen Familien. Er bein- gungen sind, von denen uns der Herr Bundes-
haltet lediglich eine Steuererleichterung für frei- finanzminister soeben Kunde gegeben hat, und so
willige Kinderbeihilfen, die Arbeitgeber an Arbeit- erfreulich sie für die kinderreichen Familien sind,
nehmer zahlen wollen. Alle Selbständigen, alle sie sind nie dasselbe wie eine Zuwendung in barem
644 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Gräfin Finckenstein)
Geld an die kinderreiche Familie, möglichst an die Aber immerhin kommt dieser Antrag in einem
Mutter. Augenblick, in dem Ihnen ein wenig schon der
Wind aus den Segeln genommen ist.
Wir wollen nicht von dem französischen Beispiel
sprechen, weil es außerordentlich weitgehend ist. (Heiterkeit und Zurufe von der SPD. —
Es soll hier nur erwähnt werden, daß jede fran- Abg. Winkelheide: O nein, er liegt schon vier
zösische Mutter — die arme, die reiche und auch Wochen vor!)
die uneheliche französische Mutter — für ihr erstes — Herr Kollege Winkelheide, vielleicht bedienen
Kind vom Staate 42,50 DM nach deutschem Geld Sie sich des Mikrophons, damit die andern Ihre
erhält, und zwar unabhängig von ihrem Einkom- Zwischenrufe auch hören! —
men. Mit einem Betrag von 42,50 DM im Monat (Zuruf von der Mitte: Warum so ironisch?)
kann man wirklich ein Baby aufziehen. Allen un-
seren Entwürfen liegt leider nur der sehr geringe Im Prinzip sind wir mit steuerlichen Vergünsti-
Zuschußbetrag von 20 DM im Monat pro Kind zu- gungen für kinderreiche Familien durchaus einver-
grunde. Dabei darf festgestellt werden, daß nie- standen. Erinnern Sie sich bitte an die erste Dis-
mand mit 20 DM im Monat ein Kind aufziehen kussion zur Steuerreform. Da haben wir Freien
kann. Demokraten den Freibetrag schon für das erste
Kind als nicht ausreichend empfunden. Als ich
Im 1. Bundestag ist es in der Frage der Kinder- heute die Rede des Herrn Bundesfinanzministers
beihilfe leider nicht zu einer Einigung gekommen. hörte, habe ich mich gefreut, daß er unserem An-
Für den 2. Bundestag haben wir die lebhafte Hoff- trag entsprechend — vielleicht hat er sich dessen
nung, daß möglichst bald etwas zustande kommt. erinnert — auch den Freibetrag schon für das erste
Wir hörten heute morgen - wie schon mein ver- Kind erhöhen will.
ehrter Vorredner gesagt hat —, daß sowohl SPD (Abg. Lücke: Das hat der Familienminister
wie CDU einen Gesetzenwurf über die Kinderbei- getan!)
hilfen angekündigt oder eingebracht haben. Wir
warten alle mit großer Sehnsucht auf den ange- Wir müssen einmal zu einer gewissen Steuer-
kündigten Gesetzentwurf des Herrn Bundesarbeits- gleichheit kommen. Nach dem Antrag, den Sie hier
ministers. Meine Fraktion wird keinen eigenen vorlegen, wird doch wieder nur eine bestimmte
Gesetzentwurf einbringen, weil wir glauben, daß Personengruppe, nämlich die, die Kinderbeihilfe
wir der kinderreichen Familie nicht durch eine durch Familienausgleichskassen oder private Ar-
Vielzahl von Gesetzentwürfen, sondern nur da- beitgeber erhält, herausgenommen, wie von mei-
durch helfen können, daß einer dieser Gesetzent- nen Vorrednern schon betont wurde. Weder die
würfe, und zwar möglichst bald, angenommen wird. Beamten noch die Bauern noch Personen, die im
Ich darf hier im Namen vieler kinderreicher Müt- freien Beruf stehen, werden steuerlich in irgend-
ter in der Bundesrepublik sprechen, weil ich selber einer Form begünstigt, weil bei ihnen diese Vor-
sieben Kinder habe. Ich möchte an Sie alle - ein aussetzungen nicht bestehen. Die Arbeiter und An-
dringlich appellieren, recht bald zu einem Ergebnis gestellten der öffentlichen Betriebe — denken Sie
zu kommen, zu der Annahme eines dieser Gesetz- an die Bundesbahn und an die Bundespost — fal-
entwürfe, len auch nicht unter die Kategorie derjenigen, die
(Abg. Lücke: Sehr gut!) hiernach steuerlich begünstigt werden. Das dürfte
doch unbillig sein.
über die wir in der Bundesrepublik jetzt fast fünf (Zuruf von der Mitte.)
Jahre beraten, obwohl gerade wir in der Bundes
republik den allergrößten Anlaß hätten, unseren — Ich kann Sie leider nicht verstehen, Herr Kol-
Kindern von Staats wegen eine Hilfe zu geben. lege. Wir haben doch jetzt die Mikrophone. Bitte,
(Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.) sagen Sie das doch durch das Mikrophon, dann
könnte ich Ihnen erwidern; aber so kann ich Sie
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat die leider nicht verstehen, ich bedaure sehr.
Abgeordnete Frau Dr. Ilk. (Abg. Schüttler: Frau Dr. Ilk, dann wollen
wir die Gleichheit vom ersten Kind an her
Frau Dr. Ilk (FDP): Herr Präsident! Meine Damen stellen; dann ist sie da!)
und Herren! Ich bedaure es sehr, daß unsere Kol-
legen von der CDU, die die Antragsteller sind, die- — Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Warum wollen
sen Antrag über die steuerliche Behandlung von wir es nicht schon beim ersten Kind tun, warum
Kinderzulagen nicht begründet haben. wollen wir da nicht eine Hilfe schaffen, damit wir
auch die Freude der Eltern am Kind und, sagen
(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Winkel wir einmal, den Mut zum Kind wecken? Da sind
heide: Das werden wir gleich tun!) wir ganz einer Meinung, Herr Kollege.
— Das hätten Sie vorher machen sollen, Herr (Zuruf von der Mitte: Seit wann?)
Kollege Winkelheide, dann hätten wir auf Ihre — Seit langem. Wenn Sie unsere ersten Ausführun-
Begründung eingehen können. gen zur Steuerreform gehört oder hinterher im
(Sehr gut! bei der SPD.) Protokoll aufmerksam gelesen hätten, hätten Sie
unsere Forderung schon damals kennengelernt. Ich
Es ist nämlich leider nicht ganz verständlich, bedaure, daß Ihnen das entgangen ist.
warum Sie diesen Antrag heute einbringen, nach-
dem uns der Herr Bundesfinanzminister in so aus- Wir müssen jetzt wieder — das hat auch der
gezeichneter Weise dargelegt hat, welche steuer- Herr Finanzminister in seiner heutigen Rede ge-
lichen Maßnahmen er gerade für die Kinderreichen sagt — zu einer Steuergerechtigkeit kommen und
geplant hat. Damit will ich durchaus nicht etwa dürfen nicht nur eine bestimmte Kategorie bevor-
sagen, daß ich mit allem nach dieser Richtung hin zugen.
schon zufriedengestellt bin. Meine Fraktion wird zu (Sehr gut! bei der FDP.)
gegebener Zeit noch das eine oder andere zu sagen Wenn Sie heute eine Steuerermäßigung für Zah
haben. lungen von Betrieben direkt und über Familien-
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 645
(Frau Dr. Ilk)
ausgleichskassen beantragen, so muß dieses Pro- Da kann man doch nicht jetzt mit diesem Entwurf
blem sehr sorgfältig durchdacht werden, damit diese Ungerechtigkeit verewigen!
nicht nach dieser Richtung hin vielleicht eine ge- Wir wollen mit diesem Entwurf weiter nichts, als
wisse Ungleichheit und Ungerechtigkeit entsteht. daß die bisherigen Regelungen, die freiwillig einge-
Dazu wird sich der Herr Finanzminister selber viel- führt worden sind, steuerlich begünstigt werden,
leicht noch äußern müssen. Der Herr Arbeitsmini- daß erstens das Kindergeld, das gezahlt wird, in
ster und der Herr Finanzminister werden sich dazu
voller Höhe und in voller Wirkung tatsächlich
äußern müssen, wieweit es tragbar ist, daß wir
auch eine Sonderregelung für diesen Personenkreis fühlbar und sichtbar dem Empfänger oder der
treffen, weil dieser insoweit dann auch von den Empfängerin gegeben wird. Zweitens wollen wir
Soziallasten freigestellt wird. Da geht eine ganze erreichen, daß es kein Entgelt ist im Sinne der
Menge an Geld für die Invalidenversicherung, für Sozialversicherung, und drittens, daß, wenn diese
die Arbeitslosenversicherung verloren, weil die Bei- Wirkung der Steuerfreiheit eintritt, sie genehmi-
träge sich senken. Es muß überlegt werden, ob da gungspflichtig ist. Es müssen Familienausgleichs
nicht zugunsten eines relativ kleinen Kreises eine kassen usw. sein, und auch sonstige Regelungen
Belastung für die Gesamtheit eintritt. Ich glaube, können anerkannt werden, damit es nicht drunter
wir werden diesen Antrag, wenn er an den Aus- und drüber geht und damit nicht der kinderreiche
schuß kommt, sehr sorgfältig beraten müssen, da- Familienvater im Vergleich zu anderen innerhalb
mit nicht ein Schaden für das Ganze zum Vorteil eines Betriebes gefährdet ist. Darum drängen wir
eines kleinen Personenkreises eintritt. Im Prinzip nach Familienausgleichskassen, Herr Kollege Richter!
sind wir jedoch mit jeder Begünstigung einver- (Abg. Lücke: Sehr gut! — Zurufe von der
standen, die zugunsten der Kinderreichen eintritt. SPD.)
(Beifall bei der FDP. — Abg. Winkelheide: Herr Kollege Richter, nun muß ich Ihnen sagen:
Dann sind wir ja einig!) wenn Sie das klein machen und diesen Entwurf
ablehnen, dann schaden Sie, um nur eine Zahl zu
Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
nennen, jenen 43 600 Kindern im Ruhrbergbau, die
Abgeordnete Winkelheide.
bereits seit einem Jahr das Kindergeld erhalten.
Winkeiheide (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Die IG Bergbau wird Ihnen dazu etwas anderes
Damen und Herren! Zunächst muß ich einen Irr- sagen!
tum richtigstellen. Es ist keine Feigheit von uns (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
— oder was Sie annehmen mögen —, daß wir die- Warum wollen wir das jetzt tun? Wir haben die-
sen Gesetzentwurf nicht begründet haben, sondern ses Gesetz seit langer Zeit eingebracht, es ist aber
das beruht auf einem echten Mißverständnis, das dreimal abgesetzt worden. Ich muß Ihnen sagen,
gestern sicher im Altestenrat zustande gekommen daß ich kein Verständnis dafür gehabt habe. Wir
-
ist. Sonst hätte ich den Gesetzentwurf begründet. haben uns vor Wochen über die Frage der Gleich-
Grundsätzlich möchte ich folgendes sagen, Herr berechtigung unterhalten. Gut und schön! Aber da
Kollege Richter. Man kann alles klein machen. hätten wir — dieses Gesetz stand auf der Tages-
(Sehr gut! in der Mitte.) ordnung — es beraten können, dann hätten wir Er-
folge erzielt.
Das deutsche Volk, der deutsche Wähler hat auch
eine Partei klein gehalten! Dr. Schellenberg (SPD): Herr Kollege Winkel-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei heide, ich habe eine Frage an Sie. Warum hat denn
der SPD.) Ihre Fraktion nicht einen Gesetzentwurf über
Familienausgleichskassen vorgelegt, sondern nur
Was hinter diesem Gesetzentwurf, der klein in der
diesen Gesetzentwurf über die steuerliche Behand-
Form ist, steht, das ist gar nichts anderes, um es
schlicht und recht zu sagen, als die staatliche Hilfe lung? Die Familienausgleichskassen sind doch nach
für die Selbsthilfe, die die Wirtschaft auf dem Sek- Ihrer eigenen Auffassung viel wichtiger! Warum
tor der Kinderzulage ausgelöst hat. zögern Sie dann so mit ihrem Gesetzentwurf?
(Abg. Dr. Miessner: Aber nicht so konfuses (Zuruf von der CDU/CSU: Ach, Herr Schel
Zeug, wie hier beantragt!) lenberg!)
— Das ist kein konfuses Zeug! Sie müssen sich ein- Winkelheide (CDU/CSU): Herr Kollege Schellen-
mal mit der Frage beschäftigen, und überdies hät- berg, seien Sie beruhigt! Der Gesetzentwurf ist ein-
ten Sie ja auch im 1. Bundestag Gelegenheit gehabt, gebracht und kann in etwa vierzehn Tagen disku-
die Dinge über die Bühne zu ziehen; tiert werden.
(Abg. Lücke: Sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU.)
denn es gab keinen Vorschlag im 1. Bundestag — Wir haben diesen kleinen Entwurf über die steuer-
das muß einmal klar herausgestellt werden —, der liche Behandlung vorgezogen, weil das nachher die
finanziell mehr unterbaut war als unser Vorschlag, Beratung unseres großen Entwurfs erleichtert, weil
der Vorschlag der CDU. dieser Entwurf ja auch Bestandteil des großen
(Beifall bei der CDU/CSU.) Entwurfs ist und wir möglichst zum 1. April die
Aber wir haben die Zustimmung — auf beiden Sei- Empfänger des Kindergeldes — das ist eine gute
ten des Hauses — nicht gefunden. Da kann man Tat — in den Genuß der Steuerfreiheit bringen
heute, Frau Kollegin Ilk, nicht von „Ungerechtig- wollen.
keit" sprechen. Ja, ich möchte sagen, in den Augen (Beifall bei der CDU/CSU.)
der Arbeiter, die keine Kinderzulage empfangen, Wir können doch die Dinge nicht auf den Kopf
ist es eine Ungerechtigkeit, daß auf der anderen stellen, Herr Kollege Richter. Ich wende mich da-
Seite die Beamten die Kinderzulagen bekommen; gegen, daß dann bei Ihnen so ein Unterton mit-
das muß man auch einmal herausstellen. spricht: „Ach, was habt Ihr denn schon getan! Was
(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.) ist das überhaupt! Das ist so eine kleine Geschichte!"
646 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Winkelheide)
Wir haben mit dem alten Entwurf im 1. Bundes- Ich darf zum Abschluß im Namen unserer Frak-
tag eine Grundlage für die Finanzierung gezeigt, tion danken für die freiwillige Initiative der Wirt-
und die Wirtschaft war dazu bereit. Sie hätten nur schaft, danken all den Kräften, die die Einführung
ja zu sagen brauchen! ermöglicht haben durch ihre Mitwirkung, die also
bisher das Geld zahlten. Wir wollen die Dinge wei-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
ter ausbauen, indem wir mit diesem Entwurf der
Nun will ich mich vorweg einem anderen Pro- Selbsthilfe der Wirtschaft die staatliche Stütze
blem zuwenden. Sie (zur SPD) machen alles mürbe geben.
und alles madig, was so nach eigener Initiative aus-
Ich bitte, daß dieser Entwurf dem Finanz- und
sieht. Steuerausschuß und zur Mitberatung dem Sozial-
(Abg. Lücke: Sehr richtig!)
politischen Ausschuß überwiesen wird. Über all die
Sie machen es sich einfach, indem Sie sagen: „Das anderen Probleme werden wir uns in 14 Tagen
muß der Staat machen!" Ich warne vor dem Gedan- unterhalten, wenn unser Entwurf hier vorliegt.
ken, daß dieser Staat Kinderzulagen geben soll. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)
(Lachen bei der SPD.) Er wird aber den Vorzug der echten Grundlage
Damit die Menschen nicht noch abhängiger werden und der echten Finanzierung haben, das darf ich
und die Familie nicht zum Empfänger der Fürsorge- Ihnen heute schon sagen.
leistungen des Staates wird, warne ich vor staat- (Beifall bei der CDU/CSU.)
lichen Einrichtungen.
Vizepräsident Dr. Schneider: Meine Damen und
(Beifall bei der CDU/CSU.) Herren, das Wort hat noch einmal der Abgeord-
Der Familienvater muß wieder ein natürliches An- nete Richter und dann Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
recht gegenüber der Wirtschaft haben, nicht gegen- Ich möchte aber die Redner bitten, in Anbetracht
über dem Staat. der Tatsache, daß wir noch 11 Punkte auf der heu-
(Zuruf von der SPD: Sagen Sie endlich ein tigen Tagesordnung haben, sich doch kurz zu fas-
mal den wirklichen Grund! Es ist doch nur sen.
ein Drumherumgerede! — Weitere Zurufe Richter (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
von der SPD.) und Herren! Ich werde versuchen, dem Wunsche
— Da reden wir nicht darum herum. Wenn Sie das des Herrn Präsidenten entsprechend mich der
nicht verstehen, — — nein, Sie können es auch Kürze zu befleißigen. Aber einige Ausführungen
nicht verstehen, weil Ihr Ordnungsbild von der des Herrn Kollegen Winkelheide geben mir
Familie und Ihr Ordnungsbild von der Freiheit ein doch Veranlassung, darauf zu erwidern. Ich möchte
ganz anderes ist als unser Ordnungsbild. es nicht in dem Tone der Erregung tun, verehrter
- Herr Kollege Winkelheide,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Zurf von der CDU/CSU: Wer hat denn
Sicher, meine Damen und Herren, hat dieser angefangen?)
Entwurf einige kleine Lücken und einige Unschön-
heiten. Aber letzten Endes können wir nicht alles und ich bedaure sehr, wenn ich Sie zu dieser Er-
auf einmal erreichen. Ich glaube aber, wir sollten regung gebracht habe.
uns darin einig sein in diesem 2. Deutschen Bundes- Aber zur Sache selbst. Sie haben eben wieder-
tag, daß wir zunächst eine Frage einmal grund- holt erwähnt — wörtlich, das Protokoll wird es
sätzlich lösen, nämlich die der Steuerfreiheit der ausweisen —, daß Sie für alle bestehenden Kinder-
Kinderzulagen, die bereits gezahlt werden; beihilfen die Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU) einführen wollen. In Ihrem Entwurf, meine Damen
und Herren von der CDU, ist nur von Einrichtun-
daß wir das alles hinterher in weiteren Gesetzen
tun wollen und tun werden, dafür können Sie die gen von Wirtschafts- und Berufsgruppen oder
Teilen solcher die Rede, nicht davon, daß diese
Garantie von uns übernehmen, daß wir angesichts Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit auch für den
der Tatsache, daß auch ein Familienministerium gesamten öffentlichen Dienst gewährt werden soll.
existiert, Der Eisenbahner, der Postbedienstete, der in der
(Lachen bei der SPD) Kommune Tätige usw. erhält vom ersten Kind ab
das dynamische Kraft entwickelt, Kinderbeihilfe. Durch Ihren Entwurf schließen Sie
für diesen Personenkreis die Steuerfreiheit für alle
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! — Kinder, auch vom dritten Kind ab, aus. Ich bin
Lachen bei der SPD) der Auffassung, daß das nicht gerecht ist.
nicht ruhen und rasten, bis die Gesetzentwürfe Ich möchte auch in aller Deutlichkeit zum Aus-
kommen. druck bringen, Herr Kollege Winkelheide, daß ich
(Abg. Dr. Schellenberg: Sie wissen ja noch mit keiner Silbe erklärt habe, die SPD sei gegen
nicht einmal, welches Ministerium dafür Steuerfreiheit und Beitragsfreiheit von Kinder-
zuständig ist! — Weiterer Zuruf.) beihilfen. Im Gegenteil, ich habe auf unseren Ge-
setzentwurf Drucksache 774 von 1950 hingewiesen,
— Ja, ich bin eben ermahnt worden von Frau Kol- der in § 3 — ich habe ihn hier vor mir — die
legin Ilk, ich müßte lauter sprechen, damit sie es Bestimmung über Unpfändbarkeit und Steuerfrei-
versteht. heit enthält und der zum Ausdruck bringt, daß die
(Zuruf von der CDU/CSU: So laut kannst Kinderbeihilfe, die nach diesem Gesetz zu zahlen
du nicht reden!) wäre, steuerfrei und beitragsfrei ist. Es gibt also
im Grundsätzlichen gar keinen Unterschied. Die
— Manchmal muß man laut sprechen, damit man Frage ist nur, ob nicht durch diesen Gesetzentwurf
es versteht. draußen in der Praxis bei den kinderreichen Fa-
(Abg. Neumann: Mehr Qualität wäre besser!) milien in bezug auf die Einstellung usw. Schwie-
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 647
(Richter)
rigkeiten entstehen könnten. Es wird verschiedent- behandelt werden konnte, daß er in die Versen-
lich gut gehen. Eine Zeit geht es der Wirtschaft kung geraten ist und daß wir erst jetzt, nachdem
gut; eine Zeit geht es einem Beruf gut; eine Zeit wir bereits über ein halbes Jahr in der zweiten
geht es einem Betrieb gut. Aber dann kommt eine Legislaturperiode zusammenarbeiten, endlich zum
Krise, und mögen es auch die besten Menschen Start kommen. Ich hoffe, daß wir auch zum Ziele
sein, die Verhältnisse sind manchmal stärker als kommen, zu einer gesetzlichen Regelung einer
der gute soziale Wille. Gegen all das ist in Ihrem allgemeinen Kinderbeihilfe für die Bundesrepublik
Gesetzentwurf keine Sicherung enthalten. Das Ri- Deutschland als letztes europäisches Land, das eine
siko ist nicht über einen Betrieb, über eine Wirt- solche Regelung noch nicht hat. Das sollten wir
schaftsgruppe hinaus auf die gesamte Wirtschaft, uns vor Augen halten.
auf unser gesamtes Volk aufgeteilt. Wir sind für die Ausschußüberweisung, aber
(Zurufe von der CDU/CSU.) nicht wie Herr Winkelheide vorschlug; federfüh-
Uns ist die Gewährung von Kinderbeihilfen so be- rend sollte nach meiner Auffassung der Sozial-
deutungsvoll, daß wir sie ohne Risiko durchführen politische Ausschuß sein und mitberatend der
wollen. Finanz- und Steuerausschuß.
Meine Damen und Herren, nach Ihrem Entwurf (Beifall bei der SPD.)
könnte die Kinderbeihilfe, die vom Arbeitgeber
gewährt wird, bei Krankheit, bei Arbeitslosigkeit, Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat die
bei Streik, bei Aussperrung, und was weiß ich Abgeordnete Frau Dr. Ilk.
sonst alles, in Wegfall kommen. Bei der Deutschen
Frau Dr. Ilk (FDP): Herr Präsident! Meine Herren
Kohlenbergbauleitung gab es eine schlechte Be-
stimmung, wonach ein Arbeitnehmer, der länger und Damen! Herr Kollege Winkelheide, Sie haben
als vier Wochen krank war, keinen Anspruch auf mit Ihren temperamentvollen Ausführungen weit-
Weiterzahlung der Kinderbeihilfe mehr hatte. hin offene Türen bei uns eingerannt.
(Abg. Lücke: Sie waren auch recht
(Hört! Hört! bei der SPD.) temperamentvoll!)
Sie besteht nicht mehr, aber sie war doch furcht- Wenn vor vier Wochen dieser Antrag behandelt
bar. Bedenken Sie doch, wie der Haushalt des worden wäre, hätte die ganze Sache ein völlig an-
Kumpels aussieht, der länger als vier Wochen deres Gesicht bekommen als jetzt nach den Aus-
krank ist und für den diese 20 DM pro Kind für führungen des Herrn Bundesfinanzministers.
das dritte, vierte, fünfte Kind wegfallen; denn
das Krankengeld ist ja schon geringer als der (Zuruf von der Mitte: Es lag nicht bei uns!)
Lohn, und eine Weiterzahlung des Lohnes kennt — Das weiß ich nicht; ich war nicht im Ältesten
der gewerbliche Arbeiter doch nicht. Das sind die rat. Aber Sie, meine Herren und Damen, schieben
Sorgen, die wir haben. - jetzt die Sache im wesentlichen auf das Gleis der
Nun will ich Ihnen auch die letzte Sorge in Familienausgleichskassen. Ich denke, daß wir dieses
aller Offenheit sagen. Es besteht die Gefahr, daß Thema sehr ausführlich diskutieren werden, wenn
bei Durchführung dieses Gesetzentwurfs eine all- es wieder auf der Tagesordnung steht.
gemeine gesetzliche Regelung der Kinderbeihilfen Wir sollten uns jetzt auf den Antrag, so wie Sie
zumindest verzögert, wenn nicht auf unabsehbare ihn uns hier vorgelegt haben, sachlich beschrän-
Zeit hinausgeschoben wird. ken und dabei im wesentlichen die steuerliche
(Abg. Winkelheide: Begründung?) Seite hervorheben, auf die Sie abzielen. Ich bin
— Jawohl, die sage ich Ihnen! Oder wollen Sie sie infolgedessen — ich wiederhole es — der Meinung,
aus dem Schreiben der Arbeitgeber vorgelesen ha- daß dieser Antrag nicht ausreicht, weil er eben
ben? Die Begründung ist ganz einfach. Die Arbeit- nicht von der Steuergleichheit ausgeht. Aber er
geber stehen nämlich auf dem Standpunkt: Höch- sollte eben darum, weil er eine Steuerfrage be-
stens ein Rahmengesetz, aber alles andere ist un- trifft, in erster Linie im Ausschuß für Finanz- und
sere Angelegenheit; wir wollen alles tun, wir sind Steuerfragen behandelt, d. h. zur Federführung an
doch so sozial! — All das geht aus dem Inhalt die- ihn überwiesen werden.
ses Schreibens hervor. (Zuruf von der Mitte: Einverstanden; mit
Aber der Herr Präsident hat mich gebeten, mich beratend der Sozialpolitische Ausschuß!)
kurz zu fassen. Ich will deshalb auf Einzelheiten Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
nicht eingehen. Ich will nur zum Schluß Sie, Herr Abgeordnete Horn.
Winkelheide, und die Damen und Herren von der
CDU darauf aufmerksam machen, daß wir noch Horn (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen
in der vergangenen Legislaturperiode einen Ge- und Herren! Der Kollege Winkelheide hat schon
setzentwurf Drucksache Nr. 4562 über die Gewäh- darauf hingewiesen, es sei lediglich auf ein Miß-
rung von Beihilfen für Familien mit Kindern ein- verständnis zurückzuführen, wenn wir vorhin die
gebracht haben. Darin haben wir den Grundsatz zehn Minuten Begründungszeit nicht ausgenutzt
der Familienausgleichskassen festgelegt und ver- haben. Wir waren informiert, der Ältestenrat sei
langt, daß vom dritten Kind an, nach kurzer Zeit übereingekommen, auf Begründung und Debatte
vom zweiten Kind an —und nach und nach wollten zu verzichten.
wir bis zum ersten Kind kommen — eine Kinder-
beihilfe gewährt wird. Ich glaube, es waren 46 Än- Nun gestatten Sie mir, daß ich zu dem, was sich
derungsanträge, die zu diesem Gesetzentwurf von jetzt hier abgespielt hat, folgendes sage. Unser An-
Ihnen, Herr Kollege Horn, und Ihren Freunden trag trägt das Datum vom 14. Januar 1954. In-
im Ausschuß gestellt wurden. zwischen zählen wir ungefähr den 14. März. Es
ist, um das hier ganz ausdrücklich zu sagen, eben
(Sehr richtig! bei der SPD.) nicht unsere Schuld, daß dieser Antrag aus den
Damit wurde erreicht, daß dieser Gesetzentwurf bekannten Gründen drei- oder viermal von der
im Sozialpolitischen Ausschuß nicht abschließend Tagesordnung abgesetzt worden bzw. nicht zum
648 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Horn)
Zuge gekommen ist. Wenn wir nun erst im März auch der Herr Bundesfinanzminister noch ein Wort
darüber reden, dann rücken wir natürlich jetzt mitzusprechen haben.
angesichts der neueren Vorgänge in der Steuer- (Abg. Dr. Miessner: Was sagt denn der
reform dem Zeitpunkt erheblich näher, an dem dazu? — Abg. Lücke: Warten Sie doch ab!)
wir die erste Lesung über die eingereichten Ge-
setzentwürfe abzuhalten haben. Aus diesen Gedan- Das noch zur kurzen Klarstellung. Im übrigen
kengängen heraus hatte ich mich neulich mit dem sehen wir uns bei der ersten Lesung auf diesem
Kollegen Richter in Verbindung gesetzt und bei Felde der Ehre wieder.
ihm angeregt, wir sollten bei der ersten Lesung (Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)
dieser Vorlage auf jegliche Debatte verzichten.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) Vizepräsident Dr. Schneider: Weitere Wortmel-
dungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Be-
Ich habe das nicht zuletzt deshalb getan, weil ich ratung zu Drucksache 189.
mir persönlich darüber klar war, daß man, wenn
wir hier eine Debatte über diese kleine steuerliche Im Ältestenrat war, Herr Kollege Richter, all-
Angelegenheit führen, dann zwangsläufig ver- gemeine Übereinstimmung erzielt worden, diese
suchen wird, das ganze Thema Familienausgleichs Drucksache an den Ausschuß für Finanz- und
kassen an diesem schwachen Nagel aufzuhängen Steuerfragen — federführend — und an den Aus-
schuß für Sozialpolitik — mitberatend — zu über-
(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! weisen.
— Was denn auch geschehen ist!)
(Zurufe von der SPD: Einverstanden!)
und dann in der Form zu behandeln, wie wir es
durch diesen Anschauungsunterricht hier eben er- Ich bin der Meinung, wir sollten darum nicht
fahren haben. kämpfen. Nehmen Sie Ihren Antrag zurück?
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) (Zustimmung bei der SPD.)
Wenn ich das Datum 14. Januar noch einmal — Gut! Es wird also vorgeschlagen Überweisung
nenne, dann nur aus dem Grunde, weil wir uns an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen
gesagt haben: Bis zur Verabschiedung des Gesetzes — federführend — und an den Ausschuß für So-
über die Familienausgleichskassen oder Kinder- zialpolitik, mitberatend. Ist das Haus damit ein-
beihilfen vergehen immerhin noch diverse Monate. verstanden? — Das ist der Fall; dann ist die Über-
Wir wollten, daß den Menschen, die heute die weisung so beschlossen.
Kinderbeihilfe schon beziehen, mit Wirkung
ab 1. Januar auch die steuerlichen und in bezug Ich rufe dann Punkt 7 der heutigen Tagesord-
nung auf:
auf die Sozialversicherungsbeiträge vorgesehenen
Vergünstigungen zugute kommen, die sowohl die Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
-
SPD als auch wir und überhaupt wohl das ganze über die Beauftragung von Einrichtungen
Haus im Rahmen der Kinderbeihilfen sichergestellt der freien Wohlfahrtspflege mit der nicht-
sehen möchten. gewerbsmäßigen Arbeitsvermittlung zur
(Beifall in der Mitte.) Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts (Drucksache 223).
Wenn also die Dinge so liegen, dann hätten Sie,
verehrter Herr Kollege Richter — das muß ich Auf Begründung und Debatte soll verzichtet
doch auch noch einmal sagen —, es unterlassen sol- werden. Ich schließe die Beratung und schlage
len, von „diesem kümmerlichen Gesetzentwurf" zu Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit
sprechen; denn wir sollten uns doch absolut klar vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist
sein, um was es hier geht. Wenn der Herr Kollege der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Dr. Miessner diese Dinge richtig verstanden hätte,
dann hätte er auch den Zwischenruf, daß hier Ich rufe Punkt 8 der heutigen Tagesordnung auf:
konfuses Zeug geredet worden sei, unterlassen. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
(Beifall in der Mitte. — Abg. Sabel: Das eines Gesetzes betreffend das Übereinkom-
kann man gar nicht erwarten!) men Nr. 63 der Internationalen Arbeitsorga-
nisation vom 20. Juni 1938 über Statistiken
Ich will keine Untersuchung darüber anstellen, von der Löhne und der Arbeitszeit in den haupt-
wem hier gelegentlich konfuseres Zeug geredet sächlichsten Zweigen des Bergbaus und des
worden ist als von dem Kollegen Winkelheide. verarbeitenden Gewerbes einschließlich des
(Beifall in der Mitte.) Baugewerbes sowie in der Landwirtschaft
(Drucksahe126);
Darauf möchte ich meine kurzen Ausführungen be-
schränken. Es ging mir darum, vor der Öffent- Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ar
lichkeit klarzustellen, daß dieser kleine Gesetz- beit (27. Ausschuß) (Drucksache 258).
entwurf kein Sich-Herumdrücken um die eigent- (Erste Beratung: 10. Sitzung.)
liche Kernfrage ist, sondern daß wir hier schon Ich erteile das Wort dem Berichterstatter Herrn
einige Monate vorher Vergünstigungen sicherstel- Abgeordneten Scheppmann.
len wollten, die das kommende Gesetz sowieso vor-
sieht. Wenn unserem Gesetzentwurf der Nachteil Scheppmann (CDU/CSU), Berichterstatter: Herr
zugesprochen wird — und wenn Sie wollen, ist es Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf
vielleicht einer —, daß er eben nur diesen kleinen eines Gesetzes betreffend das Übereinkommen
Ausschnitt hier berücksichtigt, dann ist dabei Nr. 63 der Internationalen Arbeitsorganisation vom
immer zu beachten, daß es nur eine V o r w e g - 20. Juni 1938 über Statistiken der Löhne und der
n a hm e aus dem kommenden Gesetz ist. Über die Arbeitszeit — Drucksache 126 — wurde in der
Frage, ob auch sonstige Kinderbeihilfen und Zu- 10. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am
schläge behandelt werden müssen wie diese, wird 21. Januar 1954 an den Ausschuß für Arbeit über-
zu diskutieren sein. Dabei wird wahrscheinlich wiesen. Dieser Ausschuß hat die Vorlage in seiner
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 649
(Scheppmann)
Sitzung vom 5. Februar 1954 behandelt. Er war gefaßt. Diese bestehen aus Delegationen der Mit-
einstimmig der Auffassung, das Hohe Haus möge gliedstaaten. Jede Delegation setzt sich aus zwei
dem vorliegenden Gesetzentwurf seine Zustim- Regierungsvertretern, einem Arbeitnehmer- und
mung geben. einem Arbeitgebervertreter zusammen. Die wich-
tigsten Funktionen der Konferenzen bestehen dar-
Meine Damen und Herren, mit der vorgeschla- in, internationale Mindestnormen für Arbeits- und
genen Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 63 Lebensbedingungen zu formulieren. Diese Mindest-
übernimmt die deutsche Bundesregierung die Ver- normen finden ihren Niederschlag in Konventio-
pflichtung, in regelmäßigen Zeitabständen Stati- nen und Empfehlungen. Für ihre Annahme ist je
stiken a) über den durchschnittlichen Verdienst eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Dele-
und die tatsächliche Arbeitszeit im Bergbau und gierten notwendig. Die Regierungen der Mitglied-
im verarbeitenden Gewerbe, b) über die Zeitlohn- staaten der Organisation haben die Verpflichtung,
sätze und die gewöhnliche Arbeitszeit im Bergbau die Konvention ihren zuständigen nationalen Kör-
und im verarbeitenden Gewerbe sowie über die perschaften zwecks Entscheidung über ihre Rati-
Löhne in der Landwirtschaft zu führen und deren fizierung vorzulegen. Die beschlossenen Konven-
Ergebnisse dem Internationalen Arbeitsamt mitzu- tionen werden dann allen Mitgliedstaaten zur Ra-
teilen. tifikation übermittelt. Jeder Mitgliedstaat hat die
Die wichtigsten dieser Statistiken bestehen in Verpflichtung, spätestens innerhalb eines Jahres
der Bundesrepublik bereits. Es sind allerdings nach Abschluß der Arbeitskonferenz, auf der die
einige Ergänzungen des derzeitigen Programms Konvention angenommen wurde, oder, wenn es
notwendig, vor allem der Aufbau einer Tariflohn wegen außergewöhnlicher Umstände nicht möglich
statistik und die Einführung einer laufenden Sta- ist, 18 Monate nach Beendigung der Konferenz die
tistik über die Verdienste in der Landwirtschaft. Konvention den gesetzgebenden Körperschaften
Diese Ergänzungen werden auch von den Sozial- zwecks Erlaß entsprechender Gesetze oder Ein-
partnern und den zuständigen Behörden schon seit leitung anderer Maßnahmen vorzulegen.
längerer Zeit gewünscht. Die Mitglieder des Aus- Ergänzend möchte ich noch sagen: Während der
schusses für Arbeit sind ebenfalls einhellig der An- Mitgliedschaft des Deutschen Reiches in der Inter-
sicht, daß diese Erweiterung der bestehenden Sta- nationalen Arbeitsorganisation bis 1933 haben die
tistiken im deutschen Interesse liegt. internationalen Arbeitskonferenzen 40 Konventio-
Der Bundesrat hat in seiner 116. Sitzung vom nen beschlossen. Von ihnen hat das deutsche Reich
27. November 1953 gemäß Artikel 76 Abs. 2 des 17 ratifiziert. Die Verpflichtungen aus diesen vom
Grundgesetzes beschlossen, gegen den Gesetzent- Deutschen Reich ratifizierten Konventionen hat
wurf keine Einwendungen zu erheben. die Bundesrepublik Deutschland bei ihrer Auf-
nahme in die Internationale Arbeitsorganisation
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir ein im Jahre 1951 insoweit übernommen, als diese
Wort zur Internationalen Arbeitsorganisation über- Verpflichtungen im Hoheitsbereich der Bundes-
haupt. Die Internationale Arbeitsorganisation-
republik Deutschland entstanden sind oder entste-
wurde im Jahre 1919 als eine autonome, aber mit hen. Die Beschränkung ergibt sich zwingend aus
den Völkern verbundene Organisation gegründet. der veränderten staatsrechtlichen Lage Deutsch-
Sie besteht nunmehr 35 Jahre und ist jetzt eine
den Vereinten Nationen angeschlossene Organisa- lands.
tion. Deutschland gehörte bis 1933 dieser inter- Im vergangenen Jahr, und zwar vom 4. bis
nationalen Organisation an. Im Jahre 1933 kam 25. Juni 1953, fand in Genf die 36. Tagung der In-
die Unterbrechung. Erst seit 1951 ist die Bundes- ternationalen Arbeitskonferenz statt, auf der die
republik wieder Mitglied. Daß wir diese Feststel- deutsche Delegation durch den Herrn Bundesmini-
lung über die Mitgliedschaft bei der Internationa- ster für Arbeit und seinen Staatssekretär Sauerborn
len Arbeitsorganisation treffen können, dürfte für vertreten war. Ebenso waren als Delegierte ver-
uns erfreulich sein, dürfte zu begrüßen sein; denn treten die Herren Dr. Winkler und Kollege Richter.
wir wissen, daß die Internationale Arbeitsorgani- Die Bundesrepublik nimmt an den Arbeiten der
sation sich zum Ziel gesetzt hat, in allen Ländern Internationalen Arbeitsorganisation jetzt wieder
der Welt eine soziale Fortentwicklung zu unter- regen Anteil. Diese Zusammenarbeit auf inter-
stützen, die allen Menschen den höchstmöglichen nationaler Grundlage ist nicht nur notwendig, son-
Lebensstandard sichern soll. Ihre Aufgabe besteht dern, ich möchte sagen, sehr bedeutsam im Hin-
also darin, die Arbeits- und Lebensbedingungen in blick auf die Aufgabenstellung bei der Zusammen-
der ganzen Welt zu verbessern, um dadurch einen arbeit aller Staaten in der Internationalen Arbeits-
allgemeinen und dauernden Frieden mit sichern organisation.
zu helfen. Abschließend möchte ich noch einmal betonen,
Die Internationale Arbeitsorganisation ist eine daß der Arbeitsausschuß dem Hohen Hause ein-
Organisation von Staaten. Sie wird durch Beiträge stimmig empfiehlt, diesem Gesetzentwurf die Zu-
der Regierungen ihrer Mitgliedstaaten finanziert. stimmung zu geben.
Im Gegensatz zu anderen internationalen Organi- (Beifall.)
sationen zeichnet sie sich dadurch aus, daß ihr Or-
ganvertreter nichtamtlicher Organisationen, und Vizepräsident Dr. Schneider: Ich danke dem
zwar der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer Herrn Berichterstatter.
und der Arbeitgeber, gleichberechtigt mit den Ver-
tretern der Regierungen angehören, um die Politik, Ich rufe nunmehr in der zweiten Beratung, und
die Programme und die Beschlüsse der Internatio- zwar in der Einzelberatung, auf Art. 1 des Gesetzes.
nalen Arbeitsorganisation zu beeinflussen. Die Be- — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die
schlüsse der Internationalen Arbeitsorganisation, Beratung in der zweiten Lesung. Wer dem Art. 1
die durch bindende Konventionen und Empfehlun- in der vorgeschlagenen Fassung zustimmen will,
gen eine internationale Arbeitsordnung herbei- den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um
führen, werden von den grundsätzlich alljährlich die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig
stattfindenden internationalen Arbeitskonferenzen angenommen.
650 2. Deutscher Bundestag - 18. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 11. März 1954
(Vizepräsident Dr. Schneider)
Ich rufe in der Einzelberatung auf den Art. 2. Es handelt sich hier ja um Ratifizierungsabkom-
— Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die men, die vom Bundestag nur entweder angenom-
Einzelberatung. Wer dem Art. 2 zustimmen will, men oder abgelehnt werden können. Infolgedessen
den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! sollte sich die Bundesregierung vorher der Tatsache
— Enthaltungen? — Einstimmig angenommen. vergewissern, daß sie ihre Annahme auch durch-
setzen kann, weil sonst ein wenig erfreulicher Zu-
Ich rufe auf Art. 3. Ich eröffne die Aussprache. stand bezüglich dieser internationalen Vereinbarun-
— Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die
gen eintreten würde.
Aussprache. Wer dem Art. 3 des aufgerufenen Ge-
setzes in der vorgeschlagenen Fassung zustimmen Bei den heute zur Debatte stehenden Verträgen
will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegen- habe ich zwar einige Bedenken — gerade bei dieser
probe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenom- Drucksache 126 —, ob nicht doch erhebliche finan-
men. zielle Belastungen aus den zusätzlichen Statistiken
für die Bundesrepublik entstehen können und ob
Ich rufe in der Einzelberatung Art. 4 auf. Wort- nicht auch sehr ins Gewicht fallende zusätzliche
meldungen liegen nicht vor. Ich schließe sie. Wer arbeitsmäßige Anforderungen an die beteiligten
dem Art. 4 zustimmen will, den bitte ich um ein Kreise gestellt werden. Wir haben aber trotzdem
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — diesem Vertrag unsere Zustimmung gegeben und
Einstimmig angenommen. werden auch den beiden anderen, die als nächste
Ich rufe Art. 5 auf. — Wortmeldungen liegen Punkte auf der Tagesordnung stehen, zustimmen.
nicht vor. Ich schließe die Einzelberatung. Wer
Art. 5 zustimmen will, den bitte ich um ein Hand- Vizepräsident Dr. Schneider: Das Wort hat der
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 5 Abgeordnete Richter.
ist einstimmig angenommen.
Richter (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
Ich rufe in der zweiten Beratung Einleitung und und Herren! Das Hohe Haus beschäftigt sich heute
Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um ein mit drei Übereinkommen, die auf der internatio-
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — nalen Arbeitskonferenz beschlossen wurden. Meine
Einstimmig angenommen. Damit ist das Gesetz in Fraktion wird diesen drei Vorlagen zustimmen.
zweiter Lesung angenommen.
(Vizepräsident D r. Jaeger übernimmt
Ich rufe nunmehr zur
den Vorsitz.)
dritten Lesung
auf und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Der Herr Berichterstatter Kollege Scheppmann
Wort hat der Abgeordnete Atzenroth. hat schon in sehr netten Ausführungen auf die Be-
deutung und die Arbeitsmethode des Internatio-
Dr. Atzenroth (FDP): Meine Damen und Herren! nalen Arbeitsamtes verwiesen. Es wurde auch dar-
Die Behandlung der drei Ratifizierungsgesetze gibt auf hingewiesen, daß wir seit dem Juni 1951 wie-
Veranlassung, einige allgemeine Bemerkungen zum derum Mitglied der Internationalen Arbeitsorga-
Internationalen Arbeitsamt zu machen. Wir begrü- nisation sind. Ich weiß, daß diese Tatsache in der
ßen selbstverständlich — und mit uns, wie ich an- Öffentlichkeit allgemein begrüßt wurde. Aber wir
nehme, das ganze Hohe Haus — den Wiederbeitritt müssen uns fragen: Was haben wir seit dieser Zeit
der deutschen Bundesrepublik zu dem Internatio- geleistet, seitdem wir Mitglied sind, also gewisse
nalen Arbeitsamt. Wir setzen uns dafür ein, daß Verpflichtungen übernommen haben? Bei 103
wir uns mit aller Intensität an diesen Arbeiten be- Übereinkommen und 97 Empfehlungen wurde in
teiligen. Um dabei zu einer wirklich guten Arbeit Wirklichkeit nur ein Übereinkommen ratifiziert,
zu kommen, wäre es wünschenswert, daß wir außer und zwar das Übereinkommen Nr. 99, welches das
dem Regierungssitz auch in dem Verwaltungsrat je Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen in
einen Sitz für die Arbeitnehmer- und für die der Landwirtschaft behandelt. Die Ratifikation die-
Arbeitgebervertreter bekämen. ses Übereinkommens hat Jahre gedauert. Es wurde
Wir müssen bei dieser Gelegenheit auch einen vor zwei Jahren von der Bundesregierung unter-
gewissen Einfluß auf das Klima nehmen, das sich breitet und dann im Bundestag behandelt. Nachdem
in dieser Organisation noch nicht in allen Dingen es bereits im Bundesgesetzblatt veröffentlicht war,
zugunsten der deutschen Bundesrepublik gewendet hat es sieben Monate gedauert, bis es in Genf hin-
hat. Ich erinnere daran, daß in einer der letzten terlegt wurde. Sieben Monate hat die Reise von der
Mitteilungen der ILO-Nachrichten — in Nr. 20 — Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt bis zum
eine völlig irreführende Darstellung über die Lohn- Internationalen Arbeitsamt in Genf gedauert. Von
und Einkommensverhältnisse in der Bundesrepu- da ab ist es, international gesehen, erst rechtsgültig
blik gegeben worden ist. und verpflichtet uns erst. Eine so lange Zeit ist
Wie weiter bei dieser Gelegenheit zu bemerken auf die Dauer gesehen einfach unmöglich. Wir bit-
ist, ist es auch erforderlich, daß wir darauf achten, ten die Bundesregierung dringend, dafür besorgt
als deutsche Bundesrepublik keine Bindungen ein- zu sein, daß das Verfahren der Ratifizierung von
zugehen, die sich nicht mit unserer allgemeinen internationalen Übereinkommen, soweit der Bun-
Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsform und auch destag, der Bundesrat und die Bundesregierung zu-
mit der Lage unserer Sozialversicherung vertragen. ständig sind, beschleunigt wird.
Dabei möchte ich die Aufmerksamkeit der Bundes- Wir bitten ebenso dringend, daß uns die Bundes-
regierung, insbesondere des Herrn Bundesarbeits- regierung außer diesen drei Übereinkommen, die
ministers, schon auf das Übereinkommen Nr. 102 uns heute vorgelegt sind, in aller Kürze weitere,
lenken, das demnächst einmal von diesem Hause und zwar bedeutsame Übereinkommen unterbrei-
verabschiedet werden soll. Ich glaube, daß darin tet; wir haben nämlich festgestellt, daß der größte
doch einige Punkte enthalten sind, die nicht ohne Teil der Übereinkommen ohne Änderung der dies-
weiteres die Billigung dieses Hohen Hauses fin- bezüglichen deutschen Gesetze ratifiziert werden
den werden. kann. Deshalb ist es der Bundesregierung sehr
(Abg. Richter: Warum?) leicht möglich, uns die Vorlagen zu unterbreiten.
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 651
(Richter)
Wir sollten Wert darauf legen, daß wir im Juni, diesem Bereich zu einer guten Zusammenarbeit zu
wenn die Arbeitskonferenz wiederum beginnt und kommen. Durch diese Arbeit wollen wir Anregun-
über die Übereinkommen, die inzwischen ratifi- gen empfangen und Anregungen geben. Das kann
ziert worden sind, Bericht erstattet wird, mit mehr wirklich allen Völkern nur sehr dienlich sein. Ich
als einem Übereinkommen erwähnt werden, daß möchte also die Gelegenheit benutzen, unser posi-
wir bis dahin von den restlichen Übereinkommen tives Bekenntnis zu dieser internationalen Zusam-
einen erheblichen Teil ratifiziert haben und daß das menarbeit auch hier noch einmal auszusprechen.
im Bericht des Generaldirektors des Internationa- (Beifall bei der CDU/CSU.)
len Arbeitsamts zum Ausdruck kommen kann.
Bereits im Dezember 1951 hat der Bundesvor- Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird noch das Wort
stand des Deutschen Gewerkschaftsbundes der Bun- gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
desregierung eine Denkschrift unterbreitet, in der Dann kommen wir zur Abstimmung in dritter
er darauf hinwies, welche Übereinkommen nach Beratung. Ich rufe auf die Art. 1, — 2, — 3, — 4,
seiner Meinung ohne Änderungen der diesbezüg- — 5, — Einleitung und Überschrift. Wer den auf-
lichen deutschen arbeits- oder sozialrechtlichen Be- gerufenen Artikeln einschließlich Einleitung und
stimmungen ratifiziert werden könnten, und hat Überschrift zustimmen will, den bitte ich, die Hand
die Bundesregierung gebeten, dies zu tun. Wir bit- zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
ten dringend, das Hohe Haus möge die Bundes- Enthaltungen? — Das ist einstimmig angenommen.
regierung ersuchen, dieser Bitte der Gewerkschaf- Die Schlußabstimmung entfällt gemäß § 88 Satz 4
ten, der Repräsentation der Arbeitnehmerschaft, zu der Geschäftsordnung.
entsprechen; denn diese Übereinkommen sind ja
letzten Endes für die Regelung der Verhältnisse Ich rufe auf Punkt 9 der Tagesordnung:
der deutschen Arbeitnehmerschaft maßgebend. Des- Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
halb legen wir allen Wert darauf, daß beschleu- eines Gesetzes betreffend das Übereinkom-
nigt verfahren wird. Es genügt nicht, jedes Jahr men Nr. 88 der Internationalen Arbeits-
zur Internationalen Arbeitskonferenz zu fahren, organisation vom 9. Juli 1948 über die Or-
verehrter Herr Bundesarbeitsminister Storch, und ganisation der Arbeitsmarktverwaltung
dort eine nette Rede zu halten, wie Sie das jedes (Drucksache 127),
Jahr getan haben, was ich hier gerne anerkenne;
es ist auch nicht genügend, daß wir mitberatend Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ar-
mit den Vertretern der anderen Nationen, der Re- beit (27. Ausschuß) (Drucksache 259).
gierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, (Erste Beratung: 10. Sitzung.)
zusammenarbeiten; wir müssen auch die Tat fol-
gen lassen, die diese Vorarbeiten doch schließlich Das Wort als Berichterstatter hat der Abge-
erfordern. Die Tat aber besteht in der Vorlage und ordnete Richter.
Ratifikation weiterer und auch bedeutsamer Über-
Richter (SPD), Berichterstatter: Herr Präsident!
einkommen der Internationalen Arbeitsorganisa-
Meine Damen und Herren! Das Übereinkommen
tion. Nr. 88 der Internationalen Arbeitskonferenz —
(Beifall bei der SPD.) Bundestagsdrucksache 127 — verpflichtet die rati-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- fizierenden Staaten, eine öffentliche und unentgelt-
geordnete Sabel. liche Arbeitsmarktverwaltung zu unterhalten. Ihre
Hauptaufgabe soll in der bestmöglichen Organi-
Sabel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sation des Arbeitsmarktes liegen, da man hierin
Damen und Herren! Ursprünglich war keine Aus- einen wesentlichen Teil des staatlichen Programms
sprache über diesen Tagesordnungspunkt vorge- zur Erzielung und Aufrechterhaltung der Vollbe-
sehen. Nachdem aber nun die Aussprache begonnen schäftigung sowie zur Entwicklung und Nutzung
worden ist, erscheint es mir notwendig, auch von der produktiven Hilfsquellen sieht.
unserer Seite etwas zu diesen Problemen zu sagen. Die Arbeitsmarktverwaltung soll unter Leitung
Herr Kollege A t z e n r o t h hat gefragt: Ist diese einer zentralen Dienststelle stehen und über ein
Regelung, die hier zur Diskussion steht, unbedingt ausreichendes Netz von Arbeitsämtern verfügen,
notwendig; wie sind die Kosten dieser Regelung? welches das ganze Land umfaßt. Durch Einsetzung
Dazu möchte ich folgendes sagen. Die Statistik, die zentraler, soweit nötig, auch regionaler und ört-
verlangt wird, ist nicht nur für das Internationale licher Ausschüsse, sollen Vertreter der Arbeitneh-
Arbeitsamt wichtig. Ich glaube, auch uns im eige- mer und Arbeitgeber zur Mitarbeit bei der Organi-
nen Land fehlt diese Grundlage, die wir benötigen, sation und Tätigkeit der Arbeitsmarktverwaltung
um daraus Schlußfolgerungen ziehen zu können. und beim Ausbau der arbeitsmarktpolitischen Maß-
Ich weiß, daß man bei Statistiken maßhalten soll nahmen herangezogen werden. Das Übereinkom-
und daß das auch in Unfug ausarten kann. Aber men enthält Grundsätze über die Einrichtung, die
ich glaube, zur Beurteilung mancher Tatbestände technische Ausgestaltung und die Handhabung des
sind wir auf Erhebungen dieser Art angewiesen. Arbeitsvermittlungsdienstes, die zu treffenden
In den Beratungen im Ausschuß ist uns von den Maßnahmen für Berufsberatung und Zusammen-
Vertretern der Bundesregierung gesagt worden, die wirken mit der Arbeitslosenhilfe.
entstehenden Kosten seien minimal. Deshalb brau- Das Übereinkommen kann nach einhelliger Mei-
chen wir darum meines Erachtens nicht sonder- nung des Ausschusses ratifiziert werden, da der
lich besorgt zu sein. Aufbau der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung
Lassen Sie mich noch eine grundsätzliche Be- und Arbeitslosenversicherung und deren ganzes
merkung machen. Auch ich möchte die Gelegenheit System den Grundsätzen des Übereinkommens ent-
benutzen, zu sagen, daß wir die internationale Zu- sprechen.
sammenarbeit im sozialpolitischen und arbeitsrecht-
lichen Raum für dringend notwendig erachten. Ich Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem Herrn
glaube, es ist unser gemeinsames Wollen, auch in Berichterstatter.
652 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Vizepräsident Dr. Jaeger)
Ich darf daran erinnern, daß vereinbart ist, bei und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren,
den Punkten 8 bis 11 der Tagesordnung eine Aus- die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. —
sprache erst bei der dritten Lesung durchzuführen, Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —
soweit sie überhaupt gewünscht wird. Einstimmig angenommen.
Ich rufe darum in zweiter Lesung zur Abstim- Ich komme zur
mung auf die Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — dritten Beratung.
Einleitung und Überschrift. — Ich bitte diejenigen,
die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der
Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Fall. Ich trete in die Abstimmung ein und rufe auf
Einstimmig angenommen. die Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung
und Überschrift. Wer zustimmen wi ll, den bitte
Ich eröffne die Aussprache zur ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
dritten Beratung. Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig an-
genommen. Eine Schlußabstimmung entfällt gemäß
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der § 88 Satz 4 der Geschäftsordnung.
Fall.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Ich komme zur Abstimmung. Ich rufe auf die Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung und eines Gesetzes über das Abkommen zwischen
Überschrift. — Ich bitte diejenigen Damen und der Bundesrepublik Deutschland und der
Herren, die zustimmen wollen, die Hand zu er- Italienischen Republik über Arbeitslosenver-
heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthal- sicherung (Drucksache 164);
tungen? — Einstimmig angenommen. Mündlicher Bericht des Ausschusses für
Die Schlußabstimmung entfällt gemäß § 88 Satz 4 Arbeit (27. Ausschuß) (Drucksache 261).
der Geschäftsordnung. (Erste Beratung: 10. Sitzung.)
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeord-
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: nete Kuntscher.
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Kuntscher (CDU/CSU), Berichterstatter: Herr
eines Gesetzes betreffend das übereinkom- Präsident! Meine Damen und Herren! Mit
men Nr. 96 der Internationalen Arbeits- Drucksache 164 liegt dem Hohen Hause für die
organisation vom 1. Juli 1949 über Büros für zweite und dritte Lesung ein weiteres inter-
entgeltliche Arbeitsvermittlung (Neufassung nationales Abkommen zur Beschlußfassung
1949) (Drucksache 128); vor. Es ist der Entwurf eines Gesetzes über
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ar- das Abkommen zwischen der Bundesrepublik
beit (27. Ausschuß) (Drucksache 260). Deutschland und der Italienischen Republik über
(Erste Beratung, 10. Sitzung.) Arbeitslosenversicherung. Das Abkommen wurde
in Rom am 5. Mai 1953 von den Vertragspartnern
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeord- unterzeichnet. Die Verhandlungen der Delegationen
nete Richter. der beiden Staaten fanden vom 9. bis zum 23. März
Richter (SPD), Berichterstatter: Herr Präsident! 1953 in Bonn und vom 2. bis zum 5. Mai 1953 in
Meine Damen und Herren! Das Übereinkommen Rom statt.
Nr. 96 in der Fassung von 1949 über Büros für Dieses Abkommen bezieht sich auf die Gesetz-
entgeltliche Arbeitsvermittlung ist an die Stelle gebungen der Arbeitslosenversicherung und Ar-
eines früheren Übereinkommens vom Jahre 1933 beitslosenfürsorge in der Bundesrepublik und über
getreten. Das Übereinkommen hat in den Bestim- die Arbeitslosenversicherung einschließlich der Be-
mungen seines Teils II, die durch das vorliegende stimmungen über die außerordentliche Fürsorge
Gesetz von der Bundesrepublik angenommen wer- für Arbeitslose in der Italienischen Republik. Es
den sollen, die fortschreitende Aufhebung der auf bestimmt, daß deutsche Staatsangehörige in der
Gewinn gerichteten Büros für entgeltliche Arbeits- Italienischen Republik und italienische Staats-
vermittlung zum Gegenstand und enthält weiterhin angehörige in der Bundesrepublik Deutschland der
Vorschriften für die nicht gewerbsmäßigen Einrich- genannten Gesetzgebung unterliegen. Es erwachsen
tungen zur Arbeitsvermittlung. Das Übereinkom- ihnen dadurch die gleichen Rechte und die gleichen
men kann von der deutschen Bundesrepublik rati- Pflichten, wie sie die Angehörigen des Vertrags-
fiziert werden, da die Vorschriften des Gesetzes staates in dessen Gebiet besitzen. Im Zeitpunkt
über Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und des Abschlusses des Abkommens befinden sich an-
Lehrstellenvermittlung vom 5. November 1935 so- nähernd 5000 Deutsche in Italien und die an-
wie die hierzu ergangenen Durchführungsverord- nähernd gleiche Zahl von Italienern in der Bundes-
nungen in Verbindung mit den von der früheren republik, die durch ihr Arbeitsverhältnis unter die
Reichsanstalt erlassenen Vorschriften über die Auswirkungen dieses Abkommens fallen. Die Ver-
Durchführung der gewerbsmäßigen Arbeitsvermitt- sicherungspflicht und die Versicherungsleistung
lung — für Artisten-, Konzert- und Bühnenver- richtet sich auf Grund dieses Abkommens nach den
mittlungen — den Grundsätzen des Übereinkom- geltenden Vorschriften des Beschäftigungsortes
mens entsprechen. Dementsprechend hat der Aus- und den Vorschriften des Vertragsstaates. Eine
schuß einstimmig empfohlen, dem Gesetzenwurf Überweisung von Leistungen an zahlungsberech-
zuzustimmen. tigte Angehörige eines Arbeitslosen, die im Gebiet
des anderen Vertragsstaates wohnen, kann auf
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem Herrn Grund dieses Abkommens bewilligt werden.
Berichterstatter.
Ein zu beachtender wesentlicher Umstand in die-
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß ent- sem Abkommen ist, daß eine Verrechnung und
sprechend der Drucksache 260 die Drucksache 128 Erstattung der Leistungen zwischen den beider-
geändert wird, und mit dieser Änderung aufrufen seitigen Versicherungsträgern zu erfolgen hat. Ich
die Artikel 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — Einleitung betone dies besonders, da bei gleichen Abkommen,
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 653
(Kuntscher)
die die Bundesrepublik bereits mit Österreich und bis Ende 1953 so bessern würden, daß die Hypo-
den Niederlanden abgeschlossen hat, diese Ver theken- und Schiffspfandbriefbanken den notwen-
pflichtung der Leistungserstattung nicht besteht. digen Bedarf an langfristigem Kapital durch Aus-
gabe von Pfandbriefen beschaffen könnten. Diese
Das Abkommen wird für die Dauer eines Jahres Erwartungen haben sich jedoch nicht erfüllt. Der
nach dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens ge-
Pfandbriefabsatz ist bis heute nicht so gestiegen,
schlossen. Es gilt als stillschweigend von Jahr zu daß Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken auf
Jahr verlängert, sofern es nicht von der Regierung die im Gesetz vom 5. August 1950 vorgesehene an-
eines der beiden Vertragsstaaten spätestens drei derweitige Möglichkeit zur Kapitalbeschaffung
Monate vor Ablauf der Jahresfrist schriftlich ge- verzichten könnten. Im Interesse der weiteren För-
kündigt wird. derung des Wohnungsbaus und des Schiffsbaus ist
Das vorliegende Gesetz soll auch im Lande Ber- daher eine Verlängerung der Geltungsdauer des
lin gelten, wenn das Land Berlin dieses Gesetz Gesetzes vom 5. August 1950 notwendig. Die Bun-
beschließt. desregierung hat demgemäß mit der Druck-
Der Ausschuß für Arbeit hat dem vorliegenden sache 195 den Entwurf eines Gesetzes über wei-
Gesetz einstimmig zugestimmt und empfiehlt dem -tere Maßnahmen auf dem Gebiet des Hypotheken
und Schiffsbankrechts eingebracht. Dieser Ent-
Plenum gleichfalls die Annahme.
wurf hat dem Bundesrat, dem Ausschuß für Geld
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem Herrn und Kredit und dem Ausschuß für Rechtswesen
Berichterstatter. und Verfassungsrecht vorgelegen.
Ich rufe auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung Der Bundesrat hat beantragt, die Eingangs-
und Überschrift und bitte die Damen und Herren, formel wie folgt zu fassen:
die zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bun-
Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — desrates das folgende Gesetz beschlossen.
Einstimmig angenommen.
Die beiden Ausschüsse sind jedoch mit der Bun-
Ich eröffne die desregierung der Ansicht, daß der Gesetzentwurf
dritte Beratung. nach dem Grundgesetz nicht der Zustimmung des
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Bundesrats bedarf. Es ist zwar richtig, daß das
Fall. Ich komme zur Abstimmung und rufe auf: Gesetz vom 5. August 1950 als Zustimmungsgesetz
Art. 1, — 2, — 3, — 4,— Einleitung und Über- verkündet worden ist, nachdem der Bundesrat
schrift und bitte die Damen und Herren, die zu- diesem Gesetz ausdrücklich nach Art. 78 des Grund-
stimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich bitte gesetzes zugestimmt hatte. Ob diese Zustimmung
um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstim- notwendig war, mag dahingestellt bleiben. Die in
mig angenommen. Die Schlußabstimmung entfällt § 1 des vorliegenden Entwurfs vorgesehene Ände
gemäß § 88 Satz 4 der Geschäftsordnung. - rung des Gesetzes vom 5. August 1950 enthält
jedenfalls keine zustimmungsbedürftige Regelung.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung: § 2 Abs. 4 letzter Satz des Entwurfs regelt nicht
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs das Verfahren der Aufsichtsbehörde, sondern stellt
eines Gesetzes über weitere Maßnahmen lediglich klar, daß die Befugnisse der Aufsichts-
auf dem Gebiet des Hypotheken- und behörde, eine teilweise Gewinnausschüttungssperre
Schiffsbankrechts sowie über Ausnahmen im Wege der Rechtsverordnung zu verhängen,
von § 247 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetz- nicht berührt werden.
buchs (Drucksache 195); Hiernach ist festzustellen, daß der vorliegende
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Gesetzentwurf nicht der Zustimmung des Bundes-
Rechtswesen und Verfassungsrecht (16. Aus- rates bedarf. Damit entfällt auch die vom Bundes-
schuß) (Drucksache 255). rat vorgeschlagene Änderung des § 2 Abs. 4 Satz 3
(Erste Beratung: 13. Sitzung.) des Entwurfs, da der Entwurf gemäß den obigen
Ausführungen nicht zustimmungsbedürftig ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Welskop.
Auf Vorschlag des Bundesrates ist in § 5 der
Dr. Welskop (CDU/CSU), Berichterstatter: Herr folgende neue Abs. 2 eingefügt:
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Rechtsverordnungen, die auf Grund der in
Herren! Durch das Gesetz vom 5. August 1950 er- diesem Gesetz enthaltenen Ermächtigung er-
hielten die Hypotheken- und Schiffspfandbrief- lassen werden, gelten im Lande Berlin nach
banken die bis zum 31. Dezember 1953 befristete § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes vom
Möglichkeit, ihre Geschäfte zu erweitern und Glo- 4. Januar 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 1).
baldarlehen bei der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau und bei anderen Kapitalsammelstellen aufzu- Gegenüber dieser Änderung, die lediglich eine an-
dere Fassung der Berlin-Klausel vorsieht, werden
nehmen. Damals, im Sommer 1950, war der Kapi-
talmarkt noch so schwach, daß es nicht möglich von der Bundesregierung und den beiden Aus-
schüssen Bedenken nicht erhoben. Der ursprüng-
war, langfristiges Sparkapital in dem erwünsch- liche Entwurf ist insoweit abgeändert.
ten Ausmaß durch Ausgabe von Pfandbriefen auf-
zubringen. Auf der anderen Seite war man jedoch Es bestehen keine Bedenken, daß die Änderung
davon überzeugt, daß es zur Förderung des Woh- des § 1 Abs. 2 des Gesetzes vom 5. August 1950
nungsbaus und des Schiffsbaus langfristiger Kre- infolge ihrer Rückwirkung aus verfassungsmäßigen
dite in weitem Umfange bedürfe und daß dazu Gründen zulässig ist. Die Bundesregierung und
auch die Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungs-
berufen seien. recht sind einstimmig derselben Ansicht.
Bei der Beschlußfassung des Gesetzes vom Der Ausschuß für Geld und Kredit hat die Frist
5. August 1950 ging man von der Erwartung aus, für die Erhöhung des Grundkapitals auf den
daß sich die Verhältnisse auf dem Kapitalmarkt 1. Januar 1954 verlegt. Entscheidend dafür war,
654 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Kuntscher)
daß in einer von der Landesregierung unterstütz- Erste Beratung des von der Fraktion der
ten Eingabe von Kollegen aus Baden-Württemberg SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
mitgeteilt worden war, daß der Württembergische zur Ergänzung des Umsatzsteuergesetzes
Kreditverein. Stuttgart, die Kapitalerhöhung zwar (Drucksache 199).
vor dem 1. Okober 1953 beschlossen, aber bis zu Herr Abgeordneter Seither zur Begründung!
diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt hatte.
Ein zweiter Fall wurde aus Bremen bekannt. Nach Seither (SPD), Antragsteller: Herr Präsident!
Anhörung der Regierungsvertreter sah der Aus- Meine Damen und Herren! Das Sortieren von Obst
schuß für Geld und Kredit keinen Hinderungs- und Gemüse sowie das Marktfähigmachen von
grund, die Frist vom 1. Oktober 1953 auf den Kartoffeln ist ein wesentlicher Teil der Qualitäts-
1. Januar 1954 auszudehnen. Der Ausschuß für förderung in diesen Sektoren. Es ist bis jetzt
Rechtswesen und Verfassungsrecht hatte ebenfalls nicht möglich gewesen, in den bäuerlichen Betrie-
keine Bedenken. ben diese Sortierung durchzuführen, weil die tech-
In § 5 Abs. 1 wurde auf Antrag der Vertretung nischen Voraussetzungen dort nicht gegeben sind.
Berlins beim Bund die Berlin-Klausel geändert, Diese Betriebe sind darauf angewiesen, die Sor-
da das zugrunde liegende Gesetz von 1950 vor dem tierung im Handel und in den Großgenossenschaf-
Dritten Überleitungsgesetz ergangen ist und des- ten und Genossenschaften durchführen zu lassen.
sen Bestimmungen daher nicht zitiert werden Die heutige Umsatzsteuerregelung allerdings hat
können. zur Folge, daß bei der Sortierung von Obst und
Als Abs. 1 a wurde der Änderungsvorschlag des Gemüse die Umsatzsteuer anfällt. Leider ist es
Bundesrats unter Nr. 3 a eingefügt. bisher nicht gelungen. eine Änderung dieser Re-
In Abs. 3 wurde dem Änderungsvorschlag des gelung zu erreichen. Schon vor einem Jahr ist ein
Bundesrats unter 3 c Rechnung getragen. dementsprechender Antrag eingebracht worden. Er
Auf Grund der notwendigen rückwirkenden Er- ist damals in die Ausschüsse verwiesen worden.
streckung des § 1 des Gesetzentwurfs mußte § 6 In den Ausschüssen ist die Sache befürwortet wor-
neu gefaßt werden. den. Sie lag dem Bundestag in der 280. Sitzung zur
Beschlußfassung vor. Der Bundestag hat die vom
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungs- Ausschuß in Drucksache Nr. 4630 beantragte Ent-
recht empfiehlt dem Hohen Hause die Annahme schließung angenommen. Bislang ist aber von der
seines Antrages: Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz nicht
Der Bundestag wolle beschließen, vorgelegt worden. Wir haben uns deshalb veranlaßt
den Gesetzentwurf — Drucksache 195 — mit gesehen, von unserer Fraktion aus einen Gesetz-
den aus der Drucksache 255 ersichtlichen Än- entwurf vorzulegen, der die Ergänzung des Um-
derungen, im übrigen unverändert nach der satzsteuergesetzes vorsieht.
Vorlage, anzunehmen. Wir bitten Sie, diesem von uns vorgelegten Ent-
wurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Umsatz-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke dem Herrn steuergesetzes zuzustimmen.
Berichterstatter. Da zu dem vorgelegten Gesetz-
entwurf Änderungsanträge nicht eingereicht sind, (Beifall bei der SPD.)
schlage ich Ihnen vor, daß wir Beratung und Ab- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort zur Aus-
stimmung auch in zweiter Lesung bei den §§ 1 sprache hat der Abgeordnete Eberhard.
bis 6, Einleitung und Überschrift miteinander ver-
binden. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so be- Eberhard (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver-
schlossen. ehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien
Wird zu den aufgerufenen Paragraphen das Demokratischen Partei stimmt dem Antrag zu, und
Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir zwar deshalb, weil wir der Auffassung sind, daß
kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf § 1, — § 2, durch die Steuerbefreiung hinsichtlich der Sortie-
— § 3, — § 4, — § 5, — § 6, — Einleitung und rung und Verpackung ein Steuerausfall überhaupt
Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die nicht eintritt. Denn daß Sortierung und Ver-
zustimmen wollen, die Hand zu erheben. — Ich packung bislang eine erhöhte Umsatzsteuer, d. h.
bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — eine Mehrung um 3% verursachten, hatte zur
Einstimmig angenommen! Folge, daß sie vom Großhandel oder von den Er-
Wir kommen zur zeuger- und Verbrauchergenossenschaften über-
haupt nicht vorgenommen wurden. Wenn wir also
dritten Beratung. dem Gesetz die Zustimmung geben, so bedeutet
das fiskalisch gesehen keinerlei Ausfall; im Gegen-
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das teil, wir gewähren damit dem Erzeuger von Obst
Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich und Gemüse den Vorteil, daß er sehr wahrschein-
schließe die allgemeine Aussprache. Ich rufe auf lich einen besseren Preis erzielen wird. Die Haus-
zur Abstimmung: § 1, — § 2, — § 3, — § 4, — § 5, frau kauft ja nicht nur nach wirtschaftlichen Über-
— § 6, — Einleitung und Überschrift. Ich bitte die legungen, sondern auch mit dem Auge, d. h. wenn
Damen und Herren, die zustimmen wollen, die ausländisches Obst und Gemüse bevorzugt gekauft
Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. wurde, so nur deshalb, weil eben das Auge gekauft
— Enthaltungen? — Einstimmig angenommen! hat, was hinsichtlich der deutschen Erzeugnisse
Wir kommen zur Schlußabstimmung über den nicht möglich war, da eine Sortierung und Ver-
vorliegenden Gesetzentwurf. Ich bitte die Damen packung nicht vorgenommen wurden.
und Herren, die dem Gesetz zustimmen wollen, Für die Erzeuger- und Verbrauchergenossen-
sich von den Plätzen zu erheben. — Ich bitte um schaften — und dies gilt insbesondere für den
die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Gesetz- Großhandel — hätte die Sortierung und Verpak-
entwurf ist einstimmig angenommen. kung nach den bisherigen Bestimmungen zur Folge
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: gehabt, daß sie nicht nur ihre Vermittlerprovision,
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 655
(Eberhard)
d. h. ihre Maklerprovision, als Umsatz zu ver- c) Beratung des Entwurfs einer Fünfzehnten
steuern gehabt hätten, sondern den Gesamterlös. Verordnung über Zollsatzänderungen (Druck-
Ich denke hierbei an eine Verbrauchergenossen- sache 269).
schaft der Pfalz, die im Schnitt einen Jahresumsatz
von etwa 2 Millionen DM hat. Die Vermittlerpro- Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht.
vision beträgt 5 %, das sind 100 000 DM. Hiervon Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Herr
hat die Verbrauchergenossenschaft eine Umsatz- Abgeordneter Dr. Horlacher!
steuer von 4 % zu bezahlen, was einen Betrag von
4000 DM ausmacht. Würde nach dem jetzt be- Dr. Horlacher (CDU/CSU): Meine sehr verehrten
stehenden Recht von der Verbrauchergenossen- Damen und Herren! Ich nehme an, daß der Ent-
schaft eine Sortierung und Verpackung durchge- wurf Drucksache 227 an den Ausschuß für Außen-
führt werden, dann hätte das zur Folge, daß diese handelsfragen und an den Wirtschaftspolitischen
Genossenschaft nicht ihre Vermittlerprovision von Ausschuß und daß der Entwurf Drucksache 221 an
100 000 DM mit 4 % als Umsatz versteuern müßte, den Ausschuß für Außenhandelsfragen sowie an
sondern den Gesamterlös von 2 Millionen DM, was den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
einen Betrag von 80 000 DM, mithin eine Meh- Forsten überwiesen wird. Zu dem Entwurf Druck-
rung von 76 000 DM ausmachen würde. sache 221 möchte ich bemerken, daß hierzu von
Wenn wir uns das alles vergegenwärtigen, dann einer Reihe meiner Freunde Bedenken geäußert
glaube ich, daß kaum jemand im Hause anwesend werden, die im Ausschuß noch näher geprüft wer-
sein dürfte, der diesem Antrag gemäß Druck- den müssen, weil der Einbruch in das Zollsystem
sache 199 seine Zustimmung versagen wird. Ich mit Zolländerungen immer eine schwerwiegende
darf in diesem Zusammenhang auch noch darauf Angelegenheit ist, nachdem wir die Vereinbarung
hinweisen — mein Vorredner hat bereits daran mit dem sogenannten GATT haben. Man wird sich
erinnert —, daß schon im letzten Bundestag der also über die Angelegenheit unterhalten müssen.
Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen an dieses Ich will dazu keine weiteren Bemerkungen ma-
Hohe Haus die Empfehlung gerichtet hatte, dieser chen, weil auf der einen Seite auch das Bedürfnis
Gesetzesänderung die Zustimmung zu geben. Leider vorliegt, vielleicht in einem gewissen Umfang Nutz-
ist dies vermutlich wegen der Überfülle an Arbeit, vieh zur Aufstockung der Viehbestände in An-
die auf den 1. Deutschen Bundestag insbesondere spruch zu nehmen. Aber das Bedenkliche sind im-
zum Schluß der Legislaturperiode zugekommen mer die Zollsatzänderungen.
ist, nicht mehr zum Tragen gekommen. Wesentliche Bedenken sind dagegen gegenüber
Ich bitte abschließend, davon Kenntnis zu neh- dem Entwurf Drucksache 269 vorhanden. Der Bun-
men, daß meine Fraktion dieser Gesetzesänderung desrat hat sich heute in seinem Agrarausschuß
zustimmen wird. auch mit der Angelegenheit beschäftigt. Dabei sind,
wie mir Informationen zugekommen sind, eine
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab- ganze Reihe von Ländern mit erheblichen Beden-
geordnete Dr. Dr. Müller. ken gegen diese Verordnung hervorgetreten. Sie
wissen ja, daß ich voriges Jahr — es wird so im
Dr. Dr. Müller (Bonn) (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion März oder April gewesen sein als die Käselibe-
ralisierung durchgeführt wurde, hier im Plenum
stimmt der Tendenz dieses Antrags in vollem Um-
fang zu. Ich beantrage aber, diesen Antrag dem gegen dieses Vorgehen mit besonderem Nachdruck
Ausschuß für Steuer- und Finanzwesen und dem Stellung genommen habe. Ich habe damals gesagt,
Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft zu die Käseliberalisierung sei ein schwerer Fehler ge-
überweisen. Seitens meiner Freunde liegt nämlich wesen, weil man einseitig einen Teil der Milch-
noch ein Antrag vor, der leider infolge eines Ver- verarbeitung herausgenommen und der Liberalisie-
sehens des Büros nicht zeitig genug ins Plenum ge- rung unterworfen habe. Später haben sich dann
kommen ist. Er greift noch andere Dinge auf die- im Gefolge der Liberalisierung Nachteile bemerk-
sem Gebiete auf, die genau so liegen wie die Ver- bar gemacht. Als ich damals auf die Wirkungen
packung bei Obst und Gemüse. Diese ganze Frage hingewiesen hatte, die sich daraus ergehen können,
können wir dann im Rahmen einer Ausschuß- habe ich von dem Vizekanzler Blücher ein längeres
beratung bereinigen. Ich bitte, dem von mir ge- Telegramm bekommen. Darin erwiderte er, man
nehme an, daß keine besondere Erhöhung der
stellten Antrag zuzustimmen. Käseeinfuhr stattfinden werde. Das ist überholt,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird noch das Wort die Käseeinfuhr hat sich erhöht. Man hat weiter-
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe hin zugesichert, daß man im Falle einer Erhöhung
die Aussprache. der Käseeinfuhr besondere Maßnahmen ergreifen
werde, um die heimische Milchwirtschaft und die
Es ist beantragt, den Gesetzentwurf zu überwei-
-sen federführend an den Ausschuß für Finanz Käsereien entsprechend zu schützen. Über all das
wird noch zu sprechen sein.
und Steuerfragen sowie außerdem an den Aus-
schuß für Geld und Kredit und den Ausschuß für Wir sind nach wie vor der Meinung — auch nach
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Wer dem den Ausführungen, die der Herr Bundesernäh-
Antrag zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu rungsminister Lübke in der Öffentlichkeit gemacht
heben. — Das ist die Mehrheit; es ist also be- hat —, daß alle Fragen der Milchwirtschaft einer
schlossen. besonders eingehenden und zusammenhängenden
Ich rufe auf Punkt 14: Prüfung bedürfen. Dazu gehört die Verordnung
a) Beratung des Entwurfs einer Dreizehnten über Zollsatzänderungen auf dem Gebiet des so-
Verordnung über Zollsatzänderungen (Druck- genannten Almkäses, des Bergkäses — das ist ein
sache 227); Käse, der in etwa mit dem Emmentaler Käse zu
vergleichen ist; da gibt es verschiedene Qualitä-
b) Beratung des Entwurfs einer Vierzehnten ten —
Verordnung über Zollsatzänderungen (Druck-
sache 221); (Abg. Kriedemann: Nur nicht so gut!)
656 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Dr. Horlacher)
— Na ja, ich wohne da unten, ich werde doch Staat eine solche Zollfreiheit für ein Kontingent zu-
Bescheid wissen, worum es sich handelt. gestehen, wirkt das auf andere Staaten zurück.
(Abg. Kriedemann: Ich stimme Ihnen ja bei; Deswegen steht in der Begründung drin:
ich mache Ihnen ja Mut!) Die Zollfreiheit im Rahmen des Zollkontingen-
— Sie sind mir ja freundlich, Herr Kriedemann. tes von 1000 t bis zum 31. Dezember 1954
Es freut mich ganz besonders, daß wir endlich ein- kommt vielmehr dem Almkäse aus allen Län-
mal einen vernünftigen Bundesgenossen haben. dern zugute.
(Heiterkeit. — Abg. Frau Strobel: Höchste Da haben wir ja Glück, daß es in Schweden
Zeit!) und Dänemark keine Almen gibt.
Das erleichtert uns die Lage, es erschwert sie nicht. (Heiterkeit.)
Aber auch für mich ist das eine besondere Auf- Aber die gibt es in der Schweiz. Also soweit das
gabe, die mir gar nicht so leicht fällt. möglich ist, kommt es auch anderen Ländern zu-
gute.
(Abg. Kriedemann: Ich weiß!)
Ich wohne an der bayrisch-österreichischen Grenze Deswegen ist die Sache so bedenklich. Wir haben
und bin sonst gewohnt, mit unseren österreichi- auf der einen Seite die Käseliberalisierung, die
schen Freunden nachbarlich-freundschaftliche Be- durchgehend gilt, und auf der anderen Seite die Zu-
ziehungen zu unterhalten. Dafür können Sie ja geständnisse eines besonderen Zollkontingents. Ich
Verständnis haben. Aber da, wo die gegenseiti- bitte das zu unterscheiden; es kommt hier auf
gen Wirtschaftsinteressen nicht übereinstimmen, „zollfrei" an. Sonst hätte das „zollfrei" gar keinen
sondern sich überschneiden, da sind die Verhält- Sinn. Hier wird für ein besonderes Kontingent
nisse unter den besonderen sachlichen Gesichts- eine Zollfreiheit zugestanden. Im übrigen greift
punkten zu beurteilen, die hier zutreffen. Das ist aber die Liberalisierung Platz, besonders mit ver-
leider immer so. fehlten Maßnahmen bei der Käseliberalisierung. So
ist der Tatbestand.
(Zuruf von der SPD: Da hört die Freund-
schaft auf!) Für uns im Süden ist das keine rein bayerische
Frage; da kommen auch die Württemberger dazu.
Nun zum Text der Verordnung. Die Bundesregie- Es handelt sich also um das bayrisch-württember-
rung ist gar nicht vertreten; die hat sich selber gische Allgäu. Wir sind hier den gleichen Bedin-
eingeschmolzen, während wir über den Schmelz- gungen unterworfen wie der ganze Grönlandgürtel
käse reden. im Süden — auf den kommt es ja an —, wo die
(Heiterkeit.) Käseerzeugung eine besondere Rolle spielt. Die
Mindestens einer sollte doch da sein, aber da ist Frage ist für uns im Süden deswegen so brennend,
gar keiner da. Schön ist das auch nicht im demo- weil wir dort unten die größten Schwierigkeiten
kratischen Staat, haben und andererseits gleichzeitig die unmittel-
(erneute Heiterkeit) baren Nachbarn dieser Staaten sind. 1000 t Käse ist
auch etwas anderes als 1000 t Getreide. 1000 t Käse
wenn sich der Bundesrat heute vormittag mit der bringen uns, wenn der Markt überfüllt und die
Angelegenheit beschäftigt und das Bundesernäh- Preise rückläufig sind, in eine schwierige Situation.
rungsministerium überhaupt gar nicht vertreten
ist. Gestatten Sie, daß ich das moderato so vor- Ursprünglich wollte ich beantragen, gleich die
trage. ganze Sache abzulehnen.
(Fortgesetzte Heiterkeit.) (Abg. Kriedemann: Es wäre das Beste!)
Es wird ihr auch zu Gehör gebracht werden, auch Soweit will ich aber gar nicht gehen. Wir wollen
wenn sie nicht da ist. uns doch wenigstens über die Geschichte unterhal-
ten und die Verhältnisse überprüfen. Ich habe aber
Die Fassung dieser Verordnung über Zollände-
die ernstesten Bedenken anzumelden und möchte
rungen ist, entschuldigen Sie, sehr liederlich. Da
so weit gehen, zu sagen, daß große Teile derer, die
heißt es: davon betroffen sind, dieser Verordnung nicht zu-
Der Zollsatz des Zolltarifs für die nachstehend stimmen können. Das ist die Lage, die sich da er-
bezeichnete Ware wird bis auf weiteres wie gibt.
folgt geändert.
Wir wollen aber die Frage prüfen. Deswegen be-
Lesen Sie den Text nur nach: „bis auf weiteres". antrage ich unter Anmeldung ernstester Bedenken
Dann steht unten, daß hier gewisse Konzessionen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandels-
bezüglich einer Höchstmenge von 1000 t bis zum fragen und an den Ausschuß für Ernährung, Land-
31. Dezember 1954 gemacht werden sollen. Also das wirtschaft und Forsten. Ich hoffe, daß wir dann zu
stimmt nicht miteinander überein. Ergebnissen kommen, bei denen etwaige Gefahren
Das Gefährliche an der Verordnung ist nämlich, für unsere Käseerzeuger im bayerischen und würt-
daß man plötzlich eine vollständig zollfreie Einfuhr tembergischen Allgäu vermieden werden.
zugesteht. Woher das gekommen ist, wissen wir (Beifall bei der CDU/CSU.)
alle. Da besuchen sich die hohen Herren gegensei-
tig, und da werden natürlich manche Wünsche aus- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Frau
getauscht, und da war der Käse auch mit dabei. Abgeordnete Strobel.
(Heiterkeit.) Frau Strobel (SPD): Meine Damen und Herren!
Infolgedessen haben wir uns hier über den Käse Der Herr Kollege Horlacher war, gemessen an
zu unterhalten. sonstigen hier erlebten temperamentvollen Aus-
brüchen, heute verhältnismäßig zurückhaltend.
Das weitere Gefährliche an der Angelegenheit
liegt im ganzen GATT-System, im ganzen Zoll- (Heiterkeit.)
system. Das muß man wissen. Wenn wir einem Ich habe dafür Verständnis; denn es handelt sich
2 Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 657
(Frau Strobel)
um die Vorlage der Regierung, der seine Partei jedesmal mit der Lage der Käsewirtschaft, der Libe-
maßgebend angehört. Ich muß sagen, ich beneide ralisierung und ihren Folgen auseinandersetzen,
ihn nicht um die Situation, in der er sich gegen- künftig in Ihrem eigenen Interesse auch darauf auf-
über seinen Kollegen im Allgäu befindet. Wir wer- merksam machen können, daß Sie, obwohl der Herr
den sehen, ob diese Vorlage den von Herrn Hor- Bundeskanzler dieses diplomatische Geschenk ver-
lacher angekündigten Weg geht. Zunächst befinden sprochen hat, die Ausführung dieses Geschenks ver-
wir uns ja in der ersten Lesung. hindert haben. Einer von beiden wird auf alle Fälle
in Schwierigkeiten geraten.
Die Angelegenheit hat aber, wie ich meine, noch
eine andere, sehr ernste Seite, die dieses Haus an- (Beifall bei der SPD.)
geht. Wir haben uns hier sehr oft über Zollausset-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
zungen unterhalten, vor allen Dingen im 1. Bundes- geordnete Bauknecht.
tag. Meistens handelte es sich um Vorlagen der
sozialdemokratischen Fraktion, die dann Zollaus- Bauknecht (CDU/CSU): Gestatten Sie auch mir
setzung beantragt hat, wenn bei wichtigen Nah- ein paar kurze Bemerkungen. Ich will nicht dar-
rungsmitteln eine ernste Mangellage und damit über reden, ob es, wenn es sich wirklich um ein
erhebliche Preissteigerungen eingetreten waren. politisches Freundschaftsgeschenk gehandelt hat,
Leider hat das Hohe Haus unseren diesbezüglichen nicht besser gewesen wäre, wenn man dem, der
Anträgen nur bei den seltensten Gelegenheiten zu- ein Geschenk haben wollte, sagen wir, ein Meiße-
gestimmt. ner Porzellan geschenkt hätte, als auf Kosten der
Heute handelt es sich um eine Vorlage, die eine Landwirtschaft ein zweifelhaftes Geschenk zu
Zollaussetzung für ein Produkt vorsieht, an dem machen. Im allgemeinen ist es doch wohl so: Wenn
wir wahrlich keinen Mangel haben, sondern bei man schon Geschenke zusichert, ist es am besten,
dem wir uns in einer ernsten Absatzkrise befin- man gibt sie gleich; sonst könnten die Leute, denen
man sie versprochen hat, gar nicht mehr im Amt
den. Das ist, glaube ich, der sachliche Tatbestand. sein, wie in diesem Fall.
Ich möchte darüber hinaus allerdings ebenso wie (Sehr richtig! bei der SPD.)
der Herr Kollege Horlacher meinen, daß die Vor-
lage weniger unter der Überschrift „Verordnung Aber nun zur Sache. Frau Strobel, Sie benutzen
über Zollsatzänderungen" als vielmehr unter der die günstige Gelegenheit, jetzt mal Ihr landwirt-
„Diplomatische Geschenke" erscheinen sollte; denn schaftliches Herz zu entdecken und hier vor aller
darin liegt doch die wirkliche Ursache für das Zu- Öffentlichkeit zu sagen, daß Sie gegen eine Zoll-
standekommen. Wenn unser Kollege Horlacher bei herabsetzung sind. Sie haben recht, ich würde es
dieser Gelegenheit nach „vernünftigen" Bundes- an Ihrer Stelle auch tun.
genossen sucht, so möchte ich beinahe meinen, daß (Abg. Frau Strobel: Habe ich gar nicht
diejenigen, die die Vorlage gemacht haben, nicht
- zu gesagt!)
den vernünftigen gehören; diesen Schluß muß man
Aber in Wirklichkeit ist es so: Die Lage der Milch-
daraus ziehen. wirtschaft ist im Spätherbst hier sehr gründlich
(Abg. Dr. Horlacher: Das haben Sie heraus behandelt worden. Ich muß schon sagen, Konse-
gebracht!) quenzen wurden bis heute in dieser Hinsicht abso-
— Ja, Herr Kollege, das haben Sie selber festge- lut keine gezogen. Sie erinnern sich an die Debatte
stellt, wenn auch nicht direkt, so doch indirekt. über die Restmilchverwertung, zu der auch die
Wir möchten jedenfalls meinen: Es hat in diesem Käseherstellung gehört. Der damalige Bundeser-
Hause schon so viele Debatten über die Situation nährungsminister hatte keine Bedenken gegen die
der Milchwirtschaft gegeben, daß diese Auseinan- Liberalisierung des Handels mit Käse. Tatsache ist
dersetzung nicht spurlos an den Ohren auch des aber folgendes. Seit dem Zeitpunkt der Liberali-
Herrn Bundeskanzlers — wir wollen das einmal sierung, nämlich seit dem 1. April, ist die Einfuhr
ganz deutlich sagen — hätte vorbeigehen sollen; um 33 % gestiegen. Kein Mensch wird glauben,
dann hätte es zu dieser Vorlage nicht kommen daß die deutsche Bevölkerung ausgerechnet im
können. Jahre 1953 um 33 % mehr Käse gegessen hat als
je zuvor. Ganz klar: der Markt ist völlig überlastet,
Es heißt hier, handelspolitische Gründe seien für und das hat zu dem Zusammenbruch des Käse-
die Vorlage ausschlaggebend gewesen. Ich erinnere marktes im November, Dezember geführt, den Sie
mich einer Situation, da gab es wirklich handels- alle noch in Erinnerung haben und der damals
politische Gründe und zudem eine echte Mangel- auch in diesem Hause besprochen worden ist. Die-
lage in der Bundesrepublik. Das war, als wir die ser Zusammenbruch hat zur Folge gehabt, daß die
Aussetzung des Butterzolls beantragten und die Milchpreise im Werkmilchgebiet, im württember-
Schweden ernsthaft handelspolitische Schwierig- gischen Allgäu, in jener Zeit von 28 bis auf 20 Pf
keiten machten. Es gab weder bei der Regierung heruntergesunken sind, also weit, weit unter die
noch im Bundestag Verständnis dafür. In diesem Gestehungskosten, und daß der Durchschnitts-
Fall scheint es so ähnlich zu sein wie damals, als preis, der im Jahre 1953 im Weichkäsegebiet
der Herr Bundeskanzler gelegentlich einer Italien- gezahlt wurde, um ganze zwei Pfennig nied-
reise vorübergehend die Aussetzung bzw. Verkür- riger war als im vorvergangenen Jahr, und im
zung der Sperrfristen auch gewissermaßen als diplo- Emmentaler Gebiet um mehr als drei Pfennig.
matisches Geschenk dargebracht hat. Nun werden Sie sagen: Ja, an sich eine kleine An-
Nun, Sie sind j a immer so stolz auf Ihre große gelegenheit; was können diese 1000 t nun schon
Mehrheit im Hause, wie es wieder heute vormittag machen? Man weiß, daß unser Hartkäseproduk-
durch den Herrn Kollegen Winkelheide zum Aus- tionsgebiet heute so in Schwierigkeiten ist, daß es
druck gekommen ist. Es steht einwandfrei fest, daß sich um eine Ausfuhr bemüht. Es ist nun endlich
die CDU/CSU allein in der Lage ist, diese Zollausset- gelungen, nach Frankreich, das den Käseimport
zungen zu verhindern. Ich hoffe sehr, daß Sie bei nicht liberalisiert hat, 850 t auszuführen, und die
Ihren Bauernversammlungen, bei denen Sie sich Freude ist nun groß, wenigstens einen kleinen Ab
658 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Bauknecht)
ratz ins Ausland zu haben. Aber dieser Erfolg wird eine Zusage, die die Bundesregierung vorbehalt-
völlig zerschlagen durch die 1000 t, die von drau- lich der Sanktionierung durch dieses Haus ge-
ßen — und nun auch noch völlig zollfrei — herein- geben hat, eingelöst werden soll oder nicht. Man
kommen sollen. kann sich im Ausschuß darüber unterhalten, ob das
Aber es hat auch noch andere Folgen. Der Ja oder das Nein zweckmäßiger ist; aber man muß
schweizerische Gesandte hat sich bereits gemeldet sich so schnell wie möglich darüber unterhalten.
und hat gesagt, das wäre eine gewisse Unfreund- Herr Kollege Horlacher, ich habe nicht die volle
lichkeit gegenüber seinem Land, der Schweiz. Sicherheit, daß dieses schnelle Tempo bei einem
Zwischen der Schweiz und uns besteht nämlich ein Teil Ihrer Kollegen angestrebt wird. Deswegen
Handelsvertrag, der für uns durchaus günstig ist. schlage ich vor, daß die Herren des Ernährungs-
Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. ausschusses, die an dem Problem interessiert sind,
Solcher Bergkäse wird nicht nur in der Schweiz heute nachmittag um 15 Uhr an der Sitzung des
hergestellt, sondern auch in Italien und in Frank- Ausschusses für Außenhandelsfragen teilnehmen
reich, und wir werden erleben, daß alle diese Staa- und daß wir die Angelegenheit dann in einer ge-
ten mit ihren Forderungen kommen. meinsamen Sitzung behandeln.
Ich bitte Sie also, diese Sache im Interesse der
Milchwirtschaft abzulehnen. Wenn aber ein Teil Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
der Mitglieder dieses Hauses glaubt, die Angele- geordnete Kriedemann.
genheit im Ausschuß nochmals durchdiskutieren zu
sollen, dann habe ich nichts dagegen. Kriedemann (SPD): Herr Präsident! Meine Da
Ich darf vielleicht noch einen kurzen Hinweis men und Herren! Daß es sich um eine Angelegen-
geben. 1000 t sind nach der Vorlage vorgesehen. heit handelt, die den Ernährungsausschuß an-
Die Österreicher haben nach meinen Informationen geht und mit der er sich wegen der verschiedenen
im Augenblick überhaupt nicht mehr als 150 t auf Seiten des Problems beschäftigen muß, kann,
Lager, so daß gar keine Notwendigkeit besteht. glaube ich, auch unter dem Gesichtspunkt irgend-
In Vorarlberg soll bereits eine Anordnung ergan- einer Dringlichkeit nicht bestritten werden. Wir
gen sein, nunmehr die Frischmilchlieferungen nach wissen schon sehr lange, daß es diese Vorlage gibt,
Wien einzustellen und Bergkäse herzustellen, falls daß sie schmort. Bei allem Verständnis dafür, daß
die heutige Vorlage durchgeht. Sie sehen also, es man diese peinliche Angelegenheit möglichst sang
besteht absolut keine Notwendigkeit für unsere und klanglos über die Bühne bringen möchte,
Freunde in Österreich, und für uns entsteht nur glaube ich doch, daß sich der Ernährungsausschuß
ein weiterer Schaden, indem die Milchverwertung damit befassen muß. Er kann es auch nicht ohne
noch mehr heruntergeht. weiteres in einer gemeinsamen Sitzung mit einem
anderen Ausschuß tun. Der Ernährungsausschuß
Wenn man also glaubt, die Sache noch diskutie- hat heute nachmittag eine Sitzung, und man kann
- des
ren zu sollen, dann bitte ich, sich dem Antrag ihm sicherlich nicht vorwerfen, daß er bisher kein
Herrn Dr. Horlacher anzuschließen und die Vor- Verständnis für eilbedürftige Angelegenheiten ge-
lage federführend dem Außenhandelsausschuß und habt hat. Ich sehe nicht ein, warum man das auf
zur Mitberatung dem Ausschuß für Ernährung und einmal unterstellen sollte.
Landwirtschaft überweisen zu wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Ich unterstütze also mit allem Nachdruck den
Antrag auf Überweisung an den Ernährungsaus-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird zur Sachdebatte schuß. Das wäre noch das beste, was dieser Vor-
noch das Wort gewünscht? — Dann kann ich die lage passieren könnte. Viel gescheiter wäre es ge-
Sachdebatte schließen. wesen, man hätte beantragt, diese Vorlage ohne
Ausschußüberweisung gleich in der ersten Lesung
Wir kommen zur Frage der Ausschußüberwei- abzulehnen. Wenn Sie das nicht provozieren
sung. Vom Ältestenrat ist vorgeschlagen, die Druck- wollen, dann lassen Sie es bitte bei der Über-
sache 227 — die Dreizehnte Verordnung über weisung an den Ernährungsausschuß.
Zollsatzänderungen — an den Ausschuß für
Außenhandelsfragen zu überweisen. Erhebt sich Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ab-
hiergegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. geordnete Dr. Dr. Müller.
Die Überweisung ist beschlossen.
Dann ist vorgeschlagen, die Drucksache 221 Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) (CDU/CSU): Herr Prä-
— Entwurf einer Vierzehnten Verordnung über sident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich
Zollsatzänderungen — unter Punkt 14 b der heu- bei dieser Vorlage nicht darum, ob ein Ja oder
tigen Tagesordnung und unter c die Drucksache Nein zu einem Versprechen ausgesprochen wird,
269, den Entwurf einer Fünfzehnten Verordnung das angeblich als diplomatische Freundlichkeit ge-
über Zollsatzänderungen, jeweils an den Aus- geben worden ist, sondern es handelt sich hierbei
schuß für Außenhandelsfragen federführend und um die Prüfung einer echten landwirtschaftlichen
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft Frage. Ich stimme dem Wunsch des Herrn Kol-
und Forsten mitberatend zu überweisen. legen Kriedemann zu, daß dieser Vorschlag in den
Hierzu wünscht der Abgeordnete Bender das Außenhandelsausschuß und in den Ausschuß für
Wort. Ich erteile ihm das Wort. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kommt.
Wenn der Herr Kollege, der glaubt, daß es Leute
gibt, die solche Dinge gerne schmoren lassen, im
Bender (GB/BHE): Herr Präsident! Meine Damen letzten Bundestag gewesen wäre, dann wüßte er,
und Herren! Nur ein paar Worte zur zweckmäßi- daß gerade im Ausschuß für Ernährung, Land-
gen Behandlung. Es handelt sich nicht in erster wirtschaft und Forsten der Schmorapparat nie in
Linie um ein ernährungspolitisches Problem, es Tätigkeit getreten ist.
handelt sich auch nicht um ein innerwirtschaft-
liches Problem, sondern es handelt sich darum, ob (Heiterkeit.)
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 659

Vizepräsident Dr. Jaeger: Weitere Wortmeldun- seitig auf den Visumzwang zu verzichten, setzte
gen liegen nicht vor. die Befreiung vom Visumzwang auch für Deutsche
Es sind also die Anträge gestellt worden, die ein. Diese einseitige Methode ist ein voller Erfolg
Vierzehnte und die Fünfzehnte Verordnung über gewesen, vor allem auf dem Gebiete des Fremden-
Zollsatzänderungen, die unter Punkt 14 b und e verkehrs. Im August des Vorjahres erfolgten mehr
aufgeführt sind, an den Ausschuß für Außenhan- als doppelt so viele Grenzübertritte als im August
delsfragen als federführenden zu überweisen. Das des Jahres 1952. Wir hatten über ein Viertel mehr
ist unbestritten. Ich darf darum darüber zuerst ab- Ausländerübernachtungen in der Bundesrepublik
stimmen lassen. Wer dem zustimmt, den bitte ich, als im Jahre davor. Das bedeutete, daß wir etwa
die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; die 100 Millionen DM mehr Deviseneinnahmen und Ein-
Überweisung ist beschlossen. nahmen aus dem Fremdenverkehr als im Vorjahr
hatten. Gerade dadurch, daß sich die Einseitigkeit
Es besteht ferner der Antrag, die beiden Zoll- wirtschaftlich und devisenmäßig so günstig für
satzänderungsverordnungen an den Ausschuß für Deutschland auswirkte, wurden die anderen Staa-
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mit- ten veranlaßt, nachzuziehen und den Visumzwang
beratung zu überweisen. Wer dem zustimmt, den auch für uns aufzuheben. Es bleiben jetzt einige
bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Staaten, die sehr zäh sind und uns nicht ohne die-
Mehrheit; es ist also beschlossen. Damit ist dieser sen Sonderstempel in ihr Land lassen wollen. Zu
Punkt der Tagesordnung abgeschlossen. diesen Staaten gehören Frankreich und England.
Ich rufe auf Punkt 15: Unser Antrag schlägt vor, einen zweiten Schach-
a) Beratung der Anträge des Bundesministers zug zu tun und jetzt erstens einmal generell auf
der Finanzen auf nachträgliche Genehmi- alle Visen für alle westlichen Staaten zu verzich-
gung der über- und außerplanmäßigen Aus- ten, auch für Reisen längerer Dauer als drei Mo-
gaben in den Bundeshaushaltsrechnungen nate. Er schlägt dann weiter vor, auch auf den Paß
für das Rechnungsjahr 1949 (21. September zu verzichten. Die Menschen sollen zu uns reisen
1949 bis 31. März 1950) und für das Rech- können mit dem Ausweispapier, das sie zu Hause
nungsjahr 1950 (Drucksache 270); besitzen. Die meisten haben einen Personalausweis,
b) Beratung des Antrags des Bundesministers so wie wir einen haben. Wenn sie keinen haben,
der Finanzen auf nachträgliche Genehmigung dann sollten wir ein anderes amtliches Ausweis-
der über- und außerplanmäßigen Ausgaben papier, das sie besitzen, als ausreichend anerken-
in der Bundeshaushaltsrechnung für das nen. Der Paß, meine Damen und Herren, kostet
Rechnungsjahr 1951 (Drucksache 304). nicht nur viel Geld, er kostet sehr viel mehr Zeit
Begründung und Aussprache sind nicht vorge- und Arger. Wir haben es gut hier im Hause: wenn
sehen. Die beiden Anträge sollen dem Haushalts- wir einen Paß brauchen, gehen wir zu einer Dienst-
ausschuß überwiesen werden. — Widerspruch - er- stelle, und die tut alles für uns. Der Mann draußen
folgt nicht; es ist also beschlossen. muß dafür 8 Mark zahlen und wenigstens zwei
Arbeitstage verlieren, bis er in den Besitz dieses
Ich komme zu Punkt 16: Dokuments kommt.
Beratung des Antrags der Fraktion der
(Zuruf rechts: Na, na, na!)
SPD betreffend Vereinfachung der Grenz
formalitäten für Reisende (Drucksache 198). — Nun, lassen Sie sich's erzählen, wie es in vielen
Fällen geht! — Wenn wir so verfahren, dann wird
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — das zur Folge haben, daß der Fremdenverkehr er-
Herr Abgeordneter Dr. Mommer! neut überdurchschnittlich ansteigt und ein neuer
Druck auf die anderen Staaten ausgeübt wird, die
Dr. Mommer (SPD), Antragsteller: Herr Präsi-
uns bisher mit Stempeln belästigen, diese Stempel-
dent! Meine Damen und Herren! Bis zum Jahre belästigung fallenzulassen. Die Absicht dabei soll
1914 konnte man sich auf eine Weltreise begeben, natürlich sein, zu erreichen, daß auch die anderen
ohne sich mit mehr Ausweispapieren als einer Staaten uns ohne Paß, nur auf Grund unseres
Visitenkarte ausrüsten zu müssen. deutschen Personalausweises, in ihr Land einrei-
(Abg. Huth: Ein bißchen mehr war es doch!) sen lassen.
— Nein, die Visitenkarte genügte bis 1914. Es gab Dieser Vorschlag ist nicht etwa revolutionär. Es
allerdings einige Ausnahmen, und diese waren gibt in den westlichen Staaten diese Einrichtung.
charakteristischerweise die Polizeistaaten wie Ruß- Ein Belgier etwa kann mit seinem Personalausweis
land, China und die Türkei. Für die übrigen Staa- nach Holland, Luxemburg, Frankreich und in die
ten genügte tatsächlich die Visitenkarte. Seit jener Schweiz einreisen, also ohne Paß. Wir wollen den
Zeit haben sich die Bürger auch der freien Staaten Versuch machen, uns da einzuschalten, und im Ver-
daran gewöhnt, von der eigenen und der auslän- kehr mit möglichst vielen europäischen Staaten
dischen Polizei gründlich kontrolliert zu werden. auch diesen überflüssigen Paß zum Verschwinden
Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion ist der bringen. Neuartig ist an unserem Vorschlag wie-
Versuch einer Rebellion gegen diesen Zustand, der der nur, daß wir das nicht auf Grund eines Gegen-
Versuch, ein Stück von jener Freiheit zurückzuge- seitigkeitsabkommens tun wollen. Wir woben viel-
winnen. mehr, wie beim Visum, einseitig verfahren und es
Für uns Deutsche war es nach 1945 besonders zunächst den anderen erlauben, in unser Staats-
schwer, wieder einmal ins Ausland zu kommen. gebiet ohne Paß einzureisen.
Sie besinnen sich vielleicht, wie schwer der Kampf Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der
war, den Visumzwang loszuwerden. Jahrelang Antrag auf eine Empfehlung der Beratenden Ver-
mußten wir versuchen, vergeblich versuchen, den sammlung des Europarats zurückgeht. In Straßburg
Visumzwang durch gegenseitige Abmachungen weg- werden manchmal sehr schöne europäische Reden
fallen zu lassen. Erst als die Bundesregierung sich gehalten. Wenn die Abgeordneten dann aber in ihre
auf Vorschlag meiner Fraktion dazu entschloß, ein diversen Hauptstädte zurückkehren, haben sie ver-
660 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Dr. Mommer)
gessen, was sie da vorgeschlagen haben. Ich meine, vorgetragen hat, eine sehr positive Resonanz bei
das sollten wir nicht tun. Wenn wir in Straßburg uns finden. Ich glaube aber — und er hat selber
für bestimmte Maßnahmen stimmen, dann sollten schon den Vorschlag gemacht —, daß es richtig sein
wir uns auch in unseren Heimatparlamenten für wird, ausführlicher darüber im Ausschuß zu spre-
sie einsetzen. Die Empfehlung des Europarats ent- chen. Ich schließe mich daher seinem Antrag auf
hält auch andere Punkte in bezug auf die Grenz- Ausschußüberweisung an.
kontrolle, z. B. Devisen- und Zollfragen, auf die Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird weiter das Wort
ich hier nicht eingehen will. Auch da möchten wir
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe
der Bundesregierung empfehlen, mit einseitigen die Aussprache.
Maßnahmen voranzugehen. Sie soll von sich aus
das tun, was vernünftig ist, und das beseitigen, was Es ist beantragt, den Antrag unter Punkt 16 an
nur Schikane ist, Ausfluß einer Neurose, in die den Ausschuß für Angelegenheiten der Inneren
unsere westliche Welt seit dem ersten Weltkrieg Verwaltung — federführend — und zur Mitbera-
hineingekommen ist. tung an den Ausschuß für auswärtige Angelegen-
heiten zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht;
Besonders hinweisen möchte ich auf den letzten es ist so beschlossen.
Punkt unseres Antrages, in dem verlangt wird,
daß die Registrierkarten, die von Ausländern an Ich rufe Punkt 17 auf:
der Grenze ausgefüllt werden müssen, verschwin- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
den. Das ist die einzige Schikane, der die Auslän- betreffend Konvention zum Schutze der
der in bezug auf Ausweispapiere bei uns noch aus- Menschenrechte und Grundfreiheiten (Druck-
gesetzt sind. Sie stammt nicht von uns, sondern von sache 228).
den Besatzungsmächten. Sie ist ein Überbleibsel
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete
jener Kontrollmaßnahmen der Besatzungsmächte, Dr. Lütkens.
die sich ursprünglich vor allem gegen uns, aller-
dings auch gegen ihre eigenen Staatsangehörigen Dr. Lütkens (SPD), Antragsteller: Herr Präsident!
richteten, Meine Damen und Herren! Es handelt sich um un-
(Abg. Huth: Sehr richtig!) seren Antrag auf Drucksache 228, der sich auf
einige Punkte bezieht, die mit der schon angenom-
die nach Deutschland einreisen wollten. Alle Fach- menen Konvention zum Schutze der Menschen-
leute sind sich darüber einig, daß dieser kolossale rechte und der Grundfreiheiten verbunden sind.
Aufwand von vielen Millionen von Zählkarten un- Diese Konvention ist im Jahre 1950 in Straßburg
sinnig ist, daß der Erfolg minimal ist. Wir sollten von der Beratenden Versammlung des Europarates
uns entschieden dagegen wehren, daß weiterhin die- ausgearbeitet und in Zusammenarbeit mit dem
ser Unfug getrieben wird. Wir sollten uns auch Ministerkomitee des Europarates nach Bereinigung
generell dagegen wehren, daß man, weil die Polizei einiger Meinungsverschiedenheiten vollendet wor-
hinter einem Missetäter her ist, tausend anständige den. Sie enthält die gemeinsamen Grundsätze, die
Leute, die uns willkommen sind, mit solchen die in Straßburg vertretenen 14 europäischen Län-
Scherereien und Schreibereien belästigt. Ich hoffe, der als Grundsätze ihres gesellschaftlichen und po-
daß es im Ausschuß Einstimmigkeit geben wird und litischen Lebens teilen. Sie zeichnet sich dadurch aus,
wir zur Abschaffung dieser letzten Schikane für daß die Menschenrechte und die Grundfreiheiten
Ausländer, die zu uns kommen, gelangen können. in dieser Konvention nicht nur deklaratorisch er-
Der Antrag der SPD-Fraktion bedeutet, daß wir klärt werden, wie das noch in der entsprechenden
wieder etwas mehr Freiheit in diesen Dingen be- Erklärung der Vereinten Nationen geschehen ist,
kommen sollen und daß wir etwas von der Polizei- sondern daß sie darauf ausgeht, eine institutionelle
staatlichkeit, die sich in der Welt breitgemacht hat, Sicherung dieser Freiheiten und Rechte auf euro-
abbauen. Im übrigen ist er auch ein Stück prakti- päischer Grundlage zu erreichen, so daß diese
scher und unpathetischer Europapolitik. Ich bitte, Rechte auch durch einen übernationalen Schutz ge-
den Antrag dem Ausschuß für Angelegenheiten der sichert werden können.
inneren Verwaltung und zur Mitberatung dem Aus- In dieser Konvention sind zwei Institutionen vor-
wärtigen Ausschuß zu überweisen. gesehen, an die sich Staaten oder unter Umständen
(Beifall bei der SPD.) auch Einzelpersonen um Schutz dieser Rechte und
Freiheiten wenden können: eine Kommission und
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich eröffne die Aus- ein Gerichtshof. Was die Kommission anlangt, so
sprache. Wird das Wort gewünscht? — Der Herr legt der Art. 25 der Konvention fakultativ fest,
Bundesminister des Innern! daß auch Einzelpersonen diese übernationale, will
sagen: europäische Institution zum Schutze ihrer
Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Herr Rechte und Freiheiten notfalls in Anspruch neh-
Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbe- men können, wobei Sicherheiten gegen Mißbrauch
tracht der vorgerückten Stunde möchte ich mich und auch Sicherheiten der Art geschaffen sind,
kurz fassen. Der Antrag der sozialdemokratischen daß solche Eingaben an die europäische Kommis-
Fraktion betrifft eine ganze Reihe von grundsätz- sion nicht gemacht werden können, wenn nicht erst
lichen Fragen, insbesondere die Aufhebung der alle Möglichkeiten innerhalb des betreffenden
durch § 1 des Paßgesetzes begründeten Verpflich- Staates selber ausgeschöpft sind. Damit dieses
tung, sich beim Grenzübergang durch einen Paß Recht der Individuen, sich an die europäische Kom-
auszuweisen. Weiter werden durch den Antrag all- mission zu wenden, in Kraft treten kann, müs-
gemeine Fragen der öffentlichen Sicherheit, des sen sich zunächst sechs Staaten dieser Fakultativ-
Fremdenrechts und der Beziehungen zu ausländi- klausel unterworfen haben. Soviel ich weiß, haben
schen Staaten, insbesondere auch den westlichen es bisher vier getan: Schweden, Irland, Dänemark
Besatzungsmächten, berührt. und wohl auch Belgien.
Ich möchte ganz allgemein sagen, daß viele der Was den Gerichtshof anlangt, so tritt der Art. 46,
Gesichtspunkte, die Herr Kollege Mommer hier der die Gerichtsbarkeit in Fragen der Auslegung
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 661
(Dr. Lütkens)
und Anwendung dieser Konvention obligatorisch Das letzte Argument, das in der Antwort der
macht, in Kraft, wenn acht Staaten dieser Vor- Regierung zu finden ist, ist ein für mich nicht ganz
schrift zugestimmt haben. Meines Wissens haben verständlicher Bezug darauf, daß man zunächst ab-
es bisher drei getan: Irland, Dänemark und wohl warten wolle, wie sich die Gerichtsbarkeit der ge-
auch Belgien. planten europäischen politischen Gemeinschaft ge-
Der Bundestag hat in seiner Sitzung vom 10. Juni stalten werde. Niemals habe ich bisher verstanden,
1953 diese Konvention zum Gesetz erhoben. Er hat daß die Planungen wegen einer europäischen poli-
überdies bei dieser Gelegenheit die Bundesregie- tischen Gemeinschaft der sechs Staaten hindern
rung ausdrücklich ermächtigt, die erweiterte Zu- sollten, solche Wege innerhalb des Rahmens der
ständigkeit der Kommission und ebenso die obliga- in Straßburg sich zusammenfindenden 14 Staaten
torische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anzuer- zu gehen, die einen engeren Zusammenschluß und
kennen. Bis heute hat die Bundesregierung diesem eine Festigung ihres sozialen, politischen und wirt-
Wunsch des Bundestages nicht stattgegeben. Auf schaftlichen Lebens erreichen könnten. Bisher ist
eine Anfrage meiner Fraktion unter Drucksache 129 doch wohl der Grundsatz unbestritten, daß die
hat die Bundesregierung eine Antwort erteilt, die sechs Staaten, die sich unter Umständen in einer
unter dem 12. Januar dieses Jahres auf Druck- europäischen politischen Gemeinschaft zusammen-
sache 174 zu finden ist. Ich muß zu meinem Be- zuschließen planen — noch immer planen, auch
dauern sagen, daß ich diese Antwort für einiger- ein Teil der größeren Gemeinschaft bleiben sollten,
maßen unbefriedigend halte. Ich muß dem das wei- die im Europarat zusammengeschlossen ist. Bisher
tere Bedauern hinzufügen, daß, soweit ich sehe, ist, soviel ich weiß, doch niemals davon die Rede
das federführende Ressort, wie schon öfter, es nicht gewesen, daß die Pläne der sechs Staaten die Vol-
für nötig gehalten hat, sich bei dieser Gelegenheit lendung umfassenderer Werke — nämlich umfas-
in diesem Hause vertreten zu lassen. send im Sinne der vierzehn Staaten — hindern
(Hört! Hört! bei der SPD.) oder verzögern sollten. Die Arbeit an der Verfas-
sung der sechs ist doch niemals als ein Vorwand
Reisen sind keine Entschuldigung, nicht an dem gedacht gewesen, um die Verwirklichung von Be-
Orte zu sein, wo man sein muß, wenn man die schlüssen der vierzehn Staaten zu hindern oder
Dinge tun soll, die zu tun man berufen ist. aufzuschieben.
(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Dr.
Krone: Aber Herr Lütkens! Wiederholen Falls die europäische politische Gemeinschaft zu-
Sie das noch mal!) stande kommen sollte, wird sie, jedenfalls soweit
ich sehen kann, eine Verfassungsgerichtsbarkeit
— Ich spreche von dem Staatssekretär — wenn haben. Aber die Möglichkeit eines Kompetenzkon-
Sie das mißverstanden haben sollten —, dessen flikts, die in der Antwort der Bundesregierung an-
Aufgaben hier an diesem Orte und nicht in der gedeutet ist, nämlich eines Kompetenzkonflikts
übrigen Welt sind. zwischen dem Verfassungsgerichtshof der geplanten
(Erneute Zustimmung bei der SPD.) politischen Gemeinschaft und den Gerichtshöfen
Vielleicht haben Sie einen anderen Bezug ange- und Kommissionen, die im Rahmen der Euro-
nommen, Herr Kollege Krone. Ich freue mich, dann päischen Konvention über Menschenrechte und
die Gelegenheit zu haben, das richtigzustellen und Grundfreiheiten eingerichtet werden sollen, ist
genau zu sagen, was ich gemeint habe. doch wohl nicht gegeben; es sei denn, man solle
Die Antwort der Bundesregierung bewegt sich zu der Annahme gezwungen werden, es gebe Prin-
meiner Ansicht nach in einigermaßen antiquierten zipien, die im Rahmen der sechs anders formuliert
und bürokratischen Überlegungen. Ich finde es worden wären, als es in der Konvention, mit der
schwierig, sie mit den Zielen der Europapolitik in wir es zu tun haben, geschehen ist.
Übereinstimmung zu bringen, zu denen sich der Sollte etwa der Minister für Familienangelegen-
ganze Bundestag im Prinzip und, wie wir wissen, heiten Sorge gehabt haben, daß der Art. 12 der
auch die Bundesregierung bekennt. Diese Art der Europäischen Konvention nicht in Ordnung sei, der
Antwort findet, wie mir scheint, ihren Ausdruck doch nichts anderes besagt, als daß mit der Er-
darin, daß die Antwort sich zunächst darauf zu- reichung des Heiratsalters Männer und Frauen das
rückzieht, daß das Verfahren neuartig sei. Ich ver- Recht hätten, eine Ehe und eine Familie nach den
mag überhaupt nicht einzusehen, wie man in der nationalen Gesetzen zu gründen?
Europapolitik Fortschritte erzielen will, wenn man
nicht bereit ist, sich neuartiger Wege zu bedienen. (Heiterkeit bei der SPD.)
(Sehr gut! bei der SPD.) Meine Damen und Herren! Im August 1950 hat
Weiterhin gibt die Antwort als Grund dafür, daß der damalige englische Delegierte in der Straßbur-
die Bundesregierung von der ihr durch den Bun- ger Beratenden Versammlung, Mr. Maxwell Fyfe,
destag gegebenen Ermächtigung bisher keinen Ge- der ein großes Verdienst um das Zustandekommen
braucht gemacht hat, an, daß keine Eile bestehe. dieser Konvention gehabt hat, in seiner Schluß-
Ich bin jedoch der Meinung, daß ein Land, das ansprache die Beratende Versammlung in Straß-
in der Vergangenheit so nahe und direkte Berüh- burg — ich darf das verlesen, Herr Präsident —
rung mit totalitären Regimes gehabt hat und, wenn wie folgt angesprochen:
wir an die sowjetisch besetzte Zone denken, auch Es sei mir gestattet, noch einmal kurz darauf
in der Gegenwart noch hat, Veranlassung hätte, hinzuweisen, weshalb wir so sehr wünschen,
mit allem Ernst und auch mit Eile alle Wege daß diese Konvention verabschiedet wird. Zu-
zu gehen, die dazu führen können, daß die Grund- nächst manifestiert sie unseren Glauben an
rechte und die menschlichen Freiheiten nach Mög- die Menschenrechte, und zwar nicht als unbe-
lichkeit und so weit wie möglich gefestigt und ge- stimmte Allgemeinheiten, sondern in Bestim-
sichert werden. Hier wäre doch im übrigen eine mungen, die vor einem Gerichtshof durchge-
Gelegenheit, wirklich die europäische Gesinnung, setzt werden können. Das sind die Regeln un-
die die Bundesregierung so oft zeigt, zu betätigen serer Gemeinschaft, durch die wir gebunden
und in die Tat umzusetzen. sein wollen.
662 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954
(Dr. Lütkens)
Zweitens gibt es immer einen Augenblick im der Türkei unternommen hat. Wenn nun behaup
Ansturm des Totalitarismus, in dem manche tet wird, der Platz
Äußerungen der Würde des Lebens ver- (Zuruf von der SPD)
schwunden sind, während andere noch weiter
bestehen können, in denen der demokratische des Staatssekretärs sei hier, und das sei wichtiger
Geist immer noch vorhanden ist. Der inter- als eine politische Reise, dann möchte ich die Be-
nationale Beistand, die internationalen Unter- urteilung dieser Frage getrost dem Hohen Hause
suchungen, die Mobilmachung der öffentlichen überlassen,
Meinung, die an die Freiheit glaubt, können (Beifall bei den Regierungsparteien)
die Situation retten. Sie wird allerdings nur der Frage nämlich, ob es richtiger und wichtiger
gerettet werden, wenn sich Europa mit macht- ist, eine politische Reise nach Griechenland und
voller Stimme zugunsten der Vorherrschaft des der Türkei zu unternehmen, oder hier zu einem
Rechts ausspricht. Antrag Stellung zu nehmen, der genau so gut in
Und drittens wäre nach meiner Meinung eine vierzehn Tagen beantwortet werden kann.
solche Konvention ein Leuchtzeichen für un- (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
sere Freunde, die sich jetzt in der Finsternis
des Totalitarismus befinden. Sie wäre schließ- Ich nehme an, daß der Antrag der Sozialdemo-
lich auch eine Art Paß für die Rückkehr ihrer kratischen Partei den zuständigen Ausschüssen
Länder in unsere Gemeinschaft. überwiesen wird. Die Bundesregierung wird dann
Ich glaube, wir haben Veranlassung, uns dieser im Ausschuß zu dem Antrag Stellung nehmen.
Worte zu erinnern, wenn wir uns mit dem Antrag (Abg. Dr. Krone: Ausschußüberweisung! —
meiner Fraktion, der jetzt in Drucksache 228 vor- Zuruf von der SPD: War das die ganze
liegt, beschäftigen. Wir sollten diese Worte wahr Antwort?)
machen, so gut und so weitgehend, wie wir kön-
nen. Alle deutschen Delegierten haben im Jahre Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort wird weiter
1950 in der Beratenden Versammlung der Konven- nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Es
tion zugestimmt, und es war die Meinung der Ver- ist beantragt, den Antrag der Sozialdemokra-
sammlung, daß sowohl die Fakultativklausel nach tischen Partei an den Ausschuß für Rechtswesen
Art. 25 wie die obligatorische Gerichtsbarkeit nach und Verfassungsrecht als federführenden Aus-
Art. 48 der Konvention von allen Staaten ange- schuß und an den Ausschuß für auswärtige An-
nommen werden sollten. Es war eine unserer er- gelegenheiten als mitberatenden Ausschuß zu
sten Handlungen als deutsche Delegierte in Straß- überweisen. Wer diesem Antrag zustimmt, den
burg in der Beratenden Versammlung des Europa- bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
rats, daß wir dieser Konvention zugestimmt haben. Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die
So hoffe ich, daß ich im Sinne des ganzen Hauses Überweisung ist beschlossen.
sprechen darf, wenn ich die Bundesregierung- auf-
fordere, eine europäische Tat in diesem Falle zu Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
tun und entsprechend der vom Bundestag schon Beratung des interfraktionellen Antrags be-
gegebenen Ermächtigung sowohl der Fakultativ- treffend Überweisung von Anträgen an die
klausel nach Art. 25 wie der obligatorischen Ge- Ausschüsse (Umdruck 13).
richtsbarkeit nach Art. 48 nunmehr zuzustimmen
und unter diesen Bedingungen ihren Beitritt zur Ich darf auf den Umdruck 13*) Bezug nehmen.
Konvention zu erweitern. Wer der Ausschußüberweisung zustimmt, den
bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die
Ich bitte um einmütige Annahme unseres An- Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die
trages, wonach also auch Einzelpersönlichkeiten Überweisung ist beschlossen.
im letzten Zuge das Recht auf Eingaben an die
europäische Kommission haben und wonach die Meine Damen und Herren, ich darf darauf hin-
Entscheidungen des Gerichtshofs als verbindlich weisen, daß die Sitzung des Petitionsausschusses
auch von der Bundesrepublik anerkannt werden heute ausfällt.
sollen. Außerdem hat der Vorsitzende des Ausschusses
(Beifall bei der SPD.) für Rechtswesen und Verfassungsrecht gebeten,
dem Plenum bekanntzugeben, daß die heutige
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich eröffne die Aus- Sitzung des Rechtsausschusses nicht um 15 Uhr,
sprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister sondern erst um 17 Uhr stattfindet.
der Justiz.
Meine Damen und Herren! Ich berufe die nächste,
Neumayer, Bundesminister der Justiz: Herr die 19. Sitzung des Deutschen Bundestages auf
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Freitag, den 12. März 1954, 9 Uhr, und schließe die
Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Lütkens hat 18. Sitzung des Deutschen Bundestages.
gerügt, daß heute das zuständige Ressort, das Aus-
wärtige Amt, nicht vertreten sei. Ich glaube, es ist (Schluß der Sitzung: 14.30 Uhr.)
dem Hohen Hause bekannt, daß der Herr Bundes-
kanzler zusammen mit Herrn Staatssekretär Hall-
stein eine politische Reise nach Griechenland und *) Siehe Anlage 2 Seite 664
2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954 663

Anlage 1 zum Stenographischen Bericht der 18. Sitzung

Schriftliche Erklärung
des Abgeordneten Dr. Atzenroth (FDP)

zur ersten Beratung des von den Abgeordneten Frau Dietz, Ruf, Bausch und Genossen
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

Änderung der Verordnung zum Schutze der Wirtschaft


(Drucksache 204)

Da der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung Alle diese Firmen und Unternehmungen sollte
der Verordnung zum Schutze der Wirtschaft man daran erinnern, daß es Ziel unserer Markt-
(Drucksache 204) nicht begründet wurde, auch wirtschaft sein muß, die Ware in bester Qualität
keine Aussprache stattfand, gebe ich folgende Er- und zu niedrigstem Preis an den Verbraucher zu
klärung ab. bringen, und daß es nicht Aufgabe der Wirtschaft
ist, ihre Kundschaft zu beschenken, zu belehren
Das hier aufgeworfene Problem kann nur im und zu unterhalten.
größeren Rahmen des gesamten Zugabewesens be-
handelt werden. Die Gründe, die im Jahre 1932 Bei einer derartigen Betrachtung ergeben sich
für die Schaffung gewisser Verbote maßgebend gegen den vorgelegten Gesetzentwurf erhebliche
waren, bestehen zum großen Teil auch heute noch. Bedenken. Wir können keine Einwendungen da-
Niemand wird leugnen können, daß Mißstände auf gegen erheben, daß der Ware Zeitschriften beige-
den verschiedensten Gebieten des Zugabewesens fügt werden, die sich auf den zu veräußernden
zu beklagen sind. Zwar geben die Kaffeehändler Artikel beziehen, ihn loben oder seine Herstellung
noch nicht wieder Porzellan als Zugabe wie da- erläutern. Wir sehen aber nicht ein, warum ge-
mals, aber die kleinen Kunstwerke aus modernen werbliche Betriebe Zeitschriften belehrenden und
Stoffen, die gewissen Waren ohne Entgelt beige- unterhaltenden Inhalts herausgeben müssen. Inso-
fügt werden und auf das Sammelbedürfnis der fern lehnen wir also den Entwurf ab. Wir werden
Kinder abgestellt sind, vermehren sich von Jahr uns aber an einer Diskussion über das gesamte
zu Jahr. Auch die sogenannten Preisausschreiben Problem im Ausschuß eingehend beteiligen.
in illustrierten Zeitschriften stellen in Wirklichkeit
eine versteckte Zugabe dar, wenn dabei ganze Ein- Bonn, den 11. März 1954
richtungen, Motorräder, Kühlschränke usw. auf
dem Umwege über den Zeitungspreis verkauft Dr. Atzenroth
werden.
664 2. Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. März 1954

Anlage 2 zum Stenographischen Bericht der 18. Sitzung

Interfraktioneller Antrag
betreuend

Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse


(Umdruck 13)

Der Bundestag wolle beschließen:


Die folgenden Anträge werden ohne Beratung gemäß § 99 Abs. 1 der Geschäftsordnung den zustän-
digen Ausschüssen überwiesen:

1. Antrag der Abgeordneten Frau Strobel, Bauer an den Haushaltsausschuß (federführend) und an
(Würzburg), Op den Orth und Genossen betref- den Ausschuß für Verkehrswesen;
fend Ausbau der Großschiffahrtsstraße Rhein -
Main-Donau (Drucksache 239)
2. Antrag der Abgeordneten Dr. Arndt, Freidhof, an den Haushaltsausschuß (federführend) und an
Merten, Dr. Preller und Genossen betreffend den Ausschuß für Wirtschaftspolitik;
Bundeszuschüsse für die bundeseigene Kur-
hessischer Kupferschieferbergbau GmbH. in
Sontra (Hessen) (Drucksache 247)
3. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Ge- an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft
nehmigungspflicht bei Grundbesitzveräußerun - und Forsten (federführend) und an den Ausschuß
gen (Drucksache 252) für Bau- und Bodenrecht;
4. Antrag der Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Müller an den Haushaltsausschuß (federführend), an den
(Bonn), Mühlenberg und Genossen betreffend Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Nutzungsentschädigung für Bauern im Gebiet Forsten und an den Ausschuß für Grenzlandfragen;
an der holländischen Grenze (Drucksache 253)
5. Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend an den Haushaltsausschuß (federführend) und an
Ausbau der Autobahn Leverkusen — Kamen den Ausschuß für Verkehrswesen.
(Drucksache 257)

Bonn, den 23. Februar 1954


Dr. von Brentano und Fraktion
undFraktio Olenhaur
Dr. Dehler und Fraktion
Haasler und Fraktion
Dr. von Merkatz und Fraktion

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